Grundlagen Lean Management: Einführung in Geschichte, Begriffe, Systeme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Managementparadigmas 9783486779042, 9783486716474

Lean Management gilt seit mehr als zwanzig Jahren als Leitparadigma der Managementlehre. Die Zahl der Veröffentlichungen

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Grundlagen Lean Management: Einführung in Geschichte, Begriffe, Systeme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Managementparadigmas
 9783486779042, 9783486716474

Table of contents :
Vorwort. Ein Gespräch aus der Praxis
Grobstruktur Inhalt
Mindmap
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Wertschöpfungsdenken zu Beginn der Renaissance
Einführung (mit wichtigen Informationen für Lehrer)
1 Die Kategorien des Leanmanagements
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 1
1.1 Das sogenannte Spannungsverhältnis zwischen Qualität, Zeit und Kosten
1.2 Was ist unter Lean Management zu verstehen?
1.3 Das übergeordnete Grundgerüst zum Lean Management
1.3.1 Zum kategorialen Denken und Kategorienbilden
1.3.2 Zur Kategorie Qualität
1.3.3 Zur Kategorie Zeit
1.3.4 Zur Kategorie Raum
1.3.5 Zur Kategorie Kosten
1.3.6 Zur Kategorie Muda (Mura, Muri)
1.3.7 Zur Kategorie Wertschöpfung
1.3.8 Zur Kategorie Arbeit
1.3.9 Zur Kategorie Organisationskultur
1.4 Zusammenfassung Kapitel 1
1.5 Mindmap zur Rekapitulation
2 Die Frohe Botschaft und ihr Objekt
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 2
2.1 Die Frage falsch gestellt!
2.2 Die Frohe Botschaft
2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten
2.3.1 Toyoda Sakichi, der Gründer und Erfinder
2.3.2 Toyoda Kiichiro, wie der Vater, so der Sohn
2.3.3 Ishida Taizo, der Sparer und erste TMC-Controller
2.3.4 Ohno Taiichi, der Meister der Organisation
2.3.5 Toyoda Eiji, der Globale
2.3.6 Toyoda Shoichiro, der Reformer und Schöpfer
2.3.7 Toyoda Tatsuro, der Stabilisierer
2.3.8 Die drei Musketiere, Okuda, Cho und Watanabe
1 Okuda Hiroshi
2 Cho Fujio
3 Watanabe Katsuaki
2.3.9 Toyoda Akio, der junge Hoffnungsträger
2.4 Zusammenfassung Kapitel 2
2.5 Mindmap zur Rekapitulation
3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 3
3.1 Revolution oder Paradigmenwechsel im Management?
3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements
3.2.1 Die Handwerksproduktion und die Grundformen der Fertigung in Handwerk und Industrie
3.2.2 Taylors sog. Scientific Management-Ansatz
3.2.3 Das Ford-System der Autoproduktion
3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi
3.3.1 Ohnos vermutete wahre Absicht hinter dem Ford-System
3.3.2 Historische Entstehungsbedingungen des TPS
3.3.3 Die sieben Elemente des Toyota Produktionssystem
1 Muda als Element des Toyota Produktionssystems
2 Just in Time als Element des Toyota Produktionssystems
3 Zwischenfazit Elemente des TPS
4 Autonome Automation ( Jidoka) und weitere Produktionsund Qualitätstechniken als Element des Toyota Produktionssystems
5 Der Wertschöpfungsprozess mit dem Netzwerk der Unterlieferanten als Element des Toyota Produktionssystems
6 Das Streben nach „höchster“ (bester) Qualität als Element des Toyota Produktionssystems
7 Der Mitarbeiter (Mensch und Arbeit) und das Humansystem als Element des Toyota Produktionssystems
8 Die Unternehmenskultur Toyotas als Element des Toyota Produktionssystems
3.3.4 Vom Toyota Produktionssystem zum umfassenden Toyota Managementsystem (TMS)
3.4 Das Toyota Produktionssystem: Haus- und Tempeldarstellungen und der Vorschlag von Cho Fujio zum sog. TPS-Haus
3.5 Die 14 leitenden Prinzipien des Toyota Produktionssystems nach Jeffry K. Liker
3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem
3.7 Die Toyota Kata nach Mike Rother
3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow
3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma
3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)
3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“
3.12 Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraints (TOC) als praktisches Managementkonzept
3.13 Zusammenfassung Kapitel 3
3.14 Mindmap zur Rekapitulation
4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 4
4.1 Was ist unter Techniken, was unter Lean-Techniken zu verstehen?
4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken
4.2.1 Lean-Techniken im Verständnis von Ohno Taiichi
4.2.2 Lean-Techniken zur Problemlösung
4.2.3 Prozessorientierte Lean-Techniken
4.2.4 Lean-Techniken zur Prozess- und Lösungskontrolle
4.2.5 Spezielle Lean-Techniken
4.3 Zusammenfassung Kapitel 4
4.4 Mindmap zur Rekapitulation
5 Lean Management umsetzen
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 5
5.1 Einfach das Einfache finden … ist schwierig
5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell
5.3 Zusammenfassung Kapitel 5
5.4 Mindmap zur Rekapitulation
6 Das Netzwerk der Lean Management-Community
Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 6
6.1 Auf dem Weg zur Lean Management-Community
6.2 Zur Community des Lean Managements
6.3 Zusammenfassung Kapitel 6
6.4 Mindmap zur Rekapitulation
7 Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung
7.1 Was wurde gezeigt und erreicht? – Bestandsaufnahme
7.2 Was können wir erhoffen? – Schlussbetrachtung
7.2.1 Nichts ist unmöglich …
7.2.2 Setzt sich Lean Management durch?
7.3 Mindmap zur Rekapitulation
8 Methodologische Nachbemerkungen
8.1 Die doppelte historische Bedingtheit des Lean Managements
8.2 Das Korrespondenzprinzip im Lean Management
9 Literatur
10 Anhang
10.1 Selected Sayings of Ohno Taiichi
10.2 Wortliste ausgewählter relevanter japanischer Fachbegriffe
10.3 Just in Time or Just on Time of Ohno Taiichi
10.4 Lean Six Sigma – Missverständnisse und Umsetzungsfallen
10.5 Die zehn Ursachen von menschlichen Fehlhandlungen
10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich
10.7 Mindmap zur Rekapitulation
11 Stichwortverzeichnisse
11.1 Personenenregister
11.2 Sachwortregister
11.3 Bildnachweise

Citation preview

Edition Management Herausgegeben von Dipl.-Soz. Hans-Dieter Zollondz

Bisher erschienene Titel: Geiger, Walter, Beschaffenheitsmanagement – Nature Management (Deutsch/Englisch) Zollondz, Hans-Dieter (Hrsg.), Lexikon Qualitätsmanagement. Handbuch des Modernen Managements auf der Basis des Qualitätsmanagements Zollondz, Hans-Dieter, Grundlagen Qualitätsmanagement. Einführung in die Geschichte,

Begriffe, Systeme und Konzepte, 3. Auflage Zollondz, Hans-Dieter, Grundlagen Lean Management. Einführung in Geschichte, Begriffe, Modelle, Techniken sowie Implementierungs- und Gestaltungsansätze eines modernen Managementparadigmas

Grundlagen Lean Management

Einführung in Geschichte, Begriffe, Systeme, Techniken sowie Gestaltungs- und Implementierungsansätze eines modernen Managementparadigmas von

Hans-Dieter Zollondz

Oldenbourg Verlag München

Lektorat: Thomas Ammon Herstellung: Tina Bonertz Titelbild/Satz: Hans-Dieter Zollondz (Autor) Einbandgestaltung: hauser lacour Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 2013 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 143, 81671 München, Deutschland www.degruyter.com/oldenbourg Ein Unternehmen von De Gruyter Gedruckt in Deutschland Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

ISBN 978-3-486-71647-4 eISBN 978-3-486-77904-2

Splitter „Where is the knowledge we have lost in information?“ (Thomas Stearns Eliot [*1888-1965𐐆]: The Rock 1934) ⟢⟡⟣ „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig.“ (Georg Wilhelm Hegel [*1770-1831𐐆]: Grundlinien der Philosophie des Rechts) ⟢⟡⟣ „Wer etwas zerteilt, um etwas Ganzes zu erreichen, wird dieses früher oder später, mehr oder weniger gut wieder zusammenfügen müssen.“ ( J. J. Cale) ⟢⟡⟣ „Die echte Tradition in den großen Dingen besteht nicht darin, das zu wiederholen, was die anderen getan haben, sondern darin, den Geist wiederzufinden, der diese Dinge gemacht hat, einen Geist, der in anderen Zeiten ganz andere Dinge geschaffen hätte.“ (Paul Valéry [*1871-1945𐐆]) ⟢⟡⟣ „Perfektion ist nicht etwa dann erreicht, wenn nichts mehr hinzugefügt werden kann, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.“ (Antoine de Saint-Exupéry [*1900-1944𐐆]) ⟢⟡⟣ „Raum und Zeit gelten als die beiden Dimensionen einer objektiven Welt, auf die man rekurrieren kann, wenn man es mit Unverständlichem, Widersprüchlichem oder Zweifelhaftem zu tun bekommt.“ (Dirk Baecker, Beobachter unter sich) ⟢⟡⟣ „Ein Fürst muss lernen, nicht gut zu sein.“

(Nicolò Machiavelli [*1469-1527𐐆])

„Definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.“ (Nietzsche)

Vorwort Lean Management hat eine stürmische Entwicklung hinter sich. Seit seiner ersten Thematisierung, Anfang der 1990er Jahre, scheint es nun ein gewisses Reifestadium erreicht zu haben. Der Ansatz, seine Begriffe und systematischen Zugänge verdienen somit einer grundlegenden Betrachtung. Dabei ist jedoch die Dynamik zu beachten, die dem Objekt inhärent zu sein scheint: Die beiden wesentlichen Impulsgeber, Toyota selbst und Kräfte aus dem Netzwerk der Lean Management-Community forcieren auch weiterhin die Entwicklung. Hinzu kommt die grundsätzlich – unhintergehbare – Orientierung am vom Kunden bestimmten Wertstrom. Neue Denkansätze, die sich schließlich in Managementtechniken niederschlagen, finden hier ihre Basis. Wenn wir zugrundelegen können, was Mike Rother feststellt, dann ist das Managementsystem von Toyota noch lange nicht vollständig ausgelotet (Rother 2009, 23): „Toyotas Praktiken sind auf unsichtbare Denk- und Handlungsroutinen im Management aufgebaut.“ Leider muss aber auch gesagt werden, dass mit dem Begriff „lean“ nicht gerade vorsichtig umgegangen wird. Er dient inzwischen als Etikett für alle möglichen Themen. Ihn als eindeutigen terminus technicus zu bestimmen wird nur schwer gelingen. Eine zu fordernde Aufgabe wird in der Zukunft darin liegen, Lean Management vom es sehr bestimmenden Bereich der Automobilindustrie zu lösen und – was in der Praxis ja schon geschieht – es auch theoretisch nachhaltiger in der Managementlehre zu verankern. Auch hier muss bemängelt werden, dass es bisher in den klassischen Lehrbüchern der Management- und Organisationslehre nur marginal beachtet wird. In der Fachliteratur zur Produktionswirtschaft und Logistik findet es naturgemäß eingeengt Beachtung. Je mehr man sich von der universitären Ebene auf die an der Praxis orientierten Hochschulen zubewegt, desto mehr folgen die Multiplikatoren einem Muster von Gebrauchsanweisungen à la lean, die sich als digitale Präsentationen in der Lehre niederschlagen. Sie werden in diesem Buch viel Erhellendes erfahren, was mir vorher auch nicht in dieser Deutlichkeit bekannt war. Ich wünsche Ihnen ein spannendes und erkenntnisreiches Studium. Schon jetzt zur Einstimmung in den Gegenstand: Der Begriff „lean“ und seine Wortverbindungen sind in Japan nicht bekannt. Hans-Dieter Zollondz Biozat (Vichy) im April 2013

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Japan

Lean Production Lean Manufacturing Lean Management

Ein Gespräch aus der Praxis „Ich habe gehört, das Lean Management ist ein Konzept für Unternehmensberater, das benutzt wird um Hierarchiestufen im Unternehmen flacher zu gestalten. Ist das zutreffend?“ „Nein, das ist ein falsches und verkürzendes Verständnis.“ „Aber es dient doch der Einsparung und Entlassung von Mitarbeitern.“ „Auch das kann man so nicht sagen. Mitarbeiter werden anders, sinnvoller eingesetzt, ja!“ „Aha, ich verstehe. Und wer macht dann die Arbeit, die der Mitarbeiter vorher gemacht hat?“ „Diese Arbeit macht keiner mehr, weil das gesamte Unternehmen umorganisiert wurde. Sie entfällt.“ „Dann ist Lean Management doch ein Rationalisierungsinstrument.“ „Lean Management folgt einem ganz klaren Ziel, alles was überflüssig ist, was den Kundenwert nicht erhöht, wir sagen was Muda ist, muss abgebaut bzw. verhindert werden.“ „Das klingt sehr klug, aber abstrakt. Wie ist das zu verstehen?“ „Sehen sie es mal so: Sie arbeiten sicherlich viel und denken vielleicht auch manchmal, das, was ich gerade getan habe, war umsonst, es nützt niemandem, schon gar nicht dem Kunden. Gern wird das Beispiel der Vorratsproduktion bemüht. Teile und ganze Produkte werden auf Halde produziert. Ob und

Technische Realisation Die Grundlagen Lean Management wurden inklusive der Abbildungen mit Adobe InDesign CS 5.5 bzw. Photoshop CS 5.5 auf dem Apple MacPro vom Autor direkt bis zur Druckvorstufe erstellt.

zu welchem Preis sie später verkauft werden, ist unklar. Ist das nicht Verschwendung, Muda, etwas zu produzieren, von dem man nicht genau weiß, ob es jemand haben will?“ „Ja, da haben Sie Recht. das kommt häufig vor. Aber was kann man dagegen tun? Da muss sich das Unternehmen was einfallen lassen.“ „So ist es, das Unternehmen muss sich was einfallen lassen. Dieser Einfall ist ja gerade die Reorganisation des gesamten Unternehmens nach den Prinzipien des Lean Managements.“ „Können Sie mir mal ein solches Prinzip erklären?“ „Gerne, ein wichtiges Prinzip sagt: Tue nur das, was den Wert für den Kunden erhöht. Falls ich das nicht weiß, frage ich ihn. Sehr oft weiß ich es. Der Kunde möchte eine gute Leistung schnell haben. Doch bei dem Durcheinander in der Werkstatt oder auf meinem Schreibtisch geht das nicht so schnell und gut und außerdem ist er nicht der einzige Kunde. Also muss ich ihn vertrösten und warten lassen. Das ist eine nicht zu vertretende Handlungsweise. Ich muss meine Organisation so gestalten, dass ich schnell und mit einer guten Leistung reagieren kann. Ganz konkret ich muss aufräumen, Muda beseitigen. Die Techniken des Lean Managements zeigen mir, wie das geht.“ „Oh je, das ist gemeint. Das kann ja ganz schön an die Substanz gehen!“

Grobstruktur Inhalt Vorwort ◦ Ein Gespräch aus der Praxis Grobstruktur Inhalt ◦ Mindmap ◦ Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Wertschöpfungsdenken zu Beginn der Renaissance Einführung (mit wichtigen Informationen für Lehrer) 1

Die Kategorien des Lean Managements

1

2

Die Frohe Botschaft und ihr Objekt

61

3

Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

96

4

Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

267

5

Lean Management umsetzen

291

6

Das Netzwerk der Lean Management-Community

309

7

Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

319

8

Methodologische Nachbemerkungen

329

9

Literatur

335

10

Anhang

353

11

Stichwortverzeichnisse

377

1 Kategorien

6 Netzwerk Lean Management-Community

2 Objekt „Frohe Botschaft“

Lean Management 3 Systeme und Konzepte

5 Umsetzung

4 Techniken

Inhaltsverzeichnis

XI

Inhaltsverzeichnis Vorwort ◦ Ein Gespräch aus der Praxis Grobstruktur Inhalt Mindmap Inhaltsverzeichnis

VII IX X XI

Abkürzungsverzeichnis Wertschöpfungsdenken zu Beginn der Renaissance

XIV XVI

Einführung (mit wichtigen Informationen für Lehrer)

XIX

1

Die Kategorien des Leanmanagements

1

1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.3.8 1.3.9 1.4 1.5

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 1 Das sogenannte Spannungsverhältnis zwischen Qualität, Zeit und Kosten Was ist unter Lean Management zu verstehen? Das übergeordnete Grundgerüst zum Lean Management Zum kategorialen Denken und Kategorienbilden Zur Kategorie Qualität Zur Kategorie Zeit Zur Kategorie Raum Zur Kategorie Kosten Zur Kategorie Muda (Mura, Muri) Zur Kategorie Wertschöpfung Zur Kategorie Arbeit Zur Kategorie Organisationskultur Zusammenfassung Kapitel 1 Mindmap zur Rekapitulation

2 3 5 8 8 10 14 21 25 28 31 36 50 59 60

2

Die Frohe Botschaft und ihr Objekt

61

2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.3.8

2.3.9 2.4 2.5

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 2 Die Frage falsch gestellt! Die Frohe Botschaft Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten Toyoda Sakichi, der Gründer und Erfinder Toyoda Kiichirō, wie der Vater, so der Sohn Ishida Taizo, der Sparer und erste TMC-Controller Ohno Taiichi, der Meister der Organisation Toyoda Eiji, der Globale Toyoda Shoichiro, der Reformer und Schöpfer Toyoda Tatsuro, der Stabilisierer Die drei Musketiere, Okuda, Cho und Watanabe 1 Okuda Hiroshi 2 Cho Fujio 3 Watanabe Katsuaki Toyoda Akio, der junge Hoffnungsträger Zusammenfassung Kapitel 2 Mindmap zur Rekapitulation

62 63 65 73 74 76 79 81 83 85 86 86 86 87 88 89 90 94

Inhaltsverzeichnis

XII 3

Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

95

96 97 100

3.13 3.14

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 3 Revolution oder Paradigmenwechsel im Management? Zu den Vorläufern des Lean Managements Die Handwerksproduktion und die Grundformen der Fertigung in Handwerk und Industrie Taylors sog. Scientific Management-Ansatz Das Ford-System der Autoproduktion Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi Ohnos vermutete wahre Absicht hinter dem Ford-System Historische Entstehungsbedingungen des TPS Die sieben Elemente des Toyota Produktionssystem 1 Muda als Element des Toyota Produktionssystems 2 Just in Time als Element des Toyota Produktionssystems 3 Zwischenfazit Elemente des TPS 4 Autonome Automation ( Jidoka) und weitere Produktionsund Qualitätstechniken als Element des Toyota Produktionssystems 5 Der Wertschöpfungsprozess mit dem Netzwerk der Unterlieferanten als Element des Toyota Produktionssystems 6 Das Streben nach „höchster“ (bester) Qualität als Element des Toyota Produktionssystems 7 Der Mitarbeiter (Mensch und Arbeit) und das Humansystem als Element des Toyota Produktionssystems 8 Die Unternehmenskultur Toyotas als Element des Toyota Produktionssystems Vom Toyota Produktionssystem zum umfassenden Toyota Managementsystem (TMS) Das Toyota Produktionssystem: Haus- und Tempeldarstellungen und der Vorschlag von Cho Fujio zum sog. TPS-Haus Die 14 leitenden Prinzipien des Toyota Produktionssystems nach Jeffry K. Liker Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem Die Toyota Kata nach Mike Rother Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma Zum Six Sigma-Ansatz im Qualitätsmanagement Aus Six Sigma wird Lean Six Sigma? Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“ Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraints (TOC) als praktisches Managementkonzept Zusammenfassung Kapitel 3 Mindmap zur Rekapitulation

4

Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

267

3.1 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3

3.3.4 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.9.1 3.9.2 3.10 3.11 3.12

4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 4 Was ist unter Techniken, was unter Lean-Techniken zu verstehen? Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken Lean-Techniken im Verständnis von Ohno Taiichi Lean-Techniken zur Problemlösung Prozessorientierte Lean-Techniken

100 109 113 119 119 122 124 125 128 134 137 140 143 148 156 164 166 170 172 187 195 211 212 221 226 242 250 257 266

268 269 271 271 272 274

Inhaltsverzeichnis

XIII

4.2.4 4.2.5 4.3 4.4

Lean-Techniken zur Prozess- und Lösungskontrolle Spezielle Lean-Techniken Zusammenfassung Kapitel 4 Mindmap zur Rekapitulation

279 286 288 290

5

Lean Management umsetzen

5.1 5.2 5.3 5.4

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 5 Einfach das Einfache finden … ist schwierig Das Lean Management-Umsetzungsmodell Zusammenfassung Kapitel 5 Mindmap zur Rekapitulation

291

6

Das Netzwerk der Lean Management-Community

309

6.1 6.2 6.3 6.4

Leitfragen und wichtige Fachliteratur zu Kapitel 6 Auf dem Weg zur Lean Management-Community Zur Community des Lean Managements Zusammenfassung Kapitel 6 Mindmap zur Rekapitulation

7

Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

319

8

Methodologische Nachbemerkungen

329

9

Literatur

335

10

Anhang

353

11

Stichwortverzeichnisse

377

7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3

8.1 8.2

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7

11.1 11.2 11.3

Was wurde gezeigt und erreicht? – Bestandsaufnahme Was können wir erhoffen? – Schlussbetrachtung Nichts ist unmöglich … Setzt sich Lean Management durch? Mindmap zur Rekapitulation

Die doppelte historische Bedingtheit des Lean Managements Das Korrespondenzprinzip im Lean Management

Selected Sayings of Ohno Taiichi Wortliste ausgewählter relevanter japanischer Fachbegriffe Just in Time or Just on Time of Ohno Taiichi Lean Six Sigma – Missverständnisse und Umsetzungsfallen Die zehn Ursachen von menschlichen Fehlhandlungen Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich Mindmap zur Rekapitulation

Personenenregister Sachwortregister Bildnachweise

292 293 297 306 308

310 311 313 315 318

321 325 325 326 328

331 331

354 356 357 358 360 362 376

378 380 384

Abkürzungsverzeichnis

XIV

Abkürzungsverzeichnis A A+OArbeits- und OrganiPsycho- sations-Psychologie logie AMS Achtsamkeitsmanagementsystem AP Arbeitsplatz APU Autonomous Production Unit AQL Acceptable Quality Level ASI American Supplier Institute ASQ American Society for Quality ASQC American Society for Quality Control (am. Gesellschaft für Qualitätslenkung) AST Arbeitsstation AWF Ausschuß für wirtschaftliche Fertigung B BGB

Bürgerliches Gesetzbuch BPM Business Process Management BPR ≈ BR BR Business Reengineering (≈ BPR) BVVW Betriebliches Verbesserungsvorschlagswesen BVW Betriebliches Vorauch: BV schlagswesen C CAD CAQ

CAM

CEO

Computer aided design (Computergestütztes Konstruieren) Computer aided Quality Management (Computer gestütztes Qualitätsmanagement) Computer aided Manufacturing (Computergestützte Fertigung) Chief Executive Officer

CIM

Computer Integrated Manufacturing (▸ CAQ) CIP Continous Improvement (▸ KVP) CIP Computer Integrated Processing (Computerintegrierte Prozessfertigung) CQI Continous Quality Improvement (Kontinuierliche Qualitätsverbesserung) CSI Customer Satisfaction Index CTQ Critical to Quality Qualitätskritisches Merkmal (Six Sigma) CWQC Company Wide Quality Control (so wird international oft ▸ TQM bezeichnet) CWQI Company Wide Quality Improvement D DAP Deming Application DFSS Design for Six Sigma DMAIC Define, Measure, Analyse, Improve, Check/Control DoE Design of Experiments (= Versuchsplanung) DLZ Durchlaufzeit

G GPS GS

H HdA HoQ

HRM HRO I IAO IATF IED IMS ISO

IT

E EFQM European Foundation for Quality Management EQA European Quality Award

J JiS JiT JISC

F FMEA Failure Mode and Effect Analysis – nonconformity mode and effect analysis (Fehlermöglichkeitsund -einflussanalyse)

JSQC K KLB KVM

Ganzheitliches Produktionssystem Geprüfte Sicherheit (▸ Generalsekretariat bei CENELEC) Humanisierung der Arbeit House of Quality genau: House of Quality Requirements (= Haus der Qualitätsforderungen) Human-Ressourcen Management High Reliability Organizations Frauenhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Internationale Automobil Task Force Inside Exchange Dies Integrierte Managementsysteme International Organization for Standardization (Internationale Organisation für Normung) Informationstechnik Just in Sequence Just in Time Japanese Industrial Standards Committee (= Japanische Normungsinstitution) Japanese Society of Quality Control Kunden-LieferantenBeziehung(-en), interne/externe Kontinuierliches Verbesserungsmanagement

Abkürzungsverzeichnis

KVP L LP LQM

Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Lean Production Lexikon Qualitätsmanagement

M MBNQA Malcolm Baldrige National Quality Award MPS Mercedes-BenzProduktionssystem MIFA Material- und Informationsflussanalyse MIT Massachusetts Institute of Technology MITI Jap. Ministerium für Aussenhandel und Industrie MRP Manufacturing Resources Planning MSR Messen, Steuern, Regeln MTA Motion Time Analysis N NIO Nicht in Ordnung NOAC Next Operation as Customer O OE

PS Q Q7 Q101 QA QC QE QFD

QIT QK QKZ QM QME QMH

QMS

Produktionssystem Sieben Qualitätstechniken (gehen auf Ishikawa zurück) Qualitätsnorm der Firma Ford (USA) Quality Assurance Quality Circle Qualitätselement (Quality Element) Quality Function Deployment (Kundenorientierte Produktentwicklung) Quality Improvement Team Qualitätsbezogene Kosten Qualitätskennzahl Qualitätsmanagement (Quality Management) QM-Element (Quality Management Element) Qualitätsmanagement-Handbuch (Quality Management Manual) Qualitätsmanagementsystem Quality Policy Deployment Qualitätsregelkarte (Control Chart) Qualitätssicherung (= QM-Darlegung) Qualitätsregelkarte Qualitäts-Termin Kosten-Kreis (geht zurück auf W. Geiger) Qualitätszirkel (Quality Circle =QC)

Organisationsentwicklung OED Outside Exchange Dies OEE Original Equipment Effectiveness OEM Original Equipment Manufacturer (Automobilhersteller) OMCD Operations Management Consulting Division

QPD

P PDCA PPS

R RADAR Results, Approach, Deployment, Assessment, Review

PPSS

Plan-Do-Check-Act Produktionsplanung und -steuerung (▸ PPSS) Produktionsplanungs- und steuerungs-System (▸ PPS)

QRK QS QRK QTKKreis QZ

S SDCA

Standardize-DoCheck-Act

XV SE

Simultaneous Engineering Sieben M (= 7 Ursachen: 7M Mensch, Maschine, Material, Management, Messbarkeit, Mitwelt, Methoden) SMED Single Minute Exchange of Die SPC Statistical Process Control (Statistische Prozesslenkung/ -regelung) SPP Strukturierter Planungsprozess (Hoshin Kanri) SPS Synchrones Produktionssystem T TMC TNU TOC TPM TPM TPS TQC TQM

TSSC

U UEG UM UMS

V VA VDA

Toyota Motor Company Transnationale Unternehmen Theory of Constraints Total Productive Maintenance Third-party Maintenance Toyota Production System Total Quality Control (▸ TQM) Total Quality Management (Umfassendes Qualitätsmanagement) Toyota Production System Support Center Untere Eingriffsgrenze Umweltschutzmanagement Umweltschutzmanagementsystem (auch: UM-System) Value Analysis Verband der Automobilindustrie e.V., Frankfurt am Main

Abkürzungsverzeichnis ◦ Wertschöpfungsdenken in der Renaissance

XVI VE VoC VSD VSM VSP

Value Engineering (Wertentwicklung) Voice of Customer Value Stream Design Value Stream Mapping Value Stream Planning

W WA

Wertanalyse (▸ VA) – Analyse des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Funktionen

WHO WSD

Welthandelsorganisation Wertstromdesign

Wertschöpfungsdenken in der Renaissance Man vergißt nur allzu leicht, dass die Industrielle Revolution ihre Vorläufer hatte: Sie hat sich teilweise vor dem Hintergrund älterer Traditionen Landnahme (Schürfen): Soweit er werfen entwickelt, wie hier dem Silbererzbergwerk in St. kann so weit durfte er nach Silber graben. Annaberg, Sachsen, der Montanregion Oberes ErzAnfang und gebirge. Sehr instruktiv ist das Bild (Bergaltar St. AnEnde des naberg) von Hans Hesse deswegen, weil man auf ihm Wertstroms den gesamten Wertschöpfungsprozess von der Silbererzerkundung (Schürfen), dem Vermessung, den Abbau, der Aufbereitung, der Verhüttung bis zum Münzwesen nachverfolgen kann. Der Silberbarren ist das Ziel aller bergmännischen Bemühungen, bis er in der Münze landet. Der Maler Hans Hesse schuf mit seinem vierflügeligen Bergaltar ein bedeutendes Gemälde, das die technischen Einrichtungen des Silberbergbaus um etwa 1520 komplex und wirklichkeitsnah darstellt. Es zeigt die Wertschöpfungsstufen Erschließung neuer Bergwerke, Abbau und Zerkleinerung des Erzes, Auswaschen des Silbers, Anfang und Verhüttung, Münzprägung (nicht im Mittelteil Ende des abgebildet). Damit haben wir es mit einem umWertstroms fassenden Produktionssystem zu tun. Einzigartig ist auch, dass der arbeitende Mensch im Mittelpunkt eines Kirchenaltars steht und nicht die Heiligen. Lediglich der heilige St. Wolfgang als Schutzpatron wandelt links unten im Bild. Hesse war ein katholischer Maler, der es zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Kunstgeschichte fertig gebracht hatte, protestantische Inhalte in Gestalt von Bergleuten (Knappen) auf ein Altarbild einer katholischen Kirche zu bringen, welches die bergmännische Arbeit und deren Arbeiter – samt ihren Frauen – aus seinem selbst erlebten Umfeld wiedergibt. Bei dem Bergaltar handelt es sich nicht nur um ein künstlerisches Werk von höchster Relevanz, sondern auch um ein Zeitdokument des AufDie Münze (sie gehört dem Kurfürsten): Der kommens eines neuen Zeitalters, der Renais- linke Münzer stellt Geld her. Der Münzstempel sance. Oben im Bild sollen die Engel dieses wird auf die Silberscheibe gedrückt. Der rechte verkünden. Münzer trägt ein Tablett mit Münzen fort zu den In diesem Buch sind ausgewählte Motive aus dem Bergaltar einzelnen Kapiteln vorangestellt.

Truhen, deren Inhalt dann nach Dresden transportiert wird.

Wertschöpfungsdenken in der Renaissance

XVII

Die mittlere Tafel des St. Annaberger Bergaltars von Hans Hesse (1520) Auffällig rot gekleidet sitzt der Häuer genau in der Mitte des Bildvordergrundes. Auf dem Kopf trägt er ein Tuch, das einem Turban ähnelt. Mit der linken Hand hält er einen Gesteinsbrocken fest, der auf dem steinernen Pult vor ihm liegt. Den rechten Arm hat er erhoben, um mit dem Hammer gleich den Brocken zu zertrümmern. Vor dem Pult hat sich schon ein Haufen Abraum gebildet. Die metallhaltigen Teile werden in einem Korb gesammelt. Der Häuer schaut den Betrachter als einzige Figur des Bildes direkt an. Die Augen sind weit aufgerissen, fast erschrocken. Rund um ihn ist geschäftiges Treiben. Ein Arbeiter schafft das Erz mit einer Schubkarre zur Verhüttung, ein anderer bringt einen Balken geschleppt, der zum Verhau der Schächte dient. Zwei Haspelknechte bedienen die Winde. Die meisten Arbeiter tragen über den anliegenden Hosen das Arschleder als berufsspezifisches Kleidungsstück. Sogar der in einen grünen Mantel gehüllte St. Wolfgang, der Schutzpatron der Bergleute, hat eine Axt geschultert. …

XVIII

Inhaltsverzeichnis

Es lag am Management „Die Qualitätswissenschaft ist eine junge Disziplin. Der Autor war von Anfang an dabei und hat ihre Erfolgsgeschichte maßgeblich geprägt. Von exponierter Stelle in der Industrie aus nahm er die Herausforderung zur Gründung von Lehre und Forschung an. Über rund fünfzig Jahre hinweg erlebte er den Bewusstseinswandel in Wissenschaft und Wirtschaft wie an sich selbst. In der Automobilindustrie bahnte sich ab den sechziger Jahren ein einschneidender Wandel an. Noch ahnte der Westen nichts davon, aber im fernen Japan begann Ishikawa mit der Einführung von Qualitätszirkeln und Ohno mit der Entwicklung einer schlanken Produktion. Sie und viele andere Japaner waren gelehrige Schüler der Amerikaner Deming und Juran und zugleich pragmatische Macher. Steady improvement und constancy of purpose wurden fortan die Leitlinien für alle Aspekte des japanischen Wirtschaftslebens. Bleiben wir am Beispiel des Automobilbaus, so wird – wie von Juran prophezeit – der bis dato überlegene amerikanische und europäische Fahrzeugbau Mitte der siebziger Jahre qualitativ eingeholt. Der Westen horchte ungläubig auf und begann sich für japanische Vorgehensweisen zu interessieren. Die Informationen flossen spärlich. Die erste Neugier wurde mit der Nachricht gestillt, dass die Statistische Qualitätsregelung durchgehend eingeführt worden war. Nun gut, war uns nicht fremd, machen wir es eben noch konsequenter. Spätestens nach zwei Jahren wurde jedem klar, dass es diese allein nicht sein konnte. Nächstes Bonbon war die Nachricht, dass Mitarbeiter in Qualitätszirkeln zusammenarbeiten. Die verschiedensten Spielarten wurden bei uns ausprobiert mit phantasievollen Firmenbenennungen. Als Juran die teilweise verzweifelten Versuche beobachtete, wies er darauf hin, dass seines Erachtens Qualitätszirkel allenfalls zehn Prozent des Erfolgs der japanischen Unternehmen ausmachen. Der Marktanteil der Japaner wuchs und wuchs. Neben der Zuverlässigkeit der Autos waren es auch schon deren günstiger Preis und die kürzeren Modellzyklen, die dem Kunden imponierten. Dahinter standen der schnellere Werkzeugwechsel, just in time und kaizen. Da wir das nicht hatten, musste es an der so ganz anderen Mentalität der Japaner liegen. Das war überhaupt die beste Entschuldigung für unsere Defizite: Wir haben eben keine japanischen Arbeiter in den Betrieben! Dieses Argument zog aber nur, bis General Motors und Toyota einen gewaltigen Industrieversuch unternahmen, das New United Motor Manufacturing Inc., kurz NUMMI. Amerikanische Arbeiter montierten Autos in einer amerikanischen Fabrik unter japanischem Management. Diese Fabrik erzielte fast die gleichen guten Werte bezüglich Qualität und Produktivität wie die Referenzfabrik in Japan. 1985 zerstob das angenehme Argument, es liege an den japanischen Arbeitern: Es lag am Management!

Welche Managementdetails so wirksam waren, erfuhren wir ab 1987 aufgrund der Ergebnisse der weltweit in der Automobilindustrie durchgeführten Studie unter Federführung des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Total Quality Management begann sich herauszuschälen. Der Autor machte in den achtziger Jahren eigene Erfahrungen in Gesprächen in Japan. Als Qualitätssicherungsleiter im Volkswagenwerk Wolfsburg hatte er ein vitales Interesse an der japanischen Denke. Besonders in Erinnerung ist ihm der damalige Leiter der Japanese Union of Scientists and Engineers ( JUSE) geblieben, der in seinem Empfangsraum mit zwei lebensgroßen Bildern von Deming und Juran, beide in Frack, seinem Gast sagte, er verstehe nicht die vielen Besucher aus dem Westen. Sie, die Japaner, hätten alles von Amerikanern gelernt (er zeigte auf die Bilder). Wir bräuchten es doch nur auch so zu machen. Als ihm, dem Autor, endlich auch ein Besuch bei Toyota gelang, hatte er im Nachgang dazu den geistigen Durchbruch zum umfassenden Qualitätsverständnis. Das kam so: Als Inhaber der Funktion Qualitätssicherungsleiter war er besonders an der Organisation der Qualitätssicherung von Toyota interessiert. Genau danach fragte er seine hochrangigen Gastgeber. Als sie die Frage – angeblich – nicht verstanden, wiederholte er sie. Sie löste eine intensive Diskussion aus, leider auf Japanisch. Schließlich wurde ein Assistent weggeschickt, der nach einer knappen halben Stunde mit einer Zeichnungsrolle zurückkam. Sie wurde ausgerollt und als Antwort auf die Frage übergeben. Sie mussten die Frage völlig falsch verstanden haben. Damit beide Seiten das Gesicht wahren konnten, wurde die Zeichnung mit Dank entgegengenommen. Es war schlicht das Organigramm von Toyota mit allen Werken. Zurück im Hotel begann das Grübeln, warum die japanischen Gastgeber die Frage falsch verstanden hatten. Oder hatten sie nicht? Auch beim Rückflug wurde nach einer Erklärung gesucht. Die Zeichnung, nun zusammengefaltet im persönlichen Reisegepäck, wurde herausgeholt und sinnend betrachtet, bis etwa um Mitternacht in der Höhe von Dubai der Groschen fiel. Über der geografischen Darstellung von Toyota in seinen vielen Funktionen stand die Überschrift: „The Toyota Quality Assurance Organisation“. Dies war phantastisch und die Erklärung für den bis heute anhaltenden Erfolg dieser Firma. Jeder, vom Präsident bis zum Pförtner, ist Mitglied der Qualitätssicherung. Schlagartig wurde klar, was unter dem in den neunziger Jahren dann im deutschsprachigen Raum bekannt gewordenen Total Quality Management (TQM) zu verstehen war: das alle Funktionen umfassende Führungsmodell.“ Quelle: G. F. Kamiske. Es lag am Management. In: QZ Jahrgang 50 (2005) 7

Einführung

XIX „Der Raum selbst verändert sich und verlangt andere Weltkarten.“ (Michel Serres)

Einführung

•••Explikation•••

Das vorliegende Buch stellt das Lean Management als umfassenden Managementansatz in seiner historischen Genese und Entwicklung, in seinen zentralen Systemen und Systembestandteilen, sowie in seinem Anwendungsbezug (Techniken und Umsetzung) und dem es stützenden sozialen System, das einen Managementansatz überdauern lässt, dem Netzwerk der Lean Management Community, dar. Lean Management verlangt – wie eigentlich jeder anspruchsvolle Managementansatz – ein kategoriales Raster. Dieses geht der Darstellung voraus. Daraus ergibt sich die Einteilung des Buches in die sechs zentralen Kapitel: (1) Die Kategorien, (2) Das Objekt selbst in seiner Genese und Entwicklung [= Die Frohe Botschaft], (3) Die Systeme und Konzepte, (4) Die Techniken, (5) Die Umsetzung, und (6) Die Community. Es kann kein Zweifel bestehen, der Begriff „lean“ ist inflationär. Er ist vieldeutig und gewollt so geprägt, um Wirkung zu erzielen. Die MIT-Studie selbst („Die zweite Revolution in der Autoindustrie“), der er entspringt, wurde stilistisch und rhetorisch in Zusammenarbeit mit Journalisten formuliert, um das Forschungsergebnis euphemistisch in Szene zu setzen. Die erhoffte Wirkung wurde erreicht, sogar weltweit. Doch der Konzern, dessen Organisationsform und Produktionsweise er charakterisiert, der ihn geprägt haben soll, Toyota, kennt ihn nicht, benutzt ihn nicht, hält sich neutral, wenn er genannt wird. Nichtsdestotrotz, wir können nicht umhin ihn zu verwenden, ein Anglizismus mehr ist Bestandteil unserer Sprache geworden. Wenn zentrale Begriffe nicht von der Wissenschaft vorgegeben, sondern aus der Praxis induktiv aufgestellt werden, beginnt die theoretische Diskussion der Übersetzung des Begriffs zum Zwecke der Generalisierung. Erkannt wurde die enge Beziehung zum Produktionssystem, Toyota Production System, erkannt wurde auch, dass sich ein internationaler Standard durchzusetzen scheint, der die Zukunft nachhaltig prägen und die Rahmenbedingungen für das Handeln von Unternehmen, Wirtschaftsräumen und Staaten charakterisieren wird (Boyer/Freyssenet 2003, 13). Lean bedeutet nicht einfach schlank, schlank zu sein. Diese voreilige Interpretation hat leider allzuoft zu kurzsichtigen Maßnahmen geführt, ohne das Gesamtkonzept zu beachten. Lean steht in unserem Zusammenhang viel eher für fragil, zerbrechlich, anfällig, leicht beeinflussbar, nicht robust etc.. Lean ist ein Systembegriff, kennzeichnet kein gegenständliches Objekt wie eine Vase, die zerbrechlich ist oder eine schlanke Person. Das ist wohl auch das Problem, wenn man ihn nutzt: bestimmte Assoziationen schwingen einfach mit und verzerren die Vorstellung, rücken ihn in eine bestimmte Richtung. Man denkt unwillkürlich an etwas Konkretes, einen Zustand. Lean Management soll dasjenige Managementsystem genannt werden, das sich mit der Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von Organisation und Produktion in Unternehmen befasst, um – bei gleichzeitiger Beachtung und Anwendung von Effektivitäts- und Effizienzkriterien – die Fragilität sämtlicher Wertschöpfungsströme in Balance zu halten, die sich immer einstellt, wenn versucht wird, überschüssige Ressourcen/Puffer (slack) auf allen Ebenen zu reduzieren, ja teilweise gegen Null gehen zu lassen. Ein solcher Managementansatz folgt einem Denkprinzip, das erstmals in Japan systematisch entwikkelt wurde, wo nach dem 2. Weltkrieg der wechselseitigen Beachtung von Raum-, Zeit-, Kosten-, Qualitäts-, Arbeits-, Human- und kulturellen Faktoren höchste Priorität zukam.

XX

Einführung

Der Einfluß des Zen-Buddhismus, des chinesischen Konfuzianismus und Taoismus ist unübersehbar. Das zeigt sich schon für den, der das Buch von Ohno Taiichi zum Toyota Produktionssystem unter diesen Gesichtspunkten liest. Wahrnehmen, Experimentieren, zu den Schlussfolgerungen gelangen und dann zum Tun zu schreiten sind die erkenntnisleitenden Schritte, denen gefolgt wird. Kein Ableiten aus vorgegebenen Begriffen, sondern ein ständiges Suchen nach dem, was „passen könnte“. Das Beachten der Tradition und das Einhalten von Standards sind wichtige Momente dieser Denkart, die jedoch nicht in Starrheit verharrt, sondern deren oberste Maxime Kaizen heisst, nichts unversucht zu lassen, um das Alte durch das Neue zu ersetzen und das Neue als Standard zu etablieren, um dann wieder nach dem Besseren zu fragen und so einem infiniten Regress zu folgen. Lean Management muss kulturell und im Humansystem des Unternehmens verankert werden. Dies folgt zwingend aus der Fragilität eines solchen Managementsystems. Auch wenn Womack, Jones und Roos zu der Schlussfolgerung gelangt sind (1994, 25ff), dass sich Lean Production im Zuge der Globalisierung als dominierendes System durchsetzen wird, somit die Phasen des Handwerks und der Massenproduktion ablösen wird, muss doch eher die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die drei Paradigmen koexistieren und nicht in Richtung Lean Production konvergieren. Diese Explikationen führen nun direkt in das erste Kapitel, den übergeordneten Kategorien.

Achtung, wichtige Information für Lehrer:

y Das Thema Lean Management hat bereits Eingang in die Schul-Lehrpläne gefunden, in denen die Betriebswirtschaftslehre für Abiturienten aufbereitet wurde, die sich auf dieses Fach spezialisiert haben, um später ein wirtschaftswissenschaftliches Studium aufzunehmen. In einem Band, der sich Kompakt-Wissen Wirtschaft nennt, geht es im Oberkapitel Materialwirtschaft dann unter Materialbedarf um „Das Just-in-time-System“. Der Autor stellt es folgendermaßen für die Zielgruppe Abiturienten dar (Ciolek 2010, 31): „Ende der 1970er-Jahre entwickelte der Automobilhersteller Toyota ein völlig neues Fertigungskonzept, das ‚Toyota Produktionssystem‘. Im Zuge einer ‚Verschlankung‘ des gesamten Unternehmens wurde dabei auch der Bereich der Materialwirtschaft umorganisiert und deutlich verkleinert, um so Kosten einzusparen. Dazu wurde das Just-in-time-System eingeführt, bei dem die zur Produktion benötigten Materialien und Vorprodukte von den Zulieferern möglichst synchron zur Fertigung bei Toyota angeliefert wurden. Dadurch ließen sich die Vorratsbestände und damit verbundene Zins- und Lagerkosten bei Toyota auf ein absolutes Minimum reduzieren. Die Zulieferbetriebe sind verpflichtet, die benötigten Materialien zeitnah und in genau der richtigen Reihenfolge an die jeweiligen Einbaustationen im Produktionsprozess zu liefern. Um zusätzlich den Produktionsprozess in der Endmontage zu beschleunigen, werden in der Regel nicht Einzelteile, sondern bereits vorgefertigte Module (z. B. das komplette Getriebe, Armaturenbrett, Kabelstänge) geliefert.“ Dieser Inhalt dient der ökonomischen Bildung und wird in den Lehrplänen als unverzichtbar angesehen. Er ist prüfungsrelevant. Zukünftige Studenten sollen sich „effektiv und schnell auf Klausuren und die Abiturprüfung vorbereiten können.“ (2010,31) Anmerkung: Im Text aus dem Jahr 2010 werden nicht die zentralen Begriffe für die Zielgruppe geklärt, in die Just in Time eingebettet ist. Das Wort ‚Verschlankung‘ bleibt als unverstandene Worthülse stehen. Wenn man unter ökonomischer Bildung mindestens versteht, etwas über die Zusammenhänge und Entstehungsbedingungen eines solch wichtigen Themas informiert zu werden, so bleibt der Leser hier auf der Strecke. Hinzu kommen falsche Informationen: Ende der 1970er-Jahre wurde das Thema im Westen in der Öffentlichkeit bekannt. Die Systementwicklung begann deutlich früher. Überhaupt nicht eingegangen wird auf die besondere Situation der japanischen Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg. Wenn es sich hierbei um komprimiertes Lehrplanwissen handelt, das der angehende Student für die Prüfung abrufbereitet lernt, so lernt er wohl ein verkürztes Bruchstückwissen, und dazu noch falsch. So sollten Abiturienten nicht auf ihr Studium vorbereitet werden. So lobenswert es ist, dass deutschprachige Abiturienten auf ein zentrales Thema der Globalisierung schon in der Schule vorbereitet werden, so bedauerlich ist es, dass dies in dieser verkürzenden Art und Weise geschieht. Lehrplangestalter sollten die relevante Fachliteratur einsehen und nicht aus zweifelhaften Sekundärquellen ihr Wissen schöpfen, wie hier wohl geschehen.

1

Die Kategorien des Lean Managements

„Ich begrüße es sehr, wenn einmal Ordnung in das Denken gebracht wird. Kategorien zu entwickeln, sie untereinander abzugrenzen, um hieraus Unterkategorien (Unterbegriffe) zu bilden ist folglich eine gute Sache, die auch der intersubjektiven Verständigung dienlich sein kann. Einen Gegenstand zu vermessen, heisst ja auch ihn allen verständlicher zu machen. Da ist zum Beispiel an Just in Time zu denken. Die dazugehörigen Kategorien wären Zeit, Raum und Kosten. Jeder versteht das und weiß, worum es geht. Dann sollte aber auch in einem weiteren Schritt das Vorgehen reflektiert werden. Die Methode der ’Einfachheit’ bevorzuge ich. Im Englischen nennen wir sie ’piecemeal engineering’. Karl R. Popper nennt sie StückwerkTechnologie. Wir müssen sie reflektiert anwenden. Aber wir brauchen auch eine transparente Terminologie, um Mißverständnisse zu vermeiden.“ (Cale 2000, 7)

1 Die Kategorien des Lean Managements

2 Leitfragen 1. 2.

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

Warum sollten wir auf übergeordnete Kategorien zurückgreifen? Warum ist das sogenannte „Magische Dreieck“ nicht ausreichend für die Analyse organisatorischer und produktionswirtschaftlicher Problemstellungen? Warum benötigen wir gerade für das Lean Management solche Kategorien? Wie lässt sich Lean Management definieren? Was machen Lean Management-geführte Unternehmen anders? Klären Sie die Suggestivkraft des Begriffs „lean“ und seine Bedeutung im Deutschen. Wie heißt die Studie, in der der Begriff „lean“ seine Verbreitung gefunden hat? Problematisieren Sie anhand von Abbildung 1.2 den Begriff „Verschlankungsprogramm“. Zeigen Sie kurz, welche Bedeutung dem Toyota Produktionssystem im Rahmen des Lean Managements zukommt. Wie werden übergeordnete Kategorien charakterisiert? Welche übergeordneten Kategorien wurden für das Lean Management bestimmt? Erläutern Sie die Abbildung 1.3, indem Sie auf Zusammenhänge eingehen. Setzen Sie sich ausführlich mit der Kategorie Qualität auseinander. Bestimmen Sie das Wesentliche der Kategorie Zeit allgemein und im Zusammenhang mit dem Lean Management. Diskutieren Sie den Zeitbegriff bei Taylor und im TPS. Vergleichen Sie jeweils das Verständnis. Setzen Sie sich mit dem Begriff der Beschleunigung auseinander. Setzen Sie sich mit der Kategorie Raum auseinander, und gehen Sie dabei auf das Phänomen der Globalisierung ein.

Wichtige Fachliteratur • • •

Elias 1984 Liker/Hoseus 2009 Pascale/Athos 1982

18. Problematisieren Sie den Begriff der Kosten, und gehen Sie dabei auf das Targetcosting ein. 19. Was wird unter Muda verstanden? 20. Welche Formen von Muda gibt es? 21. Was kann man gegen Muda tun? 22. Erläutern Sie die Begriffe Nutzleistung, Stützleistungen, Blindleistung und Fehlleistung im Zusammenhang mit dem Begriff der Wertschöpfung. 23. Stellen Sie den Zusammenhang der Begriffe Wertschöpfung, Kunde und Muda dar. 24. Gehen Sie auf den Stellenwert der Arbeit in Japan ein. 25. Erörtern Sie das Konzept der Gruppenbzw. Teamarbeit 26. Was ist unter der Transformationsproblematik zu verstehen? 27. Erläutern Sie das Arbeitsdreieck an einem selbstgewählten Beispiel. Gehen Sie dabei auf den Begriff des Standards ein. 28. Unterscheiden Sie den PDCA-/SDCAZyklus. 29. Was ist unter Organisationskultur zu verstehen? 30. Erläutern Sie den Begriff „gelebter Geist des Hauses“. 31. Nennen Sie Beispiele für die drei Ebenen der Organisationskultur. 32. Erläutern Sie die Eisbergmetapher der Organisationskultur. 33. Wann ist eine Organisationskultur stark/ schwach? 34. Reflektieren Sie die Aussagen von Deutschmann zur „kulturellen Steuerung“. 35. Toyotas Unternehmenskultur ist nach Liker/Hoseus etwas Besonderes. Warum? Gehen Sie dabei auch auf das Humansystem-Modell ein.

• • •

Rosa 2005 Schneidewind 1991 Schroer 2012

1.1 Das sogenannte Spannungsverhältnis zwischen Zeit, Qualität und Kosten

3

Es ist überhaupt nicht üblich über den Gegenstandsbereich, in dem ◀ Vorbemerkung wir uns hier bewegen, so grundsätzliche Erörterungen anzustellen. Alles scheint doch irgendwie evident zu sein und sich aus den Wirkkräften ergeben zu haben. Die Fachliteratur hält sich zudem sehr bedeckt. An einer theoretischen Einbettung des Lean Managements fehlt es gänzlich: Machen ist angesagt, auch wenn es mißlingt! „… und ich kenne ein kleines Magazin von Irrtümern, die man sorgfältig aufbewahrt.“ ( Johann Wolfgang von Goethe)

1.1

Das sogenannte Spannungsverhältnis zwischen Zeit, Qualität und Kosten

In der Scientific Community scheint es ausgemachte Sache zu sein, dass ökonomisches Handeln in seiner allgemeinen Form an den drei Faktoren Qualität, Zeit und Kosten auszurichten sei. Jedenfalls kommt, wer als Einzelwesen (homo oeconomicus) oder Unternehmen Erfolg haben will, an diesen grundlegenden Kategorien nicht vorbei, weder im Denken noch im operativen Handeln. Da heißt es Qualität, Zeit und Kosten fügen sich zu einem „Magischen Dreieck“ zusammen: Wer an einer Ecke des Dreiecks etwas „dreht“, der entfernt sich damit von den anderen Ecken. Man kann eben nicht zugleich ◼ so gut wie möglich sein (Qualität verbessern) ◼ so schnell wie möglich sein (Zeit reduzieren) ◼ so günstig wie möglich sein (Kosten reduzieren). Ist wirklich Magie im Spiel? Sind wir Gefangene eines Dilemmas? Nein, natürlich nicht, auch wenn wir folgendes ins Kalkül ziehen müssen (Mehdorn/Töpfer 1996, 5): ◼ „Eine Qualitätsverbesserung führt häufig zu Kostenerhöhungen. ◼ Eine Verkürzung der Durchlaufzeiten bewirkt häufig Kostensteigerungen. ◼ Beabsichtigte Kosteneinsparungen gehen nicht selten zu Lasten der Qualität.“ Verbesserung der Qualität, Reduzierung von Zeit und Kosten stehen also in einem Spannungsverhältnis zueinander. Den Wechselwirkungen entfliehen zu wollen, erscheint schwierig. Den Hinweis zur Lösung haben uns bereits die Rolling Stones (1968) mit ihrem Song „You can’t always get what you want!“ gewiesen. Der Betriebswirt würde sagen: „Alles geht nicht, setz Prioritäten!“ Woher kommen aber die Prioritäten? Marketing und auch das Qualitätsmanagement schlagen vor: „Frag den Kunden!“ (to be with the customer [Peter F. Drucker]).

„Magisches Dreieck“ Qualität Zeit Kosten

Verbesserung der Qualität, Reduzierung von Zeit und Kosten stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander!

„You can’t always get what you want!“

1 Die Kategorien des Lean Managements

4 Abb. 1.1: Qualität, Zeit und Kosten in Abhängigkeit von den Forderungen ▶

Qualität q Kosten c

r

Forderungen

r

r Legende q = quality t = time c = costs r = requirements

t Zeit

Doch dieser Lösungsvorschlag des Marketings verkürzt und verfälscht das Problem. Wie Abbildung 1.1 zeigt, werden die Ausprägungen von Qualität, Zeit und Kosten von den Forderungen (requirements) her bestimmt, in die natürlich explizit oder/und implizit die Forderungen der Kunden einfließen sollten. Qualitätsforderungen, Die Requirements bestimmen sowohl Zeitforderungen und Kostenforderungen werden vom Management die Qualität wie auch festgelegt. Organisationen, die das Lean Management beherrschen Kosten- und Zeitmerk- wird nun nachgesagt, dass sie in der Lage sind alle drei Faktoren so male aufeinander abzustimmen, damit ◼ Qualitätsverbesserungen nicht zu Kostenerhöhungen führen ◼ eine Verkürzung der Durchlaufzeiten keine Kostensteigerung bewirkt und ◼ Kosteneinsparungen nicht zu Lasten der Qualität gehen. Sie betreiben optimales Forderungsmanagement, könnte man sagen. Die Quadratur des Kreises scheinen diese Unternehmen gelöst zu haben, indem sie genügend organisatorische Intelligenz entwickelt Lean-orientierte Unhaben, um zugleich besser, schneller und kostengünstiger produzieren ternehmen verfügen über eine hohe organi- zu können. Was sind das für Unternehmen, die sich dem Lean Masatorische Intelligenz nagement verschrieben haben? Doch zunächst: Was ist eigentlich unter Lean Management zu verstehen?

1.2 Was ist unter Lean Management zu verstehen?

5

„Es ist einfacher, einen Atomkern zu zertrümmern, als ein Vorurteil aufzuweichen.“ (Albert Einstein) „Der Alltagsverstand irrt sich immer.“ (Ohno Taiichi)

1.2

Was ist unter Lean Management zu verstehen?

Lean Management-geführte Unternehmen folgen in der Tat einer grundsätzlich anderen Managementlehre: ◼ Sie erkennnen – und hier sei an die Erkenntnis von Karl Popper erinnert –, dass das Unternehmen genauso wie das Universum keine Ansammlung von Dingen darstellt, sondern als eine Menge von in Wechselwirkung stehenden Prozessen angesehen werden muss. ◼ Sie versuchen eine Ordnung herzustellen, die langfristig in einer einfachen Form verfolgt wird. ◼ Sie versuchen Elemente von Planung und Kontrolle auf der operativen Ebene zu verankern. ◼ Sie versuchen, um an Kapitel 1.1 anzuknüpfen, Qualität, Zeit und Kosten in Einklang zu bringen. ◼ Sie versuchen die menschlichen Ressourcen so gut wie möglich zu nutzen, um sie der Produktion zugute kommen zu lassen. ◼ Sie wenden einfache Managementtechniken (Qualitätstechniken etc.) an, die es jedem ermöglichen, seine Arbeit gut zu erledigen. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Sie erinnert an den Diskurs einer eher asiatisch orientierten Lehre, in der der Stellenwert des Menschen für die Umsetzung des Lean Managements deutlich wird. Und das ist auch der Fall. Mit dem Lean Management begibt sich die Managementlehre auf die Reise nach Japan. Schon hier wird deutlich, dass Qualität, Zeit und Kosten als übergeordnete Kategorien des organisatorisch-produktionsbezogenen wirtschaftlichen Handelns ergänzungsbedürftig sind. Exkurs zum Begriff des Lean Managements: Der Begriff kursiert seit Ende der 1980er Jahre und hat sich sehr schnell in der Managementlehre und -praxis etabliert. Er ist aus dem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken, obwohl mit ihm das Gemeinte nicht getroffen wird. Die Suggestivkraft des Begriffs hat denn auch vielerorts zu Mißverständnissen und völlig fehlleitenden Anwendungen geführt. Es war John F. Krafcik, der in einer bekannten amerikanischen Managementzeitschrift den Begriff erstmals verwandte (Krafcik: Triumph of the lean production system. In: Sloan Management Review 30 (1) 1988, 41-52). Krafcik war damals Mitarbeiter am MIT (Massachusetts Institute of Technology), wo er als Wissenschaftler damit befasst war, die Produktivität von Automobilunternehmen weltweit vergleichend zu erforschen. Später (bis heute) war er dann CEO von

Sir Karl Raimund Popper (*1902-1994𐐆)

Lean Management fundiert in einer japanischen Managementlehre

Exkurs zum Begriff

John F. Krafcik

6

1 Die Kategorien des Lean Managements

Hyundai Motor, USA. Über die Namensgebung hinaus waren es dann seine Kollegen am MIT (s. Kap. 2.2), die den Begriff „lean“ in einer [◀] Buchpublikation publikumswirksam genutzt haben, um damit das Produktionssystem der Toyota Motor Corporation (TPS) in Abhebung zu den amerikanischen und europäischen Produktionskonzepten zu charakterisieren: ◼ Im Gegensatz zu westlichen Montagewerken erreichte Toyota mit der Hälfte an Mitarbeitern eine dreimal höhere Produktivität ◼ und viermal kürzere Lieferzeiten. ◼ Gleichzeitig wurden doppelt so viele Modelle angeboten. ◼ Die Modellentwicklungszeiten waren um fünfzig Prozent kürzer. Womack/Jones/Roos: The ◼ Hinzu kam, dass nur auf 20 Prozent der Zulieferbetriebe wie sie im Machine That Changed the World, New York (Free Westen üblich sind, zurückgegriffen wurde. Press) 1990 ◼ Außerdem fertigten die Montagewerke Toyotas auf einer um 50% ��� geringeren, also deutlich weniger Fläche (50%) ihre Teile. The story of Lean Production – Toyota’s secret Diese und weitere Faktoren veranlasste die Autoren dieses besonweapon in the global car wars that ist revolutionizing dere japanische Produktionssystem mit dem etwa zwei Jahre vorher von Krafcik geprägten Begriff „Lean Production“ zu benennen. Der world industry. Begriff greift offensichtlich organisatorische Elemente der Gestaltung heraus, die man – so wie sie bei Toyota ausgeführt werden – als lean = schlank bezeichnen kann. Der Begriff impliziert darüberhinaus Kostendimensionen, die schlagwortartig mit „die Hälfte“ kommuniEs geht oft um die sogenannte „Hälfte“, ziert werden. Es nimmt nicht Wunder, dass die Branche der Unterdie das „Schlanksein“ nehmensberater das Thema aufgreift und für ihre Zwecke verwertet, ausmacht. um es in der Folge (getreu der Empfehlung von Womack, Jones und Roos) auf alle Arten von Organisationen zu beziehen (also auch auf Schulen, Kindergärten und religiöse Einrichtungen). Die Zielsetzung lautet „Verschlankung der Organisation“, „Befreiung von überflüssigen Elementen“. Schematisch zeigt dies sehr anschaulich auf den Produktionsbereich bezogen Abbildung 1.2, in der allerdings Dimensionen aufeinander bezogen werden, die unterschiedlichen kategorialen Ebenen zuzuordnen sind. Hier muss erst einmal sortiert werden: ◼ Kostenreduktion = Kosten Hier zeigt sich der Wert der Kategorien: ◼ Wandel des Bewußtseins … = Kultur Eine Art Checkliste, um ◼ Verminderung des Lager … = Raum Aussagen und Behaup- ◼ Just-in-Time = Zeit tungen zu prüfen. ◼ Beseitigung von Verschwendung = Multidimensionaler Bezug. ◼ Qualität – unabdingbar, fehlt aber ◼ Arbeit – unabdingbar, fehlt auch. Mit dieser Darstellung in Abbildung 1.2, die es weiter zu interpretieren gilt, befinden wir uns erneut bei der kategorialen Betrachtung und den Tätigkeiten, die anstehen, um zu Ergebnissen zu gelangen. Bleiben wir bei der Produktion. Was wird entsprechend dieser skiz-

1.2 Was ist unter Lean Management zu verstehen?

7 ◀ Abb. 1.2: Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen bei der Lean Production

Kostenreduktion

(Park 1992, 381) Beseitigung von Verschwendung*

Verminderung des Lagerbestandes

Wandel des Bewusstseins der gesamten Belegschaft

Just-in-TimeProduktion

In solchen Zeichnungen verfängt sich der Geist. Egal wo man anfängt, man kommt nicht raus, ein circulous vitiosus mit einem „Kraftzentrum“. Dank sei dem Schöpfer geschuldet, Mitleid mit den Anwendern.

*Verschwendung ist …

1. Überproduktion, 2. zu viel Lagerbestand, 3. zu lange Transportwege, 4. zu viele fehlerhafte Produkte und zu viel Nacharbeit, 5. zu lange Wartezeiten und zu hohe Arbeitskosten, 6. überflüssige Arbeitsorganisation sowie 7. überflüssige Verarbeitungsvorgänge.

zenhaften, aber doch in deutlicher Sprache formulierten „Anweisung“ von einem Unternehmen gefordert, das auf „Lean Production“ umstellen möchte? Folgendes wäre wohl zu tun: Dieses Unternehmen muss die Kosten senken, die Köpfe der Mitarbeiter umkrempeln, den Lagerbestand verringern, um den Raum zu begrenzen, das Tempo der Produktion beschleunigen, um den Kunden schneller bedienen zu können und schließlich sich mit dem Thema Verschwendung befassen, also den gesamten Wertschöpfungsprozess nach „Überflüssigem“ untersuchen, um es dann zu beseitigen. Das wäre ein wahrlich gigantisches Verschlankungs-Programm. Kein Wunder, dass es – wenn man es blauäugig (was vielerorts geschah), ohne es zu durchdenken und strategisch in den Unternehmenskontext einzubetten, angeht – scheitern muss. Nachdenklich sollte es auch diejenigen stimmen, die (immer noch) den Begriff „lean“ leichtfertig – ohne sich der Implikationen bewusst zu sein – verwenden, um damit „Gutes“ tun zu wollen. Interessanterweise ist Lean Production respective Lean Management kein terminus technicus der japanischen Managementlehre und auch nicht in den Sprachgebrauch der Toyota Motor Corporation eingegangen. Wir haben es hier wieder einmal mit einer US-amerikanischen Namensschöpfung zu tun.

Was muss ein Unternehmen, das „lean“ werden will, tun?

Empfehlung: Durchdenken und strategisch denkend vorgehen! Aha: Der Begriff Lean Production/Lean Management wird in Japan nicht verwendet. Hinweis: Lesen Sie weiter zum Lean Management in Kapitel 2.2 ▶

1 Die Kategorien des Lean Managements

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„Die Anziehungskraft gewisser Arten von Erklärungen ist ganz überwältigend. Zu gewissen Zeiten ist die Anziehungskraft einer bestimmten Art von Erklärung größer als man sich vorstellen kann.“ (Ludwig Wittgenstein, in Vorlesungen und Gespräche, Oxford 1966/Göttingen 1968, 50)

1.3 Erst denken, dann handeln!

Wie werden Kategorien charakterisiert?

Die acht Kategorien des Lean Managements: ◼ Qualität ◼ Zeit ◼ Raum ◼ Kosten ◼ Muda ◼ Wertschöpfung ◼ Arbeit ◼ Kultur

Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

1.3.1 Zum kategorialen Denken und Kategorienbilden Abschnitt 1.2 sollte nachdenklich gemacht haben. Wie ansatzweise gezeigt werden konnte wurde dem japanischen Organisationskonzept der Toyota Motor Corporation mit dem Terminus „lean“ eine eigenwillige Konstruktion übergestülpt, die im Ursprungsland selbst unbekannt ist. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen sind in einem ersten Schritt sinnvolle Kategorien zu entwickeln, die als Bezugspunkte fungieren und hilfreich für das weitere Fortschreiten sind. In der Folge sind in weiteren Schritten historische und systematische Betrachtungen der Entwicklung von Produktionssystemen in Japan vorzunehmen. Diese Folie ist das Fundament und ermöglicht es uns weiter fortzuschreiten. Kategorien sind dadurch gekennzeichnet, dass sie voneinander abgegrenzt und unterschieden werden, um so Mehrdeutigkeiten zu vermeiden. Kategorien sollen sich nicht überschneiden (Trennschärfe). Sie sind sich auf die Wirklichkeit beziehende angewandte Formen des Denkens und Handelns. In unserem Fall von Organisation und Produktion muss sich ihr „Anwendungsbereich“ im Kontext verorten lassen, d.h. wir haben es mit einem festgelegten Zusammenhang zu tun. Dieser Rahmen als Begrenzung führt dazu, dass die Zahl an Kategorien relativ begrenzt ist. Die Kategorienerfindung setzt zweckmäßig bei den vorgefunden Kategorien von Qualität, Zeit und Kosten an. Erkannt wurde bereits, dass sie um die vierte Kategorie Raum zu ergänzen ist. Nähe und Distanz sind Unterbegriffe des Raums. Unabdingbar für unseren Gegenstandsbereich ist die Kategorie Muda. Sie wird hiermit nach der bereits bekannten Kostenkategorie als fünfte Kategorie eingeführt. Muda ist im Kontext von Wertschöpfung zu sehen, der weiteren sechsten Kategorie. Ohne die Einbindung in arbeitsbezogene und kulturelle Zusammenhänge wäre die Kategorienbildung jedoch unzureichend. Gerade Arbeit und Kultur sind formbestimmende Kategorien in unserem Zusammenhang. Sie bilden als siebte und achte Kategorie den Abschluss. In der Zusammenschau zeigt Abbildung 1.3 in Abkehr zu Abbildung 1.1 die Kategorien, die theoretisch einigermaßen zufriedenstellend den praktischen Kontext

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

O

◀ Abb. 1.3: Das kategoriale Grundgerüst des Lean Managements

Umwelt sation rgani

Qualität

Kosten

Raum

Zeit Muda

Arbeit

Damit dürfte Lean Management im übergeordneten Zusammenhang erfasst sein

Wertschöpfung Kultur

von Organisation, Produktion und Management beim Lean Management bilden. Entsprechend den strengen Maßstäben der Kategorienbildung gelingt es meistens nicht trennscharfe Kategorien zu bilden. So auch hier nicht, weil es sich nicht um logische Denkkategorien handelt, sondern um Kategorien mit ausgewiesenem Realitätsbezug im organisatorischen Feld. Die Darstellung selbst soll zeigen, dass alle Kräfte darauf gerichtet sind, Verschwendung (Muda) zu vermeiden. Muda erkennt man, wenn man die Wertschöpfung/den Wertschöpfungsprozess, auf den sich das Arbeitshandeln bezieht, analysiert. Im weiteren Zusammenhang geht es natürlich dann um die Einbettung in die zu formende Organisationskultur, die – ebenso wie die Kategorien Raum, Qualität, Kosten und Zeit – das organisatorische Handeln bestimmt und eine, ja eigentlich die „conditio sine qua non“ für das Gelingen des Lean Managements schlechthin ist. Die Organisation selbst bedarf der Öffnung zur Umwelt (offenes System). Unter welchen Bedingungen sich diese Öffnung vollzieht wird Gegenstand der weiteren Betrachtungen sein.

y

In Anlehnung an Lewins Ausführungen zur Feldtheorie lässt sich der kategoriale Zusammenhang auch als Formel wie folgt beschreiben: m = f (s; q; t; co; w; ws) cu Legende: m = muda t = Zeit (time) ws = Wertschöpfung s = Raum (space) co = Kosten (costs) cu = Kultur (culture) q = Qualität w = Arbeit (work)

Muda, Verschwendung, einer, wenn nicht der zentrale terminus technicus des Lean Managements

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1 Die Kategorien des Lean Managements

10

„Quality is the most important factor in business.“ (Andrew Carnegie) „Quality is free, quality without tears!“ (Philip. B. Crosby)

1.3.2 Zur Kategorie Qualität Der Begriff ist legendär, reicht bis in die Antike zurück. Aristoteles hatte ihn bereits in seine Kategorienlehre integriert (Zollondz 2011, 11ff). Qualitas, qualitatis (Genitiv) sagt man im Lateinischen und meint die Beschaffenheit. In der gesamten Wirkungsgeschichte dieses Begriffs hat es im weltweiten Wirtschaftsgeschehen nicht eine derartige Konjunktur des Qualitätsbegriffs gegeben, wie seit Mitte des 20. Der Qualitätsbegriff ist Jahrhunderts. Heute ist der Begriff international abgestimmt: international genormt Qualität ist realisierte Beschaffenheit einer Einheit bezüglich – hier eine verständliQualitätsforderung an diese. Qualität ist ein Maßstabsbegriff, che Fassung Merkmal für Merkmal wird gemessen. Es sind immer mehrere Im Zusammenhang Merkmale, die die Qualität bestimmen. mit den QualitätsQualität ist folglich ein relationaler Begriff, der sich untergeordbegriff sind seine neter Begriffe bedient. Dazu gehören: Unterbegriffe wichtig ◼ Anspruchsklasse hervorzuheben, weil ◼ Beschaffenheit sie den Anwendungs◼ Qualitätsforderung bezug thematisieren ◼ Einheit Weitere abgeleitete Begriffe sind festgelegt, so die Begriffe Fehler und Mangel. Abbildung 1.4 zeigt in einem Input-Throughput-Output-Modell wie sich die Unterbegriffe in das Konzept von Qualität einfügen: Zunächst ist nach der Einheit der Betrachtung zu fragen. Diese kann zum Beispiel ein Produkt sein, aber auch eine Relation, zum Beispiel die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Kunden. Ist die Einheit eindeutig Unternehmen, die sich bestimmt, geht es darum die Anspruchsklasse festzulegen. Damit ist der graduelle Unterschied gemeint, der zum Beispiel in Beförderungsfür Qualität engagieren meinen mit Quaklassen (1. Klasse, 2. Klasse Bahn) zum Ausdruck gebracht wird. Auch lität etwas Positives, die Premiumklasse bei Autos ist eine ganz spezifische Anspruchswie hier der erste fran- klasse. Nun folgt Bestimmung der geforderten Beschaffenheit, die zösische Supermarkt Qualitätsforderung. Sie setzt sich aus Einzelforderungen zusammen. Carrefour Diese Einzelforderungen stehen natürlich im engen Verhältnis zur Anspruchsklasse. So werden die Sitze eines Rennwagens anderen Einzelforderungen genügen, als die Sitze eine Rovers. Schließlich gelangen Beschaffenheitsgewir nach dem Input entsprechend des Modells zum Throughput, der staltung heißt die Gesamtheit der Quali- Beschaffenheit. In dieser Phase wird die Gesamtheit der Merkmale tätsmerkmale gestaltet. Dabei greifen Organisation und Produktion in einem Unterzu gestalten nehmen ineinander. Im Produktionsprozess erfolgt die Erstellung des Produkts. Man kann sich das sinnbildlich an einer FließbandprodukAus dem Lateinischen wird qualitas mit Beschaffenheit übersetzt

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management ◀ Abb. 1.4: Die Unterbegriffe des Qualitätsbegriffs im Zusammenhang (abstrakt)

Einheit (entity) = materieller oder immaterieller Gegenstand der Betrachtung

Anspruchsklasse (grade) = Rangindikator für unterschiedliche Qualitätsforderungen an Einheiten, die dem gleichen Zweck dienen

Input

Qualitätsforderung (quality requirement) = Gesamtheit der Einzelforderungen an die Beschaffenheit der Einheit

Throughput

Beschaffenheit (nature) = Gesamtheit der Merkmale, die zur Einheit selbst gehören

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Die Anspruchsklasse ist maßgeblich für Umfang und Schärfe der Qualitätsforderung Die Qualitätsforderung wird auch verlangte Beschaffenheit genannt. In der betrachteten Konkretisierungsstufe wird die Gesamtheit der betrachteten Einzelforderungen abgebildet. In der „ThroughputPhase“ wird die Beschaffenheit gestaltet: Beschaffenheitsgestaltung

Das Ergebnis der Bemühungen, die Qualitätsforderungen (Input) zu erfüllen, gelingt nicht immer (Output)!

Qualität (quality)

Output

= realisierte Beschaffenheit bezüglich Qualitätsforderung Fehler (nonconformity) = Nichterfüllung der Qualitätsforderung

Mangel (defect) = Nichterfüllung von anwendungsbezogenen Qualitätsforderungen

tion vorstellen. Weniger anschaulich gestaltet sich der Produktionsprozess bei Dienstleistungen. Wir befinden uns in einem komplexen Bereich, mit dem sich das Qualitätsmanagement seit jeher befasst hat. Der Output zeigt das Ergebnis dieses Prozesses, die Qualität, die als realisierte Beschaffenheit bezüglich der Qualitätsforderung begriffen wird. Den Output kann man messen: Ist die Qualitätsforderung nicht erfüllt, spricht man von Fehler. Im Falle der Nichterfüllung von anwendungsbezogenen Qualitätsforderungen wird der Begriff Mangel verwendet. Anwendungsbezogene Qualitätsforderungen sind im Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Produkts im engeren Sinne zu sehen. So ist der Anwendungsbezug bei einem Auto nicht gewährleistet, wenn das Gaspedal klemmt oder das Lenkrad blockiert. Der An-

Die Begriffe Fehler und Mangel sind auch im Recht zentrale Begriffe. Man sollte sie unterscheiden können. Qualitätsforderung nicht erfüllt!

Fehler Mangel

1 Die Kategorien des Lean Managements

12 Abb. 1.5: Die Unterbegriffe des Qualitätsbegriffs im Zusammenhang (im Kontext der Kunden-LieferantenBeziehung) ▶

Kunde

Lieferant ◀ Anspruchsklasse ▶ ◀ setzt sich ▶ zusammen aus Einzelforderungen

Qualitätsforderung

Beschaffenheitsgestaltung vollzieht sich im Wertschöpfungsprozess. Je mehr Qualitätsmerkmale gestaltet werden müssen, desto höher ist das Risiko, dass Qualität mißlingt (fehlerhafte/ mangelhafte Qualität). Man stelle sich das bei einem so komplexen Produkt wie dem Automobil vor, oder bei der Erbringung von Dienstleistungen, wo der „interne“ und externe Faktor“ mitwirken.

Qualitätsmerkmale

Wertschöpfungsprozess

Qualitätsforderung

Qualitätsmerkmale

Beschaffenheitsgestaltung Qualität

Qualität ist – basierend auf den qualitätsbezogenen Zielsetzungen des Managements und (falls sinnvoll und nötig) unter Einbeziehung und Mitwirkung des externen Faktors – die Relation zwischen geforderter und realisierter Beschaffenheit einer Einheit

◀ gut / schlecht ▶ fehlerhafte Qualität: Fehler mangelhafte Qualität: Mangel

wendungsbezug ist allerdings nicht gefährdet, wenn das Produkt, wie am Beispiel des Autos, lediglich einen Lackfehler aufweist. In diesem Fall ist es eben „nur“ ein Fehler. In diesem Kontext sind auch Rückrufaktionen zu verorten, die gerade in der Autoindustrie hin und wieder Schlagzeilen machten. Abbildung 1.5 konkretisiert noch einmal das Zusammenspiel, indem sowohl die Kunden- wie auch Lieferantenperspektive eingenommen werden. Aus den jeweiligen Perspektiven heraus ist die Perspektivenwechsel, um die Qualitätsanfor- Anspruchklasse zu bestimmen, dann die Qualitätsforderungen und die Qualitätsmerkmale. Im Normalfall gibt es in der Tat deutliche derungen umfassend zu bestimmen Unterschiede, die sich in den Merkmalswerten niederschlagen. Die beiden Anspruchsgruppen sehen eben die Dinge anders. Bevor im Wertschöpfungsprozess die Beschaffenheit gestaltet werden kann be-

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

13

Management darf es einer intermediären Funktion, die darüber entscheidet, welche Qualitätsmerkmale mit welchen Merkmalswerten zum Zuge kommen sollen. Diese Entscheidung ist vom Management zu treffen, das darü- Qualität ber selbst befindet oder eine ausführende Instanz, zum Beispiel das Produktmanagement beauftragt. Diese Überlegungen führen dazu, Qualitätsfordeden eingeführten Qualitätsbegriff anzupassen, also eine neue Definitirungen on einzuführen, die der Praxis in den Organisationen Rechnung trägt. Qualitätsdreieck: Das Der folgende organisationsbezogene Qualitätsbegriff trägt der Tat- Management besache Rechnung, dass das Top Management sich die Entscheidung stimmt die Qualität! vorbehält, welche Qualitätsforderungen zum Zug kommen sollen:

Der organisationsbezogene Qualitätsbegriff zielt auf die Bedürfnisse der Praxis, eine Definition von Qualität kann man verbessern (Qualitätsverbesserung, im Japa- Qualität handhabbar nischen Kaizen genannt) und steigern. Die Qualitätstechnik hierzu ist anwenden zu können.

Qualität ist die realisierte Beschaffenheit einer Einheit, die entsprechend der vom Management einer Organisation festgelegten Qualitätsforderung bestimmt wird.

der auf Walter Andrew Shewhart und William Edwards Deming zurückgehende PDCA-Zyklus. Den genauen terminus technicus begreift man als KVP, Kontinuierlichen Verbesserungsprozess (continous imAbb. 1.6: Der PDCAprovement process), eine der „Grundtugenden“ des Qualitätsmanage- Zyklus ▼ ments schlechthin. Beim PDCA-Zyklus handelt es sich sowohl um ein Anwendungswie auch Erklärungsmodell, dessen Phasen wie folgt benannt werden: ◼ Planen (plan – P) ◼ Ausführen (do – D) ◼ Überprüfen (check – C) ◼ Verbessern (act – A) Die Phasen sind als nie endender Prozess zu verstehen. Der Prozess ist unternehmensweit zu denken. Das Handeln überschreitet damit die Tätigkeit des Einzelnen. Zu beachten ist, dass die Do-Phase wirklich als „Probierphase“ ausgeführt wird. Im Produktmanagement

A

C

P

D

Produktionsprozess Wertschöpfung

Wertschöpfung

C

P

C



Wertschöpfung

Wertsc

A

A

A

A

P

C

◀ Abb. 1.7: Der PDCA-Zyklus als dynamisches Moment im Wertschöpfungsprozess

P

D

D

D

1. Zyklus

2. Zyklus

3. Zyklus

P

C D 4. Zykl



1 Die Kategorien des Lean Managements

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„Wir gehen immer davon aus, dass ein erreichter Zustand noch mehr verbessert werden kann. Niemals zufrieden zu sein, ist die Devise unseres Handelns, auch wenn der Kunde zufrieden sein sollte. Wir sind es nicht!“ (Toyoda Akio 2012)

würde man sagen: „Wir erstellen erst einmal einen Prototyp.“ Folglich kann in dieser Phase und auch in der C-Phase noch einmal ein PDCAZyklus eingefügt werden (usw.). Das Schema muss dem Problem angepasst werden. Erst die Act-Phase beendet die Erprobung und leitet den Zyklus in den aktiven Prozess wie das in Abbildung 1.7 in idealer Weise in einem phasenübergreifenden zyklischem Geschehen aussehen kann. Angenommen wird der Produktionsprozess als Wertschöpfungsprozess. PDCA-Zyklus 1 ist durchlaufen, die Ergebnisse der A-Phase werden dem realen Wertschöpfungsprozess übergeben. Es werden dann in der Folge immer wieder Verbesserungsaktivitäten gestartet, die zyklisch mit P (plan) beginnen müssen und mit A (activity) enden. Dieses zyklische Voranschreiten endet theoretisch nie, sondern nur wenn die Basis, des Wertschöpfungsprozess beendet wird. Diese umfassende Anwendung des PDCA-Zyklus als Kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist an Voraussetzungen gebunden, die Deming als Grundannahmen definiert hat (Zollondz 2011, 90): ◼ Jede Aktivität innerhalb und außerhalb des Unternehmens ist als Prozess aufzufassen und kann entsprechend verbessert werden; ◼ Problemlösungen allein genügen nicht, fundamentale Veränderungen sind erforderlich; ◼ Das Top-Management muss Vorbild sein und handeln, die Übernahme von Verantwortung ist nicht ausreichend. „Man suche nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre“ ( Johann Wolfgang von Goethe) „Die Vergangenheit ist ein fremdes Land, dort gelten andere Gesetze.“ (L. P. Hartley)

1.3.3 Zur Kategorie Zeit

Zeit wird von Menschen gemacht

„Time is on my side“ heisst es in einem Gospel, den die Rolling Stones adaptiert haben. Damit bestätigen sie die Vorstellung von Newton, für den die Zeit ist, sie tickt gleichmäßig von Moment zu Moment. Ganz im Gegensatz zu Leibniz, für den Zeit eine Konstruktion der Menschen ist, um die Folge von Ereignissen zu festzuhalten. Die Zeit hat hiernach nichts Wesenhaftes, es gibt keinen Fluss der Zeit, Zeit ist ordnungsstiftend und wird von Menschen gemacht. Ohne hier auf den vierdimensionalen Raumzeitbegriff der modernen Physik (Reichenbach) einzugehen, der in der Tat eines transzendenten Zeitbegriffs bedarf, kann man sagen, dass sich die Leibnizsche Vorstellung nicht durchgesetzt hat. Zeitlichkeit ist das prägende Merkmal menschlicher Existenz (Heidegger). Wir und auch unsere Organisationen haben ein

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Bewußtsein von Zeit, sowohl von der, die getickt hat wie von der, die ticken wird. Zeit ist gerahmt, individuell und objektiv im historischen und organisatorischen Kontext, sie hat eine Form. Wir können uns konkret heute nicht mit Plotins Vorstellungen von einem zeitlosen Zustand der Gleichzeitigkeit (Ewigkeit) befassen, wohl aber ist es wichtig die Fristigkeit zu betonen: Unternehmen handeln kurz-, mittel-, und langfristig. Unternehmen setzen Ziele, die eingehalten werden wollen. Diese sind zeitgebunden. Im Projektmanagement spricht man zum Beispiel von Meilensteinen. Wer im Projekt nicht mitkommt, seine Meilensteine nicht einhält, der hat Probleme. Zeit hat eine unumkehrbare Richtung, eine Minuszeit (Umkehrzeit) gibt es praktisch nicht, nur in Romanen und Filmen (s. Martin Amis Buch Pfeil der Zeit über das Rückwärtserleben oder der Film Die Zeitmaschine unter der Regie von George Pal). Aber macht es nicht auch in der Managementlehre Sinn zu fragen, was wäre geschehen, wenn damals die Entscheidung anders gefallen wäre: Würde es ein Managementsystem à la lean heute geben, wenn damals (1933) Toyoda Kiichirō nicht in die Automobilproduktion eingestiegen wäre, sondern weiterhin Webstühle produziert hätte? Wir messen heute die Zeit entsprechend staatlicher Regelungen auf der Basis von Zeitzonen (MEZ etc.) nach dem Stand der Sonne. In Ländern wie den USA, wo es mehrere Zeitzonen gibt, wechseln die Bezugsbasen.

▲ Der Zeitrahmung dienende Uhren waren immer schon auch ein museales Sammelobjekt, wie hier demonstriert im Uhrenmuseum von Charroux (Frankreich, Allier)

Der Dominikaner Meister Eckhart mahnt zu Beginn des 14. Jahrhunderts: „Gott ist kein Ding so sehr zuwider als die Zeit. Nicht allein die Zeit, auch das Haften an Zeit.“ Die Mystiker versuchen, die Zeit und damit jegliche Dynamik auszuchalten. (Quelle: Borscheid, P. Das Tempo-Virus. Frankfurt am Main 2004, 23)

Spruch: „Gute Arbeit braucht Zeit!“

y

Zeit hat eine unumkehrbare Richtung

Was wäre, wenn …?

(Weisheit eines Schustergesellen)

15

1 Die Kategorien des Lean Managements

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Time to market (TTM) ist ein wichtiger Begriff im Produktionszusammenhang und Marketing. Damit ist die Zeit gemeint, die von der Produktentwicklung bis zur Produktplazierung auf dem Markt vergeht. Es ist die Zeit, in der im organisatorischen Prozess Wert geschöpft wird (Wertschöpfungsprozess). In dieser Zeit entsteht kein produktbezogener Umsatz. Je kürzer dieser Zeitraum ist, desto geringer sind die Kosten. Wie die in Abschnitt 1.2 genannte Studie von Womack et al. zeigte, war die Produktentwicklungszeit von Toyota um fünfzig Prozent kürzer als die westlicher Automobilunternehmen. Es fragt sich mit welchem methodischen Inventar sich die TTM-Zeit verLead User einbeziehen kürzen lässt. Hier wird immer wieder der Lead User-Ansatz genannt, also der Einbezug von Nutzern, die den Marktbedürfnissen vorauseilen. Solche „Experten“ in den Produktentwicklungsprozess einzubeziehen kann dem Unternehmen erhebliche Vorteile bringen. Nachdem im innerorganisatorischen Bereich der Wertschöpfungsprozess mit seinen kontinuierlichen Verbesserungen vollendet ist wird das Produkt auf dem Markt platziert. Hier greifen Produktion und Marketing ineinander. Der Wertschöpfungsprozess im engeren Sinne ist abgeschlossen. Die Platzierung auf dem Markt erfolgt idealtypisch phasenweise: ◼ Entstehungsphase ◼ Wachstumsphase ◼ Reifephase ◼ Phase der Alterung Diese Phasen lassen sich auch auf Technologien übertragen. Das S-Kurvenmodell Richard N. Foster hat dazu das S-Kurven-Modell entwickelt. Es besagt, des Technologienmadass Technologien bezüglich ihres Potentials an Weiterentwicklung nagements immer an technische Leistungsgrenzen stoßen. Quasi naturhaft endet y„Mit der Zeit kommen die jede Technolgie in der Alterungsphase. Folglich ist es eher unwahrscheinlich, dass Technologien aus dieser Phase heraus degeneriert Menschen immer noch am wenigsten zurecht. werden können. Man denke zum Beispiel an die VHS-Kassette, die Den Raum haben sie sich durch die DVD abgelöst wurde. Von Produkten allgemein lässt sich leichter verfügbar gemacht, das nicht sagen. Dort sind Phasen der Degeneration durchaus im jedenfalls den ihnen zugemessenen, den erdBereich des Möglichen. So ist es Volkswagen gelungen das Produkt umschließenden. Zeit aber (nicht die damit verbundene Technologie) VW-Käfer neu zu positiobleibt Teil des kosmischen nieren und einem Relaunch zuzuführen. Überschwangs. Mit ihr Time to market und Wertschöpfungsprozess

können die Irdischen nicht nach ihrem Belieben umspringen, können sie weder erobern noch zerstören und nicht zu dem Ihren zählen. So mußten sie denn allerlei behelfsmäßige Uhren einrichten, …“ (Botho Strauß: Der junge Mann. München 1987, 7)

y

Arbeitszeit ist das Gegenteil von Freizeit, definiert als die Zeit, in der gearbeitet wird: vom Beginn bis zum Ende der Arbeit, Ruhepausen ausgeschlossen (Arbeitszeitgesetz, § 2). Genaueres wird in Arbeitsverträgen geregelt.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Wichtig für unsere Zwecke ist es zu sehen, dass solche Phasen der Neubestimmung der Technologie (oder allgemein eines Produkts) verbunden sind mit dem Kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Abbildung 1.8 [▼] zeigt diesen Zusammenhang. Hiernach setzt sich das „Verbesserungsdenken“ aus der Produktion im Marketingprozess fort. Die zyklischen Phasen werden unterstützt durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der bereits im Produktionsprozess angelegt war (s. Abbildung 1.7). Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess muss folglich als Triebkraft, ja als Motor begriffen werden, der sowohl den Wertschöpfungsprozess wie auch den Lebenszyklusprozess antreibt. Allerdings ist diese Triebkraft nur dann der starke Motor, wenn sie als organisatorisch-technisches Element auch über die Mitarbeiter zur Entfaltung kommen kann. Das ist in „lean“-geführten Unternehmen per se der Fall, weil der KVP dem organisatorischen System inhärent ist. Geradezu selbstverständlich ist dies im Mutterland des KVP, wo er KAIZEN genannt wird, der Fall (Abbildung 1.9). Westliche Unternehmen sind gefordert sich das Know-How anzueignen und müssen es in ihrer Organisationskultur fest verankern.

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Produktion und Marketing greifen auf den PDCA-Zyklus zu

▼ Abb. 1.8: Der PDCA-Zyklus als dynamisches Moment im Marketingprozess (Beispiel TechnologieLebenszyklus)

Marketingprozess: Technologie-Lebenszyklus Sättigungsgrad der Märkte

Produktionsprozess Wertschöpfung

Wertschöpfung

Technologie spielt eine entscheidende Rolle bei der Etablierung des Geschäfts

Entstehung

P D

nter Zyklus

C

Technologie zielt auf Kostensenkung ab, sukzessive Technologiesubstitution Technologie dient zur Verteidigung der Wettbewerbsposition durch Kostensenkung und Geschäftsverjüngung in Teilbereichen

Wachstum

A

A C

Technologie dient zur Geschäftsverjüngung in Teilbereichen und Verteidigung der Wettbewerbsposition durch Kostensenkung

A P

D 1. Zyklus

C

A

A P

D 2. Zyklus

C

Zeit

Alter

Reife

P D

3. Zyklus

Kontinuierlicher Verbesserungsprozess

C

P D

4. Zyklus



1 Die Kategorien des Lean Managements

18 Abb. 1.9: Ziele, Grundannahmen und Axiome von Kaizen bzw. dem Kontinuierlichen Verbesserungsprozess ▶

Oberziel

Unterziele

Kaizen erzeugt niemals einen Zustand der Selbstzufriedenheit!

Grundannahme

Vier Axiome

Ständige Verbesserung von ◼ Kundenzufriedenheit ◼ Kundenloyalität ◼ Kundenbindung Qualität

Kosten

Zeit

Verbesserung

Senkung

Schnelligkeit

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird eine betrachtete Tätig­ keit nicht zufriedenstellend, sondern sogar in ihrer schlech­ testen Art und Weise ausgeführt wird. Es herrscht niemals ein Zustand der Selbstzufriedenheit, Erreichtes wird immer wieder in Frage gestellt.

◼ Problem­ orientierung

◼ Kunden­ orientierung

◼ Prozess­ orientierung

◼ Mitarbeiterorientierung

Zeit spielt im Just in Time-Ansatz von Toyota eine zentrale Rolle

Arbeit mit Wertschöpfung nach Ohno

Im Toyota Produktionssystem (TPS) ist zudem ganz augenfällig Zeit im Just in Time-Element das beherrschende Moment: Da die Lagerhaltung beim Kunden gestrichen wurde, kann im Wertschöpfungsprozess ohne Verlust für die Wertschöpfung die eigene Lagerhaltung entfallen. Der Kunde (Abnehmer) verzichtet bei Just in Time auf eine eigene Lagerhaltung und lässt sich seinen Materialbedarf täglich oder sogar mehrmals täglich vom Zulieferer anliefern. Die Produktion erfolg produktionssynchron. Aber auch andere Systemelemente wie Jidoka folgen dem Zeitdiktat. Ohno Taiichi erklärt, dass er ständig auf der Suche nach „Zeitdieben“ war. Arbeit mit Wertschöpfung sollte allein Geltung haben (1993, 87): „… die Bewegungen der Arbeiter im Produktionsbereich Arbeit oder mit Wertschöpfung verbundene Bewegungen sein müssen. Sich bewegen bedeutet nicht unbedingt arbeiten. Arbeiten heißt, den Prozess in Richtung auf die Vollendung der Arbeit voranzubringen.“ Hervorzuheben sind noch die folgenden Anmerkungen zum Zeitkontext in Organisationen:

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management ◼ Zeit ist die zentrale Dimension im Scientific Management von Taylor ging es keinesCharles Winslow Taylor, der ja auch seine Spuren in Toyotas Pro- wegs um die Steuerung des Auftrags, duktionssystem hinterlassen hat. ◼ Zeittaktung spielt auch im Produktionssystem von Henry Ford eine sondern nur um die Erhöhung der Produktizentrale Rolle. vität. Da die Zeit nach ◼ Zeittaktung bemißt sich im Toyota Produktionssystem (TPS) an der Produktivitätsforden Kundenforderungen. Damit wurde das Maß der Beschleuni- mel der Input ist, muss gung externalisiert, wie die interne Definition von Toyota zur Takt- diese „bewirtschaftet“ zeit lehrt: „Rate der Kundennachfrage: Es wird nur das produziert, werden:

was der Markt benötigt; so kann die optimale Dauer der Arbeitszyklen erreicht werden, die die Nachfrage der einzelnen Kunden erfüllen.“ ◼ Schließlich ist in allen logistischen Prozessen Zeit das konstitutive Merkmal, besonders in der Transportlogistik. Die „lean-orientierte“ Logistik „besteht in der internen Umsetzung schlanker Logistikprozesse durch Reduzierung der Größe von Logistikeinheiten und dem Prinzip einer ’Logistik der kurzen Wege’. Hierbei werden ◆ kleinere Einheiten ◆ in höherer Frequenz ◆ über kürzere Distanzen ● transportiert, ● angeliefert, ● umgeschlagen und ● bereitgestellt.“ (Klug 2008, 61)

Stück/Zeit=Produktivität.

y

yLogistik ist die wissen-

Zu Taylors Zeit- und Bewegungsstudien: Bei den Studien ging es ihm darum die damals übliche Arbeit nach Faustregeln durch Methoden zu ersetzen, die auf Wissen beruhten. Solche Studien waren an und für sich nichts Neues. Neu war, dass die gesamte Arbeitszeit gestoppt wurde und diese Arbeitszeit dann in kleinste Teilzeiten (-bewegungen) aufgeteilt wurde. Taylor wies darauf hin, dass eine derartige analytische und synthetische Betrachtung von Arbeitsabläufen fast immer zu der Erkenntnis führe, dass die bestehende Arbeitsorganisation unzureichend sei. In der folgenden Stufenfolge von acht Schritten sollte dabei vorgegangen werden: (1) Arbeitsprozesse in einfache Elementarbewegungen aufgliedern, (2) alle überflüssigen Bewegungen ermitteln, (3) herauszufinden, wie geschickte Arbeiter die notwendigen Elementarbewegungen ausführen, (4) mit Hilfe einer exakten Stoppuhr die Zeit des schnellsten und besten Verfahrens zur Verrichtung jeder dieser Elementarbewegungen festhalten, (5) die schnellsten Elementarbewegungen beschreiben, dokumentieren und klassifizieren, (6) angemessene Zeitzuschläge für zu erwartende Störungen, Verzögerungen, Unterbrechungen etc. bestimmen, (7) angemessene Zeitzuschläge für die Einarbeitung von Arbeitern festlegen, (8) angemessene Zeitzuschläge für die Erholungszeiten berücksichtigen.

Ganz anders beim TPS, da beginnt die Zeitmessung bereits beim Kundenauftrag.

„Logistik der kurzen Wege“

schaftliche Lehre der Planung, Steuerung und Überwachung der Material-, Personen-, Energieund Informationsflüsse in Systemen.“ (Jünemann, R.: Logistische Systeme. HeidelbergBerlin (Springer) 1989, 5

19

20

1 Die Kategorien des Lean Managements

Dieser Problemaufriß zur generell alles bestimmenden Kategorie Zeit, in der alle Ereignisse, Objekte und Zustände immer dynamischer geworden sind, wäre unvollständig, wenn nicht das Thema Beschleunigung kurz behandelt wird. Es liegt nahe, dass eine bedeutsame Transformation der Temporalstrukturen und -horizonte nicht zu einer Verlangsamung, sondern zu einer Beschleunigung der Zeit und Geschichte geführt haben (Rosa 2006, 44): „Angesichts der grundsätzlichen Begrenztheit menschlicher Beschleunigung wird Lebenszeit ist davon auszugehen, dass die Beschleunigung sehr oft als positiver Begriff im Wirtschaftszielgerichteter Prozesse (das Herstellen von Gütern oder leben gesehen Zuständen, das Zurücklegen von Transportstrecken, die Übermittlung von Informationen) grundsätzlich als wünschenswert wahrgenommen wird.“ Im Zusammenhang von Produktion und Distribution und Konsumtion muß die Zunahme der Geschwindigkeit differenziert gesewerthen werden. Die Beschleunigung der Produktionssphäre bezieht sich Produktion schöpfend auf den Wertschöpfungsprozess: Je schneller produziert wird, desto mehr Wert wird in kürzerer Zeit geschaffen. Bei der zeitlichen Verkürnicht zung der Distribution hingegen bezieht sich der Prozess nicht auf die wert- Distribution Wertschöpfung, sondern die Realisation des geschaffenen Mehrwerts, schöpalso das zum Kauf angebotene Produkt, dessen Bestimmung es ist in fend die Konsumtionssphäre zu gelangen, damit es dort wieder (nach dem Konsumtion „Verzehr“) neue sich auf die Produktion beziehende Nachfrage auslöWertschöpfung sen kann. Während die realen Prozesse zeitversetzt vollzogen werden, realisiert sich ist die simultane Beschleunigung dieser Prozesse nicht unmittelbar zu beobachten: Es wird schneller produziert, schneller distribuiert und auch schneller konsumiert. Ein Rad greift ins andere. Inwiefern sich hierbei jeweils simultane Beschleunigungsprozesse entfalten, wäre empirisch zu untersuchen. Jedenfalls bedarf es wohl der Einzelfallanalyse, um von simultaner Beschleunigung von Produktion/Distribution/Konsumtion sprechen zu können. Historisch gesehen hat sich Beschleunigung jedenfalls eher zeitversetzt abgespielt (Rosa 2006, 262): „Im Hinblick auf die Genese der modernen Beschleunigungsdynamik … ist dabei der Umstand, dass historisch gesehen die durch die Logik der Kapitalverwertung getriebeBeschleunigung als ne Beschleunigung nicht in der Produktionssphäre, sondern Motor von Produktion just in der Distributions- bzw. Zirkulationssphäre einsetzund Distribution te. … beschleunigen sich Transport und Kommunikation vom 17. Jahrhundert an spürbar und lange vor den großen technologischen Innovationen, die zur Beschleunigung der Produktionsprozesse führten. Als wesentlicher Grund hierfür gilt, dass sich im 16. und 17. Jahrhundert zuerst im Bereich des

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Handels, also in der Zirkulationssphäre, Kapital ansammelt und auf Steigerung der Umschlaggeschwindigkeit drängt, weil Subsistenz und Zunftwesen im Produktionsbereich eine entsprechnende Entwicklung zunächst noch verhinderten.“ Interessante Untersuchungsobjekte sind nun die Triebkräfte/ Motoren dingfest zu machen, die die Zeitökonomie erzwingen und beeinflussen. Mit solchen Fragen befasst sich seit einigen Jahren Hartmut Rosa, der damit erstmals das Thema Zeit – Beschleunigung institutionell verankert im universitären Zusammenhang an der FriedrichSchiller-Universität Jena bearbeitet. Bisherige Zeitforschung war eher von zufälligen Interessen einzelner geprägt. „… und so schwimmt der Piratenglobus haltlos im gewittrigen Äther dahin.“ (Henri Michaux: Unbeschreibliche Orte. In: Dichtungen. Schriften 1971) „Räumliche Nähe und Nachbarschaft sind im Zeitalter der Globalisierung also endgültig kein Indikator mehr für soziale Nähe.“ (Markus Schroer 2012, 239)

Hartmut Rosa (*1956-heute)

1.3.4 Zur Kategorie Raum Während sich in früheren Gesellschaften eine sehr starke Bindung an den Nahraum beobachten lässt zeichnen sich gerade moderne Gesellschaften dadurch aus, dass sich sowohl Subjekte wie auch Organisationen an alternativlos gegebenen Räumen orientieren. Dies scheint grenzenlos möglich zu sein, indem sowohl das Nahe wie das Ferne gesucht wird. So haben sich die Unterlieferanten des Automobilunternehmens Toyota verstärkt in dessen Nahbereich niedergelassen, um ihren Pflichten entsprechend dem Just-in-Time-Prinzipien vertragsgetreu nachkommen zu können. Eine solche Distanzminimierung grenzt damit das Risiken des Transports ein, die bei der Anlieferung aus weiteren Entfernungen sehr hoch sein können. Die räumliche Nähe bringt somit in der Regel Vorteile, die neben der transportlogistischen Komponente in jedem Fall im organisatorischen Kontext zu sehen sind. Doch welche Raumvorstellungen können handlungsleitend sein? Wie lässt sich Raum definieren. Zunächst ist Raum wohl neben Zeit die Kategorie par excellence der Globalisierung. Für Einstein fallen

y

„Wir leben in einer Zeit, in der sich uns der Raum in Form von Relationen der Lage darbietet.“ (Foucault, Von anderen Räumen, S. 318)

Unterlieferanten suchen die räumliche Nähe zum Kunden

Raum als Begriff der Globalisierung

„Well, it‘s not just me And it‘s not just you This is all around the world.“

(Paul Simon)

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1 Die Kategorien des Lean Managements

22 Abb. 1.10: Assoziationen zum Begriff Raum in Beispielen ▶

Assoziationen zum Begriff Raum Ferne Ort Lage Lokalisierung Ausdehnung

Nähe

Raum

Karte Hierarchisierung Beschleunigung Bewegung

Organisation des Raumes Differenz, Abstand

Standort als Unterkategorie von Raum

beide zusammen in Raumzeit. Diesem vierdimensionalen Raumbegriff wollen wir hier nicht nachgehen. Zeit wurde als Extrakategorie bestimmt. Welcher Raumbegriff sollte in unserem Zusammenhang priorisiert werden? Vergewissern wir uns zunächst unseres Gegenstandes und fragen nach den Assoziationen, die wir mit Raum verbinden. Abbildung 1.10 liefert einige Hinweise. Auf den Ort, den Standort (im konkreten Fall eines produzierenden Unternehmens) soll kurz eingegangen werden (Günther/Tempelmeier 2012, 63): „Standortentscheidungen bilden einen Eckpfeiler der strategischen Unternehmensplanung. Sie stehen in engem Zusammenhang mit der internationalen Wettbewerbsund der Produktpolitik der Unternehmung. Durch Standortentscheidungen werden auch die Rahmenbedingungen vorbestimmt, denen im weiteren die Gestaltung der Produktionsinfrastruktur unterworfen ist. … Der entsprechende Verbund von Standorten und Materialströmen ergibt die räumliche Struktur des Logistiksystems der Unternehmung.“

y

Euklid (*360-280𐐆)

„Kein der Geometrie Unkundiger darf hier herein!“ (Inschrift über dem Eingang zu Platons Akademie) Eine Anspielung auf das Programm der Geometrisierung der Arithmetik und der Kosmologie. Es war Platon, der als erster das Programm für eine Geometrisierung der Mathematik einschließlich der Arithmetik, der Astronomie und der Kosmologie entwarf und der dadurch zum Begründer des geometrischen Weltbildes wurde und damit auch letztlich zum Begründer der modernen Wissenschaft – der Wissenschaft von Kopernikus, Galilei, Kepler und Newton und Einstein. Euklid knüpfte mit seinen „Elementen“ später an Platons „Geometrieprogramm“ an (vgl. Zollondz 2011, 159ff).

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Klarer kann es nicht ausgedrückt werden: Raumvorstellungen ste- Die Logistik denkt hen auch in der Logistik im Mittelpunkt des planerischen Tuns. Allge- Raum konstruktivismein formuliert: Ein Raum wird hergestellt. Keinesfalls bezieht sich tisch die Logistik auf einen natürlichen, bereits vorhanden Raum. Raum ist konstruktivistisch gedacht. Ein solcher Raumbegriff findet sich bereits in seinem etymologischen Ursprung, wie Markus Schroer konstatiert (2012, 29): „Die etymologische Bedeutung des Substantivs Raum ist aufschlussreich. Es leitet sich vom Verb „räumen“ ab, was so viel bedeutet wie „Platz schaffen, leer-, freimachen; verlassen, fortschaffen“. Als ursprüngliche Bedeutung verzeichnet das Grimmsche Wörterbuch für „räumen“: „einen Raum, d.h. eine Lichtung im Walde schaffen, behufs Urbarmachung oder Ansiedlung“. Raum steht für „einen uralten Ausdruck der Ansiedler, der zunächst die Handlung des Rodens und Freimachens einer Wildnis für einen Siedelplatz bezeichnet, dann den so gewonnen Siedelplatz selbst“. Der Raum muss also erst durch menschliche Tätigkeiten geschaffen werden. Es geht nicht um schon vorhandene Räume. Raum ist eine Konstruktion, die an geografischen, sozioökonomischen und organisatorischen Merkmalen aufsitzt. Damit erlangt der Raum seine Bedeutung für die Unternehmungen, die nach Räumen „suchen“. In diesem Sinne soll dem Raumkonzept von Leibniz entsprochen werden, für den Raum für die Ordnung des Beisammenseins steht und die Zeit die Ordnung des Nacheinanders bildet. Für Leibniz sind es die Lagebeziehungen, die den Raum ausmachen. Raum und Zeit sind für ihn relationale Begriff. Treffend ist seine Aussage (nach Schroer 2012, 40): Man darf strenggenommen nicht sagen: „dieser Körper befindet sich an diesem Ort“, sondern nur: „er befindet sich – von jedem anderen Körper aus gesehen – an diesem Ort“. Die Raumauffassung von Leibniz bringt damit die Perspektive ins Spiel. In diesem Sinn hat Norbert Elias in bewundernswerter Klarheit zu den beiden uns hier interessierenden Begriffen Raum und Zeit formuliert (Elias 1984, 75f):

y

Für die späteren Raumvorstellungen war Aristoteles Raumbestimmung prägend. Raum verstand er gewissermaßen als Schachtel, die den Zusammenhalt, die übergeordnete Sphäre für Orte innerhalb der Schachtel bildet. Anders formuliert: Raum ist ein gefülltes Gefäß. In der Folge wurde diesem Definitionsversuch mit der Gegenvorstellung widersprochen: Raum sei ein relationales Gefüge, ein System miteinander verbundener Beziehungen (Theophrast, später Leibniz).

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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„Was wir ’Raum’ nennen, bezieht sich auf positionale Relationen zwischen bewegten Ereignissen, die man zu bestimmen sucht, indem man von der Tatsache ihrer Bewegung und Veränderung abstrahiert; im Gegensatz dazu bezieht sich ’Zeit’ auf positionale Relationen innerhalb eines Veränderungskontinuums, die man zu bestimmen sucht, ohne von ihrer kontinuierlichen Bewegung und Veränderung zu abstrahieren.“ Wenn insbesondere Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien immer mehr Räume erschließen und das Verhältnis Das räumliche Prinzip zum Ort lockern, dann heißt das nicht, dass nur noch die Zeit regiert wird nicht durch die und der Raum zum Verschwinden gebracht wird, wie das besonders Globalisierung obsovon einigen Medientheoretikern vertreten wird. Das Gegenteil ist der let, im Gegenteil die Globalisierung bedarf Fall: Orte und Räume sind die unersetzbaren Basisbegriffe, die nicht territorial zu denken sind, sondern – wie bereits beschrieben – relanicht nur der Raumtional. Das räumliche Prinzip wird nicht durch die Globalisierung Metapher, sondern einer ausgewiesenen obsolet, im Gegenteil die Globalisierung bedarf nicht nur der RaumRaumtheorie Metapher, sondern einer ausgewiesenen Raumtheorie (Dünne/Günzel 2006). Halten wir als Kurzdefinition für den Raum fest: Das Reale (die Realität des Raumes) ist relational. Die Realität des RauUnd grundsätzlich: mes ist relational Den kategorialen Begriffen Raum und Zeit kommt eine ausgezeichnete Stellung zu. Sie bilden in erkenntnistheoretischer Sicht die beiden Grundpfeiler (Cassirer), die das Ganze tragen und zusammenhalten. Sie sind jedoch kaum in den Wissenschaften und den Lehren, die sich mit der Ökonomie befassen, angekommen. Gerade werden sie neu entdeckt in den Sozialwissenschaften (Dünne/Günzel 2006). Die Logistik behandelt Diese Einschätzung geht darüber hinweg zu betonen, dass die sich den Raum- und Zeitbe- seit einiger Zeit etablierte Logistik den Raum- und Zeitbegriff thegriff nicht explizit matisiert. Allerdings wendet man sich hier sehr schnell dem Tagesgeschäft zu. Von einer begrifflichen Explikation kann keine Rede sein, eher gewinnt man den Eindruck, dass es sich irgendwie um Unterbegriffe handelt (so bei Schieck 2008 oder Baumgarten 2008). Raum = positionale Relationen zwischen bewegten Elementen

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„Jede Veränderung im ’Raum’ ist eine Veränderung in der ’Zeit’, jede Veränderung in der ’Zeit’ ist eine Veränderung im Raum. Man lasse sich nicht durch die Annahme irreführen, man könne ’im Raum’ stillsitzen, während die ’Zeit’ vergeht: man selbst ist es, der dabei älter wird. Das eigene Herz schläg, man atmet, man verdaut; die eignen Zellen wachsen und sterben ab. Die Veränderung mag langsam sein, aber man verändert sich kontinuierlich ’in Raum und Zeit’ – als ein Mensch, der älter und älter wird, als Teil einer sich verändernden Gesellschaft, als Bewohner der sich rastlos bewegenden Erde.“ (Elias 1984, 74f)

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Für die Zwecke der Durchdringung des Objektbereichs des Lean Managements erscheint es unabdingbar eine Vorstellung davon zu entwickeln, was unter Raum zu verstehen ist. Das ist hier in aller Kürze geschehen.

1.3.5 Zur Kategorie Kosten Kosten sind der ureigene Begriff der Wissenschaften und Lehren, die sich mit Ökonomie befassen. Kosten kommen in der buchhalterischen Terminologie vor, ja sie sind dort zentral eingebettet. Jeder, der sich Kaufmann nennt, muss wissen, was darunter zu verstehen ist. Ob jeder Unternehmer ein Verständnis von Kosten enwickelt hat, scheint fraglich. In jedem Fall sind Kosten negativ besetzt, Gewinn positiv. Umsatz minus Kosten = Gewinn lautet die simple Formel. Kosten und Erlös ist das Begriffspaar, das zur Berechnung des Break-Even-Points dient und sich in einer Funktion für ein Einproduktunternehmen darstellen lässt. Wie Abbildung 1.11 zeigt, landet man langsam in der Gewinnzone, wenn der Break-Even überschritten wurde, also derjenigen Umsatzerlös erreicht wurde, der zumindest die Gesamtkosten (inkl. Vorlaufkosten) deckt. Für die operative Steuerung eines Unternehmens sollten zumindest die Umsatzerlöse aus dem Verkauf von Unternehmensleistungen den Gesamtkosten so gegenübergestellt werden. Die Break-Even-Analyse lotet also die Leistungsfähigkeit eines Produktes in seinem Markt aus. Alternative Begriffe für dieses Vorgehen heißen Gewinnschwelle, Deckungspunkt, Nutzschwelle oder kritische Menge.

◀ Abb. 1.11: Grundmodell Break-EvenAnalyse

Deckungsbeitrag bzw. Fixkosten in € 2.500

Kf

D

2.250

D = 14 •

2.000 1.750

x

Gewinnzone

1.500

K f = 1. 500

1.250

Verlustzone

1.000

»Break-Even-Punkt«

750 500 250

Erlöse 0 0

10

20

30

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind gemäß Gutenberg Kosten der bewertete Verbrauch an Produktionsfaktoren (ausgedrückt in Geldeinheiten), die zur Erstellung einer betrieblichen Leistung bezogen auf ein Zeitintervall erforderlich sind.

40

50

60

70

80

90

100

110

120

130

140

150

160

x

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1 Die Kategorien des Lean Managements

26 Alternativbegriffe zum Kostenbegriff in der Betriebswirtschaftslehre

Zum Begriff der Kosten (und seines Gegenbegriffs Erlös) sind Alternativbegriffe in der Betriebswirtschaftslehre eingeführt, die sich auf unterschiedlichen Ebenen der Betrachtung befinden. Bezugspunkt ist das Rechnungswesen: Ebene Gesamtvermögen Betriebsnotwendiges Vermögen Geldvermögen Kasse

Kostenrechnung im strategischen Management

Begriffspaar Aufwand Kosten Ausgabe Auszahlung

– Ertrag – Erlös – Einnahmen – Einzahlung

Kosten lassen sich noch nach anderen Kriterien gliedern, zum Beispiel nach der Zurechnung in Einzelkosten und Gemeinkosten, nach dem Verhalten in fixe und variable Kosten oder nach dem Ursprung in primäre und sekundäre Kosten: ◼ Einzelkosten (direkte Kosten) können direkt einem Kostenträger zugewiesen werden. ◼ Gemeinkosten (indirekte Kosten) können nicht direkt einem Kostenträger zugewiesen werden. Sie werden deshalb gesammelt und später über eine Umlage oder über einen Schlüssel auf verschiedene Kostenobjekte (z. B. Kostenträger oder Kostenstelle) verteilt. ◼ Variable Kosten sind direkt abhängig von der Ausbringungsmenge. ◼ Fixe Kosten entstehen unabhängig von der Ausbringungsmenge. ◼ Primäre Kosten sind originäre Kosten, die durch den Verbrauch von Ressourcen entstanden sind. Sie haben deshalb einen Einfluss auf die Gesamtkosten der Unternehmung. ◼ Sekundäre Kosten sind Kosten, die von einem Kostenobjekt an ein anderes verrechnet werden. Da ein Kostenobjekt be- und entlastet wird, verändern sich die Gesamtkosten der Unternehmung dadurch nicht. Kostenrechnung wird zunehmend als Basis strategischer Entscheidungen angesehen. Damit entwickelt sie sich in Richtung eines strategischen Management-Accountings. Markt- und Wettbewerbsorientierung gewinnen an Bedeutung, zu Lasten von vergangenheitsorientierten Rechnungen. In der Kalkulation orientiert man sich an Zukunftsprognosen über die Kostenentwicklung und an Vergleichen mit der Leistung der besten Konkurrenten. Als strategische Entscheidungsgrundlage haben sich verschiedene Ausprägungen der Kostenrechnung entwickelt: ◼ Voll- und Teilkostenrechnung/Deckungsbeitragsrechnung ◼ Prozesskostenrechnung und Activity Based Costing (ABC) ◼ Zielkostenrechnung (target costing).

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Von diesen soll hier das Target-Costing näher betrachtet werden. Es ist mehr ein strategisches Controllinginstrument. Damit erlangt die Kostenrechnung den Status strategischer Maßnahmen, die direkt der Geschäftsleitung obliegen: Der Ort ist das strategische Controlling ▶ Geschäftsleitung einer Unternehmung. Es ist die Funktion, über die das Kosten-ConControlling betrieben wird. trolling Target-Costing hat seinen Ursprung in den 1960er Jahren in Japan Funktionale Abteilungen und basiert, genau gegenläufig zu herkömmlichen Kalkulationssystemen, auf der abbauenden Kalkulation. Target-Costing orientiert sich Target Costing an der Erkenntnis, dass nicht der Produzent durch seine Kalkulation den Preis eines Produktes festlegen kann, sondern dass dieser vom Markt bestimmt wird. Durch Marktforschung wird abgeklärt, welche Produkte am Markt verlangt werden und wie viel die Kunden bereit sind, dafür zu bezahlen. Nach Abzug der Gewinnmarge vom Marktpreis stehen die Zielkosten fest, zu denen das Produkt hergestellt werden muss. Anschließend werden die Selbstkosten mittels einer Plankalkulation errechnet. Diese liegen in der Regel über den Zielkosten. Es wird anschließend eine Funktionsanalyse erstellt, die den prozentualen Nutzen jeder Teilfunktion des Produkts am Gesamtnutzen des Produkts ermittelt. Sind die prozentualen Kosten der Teilfunktion, gemessen an den gesamten Zielkosten, größer als ihr anteiliger Nutzen, so müssen deren Kosten gesenkt werden – und umgekehrt: Liegen die anteiligen Kosten einer Teilfunktion tiefer als ihr anteiliger Nutzen, so soll die Qualität der Teilfunktion verbessert werden. Ziel ist es, ein ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis für alle Teilfunktionen des Produkts zu erreichen. Da sich auch Toyota bei der Kalkulation dem Target Costing bedient, kann hierin ein früher Erfolgsfaktor gesehen werden, der sich aber inzwischen von der Anwendung des methodischen Vorgehens nicht mehr so zeigt, da wohl alle Technik-orientierten Unternehmen das Target-Costing praktizieren, um es gezielt für das Outsourcing zu nutzen.

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Target-Costing (jap. Kikaku) ist ein japanisches Kostenplanungssystem, bei dem die Planwerte auf der Basis von am Markt erzielbaren Preisen, also zukünftigen, erwarteten Preisen abgeleitet werden. Bei diesem Herunterbrechen der erlaubten Kosten (Zielkosten) ist es entscheidend, die Erwartungen der Kunden im Hinblick auf Qualität und Preis genau zu kennen. Die Methoden der Kundenforschung kommen ebenso zum Einsatz wie QFD. Target-Costing stellt somit das verbindende Element zwischen Markt bzw. Kunde einerseits und der internen Leistungserstellung andererseits dar. Target-Costing geht davon aus, dass 70% der Kosten bis einschließlich der Konstruktionsphase beeinflußbar sind. Die Möglichkeit der Kostenbeeinflussung nimmt während der Konstruktionsphase mit zunehmender Konkretisierung des Projekts ab, die Kostenbeurteilung wird dagegen immer zuverlässiger. (Quelle: LQM 2001, 1135)

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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1.3.6 Zur Kategorie Muda (Mura, Muri)

Muda = Verschwendung (engl. waste)

In ihrem Buch „Auf dem Weg zum perfekten Unternehmen“ richten sich die Autoren Womack und Jones an ihre Leser mit der Aufforderung (2003, 16): „Muda. Es ist das einzige japanische Wort, das Sie wirklich kennen müssen.“ Eine Einschätzung und Feststellung, der zugestimmt werden muss. Muda ist die Kategorie, die im Zentrum des Lean Managements steht. Ihren Ursprung findet sie im Toyota Produktionssystem. Sie ist dort als conditio sine qua non des Systems nicht wegzudenken und besitzt auch für das Denken und Handeln aller Mitarbeiter Orientierungsfunktion. Muda wird wie folgt kurz bestimmt:

Muda = Definition (Mura und Muri sind in dieser Definition aufgehoben)

Unter Muda wird jede Aktivität verstanden, die Ressourcen verbraucht, also Kosten verursacht, aber keinen Wert erzeugt. Drei Begriffe prägen die Definition:

◼ jede Aktivität ◼ Ressourcenverbrauch ◼ Werterzeugung

Gemeint sind damit alle Aktivitäten (Tätigkeiten), die in einer Organisation durchgeführt werden. Tätigkeiten führen zu Ergebnissen. Folglich können sie daran gemessen werden. Bezugspunkt der Messung ist die Werterzeugung. Der Wert des Produkts ist gemeint. Wer bestimmt den Wert von Tätigkeiten? Und schließlich: Um welche Ressourcen geht es? Ressourcen können materiell und immateriell sein. Beide Arten sind gemeint. Beide Arten verursachen Kosten. Gleiches gilt für die ergänzenden Begriffe Mura (Unausgeglichenheit) und Muri (Überlastung) [= zusammen die Drei Mu].

Drei Mu-Checkliste nach Shigeo Shingo: ◼ Mitarbeiter ◼ Technik ◼ Methode ◼ Zeit ◼ Möglichkeiten ◼ Vorrichtungen ◼ Werkzeuge ◼ Material ◼ Produktionsvolumen ◼ Bestände, Vorräte ◼ Denkweise ◼ Arbeitsplatz Sie dient als Prüfliste (Checkpoint-System) zur Verbesserung.

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Mura, die Unausgeglichenheit, drückt diejenigen Verluste aus, die durch eine fehlende oder nicht vollständige Harmonisierung der Kapazitäten im Rahmen der Fertigungssteuerung entstehen. Als spezifische Ausprägungen von Mura sind zum einen Verluste durch Warteschlangenbildung (Stau von Aufträgen vor den einzelnen Bearbeitungsstationen bzw. Maschinen) zu nennen, zum anderen Verluste durch nicht optimal ausgelastete Kapazitäten, also unnötige, nicht durch den Prozess bedingte Leerzeiten. Muri, die Überbelastung, beschreibt Verluste, die durch Überbeanspruchungen im Rahmen des Arbeitsprozesses entstehen. Dabei wird zwischen der Überlastung des Handhabungsund der des Herstellungsprozesses

unterschieden. Die Verluste im Handhabungsprozess entstehen durch physikalische und auch psychische Überbeanspruchung des betreffenden Mitarbeiters und äußern sich in Form von Übermüdung, Stresserscheinungen, erhöhter Fehlerhäufigkeit und steigender Arbeitsunzufriedenheit. Meist wird die Überlastung des Mitarbeiters und damit auch der resultierende Verlust durch den Einsatz von Handhabungs- und Rüsthilfen, durch konstruktive Maßnahmen oder auch durch Veränderungen der Arbeitsgestaltung zu vermeiden sein. Im Herstellungsprozess auftretende Überlastung beruht oft auf fehlerhaft ermittelten Vorgabezeiten für Arbeitstakt und Werkzeugwechsel sowie auf mangelnder Harmonisierung des Produktionsflusses.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Aufgrund dieser Erläuterungen wird klar: Muda bezieht sich auf den Prozess, der durch Tätigkeiten konstituiert wird, die Wert für das Produkt erzeugen. Diesen Prozess bezeichnet man als Wertschöpfungsprozess (Kapitel 1.3.7). Er beginnt schon bei der Produktidee, Produktentwicklung, Beschaffung, Produktion und endet beim Marketing, das den Kunden für das Produkt zu erreichen sucht und findet. Dabei ist der Wert der Preis, den der Kunde für das Produkt annimmt. Der Wert wird in jedem Fall durch den Kunden definiert. Die Verschwendung selbst (Muda) ist die offensichtlichste Ursache für die Entstehung von Verlusten. Überall im Unternehmen tritt Muda auf. Sie ist insbesondere Anteil der nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten (Non-Value-Adding Activities; NVA) an einer zu verrichtenden Arbeit oder an einem Produktionsprozess. Diese unproduktiven Anteile gilt es zu minimieren und nach Möglichkeit zu eleminieren. Dabei ist zumindest teilweise auch die Arbeitsgestaltung im Sinne einer Gestaltung von Arbeitstechniken, Betriebsmitteln, Arbeitsumgebung und Arbeitsorganisation zu verändern. Dies vorausgeschickt geht es darum, Muda zu vermeiden. Dazu müssen die Arten von Muda differenziert bestimmt werden. Ohno hat zum Erkennen und Beseitigen von Muda sieben Kategorien ausfindig gemacht (Ohno 1993, 152): ◼ Überproduktion ◼ Warten ◼ Transport ◼ Zu starke Bearbeitung (Überarbeitung) ◼ Lagerbestand ◼ Bewegung der Arbeiter ◼ Herstellung defekter Teile und Produkte Hierbei handelt es sich keineswegs um eine abschließende Aufzählung. Je nach Tätigkeitsbereich lassen sich weitere Kategorien finden. Ohno selbst hat sich in beispielhafter Weise mit dem Thema Muda befasst. So schreibt er: Wer als Manager durch den Fertigungsbereich geht hat ständig Verschwendungen aufzudecken: „… die Bewegungen der Arbeiter im Produktionsbereich sind entweder Arbeit ohne oder mit Wertschöpfung. Sich bewegen bedeutet nicht unbedingt arbeiten. Arbeiten heißt, den Prozess in Richtung auf die Vollendung der Arbeit voranbringen.“ (Ohno 1993, 87)

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Bewegen versus arbeiten. Dass sich Arbeiter bewegen, bedeutet nicht unbedingt, daß sie arbeiten. Arbeiten heißt, dass ein Fortschritt erzielt wurde, dass eine Arbeit mit geringer Verschwendung (muda) und hoher Effizienz durchgeführt wurde. Der Meister muß sich darum bemühen, die Bewegungen der Arbeiter in Arbeit umzuwandeln. (Ohno Taiichi)

Muda bezieht sich den Wertschöpfungsprozess

Die schlimmste Art von Verschwendung ist nach Ohno „Überproduktion“, d.h. mehr Teile herstellen als der Kunde zur Zeit benötigt. – Just-in-Time minimiert Muda!

Sich bewegen bedeuten nicht unbedingt arbeiten! Bewegungen in Arbeit umwandeln.

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1 Die Kategorien des Lean Managements

30 Abb. 1.12: Muda im Kontext von Arbeit und Wertschöpfung ▶

Für die Arbeit überflüssig

Netto-Arbeit Verschwendung – Muda –

◼ Freie Zeit ◼ Sinnloser Transport ◼ Lagerung von Zwischenprodukten ◼ Weitergabe von Gütern an andere Arbeiter ◼ Transport nicht zum Bestimmungsort

Bewegungen der Arbeiter Arbeit mit Wertschöpfung

Ohnos Arbeitsbegriff steht nicht isoliert, sondern ist verknüpft mit Wertschöpfung. Folglich leitet sich Arbeit/Nichtarbeit aus dem Wert ab, den der Mitarbeiter für den Kunden erbringt. Arbeit ohne Wertschöpfung

Arbeit mit Wertschöpfung

Arbeit ohne Wertschöpfung

Ohne Wertschöpfung, ist aber bei den jetzigen Arbeitsbedingungen notwendig ◼ Teile abholen ◼ Fremdbezogene Teile auspacken ◼ Teile in kleinen Mengen von großen Paletten entnehmen ◼ Schalter bedienen

Dieser Arbeitsbegriff sieht als Bezugspunkt den Wertschöpfungsprozess. In Abbildung 1.12 demonstriert Ohno, was er unter Wertschöpfung versteht (1993, 86): ◼ „Arbeit ohne Wertschöpfung kann als Verschwendung im landläufigen Sinn verstanden werden, z. B. Teile holen, Sendungen von Zulieferern öffnen, den Startschalter von Maschinen drücken usw. Unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen müssen diese Verrichtungen getan werden. Will man sie beseitigen, müssen die Arbeitsbedingungen zum Teil geändert werden. ◼ Arbeit mit Wertschöpfung bedeutet irgendeine Art der Bearbeitung – die Veränderung der Gestalt oder des Charakters eines Produktes oder Aggregates. Anders ausgedrückt: Durch die Bearbeitung werden Rohstoffe oder Teile in Produkte verwandelt, um Wertschöpfung zu erzeugen. Je größer das Verhältnis, desto höher ist die Arbeitsproduktivität.“ Wenn man versucht Muda entsprechend der Terminologie Ohnos zu quantifizieren, so kann wohl angenommen werden, dass sehr viele „normale Unternehmen“ heute 90 bis 99% Muda tolerieren. Für japanische Unternehmen, speziell bei Toyota, ist das natürlich untragbar: Weniger als 30% Muda sind Zielsetzung und erreichtes Ziel. Außerhalb der Toyota-Sphäre und der sog. „Lean-Community“ bemüht man sich um einen alternativen Zugang zum Problemfeld Verschwendung. Zunächst einmal wird zwar das Phänomen anerkannt, allerdings folgt man anderen Benennungen. Abbildung 1.13

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

etwa 25%

100 % Gesamtleistung

Nutzleistung Stützleistungen z.B.

• Logistik • Beschaffung • Interne Dienstleistung

etwa 45%

◀ Abb. 1.13: Blindleistung, Nutzleistung, Stützleistungen und Fehlleistung (Quelle: LQM 2001, 880)

Blindleistung durch

• Mehrfachkontrollen • Doppelbearbeitung • Überwachungstätigkeiten

Fehlleistung

etwa 10%

etwa 20%

zeigt in quantifizierender Weise den Wert der Blindleistung mit 20%. Nutzleistung ist Arbeit, Hierbei handelt es sich, neben der Fehlleistung von 10% auf jeden Fall aber auch das bedarf um Muda. Diese 30% wären jedoch noch zu ergänzen. In den Stütz- der näheren Definition leistungen steckt mit hoher Wahrscheinlichkeit weiteres Muda. Und inwiefern die Nutzleistung nicht auch noch bereinigt werden müsste, um im Sinne Ohnos eine „echte“ Wertschöpfung mit Arbeit zu erhalten, kann nicht ausreichend beurteilt werden, weil diese Zahlen aus einer Einzelfallanalyse stammen und nicht generell gelten. Insofern mögen diese Ausführungen lediglich eine ungefähre Tendenz aufzeigen, die überleitet zur Kategorie der Wertschöpfung.

1.3.7 Zur Kategorie Wertschöpfung Zunächst greifen wir zur Erläuterung der Kategorie der Wertschöpfung (value added) unmittelbar das Beispiel der Abbildung 1.13 auf, indem nun die vier Dimensionen (Tätigkeiten) näher bestimmt werden, in die sich die Wertschöpfung einteilen lässt (LQM 2001, 880f.): ◼ Nutzleistungen: Hierunter werden diejenigen Tätigkeiten ge- Nutzleistungen zählt, die aus der Sicht des Kunden zu einer Wertsteigerung führen. Diese Tätigkeiten sind geplant und erhöhen den Wert eines Ergebnisses für den Kunden während des Prozessablaufs. Beispiele für die Nutzleistungen sind Konstruktion, Montage, Erstellen einer Gebrauchsanleitung oder Einsatz der Marketinginstrumente zur Erhöhung des Produktwertes. Nutzleistungen sind kontinuierlich zu verbessern.

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1 Die Kategorien des Lean Managements

32 Stützleistungen

Blindleistungen

Fehlleistungen

Wertschöpfung (value added) = Definition

◼ Stützleistungen: Sie tragen im Gegensatz zu den Nutzleistungen

nur indirekt zur Wertsteigerung eines Produktes bei und unterstützen die Nutzleistungen. Sie werden vom Kunden nicht wahrgenommen, verursachen aber Kosten. Daher sind sie möglichst wirtschaftlich zu gestalten und auf das geringstmögliche Maß zu reduzieren. Bei Stützleistungen handelt es sich zum Beispiel um das Rüsten von Maschinen, innerbetrieblichen Transport, Personaleinsatzplanung oder um das Erstellen von Statistiken und Berichten. ◼ Blindleistungen: Hierunter werden Tätigkeiten bezeichnet, die aufgrund nicht optimaler Planung auftreten und weder direkt noch indirekt zur Wertschöpfung des Produktes beitragen. Diese Leistungen werden vom Kunden nicht wahrgenommen, erhöhen aber die Prozesskosten. Sie sind zu eliminieren. Als Blindleistungen gelten zum Beispiel ungeplante Zwischenlagerungen, Nacharbeit oder Nachlieferungen aufgrund von Fehlinformationen. ◼ Fehlleistungen: Hierzu zählen Leistungen, die als Nutz- oder Stützleistungen geplant wurden, aber nicht verwertet werden können, da bei der Erstellung ein Fehler aufgetreten ist. Ziel muss es sein, diese Fehlleistungen durch verbesserte Planung, Trainings oder Prozessstrukturierung grundsätzlich zu vermeiden. Beispiele für Fehlleistungen sind fehlerhafte Produkte, falsche Buchungen oder fehlerhafte Statistiken. Bei „normalen“ Unternehmen kann wohl realistischerweise ein „Leistungsszenario“ mit solchen Werten tendenziell vorausgesetzt werden. Soll es verändert werden, müssen alle verfügbaren Ressourcen eingesetzt werden, um die nichtwertschöpfenden Tätigkeiten zu eleminieren bzw. in wertschöpfende umzuwandeln. Eine solche Zielsetzung sollte oberste Priorität haben, denn grundsätzlich sollte optimale Wertschöpfung generiert werden. Was ist nun unter Wertschöpfung genau zu verstehen? Wertschöpfung besteht aus der Differenz zwischen dem Wert eines Produktes vor und nach der Ver-/Bearbeitung. Wertschöpfung wird in Wertschöpfungsprozessen realisiert, die eine Input-/Throughput-/Output-Relation abbilden. Demzufolge lässt sich auf den Produktionsprozess bezogen festlegen:

Produktion ist ein Wertschöpfungsprozess

Produktion ist ein Wertschöpfungsprozess, in dem aus einfachen oder komplexen Input-Gütern über verschiedene Wertschöpfungsstufen Output-Güter erzeugt werden.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Des weiteren ist dann Produktivität das genannte Input-/ Output-Verhältnis in Relation zum Ressourceneinsatz. Die so gewonnene Größe ist noch nicht der Wertzuwachs. Er muss auf jeden Fall um die Blind- und Fehlleistungen bereinigt werden. Leanorientierte Unternehmen erweitern diese Bereinigung noch um die Frage, ob nicht auch die Stützleistungen zu bereinigen sind. Begründet wird das mit dem Argument, dass der Kunde nur bereit ist, die Nutzleistung zu honorieren, denn nur diese erhöht den Wert des Produktes im Laufe des Produktionsprozesses. Aus diesen Überlegungen heraus ist zu erkennen, dass der relativ abstrakte Begriff Wert die Bewertung durch den Kunden meint. Vom Kunden aus muss gefragt und gemessen werden, von Anfang an. Hier schließt sich der Kreis zum Target Costing (Kapitel 1.3.5), dessen Grundidee ja recht einfach darin besteht, die zulässigen Kosten für ein bestimmtes Produkt vom Markt heraus abzuleiten. Dieser Ansatz muss einfach über das Erkunden der Preisbereitschaft hinaus erweitert werden zum Erkunden des möglichen Werts für den Kunden. Fassen wir zusammen: Grundüberlegung dieses Wertschöpfungsorientierten Ansatzes ist es, dass jeder Prozess viele einzelne Tätigkeiten beinhaltet, die zusammen zum Prozessergebniss führen. Es sind jedoch nur wenige Tätigkeiten, die wirklich den Wert der Prozessergebnisse für den Kunden erhöhen. Das Ziel ist es nun, diejenigen Tätigkeiten, die nicht wertsteigernd, also Muda sind, auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Dazu müssen alle Tätigkeiten in die in Abbildung 1.13 genannten vier Leistungsarten eingeteilt werden. Anschließend sollte eine Analyse der Leistungsarten erfolgen und das Verhältnis der Leistungsarten zueinander im Hinblick auf den Kundennutzen kritisch betrachtet werden, was in einem Koeffizienten ausgedrückt werden kann. So lassen sich längerfristige Entwicklungen verfolgen und Eingriffsmaßnahmen frühzeitig treffen. Es gilt der Grundsatz (Pfeiffer/Weiß 1992, 147: „Wer Wertschöpfungsprozesse beeinflussen und optimieren möchte, muss möglichst früh, möglichst intensiv und möglichst interdisziplinär eingreifen.“ Denn das Ziel jeglichen wirtschaftlichen Handelns, verstanden als produktive Tätigkeit, ist es, auf Güter zurückzugreifen, um sie durch den gezielten Einsatz von Produktionsfaktoren (Ressourcen) derart zu transformieren, dass ihr Wert sich erhöht. Wenn diese Zielsetzung nicht erreicht wird, spricht man von negativer Wertschöpfung. Wertschöpfung an sich ist aber zunächst per Definition ein positiv besetzter Begriff („positive“ Wertschöpfung).

Produktivität = Definition

Den Wert für den Kunden erkunden Muda ist alles, was einem Produkt keinen Wert zufügt, nicht wertschöpfend ist. Hierzu zählen Tätigkeiten, die Zeit, Raum und Ressourcen in Anspruch nehmen, jedoch den Wert des Produktes selbst nicht steigern.

Wertschöpfungsprozesse beeinflussen

„It is the customer who determines what a business is.“ (Peter Drucker)

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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Der Wirkungsgrad von werterhöhenden Leistungen lässt sich messen, wenn man für die vier Dimensionen der Wertschöpfung (Nutz-, Stützungs-, Blind- und Fehlleistung) eine Formel entwickelt: Wirkungsgrad von werterhöhenden = Leistungen

Nutzleistung (Nutzleistung + Stützleistung + Blindleistung + Fehlleistung) Darin wird das Verhältnis der Nutzleistungen zu den insgesamt aufgewendeten Leistungen für die Durchführung eines Wertschöpfungsprozesses ermittelt (Tomys 1994, 229): „Die Nutzleistung umfaßt diejenigen Prozesse, die werterhöhend wirken und somit den Nutzen bzw. den Gebrauchswert für den Kunden bestimmen. Sie allein beschreibt den ausgehenden Wert (Output) des Prozesses. Der in das Produktionssystem des Prozesses eingehende Wert (Input) wird aus der Summe der Nutz-, Stütz-, Blind- und Fehlleistungen gebildet. … Wenn alle benötigten Daten für einen Prozess bzw. Einzelprozess erfasst sind, kann der Wirkungsgrad für diesen Prozess bzw. Einzelprozess berechnet werden.“ Zu Abbildung 1.14: Wenn der Wirkungsgrad des Prozesses den idealen Wert 1 einnimmt, kann es theoretisch möglich sein, dass wir es mit einem Prozess zu tun haben, der nur auf der Nutzungsleistung beruht. In diesem Fall sind die anderen drei Werte gleich 0. Den Wirkungsgrad sollte man im Qualitätsmanagement/Lean Management

Abb. 1.14: Angenommener Verlauf der Leistungsdimensionen und des Wirkungsgrades des Prozesses ▶ (In Anlehnung an Tomys 1994, 230)

Leistungsdimensionen der Prozesse

Wirkungsgrad

Nutzleistung

Stützleistung Blindleistung Fehlleistung Qualitätstechniken werden zunehmend angewandt t

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

als Qualitätskennzahl begreifen, da er die Wertschöpfung von Prozessen beschreibt. Hat man den Wirkungsgrad erstmals errechnet, lassen sich Maßnahmen zur Steigerung des Wirkungsgrades ergreifen (Qualitätstechniken: PDCA-Zyklus; Kapitel 1.3.2). Solche Maßnahmen folgen dem kontinuierlichen Verbesserungszyklus und dienen in diesem Fall ganz konkret zum Abbau von Muda und bilden die Basis zur Abbau von Muda Standardisierung des Wertstroms. Damit lässt sich der Wirkungsgrad im Zeitverlauf betrachten. Ziel ist es, einen zufriedenstellenden Wert zu erhalten, der gegen 1 tendiert. Abbildung 1.14 soll diesen Zusammenhang grob skizzieren. Sie zeigt abnehmende Werte bei den Stütz-, Blind- und Fehlleistungen und den zunehmenden Wert der Nutzleistungen. Es ist zu beobachten, dass sich seit einigen Jahren alternative bzw. ergänzende Begrifflichkeiten durchgesetzt haben, die gerade die Umsetzung in der Praxis betreffen. So ist anstelle von Wertschöpfungsprozess der Begriff Wertschöpfungsstrom getreten (Womack/Jones 2003). Er meint dasselbe. Häufig wird er verkürzt auf Wertstrom. Diese Benennung demonstriert ganz deutlich den Gedanken, dass etwas fließt: Flüsse fließen von ihren Quellen aus in einen Strom! Ein solcher Wertstrom hat den Anfang beim Auftrag des Kunden und das Ende bei der Auslieferung an den Kunden. Die Flüsse fließen dem Strom zu („Jeder Wertstrom verzweigt sich flussaufwärts.“ [Erlach Heraklit (*550-480𐐆v.Chr) 2010, 35]). Das Ganze betrachtend wird von Wertstrommanagement „Alles fließt (panta rhei) (Value Stream Management) gesprochen, das in drei Phasen betrieben wird: ◼ Wertstrom Analyse (auch: Aufnahme) (Value Stream Mapping) ◼ Wertstrom Design (Value Stream Design) ◼ Wertstrom Planung (Value Stream Planning). Der explizite Bezug zum Toyota Produktionssystem mit seinen Begrifflichkeiten ist unverkennbar. An dieser Stelle soll das Konzept nicht weiter vertieft werden. (siehe Kap. 3.3.3 5 und 3.8)

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Produktive versus unproduktive Arbeit. „Es gibt eine Arbeit, die den Wert eines Gegenstandes, auf den sie verwandt wird, erhöht, und es gibt eine andere, die diese Wirkung nicht hat. Jene kann als produktiv bezeichnet werden, da sie einen Wert hervorbringt, diese hingegen als unproduktiv.“ (Smith 1990, 272) „Produktiv ist für Smith dabei jede Arbeit, die einen wiederverkäuflichen Wert schafft: Der Handwerker, der Arbeiter in der Manufaktur oder der Landwirt sind produktiv tätig, weil sie Ware umformen und so deren Verkaufswert erhöhen, kurz weil sie einen Mehrwert schaffen. Dienstboten, Freiberufler, Beamte, Priester, Künstler und Lehrer hingegen sind unproduktiv, da sie keine dauerhaften Werte zu schaffen in der Lage sind. Strittig bleibt allerdings bis in unsere Tage, was hier tatsächlich als produktive Arbeit zu gelten habe.“ (Aßländer 2005, 227)

Adam Smith zum Thema Wertschöpfung (1776)

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1 Die Kategorien des Lean Managements „Je mehr Menschen arbeiten, je mehr sie arbeiten und auf je höherem Preisniveau die so gefertigten Güter handelbar sind, desto höher ist die Fähigkeit der Bevölkerung, Steuern zu zahlen – und desto reicher ist der König.“ ( Jean Baptiste Colbert [*1619-1683𐐆])

1.3.8 Zur Kategorie Arbeit „Let’s Work Together“ heisst ein viel beachteter Song der Gruppe Canned Head aus dem Jahr 1969, der von dem legendären Wilbert Harrison stammt. Sein Thema ist ein Loblied auf das Zusammenarbeiten von Menschen. In der Zusammenarbeit wird etwas Positives gesehen. Die in Management und Sozialwissenschaft üblichen Begriffe Gruppenarbeit, Teamarbeit meinen Identisches, allerdings nicht unbedingt mit einer so positiven Konnotation wie in dem Song. Kurzer Abriss zur VerEin Blick auf unser Arbeitsverständnis, dass durch griechische und gewisserung unseres jüdisch-christliche Tradition geprägt ist, zeigt allerdings ein völlig anArbeitsverständnisses deres Bild von Arbeit. Für beide Traditionslinien ist eine eher negative Einschätzung von Arbeit charakteristisch: ◼ In der griechischen Polis war Arbeit die Pflicht der Sklaven. Was der Sicherung des Lebensunterhalts diente, konnte nicht selbstbestimmtes Tun sein, sondern war auferlegter Zwang, unausweisliche Notwendigkeit – und zählte somit zur Domäne der Unfreien. ◼ Auch in der jüdischen Schöpfungsgeschichte galt Arbeit nach dem Sündenfall als Fluch: nach der Vertreibung aus dem Paradies musste der Mensch sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen. Dass Arbeit Mühsal, Not und Pein ist, erkennt man auch, wenn man den Begriff von der Sprache her betrachtet: Arbeit von der Sprache ◼ Das deutsche Wort „Arbeit“ geht auf das Altdeutsche „erebeit“ zuher betrachtet rück und hat die gleiche Wurzel wie arm und Erbe: alleingelassen, mühselig, belastet. ◼ Das englische „labour“ und das italienische „lavorare“ gehen direkt auf das lateinische „laborare“ (leiden) zurück. ◼ Das französische „travailler“ und das spanische „trabajo“ hängen mit „tribuler“ (foltern, plagen) und „tripolium“ (Folterinstrument) zusammen. ◼ Das slawische „rabota“ ist auf die Wurzel „rab“ (Sklaventum) zurückzuführen. Gegenüber der Arbeit war das Höhere und Wertvollere die KonArbeit und Nichtarbeit templation. Arbeit war geradezu als Nicht-Muße definiert: Der Schöpfergott krönte sechs Arbeitstage mit einem Ruhetag, nicht um sich von seinen Anstrengungen zu erholen, sondern um das Werk zu betrachten und zu sehen, dass es resp. er gut war. Schließlich heiligen die Zehn Gebote die Nicht-Arbeit, den Feiertag, aber nicht das Arbeiten.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Nachdem sich im Spätmittelalter immer mehr Menschen aus feudalen Verhältnissen (Leibeigenschaft, Hörigkeit, Frondiensten) befreit hatten und bei steigendem Bevölkerungswachstum den „freien“ (d. h. aus Hörigkeit befreienden) Städten eine immer größere wirtschaftliche Bedeutung zukam, wurde die Sorge für die steigende Zahl der Armen, die früher dem Feudalherrn oblag oder durch gottgefällige Almosen der Bessergestellten erfüllt wurde, zur großen ökonomischen Belastung der Kommunen. Um ihrer Fürsorgepflicht zu genügen, mussten die Städte die Armen zur wertschaffenden Arbeit anhalten oder zwingen. Diese veränderte Situation war von einem neuen Verständnis von Arbeit begleitet und ideologisch abgesichert: Arbeit wurde zum Gottesdienst aufgewertet („ora et labora“[Benedikt von Nursia, *480-547𐐆]), Untätigkeit und Müßiggang wurden als Laster gebrandmarkt; jeder hatte an dem Platz, an den ihn Gott gestellt hatte, seine Pflicht zu erfüllen. Im 13. Jahrhundert gab es etwa 100 Feiertage, dazu 52 Sonntage, die der religiösen Sammlung dienen sollten (Stengel 1997, 298). Im Calvinismus wurde Arbeit entsprechend als sittlicher und ehrenvoller Teil christlicher Lebensführung herausgestellt. Der Protestantismus unterstützte damit die Prinzipien der Arbeitsorganisation und Berufszugehörigkeit (Max Webers These vom Geist des Protestantismus). Mit dem Zerfall des mittelalterlichen Zunftwesens und der Entwicklung des Kapitalismus (Verlagssystem, Manufaktur, Fabrik) beschleunigte sich der Zentralisierungsprozess. Es wurde nötig, die Arbeiter an „industrielles“, d. h. methodisches, exaktes und zuverlässiges, an Fertigungsorganisation und -technologie ausgerichtetes Handeln zu gewöhnen. Die Motivation zur Arbeit erfolgte mehr durch Armut als durch Zwang. Eine reale Verbesserung der Lage aber verdankt sich nicht diesen humanistischen Appellen, sondern einer Konstellation ineinandergreifender Ursachen: Vor allem wurden die Arbeiter als Konsumenten entdeckt; dies beschleunigte die Verbesserung der Massenkaufkraft und ermöglichte die Ausweitung der Produktion. Belegt ist das inzwischen durch die Realität aber auch schon früher in vielen Aussagen von Henry Ford, wie zum Beispiel hier zum Modell T (Ford 1923, 84): „Ich beabsichtige ein Automobil für die Menge zu bauen. Es wird groß genug sein, um die Familie mitzunehmen, aber klein genug, dass ein einzelner Mann es lenken und versorgen kann.

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„Man darf aber nicht übersehen, dass sich neben der abstrakten Arbeit immer auch noch die traditionellen handwerklich-bäuerlichen Arbeitsformen erhalten haben. So unterschied Hannah Arendt zwischen einem ’animal laborans’ und dem ’homo faber’, dem Handwerker, der etwas für ihn Sinnvolles und Sinnfälliges herstellt.“ (Stengel 1997, 23)

Wertschaffende Arbeit

Arbeit im Protestantismus

Arbeit wozu?

Arbeit und Konsumtion – Das Beispiel Auto bei Ford

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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Ausführungen zur Einbettung des Arbeitsbegriffs in der japanischen Wirtschaft

Japanische Unternehmen

… Trotzdem wird der Preis so niedrig gehalten werden, dass jeder, der ein anständiges Gehalt verdient, sich ein Auto leisten kann, um mit seiner Familie den Segen der Erholung in Gottes freier, reiner Luft zu genießen.“ Dieser geraffte Überblick verdeutlichte ansatzweise die sozio-ökonomische und kulturelle Einbettung des Arbeitsbegriffs in die Sozialund Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit (ausführlicher hierzu Aßländer 2005). Der in Japan üblichen Auffassung von Arbeit wird man damit nur marginal gerecht; auf eine ähnliche Längsschnittbetrachtung für Japan kann nicht zurückgegriffen werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass der Arbeitsbegriff in weiten Teilen anders besetzt ist. Welche „Gestalt“ hat Arbeit in Japan, welche in japanischen Produktions-/Managementsystemen? Die folgenden Ausführungen versuchen zunächst eher die kulturellen Voraussetzungen zu bestimmen, um dann den Arbeitsbegriff zu explizieren. Denn nur die Betrachtung der Phänomene der japanischen Gesellschaft vermag dem Arbeitsbegriff näher zu kommen. Zunächst ist festzustellen, dass es kaum Vorbilder für die Industrialisierung in Japan gab. Man lernte sie durch Exkursionen ins Ausland kennen; auch lud man fremde Berater ins eigene Land ein. Sehr oft ging die Initiative vom Staat aus, der selbst Industrieunternehmen gründete. Später wurden sie in private Hände gelegt. Da der Staat nur ein relativ geringes Sozialbudget seinem Volk bietet, verpflichten sich die Unternehmen viele Sozialleistungen zu erbringen. So ist dasjenige Unternehmen in der öffentlichen Gunst am Höchsten, das hier die Nase vorn hat, geht es doch vor allem auch um Kosten für Bildungsmaßnahmen, die der Einzelne nicht tragen kann (Schneidewind 1991, 13f). „Die Unternehmen möchten so japanisch als möglich und so tief in den Herzen der Mitarbeiter verankert als erreichbar sein.“ (Schneidewind 1991, 15) Insgesamt scheint das ganze Leben eines Japaners, ob im Unternehmen oder außerhalb des Unternehmens stärker als im Westen sozialen und kulturellen Zwängen zu folgen, „rituellen Bräuchen und Befolgung von Autorität gemäß der nationalen Pyramide vom Tenno an abwärts bis zur Nummer 123.00.001“ (Schneidewind 1991, 21). Ob das im modernen, zunehmend von der jüngeren japanischen Generation geprägten Japan weiterhin angenommen werden kann,

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„Insbesondere das Management der japanischen Unternehmen gewinnt viel Motivation aus der Tatsache, dass es zwar fürsorglich beraten wird, jedoch in seinen operativen Entscheidungen absolut frei bleibt. Diese hohe Motivation übertragen sie auf die Mitarbeiter.“ (Schneidewind 1991, 13)

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

bedarf einer fundierten Einschätzung, die hier nicht geleistet werden kann. Schneidewind kommt jedenfalls zu dem Schluss (1991, 21): „Diese hierarchische Gliederung der gesamten Gesellschaft mit der Akzeptanz von Über- und Unterordnung gemäß Seniorität oder elitärer Autorität führt auch zu gleichen Meinungsäußerungen über die jeweils aktuellen Themen und Probleme.“ Ob sich damit ein Mythos der Einmaligkeit der japanischen Nation verbindet, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, liest man ergänzend die Rede des bekannten Unternehmers Matshushita KŌnosuke, dessen Aussagen zum japanischen Mitarbeiter darin ja fast als eine anthropologische Konstante erscheinen (siehe unten). So ist mit der Formulierung „der Intellekt aller Mitarbeiter“ wohl den Gruppengeist angesprechen, den man immer wieder mit der Besonderheit japanischer Mentalität verbindet. Im weniger emotionsgeladenen Buch von Pascale/Athos zu Geheimnis und Kunst des japanischen Managements liest sich das tendenziell ähnlich (Pascale/Athos 1982, 102): „Wir glauben, dass das Wesen des japanischen Erfolgs auf diesen Gebieten (Entwickeln menschlicher Fähigkeiten) seinen Ursprung in Vorstellungen haben, die eine große Wichtigkeit für das Leben selbst besitzen. Erstens akzeptieren Japaner Ambiguität, Unsicherheit und Unvollkommenheit in viel stärkerem Maß als eine Gegebenheit des organisatorischen Lebens. So ist es nur konsequent, dass ihre Personalpolitik

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Wir werden siegen: Wir werden siegen, und der industrielle Westen wird verlieren. Es gibt nicht viel, was Ihr im Westen dagegen tun könnt, denn die Ursache Eures Niederganges liegt in Euch selbst. Eure Firmen basieren auf dem TaylorModell, Euer ganzes Denken ist tayloristisch. Bei Euch denken die Bosse, und die Arbeiter führen nur aus. Ihr glaubt, dass dies die beste Führungsmethode ist. Sie glauben fest daran, dass gutes Management Führungskräfte auf der einen und Arbeiter auf der anderen Seite bedeutet: d.h. einerseits Menschen, die lediglich arbeiten. Management ist die Kunst, die Ideen der Führungskräfte problemlos in die Hände der Arbeiter zu legen. Wir haben das Taylorsche Stadium überwunden. Wir sind uns bewußt, dass das Geschäft fürchterlich kompliziert geworden ist. Das Überleben ist sehr ungewiß in einer Umgebung, die voller Risiken, Unerwartetem und voller Wettbewerb ist. Um zu überleben, muß sich eine Firma deshalb immer des fortwährenden Einsatzes all ihrer Beschäftigten sicher sein. Für uns bedeutet Management der Einsatz des gesamten intellektuellen Potentials der Belegschaft zum Nutzen der Firma, ohne selbstauferlegte funktionelle oder klassenbedingte Schranken. Wir haben uns ein Bild von den neuen technologischen und ökonomischen Herausforderungen gemacht. Daher wissen wir, daß die Intelligenz einiger Technokraten – selbst wenn sie über außerordentliche Fähigkeiten verfügen – nicht ausreicht, diese Herausforderungen anzunehmen. Nur der Intellekt aller Mitarbeiter ermöglicht es einer Firma, alle Höhen und Tiefen zu meistern und den Anforderungen ihrer neuen Umgebung zu entsprechen. [KŌnosuke Matshushita, aus einer Rede vor amerikanischen Führungskräften im Jahr 1988. In: Matshushita, K.: Sayings of KŌnosuke Matsushita. Kyoto (PHP Institute) 1993. – Auszugsweise auch in Managermagazin 01 (2001)]

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Zur Einmaligkeit der japanischen Nation

„Trotz des relativ hohen Alters des japanischen Top Management sind die Unternehmen recht aggressiv. Das kommt daher, dass man auf diese Weise die Ideen und die Dynamik der jüngeren Mitarbeiter ausschöpft.“ (Shinŏda 1979, 419) el

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Matshushita KŌnosuke (*1894-1989𐐆)

1 Die Kategorien des Lean Managements

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und ihre Fähigkeit im Umgang mit Menschengruppen (wie auch im Umgang miteinander) ganz andere Grundlagen hat als unsere. Zweitens betrachten sich die Japaner selbst in weit größerem Maß als voneinander abhängig. Deshalb sind sie bereit, viel mehr in Menschen zu investieren und auch in die Fähigkeit, miteinander Leistungen zu erbringen.“ Also doch nichts dem japanischen Menschen Vorgegebenes, Inhärentes, sondern Elemente einer kulturellen und in Sozialisationsprozessen erfolgte Überformung, die besonders in den Unternehmen institutionalisiert ist, wie das folgende Beispiel lehrt (Pascale/Athos 1982, 102): „… Man stellt junge Leute von einundzwanzig Jahren ein, die Einpassung des Mennoch offen und formbar sind, und diese fangen auf der unterschen in das Unternehmen sten Stufe an. Sie werden dazu gebracht, an das System zu glauben und sich nach dessen Regeln zu richten. Unsere wirklich hervorragenden Firmen zeichnen sich durch peinlich genaue Einhaltung solcher Details aus. Im Laufe der Zeit werden diejenigen, die in der Firma bleiben, Teil einer separaten Kultur, in welcher ein gegenseitiges Verständnis, Geschäfte zu machen es wesentlich erleichtert.“ Die japanischen Unternehmen fördern und fordern somit den in eine Gemeinschaft eingepassten Mitarbeiter, dem beträchtliche Privilegien in Aussicht gestellt werden, der zur Stamm-Belegschaft gehört Bedeutung der Stamm-Belegschaft und hochmotiviert seinem Unternehmen dient. Die Mitglieder der für die „Kaisha“ Stamm-Belegschaft stellen ihre gesamte Zeit, Bildung und Anstrengung in den Dienst der „Firma“. Hierin sind sie eher Mitglieder einer Gruppe als Individuen. Die „Kaisha“, so das japanische Wort für Unternehmen, heißt denn auch wörtlich „soziales Beisammensein“. Es bietet dem Individuum als zweite Sozialisationsinstanz nach der Familie „Nestwärme“ im Austausch (ganz im Sinne von George Caspar Homans) gegen Loyalität, Motivation, Identifikation und Integration. Der Stellenwert des Menschen in japanischen Unternehmen

Das japanische Gruppenarbeitssystem in historischer Sicht

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„Was die Entstehung des japanischen Gruppenarbeitssystems angeht, so blicken die Agrarwissenschaftler üblicherweise noch weiter zurück – nämlich fast 1000 Jahre, als das ausgeklügelte Bewässerungssystem der Reisfelder entstand. … Im Gegensatz zum europäischen, trockenen Bewirtschaften der Felder, was von natürlichen Niederschlägen abhängig ist, verließ man sich hier auf künstlich angelegte Bewässerungskanäle, die ein jedes Dorf plante und anlegte. Die strenge Organisation der Dorfgemeinschaft war so lebensnotwendig, dass die individuelle Eigenständigkeit des einzelnen Bauern in Japan drastisch eingeschränkt war. Darüberhinaus weisen viele Agrarwissenschaftler darauf hin, dass unter den von der Natur gegebenen Umständen, in denen schnelle saisonbedingte Veränderungen als normal galten, die kooperative Zusammenarbeit der Gruppe besonders zwingend war, um eine bestimmte Aufgabe innerhalb kurzer Zeit – nämlich bevor sich das Wetter wieder änderte – zu bewältigen. … Diese Faktoren haben also zweifellos zur Entwicklung von Japans gruppenorientierter Kultur beigetragen und wurden später in den Fabriken nur übernommen.“ (Quelle: Tominomori 2000, 21)

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Die Identifikation mit den Wert- und Zielvorstellungen des Unternehmens werden „runtergebrochen“ auf die Ebene der Gruppe (Schneidewind 1991, 40): „Die Mitglieder der japanischen Arbeitsgruppen gewinnen ihr Selbstverständnis kaum aus individuellen Leistungen oder speziellem Wissen, sondern aus der Identifikation mit den Wert- und Zielvorstellungen ihrer Gruppe. Dabei wird nicht selten eine eigene Sprache im Betrieb oder sogar seinen Untergruppen entwickelt. … Die Gruppe bildet den Gradmesser des Verhaltens. Eine Nichterfüllung der Gruppenerwartungen erfüllt jedes Mitglied mit Schamgefühl.“ Das alles passiert nicht zufällig aufgrund persönlicher Sympathien, sondern wird durch das Management des Betriebs organisiert (Schneidewind 1991, 39): „In seiner Stamm-Belegschaft gibt es Schichten von Mitgliedern gleichen Eintritts ins Unternehmen, vergleichbarer Ausbildung, desselben Lebensalters und daher mit einer gewissen Gleichstimmung. Sie entwickeln miteinander eine natürliche Spontaneität und eine Annäherung der Auffassungen und Verhaltensweisen, die vergleichsweise leicht auf harmonische Verhältnisse in der Gruppe abzustimmen sind. Solche familienähnlichen Beziehungen werden durch kontinuierliche Kommunikation vertieft; …“ Es ist also festzuhalten, dass Gruppen in der Organisation als Ganzes existent sein müssen, was nicht a priori kulturell vorgegeben ist, sondern in intensiven Sozialisationsprozessen (vom Kind in der Familie zum Erwachsenen im Betrieb) erfolgt. Ein solches bewusst inszeniertes System muss „ständig gepflegt werden“. Es bildet so die Basis für die Harmonie im Arbeitsprozess. Es ist nicht weit hergeholt, dass sich aufgrund dieser speziellen Gruppenkohäsion (-moral) jedes Mitglied sehr wohl überlegt, wie lange es abwesend sein kann (sei es

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„Japanische Arbeitnehmer sind keine willenlosen Lämmer, die in der Herde ihrer Arbeitskollegen friedvoll in ihrem Arbeitsleben aufgehen. Sie sehen Mißstände in ihrem Unternehmen, denken an ihre eigenen Interessen und ziehen auch einen Stellenwechsel in Betracht ... Der Mythos vom Japaner, der sein Privatleben für seine Firma opfert, der voll und ganz in seiner Arbeit aufgeht und damit noch zufrieden ist, ist nur ein Mythos. Die japanische Arbeitseinstellung hat – so wie sie sich anhand zahlreicher Meinungsumfragen der Nachkriegszeit nachvollziehen läßt – nichts Exotisches an sich. Sie erscheint im Gegenteil überaus pragmatisch und von der Einsicht in die profanen Notwendigkeiten des Alltagslebens, wie eben die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, eine darstellt, geprägt“ Quelle: Kolatek, C.: Zur Arbeitseinstellung japanischer Beschäftigter: Das japanische Selbstbild und die Entstehung ‘typisch’ japanischer Arbeitsbeziehungen. In: Adami, N.R. und C. Kolatek: Lebenslust statt Arbeitswut? Moderne Phänomene und geisteshistorische Grundlagen. München 1991, 13 ff.

Die Identifikation mit den Wert- und Zielvorstellungen des Unternehmens werden „runtergebrochen“ auf die Ebene der Gruppe

Wie entsteht Gruppenkohäsion?

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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durch Auslandsaufenthalte oder Urlaub oder Krankheit), um nicht den „Gruppenanschluss“ zu verlieren. So überlegt der Einzelne, ob nicht einen notwendigen Krankenhausaufenthalt in die Urlaubszeit einplant. Bleibt abschließend die Frage, ob es Anzeichen gibt, dass sich die starke und sehr spezielle Arbeitsorientierung der Japaner verändern wird. Zeitreihen-Untersuchungen, die die Haltung (Einstellung) zur Arbeit in Japan thematisieren, weisen auf einen Trend hin, der auf jeden Fall zeigt, dass die Arbeitsorientierung kein Absolutum ist. Die „harte Arbeitsorientierung“ hat sich dieser Untersuchung zufolge (s. Mythen sind archaiAbbildung 1.15) zugunsten einer Balancesituation verschoben: Zusche Versuche, unbenehmend sehen Japaner sowohl in der Freizeit wie auch in der Arbeit greiflich übermächtige ihren Lebenssinn. Diese Forschungsergebnisse basieren auf standarRealitäten, die vom disierten Einstellungsmessungen. Es fehlen qualitative Fallstudien, Menschen nicht kondie zeigen, inwieweit hier mittels Einstellungsmessungen wirklich das trolliert und deshalb „Eingestelltsein“ des japanischen Arbeitnehmers zutreffend nachgeals bedrohlich erlebt werden, identifizierzeichnet wird, dem ja – wie bereits aufgezeigt – nachgesagt wird, dass baren Übermächten er ein „Gruppenmensch“ sei. Oder wird damit ein Mythos beschwozuzusprechen ▶ ren, wie manche behaupten? Abb. 1.15: Arbeit oder Freizeit – worin liegt der „Sinn des Lebens“? ▶ (Angaben in v.H.) Werte: Unter Werten versteht man sinnstiftende, persönliche Grundorientierungen, denen man, konkretisiert über Einstellungen, einen durchgreifenden Einfluß auf das Handeln von Menschen unterstellt. Sie manifestieren sich zwar auf individueller Ebene, sind aber sozial vermittelt über Normen, Erziehung und zum Teil auch über gesellschaftliche Sanktionssysteme wie zum Beispiel die Justiz.

Sinn des Lebens liegt in der arbeitsfreien Zeit Sept. 1972

10

Okt. 1974

15

Sept. 1976

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Nov. 1980

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Sinn des Lebens liegt in der Arbeit und in der arbeitsfreien Zeit

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Sinn des Lebens liegt in der Arbeit

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37 35

Quelle: Lecher, W.: Arbeitsbeziehungen und Freizeit. In: Bobke, M. H. und W. Lecher: Arbeitsstaat Japan. Frankfurt am Main 1990, 101

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Einstellungen (engl. attitude) sind ziel- oder zweckgerichtete Verhaltensbereitschaften. Sie sind nicht angeboren, sondern durch Erfahrung erworbene Zustände; sie stellen ein Ergebnis der Interaktion und Kommunikation des Menschen mit seiner Umwelt dar. Einstellungen werden gelernt. Sie sind recht beständige Dispositionen. Sie sind nicht starr und unveränderlich. Zu ihrer Änderung müssen bestimmte Bedingungen gegeben sein. Inwieweit die durch die Einstellungsforschung erhobenen Ergebnisse (meistens durch standardisierte Befragungen) tatsächlich Einstellungen feststellen ist ein umstrittenes Problemfeld (Einstellungsmessung).

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Was zeichnet nun das Arbeiten in so einem betrieblichen Gruppensystem aus? Wie kann Gruppenarbeit definiert werden? Eine von vielen geteilte Definition geht auf Antoni zurück, der ausführt: Um von Gruppenarbeit innerhalb einer Organisation sinnvoll sprechen zu können müssen die folgenden sechs Kriterien erfüllt sein (Antoni 1996b, 25): ◼ „mehrere Personen bearbeiten ◼ über eine gewisse Zeit, ◼ nach gewissen Regeln und Normen, ◼ eine aus mehreren Teilaufgaben bestehende Arbeitsaufgabe, ◼ um gemeinsame Ziele zu erreichen; ◼ sie arbeiten dabei unmittelbar zusammen ◼ und fühlen sich als Gruppe.“

Gruppenarbeit – Definition

Antoni spezifiziert hieran anschließend gleich drei wichtige Punkte (25f): ◼ Gruppengröße: Sie kann nur in Bezug auf ihren Auftrag optimal erfüllt werden, wobei sich Gruppen mit fünf bis sechs Mitarbeitern am besten eignen, da bei dieser Größe Kommunikationsund Abstimmungsprozesse unter aktiver Beteiligung aller Mitglieder am besten gelingen. ◼ Rein organisatorische Zusammenfassungen von Mitarbeitern oder sogenannte Rotationsgruppen, bei denen sich Mitarbeiter lediglich an unterschiedlichen Arbeitsplätzen abwechseln, sind keine Formen der Gruppenarbeit, da kein gemeinsames Ziel, bzw. keine Interaktion und keine Interdependenzen in der Aufgabenerfüllung vorliegen. ◼ Auch die Zusammenfassung von Mitarbeitern, die am Fließband arbeiten oder von Mitarbeitern an Einzelarbeitsplätzen zu sogenannten Qualitätszirkeln, ist nicht deshalb eine Form der Gruppenarbeit, weil sie Qualitätszirkel genannt werden. Zumindest muss die Regelung der Qualitätsprobleme gemeinsam erfolgen. Gruppenarbeit setzt immer die Bearbeitung einer gemeinsamen Arbeitsaufgabe voraus. Hinsichtlich dieser drei Punkte muss festgehalten werden, dass Gruppenarbeit in ihrer allgemeinen Form genauso wie Arbeit schlechthin als die methodische, regelgebundene und regelmäßige, disziplinierte Auseinandersetzung mit einem Objekt zu bestimmen ist. Dabei darf die Einbettung in einen je spezifischen organisatorischen Zusammenhang und die unternehmerische und produktionswirtschaftliche Zielsetzung nicht aus den Augen gelassen werden: Beschaffen, Erzeugen bedürfnisbefriedigender Güter. Die autonome Arbeitsgruppe ist damit eher ein Grenzfall von Gruppenarbeit. Kleingruppen werden oft als teilautonome Arbeitsgruppen in den Betrieben charakterisiert, die in das betriebliche Führungssystem eingebunden sind.

„Menschen können nur in kleinen, überschaubaren Gruppen sie selber sein.“ (E. F. Schumacher, in „Small is beautiful“)

Gruppenarbeit ist genauso wie Arbeit als die methodische, regelgebundene und regelmäßige, disziplinierte Auseinandersetzung mit einem Objekt zu charakterisieren.

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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Herbert Spencer (*1820-1903𐐆)

Das gruppenorientierte Arbeitssystem japanischer Betriebe beruht auf dehnbaren Grenzen der einzelnen Tätigkeitsfelder

Die Existenz von Kleingruppen wurde erstmals bei der englischen Kriegsmarine beobachtet, wo ein Kutter mit 12 Sitzen, die rechts und links gleichmäßig verteilt sind, jeweils zwei Gruppen bildet: Sechs Mariner auf jeder Seite, die jeweils drei Paare bilden. Es ist erstaunlich, dass die moderne Organisationslehre in ihrem stark funktionsorientierten Denken die sich darin widerspiegelnde organische Gruppenzusammensetzung schlicht übersehen hat. Dabei bedarf es nur eines kleinen Rückblicks in die Geschichte der Soziologie, um auf Herbert Spencer und sein Werk „Study sociological“ (1873) zu stoßen. Darin entwickelte er erstmals den Begriff der Organisation, indem er ihn aus dem biologischen Begriff Organismus ableitet (sozialer Organismus). Bei aller Problematik seines biologistischen Zugriffs zur Gesellschaftstheorie geht Spencer richtigerweise davon aus, dass das bloße Zusammensein von Mitgliedern in einem Betrieb keinesfalls als Organisation bezeichnet werden kann: Es bedarf einer Gruppenstruktur, die sich nicht nur auf die Hierarchie eines Organigramms stützt, sondern auf eine flexibel operierende organische Struktur, aus denen sich heraus die Gruppenzusammenhänge bilden bzw. weiterformen und auch weitergeformt werden. Diese Folgerungen können heute auf die Prozessorganisation bezogen werden, die in ihrer modernen Ausprägung auf einem Wertstromdesign-Management aufbaut. Hier geht es nicht um einen tayloristischen Zuschnitt der Organisation, sondern – im Gegenteil – um die Nutzung des Mitarbeiterpotentials in der Gruppe. Das gruppenorientierte Arbeitssystem japanischer Betriebe beruht auf dehnbaren Grenzen der einzelnen Tätigkeitsfelder. Es gibt nicht das Berufsbilderszenario des deutschen Beschäftigungssystems. Das bestimmende

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„Arbeiter, Angestellte, Beamte müssen arbeiten wollen; dieser Will kann weder durch Kontrolle noch durch gutes Zureden erzeugt werden. Statt dessen gibt es in Arbeitsorganisationen informell, kollektiv geteilte betriebliche Regeln, die bestimmen, welche Leistung von einem Arbeitnehmer erwartet werden darf, und es gibt individuelle Vorstellungen auf Seiten der Arbeitnehmer, was sie für die von ihnen erbrachte Leistung als Gegenleistung von der sie beschäftigenden Organisation erwarten. Dadurch entsteht ein betrieblich spezifisches Geflecht von Erwartungserwartungen: Die Beschäftigten erwarten, dass nicht nur von ihren Vorgesetzten, sondern auch von ihren Kollegen eine ihrer Bezahlung entsprechende Leistung erwartet wird, was einen erheblichen Druck, oder sanfter ausgedrückt: eine erhebliche Motivation erzeugt, diese Leistung auch zu erbringen. Dabei können sie davon ausgehen, dass die Organisation wiederum erwartet, dass sie eine ihrer Leistung entsprechende nicht schriftlich fixierte Gegenleistung erwarten, die mehr umfasst als monetäre Zahlungen, und sie können davon so lange ausgehen, bis ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Solche Erwartungen spielen eine erhebliche Rolle bei der Transformation von Arbeitskraft in Arbeit. Sie erzeugen die Bereitschaft zu arbeiten, die nicht in gleichem Maße durch Anweisung, Kontrolle oder Leistungsanreize sichergestellt werden kann.“ (Quelle: Heiner Minssen: Arbeit in der modernen Gesellschaft. Eine Einführung. Wiesbaden (VS Verlag) 2012, 46f)

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Merkmal des japanischen Arbeitssystems lässt sich wie folgt charakterisieren (Tominomori 2000, 18): „Tatsächlich bekommt ein normaler Arbeiter nicht, wie in der westlichen Welt üblich, eine individuelle Arbeitsplatzbeschreibung. Stattdessen wird von ihm erwartet, dass er sich an einer ganzen Reihe von Arbeitsplätzen engagieren kann. Klar definierte Projekte sind eher bestimmten kleinen Gruppen zugeordnet, die als „Horon“ bezeichnet werden. Unter westlichen Verhältnissen sind Berufe wie Bausteine für eine bestimmte Arbeit geplant.“ Diese Eigenart des japanischen Beschäftigungssystems ist von entscheidender Bedeutung. Sie verlangt dem Mitarbeiter nicht nur ab, was er tun soll, sondern zielt gleichzeitig darauf ab, dass er sich arbeitstechnisch zu profilieren habe (wie arbeite ich?). Diese beiden Pole des Arbeitssystems werden ergänzt um eine dritte – meistens auf den Markt bezogene – Komponente: wer ist mein Kunde? Abbildung 1.16 zeigt die drei Komponenten von Arbeit in einer offenen Perspektive: ◼ Wie arbeite ich/Wie arbeiten wir in der Gruppe? ◼ Was arbeite ich/Was arbeiten wir in der Gruppe? ◼ Wer ist mein Kunde/Wer ist unser Kunde in der Gruppe? Die Skizze mag einen simplen Zusammenhang verdeutlichen wie er sich auch im westlichen Beschäftigungssystem finden lässt. Diese Ansicht greift jedoch zu kurz. Während das WER? auf den Markt ge-

WAS?

WIE?

Arbeit WER?

Die Transformation von Arbeitskraft in Arbeit Das Problem: Ausgangspunkt aller Analysen von Arbeit ist die Transformationsproblematik. Damit ist die Transformation von Arbeitskraft in Arbeit gemeint. In den Betrieben muss die Differenz zwischen Arbeitskraft und Arbeit bewältigt werden, das heißt die Differenz zwischen der Fähigkeit zu arbeiten und der Entäußerung dieser Fähigkeit, also tatsächlicher Arbeit; schließlich bedeutet die Fähigkeit zu arbeiten keineswegs, dass auch wie gewünscht gearbeitet wird. Sowohl westliche wie auch japanische Betriebe haben mithin das ständige Problem zu lösen, das Arbeitsvermögen in wirkliche Arbeit umzusetzen, und vor allem: in möglichst viel, möglichst engagierte und optimal an den betrieblichen Zielen ausgerichtete Arbeit umzusetzen. Arbeitskraft ist ein ganz spezieller Produktionsfaktor, der sich von anderen wie Kapital und Boden dadurch unterscheidet, dass er ein (in bestimmten Grenzen) mit kreativen Fähigkeiten ausgesttates Potential ist, das für eine im Voraus nicht vollständig bestimmbare Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten offen ist. Arbeitskraft ist ein Versprechen, dessen Realisierung durchaus ungewiss ist, das aber in Gewissheit überführt werden muss. Die Frage ist, wie aus der Kontingenz der Transformation Eindeutigkeit wird.

◀ Abb. 1.16: Das Arbeitsdreieck WIE, WAS, WER?

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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KVP = Kontinuierlicher Verbesserungsprozess = CIP = Continous Improvement Process = KAIZEN ▶

Erhalten und Verbessern Standards = Definition „In Japan bedeutet Management Erhalten und Verbessern von Standards.“ (Imai 1986, 307)

richtet ist, ist das WIE? keineswegs eine direkt auf die konkrete Anwendung der Arbeitsmethode (wie feile ich? wie schraube ich? wie telefoniere ich? etc.) Bezugseinheit, sondern bezieht sich auf die Gesamtaufgabe von Gruppenarbeit, wo sich auf der untersten Ebene der Organisation nicht länger der einzelne Arbeitsplatz bzw. die Einzelarbeit findet, vielmehr ist es die Arbeitsgruppe als Funktions-/Prozesseinheit ( Jäger 1999, 67), deren Aggregationsniveau das „Letztelement“ der Arbeitsorganisation bildet ( Jäger 1999, 68): „Dieses Element realisiert den neuen Grundgedanken der Organisation der Arbeit als Gruppenarbeit, die Beschäftigten als Gestalter ihres Produktions- und Arbeitsprozesses einzusetzen. Im KVP sollen die Mitarbeiter ihre Kompetenzen, Erfahrungen und Ideen bezüglich der Arbeitsaufgaben, -methoden und -mittel ihres Fertigungsabschnittes einbringen, um den Produktionsprozess eigenständig zunehmend reibungsloser zu gestalten. Wurden bisher Verbesserungen durch Innovations- und Wertanalysesysteme und das Vorschlagswesen sporadisch, also diskontinuierlich vorangebracht, so geht es nun im KVP um eine endlose Folge von kleinen gemeinsamen Schritten, die einen selbstverständlichen Bestandteil der täglichen Arbeitsaufgaben ausmachen. KVP ist ein permanenter Neuerungsansatz, in dem jeder für die Optimierung seines Arbeitssystems mitverantwortlich ist. In dieser Prozessfähigkeit sehen diejenigen, die Lean production aus Effizienzgründen präskriptiv vertreten, einen maßgeblichen Erfolgsfaktor dieses Konzeptes. Der KVP wird dann nicht allein als eine Arbeitsaufgabe der Gruppe betrachtet, sondern als eine Grundüberzeugung, die über alle Hierarchien hinweg von allen Beschäftigten geteilt werden müßte, d.h. also zu einer generalisierten Erwartung an alle ausgedehnt.“ Wir bekommen von Gruppenarbeit in der japanischen Arbeitsorganisation ein klares Bild, wenn wir den bereits in Kapitel 1.3.2 eingeführten PDCA-Zyklus hinzuziehen, der ja die Technik darstellt, die im Rahmen von Kaizen angewandt wird. Kaizen ist eine Denkhaltung, die untrennbar mit dem Erhalten und Verbessern erreichter Standards verbunden ist (Imai 1986, 306): „Standards ist ein vom Management festgelegter, für alle Operationen gültiger Satz aus Unternehmenspolitik, Regeln, Direktiven und Richtlinien, der als Handlungsleitfaden allen Mitarbeitern erfolgreiche Arbeitsausführung ermöglicht.“ Standardisierte Arbeit wird bei Toyota als optimale Kombination von Mitarbeitern, Maschinen und Material bestimmt.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

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Verbessern (PDCA-Zyklus)

Erhalten (SDCA-Zyklus)

Aktion (Agieren/ Anpassen)

Aktion (Agieren/ Anpassen)

A Check

C

P D

Do (Durchführen/ Tun)

Plan (Planen)

A Check

C

S D

Standardisieren

Do (Durchführen/ Tun)

Was unter dem Management des Erhaltens und Verbesserns zu verstehen ist lässt sich anhand der beiden Qualitätstechniken des PDCA- und SDCA-Zirkels demonstrieren (Abbildung 1.17): ◼ Der PDCA-Zyklus dient der Verbesserung: Er definiert die grundlegenden Phasen, die bei der Verbesserung (Kaizen) eingehalten werden müssen. ◼ Der SDCA-Zyklus dient der Erhaltung: Er definiert die grundlegenden Phasen, die zur Erhaltung des derzeitigen Status befolgt werden müssen. In Kapitel 1.3.2 wurde der PDCA-Zyklus bereits erläutert. Die Anwendung des SDCA-Zyklus geht dem PDCA-Zyklus voraus; nach dem Grundsatz: Man kann erst etwas verbessern, wenn es standardisiert wurde. Als Basis von Kaizen sind Standards oft Arbeitsanweisungen für Mitarbeiter, die im Tagesgeschäft zu befolgen sind. Imai formuliert das Standardisieren so: „Standardisiere, um ein Wiederauftreten zu verhindern“ (1997, 46); wobei er in unsystematischer Folge einige Beispiele nennt: ◼ Maschinen fallen aus, ◼ das Produktionssoll wird nicht erreicht, ◼ Mitarbeiter kommen zu spät zur Arbeit indem er bemerkt: „Wenn ein Problem also behoben wurde, muss das neue Verfahren mit Hilfe des SDCA-Zyklus standardisiert werden. Geschieht das nicht, ist jeder weiterhin damit beschäftigt, die Brandherde zu löschen.“ (1997, 46) Standardisierung stellt folglich sicher, dass die Verbesserung auf Dauer wirksam bleibt. Die erste Frage lautet also „Haben wir Standards?“. Wenn ja, kann mithilfe des PDCAZyklus das Problem verbessert werden, wenn nein, muss es standardisiert werden, indem der SDCA-Zyklus angewandt wird. Ein Beispiel mag das illustrieren (Abbildung 1.18):

▲ Abb. 1.17: Verbessern und Erhalten – PDCA- / SDCA-Zyklus

Kurzdefinition eines Standards: Die beste Art und Weise, eine Arbeit zu verrichten!

1 Die Kategorien des Lean Managements

Abb. 1.18: SDCAZyklus – Beispiel Faceto-Face-Verkauf und Telefon ▶

Bei einer Verkaufskette treten sehr häufig Probleme auf, wenn während des Face-to-Face-Verkaufs das Telefon läutet. Die Verhaltensweisen reichen von eingehendes Telefonat ignorieren bis Telefonat annehmen und den Kunden ignorieren/brüskieren. Das Management hatte es dem einzelnen Verkäufer überlassen, nach Gusto zu reagieren. Inzwischen wurde jedoch erkannt, dass es Sinn macht, die Situation zu standardisieren, allein aus dem Grund, um zukünftig ungenützte Verkaufschancen aktivieren zu können. Wie Abbildung 1.18 zeigt, ergriff das Management die Initiative zur Standardisierung des Verkaufsprozesses und vereinheitlichte so in Phase A für alle Mitarbeiter bindend den Verkauf „Verhalten im face-to-face-Verkauf, wenn das Telefon klingelt“. Dieser so entwickelte Standard lässt sich nun verbessern. Hierzu nutzen die Mitarbeiter, indem sie als Gruppen in Qualitätszirkeln zusammenarbeiten, den PDCA-Zyklus. Das Beispiel demonstriert sehr gut, dass es falsch wäre in „chaotischen Situationen“ direkt die Mitarbeiter den Verbesserungszyklus

A Action – Agieren/Anpassen

Standardisieren



Beispiel Verkaufskette: Telefonverkauf versus face-to-face-Verkauf

Aufgrund der Erfahrungen in einer repräsentativen Filiale wird nun der neue Standard „Verhalten im face-to-face-Verkauf, wenn das Telefon klingelt“ in allen anderen Filialen sukzessive eingeführt. Die Einführung erfolgt durch Training on the job durch die Gruppen, die bereits Erfahrungen sammeln konnten.



48



Durch Beobachtung und Protokollierung wird eine Woche geprüft, wie sich der neue Standard bewährt. Die Ergebnisse werden dokumentiert und ausgewertet. Sie bilden die Basis für die Einführung des neuen Standards.



Pretest in einer Filiale: Geschäftsführer und Mitarbeiter im Kundenkontakt üben das neue Verhalten ein, wenn Kunden face-to-face bedient werden und der Telefonanruf unterbricht.



C Check – Prüfen

S

Management legt Standard fest: Beim Verkauf hat das Telefon Vorrang!/Kunden fragen, ob man das Telefonat annehmen kann./ Blickkontakt zum Kunden halten!

Do – Durchführen

D

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

anwenden zu lassen. Es bedarf der Vorgabe durch das Management. das dafür zu sorgen hat (Erhalten), dass der Status Quo definiert ist. Allgemein sollte es in Unternehmen Regelungen (Standards) geben zur Durchführung von gruppenbezogenen Aktivitäten, die einerseits das Erhalten, andererseits das Verbessern betreffen. Ausblick: Es sollte deutlich werden, dass im Focus des Lean Managements die Arbeit in der Gruppe steht. Kleingruppenarbeit ist in Japan selbstverständlich, ja sie ist integraler Bestandteil des Geschehens in japanischen Unternehmen. Gruppenarbeit ist keine Einbahnstraße. Sie wirkt – einmal begonnen – auf das Unternehmen zurück. Sie erzeugt Erwartungen und Ansprüche. Sie trägt nicht nur zum Ergebnis des Unternehmens bei, sondern verpflichtet es auch zu einer Haltung den Mitarbeitern gegenüber. Jedes westliche Unternehmen, das Lean Management einführt, sollte die Aussage von Ohno Taiichi ernst nehmen: „Teamarbeit ist alles!“ (Ohno 1993, 49); Auftrag und Verpflichtung zugleich. Es scheint sich seit den 1990er Jahren ein Trend in Richtung Gruppenarbeit entwickelt zu haben, der u. a. auf den Erfahrungen des Lean Managements aufbaut. Keineswegs sind jedoch die eingeführten Gruppenarbeitskonzepte identisch. Es gibt erhebliche Unterschiede. In diesem Kapitel wurde der Schwerpunkt auf das japanische Gruppenarbeitskonzept gelegt. Das GruppenarbeitsKonzept von Toyota im TPS berücksichtigt nicht nur das Fließband, sondern ist vor allem ein wichtiger Träger der betrieblichen Sozialisation. Speziell japanisch ist an Gruppenarbeit wohl auch der gruppendynamische Aspekt: „Der persönliche Einsatz, d.h. die geistige Beteiligung am Betriebsgeschehen und -leben wird höher eingeschätzt als die materielle Beteiligung.“ (Shinŏda 1979, 421) Als Leitbegriffe können in diesem Kontext angenommen werden: Mitwissen, Mitsprechen, Mitwirken und Mitfühlen. Die Entwicklung der Gruppenarbeit als Form der modernen Arbeitsorganisation war eine Reaktion auf die organisatorischen Schwachstellen des Taylorismus. Der Taylorismus konnte den Ansprüchen der Mitarbeiter nach erfüllender Arbeit nicht gerecht werden, die im Idealfall ganzheitlich arbeiten, d. h. , dass sowohl durchführende als auch kontrollierende, planende und dispositive Teiltätigkeiten in der Gesamtaufgabe enthalten sind. Leider muss gesehen werden, dass Gruppenarbeit auch immer mehr zu einem Etikett wird, hinter dem sich sehr unterschiedliche Konfigurationen verbergen können. Von solchen Negativentwicklungen muss jedoch das Team freigehalten werden, auf das hier nicht eingegangen werden konnte. Abgrenzungen zur Gruppe sind bei manchen Autoren identisch bis fließend (s. LQM 2001, 1145-1149)

Gruppenarbeit ist keine Einbahnstraße

Der persönliche Einsatz, d.h. die geistige Beteiligung am Betriebsgeschen und -leben wird höher eingeschätzt als die materiele Beteiligung.

Der Taylorismus konnte den Ansprüchen der Mitarbeiter nach erfüllender Arbeit nicht gerecht werden

49

1 Die Kategorien des Lean Managements

50

„Die Nestwärme sozialer Beziehungen steigert sich manchmal zur Gluthitze chauvinistischer Borniertheiten.“ (nach Helmut Willke 1998)

1.3.9 Zur Kategorie Organisationskultur

Struktur

Strategie

Systeme Superordinate goals Stil

Skills

Staff

7S-Modell (Pascale/Athos 1982, 245)

Definition von Organisationskultur nach Edgar H. Schein

„Womit wir es zu tun haben, ist eine moralische Krise unternehmerischer Herrschaft, die in dem Maße akut wird, wie das moderne Vertragsdenken und die Ideen von Gleichheit und Demokratie auch in den Betrieb eindringen und die ständischen Grundlagen der Sozialordnung der Unternehmen unterhöhlen. Das Legitimitätsproblem tritt in verschiedenen Gesellschaften in unterschiedlicher Weise auf. Am wenigsten sichtbar ist es in den Ländern des ’konfuzianischen’ Kapitalismus ( Japan, Südkorea, Taiwan), in denen paternalistische oder ’clan’-ähnliche Strukturen der betrieblichen und gesellschaftlichen Sozialordnung sich bis heute erhalten haben …“ So eine neuere soziologische Einschätzung, wenn es um das Thema Kultur des Unternehmens geht (Deutschmann 2002, 132). Greifen wir den in dem Zitat so bezeichneten „konfuzianischen Kapitalismus“ auf, wie er uns beispielhaft im japanischen Unternehmen gegenübertritt. Der Schrittmacher der maßgeblichen Forschung zur Bedeutung kultureller Faktoren im Unternehmen war wohl die Studie „Geheimnis und Kunst des japanischen Managements“ von Pascale/Athos (1981), in der das sog. 7S-Modell formuliert wurde, das schon vorher in der McKinseyCommunity kursierte, und in der Folge dann in der Erfolgsfaktorenstudie „In Search of Excellenz“ von Peters & Waterman (1986) als Untersuchungsraster diente. Unternehmenskultur oder Firmenkultur, englisch: Corporate Culture, wie es die Autoren damals nannten, avancierte seitdem zum Standardthema der Managementlehre, wobei hier der terminus technicus auf Organisationskultur erweitert wird, also auch die Non-Profit-Organisationen einschließt. Die bekannte Definition des Sozialpsychologen Edgar H. Schein deckt diese Erweiterung auch ab: Organisationskultur wird als ein Muster gemeinsamer Grundprämissen verstanden, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.

y Edgar H. Schein (*1928-heute)

Frühe mechanistische Organisationsbilder gingen von einem funktionierenden Apparat oder einer militärisch organisierten Maschine aus. Das Ansinnen, das Verhalten der Beschäftigten über die Inszenierung einer bestimmten „Kultur“ der Organisation zu steuern, ist dennoch kein ganz so modernes Programm, wie ein Blick in die Geschichte militärischer Organisationen zeigt: Indoktrination und Manipulation sind ja keine Erfindungen des 20. Jahrhunderts.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Die Kultur einer Organisation stellt somit eine externe, unternehmerische Freiheitsgrade einschränkende Determinante im Entscheidungsfeld der Führung dar. Führung muss sich an die durch die Kultur vorgeprägte Organisation anpassen. Der Umgebungskultur kommt eine besondere Rolle zu: Sie ist eine Rahmenbedingung. Unternehmen, die im Ausland eine Niederlassung oder ein Werk errichten, haben das Spannungsverhältnis Organisationskultur versus Umgebungskultur zu reflektieren, beeinflussen doch in jedem Fall ökonomische und soziale Rahmenbedingungen die Organisation eines Unternehmens. Der in der Definition von Schein enthaltene Lernbegriff ist auf die kulturellen Anpassungsleistungen von neuen/alten Mitgliedern zu beziehen und meint nicht die kognitiven Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern die Anpassung über affektive/soziale Qualifikationen („Softskills“), die nicht in gleicher Weise lernbar und objektivierbar sind wie fachliche Fertigkeiten und formale Kompetenzen. Die vielfach propagierte Vorstellung einer umstandslosen „kulturellen Steuerung“ durch das Management erscheint so denn doch als problematisches Ansinnen. Die Organisationskultur spannt damit ein unausgesprochenes Interpretationsgeflecht über die Wirklichkeit einer Organisation, das dem Einzelnen Orientierung und Sicherheit für sein Verhalten ermöglicht. Dies geschieht insbesondere dadurch, dass: ◼ die sie einen Selektionsfilter für „sinnvolles“ Entscheiden und Handeln liefert. Subjektiv Wichtiges wird von Unwichtigem getrennt, Interpretationsstandards für die Bewertung interner wie externer Ereignisse als „richtig“ und verbindlich erklärt, ◼ ein einheitliches, wertekonformes Verhalten und Handeln konsistente Erwartungen über das Verhalten der übrigen Organisationsmitglieder schafft und ◼ derartig kollektiv geteilte, bewährte Denkmuster für alle Beteiligten eine „mentale Stabilität“ erzeugen, die auch in krisenhaften Situationen trägt. Dieser gelebte „Geist des Hauses“ prägt dann in erheblichem Maße den Prozess der Problemerkennung und Problemlösung auf allen Stufen der Hierarchie. Damit wird die Organisationskultur zum zentralen Bestimmungsfaktor des Managementpotenzials und legt die Basis für die „Intelligenz“ einer Organisation im dynamischen Entwicklungsprozess.

y

Organisationskultur wird allgemein als veränderlich angesehen, wobei es nicht möglich ist, abschließend und allgemeingültig Ansatzpunkte aufzuzählen. Organisationskultur entsteht durch die geteilten Erfahrungen der Belegschaften und ist nur sehr langsam gezielt zu verändern. Zudem beeinflussen soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, sowie die Struktur und die Strategie der Organisation deren Kultur.

Führung muss sich an die durch die Kultur vorgeprägte Organisation anpassen.

Organisationskultur spannt ein unausgesprochenes Interpretationsgeflecht über die Realität einer Organisation

51

52

1 Die Kategorien des Lean Managements

Bei näherer Betrachtung lassen sich nach Schein drei unterschiedliche Ebenen einer Organisationskultur feststellen, die sich dem externen Betrachter allerdings unterschiedlich deutlich erschließen (vgl. Abbildung 1.19 und 1.20): ◼ Ebene 1 – Die kollektiv gepflegten VerhaltensweiEbene 1 sen, Sitten und Gebräuche schlagen sich in kultuSichtbare Verhaltensweisen rellen Artefakten wie der Architektur der Gebäude, Artefakte, Erzeugnisse, der Büroeinrichtung, den BekleidungsgewohnheiRituale, Mythen usw. ten der Mitarbeiter, dem gepflegten Sprachstil im Innenverhältnis der Unternehmensmitglieder oder gegenüber dem Gast, bestimmten Ritualen (z.B. Mitarbeiter des Monats, Stil der Weihnachtsfeier, Begrüßungsgeschenk für neue Kunden, GeburtsEbene 2 tagsgruß für Stammgäste) u.ä. nieder. Diese sichtStrategische Ziele, kollektive Werte (bekundete Rechtfertigungen) baren Konkretisierungen der Unternehmenskultur dürfen jedoch nicht fälschlicherweise mit ihr gleichgesetzt werden, können sogar – wenn die Institution diese Bekundungen nicht verinnerlicht und in tiefer liegenden Wertestrukturen verankert hat, sondern Ebene 3 lediglich als aufgesetzte Motivations- oder MarkeGrundannahmen: selbstverständliche tingmaßnahmen mehr oder minder überzeugend Anschauungen, Wahrnehmungen etc.; wie auf der „Showbühne“ realisiert – nicht einmal Zeit- und Aktivitätsorientierung Bestandteil der tatsächlich gelebten Kultur sein. ◼ Ebene 2 – Werte steuern auf einer darunter liegenden, schon eher ▲ Abb. 1.19: Dreiunbewussten und damit schwerer analysierbaren Ebene das VerhalEbenen-Modell (Bewußtseinsebenen) der ten der Unternehmensmitglieder. Sie transformieren die genereller Organisationskultur angelegte Tiefenstruktur der originären organisationskulturellen nach Edgar H. Schein Prägung hin zu gelebten, implizit bekundeten Verhaltenmustern („The way things are done around here!“). Hier finden sich grundlegende Einstellungen zum Produkt, zum Kunden, hier ist die Qualitäts- oder Servicementalität verankert, zeigt sich das Menschenbild der Führungskräfte in ihrem gelebten Führungsstil. ◼ Ebene 3 – Die Kultur im eigentlichen Sinne des Wortes wird erst durch grundlegende, von den Organisationsmitgliedern nicht mehr hinterfragte und größtenteils ihnen auch nicht mehr bewußten Annahmen (Grundannahmen) über den Sinn und die Realität der Organisation gebildet. Dies betrifft zum Beispiel die Risikound die Zeitorientierung der Organisationsmitglieder, ihre Einstellung zum Handeln wie zum gefühlten Bedrohungspotenzial durch Wandelprozesse, das als gültig unterstellte Menschenbild wie auch die Einstellung zum Umgang mit Macht. Diese Tiefenstruktur stellt den eigentlichen Kulturkern dar, alle vorgelagerten Stufen sind somit lediglich als Manifestationen dieses Kerns zu interpretieren.

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management ◀ Abb. 1.20: Eisbergmetapher der Organisationskultur (Quelle: Simon 2008, 735)

Artefakte ◼ „Technologien“, z.B. Produkte, Technik, Strukturen, Systeme usw. ◼ „Kunst“, z.B. Baustil, Design, Kleidungsstil usw.

20 % 80 %

◼ „sicht- und hörbare Verhaltensäußerungen“, wie z. B. Sprache, Symbole, Rituale usw.

bekundete Werte

◼ „Präferenzen für Ziele und Zustände“, wie Planungsprämissen, Bewertungsstandards usw. ◼ „Handlungsmaximen und Verhaltensvorschriften“, wie z. B. Kundenorientierung, Qualitätsorientierung, Führungsstil usw.

sichtbar, bewusst unsichtbar, unbewusst

grundlegende Annahmen über: ◼ Realität, Raum und Zeit, wie z. B Objektivität versus Subjektivität, Sicherheit versus Unsicherheit, Zeithorizont, Distanz und Nähe usw. ◼ menschliche Wesensart, wie z. B. Menschenbild, Motive, Fremdheit usw. ◼ menschliche Handlungen, wie z. B. Voluntarismus versus Determinismus usw. ◼ menschliche Beziehungen, wie z. B. die Frage von Vertrauen und Misstrauen, Kooperation und Konkurrenz usw.

Wie jede (gesellschaftliche) Kultur weist auch die Organisationskultur die Neigung zu einer mehr oder weniger intensiven Subkulturbildung auf. Auf der Basis der Gesamtkultur der Organisation entwickeln Teilbereiche wie Abteilungen, Arbeitsgruppen, Funktionsbereiche, Sparten usw. ein eigenständiges, bisweilen stark von der übergreifende Organisationskultur abweichendes Werte- und Wissenspotenzial, beispielsweise begründet durch ◼ die Art der zu bewältigenden Aufgabe und dem damit einhergehenden Spezialisierungsgrad von Abteilungen, ◼ durch den spezifischen Kundenkontakt (z.B. Direktvertrieb, Absatzmittler, Franchisesystem, e-business o. ä.), ◼ durch strukturellen Ballast wie Planungs- und Berichtssysteme oder ◼ durch räumliche Trennung z. B. in Landesniederlassungen oder bei Filialsystemen u. a. Je nach dem Grad der Differenzierung und den dabei freiwerdenden Fliehkräften, die einen erheblichen Abstimmungsaufwand zwischen den Zielen der Subkultur und den Zielen der Organisation erfordern, verursacht dieser mehr oder weniger starke Reibungsverluste und damit eine Verringerung der Effizienz der gesamten Unternehmung. Andererseits kann sich jedoch ein positives Wettbewerbs-

Die aus der Freudschen Psychoanalyse bekannte Eisbergmetapher spiegelt die drei Bewußtseinsebenen von Schein, wie die Beschreibungen in Abbildung 1.20 ansatzweise erkennen lassen. Das Verhältnis folgt der 80/20-Regel.

Sigmund Freud (*1856-1939𐐆)

Probleme der Subkulturbildung

„When we wrong correct us!“

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1 Die Kategorien des Lean Managements

54 Spannungsverhältnis übergreifende Organisationskultur zur Subkultur

Starke versus schwache Organisationskulturen

Wann ist eine Organisationskultur stark/ schwach?

klima zwischen den rivalisierenden Subkulturen nutzbringend für die Unternehmung erweisen. Insbesondere aber bietet die Existenz von Subkulturen durch deren „artspezifische“ Sensibilität gegenüber – für die Unternehmung als Ganzes – zentralen Fragen ein Reaktionspotential, das unter dynamischen Bedingungen den möglichen Verlust von Handlungsfähigkeit abzupuffern versteht und notwendige Änderungsimpulse für die Organisationskultur auszulösen vermag. Diese Leistung ist jedoch nur dann nutzbar, wenn die übergreifende Organisationskultur eine gewisse Bandbreite in der Non-Konformität der kulturellen Prägung – und damit die Existenz von Subkulturen – für zulässig erachtet bzw. sogar fördert. Starke versus schwache Organisationskulturen: Der Wert des Führungspotenzials, das die Kultur einer Organisation zur Problemlösung und damit letztlich zur Sicherung der Handlungs- und Entwicklungsfähigkeit der Unternehmung bereithält, bemisst sich in der Regel nach der Stärke bzw. Schwäche der Unternehmenskultur. Stärke wird dabei überwiegend gleichgesetzt mit einer einheitlichen und intensiven Kulturprägung, die sich in einem prägnanten Wertesystem niederschlägt und über eine Fülle an Symbolen, Ritualen, Geschichten, Kulturträgern (Helden, wie der Firmengründer von Toyota, Toyoda Sakichi), Zeremonien transparent wird. Stärke oder Schwäche als Bewertungskriterien sind jedoch keine absolute, intersubjektive und zeitunabhängige Eigenschaften einer Organisationskultur, sondern: ◼ bemessen sich z.B. nach der Art der Aufgabenstellung, ◼ nach der Stimmigkeit der Organisationskultur an sich sowie ◼ insbesondere gegenüber der bestehenden und intendierten Politik, Strategie und Struktur einer Unternehmung, ◼ werden durch eine Variation des Aufgaben- und Anforderungsspektrums, das von der Unternehmung zu bewältigen ist, relativiert und ◼ schwanken mit der Zusammensetzung der Organisationsmitglieder im Zeitablauf. Tradierte Werte- und Wissensbestände zur Problembewältigung verlieren ihre Geltung, neu eingebrachte und erworbene Werte und Erfahrungen verändern den Charakter der Unternehmenskultur, kurz: Nur eine situationsbezogene Betrachtung der Unternehmenskultur kann eine Beurteilung ihrer Kompetenz im Entwicklungsprozess einer Organisation ermöglichen. Alle Versuche, individuelle Organisationskulturen auf einige wenige Grundtypen zu reduzieren und zu standardisieren, müssen fehlschlagen. Die Bedeutung, die der Organisationskultur für die strategische Entwicklungsfähigkeit einer Unternehmung damit zukommt, pro-

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

voziert in der Konsequenz die Frage nach einer angemessenen, also situationsbezogenen Beeinflussung der Kultur durch die Führung. Auch wenn eine Kultur grundsätzlich menschengeschaffen ist , so lassen die bisher dargestellten Rahmenbedingungen der Kulturbildung – subjektiv, erfahrungsgeleitet, tradiert, informal, unbestimmt usw. – jedoch erkennen, dass die Veränderung einer kulturellen Prägung sich einem rational gesteuerten oder gar beherrschten Gestaltungsprozess weitgehend entzieht, dass sie vielmehr evolutionär spontanen Charakters ist. Ein anzustrebender Kulturwandel ist damit in herkömmlicher Art und Weise, auch bei noch so gewissenhafter und umfangreicher Diagnose der Ist-Kultur nicht im Detail planbar. Mit der Frage nach dem Wandel einer Organisationskultur wird die Führung von Unternehmungen stärker als bei allen bisherigen Fragen zur Strategie- und Strukturplanung in die Pflicht genommen, denn: Die zentrale Größe im Prozess des Kulturwandels stellt die Vorbildrolle der Führungskräfte, allen voran der obersten Leitung einer Unternehmung, dar. Nur ein im Vorbild gelebtes Wertesystem, kann einen evolutorischen Änderungsprozess in Gang setzten. Die neu zu akzeptierenden Werte müssen anschlussfähig an bisherige Erfahrungswelten sein und als wesentlich und tragend auch für das individuellen Arbeitsumfeld empfunden werden. Nur dann verleihen sie auch im Wandel Sicherheit, vermittelt dem Einzelnen ein Gefühl der sozialen Akzeptanz und Geborgenheit. In dem Maße, in dem die erwünschten Kulturelemente einer Organisation ein Klima der Zusammengehörigkeit, des „Wir“-Gefühls zu schaffen in der Lage sind, stimmen sie die individuellen und kollektiven Bedürfnisse und Motive der Mitarbeiter aufeinander ab und erzeugten Loyalitäts- und Identifikationspotenziale, schaffen eine

y

„Die in vielen Management-Textbüchern propagierte Vorstellung eine ’kulturellen’ Steuerung des Verhaltens der Firmenmitglieder läuft … auf eine oft recht verkürzte Gleichsetzung von ’Kultur’ mit Indoktrination oder gar Manipulation hinaus. In einem soziologisch differenzierten Sinn ist Kultur als symbolische Ordnung der Wirklichkeit zu verstehen. Sie ist gerade kein ’Instrument’ des Managements oder irgendeines anderen Akteurs, sondern entsteht unwillkürlich durch die Geschichte des Unternehmens. Sie ist weder homogen, noch konsistent, sondern besteht aus einem Reservoir unterschiedlicher, nur lose gekoppelter Sinnsysteme, die kontextspezifisch aktualisiert werden. Daher kann auch der Anspruch einer ’festen Koppelung’ von Kultur und Handeln nicht aufrechterhalten werden. Kultur beeinflusst Handeln nicht im Sinne des Verhältnisses von Ursache und Wirkung, sondern ermöglicht Handeln gerade dadurch, dass sie Alternativen und Spielräume eröffnet. Organisationskulturen lassen sich daher nicht von außen her installieren und auf den Unternehmenserfolg hin funktionalisieren. Sie sind zwar … gewiss kein ’Naturschutzpark’. Aber zielorientierte Veränderungen sind nur von ’innen’ heraus möglich. Das erfordert Geduld und vor allem Selbstreflexion der Beteiligten – Voraussetzungen, die in dem durch hierarchische Abhängigkeiten und Leistungsdruck geprägten Klima der Unternehmen nur selten gegeben sind. Die Debatten um ’Organisationskultur’ und ’lernende’ Organisationen signalisieren zweifellos den wachsenden Bedarf der Unternehmen nach Kommunikation und Diskurs. Aber: Aus dem Bedarf nach Diskurs allein entsteht noch nicht die Fähigkeit, ihn auch wirklich zu führen.“ (Quelle: Deutschmann 2002, 138f)

Die zentrale Größe im Prozess des Kulturwandels stellt die Vorbildrolle der Führungskräfte dar.

Christoph Deutschmann (*1946-heute) Einer der wenigen deutschen Sozialwissenschaftler, der sich intensiv mit dem japanischen Arbeitssystem befasst hat.

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1 Die Kategorien des Lean Managements

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Hymne von Toyota

5. Leitsatz des Unternehmensleitbilds von Toyota

überindividuelle Sinngemeinschaft, an deren allgemein akzeptierten Werten der einzelne wie die Gruppe sein bzw. ihr Handeln und Denken ausrichten kann und schaffen eine Basis des gegenseitigen Vertrauens: Die Organisationskultur wird zum Erfolg bestimmenden, sozial integrierenden Orientierungsmuster. Dieses Potenzial scheint in der Kultur von Toyota angelegt zu sein, und das nicht nur statisch, sondern dynamisch wachsend (Kaizen). Dabei wird der menschliche FaktorMotor besonders betont (HumansysLeitsätze der Toyota Company tem). Er steht im Mittelpunkt. Die Arbeit ist Dienst im Unternehmen 1. zugleich Wir ehrenDienst die Sprache Geist der Gesetzgebung jedes und und an und der den Schicksalsgemeinschaft desLandes japanischen achten auf offene und faire Unternehmensaktivitäten, um ein guter Bürger Volkes, wie es die Hymne von Toyota deutlich werden lässt: der Weltgemeinschaft zu sein. heran! die Sitten und Gebräuche jedes Landes und leisten durch 2. Kommt Wir respektieren Schulter an Schulter. in unserer jeweiligen Standortgemeinde einen Unternehmensaktivitäten Beitrag wirtschaftlichen Das Landzurunserer Väter und gesellschaftlichen Entwicklung. 3. istWir bekennen uns zu umweltgerechten immer fortschrittlich gewesen. und sicheren Produkten und zur Verbesserung der Lebensqualität, und zwar an jedem Standort und in all Toyota! Toyota! unseren Aktivitäten. Weniger theatralisch, aberfortgeschrittene schon verpflichtend heißt in Para4. Wir erfinden und entwickeln Technologien undes bieten graphherausragende 5 der aktuellen Leitsätze der Toyota Motor Produkte und Dienstleistungen, die dieCorporation: Bedürfnisse unserer Kunden weltweit erfüllen. Wir fördern eine Unternehmenskultur, die die Kreativität jedes Einzelnen und den Wert der Teamarbeit steigert und gleichzeitig gegenseitiges Vertrauen und Respekt zwischen den Mitarbeitern und der Unternehmensführung schafft. 6. Wir verfolgen Wachstum in Harmonie mit der globalen Gemeinschaft, und zwar innovatives Auf derdurch anderen SeiteManagement. stellt Toyota aber auch hohe Ansprüche an 7. Wir arbeiten mit Geschäftspartnern in der Forschung und Entwicklung seine zusammen, Mitarbeiter, damit sie ihren Beitrag leisten und ihren Platz in um ein stabiles, langfristiges Wachstum und beiderseitigen der Geschichte des Unternehmens Dieses Nutzen zu schaffen, während wir uns einnehmen. gleichzeitig offen halten Interesse für neue von Toyota an seinen Mitarbeitern ist mehr als ein Lippenbekenntnis in Partnerschaften. 5.

einem Leitbild. Die Mitarbeiter sollen mit dem Unternehmen wachsen und Lernen. Ganz im Sinne einer Lernenden Organisation.

y

Trugschlüsse zur Unternehmenskultur (1) Eine starke Unternehmenskultur garantiert Erfolg (2) Die Kultur eines Unternehmens läßt sich an seiner äußeren Erscheinung ablesen (3) Eine exponierte Person ist immer Träger der Unternehmenskultur (4) Unternehmensidentität und Unternehmenskultur sind dasselbe (5) Werbeslogans können als Kulturslogans eingesetzt werden (6) Die Mitglieder einer Organisation können dessen Kultur zutreffend beurteilen (7) Unternehmenskultur besteht in kultiviertem Verhalten (8) Die Diagnose der Unternehmenskultur ist eine ausschließlich externe oder interne Aufgabe

(9) Bestimmen der IST-Kultur bedeutet Verstehen der IST-Kultur (10) Unternehmenskultur ist ein statisches Problem (11) Das Gesamtunternehmen hat eine homogene Kultur (12) Unternehmenskultur und Strategie sind identisch (13) Die IST-Kultur passt sich spontan der SOLL-Kultur an (14) Aus einer guten Unternehmenskultur folgt kein Handlungsbedarf (15) Kulturveränderung ist eine operative Einzelmaßnahme (16) Kulturmanagement kann mit internen Ressourcen betrieben werden (Quelle: LQM 2001, 669)

1.3 Das übergeordnete kategoriale Grundgerüst zum Lean Management

Jeder Mitarbeiter hat diese Mission verinnerlicht, die er nicht nur spürt, sondern die Ihnen auch in Trainings durch ihre japanischen Mentoren (sensei) vermittelt wird (Liker 2006, 116): „Tun, was für das Unternehmen, seine Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft als Ganzes richtig ist. Toyotas ausgeprägter Sinn für seine Mission und seine Bekenntnis zu seinen Kunden, Mitarbeitern und zur Gesellschaft ist die Basis aller anderen Prinzipien und das Element, das den meisten Unternehmen, die Toyota zu kopieren versuchen, fehlt.“ Wenn man gerade die letzten Ausführungen Revue passieren lässt und die Frage stellt, was denn die Rede von der „japanischen Invasion“ inhaltlich meint, die die westlichen Automobilunternehmen in besorgniserregende Situationen brachte, so scheinen es doch wohl vor allem die kulturellen Elemente des Toyota-Wegs zu sein, die bei Toyota in unnachahmlicher Weise in hoher Konsistenz dauerhaft gelebt werden. Hier – im kulturellen Bereich – müssen die Nachahmer tätig werden, wenn sie sich verbessern wollen, nicht mit den zum wiederholten Male zu den noch so ausdifferenzierten Qualitätstechniken greifen, wie es die allermeisten Fachbücher zum Lean Management nahelegen. „Problematisch wird es jedoch, wenn das Verständnis für den größeren kulturellen Zusammenhang fehlt, der es ermöglicht, dass sich dieser Vorgang bei Toyota wiederholt und unternehmensweit vollzieht.“ (Liker/Hoseus, 2009, 62) So führt uns die Organisationskultur als Abstraktum direkt zum Mitarbeiter, dem Konkretum. Aus systemtheoretischer Sicht ist es richtig von einem Humansystem-Modell zu sprechen. Das Humansystem spielt die tragende Rolle in der Organisationskultur von Toyota. Es ist gewissermaßen die andere Seite der Medaille zum TPS. Abbildung 1.21 (Folgeseite) zeigt das Humansystem als Prozess. Modelliert ist – vom Input ausgehend – der Mitarbeiter-Wertstrom, wie er sich in vier Phasen entwickelt (Mitarbeiter werden gewonnen, entwickelt, engagieren und inspirieren sich). Das Ergebnis ist der durch die betriebliche Sozialisation beeinflusste Mitarbeiter, der auf der Basis gemeinsamer Werte (Leitbild) in Gruppenzusammenhängen arbeitet, indem er sich bemüht Verschwendung zu vermeiden und sich und seine Arbeit kontinuierlich verbessert. Die Mitarbeiter stehen nicht allein da. Zu den Führungskräften bei Toyota heisst es (Liker/Hoseus 2009,85): „Bei Toyota müssen die Führungskräfte einen radikal ehrlichen Umgang mit der Realität der Kultur und dem herrschenden Verbesserungsbedarf pflegen. Das Erfordernis, Probleme zu lösen, gilt für den Bereich der Kultur ganauso wie für den der Produktion.“

Tun, was für das Unternehmen, seine Mitarbeiter, Kunden und die Gesellschaft als Ganzes richtig ist

Wo müssen die Nachahmer von Toyota ansetzen?

Das Humansystem von Toyota als Prozess

Mitarbeiter-Wertstrom

Bedeutung der Führungskräfte

57

Abb. 1.21: Humansystem-Modell der Organisationskultur von Toyota (Nach Informationen von Liker/Hoseus 2009, 76ff)

Inputs

Philosophie und Werte, Partnerschaften, Prinzipien des Toyota-Produktionssystems, qualifizierte Mitarbeiter

▶ Mitarbeiter gewinnen

Mitarbeiter entwickeln

Mitarbeiter engagieren sich

Mitarbeiter sind inspiriert

qualitätsorientierter Mitarbeiter-Wertstrom 1 gewinnen

◼ Anwerbung ◼ Auswahl ◼ Erste Orientierung Ergebnis: zum Training geeignet

2 entwickeln

◼ Rollen ◼ Training/Coaching ◼ Entwickeln on the job Ergebnis: fähig

3 engagieren

◼ Standards befolgen ◼ Standards verbessern ◼ Problemlösung ◼ Identifikation mit der Gruppe Ergebnis: produktiv

4 inspirieren

◼ die Toyota-Werte annehmen ◼ Integration in die Gemeinschaft ◼ Umwelt ◼ Identifikation mit Toyota Ergebnis: dem Unternehmen verbunden

Outputs

Qualitätsorientierte Mitarbeiter arbeiten auf der Basis gemeinsamer Toyota-Werte zusammen und streben nach Vermeidung von Muda und kontinuierlicher Verbesserung

Zweck

Langfristiger allseitiger Wohlstand durch die pünktliche Produktion qualitativ hochwertiger Produkte zu niedrigen Kosten

Respekt gegenüber anderen / Muda und kontinuierliche Verbesserung mittels SDCA- und PDCA-Zyklus

1 Die Kategorien des Lean Managements

58

1.4 Zusammenfassung

59

„Wir lernen weit mehr aus Mißerfolgen als aus Erfolgen. Oft finden wir heraus, was funktioniert, indem wir herausfinden, was nicht funktioniert. Und wahrscheinlich hat derjenige, der nie einen Fehler gemacht hat, auch nie eine Entdeckung gemacht.“ (Samuel Smiles)

1.4

Zusammenfassung

In diesem Kapitel konnte zur Erkenntnis gelangt werden, dass es sich beim Qualität-Zeit-Kosten-Dreieck um eine verkürzte Sicht auf die Faktoren handelt, die oft als die Kräfte für den Erfolg gelten. Es konnte gezeigt werden, dass ergänzende Kategorien für ein umfassendes Bild einzuführen sind. Acht Kategorien bilden die oberste Analyseebene des Lean Managements. Hier sind sie noch einmal mit ihrer Bedeutung für das Lean Management genannt: Kategorie ◼ Qualität ◼ Zeit ◼ Raum ◼ Kosten ◼ Muda ◼ Wertschöpfung ◼ Arbeit ◼ Kultur

Bedeutung im Lean Management Beste Qualität – Kontinuierliche Verbesserung Just in Time: wann benötigt So nahe wie möglich So gering wie möglich: Sparsamkeit Verschwendung vermeiden Wertstrom gestalten Fokus auf Gruppenarbeit Humansystem im Fokus

Welche Ausformungen (Skalierung) diese Kategorien erfahren werden, hängt von den Forderungen an sie ab, wie sie vom Management formuliert werden. Die Ausführungen in diesem Kapitel haben durchgängig das Produktionssystem von Toyota vor Augen gehabt, das sich nach wie vor in einem dynamischen Entwicklungsprozess befindet. Je nach Entwicklungsstand der Organisation werden andere Werte und Wertbeziehungen zwischen den Kategorien auszuweisen sein. Zu beachten ist, dass es sich um einen kontinuierlichen (nie endenden) organisatorischen Gestaltungsprozess mit dem Zentrum „Forderungen des Managements“ handelt. Raum

Zeit Qualität

Kosten

Forderungen Wertschöpfung

Kultur Muda

Arbeit

⟢⟡⟣

Die bewerteten acht Kategorien für das Lean Management im Überblick

In welchem Maße die einzelnen Kategorien des Lean Managements zum Zuge kommen bestimmt sich durch die Forderungen, die das Top Management setzt.

1.5 Mindmap zur Rekapitulation

60

1 Qualität, Zeit, Kosten 2 Kategoriales Denken

K Organisationskultur

A Arbeit

W Wertschöpfung

Kategorien des Lean Managements

M Muda

Q Qualität

Z Zeit

R Raum K Kosten

2

Die Frohe Botschaft und ihr Objekt

Profil Toyota Motor Corp.: Toyota Motors ist der größte japanische Fahrzeughersteller und nimmt auch auf dem internationalen Markt eine führende Position ein. Die Produktpalette umfasst Personenwagen, Minivans, Jeeps, Luxuslimousinen und Trucks, die unter den Marken Toyota, Lexus und Daihatsu vertrieben werden. Ende Juli 2012 gab der Konzern bekannt, im Bereich leichte Nutzfahrzeuge ab dem zweiten Quartal 2013 mit PSA Peugeot Citroën zu kooperieren. Dabei wird PSA Peugeot Citroën Toyota mit leichten Nutzfahrzeugen beliefern, die in Europa unter dem Logo von Toyota verkauft werden sollen. Eine Zusammenarbeit vereinbarte der Konzern auch mit der Mazda Motor Corporation: demnach wird Mazda in Mexiko Autos für Toyota produzieren. Die Fahrzeuge sind vorwiegend für den nordamerikanischen Markt vorgesehen. Mit der Produktion soll 2015 begonnen werden. – Der Aktienkurs hatte am 18.01.2012 den Stand von 35,67 in Europa erreicht. (Quelle: http://www.finanzen.net/ aktien/Toyota-Aktie, abgerufen am 19. 01. 2013 um 15.40 Uhr)

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

62 Leitfragen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Warum gelang es der japanischen Industrie einen Industriebereich nach dem anderen zu erobern? Wie lautet die „Frohe Botschaft“ in der MIT-Studie von Womack et al.? Nehmen Sie zu den Ergebnissen der MIT-Studie Stellung. Reflektieren Sie die Ergebnisse der MITStudie hinsichtlich der Durchführung von Gruppenarbeit Von welchem Paradigmenwechsel ist in der MIT-Studie die Rede? Durch welche besonderen Leistungen zeichnen sich die in der Abbildung 2.6 genannten Unternehmenslenker der Toyota Motor Corporation (TMC) aus?

Wichtige Fachliteratur • • •

Berghoff 2004 Landes 2008 Ohno 1993

7.

Welche Bedeutung hatte das Ford-System für die Entwicklung des TPS und der TMC? 8. Welche Konsequenzen hatte der Mitte der 1950er Jahre beendete Arbeitskampf für die TMC? 9. Begründen Sie differenziert die Aussage, dass Ohno Taiichi das Toyota Produktionssystem entwickelt hat. 10. Welche vier Punkte können genannt werden, die als das Erfolgsgeheimnis von Toyota gelten können.

• • •

Smiles 2012 Witzel 2003 Womack/Jones/Roos 1994

2.1 Die Frage falsch gestellt

63

„No man can have in his mind a conception of the future, for the future is not yet. But of our conceptions of the past, we make a future.“ (Thomas Hobbes, Human nature. 1658)

2.1

Die Frage falsch gestellt!

Es sollte doch eigentlich eine sehr praktische Idee für die indus- Die praktische Idee trielle Organisation sein, die menschliche Arbeit in gut zusammenarbeitenden Gruppen so zu organisieren, damit deren Arbeitsleistung in Tempo und Spezialkönnen aufeinander abgestimmt ist und die Zufriedenheit der Mitarbeiter und der ökonomische Erfolg dabei nicht zu kurz kommen. Doch der Lösung einer solchen Problemstellung folgten Unternehmer in der Industrie eher nicht; sie zogen ein solches Henry Ford's erstes AutoThema bei ihren organisatorischen Bemühungen wohl gar nicht in Er- mobil: 1896 Quadricycle wähnung. Und die wissenschaftliche Forschung? In der Industrie wurden andere Fragen verfolgt und nach anderen Wegen gesucht. So hatte Henry Ford in seiner neuen Fabrik River Rouge in den Zwanziger Jahren den Plan mit dem Fließband, indem er versuchte, die Integration von Arbeit, Rhythmus und zeitlicher Einteilung bis zur Gewinnung der Rohmaterialien und deren Transport „You always get zu erreichen – der Förderung von Eisenerz in Nord-Michigan oder what you want?“

y „Henry war ganz oben. Er hatte seinen Kampf gewonnen, er war der Boss. Er

konnte etwas erzeugen und Maschinen bauen, um noch mehr zu erzeugen. Hundert Wagen am Tag, das war erst der Anfang, behauptete er. Bald würde er Tausende am Tag bauen, und schon lange vor seinem Tode würde er eine Million Fords gebaut haben. Er umgab sich mit Sachverständigen. Leute, die etwas von Metallen verstanden, wie man sie schmelzen, verbessern, legieren und bearbeiten konnte; Leute, die sich in Betriebsstoffen auskannten, die wußten, wie man höhere Hitzegrade bei geringeren Kosten herausholen konnte; Leute, die etwas von den hundert verschiedenen Materialien verstanden, die in einem Wagen vereint waren oder zum erstenmal in einem Wagen verwandt wurden. Fachleute für Architektur, Herstellungsverfahren, Berechnungen, Transport und Reklame scharte er um sich – Fachleute für tausend Künste, die helfen sollten, Wagen zu bauen, zu verkaufen und Geld zu verdienen, um noch mehr Wagen zu bauen, sie wieder zu verkaufen und noch mehr Geld zu verdienen. Man spottete zwar oft, wenn man über ihn sprach, aber das störte Henry Ford nicht im geringsten. Er kannte sein Ziel: Er wollte das Transportwesen Amerikas umgestalten. Er wollte seine Landstraßen wiederbeleben und die Gewohnheiten der Menschen ändern. Er wollte sie zu Menschen machen, wie er selbst einer war. Sie sollten nüchterne, ehrliche und fleißige Arbeiter werden gleich ihm. Reich? Ja, auch das; vielleicht nicht ganz so reich wie er, aber so reich, wie es für sie gut war. Sie sollten hohe Löhne haben, und man würde sie lehren, jede Woche einen Teil davon zu sparen, bis sie Geld genug beisammen hatten, um die Anzahlung für einen Ford Modell T zu machen, den sie zehn, ja, zwanzig Jahre fahren konnten – man würde diese Wagen noch auf den Straßen sehen, wenn Fords Enkel erwachsen waren. All dies begann in Highland Park. Er baute sein eigenes Kraftwerk, sein eigenes Stahlwerk, seine eigenen Hochöfen. Bald würde er auch seine eigenen Bergwerke haben, seine Kohlengruben, Schiffe und Eisenbahnen. Ein mächtiges Reich würde es sein und sich über die ganze Erde ausdehnen. Henry Ford würde sein Gründer und Beherrscher sein. Sein Geist, seine Weisheit und sein gesunder Menschenverstand würden es regieren. Dies war sein Lieblingssatz: ’Ich habe nichts als gesunden Menschenverstand’ – und das war seine tiefste Überzeugung.“ (Quelle: Sinclair, Upton: Am Fließband. Reinbek (Rowohlt) 1977, 47f )

„ Wir breiteten schwarze Wachstuchdecken über das Bettzeug und ließen die Leute Schrauben auf kleine Bolzen befestigen, […] Die Insassen des Krankenhauses waren dazu genauso imstande, wie die Leute in der Fabrik und verdienten sich auf diese Weise ihren regelmäßigen Lohn. […] Keiner wurde natürlich gezwungen, aber alle waren arbeitswillig. Die Arbeit half ihnen die Zeit zu vertreiben, Schlaf und Appetit waren besser als zuvor und die Erholung machte bessere Fortschritte.“ (Quelle: Ford, H.: Mein Leben und Werk. 1923)

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

64 Fords Ziel war es, alle Produktionsmittel in einer Hand zu haben, wobei er Raum und Zeit bis ans Äußerste auszudehnen beabsichtigte

Das HdA-Projekt in der Bundesrepublik Deutschland der 1970er Jahre – gut gemeint, aber mit wenig Weitblick und Realitätssinn, was die Umsetzung betrifft

Japanische Erfolge: Schlecht oder gar nicht analysiert

Die richtige Fragestellung: Warum produzieren und organisieren die Japaner anders?

dem Anzapfen von Gummibäumen in Brasilien – und nach vorwärts bis zum Verkauf der neuen Automobile beim Einzelhändler. Nach diesem Plan sollte die Arbeit von Millionen Menschen zu einer Einheit zusammengefasst werden. Der Fordsche Plan mislang in seiner Totalität, er war nicht ausgereift; übriggeblieben ist er als genereller Begriff: Fordismus und als Torso Fließband. Von solchen Visionen der Arbeitsorganisation werden sich Manager wohl nie lösen: Die Logik der Globalisierung verlangt danach, hier ganz modern verkleidet im Begriff des globalen Wertschöpfungsprozesses. In der Bundesrepublik Deutschland der Nachkriegszeit hatte man sehr wohl den Menschen im Visier. Man suchte noch bis in die 1980er Jahre hinein dem Modellprojekt Humanisierung des Arbeitslebens (HdA) einen Nutzen abzugewinnen, der in der Wirtschaft Folgen zeigen sollte. Leider vergebens. Die Projektgelder sind inzwischen abgeschrieben, die Forschungsergebnisse gut dokumentiert. Das Konzept teilautonome Arbeitsgruppe blieb größtenteils auf der Strecke. Was außen vor blieb, war eine ökonomisch ernsthafte Problemstellung, die auf folgender Tatsache beruht (Pascale/Athos 1982, 17): „Japan ist es gelungen, gezielt einen Industriebereich nach dem anderen zu beherrschen – es stellte die Briten bei der Motorradherstellung in den Schatten, es überholte die Deutschen und die Amerikaner bei der Autoproduktion, es entriß den Deutschen und den Schweizern die Führung bei Uhren, Fotoapparaten und optischen Geräten und es beseitigte die historische Vorherrschaft der Vereinigten Staaten in so unterschiedlichen Geschäftsbereichen wie Stahl, Schiffbau, Klavieren, Reißverschlüssen und elektronischen Konsumgütern.“ Spätestens Ende der 1960er Jahre war dieser Trend bekannt. Einige wanderten nach Japan und sagten „Schaun wir mal.“ Andere taten es ab als japanischen Arbeitsfleiß. Die Ursachen für den Erfolg wurden nicht erforscht und auch nicht erkannt. Das Warten auf den „Messias“, der das erklären und helfen möge, hatte in dem Augenblick ein Ende, als plötzlich in den 1980er Jahren die Forschungsergebnisse das Licht der Welt erblickten, die genau die richtige Fragestellung verfolgten: Wie schaffen es eigentlich die japanischen Unternehmen so produktiv zu sein, dass es ihnen gelang in einem Wirtschaftsbereich nach dem anderen weltweit die Nummer eins zu werden? Als Beispielbranche wurde diese Fragestellung auf die Automobilindustrie bezogen. Die Antwort lautet ganz kurz und einfach:

Sie organisieren und produzieren anders!

Sie wird im nächsten Abschnitt erläutert.

2.2 Die frohe Botschaft

65

„Wir vertrauen zuviel auf Systeme und achten zu wenig auf die Menschen“ (Benjamin Disraeli)

2.2

Die Frohe Botschaft

In Kapitel 1.2 wurde bereits der Begriff „lean“ geklärt. Das Objekt, von dem die Rede sein soll, die Antwort auf die Frage „Was machen die Japaner anders? Wodurch sind sie so erfolgreich geworden?“ wird gemeinhin als Lean Management resp. in einer engeren Fassung als Lean Production bezeichnet. Es wurde mit dem Buch „The Machine That Changed the World“ erstmals der breiten Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Autoren waren bis dahin nur Fachleuten im Umfeld des MIT (Massachusetts Institue of Technology) bekannt. Das IMVP-Projekt (Abbildung 2.1) wurde im Jahr

Woher kommt eigentlich „Lean Management/Lean Production“?

◀ Abb. 2.1: Womack, Jones und Roos, die publizierenden Forscher der MIT-Studie „The Machine That Changed the World“

James P. Womack

Daniel Roos

Daniel T. Jones

Funktionen ◼ James P. Womack: Forschungsdirektor, IMVP ◼ Daniel Roos: Direktor IMVP ◼ Daniel T. Jones: Europäischer Direktor IMVP Forschungsprojekt in Höhe von Fünf Mio. Dollar, die von Unternehmen der Branche und Regierungen beschafft wurden. Kein Einzelbeitrag war höher als 5% der Gesamtprojektsumme.

Projekt: International Motor Vehicle Program (IMVP) am MIT, Cambridge, Massachusetts, USA The Machine That Changed the World. New York (Rawson Associates) 1990

Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Frankfurt am Main-New York (Campus) 1991

Womack/Jones/Roos: The Machine That Changed the World, New York (Free Press) 1990 ��� The story of Lean Production – Toyota’s secret weapon in the global car wars that ist revolutionizing world industry.

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

66

1989 forschungstechnisch abgeschlossen (Laufzeit: 5 Jahre). Finanziert wurde das Projekt von 36 Förder-Organisationen, zu denen fast alle Automobilunternehmen und auch einige große Unterlieferanten gehörten (s. Anhang A des Buches von Womack et al.). Ihnen wurden auch im Verlauf des Forschungsprozesses Zwischenergebnisse kommuniziert. Diese Zwischenergebnisse wurden in Foren diskutiert (Delphi-Methodik). Aus diesem Vorgehen kann gefolgert werden, dass den Teilnehmern, zu denen ja die Repräsentanten sämtlicher internationaler Automobilunternehmen gehörten, frühzeitig die Tendenz der Ergebnisse vertraut war. Die Rede vom überraschenden Paukenschlag im Jahr 1990, als das Buch von Womack/Jones/Ross auf den Markt kam, ist – was diese Gruppe betrifft – mit Sicherheit falsch. Rechnet man mit einem Time-lag von zwei bis drei Jahren, so waren die Kerninformationen der Ergebnisse den relevanten Unternehmen circa 1987 bekannt. Hinzu kommt, dass die Funktionsweise des Toyota Production System (TPS) Fachkreisen bekannt war: Bevor der Begriff „lean“ geprägt wurde konnten Interessenten, die nicht selbst in Japan Exkursionen durchgeführt hatten, in Fachpublikationen sehr leicht auf den Begriff Just-in-Time stoßen (zum Beispiel bei dem deutschen Autor Horst Wildemann), mit dem damals das Toyota ProducDie Erfolgsfaktoren der japanischen Indus- tion System charakterisiert wurde. Schließlich hat Ohno Taiichi bereits Vorfassungen seines im Jahr 1988 im amerikanischen erschienen trie konnten aus den Erfolgen rekonstruiert Buches (deutsch 1993) bereits in japanischer Sprache im Jahr 1978 werden veröffentlicht. Es muss also dem Management westlicher Automobilunternehmen bekannt gewesen sein, was in Japan, besonders bei der Toyota Motor Corporation, seit Jahrzehnten vor sich ging. Die Signale wurden schlichtweg verdrängt und auch falsch interpretiert. Eine Haltung, die nicht nur als arrogant und borniert bezeichnet werden muss, sondern Lernen von den Japaauch als verantwortungslos gegenüber den abhängigen Mitarbeitern. nern? Warum? Einer der Autoren der MIT-Studie hat das auch treffend kommentiert (Die Zeit Nr. 8, 14.02.1992, 31): „YOU NEED A SHOCK!“ Diese Klarstellung war erforderlich, weil sie auch von denen, die sich kritisch mit den Ergebnissen der Studie befasst haben, nicht erkannt wurde. Die „Frohe Botschaft“, die uns die Studie auf die Frage „Was machen die Japaner anders?“ führt, ist in der Tat für die damalige Zeit, in der die Organisationen noch getreu dem Taylor-Fordschen Organisationszuschnitt folgten, spektakulär. Sie lautet (Womack/Jones/Roos 1994, 291f): „Am Ende aber, glauben wir, wird die schlanke Produktion die Massenproduktion und die verbliebenen Vertreter der handIm IMVP-Projekt wurden 90 Montagewerke der Automobilindustrie in 15 Ländern hinsichtlich ihrer Organisations- und Produktionsstrukturen, Personalstrategien und Produktivitätsunterschiede untersucht.

2.2 Die frohe Botschaft

werklichen Fertigung in allen Bereichen industrieller Betätigung ersetzen, um das weltweite Standardproduktionssystem des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Diese Welt wird völlig anders und sehr viel besser sein.“ Nicht zuletzt diese Aussage veranlasste nicht nur Manager in der Automobilindustrie, sondern sehr vieler Organisationen aller Branchen, sich mit dem Lean Management zu befassen. Werfen wir einen Blick auf einige zentrale Leistungsaspekte, die erhoben und in vergleichenden Tabellen präsentiert wurden. Schon die Ergebnisse in Abbildung 2.2, eine einfache Bewertungstabelle, zeigen, dass die japanische Fabrik von Toyota in Takaoka im Vergleich zur amerikanischen von General Motor (GM) in Framingham nicht nur wenige Montagestunden pro Auto für die Montage benötigt, sondern in dieser deutlich kürzeren Zeit auch noch akkurater gearbeitet wird. Akkurat bedeutet hier die Anzahl von Montagefehlern, die später von Kunden bemängelt wurden. Die Autoren dazu (Womack/Jones/Ross 1994, 85): „Als wir unsere Bewertung beendet hatten, machten wir eine erstaunliche Entdeckung, wie Abbildung 4.1 (hier Abbildung 2.2) zeigt. Takaoka war fast zweimal so produktiv und dreimal so akkurat wie Framingham bei der Durchführung der gleichen Standardaktivitäten an unserem Standardauto. Bei der Montagefläche war sie um 40% effizienter, und ihr Lagerbestand war nur ein winziger Teil dessen in Framingham.“ In diesem Zusammenhang zeigen die Autoren auf, warum die Bezeichnung „Zweite Revolution“ gerechtfertigt erscheint, indem sie einen synoptischen Rückblick auf Henry Fords Fabrik Highland Park in den 1920er Jahren durchführen (Womack/Jones/Ross 1994, 86): „In der Tat ist Takaoka in verschiedener Hinsicht eine noch eindrucksvollere Leistung als Highland Park, weil sie einen Fortschritt in so vielen Dimensionen respräsentiert. Es sind nicht nur die Arbeitsstunden auf die Hälfte gekürzt und die Fehler auf ein Drittel reduziert. Takaoka minimiert auch die Lagerbestände und Produktionsfläche. … Darüberhinaus ist Takaoka in der Lage, in wenigen Tagen von einem Fahrzeugtyp zur nächsten Produktgeneration Merkmale

GM Framingham Toyota Takaoka

Bruttomontagestunden pro Auto 40,7 Montagestunden pro Auto 31,0 Montagefehler pro 100 Autos 130,0 Montagefläche pro Auto 0,75 Teilelagerbestand (Durchschnitt) 2 Stunden Quelle: Womack/Jones/Roos 1994: Abbildung 4.1, S. 85

18,0 16,0 45,0 0,45 2 Wochen

67 Ein so formulierter Satz kann allen Ernstes keine wissenschaftliche Aussage sein. Das ist Messianismus!

Die Erfolge der japanischen Automobilindustrie konnten quantifiziert werden

Warum „Zweite Revolution in der Automobilindustrie“?

◀ Abb. 2.2: Vergleich Montagefabriken, MIT-Studie

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

68

Fords Modell A (19281931) war die Antwort auf GMs Produkt-/Farbvielfalt. Modell A gab es nicht in der Farbe schwarz

Die Argumentation mit der Hälfte von … hatte ihre Wirkung auf die westlichen Unternehmen und deren Management Abb. 2.3: Ausgewählte Leistungsdimensionen der MIT-Studie ▶

umzustellen, während Highland Park mit seinem riesigen Bestand an Spezialmaschinen 1927 für Monate geschlossen war, als Ford vom Modell T zum neuen Modell A überging. Massenproduktionsfabriken schließen immer noch für Monate, wenn sie auf neue Produkte umsteigen.“ Weitere Ergebnisse, wie die in Abbildung 2.3, zeigen, dass japanische Automobilhersteller im Vergleich zu ihren amerikanischen und europäischen Konkurrenten doppelt so effizient und flexibel sind sowie eine deutlich überlegene Qualität vorzuweisen haben. Damit setzt das Konzept an den drei strategischen Erfolgsfaktoren Qualität, Zeit und Kosten an. Konkret bedeutet das, dass die Japaner nur ◼ die Hälfte der Produktionsfläche, ◼ die Hälfte des Fabrikpersonals, ◼ die Hälfte an Werkzeuginvestitionen, ◼ weit weniger als die Hälfte der Vorräte, ◼ deutlich niedrigere Durchlaufzeiten und ◼ die Hälfte der Entwicklungszeiten Merkmale

Japanische Japanische Unternehmen Unternehmen in Japan in den USA

Produktivität (Std./Fahrzeug)

Die Zahlen dieser Tabelle wurden damals überall rumgereicht. Diese Zahlenrethorik offenbarte schlussendlich, wo es den westlichen Automobilunternehmen mangelte

Amerikanische Unternehmen in den USA

Europäische Unternehmen

16,8

21,2

25,1

36,2

60

65,0

82,3

97,0

Mitarbeiter im Team (%)

69,3

71,3

17,3

0,6

Verbesserungsvorschläge je Mitarbeiter

61,6

1,4

0,4

0,4

Einarbeitung neuer Mitarbeiter (in Std.)

380,3

370,0

46,4

173,3

Job Rotation (0 = kein; 4 = häufig)

3,0

2,7

0,9

1,9

Anteil der Zulieferer an der Entwicklung (%)

51

14

37

32

Zeit vom Produktionsbeginn bis zum ersten Verkauf (Monate)

1

4

2

2

7,9

1,6

1,6

0,7

Qualität (Mängel/ 100 Fahrzeuge)

Anzahl der täglichen Just-in-TimeLieferungen

Quelle: Womack/Jones/Roos 1994: Kombination von Auszügen aus den Abbildungen 4.7, 5.1 und 6.1

2.2 Die frohe Botschaft

69

benötigen und dies bei deutlich weniger Fehlern. Die gesamte Studie wird durchzogen von Vergleichen, wie sie soeben in Abbildung 2.2 und 2.3 gezeigt wurden. Den großen Zusammenhang, der diese Vergleiche als „leitenden Gedanken“ durchzieht, erkennt man in Kapitel 2 und 3, wo die Autoren den „revolutionären Gedanken“ in einem Dreischritt darlegen: ◼ Zuerst war die klassische Handwerksfertigung, ◼ dann kam die Phase der Massenproduktion, ◼ und schließlich seit den 1960er Jahren die schlanke Produktion. Die Phasen sind nicht stufenförmig zu sehen, sondern überlappen sich. So findet sich zwar die Handwerksfertigung im Automobilbau im großen Stil nicht mehr (sie wurde eleminiert), wohl aber in anderen Branchen. In der schlanken Produktion ist sie jedenfalls zumindest ansatzweise aufgehoben in der Vorstellung und dem Streben nach Ganzheitlichkeit und Zusammenarbeiten. Schließlich sind aber die bestimmenden Faktoren, in denen gerechnet wird, ganz einfach Zeit und Kosten, wie uns Abbildung 2.4 zeigt, in der die Handwerks- und Massenfertigung in der Montagehalle gegenübergestellt wird (Womack/Jones/Ross 1994, 32): „…so dass wir über gutdokumentierte Aufzeichnungen des durch diese Neuerung eingesparten Fertigungsaufwandes verfügen. …die Anzahl der Teile, die von der gleichen Anzahl von Arbeitern bei stationärer und Fließbandtechnik montiert wurden, und gaben der Welt ein anschauliches und dramatisches Bild von Fords Errungenschaft.“ Damit katapultierte sich Ford an die Spitze der Weltautomobilindustrie und verdrängte – zusammen mit GM – fast alle Handwerksunternehmen, die ihre Fertigungskosten nicht auf das gleiche Niveau senken konnten. Nur einige europäische Hersteller von Luxusautomobilen konnten der aufkommende Massenproduktion dagegenhalten. Die Kehrseite des Systems der Massenproduktion, so die Autoren, ist jedoch darin zu sehen, dass es inzwischen – nach mehr als einem

Aggregate

Motor Magnetzünder Achse Zusammenbau größerer Aggregate zum Gesamtfahrzeug

Späte handwerk- Massenpro- Zeiterliche Fertigung duktion sparHerbst 1913 Frühjahr 1914 nis (Montage: Minuten)

(Montage: Minuten)

(in %)

594 20 150 750

226 5 26,5 93

62 75 83 88

Quelle: Womack/Jones/Roos 1994: Abbildung 2.1, S. 33

Der übergreifende Zusammenhang: Von der Handwerksfertigung zur sogenannten schlanken Produktion

Rückblick auf Fords Massenproduktionsmodell

◀ Abb. 2.4: Vergleich Handwerks- und Massenfertigung in der Montagehalle: 1913 gegenüber 1914 MIT-Studie

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

70

halben Jahrhundert – derart tief in unseren Produktionsverhältnissen verwurzelt ist, wodurch es die Bemühungen vieler Unternehmen verhindert, zur schlanken Produktion überzugehen. Um die Funktionsweise der schlanken Produktion aufgezeigen zu können, bedarf es der Offenlegung zentraler Untersuchungsdimensionen. Diese werden von den MIT-Autoren als Elemente bezeichnet (Abbildung 2.5). Sie lassen sich – mehr oder weniger systematisch operationalisiert – als „roter Faden“ in der Studie Montagewerk wiederfinden. Zum Abschluss wird der Frage nach der Penetration von Lean Production nachgegangen. Es werden Produktentwicklung die Hindernisse benannt und Möglichkeiten aufgezeigt Lean Management umzusetzen. Im „Schlussakkord“ wird Konstruktion noch einmal die ganze Begeisterung und der Optimismus des Forscherteams deutlich(Womack/Jones/Ross 1994, Zuliefersystem 292): „Am Ende aber, glauben wir, wird die schlanke Vertriebssystem Produktion die Massenproduktion und die verbliebenen Vertreter der handwerklichen Fertigung in allen Kunde Bereichen industrieller Betätigung ersetzen, um das weltweite Standardproduktionssystem des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu werden. Diese Welt wird völlig anders und sehr viel besser sein.“ Welche Absicht wurde Man kann nun die Frage stellen, ob empirische Forschung übervon Womack et al. haupt ein Fundament bieten kann, um derart euphorische Voraussawirklich verfolgt? gen treffen zu können. Die Vermutung drängt sich auf, dass derartige Formulierungen mit Absicht eine ganz andere Zielsetzung verfolgen, nämlich die Selbstvermarktung der eigenen Person. Denn die Benennung „Zweite Revolution“ ist eine Schlussfolgerung, die die Autoren aus den dargelegten Daten ziehen. Diese Interpretationsfolie war nicht von Anfang an der Untersuchung unterlegt, sie entwickelte sich im Verlauf. Alfred Kieser kommt in seiner Einschätzung der MIT-Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Er resümiert (Kieser 1995, 49): „Die MIT-Studie dramatisiert die Produktivitäts- und Qualitätsunterschiede zwischen japanischen und deutschen Automobilunternehmungen in einer wissenschaftlich nicht vertretbaren Weise. Es ist offensichtlich, dass die MIT-Forscher, um Wirkung auf die Praxis zu erzielen, ihre Daten voreingenommen produziert, ausgewertet und interpretiert haben. Eine Notwendigkeit, deutsche Produktionsorganisationen in einer Revolution zu japanisieren, besteht nicht.“ Was bedeutet Arbeit Untersuchen wir noch welchen Begriff von Arbeit die Autoren der in der MIT-Studie? MIT-Studie vermitteln. Das Thema kommt unter dem Begriff Teamarbeit vor. Wie die Erläuterungen dort erkennen lassen, geht es um Projektteams in der Konstruktion (Womack/Jones/Ross 1994, 119): Abb. 2.5: Elemente der schlanken Produktion – Untersuchungsdimensionen der MIT-Studie ▼

2.2 Die frohe Botschaft

„… stellt der shusa ein kleines Team zusammen, das dem Projekt für die gesamte Dauer zugewiesen wird. … während der Dauer des Programms sind sie eindeutig unter der Kontrolle des shusa.“ Ansonsten wird das Thema Arbeit in der Gruppe/im Team noch an einer Stelle thematisiert: Schlanke Organisation auf der Fabrikebene. Dort heißt es (Womack/Jones/Ross 1994, 104): „So ist es schließlich das dynamische Arbeitsteam, das sich als Herz der schlanken Fabrik entpuppt. Der Aufbau solcher effizienten Teams ist nicht einfach. Als erstes müssen die Arbeiter zahlreiche Fertigkeiten erlernen – tatsächlich alle Jobs ihrer Arbeitsgruppe, so dass die Arbeitsverteilung geändert werden kann und die Arbeiter für jeden anderen einspringen können. Dann müssen sie sich weitere zusätzlich Fertigkeiten aneignen: in einfacher Maschinenreparatur, Qualitätsprüfung, Reinigung und Materialbestellung. Ferner müssen sie zum aktiven, ja vorausschauenden Denken ermuntert werden, so dass sie Lösungen finden können, bevor Probleme ernst werden.“ Die Autoren stellen im Vergleich zu den westlichen Fabriken fest, dass Teamarbeit dort offiziell praktisch nicht existent ist (Womack/ Jones/Ross 1994, 104): „Die Arbeiter hatten weiterhin eng definierte Arbeitsplatzbeschreibungen und es gab keine formale Teamstruktur.“ Trotzdem ist Teamarbeit unter der Hand durchgeführt worden. Es gibt in der MIT-Studie – außer diesen Ausführungen – überhaupt keine überzeugenden Belege für die erfolgsentscheidende Wirkung von Gruppenarbeit. Auch wird nicht auf die kulturell bedingten Unterschiede im Verständnis von Gruppe und Gruppenarbeit eingegangen. Das wirft angesichts der Diffusität des Begriffs die Frage auf, welche Bedeutung denn der Gruppenarbeit im Rahmen des Lean Managements zukommen könnte. Eberhard Ulich (Arbeitspsychologe an der ETH Zürich) nennt zwei miteinander zusammenhängende Gründe für die Relevanz von Gruppenarbeit (Ulich 1995, 29): ◼ “Das Erleben ganzheitlicher Arbeit ist in modernen Arbeitsprozessen mehrheitlich nur möglich, wenn interdependente Teilaufgaben zu vollständigen Gruppenaufgaben zusammengefasst werden.

y „Während die europäischen Konzepte von Gruppenarbeit eng mit – mehr oder

weniger präzisen – Vorstellungen von ganzheitlichen Aufgaben und Gruppenautonomie, d.h. auch: mit flacher Hierarchie in der Werkstatt, verbunden sind, ist die ’Autonomie’ der japanischen Gruppe typischerweise auf den Vorgesetzten zentriert, der seinerseits in eine wesentlich größere Anzahl von Werkstattleitungsebenen integriert ist als hier häufig angenommen wird. Diese unterschiedlichen Konzepte, die wir mit dem gleichen Begriff bezeichnen, sind eindeutig kulturell determiniert.“ (Quelle: Ulich 1995, 30)

71 Der Arbeitsbegriff in der MIT-Studie

Der Nachweis zu erfolgsentscheidenden Wirkungen von Gruppenarbeit wird nicht erbracht Relevanz von Gruppenarbeit – Zwei Gründe!

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

72

◼ Die Zusammenfassung interdependenter Teilaufgaben zur ge-

Die gemeinsame Aufgabenorientierung konstituiert die Arbeitsgruppe

Japaner lernen von europäischen Gruppenkonzepten

meinsamen Aufgabe einer Gruppe ermöglicht ein höheres Maß an Selbstregulation und sozialer Unterstützung.“ Im Anschluss an die Ausführungen zur Gruppenarbeit in Kapitel 1.3.8 kann nun in Anlehnung an Ulich (1995, 29) gelten, dass eine gemeinsame Aufgabenorientierung in einer Arbeitsgruppe nur dann entsteht, ◼ “wenn die Gruppe eine Aufgabe hat, für deren Erfüllung sie als Gruppe die Verantwortung übernehmen kann und ◼ wenn der Arbeitsablauf innerhalb der Gruppe von dieser selbst kontrolliert werden kann.“ Ob beide Bedingungen im Lean Management-Ansatz der MITAutoren angenommen werden können, ist unklar; muss eher bezweifelt werden. Wir sind jedenfalls an dieser Stelle zurückgeworfen auf die europäischen Konzepte zur Gruppenarbeit, die im Rahmen und in der Folge des Projekts Humanisierung des Arbeitslebens (HdA) nicht nur grundlegend behandelt, sondern auch empirisch erforscht wurden. Denn gerade hierfür interessieren sich in neuerer Zeit japanische Unternehmen (Ulich 1995, 31): „In Japan selbst wird indes seit einer Reihe von Jahren ein deutlicher Wertewandel registriert, der japanische Unternehmen bereits dazu veranlaßt hat, das Lean Production Konzept – im Sinne von Womack, Jones & Roos – in Frage zu stellen und sich für europäische Produktionskonzepte zu interessieren. Erweiterung der Arbeitsaufgaben im Sinne zunehmender Ganzheitlichkeit, Übertragung von Koordinations- und Dispositionsmöglichkeiten im Sinne zunehmender Gruppenautonomie und das Einräumen beschränkter Zeitspielräume als Voraussetzung zu stressfreier Selbstregulation sind Bestandteiler neuer Produktionskonzepte in einigen Werken der japanischen Autoindustrie.“ Halten wir zusammenfassend fest: Die auf einer Vielzahl an Einzelfallstudien basierende Forschungsveröffentlichung „The Maschine That Changed the World“ der Autoren Womack, Jones und Roos spannt einen eigenwilligen theoretischen Bezugsrahmen über die Forschungsergebnisse, um den Beweis anzutreten, dass eine zweite Revolution in der Automobilindustrie, die Lean Production, das bisherige Paradigma „Massenproduktion“ in einem revolutionären Prozess derart ablöst, indem sogar Elemente der handwerklichen Produktion wieder integriert werden. Die bewusste Sprachwahl „revolutionär“ legt die Vermutung nahe, dass es den Autoren darum geht, Aufmerksamkeit zu erheischen. Dies geschieht unter Vernachlässigung von etablierten wissenschaftlichen Mindeststandards, wie dem

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Offenlegen von klaren Forschungszielsetzungen und eindeutigen Begriffsbildungen zur Operationalisierung der Problemstellung. Da sich auch japanische Wissenschaftler und Manager sehr zurückhaltend zur MIT-Studie geäußert haben, ist davon auszugehen, dass die Aussagen nur in begrenztem Maße die Realität der japanischen Produktionsweise beschrieben haben. Auch wenn die wissenschaftliche Bearbeitung nicht gerade den Standards entsprochen hat, so hat dennoch der Bericht über die Branche hinaus im Management und auch in der betriebswirtschaftlichen Managementlehre dafür gesorgt, dass sich „Lean Management/Lean Production“ als ein neues Paradigma der Organisation und Produktion etabliert hat. Auf die Organisations- und Produktionslehre bezogen kann im Sinne von Thomas S. Kuhn ein Paradigmawechsel angenommen werden: Lean Management, ob als Gesamtkonzept oder in einzelnen Elementen und Kombinationen, übt wie kein anderes Managementkonzept eine Sogwirkung aus.

Die Aussagen der MITStudie treffen nur in begrenztem Maße die Realität in japanischen Unternehmen Trotzdem: Die Aussagen der MIT-Studie verfehlen ihre Wirkung im Westen nicht Ein Paradigmenwechsel bahnt sich auch in der Organisations- und Produktionslehre an

„Die Geschichte legt Zeugnis davon ab, wie die Zeit vergeht. Sie erhellt die Wirklichkeit, belebt die Erinnerung, weist im Alltag den Weg und kündet vom Altertum.“ (Cicero)

2.3

Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Die Unzulänglichkeiten, auf die wir in Kapitel 2.2 bei der Analyse des Lean Managements gestoßen sind, indem wir die theoretischen Voraussetzungen und Ergebnisse der MIT-Studie untersucht haben, verlangen nach einer genauen Prüfung, einer historischen Analyse sowohl des Entstehens wie auch seines Verlaufs. Wir engen den Gegenstandsbereich deshalb ein, indem die agierenden Personen, ihre Ideen, Inspiration und Handlungen im Rahmen der Unternehmensgeschichte von Toyota untersucht werden. Nur so können wir ein Verständnis von der „Eigenlogik“ unseres Gegenstandes „Lean Management“ erlangen. Einen ersten Überblick über die handelnden Personen zeigt Abbildung 2.6. Zwei Bemerkungen sind zum Verständnis notwendig: ◼ In Japan ist es üblich zuerst den Nachnamen und dann den Vornamen zu nennen. ◼ Toyoda ist der Name der Familie, Toyota die Bezeichnung des Unternehmens Toyota Motor Corporation. Der Firmengründer wollte eine Unterscheidung zwischen Familie und Unternehmen.

Hier geht es nun um die Wurzeln des sog. Lean Managements, die von der MIT-Studie weitgehend ausgeblendet wurden Warum Toyota und nicht Toyoda? Im japanischen Katakana-Schriftsystem braucht man für Toyoda zehn, für Toyota nur acht Striche. Die Acht gilt zudem als eine besonders schöne Zahl, weil das in der KanjiSchrift zugleich auch Unendlichkeit bedeutet. Indem sich Toyoda Kiichir� damals für Toyota entschied, brachte er seine Hoffnung auf „grenzenlose“ Möglichkeiten des neuen Unternehmens zum Ausdruck. (nach Landes 2006, 447)

73

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

74 Abb. 2.6: Unternehmenslenker von Toyota bis heute ▶

Name

Zeit als CEO*

Funktion/Beziehung

Toyoda Sakichi

1926

Gründer Toyoda Automatic Loom Works (TALW)

Toyoda Kiichirō

1933-1937

Gründer der „Auto-Abteilung“ in der TALW, Sakichis Sohn

Toyoda Risaburo

1937-1941

CEO* Toyota Motor Corp. (TMC); Schwager des Gründers

Toyoda Kiichirō

1941-1950

Gründer und Leiter Toyota Motor Corp.; Sakichis Sohn

Ishida Taizo

1950-1961

CEO* Toyota Motor Corp.; Verwandter von Risaburo

Nakagawa Fukio

1961-1967

CEO* Toyota Motor Corp.; eingesetzt durch die Mitsui Bank

Toyoda Eiji

1967-1982

CEO* Toyota Motor Corp.; Cousin des Firmengründers

Toyoda Shoichiro

1982-1992

CEO* Toyota Motor Corp.; 1. Sohn des Firmengründers

Toyoda Tatsuro

1992-1995

CEO* Toyota Motor Corp.; 2. Sohn des Firmengründers

Okuda Hiroshi

1995-1999

CEO* Toyota Motor Corp.; Angestellter TMC

Cho Fujio

1999-2005

CEO* Toyota Motor Corp.; Angestellter TMC

Watanabe Katsuaki

2005-2009

CEO* Toyota Motor Corp.; Angestellter TMC

Toyoda Akio

2009-heute

CEO* Toyota Motor Corp.; Enkel des Gründers Kiichirō

* CEO = Chief Executive Officer wäre treffend hier als „leitender Direktor und Präsident“ zu übersetzen.

Toyoda Sakichi, mit dem alles anfing und ohne den nichts zu denken ist!

Die erste herausragende Person war Toyoda Sakichi, der Firmengründer. Er war ein begnadeter Erfinder, der in der Zeit aufwuchs, als in Japan die Textilindustrie die beherrschende Branche war. Der BeToyoda, Sakichi [*1867-1930†]

Toyoda Sakichi wurde 1867 in Kosai, Shizouka (Japan) als Sohn eines armen Zimmermanns geboren.

jung

Abb. 2.7: Toyoda Sakichi, der Gründer von Toyoda Automatic Loom Works (TALW) ▶

2.3.1 Toyoda Sakichi, der Gründer und Erfinder

Er hatte zwei jüngere Brüder, Toyoda Sasuke und Toyoda Heikichi (1875-1954), den Vater von Toyoda Eiji. Toyoda Sakichi ist Vater eines Sohnes [Toyoda Kiichirō (18941952), 1937 Gründer der Toyota Motor Co., Ltd. (TMC)] und einer Tochter, Aiko.

Er entwickelt die später sogenannte Qualitätstechnik „Fünf Warum“ (5 Whys). Dieses Prinzip besagt: Wenn ein Problem auftritt, frage fünfmal WARUM, um die Ursache des Problems herauszufinden. Erst dann ändere den Produktionsprozess, damit das Problem nun nicht mehr auftreten kann. Heute ist diese Qualitätstechnik Element des modernen Qualitätsmanagements.

alt

Er war ein begabter Erfinder („König der japanischen Erfinder“– 84 Patente / “Vater der industriellen Revolution in Japan“). Seine wichtigste Erfindung war der erste strombetriebene Webstuhl. Diesen „Toyoda Power Loom“ stellte er 1897 der Öffentlichkeit vor.

Bis heute ist Toyoda Sakichi die große Traditionsfigur im Hintergrund. Auf ihn gehen die unternehmenskulturellen Grundlagen von Toyota zurück. Was er vorgelebt hat ist Maßstab für alle, die Toyoda-Familie wie die Mitarbeiter.

Toyoda Sakichi wurde vom japanischen Kaiser der Orden Das Blaue Band und der Verdienstorden dritter Klasse verliehen.

In den „Power Loom“ implementierte er das technische Prinzip „Jidoka“, welches bewirkt, dass eine Maschine beim Auftreten eines Problems selbst anhält.

Die Toyoda Automatic Loom Works, Ltd.* entwickelte sich in wenigen Jahren zum führenden Unternehmen in der Branche.

Nachdem er den „Power Loom“ perfektioniert hatte gründete er 1926 die Toyoda Automatic Loom Works, Ltd.* Toyoda Sakichi besuchte 1910, zwei Jahre vor dem Produktionsstart des T-Modells, die ________ Ford-Werke und war beein* Die Toyoda Automatic Loom druckt vom Entstehen der Works firmiert heute unter „ToyoAutomobilindustrie in den ta Industries Corp.“ (TIC) in der USA. Zulieferbranche.

Als Abteilung in der Automatic Loom Works wird 1933 der Bereich Autoproduktion von Toyoda Kiichirō geschaffen (später „Toyota Motor Corporation“). Der Aufbau dieser Automobilabteilung wird durch den Verkauf eines Patents für $ 250.000 von Toyoda Sakichi an das britische Webstuhlunternehmen Platt Brothers finanziert. Zu dieser Zeit war die Webindustrie die führende Branche in Japan. Neben den LKW-Modellen wird das PKW-Modell AA in geringen Stückzahlen produziert. Das alles erlebte Toyoda Sakichi nicht mehr, er starb 1930.

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Toyoda Sakichi’s Power Loom mit integrierter Jidoka-Technik

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19 00

Gebrauchsanweisung zum Power Loom aus dem Jahr 1905, in der auch erstmals die Jidoka-Technik dokumentiert ist.

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ginn ist somit nicht in der aufkommenden Industrialisierung, sondern im Handwerk des auslaufenden 19. Jahrhunderts zu suchen. Viele Japanerinnen, so auch seine Familie, arbeiteten an Webstühlen in Heimarbeit oder in Spinnereien. Die Triebfeder seiner unternehmerischen Tätigkeit (er war gelernter Schreiner), sich besonders der Spinnerei zuzuwenden, lag wohl auch darin begründet, weil er es nicht mit ansehen konnte, dass seine weiblichen Verwandten, unter sehr harten Bedingungen arbeiteten, die vor allem auf die technisch und ergonomisch unzureichenden Maschinen zurückzuführen waren. Schließlich erwarb er noch zur Stromerzeugung eine gebrauchte Dampfmaschine und setzte sie in den Entwicklungspfad der Webstuhlherstellung ein. Der junge Sakichi bekam so hautnah mit, wenn die Funktionsweise von Webstühlen gestört war. Das war häufig der Fall. Er machte es sich zur Aufgabe, einen besseren Webstuhl zu entwickeln; was ihm nach langem Experimentieren auch gelang. 1987 hatte er den ersten elektrisch betriebenen Webstuhl der Welt fertiggestellt, den er „Power Loom“ nannte und den er 1926 über seine Firma Toyoda Automatic Loom Works, Ltd.“ auf den Markt brachte. An dem Webstuhl war eine Vorrichtung eingebaut, die später noch Geschichte schreiben sollte, das technische Prinzip „Jidoka“. Es bewirkte, dass die Maschine beim Auftreten eines Problems, selbst stoppte. Man kann es als selbstgesteuerte Fehlererkennung bezeichnen, die die Qualität in der Produktion gewährleistet. „Jidoka“ sollte Jahrzehnte später eine Komponente des Toyota Production System (TPS) werden. Festzuhalten ist zunächst, dass Sakichi den Webstuhl revolutioniert hat. Des weiteren hat er sich 85 Erfindungen patentieren lassen. Seine – allerdings nicht patentierten – Erfindungen waren nicht nur technischer Natur, sondern „Erfindungen für eine bessere Organisation“. So sind die 5 Whys als Ursachensuch-Technik bei organisatorischen Problemen auf sein Gespür zurückzuführen, nicht oberflächliche Lösungen zu priorisieren, sondern den Übeln an der Wurzel zu folgen. So ist es Sakichi, wenn auch nicht explizit dokumentiert, zuzuschreiben, sich ständig um Verbesserungen (Kaizen) zu bemühen. Die systematische Weiterentwicklung seines „Power Loom“ zeugt von der Anwendung der Kaizen-Technik. Schließlich muss hervorgehoben werden, dass offensichtlich der Einfluß eines schottischen Moralphilosophen, des Arztes Samuel Smiles, einen nicht unmaßgeblichen Einfluss auf sein Denken gehabt haben muß. Das Buch von Smiles (SelfHelp. Erstauflage 1887) ist heute in seinem Geburtshaus in Kosai, das

y Samuel Smiles Einfluß auf Toyoda Sakichi lässt sich nicht beweisen, aber begründet annehmen: Smiles Werk Self-Help) muß Sakichi Toyoda damals (vor der Jahrhundertwende 1900) intensiv studiert haben. Ein englisches Exemplar wurde als „Kostbarkeit“ in einer Glasvitrine im Toyoda-Museum in Kosai, Shizouka, ausgestellt.

Samuel Smiles (*1812-1904𐐆)

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2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

76 Zum Einfluss von Samuel Smiles auf Toyoda Sakichi

Sakichi erkannte: Nicht der Webstuhl und die Spinnerei sind die Zukunftsbranche, sondern die Motorisierung durch das Automobil

zu Ehren des Firmengründers in ein Museum umgebaut wurde, in einer Vitrine ausgestellt. Smiles Buch ist neuerding (2012) in seiner deutschen Fassung aus dem Jahr 1900 aufgelegt worden. Es beinhaltet Themen, in Geschichten erzählt, die auf Sakichi in hohem Maße inspirierend und bestätigend gewirkt haben müssen. So wird zum Beispiel James Watt als Erfinder der Dampfmaschine charakterisiert. Liker (2006, 44) schreibt: Smiles zeichnet „… den Weg von Erfindern nach, deren innerer Antrieb und Wissbegierde zu bedeutenden Erfindungen führte, die den Kurs der Menschheit veränderten.“ Doch nicht nur Erfinder, auch Geschäftsleute und Künstler und weitere Berufsgruppen werden von ihm unter dem Gesichtspunkt charakterisiert, was einzelne unter ihnen aus eigener Kraft trotz widriger Umstände vermocht haben. Insgesamt muss Sakichi in der Lektüre sein Ideal gefunden haben, dass es weniger das Talent, sondern vor allem Arbeit, Beharrlichkeit, Fleiß und Disziplin die prägenden Merkmale sind, die den Charakter formen und als menschliche Tugenden Wert haben. Obwohl Sakichi mit seiner Webstuhlentwicklung sehr erfolgreich war, sah er eher im Automobilbau eine Zukunft. Er sandte seinen Sohn Kiichirō, mit dem er auch den Webstuhl zusammen entwickelt hatte, nach London, damit er der Platt Brothers & Co. Ltd (Oldham, England) das Patent anbot. Für den Preis von 100.000 engl. Pfund wurden die Rechte am 21.12.1929 exklusiv abgetreten, um damit die Toyota Motor Corporation zu gründen. „Wir sind wie Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen. Wir können weiter sehen als unsere Vorfahren, und in diesem Maße ist unser Wissen größer als das ihre, und dennoch wären wir nichts, würde uns die Summe ihrer Weisheiten nicht den Weg weisen.“ (Bernard von Chartres)

2.3.2 Toyoda Kiichirō, wie der Vater, so der Sohn

Toyoda Kiichirōs Eindruck von der amerikanischen Automobilproduktion bei Ford

Es war der Wunsch von Sakichi, dass sein Kiichirō zwar in seine Fußstapfen trete, aber ihm nicht in der Branche folgen möge: Er soll etwas Eigenes, Neues schaffen, das auch der Gesellschaft Nutzen bringen soll. So nimmt es nicht Wunder, das die aufkommende Automobilisierung, die zwar in Japan noch sehr in den Anfängen steckte, aber in den USA besonders durch Henry Ford schon deutlich weiter vorangetrieben wurde, der Bereich ist, den Sakichi für den Sohn ausgewählt hat. Bereits 1929 unternahm Kiichirō eine Reise in die USA, um die Ford-Werke zu besichtigen. Er war begeistert vom Entstehen der Automobilindustrie in den USA. Nicht zuletzt aufgrund der Lektüre

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Toyoda Kiichirō wurde 1894 in der Prefecture Aichi ( Japan) als Sohn von Toyoda Sakichi geboren. Er hatte einen Sohn: Toyoda Shoichiro

Toyoda Kiichirō [*1894-1952†]

Er folgt dem Rat seines Vaters, der gesagt haben soll, er habe dem Staat gedient indem er Webstühle gebaut hat, er solle dem Staat nun mit dem Bau von Automobilen dienen.

Er hat ein Ingenieurstudium an der Universität Tokio absolviert. Sein Interesse lag eher im technischen Bereich. 1929 besuchte er die USA und besichtigte dort Automobilwerke. Dieser Eindruck war prägend. Er schuf innerhalb der Automatic Loom Works seines Vaters Toyoda Sakichi die Automobilabteilung, aus der 1937 die Toyota Motors Industry Co., Ltd. hervorging. Toyoda Kiichirō war deren Gründer.

1941, nachdem Toyoda Risaburo zurücktrat, übernahm Kiichirō die Geschäftsleitung der Toyota Motor Corp., die er bis zu seinem Rücktritt 1950 innehatte. Er übernahm damals die Verantwortung für die Folgen des einzigen Arbeitskampfes in der Geschichte von Toyota.

◀ Abb. 2.8: Toyoda Kiichirō, der Gründer von Toyota Motor Corporation (TMC)

Er konzentrierte sich auf die technische Entwicklung, Produktion und Organisation der Toyota Motor Corp. Toyoda Risaburo (Schwiegersohn von Sakichi) übernahm die Geschäftleistung.

Toyoda Kiichirō hatte bereits in den 1930er Jahren (angeregt durch Henry Fords Bücher), seit Gründung der Automobilabteilung, die Idee der „Just-inTime“-Fertigung, die er später, zusammen mit Taiichi Ohno im Toyota Production System (TPS) umsetzte.

von Fords Büchern erkannte er, dass die Fertigung um das „Just-inTime“-Element in Japan ein unabdingbares Erfordernis sei, um Lagerbestände nicht vorhalten zu müssen und damit die Kosten zu senken. Diese Idee sollte er später (nach dem 2. Weltkrieg) mit Ohno Taiichi im Rahmen des Toyota Production System umsetzen. Auch war das Vermeiden von Verschwendung (Muda) schon von ihm systematisch verfolgt worden (Landes 2008, 289): „Er investierte einiges Geld in Förderbänder und MehrzweckMaschinen, um die von den Arbeitern zurückzulegenden Wege zu minimieren und platzsparend produzieren zu können. In der ersten Zeit, als innerhalb der Toyoda Automatic Loom Works die Autosparte noch als Abteilung organisatorisch eingebettet war, übernahm Kiichirō den technischen Part als Ingenieur, während sein Schwager Risaburo die kaufmännische Leitung innehatte. Diese Aufteilung wurde noch beibehalten als 1937 die Toyota Motor Corporation gegründet wurde. Erst 1941 übernahm Kiicherō auch formal die vollständige Leitung des Unternehmens. Im Hintergrund war er sowieso die dynamische Kraft, die die Entwicklungen vorantrieb. Das erste Modell wurde A1 genannt (wohl in Anlehnung an Fords gleichnamiges Modell). Modell A1 wurde ab Frühjahr 1935 in kleinen Mengen produziert. Es war jedoch für Japan zu früh für ein solches Auto, denn der japanische Gesetzgeber verordnete den Bau von Lastwagen.

Denkmal des Gründers der Toyota Motor Corporation, Ltd, Toyoda Kiichirō

Toyoda Kiichiro war Buddhist. Es wird erzählt, er habe im Rahmen einer buddhistischen Zeromonie einen Toyota-Oldtimer beerdigt.

Das erste Toyota Modell A1 auf der Fertigungsstraße

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2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

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Möglicherweise waren das politische Entscheidungen, die den Beginn des Krieges antizipierten. Jedenfalls schwenkte die Toyota Motor Corporation um auf den Schwerpunkt LKW-Produktion, die mit dem Modell G1 begann. Unabhängig von diesen politisch beeinflussten Problemen be„Ich plane die Leermühte sich Kiichirō stetig darum die technischen und organisatoläufe innerhalb der Arbeitsprozesse und rischen Gegebenheiten entsprechend den japanischen Verhältnissen in der Versorgung zu gestalten. Das später von Ohno Taiichi auf den Punkt gebrachte Toder Produktion mit yota Production System (TPS) musste schon damals (in der zweiten Teilen und Materialien Hälfte der 1930er Jahre) im >status nascendi< entstanden sein (Lanso weit wie mögdes 2008, 286): lich zu reduzieren. „Er hatte, kurz gesagt, begriffen, dass es nicht nur darum ging, Als Basisprinzip zur ein neues Produkt herzustellen, sondern eine Industrie und Realisierung dieses ein neues Produktionssystem auf die Beine zu stellen, die der Vorhabens will ich den ’Just-In-Time’-Ansatz konkreten Situation Japans angemessen sein mussten. Diese etablieren. Die LeitreErkenntnis, dass es darauf ankommt, Verfahrensabläufe zu gel lauter, dass Güter optimieren, war ein Kernelement für den Erfolg von Toyota weder zu früh noch zu und ist es bis heute geblieben.“ spät geliefert werEs lässt sich somit im Rückblick auf Sakichis und Kiichirō organisaden sollen.“ (Toyoda torische Gestaltungsbemühungen feststellen, dass die Kernelemente Kiichirō, 1938) des erst nach dem 2. Weltkrieg so benannten Toyota Production System (TPS) bereits in der Zeit der Aufbauphase der Toyota Motor Die Kernelemente Corporation nicht nur gedanklich, sondern auch in der Praxis der wurden von Toyoda Produktion vorhanden waren:

Kiichirō bereits in der ◼ Jidoka (Sakichi) Frühphase der Toyota Motor Corporation ◼ Fünf Whys (Sakichi) geplant und wohl ◼ Just in Time/Kanban (Kiichirō) auch stetig umgesetzt. ◼ Muda (Kiichirō) Das muss begründet ◼ Prozessbeherrschung (Kiichirō) angenommen werden, denn Kiichirō war ein Doch es sind nicht nur die in der Tat genialen Vorwegnahmen von Mann der Gemba. organisatorischen und produktionsbezogen Elementen, die später zu





  

einem System zusammengeführt wurden, nein auch über die Namensgebung hinaus haben diejenigen, die damals die Weichen gestellt symbolisch formend gewirkt: Das Toyota-Logo mit seinen drei Ellipsen erhält seinen inhaltlichen Ausdruck durch drei bis heute maßgebende Managementelemente, die die Abbildung zeigt (◀). Diese inhaltliche Ausdeutung muss wohl im Zeitverlauf entstanden, von den gedanklichen Wurzeln her aber sicherlich „herausgewachsen“ T O YO T A sein.

y◀ Toyotas Logo existiert seit 1936 und ist seit 1989 einheit  

lich für alle Unternehmensbereiche eingeführt. Es stellt drei Ellipsen dar, die folgendes zum Ausdruck bringen sollen: Kundenzufriedenheit, Innovation, Qualität und Kreativität.

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Toyoda Kiichirō konnte seine Zeit als Leiter und Lenker der Toyota Motor Corporation nicht mit einem Erfolg krönen. Aus dem einzigen Arbeitsstreik in der Geschichte Toyotas, über den bereits viel berichtet wurde, zog er 1950 die Konsequenzen mit seinem Rücktritt. Der Pakt, den er mit der Belegschaft aushandelte und konsequente Kostensenkungsmaßnahmen verhinderten den Konkurs (Liker 2006, 45/46): „… verordnete sich Toyota strikte Kostensenkungsmaßnahmen, inklusive eines freiwilligen Gehaltsverzichts der Manager sowie einer zehnprozentigen Lohnkürzung für alle Mitarbeiter. … Er übernahm die Verwantwortung für das Scheitern seines Automobilunternehmens und trat als Präsident zurück, und das, obwohl die wahren Probleme für den Misserfolg völlig außerhalb seiner Einflussmöglichkeiten lagen. Sein persönliches Opfer trug dazu bei, den Unmut der Arbeiter zu besänftigen. Es fanden sich mehr arbeiter, die bereit waren, das Unternehmen freiwillig zu verlassen, und schließlich kehrte wieder Frieden.“

Toyoda Kiichirō verlor damals sein gesamtes Vermögen und starb wenig später (1952). Seine Denkweise und seine organisatorischen Vorstellungen wurden in der Kultur Toyotas aufgehoben, tradiert und von Toyoda Eiji und Ohno Taiichi aufgegriffen.

„Defend your castle yourself!“ (Ishida Taizo)

2.3.3 Ishida Taizo, der Sparer und erste TMC-Controller Fassen wir zunächst die beiden Konsequenzen zusammen, die sich für Toyota Mitte 1950 aus dem Arbeitskampf – ausgehandelt mit den Gewerkschaften – ergeben hatten: ◼ (1) Lebenslange Beschäftigungsgarantie für die Stammbelegschaft; ◼ (2) Nur noch interne Gewerkschaften waren zugelassen. Am 25. Juni 1950 brach der Korea-Krieg aus. Zu diesem Zeitpunkt war die finanzielle Situation äußerst prekär. Konsequenzen mussten eingeleitet werden. Toyotas Geschichte ist reich an solchen Einschnitten und Rückschlägen. Die Rücktritte von Kiichirō und Risaburo läuteten eine neue Ära für das Unternehmen ein, die anfangs geprägt wurde durch ein extremes Kostencontrolling. Der Mann, der das vollbringen sollte, stand bereit. Daran erkennt man wie klug und zukunftsweisend die Personalpolitik der Toyodas ist. Ishida Taizo (Abbildung 2.9) war ein Verwandter von Risaburo, gehörte also nicht zur direkten Familienlinie. Aber er war genau der Richtige zum richtigen Zeitpunkt, der den Turnaround schaffen sollte. Er war Kaufmann durch und durch, der von ehernen Grundsätzen lebte, die er nun übertrug auf das finanziell angeschlagene Unternehmen. Damals war er Direktor der TALW. Dabei muss gesagt werden, dass ihm der Korea-Krieg als glücklicher Umstand zugute kam. Die Auftragslage wurde stark durch die USA bestimmt, die jeden Lastwagen kauften, den Toyota

Lebenslange Beschäftigungsgarantie ist kein kulturelles Produkt japanischer Großfirmen, sondern Ergebnis eines Vertrags zwischen Unternehmung und Mitarbeiter

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2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

80 Abb. 2.9: Ishida Taizo, der große Konsolidator der Toyota Motor Corporation (TMC) ▶

Ishida Taizo wollte ein Toyota-Auto entwickeln lassen, das auch als Amphibienfahrzeug tauglich ist. Es wurde allerdings schon als Idee von den Toyota-Ingenieuren abgelehnt. Warum eigentlich?

Toyoda Eiji verantwortete in der Ära von Taizo Ishida den Produktionsbereich, bevor er später Präsident werden sollte Die Wirtschaftlichkeitsgrundsätze von Taizo Ishida sollten die Toyota-Unternehmenskultur langfristig prägen

Rechtliche und organisatorische Aufspaltung des Unternehmens in Produktion und Vertrieb

Von 1950 bis 1961 leitete Taizo Ishida die Toyota Motor Corp. Der Gründer, Toyoda Kiichirō, war kurz davor zurückgetreten. Ishida war ein Verwandter von Toyoda Risaburo. Er hatte sich richtig „hochgemuskelt“, vom Kimonoverkäufer zum Geschäftsführer des Autokonzerns.

Toyoda war Anfang der 1950er Jahre hochverschuldet. Taizo Ishida konsolidierte das Unternehmen durch eine extrem sparsame Führung. Toyota wurde in wenigen Jahren schuldenfrei.

Taizo Ishida [*1888-1979†]

Taizo Ishida hat viele Handlungsmaximen/Prinzipien formuliert und vorgelebt, die Eingang in das Wertesystem Toyotas gefunden haben. Hier einige Beispiele: (1) Grenzenlose Kostensenkung (Motto: „Ein bereits trockenes Handtuch nochmals auswringen“ (2) Keine Fremdfinanzierung (Motto: „Deine Burg musst Du selber verteidigen“ (3) Profitabel wirtschaften (Motto: „Verdiene und investiere“ (4) Konzentration auf das Hauptgeschäft (Motto: „Das Geld für das Kerngeschäft ausgeben“).

Aus dem 90 Tage dauernden Streik im Jahre 1950 ging Toyota – trotz Rücktritt von Kiichirō und Risburo – gestärkt heraus: Nur noch interne Gewerkschaften waren zugelassen und die lebenslange Beschäftigungsgarantie für die Stammbelegschaft waren der Kompromiss. Der kurz darauf einbrechende Korea-Krieg führte zu unerwarteten Auftragseingängen durch die USA, die Taizo Ishida geschickt managte.

nur herstellen konnte. Taizo Ishida schaffte es Toyota in ein gesundes Unternehmen zu überführen, wobei noch erwähnt werden muss, dass die Verantwortung für die Produktion in die Hände von Toyoda Eiji gelegt wurde. Die folgenden beiden Grundsätze, nach denen Ishida handelte, zählen seitdem zu den Grundsätzen der kostenbewussten Unternehmensführung Toyotas: ◼ „Ein bereits trockenes Handtuch nochmals auszuwringen“ – meint: grenzenlose Kostensenkung ◼ „Deine Burg musst Du selber verteidigen“ – meint: keine Fremdfinanzierungen Weitere Grundsätze betreffen eher die investiven Entscheidungen. Die folgenden beiden sind ebenfall in die Toyota-Grundsätze eingegangen: ◼ „Verdient und investiert“ – meint: Profitabel wirtschaften ◼ „Das Geld für das Kerngeschäft ausgeben“ – meint: Sich nicht verzweigen, Konzentration! In dieser Phase wurde ein weiterer Schritt von Ishida vollzogen, die Trennung von Produktion und Vertrieb. Gegründet wurde die Toyota Motor Sales (TMS) entsprechend dem Grundsatz des Chinesen Sun Tsu „Teile und Herrsche“ (lat. divide et impera). Die TMC war damit rein auf die Entwicklung und Produktion von Automobilen fokussiert. Schließlich ist noch besonders hervorzuheben, dass Ishida es schaffte, den im Arbeitskampf ausgehandelten Kompromiss (2), nur

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

eine Gewerkschaft zuzulassen, in ein kooperatives Modell zu verwandeln, nach dem die Grundsätze der kontinuierlichen Verbesserung (KVP; Kaizen) jeden Mitarbeiter einbinden. Dieser Punkt kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, bildet er schließlich einen Eckpunkt des Toyota Production System. Hieran konnte Ohno Taiichi zusammen mit Toyoda Eiji anknüpfen, als sie darangingen die Elemente der Organisation und Produktion, wie sie von Sakichi und Kiichirō bereits formuliert und angewandt wurden, in ein Organisations- und Produktionssystem zu formen.

Für die systematische Umsetzung von KVP/ Kaizen bildete der Kompromiss „nur eine interne Arbeitehmervertretung“ die Basis der organisatorischen Einbettung in das TPS

„Keine Angst, Niccolò, wir wissen deine Verdienste zu schätzen und wir erinnern uns deiner großen Zeiten.“ (Hans Magnus Enzensberger über Niccolò Machiavelli)

2.3.4 Ohno Taiichi, der Meister der Organisation In der Zeit, als Ishida Taizo die Geschicke der Toyota Motor Corporation lenkte und Toyoda Eiji die Produktion verantwortete, wurde der Produktionsbereich von Ohno Taiichi geführt, der seit 1943 als Betriebsingenieur bei der TMC angestellt war und vorher schon als Ingenieur bei der TALW beschäftigt war. Im Jahr1949 avancierte er zum Produktionsleiter bei TMC. Er hatte die Begabung, die Essenz im Vorhandenen zu erkennen, es zu fokussieren und eigene Versatzstücke kombinatorisch zu ergänzen, so dass alles ein System ergibt. Im Vorhandenen baut er auf die Elemente auf, die bereits Toyoda Sakichi und Kiichirō entwickelt hatten ( Jidoka, 5 Whys, Just in Time, Kanban, Ohno Taiichi wurde 1912 im damals zu Japan gehörenen Dairen (heute Dalian – Mandschurai) geboren. Er absolvierte ein Ingenieurstudium am Nagoya Institute of Technology in Japan als graduierter Ingenieur. Bereits 1932 kommt er zur Toyota Automatic Loom Works, Ltd., 1943 wechselt er zur Toyota Motor Corporation als Betriebsingenieur. Er wurde in den 1950er Jahren Produktionsleiter im Stammwerk von Toyota. Er bereiste 1956 die USA und besichtigte die Automobilfabriken von Ford und General Motors. Unter der Leitung von Toyoda Eiji begann er nach der Rückkehr – nach einer gründlichen Analyse des Produktionssystems von Ford – ein Toyotaspezifisches Produktionssystem zu entwickeln.

Ohno Taiichi [*1912-1990†] Manchmal ist heute im Zusammenhang mit dem Toyota Produktionssystem (TPS) von Ohnismus in Analogie zum Fordismus die Rede. Gemeint sind damit die vier Systemelemte des TPS Muda Just-in-Time Autonome Automation Kaizen, die Grundideen, die sein Denken und Vorgehen bestimmt haben. Bei der Entwicklung des Toyota Produktionssystem greift Ohno auf die Erfahrungen von Toyoda Sakichi und Kiichirō zurück, die bereits die Qualitätskonzepte Jidoka und Just-in-Time entwickelt hatten. Insofern ist die immer wieder gehörte Behauptung, dass die Idee zu Just-in-Time der Erfahrung in den USSupermärkten zu verdanken ist, wohl nicht zutreffend. So hat er die Qualitätstechnik Kanban bereits 1953 erprobt. Ohno probierte seine Konzepte erst aus, er ging experimentell vor. Die Fabrik war sein Experimentierfeld.

Ohno Taiichis Entwurf eines Produktionssystems für Toyota kam nicht aus dem Nichts, sondern baute auf Vorhandenem auf

◀ Abb. 2.10: Ohno Taiichi, Produktionsleiter und später Vice Präsident der Toyota Motor Corporation (TMC)

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2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

82 Zwei Element des TPS müssen immer im Zusammenhang gesehen werden: Muda und Mensch. Das TPS ist kein technisches System, sondern ein Handlungsmodell, das an Wirtschaftlichkeitskriterien ansetzt (Verschwendung vermeiden). Der Mensch ist nicht an sich ein in Wirtschaftlichkeitsdimensionen denkendes Wesen. Dazu muss er sich erst machen, sofern er seine Vernunft zu gebrauchen weiß. Die japanischen Manager haben damals nie ein Hehl aus dieser anthropologischen Konstante gemacht und darin ein Moment des Betriebsvertrags mit den Mitarbeitern gesehen.

Wir haben es bei dem Toyota Produktionssystem eigentlich mit einem umfassenden Managementsystem zu tun, dem Toyota Managementsystem (TMS). Siehe besonders Kapitel 3.3!

Muda, Prozessbeherrschung). Er kannte nur den letzten persönlich, war mit ihm in den USA, wo ihm angeblich das Aha-Erlebnis im Supermarkt kam (Legenden sind ja immer gut für die Kultur, da kann man Geschichten erzählen.). Wichtig ist der von vielen Nachbetern vernachlässigte Inhalt im dritten Absatz des Vorwortes zu seinem Buch (Ohno 1993, 19): „Das wichtigste Ziel des Toyota Systems war die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Produktion durch konsequente und gründliche Beseitung jeglicher Verschwendung. Dieses Konzept mit der gleichzeitigen Betonung des Respekts vor dem Menschen, der vom ehrenwerten Toyoda Sakichi (18671930), dem Gründer des Unternehmens und großartigen Erfinder, seinem Sohn Toyoda Kiichirō (1894-1952), dem ersten Präsidenten der Toyota Motor Company und Vater des japanischen Personenwagens weitergeben wurde, stellen die Grundlage des Toyota-Produktionssystems dar.“ Verschwendung (Muda) und Respekt vor dem Menschen. Damit ist der Mitarbeiter des Unternehmens gemeint. „Verschwendung entsteht, wenn wir versuchen, das gleiche Produkt in großen Stückzahlen herzustellen. Am Ende steigen nämlich die Kosten. Es ist tatsächlich viel wirtschaftlicher, von einem Artikel nur einen auf einmal herzustellen. Die erste Methode ist das Ford-Produktionssystem, die letztere das Toyota-Produktionssystem.“ (Ohno 1993, 20) Diese Gegenüberstellung von Massen- versus Einzelproduktion wird noch dadurch ergänzt, dass es sich beim TPS nicht nur um eine Fertigungssystem handelt, sondern um ein Managementsystem (Ohno 1993, 21). „Das Toyota-Produktionssystem ist jedoch nicht nur ein Fertigungsystem. Ich bin sicher, dass es seine ganze Stärke erst in der Anwendung als umfassendes Managementsystem offenbaren wird, weil es auf die heutige Ära globaler Märkte und computerisierter Informationssysteme zugeschnitten ist.“ Das ist in der Tat der Fall: Wer Kunden individuell zufriedenstellen will, der benötigt mehr als ein Produktionssystem, sondern ein Managementsystem. Wir können also – trotz eingeführter Benennung TPS – sagen: Nach Ohno selbst haben wir es bei dem Toyota Managementsystem, dem TMS, mit einem umfassenden Managementsystem zu tun, in dem den Menschen besonderer Respekt zukommt und das auf Beseitung von Verschwendung zielt, indem die Produktion als Einzelfertigung organisiert wird.

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten „Viele Zustände haben nur eine einzige Ursache, nämlich das Gewicht der Tradition. Nur wer weiß, woher er kommt, kann ein eigenes Profil entwickeln und die Zukunft bewußt gestalten. Zukunft braucht Herkunft.“ (Hartmut Berghoff)

2.3.5 Toyoda Eiji, der Globale In Toyoda Eiji hatte Ohno Taiichi einen wichtige Vorgesetzten, der ihn bei der sukzessiven Einführung des neuen Produktionssystems voll unterstützte. Diese Untersützung benötigte er (Ohno 1993, 37): „Es ist niemals leicht, mit den Gewohnheiten in den Werkshallen zu brechen und den Arbeitern nicht mehr ausschließlich bestimmte Arbeiten zuzuweisen, z. B. Drehern nur Drehereiarbeiten und Schweißern nur Schweißarbeiten. Es funktionierte in Japan nur, weil wir alle bereit waren es zu tun.“ Die hier anklingende Bereitschaft der Mitarbeiter war naturgemäß nicht gegeben. Sie wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht in der Folge des Streiks Abmachungen mit der Belegschaft getroffen worden wären (s. Kapitel 2.3.3). Trotzdem, Ohno weist an mehreren Stellen auf Widerstände hin (Ohno 1993, 38): „… Wir stießen jedoch auf starken Widerstand der Arbeiter, obwohl sich ihre eigentlichen Tätigkeiten nicht änderten oder sich die Anzahl der Arbeitsstunden nicht erhöhte. … Ihr Widerstand war verständlich. Außerdem kam mit unseren Bemühungen verschiedene Probleme zutage.“ Toyoda Eiji wurde 1913 in Nagoya, Präfektur Aichi ( Japan) als Sohn von Toyoda Heihachi geboren, dem Bruder von Toyoda Sakichi, der legendären Gründerfigur der Toyota Automatic Loom Works, Ltd. Eiji und Kiichirō (Sohn von Sakichi) verband eine intensive Freundschaft.

Er absolvierte 1936 ein Ingenieurstudium an der Universität Tokio. Im selben Jahr trat er ins Unternehmen ein und bekleidete in der Folge viele Führungsfunktionen; 1967 wurde er Präsident; 1982 trat er zurück.

Toyoda Eiji [*1913-heute]

Auch Toyoda Eiji reiste in die USA, um die Produktionsmethoden in den Fordwerken direkt vor Ort kennenzulernen. Er war zwar vom quantitativen Ausstoß beeindruckt, erkannte aber auch, dass er für Japan ein anderes Produktionssystem entwickeln muss. Mit Unterstützung seines Experten Taiichi Ohno entwickelte er schrittweise das Toyota Produktionssystem (TPS). Unter Rückgriff auf die bereits von den Gründern entwickelten Techniken Jidoka (Sakichi) und Just-in-Time (Kiichirō) gelang es das TPS zu formen. Das TPS verdankt sich somit nicht dem Geniestreich eines Einzelnen, sondern ist das evolutionäre Produkt mehrerer Generationen.

Durch den Rücktritt von Kiichirō im Jahr 1951 gab es keinen Ingenieur mehr in der Firmenleitung (Taizo Ishida war Kaufmann und Nakagawa Fukio war Bankier). Eiji übernahm deshalb die Verantwortung für Entwicklung und Produktion. Die Entwicklung und Produktion der Automodelle aus dieser Zeit, Crown, Mark II und Corolla, hatte er zu verantworten, auch den Lexus, der Anfang der 1990er Jahre auf den Markt kam. – Als Nakagawa Fukio 1967 verstarb wurde er als Präsident gewählt.

Ohno verdeckt nicht die Widerstände, die sich bei der Umsetzung des TPS ergeben haben

◀ Abb. 2.11: Toyoda Eiji, der die Toyota Motor Corporation (TMC) auf den Weltmarkt brachte

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Für Toyoda Eiji war es eine Notwendigkeit „Just-in-Time“ einzuführen, schon weil er es – genauso wie Toyoda Kiichirō – als das Toyota-Prinzip schlechthin sah (Ohno 1993, 304). Deshalb gab es kein zurück. Ohno als Mann der Gemba experimentierte und experimentierte, um das System einzuführen und die Widerstände abzubauen. JiT Das Experiment gelang, wird aber nie zu Ende sein. Muda/Mensch/JiT, Neben der intensiven Beschäftigung mit dem Produktionssystem das war damals der sah es Eiji – seit er Präsident war – als seine vornehmsten Aufgaben die Zusammenhang, der Führungskräfte angemessen auszubilden und Toyota auf dem Weltständig von Eiji und Taiichi gesehen wurde, markt stark zu positionieren (Liker 2006, 47): und der ihr Handeln „Er spielte eine Schlüsselrolle in der Selektion und dem leitete Empowerment der Führungskräfte, die den Vertrieb, die Fertigung und die Produktentwicklung – und noch wichtiger – das Toyota-Produktionssystem formten.“ Zu Eijis Engagement bei den Baureihen: Das erste Modell, das ToDer Crown war das erste Nachkriegsmoyota in Serie herstellte, war der Crown. Am Neujahrstag 1955 fuhr Eiji dell der TMC, in den den ersten Wagen dieser Baureihe aus der Produktionshalle. Jedoch USA ein Flop gestaltete sich der Absatz schwierig, denn der Crown war zwar in Japan ein Erfolg, aber als er 1957 in den USA eingeführt wurde, erwies er sich dort als völliger Flop. Der Grund: der Crown war für japanische Straßen konstruiert und daher für die Highways ungeeignet. Er war zu langsam, und sein Motor war anfällig für Überhitzung. Trotz solcher Rückschläge arbeitete Eiji jedoch unbeirrt daran, auf dem US-Markt erfolgreich zu sein. Letztendlich zahlte sich seine Hartnäckigkeit aus. In den 1960er-Jahren führte Toyota die Erfolgsmodelle Corona und Corolla ein, die nun auch in den USA großen Absatz fanden. Vor allem aufgrund des Erfolgs des Corollas 1975 hatte Toyota 1975 Volkswagen als größten Autoimporteur in den USA abgelöst. Unter Eiji hat Toyota schließlich mit dem Lexus den Sprung in die Luxusklasse geDer Lexus, bereits unter Eiji das Zutan (Lexus LS400). Toyota hatte sich mittlerweile den Ruf erworben, kunftsprojekt Qualitätsautos zu bauen. Dieses Image hat bekanntlich seine Wurzeln im TPS und messbar in dessen Output, den Produkten. Wirkungen von Toyoda Eiji: Er war zwar nicht der Gründer von Zur Bedeutung Eiji TMC, aber er leistete den entscheidenden Beitrag dazu, dass aus dem Toyodas kleinen Unternehmen Toyota ein führender, global agierender Automobilproduzent wurde. Unter Eiji konzentrierte sich Toyota vor allem auf Wirtschaftlichkeit und Qualität (Wettbewerbsvorteile). Aufgrund Eijis innovativer Produkt- und Unternehmenspolitik wurde Toyota bald auch auf dem US-Markt zu einem der Hauptkonkurrenten der großen Automobilhersteller in den USA. Er war es, der zusammen mit Ohno Taiichi das Toyoda-Produktionssystem (TPS) zielführend entwickelte, das über die Automobilbranche hinaus das auf Globalität ausgerichtete Managementsystem wurde. Muda

Mensch

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Toyoda Shoichiro Toyoda Shoichiro (geboren 1925 in Nagoya/ [*1925-heute] Japan) ist der Sohn von Toyoda Kiichirō. Seine Ausbildung zum Ingenieur hat er an der Nagoya University im Jahr 1947 absolviert, wo er auch im Jahr 1955 promoviert wurde. Er ist also der einzige hohe Repräsentant der Toyoda-Familie mit Doktortitel. Zur Toyota Motor Company (TMC) gelangte er nicht direkt, da er anderweitige Funktionen in anderen Branchen übernommen Er übernahm hatte. 1957 die Aufgabe, das Motomachi-Werk mit einer Jahreskapazität von 120.000 Autos zu bauen. Damit wurden die Produktionskapazitäten mehr als verdoppelt. In der Folge leitete Shoichiro systematisch die Implementierung von QM-Techniken ein. Unverkennbar orientierte er sich an den Qualitätslehren von Deming und Ishikawa: PDCACircle, Quality Circle etc. Schließlich fusionierte er die beiden Unternehmen TMC und TMS.

Shoichiro war von 1982 bis 1992 Präsident der Toyota Motor Corporation. Er forcierte den Verkauf des Lexus und strukturierte Toyota gänzlich um, schuf die organisatorischen Grundlagen für eine globale Ausrichtung. Im Sinne seiner zentralen Begriffe [Abänderung (Henkaku) und Schöpfung (Sozo)] gründete er 1992 fünf Entwicklungszentren, so eines für Motor und Antrieb, ein anderes für Elektronik, eines für Kleinautos, etc. Auch die Modellvarinten ließ er deutlich erhöhen.

◀ Abb. 2.12: Toyoda Shoichiro, der die Toyota Motor Corporation (TMC) reformierte

Shoichiro modernisierte das Unternehmensleitbild Toyotas, das noch auf die von Toyoda Sakichi formullierten fünf Prinzipien basierte. Man kann ihn mit einiger Berechtigung als Reformer bezeichnen.

„Wer nicht liebt Weib, Wein und Gesang, der bleibt ein Narr sein Leben lang.“ (Martin Luther)

2.3.6 Toyoda Shoichiro, der Reformer und Schöpfer Es darf nicht vergessen werden, dass die Strukturen, die Toyoda Sakichi, der Gründer, geschaffen hatte, jahrzehntelang nicht angetastet wurden. Shoichiro (der erste Sohn von Kiichirō, dem TMC-Gründer) modernisierte das Leitbild des Unternehmens und fusionierte die infolge der Reorganisation unter Taizo Ishida entstandene Teilung des Unternehmens, indem er die TMC und TMS organisatorisch und rechtlich wieder zusammenführte. Damit waren Produktion und Verkauf wieder unter einem Dach zusammen. Entsprechend seiner Handlungsmaxime „Ändere und schöpfe“ („Henkaku und Sozo“) gründete er 1992 fünf Entwicklungszentren. So gelang es ihm auch die Modellvariantenvielfalt von Anfang an in den Griff zu bekommen, die durch die gezielte Orientierung an den Kundenforderungen notwendig war. Große Unternehmen der Branche, wie BMW und Daimler hatten solche Forschungs- und Entwicklungszentren bereits Jahre vorher implementiert. Den bereits von seinem Vorgänger Eiji eingeführten Lexus favorisierte er auch. Die Verkaufszahlen konnten in seiner Zeit deutlich gesteigert werden. In den USA wurde er das meistverkaufte Automobil im Premiumsegment.

Reorganisation von TMC und TMS Shoichiros Handlungsmaxine: Ändere und schöpfe!

Einführung von Forschungs- und Entwicklungszentren unter Shoichiro

85

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

86 Abb. 2.13: Toyoda Tatsuro, CEO Toyota Motor Corporation (TMC) 1992-1995 ▶

Toyoda Tatsuro (geboren 1929 in Nagoya/ Japan) ist der dritte Sohn von Toyoda Kiichirō. Er schloss das Studium des Maschinenbaus 1953 an der Universität Tokio ab. Im gleichen Jahr trat er in die Toyota Motor Company ein. 1958 absolvierte er noch ein MBA-Studium an der Universität von New York. Er wurde 1984 erster Präsident des NUMMIProjekts mit GM. Nach seiner Rückkehr nach Japan (1986) war er zunächst Direktor bei TMC, ab 1992 dann Präsident. 1995 trat er wegen Krankheit zurück.

Toyoda Tatsuro [*1929-heute]

In Tatsuros Zeit als CEO fiel das Platzen der Spekulationsblase. Folge war, dass von der japanischen Automobilindustrie nur Toyota und Honda selbständig blieben. Tatsuro war der richtige Mann zu dieser Zeit. Er hatte eine Begabung innerorganisatorisch die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, wie Abflachung der Hierarchiestufen und Kostensenkungsprogramme. Auch die Modellvielfalt wurde unter ihm deutlich eingeschränkt. Ebenso wurde das Ringi-Entscheidungssystem von ihm reformiert. Seine Maßnahmen waren insgesamt sehr erfolgreich.

„Es gibt kein Versagen, nur Rückmeldungen.“ (Sylvia Zollondz)

2.3.7 Toyoda Tatsuro, der Stabiliserer

Tatsuro tat als Organisationsexperte das, was zu tun war damals: Hierarchien verflachen

Tatsuro war der zweitälteste Sohn von Kiichirō, dem Firmengründer. Er folgte seinem älteren Bruder Eiji in der Präsidentenfunktion für drei Jahre. Vorher hatte er das NUMMI-Projekt in den USA geleitet. Er verfolgte die von Eiji begonnen Maßnahmen, wirkte allerdings auch sehr stark innerorganisatorisch, indem er die Hierarchien mehr abflachte. Zudem grenzte er die ausufernde Modellvielfalt ein. „Behalte das Ganze im Sinn, dann fügen sich Dir auch die Teile.“ (Lewis Carroll)

2.3.8 Die drei Musketiere Okuda, Cho und Watanabe In diesem Kapitel sollen die in zeitlicher Reihenfolge eingesetzten Toyotapräsidenten dargestellt werden, die nicht aus der Familienlinie stammen. Alle drei haben sich als Mitarbeiter und Führungskräfte bei Toyota besonders hervorgetan. Es war der Zeitrahmen von 1995 bis 2009, also 14 Jahre. 2009 trat der Enkel des Gründers die Stelle als Präsident an und brachte damit die Familienlinie wieder zur Geltung. 1 Unter Okuda Hiroshi begann Toyota mit dem Bau des Hybridautos

Okuda Hiroshi

Es wäre verkürzt, Okuda Hiroshi nur mit den Beginn der Entwicklung des Hybridautos in Verbindung zu bringen, obwohl das natürlich Toyota als Innovator in die vorderste Reihe der Automobilfirmen brachte. Wie die Porträtabbildung 2.14 zeigt, hatte er die Idee das Justin-Time-Konzept auf den Managementbereich außerhalb der Produktion zu übertragen, indem er im Kundenmanagement bei Toyota

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Okuda Hiroshi wurde 1932 in der Präfektur Mie ( Japan) geboren. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Hitotsubashi Universität. Unmittelbar nach Studienabschluss (1955) trat er in die TMS ein. Für die TMS war er von 1972 bis 1979 in Manila tätig, wo er Toyoda Shoichiro persönlich kennenlernte. Shoichiro schlug ihn dann 1995 als ersten Präsidenten vor, der nicht der Toyoda-Familie angehörte. Er war bis 1999 CEO.

Okuda Hiroshi [*1932-heute]

Okuda Hiroshi war ein Mann der schnellen und unbürokratischen Entscheidungen. Unter seiner Führung wurde 1998 das „Customer-In-Programm“ eingeführt, eine Übertragung des Just-in-Time-Prinzips auf den Verkauf: Der Kunde kann vom Verkäufer erfahren, wann genau das bestellte Auto geliefert werden kann. Außerdem erkannte er die Zeichen der Zeit, indem er die Entwicklung des Hybrid-Autos vorantrieb. Intern und kulturell höchst umstritten setzte er durch, dass Toyota in die Formel 1 einstieg, was später unter der Präsidentschaft von Toyoda Akio weiter ausgebaut wurde. Okuda trat 1999 als Präsident ab und wechselte als Chairmann in den Aufsichtsrat.

einen neuen Ansatz einführte, das „Customer-In-Programm“. Die IT ermöglichte es damals (1998) einem Automobilkunden von seinem Verkäufer zu erfahren zu lassen, wann sein bestelltes Toyotafahrzeug abgerufen werden kann. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit. Eine damals intern bei Toyota sehr umstrittene Entscheidung hatte Okuda noch eingeleitet, bevor er in den Aufsichtsrat wechselte, den Einstieg von Toyota in die Formel 1. Wie allgemein bekannt ist, hat Toyota die Formel 1 inzwischen wieder verlassen. Die Rennleidenschaft des derzeitigen Präsidenten Toyoda Akio ist jedoch geblieben. 2

◀ Abb. 2.14: Okuda Hiroshi, CEO Toyota Motor Corporation (TMC) 1995-1999

Kundenmanagement

Toyotas Formel 1Abenteuer: Kein Sieg, ein Marketing-Flop?

Cho Fujio

Er wurde der zweite Außenseiter, der nicht aus der Familienlinie für den Präsidentenposten rekrutiert wurde. Unter seiner Leitung wurde der Hybridantrieb weiter ausgebaut. Wie in der Porträtabbildung 2.15 bemerkt wird, war er seit seiner Lehrzeit bei Toyota ein Bewunderer von Ohno Taiichi. Später verband eine tiefe Freundschaft die beiden Männer, die vor allem inhaltlich durch das identische Interesse an Organisation und Produktion geprägt war. Man kann wohl sagen, dass er nach Ohno der intimste Kenner des TPS war. Er hat aus verschiedenen Funktionen heraus Trainingsprogramme für das TPS erarbeitet und zahlreiche Training selbst durchgeführt und geleitet. Insbesondere geht auf sein Konto der so wichtige Einbezug der Unterlieferanten in das Toyota Production System. Cho hat das Toyotaeigene Werk in Kentucky geleitet. In den USA wurde er hoch verehrt, weil er für die Region Kentucky während seiner Zeit als Leiter viel getan hatte. Ihm wurde die Ehrendoktorwürde in Engineering der University of Kentucky verliehen. Obwohl Cho kein Ingenieurstudium absolviert hatte, gelang es ihm, sich die nötigen technischen Kenntnisse anzueignen. In seinen

Cho Fujio wurde der Trainingsexperte des Toyota Production System

87

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

88 Abb. 2.15: Cho Fujio, CEO Toyota Motor Corporation (TMC) 1999-2005 ▶

Cho Fujio wurde 1937 in Tokio geboren. 1960 absolvierte er sein juristisches Bachelor-Studium an der University of Tokyo. Unmittelbar nach Studienende, 1960, begann er seine Laufbahn bei der Toyota Motor Corporation, wo er in verschiedenen Funktionen tätig war, u.a. im Facility-Management. Ab 1966 war sein Einsatzgebiet die Produktionsverwaltung. Dort veranlasste er, dass die Zulieferbetriebe das Toyota Produktion System implementierten. Einen weiteren Meilenstein seiner Karriere erlangte er als Vice-Chef von Toyota Motor Manufacturing, wo er für das erste Toyota-eigene Werk in den USA (Kentucky) verantwortlich war. Auch hier war ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit, die amerikanischen Mitarbeitern das TPS nahezubringen. Ab 1994 war sein Tätigkeitsbereich wieder in Japan im Bereich PR. Von 1999 bis 2005 war er CEO von TMC.

Cho Fujio [*1937-heute]

Unter der Führung von Cho wurde Toyota die Nummer zwei der Automobilunternehmen auf der Welt und Führer bei der Nutzung der Hybrid-Technologie. Besonders wichtig ist die persönliche Nähe zu Ohno Taiichi einzuschätzen, über den er nicht nur das Toyota Production System kennenlernte, sondern auch in die Lage versetzt wurde das implizite Wissen zu erfahren und es in seinen Trainings an andere weiterzuvermitteln.

Trainings bevorzugte er ein dreistufiges Vorgehen: Zuerst musste das Topmanagement der Unterlieferanten an das TPS glauben, damit es das System wirkungsvoll vor den Mitarbeitern vertreten konnte, dann Cho Fujio kann in seiner Bedeutung nach wurde ein ausgewählter Teil der Mitarbeiter eingewiesen, um dann im dritten Schritt alle Mitarbeiter mit dem TPS vertraut zu machen. Ohno Taiichi als Weiterentwickler des TPS Dieses dreistufige Vorgehen hat sich bewährt und wird heute noch so eingestuft werden praktiziert wie es Cho eingeführt hatte. 3 Watanabe Katsuaki glänzte als Einkaufsexperte und Kostensenker Abb. 2.16: Watanabe Katsuaki, CEO Toyota Motor Corporation (TMC) 2005-2009 ▶

Watanabe Katsuaki

Watanabe war bis jetzt der letzte Außenseiter als Toyota-Präsident. Er hat seinen Job als Präsident wohl gut gemacht (Kostensenkung durch günstigen Einkauf war sein Programm), denn in seiner Zeit wurde Toyota das größte Automobilunternehmen der Welt. Watanabe Katsuaki wurde 1942 in der Präfektur Mie ( Japan) geboren. Er hat ein Wirtschaftsstudium an der KeioUniversität absolviert. 1964, gleich nach dem Abschluss trat er in die Toyota Motor Corporation ein, wo er bis in den engeren Führungskreis aufstieg. Watanabe leitete das älteste Toyota-Werk Motomachi. Als Einkaufsleiter soll er enorme Kostensenkungen erreicht haben. Einkauf ist eines seiner Spezialgebiete: Erste Priorität haben global agierende Zulieferer. Von 2005 bis 2009 war er CEO der TMC.

Watanabe Katsuaki [*1942-heute] Unter Watanabe Katsuaki wurde Toyota der größte Autokonzern der Welt.

2.3 Von der Tüftelwerkstatt zum Marktführer – Das Objekt entwickeln und gestalten

Toyoda Akio [*1956-heute]

Toyoda Akio wurde Akio tritt auch selbst als Rennfahrer 1956 in Nagoya ( Japan) geboren. auf. So startete er bereits mehrere Er ist der älteste Sohn von Toyoda Male auf dem Nürburgring unter dem Shoichiro und Enkelsohn von Toyoda Pseudonym Morizo Kinoshita. Kiichirō. Er hat ein MBA-Studium absolviert* und ist seit 1984 in der Toyota Motor Corporation. Sein besonderes Interesse gilt dem E-Commerce. Er hat für Toyota das Internet-Verkaufsportal gegründet (www. gazoo.com), über das gebrauchte Toyota________ Fahrzeuge vermarktet * Akio studierte zunächst in Tokio Jurisprudenz, um dann am Babson College werden. Seit 2009 ist er in Wellesley (Boston, USA) den MBA abzuschließen. Er arbeitete danach noch CEO der TMC.

◀ Abb. 2.17: Toyoda Akio, CEO Toyota Motor Corporation (TMC) 2009 bis heute

kurze Zeit bei einer amerikanischen Investment-Bank.

„Wenn nur die Menschen nicht wären, … die sich immer in der Maschinerie verheddern, dann wäre die Erde ein Paradies für Ingenieure.“ (Ingenieur Ed Finnerty in Player Piano von Kurt Vonnegut)

2.3.9 Toyoda Akio, der junge Hoffnungsträger Im Krisenjahr 2009, in dem sich die von den USA ausgehende negative Wirtschaftsentwicklung weltweit ausbreitete, wurde nunmehr 53-jährige Toyoda Akio neuer CEO bei TMC. Ein denkbar schlechter Einstieg, denn die TMC erlitt erstmals ihren operativen Verlust. Toyoda Akio sollte das Unternehmen wieder in die schwarzen Zahlen führen. Doch zunächst musste er mit Qualitätsproblemen kämpfen, die durch die Presse gingen und ihn auch in den USA vor Gericht zu einer öffentlichen Anhörung brachten. In den Börsennews im Internet heißt es (10/10/12 18:20): „Toyota gerät immer wieder mit großen Rückrufaktionen in die Schlagzeilen. 2010 musste der Konzern bei seinem schwersten Fall mehr als acht Millionen Autos wegen klemmender Gaspedale und rutschender Fußmatten in die Werkstätten rufen. Hinzu kamen 1,5 Millionen Wagen, bei denen die Bremsen wegen austretender Bremsflüssigkeiten versagen konnten.“

Inzwischen ist der Rechtsstreit in den USA durch einen Vergleich beigelegt worden (2012). Toyota hat sehr sensibel reagiert, denn ein technisches Versagen war nicht nachgewiesen worden. Bemerkung: Rückrufaktionen tragen natürlich nie zum positiven Image bei. Gerade Produzenten, wie Toyota, die mit höchster Qualität werben, sind besonders betroffen. Angesichts der mannigfachen Qualitätsforderungen an den technischen Merkmalen ist bei einem Automobil, das aus einer Vielzahl an Einzelteilen besteht, Null-Fehler praktisch nicht möglich (Varianzproblem).

Der jüngste Präsident der Toyotageschichte, Toyoda Akio, wird sich wohl besonders um die Wiedergewinnung der Qualitätsführerschaft der Marke kümmern müssen. Rückrufaktionen sind oft sein Tagesgeschäft gewesen.

89

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

90

„Wir arbeiten durch tägliche kontinuierliche Verbesserungen an immer besseren Produkten.“ (Toyoda Kiichirō, 1948) „Wir werden niemals die Schuld den Fahrern unserer Autos geben, egal, wie sie fahren. Wir müssen Autos bauen, mit denen jeder klarkommt.“ (Toyoda Akio, 2011)

2.4

Zusammenfassung Kapitel 2

Die Ausgangsfrage „Was machen die Japaner anders in Organisation und Produktion?“ hat zunächst in Kapitel 2.2 das Ergebnis gebracht, dass im Vergleich zu westlichen Automobilunternehmen deutliche Leistungsunterschiede in wichtigen Parametern bestehen. Auf der Suche nach den Ursachen sind die Autoren des IMVP-Projekts darauf gestoßen, dass es das Produktionssystem als solches ist, das sich ganz offensichtlich von der westlichen Art und Weise unterscheidet. Sie stellen einen Wechsel des Paradigmas fest und charakterisieren das Neue als „Lean Production/Lean Management“. Lean Paradigmenwechsel Production wird die Massenproduktion ablösen genauso wie die Maszum Lean Management senproduktion die Handwerksfertigung ersetzt hat. Der Focus wird in dem Produktionssystem von Toyota gesehen, das in Einzelfacetten den westlichen Produktionsweisen gegenübergestellt wird. Der zentrale Bereich der Gruppenarbeit wird lediglich gestreift. So verbleibt die Analyse in der MIT-Studie sehr an der Oberfläche, dringt nicht zu den Zusammenhängen vor, die maßgebend die Unterschiede zu den westlichen Unternehmen bestimmen. Hinzu kommt der Tenor, der die Darstellung der Forschungsergebnisse bestimmt. Sätze wie „Es ist wunderbar zu wissen, dass neue Produkte heute schnelRhetorischer Stil der ler und mit weniger Aufwand und Fehlern hergestellt werden MIT-Studie entspricht nicht gängigen wissenkönnen.“ (Womack/Jones/Roos 194, 117) schaftlichen Standards zeigen dem Leser durchgehend einen rethorischen Stil, der wohl kaum zu einer auf wissenschaftlichen Ergebnissen zielende Darstellung passt. Insgesamt lässt sich somit begründet vermuten, dass es den Autoren besonders durch die bewusste Sprachwahl „revolutionär“ darum ging, Aufmerksamkeit zu erheischen. Auch wenn das Objekt uns noch nicht die Basis von Lean Production/Lean Management Begriff und Praxis des liefern konnte, so hat die Studie es dennoch vermocht einen Switch Lean Managements im Denken in der Organisations- und Produktionslehre auszulösen haben trotz mangeln- (s. z. B. Vahs 2009, 285ff). Die darin thematisierten Begriffe und Konder wissenschaftlicher zepte haben Eingang in die Disziplinen gefunden und sind dort nicht Seriösität ihren Weg in mehr wegzudenken. Leider sind viele praktische Versuche der Umsetden Diskurs gefunden zung wegen ihrer Kurzsichtigkeit gescheitert. Dazu haben Berater, die auf den Zug aufgesprungen sind, ebenso beigetragen wie die Autoren selbst mit ihrer Aussagerethorik. Ausgangsfrage und Objekt der Betrachtung

2.4 Zusammenfassung Kapitel 2

In Abhebung von dem Vorgehen in der MIT-Studie wurde in Kapitel 2.3 denn auch versucht – repräsentiert durch die führenden stark Einfluss nehmenden Unternehmensführer – mehr die Geschichte sprechen zu lassen. So gelang es, das Handlungssystem Toyota besser zu erhellen. Die Geschichte von Toyota an den Leitfiguren aufzuziehen hat damit die Augen geöffnet für die Entwicklung des Unternehmens im Zeitverlauf von etwa einem Jahrhundert, beginnend mit Toyoda Sakichi, als er seine Erfindungen machte und sich der Entwicklung und Produktion von Webstühlen widmete. Es waren nicht gerade wenige kritische Phasen, die die Entwicklung bestimmten und dem Leser dieses Kapitels zeigen sollte, mit welcher einzigartigen Kraft es der Familie Toyoda gelang nicht nur fortzubestehen, sondern auch noch erfolgreich global in einer Spitzenposition zu agieren. Insofern ist die Bemerkung von Landes zutreffend (2008, 292): „Die Toyodas waren eine Familie, die das Wort ’aufgeben’ nicht kannte, sondern unermüdlich nach Betätigungsmöglichkeiten suchte, die, wenn nicht Einnahmen, so doch das Überleben von Tag zu Tag sichern konnten.“ Dabei wurden nicht engstirnig die eigenen Familienmitglieder in die Hierarchien gedrückt, sondern nach den jeweiligen Erfordernissen der richtige Mann an den richtigen Platz nach vorne gebracht. Aus den biografischen Analysen wurden auch die Fixpunkte des Wirkens (Veränderns und neuen Schöpfens) des eng an der eigenen und japanischen Tradition anknüpfenden Unternehmens deutlich: Organisation, Produktion und Kultur des Unternehmens Beide, Organisation und Produktion und Unternehmenskultur zielen auf den Menschen, den Mitarbeiter in seiner Rolle als Mitglied einer „Kulturorganisation“. Das ist mehr als die normale Mitgliedsrolle in den meisten Unternehmen westlichen Zuschnitts. Es ist schon erstaunlich, dass die Autoren der MIT-Studie diesen Zusammenhang, die Einbettung des Mitarbeiters in den kulturellen Zusammenhang als Analysedimension, bewusst ausgeblendet hatten (Womack/Jones/ Roos 1994, 15): „Wir kümmern uns wenig um die besonderen Merkmale der japanischen Gesellschaft …, die oft behauptete Neigung, persönliche Wünsche den Gruppeninteressen unterzuordnen, und die Bereitschaft, ja sogar der Wunsch, viele Stunden zu arbeiten. Manche Beobachter führen den japanischen Erfolg auf diese Merkmale zurück, aber wir glauben, dass sie von zweitrangiger Bedeutung sind.“ Dabei war den Autoren auf jeden Fall die Schrift von Ohno Taiichi bekannt, der immer wieder betonte, dass alles am Mitarbeiter hängt und dessen Willen und Wollen angestrebte Handlungen durchzufüh-

91 Die Geschichte des Unternehmens aus der Sicht der Unternehmensführer im Zeitlauf

Trotz kritischer Einschnitte gelang es dem Unternehmen erfolgreich in die Spitzenposition der Branche zu gelangen

Die drei Fixpunkte des Wirkens: Organisation/ Produktion Mitarbeiter Unternehmenskultur

Eklatantes Defizit der MIT-Studie

2 Die frohe Botschaft und ihr Objekt

92

ren und andere abzulegen. Wie sonst sollte kontinuierliche Veränderung und Verbesserung langfristig gelingen, wenn nicht auf der Basis geteilter kultureller Zusammenhänge. Der ökonomische Erfolg von Toyota – so zeigen die kurzen bioSozio-kulturelle und grafischen Studien – ist untrennbar mit den sozio-kulturellen und ökonomische Bedinökonomischen Bedingungen verknüpft. Eine gute Voraussetzung gungen für den Erfolg war mit Sicherheit das durch die Jahrzehnte tradierte Wertegerüst der Toyoda-Familie, das im Konfuzianismus gründet. Ob sich diese Basierung auch in zukünftigen Generationen halten wird, ist eine offene Frage. Toyota hat gerade wegen der angesprochenen kulturellen Prägung vieles anders gemacht und wird weiterhin vieles anders machen. Das wird jedoch nicht einfacher, sondern im Zuge fortschreitender Globalisierung komplexer werden. Insofern wird es eine große Große Aufgabe: Sozio- Aufgabe zukünftiger Unternehmenslenker sein die Zulieferindustrie, kulturelle Einbindung die ja auch aus anderen Kulturkreisen stammt, in den kulturellen der Partner Kontext, der das TPS umfasst, fest einzubinden. Fujio Cho (Abschnitt 2.3.8 2) hat hier beispielhaft gewirkt. Daran anschließend sei zusammenfassend das aus vier Punkten bestehende „Erfolgsgeheimnis“ von Toyota genannt, dem sich der Autor nur anschließen kann. Es beruht darauf, dass der Konzern (Becker 2006, 98f): Vier Punkte als Erfolgsgeheimnis Toyotas

Wertekanon Toyotas

◼ „seit seiner Gründung völlig losgelöst von personellen Wechseln

in der Konzernspitze seit vier Generationen nach strengen ethischen Grundprinzipien geführt wird, ◼ es dabei immer wieder verstanden hat, Führungspersönlichkeiten an die Spitze des Unternehmens zu stellen, die den jeweiligen Herausforderungen der Zeit an das Unternehmen optimal entsprochen haben, ◼ die ethischen Prinzipien in der Grundsubstanz unverändert bewahrt hat, sie gleichwohl den Zeitläufen entsprechend erweitert oder justiert wurden, ◼ es immer wieder versteht, alle Mitarbeiter und Partner des Konzerns, unabhängig von ihrer Funktion und hierarchischen Stellung, dafür zu begeistern, diese ethischen Grundprinzipien zum Maßstab für eigenes Handeln zu machen.“

y Toyotas Wertekanon (Tugendkatalog), wie er von Helmut Becker zusammenfassend herausgearbeitet wurde (Becker 2006, 99): ◼ „Fleiß und Sparsamkeit, ◼ „Beständigkeit und Gründlichkeit, ◼ „Disziplin und Gehorsam, ◼ „Bescheidenheit und Genügsamkeit, ◼ „Selbstvertrauen und Mut, ◼ „Geduld und Beharrlichkeit, ◼ „Respekt und Achtung vor den Menschen und der Natur, ◼ „Kreativität und Verantwortung, ◼ „Treue und Redlichkeit.“

2.4 Zusammenfassung Kapitel 2

In die derzeitige Unternehmenskultur Toyotas sind zudem die bei den Nachfolgern entwickelten Prinzipien eingeflossen. Sie wirken ergänzend und vertiefend, haben aber nicht das von den Gründervätern gebaute Wertegerüst angetastet. Welcher Zusammenhang besteht nun zu dem in Kapitel 3 zu behandelnden TPS oder besser TMS (Toyota Managementsystem)? Ein Blick auf den Tugendkatalog auf der Vorseite (unten) signalisiert die Antwort: Die Zusammenhänge sind offensichtlich und auch nicht originär japanisch. Japanisch ist auch nicht unbedingt die Haltung zu den einzelnen Tugenden. Alle dort genannten Statements können im operativen Handeln messbar gemacht werden. Es kommt sicher nicht so oft vor, dass ein Unternehmen in Familientradition so stringent und intern geeint erfolgreich handelt wie die Toyodas. Dass es oft anders läuft, zeigt abschließend ein Blick in eine Fallstudie über die Familie des italienischen Mode-Designers Guccio (Landes 2008, 15): „Guccio hielt die Firma zusammen, doch nach seinem Tod lieferten sich seine Kinder und Enkel langwierige und teure Auseinandersetzungen, an denen einige italienische Anwälte ein Vermögen verdienten. Die Vehemenz und Giftigkeit dieses Familienzwists wirft ein denkbar schlechtes Licht auf die Familie Guccio und die italienische Kultur.“ Dieser Fall beweist: Wenn keine ethischen Grundeinstellungen eine Unternehmenskultur tragen, sind Konflikte jeder Art vorprogrammiert, bis zum Zerfall des Unternehmens.

⟢⟡⟣

93

2.5 Mindmap zur Rekapitulation

94

T Akido

1 Die Frage falsch gestellt

2 Die Frohe Botschaft

W Watanabe

C Cho

T Sakichi

Die Frohe Botschaft und ihr Objekt

T Kiichirō

O Okuda

I Ishida

T Tatsuro

O Ohno

T Shoicchiro

T Eiji

3

Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

„Nicht mehr die im Bereich der Massenfertigung nötige Fragmentierung und Spezialisierung der Arbeit steht im Vordergrund, sondern die Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen und die Erweiterung des Aufgabengebiets. … Entscheidend für die erfolgreiche Kombination von handwerklichen Fähigkeiten und Massenproduktion ist für Womack und Jones dabei die Beachtung der fünf Prinzipien der Lean Production: Wert, Wertschöpfung, Flow, Pull und Perfektion. Der Wert einer Ware und Dienstleistung ist stets aus Sicht des Kunden zu bestimmen. Die Erstellung dieses ’Wertes’ ist als Prozess der Wertschöpfung über alle Fertigungsstufen hinweg zu erfassen und um unnötige Tätigkeiten zu bereinigen und muss als kontinuerlicher Fluss (Flow) gedacht werden. Entsprechend ist Arbeit so zu organisieren, dass sie dem Fertigungsprozess des Produkts genau angepasst wird. Nicht die Zusammenfassung von Tätigkeiten nach Abteilungen oder Werkstätten steht im Vordergrund, sondern der Fertigungsprozess und die hierfür benötigten Arbeitsschritte bestimmen die Arbeitsorganisation. Entscheidend ist zudem die Umstellung von Push- auf PullStrategien: Ziel der schlanken Unternehmung ist es nicht mehr, Produkte zu erzeugen, und sie dann in den Markt zu ’drücken’, sondern Produkte ausschließlich auf Kundennachfrage zu produzieren (Pull). Ziel dieser Maßnahmen ist es, höchstmögliche – und nicht lediglich ausreichende oder zufriedenstellende – Perfektion in der Produktion zu erreichen. Perfektion ist als laufender Prozess der Verbesserung zu verstehen.“ (gekürzt nach Aßländer, M. S.: Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Marburg 2005, 341f)

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

96 Leitfragen 1. 2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10. 11. 12.

13. 14. 15.

Warum hat sich Lean Management erst relativ spät als Managementparadigma entwickelt? Welche Bedeutung hat die Handwerksproduktion für das Lean Management? Setzen Sie sich mit den Nachteilen der Werkstättenfertigung auseinander. Diskutieren Sie die Vor- und Nachteile des Fließprinzips. Was ist unter dem Gruppenlayout in UForm zu verstehen? Welche Vorteile bietet es? Erörtern Sie das Funktionsmeister-Prinzip des Scientific Managements. Was wäre die Folge seiner konsequenten Anwendung? Argumentieren Sie im Sinne Fords, der sein System der Massenproduktion eher als Gesellschaftstheorie verstand. Stellen Sie die unterscheidenden Merkmale zwischen dem Ford-System und dem TPS heraus. Inwiefern kann man von einer Übereinstimmung im Denken zwischen Ford und Ohno sprechen? Welches waren die prägenden Ressourcen, auf die das TPS Anfang der 1950er Jahre zurückgreifen konnte. Welches waren die Bedingungen, unter denen sich das TPS Anfang der 1950er Jahre herausgebildet hat? Interpretieren Sie die Aussage: „Die beiden Systemelemente Muda und Just in Time sind im Spannungsverhältnis von Raum und Zeit zu sehen.“ Erläutern sie die neun Typen der Verschwendung nach Ohno. Entwickeln Sie die Muda-Prüf- und Vermeidungscheckliste und zeigen sie die Verknüpfung zu Kaizen auf. Skizzieren Sie den durch JiT gestützten Wertschöpfungsprozess.

Wichtige Fachliteratur • • •

Liker 2006 Ohno 1993 Ohno 2013

16. Welcher Zusammenhang besteht zwischen JiT und Kanban? 17. Bei der Anwendung von Kanban sollten Regeln beachtet werden. Welche? 18. Warum ist Kanban Sache des Topmanagements? 19. Welche sieben Vorteile lassen sich aus der Anwendung von Just in Time/Kanban benennen? 20. Was versteht man unter der autonomen Automation ( Jidoka)? 21. Muda, Qualität und die Technik der 5Ws charakterisieren den Wertschöpfungsprozess. Erläutern sie diese Aussage. 22. Was versteht Toyota unter dem Mitarbeiter-Wertstrom? 23. Skizzieren Sie das Toyota ManagementSystem in seinen Grundzügen, 24. Erläutern Sie das Teamleiter-Modell Toyotas. 25. Basis der Unternehmenskultur sind bestimmte Leitsätze. Welche? 26. Skizzieren Sie das TPS nach Cho. 27. Welche 14 leitenden Prinzipien des TPS hat Liker entwickelt? 28. Stellen Sie die Bedeutung von Shingo Shigeo für das Lean Management heraus. 29. Was ist unter der Kata nach Mike Rother zu verstehen? 30. Lean Thinking und Wertstromdesign sind neuere Ansätze des Lean Managements. Erläutern Sie diese. 31. Was ist unter OPF zu verstehen? 32. Warum wird Toyota Lean Six Sigma nicht in sein TPS integrieren? 33. Setzen Sie sich mit der Grundproblematik der GPS auseinander. 34. Grenzen Sie MTM vom Lean Management ab. 35. Wo sehen Sie die Vorteile des Constraint Managements für das Lean Management?

• • •

Rother 2009 Rother/Shook 1998 Womack/Jones 1997

3.1 Revolution oder Paradigmenwechsel im Management?

97

„‚Es gibt kein Scheitern‘, sagte er leise, ‚es gibt nur ein Fortschreiten. … Wir sind immer auf dem Weg, hinter die Dinge zu kommen‘.“ (Botho Strauß, in: Der junge Mann, 1987)

3.1

Revolution oder Paradigmenwechsel im Management?

Man sollte mit marktschreierischen Vokabeln etwas vorsichtig umgehen. Der Revolutionsbegriff (von spätlat. revolutio, das Zurückwälzen, die Umdrehung) ist inzwischen stark politisch besetzt und passt eigentlich nicht so zur Kennzeichnung von sich wandelnden Managementansätzen, obwohl er natürlich in der Geschichte seine Berechtigung hat (z. B. beim Begriff Industrielle Revolution). Es empfiehlt sich, den Begriff des Paradigmas/Paradigmenwechsels, wie ihn der Wissenschaftshistoriker und Physiker Thomas S. Kuhn vorgeschlagen hat, zu verwenden. Er lässt sich auch auf solche Gegenstandsbereiche wie Management- und Produktionskonzepte, die ja durch mentale Strukturen gestützt werden, übertragen. Auch die Konzeptionen von Taylor und Ford wären als Paradigmen einzustufen. Entsprechend hat auch die Handwerksproduktion paradigmatischen Charakter genauso wie die Massenproduktion oder das Konzept der Lean Production. Solche Paradigmen können natürlich nebeneinder bestehen oder auch – wie es die Autoren in der MIT-Studie annehmen – durch ein anderes Paradigma abgelöst werden. Das ist immer dann der Fall, wenn das Paradigma aufhört zu funktionieren oder so perfekt herangereift ist, dass es plötzlich „kippt“. Was auch immer mit dem Paradigma passieren mag – es kann sogar eine Renaissance erleben, nachdem es vorher für tot erklärt wurde – es existiert ja nicht an sich, sondern in einem sozialen Umfeld, der Community, die es anwendet und weiterentwickelt. Paradigmen sind keine monolithischen Blöcke. Sie differenzieren sich. So in verschiedenen Schulrichtungen von wissenschaftlichen Disziplinen. In der Psychoanalyse gibt es die Freudsche, Jungsche oder Adlersche Schule. Sie können als Musterbeispiele bezeichnet werden. Kuhn spricht von einer disziplinären Matrix, die sich in solchen Musterbeispielen differenziert. Das Lean Management lässt sich begrifflich ähnlich fassen. Wir verwenden es als Oberbegriff, als übergeordnetes Paradigma. Innerhalb dieses Paradigmas ist das TPS von Ohno Taiichi das erste Musterbeispiel in der Geschichte. Andere sind diesem Paradigma gefolgt, wieder andere nähern sich dem Lean Management aus einer anderen Perspektive heraus, wie das Kaizen-Kon-

y

Betrachtet man das Lean Management aus der Sicht der Qualitätswissenschaft, so handelt es sich um eine Praktikerlehre im präparadigmatischen Zustand (vgl. Zollondz 2011, 34 ff).

Thomas S. Kuhn (1922*-1996𐐆) Ein Paradigma gibt einen Rahmen aus Begriffen, Hypothesen und Axiomen vor, der es ermöglicht, sich ’normal’ mit den Problemstellungen, die das Paradigma abdecken, zu befassen. Ein Paradigma kann „kippen“ oder aufhören zu funktionieren.

Innerhalb des Lean Managements ist das Toyota Produktionssystem das erste Musterbeispiel, aus dem sich alles andere heraus entwickelt hat.

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

98 Abb. 3.1: Entwicklungsetappen des Qualitätsmanagements unter besonderer Hervorhebung des Lean Managements ▶

Exzellenz / Integration / Prozess ◼ ◼ ◼ ◼ ◼ ◼ ◼

EFQM-Modell Lean Management (Toyota: TPS) Qualitätsprogramme (Six-Sigma …) Integrierte Managementsysteme Integrierte QM-Systeme Prozessorganisation Supply Chain Management

Total Quality

Management (TQM) ◼ Kontinuierliche Verbesserung ◼ Externe / Interne Kunden -Lieferantenbeziehungen ◼ Qualitätsbewusstsein ◼ Präventives integriertes Qualitätsmanagement ◼ Lernende Organisation ◼ Orientierung am Produktlebenszyklus (Qualitätskreis)

Qualitäts-

management (QM) ◼ Qualitätsplanung ◼ QM-Systeme, QM-Handbücher ◼ Qualitätstechniken (QFD, FMEA, DoE, SPC) ◼ Kundenorientierung (VoC) ◼ Ökoaudit ◼ Qualitätskosten ◼ Fehlervermeidung

Qualitäts-

Das TPS ist ein gewachsenes System, dessen Ursprung bereits in den 1930er Jahren erkennbar ist.

Qualitäts-

Qualitäts-

sicherung (QS) ◼ ◼ ◼ ◼

Qualitätsplanung QS-Systeme QS-Handbücher Einzelne Qualitätstechniken (z.B. FMEA, SPC) ◼ Beginnende Fehlervermeidung

steuerung ◼ ◼ ◼ ◼

Selbstprüfung Produktprüfung beginnende Qualitätsplanung Fehlerkorrektur

kontrolle ◼ ◼ ◼ ◼

1920

Fehlerentdeckung Endkontrolle / Inspektion Ausschuss Sortieren Toyoda Sakichi 1940

Ohno Taiichi Toyoda Kiichirõ Toyoda Eiji 1960

1980

2000

2010

20…

zept von Imai Massaki, das er nochmals detailiert als Gemba Kaizen näher an das Lean Management anlehnt. Abbildung 3.1 zeigt die Entwicklungsetappen des Qualitätsmanagements. Lean Management taucht darin als reifes Managementparadigma erst spät auf, befand sich aber bereits in den 1930er Jahren in Japan im „status nascendi“, als Toyoda Sakichi seinem Sohn Kiichirō für die Gründung der Toyota Motor Corporation erste organisatorische Ansätze von Just in Time auf den Weg gegeben hat, die dann später Das von Toyoda Sakichi entwickelte Jidoka von ihm und anderen weiter verfolgt wurden (Ohno, Toyoda Eiji). In Kapitel 2.3 ist diese Entwicklung nachgezeichnet. Abbildung 3.1 ist ist selbstverständlich eine Technik, die zur zudem sehr aufschlussreich, weil die dort dargestellten Etappen, wie Sicherung der Quazum Beispiel die Qualitätssicherung den Entwicklern des Toyota lität beiträgt: Fehler Production System nicht unbekannt waren. Sie haben Anleihen gewerden automatisch nommen und das, was sie für brauchbar eingeschätzt haben, in das vom Mechanismus der TPS integriert. Somit handelt es sich beim TPS um ein gewachsenes Maschine erkannt und können so später nicht System, das sich als Toyota Management System in einem ständigen Lernprozess befindet. mehr auftreten.

3.1 Revolution oder Paradigmenwechsel im Management? ◀ Abb. 3.2: Struktur des Paradigmas Lean Management von der vorparadigmatischen Phase bis zur Umsetzung in anderen Unternehmen

Toyoda Sakichi, Toyoda Kiichirō

(Vorparadigmatische Phase)

Entstehung eines neuen Paradigmas Just in Time Lean Production Lean Management im Unternehmen Toyota (Ohno): Lean Management verbessern und weiterentwickeln (Erfahrungsaustausch)

Toyota Production System (TPS)

Lean Management in anderen Unternehmen umsetzen

Umsetzung gelingt, von Toyota gelernt (Paradigma implementiert)

Seit den 1990er Jahren wird versucht Lean Management in Unternehmen zu implementieren. Dabei dient das TPS als Referenzsystem.

Lean Management als Management-Paradigma eingeführt In Abbildung 3.2 ist die Struktur des Management-Paradigmas Lean Management dargestellt, beginnend mit der vorparadigmatischen Phase, in der die beiden Toyodas bereits den Just in Timegedanken rudimentar praktisch werden ließen und auch die Qualitätstechnik der 5 Whys anwandten. Jidoka und Muda sind ebenfalls in dieser Frühphase entwickelt worden. Kapitel 2.3.2 gibt darüber Aufschluss. Doch erst Ohno Taiichi mit seinem Vorgesetzten Toyoda Eiji hat den entscheidenden Durchbruch geschafft, indem sie das Toyota Production System mit seinen Elementen umfassend erfasst und dann kontinuierlich verbessert haben. Cho Fujio, der spätere Präsident von Toyota, hat dann damit begonnen eine Systematik zu erarbeiten, um den Unterlieferanten in Trainings das TPS nahezubringen. Über

Erst Ohno Taiichi gelang es mit dem TPS ein überzeugendes Lean Managementsystem in der Praxis zu entwickeln und theoretisch zu beschreiben.

99

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

100 Lernen von den Japanern? Warum?

Lean Management ist heute die Messlatte, an der sich Produktionskonzepte in der Automobilindustrie orientieren

diese im Toyota-Umfeld durchgeführten Implementierungen hinaus haben viele Unternehmen der Automobilbranche mehr oder weniger erfolgreich die Implementierung des Lean Managements durchgeführt. In einigen Fällen sind daraus sogar unternehmenseigne Lean Managementsysteme entstanden. Somit lässt sich schlussfolgern, dass sich Lean Management als neues Organisations- und ProduktionsParadigma etabliert hat und über die Automobilbranche hinaus seinen Weg in andere Branchen und in die Managementlehre allgemein gefunden hat. Der Weg dieses auf Globalität ausgerichteten Managementparadigmas, das ja nach Womack/Jones/Roos (1994) die Phase der Massenproduktion abgelöst haben soll, ist jedoch noch nicht zu Ende. Schließlich gilt es – gemäß der MIT-Studie der Massenproduktion vorgelagertes – ein weiteres Paradigma zu berücksichtigen, nämlich das der Handwerksproduktion. In diesem Kapitel 3 werden zunächst die Vorläufer des Lean Managements, von denen es abzugrenzen ist, dargestellt, bevor das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi und die Folgekonzepte zum Zuge kommen. „Wenn einzig und alleine menschliche Arbeit in der Lage ist, Werte und damit Wohlstand zu schaffen, gilt es, die Effizienz menschlicher Arbeit zu steigern und damit die Menge der durch Arbeit geschaffenen Waren zu erhöhen.“ (Aßländer 2005, 233)

3.2

Zu den Vorläufern des Lean Managements

3.2.1 Die Handwerksproduktion und die Grundformen der Fertigung in Handwerk und Industrie Für die Frühphase der industriellen Massenproduktion im Automobilbau gilt wohl die folgende Feststellung zum Absterben der Handwerksproduktion von Womack/Jones/Roos (1994, 237): „Zwischen 1914 und 1924 zerstörten Henry Ford und Alfred Sloans industrielle Innovationen eine starke amerikanische Industrie, die handwerklich orientierte Autoindustrie. In diesem Zeitraum sank die Anzahl der US-Autounternehmen von mehr als 100 auf etwa ein Dutzend; von diesen vereinigten drei – Ford, General Motors und Chrysler – 90% des Gesamtabsatzes auf sich.“ Daraus jedoch einen generellen Trend vom Sterben des HandDie These vom Absterben des Handwerks ist werks abzuleiten, nachdem dieses nun innerhalb der Lean Production nicht haltbar. in dialektischer Manier aufging (sich aufhob), ist schlichtweg falsch. Über den Bereich des Handwerks hinaus kann bis heute ein hoher

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

Anteil handwerklicher Tradition in der Wirtschaft festgestellt werden. Diese Aussage gilt in jedem Fall für Deutschland, und Frankreich und wohl auch für weitere Teile Europas. Was die handwerkliche Produktionsweise kennzeichnet, kann in vier Punkten festgehalten werden: ◼ in der Regel Einzelfertigung, d.h. geringe Losgrößen; ◼ hohe Fertigungstiefe; ◼ Komplettbearbeitung nur eines Stückes oder eines Endproduktes durch einen einzelnen oder eine Gruppe von Mitarbeitern (= Arbeitsteilung durch Mengenteilung, nicht Artenteilung); ◼ hoher Anteil an Facharbeitern. Diese Festlegungen klingen modern. In früheren Zeiten, etwa im Mittelalter, waren andere Zusammenhänge bestimmend (Borscheid 2004, 21): „Der Handwerker weiß aus Erfahrung, in welchem Zeitraum Kleidungs- oder Möbelstücke angefertigt werden, doch wie er dazu seine Zeit einteilt, bleibt ihm überlassen.“ Über die Fertigungstiefe seines Geschäfts hat er sich mit Sicherheit keine Gedanken gemacht, schon eher über das, was ein Konkurrent denn so an Neuem vorhat (Borscheid 2004, 22f): „Wer als Bauer oder Handwerker an den Rezepten der Väter festhält, dem wird gesellschaftliche Achtung zuteil, nicht dem forschen Neuerer, der als unstet, wankend und unberechenbar gilt. Der ewige Kreislauf der Natur lehrt Beharrungsvermögen und Stabilität, keinesfalls Beweglichkeit und Labilität. Dieses Denken findet seinen Niederschlag in den Zunftordnungen, die die unruhigen Innovatoren an die Kandare nehmen, damit sich ein einzelner Meister mit Hilfe veränderter Produktionsmethoden oder dem Einsatz von Maschinen keinen Vorteil zu Lasten der übrigen Zunftmitglieder verschaffen kann.“ So unterstützten in Europa – jedenfalls in weiten Teilen – im Mittelalter die handwerklichen Zünfte den beharrenden Kern des handwerklichen Tuns und Lassens (siehe unten). Das gilt heute nicht mehr und galt schon gar nicht in den USA zur Zeit von Ford und Sloan. Denen mag die im Automobilbau um 1913 gängige Fertigung in der Werkstatt eines Handwerkers an seiner Werkbank anachronistisch erscheinen. Doch bis heute existieren und produzieren Handwerksbetriebe weltweit, die nach dem Werkbankprinzip organisiert sind ▶.

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„Kein Handwerksmann soll etwas Neues erdenken oder erfinden oder gebrauchen, sondern jeder soll aus bürgerlicher und brüderlicher Liebe seinem Nächsten folgen und sein Handwerk ohne des Nächsten Schaden treiben“, heißt es in der Thorner Zunfturkunde von 1523.

101

Vier Kennzeichen der Handwerksproduktion Der Begriff der Fertigungstiefe meint den Eigenfertigungsanteil im Rahmen der Güterfertigung. In einer Formel ausgedrückt errechnet sich die Fertigungstiefe in Prozent: Eigenfertigung x 100 Eigenfertigung + Fremdfertigung

Daraus folgt: Je geringer der Prozentwert, desto geringer ist der Eigenanteil des Unternehmens. Eine Formel, die etwas über den Outsourcinganteil aussagt.

Werbung für die beginnende Industrialisierung des Schuhmacherhandwerks im 19. Jahrhundert

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

102 Abb. 3.3a: Ein Handwerker (Tischlermeister aus Biozat-Les Cluzeaux/Vichy) prüft die Qualität seiner Arbeit ▶ Die These von Womack/Jones/ Roos, nach der das Handwerk durch die Industrie zerstört wird, ist generell falsch. Handwerk hat es immer verstanden in Nischen parallel neben der Industrie weiterzuexistieren, auch in der Automobilindustrie. So hat der Sargtischler – trotz industriell gefertigter Särge – es verstanden sich eine Marktnische zu schaffen. Ebenfalls konnte der Maßschuhmacher neben der Schuhfabrik weiterexistieren. Handwerk ist eben nicht nur Reparaturbetrieb.

Abb. 3.3b: Ein Einblick in die Werkstatt eines Maßschuhmachermeisters aus Schwäbisch-Hall ▶

Qualitätsprüfung eines Tischlermeisters ▶ Das Handwerk lebt, auch wenn es mit dem Tod befasst ist, wie hier der Sargtischler oder der Maßschuhmacher mit dem Leben (Füße).

◀ Vorarbeiten für die Anfertigung eines Maßschuhs: Modellieren des Leistens mit der Raspel

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

Werkstatt

Lager

Werkbank

Werkbank

Produkt A

Produkt B



Halbzeug



103 ◀ Abb. 3.4: Modell der handwerklichen Fertigung nach dem Werkbankprinzip (nach Ihme 2007, 326)

Kaufteile



Meister Produkt C

Produkt D

Werkbank

Werkbank

Hilfs- und Betriebsstoffe





Historisch gesehen haben sich letztendlich alle Organisationsformen handwerklicher und industrieller Produktion aus dem Werkbankprinzip entwickelt. Im Handwerk herrscht das Werkbankprinzip (Abbildung 3.4) vor, „d. h., ein Mitarbeiter stellt ein komplettes Produkt an seiner Werkbank her. Er übernimmt auch wesentliche Aufgaben der Arbeitsplanung und holt sich das benötigte Material aus dem Lager. Der Meister führt Leitungsfunktionen aus, kommuniziert mit Kunden und Lieferanten, plant, kalkuliert und disponiert.“ (Ihme 2007, 325) Es gibt keinen zwangsläufigen Übergang von einem Werkbankarbeitsplatz zum anderen. Im Handwerk zeichnet sich das Werkbankprinzip durch große Flexibilität im Produktionsprogramm und relativ geringe Kapitalbildung aus. Für die Industrie ist das Werkbankprinzip wegen seiner geringen Produktivität meistens untauglich. Hier findet man heute das Werkbankprinzip im Reparaturbereich und immer dann, wenn Produkte in Einzelstücken oder kleinen Losen zu produzieren sind. So werden in der Automobilindustrie Prototypen sowie im Werkzeug- und Verrichtungsbau Teile in dieser Form produziert. Werkbänke können auch auf Mobilität hin ausgerichtet sein. Die Werkstättenfertigung ist die Form, die in handwerklich ausgerichteten Betrieben auch heute zu finden ist. Sie ist an einem Beispiel in Abbildung 3.5 skizziert. Die Arbeitsplätze sind nach Maschinengruppen gleicher Bearbeitungsverfahren angeordnet (im Bild: Dreherei, Hobeln, Fräsen, Bohren, Schleifen etc.). Zu beachten ist, dass die Reihenfolge der von den Produkten zu durchlaufenden Werkstätten je nach Art des Produktes variieren kann. Die Werkstättenfertigung wird mitunter in Teilbereichen mit der Fließfertigung kombiniert. Die folgende Beschreibung zeigt auch die Schwachstellen dieser Grundform der Fertigung (Ihme 2007, 327):

Die handwerkliche Fertigung als Urmodell aller Produktionsformen

Handwerkliche Fertigung heute

Die Werkstättenfertigung – Grundform der Fertigung, die teilweise mit der Fließfertigung kombiniert wird

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

104 Abb. 3.5: Anordnungsmodell des Werkstättenprinzips (nach Ihme 2007, 326) ▶

Werkstattbereich mechanische Fertigung Hobeln

Fräsen

Schleifen



Hier wandert das Produkt von Station zu Station, angefangen vom Zuschnitt und Lager bis schließlich zur Montage





Werkstattbereich Zuschnitt



Lager Bohren



Montage

„Die Werkstücke werden einzeln oder in Losen von Bearbeitung zu Bearbeitung transportiert. Das Werkstättenprinzip besitzt eine hohe Flexibilität bezüglich unterschiedlicher Werkstücke und Arbeitsfolgen. Der Anteil der Liege- und Transportzeiten an der Durchlaufzeit ist jedoch sehr hoch, da die Werkstücke losweise an den Einzelmaschinen bearbeitet werden – die meist hohen Rüstkosten zwingen zur Zusammenfassung von Auftragsbedarfen zu Losen. Der Materialfluss innerhalb der Werkstättenfertigung ist ungerichtet. Da Lose vor und nach der Bearbeitung warten müssen, kommt es zu langen Durchlaufzeiten. Die Wartezeiten vor und nach Bearbeitung nehmen mit wachsender Losgröße zu. Oft beträgt die Summe der Bearbeitungszeiten unter 5% der Durchlaufzeit, d.h., die Warte-, Transport und Liegezeiten überwiegen bei Weitem. Die Steuerung des Materialflusses innerhalb einer Werkstättenfertigung ist aufwändig, da jedes Los von Werkstücken jeweils eine bestimmte Abfolge von Bearbeitungsschritten an unterschiedlichen Maschinen erfor-

Schwachpunkte der Werkstättenfertigung Als Durchlaufzeit (engl. throughput time, lead time) wird die Zeit angenommen, die eine Einheit zum Durchlaufen eines Systems benötigt. In der Produktionswirtschaft wird als Durchlaufzeit diejenige Zeitspanne festgelegt, die von Beginn der Bearbeitung bis zur Fertigstellung eines Produkts benötigt wird. Werkstatt- und Fließfertigung beruhen auf den Prinzipien des Taylorismus! Eine eigenständige Stelle „Planung und Steuerung“ übernimmt diese Funktionen. Hier ist das Vorbild für die Entwicklung von PPSSoftware verankert.

Drehen

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„Die Werkstatt- und die Fließfertigung beruhen auf einem Grundmodell der Arbeitsorganisation, das über Jahrzehnte von dem Ansatz der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management) von Frederick W. Taylor geprägt wurde, …. Diese Art der Arbeitsorganisation basiert auf dem Prinzip der Arbeitszerlegung: Die ausführende Arbeit wird von der planerisch dispositiven Arbeit getrennt. Planung, Steuerung, Kontrolle und Instandhaltung wurden speziellen Funktionen zugeordnet. Mit der Schematisierung der Arbeitsabläufe und deren Zerlegung gehen die Verminderung der Forderungen an die einzelnen Arbeitsplätze einher. Die Arbeit wurde auf leicht quantifizierbare Leistungen eingeengt und konnte so genauen Zeitstudien zugänglich gemacht werden. Das tayloristische Konzept geht von einem Top-Down-Ansatz der Planung aus und führt zu einer minutengenauen Vorplanung einzelner Arbeitshandgriffe. Dieses Konzept ist gekennzeichnet durch einen hohen Grad an Arbeitsteilung und damit verbundenen schwerfälligen Entscheidungsprozeduren.“ (Vahrenkamp 2008, 79)

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

dern kann. Nachteilig für die Qualität der Erzeugnisse ist außerdem die geteilte Zuständigkeit der Werker, weil nacheinander mehrere Personen an der Herstellung eines Werkstückes beteiligt sind.“ Wenn man Raum-/Zeit- und Kostengesichtspunkte gezielt in Ansatz bringt, ergeben sich nach Hansmann (2006, 140) die folgenden Nachteile: ◼ „Die Transportwege zwischen den Werkstätten sind relativ lang, besonders wenn manche Werkstätten mehrmals durchlaufen werden müssen. ◼ Der Raumbedarf ist hoch. ◼ Es ist kaum möglich, alle Werkstätten gleichmäßig auszulasten und Engpässe zu verhindern. ◼ Der Produktionsablauf ist recht unübersichtlich und erfordert einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand. ◼ Durch unterschiedliche Durchlaufzeiten ergeben sich Zwischenlager, die zu einer erhöhten Kapitalbindung in den Beständen führen.“ Praktische Schlussfolgerung: Wenn wechselnde Produkte in kleinen Serien mit unterschiedlichen Arbeitsgängen gefertigt werden, rentiert es sich nicht, eine spezielle Produktlinie der Fließfertigung aufzubauen. In diesem Fall kommt das Werkstättenprinzip wegen seiner hohen Flexiblität, sich auf wechselnde Produkte einstellen zu können, zum Zuge. Zu erwähnen ist noch das Baustellenprinzip, die Fertigung an einer Baustelle. Bei dieser Organisationsform werden Arbeitskräfte, Material und Betriebsmittel an den Standort des zu produzierenden Objekts herangebracht. Vor allem im Hoch- und Tiefbau ist die Baustellenfertigung verbreitet, aber auch beim Bau von Heizungsanlagen, Aufzügen, Kraftwerken und beim Bau von Eisenbahnen. Die Fließfertigung nach dem Fließprinzip ist gar nicht so neu, wie manchmal behauptet wird. Schon gar nicht hat Henry Ford das Fließband erfunden. Richtig ist, dass er es aufgrund seiner Kenntnis, dass es in den Schlachthöfen von Chicago verwendet wurde (disassembly lines), erstmals in der Produktion von Automobilen angewandt hat (assembly lines). Die Idee und ansatzweise Umsetzung der Fließproduktion geht wohl auf dem aus der Geschichte der Dampfmaschine bekannten Erfinder Oliver Evans (*1755-1819𐐆) Ende des 17. Jahrhunderts zurück. Während die Werkstättenfertigung noch im Handwerk verhaftet bleibt, aber schon auch in der Industrie als Organisationsform zum Tragen kam, handelt es sich bei der Fließfertigung um die sich durchsetzende industrielle Fertigungsform zur seriellen Herstellung von technischen Produkten aller Art.

105

Zusammenfassung: Nachteile der Werkstättenfertigung

Schlußfolgerung Werkstättenprinzip

Zum Baustellenprinzip

Fließfertigung nach dem Fließprinzip

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

106 Abb. 3.6: Layout des Fließprinzips ▶ (nach Vahrenkamp 2008, 81)

Der Produktionsprozess bestimmt die Anordnung der Maschinen Definition des Fließprinzips

Noch kürzer und prägnanter definiert: Fließfertigung ist die örtlich fortschreitende, zeitlich bestimmte, lückenlose Folge von Arbeitsgängen. Problem Umrüstung Problem Auslastung Problem Puffer

Layout Fließprinzip Zuschnitt I

Zuschnitt II

Stanzen I

Bohren I

Bohren II

Fräsen I

Stanzen II

Drehen I

Drehen II

Fräsen II

Montage

Das Fließprinzip unterstellt einen getakteten Fluss der herzustellenden Produkte in arbeitsteiligen Prozessen (Westkämper 2006, 10): „Die Produkte werden bei der Arbeit bewegt. Die Ressourcen werden zu den bewegten Produkten gebracht. Arbeitsteiligkeit besteht zwischen den in fester Folge ausgeführten Arbeitsschritten.“ Hierzu die folgende Definition (Westkämper 2006, 10): „Kontinuierlich oder getaktete Bewegung der Produkte in der Fertigung und Montage, d. h. bewegte Produkte, bewegte Arbeitsplätze und Arbeitsteilung geeignet für Serien und Massenfertigung mit hohem Reproduktionsgrad.“ In Abbildung 3.6 auf der Folgeseite ist entsprechend dieser Definition der Typ Fließfertigung als einfaches Layout skizziert. Die Fertigung wird nach den Arbeitserfordernissen des Erzeugnisses aufgebaut. Die Bearbeitungsstationen (Arbeitsplätze) sind entsprechend der Arbeitsfolge einzelner Werkstücke angeordnet. Hohe Liege- und Transportzeiten entfallen in der Regel. Zwar sind die Teiledurchlaufzeiten sehr kurz, jedoch ist die Anlage immer auf ein bestimmtes Werkstück, ein Objekt gerichtet. Das Problem: Technische Änderungen (Varianten des Produkts) sind mit hohem Aufwand für Umrüstungen verbunden. Zudem muss eine ausreichende Auslastung der Anlage wegen der oft sehr hohen Investitionen sichergestellt werden. Hinzu kommt, dass Puffer zwischen den Stationen angelegt werden, um bei einer Störung oder einem Ausfall en detail oder in toto eine Zeitlang mit gepuffertem Material weiterproduzieren zu können. Oft wird die Fließ- mit der Werkstättenfertigung verknüpft, um so durch Kombination ein neues Fertigungsprinzip, die hohe Flexibilität der Werkstättenfertigung mit der kurzen Durchlaufzeit der Fließfertigung zu verbinden. Zusammengefasst ergeben sich die folgenden Vor- und Nachteile (Hausmann 2006, 143):

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements Vorteile ◼ Es wird die geringste mögliche Durchlaufzeit der Produkte durch den Betrieb erreicht. Daher ist für Zwischenlager nur eine geringe Kapitalbindung erforderlich (Sicherheitspufferlager). ◼ Der Produktionsablauf ist übersichtlich und erfordert wenig Aufwand für die spezielle Arbeitsvorbereitung und die Produktionssteuerung. ◼ Es fallen niedrige innerbetriebliche Transportkosten an. ◼ Alle Rationalisierungsmöglichkeiten können durch die weitgehende Zerlegung der Arbeitsgänge ausgenutzt werden. ◼ Das Fließprinzip ermöglicht durch optimale Raumnutzung einen geringeren Raumbedarf als die Werkstattfertigung

Nachteile

◼ Die Einrichtung einer Fließstrecke erfordert einen erheblichen Kapitalbedarf

◼ Die Belastung mit fixen Kosten ist sehr

107 Zusammenfassung: Vor- und Nachteile des Fließprinzips

hoch.

◼ Die Fließfertigung weist nur eine

geringe quantitative und qualitative Elastizität auf. Beschäftigungsschwankungen und Produktvariationen führen zu hoher Kostenbelastung. ◼ Störungen an einzelnen Maschinen wirken sich häufig auf den ganzen Fließprozess aus. ◼ Die psychische Belastung der Arbeitskräfte durch die eintönige Arbeit kann die Produktivität erheblich beeinträchtigen.

Im Zusammenhang mit der Fließfertigung ist noch der Begriff des Fließbands zu klären. Ein wie auch immer fördertechnisch konzipiertes Fließband ist durch seine anhaltende und kontinuierliche Bewegung gekennzeichnet. Das bedeutet, dass sich das zu bearbeitende Produkt auch während an ihm gearbeitet wird, in Bewegung befindet. Das stellt natürlich bei den meisten Montagevorgängen eine zusätzliche erhebliche Belastung der Mitarbeiter dar. Deshalb ist bei vielen Fertigungsverfahren Fließbandarbeit überhaupt nicht vorstellbar. Folglich bestimmen Transfer- und Fertigungsstraßen (allgemein Fließstraßen) und nicht Fließbänder die Organisation der Fließfertigung. Mehr oder weniger taktgebundene Transferstraßen ermöglichen die Arbeit am stillstehenden Produkt. Bisher mag der Eindruck entstanden sein, als ob in einem Produktionsbereich nur „Einzelkämpfer“ irgendwie zusammenwirken. Diese Annahme sollte eigentlich nicht die Vorstellung von Arbeit leiten (s. a. Kapitel 1.3.8). Zu behandeln ist deshalb hier noch das entsprechend der Terminologie der Produktionswirtschaft sogenannte Gruppenprinzip. In Abbildung 3.7 (Folgeseite) sind die einzelnen Gruppenlayouts mit Transportsystemen nach dem Fließprinzip verknüpft. Erkennbar ist, dass der Materialfluss der U-Form folgt, in der flexible Fertigungssysteme oder nach dem Verrichtungsprinzip getaktete Einzelmaschinen aufgestellt sind. Damit lässt das Gruppenlayout eine gewisse Variabilität zu. Es sichert somit eine für die marktbezogene Produktion erforderliche Flexibilität, indem auf Kundenforderungen optimal eingegangen werden kann. Innerorganisatorisch sorgt die Komplettbearbeitung eines Produkts in der Gruppe für eine einheitliche Verantwortung. Die Liege- und Transportzeigen zwischen den einzelnen Arbeitsoperationen werden erheblich verkürzt. Warum UForm? (Vahrenkamp 2008, 82):

Fließband

Transfer- / Fertigungsstraßen

Das Gruppenprinzip (Gruppenlayout) Das Layout in U-Form

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

108 Abb. 3.7: Gruppenlayout (nach Vahrenkamp 2008, 82) ▶

Layout Gruppenprinzip Bereitstellung

Vormaterial

Warum das Gruppenlayout in U-Form?

Zusammenfassung: Gruppenlayout

Fertigwaren

Fertigungsteile 1

Fertigungsteile 2

Fertigungsteile 4

Fertigungsteile 3

„Das Layout der Gruppe wird mit einer U-Form beschrieben, in der die Arbeitsoperationen mit kurzen Wegen und direkten Informationen organisiert werden. Damit steigt die Übersichtlichkeit, und der Bedarf an Managementfunktionen sinkt. Zwischen den Mitarbeitern wird eine intensive Kommunikation möglich, um zu koordinieren und bei Krisen zu intervenieren. Die kurzen Wege in der U-Form ermöglichen eine Mehrmaschinenbedienung und einen schnellen Arbeitsplatzwechsel mit einer engen räumlichen Zusammenarbeit der Mitarbeiter.“ Somit entfällt durch die Verlagerung von bislang in Zentralbereichen angesiedelten Managementfunktionen auf die Gruppe ein wesentlicher Teil des Koordinationsaufwand. Zusammenfassend läßt sich festestellen: Die in Abbildung 3.7 formalisierte Konfiguration eines Gruppenlayouts lässt sich von den folgenden Prinzipien leiten (Vahrenkamp 2008, 82): „Der Grundgedanke des Gruppenlayouts sind die Dezentralisierung von bislang in Zentralbereichen angesiedelten Planungs-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen in eine Arbeitsgruppe und eine Integration von Einzelarbeiten zu einer ganzheitlichen Arbeitsaufgabe. Die Gruppen werden wegen der Anreicherung mit Entscheidungskompetenzen auch als teilautonome Arbeitsgruppen gekennzeichnet und sind intern von einem geringen Grad an Arbeitsteilung geprägt. Die dadurch mögliche Übernahme der einzelen Arbeitsaufgaben durch alle Gruppenmitglieder führt zu einer hohen Flexibilität in der Einsatzplanung und zu einer hohen Qualifikation der Gruppenmitglieder. Diese positiven Effekte

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

109

der Gruppenarbeit führen zu einer hohen Motivation, die gesteckten Ziele zu erreichen und den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung voranzutreiben, indem sie die kreativen Prozesse zur Problemlösung unterstützen.“ Die eingeführten Typen der Produktion schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern werden in praktischen und theoretischen Zusammenhängen zu hybriden Layouts miteinander kombiniert (vgl. Hybride Layouts Vahrenkamp 2008, 83). „Insgesamt bleibt die bereits von Taylor konstatierte Leistungszurückhaltung der Arbeiterschaft das zentrale Problem des Produktivitätsfaktors Arbeit.“ (Aßländer 2005, 340)

3.2.2 Taylors sog. Scientific Management-Ansatz F. W. Taylor war Ingenieur. Er unternahm in den Vereinigten Staaten um die Jahrhundertwende in der Stahlindustrie erste Versuche, die Intensivierung der Arbeit durch systematische Arbeitsplatzstudien zu forcieren. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen fasste er in einer Reihe von Publikationen zusammen, von denen „The Principles of Scientific Management“ (1911) – in Deutschland unter dem Titel „Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ (1913) – einen hohen Bekanntheitsgrad und hohe Aufmerksamkeit erzielte. Anlaß für seine Studien war die Erfahrung Taylors, dass er als Vorgesetzter in der Fabrik mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, die Arbeiter zur Steigerung ihrer Arbeitsleistung zur Verausgabung von „mehr Arbeit pro Tag“ zu veranlassen. Er schreibt, dass seine Bemühungen, die Arbeiter zu einer Steigerung des Outpus zu bringen, durch die Tatsache blockiert wurde, dass seine Kenntnisse davon, wie eine bestimmte Kombination von Werkstückbeschickung, Schnittiefe und Schnittgeschwindigkeit in jedem einzelnen Fall in kürzester Zeit ausgeführt werden könnte, weit weniger genau waren als die der Maschinenarbeiter, die alle zusammen gegen ihn eingestellt waren. Seine Überzeugung, dass die Arbeiter nur die Hälfte von dem arbeiteten, was sie arbeiten sollten, war so stark, dass er von der Unternehmensleitung die Erlaubnis bekam, eine Reihe von Experimenten durchzuführen,

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Wenig bekannt ist, dass Taylor als erster – etwa zehn Jahre vor Henry Ford – das Fließband als Organisationsprinzip menschlicher Arbeit entwickelte und bereits Ende des 19. Jahrhunderts bei der Zerlegung der Schlachttiere in den großen Fleischfabriken (Stockyards) von Chikago praktisch anwendete. Die Assembly Line von Henry Ford war also nichts weiter als eine Adaption der sogenannten Disassembly Line. Während an der Assembly Line etwas zusammengebaut wurde, verwendete man die Disassembly Line zum Zerlegen (Demontage). In Upton Sinclairs Roman „Der Dschungel“ werden die Stockyards von damals (sie wurden erst 1971 abgeschafft) dokumentiert.

Frederick Winslow Taylor (*1856-1915𐐆)

Taylors Problem: Zurückhaltung der Arbeitsleistung durch die Arbeiter

110

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

um die Gesetze des Metallschneidens zu untersuchen, mit dem Ziel, ebenso genaue Kenntnisse zu erlangen wie die der ihm unterstellten Arbeiter. Die Taylorschen Untersuchungen beziehen sich zum einen auf die Perfektionierung der Arbeitsteilung Perfektionierung der Arbeitsteilung, deren produktivitätssteigernde Wirkung bereits Adam Smith in seinem Stecknadelbeispiel erkannt hatte. Zum anderen werden in seinen Untersuchungen mit Hilfe der Zeitanalysen Stoppuhr die einzelnen Arbeitsschritte einer Zeitanalyse unterzogen, um auf diese Weise das für die betreffende Verrichtung schnellste Verfahren ihrer Ausführungen zu gewinnen und so Leistungsreserven zu erschließen und mit den gewonnen Vorgabezeiten LeistungszurückOrganisation des zeit- haltung zu verhindern. Drittens ermöglicht die Arbeitsanalyse eine lichen und räumlichen systematische Organisation des zeitlichen und räumlichen ArbeitsArbeitsablaufs ablaufs. Hierzu zählen zum Beispiel die Planung und Abstimmung der einzelnen Arbeitsstufen, um Wartezeiten zu vermeiden oder die organische Anordnung der Arbeitsplätze, um die Transportzeit zu reduzieren. Abbildung 3.8 (Folgeseite) zeigt zunächst das leitende Prinzip Taylors, die Trennung von disponierender und ausführender Arbeit, aus dem die zielbezogene systematische Anwendung folgt. LetztHauptzielsetzung: endlich verfolgt Taylor in einem dritten Schritt durchgängig das Ziel, Steigerung der Prodie Produktivität zu steigern. Klar wird damit, dass im Zentrum der duktivität Betrachtung die Steuerung der einzelnen Arbeitsplätze steht, wobei der Bewegungs- und Tätigkeitsablauf des Arbeiters den Erfordernissen und die Potentiale seiner Geräte einander angepasst werden. Somit werden auch die Geräte auf die Leistungsmöglichkeiten und Kurzanleitung entspre- Leistungsgrenzen des Arbeiters zugeschnitten. Erst durch das Zusamchend den „wissenmentreffen beider Momente entsteht das von Taylor angestrebte Opschaftlichen Regeln timum. Konsequent zu Ende gedacht formuliert er seinen Ansatz der Taylors“: Arbeitsteilung auf die Spitze treibend praktisch als eine Gebrauchsan1. Wähle für eine bestimmte Arbeit weisung (Taylor 1977, 125-126): „Im folgenden gebe ich eine Zusammenstellung der Schritte, die geeignetste die im allgemeinen zur Ableitung eines einfachen derartigen Person. 2. Lehre dieser Gesetzes nötig sind: Erstens: Man suche 10 oder 15 Leute Person für diese (am besten aus ebensoviel verschiedenen Fabriken und Teilen Arbeit die effizides Landes), die in der speziellen Arbeit, die analysiert werden entesten Arbeitssoll, besonders gewandt sind. Zweitens: Man studiere die methoden und genaue Reihenfolge der grundlegenden Operationen, welche Bewegungen. jeder einzelne dieser Leute immer wieder ausführt, wenn er 3. Belohne höhere die fragliche Arbeit verrichtet, ebenso die Werkzeuge, die jeder Leistung durch einzelne benutzt. Drittens: Man messe mit der Stoppuhr die höhere Bezahlung Zeit, welche zu jeder dieser Einzeloperationen nötig ist, und (Differentiallohnsystem). ff suche dann die schnellste Art und Weise herauszufinden, auf

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

Prinzip Trennung von disponierender und ausführender Arbeit Personalauswahl der geeigneten Arbeiter (‘Eignungstests’, um die Befähigung für eine konkrete Tätigkeit festzustellen)

Arbeitsplatz Jeder Arbeitsschritt ist isoliert und spezialisiert zu sehen. Jedes Arbeitselement wird analysiert und dann mittels Zeit- und Bewegungsstudien optimiert und zu Tätigkeiten kombiniert. Detailgenaue Analyse und Deskription der Art und Weise, wie eine Aufgabe am besten zu verrichten und zu erledigen ist.

Technische Anpassung Arbeitsgerechte Optimierung der technischen Ausstattung (=Anpassung an die Leistungsmöglichkeiten und -grenzen des Menschen)

Ziel: Beste Resultate zu erbringen (Produktivitätssteigerung) „In der Vergangenheit stand der Mensch an erster Stelle, in Zukunft wird das System an erster Stelle stehen.“ (F. W. Taylor)

Arbeitsbüro Funktion: Auf der Grundlage von Arbeits- und Zeitstudien "Reengineering" der Mikro- und Makrostruktur des Produktions prozes ses; Kalkulatorische Vorbereitung der laufenden Produktion; Ko n f l i k t re ge l u n g und Disziplinarmaßnahmen

Funktionsmeister Funktion: Verantwortlich für die Organisationen der laufenden Produktion. Einweisung der Arbeitskräfte

1. Prinzip Trennung von disponierender und ausführender Arbeit

2. Systematische Anwendung des Prinzips mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung

Funktionsmeisterprinzip

Auslese Wegfall des Facharbeiters Taylor hat mit seinem System auch eine Antwort auf die Facharbeiterfrage gegeben.

Ziel: Steigerung der Produktivität

Taylor ging es keineswegs um die Steuerung des Auftrags, sondern nur um die Erhöhung der Produktivität. Da die Zeit nach der Produktivitätsformel der Input ist, muss diese "bewirtschaftet" werden. Wird die Arbeitszeit zum Beispiel um 30 v.H. reduziert, erhöht sich die Produktivität (c.p.) entsprechend, ohne irgendeine zusätzliche Maßnahme. – Das gilt heute wie zu Taylors Zeiten, wie die Anwendung der Formel zeigt: Übungsbeispiel: P = Output / Input (Formel)

◀ Abb. 3.8: Taylors System der „wissenschaftlichen Betriebsführung“ im Überblick

Human Development Training, damit jeder in seinem Bereich erstklassig wird (=Anpassung des psychophysischen Apparats des Menschen)

Systematische Anwendung des Prinzips

Ausführung Durchrationalisierte Organisation Orientierung an den Arbeitsvorga ben des Arbeitsbüros. Effizienz stei ge rung durch Routinebildung; angenommene motivationale Wirkung durch das Diffe rential lohn prinzip (Rückbindung an die Vorgaben)

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Konkret: P = Stück / Zeit In Zahlen: P = 500 Stck / 100 Min. = 5 pro Min. Zeit reduz.: 500 Stck / 60 Min. = 8,33 pro Min.

3. Zielsetzung: Steigerung der Produktivität

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

die sie sich ausführen lässt. Viertens: Man schalte alle falschen, zeitraubenden und nutzlosen Bewegungen aus. Fünftens: Nach Beseitigung aller unnötigen Bewegungen stelle man die schnellsten und besten Bewegungen, ebenso die besten Arbeitsgeräte tabellarisch in Serien geordnet zusammen. Durch diese Zusammenstellung der schnellsten und vorteilDas Top-Down-Modell der Standardisierung haftesten Einzelbewegungen ersetze man nun die 10 oder nach Taylor 15 unvorteilhafteren Serien von Einzelbewegungen und Handgriffen, die bisher im Gebrauch waren. Diese beste Methode wird zur Norm und bleibt Norm, bis sie ihrerseits wieder von einer schnelleren und besseren Serie von Bewegungen verdrängt wird. Erst werden die Lehrer oder die für die speziellen Tätigkeiten vorhandenen Meister (die Taylors wissenschaftSpezialmeister, die das Amt der Lehrer versehen) in der neuen liches Grundgesetz als Methode unterwiesen, dann wieder durch sie alle Arbeiter unendlicher Zirkel, der der Fabrik. In dieser einfachen Art wird ein Grundgesetz der sich selbst evaluiert Wissenschaft nach dem anderen entwickelt.“ Mit dem in Abbildung 3.8 genannten Funktionsmeisterprinzip, das Taylors Funktionsmeistersystem als RückTaylor als Funktionsmeistersystem ausweitet, bestimmt Taylor genau, grad seines Organisa- welche speziellen Funktionsmeister einzurichten sind und welches tionsmodells ihre Aufgaben sind. Er nennt die folgenden Funktionsmeister: ◼ Der „Rottenfüher“ bzw. Verrichtungsmeister (gang boss). Er achtet darauf, dass die Arbeit nach den Ausführungsbestimmungen erledigt wird, immer ein Werkstück bearbeitet wird und alle Hilfsmittel und Materialien vorhanden sind. ◼ Der Geschwindigkeitsmeister (speed boss). Er überwacht die Maschinenlaufgeschwindigkeit und kontrolliert die Arbeitsintensität. ◼ Der Prüfmeister (inspector). Er ist für die Qualität und Kontrolle der Arbeitsprodukte zuständig. ◼ Der Instandhaltungsmeister (repair boss). Ihm obliegen die korrekte Wartung der Maschinen, Werkzeuge und Arbeitsplätze. ◼ Der Aufsichtsbeamte (shop disciplinarian). Er kümmert sich um die Aufrechterhaltung der nötigen Disziplin. Bei wiederholter Pflichtverletzung führt er Bestrafungen durch. Alle diese Tätigkeiten werden nicht in Personalunion ausgeführt. Dieses System hatte zur Folge, dass in den Betrieben ein mehrliniges Leitungssystem existiert. Somit wäre jeder Arbeiter „Diener mehrerer Herren“, wäre quasi in eine mehrdimensionale Matrixorganisation eingebunden. Über das Fabriksystem von Henry Ford, der – auch wenn er eine Verbindung zu Taylor abstritt – mit Sicherheit von ihm beeinflusst wurde, kann gesagt werden: Die wissenschaftliche Betriebsführung

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

Taylors, das sogenannte Scientific Management, hat angestrebt eine gegebene Betriebsorganisation und gegebene Arbeitsabläufe produktiver zu machen. Dabei war die Messung der Arbeitsleistung aufgrund von genauen Zeitstudien tatsächlich der Ausgangspunkt der Überlegungen Taylors gewesen. Die Fertigungsingenieure bei Ford versuchten in der Produktion des T-Modells mehr und mehr menschliche Arbeit durch Werkzeugmaschinen und Förderanlagen zu ersetzen. Dabei bestimmte, nicht wie bei Taylor das (Differential-)Lohnsystem, sondern der Takt der Maschinen die Arbeitsgeschwindigkeit. Der Taylorismus ergänzte so eher indirekt in wesentlichen Elementen die Konzeption der Montagebänder Fords. Diese Überleitung führt direkt zum nächsten Kapitel, Henry Fords Konzept einer fließgesteuerten Autofabrik. Doch vorher soll noch ein Zitat zum übernächsten Kapitel TPS anschließen, das sich ja auch am Scientific Management „gerieben“ hat: (Kennedy 1998, 209): „Japanische Fachleute zählten bereits seit 1913 zu den Bewunderern Taylors und übernahmen viele seiner Prinzipien bei der Entwicklung revolutionärer Produktionstechniken in den siebziger und achtziger Jahren: Taiichi Ohno von Toyota, der Vater des Just-in-Time-Managements, gibt an, er habe der wissenschaftlichen Betriebsführung viel zu verdanken.“ Ob japanische Fachleute wirklich Taylor bewundert haben, sei dahingestellt. Japaner neigen oft dazu, jemanden zu „bewundern“, von dem sie etwas lernen können und sei es ein Kontrastprogramm wie im Fall Taylor versus Toyota.

113

Bei Taylor war es der Lohn, der die Geschwindigkeit der Arbeit bestimmte, bei Ford war es der Takt des Fließbands, der die Arbeitsgeschwindigkeit bestimmte

Dieser Einschätzung kann zugestimmt werden. Man vergleiche nur die Argumentationsweise Taylors „Die nach wie vor aktuelle Bedeutung des Scientific Managements (1977) mit der von besteht darin, dass sich von diesem Ansatz in der Folgezeit nicht Ohno Taiichi (1993). nur das Konzept von Ford, sondern alle Systeme ableiten oder abgrenzen, die den Anspruch auf ’rationelle wissenschaftliche Organisation der Produktion’ erheben.“ (Cale 2000, 33)

3.2.3 Das Ford-System der Autoproduktion Von Henry Ford wird die Geschichte erzählt, dass er gesagt haben soll: „Wenn ich damals die Menschen gefragt hätte, was sie möchten, sie hätten gesagt: schnellere Pferde.“ Sein Ziel war es, ein im Preis möglichst günstiges und zu niedrigen Kosten produziertes Auto herzustellen, das für alle gesellschaftlichen Gruppen erwerbbar war. In der Verfolgung dieser Zielsetzung wurde das Produkt Auto erstmals ein Massenprodukt. Um dies zu ermöglichen wurde nicht der potentielle Käufer gefragt. Den meinte er sowieso zu kennen. Dasselbe galt auch für seine Mitarbeiter. Für ihn war eines klar, was er wollte, ließ sich nur mit einer „Bombenwurfstrategie“ durchsetzen (Ford 1923, 83):

Henry Ford (*1863-1947𐐆)

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

114 Fords „Bombenwurfstrategie“

„So erklärte ich denn 1909 eines schönen Morgens ohne jede vorherige Ankündigung, dass wir in Zukunft nur noch ein Modell herausbringen würden, nämlich ’Modell T’, und dass sämtliche Wagen das gleiche Chassis haben würden. Ich erklärte: ’Jeder Kunde kann seinen Wagen beliebig anstreichen lassen, wenn der Wagen nur schwarz ist.’ Ich kann nicht behaupten, dass ich irgendwelche Zustimmung gefunden hätte.“

Abb. 3.9: Fords Assembly Line: Montage des Modell T am Einzelplatz ▶ Man sieht hier sehr gut, das Prinzip des Fließbands: Die Arbeiter bleiben an der Position, das Band zieht das Objekt im Takt weiter.

Abb. 3.10: Fords Assembly Line: Endmontage ▶ Vom Modell T wurden 15 Millionen Stück produziert.

Frage: Warum sollte das T-Modell gerade schwarz sein? – Antwort: Der Farbton schwarz war damals deutlich billiger als andere Farbtöne.

Autos kaufen keine Autos

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

115

So nahm die Geschichte des Fließbandes, der assembly lines, in der Automobilindustrie ihren Lauf: Ford gründete 1903 sein eigenes Unternehmen. Mit dem Modell T, das 1903 auf den Markt kam und von dem 15 Millionen Stück hergestellt wurden, schrieb er Automobilgeschichte, mit der Einführung der bandgezogenen Fließfertigung schrieb er Produktionsgeschichte, mit der Methode der FestpreisFestsetzung, um darauf bezogen die Kosten zu kontrollieren, nahm er das heutige – erstmals von Toyota perfektionierte Kalkulationsverfahren – Target-Costing (Kapitel 1.3.5) vorweg. Sein Versuch jedoch die räumlichen und zeitlichen Grenzen des örtlichen Fließsystems auf den gesamten Wertschöpfungsprozess auszudehnen, scheiterte. Dieser Plan, die Arbeit von Millionen zu einer Einheit, einem globalen Wertschöpfungsprozess, zusammenzufügen, gelang ihm nicht (Kap. 2.1). Fords Produktionskonzept basierte auf Montagelinien, die durch den Einsatz von Fließbändern, Einzweck-Präzisionsmaschinen und gesonderten Montageabteilungen möglichst alle Arbeitsschritte zu einem kontinuierlichen Prozess zusammenführen. Die Fließbandproduktion erforderte eine perfektionierte Standardisierung der Produktteile, denn ein reibungsloser Produktionsfluss wäre durch zu weite Fabrikationstoleranzen behindert worden. Unter Rentabilitätsgesichtspunkten brachten die Montagelinien eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, weil der Arbeitsrhythmus dem Takt von Maschinen und Fließbändern angepasst wurde und sich dadurch über biologische Grenzen hinwegsetzte. Schließlich eröffneten die Montagelinien Ford die Chancen zur Beschleunigung des Kapitalumschlags, denn der integrierte Produktionsprozess reduzierte den Zwang zur Lagerhaltung und verkürzte die ‚Totzeiten‘ des Arbeitsprozesses. Alle diese Faktoren führten schon zu einer deutlichen Senkung der Stückkosten. Abbildung 3.11 verdeutlich die beiden ausschlaggebenden Faktoren. Sein

Ford schrieb in mehrfacher Hinsicht Automobilgeschichte

Fließbandprinzip (assembly lines) Ford

◀ Abb. 3.11: Fließband – Prinzipmodell nach Ford

Montagelinie A PUSH

Arbeitsschritt 1 ... ff

Montagelinie B PUSH

Bestände Arbeitsschritt 1 ... ff

Bestände Montagelinie C Arbeitsschritt 1 ... ff PUSH Bestände

Endmontage

Output

Fords Versuch, die räumlichen und zeitlichen Grenzen des örtlichen Fließsystems auf den gesamten Wertschöpfungsprozess auszudehnen, scheiterte Montagelinien

Standardisierung der Teile

Biologische Grenzen des Menschen!

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

116

Fließbandsystem zeichnet sich durch ein Push-System aus, d.h., dass das Material zur Folgearbeitsstation weitergegeben wird, wenn es im Ausgangspunkt vorliegt: Der Folgearbeitsplatz erhält somit das Objekt, unabhängig davon ob der Eingangsbestandspuffer bereits weniger stark oder stark gefüllt ist, würde man in heutiger Terminologie sagen. Dagegen wäre aus der Sicht des Folgearbeitsstation eine Weitergabe des Materials zu dem Zeitpunkt wünschenswert, wenn gerade der Einganspuffer leer ist (Vahrenkamp 2008, 90). Es kommen also Problem der Wartezu lange Warteschlangen von wartendem Material zustande, Bestände schlangen und Beentstehen, die nur unnötige Kapazitäten verschlingen. Ford erkannte standsaufschaukelung diese Probleme natürlich. Er versuchte das System durch Veränderung der Taktzeiten zu synchronisieren, was natürlich nur höchst unzureichend gelang. Pushsysteme funktionierten nicht nur damals in der Fließfertigung nicht optimal. Die Probleme sind geblieben, trotz digitaler Produktionsplanungs- und Steuerungssoftware (Günther/ Tempelmeier 2012, 343): „Im Push-Konzept versucht man im Prinzip, die Start- und Das Hauptproblem der Endzeitpunkte aller Produktionsvorgänge möglichst umfasPush-Systeme ist bis heute virulent send vorauszuplanen. Wie wir gesehen haben, gelingt dies mit den derzeit in der Praxis verwendeten Planungsmethoden nur unzureichend. Das Ergebnis sind unkontrollierte und (zu) hohe Bestände.“ Die grundsätzlich andere Vorgehensweise wurde im Toyota Production System von Ohno Taiichi durch Änderung der Denkweise Pull-Konzept von Toyo- eingeführt und führte durch Umstellung auf Pull-Produktion zur ta als Gegenentwurf Lösung, indem Abstand genommen wurde von der zentralen Planung und nun die Zielsetzung verfolgt wurde, alle Produktionsvorgänge direkt oder indirekt durch einen eingegangenen Kundenauftrag auslösen zu lassen. So hatte man das generelle Problem in den Griff bekommen (Kapitel 3.3). Fords Rechnung, das Fließband nicht isoliert zu sehen, sondern Fords Modell eines eingebettet in einem idealen Produktions- und Reproduktionsmoidealen Produktionsdell, wie es Abbildung 3.12 zeigt, ging auf. Er setzte auf die Stellgröße und Reproduktionsmodells Lohn und konnte damit die Nachfrage kontinuierlich auslösen. In dem Moment allerdings, wo die Kaufkraft schwächelte, funktionierte sein Modell nicht mehr so glatt. Es kam zu Problemen im Produktionsprozess, die Kapazitäten mussten heruntergefahren werden, die Tendenz auf Halde zu produzieren war groß. Dieses weit über die Produktion hin-ausgehende Modell sollte später als „Fordismus“ bezeichnet werden (vgl. Abbildung 3.12): Die beiden Gesichter Rationalisierung (so z. B. das Fließband) maximiert einerseits der Rationalisierung den Produktausstoß (absolut oder relativ zu den Arbeitsstunden) und erlaubt andererseits eine Optimierung der Güterverteilung Fließband als PushTechnologie

3.2 Zu den Vorläufern des Lean Managements

Konsumgüterkauf

Produktausstoß Rationalisierung

Nachfrage

Lohn

Wunschproduktion

Marketing

117 ◀ Abb. 3.12: Produktion und Reproduktion im System von Henry Ford („Fordismus“) Die Nachfrage ist definiert als der mit Kaufkraft versehene Bedarf

Legitimation »Produktion«

»Reproduktion«

"Ich will, dass meine Arbeiter gut bezahlt werden, damit sie meine Autos kaufen." (Henry Ford)

(Anlieferung, Verkaufstechniken, Bedürfnisproduktion etc.). Die Lohnhöhe richtet sich einerseits nach der Produktivität, andererseits nach den erwarteten Absatzpotentialen; d. h., in die Lohnberechnung geht eine Antizipation des Konsumverhaltens ein. Insofern impliziert der Fordismus eine Auskoppelung des Lohns aus dem betriebsbezogenen Kalkül. Allerdings plädiert Ford selber selbst bei schlechtem Geschäftsverlauf gegen Lohnherabsetzungen, weil er in dieser Situation auf Innovationsschübe und Absatzausweitungen setzt. In gewissem Sinne scheint somit der Lohn bei Ford als Antizipation des Konsumverhaltens, extrem gesagt: Der Lohn als Mittel des „deficit spending“. Er geht soweit zu sagen „Löhne und Gehälter sind also eigentlich weiter nichts als ein bestimmter, im voraus bezahlter Gewinnanteil.“ Die Nachfrage wird einerseits vom Lohn bestimmt, andererseits – vor allem in Bezug auf die gesuchten Güterarten – von etwas, das in Abbildung 3.12 Wunschproduktion genannt wird. Radikal gedacht müsste sich heute ein fordistisches Projekt zutrauen, die (Güter-)Wünsche der Konsumenten über das Marketing detailliert zu steuern. Dass dies funktionieren kann, beweist uns in den letzten Jahren besonders die Firma Apple mit ihren „Must-have-Produkten“. Allerdings hat eine solche detaillierte Steuerung von Konsumentenwünschen eine Schwäche darin, dass sie ein Wachstumspotential nicht zum Tragen kommen lässt. Die Konsumenten könnten ja von sich aus Wünsche bilden und anmelden, die die Anbieter zu befriedigen hätten und auf die die Anbieter von sich aus gar nicht

Die Lohnhöhe richtet sich nach der Produktivität und den erwarteten Absatzpotentialen

Der Lohn als Mittel des „deficit spending“ (in Auslegung nach J. M. Keynes): Defizitfinanzierung Wunschproduktion

Die „Wünsche“ der Kunden über das Marketing steuern; Beispiel Apple

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

118

Legitimation über den Absatzmarkt

Fordismus als Gesellschaftsmodell und die vier Grundprinzipien der Fordschen Produktionsweise mit Leitbildcharakter

Sehr aufschlussreich: Das wahre Ziel der Industrie nach Henry Ford! Abb. 3.13: Die vier Grundprinzipien der Fordschen Produktionsweise (heute wohl eher ein Organisations-Leitbild) ▶

gekommen wären. Darin liegt eine prinzipielle Spannung, die aufgelöst werden kann, wenn es den Anbietern gelingt „sich in die Gehirnwindungen der potentiellen Kunden zu bewegen“. Die traditionelle Marktforschung versagt hier weitestgehend. Von herausragender Bedeutung ist der Legitimationsaspekt. Wesentlich ist für die fordistische Konstruktion, dass die Legitimation über den Absatzmarkt läuft und nicht über die Gestaltung der organisatorischen Prozesse der Produktion. Diese haben nachgeordnete Bedeutung. Ein umfassendes Verständnis des Fordismus, der ja in dieser Interpretation eine Art Gesellschaftsmodell darstellt, erhält man, wenn noch die vier Grundprinzipien der Fordschen Produktionsweise hinzugezogen werden (Abbildung 3.13). Sie ließen sich bequem zu einem Unternehmensleitbild (den Ausdruck gab es damals ja nicht) formulieren. Was fehlt sind Aussagen zum Mitarbeiter und Aussagen zum Bild vom Kunden, dann wären die Kurzcharakteristika des Bildes von der Fordschen Unternehmenskultur vollständig (Kapitel 1.3.9). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Henry Ford nicht nur den Entwurf eines Produktionssystems vorgelegt hat, das zentral gesteuert ein Push-System bildet, sondern auch unter dem später so genannten Begriff Fordismus gesellschaftstheoretische Aspekte formuliert hat, die in die sozio-ökonomische Sphäre hineinreichen, wie hier in der Sprache Fords selbst (Ford 1928, 116f): „Das wahre Ziel der Industrie besteht nicht darin, die ganze Menschheit in eine Form zu pressen; es ist auch nicht die Aufgabe, dem arbeitenden Menschen eine falsche Überlegenheit zu verschaffen – die Industrie ist zum Dienste des Publikums da, von dem der Arbeiter nur ein Teil ist. Die Grundprinzipien der Fordschen Produktionsweise 

2

3

4

Du sollst die Zukunft nicht fürchten und die Vergangenheit nicht ehren. Wer die Zukunft, den Mißerfolg, fürchtet, zieht seinem Wirkungskreis selber Grenzen. Mißerfolge bieten nur Gelegenheit, um von neuem und klüger anzufangen. Ein ehrlicher Mißerfolg ist keine Schande; Furcht vor Mißerfolgen dagegen ist eine Schande. Die Vergangenheit ist nur insofern nützlich, als sie uns Mittel und Wege der Entwicklung weist. Du sollst die Konkurrenz nicht beachten. Wer eine Sache am besten macht, der soll sie verrichten. Der Versuch, jemandem Geschäfte abzujagen, ist kriminell – kriminell, da man dadurch aus Gewinnsucht die Lebensverhältnisse seiner Mitmenschen zu drücken und die Herrschaft der Gewalt an Stelle der Intelligenz zu setzen versucht. Du sollst die Dienstleistung über den Gewinn stellen. Ohne Gewinn kein ausbaufähiges Geschäft. Dem Gewinn haftet von Natur aus nichts Böses an. Ein gut geleitetes Unternehmen muß und wird sogar für gute Dienste einen guten Gewinn abwerfen. Der Gewinn muss jedoch nicht die Basis, sondern das Resultat der Dienstleistung sein. Produzieren heißt nicht billig einkaufen und teuer verkaufen. Es heißt vielmehr, die Rohstoffe zu angemessenen Preisen einkaufen und sie mit möglichst geringen Mehrkosten in ein gebrauchsfähiges Produkt verwandeln und an die Konsumenten verteilen. Hasardieren, Spekulieren und unehrlich Handeln heißt nur diesen Vorgang erschweren.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

höchste Aufgabe der Industrie zielt darauf ab, Körper und Geist von der Plackerei um die tägliche Notdurft zu befreien, indem vermehrte Produktion die Welt mit guten billigen Erzeugnissen anfüllt.“ Fords Ausführungen sind viel umfassender als die eher auf den Betrieb gerichtete Perspektive Taylors. Deshalb kann aus historischer Sicht heraus der Ansatz von Taylors Scientific Management als ein Element des Fordismus gesehen werden. Im dialektischen Sinn werden sie später aufgehoben werden im TPS von Ohno Taiichi. „Viele gute amerikanische Unternehmen respektieren Individuen und praktizieren Kaizen und andere TPS-Instrumente. Worauf es aber ankommt, ist, dass alle Elemente als System zusammenwirken. Das muss konsequent und jeden Tag aufs Neue – nicht in Schüben – und ganz konkret in der Fertigung praktiziert werden.“ (Cho Fujio, in: Liker 2006, 57)

3.3

Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Ohno Taiichi wurde in Abschnitt 2.3.4 sowohl als Person wie auch mit seinen Leistungen herausgestellt. Er übernahm 1949 die Leitung der mechanischen Fertigung bei der Toyota Motor Corporation. Das Toyota Production System ist vor allem in den Jahren zwischen 1950 und 1970 unter seiner „Federführung“ entstanden. Dabei hat er auf Elemente zurückgegriffen, die bereits ganz oder ansatzweise von Toyoda Sakichi und Toyoda Kiichirō entwickelt worden sind. Nach Ohno selbst (1993, 21) haben wir es beim TPS mit einem Managementsystem zu tun, das als Toyota Managementsystem (TMS), einem umfassenden Managementsystem, erst zur vollen Entfaltung gelangt, in dem den Menschen besonderer Respekt zukommt und das auf Beseitung von Verschwendung zielt, indem die Produktion als Einzelfertigung organisiert wird. Diese Sicht wird hier vertreten, auch wenn immer der Begriff Toyota Produktionssystem (TPS) oder kurz Toyota-System verwendet wird.

3.3.1 Ohnos vermutete wahre Absicht hinter dem Ford-System Das Ford-System, mit dem der vorhergehende Abschnitt 3.2.3 endete, verweist auf Ohno Taiichi. der sich ausführlich mit Henry Fords Fließband-Produktionssystem auseinandergesetzt hat. Er war selbst in den USA und hat u.a. die Ford-Werke besichtigt. In seiner Studie

Ohno Taiichi (*1912-1990𐐆)

Wichtig: Bei dem Toyota Produktionssystem haben wir es nach Ohno selbst mit einem umfassenden Managementstem zu tun, dem Toyota Managementsystem (TMS).

119

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

120

Fords Würdigung durch Ohno

Der Unterschied zwischen Ford und Ohno: Management des Lagerhauses versus Null-Lagerhaus

Slogan: „Kleine Losgrößen und schnelle Umrüstungen“

zum Toyota Production System setzt er sich auf 18 Seiten mit dem Ford-System auseinander (Ohno 1993, 121-138). Er erkennt Henry Fords Leistung als Schöpfer des ersten industriellen Autoproduktionssystems der Geschichte an (Ohno 1993, 121): „Die Grundlage jeder Autoherstellung in der modernen Industrie ist (…) das Massenproduktionssystem, das Ford zuerst praktizierte. Darauf bauen alle anderen auf.“ Beim Fortgang seiner Darstellung bezieht er sich sowohl auf eine Schrift Fords (Today and Tomorrow) wie auch auf das Buch des damals führenden Ford-Managers Charles E. Sorensen (My Forty Years with Ford), der nach Ohnos Darstellung versuchte, Ordnung in die für den Autobau benötigten Materialien zu bringen. Er ließ das kleinere handhabbare Material extra in einem etwas entfernten Lagerhaus lagern, trennte es also von den größeren sperrigen Teilen, wie Motoren und Achsen, die in einem anderen Lager aufbewahrt wurden. In regelmäßigen Abständen wurde dann das Montageband beliefert. Beim Montageband selbst wurde das Chassis auf Rollen gesetzt, was dann mit einem Abschleppseil gezogen wurde, nachdem Achsen und Räder angebracht waren. In der Folge wurden dann aus den bereitgestellten Teilen/Aggregaten das Auto Stück für Stück montiert. Ohno bemerkt, dass diese Grundform der Fertigung heute noch auf der ganzen Welt so abläuft (Ohno 1993, 123): „So basiert auch das Toyota Produktionssystem auf diesem Arbeitsflußsystem. Der Unterschied besteht darin, dass Toyota, während sich Sorensen um die Lagerung von Teilen Sorgen machte, das Lagerhaus ganz beseitigte.“ Diesen unterscheidenden Punkt greift er auf, um klarzustellen, dass es sich um zwei verschiedene Produktionssysteme handelt. Während das Ford-System von großen Losen mit ungeheuren Mengen ausgeht und einen großen Lagerbestand produziert, geht das ToyotaSystem genau umgekehrt vor: „Unser Produktionsslogan lautet ’kleine Losgrößen’ und schnelle Umrüstungen.“ (Ohno 1993, 123). Auf den Punkt gebracht: ◼ das Ford-System präferiert die Massenproduktion und fertigt für das Lager, aus dem heraus dann der Handel beliefert wird (PushSystem) ◼ das Toyota-System präferiert die flexible Kleinserienproduktion entsprechend den eingehenden Kundenaufträgen (Pull-System). Ohno fragt sich, welches System das überlegenere sei und teilt seine Überzeugung mit, dass er fest davon überzeugt sei, dass das Toyota-System für Perioden niedrigeren Wachstums das besser geeignete sei. Sein Thema ist dann die Produktionsnivellierung, mit der er versucht Verschwendung zu vermeiden bzw. gegen Null zu bringen.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Er stellt fest, dass auch Ford das Thema Verschwendung thematisiert. In „Today and Tomorrow“ findet sich ein Kapitel „Verschwendung als Lehrmeister“. Die Gedanken, die Ford in diesem Kapitel formuliert, finden bei Ohno sofort Anklang. So etwa die Aussage von Ford (nach Ohno 1993, S. 126, in Today and Tommorrow): „Meine Theorie der Verschwendung geht auf den Gegenstand selbst und auf die zu seiner Erzeugung erforderliche Arbeit zurück. Wir wollen stets den vollen Gegenwert der Arbeit erhalten, um in der Lage zu sein, auch nach dem vollen Werte zu bezahlen.“ Schließlich kommt es sogar zum Schulterschluss (Ohno 1993, 123): „Ich denke, würde der amerikanische Autokönig noch leben, würde er eine dem Toyota-System ähnliche Produktionsweise übernehmen.“ Als weiteres Thema behandelt er die Standardisierung (Normierung). Auch hier teilt er grundsätzlich die Meinung Fords, indem er sagt (Ohno 1993, 128): „Wir spüren in Fords Denken die starke Überzeugung, dass eine Norm nicht von oben vorgegeben werden sollte. Gleich ob es sich um eine Behörde, das Topmanagement oder einen Werksleiter handelt, die Person, die die Normen aufstellt, sollte aus der Fertigung kommen. Sonst würde die Norm, wie Ford betont, nicht zu Fortschritt führen. Dem stimme ich zu.“ Auch bei der Einrichtung eines Arbeitsflusses stimmen beide überein, wobei Ford hierfür den Begriff der Synchronisierung benutzt (Ohno 1993, 129). Angesichts der gedanklichen Übereinstimmung in vielen Aspekten zwischen Ford und Ohno kommt Ohno doch schließlich darauf, dass es Fords Nachfolger sind, die nicht den Grundlinien Fords gefolgt sind, sondern einen falschen Weg eingeschlagen haben (Ohno 1993, 129): „Sie hatten am Ende das Konzept ’Je größer die Lose, um so besser’. Damit errichtet man sozusagen einen Damm und stoppt den Fluß …“ Zusammenfassend lässt sich erkennen, wie offen, vorurteilslos und lernbereit sich Ohno mit den Ideen von Henry Ford befasst hat. Offenbar bestätigt sich in der Herangehensweise Ohnos an fremde Vorstellungen die typische japanische Haltung nach dem starken Gespür für den Wandel der Dinge. Das auf die Produktion nur eines Automodells setzende Ford-System hatte sich unter dem Druck des Marktes und der Konkurrenz (General Motors) wandeln müssen. Auch das Toyota Produktionssystem, dessen sind sich die Japaner bewußt, ist ständigem Wandel ausgesetzt.

Fords Aussagen zu Verschwendung

Standardisierung

Arbeitsfluss / Synchronisierung

Zusammenfassung „Ford/Ohno“

121

122

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements Toyoda und Ohno scheinen nicht vom Selbstzweifel geplagt worden zu sein, als sie darangingen sukzessive ein neues Produktionsparadigma zu entwickeln. Ihr Leitspruch war: „Die Massenproduktion ist etwas, das überwunden werden muss.“

3.3.2 Historische Entstehungsbedingungen des TPS Als die Toyota Motor Corporation nach dem Zweiten Weltkrieg, Ende der 1940er Jahre, versuchte einen Weg jenseits der Massenproduktion à la Ford zu finden, sah sie sich folgenden Problemen gegenüber: Mit einem äußerst geringen Marktanteil befand sie sich in einer sehr kleinen Marktnische, die die amerikanischen Massenproduzenten überiggelassen hatten. Alte unzureichende Fertigungsmaschinen, beengte Betriebsflächen und eine geringe Kapitalausstattung ließen aus objektiver Sicht keine andere Beurteilung zu, als vom Automobilbau Abstand zu nehmen. Doch sowohl Toyoda Kiichirō, der Leiter von Toyota, wie auch sein Betriebsingenieur Ohno Taiichi wußten, das sie einen anderen Weg abseits der Generierung von Skalenerträgen durch Massenproduktion gehen mußten. Dieser Weg war praktisch seit den 1930er Jahren von Toyoda Sakichi vorgezeichnet (gewissermaßen folgten sie einem „VerEinem Vermächtnis folgend! mächtnis“ – Kapitel 2.3.1). Retrospektiv betrachtet hatten die beiden aus der Not eine Tugend gemacht, sie hatten die Nachteile von mangelhafter und fehlender Technik, räumlicher Enge und Kapitalnot in Ressourcen umgewandelt: Die Kunst Nachteile in ◼ Die Art und Weise, Maschinen so einzurichten, damit sie über lanRessourcen umzuwange Zeit gleichbleibend nur ein Modell nach dem Vorbild des Modeln dell T von Ford produzieren musste der Praxis weichen, die Maschinen so einzurichten bzw. solche Maschinen einzusetzen, mit denen es möglich war kleine oder sogar sehr kleine Stückzahlen (bis 1) zu produzieren. ◼ Damit einhergehen musste der Werkzeugwechsel beschleunigt werden (deutlich weniger als eine Stunde). Traditionellerweise dauerte eine Umrüstung mindestens mehrere Stunden. Es galt diese Frequenz deutlich zu senken. Die Ressource, auf die Toyoda und Ohno bei ihrem Vorhaben setzen konnten, waren die Mitarbeiter, deren Fertigkeiten und Hingabe in einer Zeit genutzt werden konnte, in der sich das Land um den Wiederaufbau bemühte. Sowohl das Umrüstproblem wie auch das Problem der neuen Technik gelangen: In drei bis vier Jahren gelang es die für dieses Vorhaben passende Technik zu schaffen wie die Rüstzeiten auf 15 bis 20 Minuten zu senken. Dies alles lief zwar geplant ab, aber nicht derart, dass die Protagonisten alle Folgewirkungen von Anfang an bedacht hätten. Es stellte sich heraus, dass das gesamte Vorhaben an weitere Bedingungen geknüpft war, die sich langsam einstellten:

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi ◼ Damit der schnelle Werkzeugwechsel langfristig klappt, müssen Weitere Bedingungen alle Mitarbeiter im produzierenden Bereich diesen durchführen der neuen Produkkönnen. Die traditionelle Teilung der Mitarbeiter in diejenigen, die tionsweise

produzieren und die anderen, die das Werkzeug einrichten, wurde aufgehoben. Die Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter wurde zum Selbstverständnis. ◼ Dazu wurden Trainingsmaßnahmen eingeführt, die man gewissermaßen als „Job Enrichment-Trainings“ bezeichnen kann. ◼ Der flexible und häufige Werkzeugwechsel erforderte einen größeren Vorrat an Arbeitsmaterial, das jedoch aufgrund der beengten Räumlichkeiten nicht im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang vorrätig sein konnte. Es mussten also Wege gefunden werden, die zeitnahe Verfügbarkeit des Materials zu garantieren (Perfektionierung des Transportsystems, Verpflichtung der Unterlieferanten etc.). ◼ Die Tatsache, dass verschiedene Typen in geringer Stückzahl produziert werden konnten, erbrachte für Toyota den Vorteil sich schneller und flexibler an Marktveränderungen (individualisierte Kundennachfrage) anpassen zu können, als es den in starren Strukturen produzierenden Massenproduzenten möglich wäre. ◼ Die übliche Kontrolle der Qualität am Schluss des Produktionsprozesses konnte in den Produktionsprozess integriert werden; nach dem Motto: „Quality is everybody’s job.“ Fehlerentdeckungsmaßnahmen wie Poka Yoke und die Möglichkeit des Produktionsstopps durch die Mitarbeiter waren deutlich vorteilhafter für das Erreichen von guter bis sehr guter Qualität als die Qualitätsprüfung am Schluss des Produktionsprozesses bei der Massenfertigung. So kann in der Tat davon gesprochen werden, dass ein gewachsenes Herausbildung eines Toyota Produktions- und Managementsystem geformt wurde, das Produktions- und Masich auf kohärente und organische Weise im Rahmen einer gelebten nagementsystems Organisationskultur zusammengefügt hat und damit ein alternatives Produktionsmodell zum bis dahin vorherrschenden Modell der Massenproduktion, wie sie von Henry Ford eingeführt wurde, bildet. Dass diese Alternative zum Ford-System gelingen wird, war anfangs keine ausgemachte Sache, wie Toyoda Kiichirō erklärte (Ohno 1993, 311): „Ich will mit dem Plan, ein Auto zu bauen, so weit gehen, wie ich kann. Wenn ich etwas tue, dann Autos herstellen, die sich jeder leisten kann. Ich weiß, es wird schwierig sein, aber damit habe ich nun einmal angefangen.“

y

„Wir werden Autos bauen, die genau dem Wunsch des Kunden entsprechen oder aber von solcher Neuheit sind, wie sie sich der Kunde gar nicht vorstellen kann.“ (Kojima 1995, 529)

123

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

124

„Die Ideen sind nicht verantwortlich für das, was die Menschen aus ihnen machen.“ (Werner Heisenberg)

3.3.3

Die sieben Elemente des Toyota Produktionssystems

Die Stichworte, die zur Konzeption des Toyota Produktionssystems gebraucht werden, sind alle schon gefallen. Ohno Taiichi hat es nicht nur in seinen beiden Werken (Workplace Management und Toyota Production System) begrifflich dargelegt sondern schon vorher im Manual „T.P.S. Handbook“ der Toyota Motor Corporation. Allerdings hat er nie geschrieben und noch viel weniger gesagt: „Das ist das System, das sind seine Bestandteile, davon wird alles abgeleitet.“ Dieser Ansatz muss jedoch gewählt werden, will man dem Systembegriff Rechnung tragen. Das soll nun schrittweise erfolgen. Aus den bisherigen Darlegungen in Kapitel 3.3, besonders 3.3.2 wurde deutlich, dass – nachdem klar wurde, dass ein Massenproduktionssystem nicht durchführbar war – von zwei miteinander verknüpften Sachverhalten in der Produktion auszugehen war: ◼ der Beengtheit des Raumes und ◼ der Fristigkeit der Zeit. Wie beschrieben war es für Toyota nicht möglich, große Lagerkapazitäten aufzubauen, wie das Ford und GM in Detroit getan hatten (Raum). Auch die Zeit für den Antransport des Materials an die Fertigungsstätte musste bewirtschaftet werden. Ohnos Vorstellungen Nach wie vor relevant: die beiden Titel von Ohno Taiichi und das T.P.S. Handbook ▶

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Knappheit von Raum

Zeit

Vermeidung

Muda

◀ Abb. 3.14: Muda und Just in Time als Elemente des TPS, abgeleitet aus der Knappheit von Raum und Zeit

Vermeidung

Just in Time zu einer optimalen Raum- und Zeitwirtschaft mündeten in einem Konzept, das bereits Ford thematisiert hatte (Kap. 3.3.2), dem Konzept der Verschwendung (jap. Muda). Es ist der Ausgangspunkt für das Verständnis aller weitergehenden Betrachtungen. Muda soll durch die Anwendung von Just in Time-Prinzipien vermieden werden, wie Abbildung 3.14 zusammenfassend deutlich macht. Der Begriff Muda wurde bereits in Kapitel 1.3.6 als zentrale Kategorie eingeführt. Im nächsten Abschnitt wird er als erstes Systemelement des TPS beschrieben. Just in Time war auch der Begriff, der im Westen zunächst Karriere gemacht hatte. Der Begriff Toyota Production System wurde erst relativ spät durch das Buch Ohno Taiichis bekannt, das 1978 auf japanisch und erst 1988 in englischer Sprache erschien (in deutsch 1993). Somit ist klar: Bis weit in die 1980er Jahre hinein war Just in Time der Begriff für das TPS („JiT ist ein Synonym für das Produktionssystem von Toyota“ – Majima 1995, 228). Einige Autoren kennzeichneten es auch als „Just-in-Time-Produktionssystem“ (Ohno 1993, 15). 

Überlegungen zu einer optimalen Raum- und Zeitwirtschaft führen zum Muda-Konzept; daraus folgt Just in Time

Just in Time war zunächst der Begriff für das TPS

Muda als Element des Toyota Produktionssystems

„Das wichtigste Ziel“, so schreibt Ohno Taiichi (1993, 19), „war die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Produktion durch konsequente und gründliche Beseitung jeglicher Verschwendung.“ Welches sind die Kriterien dafür, dass sich eine Tätigkeit als Verschwendung bezeichnen lässt, lassen sich Indikatoren nennen? Ohno hat zum Erkennen und Beseitigen von Muda sieben Typen ausfindig gemacht (Kapitel 1.3.6 hier und Ohno 1993, 152):

Beseitung von Verschwendung als wichtigstes Ziel des TPS: „Die Beseitigung der Verschwendung muss das erste Ziel eines Unternehmens sein.“ (Ohno 1993, 152)

125

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

126

Überproduktion Warten Transport Zu starke Bearbeitung (Überarbeitung) Lagerbestand Bewegung der Arbeiter Herstellung defekter Teile und Produkte. Durch Inklusion von Mura und Muri sind von ihm somit neun verschiedene Verschwendungsarten herausgearbeitet worden: ◼ Unausgeglichenheit (Mura) Weitere Typen der ◼ Überbelastung (Muri) Verschwendung Diese Auflistung ist natürlich nicht abschließend. So ist eingewandt worden, dass auch die nichtgenutzten Potentiale, wie die KreSiehe auch Verschwen- ativität der Mitarbeiter als Verschwendung anzusehen sind. Auch dung im Humansystem gefahrvolle Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit der Mitarbeiter auch langfristig gefährden können sind Verschwendung. (Abbildung 3.25) Doch was waren seine leitenden Gedanken, auf die sich diese Auswahl gründet? Rufen wir uns noch einmal die Definition von Muda ins Gedächtnis (1.3.6): Die sieben Typen der Verschwendung nach Ohno

Das zentrale Kriterium für Muda ist an der Werterzeugung festzumachen

Überproduktion als Beispiel für Verschwendung

◼ ◼ ◼ ◼ ◼ ◼ ◼

Unter Muda wird jede Aktivität verstanden, die Ressourcen verbraucht, also Kosten verursacht, aber keinen Wert erzeugt. Das zentrale Kriterium ist also die Werterzeugung. Tätigkeiten, die ja zu Ergebnissen führen, sind daraufhin zu prüfen, ob sie im Ergebnis im Wertschöpfungsprozess Wert erzeugen werden. Beim ersten Begriff „Überproduktion“ könnte das wie folgt geschehen: Überproduktion ist ein Zuviel an Produktion. Richtig produzieren heißt aber gerade nicht zuviel und nicht zuwenig produzieren, genau das zu produzieren, was der Kunde fordert. Innerhalb des Wertstroms darf es weder ein Zuviel noch ein Zuwenig geben. Das Kriterium ist also die Kundenforderung und nicht irgendeine subjektive Meinung, sei sie noch so gut argumentativ vorbereitet. Ein Beispiel hierzu: Ein Kunde bestellt ein bestimmtes Automobil zu einem bestimmten Preis, in einer ganz bestimmten Farbe und mit einer speziellen Ausstattung. Genau hierfür ist er bereit zu bezahlen. Wenn nun bei der Produktion Überkapazitäten entstehen, dürfen diese sich in keiner Weise auf den Kundenauftrag auswirken, weder in preislicher, noch in zeitlicher oder qualitativer Hinsicht. Es ist also so zu produzieren und nicht „überzuproduzieren“. Im Falle der Überproduktione als extremste, in Ohnos Worten

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

„schrecklichste Art der Verschwendung“, kommt noch hinzu, dass sie weitere Verschwendungen nach sich zieht. Vor allem sind zu nennen: ◼ zusätzlicher Raumbedarf ◼ zusätzliche Betriebsmittel ◼ zusätzliches Personal ◼ zusätzliche Handhabung ◼ zusätzlicher administrativer Aufwand ◼ zusätzliche Mehrkosten. Die Produktionsorganisation ist folglich so auszurichten, dass es nicht zur Überproduktion kommen kann, nämlich indem jegliche Verschwendung, die zur Überproduktion führen könnte, vermieden wird. Das Toyota Produktionssystem ermöglicht die Vermeidung von Muda, das System der Massenproduktion nicht, es ist per se auf Überproduktion ausgelegt. Nun ließe sich für alle „Muda-verdächtigen“ unproduktiven Produktionsanteile eine Prüfliste erstellen, in der entsprechend der eingeführten operablen Definition von der Kundenforderung aus gefragt wird, ob Wert im Wertschöpfungsprozess generiert wird oder nicht! Abbildung 3.15 demonstriert dieses Vorgehen an den bekannten Beispielen von Ohno, die es zu ergänzen gilt. Außerdem ist die Liste um eine weitere Spalte ergänzt, in der eingetragen wird, was zur Vermeidung zu tun ist. Hierauf kann eine detaillierte To-Do-Liste bezogen werden. Eine solche Liste zu bearbeiten und zu Lösungen zu gelangen, um Muda zu vermeiden stellt auf jeden Fall eine Gruppenaufgabe dar; die deutlich schwierigere Aufgabe besteht aber überhaupt erst einmal in der Identifizierung von Muda. Die auf die Kategorien von Ohno bezogene Beispielliste mag hier etwas helfen (Abb. 3.16 – Folgeseite).

Wichtige Lehre: Verschwendung zieht weitere Typen von Verschwendung nach sich

Wichtige Handlungsanweisung: Neuausrichtung der Produktorganisation

Die schwierigste Aufgabe: Muda zu identifizieren Abb. 3.15: Muda-Prüfund Vermeidungsliste ▼

Definition: Unter Muda wird jede Aktivität verstanden, die Ressourcen verbraucht, also Kosten verursacht, aber keinen Wert erzeugt. Was führt zu Verschwendung?*) ◼ ◼ ◼ ◼

Überproduktion Warten Transport Zu starke Bearbeitung (Überarbeitung) ◼ Lagerbestand ◼ Bewegung der Arbeiter ◼ Herstellung defekter Teile und Produkte ◼ Unausgeglichenheit (Mura) ◼ Überbelastung (Muri) _______ *) Beispielliste von Ohno Taiichi

Was fordert der Kunde? Wird Wert erzeugt? Ja/Nein

Wie lässt sich Muda vermeiden?

127

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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Was führt zu Verschwendung?*)

Konkrete Beispiele aus der Praxis Erfahrung: „Es ist schwieriger Muda zu identifizieren als zu beseitigen!“

◼ ◼ ◼ ◼

Überproduktion Warten Transport Zu starke Bearbeitung (Überarbeitung) ◼ Lagerbestand ◼ Bewegung der Arbeiter ◼ Herstellung defekter Teile und Produkte ◼ Unausgeglichenheit (Mura) ◼ Überbelastung (Muri) _______ *) Beispielliste von Ohno Taiichi

unnötige Informationen auf Formularen; unnötige Berichte; Doppelarbeit; Stückzahl falsch prognostiziert unabgestimmte Kapazitäten; ungeplante Tätigkeiten; zu starke Arbeitsteilung; zu starre Prozesse; lange Rüstzeiten Transport in Zwischenlager; lange Wege bis zum Lagerplatz/vom Lagerplatz; Handhabung der Formulare unpraktisch Nacharbeit, weil die Maschine nicht ausreichend fähig ist; unzureichende Vorrichtungen und Werkzeuge; unzureichende/unzuverlässige Transportsysteme; EDV-Systeme mangelhaft; mangelhaft ausgebildete Bediener Aufträge werden gesammelt; Kauf großer Materialmengen; ineffiziente Auftragsverteilung; Stillstandszeiten der EDV Suche nach Material und Teilen; Suche nach Werkzeugen; weite Wege zur Lagerplätzen; geringe Automatisierung Unachtsamkeit; schlechtes Material; mangelhafte Ausbildung der Maschinenbediener; unzureichende Sauberkeit und Übersicht am Arbeitsplatz; Produkte außerhalb der Spezifikation (Ausschuss, Nacharbeit, Aussortierung) Ihre eigenen Beispiele: Ihre eigenen Beispiele:

▲ Abb. 3.15: MudaBeispielliste

Muda ist ein Systemelement, das nicht für sich steht, sondern einem zyklischen Muster folgt. Die in Abbildung 3.14 genannte rechte Spalte „Wie lässt sich Muda vermeiden“ zeigt dies an. Das Muda-Konzept „Eine Fabrik für die Se- mündet hier in den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung (Kairienfertigung von Pkws zen): Das Abschaffen von „verschwenderischen“ Tätigkeiten, die Verist in Japan im wemeidung von Ausschuss, das Streichen von überflüssigen Informatisentlichen aufgebaut onsprozessen u.v.a. wird mit den entsprechenden Qualitätstechniken aus der Abteilung für des QM weiterverfolgt. Der Prozess Muda-Kaizen kommt so nie zum Zuschnitt und Pressformung von Stahlble- Stillstand, weil in der Regel eine neue Form der Verschwendung wiechen, der Schweißerei, der auftritt, nachdem die vorhergehende beseitigt wurde. die die Pressteile der Karosserie zusammenfügt, der Lackiererei und schließlich der Endfertigung, die aus der lackierten Karosse durch die Montage von Motor, Rädern und aller restlichen Teile ein fertiges Auto macht.“ (Kojima 1995, 27)

2

Just in Time als Element des Toyota Produktionssystems

Zeitgerechte Produktion ist die auf Toyoda Kiichirō bereits in den 1930er Jahren zurückgehende Idee, zu der dann der von Ohno Taiichi geschaffene Begriff „just in time“ angewandt wurde, der im korrekten Englisch allerdings „just on time“ heißen müsste. Er ist heute nicht mehr ein Synonym für das TPS (Majima 1995), sondern muß – wie hier im Buch auch – nach Muda als das zweite zentrale Element des TPS gesehen werden. Ohno’s Ausgangspunkt war das Hauptziel des TPS, viele Automodelle in kleinen Stückzahlen herzustellen (Ohno 1993, 28). Damit wendete er sich vom Massenproduktionssystem ab (Ohno 1993, 28f): „Ein Produktionsystem, das die Erhöhung der Losgröße zum Ziel hat (…), ist heute nicht mehr praktikabel. Abgesehen davon, dass mit einem solchen Produktionssystem alle Arten von Verschwendung einhergehen, entspricht es nicht mehr unseren Bedürfnissen.“ Genau diese Annahme verknüpft Ohno mit der Idee: „So dachte ich ständig darüber nach, wie man die benötigte Anzal von Teilen ’just in time’ liefern könnte.“ (Ohno 1993, 31) Die Grundlage des TPS ist

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

129

Durch JiT unterstützter Wertschöpfungsprozess Unternehmenseigene JiT-Prozesse

Produktionsstart

Kanban-gesteuert

Produkt

Pull-Prinzip JiT-Prozesse von Unterlieferanten die völlige Beseitigung der Verschwendung und ’just in time’ folgt entsprechend dieser Ausgangsthese, das nach Ohno wie folgt zu definieren ist (Ohno 1993, 30): „Just-in-Time bedeutet, dass in einem Fließverfahren die richtigen Teile, die zur Montage benötigt werden, zu rechten Zeit und nur in der benötigten Menge am Fließband ankommen. Ein Unternehmen, das diesen Teilefluß durchgehend praktiziert, kann sich einem Null-Lagerbestand annähern.“ Null-Lagerbestand heißt demnach, dass Muda gleich Null ist. In dieser Begriffsbestimmung sind zudem sowohl die Zeit- wie auch die Raumperspektive aufgehoben (rechte Zeit/Null-Lagerbestand). Just in Time folgt dem Pull-Prinzip, denn es wird nur das an den Arbeitsplatz geliefert, was gefordert wird. Was gefordert wird bestimmt bekanntermaßen der nachfolgende Arbeitsplatz: Nicht zuviel, nicht zu wenig, exakt das, was gebraucht wird. Das klingt einfach, wird auch oft als Sog bezeichnet, ist aber sehr komplex zu managen. Abbildung 3.16 zeigt grob die Struktur von Just in Time wie sie einerseits vom eigenen Produktionsprozess bestimmt und dann von Unterlieferanten unterstützt wird. Das Element Just in Time steht nicht für sich allein, sondern ist eng verknüpft mit Kanban, einem einfachen System der Materialversorgung, einer Produktionstechnik. Kanban steht im Japanischen für Karte oder Schild. Häufig ist es eine Plastikhülle zum Schutz, in der sich eine Papierkarte mit Informationen zum Objekt befindet, wie sie

y„Es müsste doch möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem

Supermarkt-Prinzip zu organisieren, das heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufgefüllt.“ (Ohno 1993, 32)

▲ Abb. 3.16: Durch JiT unterstützer Wertschöpfungsprozess (Pull-Prinzip) Definition „Just in Time“ ◼ Zeit ◼ Raum Die „Just in TimeBaseball-Kappe“, eine bei Toyota in den USA sehr beliebte Kopfbedeckung

„Kanban ist eine Methode zur Umsetzung des Just-in-TimeSystems, dies ist sein Zweck. Kanban wird so zum eigentlichen Nerv des Fließbandes.“ (Ohno 1993, 56)

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

130 Abb. 3.17: Kanban – ein Beispiel (Quelle: Ohno 1993, 54) ▶ ▶ Erläuterung: „Wenn Ohashi Iron Works Teile an das Zentralwerk von Toyota liefert, benutzt das Unternehmen diese Teilebestellkanban für Zulieferer. Die Zahl 50 bezeichnet das Werkstor von Toyota, an dem die Teile in Empfang genommern werden. Die Teile werden an den Lagerbereich A geliefert. Die Zahl 21 stellt die Belegnummer dar.“

Im TPS wird die Überproduktion durch Kanban vollständig verhindert Die Unterlieferanten in die Organisation mittels Kanban einbeziehen

Abbildung 3.17 zeigt. Definition: Kanban ist eine kleine Karte, die an den Behältern, in denen sich zu montierende Teile befinden, angebracht wird und die den Sog (Pull) im Produktionssystem von Toyota regelt und über die vorgelagerte Produktion und Lieferung informiert. Ohno berichtet in seinem Buch außergewöhnlich umfassend über Kanban, nicht ohne Grund, denn Kanban ist als operative Ausführung von Just in Time zu sehen. Je nach Zweck gibt es Kanbans mit den Bezeichnungen „Entnahme-kanban“, Produktions-kanban“. „Transport-kanban“ u.a. In Bezug auf den schlimmsten Verschwendungstyp Überproduktion stellt Ohno fest (Ohno 1993, 55): „Im Toyota-Produktionssystem wird Überproduktion durch kanban vollständig verhindert. Folglich besteht kein Bedarf an zusätzlichem Lagerbestand, und daher sind auch Lagerhäuser und deren Verwaltung überflüssig. Die unzähligen Formblätter werden ebenfalls nicht mehr gebraucht.“ Doch es war nicht leicht, die Zulieferer von Kanban zu überzeugen. Ohno schildert diesen zähen Prozess an mehreren Stellen. Die Überzeugungsarbeit dauerte Jahre, besonders wenn es um Zulieferer ging, die nicht ausschließlich Toyota belieferten. Hier ein markantes Zitat (Ohno 1993, 61f): „Wir sahen ein, dass sie Zeit brauchten, es zu verstehen, und fassten uns in Geduld. Zu Beginn sahen etliche Zulieferer kanban als problematisch an. Natürlich kamen keine Topmanager zu uns, am Anfang noch nicht einmal die für die Produktion verantwortlichen Abteilungs- oder Fertigungsleiter. … Zuerst glaube ich, haben viele Firmen nicht verstanden, worum es ging. Aber wir wollten, dass sie kanban verstehen, und taten alles dafür.“ Es ist leicht vorstellbar, dass Kanban als Element von Just in Time und Just in Time wiederum als Element des TPS mehr ist, als ein Schildchen, auf dem Informationen weitergeben werden. Kanban informiert über die Beseitigung von Muda (Ohno 1993, 56):

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

„Es zeigt sofort, wo Verschwendung vorkommt, und ermöglicht so eingehende Ursachenüberprüfung und richtige Umsetzung der Verbesserungsvorschläge. In der Fabrik ist kanban ein machtvolles Instrument, um die Belegschaft und den Lagerbestand gering zu halten sowie die Herstellung mangelhafter Produkte und das Wiederauftreten von Pannen zu vermeiden.“ Die Kanban-Informationen kontrollieren den Fluss der Wertschöpfung. Deshalb nimmt es nicht Wunder, dass Ohno eine Art Gebrauchsanweisung entwickelt hat, um es regelhaft handhaben zu lassen. Wobei ihm selbst klar war, dass es sich um einen nie endenden Prozess handelt (1993, 56). Ohno stellt sechs Regeln heraus, die in Abbildung 3-18 wiedergegeben sind (Ohno 1993, 68): „Gemäß der ersten und zweiten Regel dient kanban als Entnahmeauftrag, als Auftrag zur Beförderung bzw. Lieferung und als Arbeitsauftrag. Die dritte Regel verbietet die Entnahme oder Produktion ohne kanban. Regel vier besagt, dass alle Güter mit einem kanban versehen werden müssen. Regel fünf fordert hundertprozentig fehlerfreie Produkte (d.h. es darf nieFunktionen des Kanban

Anwendungsregeln

1 1 Liefert Entnahme- oder Transport- Nachfolgender Arbeitsgang entinformationen nimmt beim vorangehenden die vom kanban angegebene Anzahl der Werkstücke 2 2 Liefert Produktionsinformationen Vorgelagerter Arbeitsgang stellt Teile in der von kanban angegebenen Menge und Reihenfolge her 3 3 Verhindert Überproduktion und Kein Werkstück wird ohne kanban überflüssigen Transport hergestellt oder transportiert 4 4 Dient als Arbeitsauftrag, angeBringe immer ein kanban an Güter bracht an Gütern an 5 5 Verhindert fehlerhafte Produkte Fehlerhafte Teile werden nicht an durch Feststellen des Arbeitsgangs, den nächsten Arbeitsgang weiterder die Fehler macht geleitet. Das Ergebnis sind völlig fehlerhafte Endprodukte 6 6 Deckt bestehende Probleme auf Die Verringerung der Anzahl der und ermöglicht Lagerbestandskon- kanbans erhöht ihre Sensibilität trolle

Die Kanban-Informationen kontrollieren den Fluß der Wertschöpfung

◀ Abb. 3.18: Die sechs Kanban-Regeln (Quelle: Ohno 1993, 57)

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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Kanban ist Sache des Topmanagements

Kanban-Vergleich: Fabrikgeld

mals ein fehlerhaftes Teil an den nächsten Arbeitsgang weitergeleitet werden). Nach Regel sechs soll die Anzahl der kanban möglichst gering gehalten werden. Werden diese Regeln gewissenhaft befolgt, wird das kanban optimal funktionieren…“ Auf die erste Kanban-Regel geht Ohno besonders ein, um die Funktion des Topmanagements anzusprechen (Ohno 1993, 57): „Die erste kanban-Regel besagt, dass ein Arbeitsgang beim vorhergehenden Materialien entnimmt. Diese Regel wurde aus der Notwendigkeit geboren, und indem wir die Dinge verkehrt herum bzw. vom entgegengesetzten Standpunkt aus betrachten, kam uns die Idee, wie das System letztendlich aussehen müsse. Um diese Regel in die Praxis umzusetzen, reicht ein oberflächliches Verständnis nicht aus. Das Topmanagement muss seine Denkart ändern und sich dafür einsetzen, den konventionellen Fluss der Produktion, des Transports und der Belieferung von Teilen umzukehren. Diese Forderung stößt meist auf starken Widerstand, und die Umsetzung erfordert Mut. Je engagierter sich das Management jedoch dafür einsetzt, desto erfolgreicher wird die Einführung des ToyotaProduktionssystems sein.“ Ohno betont ganz bewusst die tragende Rolle des Topmanagements, denn es können in der Tat eine Menge an arbeitstechnischen Hindernissen bei der Einführung von Kanban und damit von Just in Time auftreten, die nur von „oben“ getragen werden können. Somit ist klar, dass die Einführung von Just in Time/Kanban sowohl ein Top down- wie auch Bottom up-Programm darstellt. Er hatte damals einen hervorragenden Vorgesetzten, Toyoda Eiji, der ihm vollkommen freie Hand ließ und ihn voll unterstützte (Kap. 2.3.4 und 2.3.5). Und hier abschließend (Ohno 1993, 69): „Es kostet große Mühe, die oben beschriebenen sechs kanbanRegeln zu befolgen. Wenn es gelingt, bedeutet dies in der Tat nichts weniger als die konsequente Übernahme des ToyotaProduktionssystems als das Managementsystem des gesamten Unternehmens.“ Kanban-Systeme lassen sich ganz unterschiedlich gestalten. Der Prozess der Steuerung für zwei aufeinanderfolgende Produktionsstufen wird mittels zweier Arten von Kanban-Karten, dem Transportkanban und dem Produktionskanban im Beispiel der Abbildung 3-19 verdeutlicht.

y„Die Funktion von Kanban-Karten ist der von Fabrikgeld ähnlich. Ein Kanban berech-

tigt zum Erwerb eines gefüllten Standardbehälters. Folgt man dieser Überlegung, so wird klar, daß mit der Ausgabe von Kanban-Karten – unter Berücksichtiguung der Anzahl der im Umlauf befindlichen Karten – die Höhe des Bestandes an Material geregelt werden kann, da immer eine Karte pro Behälter vorhanden sein muß. (Vahrenkamp, R.: Kanban, in Schulte 1999, 184f)

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Transport- und Produktionskanban im Einsatz – Ein Beispiel „Der Ablauf der Steuerung für zwei aufeinanderfolgende Produktionsstufen wird mittels zweier Arten von Kanban-Karten, dem Transportkanban und dem Produktionskanban, durchgeführt. Verbraucht eine Senke den Inhalt eines Standardbehälters, so trennt diese verbrauchende Stelle den am Standardbehälter angebrachten Transportkanban (Meldekarte) ab, um aus dem davorliegenden Pufferlager den Bestand zu ergänzen. Im Pufferlager befindet sich ein voller Standardbehälter, an dem ein Produktionskanban befestigt ist. Der eintreffende Transportkanban ersetzt nun den Produktionskanban, und der volle Behälter mit dem beigefügten Transportkanban wird zur verbrauchenden Stelle gebracht. Der abgetrennte Produktionskanban wird zur Auftragsbox der vorhergehenden Produktionsstufe gegeben und löst dort einen Auftrag für einen neuen Behälter aus. Der Produktionskanban enthält eine Kurzbeschreibung dieses Auftrags. Die dazu nötigen Detailinformationen sind am

Arbeitsplatz hinterlegt. Damit das System erfolgreich sein kann, muß die Zahl der am Arbeitsplatz vorgesehenen Produkte auf eine überschaubare Größe reduziert werden. … Der Produktionskanban veranlaßt die produzierende Stelle, das angegebene Material in der vorgeschriebenen Menge in einem Standarbehälter erneut bereitzustellen. Die Produktion in dieser Fertigungsstufe hat ihrerseits einen Verbrauch an Eingangsmaterialien zur Folge. Diese verbrauchten Teile führen wiederum zur Auffüllung aus der vorhergehenden Stufe. Durch den hiermit von der Montage angestoßenen Zyklus entstehen aufeinanderfolgende Phasen des Verbrauchs, der Erzeugung und des Transports. Dabei regelt der Transportkanban die Materialflüsse zwischen den verbrauchenen Stellen und vorgelagerten Pufferlagern, während die Produktionskanbans den Materialfluß zwischen der erzeugenden Stelle und dem dahinter liegenden Pufferlager regeln.“ (Vahrenkamp, R.: Kanban. In: Schulte 1999, 184)

Letztendlich ist das Herzstück des TPS der enge Zusammenhang von Muda–Just in Time–Kanban. Hier darf es nicht zu Nachlässigkeiten und Fehlern kommen. Alle anderen Elemente des TPS sind in diesem interdependenten Zusammenhang zu sehen. Zusammenfassend seien die Vorteile von Just in Time genannt. Mit Just in Time/Kanban … ◼ lassen sich die Durchlaufzeiten erheblich verkürzen ◼ lassen sich die Materialbestände, Läger und Lagerkosten verringern ◼ lässt sich das Umlaufmaterial verringern ◼ lässt sich die Produktivität der Arbeit erhöhen ◼ lässt sich der Produktionsprozess gleichmässig auslasten ◼ lässt sich die Flexibilität erhöhen ◼ lässt sich die Qualität steigern, indem Probleme klarer zutage treten oder gänzlich vermieden werden können. Diese Vorteile sind bedeutsam für die Effektivität des TPS, da nach Ohno die systematische, entsprechend den sechs Kanban-Regeln zyklusartige, kontinuierliche Verbesserung immer mehr dem Gedanken eines Null-Lagerbestandes entgegenstrebt (Ohno 1993, 55).

▲ Abb. 3.19: Transport- und Produktionskanban – Beispiel

Vorteile von Just in Time/Kanban

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Erst der Einbezug der Unterlieferanten in das Kanban-System koordiniert die gesamte Materiallogistik. Es nimmt nicht Wunder, dass die Integration der Unterlieferanten die letzte Stufe darstellt. Nach Ohnos Chronologie der Entwicklung des TPS begann Toyota Kanban 1965 für die Bestellung bei den Unterlieferanten einzuführen. Da diese sich an die Fließfertigung Toyotas anzupassen hatten, mussten sie erst die Bedingungen prüfen, unter denen es für sie möglich war, KanVoraussetzungen für Kanban bei den Unter- ban einzuführen. Diese Bedingungen für die Unterlieferanten sind gelieferanten schaffen nerell (Bloech et al. 2008, 310): ◼ „kurze Lieferzeiten und damit oft geographische Nähe des Lieferanten ◼ hohe Liefertreue (Menge und Termin) ◼ hohe Qualität ◼ effizientes zwischenbetriebliches Informations- und Kommunikationssystem.“ Sind diese Voraussetzungen gegeben und die vertraglichen Vereinbarungen getroffen, erfolgt die Zusammenarbeit mit den Unterlieferanten in der Regel über spezielle Signal-Kanbans, die eine dreieckige Form aufweisen und den Mindestbestand im Pufferlager signalisieren. Solche Signal-Kanbans Im engen Zusammenhang zu Just in Time/Kanban sind noch die werden oft für die auf Ohno Taiichi zurückgehenden Produktions- und QualitätstechZusammenarbeit niken autonome Automation (jap. Jidoka) und Produktionsnivelliemit Unterlieferanten rung (jap. Heijunka), die in Abschnitt 4 behandelt werden. genutzt 3

Zwischenfazit Elemente des TPS

In Anlehnung an Ohno können wir folglich sagen, dass das Toyota Produktionssystem mit seinen zentralen Elementen Verschwendung und Just in Time/Kanban auf einer dauerhaften und perfekten Symmetrie zwischen erzeugtem Güterangebot und Nachfrage aufgebaut ist. Wie der Begriff Just in Time nahelegt beinhaltet er – trotz einfacher Grundidee – komplexe Synchronisierungen zwischen den verschiedenen zum Produktionsfluss beitragenden Elementen. In Abkehr vom Push-System der Massenproduktion kann die Produktion auf der Basis von Just in Time/Kanban in kleinen und differenzierten Serien auf den Markt gebracht und laufend an Fluktuationen der Nachfrage angepasst werden, die die Produktion „zieht“ (Pull-System). Die Argumentation folgt einem ökonomischen Ductus; doch nicht nur: Hintergrund: Muda und Just in Time basie- In ihrer Allgemeinheit orientieren sich Muda und Just in Time an der Zen-Philosophie, wonach jedes überflüssige Element als Verschwenren auf dem Denken dung betrachtet wird. des Zen-Buddhismus

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Damit das TPS in seiner Gesamtheit auch funktioniert, müssen – aufbauend auf den bisher betrachteten beiden Basiselementen Muda und Just in Time/Kanban – noch weitere Bedingungen erfüllt sein: ◼ die Möglichkeit auf den Just in Time-basierten Wertschöpfungsprozess Einfluss zu nehmen, wenn Störungen auftreten (anormaler Betrieb) und die Möglichkeit weitere wichtige Produktions- und Qualitätstechniken kennen und nutzen zu können, ◼ die Beteiligung der Unterlieferanten, ◼ die Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungen, die die Produktion betreffen, ◼ die Darlegung, was höchste Qualität ist und wie höchste Qualität erreicht werden soll, ◼ der Einfluss der Unternehmenskultur Bei diesen Bedingungen handelt es sich um die weiteren Elemente des Toyota Produktionssystems, die in den folgenden Abschnitten 4 bis 8 vorgestellt werden. Auffallend ist an dieser Auflistung von Bedingungen, Elementen, ein nicht explizit genanntes Element, das Kunde genannt werden könnte. Kundenorientierung ist gerade im Kontext von Managementsystemen eine selbstverständliche Größe, Sie scheint zu fehlen. Doch das ist nicht der Fall: Sie fehlt bei Ohno nicht, sondern ist aufgehoben im Just in Time-basierten Wertschöpfungsprozess und im Qualitätskonzept, bedarf also keiner besonderen Dimensionierung. Die folgende Abbildung 3.20 zeigt nun – ausgehend von Abbildung 3.14 und aufbauend auf den abstrakten Kategorien aus Abbildung 1.3 – konkret die sieben Elemente aus denen sich das Toyota Produktionssystem als umfassendes Managementsystem nach Taiichi Ohno zusammenfügt (Leserichtung vertikal): Raum und Zeit waren die einschränkenden Elemente, die bei Toyota von Anfang an dafür gesorgt haben, sich im organisatorischen Zusammenhang um jegliches Vermeiden von Verschwendung zu bemühen. Aus der damaligen Not wurde eine Tugend: Muda steht im Zentrum des produktiven Umgangs mit organisatorischen Problemen. Muda bildet den Ausgangspunkt des TPS. Aus ihm folgt zwingend das Element Just in Time, das sich im operativen Kanban realisiert. In diesem Zuge ist die Vielfalt an Produktions- und Qualitätstechniken aufzugreifen, die sowohl bei Toyota wie auch von anderen (Praktikern, Wissenschaftlern und in Unternehmen) entwikkelt wurden. Die beiden Techniken autonome Automation (jap. Jidoka) und Produktionsnivellierung (jap. Heijunka) sind in diesem Kontext besonders hervorzuheben. Solche Techniken können innerhalb des Managementprozesses in allen Phasen zum Einsatz gelangen. Auch der Wertschöpfungsprozess, in

Die sieben Elemente des TPS als umfassendes Managementsystem nach Ohno Taiichi

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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dem sich die Arbeit realisiert, ist nicht frei von der Anwendung der Produktions- und Qualitätstechniken. Er wird wesentlich bestimmt von den Kundenforderungen, die aber nicht für sich alleine die Wertschöpfung bedingen, sondern nur über die Forderungen des Managements Eingang finden in den Abb. 3.20: Elemente des Toyota Produktionssystem als ganzheitliches Managementsystem nach Taiichi Ohno ▶

Knappheit von Raum

Zeit

Vermeidung

Muda

Vermeidung

Just in Time/Kanban Einsatz von Produktions- und Qualitätstechniken: Jidoka u.a. Toyotas Kernprozesse Kundenforderungen

Wertschöpfungsprozess: Wertstrom JiT-Prozesse von Unterlieferanten Streben nach höchster Qualität Tätigkeit

Ergebnis

Mitarbeiter (Mensch + Arbeit)

Unternehmenskultur

Toyota Earth Charta Global Vision The Toyota 2010 Way 2001 Guiding Principles 1992 Toyoty Precepts 1935

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Prozess der Produktrealisierung. Neben den Toyota-eigenen Kernprozessen sind ein wichtiger Teil die Unterlieferanten (vielfach auch Zulieferer genannt), die von Toyota sukzessive in die Wertschöpfung über JiT-Prozesse eingebunden wurden. Das Element Qualität wird bei Toyota als permanentes Streben nach höchster Qualität verstanden. Auch hier gilt: Zwar sind die Qualitätsforderungen der Kunden beachtenswert, aber letztendlich entscheidet das Management, welche Qualitätsmerkmale zum Zuge kommen sollen. Kaizen als Kontinuierlicher Verbesserungsprozess ist in Verbindung mit Qualität zu verorten. Das Element Mitarbeiter wird hier in einer erweiterten Bedeutung aufgefasst: Der in der Organisation arbeitende Mensch, der vor allem im Gruppenarbeitszusammenhang zu thematisieren ist. Er wirkt eingebettet in der Unternehmenskultur, der sehr spezifischen auf der Familientradion basierenden Unternehmenskultur der Toyoda-Familie mit ihren eigenen Regeln auf der Grundlage ihres Leitbildes. Anmerkung: Damit ist der Versuch unternommen, die Vielzahl an Sieben Elemente Begriffen, die um das TPS kreisen in einen Ordnungsrahmen zu brin- bilden den Ordnungsgen, der gleichzeitig die leitenden Kategorien beachtet, indem er sie rahmen des TPS am faktischen Objekt, Toyota MS, spiegelt und konkretisiert. 4

Autonome Automation (Jidoka) und weitere Produktions- und Qualitätstechniken als Element

Ohno Taiichi hat die autonome Automation (jap. Jidoka) nach Just Zur autonomen Autoin Time als zweite Säule des Toyota Produktionssystems bezeichnet. mation (Jidoka) Es handelt sich in der Tat um einen zentralen Aspekt im TPS, der die Situation anspricht, wenn im Produktionsfluß Störungen auftreten, wenn sich der Betrieb folglich im anormalen Zustand befindet. Ohno bezeichnet die autonome Automation als „Automation mit menschlichen Zügen“. Das meint mit menschlicher Intelligenz ausgestattete Eingriffshandlung. Der Ansatz geht zurück auf den Gründer, Toyoda Sakichi (Kap. 2.3.1), den Erfinder des „Power Loom“, des vollautomatischen Webstuhls, an dem eine Vorrichtung dafür sorgte, dass der laufende Webstuhl stoppte, wenn der Schuss- oder Kettenfaden riss. Jidoka meint heute innerhalb des TPS identisches: Durch eine der Maschine inhärente Funktion (z.B. ein Sensor) wird die Störung erkannt. Je nach Maschine versucht sie zunächst den Prozess im entsprechenden Intervall selbst zu regeln und/oder zu signalisieren, dass sie sich nicht mehr im Normalbetrieb befindet. So kann der Mitarbeiter erkennen, dass er eingreifen muss. Die Einrichtung von Maschinen

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

mit einem solchen Mechanismus (Bei Toyota ist fast jede Maschine mit einem Jidoka-Mechanismus ausgestattet, der sie bei Problemen automatisch stoppen lässt.), hat Konsequenzen für den Arbeitseinsatz (Ohno 1993, 33): „Autonome Automation ändert auch die Art der Aufsicht über die Maschinen. Wenn diese normal arbeiten, wird kein Maschinenbediener benötigt. Nur wenn eine Maschine wegen einer Unregelmäßigkeit anhält, kümmert sich jemand um sie. Folglich kann ein Arbeiter mehrere Maschinen bedienen, wodurch die Anzahl der Arbeiter reduziert und die Produktivität erhöht werden kann.“ Diese Problemsicht wird übertragen auf das Verantwortungsbewußtsein des Mitarbeiters, der im Fließsystem arbeitet und der selbst bei einem auftretenden Problem entscheiden kann, ob er das Band stoppen soll. Ohno formuliert hierzu die Regel (1993, 33): Bandstopp durch Mit„Wir erweitern diesen Gedanken und stellen die Regel auf, dass arbeiter auch bei einem manuell betriebenen Fließband die Arbeiter bei einer Unregelmäßigkeit das Band selbst anhalten sollen.“ Der intelligente Jidoka-Mechanismus an der Maschine ist somit ein Sonderfall. Er wird direkt ersetzt durch die Intelligenz des handelnden Menschen. Es ist nun Sache von Trainings die Mitarbeiter in die Lage zu versetzen, dass sie autonom handeln können. Sie müssen einzeln und in der Gruppe Fähigkeiten entwickeln, auftretende Fehler direkt am Entstehungsort zu entdecken und ohne große ZeitverzögeWichtige Unterscheirung abzustellen. Schließlich ist es erforderlich die Unterscheidung dung: Normaler versus normaler versus anormaler Betrieb für alle transparent festzulegen. anormaler Betrieb Das bedeutet: Es müssen Standards gesetzt werden, nach denen dann zu arbeiten ist. Nun kann noch die Beziehung zwischen Jidoka und Just in Time eingegangen werden: Die Anwendung von Jidoka trägt dazu bei, dass die Produktionszeit aufrechterhalten oder sogar verkürzt werden kann; wobei weitere Techniken zum Zug kommen können (Poka Yoke, Andon Boards, Ursachenanalyse, 5 W-Technik etc.). Die entscheidenden Vorteile bestehen darin, Vorteile von Jidoka ◼ dass auftrendende Fehler sofort identifiziert werden und nicht bis ans Ende des Produktionsprozesses mitgeschleppt und dadurch zu spät erkannt und behoben werden; ◼ dass erhöhter Verschleiß bzw. Beschädigung der Anlage durch fehlerhafte Handlungen vermieden werden; ◼ dass der Ursprung und die Ursachen von Fehlern direkt bestimmten Prozessen zugeordnet werden können; somit können im Sinn von Kaizen direkt Verbesserungsmaßnahmen angeschlossen werden;

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi ◼ dass durch Jidoka wirklich Qualität in den Produktionsprozess

„eingebaut wird“ (quality built) und nicht wie klassischerweise üblich erst am Ende des Prozesses die Qualität geprüft wird. Es konnte in diesem Abschnitt die zentrale Bedeutung der Qualitätstechnik Jidoka im TPS gezeigt werden. Im Zusammenhang mit ihr sind weitere Produktions- und Qualitätstechniken zu nennen. Sie sind Gegenstand eines extra Abschnitts in diesem Buch (Kapitel 4: Lean Management Techniken). An dieser Stelle soll nur betont werden, dass es eine enorme Anzahl an solchen Techniken gibt. In Abbildung 3.21 sind in alphabetischer Folge Produktions- und Qualitätstech-

Andon Baka-Yoke Chaku-Chaku Gemba Heijunka Hoshin Kanri Jidoka Jishuken Kaikaku Kanban Mizusumashi Muda Mura Muri Nemawashi Obeya Poka Yoke Seiketsu Seiri Seiso Seiton Sensei Shitsuke Shojinka Yamazumi

◀ Abb. 3.21: Produktions- und Qualitätstechniken des TPS – ausgewählte Beispiele

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

niken aufgelistet, die auf die Fortentwicklung des TPS zurückgehen. Die Begriffe klingen recht exotisch. Doch es handelt sich nicht um Mystik, sondern aus der Praxis entstandene, größtenteils simple Techniken, deren Anzahl permanent wächst. 5

Der Wertschöpfungsprozess mit dem Netzwerk der Unterlieferanten als Element des TPS

In den Wertschöpfungsprozess wurde bereits in Kapitel 1.3.7 eingeführt. Der Wertschöpfungsprozess ist zunächst – wie bei jeder Organisation – durch die organisationseigenen Kernprozesse bestimmt. So Kernprozesse bilden die Basis für den Wert- auch bei der TMC. Per Definition sind Kernprozesse (core processes, schöpfungsprozess key processes) diejenigen Prozesse, die zur Führung eines Unternehmens nicht substituierbar sind. Sie beruhen auf Kernkompetenzen. Unterschieden werden strategische und operative Kernprozesse. Toyota geht es vor allem darum, zukunftsweisende Kompetenzen selbst zu entwickeln und nicht aus der Hand zu geben. Die Entwicklung des Prius ist so ein Beispiel, aber auch grundsätzlich die Elektronik, die von Toyota als Kerntechnologie gesehen wird. Auch wenn sich Toyota entschließt Kernkomponenten extern einzukaufen, heißt das nicht, dass es die interne Kompetenz eingebüßt hat. Toyota versucht dann in einem Joint Venture mit einem anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten. So zum Beispiel mit Matsushita (Panasonic EV Energy). Die Bedeutung der Hier geht es nun um die Wertschöpfung bei TMC unter besonUnterlieferanten für derer Berücksichtigung des Netzwerks der Unterlieferanten. Ohno den Wertschöpfungs- wusste genau, dass er ohne die Kooperation mit einem Unterliefeprozess ranten-Netzwerk das Ziel eines funktionierenden TPS nicht erreichen konnte (Ohno 1993, 95): „In dem Bemühen, das Toyota-Produktionssystem wirklich effektiv zu gestalten, kann das Unternehmen nur begrenzt alleine operieren. Nur in Zusammenarbeit mit den Zulieferern ist eine Perfektionierung dieses Systems möglich. … Toyota kann das Ziel nicht erreichen, wenn die Zulieferfirmen nicht kooperationsbereit sind.“ Bis jedoch die Unterlieferanten in den Wertschöpfungsprozess eingebunden waren vergingen etliche Jahre. Schon die Einführung des Kanban-Systems bei Toyota selbst dauerte zehn Jahre (Ohno 1993, 63); um wieviel Zeit mehr benötigen erst Externe? Ohno spricht von 20 Jahren (1993, 59), was unmittelbar einleuchtet, denn die Einbeziehung von Unterlieferanten setzt voraus, ◼ (1) dass sie selbst einen Fertigungsfluß eingerichtet haben, und ◼ (2) dass sie das bereits bei Toyota eingeführte Verfahren zur Aufrechterhaltung einer konstanten Rohstofflieferung auf ihre eigene Produktion angewandt hatten.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Ohno hierzu (1993, 59): „Wenn Just-in-Time aber bei der Zulieferung von Teilen eingesetzt wird, ohne dass vorher das Fertigungsverfahren der Zulieferfirma geändert wird, kann Kanban sofort zu einer gefährlichen Waffe werden, und der Schuß geht nach hinten los.“ Jedem Unterlieferanten muss klar sein, dass er weiterhin als Lieferant oder Neulieferant von Toyota nur akzeptiert werden kann, wenn er eine vollständige Revision seiner bestehenden Produktionsweise durchführt, indem er seine Produktionsprozesse als Fortsetzung des TPS sieht und entsprechend anpasst. Spätestens seit der Ölkrise im Herbst 1973 war diese Erkenntnis bei allen Unterlieferanten angekommen (Ohno 1993, 95): „Ich wünschte, Sie könnten selbst sehen, wie bei unseren Zulieferern ein Lagergebäude nach dem anderen verschwindet.“ Aus der Sicht eines Unterlieferanten hört sich das so an (Liker 2006, 283): „Toyota ist eher zupackend und davon getrieben, seine eigenen Systeme zu verbessern und seinen Partnern dann zu zeigen, wie sie sich selbst dadurch verbessern können … Toyota unternimmt Anstrengungen wie zum Beispiel die Nivellierung des Produktionsvolumens, um einem die Arbeit zu erleichtern. Toyota holt unsere Produkte zwölf Mal pro Tag ab. Toyota hat uns geholfen, unsere Produktionsanlagen neu anzuordnen, und Toyota hat unsere Mitarbeiter geschult. Auch im kaufmännischen Bereich greifen sie einem unter die Arme – sie sind gekommen, haben sich alles angesehen und daran gearbeitet, die Systemkosten zu senken. Mit Toyota sind die Möglichkeiten zur Gewinnerzielung besser. … Inzwischen stellen wir fast das gesamte Armaturenbrett her. Im Vergleich mit anderen Unternehmen, die wir beliefern, ist Toyota am besten.“ (Aussage eines Unterlieferanten) Inwiefern dieses Statement repräsentativ für alle Unterlieferanten im Toyota-Netzwerk ist, kann nicht gesagt werden. Jedenfalls liefert es einen Hinweis darauf, wie sich die TMC um ein gut funktionierendes Just in Time-System bei seinen Partnern bemüht. Inzwischen ist ja auch das Toyota Produktionssystem der Kleinserienfertigung in eine neue Dimension eingetreten, die man ein Produktionssystem der Diversifikation im globalen Stil nennen könnte. Ohno weist auf die hohe Komplexität hin, die sich aus den vielfältigen Forderungen der Kunden an die Produktion ergibt und die sich natürlich im Produktionsfluss der Unterlieferanten niederschlägt (Ohno 1993, 64):

Das TPS verlangt auch bei den Unterlieferanten eine vollständige Reorganisation, damit Just in Time funktionieren kann

141

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

142 Zur Komplexität des Produktionsprozesses

Abb. 3.22: Das Lieferantennetzwerk der TMC ▼

„Die Anzahl der Modelle erreicht schon Tausende, wenn man nur die Kombination von Wagengröße, Karosserietyp, Motorstärke und Getriebeart berücksichtigt. Beziehen wir noch die Farben und Kombinationsmöglichkeiten verschiedener anderer Ausstattungsdetails ein, werden wir nur ganz selten völlig identische Autos finden.“ Angesichts dieser in den Produktionsprozess exportierten Komplexität, die davon ausgeht, den Kundenforderungen optimal Genüge zu leisten, muss bei einer langfristigen Perspektive, die Toyota ja immer verfolgt, angenommen werden, dass flankierende Maßnahmen zur Stabilisierung eingerichtet sind. In der Tat ist das der Fall. Schon sehr früh ging die TMC auf die Suche nach vertrauenswürdigen Partnern, denen man die Chance bot, gemeinsam zu wachsen und langfristig zusammenzuarbeiten. Dieser Ansatz wird auch heute noch verfolgt: Die Unterlieferanten sind in das TPS integriert. Toyota hat kein Interesse daran, Unterlieferanten gegeneinander auszuspielen, im Gegenteil, es unterstützt seine Unterlieferanten wo immer es kann. Das geht sogar soweit, dass sich Toyota bei wichtigen Unterlieferanten finanziell engagiert. In Abbildung 3.22 wird die Struktur des Lieferantennetzwerks beschrieben, die noch um einen Aspekt zu ergänzen ist, nämlich den der gegenseitigen Hilfe und Kooperation, wenn Pro-

Das Lieferantennetzwerk der Toyota Motor Corporation „Die wichtigsten Lieferanten sind Teil der 1943 in Japan gegründeten Toyota-Lieferantenvereinigung (Kyohokai) und treffen sich mehrmals im Jahr, um Informationen, Praktiken und Probleme auszutauschen und die Beziehungen untereinander zu vertiefen. Toyota hat zu diesem Zweck 1977 in Japan freiwillige Studiengruppen eingerichtet, die so genannten Jishuken. Sie wurden 1977 von der ’Operations Management Consulting Division (OMCD)’, dem von Taiichi Ohno 1968 gegründeten Elitekorps des TPS zur Verbesserung der Lieferantenbeziehungen, ins Leben gerufen. Dabei wurden die 55 bis 60 wichtigsten Zulieferer in Vierer- bis Siebenergruppen nach geographischen sowie Produktgesichtspunkten zusammengefasst. Deren Mitarbeiter wechseln dann zwischen den Unternehmen in drei- bis viermonatigen Projekten. Dabei werden sie von Vertretern anderer Lieferanten besucht. Ein TPS-Exper-

te des OMCD besucht die Produktionsstätte wöchentlich und gibt Ratschläge. Die jährlichen Konferenzen dienen dem Austausch des Gelernten. In Nordamerika hat Toyota ein ähnliches, jedoch in der Durchführung kulturell angepasstes System eingeführt, die ’Plant Development Activities’ (PDA). Das Äquivalent des OMCD ist das ’Toyota Supplier Support Center (TSSC)’. Ferner gibt es innerhalb der Kyohokai-Unternehmen in Japan einen Mitarbeiteraustausch (Shukko). Dieser dient der Intensivierung der Kommunikation innerhalb des Netzwerks und der Identifikation mit dem Netzwerk. Jährlich wechseln ca. 120 bis 130 Toyota-Mitarbeiter zu Lieferanten. Einige dieser Stellen sind befristet, andere – vor allem im Managementbereich – dauerhaft. So sind 11 Prozent der Manager (Yakuin) der wichtigsten Zulieferer ehemalige Toyota-Manager.“ (Sackmann 2005, 27f)

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

bleme bei einem oder mehreren Partnern auftauchen. Der folgende Störfall hatte sich am 1. Februar 1997 ereignet: Ein Feuer zerstörte ein Werk des bedeutenden japanischen Zulieferers Aisin, der ein Teil, das sich „P-Ventil“ nennt, Toyota kontinuierlich geliefert hatte. Das Just in Time-System verlangt normalerweise eine duale Zulieferstruktur, d.h. jedes Teil muss mindestens noch ein zweiter Unterlieferant herstellen können. In diesem Fall war jedoch Aisin der einzige Zulieferer (www. aisin.com). Aisin produzierte damals 32.500 Teile pro Tag, die weltweit in allen Toyota-Fahrzeugen Verwendung fanden. Entsprechend den Berechnungen im Just in Time-System war in diesem Fall – nach Eintritt der Katastrophe – der Lagervorrat auf zwei Tage begrenzt. Der Bericht wird wie folgt geschildet (Liker 2006, 286f): „… Nach zwei Tagen würde das Desaster perfekt sein – ein Beweis dafür, dass JiT ein schlechtes Konzept ist? Statt zu kapitulieren, organisierten sich 2000 Zulieferer in Eigeninitiative, um die Produktion dieses überaus wichtigen Ventils innerhalb von zwei Tagen wieder aufzunehmen. 63 verschiedene Unternehmen übernahmen die Verantwortung für die Herstellung dieses Teils und trugen das, was an technischer Dokumentation vorhanden war, zusammen. Sie nutzten ihre eigenen Maschinen, richteten provisorische Montagebänder ein und sorgten so dafür, dass Toyotas Fertigung beinahe reibungslos weiterlaufen konnte. Die Bedeutung der Zulieferkette reicht also weit über IT hinaus. Ihre Macht liegt im Erfindungsreichtum und in der Qualität der Beziehungen.“ An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass es zu kurz greift, Toyota nur aus der Sicht des Wertschöpfungsprozesses und seiner Produktionstechniken heraus zu begreifen. Die tief bis zu den Unterlieferanten verwurzelte Unternehmenskultur bildet die alles entscheidende Basis des TPS als umfassendes Managementsystem, wie es ja auch Ohno Taiichi gesehen hat. Damit ist deutlich geworden, dass die Unterlieferanten integrativer Teil des TPS sind und keineswegs als Anhängsel gesehen werden dürfen und die man über den Preis regulativ einstellen kann. Sie sind auch in dem Sinne Teil der Firma, weil Toyota bei vielen selbst Kapitaleigner ist und weil ein reger Manageraustausch besteht. Diese engen Verflechtungen erscheinen einmalig. 6

Das Streben nach „höchster“ (bester) Qualität als Element des Toyota Produktionssystems

Toyota bemüht sich um höchste Qualität seiner Produkte. Damit steht das Unternehmen nicht alleine da, weder allgemein im produzie-

Aisin als Beispiel für einen Störfall im System der Unterlieferanten

Die Unterlieferanten sind integrativer Teil des TPS

143

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

144 Abb. 3.23: Tätigkeiten führen zu Ergebnissen ▶ Qualitätsforderungen

Tätigkeit

Ergebnis

Tätigkeit Qualität

Was ist Qualität?

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie

renden Sektor noch in der Automobilbranche. Die uns hier entscheidende Frage steckt in Abbildung 3.23: „Welche Tätigkeiten führen die Menschen bei Toyota aus, die das Ergebnis höchster Qualität erbringen?“ Die Beantwortung dieser Frage ist überraschend einfach: Es sind qualitätsbezogene Tätigkeiten, die auf den Lehren des Toyota Produktionssystems basieren. Das Toyota Produktionssystem ist konsequent „theoriegeleitet“ entwikkelt worden: Es gründet auf den kulturellen Erfahrungen und wurde und wird sukzessive weiterentwickelt und über Jahrzehnte von Mitarbeitern und Partnern tradiert. Die vielfältigen Tätigkeiten von Tausenden Toyota-Mitarbeitern auf der Welt führen somit nicht zu Zufallsergebnissen, sondern ergeben sich aus den wohlabgestimmten (sozialen und produktionstechnischen) organisatorischen Handlungen aus dem umfassenden Ansatz des TPS heraus. Höchste Qualität als Zielsetzung realisiert sich für den Kunden, der ja nicht hinter die Bühne guckt wie sie gemacht wird, im Produkt, im gekauften Auto. Dabei wäre der von Toyota selbstgewählte Superlativ „höchste“ wohl passender mit „beste“ zu etikettieren. Externe Urteile, wie die jährlich erhobene Pannenstatistik oder der Autotest des ADAC kommen denn auch zu guten bis sehr guten Ergebnissen (Schulnoten), auch ausgedrückt in Sternen, verwenden aber nicht den Ausdruck „höchste“ Qualität. Treffend erscheint somit die Wertung „beste“ Qualität. Die Frage, was Qualität denn sei, wurde allgemein bereits in Kapitel 1.3.2 geklärt: Qualität ist die realisierte Beschaffenheit einer Einheit, die entsprechend der vom Management einer Organisation festgelegten Qualitätsforderung bestimmt wird. Im hier betrachteten Zusammenhang kann die Einheit ein ToyotaFahrzeug sein, es können Fahrzeugmerkmale (Qualitätsmerkmale) wie Sicherheit sein, es kann sogar das TPS selbst sein. Qualität be-

y„Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.“ Dieser Satz wird dem Sozialpsycho-

logen Kurt Lewin (*1890-1947𐐆) zugeschrieben. Er meint damit, dass jede Theorie ein gutes Werkzeug ist. Sie ist nicht die Erkenntnis der letzten Wahrheit. So verliert die Theorie, die in Toyotas Produktionssystem steckt, an dem einen oder anderen Punkt ihre Erklärungskraft, wenn sie unter falschen Randbedingungen in der Praxis umgesetzt wird, zum Beispiel unter Vernachlässigung kultureller Faktoren.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

nötigt also immer einen Bezugspunkt, die Einheit. Als Einheit stand bei Ohno Taiichi das Fließband mit seinen Arbeitsstationen im Mittelpunkt. Was geschah dort? Wie wurde dort Qualität erzeugt? Seine Beobachtungen in Konfrontation mit dem Ford-System lassen sich in zwei Sachverhalte aufteilen: ◼ Es traten Fehler auf, erkannte und unerkannte, die erst in der Nacharbeitszone später beseitigt werden konnten (siehe Kapitel 1.3.2, besonders Abbildung 1.4 und 1.5). ◼ Das Entstehen von Muda war dem Ford-System inhärent, verschwendete Arbeit, Materialien und Zeit. Die Wertschöpfung war gering (siehe Kapitel 1.3.6). Beide Problembereiche berührten natürlich die Frage nach bester Qualität, das Fehlerproblem direkt, das Übermaß an Muda indirekt und waren eng miteinander verknüpft (Womack/Jones/Roos 1994, 62): „Jeder Arbeiter konnte zu Recht annehmen, dass Fehler am Bandende festgestellt würden, und dass er für jede Handlung zur Rechenschaft gezogen würde, die das Band anhielt. Der erste Fehler, ein schlechtes oder unsachgemäß montiertes Teil, wurde von Arbeitern weiter unten am Band noch vergrößert. War ein defektes Teil einmal in ein komplettes Fahrzeug eingebaut, war zur Beseitung des Fehlers ein enormer Aufwand an Nacharbeit notwendig. Und weil das Problem erst am Bandende entdeckt wurde, waren viele Fahrzeuge mit den gleichen Fehlern produziert worden, bevor diese aufgedeckt wurden.“ – Was für eine Verschwendung! Ohno ergriff Maßnahmen, die darauf hinausliefen, Qualität nicht am Schluß des Produktionsprozesses hineinzuprüfen (Qualitätsprüfung, engl.: quality inspection), sondern das Entstehen von Qualität prozessbezogen zu begreifen, nach dem Slogan von A. V. Feigenbaum: „Quality is everybody’s job“ (Womack/Jones/Roos 1994, 61): „Im ersten Schritt gruppierte er Arbeiter zu Teams mit einem Teamleiter statt Vorarbeiter. Den Teams wurden einige Montageschritte und ein Stück Fließband zugeteilt. Dann wurde ihnen gesagt, sie sollten zusammenarbeiten und den besten Weg finden, die Arbeitsgänge durchzuführen. Der Teamleiter koordinierte das Team und führte auch Montagearbeiten durch; insbesondere sprang er für abwesende Arbeiter ein – in Massenproduktionsfabriken ein undenkbares Schema.“ Ohno begann damit die Zuständigkeit für Qualität vom Schluss des Prozesses in den sich im status nascendi befindenden Gruppenprozess zu integrieren (Womack/Jones/Roos 1994, 61):

Probleme, beste Qualität im Ford-System zu erzeugen

„Quality is every’s group job“

145

146

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

„Dann übertrug Ohno … die Qualitätsprüfung. Als die Teams reibungslos zusammenarbeiteten, plante er als letzten Schritt periodisch für jedes Team Zeit ein, um gemeinsam Wege zur Verbesserung des Ablaufs zu finden. … Dieser kontinuierliche, schrittweise Verbesserungsprozess … fand in Zusammenarbeit mit den Industrial Engineers statt, die es immer noch gab, aber in weit geringerer Anzahl.“ Am Ende des Fließbandes wurde sukzessive die Nacharbeitszone reduziert, bis es praktisch keine Nacharbeit mehr gab. Die in den Pro… bis es praktisch keine Nacharbeit mehr zess eingebaute Qualität wurde immer besser (Womack/Jones/Roos gab. 1994, 63): „Heute besitzen Toyota-Montagefabriken praktisch keine Nacharbeitszone und führen fast keine Nacharbeiten durch.“ Dieses Ergebnis, das hier in aufeinander aufbauenden Schritten geschildert wird, wäre ohne die Unterstützung der Teams mit dem Know How von Techniken des Qualitätsmanagements nicht möglich gewesen. Sehr viele solcher Techniken gehen auf Toyota zurück. Dieses Vorgehen korrespondiert mit dem, was Ohno Taiichi den Einsatz der menschlichen Intelligenz nennen würde. Es war schon immer sein Bestreben, dass die Gruppen nicht allein durch Versuch und Irrtum ihre Erfahrungen machen und so zum Ziel kommen, sondern auf bewährte Ansätze zugreifen. Das in Kapitel 3.3.3 4 behandelte Jidoka ist so ein Beispiel. Gewissermaßen das Urmodell all dieser Produktions- und Qualitätstechniken wurde im hier gerade thematisierten Zusammenhang entwickelt. Es ist das fünffache Warum, und wird Das fünffache Warum! Nicht irgendeine auch das fünffache W (die fünf Ws, kurz 5 Ws, engl. 5 Whys) genannt. Qualitätstechnik, Ohno empfiehlt fünfmal Warum zu fragen, wenn ein Problem auftritt, sondern die, die im weil er davon ausgeht, dass sich dann – wie bei einer Zwiebel – SchaZentrum aller praktile für Schale die wahre Problemursache herausbilden wird. Sein Muschen Bemühungen sterbeispiel aus dem Produktionsbereich ist die nichtfunktionierende steht, wenn es darum Maschine. Die Ursache des Nichtfunktionierens wird mit fünf aufeingeht, zu den wahren Ursachen vorzustoßen anderaufbauenden Fragen eingekreist (Ohno 1993, 43):  Warum hat die Maschine angehalten? ◼ Es hat eine Überlastung gegeben, und die Sicherung ist durchgebrannt. 2 Warum hat es eine Überlastung gegeben? ◼ Das Lager war nicht ausreichend geschmiert. 3 Warum war es nicht ausreichend geschmiert? ◼ Die Ölpumpe hat nicht genügend gepumpt. 4 Warum hat sie nicht genügend gepumpt? ◼ Die Welle ist ausgeschlagen und rattert. 5 Warum ist die Welle ausgeschlagen? ◼ Es war kein Sieb angebracht, und deshalb gerieten Metallsplitter in die Maschine.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Ohno belehrt (1993, 43): „Wenn man nach dieser Art fünfmal warum fragt, kann man dadurch das Grundproblem eher finden und beseitigen. Geht man nicht so vor, wird man wahrscheinlich einfach die Sicherung oder die Pumpenwelle ersetzen. Dann wird das Problem in ein paar Monaten wieder auftreten. und gelangt zu dem wichtigen Ergebnis (1993, 43): „Das Toyota-Produktionssystem beruht auf der Anwendung und Weiterentwicklung dieses Ansatzes. Wenn man fünfmal warum fragt und jedesmal nach der Antwort sucht, hat man gute Chancen, die wahre Ursache des Problems aufzudecken, die oft hinter offensichtlicheren Symptomen versteckt ist.“ Die Tragweite dieses Problemlösungssystems ist von den meisten Autoren und Praktikern nicht erkannt worden. Für sie ist es eine Technik unter anderen, nicht so für Womack/Jones/Roos, die schreiben (1994, 62): „Die Produktionsarbeiter lernten, jeden Fehler systematisch bis zur letzten Ursache zurückzuverfolgen (durch die Frage ’warum?’ für jeden Grund eines Problems, der nicht erkannt war), und sich dann eine Lösung auszudenken, so dass er nicht wieder auftreten konnte.“ Abbildung 3.24 zeigt zusammenfassend zunächst die zweigeteilte Unterscheidung Muda/Qualität, durch die der Wertschöpfungsprozess konstitutiert wird. Die Teams an den Arbeitsstationen beziehen sich zur Ursachenforschung auf die Fragetechnik des fünfachen Warum, um zum Grundproblem von auftretenden Fehlern vorzustoßen. Dieses Vorgehen muss immer angewandt werden, wenn große, vage,



Das fünffache WARUM zur Findung des Grundproblems

2 Qualitätsverbesserung

1 Qualitätsprüfung

Standardisieren

3 Qualitäts steigerung

Wertschöpfungsprozess

m Arbeits- oka Tea station Jid

Muda vermindern und beseitigen

147 Es ist charakteristisch für das TPS nach Ursachen in der Organisation mit dem fünfachen Warum zu suchen. Auf diese Urquell des Fragens geht das Finden und Entwickeln einer Vielzahl an Produktions- und Qualitätstechniken zurück (Ohno 1993,44).

Abb. 3.24: Qualität prüfen, verbessern und steigern / Muda vermindern und beseitigen ▼

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

148 Qualitätsmanagement beruht bei Toyota vor allem auf der systematischen, dauerhaften und kontinuierlichen Anwendung des fünffachen Warums! – Bei den in letzter Zeit zu beklagenden Rückrufaktionen muß Toyota zwingend prüfen, ob die konsequente Anwendung dieser Qualitätstechnik nicht vernachlässigt wurde!

komplexe Probleme wahrgenommen werden. Ob es sich um solche Problemtypen handelt ist oft nicht immer leicht zu erkennen. Da jedoch der Mitarbeiter im Teamzusammenhang arbeitet wird sich innerhalb der Gruppe bei unterschiedlichen Wahrnehmungen eine einheitliche Meinung herausbilden. Des weiteren wird es über die Schritte Qualitätsprüfung, -verbesserung und -steigerung in solchen Fällen immer das Ziel sein, das Ergebnis zu standardisieren, damit ein Fehler dieser Art nicht wieder auftreten kann. Da dieser Problemlösungsprozess nicht nur auf der operativen Ebene, sondern auf allen Ebenen angewandt wird, geht es bei Toyota nicht um ein Gutdünken, sondern kontinuierlich um die bewußte Formung von Organisation und Produktion auf der Basis dieser mentalen Technik. Das Ergebnis beste Qualität zu erschaffen beruht somit auf der gemeinsamen konsequenten und systematischen Anwendung von erfahrungsgesättigten mentalen Techniken. 7

Der Mitarbeiter (Mensch und Arbeit) und das Humansystem von Toyota als Element

In einem kleinen Abschnitt, den er „Die Macht der Fähigkeiten des einzelnen und der Teamarbeit“ nannte (Ohno 1993, 34-35), befasst sich Ohno kurz mit dem Mitarbeiter und seiner Arbeit in der Gruppe. Die Fähigkeiten des Er kommt zu dem Ergebnis, dass es darum gehen muss die Fähigkeieinzelnen Mitarbeits ten des einzelnen Mitarbeiters mit denen der Gruppe synergetisch zu mit denen der Gruppe verbinden. Da das nicht von Anfang an unbedingt gegeben sein muss, synergetisch verbinden bedarf es der Anpassung durch Trainings (on the job). Ohno setzt auf den kreativen, mitdenkenden Mitarbeiter, dessen Japanische Japanische AmerikaniEuropäische Merkmale Aufgabenbereich nicht in festen Grenzen zugeschnitten ist, sondern VerbesserungsvorUnternehmen Unternehmen sche Unter- Unternehmen sich aus überlappenden Tätigkeitsbereichen zusammensetzt. Die schläge japanischer in Japan in den USA nehmen in Unternehmen. Auszug Grenzen sind dabei fließend. Ohno fordert das Engagement, das sich den USA aus Abb. 2.3: Ausgein der sehr hohen Zahl an Verbesserungsvorschlägen zeigt (Ohno wählte Leistungsdi1993, 144): Vorschlägen der MitarbeiProduktivität 16,8 „Dank der großen 21,2 Anzahl von 25,1 36,2 mensionen der MITter werden täglich Verbesserungsmaßnahmen vorgenommen.“ Diese (Std./Fahrzeug) Studie, hier in Kapitel Aussage wird auch durch die Ergebnisse der MIT-Studie bestätigt, wie 2.2 ▼ hier in Kapitel 97,0 2.2). Qualität (Mängel/ der Auszug 60 aus der Tabelle 65,0zeigt (Abb. 2.3, 82,3 100 Fahrzeuge) Japanische Japanische AmerikaniEuropäische Merkmale Unternehmen Unternehmen sche Unter- Unternehmen Mitarbeiter 69,3 71,3 17,3 0,6 in Japan in den USA nehmen in im Team (%) den USA Produktivität Verbesserungsvor(Std./Fahrzeug) schläge je Mitarbeiter

16,8 61,6

21,2 1,4

25,1 0,4

36,2 0,4

Qualität (Mängel/ Einarbeitung neuer 100 Fahrzeuge) Mitarbeiter (in Std.)

60 380,3

65,0 370,0

82,3 46,4

97,0 173,3

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Eine solch hohe Zahl an Verbesserungsvorschlägen wirft die Frage nach den Besonderheiten der Personalführung im TPS auf, die bereits in Kapitel 1.3.9 angeschnitten wurde, indem auf das spezielle „Humansystem“ von Toyota eingegangen wurde (Abbildung 1.21). Das Human-System ist modelliert als Mitarbeiter-Wertstrom, der sich in vier Phasen entwickelt:

Mitarbeiter werden gewonnen, entwickelt, engagieren und inspirieren sich.

Das Ergebnis ist der in der ganz spezifischen betrieblichen Sozialisation eingepasste und geleitete Mitarbeiter, der auf der Basis gemeinsamer Werte (Leitbild – s. Kap. 3.3.3 8) in Gruppenzusammenhängen arbeitet. Mitarbeiter werden bei Toyota unter dem Gesichtspunkt einer lebenslangen Beschäftigung ausgewählt, denen betriebliche Karrieren offenstehen. Toyota will einen Mitarbeiterstamm langfristig ins Unternehmen einbinden. Führungskräfte werden so grundsätzlich intern rekrutiert, praktisch aus der Gemba heraus. Grundsätzlich stehen somit auch dem Nichtakademiker Führungspositionen offen. Da Toyota über sein Humansystem seine Mitarbeiter gezielt einbinden und entwickeln will und von Ihnen ein hohes Engagement verlangt (Mitarbeiterbeteiligung), ist es an dieser Stelle zwingend, das aus der Produktion bekannte erste Element Muda (s. Kap. 3.3.3 ) auch auf das Humansystem zu beziehen. Gemäß Abbildung 1.12 (Muda im Kontext von Arbeit und Wertschöpfung, Kapitel 1.3.6) werden im Folgenden die Kategorien auf den Bereich des Human-Systems bezogen und entsprechend einer veränderten Benennung angepasst: ◼ Mitarbeit ohne Wertschöpfung kann als Muda im landläufigen und speziellen Sinn aus der Perspektive des TPS verstanden werden, z. B. Fehlzeiten, Fluktuation, innere Kündigung, Drückerei, Nichtbeteiligung an Kaizen, auch Mobbing usw. Entsprechend den Zielsetzungen des Toyota-Human-Systems müssen diese Tätigkeiten/Nichthandlungen zwar geduldet werden, sollten aber zumindest vermindert werden. Prophylaktisch sollten sie langfristig durch eine vorausschauende Einstellungspolitik deutlich reduziert werden. ◼ Wertschöpfende Mitarbeit kann als jede Art der Mitarbeit am Einzel- und/oder Gruppenarbeitsplatz verstanden werden. Der Mitarbeiter ist engagiert und beteiligt sich an Kaizen, wo er Verbesserungsvorschläge einbringt. Durch seine Mitarbeit werden Produkte erstellt, die Wertschöpfung erzeugen.

Das Human-System von Toyota ist modelliert als MitarbeiterWertstrom

Muda im Humansystem meint Nichtvorhandensein von Nutzen: eine menschliche Aktivität, die Ressourcen verbraucht, aber keinen Wert erzeugt

149

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

150 Die neun Typen von Muda im Humansystem

Abb. 3.25: Muda im Human-System ▼

Als Muda, werden nun die Sachverhalte bezeichnet, die nicht zur Wertschöpfung beitragen und die Kosten erhöhen (nichtwertschöpfende Mitarbeit). Dazu zählen die folgenden sich auf das Humansystem beziehenden neun Kategorien: ◼ Unterforderung ◼ Antihaltung zur Gruppenarbeit ◼ Antihaltung zum Lernen on the job ◼ Gestörte Kommunikation ◼ Übertriebener Egoismus ◼ Streitereien on the job ◼ Konkurrenzverhalten ◼ Indifferenz ◼ Fehlender Gemeinschaftsgeist Es handelt sich um keine abschließende Aufzählung. Generell ist Muda im Humansystem als Mangel an Mitbeteiligung zu charakterisieren. In Abbildung 3.25 ist Muda im Gesamtzusammenhang mit dem Humansystem schematisch dargestellt. Die mengenmäßige BeDer Mitarbeit abträglich

Wertschöpfende Mitarbeit

Verschwendung – Muda – Nichtwertschöpfende Mitarbeit Tätigkeit des Mitarbeiters

Mitarbeit ohne Wertschöpfung

◼ Unterforderung ◼ Antihaltung zur Gruppenarbeit ◼ Antihaltung zum Lernen on the job ◼ Gestörte Kommunikation ◼ Übertriebener Egoismus ◼ Streitereien on the job ◼ Konkurrenzverhalten ◼ Indifferenz ◼ Fehlender Gemeinschaftsgeist

Mitarbeit ohne Wertschöpfung ◼ Fehlzeiten ◼ Fluktuation ◼ Innere Kündigung ◼ Drückerei ◼ Nichtbeteiligung an Kaizen ◼ Mobbing

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

stimmung ist natürlich schwierig, handelt es sich doch oft um immaterielle, sozialpsychologische Zusammenhänge, die allerdings enorme Auswirkungen auf sämtliche Arbeitszusammenhänge haben können und die Unternehmenskultur negativ betreffen. Die Skizzierung in Abbildung 3.25 ist also nicht quantitativ zu deuten. Verschwendung im Bereich des Humansystems ist komplexer und deutlich schwieriger zu managen als im Produktionssystem. Verschwendung ist hier eine sehr breite und vereinheitlichende Kategorie. Auch treten die genannten Formen nicht alle zum gleichen Zeitpunkt und mit der gleichen Evidenz bei den gleichen Mitarbeitern auf. In der Regel tritt eine Form von Muda erst dann in Erscheinung, wenn eine andere Form bereits beseitigt wurde. Aus der Managementperspektive heraus kann man auch hier von einem sehr dynamischen Prozess der kontinuierlichen Verbesserung sprechen, indem die „Abschaffung“ von Phänomenen, die nur belastenden Charakter im Umgang untereinander haben, reduziert werden. Inwiefern die klassischen Fähigkeiten von Führungskräften hier ausreichend sind ist eine wichtige Frage. Das neue Verständnis von der Führungskraft als Coach ist hier wohl eher gefragt und lässt Lösungsmöglichkeiten ins Auge fassen. Diese liegen insbesondere im Bereich des Motivationsmanagements, wo folgende Maßnahmen herausgestellt werden können (LQM 2001, 608f): ◼ Qualitative Höchstleistungen, wie sie im TPS gefordert werden, lassen sich letztendlich nicht erzwingen, besonders deutlich kann dies am Beispiel der Kreativität oder Verantwortungsübernahme gezeigt werden. Deshalb werden im Lean Management Motivationstechniken wichtig, die in erster Linie nicht auf pushing and control setzen, sondern auf Selbstbestimmung und Erweiterung des Handlungsspielraums. Dem stehen kleinliche Fremdbestimmung und Verantwortlichmachung für Ergebnisse in deren Planungsund Entscheidungsprozess man nicht eingebunden war, entgegen. ◼ Die Analyse der eigenen Motive und des Verhaltens ist notwendig. Wo stand ich mir selbst im Weg? Wie schaut es mit meiner Selbstregulation auf dem Weg zum Ziel aus? Kann ich meine ’inneren’ Hemmnisse und Konflikte bewußt machen und akzeptieren oder muss ich diese ’autoritär’ unterdrücken? ◼ Führungskräfte sollten sich selbst und ihre Mitarbeiter bei der Zielerreichung belohnen und dabei aufpassen, dass sie nicht (versehentlich) ihre Fehler und Schwächen belohnen, damit das Fehlverhalten nicht zur Gewohnheit wird. ◼ Den häufig geforderten materiellen Belohnungen sind Grenzen gesetzt und zwar nicht nur von ihrem Grenznutzen her. Materielle Anreize nehmen zwar eine Sonderstellung ein, weil ihre Gewährung nicht nur als Hygienefaktor (Herzberg) Grundbedürfnisse

Muda im Bereich des Humansystems ist komplexer und deutlich schwieriger zu managen als im Produktionssystem.

Neues Verständnis von Führungskraft als Coach Mögliche Maßnahmen im Bereich des Motivationsmanagements

151

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

152

Zusammenhang zwischen TPS und Humansystem

Die drei Teilsysteme des Toyota Managementsystems: ◼ TPS ◼ THS ◼ TKS

zufriedenstellt, sondern auch Status und Selbstbewußtsein stärken. Die Wirkung von Leistungsanreizen ist jedoch von Person zu Person verschieden. Je mehr z.B. die Anreize in der Tätigkeit selbst liegen, desto riskanter ist es andere Anreize anzubieten, z.B. materielle. Dies gilt bei Vorliegen besonders hoher intrinsischer Arbeitsmotivation, bei der die Belohnung in der herausfordernden Tätigkeit selbst liegt. ◼ Bei nicht klar definierten Kriterien (Transparenz von Leistungsund Belohnungskriterien) kommt bei unangemessenen materiellen Belohnungen das Gefühl der Manipulation auf, das Reaktanz (= Widerstandsreaktion) auslöst und der Motivation entgegensteht. ◼ Mißerfolgserlebnisse oder monotone Arbeitsbelastungen können kurzfristig mit materiellen Belohnungen kompensiert werden, jedoch nicht zur Leistung motivieren. ◼ In all diesen Fällen sind die Maßnahmen der psychologischen Arbeitsgestaltung, die sich über die Arbeit in Gruppen hinaus auf job enlargement, job enrichment und job rotation beziehen erfolgversprechend. All diese Betrachtungen zeigen sehr deutlich, dass wir es bei dem Toyota Humansystem um einen eigenständigen Systemtyp zu tun haben, der getrennt zu sehen, aber auf das Toyota Produktionssystem ausgerichtet ist: Während das TPS darauf ausgerichtet ist, Probleme zu identifizieren (man denke an das fünffache Warum-Fragen) und deutlich hervorzuheben, um sie einer Lösung zuzuführen, ist das Toyota Humansystem darauf angelegt, engagierte Mitarbeiter zu entwickeln, die bereit und in der Lage sind, diese Probleme zu lösen und im Sinne des Kaizen zu standardisieren und zu verbessern. Verknüpfen wir die beiden Teilsysteme und ergänzen sie noch um ein drittes, das kulturelle System von Toyota, so kann nun das von Ohno Taiichi bereits eigentlich gemeinte umfassende Toyota Managementsystem (Ohno 1993, 21) klar umrissen werden. In Abbildung 3.26 (Folgeseite) wird gezeigt, dass sich dieses umfassende Toyota Managementsystem (TMS) aus drei Teilsystemen zusammensetzt, dem Toyota Produktionssystem (TPS), dem Toyota Humansystem (THS) und dem kulturellen Teilsystem von Toyota (TKS). Alle drei Teilsysteme sind miteinander verknüpft und setzen einander voraus. Die je verfolgten Zielsetzungen beziehen sich aufeinander. Im Zentrum aller drei Systeme steht das Element Mitarbeiter, seine intellektuellen Fähigkeiten, sein Handeln im operativen Bereich. Manche Autoren sehen denn auch die hohen intellektuellen Fähigkeiten der sehr

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi ◀ Abb. 3.26: Das Toyota Managementsystem und seine beiden Teilsysteme auf der Basis des kulturellen Systems von Toyota

Toyota Managementsystem TMS



Toyota Produktionssystem TPS Zielsetzung des TPS:

 Probleme zu identifizieren  Probleme hervorzuheben  Probleme zu lösen  Problemlösungen zu standardisieren  Standardisierungen zu verbessern  Muda zu verhindern und zu beseitigen

Toyota Humansystem THS

Zielsetzung des THS





Auf der Basis des mitarbeiterbezogenen Wertstroms  Mitarbeiter zu entwickeln, die in der Lage und bereit sind, die im TPS identifizierten Probleme  zu lösen,  zu standardisieren und  die Standardisierungen zu verbessern  Muda zu verhindern und zu beseitigen

Toyotas kulturelles System TKS Unternehmenskultur Nationalkultur

sorgfältig ausgewählten und entwickelten Mitarbeiter als Kriterium für den Erfolg (Bonazzi 2008, 141): „Diese sehr hohen intellektuellen Fähigkeiten, die den Arbeitern abgefordert werden, erschöpfen sich nicht in Geschicklichkeit bei der Verrichtung von Routinetätigkeiten, sondern kommen in der Lösung konzeptionell neuartiger, aus technologischer Innovation resultierenden Problemen zum Ausdruck. Bei der Lösung dieser Probleme existiert keine Arbeitsteilung zwischen Arbeitern und Ingenieuren. Ihre gemeinsame Arbeit an Problemlösungen findet Ausdruck in nur geringfügigen Lohnunterschieden und in den langfristigen Karrieremöglichkeiten, die den Arbeitern offen stehen.“ Manchem mögen diese theoretischen Bestimmungen vielleicht als Systemakrobatik überflüssig erscheinen, die wohl dem wissenschaftlichen Diskurs förderlich ist, aber kaum der Praxis dient. Doch diese Einschätzung greift zu kurz. Mit der Kenntnis davon, dass es beim

Das TKS wird im nächsten Abschnitt 8 behandelt!

Diese Beschreibung erklärt auch, warum der Anteil an Abiturienten im operativen Bereich bei Toyota sehr hoch ist.

153

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

154

Der Mitarbeiter im Systemzusammenhang der drei Teilsysteme

Abb. 3.27: Ausschnitt aus einer typischen Organisation bei Toyota (in Anlehnung an Liker 2006, 273) ▶

Lean Management nicht nur um das TPS und seine Produktions- und Qualitätstechniken geht, sondern um ein umfassendes ganz spezielles Managementsystem auf kultureller Basis, sollte jeder problemverkürzende Versuch einer Implementierung von Vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Nur die ganzheitliche Betrachtung und Übertragung aller drei Teilsysteme auf die eigene Organisation ist erfolgversprechend (s. Kapitel 5). Da sich an den Nahtstellen der drei Teilsysteme zueinander das Systemelement Mitarbeiter befindet muss noch geklärt werden, wie es in die Organisation konkret eingepasst wird. Mit Sicherheit nicht entsprechend einer im westlichen Organisationsverständnis folgenden Stellenbeschreibung. Die typische Toyota-Organisation folgt im operativen Bereich immer einer Vier-Ebenen-Struktur (Abbildung 3.27): ◼ Der einzelne Mitarbeiter gehört immer einem Team an, dass sich aus drei, sehr oft vier, maximal fünf Personen zusammensetzt; ◼ Jedes Team wird von einem Teamleiter unterstützt. Diese Funktion kann er nur ausfüllen, wenn er bereits einige Zeit am Band gearbeitet hat; Teamleiter haben aber keine disziplinarische Funktion; ◼ Vier bis fünf von den Teamleitern mit ihren Teams unterstehen einem Gruppenleiter, der für die Führung und Koordination verantwortlich ist; er springt auch ein, wenn ein Teamleiter ausfällt; der Gruppenleiter hat disziplinare Funktion; ◼ Vier bis fünf solcher Gruppenleiter werden von einem Manager bzw. Assistant Manager geführt. Team

Teamleiter

Gruppenleiter

Manager Kleinere Gruppe Ein Gruppenleiter mit vier Teams mit insgesamt 21 Teammitgliedern und vier Teamleitern (= 25)

Zur Managementebene In vielen Fällen ist noch die Zwischenebene Assistant Manager eingeführt, dem vier Gruppenleiter unterstellt sind. Der Manager hat fünf Assistant Manager unter sich.

Größere Gruppe Ein Gruppenleiter mit fünf Teams mit insgesamt 23 Teammitgliedern und fünf Teamleitern (= 28)

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Diese formale Struktur wird in Abbildung 3.28 beispielhaft gefüllt, indem sowohl die Tätigkeiten wie auch die Funktionen auf den drei Ebenen Teammitglied, Teamleiter und Gruppenleiter beschrieben werden. Der Autor dieser Ausführungen ist ein Gruppenleiter im Toyota-Werk Georgetown, Kentucky, also ein authentisches Dokument eines Mannes aus der Gemba. Auffällig ist, dass Toyota hier ein mit hohem Empowerment angereichertes Bottom-Up-Management eingeführt hat, in dem besonders die Funktion des Teamleiters besticht.

Abb. 3.28: Toyotas Team-System: Tätigkeiten und Funktionen von Teammitgliedern, Teamleitern und Gruppenleitern ▼

Tätigkeiten und Funktionen: Teammitglieder, Teamleiter und Gruppenleiter Teammitglieder

◼ führen Arbeit nach aktuellem Standard aus ◼ befolgen 5S in ihrem Arbeitsbereich ◼ führen kleinere Routinewartungsarbeiten durch ◼ suchen nach Verbesserungsmöglichkeiten ◼ unterstützen kleinere Gruppenaktivitäten

Teamleiter

◼ initiieren Prozess-Startup und -kontrolle ◼ sorgen für den Einhalt der Produktionsziele ◼ reagieren auf andon-Rufe des Teammitglieds ◼ führen Routinequalitätschecks durch ◼ springen für abwesende Teammitglieder ein ◼ führen (funktionsübergreifende) Trainings durch ◼ erteilen Arbeitsanweisungen für schnelle Wartungsarbeiten ◼ stellen sicher, dass Standardverfahren eingehalten werden ◼ fördern kleinere Gruppenaktivitäten ◼ sorgen für ständige Projekte der kontinuierlichen Verbesserung ◼ sorgen für einen reibungslosen Nachschub an Material und Teilen

Gruppenleiter

◼ erstellen die Urlaubs- und Einsatzplanung ◼ sind für die monatliche Produktionsplanung verantwortlich ◼ übernehmen administrative Aufgaben: Vorschriften, Beachtung, disziplinare

Maßnahmen ◼ übernehmen hoshin-Planung ◼ achten auf die Wahrung der Teammo-

ral

◼ bestätigen Routinequalität und Quali-

tätschecks der Teamleiter ◼ koordinieren die Schichtübergänge ◼ führen Prozesstests (Prozessveränderungen) durch ◼ sorgen für die Entwicklung der Teammitglieder und funktionsübergreifene Trainings ◼ berichten über die täglichen Produktionsergebnisse ◼ realisieren Kosteneinsparungen ◼ führen Projekte zur Prozessverbesserung durch: Produktivität, Qualität, Ergonomie, etc. ◼ koordinieren umfangreiche Wartungsarbeiten ◼ koordinieren Unterstützung durch externe Gruppen ◼ koordinieren die Arbeit mit vor- und nachgelagerten Prozessen ◼ sorgen für die Einhaltung von Standards für die Sicherheit der Gruppe ◼ springen für abwesende Teamleiter ein ◼ koordinieren die Aktivitäten rund um die Umrüstung auf andere Fahrzeugmodelle

(Bill Constantino nach Liker 2006, 275)

155

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

156 Zum Teamleiter

Die Bedeutung des Humansystems im Auswahlprozess

Er scheint eine Allroundfunktion innezuhaben, die einerseits unterstützt, andererseits aber auch dann einspringt, wenn es „brennt“. Liker sieht das ähnlich (2006, 274): „Der Teamleiter ist so etwas wie ein Feuerwehrmann, der auf Kommando einspringt, wenn ein Problem auftritt – zum Beispiel wenn mittels eines andon-Systems ein Hilferuf erfolgt. Der Teamleiter fungiert außerdem als Sicherheitsventil, indem er ständig das Fließband auf- und abschreitet und aufpasst, ob irgendwo Probleme auftreten, zum Beispiel wenn einem Arbeiter die Teile ausgehen oder wenn jemand zu langsam ist und Unterstützung braucht.“ Die intermediäre Funktion des Teamleiters federt den Druck, der durch den Pulsschlag des Fließbands permanent zu spüren ist, für die Teammitglieder ab. Er ist die Sicherheitsleine für die vier bis fünf Teammitglieder, denen er zugeordnet ist. Ein Blick in die Auflistung der Tätigkeiten zeigt aber auch, dass seiner Funktion hohe soziale und kommunikative Kompetenz abverlangt wird (etwa das Durchführen von Trainings und das Fördern von Gruppenaktivitäten). Und bei dem Punkt „Sorgen für die Einhaltung der Produktionsziele“ ist eine Maßnahme angesprochen, die traditionell einem Abteilungsleiter obliegt. Die Rolle des Teamleiters kann somit als ein Novum bezeichnet werden, zu dem sich in klassischen Organisationen kein Äquivalent findet. Wir können an dieser Stelle den hohen Stellenwert des Humansystems von Toyota erkennen (Abbildung 1.21), der sich durch einen im recht langen (über mehrere Monate dauernden) Einstellungsprozess auszeichnet, um die passenden Teammitglieder zu finden. Denn jedes Teammitglied soll die Chance erhalten die Funktion des Teamleiters übernehmen zu können, und ein Teamleiter ist wiederum ein potentieller Gruppenleiter. All das werden die einstellenden Instanzen bei Toyota wohl zu antizipieren haben, wenn sie ihre Entscheidung treffen wer als Teamleiter fungieren soll.

8

Die Kultur anderer Länder

Die Unternehmenskultur Toyotas als Element des TPS

In Kapitel 1.3.9 war die Unternehmenskultur bereits in der allgemeinen Form der Organisationskultur Gegenstand der Betrachtung. Jede Unternehmenskultur greift auch auf die jeweilige Landeskultur zurück. Im Falle Toyotas hat die japanische Kultur prägenden Einfluß. Und bei einem japanischen Werk im Ausland, zum Beispiel in den USA, ist der Doppelcharakter der amerikanischen und der japanischen Kultur zu beachten. Toyota kommuniziert immer wieder,

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

dass die Kultur anderer Länder respektiert wird. Was unter Unternehmenskultur zu verstehen ist, wurde bereits in Kapitel 1.3.9 gesagt; doch hier wird konkret auf das Unternehmen Toyota Bezug genommen: Die Unternehmenskultur von Toyota wird als ein Muster gemeinsamer Grundprämissen verstanden, das die Mitglieder des Unternehmens bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt haben, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird. Dieses Muster gemeinsamer Grundprämissen wurde bereits Ende der 1920er Jahre in Form von fünf Prinzipien als „The Spirit of Toyota“ vom Gründer des Unternehmens, Toyoda Sakichi (Kapitel 2.3.1), formuliert. Im Jahr 1935 wurde das Dokument (Abbildung 3.29) unter dem Titel „Toyota Precepts“ dann zum fünften Todestag von Sakichi durch seinen Sohn Toyoda Kiichirō und dessen Schwager Toyoda Risaburo veröffentlicht. Anlass war der zunehmende Erfolg der neu gegründeten Toyota Motor Corporation. Die Aussagen beschwören – über das Ansprechen von Tugenden hinaus – einen Gemeinsinn, ja sogar eine gemeinsame Handlungsperspektive in einer Allformel, die sogar über das Gemeinwesen hinaus bis zu den Göttern des Shintōismus reicht. Kultur ist hiernach deutlich

Toyoda Sakichi: The spirit of Toyota (publ. 30. Oktober 1935)

Haben Sie keine Angst, Fehler zu machen.

Manager und Mitarbeiter müssen zusammenarbeiten.

Last uns Dinge ausprobieren.

 Die fünf Prinzipien von Toyota (Five Precepts)  1 Seien Sie immer pflichtbewusst; erbringen Sie damit Ihren Beitrag für das Unternehmen, das Gemeinwohl und Gemeinwesen. 2 Seien Sie immer fleißig und kreativ; bemühen Sie sich, dem Trend voraus zu sein. 3 Seien Sie immer praktisch orientiert; hüten Sie sich vor Leichtsinn.

4 Bemühen Sie sich immer darum, an Ihrem Arbeitsplatz eine Atmosphäre zu schaffen, die Herzlichkeit und Freundlichkeit ausstrahlt. 5 Haben Sie immer Respekt vor den Göttern; denken Sie immer daran, dankbar zu sein. ⚖

⚖⚖

Definition Unternehmenskultur Toyota: Muster gemeinsamer Grundprämissen

Am Anfang standen die fünf Prinzipien: Toyota Precepts

Mit der Toyotakultur wird eine gemeinsame Wertebasis angesprochen, die bis in den religiösen Bereich reicht ◀ Abb. 3.29: The Spirit of Toyota by Toyoda Sakichi (Toyota Precepts)

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158

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

mehr als Firmenkultur, als gemeinsame Basis wird eine gemeinsame Wertebasis bis in den religiösen Bereich angesprochen, die ein unternehmensbezogene Handeln deutlich zu überhöhen mögen. Jedenfalls erscheint es uns heute so. Vermutlich empfand man es damals nicht so, schon allein deshalb nicht, weil die Religion tief in der Gemeinschaft verwoben war. In den Precepts wird von Sakichi jedenfalls ein Grundgefühl thematisiert, dass es bei Toyota weniger um einen Arbeitsplatz geht, den man zum Bestreiten seines Lebensunterhalts ausfüllt, sondern um das Streben nach dem übergeordneten Gemeinwohl, sogar Sakichis Inspiration im religiösen Sinn. Diese von Sakichi selbst gelebte Inspiration ergreift ergreift in der Folge in der Folge nicht nur seinen Sohn Kiichirō, sondern wohl alle Mitnicht nur die Familie, sondern auch aufkom- glieder der Toyoda-Familie, der es zudem noch gelingt außerordentmende Führungskräfte liche Führungskräfte außerhalb der Familie zu finden, die der gleichen außerhalb der Familie Inspiration folgen (Kapitel 2.3). So wird die Toyota-Kultur bis heute tradiert (Liker/Hoseus 2009, 44): „Die Führungskräfte von heute folgen der Tradition der Entwicklung einer internen Kultur, die sich auf kontinuierliche Verbesserung und den Respekt gegenüber anderen konzentriert und die intensiv daran arbeitet, einen gesellschaftlichen Nutzen zu stiften.“ Die Five Precepts Die von Toyoda Sakichi entwickelten fünf Prinzipien (five prewerden in den 1990er cepts) spielen auch heute noch in der UnternehmenskommunikaJahren ergänzt durch tion eine tragende Rolle. Sie werden ergänzt duch die Toyota Guiding die „Toyota Guiding Principles, die erstmal 1992 veröffentlicht und dann 1997 etwas angePrinciples“ passt wurden. Wenn in der Folge von „The Toyota Way“ gesprochen wird, ist die Synthese von Precepts and Guiding Principles gemeint. In den Guiding Principles (Abbildung 3.30, Folgeseite) wird der religiöse Impetus nicht mehr thematisiert; was heute wohl auch im modernen Japan sehr anachronistisch empfunden worden wäre. Die darin zum Ausdruck gebrachten Erwartungen richten sich sowohl an die Mitarbeiter wie auch an die Führungskräfte. Besonders in den ersten fünf Punkten erfolgt die direkte Ansprache dieser beiden internen Respekt gegenüber anderen ist eine wich- Gruppen. Zu beachten ist die Thematisierung des Respektierens antige Kulturaussage derer. Als global agierendes Unternehmen mit Produktionsstätten im Ausland ist die Hervorhebung dieses Punktes besonders wichtig und Partnerschaften und auch die in Punkt sieben angesprochene Partnerschaft, die nicht nur die Kooperation mit die Kooperation mit den Unterlieferanten anspricht, sondern auch den Unterlieferanten die inzwischen mehrfach eingegangen Joint Ventures mit den Mitbewerden besonders werbern. Die Beziehungen zu den Unterlieferanten sind eine tragende betont Säule für jeden Automobilbauer. Sie haben bei Toyota Tradition, die in die Anfangsphase der 1930er Jahre zurückreicht. Auf Toyoda Kiichirō, dem Gründer der TMC, geht folgender Ausspruch zurück: „… Das Auto kann von den Autoherstellern alleine nicht gebaut werden. Be-

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Toyota: The Guiding Principles (1992/1997)  Honour the language and spirit of the law of every nation and undertake open and fair corporate activities to be a good corporate citizen of the world. 2 Respect the culture and customs of every nation and contribute to economic and social development through corporate activities in the communities. 3 Dedicate ourselves to providing clean and safe products and to enhancing the quality of life everywhere through all our activities.

4 Create and develop advanced technologies and provide outstanding products and services that fulfill the needs of customers worldwide. 5 Foster a corporate culture that enhances individual creativity and team-work value, while honouring mutual trust and respect between labour and management. 6 Pursue growth in harmony with the global community through innovative management. 7 Work with business partners in research and creation to achieve stable, long-term growth and mutual benefits, while keeping ourselves open to new partnerships. (Quelle: www.toyota-indus.com/pdf/Toyota-Guiding-Principles.pdf)

 Erweise Inhalt und Geist von inländischen und ausländischen Gesetzen Respekt und strebe durch offene und faire Unternehmenstätigkeit danach, als Unternehmen ein vertrauenswürdiges Mitglied der internationalen Gemeinschaft zu werden. 2 Respektiere Sitten und Bräuche eines jeden Landes und jeder einzelnen Region und trage durch die Unternehmenstätigkeit vor Ort zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Gemeinwesens bei. 3 Bekenne und verpflichte dich voll dazu, umweltfreundliche und sichere Produkte anzubieten, und bemühe dich, durch sämtliche Unternehmenstätigkeiten die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen und eine wohlhabende Gesellschaft zu schaffen. 4 Schaffe und entwickle fortschrittliche Technologien, um so herausragende Produkte und Dienste anbieten zu können, die den Bedürfnissen der Kunden in aller Welt entgegenkommen. 5 Fördere eine Unternehmenskultur, welche die Kreativität des einzelnen Mitarbeiters ebenso wie den Wert des Teamgeistes steigert und gleichzeitig das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Geschäftsführung stärkt. 6 Strebe Wachstum an in Harmonie mit der globalen Gesellschaft durch innovative und forschrittliche Unternehmensführung. 7 Arbeite mit den Geschäftspartnern in Forschung und Wertschöpfung harmonisch zusammen zur Erreichung eines stabilen und langfristigen Wachstums und gegenseitiger Vorteile, ohne sich selbst die Möglichkeit zu neuen Partnerschaften zu versperren.

reits in den ersten Phasen von Forschung und Entwicklung müssen die Zulieferunternehmen mitwirken. Teile können schließlich nicht an der Theke gekauft, sondern müssen maßgeschneidert werden.“ Bekanntlich wird das eigene Wachstum Toyotas vorwiegend organisch intern aus eigener Kraft entwickelt. Den Führungskräften im Ausland kommt damit die Aufgabe zu, den in den beiden Dokumenten verdeutlichten „Toyota Way“ in die globalen Standorte zu tragen. Diese besondere Aufgabe der „Legionäre“ wird sehr ernst genommen und

▲ Abb. 3.30: The Guiding Principles of Toyota (engl./german)

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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vom Headquarter in Japan unterstützt. Die Rede von der fortschrittlichen und innovativen Unternehmensführung in Punkt 6 betont natürlich – ohne es zu benennen – das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung. Was ist mit „The Toyota Way“ gemeint? Existieren „The Toyota Way“ wird Aussagen zu diesem Leitbegriff? In der Tat verwendet Toyota gezielt diesen Begriff, der auf Cho 2001 zurückgeht, in der weltweiten Komals zentraler Begriff durch Toyota definiert munikation. Er findet sich in einem Schaubild (Abbildung 3.31) einer und kommuniziert Firmenpräsentation, die sich auf die „Global Vision 2010“ bezieht. Darin heißt es unter dem Abschnitt „The Toyota Way“: „The Toyota Way: Toyota’s response to the challenges of promoting environmental and social excellence involves a total commitment from management and employees. This commitment is informed by a set of managerial values, business methods and beliefs collectively known as “The Toyota Way”. All Toyota employees are expected to embody these values in their daily work and other activities, including environmental protection and social initiatives. To “respect” the environment, other people and the communities around them, they must “go to the source” to identify and analyse problems (Genchi Genbutsu), move on to “challenge” conventional ideas and old habits, thereby implementing their commitment to ”continuous improvement” (Kaizen) through “teamwork”. Among other things, the framework provided by the Toyota Way enables the company to respond to a wide variety of social and environmental challenges at various stages and areas of its operations and activities. To summarise, the Toyota Way is based on two main objectives: Continuous Improvement (Kaizen) and Respect for People. These main objectives, in turn, are each reflected in the five key values that make up the Toyota Way: ◼ Challenge ◼ Kaizen (continuous improvement) ◼ Genchi Genbutsu (going to the source to make correct decisions) ◼ Respect ◼ Teamwork.“

Abb. 3.31: The Toyota Way 2001 (incl. in Toyotas Global Vision 2010) ▶

Dieses Dokument ist von Cho Fujio im Jahr 2001 erstmals veröffentlicht worden.

The Toyota Way Challenge We form a long-term vision, meeting challenges with courage and creativity to realize our dreams. Kaizen We improve our Business operations continuously, allways driving for Innovation and evolution. Genchi Genbutsu We practice genchi genbutsu … go to the source to find the facts to make correct decisions, build consesus and achieve goals at our best speed.

Mutual trust and respect between labor and management, and long-term employment stability

Continuous Improvement Respect for People

Communication

Respect We respect others, make every effort to understand each other, take responsibility and do our best to build mutual trust. Teamwork We stimulate personal and professional growth, share the opportunities of development and maximize individual and team performance.

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Für den aufmerksamen Leser dieses Buches enthalten weder der Text noch die Visualisierung „The Toyota Way“ in Abbildung 3.31 neue Informationen. Hier ist vom strategischen Marketing des Toyota Topmanagements erstmals ein Versatzstück einer qualitativen Unternehmensstrategie formuliert worden, die ja nicht voraussetzungslos für sich steht, sondern sich aus der Unternehmensgeschichte heraus erklärt. Was Toyota im beginnenden 21. Jahrhundert versucht, ist, den Bogen zu spannen von der stark religiös und tugendhaft bestimmten Leitfigur seines Gründers und Erfinders Toyoda Sakichi mit seiner individuellen ethischen Auffasung bestimmten Unternehmenskonzeption bis zu einer visionären rational der Weltgemeinschaft verpflichteten Unternehmensvision, in der die ökologischen Aspekte der Motorisierung besonders Die fünf Etappen des betont werden. Dieses Ziel und diesen Anspruch dokumentieToyota-Zukunfts-Szeren die folgenden aufeinander aufbauenden Etappen: narios ◼ Toyota Precepts von 1935 (Abbildung 3.29) ◼ Guiding Principles von 1992/1997 (Abbildung Toyota 3.30) Earth ◼ The Toyota Way (Cho 2001) (Abbildung 3.31) Charta ◼ Global Vision 2010, erklärt im April 2002 Global ◼ Toyota Earth Charta. Vision Dabei handelt es sich keineswegs um das „Ende der The Toyota 2010 Geschichte“. Die Toyota-Strategen denken weiter und Way formulieren ihre visionären Vorstellungen (Toyota’s 2001 Guiding Corporate Vision) bis weit in dieses Jahrhundert hinPrinciples ein (Toyota Earth Charta). 1992 Toyoty All diese visionären Gedanken, in denen ja AbsichtserPrecepts klärungen für die Zukunft enthalten sind, sind keineswegs 1935 blauäugig formuliert, sondern gehen in einem Szenario einerseits davon aus, dass die Entwicklung weiterhin positiv verläuft, anderseits werden aber auch die einschränkenden Bedingungen (Risiken) verdeutlicht, wie an diesem toyotaeigenen Dokument deutlich wird: „Cautionary Statement with Respect to Forward-Looking Statements: This presentation contains forward-looking statements that reflect Toyota’s plans and expectations. These forward-looking statements are not guarantees of future performance and involve known and unknown risks, uncertainties and other factors that may cause Toyota’s actual results, performance, achievements or financial position to be materially different from any future results, performance, achievements or financial position expressed or implied by these forward-looking statements. These factors include: (i) changes in economic conditions and market demand affecting, and the competitive environment in, the automotive markets in Japan, North America, Europe, Asia and other markets in which Toyota operates; (ii) fluctuations in currency exchange rates, particularly with respect to the value of the Japanese yen, the U.S. dollar, the Euro, the Australian dollar, the Canadian dollar and the British pound; (iii) changes in funding environment in financial markets; (iv) Toyota’s ability to realize production efficiencies and to implement capital expenditures at the levels and times

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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Warum definiert Toyota eine Vision offensiv?

Abb. 3.32: Toyotas Tradition: aufgehoben im Toyota Way und seiner Vision für das 21. Jahrhundert ▶

planned by management; (v) changes in the laws, regulations and government policies in the markets in which Toyota operates that affect Toyota’s automotive operations, particularly laws, regulations and government policies relating to vehicle safety including remedial measures such as recalls, trade, environmental protection, vehicle emissions and vehicle fuel economy, as well as changes in laws, regulations and government policies that affect Toyota’s other operations, including the outcome of current and future litigation and other legal proceedings government proceedings and investigations; (vi) political instability in the markets in which Toyota operates; (vii) Toyota’s ability to timely develop and achieve market acceptance of new products that meet customer demand; (viii) any damage to Toyota’s brand image; and (ix) fuel shortages or interruptions in transportation systems, labor strikes, work stoppages or other interruptions to, or difficulties in, the employment of labor in the major markets where Toyota purchases materials, components and supplies for the production of its products or where its products are produced, distributed or sold.“

Dass sich Toyota die Mühe macht, die Zukunft mit Ihren Risiken und Möglichkeiten auszumalen ist ein Novum in der Geschichte der Automobilhersteller. Eher haben sich die führenden Unternehmen höchst zurückhaltend geäußert, wenn es um das Aufwerfen und Beantworten ökologischer Fragen ging, auch Toyota. Das neue Verständnis, die Karten auf den Tisch zu legen und offensiv visionär zu denken unterstützt in jedem Fall das Bedürfnis der Menschen nach leitenden Vorgaben, wie sie ja in einer Vision zum Ausdruck gebracht werden, indem die künftige Situation, in die man hineinleben wird, antizipiert wird. Die Zukunft der motorisierten Welt ist deutlich komplexer als zu Zeiten von Toyoda Sakichi. Das Unternehmen hat seit den 1930er Jahren eine Größenordnung erreicht, in der die Kultur nicht mehr zwischen dem Familienoberhaupt und den Mitarbeitern direkt kommuniziert werden kann. Abbildung 3.32 zeigt den qualitativen Toyotas Tradition: aufgehoben im Toyota Way und seiner Vision

Gesellschaft/ Weltgesellschaft

Motorisierung und Ökologie

Kontinuierliche Verbesserung Respekt gegenüber anderen

Tradition Werte Tugenden

Verantwortung

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

Sprung von den lokal begrenzten Anfängen eines in der japanischen Kultur eingebetteten Unternehmens bis zur Evolution mit zunehmender ökologischer Verantwortung im Rahmen der Globalität der Weltgesellschaft. Die traditionellen Werte des Firmengründers und die Werte „Respekt“ und „Kontinuierliche Verbesserung“ sind – trotz oder gerade wegen der Fokussierung auf Ökologie/Gesellschaft – unhintergehbar für die Zukunft. Da eine Unternehmenskultur nicht im Unverbindlichen beheimatet sein darf , stellt sich angesichts der doch recht komplexen Struktur die Frage, welche institutionellen Vorkehrungen Toyota geschaffen hat, um seine Kultur dauerhaft zu vermitteln und zu verankern? Zunächst ist festzustellen, dass zur Unternehmenskultur keine explizite Imagebroschüre, etwa in Form eines Leitbildes zu existieren scheint. Diese Form der Kommunikation scheint heute obsolet geworden zu sein. Toyotas Selbstdarstellungen (Vision & Philosophy) finden sich im Internet unter den Links:

Wie wird die Unternehmenskultur Toyotas institutionell verankert? Keine Imagebroschüre, aber Informationen im Internet (Stand: Februar 2013)

http://www.toyota-global.com/company/vision_philosophy/ http://www.toyota.de/about/unternehmensinfos/downloads.tmex

Etwas versteckt stößt man dann auf die zutreffende Information zum Toyota Institute, das seit 2002 besteht. Dort heisst es: „Human Resources Development by the Toyota Institute To promote sharing of the Toyota Way, the Toyota Institute was established in January 2002 as an internal human resources development organization. Since 2003, overseas affiliates in North America (U.S.), Europe (Belgium), Asia (Thailand and China), Africa (South Africa) and Oceania (Australia) have established their own human resources training organizations modeled after the Toyota Institute.“ Sinn und Zweck des Toyota Institute (Hamamatsu City, Shizuoka Prefecture), das unter Cho Fujio (Kap. 2.3.8) gegründete wurde, war es, die Unternehmenskultur weltweit zu implementieren. Zielgruppe sind die Führungskräfte, die hier in Praktiken der Unternehmenskultur trainiert werden. Am Standort des Instituts in Japan sind noch zwei weitere Institute untergebracht, die Global Leadership School, die sich auf die globalen Aktivitäten Toyotas konzentriert und die Management Development School, deren Zielsetzung es ist, praktisch orientierte Trainings zur Unternehmenskultur durchzuführen. Mit dieser zentrale Einrichtung in Hamamatsu und den angeschlossenen Instituten in den USA, Europa, Asien, Afrika und Australien wurde eine Trainingsstruktur zur Entwicklung der Managementressourcen geschaffen, über die die Toyotakultur gezielt implementiert wird. Im nächsten Schritt sind dann die dort trainierten Führungskräfte gehalten, die erlernten kulturellen Elemente auf die operativen Ebenen

Das von Cho Fujio gegründete Toyota Institute bildet das Zentrum für die Kulturtradierung URL Toyota Institute: http://www.ibec.or.jp/ jsbd/AC/index.htm

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

164

runterzubrechen (OJT). Flankierend zu dieser vertikal verlaufenden Kultur-Vermittlungslinie engagiert sich Toyota seit 1938 in der beruflichen Bildung. Neben der in Japan gegründeten Toyota Berufsschule wird in vielen Ländern, so auch in Deutschland, in begleitende berufliche Maßnahmen investiert. In diese Maßnahmen ist immer ein Element das TPS integriert. So verzahnen sich zentral und dezentral die Bemühungen, die spezifische Toyotakultur zu implementieren. Die Toyota-Kultur Es kann also festgestellt werden, dass eine ganz spezifische Toyoexistiert als besondetakultur existiert, die bewußt geformt wird. Diese Kultur ist herausrer Schwerpunkt in der gewachsen aus dem TPS und bezieht heute nicht nur alle Mitarbeiter Unternehmenskomund deren Familien von Toyota ein, sondern darüber hinaus auch die munikation von Toyota Lieferanten. Der Prozess der Kulturformung vollzieht sich gezielt global durch Maßnahmen im institutionellen Kontext von Toyota. Die beiden Schlüsselbegriffe sind

Respekt gegenüber anderen und Kontinuierliche Verbesserung,

wie sie im Dokument „The Toyota Way“ beschrieben sind.

Das Toyota Managementsystem mit seinen Teilsystemen, dem Toyota Produktionssystem, dem Toyota Humansystem und Toyotas Kultursystem

Die Japaner sind „eine kluge und witzige Nation“, die, „was Kunst, Wissenschaften und weltliches Beginnen anbelangt, keinen Europäer zum Lehrmeister benötigt“, und „deswegen darf sich kein Europäer einbilden, daß wir alleine klug … wären“. [Quelle: George Meister: Der Orientalisch-Indianische Kunst- und Lust-Gärtner. Dresden 1692. zit. nach Kreiner, Josef: Deutschland–Japan. Die frühen Jahrhunderte. In: Ders. (Hrsg.): Deutschland–Japan. Historische Kontakte. Bonn (Bouvier) 1984, 20-21]

3.3.4 Vom Toyota Produktionssystem (TPS) zum umfassenden Toyota Managementsystem (TMS) Toyota Managementsystem TMS Toyota Humansystem THS

Toyotas kulturelles System TKS







Toyota Produktionssystem TPS

Die in Kapitel 3.3 analysierten sieben Elemente haben den Nachweis erbracht, dass die aufgezeigten Elemente und Zusammenhänge die Bezeichnung Toyota Produktionssystem nicht mehr rechtfertigen. Vielmehr handelt

3.3 Das Toyota Produktionssystem nach Ohno Taiichi

es sich – wie Ohno Taiichi bereits charakterisiert hat – um ein umfassendes Managementsystem, das Toyota Managementsystem (TMS – Abbildung 3.26). Damit tritt das TMS aus dem engen Kontext der Produktionswirtschaft und Logistik heraus, wo es zunehmend verortet wurde. Es basiert auf dem TPS, einem Humansystem und einem Kultursystem. Das TMS bildet die Basis für die evolutionäre Entwicklung Toyotas als Global Player. Toyota verfolgt mit seinen vier visionären Elementen (Precepts, Principles, Toyota Way und Toyota Vision) eine strategische Ausrichtung auf den Weltmarkt, die stark von ökologischen Motiven angetrieben wird. Hier wurden bereits wohlüberlegt Kernkompetenzen aufgebaut, wie der Hybrid-Antrieb. Des weiteren unterstreicht die Zertifizierung der Toyota-Werke mit dem Umweltschutzmanagementzertifikat ISO 14001 diese Bemühungen. Diese Systematisierungen lösen sich von den bisher in den Publikationen von und um Toyota sehr stark an den praktischen Zusammenhängen orientierten auf dem TPS basierenden Darstellungen. Sie bilden damit eine dem wissenschaftlichen Denken folgende Beschreibung. Vorgeschlagen wird hier zur Sprachregelung das Toyota Managementsystem als Referenzsystem des Lean Managements zu begreifen, indem – ausgehend von der Analyse der Raum-/Zeitfaktoren – die sieben in Abbildung 3.20 skizzierten Elemente als conditio sine qua non aufgefasst werden: ◼ Muda ◼ Just in Time/Kanban ◼ Produktions- und Qualitätstechniken ◼ Wertschöpfungsprozess ◼ Streben nach bester Qualität ◼ Mitarbeiter ◼ Unternehmenskultur. Das bedeutet: Sollte eines dieser Elemente in der Konkretion fehlen, lässt sich nicht mehr von einem Lean Managementsystem sprechen, weil es nicht die zentralen Elemente des TMS als Mindeststandard benutzt und dazu keine substantiellen Aussagen getroffen hat. Substantieller Aussagen bedarf es zudem zum Humansystem und zum kulturellen Teilsystem. Nur so ist ein Lean Managementsystem ausreichend beschrieben. Nur über solche Generalisierungen und Abstraktionen kann es gelingen die eng an die Firma Toyota haftenden Begrifflichkeiten einer allgemeinen Betrachtung in den Wissenschaften gerecht zu werden. Kurz gesagt: Bisher wurde enggeführt durch die von Toyota entwickelten induktiv erzeugten „Versatzstücke“ die Ebene operativer Handlungskonzepte nicht verlassen. Es kommt aber darauf an, aus einer deduktiven Perspektive heraus das Lean Managementsystem zu bestimmen und es dann im Wechselspiel an der Erfahrung zu spiegeln.

Die visionären Elemente weisen die Ausrichtung von Toyota auf den globalen Markt mit seinen globalen Produktionsstätten. Daraus folgt: Toyota denkt strategisch in Raum-Zeit-Bezügen

Die sieben Kernelemente des Toyota Managementsystems als Mindeststandard des allgemeinen Lean Managementsystems Das Toyota Managementsstem als Referenzsystem für ein allgemeines Lean Managementsystem

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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„Mein Verstand neigt dazu, sich in festen Bahnen zu bewegen, und daher erneuere ich täglich meine Entschlossenheit und zwinge mich zum kreativen Denken. Im Fertigungsbereich gibt es immer noch so viel zu tun …“ (Ohno 1993, 144)

3.4

Das Toyota Produktionssystem: Haus- und Tempeldarstellungen und der Vorschlag von Cho Fujio zum TPS-Haus

Es war wohl die anglo-amerikanische Übersetzung des Buches von Ohno (1993), die dafür gesorgt hat, dass sich eine Schar von Beratern, Zeitschriften- und Buchautoren und Dozenten an Hochschulen darangemacht hat, die Aussage „Die beiden Säulen zur Unterstützung des Systems sind …“ (Seite 30) konkret ins Bild zu setzen. Jedenfalls findet man durchgängig Haus- und Tempeldarstellungen, die das Toyota Produktionssystem visualisieren. An abstrakteren Darstellungen Abb. 3.33: Das TPS in fehlt es gänzlich. Bei dieser Säulenzeichnerei (linke Säule JiT, rechte TempelfrontdarstelSäule Jidoka) ist denn auch das, um das es im Kern geht, Muda, gar lung ▼ nicht mehr auffindbar, oder als Randtechnik Toyota irgendwo angeordnet. Außerdem tauchen Production System (TPS) plötzlich Begriffe in solchen Zeichnungen auf, Quality Cost Delivery die in Ohnos Buch gar nicht vorkommen, wie Environment Safety „Thinking people system“ in einer zufällig ausJust–In–Time Jidoka gewählten amerikanischen Skizze des TPS, die Thinking Elimination Genichi im Internet kursiert (◀ s. hier links). Jedenfalls people of waste Genbutsu system wurde dem Einfallsreichtum durch das SignalTakt-Time Andon Board wort „Säulen“ Tür und Tor geöffnet. Sogar ein 5 Why Kanban Card Poka-Yoke 5S so seriöser Autor wie Klaus Erlach kam nicht umhin das TPS in eigener Darstellung als Tempel zu skizzieren, wobei auch er – weitab Heijunka – Kaizen – Standardisation von Ohno – eigene Begrifflichkeiten einbringt Top Quality (2010, 302) (◀ s. hier links). Da nimmt es Visualisierung kurze Durchlaufzeit minimale Kosten nicht Wunder, wenn Sachverhalte aufgegriffen Just–In–Time Jidoka und tradiert werden, die den Gegenstand hoffnungslos verkürzen und unzutreffend darstelKundentakt Ordnung & Fließfertigung Sauberkeit len. Wichtige Elemente fallen unter den Tisch, FIFO-VerkoppWartung lung Mehrfachqualifieiniges wird einfach dazugedichtet. Ein WirrKanban-Regekation lung Fehlervermeiwar sondergleichen ist entstanden. Jeder mag dung es im Internet prüfen, indem er nach Eingabe Heijunka Kaizen des Begriffs unter Bilder die Suchfunktion in Zuverlässigkeit durch Standardisierung Google auswählt. Diese Vorgehensweise und ▲ Abb. 3.34: Das TPS Situation hat eine nach wissenschaftlichen Kriterien durchzuführende in der Darstellung von Analyse und Synthese des Objekts, wie sie in Kapitel 3.3 hier versucht Klaus Erlach wurde, erheblich erschwert. Von den Säulen des Tempels zum Haus

3.4 Das Toyota Produktionssystem: Haus- und Tempeldarstellungen … TPS-Haus

Interessanterweise ist es gerade der mit Ohno Taiichi eng verbundene „Schüler“ Cho Fujio (s. seine Biografie in Abschnitt 2.3.8 2), der in der Nachfolge von Ohno eine eigenständige Darstellung des TPS vornimmt, die ein abstrahierendes Haus erkennen lässt, das inhaltlich zutreffend auf Ohnos Darstellung des TPS aufbaut. Intellektuelle Geistessprünge, die das Grundanliegen Ohnos verfälschen könnten, sind nicht erkennbar. Die Darstellung folgt dem, was das TPS im Kern ausmacht. Wenn man der Komplexität eines Managementansatzes wie der des Toyota Production System rekonstruieren will, darf man nicht in den Fehler verfallen die Vielzahl an Qualitätstechniken in beliebiger Reihenfolge in eine „Hausstruktur“ einpassen. Ein solches Vorgehen suggerieren viele Fachbücher zum Thema. Lean Management besteht also nicht darin, die sog. Lean-Tools umstandslos anzuwenden. Das richtige Verständnis sollte am Anfang stehen. Aus diesem Grund wird hier auf das Modell von Cho Fujio Bezug genommen. Die Darstellung von Cho (Abbildung 3.35) basiert auf einem ganzheitlichen Verständnis, wobei die Metapher „Haus“ nicht nur symbolisch verstanden wer-

 Beste Qualität – niedrigste Kosten – kürzestmögliche Durchlaufzeiten – größtmögliche Sicherheit – hohe Arbeitsmoral Verkürzung der Produktionszeit durch die Elimierung nicht werthaltiger Elemente



Just-In-Time die richtigen Teile in der richtigen Menge zur richtigen Zeit ◼ Taktzeit ◼ kontinuierlicher Fluss ◼ Pull-System ◼ Kurze Umrüstzeiten ◼ Integrierte Logistik

Menschen & Teamwork ◼ Selektion ◼ Entscheidungsfindung nach dem Ringi-System

◼ gemeinsame Ziele ◼ Crosstraining



Kontinuierliche Verbesserung Eliminierung nicht werthaltiger Elemente ◼ genchi genbutsu ◼ 5W-Technik (fünf-

◼ Bewusstsein für

maliges Fragen nach dem Warum zur Ursachenbestimmung)



Verschwendung ◼ Problemlösung



Jidoka (Prozessimanente Qualität an jeder Arbeitsstation) macht Probleme deutlich ◼ Automatischer Produktionsstopp ◼ Andon ◼ Teilung zwischen Mensch und Maschine ◼ Selbstgesteuerte Fehlererkennung ◼ Qualitätskontrolle an jeder Arbeitsstation ◼ 5W-Technik

Produktionsnivellierung (heijunka) Stabile und standardisierte Prozesse Visuelles Management ‚Philosophie der Toyota-Methode‘

yDie Haussymbolik erinnert im Prinzip etwas an das sog. „House of Quality“, eine

Qualitätstechnik, die auf den Japaner Akao Yōji zurückgeht (Zollondz 2011, 128 ff).

Cho Fujio, Chairman of the Board der Toyota Motor Corporation (1999-2005) als intellektueller Fortsetzer des TPS

◀ Abb. 3.35: Das Toyota Produktionssystem nach Cho Fujio als TPS-Haus (Quelle: Liker 2006, 65)

Im Zentrum des Modells steht bewusst die durch Mitarbeiter und Gruppen betriebene Kontinuierliche Verbesserung; wobei es darum geht Muda zu eleminieren

167

168

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

den soll, sondern ganz konkret, also architektonisch. Das „TPS-Haus“ hat, wie jedes gut gebaute Haus, ein Dach, Räume, tragende Wände und steht auf einem Fundament. Die Abbildung zeigt uns diese vier Basiselemente der Architektur, die wir nur mit etwas Managementterminologie unterfüttern müssen: Die vier Basiselemente  Dach: Zielsetzung, Kundenorientierung des TPS-Hauses nach  Tragende Wände: Basistechniken ( Just-In-Time/Jidoka)und Cho Fujio daraus entwickelte und abgeleitete Produktions- und Qualitätstechniken  Zentrale Räume: Mitarbeiter/Teams, die sich darum be(Zentrum) mühen, Verschwendung (Muda) zu eliminieren und die Kontinuierliche Verbesserung bewusst leben; gezielte Anwendung entsprechender Techniken  Fundament: Philosophie, Vision, Heijunka, Prozessorientierung, Führung, visuelles Management Jedes einzelne dieser vier Systemelemente ist natürlich wichtig, darf nicht vernachlässigt werden und unterliegt dem Prozess der kontinuierlichen Verbesserung, was bedeutet, dass das System immer mehr anwächst (Komplexität) und so auf der Basis des TPS-Hauses Wichtig ist das Zusam- im Einzelnen verschiedene Wege gegangen werden können (Liker 2006, 66). Damit wird deutlich, dass das additive Aneinanderreihen menspiel und permavon Techniken noch lange kein System ausmacht, sondern nur das Zunente Verändern der Elemente im evolutio- sammenspiel und permanente Verändern der Elemente, wie Liker am nären Prozess Beispiel von JiT aufzeigt (2006, 65): „JiT bedeutet die größtmögliche Reduzierung von Lagerbeständen, die mögliche Produktionsengpässe abfedern sollen. In einem idealen One-Piece Flow wird immer nur jeweils eine Einheit hergestellt, und das in der Geschwindigkeit, die der Takt der Kundennachfrage vorgibt. Geringere Sicherheitsmengen als Puffer für Das Beispiel JiT und Jidoka, die beiden Engpässe (die Beseitigung des ’Sicherheitsnetzes’) bedeuten, dass tragenden Wände des sich Probleme wie Qualitätsmängel unmittelbar bemerkbar maHauses chen. Das wiederum stärkt das Jidoka, das den Produktionsprozess stoppt. In diesem Fall müssen die Montagearbeiter bzw. Maschinenbediener die Probleme unmittelbar und schnell lösen, um die Produktion wieder aufzunehmen. Das Fundament des Hauses ist die Stabilität.“ Das Rhizom ist wohl So scheint das TPS des Lean Managements im universellen Sinn eher das Strukturbild weniger eine Baumstruktur aufzuweisen (Organigramm), sondern für das TPS eher – im Sinne von Gilles Deleuze – ein Rhizom, ein Wurzelstock, ein Geflecht, ein Gewirr von Knollen und Knoten zu bilden. Das macht es auch so schwer Toyota zu imitieren, trotz vielfältiger Offenlegungen

3.4 Das Toyota Produktionssystem: Haus- und Tempeldarstellungen … TPS-Haus

von Prinzipien durch Toyota selbst. Wenn das System ein Rhizom bildet, dann kann es keinen Abdruck, nicht einfach eine Kopie geben, sondern nur offene Karten bilden, die in all ihren Dimensionen mit etwas anderem verbunden werden können. Ein solches System ist komplex und seine Struktur ändert sich in der Zeit. Wer sich auf die Dynamik eines solchen Systems à la TPS einlässt, der beginnt damit, eine offene Karte zu kreieren, die ständiger Veränderung ausgesetzt ist: Das System pulsiert nicht nur durch die permanente Evolution des Wertschöpfungsprozesses selbst, sondern insbesondere durch das organisatorische Anwachsen immer wieder eingesetzter Produktionsund Qualitätstechniken ( Jidoka, 5 Ws etc.). Diese Beschreibung erweist sich mehr und mehr als Unterfangen, eine Kultur zu beschreiben, in der eigene Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien herrschen, die der westliche Beobachter sich erst erschließen muss. In einem der wenigen Lehrbücher zur Organisation, die das Thema Lean Management ausführlicher aufgreifen, ist das ansatzweise versucht worden. „Als Grundprinzipen der Lean Production wurden vor allem eine integrative, ganzheitliche Wertschöpfungskette, die Verringerung der Komplexität, die Verbesserung der Kommunikationsbeziehungen und der Aufbau von langfristigen, vertrauensvollen Kunden-Lieferanten-Beziehungen identifiziert. Das Lean-Management überträgt diese Prinzipien auf die Führung des gesamten Unternehmens: Schlankes Management als Veränderungsmodell bedeutet demnach die ganzheitliche Ausrichtung der Unternehmensführung und -organisation an der Wertschöpfungskette. Die Zielsetzungen sind eine größere Marktnähe, eine erhöhte Kundenzufriedenheit, eine Optimierung des menschlichen Arbeitseinsatzes und eine laufende Verbesserung der Produktund Prozessqualität.“ (Vahs 2009, 287) Bleibt noch hinzuzufügen, dass es sowohl um ein intra- wie auch interorganisatorisches Konzept geht; denn den gesamten Wertschöpfungsprozess einbeziehen, heisst ja insbesondere Einbezug der Unterlieferanten in den Strom, der sich bis zum Kunden und seinen Forderungen fortsetzt. Dieser Strom ist kritisch zu bewerten, denn bei einer Störung „ist sofort die Krise da“. Sofort bedarf es gemeinsamer Anstrengungen, damit sich der Prozess fortsetzt. Ein so hoch entwickeltes System wie das TPS setzt damit auf den Menschen und sein Zusammenwirken in der Gruppe (Liker 2006, 67): „Grundsätzlich zielt dieses System darauf ab, Menschen zu unterstützen und zu ermuntern, die Prozesse mit denen sie arbeiten, kontinuierlich zu verbessern. Unglücklicherweise för-

Offene Karten entstehen aus der Struktur des Rhizoms. Indem die Techniken angewandt und umgesetzt werden lernt das System und wird verändert

Lean Management aus der Sicht der Organisationslehre nach Vahs

„Sofort ist die Krise da!“

169

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

170

Mit „Philosophie“ sind vor allem die Unternehmenskultur und das Humansystem angesprochen

dern viele Bücher, die sich mit schlanker Produktion beschäftigen, das Missverständnis, TPS sei eine Sammlung von Instrumenten, mit denen sich Produktionsabläufe effizienter gestalten ließen. Das geht völlig am Zweck dieser Instrumente sowie am Konzept, Menschen in den Mittelpunkt des Systems zu stellen vorbei.“ Dieser Punkt spricht das Humansystem und die Unternehmenskultur an, mit der sich Cho Fujio in seinem TPS-Haus unter  „Philosophie der Toyota-Methode“ befasst (vgl. hierzu systematisch Kapitel 3.3). „Kühner als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, das Bekannte zu bezweifeln.“ (Kaspar)

3.5

Die 14 leitenden Prinzipien des Toyota Produktionssystem nach Jeffry K. Liker

Jeffry K. Liker, auf dessen Arbeiten dieses Kapitel sich bezieht (Liker 2006), benutzt den Begriff Toyota-Weg sehr breit. Bei Toyota selbst bezieht sich der Begriff auf ein Dokument von Cho aus dem Jahr 2001 in der englischen Benennung „The Toyota Way“, wie die Skizze in Abbildung 3.31 zeigt. Liker geht es darum übergeordnete Kategorien und Prinzipien zu schaffen. Er beobachtete in seiner Beraterpraxis, dass die meisten Unternehmen zwar an ihren Prozessen arbeiten und dort verharren: Sie dümpeln vor sich hin (Liker 2006, 38): „Aber es fehlt das Verständnis für die wahre Kraft des TPS, nämlich, dass es einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung Jerry K. Liker bedarf, um die Prinzipien des Toyota-Wegs nachhaltig zur Prof. für Ingenieurwissenschaften an der Geltung zu bringen.“ Universität Michigan Er führt in seine Überlegungen ein Kategorienschema ein, das er 4-P-Modell nennt (Philosophie, Prozesse, People/Partner/ Herausforderung Problemlösung). Diesem Schema ordnet er HandlungsperPhilosophie Kontinuierliche Verbesserung spektiven zu, wie sie die Skizze hier zeigt (◀). Wer dieses Schema der 4Ps systematisch kontinuierlich nutzt, dem wird Prozesse es auch gelingen über die Prozess-Stufe hinauszukommen, Respekt und Teamarbeit People/Partner weil den erzielten Verbesserungen die emotionale und intelGenchi Genbutsu lektuelle Basis gegeben wird, um über die gesamte OrganisatiProblemlösung on Nachhaltigkeit zu entfalten. So gelingt es eine echte Kultur der kontinuierlichen Verbesserung zu etablieren. Damit die Verankerung auch gelingt, entwickelt Liker 14 Prinzipien, die er den 4Ps unterordnet. So entstehen die vierzehn Prinzipien des ToyotaWegs, wie sie in Abbildung 3.36 (Folgeseite) dargestellt sind. Es ist sicherlich ein Verdienst Likers losgelöst vom TPS, das ja auf den Au-

3.5 Die 14 leitenden Prinzipien des Toyota Produktionssystems nach Jeffry K. Liker

Die vierzehn Prinzipien des Toyota-Wegs Philosophie 1. Prinzip: Machen Sie eine langfristige Philosophie zur Grundlage Ihrer Managemententscheidungen, selbst wenn dies zu Lasten kurzfristiger Gewinne geht.

Prozess 2. Prinzip: Sorgen Sie für kontinuierlich fließende Prozesse, um Probleme ans Licht zu bringen. 3. Prinzip: Verwenden Sie PullSysteme, um Überproduktion zu vermeiden.

6. Prinzip: Standardisierte Arbeitsschritte sind die Grundlage für koninuierliche Verbesserung und die Übertragung von Verantwortung auf die Mitarbeiter.

4. Prinzip: Sorgen Sie für eine ausgeglichene Produktionsauslastung (heijunka).

7. Prinzip: Nutzen Sie visuelle Kontrollen, damit keine Probleme verborgen bleiben.

5. Prinzip: Schaffen Sie eine Kultur, die auf Anhieb Qualität erzeugt, statt einer Kultur der ewigen Nachbesserung

8. Prinzip: Setzen Sie nur zuverlässige, gründlich getestete Technologien ein, die den Menschen und Prozessen dienen.

People/Partner 9. Prinzip: Entwickeln Sie Führungskräfte, die alle Prozesse genau kennen und verstehen, die die Unternehmensphilosophie vorleben und sie anderen vermitteln.

Problemlösung 12. Prinzip: Machen Sie sich selbst ein Bild von der Situation, um sie umfassend zu verstehen (genchi genbutsu).

10. Prinzip: Entwickeln Sie herausragende Mitarbeiter und Teams, die der Unternehmensphilosophie folgen.

13. Prinzip: Treffen Sie Entscheidungen mit Bedacht und nach dem Konsensprinzip. Wägen Sie alle Alternativen sorgfältig ab, aber setzten Sie die getroffenen Entscheidungen zügig um.

11. Prinzip: Respektieren Sie Ihr ausgedehntes Netz an Geschäftspartnern und Zulieferern, indem Sie sie fordern und dabei unterstützen, sich zu verbessern.

14. Prinzip: Werden Sie durch unermüdliche Reflexion (hansei) und kontinuierliche Verbesserung (kaizen) zu einer wahrhaft lernenden Organisation.

tomobilbau und die Fließbandfertigung ausgerichtet ist, allgemeine Prinzipien formuliert zu haben, die auf jede Art von wirtschaftlicher Tätigkeit passen. Der Interessierte sollte die Prinzipien zusammen mit

◀ Abb. 3.36: Die vierzehn Prinzipien des Toyota-Wegs (Quelle: Liker 2006, 71ff)

Die 4 Ps als Rahmen für die 14 Prinzipien des Toyota-Wegs

171

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

172

dem in Kapitel 3.4 dargestellten TPS-Haus verwenden. So kann alles im Zusammenhang gut für die Umsetzung genutzt werden, etwa derart, dass die Managementebenen damit vertraut gemacht werden und versucht wird, sie an die eigenen Organisationsbedürfnisse anzupassen.

„Wir streben nach dem Unerreichbaren und verhindern so die Verwirklichung des Möglichen.“ (Robert Ardrey)

3.6

▲ Shingo Shigeo (1909*-1990𐐆) war lange Zeit Mentor und Berater bei Toyota. Ihm verdankt Ohno, mit dem er befreundet war, wesentliche Impulse. Er verfasste mehr als 25 Bücher zum TPS und Industriel Engineering

Zwei Ehrendoktorwürden

Poka Yoke und SMED

Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

Shingo Shigeo wird sowohl im Qualitäts- wie auch im Lean Management in Deutschland und auch Europa nur ganz selten als eine „Fachgröße“ genannt. Dabei hat er u. a. mit Ohno Taiichi zusammen das TPS entwickelt. Auffallend ist, dass Ohno Shingo nicht erwähnt. Liker rückt das Bild in einem Nachwort etwas zurecht (Ohno 2013, 167): „In fact, many people were involved in developing TPS inside company, and some like Shigeo Shingo from outside.“ Shingo hat 1930 am Yamanashi Technical College ( Japan) als graduierter Ingenieur sein Studium abgeschlossen (Mechanical Engineering). Danach hat er sich in verschiedenen Funktionen betätigt, vor allem bei nationalen japanischen Organisationen, aber auch seit 1971 international als Unternehmensberater, auch bei deutschen Firmen. Aus dieser Funktion heraus hat er mehr als 25 wissenschaftliche Bücher verfasst, in denen er sich vor allem mit Themen des Qualitätsmanagements auseinandergesetzt hat. Im Zentrum stand bei ihm das Toyota Produktionssystem, an dessen Entwicklung er ja auch maßgeblich mitgewirkt hat. Krönender Abschluss seiner Karriere waren die Ehrendoktorwürden, die ihm 1988 gleich von zwei Universitäten verliehen wurden: Utah State University (USA) und Université de Toulouse (Frankreich). Die Begründung der Utah State University lautet (Shingo 1992, 4): „The honorary Doctor of Management degree was awarded for creating and promoting these pioneering new production management ideas.“ Besonders hervorgehoben werden sollen hier in diesem Kapitel seine beiden Konzepte, die er bei Toyota in das TPS eingebracht hat: die Fehlervorbeugungstechnik Poka Yoke und das Umrüstzeitenreduktionskonzept SMED (Single-Minute Exchange of Die). Desweiteren wird auf die posthum erfolgte Ehrung durch die Utah State

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

University eingegangen, indem der weltweit einzige am Lean Management orientierte Qualitätspreis dargelegt wird, der nach ihm benannt wurde, der Shingo Prize. Poka Yoke: Der Begriff kommt aus dem Japanischen und steht für Poka = Fehler und Yoke = Vermeidung; ins Deutsche übersetzt mit „Vermeidung unbeabsichtigter Fehler“, oder kurz „Fehlervermeidung“. Konkret handelt es sich sehr oft um eine Fehlerkontrollvorrichtung bzw. eine Fehlerkontrolltechnik zur Vermeidung eines Fehlers. Als Shingo den Begriff Anfang der 1960er Jahre erstmals entwickelte, nannte er ihn Baka Yoke, wobei Baka für Narr/Idiot steht. Im Englischen wird hieraus „foolproofing“, im Deutschen soviel wie „narrensicher“, also ein System narrensicher machen. Shingo hat diesen ersten Zugang zum Begriff dann aber reflektiert, als ihm erzählt wurde, dass sich eine Mitarbeiterin persönlich verletzt sah, als Narr bezeichnet zu werden (Shingo, S.: Zero Quality Control. Cambridge [Productivity Press] 1985, 33). Er kam zu dem Ergebnis, dass der Begriff unglücklich gewählt worden war und führte dafür Poka Yoke ein. Unbeabsichtigte Fehlhandlungen von Menschen, die im Zuge ihrer Tätigkeit in Arbeitsprozessen auftreten, sind natürlich sowohl ein individualpsychologisches Problem wie aber auch eine Problemstellung der Arbeitsorganisation und damit des Qualitäts- und Lean Managements. Um ein Optimum an fehlervermeidungssicherem Handeln zu erreichen, sind Maßnahmen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Arbeitssystem erforderlich, die als technische Vorkehrungen und Einrichtungen zur Fehlerverhütung und sofortigen Fehleraufdeckung fungieren. Somit ist Poka Yoke eine präventive Qualitätstechnik, die zwar erstmals im industriellen Fertigungsbereich entwickelt wurde, aber auch im Dienstleistungsbereich angewandt wird. Aus der Sicht des Lean Managements sind Fehler als Muda zu begreifen. Wenn sie nicht entdeckt werden, werden die Kundenforderungen nicht erfüllt, wenn sie zu spät erkannt werden, können die Kosten zu ihrer Beseitigung enorm sein, zum Beispiel im Falle von Rückrufaktionen. Das Thema Poka Yoke hat folglich von der Sache und vom Recht her in Deutschland oberste Priorität. In § 459 BGB, der endlich nach 102 Jahren (1900-2002) aktualisiert wurde, heisst es: „[Haftung für Sachmängel] (1) Der Verkäufer der Sache haftet dem Käufer dafür, dass sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrage vorgesehenen Gebrauch aufheben oder mindern.“

Poka Yoke heißt Fehlervermeidung

Baka Yoke heißt Narrensicherheit

Unbeabsichtigte Fehlhandlungen als Problem der Psychologie und der Arbeitsorganisation

Poka Yoke ist eine präventive Qualitätstechnik Fehler sind als Muda im Sinne von Ohno zu begreifen Die sachlichen und rechtlichen Folgen von Fehlern/Mängeln: § 459 BGB 2002

173

174

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements In § 434 BGB geht es Und im ebenfalls neu gefassten § 434 Sachmangel heisst es: um die vereinbarte „(1) 1 Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Beschaffenheit, also Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit hat. …“ die geforderte Qualität Shingo hat mit der Hervorhebung des Begriffs Poka Yoka den Nerv

des Lean Managements getroffen, den Fehlerbegriff und damit die Frage, der Fehlervermeidung. Sie ist eine Kernfrage des allgemeinen Qualitätsmanagements und hängt daran, was unter Qualität zu verstehen ist. Das wurde bereits in Kapitel 1.3.2 geklärt, woran kurz erinnert werden soll: Explikationen zum Qualität ist realisierte Beschaffenheit der betrachteten Qualitätsbegriff im Einheit in Relation zu ihrer geforderten Beschaffenheit. Ist das Zusammenhang rechtErgebnis (z.B. eines Produktes), die realisierte Beschaffenheit, licher Aspekte des fehlerhaft, liegt also ein Fehler vor, so ist nach § 434 die Sache Fehlerbegriffs nicht frei von Sachmängeln. Der Verkäufer haftet (§ 459) für die Sachmängel. Da sich der Verkauf durch die Institution des Managements einer Organisation realisiert, ist Qualität wie folgt zu definieren: „Realisierte Beschaffenheit einer Einheit, die entsprechend der vom Management einer Organisation festgelegten Qualitätsforderung bestimmt wird.“ (Zollondz 2011, 194) Nicht der Mitarbeiter haftet in der Regel bei menschlich unbeabsichtigten Fehlhandlungen, die sich zu schweren Sachmängeln auswirken können, sondern das Management der Organisation wird Zur Haftungsfrage vor Gericht zitiert. Wer in den letzten Jahren die Berichterstattung zu Rückrufaktionen zu Fehlern an Automobilen beobachtet hat, weiß wie brisant der Sachverhalt ist: Fehler und Mängel an Produkten sind eben kein Kavaliersdelikt. Umso wichtiger ist es, dass wir uns hier bei den Grundlagen vertiefender mit den Möglichkeiten der Vermeidung von Fehlern befasWas sind Fehlhandlun- sen und uns zunächst die Frage stellen: „Was sind denn vermeidbare (menschliche) Fehlhandlungen?“ Antwort: Zu solchen Fehlhandgen, die sich vermeiden lassen? lungen zählen v. a. ◼ Verwechseln ◼ Vergessen Vgl. zum Thema Feh◼ Vertauschen ler/Fehlhandlungen ◼ Auslassen auch Kapitel 10.5! ◼ Falschablesen, die oft durch Stress, belastende Arbeitsbedingungen und sonstige Einflüsse hervorgerufen oder verstärkt werden. Im Alltag werden diese Fehlhandlungen in der Regel als normal und typisch menschlich bezeichnet. Poka Yoke setzt zunächst hier an und will einen Wandel der Einstellung erreichen, indem solche Fehlhandlungen nicht als normal und unvermeidbar anzusehen sind. Sie müssen akzeptiert und

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

bewusst gemacht werden, um sie dann abzustellen bzw. zu reduzieren. Die typischen menschlichen Schwächen sollen durch Antizipation und (technische) Prävention ausgeschaltet und zumindest kompensiert werden. Bei der auch von Shingo entwickelten Fehlerquellen-Inspektion (Source Inspection, SI) werden die Bedingungen, die zu Fehlern führen können, erkundet und Maßnahmen entwickelt, um das wiederholte Auftreten auszuschließen (100%-Prüfung, Selbstprüfung, sukzessive Prüfung). Poka Yoke ist dann besonders wirkungsvoll, wenn es mit der Fehlerquellen-Inspektion kombiniert wird. In diesem Sinne kann man von einem zu verfolgenden „Null-Fehler-Konzept“ sprechen. Poka Yoke umfasst zwei technische Vorkehrungen: ◼ Erstens den Mechanismus, der menschliche Fehlhandlungen verhindern soll und ◼ zweitens den, der die Aufmerksamkeit des Menschen auf die entstandenen Fehler lenkt. Fünf Beispiele sollen das verdeutlichen: ◼ Ein USB-Stecker kann nur in einer ganz bestimmten Weise eingesteckt werden, ebenso der AE-Telefonstecker oder der TunderboltStecker in einem Hub. ◼ Eine SIM-Karte lässt sich nur in der korrekten Haltung in den Slot eines Mobiltelefons einsetzen. ◼ Ein anhaltendes akustisches Signal und ein Blinksignal im Armaturenbrett zeigen an, wenn nach dem Anfahren mit dem Auto der Insasse seinen Sicherheitsgurt nicht eingeklinkt hat. ◼ Eine mit Kaschierfolie geschützte abwischbare SchlussdienstCheckliste eines Tagungshotels hilft gegen das Vergessen. ◼ Einen Bankomat muss man korrekt bedienen, damit er Geld ausgibt. Folgt man nicht seinen Signalen, wie der vorgegebenen Reihenfolge und dem Blinken, wird seine Poka Yoke-Routine die Karte einziehen, z. B. wenn dreimal das Passwort falsch eingegeben wurde oder weder Karte noch das Geld ausgeben, bevor die Karte entnommen wurde. Hier sind oft die menschlichen Fehlhandlungen „Vergessen“ und „Falscheintippen“ im Spiel. Das auf der Folgeseite abgebildete simple Beispiel aus dem Buch von Huroyuki Hirano (1992) ist selbsterklärend und mag auch dazu dienen, um aufzuzeigen und anzuregen, dass Poka Yoke ins BVW und Verbesserungsmanagement eingebunden werden sollte (Abb. 3.37). Die Lösung ähnelt in gewisser Weise dem genannten Beispiel der SIM-Karte im Mobiltelefon. Diese praktischen Beispiele zeigen uns, dass Poka Yoke ein Gestaltungsprinzip ist, das Konstruktionen und Prozesse robust gegen nicht ausschließbare Fehlhandlungen machen soll. Dabei ist der Gestal-

Durch Antizipation und Prävention menschliche Fehlhandlungen begrenzen Zur Qualitätstechnik Source Inspection, SI

Die zwei technischen Vorkehrungen von Poka Yoke Beispiele von Poka Yoke

Poka Yoke ins BVW und Verbesserungsmanagement einbinden

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

176 Abb. 3.37: Poka YokeBeispiel ▶ (Quelle: Hirano 1992, 257)

Beschreibung: Typenschilder werden in eine Aufnahmeaussparung eingeklebt Problem: Schilder rückseitig oder mit oberseite nach unten geklebt Lösung: Änderung der Labelform Verbesserung: Änderung durch korrekte Positionierung ◼ Vor der Verbesserung: Aussparung und Schild hatten beide rechteckige Form. Das Schild konnte rückseitig oder mit der Oberseite nach unten eingeklebt werden. Aufnahmeaussparung im Kunststoffgrundkörper

LoD STE AC 100V … Typenschild mit Oberseite nach unten

◼ Nach der Verbesserung: Eine Schildecke und die entsprechende Ecke der Aussparung erhielten einen Ausschnitt. Das Schild kann nur in der richtigen Ausrichtung befestigt werden. Aufnahmeaussparung

LoD STE AC 100V …

Ausschnitt

Typenschild

tungsrahmen sehr groß. Poka Yoke-Vorkehrungen und -Einrichtungen sind oft Maßnahmen zur Risikoanalyse: Ein Prozess muss gegen Fehlhandlungen aus dem Prozess selbst oder externe Bediener abgesichert werden, will man Fehler = 0 nicht als unverbindlichen Slogan ansehen, sondern wirklich eine Null-Fehler-Produktion anstreben, denn Poka Yoke eleminiert tendenziell Muda. Eine solche Produktion, die auf Null Fehler setzt, muss von Null-Fehler-Produktion einem Null-Fehler-Programm ausgehen. Ein solches Programm ist und Null-Fehler-Programm ein auf Null Fehler ausgerichtetes Zweckprogramm. Da Programme als Komplexe der Bedingungen der Richtigkeit definiert sind Was ist ein Programm (Zollondz 2011, 222), enthält ein Null-Fehler-Programm einen Komund was ist ein Nullplex von auf die Möglichkeiten der Fehlervermeidung und -eleminieFehler-Programm? rung bezogene Bedingungen der Richtigkeit. Null-Fehler-Programme sind Qualitätsprogramme: ◼ Sie sind primär outputorientiert; ◼ Mit ihnen wird der Zweck „Null Fehler“ verfolgt; ◼ Ein Null-Fehler-Programm ist zukunftsorientiert; ◼ Es erlangt seine Ausrichtung in der Zeit, also einer noch nicht bestimmten entscheidungsbedürftigen Zukunft; ◼ Da die Zukunft unbestimmt ist erfordert es Elastizität; ◼ Es sollte als Strategie aufgefasst werden, die im Laufe des Vollzugs aus gegebenem Anlass geändert werden kann. Poka Yoke und Risikoanalysen

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem ◀ Abb. 3.38: Auf dem Weg zum Null-FehlerProgramm

Qualitätsforderung (quality requirement) verlangte Beschaffenheit

Die Beschaffenheitsgestaltung steht im Zentrum. Auf sie konzentriert sich das Null-Fehler-Programm

Beschaffenheitsgestaltung

Qualität (quality) realisierte Beschaffenheit bezüglich Qualitätsforderung

Fehler (nonconformity) Nichterfüllung der Qualitätsforderungen

Null Fehler (zero defect) Erfüllung aller Qualitätsforderungen ▼ Null-Fehler-Programm

Mangel (defect) Nichterfüllung von anwendungsbezogenen Qualitätsforderungen

Abbildung 3.3.8 klärt die Voraussetzungen, um ein Null-FehlerProgramm als Strategie bestimmen zu können. Ausgehend von der Qualitätsforderung, die sich auch als verlangte Beschaffenheit bezeichnen lässt und die vom Management bestimmt werden muss, indem die Qualitätsforderungen der Kunden höchste Beachtung finden sollen, geht es um das ständige Bemühen der besten Gestaltung der Beschaffenheit (Beschaffenheitsgestaltung). Diese Bemühungen, die sich vielfältig ganz konkret in Produktionszusammenhängen niederschlagen, führen zu einem Ergebnis, der Qualität von Angebotsprodukten. Entspricht dieser Output nicht der verlangten Beschaffenheit, werden die Qualitätsforderungen folglich nicht erfüllt, spricht man von Fehlern. Diese können so schwerwiegend sein, dass sie als Mangel auftreten, also solche Forderungen betreffen, die den Anwendungsbezug nicht erfüllen, ja sogar schwer schädigend sein können. Ein NullFehler-Programm wendet sich gegen beides, die Vermeidung des Fehlers allgemein und in seiner spezifischen Ausprägung als Mangel. Es sollte als strategische Option des Managements begriffen werden. Shingo hat genau diese Struktur im Sinn, wenn er zur Null-FehlerProduktion sagt, dass sie durchgängig und allumfassend sein muss. Sie darf nicht à la Philip B. Crosbys Nachfolger als einmalige Null-FehlerKampagne begriffen werden, sondern muss programmatisch in der Produktion dauerhaft verankert werden. Sein auf Dauer und kontinu-

Null-Fehler-Programme sollten strategisch eingebettet werden. Sie ausschließlich als Anwendung von einer Qualitätstechnik zu begreifen verkürzt den Sachverhalt

Die in der Nachfolge von Crosby eingeführten Null-FehlerKampagnen haben begrenzte Wirkung

177

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

178

ierlich angelegtes Null-Fehler-Programm ist durch die folgenden drei Untertechniken charakterisiert: ◼ Fehlerquelleninspektion: Damit sollen die Fehlhandlungen an ihrem Ursprung entdeckt werden (Source Inspection, SI), bevor sie Fehler verursachen ◼ Hundertprozent-Prüfungen: Damit sollen alle Fehler erkannt und beseitigt werden. Zum Einsatz kommen einfache Poka YokeEinrichtungen ◼ Sofortmaßnahmen: Wenn eine Fehlhandlung entdeckt wird, muss der Arbeitsprozess sofort gestoppt und der Fehler beseitigt werden. Dann sind weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen zu entdecken und evtl. die erste Maßnahme zu revidieren. Natürlich ist die erste Technik, das Vermeiden von Fehlern, die effizienteste. Bei Hirano heißt es abschließend zum Fehlermanagement (1992, 18-19): „Wenn die Mitarbeiter aber motiviert und an der Verbesserung Hohe Mitarbeitermotivation hängt letztendvon Produkt und Prozess interessiert sind, können diese hilflich vom Management reichen Einrichtungen die Zahl der Fehler in beträchtlichem ab Umfang reduzieren. Die Verantwortung für eine erfolgreiche Null-Fehler-Produktion liegt letztendlich beim Management. Die Führungskräfte des Unternehmens müssen selbst eine Vision der erreichbaren Qualität ihrer Produkte haben. Sie müssen eine Unternehmenskultur und ein Umfeld schaffen, die alle Mitarbeiter dazu motivieren, sich diese Vision zu Anerkennung der eigen zu machen. Es bedeutet auf der untersten Ebene, die eigenen Erfahrungen Anerkennung der eigenen Erfahrungen der Mitarbeiter, die die der Mitarbeiter durch Arbeit ausführen, und die Schaffung von Wegen, über die sie das Managment ihr Wissen zum Ausdruck bringen können. Und vor allem das Aufrechterhalten einer Atmosphäre, in der sie es zum Wohle der Firmen formulieren wollen.“ Shingo plädiert für den kontinuierlichen Einsatz von drei Untertechniken von Poka Yoke

⟢⟡⟣ Da sich SMED umfassender anwenden lässt wäre „exchange of production“ angemessener gewesen“ Dies = Formpressen, mit denen z.B. Autotüren in die entsprechende Form gepresst werden

Single-Minute Exchange of Dies (SMED): Der Begriff lässt sich ins Deutsche wie folgt übersetzen: Werkzeugwechsel im einstelligen Minutenbereich. Wie sich heute zeigt, wäre der breitere Begriff Produktionswechsel angemessener gewesen. Als Shingo Ende der 1950er bis in die 1960er Jahre bei Toyota als Berater tätig war, überlegte er wie er den eklatanten Engpass der Produktionsnivellierung an der Stelle glätten könnte, wo die Rüst- und Einrichtezeiten sehr hoch waren. Dies war bei den Pressen (dies) der Fall, wo sich der Wechsel der Arbeitsmittel (Werkzeugwechsel) vollzog. Liker/Meier hierzu in ihrem Praxishandbuch (2007,100):

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

„Eine der großen Verluste geschieht während der Maschineneinricht- oder Umrüstzeiten. Die Prinzipien, die Shigeo Shingo erstmalig aufgestellt hat, und die als SMED bekannt wurden, können dazu verwendet werden, diese Zeiten drastisch zu verkürzen. Diese Methode, die auch unter der Bezeichnung ’schnelle Umrüstung’ bekannt ist, lässt sich immer dann anwenden, wenn Maschinen oder Anlagen von einem Zustand in einen anderen ’versetzt’ werden. Das kann ein komplettes Auswechseln der Werkzeuge beinhalten, Materialwechsel oder die Umrüstung auf ein anderes Produkt oder eine andere Konfiguration.“ Schon hier wird klar, dass die SMED-Technik nicht an die Autoproduktion gebunden ist. Außerdem wird verdeutlicht, dass es um die Vermeidung von Muda geht. Das wird unmittelbar einsichtig, wenn man sich das Bestreben vor Augen hält, die Zeit der Umrüstung bei der TMC zu verkürzen (Ohno 1992, 154): „Werkzeugwechsel werden schnell durchgeführt und mit zunehmender Erfahrung noch beschleunigt. In den vierziger Jahren dauerten sie zwei bis drei Stunden. In den fünfziger Jahren fiel der Zeitraum von einer Stunde auf 15 Minuten. Gegenwärtig ist die Umrüstzeit auf drei Minuten verkürzt.“ Shingo organisiert SMED wie folgt: ◼ Er trennt in solche Rüstvorgänge, die bei laufender Maschine parallel zur Hauptzeit ausführbar sind (OED = outside exchange dies) ◼ und solche, bei denen ein Maschinenstillstand notwendig ist (IED = inside exchange dies) Alle OED-Tätigkeiten kann man als vorbereitende Tätigkeiten interpretieren. Dazu zählt etwa die Bereitstellung der benötigten Materialien in Reichweite des Umrüstpersonals. Demgegenüber stellen die IED-Tätigkeiten den eigentlichen Werkzeugwechsel dar. (Vahrenkamp 2008, 257) Vahrenkamp weist darauf hin, dass sich die Senkung des Rüstvorgangs nicht in den organisatorischen Maßnahmen von SMED erschöpft, sondern dass weitere Möglichkeiten genutzt werden sollten und von Toyota auch genutzt werden (Vahrenkamp 2008, 257): ◼ „Konstruktive Vereinfachungen am Produkt. Bei der Entwiclung eines Produkts sind rüstarme Fertigungstechnologien zu

y„Früher hat man sehr viel Wert auf die Optimierung der Bearbeitungzeiten gelegt, den Rüstzeiten wurde dagegen wenig Beachtung geschenkt. Man sah das Rüsten als notwendiges Übel an und verfuhr mit den Planungsvorgaben für die Rüstzeiten recht großzügig. Heute haben dagegen die neuen Produktionskonzepte, die mit Lean Produktion umschrieben werden, zu einer deutlichen Senkung der Rüstzeiten geführt.“ (Vahrenkamp 2008, 182)

179

Was ist unter Rüsten zu verstehen? „Als Rüsten bezeichnet man den Vorgang, die Maschine auf die Fertigung eines neuen Teiles oder Loses einzurichten. Teil des Rüstens sind auch Probeläufe der Maschine.“

AP 1

Da steckt Muda drin! AP = Arbeitsplatz

Transport Warten

AP 2 Rüsten Bearbeiten

OED

IED

Konstruktive Vereinfachungen am Produkt

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

180

Technische Maßnahmen

Qualifikationsmaßnahmen

SMED bei Fluggesellschaften

SMED in weiteren Bereichen

berücksichtigen. Dieses kann durch Mehrfachverwendung der Teile in einem Baukastensystem geschehen und durch Bildung von Teilefamilien. Damit werden die Variabilität des Teilespektrums und die Forderungen an die Anzahl der Rüstvorgänge eingeschränkt. Das Einbringen von speziellem Fertigungswissen in den Konstruktionsprozess durch abteilungsübergreifende Projektgruppen des Simultaneous Engineering kann zu weiteren Einspraungen an Umrüstvorgängen beitragen. ◼ Technische Maßnahmen. Hierzu zählt die Ausrüstung des Umrüstpersonals mit Handhabungsgeräten und Meßwerkzeugen. Insbesondere ist die konstruktive Vereinfachung der Maschinen hervorzuheben, welche den Zeitaufwand beim Werkzeugwechsel merkbar absenkt. ◼ Qualifikationsmaßnahmen. Die Spezialisierung und das Training des Umrüstpersonals führt zur Verkürzung der zum Stillstand führenden IED-Tätigkeiten.“ Japanische Unternehmensberater scheinen sich gerade auf SMED spezialisiert zu haben. So wird berichtet, dass sie beim Hausgerätewerk der AEG in Kassel die Zeit zum Rüsten von Kunststoffspritzmaschinen von 60 auf 10 Minuten gesenkt haben. (Vahrenkamp 2008, 257) Es dürfte damit geklärt sein, dass die Verkürzung der Werkzeugwechselzeiten die Voraussetzung dafür sind, um einen schnellen Variantenwechsel und die Fertigung kleiner Losgrößen bei gleichzeitiger Senkung der Kosten und Durchlaufzeiten zu erzielen. Dem aufmerksamen Leser sollte eigentlich nicht entgangen sein, dass SMED eine Technik ist, die immer dann genutzt werden sollte, wenn es um Warten/Umrüsten geht. Auch andere Organisationen haben in ihren Prozessen Wartezeiten und Umrüstprobleme. So verdienen Fluggesellschaften ihr Geld mit Flugzeugen, die zum Einsatz gelangen und Passagiere befördern und nicht mit der Wartezeit am Flugsteig. Die Zeit zwischen der Landung und dem neuerlichen Start der Maschine ist auf jeden Fall aus der Sicht der Passagiere als Wartezeit zu bezeichnen, aus der Sicht der Flugorganisation zudem als Rüstzeit, in der das Flugzeug erneut für den Abflug in eine andere Destination eingerichtet und vorbereitet werden muss, bevor es abheben kann. In dieser Phase steckt Muda, für das der Kunde nicht bereit sein sollte zu zahlen. Wenn man darüber nachdenkt findet man sicherlich eine ungeheure Zahl von „Umrüstungssituationen“ in Prozessen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens, so zum Beispiel in Bildungseinrichtungen. ⟢⟡⟣

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

Shingo Prize: Im Jahr 1988, dem Jahr, als Dr. Shingo die Ehrendoktorwürde an der Utah State University verliehen wurde, wurde der Shingo Prize in den USA in der Nachfolge zum MBNQA als weiterer nationaler Qualitätspreis ins Leben gerufen. Im Jahr 2010 wurden erstmals Unternehmen ausgezeichnet. Indem dieser Quality Award seinen Namen trägt, wird Shingo Shigeo geehrt, der sich auch in den USA als Experte für Qualitätsmanagement, besonders das Toyota Produktionssystem, einen sehr guten Ruf erworben hat. Es handelt sich aber nicht nur um eine formale Ehrung im Sinne der Namensgebung, wie z.B. beim japanischen Deming Price, sondern auch um eine inhaltlich Berücksichtung seiner wissenschaftlichen Lehre, die zuletzt Shingo Shigeo posthum in seinem Alterswerk „The Shingo Production Management System“ im Englischen erschien. Da die Konstruktion des Shingo Pri- The Shingo Production ze wesentlich auf der Entfaltung der zehn Prinzipien beruht, sollen Management System 1990 jap. (1992 am.) diese zunächst erläutert werden (Abbildung 3.39). Man merkt beim

Shingos Prinzipien der operationalen Excellenz 1 Respect every individual

2

3

Lead with humility

Seek perfection

5

6

Flow and pull value

Embrace Scientific Thinking

4 Assure quality at the source

7

8

9

10

Focus on process

Think systemically

Create constancy purpose

Create value for the customer

Deutsch: 1. Respekt gegenüber jedem Menschen 2. Bescheidenheit vorleben 3. Nach Perfektion streben 4. Qualität von Anfang an 5. Fließ- und Zieh-Prinzip hoch einschätzen 6. Wissenschaftlichem Denken gerecht werden

7.

Prozessorientierung steht im Mittelpunkt 8. Systemisch denken, also analytisch und synthetisch denken, im Sinne wie die Dinge miteinander zusammenhängen, also in Wechselwirkung zueinander stehen 9. Beständigkeit in der Zielsetzung, langfristige Ziele verfolgen 10. Wert für den Kunden erzeugen

Quelle: http://translate.google.com/translate?hl=de&sl=en&u=http://www.shingoprize.org/&prev=/ search%3Fq%3Dwww.shingoprize.org%26hl%3Dde%26client%3Dsafari%26rls%3Den&sa=X&ei=JXA_UfumEMO0PMSu gcAF&ved=0CDgQ7gEwAA

◀ Abb. 3.39: Die zehn Prinzipien der operationalen Exzellenz nach Shingo Shigeo Der Begriff Exzellenz (von lateinisch excellere = hervorragend, ausgezeichnet) bezeichnet in der Ökonomie eine herausragende Qualität. Ein Produkt kann folglich exzellent sein, indem es sich durch besondere Qualitätsmerkmale auszeichnet. Operationale Exzellenz bezieht sich auf das konkrete Handeln einer Organisation. Es ist ein Systembegriff mit folgender Explikation: Überragende Praktiken in der Führung einer Organisation und beim Erzielen von Ergebnissen, basierend auf den Grundsätzen eines ausgewiesenen Modells wie dem des Shingo Prize.

181

182

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Lesen dieser Prinzipien sofort, dass sie dem japanischen Denken, wie es in der Kultur von Toyota zum Ausdruck gebracht wurde, verpflichtet sind. So ist schon das erste Prinzip elementar in den „Guiding Die zehn Prinzipien der Principles“ von Toyata von 1992/1997 (Abb. 3.30) verankert. Es ist operativen Exzellenz zielführend und steht über allen anderen Prinzipien, die im folgenden von Shingo Shigeo kurz erläutert werden: ◼ (2) Lead with humility: Auch dieses Prinzip hat seine Wurzeln tief in der japanischen Kultur. Es findet sich schon bei den Gründern von Toyota. ◼ (3) Seek perfection: Das Streben nach Perfektion ist ein Grundzug jeglichen Arbeitshandelns im TPS. ◼ (4) Assure quality at the source: Hierzu finden sich verschiedene Ansätze, wie zum Beispiel in der Gemba nach den Ursachen suchen oder die Abkehr von der Qualitätsprüfung am Schluss des Produktionsprozesses. ◼ (5) Flow an pull value: Auch das ist ein TPS-spezifischer Ansatz. ◼ (6) Embrace Scientific Thinking: Diese Forderung schließt eng an Shingos eigenes Production Management System an. Ihr ist dort ein Extrakapitel vorbehalten (Shingo 1992, 31-48), in dem eine wissenschaftlich begründende Darstellung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses dargelegt wird (Kapitel 5: A Scientific Thinking Mechanism for Improvement). ◼ (7) Focus on process: Prozessorientierung ist selbstverständlich. ◼ (8) Think systemically: Hier knüpft Shingo sogar an die moderne Systemtheorie an, wie die deutschen Erläuterungen zu Abbildung 3.39 verdeutlichen. ◼ (9) Create constancy of purpose: Dieser Punkt ist japanischer Denkart, aber auch dem strategischen Management verpflichtet. ◼ (10) Create value for the costumer: Kundenwert schaffen ist die Zielsetzung, die im Toyota Management System verfolgt wird. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Shingo in seinen zehn Prinzipien Kernaussagen formuliert hat, die Basis des vom TPS ausgehenden Lean Managements sind. Die Schöpfer des Shingo Price greifen hierauf in vielfältiger Weise direkt oder indirekt darauf zurück. Das Award-Modell, das dem Shingo Prize zugrundeliegt, zeigt Bewertung der einzelnen Module im Shingo Abbildung 3.40a. Das Modell teilt die Bewertungsmodule in vier MaPrize Modell nagementbereiche (Enablers = Befähiger) auf: ◼ Cultural Enablers (250 Punkte = 25%) ◼ Continuos Process Improvement (350 Punkte = 35%) ◼ Enterprise Alignment (200 Punkt = 20%) ◼ Results (200 Punkte = 20%) Die Prozentangaben zeigen die maximalen Bewertungen an, die durch die Assessoren (Examiners) vergeben werden können. Maxi-

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem

mal lassen sich 100% erreichen. Innerhalb der Module erfolgt eine Zweiteilung in „Guiding Principles“ und „Supporting Concepts“. Damit wird ausgedrückt, wie die vier Dimensionen zu operationalisieren sind, konkret auf welche Werkzeuge/Techniken bei der Umsetzung zurückgegriffen werden kann. Im Zentrum des Modells finden sich noch in Kreisform zentrale Managementbegriffe, die besonders im Lean Management von Bedeutung sind. Interessant ist, dass gerade das Modul „Cultural Enablers“ mit 25%, also 250 Punkten, sehr hoch eingestuft wird. Damit wird signalisiert, dass den „weichen Faktoren“

Results 20%

200 pt

Create Value for the Customer

20%

Measure what Matters Align Behaviors with Performance Identify Cause & Effect Relationships

Enterprise Alignment

200 pt

See Reality Focus on Long-term Align Systems Align Strategy Standardize Daily Management

Create Constancy of Purpose Think Systemically

Supply Operations

Management Customer Relations

Product & Service Development

35%

350 pt

Continuos Process Improvement

Focus on Process Embrace Scientific Thinking Flow & Pull Value Assure Quality at the Source Seek Perfection

25%

Stabilize Processes Rely on Facts & Data Standardize Processes Insist on Direct Observation Focus on Value Stream Keep it Simple & Visual Identify and Eliminate Waste No Defects Passed Forward Integrate Improvement with Work

Cultural Enablers

250 pt

Lead with Humility Respect Every Individual

Guiding Principles

Assure a Safe Environment Develop People Empower & Involve Everyone

Supporting Concepts

The Shingo Prize for Operational Excellence

www.shingoprize.org

◀ Abb. 3.40a: Das Modell des Shingo Prize für operationale Exzellenz: Das sog. Shingo House Die vier Dimensionen des Modells des Shingo Prize veranschaulicht im Shingo House: 1. Cultural Enablers 2. Continuos Process Improvement 3. Enterprise Alignment 4. Results

183

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

184 Abb. 3.40b: Der Managementprozess im Shingo Prize-Modell ▶

Management Systems

Work Systems

Work Systems

Work Systems

Improvement Systems

Kultur kann nicht einfach kopiert werden, sondern wird in einem Lernprozess erworben

hohe Bedeutung gegeben wird. Diejenige Organisation, die sich um den Preis bewirbt und in den kulturellen Enablers bereits viel investiert hat, kann hier sicherlich entscheidende Punkte erhalten. Hier, im kulturellen Bereich sind – wie bereits oben bei den Prinzipien von Shingo selbst (Abb. 3.30) – die Guiding Principles „Lead with Humility“ (also Bescheidenheit als Tugend) und „Respect every Individual“ die obersten Kategorien. Mit diesen Modellmerkmalen wird im Shingo Prize eindeutig die Nähe zum Konfuzianismus, von dem ja die Masse der Japaner stark beeinflusst sind, hier im Sinne der Frage nach einem richtigen Leben, betont. Unter den Supporting Concepts erscheinen konsequenterweise Systemmerkmale von Bildung und Ausbildung, also Training und Coaching. Die Unternehmen, die sich um den Shingo Prize bewerben, müssen die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Mitarbeiter überzeugend darlegen können. Die drei weiteren Enabler „Systems, Tools, Results“ werden hier nicht weitergehend betrachtet. Erläuterungen hierzu finden sich auf der URL zum Shingo Prize (www.ShingoPrice.org). Wichtig ist, dass die Results sich auf den Kunden beziehen, der Kundenwert sich also erhöht (adding value for customers). Zur weiteren Verdeutlichung wird noch der Managementzusammenhang dargestellt: Die Lenkung der Arbeitsprozesse, der Arbeitssysteme, wenn man so will, erfolgt einerseits durch Management- andererseits durch Verbesserungsprozesse, wie Abbildung 3.40b aufgezeigt wird. Besonders nachdrücklich wird der Frage nachgegangen, wie kulturelle Elemente angeignet werden können. Angeknüpft wird an Shingos Feststellung, dass Kultur nicht einfach kopiert werden kann, sondern seine Aneignung einen Lernprozess darstellt. Abbildung 3.40c (Fol-

y„Ein Business-Excellence-Modell stellt in erster Linie sicher, dass alle wesentlichen Input- und Output-Faktoren erfasst und zweckmäßig gemessen werden. Diese Indikatoren allein ergeben jedoch noch keine gute Unternehmensqualität: Erst der Wille, aufgrund dieser Indikatoren entsprechende Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen einzuführen und deren Wirkung sorgfältig zu überwachen stellt sicher, dass sich für das Unternehmen ein Erfolg einstellen wird.“ ( Fahrni, F.: Unternehmensqualität als dauerhafter Vorsprung. In: GDI Impuls, Winter 2007, 45)

3.6 Der Beitrag von Shingo Shigeo zum Toyota Produktionssystem ◀ Abb. 3.40c: Das Modell des Shingo Prize für operationale Exzellenz: Shingo Transformation Process

Individual Focus Core Values Anchored to

dr iv e

n e iv dr

Organisational Focus

ig al

affi rm

Guiding Principles

Results

Systems

e ev

hi ac

se le ct

en ab l

e

e fin re

Tools

geseite) zeigt den auf Shingo zurückgehenden Transformationsprozess. In der ersten Phase lernt ein Mitarbeiter die Werte einer anderen Kultur ganz individuell. Hierbei findet Lernen durch Imitation und Lernen am Vorbild statt. Weitere Lerntheorien können zur Interpretation genutzt werden (Hilgard and Bower: Theories of Learning 1980). Dieses individuelle Lernen muss von der Organisation unterstützt werden. Die Guiding Principles (Abb. 3.40 a+c), die ja in allen vier Phasen dimensioniert sind, bilden dabei die Fixpunkte, an denen sich das Handeln des Mitarbeiters ausrichten sollte. Das Lernen kultureller Standards erfolgt somit in der Interaktion von Person und Organisation. In Abbildung 3.40c wird auch der zyklische Charakter deutlich: Der Lernvorgang ist nie abgeschlossen. Er findet permanent im Kontext „Systems, Tools, Results and Guiding Principles“ statt und zwar nicht linear, sondern wechselseitig und zyklisch. Zur Evaluation werden beim Shingo Prize sog. Examiners eingesetzt. Um deren Wahrnehmungen einheitlich auszurichten sind mögliche Fragen vorgegeben. Zur Illustration seien hier beispielhaft fünf Fragen zu den Cultural Enablers angefügt: 1. Is on-the-job coaching in lean practices a daily part of the culture? 2. Is formal lean training and education ongoing and updated?

Korrespondenz zum Shingo House (Abbildung 3.40a): Die Guding Prinziples sind in allen vier Phasen dimensioniert: ◼ Cultural Enablers Lead with Humility Respect every Individ. ◼ Cuontinuos Process Improvement Focus on Process Embr. Scient. Thinking Flow & Pull Value Ass. Quality … Source Seek Perfektion ◼ Enterprise Alignment Create const. Purpose Think systemically ◼ Results Create Value for the Customer

Zur Evaluation werden beim Shingo Prize sog. Examiners (vergleichbar im EFQM-Modell mit den Assessoren) eingesetzt, die von vorgegebenen Fragekomplexen geleitet werden

185

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

186

Die vier Ausschreibungskategorien des Shingo Prize

Initiatoren und Adressen zum Shingo Prize

3. Is there a process flow where suggestions are processed quickly and feedback is received by the originator? 4. Is the organization a safe and clean workplace where safety and environmental standards are continually improving? 5. Does the recognition system focus on performance that encourages ideal behavior; and is it frequent, timely, and specific? Solche Fragekomplexe, die offene Antworten zulassen sind durchaus üblich bei den Exzellenz-Modellen. Nachdem der jeweils eingesetzte Examiner seine Bewertungsantworten notiert hat, kommt man untereinander zu einem Ergebnis, das dann quantitativ ausgedrückt wird (Assessment, Scoring Matrix). Der Shingo Prize wird in vier Kategorien ausgeschrieben: ◼ als „The Shingo Prize“ für Organisationen in allen Dimensionen ◼ als „Shingo Silver Medaillon“ für Organisationen, bei denen die kulturelle Ebene noch nicht ausgeprägt ist. Es sind die sog. „Advanced“, die noch an den kulturellen Enablers arbeiten. ◼ als „The Shingo Bronce Medaillon“ für Organisationen, die in den Kategorien „Culture“ und „Improvement“ noch keine ausreichenden Ergebnisse vorweisen können. Es sind die sog. „Beginner“. ◼ als „The Shingo Research and Professional Publication Award“ für Autoren, die zur operationalen Exzellenz und zum Lean Management besondere Beiträge publiziert haben. Die Gewinner des Shingo Prize kommen bisher aus folgenden Ländern: USA, Mexiko, Brasilien, China, Indien, Dänemark. Der Award kennt somit keine Ländergrenzen. Zu den Initiatoren des Shingo Prize: Der Prize selbst ist ein Produkt der Jon M. Huntsman School of Business, einer Institution der Utah State University, 3521 Old Main Hill (USA). Die URL lautet: www.shingoprize.org Für Europa ist die Anlaufstelle für den Shingo Prize: The Manufacturing Institute London, UK Eilish Henry +44 161 875 2513 [email protected] ⟢⟡⟣

Zusammenfassung Shingo Shigeo

Zusammenfassend ist folgendes festzustellen: Shingo Shigeo hat sich nicht nur als Berater, sondern auch als Wissenschaftler einen Namen gemacht. Neben den von ihm entwickelten Lean ManagmentKonzepten Poka Yoke und SMED hat er für den operativen Bereich eine Vielzahls an Tools entwickelt. Im Focus seiner Bemühungen um

3.7 Die Toyota Kata nach Mike Rother

eine Fortentwicklung des TPS stand eine Systemkonzeption, die in seinem Buch „The Shingo Production Managment System“ formuliert wurde. Auf dieser und der Basis seiner zehn Prinzipien zur operationalen Exzellenz wurde in den USA an der Utah State University das Modell des Shingo Prize for Operational Excellence konzipiert. Das Modell basiert auf vier Enablern, Cultural Enablers, Continuos Process Improvement, Enterprise Alignement und Results und zielt auf eine internationale Zielgruppe an Organisationen, die sich der Umsetzung des Lean Managements verpflichtet fühlt, wohl wissend, dass dies nicht ohne eine Transformation der kulturellen Faktoren möglich ist. Deshalb ist es bemerkenswert, dass im Vergleich zu anderen Quality Awards hier der Ausgangspunkt der Umsetzung gesehen wird. Der 1988 eingeführte Shingo Prize wird seit 2010 jährlich in vier verschiedenen Kategorien verliehen.

187

siehe auch: http://change-kultur.de

„Was ich lehren will, ist: von einem nicht offenkundigen Unsinn zu einem offenkundigen übergehen.“ (Ludwig Wittgenstein)

3.7

Die Toyota Kata nach Mike Rother

Wichtig für den dauerhaften Erfolg eines Unternehmens ist nicht die geschickte Anwendung willkürlich ausgewählter Toyota-Techniken, sondern eine mentale Grundhaltung, die sogenannte Kata. Nur wer sie versteht und beherrscht, vermag die Prinzipien des Toyota Management-Systems angemessen umzusetzen. So klingt es oft vielversprechend durch, wenn Mike Rother seine Idee von der Toyota Kata propagiert. Das Buch des Deutschamerikaners, der bei Thyssen einst als Ingenieur tätig war, „Die Kata des Weltmarktführers“, erschien 2009 gleichzeitig in englischer wie auch in deutscher Sprache. Seine Ausführungen darin sind wohl weitestgehend Ausfluss von eigenen Beobachtungsstudien bei Toyota selbst. Fachliteratur wird in einem Verzeichnis genannt, aber nicht explizit zitiert. Das Buch wendet sich vor allem an diejenigen, die genauer wissen wollen, was es mit dem Erfolg von Toyota auf sich hat, um daraus Konsequenzen für das eigene Vorgehen in der Organisation zu ziehen. Kata ist ein Wort aus dem Japanischen und bedeutet zunächst Form, Prägeform. Die Kata bildet die mentale Trainingsbasis in den japanischen Kampf- und Darstellungskünsten (Budõ). Mit einer Kata werden mentale Prozesse bezeichnet, die sich motorisch umsetzen und über Generationen zwischen Meister und Schüler tradiert werden.

y „Die Kata wurde in der Vergangenheit von den großen Meistern des Kampfes mit der leeren Hand auf Okinawa, der Wiege des Karatedo, geschaffen.“ (Roland Habersetzer)

▲ Mike Rother (1958*-heute) Ingenieur und Pädagoge Sein Buch über Denken und Routinehandeln in Organisationen ▼

188

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Allgemein handelt es sich um eine sich wiederholende Handlungsroutine, die mental gesteuert wird, die sich auf kein starres Handlungsmuster bezieht, sondern flexibel Situationen in einem Handlungskontext antizipiert, und die so den Menschen in die Lage versetzt, auf gänzlich unterschiedliche Situationen angemessen zu reagieren. Diese abrufbare Reaktionsweise, die ursprünglich auf eigene Körperbewegungen Die klassische Kata des Karatedô (Quelle: Roland mit der („leeren“) Hand beruht, muss intensiv trainiert werden, daHabersetzer: Koshiki Kata. mit sie im geforderten Moment zum Zuge kommen kann. Die Kata Chemnitz 2009, 85) ist allerdings kein Begriff, der ausschließlich einer Kampfkunst eigen ist. So bezieht sich eine Kata auf Karate, Judo oder andere Künste des japanischen Sports. Man spricht dann beispielsweise von der KarateIm übertragenen Sinn Kata. Hieran anknüpfend ließe sich im übertragenen Sinn (modern werden Routinen von gedacht) von einer Verkaufs-Kata sprechen, wenn es sich um VerDialogen und Praktikaufssituationen handelt oder um eine Lehr-Kata, wenn jemand anken Kata genannt. Sie deren etwas lehrt. Im umgekehrten Sinn auch von einer Lern-Kata, werden verwendet, wenn „Lerner“ sich etwas aneignen. Diese Beispiele lassen allerdings um Kreativität, Anpasdie Motorik eher in den Hintergrund treten. Es geht sehr viel mehr um sung und Innovation interaktive Prozesse des Kommunizierens. Es ließe sich folglich eine als tägliche Erfahrununendliche Vielzahl an Katas kreieren. Die Frage ist nun, ob es sich gen bewußt und dem lediglich um ein Etikett handelt oder ob der Kreator solcher Konzepte Üben zugänglich zu machen. wirklich versucht hat, Sinn, Bedeutung und Transformation auf einen anderen Objektbereich als den der japanischen Kampfkunst zu beziehen. Schließlich gibt es auch viele Autoren, die es mit dem Begriff „lean“ nicht so genau nehmen. Im so betrachteten Bereich hat Rother den Begriff genutzt, um einerseits das konkrete Tun, das Verbessern von Prozessen, andererseits das Lehren/Führen von Menschan (er nennt es Coachen) paradigmatisch als Kata zu begreifen (Abbildung 3.41): ◼ Mit der Verbesserungs-Kata werden die organisatorischen Prozesse kontinuierlich verbessert und somit weiterentwickelt. ◼ Mit der Coaching-Kata als Denk- und Handlungsroutine, wird die Über die Zeit wird zweckmäßige Anwendung der Verbesserungs-Kata den Mitarbeidie Kata weitergegetern nahegebracht. ben, vom Lehrer zum Die Coaching-Kata stellt somit eine interaktive Führungstechnik Schüler, von Generatidar, während die Verbesserungs-Kata problem- und lösungsorientiert on zu Generation. So auf das Arbeitshandeln ausgerichtet ist. In beiden Fällen geht es aber könnte es auch bei der „Verbesserungs-Kata“ nicht darum „einmal gelehrt und dann sitzt es!“, sondern um das permanente Einüben und Anwenden von Handlungsweisen. Es geht gesein, die tief in der Unternehmenskultur wissermaßen um den „achten Sinn“, der sich bisher nicht so einfach verankert sein muss. aus Toyota-eigenen und -externen Beschreibungen erschlossen hat. Aus der Perspektive Mike Rother beansprucht für sich nicht weniger, als endlich die Geder Unternehmensheimnisse, die um Toyotas Erfolgsmethoden ranken, gelüftet zu hakultur ist die Kata ein ben. Dreh- und Angelpunkt sind die beiden Kata. Wert.

3.7 Die Toyota Kata nach Mike Rother

189

◀ Abb. 3.41: Was eine Kata ist und die beiden Kata-Typen mental des Lean Manageunterments schiedliche ◼ motorisch Eine Kata stellt eine Situationen Folge von Bewegungen dar, die in ihrer handeln Gesamtheit bis ins letzte Detail auf das konsistentes Handlungsmuster, ◼ kommusorgfältigste kodifiziert das tradiert wird nikativ wurden. Immer wird sie auf die gleiche Weise und in die gleichen Verbesserungs-Kata Richtungen ausgeführt. Die Kata gleicht ◼ Wenn Füh- einem Kion (= BasisVerbesserungsrungskräfte energie [Ki = Energie, routinen Führungs- die Verbeshon = Basis]), indem routinen serungs-Kata die innere Energie optrainieren, timal genutzt wird. Es sorgen sie für gilt die Möglichkeiten, Coaching-Kata deren Tradie- die eine Kata über die rung des bloßen Kampfes hinaus bietet, auszuloRother löst den Begriff Kata relativ umstandslos aus dem Kontext ten, indem man darüder japanischen Kampfkunst heraus. Er sieht die Kata als übergeord- ber hinausgelangt.

KATA = festgelegte Form

neten Begriff innerhalb eines Rahmens von folgenden Grundbegriffen der Toyota-Kata (http://www-personal.umich.edu/~mrother/ Materials_to_Download_files/Definitions.pdf): ◼ Management: The systematic pursuit of desired conditions by utilizing human capabilities in a concerted way (= Systematisches Anstreben erwünschter Zustände durch den konzentrierten Einsatz menschlicher Fähigkeiten). ◼ Capability or Skill: The ability to do something well. For example, the ability to work through problems to achieve a challenging objective. ◼ Skill Development: Practicing of routines, often with coaching guidance. ◼ Kata: A specific routine or method that is practiced to develop particular skills and mindset. A routine that is practiced and used time and again, whereby it becomes second nature. ◼ The Improvement Kata: Toyotas fundamental routine for improving and evolving throughout the organization. ◼ The Coaching Kata: The way the improvement kata is taught at Toyota.

Toyotas eigentliches Erfolgsgeheimnis ist nicht nur in Methoden wie Kanban, Poka Yoke, Heijunka zu suchen, sondern in der Fähigkeit, ständig zu reflektieren und schnell auf unvorhersehbare aber lehrreiche Ereignisse auf dem Weg zu neuen Performance-Levels zu reagieren. Das heisst: adaptives Verhalten entwickeln indem in experimenteller Vorgehensweise Schritte hin zu neuen erwünschten Zuständen angegangen werden.

190

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Die Terminologie deckt sich nicht unbedingt mit jeder Managementlehre, soweit sie sich um ein Verständnis des TPS bemüht hat. Der Begriff Improvement Kata ist bisher weder in der Fachliteratur noch in Toyotadokumenten aufgetaucht, ebenfalls nicht die Coaching Kata. Die Terminologie ist folglich eine Neuschöpfung des Autors, der betont, dass es sich um einen wissenschaftlichen Ansatz handelt, den er bei Toyota realisiert sieht (Rother 2009, 170): Zur Verbesserungs„In Toyotas Verbesserungs-Kata geht es darum Menschen Kata ein standardisiertes, bewusstes ‚Mittel‘ beizubringen, um das Wesentliche an Situationen erkennen und wissenschaftlich darauf reagieren zu können.“ Und weiter an anderer Stelle (Rother 2009, 33): „Bei näherer Betrachtung ist der Toyota-Weg weniger durch seine Werkzeuge oder Prinzipien charakterisiert, als durch Vorgehenssequenzen – Denk- und Verhaltensmuster –, die, wenn sie in der täglichen Arbeit beständig wiederholt werden, zum gewünschten Ergebnis führen. Diese Muster sind der Kontext, in dem die Werkzeuge und Prinzipien von Toyota entwickelt werden und wirken. … In Japan werden solche Muster oder Routinen Kata genannt. Das Wort stammt von grundlegenden Bewegungsformen im Kampfsport ab, die über Die Kata wird vom Generationen hinweg vom Meister an den Schüler weitergegeMeister an den Schüler ben werden. Einige übliche Übersetzungen oder Definitionen weitergegeben für das Wort „Kata“ sind: ◼ Art und Weise, etwas zu tun; eine Methode oder Routine, ◼ Muster ◼ Standardform der Bewegung, ◼ vorbestimmte oder choreografierte Sequenz von Bewegungen, ◼ übliche Prozedur, ◼ Trainingsmethode oder Übung. ◼ … Art und Weise, zwei Dinge miteinander in Einklang zu bringen und zu halten.“ Diese Explikationen sind sehr unterschiedlicher Natur. So werden einerseits völlig verschiedene Sachverhalte aufgezählt, andererseits bilden sie ein breites Spektrum dessen, was eine Kata sein kann. Die Art und Weise, etwas zu tun, Techniken anzuwenden, Wissen weiterzugeben etc. ist etwas völlig anderes als ein Muster oder ein Übung. Techniken sind benannt und eingeführt, doch das WIE bleibt im Verborgenen (Rother 2009, 23): „Toyotas Praktiken sind auf unsichtbare Denk- und Handlungsroutinen im Management aufgebaut.“

3.7 Die Toyota Kata nach Mike Rother Situation IST

P

Ziel SOLL

Wenn wir meinen, dass dieser Bereich klar sei, dann befinden wir uns im Irrtum. Es handelt sich um einen blinden Fleck!

Wir sind hier

C

◀ Abb. 3.42: Kata - Problemskizze (verändert und ergänzt um den PDCA in Anlehnung an Rother 2009,26)

Wir wollen hier sein

Unklares Terrain

D

191

A

A C

P D

Kann dieses Unsichtbare im Denken und Handeln sichtbar gemacht werden? Rother zeigt am Beispiel des kontinuierlichen Verbesserns, dass es eine „Grauzone“ gibt (Unklares Terrain in Abbildung 3.42), wenn man einen Weg von A nach B geht. Auf diesem Weg gibt es vieles zu entdecken, aber auch Hindernisse und Probleme zu bewältigen (Rother 2009, 26): „Das ist gemeint, wenn in diesem Buch von kontinuierlicher Verbesserung und Adaption die Rede ist: Die Fähigkeit sich durch unklares und unvorhersehbares Terrain in Richtung eines gewünschten Zustands zu bewegen, indem man sensibel für aktuelle Verhältnisse am Ort des Geschehens ist, und entsprechend darauf reagiert.“ Wenn man diese Aussagen mit der im QM als Standard des Verbesserns eingeführten Qualitätstechnik des PDCA-Circle (Deming) konfrontiert, lässt sich sofort erkennen, welche Unterstellung Rother im Kontext des Qualitätsmanagements vornimmt: Verbessern als Technik und Anwendung des PDCA reicht nicht für die Erklärung: Zwischen „Wir sind hier“ und „Wir wollen hier sein“ tut sich eine Kluft auf, die es zu überbrücken gilt. Es lässt sich unmöglich voraussagen, was sich auf dem Weg zum Ziel (SOLL) tut. Der KVP ist folglich ein riskantes Unterfangen. Was dabei herauskommt, was wir erreichen werden, ob wir die Zielstellung erfüllen werden, ist nicht bestimmbar. Es muss davon ausgegangen werden, dass es gerade wegen der Dynamik, in der sich Unternehmen befinden, versucht werden muss schon im operativen Bereich eine Balance zwischen der „Art und Weise, zwei Dinge miteinander in Einklang zu bringen und zu halten“, erreicht werden muss. Zwischen P und A, um auf Demings Zyklus Bezug zu nehmen, sind verschiedene Wege gangbar. Abbildung 3.43 zeigt dies am Beispiel der Vision von Toyota für den Produktionsbereich: Vier

Die Fähigkeit sich durch unklares und unvorhersehbares Terrain in Richtung auf einen gewünschten Zustand zu bewegen.

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

192 Abb. 3.43: Kata Vision von Toyota als Ziel (ergänzt um den PDCA-Zyklus in Anlehnung an Rother 2009, 29) ▶ Den Zielzustand verinnerlichen:

Wir sind hier und Wir wollen hier sein und Wir wollen hier bleiben

Situation IST

A C

P D

Wir sind hier

Unklares Terrain

SOLL: Ziel der Vision von Toyota „True North“

Wir wollen hier sein  Null Fehler  100 Prozent Wertschöpfung  One-Piece-Flow, in Abfolge und als Forderung  Sicherheit für Menschen

Unterschied zwischen Ziel und Zielzustand

Zielbereiche und kein Ziel ist hundertprozentig zu erreichen, aber als Ziel, als ständige Aufgabe ist es eine perfekte Vision, die zwar scheinbar ein Dilemma darstellt, aber wenn man sie als Herausforderung erkennt, ist es genau das, was eine Vision sein soll, ein permanenter Auftrag, ohne dass man sich des Auftraggebers (eigentlich der Kunde) bewusst wird. Psychologen würden sagen, dass ein Zielzustand verinnerlicht wurde. „Es ist wichtig, den Unterschied zwischen einem Ziel und einem Zielzustand zu kennen. Ein Ziel ist ein Ergebnis, während ein Zielzustand eine Beschreibung ist, wie und nach welchem Muster ein Prozess funktionieren soll, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.“ (Rother 2009, 113) Die „Haupt-Kata“ bei Toyota ist die soeben beschriebene Verbesserungskata, die zweite Kata ist die Coaching-Kata, bei der es darum geht die sich wiederholende Routine jedem Mitarbeiter der Organisation beizubringen. Die Coaching-Kata ist aber mehr als Mittel zum Zweck. Sie sorgt für die Tradierung der Verbesserungs-Kata. Das ist natürlich eine Kernaufgabe der Führungskräfte. Allgemein ist damit die Verbesserungsfähigkeit gemeint, aber nicht auf die Person bezogen, sondern als organisatorischer Begriff, was meint

improvement capability

Verbesserungsfähigkeit der Organisation = improvement capability Genau wie der Begriff der „quality capability“, bei dem es sich ja auch um einen organisationalen Begriff handelt, geht es bei der Verbesserungsfähigkeit einer Organisation darum, diejenigen Dimensionen/Merkmale zu bestimmen, die die „improvement capability“ ausmachen. Würdigung: An diesem Punkt angekommen heisst es zu überlegen, ob sich der von Rother beschriebene – speziell auf Toyota bezogene – Kata-Ansatz nicht in ein existierendes Managementkonzept integrieren lässt. Sicherlich wäre das durchaus möglich, fern jeglicher Aufladung durch einzuführende spezielle Begrifflichkeiten der japa-

3.7 Die Toyota Kata nach Mike Rother

nischen Kampfkunst. Was Rother im Einzelnen darlegt sind wichtige Aspekte einer lernenden Organisation, wie sie klassischerweise Pete Senge und Chris Argyris beschrieben haben, etwa wenn Argyris/Schön erläutern: „Jedes Organisationsmitglied macht sich ein eigenes Bild von der handlungsleitenden Theorie des Ganzen, das jedoch immer unvollständig ist. Unablässig versucht der Betreffende, sein Bild dadurch zu vervollständigen, dass er sich mit Bezug auf andere in der Organisation neu beschreibt. Wenn die Bedingungen sich ändern, verfasst er seine Beschreibung neu; andere Personen handeln ähnlich. Es kommt zu einer ständigen mehr oder weniger abgestimmten Verknüpfung der Bilder der einzelnen von ihrer Aktivität im Rahmen ihrer gemeinsamen Wechselbeziehungen.“ (Argyris/Schön 1999, 30f) Die generalisierende Beschreibung einer Kata erfolgt auf der Basis eines anderen Sprachspiels, nämlich dem der lernenden Organisation. Und die Ist-/Soll-Diskrepanz wird auch deutlich herausgearbeitet (31): „Organisationales Lernen findet statt, wenn einzelne in einer Organisation eine problematische Situation erleben und sie im Namen der Organisation untersuchen. Sie erleben eine überraschende Nichtübereinstimmung zwischen erwarteten und tatsächlichen Aktionsergebnissen und reagieren darauf mit einem Prozess von Gedanken und weiteren Handlungen; …“ Alter Wein in neue Schläuche gegossen, könnte geschlussfolgert werden, wenn man sich der Bedingungen vergewissert, wie sie für lernende Organisationen typisch sein sollen. Algedri/Frieling fassen das Bedingungsgefüge zusammen (Algedri/Frieling 2001, 33f): ◼ „klare Visionen, gemeinsame Zielsetzungsprozesse, Orientierung am Nutzen der Kunden ◼ Kooperations- und Konfliktlösungsfähigkeit, wechselseitiges Vertrauen und Teamgeist ◼ Prozessorientierung und Selbstregulation in Gruppen ◼ partizipativer Führungsstil, Unterstützung neuer Ideen (vor allem durch die Führung), Ideenmanagement, Integration von Personal- und Organisationsentwicklung ◼ Belohnung von Engagement und Fehlertoleranz bei riskanten Vorhaben ◼ Fähigkeit zur (Selbst-) Beobachtung und Prognose (sehr gut funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme – rascher und genauer Überblick über die Wirkung der wichtigsten Prozesse).“

193 Kata und Lernende Organisation

Bedingungsgefüge Lernende Organisation

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

194

All das sind typische Merkmale sowohl der Toyota-Kata (wenn auch der Sprachductus bei Mike Rother ein anderer ist) wie auch von lernenden Organisationen. Wir haben es also bei der Verbesserungskata mit dem speziellen Fallbeispiel der Lernenden Organisation zu tun. Dies wurde auch bereits bei den 14 Prinzipien des Toyota-Wegs erkannt (Abbildung 3.36, dort Punkt 14): „Werden Sie durch unermüdliche Reflexion (hansei) und kontinuierliche Verbesserung (kaizen) zu einer wahrhaft lernenden Organisation.“ Meta-Technik Sub-Techniken

Sokrates

Die Mitarbeiter sind die kompetenten Problemlöser vor Ort

Vom Kata-Himmel auf die Erde zurück: Wenn wir diesen Abschnitt noch einmal Revue passieren lassen, der damit begonnen hat, zum Begriff der Kata vorzustoßen, so sehen wir nun, dass es sich um eine Meta-Technik handelt, die sich auf sehr wohl bekannte SubTechniken bezieht: Verbessere die Prozesse mithilfe des PDCA-Technik, standardisiere sie dann über den SDCA-Zyklus und folge wiederum Kaizen. Erreiche nie einen Abschluss, folge dem zyklischen Pfad. Frage immer nach dem Ziel, verinnerliche das Ziel und gib keine vorschnellen Lösungen, folge konsequent dem Pfad. Bei der Ursachenanalyse frage fünfmal Warum? Dabei befindet sich auch das Management in einer „sokratischen Position“: Es weiß, dass es nichts weiß, es führt indem es coacht. Seine Lösung ist eine unter vielen, keineswegs die beste, die Musterlösung, der alle nacheifern sollen, denn die Mitarbeiter sind die kompetenten Problemlöser vor Ort, die auf der Basis standardisierter Prozesse weitere Verbesserungen entwickeln und vorschlagen. Zweifellos ist es das Verdienst von Mike Rother einen Begriff wie den der Kata in die Managementlehre einzuführen. Er wird sich wohl in der Praxis durchsetzen, ein japanisches Wort mehr. Wenn er im wissenschaftlichen Kontext als Meta-Technik begriffen wird, wird er seinen Zweck erfüllen und für mehr Transparenz sorgen. So würde er als Oberbegriff zu der Vielzahl an Sub-Techniken fungieren (Kap. 4).

y

„Vic Goodridge lässt eine Hand voll Schrauben zum x-ten Mal in die kleine rote Box vor sich fallen. Sein japanischer Trainer aber ist immer noch nicht zufrieden. Noch einmal zeigt er dem Briten, wie genau sich die Hand in den weißen Handschuhen bewegen soll, wenn sie die Schrauben fallen lässt – noch einmal imitiert Goodridge die Bewegung. So geht es schon seit einer halben Stunde: Schrauben fallen lassen und Schrauben an einer Wand mit einem Akkuschrauber anziehen. Jeder noch so simple Handgriff wird hier, im Global Production Center von Toyota Motors, so lange geübt, bis er sitzt – ’im richtigen Takt’.“ – Quelle: Bastian, Nicole: Lernen im Tai-ChiTakt. In: Handelsblatt vom 22.09.204)

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow „Durch eingehende Untersuchung habe ich festgestellt, dass Utopia jenseits der Grenzen unserer Welt liegt.“ (Guillaume Budé)

3.8

Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

Wertstromdesign scheint sich als ein Thema der neueren LeanDiskussion durchzusetzen, doch genau besehen basiert es auf dem TPS, wie Ohno bemerkt, als er den kontinuierlichen Fluss anspricht (1993, 60): „So unterrichteten wir bis zur Ölkrise unsere Partner über Toyotas Produktionsverfahren und konzentrierten uns darauf, wie wir in einem kontinuierlichen Fluss möglichst …“ Begrifflich sprach Ohno noch sehr oft vom Arbeits- und Fertigungsfluss. Gemeint hat er aber immer die Kombination Wert + Fluss, den Value Flow (Ohno 1993, 149): „Arbeitsfluss bedeutet, dass der Wert des Produktes bei jedem Arbeitsgang erhöht wird.“ Und in den viel bemühten Sätzen (1993, 15, 35): „Alles, was wir tun, ist, den Zeitzhorizont nicht aus den Augen zu verlieren …, von dem Augenblick an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zu dem Moment, in dem wir das Geld kassieren. Und wir verkürzen diesen Zeithorizont, indem wir alles Überflüssige beseitigen.“ … „Die einzige Frage ist, ob das Produkt für den Käufer einen Wert besitzt oder nicht.“ Es ging Ohno also immer um den Wertschöpfungsfluss, oder besser Wertschöpfungsstrom, kurz den Wertstrom, wie es heute oft heißt. Das Denken von Ohno fortgesetzt und diese Terminologie erstmals eingeführt zu haben ist das Verdienst der bereits aus Kapitel 2.2 bekannten Autoren James P. Womack und Daniel T. Jones, die in ihrem Buch „Lean Thinking“ (in der deutschen Fassung zunächst als Untertitel, dann ab 2004 auch als Haupttitel), das Konzept des Wertstromdesigns begründeten, indem sie damit begannen, zu fragen was denn unter Wert zu verstehen sei. Nach der Schilderung vieler Beispiele ist festzuhalten (Womack/Jones 2003, 463): Wert ist „… eine rechtzeitig und zu einem annehmbaren Preis an den Kunden gelieferte Leistung, die in jedem Fall durch den Kunden definiert wird.“ Mit diesem Punkt der Wertbestimmung beginnen konsequenterweise die fünf Schlüsselprinzipien des Lean Thinking, wie sie in Abbildung 3.44 (Folgeseite) dargestellt sind.

Ohnos Vorstellung von einem kontinuierlichen Fluss

Die einzige Frage ist, ob das Produkt für den Käufer einen Wert besitzt oder nicht

▲ Womack/Jones: Lean Thinking Das Standardwerk des Wertstrommanagements, inzwischen (2013) in neuer Auflage

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

196 Abb. 3.44: Die fünf Schlüsselprinzipien des Lean Thinking (Quelle: Womack/ Jones 1997, 9) ▶ 3

1

We rt a us de rP ers 4 pe Pu kti ll ve

g un ech rbr nte eU en hn aff wo ch Flo ns de un sK de

2 Wertschöpfungsstrom

5 Perfektion: Muda eliminieren

Die fünf Schlüsselprinzipien des Lean Thinking

1 Genaue Spezifikationen des Wertes durch das spezifische Produkt 2 Identifikation des Wertschöpfungsstroms für jedes Produkt 3 Flow des Wertes ohne Unterbrechung 4 Pull des Wertes durch den Kunden beim Produzenten 5 Streben nach Perfektion

 Genaue Spezifikation des Wertes durch das spezifische Produkt Die Wertbestimmung setzt voraus, dass man sich im Klaren darüber ist, welche Einheit betrachtet werden soll. Hier ist es das Antizipieren des WerProdukt, das sich im Wertstrom befindet und auf das sich dann tes aus der Sicht des alle folgenden Prinzipien zu beziehen haben. Beim jeweiligen Kunden und sukzessive Produkt ist der Wert aus der Sicht des Kunden zu definieren und prüfen, ob die Proentlang des Wertstroms zu prüfen, ob die Produktmerkmale auch duktmerkmale auch wirklich den Forderungen des Kunden entsprechen. Das Produkt wirklich den Fordemuss der Kunde zur rechten Zeit am rechten Ort entsprechend rungen des Kunden den Kundenforderungen zur verlangten Qualität zum akzeptabentsprechen, wenn der Wertstrom verfolgt len Preis erhalten. Die Zielsetzung Wert ohne Muda zu schaffen wird ist zu verfolgen. 2 Identifikation des Wertschöpfungsstroms (für jedes Produkt) Genau genommen geht es sowohl um die Identifikation und die Analyse des Wertschöpfungsstroms. Dazu zählen alle erforderlichen Tätigkeiten, um ein definiertes Produkt entlang des Wertschöpfungsstroms unter dem Aspekt der Produktentwicklung, des Informationsmanagements und der physikalischen Transformation vom Rohmaterial bis zur Fertigstellung zu verfolgen, bis es in den Händen des Kunden ist und genutzt wird. Je nach Produkt

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

macht es Sinn die gesamte Nutzungsphase bis zum Recycling zu verfolgen. Die Wertstromanalyse zeigt dann wie der Wertstrom durch die Organisation verläuft und wer welche Tätigkeiten verrichtet. So ist es möglich genau diejenigen Ressourcen zur Unterstützung bereitzustellen und das Produktionssystem gezielt auf den Kundennutzen auszurichten. Das impliziert als wesentlichen Punkt die wichtige Erkenntnis, an welchen Stellen Muda entstanden ist und wie es vermieden und eleminiert werden kann (siehe hierzu besonders Kapitel 1.3.6 , 3.3. und 3.3.7). Den organisatorischen Rahmen bildet nicht nur die Einzelfirma, sondern ein Unternehmensnetzwerk wie es in globalisierten Branchen normal ist. Hier sorgt ein solches Vorgehen für Transparenz hinsichtlich aller Schritte entlang des Wertstroms. Jedes Unternehmen ist in der Lage zu prüfen, ob die anderen Unternehmen in Übereinstimmung mit den vereinbarten Regeln handeln. 3 Flow des Wertes ohne Unterbrechung Aus der Perspektive des im Entstehen begriffenen Produkts wird dem Flow (Fluss) des Wertstroms nachgegangen. Unnötige Zwischenlager und Puffer werden genauso erkannt wie Engpässe. Sie würden nur lange Durchlaufzeiten erzeugen. Regelhaft und sehr anschaulich schildern Womack/Jones das Flow-Prinzip (2003, 63):

„Wir wollen noch einmal den entscheidenden Sprung zum Verständnis des Denkens in Wertschöfpungsströmen herausstellen: Hören Sie auf damit, aggregierte Aktivitäten und isolierte Maschinen in den Vordergrund zu rücken …. Fangen Sie an, alle spezifischen Handlungen ins Auge zu fassen, die zur Herstellung spezieller Produkte erforderlich sind, um herauszufinden, wie sie miteinander zusammenhängen. Dann stellen Sie diese Tätigkeiten in Frage, die einzeln und in Kombination tatsächlich für den Kunden keinen Wert erzeugen oder ihn nicht optimieren.“

Zur Risikobereitschaft beim Flow-Prinzip äußert sich Erlach abschließend (2010, 153): „Qualitätsprobleme und Störungen werden in einer Fließfertigung schnell erkennbar – und nötigen auch zu entsprechend rascher Reaktion. Das Produzieren erscheint dadurch riskanter, dass Störungen nicht durch Bestände aufgefangen werden können. Umgekehrt gibt es aber auch keine Bestände, die größere Mengen zunächst unerkannter Schlechtteile enthalten, die dann wiederum bei Bedarf doch nicht der Weiterbearbeitung zur Verfügung stehen. Wie auch immer, entscheidend ist, dass die Fließfertigung beide Problembereiche sichtbar macht und so erst den Druck erzeugt, Prozessverbesserungen einzuführen. Im anderen Fall lassen sich diese Verschwendungen allzu leicht in den Beständen verbergen.“

Muda eleminieren

Flow: „Das progressive Erreichen von Aufgaben entlang der Wertschöpfung, damit ein Produkt von der Konstruktion bis zur Einführung, vom Auftrag bis zur Auslieferung und vom Rohmaterial bis in die Hände des Kunden ohne Unterbrechungen, Ausschuss oder Rückfluss fortschreitet.“ (Womack/Jones 2003, 455)

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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4 Pull des Wertes durch den Kunden beim Produzenten Vom Kunden aus gesehen werden die Teile durch die Produktion gezogen, so muss man sich das Pull-Prinzip (Hol-Prinzip) vorstellen. D. h. es muss erst dann produziert werden, wenn der Kunde seinen Bedarf meldet. Der Kunde zieht die Produktion an! Das ist genau das Gegenteil zum Push-Prinzip, bei dem nicht der Kunde, sondern der (Unter-)Lieferant den Kunden mit materiellen Beständen versorgt, die er dann abarbeitet. Wie Abbildung 3.45 (oben) zeigt, herrscht zu dieser Bestandsauffüllung ein folgenreiAbb. 3.45: Push-/PullPrinzip, Gegenüberstellung (Darstellung in Anlehnung an: Dickmann 2007, 123) ▶

Pull-Prinzip: „Kaskadenförmige Produktions- und Auslieferungsanweisungen von den nach- und den vorgelagerten Stellen, nach denen nichts auf einer vorgelagerten Stelle hergestellt wird, bis der nachgelagerte Kunde einen Bedarf meldet.“ (Womack/ Jones 2003, 460)

Push- und Pull-Prinzip im Vergleich Push-Prinzip Kunde

Lieferant

Unterlieferant

Pull-Prinzip Kunde

Lieferant

Unterlieferant

Informationsfluss Materialfluss

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

ches, umfangreiches Informationsmanagement. Dagegen sind im Vergleich zum darunter skizzierten Pull-Prinzip die Informationsflüsse sehr viel unkomplizierter und kürzer. Die Kunden-Liefe- Die Kunden-Lieferanranten-Beziehung läuft immer „antiparallel“, jeder Kundenanstoß ten-Beziehung läuft und Materialabstoß ist für jeden Beteiligten transparent. Oeltjen- immer „antiparallel“ bruns (2000, 40) hierzu: „Für eine Teilefertigung bedeutet dies, dass nur der Endmontage der Bedarfstermin und die Bedarfsmenge an Fertigprodukten genau bekannt ist. Entsprechend entnimmt sie dem vorhergehenden Fertigungsprozess die für die Endmontage erforderlichen Teile in der erforderlichen Menge zum benötigten Zeitpunkt. In der Teilefertigung werden die entnommenen Teile (nach-)produziert und wieder bereitgestellt. Jeder teilefertigende Prozess wird also erst dann ausgelöst, wenn die darauffolgende Fertigungsstufe entsprechenden Bedarf gezeigt hat. Nach diesem Pull-System sind alle Fertigungsstufen bis hinab zu den Rohstofflagern und darüber hinaus zu den Zulieferern verknüpft.“

Das Pull-Prinzip gilt generell für den gesamten Wertschöpfungsprozess

Da die vorgelagerte Arbeitstation nicht eher wieder fertigen darf, bis Bedarf angezeigt wird, wird vermieden, dass Teile ohne entsprechenden Bedarf produziert werden und interne Zwischenlager aufgebaut werden, die wiederum Doppelhandling von Teilen zur Folge hätten und damit Muda verursachen. Damit ergibt sich in der Konsequenz die weiter unten behandelte One- oder SinglePiece-Flow-Situation, nach der immer die Losgröße 1 realisiert wird. Richard Vahrenkamp weist darauf hin, dass in der deutschen Industrie inzwischen eine starke Umorientierung vom Push- auf das Pull-System stattgefunden hat (2008, 91): „Mit dem Kanban-Ansatz wird dieses Pull-System systematisiert und in ein Organisationskonzept eingebunden. Gemessen an den Kriterien der mittleren Bestandshöhe in den Eingangspuffern (Warteschlangen-Länge) und der mittleren Durchlaufzeit des Materials durch das Gesamtsystem haben Simulationsstudien und praktische Erfahrungen erwiesen, dass die Pull-Systeme den PushSystemen überlegen sind. Es hat daher im vergangen Jahrzehnt eine starke Umorientierung von Push- auf Pull-Systeme in der deutschen Industrie gegeben.“

5 Streben nach Perfektion Indem entlang des Wertstroms alle Tätigkeiten für den Kunden Wert erzeugen und damit Muda beseitigt wurde, zeigte sich, dass durch dieses Streben nach Perfektion die „Prozesse der Reduktion von Arbeit, Zeit, Raum, Kosten und Fehlern beim Anbieten von Produkten endlos sind. Das Produkt entspricht immer mehr dem, was der Kunde tatsächlich verlangt. Plötzlich scheint Perfektion, das fünfte und letzte Prinzip schlanken Denkens, keine verrückte Idee mehr zu sein“ (Womack/Jones 2003, 34). Perfekt ist

Tendenz: Umorientierung zum Pull-Prinzip in der deutschen Industrie

Perfektion: „Die vollständige Beseitigung von Muda, damit alle Tätigkeiten entlang dem Wertschöpfungsstrom Wert erzeugen.“ (Womack/Jones 2003, 459)

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

200 Frage: Wann ist ein Unternehmen „perfekt?“

ein Unternehmen dann, wenn eine vollständige Beseitigung von Muda entlang der Wertströme erreicht ist. Mit diesem Ergebnis paart sich ein Zustand, den Womack/Jones als wichtigste Triebfeder der Perfektion bezeichnen, Transparenz, als den Zustand, „dass in einem schlanken System jeder – Subunternehmer, Zulieferer der ersten Stufe, Systemintegrator (oft Montagewerk genannt), Vertriebsunternehmen, Kunden und Mitarbeiter – alles sehen kann. So entdeckt man einfacher bessere Wege der Wertschöpfung. Darüberhinaus erhalten die Mitarbeiter, die Verbesserungen gemacht haben, ein fast direktes und hochgradig positives Feedback. Das ist ein zentrales Merkmal schlanker Arbeit und ein starker Ansporn für kontinuierliche Verbesserungsbemühungen.“ (2003, 35)

Was ist nach diesem Parcours durch die fünf Schlüssselprinzipien unter „Lean Thinking“ zu verstehen? Leider liefern die Autoren selbst keine abschließende operable Definition. Es kann jedoch folgendes festgehalten werden: Was ist „Lean ThinUnter „Lean Thinking“, „schlankem Denken“ soll ein king“ Denkprozess verstanden werden, der konsequent von den Kundenforderungen ausgehend den Wertstrom mit dem Ziel verfolgt, Muda in einer Organisation vollständig zu vermeiden, indem die fünf Schlüsselprinzipien konsequent beachtet werden. Kurzdefinition: „Kundenwert ohne Muda schaffen!“ Womack und Jones charakterisieren es so (2003,17): In der Charakterisie„Schlankes Denken ist schlank, weil es einen Weg aufzeigt, rung von Womack/ immer mehr mit immer weniger zu erreichen – weniger Jones tauchen menschliche Arbeit, weniger Equipment, weniger Zeit und interessanterweise die weniger Raum –, während man immer besser den Kunden das Dimensionen Arbeit, bereitstellt, was sie wirklich wollen.“ Zeit und Raum auf! Die im Jahr 1996 erstmals erschienene materialreiche Studie von Womack und Jones hat viele inspiriert (z. B. Drew et al. 2004, 63-74). Sie war letztendlich Auslöser für das Denken in Wertströmen und wurde 2006 ergänzt durch ihr letztes Buch „Lean Solutions“. Der Trend von „Lean Thinking“ soll nun weiter verfolgt werden, indem zunächst das Konzept des Wertstromdesigns und dann der auf die Organisationsprozesse bezogene One Piece Flow-Ansatz dargestellt werden. ⟢⟡⟣ Womack und Jones haben selbst keine Methodik darüber entwickelt, wie sich ein idealer Wertstrom realisieren ließe. Ihre Arbeiten waren zunächst beispielgebend deskriptiver Natur. Aus dem fünften Schlüsselprinzip Perfektion kann man schließen, dass sie vorschlagen, einfach die ersten vier Schritte immer wieder in zyklischer Manier zu durchlaufen bis Muda immer mehr gegen Null geht. Eine weiterge-

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

hende „Gebrauchsanweisung“ geben sie hierzu nicht. In Kapitel 11 ihres Buches „Lean Thinking“ (1996) entwickeln sie einen umfangreichen Aktionsplan, von dem sie sich jedoch wieder distanzieren, da sie im Dialog mit den Lesern erkennen, dass die Anwender hiermit überfordert sind. Einzig mit den beiden Abschnitten „Erfassen Sie ihre Wertströme“ und „Beginnen Sie so bald wie möglich mit einer zentralen und sichtbaren Aktivität“ wollen sie den Anwender beginnen lassen. Hierzu schlagen Sie nun ihren Lesern (s. Rother/Shook 1998, Forword) die von Mike Rother und John Shook in ihrem Buch „Learning to See“ entwickelte Vorgehensweise vor. Ein seltener Fall von Kollegialität, der aber angesichts der Schwierigkeit den Toyota-Weg zu gehen durchaus gerechtfertigt ist. Bekanntlich gilt die Erkenntnis von Mike Rother (2009, 23): „Toyotas Praktiken sind auf unsichtbare Denk- und Handlungsroutinen im Management aufgebaut.“ Damit ergab sich für Mike Rother, der hier im Buch bereits in Kapitel 3.7 (Die Toyota-Kata) gewürdigt wurde, die einmalige Chance zusammen mit seinem Co-Autor John Shook, einem intimen Kenner ▲ Mike Rother ▲ John Shook des TPS, mit der Wertstrom-Analyse-Design-Methodik eine größere Zielgruppe zu erreichen. Dieses Ziel ist in doppelter Hinsicht erreicht worden. Der in „Learning to See“ entwickelte Ansatz und seine Terminologie haben sich durchgesetzt. Beide Autoren sind Mitarbeiter in dem von Womack gegründeten Lean Enterprise Institute, dem international ausgerichteten Netzwerk des Lean Managements (siehe Kapitel 6: Lean Community). Das „Learning to See“ vorangestellte Leitmotiv „Wo immer es ein Produkt für einen Kunden gibt, gibt es auch einen Wertstrom. Die Herausforderung besteht darin, ihn zu sehen.“ wirft schon die zentralen ▲ Rother/Shock: Learning to See. 1998 Themen auf: Das Standardwerk zum Wertstromdesign ◼ Kunde ◼ Produkt ▲ ◼ Wertstrom Leitmotiv „Whenever there is a ◼ Wertstrom identifizieren product for a custo◼ Wertstrom analysieren mer, there is a value ◼ Wertstrom designen stream. The challenge ◼ Wertströme managen lies in seeing it.“ Eigentlich wäre für diese Aufzählung von Tätigkeiten ein übergeordneter Begriff wie „Wertstrommanagement“ angebracht. Hierunter Leitmotiv „Wo immer es ein könnte man in ISO 9000-Manier folgendes verstehen: Produkt für einen Wertstrommanagement: Die aufeinander abgestimmten Kunden gibt, gibt es Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezügauch einen Wertstrom. lich des Wertstroms. Die Herausforderung Doch man gibt sich im Großen und Ganzen bescheidener und besteht darin, ihn zu spricht von Wertstromdesign (WSD), oft auch im Englischen Value sehen.“

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Stream Mapping (VSM). Eingeführt haben die Methodik, die Begrifflichkeiten und die Symbolik Mike Rother und John Shook in ihrem „Learning to See“, ein Buch „Learning to See“, das im Jahr 1998 veröffentlicht wurde. Es kann als Meilenstein in der kurzen Geschichte des Lean Managements Meilenstein in der Geschichte des Lean bezeichnet werden, indem es die zweite Phase der Rezeption des Lean Managements Managements in der westlichen Managementwelt einleitet, die sich nun reflektierter auf das TPS bezieht als in den 1980er und 1990er Jahren. Nach der Jahrtausendwende konnten Lean-Berater nicht mehr umstandslos ihre teilweise sehr einfach gestrickten Konzepte einbringen. Es gab zu viele „gebrannte Kinder“. Der von Rother/Shook (1998) von Womack/Jones (2003) überBeim Wertstromdesign geht es um den Wert, nommene und hier eingeführte Begriff Wert ist im hier interessieden ein Produkt aus renden Zusammenhang erklärungsbedürftig. Schließlich gibt es in der Perspektive des den Wissenschaften und in der Praxis mannigfaltige „WertzusammenKunden besitzt. hänge“. Beim Wertstromdesign geht es ganz einfach um den Wert des Produktes für den Kunden, den Kundenwert, der im WertschöpfungsIm Customer-Relatiprozess erzeugt wird. onship-Management Den Wertstrom bestimmen, heisst denn auch sowohl die wertgeht es auch um schöpfenden wie auch die nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten, den Kundenwert, die zur Herstellung eines Produktes notwendig sind, im Fluss allerdings in einem völlig anderen Sinn, der Produktion aus der Perspektive des Kunden zu antizinämlich der Kundenpieren (Voice of the Customer). Dies sollte auf empirischer bewertung. Danach Grundlage erfolgen, also auf Begründungen, die sich auf hat jeder Kunde unter Erfahrungen mit den Kunden stützen. Bloße Annahmen über dem Gesichtspunkt den Kunden und desssen Forderungen sind keine ausreichender Profitabilität einen den Gesichtspunkte. Im Lean Lexicon finden wir folgende bestimmten Wert für Definition (2004, 88): „Value Stream: All of the actions, both das Unternehmen. value-creating and nonvalue-creating, required to bring a proEs werden Kunden in A-, B- und C-Kunden duct from concept to launch and from order to delivery. These eingeteilt und entspreinclude actions to process information from the customer and chend eingeschätzt. actions to transform the product on its way to the customer.“ An anderer Stelle heißt es (Erlach 2010, 11): „Der Wertstrom umfasst alle Tätigkeiten, die zur Wandlung eines Rohmaterials in ein Produkt notwendig sind.“ Diese ingenieurwissenschaftliche Definition mag die Basis bilden, ist aber für die Methodik des Wertstromdesigns nicht ausreichend, denn der Maßstab ist der, ob die Tätigkeiten dem im Entstehen begriffenen Produkt eine Eigenschaft hinzufügen, die seinen Wert aus Kundensicht erhöhen. Es heißt also alle Tätigkeiten in den Blick zu bekommen und diejenigen als Muda zu kennzeichnen, die den Kundenwert nicht erhöhen. Aus der Vogelperspektive das Ganze betrachtend zeigt eine Value Stream Map Abbildung 3.46. Es handelt sich um eine Original-IST-

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

Kunde/Lieferant

Steuerung

Informationsfluss

Materialfluss Bestände Fertigproduktfluss

Kennzahlen

Prozesse

Analyse (Current-State Value Stream Map) von Rother/Shook, die lediglich Randbemerkungen trägt, um dem deutschen Leser einige wichtige Symbole zu erläutern. Die Symbole folgen einer mnemotechnischen Struktur und sind deshalb sehr leicht zu erinnern. Welche Vorteile ergeben sich aus so einer Darstellung? ◼ Zunächst einmal können durch sie Material-, Informationsflüsse und Prozesse transparent und in Beziehung zueinander dargestellt werden ◼ Sie bietet durch die relativ grobe Darstellung einen Überblick über den Gesamtprozess (Vogelperspektive) ohne sich im Detail zu verlieren. Damit erschließt sich der Gesamtzusammenhang ◼ Sie lässt die den Einsatz der Techniken des Lean Managements punktuell und im Zusammenhang erkennen ◼ Sie macht die Quellen von Muda im Wertstrom sichtbar ◼ Sie bildet durch die Transparenz eine gute Entscheidungsbasis ◼ Sie schafft eine intersubjektive Sprachregelung durch die definierte und einfach zu erlernende und anzuwendende Symbolsprache ◼ Sie ist damit eine einzigartige Methodik: Keine andere Methodik zeigt den Zusammenhang der steuernden Informationsflüsse mit den Produktionsprozessen.

▲ Abb. 3.46: Ergebnis der IST-Analyse eines Wertstromdesigns mit Randbemerkungen zu ausgewählten Symbolen (Darstellung nach Rother/Shook 1998, 6) Mit der Methodik des Wertstromdesigns wird die Zielsetzung verfolgt, eine Organisation in der Fähigkeit zu unterstützen Material, Produkte und Informationen durch die Prozesse verschwendungsfrei fließen zu lassen.

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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Wer die Methodik des Wertstromdesigns anwendet, sollte folgende Schrittfolge einhalten:  Die Einheit bestimmen: Produkt bzw. Produktfamilie Für jede Produktfamilie ist ein eigener Wertstrom zu bilden. 2 Kundenforderungen bestimmen Was ist eine ProduktDa für die Wertstromanalyse die Kenntnis der Forderungen des familie? Eine Gruppe Kunden unabdingbar sind, müssen geeignete Informationen zur von Produkten, die ähnliche Phasen im Verfügung vorbereitet werden. Produktionszusam3 Wertstrom-Manager bestimmen menhang durchläuft. Es ist sehr wichtig für alle Beteiligten festzulegen, wer die VerantEs empfiehlt sich, wortung für den jeweiligen Wertstrom hat, damit die Einzelmaßsich zunächst auf nahmen koordiniert werden. In den einzelnen Produktionsprozeseine repräsentative sen sollten natürlich die Prozessmanager auch die Verantwortung Produktfamilie zu für zu treffende Maßnahmen tragen, aber für das Gesamtprojekt konzenztrieren. ist ein Wertstrom-Manager einzusetzen. 4 Den Wertstrom identifizieren (= Wertstromanalyse) Damit beginnt die konkrete Arbeit der Aufnahme des Wertstroms als IST-Analyse: Der Wertstrom wird mit den Standardsymbolen gezeichnet und mit Kennzahlen versehen. Es werden sowohl die wertschöpfenden wie die nichtwertschöpfenden Tätigkeiten erfasst. Es wird alles so aufgenommen wie es ist: Orientierung an den Fakten. Das bedeutet ganz konkret, dass die in den IT-Systemen hinterlegten Daten hinterfragt und vor Ort (Gemba) Gespräche mit Kennern der Prozesse geführt werden müssen. Die Auch schauen was Wertstromaufnahme ist kein Top-Down-Prozess, sondern findet nicht klappt! vor Ort statt, wo auch geschaut wird was nicht klappt! Abb. 3.47: Vom IST 5 Den Wertstrom designen: SOLL zum SOLL ▼ Auf Basis der IST-Analyse wird das SOLL-Konzept abgeleitet. Die Stellen, an denen Muda besteht IST: Push und zu vermeiden sind, erfordern Lösungen, die das Soll-Konzept be1 2 3 4 5 stimmen. Das Soll-Konzept ist ge= Bestände nauso in Symbolen darzustellen wie SOLL 1: PULL die IST-Analyse in Abbildung 3.46. Abbildung 3.47 zeigt einen kleinen Ausschnitt eines SOLL-Konzepts. 1 2 3 4 5 Aufgrund der IST-Analyse mit starken Beständen werden zwei SOLLSOLL 2: One Piece Flow (OPF) Konzept-Alternativen entwickelt. SOLL 1 führt Kanban entsprechend 1 2 3 4 5 dem Pull-Prinzip ein, SOLL 2 präferiert das One Piece Flow-Konzept Ergebnis von IST muss immer ein Fluss nach dem Pull-Prinzip sein, ohne Liegezeiten, ohne Bestände, also ohne Muda! (siehe nächster Abschnitt). Wie gehe ich vor bei der Methodik des Wertstromdesigns (WSD)?

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

6 Soll-Konzept umsetzen Die Umsetzung des SOLL-Konzepts gelingt umso besser, wenn das Unternehmen ein Wertstrom-Management eingerichtet hat. Diese Entscheidung ist zu fällen, nachdem Pilotprojekte mit einzelnen Produktfamilien erfolgreich durchgeführt wurden. Die Umsetzung endet zunächst mit der Standardisierung des neuen Wertstroms, endet aber hier nicht, sondern folgt dem allgemeinen zyklischen Vorgehen entsprechend dem PDCA-Zyklus. Somit sieht die nun folgende Wertstromplanung das Planen und Umsetzen von Maßnahmen mit Zielrichtung von visionären Wertstromdesigns mit der Einbindung von regelmäßigen PDCA-Zyklen vor. Obwohl es inzwischen auch Software-Tools zur Erfassung von Wertströmen gibt, wird allgemein die eigene schriftliche Aufnahme des Wertstroms in Form einer Symbol-Skizze mit Blei- und Filzstiften empfohlen, die dann weitergeführt wird auf einem Flipchart, um die Gruppenergebnisse im Plenum besser zusammen diskutieren zu können. Zunächst tut also ein Klemmbrett, nach Möglichkeit im A3Querformat, sehr gute Dienste. Der Kerngedanke, den Wertfluss in den Mittelpunkt organisatorischer und produktionswirtschaftlicher Vorgehensweisen zu stellen, ist inzwischen von vielen Unternehmen, die sich um die Umsetzung von Lean Management bemühen, erkannt worden. So hat VW Wertstromdesign in seiner Produktion institutionalisiert, wie dies Abbildung 3.48 (Folgeseite) illustriert und in der digitalen VW-Zeitung „Das Autogramm“ (Ausgabe 1-2/2011) berichtet wird: „Wertstromplanung ist nicht nur ein wichtiger Baustein im kontinuierlichen Verbesserungsprozess, sondern wird auch bei der Planung neuer Anlagen und Prozesse eingesetzt. Das Ziel: Schon in der Planungsphase für möglichst schlanke Prozesse zu sorgen.“ Sicherlich handelt es sich hierbei nicht um eine Einzelinitiative. Auf der Internetplattform des Frauenhofer IPA in Stuttgart wird gleich ein differenziertes Workshop-Programm zum Werstromde-

Beim Erstellen eines Material- und InformationsflussanalyseDiagramms (= MIFA-Diagramm)

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

206 Abb. 3.48: WertstromSpezialist Michael Wegener von der Volkswagen AG demonstriert die Methodik des Wertstromdesigns anhand eines SOLL-Konzepts (= Future State Map, FSM) (Quelle: http:// autogramm.volkswagen.de/01-02_11/ volkswagenweg/ volkswagenweg_01. html-abgerufan am 19.03.2013) ▶ Sieben Schritte zur Erstellung einer Material- und Informationsflussanalyse (MIFA): 1. Kundenforderungen 2. Prozessschritte 3. Prozessdaten 4. Lagerbestend 5. Materialfluss vom Lieferanten zum Kunden 6. Informationsfluss (Push oder Pull) 7. Vorlaufzeit und Zeit, in der eine Wertschöpfung stattfindet

sign von Klaus Erlach angeboten (http://www.ipa.fraunhofer.de/ Wertstromdesign.376.0.html, abgerufen am 23.03.2013). Überhaupt zeigt sich in manchen einschlägigen Lehrbüchern, dass der Trend zum Wertstromdesign in Produktion und Organisation erkannt wurde. So schreibt Engelbert Westkämper in seinem Lehrbuch „Einführung in die Organisation der Produktion“ (2006, 222): „Der Grundgedanke des Lean Manufactoring wird heute mittels der Wertstromanalyse und Wertgestaltung (Wertstromdesign) in den Produktionssystemen realisiert. Das Wertstromdesign ist eine Methode, um eine ‚schlanke‘ Fertigung in die Realität umzusetzen.“ Wäre noch abschließend zu ergänzen, dass die WSD-Systematik darauf zielt sowohl Muda zu identifizieren wie auch die Ursachen zu beseitigen. ⟢⟡⟣

Da Toyota das grundsätzliche und immer auch langfristige Ziel verfolgt, Muda zu vermeiden bzw. zu eliminieren muss beim Wertstromdesign die Fließgröße in Losgröße 1 als Mindestansatz verfolgt werden. Im Gegensatz zu den allermeisten japanischen Begriffen gelang es Toyota in diesem Kontext nicht seinen ersten Begriff „Fill-Up“System zu etablieren (to fill up = wieder auffüllen). Es wird von Toyota inzwischen 1x1-Fluss genannt (Rother 2009). Im Westen, besonders in Deutschland, hat sich dafür One Piece Flow (OPF) (= Ein-StückOne Piece Flow heisst Fluss) durchgesetzt, wenn eine Fließfertigung mit der Losgröße 1 rewörtlich Ein-Stückalisiert wird. Dies wurde bereits in Abbildung 3.47 kurz gezeigt. Das Fluss. Es ist der Teil wird von Arbeitsstation zu Arbeitsstation bewegt, ohne dass sich pufferlose Idealfall der an oder zwischen den Arbeitsstationen Bestände und damit Muda bilFließfertigung den können. Der pufferlose Idealfall der Fließfertigung wäre erreicht.

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

Es klingt verlockend mit einer solchen Produktionsstruktur Be- Drei Voraussetzungen standsmuda ein für alle mal beseitigt zu haben. Doch sollte je nach für One Piece Flow Organisation bedacht werden, dass die Wirtschaftlichkeit dann nicht gegeben ist, wenn es nicht gelingt die Umrüstzeiten deutlich zu verkürzen. Neben dieser Voraussetzung muss auch eine OPF-Zelle, in der die Arbeitsplätze angeordnet sind, rein von der Größe des zu bewegenden Teils (z. B. eine LKW-Karosserie) den Durchlauf zulassen. Schließlich muss es gegeben sein, dass je OPF-Zelle eine sinnvolle Arbeitsteilung möglich ist. Sind diese drei Voraussetzungen gegeben, kann ein solches mitarbeitergebundenes Produktionssystem (MAP) im bekannten Gruppenlayout eines U’s organisiert werden (Abbildung 3.7). Sind die Bedingungen nicht gegeben, ist die Zeit noch nicht reif, um einen 1x1-Fluss implementieren zu können. Traditionelle Unternehmen würden mit der Implementation von OPF warten, bis diese Bedingungen geschaffen wurden. Nicht so Toyota („Nichts ist unmöglich …“). Toyota sieht im synchronen 1x1-Fluss eine grundsätzlich zu verfolgende Zielsetzung, der man so nahe wie möglich kommen will. Sie ist in der Toyota Vision „True North“ verankert und besteht aus folgenden vier Elementen (Rother 2009, 59f): ◼ Null Fehler Die ältere Vision ◼ 100% Wertschöpfung der Produktion ◼ One Piece Flow von Toyota lautet: „highest quality, lo◼ Sicherheit für Menschen. Für Toyota gilt es Zielzustände, die mit der True North-Vision west cost, shortest gesetzt werden, zu erreichen. Solche Zielzustände werden hartnäckig lead time“ verfolgt. One Piece Flow oder 1x1-Fluss ist so ein zu erreichender

N

Customer Satisfaction

◼ Zero Defects ◼ 100% value ad (no muda) ◼ One Piece Flow: Lot size

AND

True North: What We Should Do, Not What We Can Do

Human Development

◼ Physical & mental safety ◼ Security ◼ Professional challenge

EVERYONE; every minute; every day. Current Condition Adapted from presentation diagram by TSSC, a subsidiary of Toyota Motor Manufacturing North America.

Ältere Vision Aktuelle Version: TRUE NORTH

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Zielzustand, der im Zusammenhang mit Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterentwicklung steht, wie die aktuelle Version der True North-Vision zeigt. Es handelt sich also nicht um einen „Nebenkriegsschauplatz“. Was ist genau unter OPF zu verstehen? Nach Aretz (2005, 12) sollte man sich den Ansatz wie folgt vorstellen: One Piece Flow in sei„Der Grundgedanke eines OPF besteht darin, dass alle nen Grundzügen: Die Mitarbeiter eines OPF alle in dieser OPF-Zelle anfallenden OPF-Zelle Arbeiten beherrschen, diese auch verrichten und dadurch für den Gesamtprozess dieser OPF-Zelle und das daraus resultierende Produkt verantwortlich sind. Dabei sind mehrere Arbeitsplätze arbeitsteilig in einer OPF-Zelle angeordnet. Der Mitarbeiter startet am ersten Arbeitsplatz und durchläuft die gesamte Zelle, indem er sich mit dem Produkt von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz fortbewegt bis er den letzten Arbeitsplatz erreicht hat. Dort wird das Produkt in der Regel geprüft und in andere Verantwortungen weitergegeben. Der Mitarbeiter geht an den ersten Arbeitsplatz zurück und startet seinen Prozess von Neuem. Start- und Endpunkt einer OPF-Zelle sollten daher räumlich möglichst eng zusammen liegen, weshalb die Grundformen u-, kreis- oder tropfenförmige Anordnungen sind.“ Da das Verfolgen des One Piece Flow bzw. – bei Toyota des 1x1Flusses – eng mit der Frage nach der Form der Arbeitsorganisation verbunden ist, empfiehlt es sich an dieser Stelle für den Leser das Kapitel 1.3.8 zu rekapitulieren. Schließlich gilt es hier noch eine europäische Traditionslinie zu beachten, die um den Begriff „Teilautonome Arbeitsgruppen“ kreist. In letzter Zeit hat Eberhard Ulich auf das Interesse japanischer Unternehmen an europäischen Produktionskonzepten, die eher auf Indivdualisierung setzen, hingewiesen (2011, 308): Das Interesse japani„In Japan selbst wird indes seit einer Reihe von scher Unternehmen an Jahren ein deutlicher Wertwandel registriert, bei dem europäischen ProdukIndividualiserungstendenzen offenbar eine bedeutende Rolle tionskonzepten spielen. Dieser hat japanische Unternehmen bereits dazu veranlasst, sich für europäische Produktionskonzepte zu interessieren.“ Die Ausführungen Ulichs werden hier deshalb aufgegriffen, um die Arbeitsorganisation als zentralen Teil von Produktionskonzepten HdA-Exkurs kurz zu beleuchten. Ein kurzer Blick auf die damalige HdA-Diskussion mit dem Schwerpunkt der teilautonomen Arbeitsgruppe soll zeigen, wo das Interesse japanischer Unternehmen liegen könnte. wenn es tatsächlich stimmt, dass japanische Mitarbeiter sich in der Tendenz weniger an der Gruppe und ihren Zielen orientieren und sich damit mehr von individuellen Bedürfnissen leiten lassen. In der Diskussion

3.8 Die drei neuen Lean-Methodiken: Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow

über die Qualität des Arbeitslebens wurde damals die Idee (in der Terminologie von Toyota kann man durchaus von einer Vision sprechen) teilautonomer Arbeitsgruppen gern mit dem skandinavischen Raum assoziiert, wobei die Versuche von VOLVO die größte Aufmerksamkeit erregten. Wer die Unterschiede zur One Piece Flow-Arbeitsform beurteilen will, benötigt ein Evaluationsraster, das über die Autonomiegrade Auskuft gibt. Mit dem folgenden Instrument (Abbildung 3.49), das als Frage-Checkliste genutzt werden kann, ist es möglich vergleichende Analysen durchzuführen. Als Antwortmöglichkeiten wäre zunächst an eine dichotome Dimensierung von Ja/Nein zu denken. Das wäre jedoch zu grob, weshalb hier eine numerische Skalierung in Anlehnung an die Schulnotenmethode gewählt wurde. Durch die Wahl einer 6er Skala wurde auch die Tendenz zur Mitte ausgeschlossen. Der Beobachter muss sich entscheiden. Die Kategorie 0 ist für den Fall vorgesehen, wenn bei einer Frage überhaupt keine Autonomie gegeben ist. Der seltene Fall der „totalen Autonomie“ (7x6=42) wird wohl im betrieblichen Zusammenhang kaum gegeben sein. Fragen ◼ Kann die Gruppe über die Ziele ihres Arbeitseinsatzes selbst bestimmen? ◼ Kann die Gruppe darüber entscheiden, wo und wann sie arbeiten will? ◼ Kann die Gruppe über die Wahl der Arbeitsmethode entscheiden? ◼ Kann die Gruppe über die Gruppenmitgliedschaft entscheiden, d.h. über Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern? ◼ Kann die Gruppe ihre interne Arbeitsteilung selbst bestimmen? ◼ Kann die Gruppe entscheiden, ob sie einen Führer oder Sprecher haben will und wer dieser Sprecher sein soll? ◼ Kann jedes Gruppenmitglied für sich entscheiden, wie es seine Arbeit im Rahmen der Gruppenziele ausführen will?

209

Exkurs zur „teilautonomen Arbeitsgruppe“

Frage: Wie autonom ist eine Arbeitsgruppe?

Abb. 3.49: Frageinstrument zur Erhebung des Autonomiegrades von Gruppen ▼

0

Autonomiegrad der Gruppe niedrig hoch 1 2 3 4 5 6



































































































3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

210

Achtung: Unterschiede Dieser Vorschlag zur Erforschung der konkreten Unterschiede von beachten! teilautonomen und „japanischen“ Arbeitsgruppen darf auf keinen Fall

Autonome Montagegruppe

Management by Stress

außer acht lassen, dass es aus der Sicht von Toyota die Kundenforderungen (Customer Satisfaction, s. True North) sind, die die Mitarbeiter in der entsprechende Arbeitsform leiten. Die o.g. teilautonome Arbeitsgruppe folgte dagegen dem übergeordneten Kriterium der Humanisierung, also vor allem der Berücksichtigung motivationaler Fragen und der Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz. Interessanterweise wird auch von ingenieurwissenschaftlicher Seite in letzter Zeit dem Thema Aufmerksamkeit gezollt. Gesprochen wird sogar von der „autonomen Gruppe“, wie das folgende Zitat belegt (Westkämper 2006, 214): „Im Zuge der Mitarbeiterorientierung zeigt sich auch in der Montage eine immer stärkere Abkehr von der strengen tayloristischen Arbeitsteilung. Moderne Arbeitsformen versuchen mit Gruppenarbeit Probleme, wie z.B. Monotonie, einseitige Belastung und Taktbindung, zu umgehen. Ziel ist … die autonome Montagegruppe, an die ein Gesamtauftrag übergeben wird und die diesen eigenverantwortlich strukturiert und abarbeitet.“ Die positiven Erwartungen, die in den 70er Jahren mit dem HdAProgramm in der Bundesrepublik Deutschland verbunden – und damals weitestgehend enttäuscht – wurden, haben somit durch den „Japan-Approach“ eine unerwartete Wendung erhalten. Immer mehr Unternehmen erinnern sich an die damaligen Modellversuche und versuchen die Erfahrungen zu reflektieren und in Einklang zu bringen mit der Gruppenarbeit in der U-Zelle im One Piece Flow-Ansatz, wie er von Toyota praktiziert wird. Dieser „Einklang“ ist nur möglich, wenn auch in westlichen Unternehmen dem Ideal des störsensibel/ ungepufferten System der fließenden Einzelstückfertigung gefolgt wird. Das bedeutet ( Jürgens 1994b, 31): „Nicht perfekte Vorwegplanung, sondern Arbeitseinsatzflexibilität auch bei unvorhergesehenen Einsätzen und qualifizierte Beteiligung an Problemlösungen sowie an den darauf bezogenen Kommunikationsprozessen sind das Ziel.“ Das heißt nichts anderes, als den top-down geplanten Prozess in einen bottom-up-Ansatz zu verwandeln, wo „… dem Prozess gezielt die Sicherheit entzogen (wird), die Zwischenlager, Puffer, Sonderzeiten und Sonderpersonal für allfällige Zwischenfälle und Probleme bieten. Fehler sollen durchschlagen und mit ihnen der Streß und Druck, Fehlerursachen zu beseitigen und Prozessverbesserungen vorzunehmen.“ ( Jürgens 1994b, 31) Manche Autoren sehen darin ein „Management by Stress“ (Krings/Luczak 1997, 147). ⟢⟡⟣

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

Genau besehen zeigte dieser Überblick zu den drei Weiterentwicklungen der Lean-Methodiken Lean Thinking, Wertstromdesign und One Piece Flow eigentlich nicht gänzlich neue Erkenntnisse, sondern deckt auf, was im Ansatz des Toyota Managementsystem schon immer verborgen war, jetzt aber durch angelsächsische Autoren offengelegt wurde. Die Ergebnisse zeigen einerseits, dass es doch nicht so leicht war die „Geheimnisse“ des TPS zu erkennen und andererseits die inzwischen eingetroffene genauere und differenzierte Betrachtung des TPS, die nur zu erlangen war durch den Weg in die Gemba Toyotas. Für die umsetzende Praxis ist die Errungenschaft der Wertstromanalyse besonders hervorzuheben, die sich im o.g. MIFA-Diagramm realisiert. Darin werden die drei Faktoren dargestellt, die sich immer im Fluss befinden müssen, wenn der Kundenauftrag erfüllt wird (Drew et al. 2005, 65):  Materialfluss 2 Informationsfluss 3 Personalfluss

211

Das MIFA-Diagramm: Drei Faktoren müssen sich immer im Fluss befinden

„Es genügt nicht, sein Bestes zu geben; man muss wissen, was zu tun ist, und dann sein Bestes geben.“ (William Edwards Deming)

3.9

Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

Die Publikationen zu Lean Six Sigma, oder kurz Lean Sigma sind in letzter Zeit deutlich zahlreicher geworden. Offenbar schöpfen Autoren Ihr Wissen aus der Praxis, denn die Veröffentlichungen demonstrieren Lean Sigma an Beispielen aus dem Produktions- und Dienstleistungsbereich (Banken, Versicherungen, Tourismusunternehmen etc.). Der Erfinder dieser Wortschöpfung und Pionier von Lean Sigma ist wohl der texanische Unternehmensberater Michael L. George (oft auch einfach Mike George), der sowohl die ersten Trainings Anfang des Jahrtausends durchgeführt wie auch das erste Lean Six Sigma-Buch geschrieben hat (URL: http://strongamericanow.org/plan). Es trägt den Untertitel „Combining Six Sigma Quality with Lean Speed“, konzentriert das Konzept somit auf die Dimensionen Qualität und Zeit. Um ein ausreichendes Verständnis zu erlangen soll zunächst in einem Unterkapitel auf Six Sigma eingegangen werden und dann mit dem ja inzwischen erschöpfend behandelten Lean Management eine zusammenfassende Darstellung folgen.

▲ Michael L. George: Lean Six Sigma. 2002 Das erste Buch ▼ zu Lean Six Sigma, geschrieben von einem Unternehmensberater

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

212

3.9.1 Zum Six Sigma-Ansatz im Qualitätsmanagement Die Motorola Inc. (Illinois, USA) hat in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Qualitätstechnik Six Sigma entwickelt, die inzwischen als eigenständiges QM-Konzept gewertet werden muss, bei dem die ursprüngliche Qualitätstechnik Six Sigma den Kern bildet. Ohne hier eine detaillierte Prüfung durchzuführen, ob die QM-Modellbildung gelungen ist, zeigt uns schon ein Blick in die vielfältige Six-Sigma-Literatur, dass man von einem QM-Modell sprechen kann, auf das sich verschiedene Qualitätstechniken beziehen. Abbildung 3.50 enthält Informationen zum Entstehungskontext von Six Sigma. Die von Motorola entwickelte Qualitätsverbesserungstechnik Six Das Six Sigma-Konzept wurde von MotoroSigma wurde lange Zeit (auch im LQM 2001, 1164) lediglich als Quala unter Garvin und litätstechnik bezeichnet, was sie zunächst natürlich gewesen war und Smith entwickelt auch heute noch ist. Im Zusammenhang mit dem statistischen Modell der Gaußschen Normalverteilung geht es bei Six Sigma darum, StreuAbb. 3.50: Six Sigma – ungen von Merkmalswerten zu reduzieren. Streuungen wurden über Historische Skizze ▼

Six Sigma-Historie Bill Smith, Ingenieur bei Motorola war der Namensgeber und Promotor von Six Sigma, das der damalige CEO Robert Galvin (1922-2011▶) einführte und mit der er 1989 den gerade ins Leben gerufenen MBNQA gewann. Er wollte Six Sigma nicht geheimhalten und stellte seine Erfahrungen der Allgemeinheit zur Verfügung. In der Folge gelang es Unternehmen, wie Texas Instruments, Asea Brown Boveri (ABB), Allied Signal, General Electric (GE) mit ihren Six SigmaProgrammen sogar, wie vormals Motorola (1987-1989), den MBNQA, den begehrten Qualitätspreis der USA, zu gewinnen. Weitere Unternehmen folgten. Insbesondere seit 1995 haben eine exponentiell steigende Anzahl von renommierten Weltunternehmen Six Sigma implementiert (Magnusson 2001, 5). Motorola konnte in der Folge drastisch die Qualität seiner Produkte steigern, was auch vom Markt honoriert wurde. Motorolas Bedeutung und seine Qualitätspolitik der damaligen Zeit:

Das Unternehmen konzentrierte sich stark auf das Committment seiner Führungsspitze, um ihr Engagement für Six Sigma zu verstärken und dadurch die Mitarbeiter zu überzeugen. Mit einem solchen Top Down-Ansatz war es möglich, dass Six Sigma auch von den Mitarbeitern ernst genommen wird. – Das ist natürlich nicht neu: Im QM hat diesen Ansatz bereits Ph. B. Crosby vertreten und erfolgreich durchgesetzt. Seine Bücher waren damals, als Galvin sein Management instruierte, bereits allseits bekannt. (Zollondz 2011, 138ff)

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

213 ◀ Abb. 3.51: Die nichtlineare Six Sigma-Verteilung



Die hellgraue Verteilung stellt ein Merkmal dar, das um den Zielwert herum zentriert ist. Mißt man mehrmals die kurzfristige Leistung eines Merkmals, so stellt man fest, dass sich der Mittelwert im Zeitverlauf verändert. Man geht gewöhnlich von einer Veränderung von ± 1,5 s (Standardabweichungen) aus, welche durch die dunkelgrauen Flächen dargestellt wird. Alle Langzeitmessungen in Six Sigma beinhalten diese Annahme, was auch die Erklärung dafür ist, dass technisch gesehen Six Sigma einer Rate von 3.4 Fehlern pro Million Möglichkeiten entspricht. (Quelle von Grafik und Erläuterung: Magnusson et al. 2001,15)

die statistische Varianz gemessen. Betrachten Sie die Funktion der nichtlinearen Verteilung (Abbildung 3.51). Je kleiner die Streubreite im Verhältnis zur Breite des Toleranzfeldes ist, also je öfter Sigma (s) in das Toleranzfeld passt, desto geringer ist die Fehlerhäufigkeit bzw. das Fehlerrisiko. Mit steigendem Sigma-Wert nimmt der Anteil der Toleranzüberschreitungen stark ab. Es geht also um die Steuerung des Maßes für die Streuung (um den Mittelwert), ausgedrückt mit der Maßzahl s (sigma). Bill Smith von Motorola hat das Maß für die Streuung benutzt, um die Standardabweichung (s) bei den Fertigungsprozessen als Maßgröße zur Fehlermessung anzusehen (Kamiske/Brauer 1999, 265): „Da die Streuung als besonders wichtige Ursache für Fehler anzusehen ist, ist ihre Messung und Analyse unerläßlich. Maßgröße ist hier die Standardabweichung s. Die als zulässig angesehene Streuung einer Normalverteilung wird in der Regel mit ± 3s angegeben. Dies bedeutet, dass bei einem entsprechenden Prozess 99,73% aller Prozessergebnisse (z.B. gefertigte Teile) in diesen Bereich um den Mittelwert m fallen. Umgekehrt ergibt sich daraus eine Fehlerrate von 0,27% oder 27000 ppm (Parts per Million). Da jedoch die meisten Produkte aus diversen einzelnen Bauteilen bestehen und außerdem in mehreren Prozessen bzw. Prozessschritten gefertigt werden, reicht eine zulässige Streuung von ± 3s nicht aus, um eine nahezu fehlerfreie Produktion sicherzustellen. Es sind also Fertigungsprozesse zu entwickeln, die so robust gegenüber äußeren Einflüssen sind, daß sie eine deutlich größere Streuung zulassen (Robust Design).“

Der Streubereich von ± 6s war für Motorola der anzustrebende Bereich, um die Fehlerrate deutlich zu senken: Fehlerrate von 0,0000034% oder 3,4 ppm. So wurde Sechs-Sigma-Qualität (sixsigma-quality) als Qualitätsziel formuliert. Um was es praktisch geht

Da Streuung als besonders wichtige Ursache für Fehler anzusehen ist, ist ihre Messung unerlässlich

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

214 Abb. 3.52: Quality Control Chart mit Six Sigma-Parabel ▶

Definition I Six Sigma als Qualitätstechnik

Definition II Six Sigma als qualitätsbezogene Arbeitsphilosophie

wird jedem einsichtig, der die Qualitätsregelkarte (QRK – Control Chart) in der Abbildung (entnommen Rath & Strong 2004, 89 [Abbildung 3.52]) betrachtet (s. zur QRK Zollondz 2011, Kap. 2.4), wo die Obere und Untere Eingriffsgrenze den Sigma-Bereich abgrenzen. Rechts zeigt die Parabel die grafische Verknüpfung zum Six SigmaAnsatz. Qualitätsregelkarten gehören zu den Qualitätstechniken bei Six Sigma. Entsprechend der eben aufgezeigten statistischen Interpretation lässt sich die Qualitätstechnik Six Sigma wie folgt bestimmen: Qualitätstechnik mit dem Ziel entsprechend den festgelegten qualitätsbezogenen Parametern (Qualitätsmerkmalen) einen möglichst fehlerfreien Prozess zu erreichen („NullfehlerProduktion“). Geiger/Kotte weisen Six Sigma den Platz eines qualitätsbezogenen Werkzeuges zu (ein weiteres Werkzeug ist die BSC) und definieren Six Sigma wie folgt (2005, 490f): „Arbeitsphilosophie und geschäftliche Strategie auf der Basis eines kundenorientierten Ansatzes, eines effizienten DatenManagements sowie robuster Methoden und Zielsetzungen, die es ermöglichen, die Veränderlichkeit von Prozessen zu beseitigen und ein Fehlerniveau von weniger als 3 ppm zu erreichen.“ Ziel von Six Sigma ist es die Wertschöpfungskette vom Unterlieferanten bis zum Kunden so zu strukturieren, dass sich immer weniger Fehler einstellen können. Wird diese Zielsetzung erreicht, ist mit folgenden Vorteilen zu rechnen: ◼ Kürzere Durchlaufzeiten ◼ Reduzierter Prüfaufwand ◼ Weniger Reparaturen und Reklamationen

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

◼ Weniger unbeantwortete Kundenanrufe ◼ Geringerer Ressourcenverbrauch Bei Zielsetzungen und erwarteten Ergebnissen dieser Art bedarf es eines breiter angelegten Managementansatzes. Die reine Anwendung einer Qualitätstechnik greift zu kurz. In Geiger/Kotte heisst es denn auch (2005, 493): „Im Mittelpunkt steht der motivierte Mensch. Der kann ‚Berge versetzen‘. Six Sigma weist den Weg dazu.“ Der Weg, den Six Sigma weist, ist ein strategischer. Six Sigma verknüpft systematisch erprobte Qualitäts- und Qualitätsmanagementansätze zu einem strategisch ausgerichteten Qualitätsmanagementsystem, das wie folgt zu bestimmen ist: Der Six Sigma-QM-Ansatz beruht auf der konsequenten Weiterentwicklung der Qualitätstechnik Six Sigma, indem unter der obersten Zielsetzung (top down), dem Streben nach höchster Qualität nach dem Prinzip der Messbarkeit und des datengesteuerten Vorgehens auf der Basis von Statistik, sämtliche bekannten und erprobten Qualitätsansätze einbezogen werden, damit auf der Basis von wohldefinierten Wertschöpfungsprozessen und der Beseitigung von Verschwendung (Muda) projektorientiert dem Kundennutzen entsprechend Produkte erzeugt werden. Generalisierung: Am Beispiel von Six Sigma lässt sich sehr gut nachvollziehen, wie aus Einzeltechniken Systeme entstehen (Dieser modus operandi durchzieht das gesamte Qualitätsmanagement!): Nicht die Theorie, nicht die Wissenschaft, nicht die deduktive Ableitung bestimmen die Praxen des QM, sondern umgekehrt: Induktives Vorgehen, praktisches Ausprobieren beherrschen das Geschehen … bis heute. Nicht anders ist es ja beim KVP, der auch als Qualitätstechnik in der betrieblichen Praxis erprobt wurde und heute als Basisbaustein von QM-Systemen konstitutiv ist. Auch das System der ISO 9000 genauso das EFQM-Modell sind Konglomerate, die aus Praxen entstanden sind. Der Six Sigma-QM-Ansatz wird – basierend auf Grundsätzen des Prozessmanagements – mit einem wohldefinierten Zyklusmodell (Regelkreis) projektorientiert verfolgt. Dieser spezielle Ansatz wurde erstmals in Projekten bei Motorola entwickelt, als es darum ging, das Wissen aus Projekterfahrungen zu verallgemeinern, um es zu transferieren. Bei Gygi et al. heisst es (2006, 77): „Anfang der 1990er Jahre half Motorola dem IT-Unternehmen Unisys bei der Lösung komplexer Probleme im Zusammenhang mit der Fertigung mehrschichtiger Leiterplatten für militärische Zwecke. Das Problem konnte mithilfe der statistischen Analyse-

215

Definition II Six Sigma als Ansatz des Qualitätsmanagements

Generalisierung Nicht durch Deduktion, sondern durch Induktion erfolgt die Weiterentwicklung von QM-Systemen. Deduktion erfolgt im zweiten Schritt mit einem deutlichen time-lag. Die Praxen dominieren die Theorie! Six Sigma bedeutet immer klar definierte Projekte mit einem eindeutigen Bezug auf Prozesse, die von einem Prozesseigner gesteuert werden.

216

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

werkzeuge von Six Sigma gelöst werden. Daraufhin wollten die Manager die in diesem Projekt gemachten Erfahrungen weitergeben. Nach einem arbeitsreichen Tag in Salt Lake City, dem Standort von Unisys, saßen die Manager in geselliger Runde zusammen und So entstand die Idee mit den Black Belts … kamen spontan auf die Idee, denen am Six Sigma beteiligten Ingewie eine Legende nieuren den Titel ‚Black Belt‘ zu verleihen – eine Anleihe aus den fernöstlichen Kampfsportarten, bei denen der Schwarze Gürtel Disziplin und Wissen verkörpert. ‚Unter diesem Namen lässt sich das Konzept verkaufen‘, prophezeite der Manager von Unisys.“ Was sich anhört wie eine Legende, sollte sich bald als umfassende QM-Konzeption global ausbreiten. Heute existieren weit über 300 Fachbücher zu Six Sigma und ein Vielzahl an Softwaretools, die sich auf die folgenden Schwerpunkte konzentrieren: ◼ Prozessmodellierung und Prozesssimulation ◼ Statistische Analyse ◼ Prozessmanagement und Prozessausführung ◼ Programmportfolio und Projektmanagement. Zahlreiche Beratungsunternehmen haben sich auf Six Sigma Zur Penetration von als Beratungsschwerpunkt spezialisiert. Schließlich haben auch in Six Sigma in Deutschland Deutschland Hochschulen und Universität Six Sigma in ihr Lehrangebot aufgenommen. Ohne dass staatliche oder quasistaatliche Institutionen Empfehlungen ausgesprochen hätten, haben sich die – auf der Basis der bereits dargestellten statistischen Annahmen – folgenden Die zentralen Elemen- Kernelemente des Six Sigma-QMS etabliert: te eines Six Sigma(1) Die Projektmanagement-Strategie auf Basis des QMS DMAIC-Circle (2) Das spezielle Six-Sigma-Führungskonzept gekoppelt mit einem darauf bezogenen Ausbildungsprogramm (3) Der Initiations- und Umsetzungszyklus in fünf Phasen. Zu (1): Die Projektmanagementstrategie von Six Sigma – Die Six Sigma sollte mit einem Projektmanage- DMAIC-Methodik zeigt uns, dass hier direkt Anleihen bei Demings mentansatz eingeführt PDCA-Zyklus genommen wurden. Während Deming jedoch vier Phawerden und auf dem sen für seinen Verbesserungszyklus eingeführt hat, sieht DMAIC eiDMAIC-Zyklus beruhen nen fünfphasigen Zyklus vor, wie Abbildung 3.53 zeigt (Folgeseite): D = Define Definieren M = Measure Messen A = Analyze Analysieren I = Improvement Verbessern C = Check (control) Steuern, Lenken Dieser standardisierten Methodik folgt jedes Six Sigma-Projekt, wobei jede Phase dieses Zirkels methodisch durchdacht ist, um eine praktische Lösung entwickeln zu können und einen Durchbruch zu erzielen (Breakthrough). In jeder Phase sind wiederum ‚passende‘

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma Define

D Definieren (Planende Festlegung) ◈ Projektauswahl ◈ Problembeschreibung ◈ Zielbeschreibung

Measure

M

Analyse

A

Messung ◈ Messen ◈ Daten sammeln ◈ Variationsgröße ermitteln ◈ Sigmaniveau Prozess

Improve

I

Check/Control

D C M I A

C

Verbesserung Maßnahmen zur Verbesserung des Prozesses Analyse Was sind … ◈ die Symptome? ◈ die Ursachen?

217

Überprüfung/ Evaluation Sicherstellen, dass der Prozess dauerhaft verbessert bleibt

Qualitätstechniken einzusetzen. Hierüber gibt es inzwischen einen umfangreichen Werkzeugkasten [z. B. von Lunau (2006) und Rath & Strong‘s (2004, 2005)], der sich aus den Tools (Qualitätstechniken) des QM und des allgemeinen Managements speist. Differenzierungen im Zyklus ergeben sich, wenn es um neue Produkte geht. Immer aber gilt, dass die letzte Phase C = Check/Control die Standardisierung der Verbesserung und Einführung einer fortlaufenden Regelung mit der Maßgabe der Zirkularität festlegt. Ein Zyklus hat eben kein Ende, sondern verweist immer wieder auf den Beginn (hier D = Define). Zu (2): Das Führungskonzept von Six Sigma – Wenn Six Sigma in eine Organisation eingeführt werden soll, heisst es, eine strategische Entscheidung zu treffen. Dieser Top-Down-Ansatz ist von der Obersten Leitung zu vertreten und von allen Führungskräften zu tragen (Committment). Das Konzept beruht auf dem Zusammenspiel von allen Mitgliedern eines Six Sigma-Teams. In jedem Team übernimmt jeder eine spezifische Rolle, wobei im Mittelpunkt aller Aktivitäten das Six Sigma-Projekt steht. Durchgesetzt haben sich bestimmte Bezeichnungen und Funktionen, die von den US-Managern von Unisys (s.o.) bewusst dem japanischen Kampfsport Karate entlehnt wurden. Einprägsam ist die folgende Hierarchie (Abbildung 3.54, Folgeseite): ◼ Führungsgruppe ◼ Champions ◼ Master Black Belts ◼ Black Belts ◼ Green Belts ◼ Yellow Belts/White Belts ◼ Projektmitarbeiter.

▲ Abb. 3.53: Der DMAIC-Zyklus von Six Sigma

Das besondere Führungskonzept von Six Sigma

Six Sigma und die bewusste Verknüpfung mit Begriffen aus dem japanischen Kampfsport Karate

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

218 Abb. 3.54: Die SixSigma-Gürtel-Pyramide ▶

Führungsgruppe Champions Master Black Belts Black Belts Green Belts Yellow Belts / White Belts Projektmitarbeiter Wann ist einer dies, wann das? – Beschreibung der „Gürtel“

Eingewandt wird, ob eine Differenzierung in dieser Tiefe auch praktikabel erscheint. Hier zeigen die Berichte aus der Praxis eher, dass die Stufe der Yellow/White Belts entfallen könnte. Die folgende Beschreibung mag eine Kürzung hilfreich unterstützen:

(1) Champions sind die Senior Führungskräfte, die die Six Sigma-Initiative in Gang setzen und die Projekte definieren und steuern. Sie sorgen dafür, dass die Ressourcen bereitstehen und greifen in Konfliktfällen ein. Sie benötigen für die Aufgabe dieser Funktion eine etwa einwöchige Ausbildungszeit. (2) Master Black Belts (schwarzer Meistergürtel) stehen als Trainer zur Verfügung, haben sehr gute Analysefähigkeiten und hohe Führungs- und Trainerqualitäten. Ihre Ausbildung dauert etwa zwei Wochen. Ein Master Black Belt führt etwa zehn Black Belts. (3) Black Belts (schwarzer Gürtel) sind ausschließlich für das Six Sigma-Programm tätig. Sie sind die Treiber und Multiplikatoren, deshalb ist die Personalauswahl besonders sorgfältig zu betreiben. Neben einer guten Fachkompetenz, ist ebenso eine ausgeprägte Sozialkompetenz erforderlich. Ein Black Belt ist für etwa 100 Mitarbeiter tätig. Seine Ausbildung dauert vier Wochen und erstreckt sich auf vier Monate. (4) Green Belts (grüner Gürtel) sind diejenigen Mitarbeiter, die unter den Black Belts in Projekten mitarbeiten. Ca. 20 Green Belts arbeiten mit ca. 100 Mitarbeitern zusammen. Ihre Ausbildung dauert 6 Tage und bezieht sich auf drei Monate. (5) Yellow oder White Belts sind alle Mitarbeiter, die an einem eintägigen Seminar teilgenommen haben. (6) Projektmitarbeiter sind alle, die die operativen Tätigkeiten durchführen. Sie sind nicht extra trainiert, sondern eignen sich ihr Wissen on the job an.

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

219 ◀ Abb. 3.55: Black Belt-Zertifikat für einen Black Belt bei ABB

Um einen Einblick in das Qualifikationsprofil der Belts zu erhalten, ist ein Zertifikat für den Black Belt, wie es bei ABB erteilt wird, hier abgebildet (Abbildung 3.55). Zu (3): Zum Initations- und Umsetzungszyklus – Der Zyklus wird Der Implementationsim Folgenden in fünf Phasen dargestellt. In der Praxis ist auch eine prozess von Six Sigma tiefere Phasengliederung zu beobachten. Hier das Fünf-Phasen-Sche- in fünf Phasen ma nach Gygi et al. (2006, 81ff): (1) Six Sigma wird initialisiert, indem die Ziele festgelegt werden und die erforderlichen Ressourcen bzw. Infrastruktur eingerichtet werden.

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

220

Zum eigentlich Entscheidenden bei Six Sigma

(2) Six Sigma implementieren, indem die Mitarbeiter ausgewählt, Trainings durchgeführt werden und dann die Ausstattung erfolgt. (3) Umsetzen der Projekte, optimieren der Leistungen. Hierbei ist die Auswahl der Projekte wichtig. Die ersten Projekte dürfen nicht zu umfangreich sein, damit sich der Erfolg einstellen kann. (4) Auf der Basis erfolgreich durchgeführter Six SigmaProjekte Erweiterung des Programmumfangs und Integration weiterer Geschäftsbereiche in die Six-Sigma-Initative. Es entwickelt sich eine projektorientierte Six Sigma-Kultur, die Voraussetzung ist für die nächste Phase. (5) Stärkung der Six Sigma-Initiative durch nachhaltige Nutzung und Neuausrichtung, indem Trainings durchgeführt werden. Wir hatten gesehen, dass sich Six Sigma von der Breite der Normalverteilung eines Prozesses ableitet (plus und minus drei Standardabweichungen oder 3 s als Eingriffsgrenzen). Wenn Toleranzgrenzen gesetzt werden können und die Prozessbreite so eingegrenzt werden kann, dass die Entfernung von der Prozessmitte bis zu der am nächsten liegenden Toleranzgrenze sechs Normalverteilungen beträgt, dann wird man einen sehr fähigen Prozess erhalten. Auch wenn der Prozess sich um 1,5 s verschöbe, würde man nur 3,4 Teile pro eine Million Teile fehlerhaft herstellen (auch wenn weiterhin eine 1,5 Standardabweichung von den Toleranzgrenze läge [Prozessfähigkeit]). In diesem Sinne bedeutet eine Six Sigma Performance also eine nahezu perfekte Leistung. Das Entscheidende bei Six Sigma: Eigentlich geht es bei Six Sigma als Qualitätsmanagement-System aber weniger darum, ob ein Prozess nun in die Lage versetzt wird, bei einer Million nur 3,4 Fehler zu produzieren. Das Entscheidende ist das systematische projektbezogene Vorgehen, das angewandt wird, um dieses Ziel anzupeilen. Und dieses Vorgehen berücksichtigt zuvorderst die Mitarbeiter. Letztendlich ist es aufgrund der Rollenkonzeption (Black Belt) ein sozialwissenschaftliches Handlungsmodell der Soziotechnik, dessen Grundzüge hier nur sehr kurz beschrieben werden konnten. Six Sigma bedeutet immer klar definierte Projekte mit einem eindeutigen Bezug auf Prozesse, die von einem Prozesseigner gesteuert werden. „Falsch ist es jedoch, Six Sigma als ein typisches ’Cost Cutting-Verfahren‘ anzusehen, genauso wie es falsch ist, Six Sigma als einen rein statistischen Mess- und Verbesserungsansatz zu betrachten.“ (Töpfer 2009a, 43) Zutreffend ist die Entwicklung, dass sich Six Sigma seit 2011 als Norm der ISO etabliert hat. Sie trägt die Bezeichnung „ISO 13053-1/2:2011

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

Part 1: Quantitative methods in process improvement – Six Sigma/ Part 2: Tools and techniques“ und ist unter folgendem Link bei der ISO abrufbar: http://www.iso.org/iso/home/news_index/news_archive/ news.htm?refid=Ref1461 Informelle Informationen erhält man auf der folgenden URL: http://www.tracom.de/de/blog/management/iso-130532011-six-sigma/ Desweiteren ist auch die Institutionalisierung der Six Sigma-Community fortgeschritten. Auf der Internet-Plattform des European Six Sigma Club Deutschland e.V (ESSC-D), gegründet 2007, kann man sich informieren: http://www.sixsigmaclub.de

3.9.2 Aus Six Sigma wird Lean Six Sigma? Viele der Projektinitiativen, die die Wortkombination „Lean Six Sigma“ nutzen, ergänzen ihr Six Sigma-Projekt einfach um Qualitätstechniken, die sich mit dem Begriff „Muda“ verbinden. Dabei werden die bekannten Elemente „Muda durch Überproduktion“, „Verschwendung durch unnötige Bewegung“ etc. umstandslos in den individuellen Katalog der Qualitätstechniken des Projekts aufgenommen. Wieder andere Projekte nutzen das Element „Standardisierung“ und benennen ihr Projekt „Lean Six Sigma“. Derartiges Vorgehensweisen lassen sich unter dem Begriff Etikettenschwindel fassen. Es handelt sich nicht um echte Lean Six Sigma-Projekte. Sie folgen noch nicht einmal der Minimaldefinition von George (2002, xii): „Lean Six Sigma is a methodology that maximizes shareholder value by achieving the fastest rate of improvement in customer satisfaction, cost, quality, process speed and invested capital.“ Was kennzeichnet solche Projekte? Zunächst einmal ist festzustellen, dass die beiden Ansätze Elemente enthalten, die identisch sind, so das Streben nach höchster Qualität. Andererseits sind aber Elemente gegensätzlicher Natur erkennbar, so die Art der Mitarbeiterführung, die von gänzlich unterschiedlichen Vorstellungen zum Menschenbild geleitet werden. Das Humansystem von Toyota verträgt sich auf keinen Fall mit dem soziotechnischen Black Belt-Ansatz von Six Sigma. Auch was die zeitliche Ausrichtung betrifft, müsste der Projektcharakter von Six Sigma-Initiativen in eine langfristige Strategie entsprechend dem Lean Management umgeformt werden (Dahm/Haindl 2011, 109): „Das Lean Management bringt eine in mehreren Jahrzehnten entwickelte, philosophische Basis mit den Kernpunkten

221 ISO 13053-2011, die neue Norm zu Six Sigma

Zur ISO 13053 hat der Six Sigma Club keine Stellungnahme formuliert. Offenbar ist man dort nicht so überzeugt von der Qualität dieser ISO-Norm Die hinter den Wortkombinationen Lean Six Sigma stehenden Inhalte sind nicht durchgängig vertrauenswürdig

Lean Six Sigma verträgt sich nicht mit dem Humansystem von Toyota

222

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

der Verschwendungsvermeidung, der kontinuierlichen Verbesserung und der Kundenorientierung.“ Es zeigt sich also, dass schon ein erster Blick auf beide Konzeptionen deutliche Diskrepanzen erkennen lässt, die einer umstandslosen Kombination der Elemente entgegenstehen. Der Vorstellung von George (2002), einfach Qualität und Zeit als übergeordnete Maximen zu begreifen kann nur entsprochen werden, wenn man die Inhalte beiDie drei kombinatorider Ansätze nicht so genau betrachtet hat. Armin Töpfer empfiehlt zuschen Möglichkeiten nächst drei grundsätzliche Möglichkeiten der Kombination von Lean von Lean Six Sigma Management und Six Sigma ins Auge zu fassen (2009b, 57): „1. Die Strategie, den aufwändigen Six Sigma-Projektmanagementprozess mit dem Gedankengut und den Methoden des Lean Managements schlanker zu machen 2. Lean Management gezielt durch Six Sigma-Projekte zu ergänzen 3. Beide Konzepte ganzheitlich in zweckmäßiger Bearbeitungsfolge und in leistungsfähigem Ausmaß inhaltlich untereinander zu vernetzen.“ Diese drei Alternativen wertet er dann wie folgt (Töpfer 2009,57f): ◼ „Die 1. Alternative fokussiert also immer auf Six Sigma und macht den Projektdurchführungsprozess schlanker und damit effizienter, aber nicht unbedingt effektiver. Mit anderen Worten kann das Wirkungs- und Ergebnisniveau hierunter leiden. ◼ Die 2. und 3. Alternative streben eine Strategie der Koordination und der Integration an. Bei der 2. Alternative folgt Six Sigma auf Lean Management, wobei beide Konzepte weiterhin nebeneinander bestehen. ◼ Bei der 3. Alternative ist Lean Management Bestandteil der Six Sigma-Umsetzung, wobei i.d.R. immer zuerst Lean ManagementAktivitäten durchgeführt werden, um mit Six Sigma auf schlanken Prozessen aufzusetzen. Six Sigma selbst soll dann ebenfalls als Lean-Prozess durchgeführt werden. Beabsichtigt ist damit eine stufenweise Integration der beiden Methoden.“ Daraus folgt erstens, dass sich ein beliebiger Mix der beiden AnsätBitte beachten: Kapitel 10.4 ... „Missverständ- ze verbietet und zweitens, dass en detail die Erfolgsmeldungen aus der nisse“ Praxis daraufhin zu prüfen sind, welcher Ansatz (Alternative) gewählt wurde. Mit Sicherheit dürfte die dritte Alternative die aufwändigste sein, einen Lean Six Sigma-Ansatz zu etablieren. Die Transparenz wird in Zukunft gefördert werden, da sich wohl die neue Norm ISO 130531/2:2011 durchsetzen wird. Bleibt noch zu fragen, wie Toyota selbst einen Ansatz wie Six Sigma für seine Organisation einschätzt. Bicheno & Holweg formulieren hierzu sechs kritische Punkte (2009, 178f):

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

„1. The preference for pokayoke. That spirit seems to persist at Toyota where there are reported to be between 5 an 10 pokayoke devices for each process step! 2. The idea that problems and defects need to „surfaced“ immediately, not studied at length. TPS is packed with conceps designed to highlight line stop, andon board, music when a machine stops, Heijunka (which can highlight non attainment of schedule within minutes), and of course a wide awareness of „muda“. The thought seem to be to „enforce“ short term an continuous problem solving. Moreover, when problems are identified, the „5 whys“ are employed to try to get to root cause. 3. A worry about the elitism of Six Sigma, especially the „black belt“ image. The TPS way is for everyone to be involved in improvement, and hence a great reluctance to identify specialist problem solvers – however good. This is also reflected in policy deployment. 4. A „Systems Approach“. Althought Six Sigma would claim to use a systems approach, Toyota certainly uses it through value mapping and policy deployment. Hence, it avoids the suboptimisation that is a risk in Six Sigma projects. 5. A belief that many quality problems lie in design. 6. Toyota has a significant improvement organisation in place, that undoubtedly extends the Six Sigma master black belts/black belt/green belt organisation.“ Diese eher ablehnende Haltung Six Sigma mit Lean Management zu verbinden findet ihre Bestätigung durch Liker & Hoseus, die realistischerweise folgendes festhalten (2009, 605f): „Wir glauben, dass die meisten Unternehmen Lean Six Sigma als eine Sammlung von Werkzeugen betrachten, um Kosten einzusparen und in einigen Fällen auch die Qualität zu steigern. Lean Six Sigma unterliegt der Kontrolle der obersten Führungsgremien, die eine regelmäßige Berichterstattung über die kurzfristigen Ergebnisse verlangen, die den Lean-SixSigma-Programmen zuzuschreiben sind. Der Toyota-Weg ist kein Programm, obwohl Toyota Programme eingesetzt hat, um seine spezifische Denkweise zu bekräftigen. Der typische Lean-Six-Sigma-Ansatz kommt der westlichen Denkweise entgegen, die von einfachen Ursache-Wirkungs-Beziehungen ausgeht und das Unternehmen im Wesentlichen als technisches System begreift, das mit den richtigen Werkzeugen geschickt manipuliert werden muss, um finanzielle Erträge abzuwerfen. Diese Denkweise ist dem Humansystem, das dem Toyota-Weg unterliegt, gänzlich fremd.“

223 Sechs Kritische Punkte zum Verhältnis von Six Sigma und dem TPS

Experten des Lean Managements stehen Lean Six Sigma eher ablehnend gegenüber „Toyota zöge gute Prozesse auch ohne gute Ergebnisse vor, weil sie zumindest Ansatzpunkte für kaizen und Verbesserung böten. Der Prozess sei wiederholbar und könne deshalb durch PDCA analysiert und angepasst werden. Das sei der einzige Weg zu nachhaltig guten Ergebnissen.“ (Liker/ Hoseus 2009, 612)

224

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Toyotas Humansystem bezieht sich, wie die kleine Skizze hier zeigt ▼, auf sein Führungsmodell, in dessen Mittelpunkt der qualifizierte Mitarbeiter steht, das Wettbewerbsvorteil entscheidende Wettbewerbsvorund allseitiges Wohlergehen teile schafft. Gut aufeinanderabgestimmte Systeme sind wichtige immanente Elemente, können aber nur unterstützende Funktionen erfüllen. Die Basis bildet eine starke qualifizierte Mitarbeiter Kultur. Dieser Sachverhalt wird in der Lean Six Sigma-Literatur völlig vernachlässigt. Stattdessen unterstützende Toyota-Kultur wird immer wieder die „Black Systeme Belt-Kultur“ in den Zusammen„Leider kann man menschliche Qualifikationen nicht hang gestellt. Diese ist aber völlig ’implementieren’ wie qualitätsorientierte Werkzeuge oder konträr zum Humansystem von technische Verfahren“ (Liker/Hoseus 2009, 611) Toyota. „Im Vergleich zu Lean Six Sigma wird ein breiter gefächertes Instrumentarium eingesetzt, und die Werkzeuge sind darauf ausgerichtet, Probleme dingfest zu machen und die Kompetenzen der Beschäftigten weiterzuentwickeln. Die Verantwortung liegt nicht bei „Black Belt“-Spezialisten, sondern bei den Mitgliedern der Führungsetagen, die als Lehrer und Coaches fungieren. Das Ergebnis sind der kontinuierliche Abbau von Verschwendung, Vorteile im Wettbewerb und allseitiges Wohlergehen.“ (Liker/ Hoseus 2009, 625) Der nun folgende Vergleich ausgewählter zentraler Themen der Six Sigma und Lean Management miteinbeiden Ansätze klärt zunächst den Sachverhalt: Sowohl der Six Sigmaander vergleichen wie auch der hier zu betrachtende Lean Six Sigma-Ansatz verstehen sich als Konzepte, die auf Methodiken (Qualitätstechniken) basieren. Dagegen ist das Toyota Managementsystem (The Toyota Way) als relativ ausgereiftes Managementsystem zu verstehen. Die Synopse der Abbildung 3.56 ist also eigentlich nicht ganz korrekt, da hier einerseits ein System herangezogen wird, das sich im „status nascendi“ befindet und noch gar nicht als vollwertiges Managementsystem gesehen werden darf, sondern eher als ein eine Strategie unterstützendes System, andererseits das Toyota Managementsystem, das in der Tat ein Paradigma für ein Managementsystem darstellt. Hierzu Liker & Hoseus (2009, 626f): „Bei Lean Six Sigma handelt es sich um die Anwendung einer Methodik durch ’Black Belts’, die Daten sammeln, spezielle Veranstaltungen leiten, Projekte durchführen und anhand von Kennzahlen ausgedrückte Ziele anstreben. Erfolgreiche Verfahren werden mit dem Etikett ’Best Practice’ oder bewähr-

3.9 Six Sigma + Lean Management = Lean Six Sigma

Lean Six Sigma

The Toyota Way

◼ Anwendung der Methodik

◼ die menschlichen Fähigkeiten

◼ „Black Belt“-Meister

◼ sensei (Lehrer)

◼ Datensammlung

◼ genchi genbutsu (Erkundungen

◼ Kaizen-Event (schnelles Verbes-

◼ jishuken (spontanes Selbst-

◼ Durchführung eines Projekts

◼ System-kaizen/Prozess-kaizen

serungsevent)

weiterentwickeln

225 ◀ Abb. 3.56: Terminologischer Vergleich: Lean Six Sigma versus The Toyota Way (Liker/Hoseus 2009, 627)

am Ort des Geschens, Betrachtung der Befunde)

studium)

◼ Anwendung der Standardmethode ◼ Der standardisierte Arbeitsablauf gehört zum Wissensschatz des Teams

◼ die bewährte Verfahrenweise

◼ yokoten (den Sämling umpflanzen

◼ DMAIC

◼ Toyota Business Practices

◼ Kennzahlen anwenden

◼ Managementsystem vor Ort

◼ jemanden für die Erreichung der

◼ Hoshin kanri (Policy Deployment

◼ Die Belegschaft reduzieren

◼ Positionen eliminieren

verbreiten

Kennzahlen zur Rechenschaft ziehen

und hegen)

mit dem Augenmerk auf den Prozess und den Ergebnissen)

ter Methode versehen und von den ’Black Belts’ weiterverbreitet. Die abweichende Terminologie des ’Toyota Way’ fällt direkt ins Auge: Hier geht es um die Mehrung der menschlichen Fähigkeiten, um Unterrichtung, Erkundung und Beobachtung (genchi genbutsu), um spontanes Selbststudium (jishuken) und eigenverantwortliche Arbeitsgruppen. Das Konzept des yokoten (den Sämling umpflanzen und hegen) hat ganz anderen Beiklang als ’Anwendung der Standardmethode’. Die Arbeitsgruppe ist für das yokoten, die Umpflanzung und Hege der Sämlinge, und für die Verbesserung verantwortlich – im Gegensatz zu den ’Black Belts’, die für die Anwendung von Lean Six Sigma verantwortlich sind.“ Schließlich prallen hier zwei Paradigmen aufeinander, die von völlig unterschiedlichen Grundannahmen ausgehen.

Die Kombination von Lean mit Six Sigma führt zu einem in sich inkompatiblen Paradigma, das aus der Sicht von Experten des Lean Managements abzulehnen ist

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

226

„Es ist einfacher, durch eigenes Handeln zu einer neuen Denkweise zu gelangen, als durch die eigene Denkweise neue Wege des Handelns zu finden.“ ( John Shook)

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) Der Begriff „Ganzheitliche Produktionssysteme“ tauchte in den späten 1990er Jahren in Deutschland auf, nachdem – besonders in der Automobilindustrie – erkannt wurde, dass es eine problemverkürzende Reaktion war aus einem Werkzeugkasten japanischer Managementinstrumente nach Gutdünken die gerade passend erscheinenden auszuwählen und einzusetzen. Diese Praxis erbrachte wenig Erfolg. Besonders diejenigen Unternehmen, die bereits seit längerer Zeit ein Ganzheitliche Pro„Produktionssystem“ etabliert hatten, sahen in dem Toyota Produkduktionssysteme tionssystem ein „Maßnahmebündel“ zur methodisch strukturierten sind mehr als ein und stabilisierenden Optimierung, indem sie die besondere Art der Werkzeugkasten Unternehmensführung als ein Führen mittels standardisierter Mejapanischer Managethodiken zu begreifen begannen. Die Prinzipien und Techniken des mentinstrumente TPS wurden ansatzweise in ihrem Zusammenwirken begriffen und angewandt auf als eigene standardisierte Betriebsanleitungen zur Produktherstellung deutsche Verhältnisse. Sie sind zunächst definiert. So entstanden ab 1990 die ersten unternehmenseigenen einmal standardisierte heute so genannten „Ganzheitlichen Produktionssysteme“, die in keiBetriebsanleitungen ner Weise als Managementmode gesehen werden dürfen. Sie wurden zur systematischen natürlich firmenspezifisch benannt. Abbildung 3.57 (Folgeseite) zeigt Produktherstellung eine Auswahl, die sich vor allem auf den Automobilbereich bezieht (vertikale Achse). Die Auswahl ist willkürlich getroffen. Das Chrysler Operating System ist dabei ein wichtiges nicht-deutsches Beispiel. In jedem Fall gilt es folgendes hervorzuheben (Oeltjenbruns 2000, 145): „Heutige Produktionssysteme im Sinne der Arbeitsorganisationsform nach Toyota sind nahezu ausschließlich auf ihren Ursprung im Toyota Produktionssystem zurückzuführen. Unterschiede ergeben sich aus dem Grad ihrer Detaillierung hinsichtlich ihrer Darstellung und kulturellen Schwerpunkte.“ Eine kleine Gebrauchsanweisung zur Konfiguration eines GPS: ◼ Stärken kombinieren ◼ Schwächen ausräumen ◼ Elemente auswählen, ergänzen, anpassen (Bullinger et al. 2009, 570)

y

„Ganzheitliche Produktionssysteme sind methodische Regelwerke und Handlungsanleitungen zur Herstellung von Produkten. Sie stellen eine Art Betriebsanleitung für die Produktion vor allem unter Berücksichtigung organisatorischer, personeller und wirtschaftlicher Aspekte dar. Ganzheitliche Produktionssysteme bestehen aus organisatorischen Konzepten (z.B. für die Prozessgestaltung oder für Gruppenarbeit), aus Modellen (z.B. Entgelt- und Arbeitszeitmodelle) sowie aus Techniken (z.B. KVP, TPM, JIT, Visualisierungsmanagement). Sie richten sich in erster Linie an das untere und mittlere Management sowie an die betrieblichen Mitarbeiter. Mithilfe Ganzheitlicher Produktionssysteme sollen diese Personengruppen in die Lage versetzt werden, auftretende Probleme wie z.B. mangelnde Qualität, zu geringe Verfügbarkeit, zu niedrige Nutzungsgrade, zu hohe Lagerbestände, qualifikatorische Über- und Unterforderung oder zu geringe Motivation eigenständig zu lösen.“ – Quelle: (Spath, D. / Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO): Ganzheitlich produzieren. Log X_Verlag 2003)

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

Toyota Produktionssystem

Erfahrungen Erkenntnisse

Unternehmensproduktionssysteme

Generalisierung

Ganzheitliche Produktionssysteme

227 ◀ Abb. 3.57: Ganzheitliche Produktionssysteme, Ableitung und Beispiele

Chrysler Operating System (COS) Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) Opel/GM Produktionssystem (QNPS) VW Arbeits- und Prozessorganisation (APO) Audi ProduktionsSystem (APS) Porsche Produktionssystem (PPS) Knorr-Bremse-Produktionssystem (KPS)

Die horizontale Betrachtung von Abbildung 3.57 verweist auf die Begriffsbildung. Das deutsche Konzept der sogenannten Ganzheitlichen Produktionssysteme hat sich erst herausgebildet nachdem sie in der Praxis unter je spezifischen Bezeichnungen entstanden waren. Angestoßen wurde die Entwicklung von Unternehmensproduktionssystemen damals durch die Entwicklung bei Chrysler vor der Fusion mit Daimler. Chrysler hatte sich damals, Mitte der 1990er Jahre, nochmals mit dem TPS von Toyota befasst und daraufhin das eigene Chrysler Operating System (COS) eng an das TPS angepasst eingeführt. Das COS wurde dann bei der Fusion umgetauft als MercedesBenz-Produktionssystem (MPS). Diesem Trend unter Bezug auf das TPS, eigene Produktionssysteme zu konfigurieren, folgten nicht nur die in Abbildung 3.57 genannten Unternehmen. Das Frauenhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat diese Entwicklung genau studiert und schuf dann den Begriff Ganzheitliches Produktionssystem. Warum ganzheitlich? Weil die Elemente und Subelemente im Zusammenhang und voneinander abhängig gesehen werden müssen. Um die Kohärenz dieses Systems klarzumachen sei das Beispiel Verbesserung/Standardisierung genannt: Ein standardisierter Prozess ist immer verbesserungsfähig, das standardisierte Element ist immer als vorläufig zu sehen. Standardisierung und Verbesserung sind somit komplementäre Elemente eines Produktionssystems. Die seitdem in der Praxis vorfindbaren un-

Unternehmensbezogene ganzheitliche Produktionssysteme waren die Vorreiter von Ganzheitlichen Produktionssystem

Warum werden GPS ganzheitlich genannt?

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

228

Die Initiative des IAO auch den kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland die Entwicklung eines GPS zu ermöglichen Zu den Säulen- und Tempeldarstellungen des GPS

Das Mercedes-BenzProduktionssystem (MPS) als Beispiel für ein GPS

Skizzierung des MPS

ternehmensbezogenen Produktionssysteme sind natürlich nicht alle eins zu eins dem TPS nachgebildet. Es sind deutliche graduelle Unterschiede feststellbar (Oeltjenbruns 2000, 145ff). Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass grundsätzlich das TPS als Benchmark anzusehen ist. Gesprochen wird sogar von einer zweiten Leanwelle, in der beschleunigt nun unter systematisch deutlich besser aufbereiteten Erkenntnissen adaptierte Versionen des TPS die Organisationen „überrollen“. Das IAO unterstützt diese Entwicklung, indem es versucht auch den kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland Informationen zur Verfügung zu stellen und Beratung anzubieten, eigene Ganzheitliche Produktionssysteme zu entwickeln. Die Darstellung der Ganzheitlichen Produktionssysteme folgt meistens den weitverbreiteten Tempel-/Haus-Darstellungen (Kapitel  3.4). Die Anzahl der Säulen, die Gruppierung und inhaltliche Kennzeichnung unterscheiden sich von Unternehmen zu Unternehmen beträchtlich. Man gewinnt den Eindruck einer gewissen Beliebigkeit, wenn auch die meisten Kernelemente des TPS immer wiederkehren. Eine überzeugende Struktur, nach der ein Ganzheitliches Produktionssystem aufgebaut sein kann, läßt sich im Mercedes-BenzProduktionssystem finden (Abbildung 3.58 Folgeseite). Wie bereits erwähnt basiert es auf dem Chrysler Operating System (COS). Die frappierende Nähe zum TPS ist unverkennbar. Bei der Entwicklung waren denn auch japanische Experten im Einsatz. Das System lässt sich wie folgt beschreiben (Oeltjenbruns 2000, 135f): „Just-in-Time ist der treibende Prozess bei der stetigen Optimierung der Produktionsabläufe, mit dem Ziel der Kontinuierlichen Verbesserung unter Beseitigung von Verschwendung. Standardisierung sorgt dafür, dass erreichte Prozessoptimierungen beibehalten werden können und nicht wieder in gewohnte Abläufe zurückfallen. Als Fundament für diesen Weg sind Instrumente der ganzheitlichen Qualitätssicherung (Total Quality Management) und fehlersichere, „robuste“ Prozesse und Produkte erforderlich. Betroffen von diesem Prozess der stetigen Optimierung sind Arbeitsstrukturen bzw. die Arbeit in Teams (Gruppenarbeit). Die Kraft zur Erhaltung und weiteren Verbesserung eines Produktionssystems liegt in seiner teamorientierten Belegschaftsstruktur. Werker, Ingenieure und Führungskräfte arbeiten zusammen, um Verschwendung zu eleminieren und die Prozesse zu optimieren. Die beschreibenden Kennzahlen des Führungsstils sind freizugängliche Informationen. Gruppenarbeit, Aufgaben- und Verantwortungsdelegation, Leistungen basieren auf Zielvereinbarungen.“

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

229

Just in Time

Kontinuierliche Verbesserung

Fließfertigung

Pull Produktion

Produktionsglättung

Visuelles Management/5A

Gruppenarbeitsstrukturen

92

Klare Aufgaben und Rollen

12 15 21 29 34 42 44 52 64 68 70 74 80 82

Führung

Beseitung von Verschwendung

Kundenorientierung (intern & extern)

Stabile Prozesse/Produkte und präventives Qualitätsmanagement

Schnelle Problemerkennung und Fehlerbeseitung

Standar- Qualität und disierung robuste Prozesse / Produkte

Standardisierte Methoden und Prozesse

Arbeitssicherheit und Umeltbewußtsein

Beteiligung und Entwicklung von Mitarbeitern

Arbeitsstrukturen und Gruppenarbeit

Taktfertigung

Ergebnisse Methoden

Produktionsprinzipien

Subsysteme

MB-Produktionssystem

Sicherheit, Qualität, Ablieferung, Kosten, Mitarbeiterthemen

Im unternehmensinternen Dokument zum System findet sich die folgende Beschreibung (1999): „Das Mercedes-Benz-Produktionssystem ist ein integriertes System, das beschreibt, wie Prozesse innerhalb der MercedesBenz-Produktion gestaltet, implementiert und aufrechterhalten werden. Das Produktionssystem als Regelwerk leitet uns bei der Produktion unserer Aggregate und Fahrzeuge und gibt uns Orientierung bei der täglichen Arbeit. … Systeme sind hoch integriert – die einzelnen Prinzipien und Methoden können nicht einzeln funktionieren, und das resultierende System ist durch die Vernetzung der Einzelteile mehr als die Summe seiner Einzelteile.“

▲ Abb. 3.58: Mercedes-Benz Produktionssystem (MPS) – Systemelemente 1999 „A production system could be understood as the combination of hardware, software and people that gurantees the outcome of a business unit.“ (nach Talcott Parsons)

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

230

Überforderung der Mitarbeiter durch das MPS?

Die fünf Subsysteme des MPS

Das aus knapp 100 Seiten bestehende Dokument zum MPS enthält eine Systembeschreibung, die allein vom Umfang denjenigen erstaunen lässt, der sich erstmals mit der Materie befasst und dann sich noch mit einer speziellen Terminologiesprache konfrontiert sieht. Es bedarf einer immensen Trainingsanstrengung, um nicht nur die Botschaft an die Mitarbeiter zu vermitteln, sondern auch noch die Inhalte ins tägliche Handeln umzusetzen. Bei einem so überfrachteten Produktionssystem ist zu befürchten, dass wohl viele damit „erschlagen“ und überfordert sind. Die in der Abbildung 3.58 erkennbaren fünf Subsysteme (Elemente/horizontal) sollen im folgenden noch kurz beschrieben werden: ◼ Arbeitsstrukturen und Gruppenarbeit: Beschrieben wird die Rolle des einzelnen Mitarbeiters im Unternehmen, die offene Organisationskultur und die Erwartung, Forderung an die essentielle Beteiligung jedes einzelnen Mitarbeiters zur Erreichung der Unternehmensziele. Die Fähigkeiten, Bemühungen und die Kreativität der Mitarbeiter werden durch Programme und Systeme gelenkt, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt basieren. Dieses Vorgehen verbindet technische und menschliche Bedürfnisse der Arbeit und soll auf diesem Wege eine Einbindung der Mitarbeiter herbeiführen. Die Programme aus Arbeitsstrukturen und Gruppenarbeit stellen eine geordnete Anwendung der festgelegten Regeln bzw. Verfahrensweisen für alle Mitarbeiter sicher. Neben dem sogenannten „Policy Deployment“ werden damit ebenso die Rollen und Funktionen jedes einzelnen im Produktionsbetrieb beschrieben. ◼ Standardisierung: Standardisierung ist ein Grundpfeiler des Produktionssystems und stellt sicher, dass jeder Prozess von jedem Mitarbeiter über alle Produktionsschichten exakt gleich ausgeführt wird. Jeder standardisierte Prozess stellt jeweils den aktuell bekannten sichersten und einfachsten Ablauf dar, welcher jedoch grundsätzlich dem Verbesserungenszyklus unterliegt. Standardisierung hilft bestehende Prozesse zu stabilisieren, d. h. Produkte gleicher Qualität bei gleichen Umfeldparametern zu erzeugen. Gleichzeitig beugt Standardisierung dem Rückfallen in vorherige, ineffektive Abläufe vor. ◼ Qualität und robuste Prozesse und Produkte: Für alle Mitarbeiter ist der Qualitätsfokus zwingend, indem fehlerfreie Produkte hergestellt werden. Robuste Prozesse bzw. Produkte verringern ihre Sensitivität gegenüber Störeinflüssen. ◼ Just in Time: Just in Time als moderne Umschreibung einer bedarfsorientierten Materialversorgung ist die Produktion von Produkten, die der Kunde fordert, in der verlangten Menge, unter

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

Verwendung nur des/der benötigten Materials, Einrichtungen, Arbeitskraft und Fläche. ◼ Kontinuierliche Verbesserung: Die kontinuierliche Verbesserung ist eine Prozess der ständigen Suche nach Optimierungen für den aktuell bestehenden Standard durch systematische Analyse und Entwicklung von kreativen Lösungen mit dem Ziel das Produktionssystem weiter zu stärken. Durch die Verbesserung der fünf Messgrößen Sicherheit, Qualität, Ablieferung, Kosten und Motivation, unter kontinuierlicher Eliminierung von Verschwendung und Reduzierung von Durchlaufzeiten in der Produktion wird der Unternehmensertrag erhöht. Diese Kurzcharakterisierungen sind keineswegs erschöpfend. Größtenteils werfen sie Fragen nach dem WIE auf, die mit dem weiteren Unterelement ihre Beantwortung finden sollen, handelt es sich doch bei den Methoden um Produktions- und Qualitätstechniken, die zum Trainingsprogramm zählen. Sinn und Zweck des Erlernens und Anwendens solcher Techniken mögen für die Mitarbeiter vielleicht nicht in jedem Fall einsichtig sein. In jedem Fall, so wird es in empirischen Untersuchungen bestätigt, ist der Transfer von Prinzipien des TPS auf ein Unternehmen wie Mercedes-Benz mit einer völlig anderen Kultur, äußerst problembehaftet. Das lässt sich an drei Punkten zeigen (Oeltjenbruns 2000, 237f): ◼ “Mangelndes Committment einer PS-Einführung resultiert sowohl aus dem reduzierten Verständnis und starken Bedenken. Um ein Produktionssystem gegen die Bedenken und Widerstände im Unternehmen konsequent einführen zu können, müssen die Verantwortlichen ’verstehen’, d.h. von den Maßnahmen vollständig überzeugt sein – über reine Schulungen ist dies selten möglich. Ein ’Erfahren’ im Sinne des jahrelangen Anwendens schafft größeres Vertrauen. Für den unerfahrenen Projektleiter ist die unternehmensweite PS-Einführung mit enormen individuellen Karriererisiken verbunden. Dies mag ein Grund für das zögerliche Vorgehen bei Brownfields sein, wo nachlassende Konsequenz mit scheinbarer Entspannung der wirtschaftlich angespannten Situation einhergehen. ◼ Hohe Krankenstände und kurzfristige Mehrbedarfsmeldungen lassen sich mit dem Ziel einer stabilen, gleichmäßigen Produktionsauslastung nicht verbinden. Werkerabwesenheit erlaubt keine Fertigung nach einer konstanten Taktzeit, was wiederum Standardarbeitsblätter mit festen Arbeitszuteilungen ad absurdum führt. Die Ursache liegt in mangelnder Motivation der Werker. … Mehrbedarfsmeldungen seitens des Vertriebs können nur mittelfristig oder über Wochenendarbeit kompensiert werden. Hier ist Konsequenz seitens des Managements gefordert. (…)

231

Was zeigen empirische Untersuchungen zum MPS? Drei kritische Punkte als Problembereiche des MBP

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

232 „Ganzheitliche Produktionssysteme sind organisatorische Modelle und methodische Regelwerke für die Produktion in einem Unternehmen. Sie verstehen sich als Rahmen und Anleitung für Aufbau, Betrieb und Weiterentwicklung der Produktionsabläufe. Zunehmend wird ihr Wirkungsbereich auf die Auftragsabwicklungsprozesse und damit auf die Bürobereiche erweitert. Ein wirklich ‚Ganzheitliches‘ Produktionssystem umfasst also das gesamte Produktionsunternehmen.“ (Bullinger et al. 2009, 570f)

◼ Die Aufrechterhaltung der Mitarbeitermotivation als notwendige Basis für den Mitarbeiter-KVP erscheint mit steigender Produktreife und sinkenden Verbesserungspotentialen unrealistisch. Lehnt man monetäre Anreize ab, so bleibt nur die systemimmanente Motivation durch kontinuierliche Zielneufestsetzung über ein funktionierendes Visual Management. (…)“ Schließlich stellt sich die Frage, ob denn wirklich bei der Ergebnismessung (Abbildung 3.58 untere Zeile) auch das gemessen werden kann, was man messen will und auf welche Ursachen gute/schlechte Ergebnisse begründet zurückführbar sind. Festzuhalten gilt weiterhin, dass es sich trotz des Anspruchs nach Ganzheitlichkeit um ein reines Produktionssystem für den Fertigungsbereit handelt. Sowohl die Elemente des Humansystems wie die des Kultursystems bleiben beim MPS ausgeklammert. Wie festgestellt wurde (Kapitel 3.3 7) beeinflussen gerade diese beiden Teilsysteme den Erfolg. Sie müssen deshalb explizit in die Ausgestaltung auf der obersten Ebene mit einfließen. Es klingt wohl doch etwas befremdlich, den Slogan runterzubeten „Der Mensch im Mittelpunkt: Die Leistungsfähigkeit erschließen“, wie es in einem ansonsten sehr reflektierenden aktuellen Handbuch steht und dabei gleichzeitig gänzlich auf die Integration der beiden tragenden Systeme von Mensch und Kultur zu verzichten (Bullinger et al. 2009, 571). ⟢⟡⟣ „Rettungsboote baut man nicht im Sturm.“ [ J. J. Cale: Tulsa Approach. 2009]

Managementansätze wachsen und wachsen, unterliegen aber den Gesetzmäßigkeiten von Moden und vernutzen sich

So anerkennenswert und erkenntnisreich es von den Verantwortlichen war, in der „Zweiten Leanwelle“ eine gewisse Struktur und Systematik für das eigene Denken und Handeln entwickelt zu haben, indem mehr die Zusammenhänge betont werden, um so problematischer ist es doch, dem One-Best-Way von Toyota unreflektiert nachzueifern. Gibt es wirklich keinen alternativen Denkansatz zum TPS? Werden Ganzheitliche Produktionssysteme nur deswegen eingeführt, weil es die anderen auch tun? Momentan scheint nicht wahrgenommen zu werden, dass ein Leitbild wie das TPS durch Veralltäglichungsprozesse irgendwann seine „innovative Aura“ verlieren wird. Bald hat Toyota es weiterentwickelt und es evolutioniert zum TPS II. Es ist wie mit der Mode, zu der Simmel einmal in seiner Soziologie der Mode formulierte (1905, 16f): „Jedes Wachstum einer Mode treibt sie ihrem Ende zu, weil sie dadurch die Unterschiedlichkeit aufhebt.“ Produktlebenszyklen im modernen Marketing signalisieren uns eine ähnliche Tendenz, lassen aber die Hoffnung aufkeimen, dass es wirklich mal einen andauernden Star geben kann, der zur Cash Cow mutiert. Vielleicht ist das TPS so ein strahlender Stern am Himmel der

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

Produktionssysteme? Aber einen solchen Stern bekommt nicht jeder geschenkt. Er erfordert harte Arbeit, die sich nur langfristig auszahlt oder in einer Sisyphusarbeit enden kann. Einfach etwas von den Japanern übernehmen und in die eigene Welt transformieren kann sich als eine „fatale Strategie“ (Jean Baudrillard) entpuppen. Es lohnt sich deshalb sich zu vergewissern, ob man ihr nicht aufsitzt. Baudrillard formuliert das so (1985, 191): „Die Ursache produziert die Wirkung. Die Ursachen haben also immer einen Sinn und einen Zweck. Sie führen also niemals zur Katastrophe (sie kennen nur die Krise). Die Katastrophe bedeutet die Abschaffung der Ursachen. Sie unterwirft die Ursache der Wirkung. Sie zerstört die Kausalkette. Sie bringt die Dinge zur reinen Erscheinung oder zum Verschwinden. … Sie hängt dennoch nicht vom Zufall und auch von der Indetermination ab, sondern in gewisser Weise von der spontanen Verkettung des Scheins oder der spontanen Eskalation von Willen, wie in der Herausforderung, … Es sind niemals die Ursachen, es sind die Scheinformen, die sich selbst verketten und zur Katastrophe führen. Im Gegensatz zur Krise, die nur die Unordnung der Ursachen bedeutet, ist die Katastrophe ein Delirium der Formen und des Scheins.“ Mit der Katastrophe der Organisation und Produktion haben wir es wohl noch nicht zu tun, aber die Produktionskrise ist alltäglich. Fehlermanagement ist das Non Plus Ultra des Lean Managements und den Rückrufaktionen liegen nichterkannte, manchmal unbekannte Fehler zugrunde. Insofern wäre der Krise mit einer reflektierten Anstrengung zu begegnen, die sich lohnt, um das Unerwartete zu managen. Denn das Unerwartete kommt auf jeden Fall, ja hat schon seinen Fuß in der Tür. Karl E. Weick hat in einem seiner letzten Bücher auf die fünf Prinzipien hingewiesen, mit denen man dem Unerwarteten begegnen kann. Er stellt die Frage, was diejenigen Organisationen anders machen, die sich durch ein Höchstmaß an Zuverlässigkeit und Beherrschung des Unerwartetem auszeichnen. Seine Antwort formuliert er in fünf Prinzipien, durch die sich sogenannte High Reliability Organisations (HRQs) auszeichnen (Weick/Sutcliffe 2003, 7): „1. Sie richten ihre Aufmerksamkeit eher auf die Fehler als auf ihre Erfolge. 2. Sie schrecken vor grob vereinfachenden Interpretationen zurück. 3. Sie entwickeln ein feines Gespür für betriebliche Abläufe. 4. Sie streben nach Flexibilität.

233

Die Gefahr auf einer „fatalen Strategie“ aufzusitzen

Das Unerwartete managen

▲ Weick, K. E. & K. M. Sutcliffe: Das Unerwartete managen. 2003 Der Klassiker zum Achtsamkeitsmanagementsystem

234

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

5. Sie haben große Hochachtung vor fachlichem Wissen und Können, was sich unter anderem darin zeigt, dass sie Entscheidungsbefugnisse zu den Experten ’wandern‘ lassen.“ Diese Prinzipien sollten gerade in Organisationen verankert werden, die damit befasst sind, Ganzheitliche Produktionssysteme zu implementieren. Sie bilden eine Metaebene zum Produktionssystem. Organisationen, die diese Prinzipien anwenden, erzeugen nach Weick und Sutcliffe ein kollektives Verhaltensmuster, das Achtsamkeit genannt wird (Weick/Sutcliffe 2003, 7): „Achtsam zu sein bedeutet, dass man über ein reiches Was ist unter AchtDetailwissen und ein differenziertes Urteilsvermögen verfügt samkeit zu verstehen? sowie über die ausgeprägte Fähigkeit, Fehler zu entdecken und zu berichtigen, ehe sie zu einer Krise eskalieren.“ Dabei ist Achtsamkeit sowohl eine innere Einstellung einer Person als auch ein Führungsstil, der in der Organisationskultur zu verankern ist. Achtsamkeit ist ein äußerst komplexes Phänomen, das wie folgt bestimmt wird (Weick/Sutcliffe 2003, 55): „Mit Achtsamkeit meinen wir das Zusammenspiel verschiedener Momente: Die bestehenden Erwartungen werden laufend überprüft, überarbeitet und von Erwartungen unterschieden, die auf neueren Erfahrungen beruhen; es besteht die Bereitschaft und die Fähigkeit, neue Erwartungen zu entwickeln, durch die noch nie dagewesene Ereignisse erst verständlicher werden; ferner gehört dazu eine besonders nuancierte Würdigung des Kontextes und der darin enthaltenen Möglichkeiten zur Problembewältigung sowie das Ausloten neuer Kontextdimensionen, die zu einer Verbesserung des Weitblicks und der laufenden Arbeitsvorgänge führen.“ Zur Analyse des Achtsamkeitsgrads einer Organisation lassen sich Instrumente einsetzen, von denen eines hier vorgestellt wird (Abbildung 3.59, Folgeseite). Es bezieht sich auf die Sensibilität der Organisation bei den betrieblichen Abläufen, also Prinzip 3 der o.g. fünf Achtsamkeitsprinzipien. Weitere Achtsamkeits-Instrumente leiten sich aus den anderen Achtsamkeitsprinzipien ab. Achtsamkeitsanalysen sollten als Frühwarnsysteme gesehen werden. Sie signalisieren was richtig laufen muss. Sie besitzen eine Präventivfunktion. Unerwartete Probleme werden rechtzeitig erkannt und aufgefangen, bevor sie sich mit anderen Schwierigkeiten verbinden. Die Organisation kann so flexibel und in einem relativ frühen Stadium handeln und damit die Abweichungen und Unregelmäßigkeiten frühzeitig und leichter korrigieren, wo sich noch mehrere Handlungsmöglichkeiten bieten. Dagegen ist später, wenn das Problem für die Organisation größere Ausmaße angenommen hat, die Wahl der Handlungsmöglichkeiten

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

Fragen… … zur Sensibilität betrieblicher Abläufe

◼ Unter normalen Umständen gibt es immer jemanden, der darauf acht gibt, was gerade passiert, und problemlos für Konsultationen zu erreichen ist, falls etwas Unerwartetes geschieht! ◼ Sollten Schwierigkeiten auftauchen, ist vor allem für die Mitarbeiter an vorderster Front immer jemand verfügbar, der Entscheidungen treffen und handeln kann! ◼ Vorgesetzte springen bereitwillig ein, sooft es erforderlich ist! ◼ An einem normalen Tag haben die Mitarbeiter ausreichend Kontakt untereinander, um sich ein klares Bild von der Lage machen zu können! ◼ Die Mitarbeiter sind immer auf der Suche nach Rückmeldungen über fehlerhafte Abläufe! ◼ Wenn etwas Überraschendes geschieht, haben wir Zugang zu Ressourcen! ◼ Die Manager überwachen ständig die Arbeitsbelastung und können zusätzliche Ressourcen erhalten, wenn die Arbeitsbelastung überhandzunehmen droht!

235

0

Sensibilitätsgrad für Abläufe Trifft zu Trifft nicht zu 1 2 3 4 5 6



































































































Bitte kreuzen Sie die Antwort 0 nur an, wenn das Thema in Ihrer Organisation überhaupt nicht vorkommt.

deutlich eingeschränkt. Werfen wir einen Blick in die Vergangenheit. Dass sich in Japan (Toyota) ein neues Paradigma der Produktion entwickelt hatte, wurde vom westlichen Management überhaupt nicht erkannt. Die Erwartungshaltungen konzentrierten sich auf völlig andere Aspekte und führten in die Sackgasse. Erst die Studie des MIT öffnete die Augen, aber auch daraufhin wurde kurzschlüssig gehandelt und die ganzheitliche Ausrichtung des TPS nicht wahrgenommen, sondern der Fokus auf einzelne Techniken gelegt. So wurde viel Zeit, Geld und

▲ Abb. 3.59: FrageInstrument zur Erhebung des Unerwarteten bei betrieblichen Abläufen: Sensibliitätsgrad

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

236

Kraft vergeudet. Mit einem systematisch betriebenen Achtsamkeitsmanagementsystem wären die Merkmale des neuen Produktionsparadigmas früher und zutreffender erkannt und gedeutet worden. Daraus folgt für das hier in diesem Kapitel zu behandelnde Thema: Ein Ganzheitliches Produktionssystem ist in seiner Gesamtheit (mit Human- und Kultursystem) mit seinen zentralen Ausprägungen in ein Achtsamkeitsmanagementsystem (AMS) einzubetten, um seine präventive Ganzheitliches Wirkung voll entfalten zu können. RegelProduktionssystem mässige Assessments sind dann zielführend durchzuführen. So ist es ständig uptodate zu halten (Weick/Sutcliffe 2003, 57f): Einbetten in ein „Im Gegensatz dazu geht es bei der Achtsamkeitsmanagementsystem Achtsamkeit im wesentlichen um ein – Durchführen von regelmäßigen ständiges Aktualisieren. Achtsamkeit Achtsamkeitsanalysen – gründet in der Erkenntnis, dass Wissen ▲ Abb. 3.60: Das und Unwissenheit gemeinsam wachsen. Wenn das eine Ganzheitliche Prozunimmt, nimmt auch das andere zu. Achtsame Menschen duktionssystem in ein akzeptieren die Tatsache ihrer eigenen Unwissenheit und Achtsamkeitsmanagegeben sich große Mühe, ihre Lücken aufzudecken, weil sie mentsystem (AMS) einbetten sehr wohl wissen, dass jede neue Antwort eine Vielzahl neuer Fragen aufwirft. Die Macht einer achtsamen Orientierung Achtsamkeit gründet in der Erkenntnis, dass besteht darin, dass sie die Aufmerksamkeit von Erwarteten auf Wissen und Unwisdas Irrelevante umlenkt, von den bestätigenden Hinweisen auf senheit gemeinsam die Gegenbeweise, vom Angenehmen auf das Unangenehme, wachsen. vom Sicheren zum Ungewissen, vom Expliziten zum Impliziten, vom Faktischen zum Wahrscheinlichen und vom Übereinstimmenden zum Widersprüchlichen.“ In den letzten Jahren ereignete sich im Bereich der Produktionssysteme eine ungeheure Planungs- und schnelle Umsetzungseuphorie, ohne dass man über ein Sicherheitsnetz verfügt hat, das dieses Vorgehen stützt. Pläne gründen immer auf Erwartungen. Erwartungen können aber sehr leicht enttäuscht werden. Wenn man ausschließlich mit Plänen und Planungen beschäftigt ist wird es sehr schwierig achtsam zu handeln. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit wurden firmeneigene Produktionssysteme entwickelt und implementiert. Die in Abbildung 3.57 genannten Systeme sind ja lediglich eine kleine Tote Wahrnehmungs- Auswahl. Weick & Sutcliffe weisen darauf hin, dass sich tote Wahrnehwinkel mungswinkel bilden, wenn Menschen sich zu sehr auf ihre Erwartungen und Pläne stützen. Man hat den Eindruck, dass es den Agierenden nur darum geht, nach vorwärts zu handeln. Jedenfalls mussten Achtsamkeitsmanagmentsystem

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

Erfolge her. Das IAO ist offenbar von den Ergebnissen der großen Unternehmen bei der Einführung von Ganzheitlichen Produktionssystemen überzeugt und versucht nun die kleinen und mittleren Unternehmen mit der Botschaft „Führt ein GPS ein!“ zu erreichen. Das erinnert an die missionarische Arbeit im Qualitätsmanagement, wo die ISO-9001-Zertifizierung als ein Muss für gute Organisation gesehen wurde: Je mehr Zertifikate, desto besser ist die Qualität der Gesamtheit der Organisationen. Verdrängt wurde ganz und gar, dass eine solche Managementnorm lediglich eine Empfehlung ist und dass es gar nicht die Qualität der Organisation ist, die mit einem Zertifikat bestätigt wird, sondern deren Qualitätsfähigkeit (quality capability). So wurde und wird immer noch die ISO 9001 oft als Fassade benutzt, um Prozesssicherheit vorzutäuschen. Mit Erfolg durch Zertifizierung der Organisation hat das nichts zu tun. Erfolg ist zudem eine kritische, eine sehr ambivalente Größe (Weick/Sutcliffe 2003, 69): „Erfolg macht selbstbewußt, aber auch unkritisch. Wenn eine Organisation erfolgreich ist, schreibt sich die Führungsriege das normalerweise selbst oder zumindest der Organisation und nicht den glücklichen Umständen zu. Die Mitarbeiter bekommen auf diese Weise mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, in das Können der Führungskräfte sowie in die vorhandenen Programme und Verfahren der Organisation. Sie vertrauen darauf, dass man auftauchende Probleme durch diese Verfahren richtig einschätzen kann, weil sie überzeugt sind, dass die Verfahren auf die wichtigsten Ereignisse zielen und die unerheblichsten ignorieren. – Letztlich verengt der Erfolg die Wahrnehmung, er verändert Grundhaltungen, stärkt die Überzeugung, dass man das Geschäft nur auf eine einzige Art betreiben kann, Erfolg erzeugt übermäßiges Vertrauen in die Effizienz der vorhandenen Fähigkeiten und Gewohnheiten und führt dazu, dass Führungskräfte und andere nur ihre eigenen Meinungen gelten lassen. Problematisch daran ist, dass man leichter in Selbstzufriedenheit, Unaufmerksamkeit und vorhersehbare Routinen verfällt, wenn man Erfolg als ein Zeichen von Kompetenz betrachtet. Dabei wird verkannt, dass aufgrund dieser Selbstzufriedenheit die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass unerwartete Ereignisse unentdeckt bleiben und sich zu größeren Problemen ausweiten.“ Machen wir es uns also nicht so leicht mit der Entwicklung und Implementierung von Ganzheitlichen Produktionssystemen. Bauen wir Notbremsen und Sicherheitsventile ein, denn es steht viel auf dem Spiel, „wenn die Verantwortung plötzlich auf die Experten an der Basis übertragen wird und im Hintergrund das Management Feuerwehr

237

Vergleich GPS einführen mit dem Drang nach der ISO 9001-Zertifizierung

Erfolg verengt die Wahrnehmung! Für die TMC waren denn auch die den Rückrufaktionen zugrundeliegenden Mängel unerwartete Ereignisse, die an der eigenen „Erfolgskompetenz“ zweifeln ließen!

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

238 Die fünf Momente der Achtsamkeit ins Kalkül ziehen

spielt“. Es sind die fünf Momente der Achtsamkeit, die auf das GPS bezogen werden müssen (siehe die vorher eingeführten fünf Prinzipien der Achtsamkeit):  Konzentrieren Sie sich bei der Entwicklung und Implementierung des GPS auf Fehler. Dokumentieren und Visualisieren Sie so viel wie möglich. Greifen Sie auch zu modernen Techniken des Videofilms, damit jeder über die Leistungen/Fehlleistungen aller anderen informiert ist. Kleine Pannen, die passiert sind, gelten als Hinweise auf potentiell größere Probleme innerhalb des GPS, wie zum Beispiel Abstimmungsprobleme im Fließsystem. Größere Probleme, zum Beispiel, wenn es zu Produktrückläufen kommt, betreffen alle, sind also im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nach Innen zu kommunizieren. Schließlich können die Verursachungsketten, die eine Rückrufaktion auslösen, sehr lang sein und tief in das Produktionssystem hineinreichen, ja sich sogar verzweigen und gar keine einlinige Kausalkette bilden (Rhizom). 2 Vertrauen Sie nicht dem Selbstverständlichen, dem sogenannten gesunden Menschenverstand, seien Sie skeptisch gegenüber Vereinfachungen. Achten Sie bei den Formulierungen von Beschreibungen zu Standardprozessen darauf, dass in Alternativen und auch in nichtgewünschten Handlungen gedacht wird, auch wenn Standards gesetzt werden, auf das sich das zukünftige Handeln aller dann beziehen wird. Denn Standards sind immer als vorläufig zu sehen. So folgt auf einen einmal gesetzten Standard immer ein nächster, noch besserer Standard. Das kann sogar als Axiom des Lean Managements gesehen werden. Dabei ist allerdings folgender Hintergrund zu beachten: Aus der Tatsache, dass Standards im Produktionssystem gesetzt, eingeführt und dann doch auch wieder kontinuierlich geändert werden, weil sie neuen Erkenntnissen weichen und an neue Situationen anzupassen sind, darf nicht der Schluss gezogen werden, dass der Gegenstand als solcher, auf den sich die Standards beziehen, einfach ist. Er zeichnet sich vielmehr durch Komplexität aus. „Keep the system simple“ ist ja als Zielsetzung durchaus vertretbar, wenn sie sich als Handlungsmaxime versteht, aber nicht, wenn damit die Komplexität des Objekts unterschlagen wird. 3 Achten Sie mit gleichbleibender Sensibilität auf die Abläufe im operativen Bereich. Die vom Kundenauftrag und von den Kundenforderungen angestoßenen Prozesse sind das Herz des GPS. Lassen Sie die Prozesse nicht einfach laufen, sondern halten Sie Kontakt zu den Mitarbeitern in der Gemba. Das muss über ein reines Interesse hinausgehen. Signalisieren Sie „Beteiligtsein“, wenn Sie vor Ort sind. Machen Sie mit, fragen Sie nach dem Warum und Wieso. So

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

spricht es für erhöhte Sensibilität, wenn ein Leiter eines Call Centers nicht nur zuschaut beim Telefonieren, sondern selbst mithört, was gesprochen wird und auch selbst mittelefoniert. So erspürt er in der Tat die Anstrengung der täglichen Basisarbeit in den Prozessen. 4 Streben Sie nach Flexiblität. Routinen, also geforderte Standards sind gut. Jeder sollte sich darüber im klaren sein, dass die Anwendung von Standards wichtig ist. Aber gleichzeitig sollte jedem auch bewußt sein, dass Überraschungen immer wieder vorkommen, ja unvermeidlich sind. Wenn solche überraschenden Situationen eintreten, muss improvisiert werden. Es muss das Beste gemacht werden und die Folgen des überraschend eingetretenen Ereignisses müssen eingedämmt werden, flexibles Handeln ist gefordert. Diese Flexiblität muss dann aber zu einer Rekonfiguration führen, was bedeutet, dass der Standard neu über die Anwendung des PDCAZyklus konfiguriert wird. Dieses Procedere folgt ja sowieso zwingend dem Zusammenspiel von Verbessern und Standardisieren. 5 Haben Sie Respekt vor fachlichem Wissen und Können. Dies gilt vor allem für die Mitarbeiter im operativen Bereich, denen gegenüber Respekt zu zollen ist. Gleiches gilt für den Teamleiter und Gruppenleiter, die einspringen, wenn Probleme auftreten. Verantwortung, Wissen und Können paaren sich in den operativen Prozessen und nicht nur in Planungseinrichtungen. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss das GPS konfiguriert werden. Diese eher sozio-psychologischen Betrachtungen gilt es in Trainings mit Beispielcharakter umzusetzen. Beispiele aus der Praxis des Unternehmens müssen dazu gesammelt und aufbereitet werden. Ohne hier Schwarzmalerei zu betreiben muss allen klar sein, das kleine Unachtsamkeiten, Fehlwahrnehmungen und -handlungen zu eskalierenden Problemen mit gravierendem Ausmaß führen können. Davon wurde auch Toyota in den letzten Jahren nicht verschont. Ein Blick in die Geschichten zu den Rückrufaktionen beweist das gerade Rückrufaktionen in der Automobilindustrie manchmal sehr drastisch: Das Internet ist voll davon. Weick & Sutcliffe hierzu allgemein (2003, 63): „Eine wiederkehrende Ursache von Fehlwahrnehmungen ist die Neigung, ein unerwartetes Ereignis zu normalisieren, damit man eine ursprüngliche Erwartung aufrechterhalten kann. Die Tendenz, etwas Unbekanntes zur Normalität zu erklären, ist Teil der umfassenden Neigung, nach Bestätigung für unsere Erwartungen zu suchen und Gegenbeweise zu ignorieren.“ Offenbar verleitet die Annahme, Rückrufaktionen seien normal, weil technische Systeme eben grundsätzlich anfällig sind gegen Stö-

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

240 Rückrufaktionen müssen die absolute Ausnahme sein, um Qualitätsprobleme zu beherrschen

rungen. Rückrufaktionen müssen die absolute Ausnahme sein, ja eine solche Reißleine darf eigentlich gar nicht gezogen werden. Im Produktionsprozess darf es zwischen den Customer Requirements und dem Produktionsergebnis einfach keinen „faux pas“ geben. ⟢⟡⟣

Abb. 3.61: Das Ganzheitliche Managementsystem (GMS) bestehend aus vier Teilsystemen ▶

Ganzheitliches Managementsystem GMS



Kultursystem KS



Humansystem HS





Produktionssystem PS



Ganzheitliche Produktionssysteme müssen in ein Ganzheitliches Managementsystem eingebettet werden

Was tun? Der Abriss zum Thema Ganzheitliche Produktionssysteme hat gezeigt, wie im Westen nun mit den vermeintlichen und „wahren“ Erkenntnissen zum TPS umgegangen wird. Man will an einem zugrundegelegten Musterbeispiel demonstrieren, wie moderne Produktion à la Toyota aussehen sollte. Unterschlagen oder manchmal nur in Randnotizen bemerkt wird, dass das TPS sowohl in ein Human- wie auch in ein Kultursystem eingebettet ist (Abbildung 3.26) und als Toyota Managementsystem TMS) korrekterweise zu bezeichnen wäre. Ganzheitliche Produktionssysteme sind nur dann ganzheitlich, wenn sie die humanen und kulturellen Elemente nicht nur thematisieren, sondern die Systeme um ein Achtsamkeitssystem ergänzt miteinander engmaschig verknüpft werden. So bilden die vier Teilsysteme mehr als ein Produktionssystem („Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“, Aristoteles), sondern sind in ihrer Totalität als Ganzheitliches Managementsystem zu bezeichnen (Abbildung 3.61). Zu den Analysen findet man Bestätigung in Ausführungen eines Standardwerks zur Unternehmensorganisation (Bullinger 2009, 587):



Achtsamkeitssystem AS

y Bei dem oben im Text genannten Zitat „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner

Teile“ handelt es sich um eine Verkürzung aus der Metaphysik des Aristotels. Genau heißt es dort ausführlich: „Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloss die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute: ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde.“

3.10 Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

„Oft versuchen Unternehmen, erfolgreiche Tools und Methoden oder ganze Produktionssysteme aus anderen Unternehmen zu kopieren und scheitern dabei kläglich. Zu jedem Tool gehört ein Handwerker und das erzielte Arbeitsergebnis ist i. d. R. nicht die Leistung des Werkzeugs, sondern die Leistung des Handwerkers. Nur wenn sich die Mitarbeiter mit der Vision, der Strategie und den Zielen des Unternehmens identifizieren, wird es diese auch erfolgreich umsetzen können. Die Leistung und Leistungsbereitschaft jedes Mitarbeiters hängt entscheidend von dessen Mindset, also der Einstellung zu seiner Arbeit, der Identifikation mit der Unternehmensstrategie und den damit verbundenen Zielen ab. Darin liegt auch häufig der Grund, warum das alleinige Kopieren durchaus erfolgreicher Methoden und Tools nicht ausreicht, wenn die dazu notwendige Unternehmenskultur nicht vorhanden ist. Dies funktioniert genauso, als würde man ein hochwertiges Saatgut auf die ungepflügte Erde werfen. Auch dann wird der Samen nicht keimen, keine Pflanze entstehen und die Ernte bleibt aus. Um zu Business Excellence zu gelangen ist unabdingbar, dass die Entwicklung der Unternehmenskultur mit der Entwicklung der Prozesse Schritt hält.“ Es gibt jedoch Lichtblicke: Anscheinend haben inzwischen doch einige Unternehmen die aufgezeigten Zusammenhänge erkannt und sind einem eigenständigen Weg einer lernenden Organisation gefolgt, ohne dabei das Vorbild Toyota aus den Augen zu lassen. Ein solches Beispiel ist die Firma TRUMPF mit ihrem Produktionssystem SYNCHRO (URL: http://www.trumpf.com/innovation/synchro/synchro-philosophie.html), in dem die Kultur und die Beziehung zu den Mitarbeitern explizit Teilsysteme bilden (s.a. Bullinger et al. 2009, 592 ff). Auf der Internetseite zur Trumpf-Philosophie heisst es beispielhaft in aller Kürze: „Wichtig sind informierte und engagierte Mitarbeiter, die ihr Wissen über Probleme und Verbesserungen aktiv einbringen. Standardisierte Arbeitsabläufe, einfache Logistik und intelligente Betriebsmittel sorgen für reibungslose Abläufe.“ Hoffentlich ist das nicht nur ein zartes Pflänzchen, das bald von der Ziege gefressen wird, sondern der wohlüberlegte Anfang eines Vorbilds für Ganzheitliche Produktionssysteme.

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Vision

Mindset

Unternehmenskultur

Vorbild für Ganzheitliche Produktionssysteme: TRUMPF

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

242

„Beschreibt man die Bedeutung der Worte so genau wie möglich, und man wird die Menschheit von der Hälfte der Irrtümer befreien.“ (René Descartes)

3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“ Kehren wir zurück zu einer der Grundkategorien, der Zeit (Kapitel 1.3.4). Schon Ohno Taiichi hat sie als die bestimmende Größe in jedem Produktionssystem angesehen. Auf die Frage seines amerikanischen Verlegers, Norman Bodek, was Toyota denn jetzt machen würde, antwortete er (Ohno 1993, 15): „Alles, was wir tun, ist, den Zeithorizont nicht aus den Augen zu verlieren, von dem Augenblick an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zu dem Moment, in dem wir das Geld kassieren. Und wir verkürzen diesen Zeithorizont, indem wir alles Überflüssige beseitigen.“ ▲ Frank Bunker Gilbreth (1868-1924) Maurer und Ingenieur, Begründer der Bewegungslehre Er ersetzte Zeitmessung durch Bewegung

▲ Etienne-Jules Marey (*1830-1904) Arzt, Physiologe, Pionier der medizinischen Messung, Kardiologe, Flugpionier Er begründete die Chronophotographie, durch die er erstmals 1900 bei den Olympischen Sommerspielen in Paris der Öffentlichkeit bekannt wurde

Zeithorizont Auftrag

Bezahlung

(Verkürzung durch Beseitigung alles Überflüssigen)

Die o.g. kleine Skizze mag das erhellen und zeigen, wo wir uns befinden: Beim Abschaffen der Verschwendung, bei der Suche nach allem Überflüssigen, um es zu beseitigen, beim Verkürzen der Zeit. Diesem Dictum haben sich vorher bereits Henry Ford und vor ihm Charles Winslow Taylor verschrieben. Ohno war dies bekannt, er hatte ja die Systeme beider eingehend studiert. Was wohl weitgehend aus seinem Horizont ausgeblendet war, ist die Weiterverfolgung der Zeitwirtschaft im Westen, die auf Frank Bunker Gilbreth gründet. Er, selbst ausgebildeter Maurer, hatte Maurern bei der Arbeit zugeschaut und bemerkt, das diese unnötig ihre Kraft verschwenden. Wenn sie methodisch anders arbeiten würden, wären sie nicht so schnell müde, war seine feste Überzeugung. Im Gegensatz zu Taylor, ging es Gilbreth weniger um die Steigerung der Arbeitsleistung im Zeitverlauf, sondern um methodische Optimierungen der Arbeitsbewegungen. Er ging als der Begründer der Bewegungsstudien in die Geschichte der Arbeitswissenschaften ein. Allerdings ist das nicht ganz zutreffend. Ein französischer Arzt, Etienne-Jules Marey, ist der eigentliche Begründer dieser neuen Lehre. In seinen experimentellen Arbeiten, die er vor allem der aufkommenden Fotografie zu verdanken hatte, sah er eine neue wissenschaftliche Disziplin (Rabinbach 2001, 105):

3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“ ◀ Abb. 3.62: Chronophotografische Messung der Laufbewegungen durch Marey um 1900

„Er war der Meinung, dass durch diese ingeniösen Apparaturen die Körperbewegungen analytisch zerlegt und in ihre einzelnen Komponenten zerbrochen werden könnten. Eine Wissenschaft von der Ökonomie des Körpers könnte die Geheimnisse der menschlichen Arbeitskraft aufschließen, die arbeitende Kraft emanzipieren und die Arbeit verwandeln.“ Er war damit die Inspiration für die photographischen und filmischen Zeit-Bewegungs-Studien des Maurers, Bauunternehmers und Ingenieurs Frank B. Gilbreth, auf den sich (nicht auf Taylor) dann die Vertreter vorbestimmter Zeitstudien bezogen. Diese methodisch-gestalterische Zielsetzung der Forschungen Gilbreths wird sehr gut in Abbildung 3.63 verdeutlicht, wo in einer Richtig-/Falsch-Demonstration gezeigt wird, wie man fachlich richtig feilen muss. Gilbreths Einfluss auf die gewerbliche Berufspädagogik ist unverkennbar. Unverkennbar lässt sich auch der Unterschied zu F. W. Taylor erkennen. Gilbreth und seinen Anhängern und Nachfolgern (dazu zählte auch seine Frau Lillian Evelyn, die seine Arbeit fortsetzte) ging es um Kraft und Ermüdung im zeitlichen Zusammenhang zur Erhaltung der Arbeitskraft. Dagegen ging es Taylor um Produktivität, ohne die Physiologie des Menschen zu beachten (Rabinbach 2001, 144):

Abb. 3.63: Chronophotografische Studie des Feilens, ca. 1913: links richtige/rechts falsche Haltung ▼

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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„Taylors Ziel war die Maximierung des Ertrags – der Produktivität – ohne Rücksicht auf die physiologischen Kosten für den Arbeiter. Als Ingenieur betrachtete er den Körper als eine ‚Maschine‘, die entweder leistungsfähig arbeitete oder nicht. Er erwog nicht, wie dies die dem ‚Menschen als Motor‘ beschäftigten Physiologen taten, wie eher Kraft und Ermüdung als die Produktivität per se für die Langzeitverwendung optimal berechnet werden könnten.“ Den französichen Physiologen um Marey und auch Gilbreth mit seiner Gruppe in den USA ging es darum eine Ökonomie der Arbeit zu beBegründung einer Ökonomie der Arbeit: gründen, in der die wissenschaftliche Methode zur Erhaltung der Kraft Erhaltung der Kraft als als Arbeitskraft im Zentrum stand. Später hat sich dann sogar im MeArbeitskraft thods-Time Measurement (MTM) Gilbreths Vorstellung durchgesetzt, dass sämtliche menschlichen Bewegungen auf 17 Grundbewegungselementen gründen. Zur Ermittlung der optimalen Arbeitsmethode müsse man nur systematisch rangehen und diejenigen Bewegungselemente eleminieren, die zielführend überflüssig sind. Nicht gerade unTHERBLIG eitel nannte er sie in Umkehrung seines Namens THERBLIG. Doch die tayloristische Welt, zu der er ja auch trotz seines etwas anderen Ansatzes zählte, machte sich schon in der Zwischenkriegszeit daran die Büroarbeit gründlich zu rationalisieren: „Auch die Schreibtischarbeit wird mit Hilfe von Bewegungsstudien untersucht und durch Zielzeiten standardisiert: Aktenschublade öffnen und schließen = 0,04 Minuten. Setzen auf den Stuhl = 0,033 Minuten. Drehstuhl drehen = 0,009 Minuten. Der neue Mann und die neue Frau sollen objektiviert und quantifiziert, sie sollen mittels Uhren- und Maschinensprache neu definiert werden.“ (Borscheid 2004, 280) Der in Abbildung 3.64 gezeigte Schreibtisch passte voll in diesen „Zeittrend“ (Borscheid 004, 279): Taylors Ziel, die Produktivität

Abb. 3.64: Nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen optimierter Schreibtisch (1920er Jahre) ▶ Auch das Lean Management orientiert sich an dem Ideal eines ordentlichen, aufgeräumten Arbeitsplatzes, der nach Verrichtungen und Prozessen standardisiert wurde. Hier kommen die 5 S zum Zuge: Seiri, Seiton, Seiso, Seiketsu, Shitsuke (siehe hierzu auch Kapitel 4)

3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“

„So werden die Schreibtische … nach arbeitswissenschaftlichen Grundsätzen untersucht und Telefon, Papier, Löscher, Schreibmaterialien und Lineal einem ‚Normalplatz‘ zugewiesen, ‚um ein mit der Zeit blindes Hingreifen und Finden der Sachen mit dem geringsten Zeit- und Kraftaufwand zu ermöglichen‘, wie es im Deutsch der Rationalisierer heißt.“ Solche Differenzierungen mögen uns heute überzogen und rigide, ja völlig überflüssig und vielleicht sogar weltfremd erscheinen, doch Zeitbemessungen werden weiterhin durchgeführt und Standardzeiten sogar versicherungsrechtlich festgelegt, wie die einzelnen Verrichtungen in der Pflegeversicherung verdeutlichen (Stengel 1997, 57): ◼ „Große Toilette 45 Minuten ◼ Kleine Toilette 30 Minuten ◼ Vollbad 45 Minuten ◼ Hilfe bei Ausscheidungen 20 Minuten ◼ Zubereitung einer Mahlzeit 50 Minuten usw. – … Nicht differenziert wird nach dem konkreten Behinderungsgrad, von dem die Dauer oder die Schwierigkeit der real geleisteten Arbeit abhängt.“

Beispiel: den Schreibtisch organisieren

Beispiel Pflegeversicherung: Wie lange dauert …?

⟢⟡⟣ Die Durchrationalisierung der Zeit, sich darum zu kümmern, „was zwischen Kundenauftrag und Bezahlung zeitlich alles verkürzt werden kann“, wie Ohno seine Zielsetzung formulierte, ist also keineswegs eine Marotte der japanischen Managementlehre und auch nicht neu, sondern basiert auf den Denkkategorien des Produktivitätsmanagements für Arbeitssysteme. Im hier zu klärenden Zusammenhang ist es das Thema der angewandten Zeitwirtschaft, die auch in Deutschland eine gut florierende Branche ist. Nicht alles, was dort geschieht, hat mit der Weiterverfolgung des Ansatzes von Gilbreth zu tun. Nachdem der früh verstorbene Gilbreth selbst seinen Bewegungselementen keine Zeitintervalle zugefügt hatte, gelang es dem Zeitforscher Asa Bertrand Segur in seiner Studie „Motion Time Analysis“ (MTA), die 1926 erschien, zu den THERBLIGs Zeitwerte zu ermitteln. Er führte darin auch den Nachweis, dass die motorische Ausführung von Tätigkeiten von Menschen bei gleicher Geschicklichkeit, gleichen Fähigkeiten und gleicher körperlicher Beanspruchung von der Methode (= ausgeführte Arbeitstechnik) abhängt, die angewandt wurde. In den 1940er Jahren wurde in den USA die Entwicklung der Grundlagen des Methods Time Measurements (MTM) besonders von der Forschergruppe um Herold Bright Maynard & John L. Schwab vorangetrieben. Sie definierten in ihrem Buch „Methods-Time-Measurement“ (1948)

Zeitwirtschaft ist die Bewirtschaftung aller im Unternehmen benötigten Zeiten für Mensch, Betriebsmittel, Material und andere Produktionsfaktoren. Bewirtschaften bedeutet: Planen, Verwenden und Kontrollieren der Zeiten sowie das Ableiten entsprechender Gestaltungsmaßnahmen.

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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Das neue System zur Definition von Zeiteinheiten: TMU

die menschliche Normleistung, die sich auf das Leistungsvermögen eines „durchschnittlich geübten Arbeiters“ bezog. Damit war die von Gilbreth bereits angestrebte „motorische Meßlatte des Menschen“ definiert: Die elementaren Hand- und Fingerbewegungen sowie Blickfunktionen und auch Körper-, Bein- und Fußbewegungen waren entschlüsselt. Die von Gilbreth entwickelte THERBLIGs mit ihren 17 Grundbewegungen wurden in der Folge ersetzt durch ein neues System, das Zeiteinheiten wie folgt definiert: Eine Zeiteinheit (= Time Measurement Unit, TMU) wird wie folgt gemessen: 1 TMU = 0,036 Sekunden, sodass 100.000 TMU einer Stunde entsprechen. Die Zeiteinheiten wurden in den sog. MTM-Kodes, in denen die Bewegungselemente beschrieben werden, aufgenommen. Bei den MTM-Kodes handelt es sich um die kleinsten Komponenten des MTM-Systems. Diese Komponenten werden je nach Aufgabenstellung genutzt, um daraus Schlüsselreizwerte (Cue Motions) abzuleiten. Das folgende Beispiel einer „MTM-Bewegung“ verdeutlicht die Herangehensweise (Merkel/Winkler 2010, 274): Fall G1A

Zeit in TMU 2,0

G1B

3,5

G2

5,6

Beschreibung der Fälle Greifen eines leicht zu fassenden alleine liegenden Gegenstandes Greifen eines sehr kleinen Gegenstandes oder eines Gegenstandes, welcher flach auf einer Ebene liegt Nachgreifen: Verlegen des Kontrollpunktes an einem Gegenstand, ohne die Kontrolle über diesen zu verlieren

Da bei der konkreten Zeitberechnung im Einzelfall noch eine Vielzahl an weiteren Faktoren eine Rolle spielen (Ermüdung, Moti-

y 1951 war ein historisches Datum für MTM: Maynard gründete in New York die “U.S.

MTM Association for Standards and Research” als gemeinnützige Organisation, der alle bis dato vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Weiterentwicklung und Anwendung zur Verfügung standen. Bis heute ist damit in der o.g. Traditionslinie (Gilbreth ff) das MTM professionell weltweit instituionalisiert. Die Deutsche MTM-Vereinigung e.V. wurde 1962 in Frankfurt am Main (heutiger Sitz ist Hamburg) gegründet (URL: https://www.dmtm.com/mtm/organisation/deutschemtmvereinigungev/). Für sie engagieren sich auch Hochschullehrer der entsprechenden Fachdisziplinen, wie besonders der Arbeitswissenschaft und des Industrial Engineering.

3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“

vation etc.), kann der Praktiker im Betrieb nicht einfach umstandslos aus den MTM-Tabellen die TMUs herausgreifen und addieren, was naiv gedacht naheliegend wäre. Der Betrieb ist auf die Expertisen der MTM-Experten angewiesen, die dann bezogen auf die Entlohnung die Bewegungszeiten in Grenzen berechnen können. Ein solches Expertenwissen wird denn auch in den Schlussfolgerungen deutlich, die bei einem Projekt zur Einarbeitungsdauer bei typischen Montagetätigkeiten gezogen wurden (Merkel/Winkler 2010, 287f): „Unabhängig vom Arbeitsstand zur Entwicklung einer Methode für die Prognose der Einarbeitungsdauer lassen sich praktische Schlussfolgerungen für die Verkürzung einer Einarbeitung ableiten: ◼ Tätigkeiten mit einem geringen Anteil wirksamkeitsbezogener Bewegungsanteile sind schneller zu erlernen. Dies kann zum Beispiel durch die Vermeidung schwieriger Füge- oder Greifoperationen gefördert werden. Die Auswirkungen intensitätsbetonter Bewegungen, wie ‚Hinlangen‘, einfacher Greifoperationen oder ‚Bringen‘ sind dagegen gering. ◼ Eignungsverfahren zur Ermittlung des Talents für die Ausführung von Montagearbeiten unterstützen die Verkürzung der Einarbeitungsdauer. Dies gilt auch bei der Berücksichtigung des Trainingsgrades von Mitarbeitern aufgrund ihrer beruflichen Entwicklung, wobei das Talent in der Regel höher zu bewerten ist. ◼ Gezieltes Unterweisen in Verbindung mit einem Training von Arbeitsmethoden verbessert die Einarbeitung und vermeidet das Aneignen falscher oder ungünstiger Bewegungsabläufe, wodurch ein Erreichen der Normleistung erschwert oder gar verhindert wird. ◼ Die gezielte Gestaltung von Arbeitsinhalten dient der Vermeidung von psychischen Belastungen, wie diese in der Normengruppe DIN EN 10075 beschrieben werden. Ein solches Vorgehen fördert die Motivation der Mitarbeiter, hat somit unmittelbare Auswirkungen auf die Einarbeitungszeit und beeinflusst darüber hinaus maßgeblich die Dauerleistung. Gleichzeitig können mögliche Einarbeitungseffekte kurzzyklischer Tätigkeiten mit einer geringen Zahl zu erlernender Schlüsselreize durch die damit verbundene Monotonie und Sättigung überlagert werden und in der Folge den Lernprozess deutlich verlangsamen. Idealerweise sollten in einem ersten Schritt die Montageprozesse für ein Produkt in Ablaufschnitt auf Mikrosystemebene zerlegt und hinsichtlich ihres Anforderungsniveraus bewer-

Gefordert sind die Gutachten der MTMExperten

Projekt „Verkürzung der Einarbeitungsdauer bei typischen Montagetätigkeiten“

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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MTM ist der Ansatz, der sich darauf konzentriert vorbestimmte Zeiten für verrichtungsorientierte menschliche Arbeit zu ermitteln und in Planungszusammenhänge einzubetten.

tet werden, sodass Produktkorrekturen bezüglich der Montagefähigkeit möglich sind. Aus den Ablaufabschnitten können Arbeitsaufgaben gebildet werden, sodass sich konkrete Anforderungen für einen Personalauswahlprozess beziehungsweise begleitenden Eignungstest ableiten lassen. Anschließend kann die konkrete Planung des Arbeitsplatzes erfolgen, welche mit fortschreitendem Planungsprozess untereinander abzustimmen sind.“ Die Autoren fordern in dieser Studie zur Einarbeitungsdauer, dass exakte Planungsdaten als Basis für realistische Aussagen hinsichtlich Aufwand, Lieferfähigkeit und der damit verbunden Kosten erforderlich sind. Sie bemängeln, dass sich Unternehmen bei der Bestimmung der Einarbeitungsdauer mit einer in der Tendenz zu optimistischen Schätzung helfen, was aufgrund der Komplexität des Gegenstandes nicht vertretbar sei (Merkel/Winkler 2010, 269). Halten wir fest: Im Anschluss an Gilbreths Grundlagenarbeit hat sich innerhalb der Arbeitswissenschaften eine Richtung etabliert, in der die Zielsetzung verfolgt wird, die Körperbewegungen en detail im Hinblick auf ihre Arbeitsfunktion unter zeitlichen Aspekten zu bestimmen, wobei davon ausgegangen wird, das der Erfolg oder Mißerfolg von der je spezifisch angewandten Arbeitstechnik (Methode) abhängt: Mauern ist nicht gleich Mauern. Es kommt darauf an wie man Stein und Kelle hält! Dafür hat sich der Begriff und das Konzept Methods-Time Measurement (MTM) international durchgesetzt. Ins Deutsche übersetzt kann man von „Methodenzeitmessung“ sprechen, kurz: Die Methode bestimmt die Zeit. Die Fragestellung lautet somit: „Wie erreiche ich bei einem Aufgabenkomplex vorbestimmte Zeiten?“ – Antwort: „Indem ich auf eine Sammlung von bereits empirisch ermittelten MTM-Bewegungselementen zurückgreife und diese im gegebenen Aufgabenzusammenhang differenziert einsetze.“ Das Verfahren kann also immer dort zum Einsatz gelangen, wo verrichtungsorientierte menschliche Arbeit geplant, organisiert und durchgeführt werden muss. Solche Anwendungen findet man daher in der Fertigung, Logistik und Instandhaltung genauso wie in der Verwaltung oder im Dienstleistungsbereich. MTM ist folglich allgemein ein Instrumentarium zur Beschreibung, Strukturierung, Gestaltung und Planung von Arbeitssystemen. Diese Elemente bilden die Basisbausteine für den Aufbau von Produktionssystemen. Werfen wir einen Blick auf Toyota und sein TPS: Nach den obigen Ausführungen hätten MTM-Berater hier ein weites Feld zur Optimierung des Produktionssystems. Allerdings greift Toyota nicht darauf zurück. Toyota implementiert und gestaltet anders. Es setzt auf seine Mitarbeiter, die voneinander lernen. Im gegebenen Zusammenhang

3.11 Methods-Time Measurement (MTM) oder „Wo ist das Taylorsystem geblieben?“

werden miteinander die Arbeitssysteme entwickelt, standardisiert und kontinuierlich verbessert und das nicht top down durch eine übergeordnete Planungsabteilung, die MTM-Bewegungselemente einsetzt, sondern gedacht und gemacht wird vor allem vor Ort (in der Gemba) im gegenseitigen Erfahrungslernen wird geplant, standardisiert und verbessert. Das mag alles aus der Sicht von MTM ein „zu grob geschätztes Vorgehen“ sein, das auch nicht auf Anhieb perfekt funktionieren mag. Aber durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess und das fortlaufende Setzen und Austauschen von Standards geht es genau in die geforderte Richtung, indem immer das verbessert und standardisiert wird, was aus der Sicht des Kunden für den Mitarbeiter angemessen ist und den sicherheitstechnischen und ergonomischen Standards entspricht. Es ist gar keine Frage, dass MTM das Potential, das im Toyota Produktionssystem und allgemein im Lean Management steckt, anerkennt. In Britzke 2010 finden sich zahlreiche positive Beispiele hierzu. Zu beobachten ist der permanente Versuch Ansätze des Lean Managements mit dem MTM-Konzept zu kombinieren. Aktuelle Themen sind Ganzheitliche Produktionssysteme und Wertstromdesign. So resümiert Kuhlang (2010, 268): „Die gemeinsame Anwendung von Wertstromdesign und MTM biete neuartige Vorteile durch eine aufeinander abgestimmte Grundhaltung und Verbesserung von logistischen und produktionstechnischen Aspekten am und im Umfeld von Arbeitsplätzen sowie entlang dem gesamten betrachteten Wertstrom. Die gemeinsame Anwendung von WSD und MTM bietet hervorragende Synergien sowie wechselseitige systematische Ergänzungen, die sich in praktischen Anwendungen bewährt haben und hervorragende Ergebnisse bei der Bewertung und Verbesserung der Produktivität bringen.“ Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass angesichts des Erfolgs des Produktionssystems von Toyota und der Folgen des Lean Management-Ansatzes eine „Flucht nach Vorne“ angetreten wurde, um das eigene MTM-Konzept in eine neue Zukunft zu lenken, das eigentlich vom traditionellen Ursprung her konträr zu sehen ist. Das wäre eine zu überprüfende Hypothese für eine Synopse, ob und wie die MTM-Welt vor und nach dem Bekanntwerden des TPS ausgesehen hat. Jedenfalls strahlt MTM momentan im Licht von Lean.

Auf MTM-Experten würde Toyota verzichten. Sein TPS setzt auf einen botton up-Ansatz, in dem die Mitarbeiter voneinander lernen und zusammen ihre Arbeitssysteme entwickeln, standardisieren und kontinuierlich verbessern

Plädoyer für die gemeinsame Anwendung von Wertstromdesign und MTM

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

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„Für mich ist Wissenschaft letzten Endes nichts anderes als ein Weg, zu verstehen, wie die Welt beschaffen ist und weshalb sie so ist. Dabei stellt die Summe unserer wissenschaftlichen Kenntnisse zu jedem beliebigen Zeitpunkt nichts anderes dar als den gegenwärtigen Stand unseres Verstehens.“ (Eliyahu M. Goldratt und Jeff Cox: Das Ziel. Frankfurt am Main 2002, 5)

3.12 Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraints (TOC) als praktisches Managementkonzept

Managementlehre in Romanform: Das Ziel

Ein Werksleiter stellt die Frage nach der Produktivität

Constraints sind Einschränkungen, hier Engpässe

Engpass/Nicht-Engpass – Definitionen

Die Geschichte, um die es hier geht, ist sicherlich nicht frei erfunden und hat offenbar auch nicht viel mit Lean Management zu tun. Oder doch? Jedenfalls kommt das Wort Lean im Buch von Eliyahu Goldratt uns Jeff Cox, einem Roman mit dem Titel „Das Ziel“, überhaupt nicht vor, ab und zu wird über die Japaner als Mitbewerber gesprochen, eine Anspielung der folgenden Art (Goldratt/Cox 2002, 27): „Seit die Japaner auf dem Markt sind …“ Die Geschichte beginnt mit einer chaotischen Situation aus dem Alltag der Produktion und katapultiert den Protagonisten, einen Werksleiter auf die oberste Ebene der strategischen Unternehmensführung, der Frage nach dem Ziel eines Unternehmens, die er runterbricht auf drei Kennzahlgrößen, Durchsatz, Bestände und Betriebskosten. An diesen Begrifflichkeiten zeigt sich nun doch, dass die Terminologie des TPS, das den Autoren bekannt gewesen sein muss, ins Spiel kommt. Ohno (1993) geht es ja zuvorderst um Bestände, Durchlaufzeit und Kosten, besonders im Schwerpunktbereich Muda. Die Frage nach der Produktivität wird gestellt. Was soll unter Produktivität zu verstanden werden? Als produktiv sind nur diejenigen Leistungen anzusehen, die einen Beitrag zur Zielerreichung des Unternehmens bringen. Im Folgenden soll zunächst das theoretische Konzept beschrieben werden, um dann Ähnlichkeiten und gegensätzliche Sichtweisen zum TPS zu erörtern. Zunächst zum Begriff constraints, der sich mit Einschränkungen übersetzen lässt. Oft wird er mit Engpass gleichgesetzt. Er bezieht sich auf den Fluß der Produktion, der an manchen Stellen eingeschränkt ist, also einen Engpass bildet. Was ist ein Engpass genau, was ist unter einem Nicht-Engpass zu verstehen? Engpass Jede Einheit, deren Kapazität gleich oder geringer ist als die darauf bezogene Nachfrage Nicht-Engpass Jede Einheit, deren Kapazität größer ist als die entsprechende Nachfrage

3.12 Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraint (TOC) als praktisches Managementkonzept

Angebot

Kapazität > Nachfrage

Kapazität < Nachfrage

NichtEngpass

Engpass

Nachfrage

Die Definitionen lassen sich auf die Produktion von Gütern, zum Beispiel Strom beziehen. Abbildung 3.65 zeigt das im Zusammenhang an einem Beispiel, wo die Kapazität des Angebots im Nicht-Engpass groß, aber im Engpass auf die Nachfrage bezogen klein. Am Engpass zeigt sich, dass die Nachfrage größer ist als die dort zur Verfügung stehende Kapazität. Der Ausgang ganz rechts verdeutlicht den Nachfrageüberhang, der jedoch nicht voll befriedigt werden kann, weil es der Engpass nicht zulässt. Diese Situation lässt sich auf viele Bereiche, nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch im übertragenen Sinn auf soziale Zusammenhänge, beziehen, so zum Beispiel auf die Produktion von sozialen Leistungen des Staates, die nachgefragt werden. Allgemein lässt sich also von Constraint-Management sprechen, was im folgenden auch eher geschehen soll (als von einer Theorie zu sprechen), da es sich inzwischen zu einem praktikablen Managementkonzept entwickelt hat, das nach Abel (2011, 25f):  “den Gedanken der permanenten und gleichzeitig zielorientierten Verbesserung institutionalisiert, 2 die Produktionsressourcen marktgerecht nutzt, 3 die Produktion wirklich plan- und steuerbar macht, 4 vor allem bei sehr komplexen Fertigungsketten hervorragende Erfolge erzielt, 5 eine Reduzierung der Materialbestände auf das tatsächlich erforderliche Niveau ermöglicht, 6 Materialflüsse beschleunigt und gleichzeitig störungsfreier gestaltet, 7 die Lieferzeiten reduziert, 8 den Servicegrad der Lieferanten und den internen Servicegrad verbessert, 9 den Kundenservicegrad verbessert.“ In dem Text des Romans lassen sich vier Prinzipien erkennen, die wichtig sind zum besonderen Verstehen des Constraint-Managements. Sie werden hier in Anlehnung an Abel (2011, 26ff) referiert:

◀ Abb. 3.65: Beispielskizze Engpass/NichtEngpass in Relation zu Kapazität und Nachfrage

Am Engpass zeigt sich, dass die Nachfrage größer ist als die dort zur Verfügung stehende Kapazität

Constraint-Management als allgemeiner Begriff

251

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

252 Die vier Prinzipien des Constraint-Managements

 Das Gesamtunternehmen an einem Ziel ausrichten. „Es gibt nur ein einziges Ziel, egal bei welchem Unternehmen.“ So heisst es im Roman, und dieses Ziel heisst „Mehr Geld zu verdienen.“ Dieses übergeordnete Ziel ist die Grundprämisse. Sie muss hier genannt Das oberste und einwerden, weil alle anderen Ziele diesem Ziel nicht auf derselben zigste übergeordnete Ziel lautet: „Mehr Geld Ebene gegenüberstehen, sondern davon abzuleiten sind. Keines verdienen!“ dieser Subziele darf dem übergeordneten Gesamtziel kontraproduktiv gegenüberstehen. Auftragsproduktion 2 Der Markt bestimmt alle Aktivitäten. Es gibt keine Produktion am Markt vorbei. Die Produktion wird an den Auftragseingang gekoppelt. Es wird nur auftragsbezogen gefertigt. Eine Vorratsproduktion ist ausgeschlossen. 3 Der Engpass dient als Leuchtturm. In der Produktion gibt es einen Engpass, der als Leuchtturm für alle übrigen Operationen der Prozesskette dient. Da das Constraint-Management den Engpass der Produktion mit der Nachfrage am Markt synchronisiert, wird das Produktionssystem über die Produktion hinaus nach vorn bis in die Vertriebsprozesse und nach rückwärts bis zur Produktentwicklung erweitert. Der Markt kann somit auch einen Engpass bilden. Egal wo der Engpass verortet wird, sein Ort dient als Leuchtturm, an dem sich der Prozesskette ausrichtet. Der Durchsatz durch den Engpass gibt den Takt für den Rest der Prozesskette vor. Damit nimmt das Constraint-Management bewußt in Kauf, dass die Kapazitäten aller anderen Operationen nicht voll ausgelastet sind. Das dritte Prinzip kann somit wie folgt als Axiom formuliert werden: Das Axiom des Constraint-Managements

Der Kulturwandel muss durch Trainings unterstützt werden

Es gibt in der gesamten Prozesskette immer einen Engpass, der als Leuchtturm für alle übrigen Operationen der Prozesskette fungiert und als Taktgeber (Durchlaufzeit) dient, wobei die Leistung der Prozesskette durch das schwächste Glied begrenzt wird. 4 Die Mitarbeiter leben die neue Constraint-Kultur. Da das alte Denken vieler Mitarbeiter und auch der Produktionsleiter noch sehr an Produktivitätskennzahlen verhaftet ist (Leistung nach Ausstoß und Produktivität), vollzieht sich hier ganz konkret ein Kulturwandel, indem der Paradigmawechsel vom Verkäufer- zum Käufermarkt organisatorisch nachzuvollziehen ist. Durch Trainings muss dieser Wandel allen bewußt gemacht werden, die neuen Kennzahlen sind gleichzeitig zu vermitteln. Der dauerhafte Erfolg des Constraint-Managements kann so flankierend abgesichert werden. Das ist nicht leicht, denn gemeinhin wird der Engpass als „Übel“ angesehen, das beseitigt werden muss. Nun ist das „Übel“ zu hegen und zu pflegen, ja sogar als Leuchtturm zu nutzen, an dem sich die anderen Prozesschritte, ja das gesamte Unternehmen, orientieren.

3.12 Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraint (TOC) als praktisches Managementkonzept

Zum praktischen Vorgehen finden sich im Romantext ganz gezielte Hinweise für ein schrittweises Vorgehen. „Es dauert gar nicht lange, bis die Technik klar und deutlich an der Tafel steht“ (Goldratt/ Cox 2002, 332): ◼ Erster Schritt: Suche nach den Engpässen des Systems. ◼ Zweiter Schritt: Entscheidung, wie man die Engpässe am besten nutzt. ◼ Dritter Schritt: Alles andere der obigen Entscheidung unterordnen. ◼ Vierter Schritt: Entlastung der Engpässe des Systems. ◼ Fünfter Schritt: Löst sich bei einem vorhergehenden Schritt ein Engpass auf, so gehe man zurück zum ersten Schritt. Diese Schritte sind zwar nicht selbsterklärend, bedürfen also der Erläuterung, was in unserem Zusammenhang nicht mehr umfassend geschehen soll. Wichtig ist Schritt 2: Der gefundene Engpass ist voll auszulasten und darf nie leer laufen, er ist von Tätigkeiten zu entlasten, die nicht unbedingt im Engpass bearbeitet werden müssen. Er genießt oberste Priorität. – Wird ein Engpass aufgelöst (Schritt 4) wird an anderer Stelle ein neuer entstehen. So setzt sich ein zyklusartiger Handlungszusammenhang in Gang (Schritt 5), der auslösend ist und besagt, dass es immer eine einzige Blockade ist, die den Umsatz begrenzt. So ist der Vertrieb demzufolge dann erfolgreich, wenn das Management die Blockaden des Vertriebs löst und dieser sich wiederum darauf konzentriert, die Blockaden seiner Kunden zu lösen – und im Idealfall sogar die Blockaden der Kunden der Kunden.

Die Fünf-Schritt-Technik des ConstraintManagements

Schritt 2 besonders beachten!

⟢⟡⟣ Die Verbindung zwischen Constraint- und Lean Management liegt auf der Hand. Beide Ansätze stellen scheinbar bewährte Produktionsweisen infrage. Beide Ansätze orientieren den Bedarf an der Nachfrage des Kunden. Beide Ansätze fordern, nach kleinen Losgrößen zu produzieren (One Piece Flow). Wo liegen die Unterschiede, wo lassen sich Gemeinsamkeiten ausmachen? Ergänzen sich die beiden Ansätze eventuell? Lassen wir einen Constraint-Management-Protagonisten zu Wort kommen, der auf seine Weise die fünf Prinzipien (Kap. 3.8) des Lean Constraint-ManageManagements von Womack/Jones (1997) herausgearbeitet hat, die ment und die Lean Tinking-Prinzipien wohl allgemein geteilt werden können (Abel 2011, 40):  “Wert aus Kundensicht definieren. Allein der Endkunde bestimmt den Wert eines Produkts. Es gilt daher, aus Sicht des Kunden zu definieren, was produziert werden soll: die Produkte sind exakt auf die Bedürfnisse des Kunden abzustimmen.

253

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

254 Die ersten vier der fünf Prinzipien des Lean Thinking stehen im Einklang mit dem Constraint-Management

Gießkanne versus Fokussierung bei Prinzip fünf

Verbesserungen an Nicht-Engpässen führen zur Verschwendung

2 Fertigungskette als Wertfluss betrachten. Die Herstellung eines Produkts ist ein Wertschöpfungsprozess. Dieser Wertfluss beschreibt alle Aktivitäten, die zur Herstellung des Produkts erforderlich sind – vom Einsatz des Rohmaterials bis zur Auslieferung an den Kunden. 3 Gleichmäßigen Produktionsfluss schaffen (Fluss-Prinzip). Die Produktion wird so gestaltet, dass ein kontinuierlicher Ablauf der Produktion entsteht, das Material somit störungsfrei die Fertigungskette durchläuft. 4 Produktion am Auftragseingang ausrichten (Pull-Prinzip). Es wird nur das produziert, was der Kunde bestellt hat. Das heißt, Material und Teile werden nicht aufgrund von Planungsvorgaben durch die Produktion gedrückt, sondern von der Kundennachfrage durch die Produktion „gezogen“. 5 Perfektion anstreben. Die Mitarbeiter sind dazu aufgefordert, fortlaufend die Prozesse zu hinterfragen und Ideen einzubringen; das Kaizen-Prinzip wird als Verbesserungsphilosophie verankert.“ Von dieses fünf Lean Thinking-Prinzipien decken sich die ersten vier: Lean Management und Constraint Management stehen in Einklang. Damit, so Abel, lässt sich von einem gemeinsamen Fundament sprechen (2011, 41). Beim fünften Prinzip des Lean Thinking (Perfektion anstreben) herrschen unterschiedliche, ja gegensätzliche Sichtweisen vor, die sich auf den Stellenwert des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses beziehen. Während das Lean Management, so Abel (2011, 45), eher mit der Gießkanne den KVP organisiert, fokussiert das Constraint-Management den KVP auf den Engpass (Abel 2011, 42): „Im Lean Management sollen Verbesserungen vor allem Kosten reduzieren, hier steht das Eliminieren jeglicher Verschwendung im Vordergrund. Demgegenüber zielt der Verbesserungsprozess im Constraint-Management vor allem auf eine Erhöhung des Durchsatzes ab. Zum Zuge kommen deshalb Vorschläge, die sich speziell auf Verbesserungen im Engpass beziehen.“ Eine solche Konzentration auf den Engpass mit allen zur Verfügung stehenden Kräften überzeugt, denn wenn die Leistungsentfaltung des gesamten Systems durch den Engpass eingeschränkt wird, kann das Betriebsergebnis (Stichwort „Geld verdienen“) nicht verbessert werden. Man könnte sagen, das Lean Management kuriert an Symptomen herum, ohne klare Zielsetzungen zu verfolgen. Dieser Ansicht folgt auch Abel (2011, 42): „Verbesserungen bei Nicht-Engpass-Arbeitsgängen sind also verschwendetes Geld.“

3.12 Den Leuchtturm nutzen – Theory of Constraint (TOC) als praktisches Managementkonzept

Doch woher haben wir unser Wissen, dass es bei den Unternehmen, die es umgesetzt haben, wirklich so ist? Vieles, was so berichtet wird, ist gefiltert, teilweise „Hofberichterstattung“. Selbst Toyota lässt nie schlussendlich „die Katze aus dem Sack“. Der operative KVP bleibt letztenendes ein Geheimnis für den Außenstehenden. Die Schwerpunktsetzungen obliegen der Organisation selbst und deren organisatorischem Geschick. Schließlich geht es ja auch beim KVP nicht nur um Kostensenkungen, sondern auch um motivationale Problemstellungen. Insofern muß die folgende Aussage von Abel zwar zu denken geben, muss aber auch im Hinblick auf andere Zielsetzungen geprüft werden (Abel 2011, 43): „Kritisch wird die Sache jedoch, wenn ein Prozess der andauernden Verbesserung anfängt, notwendige Reserven – das Constraint-Management spricht hier von ‚Schutzkapazitäten‘ – aufzuzehren.“ Bisher haben wir Verbessern am Engpass unter dem Aspekt der Erhöhung des Durchsatzes betrachtet. Es gibt aber noch eine andere Art der Verbesserung am Engpass, nämlich Verbesserungen, die durch Buffermanagement erzielt werden können. Mit dieser Technik können die Bestände optimiert und die Durchlaufzeiten verkürzt werden. Hierzu bedarf es eines Grundverständnisses, das sich erschließt, wenn man das Drum-Buffer-Rope-Modell kennt (Abbildung 3.66). Ausgangspunkt ist der Kundenbedarf. Genaugenommen ist es die Kundennachfrage. Diese ist zunächst mit den Möglichkeiten des Engpasses zu synchronisieren. So ist es möglich mit dem Kunden zu-

Rope Roh- Gate material

Drum

Kundenbedarf

Constraint-Buffer Zeit

Materialfluss Drum Buffer Rope

= Trommel oder Pauke, steht für den Engpass = Taktgeber für die Prozesskette = Zeit, die dem Material für den Durchlauf von der Einspeisung bis zum Engpass zur Verfügung steht = Seil, symbolisiert die enge Verbindung von der Drum zur Materialeinsparung; es überträg den Fertigungsplan mit einem Zeitverzug vom Engpass direkt an die Materialfreigabe

Schutzkapazitäten dürfen nicht aufgezehrt werden

Buffermanagement Bedarf/NachfrageBegriffsklärung: Nachfrage = Bedarf + Kaufkraft ◀ Abb. 3.65: Das Drum-Buffer-RopeModell des ConstraintManagements (in Anlehnung an Abel 2011, 78)

255

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

256

Zur Bedeutung der Drum

Die zwei Funktionen des Buffer-Managements

verlässige Liefertermine zu vereinbaren. Abbildung 3.66 ist also von rechts nach links zu lesen. Der Pfeil vom Kundenbedarf zur Drum zeigt diesen Zusammenhang (Abel 2011, 79): „Die Drum ist innerhalb des Herstellungsprozesses die Operation mit der geringsten Kapazität. Es handelt sich um den im ersten Schritt … zu ermittelnden Engpass, der die Leistung des gesamten Herstellungsprozesses beschränkt und daher den Takt vorgibt. Die Drum ist unmittelbar mit der Materialeinspeisung verbunden, was durch den Rope, also das Seil, ausgedrückt wird. Es verbindet die Engpassoperation mit der Materialeinspeisung (in der Abbildung durch den Pfeil vom Drum zum Gate gekennzeichnet). Das Seil überträgt die Vorgaben des Engpasses auf die Materialfreigabe und stellt damit sicher, dass neues Material exakt im Takt des Engpasses nachgeschoben wird. Die beiden Pfeile in der Abbildung 3.66 stehen damit für die Synchronisierung der Produktion sowohl mit dem Kundenbedarf als auch mit den Möglichkeiten des Engpasses. Die Auftragslage bestimmt die Auslastung des Engpasses (Kundenbedarf –> Drum), während dieser wiederum den Takt für den Rest der Produktion vorgibt, indem er die Materialeinspeisung am Gate steuert (Drum –> Gate). Der Buffer oder ‚Puffer‘ hat die Aufgabe, die Engpassoperation vor einer Materialunterdeckung zu schützen. Das ist deshalb so wichtig, weil jede Störung der Engpassoperation sich unmittelbar auf den Gesamtdurchsatz der Fertigungskette auswirkt. Verlorene Zeit am Engpass kann – sofern dieser voll ausgelastet ist – nie wieder aufgeholt werden. Definiert ist der Buffer als die veranschlagte Zeit, die ein Teil von der Einspeisung in den Produktionsprozess bis zu Ankunft beim Enpass benötigt (in der Abbildung durch das rechtwinklige Dreieck dargestellt).“ Hieraus ergibt sich ein Konzept für das Management, das als Buffermanagement bezeichnet wird. Es hat zwei Funktionen (Abel 2011, 107f): „Einmal hat es die Aufgabe, die Funktionsfähigkeit der Engpassoperation abzusichern, zum anderen kann es dafür genutzt werden, die Gesamtorganisation der Fertigungskette kontinuierlich zu verbessern.“ Diese zweite Funktion ist noch zu betrachten, weil hier das Lean Management mit seinen Techniken ins Spiel kommt. Buffermanagement zu betreiben, heisst den Buffer zu reduzieren oder zu erhöhen. Das Produktionssystem wird damit genau an der Stelle des Engpasses bewusst strapaziert (Abel 2011, 108): „Wir strapazieren das System ganz bewusst und so lange, bis wieder erste Störungen auftauchen.“

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3

Der Ort, an dem ständig was geschieht, Senkungen, Erhöhungen und die Folgen, die zu bearbeiten sind, ist folglich der Buffer. Buffermanagement ist ein kontinuierlicher Prozess, der das Ziel verfolgt, das System im Optimum zu halten. Jederzeit können wieder Störungen auftauchen, sei es dass eine Maschine wegen ihres Alters anfällig wird oder ein Lieferant unzuverlässig wird. Solche Fälle führen zur Erhöhung des Buffers. In jedem Fall ist hier das Know How des Lean Managements gefragt, der Einsatz seiner bewährten Techniken. Schließlich geht es ja darum für eine ausgeglichene Produktion Sorge zu tragen: Die ist nämlich ausgeglichen, wenn die Nachfrage an Produkten identisch ist mit der gesamten Produktmenge. Dazu sind die Betriebskosten und Bestände auf ein Minimum zu senken und gleichzeitig der Durchsatz auf ein Maximum zu erhöhen. Um dieses permanente Wechselspiel geht es im übergeordneten Sinn. Beim Vergleich des Constraint Managements mit dem Lean Management muss der Vollständigkeit halber noch gesagt werden, dass es sich um zwei Ansätze handelt, die auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt sind. Während das Constraint Management eher als ein Projektmanagement zu betrachten ist, handelt es sich beim Lean Management doch um einen Ansatz zur Führung eines Unternehmens. Der Ansatz des Constraint Management steht in keiner Weise konträr zum Lean Management. Seine Grundzüge ließen sich durchaus integrieren.

257

Das Auf und Ab des Buffers regulieren. ein permanentes Wechselspiel

Lean Management und Constraint-Management integrieren zu einem Lean Constraint Management

„Ich habe große Achtung vor den in Japan entwickelten, einzigartigen Erfindungen. Eine Eigenschaft, die uns Japaner besonders auszeichnet, ist unsere Wendigkeit. Wir wollen uns immer wieder zum Nachdenken zwingen. Wir handeln anders als andere.“ (Ohno 1993, 144)

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3 Nachdem in Kapitel 1 die formbestimmenden Kategorien in abstrahierender Absicht entwickelt wurden und in Kapitel 2 vor allem die historischen und biografischen Momente in ihrem Zusammenwirken analysiert wurden, ging es in Kapitel 3 um die zutreffende Einschätzung des Lean Managements als Produktions-, Organisations- und Managementsystem. Dabei wurde zunächst in Anlehnung an Thomas S. Kuhn der Begriff des Paradigmas eingeführt, der es ermöglicht eine differenzierte Sicht zu entwickeln und Lean Management als Oberbegriff zu nutzen. Innerhalb dieses abstrahierenden Oberbegriffs ist das Das erste MusterbeiToyota Produktionssystem, wie es von Ohno Taiichi entworfen wur- spiel des Lean Made, das erste Musterbeispiel. Ein Blick auf die Entwicklungsetappen nagements, das TPS

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

258

Zu den Entwickdes Qualitätsmanagements (Abbildung 3.1) zeigte, dass zwar Lean lungsetappen des Lean Management als reifes Paradigma relativ spät erkannt wurde, aber aus Managements der Retrospektive gesehen, sich bereits sehr früh in den 1930er Jah-

Das TPS nach Ohno

ren im status nascendi befand. Die weitere Entwicklung verlief eher im Verborgenen. Erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre – etwa zeitgleich mit dem Erscheinen der MIT-Studie – wurde durch die Publikation “Das Toyota-Produktionssystem“ bekannt, dass sich hinter dem überraschenden Erfolg des japanischen Automobilunternehmens Toyota mehr als japanischer Fleiß verbarg, nämlich ein auf Globalität ausgerichtetes Managementsystem, das in die Geschichte der Managementlehre eingehen sollte. Ohne Kenntnis der Voraussetzungen, die nicht nur in der Wirtschaftsgeschichte Japans zu suchen sind, sondern in den „Systemen“ des Westens sich offenbaren, kann sich kein angemessenes Verständnis entwickeln. Deshalb wurden in in Kapitel 3.2 die dem Lean Management vorgängigen Ansätze näher untersucht. Neben einem Blick auf die Handwerksproduktion und die darauf folgenden Grundformen der Fertigung in Handwerk und Industrie waren dies das sog. Fordsystem und das Scientific Management des Ingenieurs Taylor, die beide für die Entwicklung des Toyota Produktionssystem eine wichtige Rolle spielten. Taylors Zusammenstellung der fünf Schritte zur Teilung der Arbeit, die von ihm als Grundgesetz einer Wissenschaft der Betriebsführung schlechthin dargelegt werden, dürften unmissverständlich kontrastrierendes Vorbild für Ohno Taiichis Verschwendungsansatz gewesen sein. Ebenso ist es mit Fords Modell der Massenproduktion gewesen, mit dem sich Ohno nach eigenen Ausführungen intensiv auseinandergesetzt hat. Fords Denkweise, die sich im Flußprinzip (flow) und später in der Realisation des Fließbands widerspiegelt, wurde maßgebend im Produktionssystem von Toyota umgesetzt. Konträr verhielt es sich mit Fords Push-System. Diesem setzte Ohno das Pull-System entgegen. Fords ökonomisches Gesellschaftsmodell (Fordismus), in dem er einen Zusammenhang zwischen Produktion und Reproduktion über den Lohn konstruierte, zeigt sich auch heute noch als ubiquitäres Modell einer auf die Kaufkraft setzenden Ökonomie. Abschnitt 3.3 analysiert das Toyota Produktionssystem, indem zunächst der Nachweis erbracht wird, wie stark doch die Beziehung zum Ford-System zu sehen ist. Ohno war in der Tat der Ansicht, dass Ford (würde er heute noch leben) sein Produktionssystem schon längst entsprechend dem TPS gestaltet hätte. Seine Nachfolger hätten die falschen Weichen gestellt. In diesem Kapitel wird auch verdeutlicht, dass sich Toyotas Produktionssystem auch der besonderen geografischen Lage und den einmaligen historischen Bedingungen Japans der Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg verdankt. Toyota ge-

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3

lang es in bewundernswerter Weise die Nachteile von mangelhafter Technik, räumlicher Enge, zeitlichen Einschränkungen und Kapitalnot in Ressourcen umzuwandeln. Ohno Taiichi hat zwar den Begriff Toyota Produktionssystem geprägt, ihn jedoch nicht in abstrahierender Weise weiterentwickelt. Er war immer sehr konkret in seinen Ausführungen, in denen er eher den unmittelbaren Zusamenhang zwischen der ausführenden Ebene und der Anwendung von Techniken thematisiert. Mit der Einführung von übergeordneten Kategorien in Kapitel 1.3 wurde der Schritt vollzogen dem »gut auf den Füßen laufenden TPS einen Kopf zu geben«, indem sieben leitende Kategorien aus den allgemeinen Grundkategorien abgeleitet werden konnten, die als Analysedimensionen (Systemelemente) den Ausführungen in Kapitel 3.3.3 dienlich waren. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang noch die „Methodologischen Nachbemerkungen“ (Kapitel 8). Dort wird näher auf das Korrespondenzprinzip eingegangen, das die Beziehung zwischen den Kategorien und den konkreten Elementen analysiert. Von den sieben Elemente des TPS wird zuerst Muda genannt. Es ist die erste Kategorie ganz im Sinne von Ohno Taiichi, der fordert, dass die Beseitung der Verschwendung das erste Ziel eines Unternehmens sein muss. Doch Muda steht nicht für sich allein. Es verweist auf Just in Time, die zeitgerechte Produktion, wie sie Toyoda Kiichirō bereits in den 1930er Jahren entwickelt hatte. Just in Time bedeutet, dass in einem Fließverfahren die richtigen Teile, die zur Montage benötigt werden, zur rechten Zeit und nur in der benötigten Menge am Fließband ankommen. Wenn es einem Unternehmen gelingt, dies perfekt zu erreichen, dann kann es seinen Lagerbestand gleich Null setzen, also ein Optimum an Vermeiden von Muda erreichen. Just in Time und Kanban bilden eine Einheit. Mithilfe von Kanban wird Just in Time umgesetzt. Die Kanban-Informationen kontrollieren den Fluss der Wertschöpfung. Kanban erscheint simpel und wird natürlich im operativen Bereich eingesetzt, doch die Voraussetzungen müssen vom Topmanagement vorgegeben werden. Letztendlich ist das Herzstück des TPS der enge Zusammenhang von Muda – Just in Time – Kanban. Das Systemelement Produktions- und Qualitätstechniken, wie zum Beispiel Jidoka bestimmt den Anwendungsbereich des operativen Managements im Produktionssystem von Toyota. Aus den konkreten Handlungszusammenhängen heraus werden solche Techniken im Arbeitszusammenhang gebildet. Gerade die praxisleitende Fachliteratur zum Lean Management enthält ganze Sammlungen solcher Werkzeuge. Der Hintergrund dafür, Werkzeuge des Denkens und Handelns mehr für und durch die Mitarbeiter zu entwickeln, wird bei den meisten Darstellungen nicht thematisiert. Es geht darum die

259

Die sieben Elemente des TPS

Das Herzstück des TPS kristallisiert sich im Zusammenhang von Muda – Just in Time – Kanban

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3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

Intelligenz und das Empowerment des Mitarbeiters im operativen Bereich gezielt zu nutzen und zu fördern. Das Nichtnutzen der Mitarbeiter-Intelligenz wird als Muda interpretiert. Damit schließt sich der Kreis zum Humansystem. Jidoka ist nur ein herausragendes Beispiel. WertschöpfungsproDer Wertschöpfungsprozess wurde als weiteres Systemelement zess behandelt. Er wird im Lean Management heute auch Wertstrom genannt. Die organisationseigenen Kernprozesse bilden die Basis. Sie beruhen auf den Kernfähigkeiten der Mitarbeiter. Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Die zweite Basis der Wertströme bilden die Unterlieferanten, die bei TMC ein Netzwerk bilden, das von Toyota gezielt gefördert wird. „Nur in Zusammenarbeit mit den Zulieferern ist eine Perfektionierung dieses Systems möglich.“ meint Ohno Taiichi. Die Einbindung verlangt von den Unterlieferanten nicht gerade wenig. Die Zusammenarbeit muss auf der Basis der nivellierten Produktion als Fortsetzung des TPS gesehen werden, indem das JiTSystem perfektioniert wird. Toyota strebt so an, die Unterlieferanten als integrativen Teil des TPS einzubinden. Das erfolgt vor allem auch über Beteiligungen und Austausch von Managern. Qualität Qualität ist das Systemelement mit der Bewertung „höchste“. Dieses Bemühen um beste Qualität darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch der TMC nicht immer gelingt ein solches Ziel zu erreichen. Da Toyota auf viele qualitätsbezogene Tätigkeiten nur indirekt Einfluß hat, muss das Unternehmen versuchen wohlabgestimmte organisatorische Handlungen zu generieren. Intern wird dafür das Humansystem, extern das Lieferantennetzwerk genutzt. Fehlervermeidungstechniken, wie Poka Yoke spielen eine große Rolle. Die kontinuierliche Verbesserung der Qualität wird übertroffen durch eine permanente Qualitätssteigerung. Mitarbeiter Der Mitarbeiter und sein Arbeitshandeln sind bei Toyota in das Humansystem eingebunden. Dieser Komplex bildet ein SystemeleHumansystem ment. Es ist unzureichend und trifft das Gesamtsystem von Toyota nicht, nur von einem Produktionssystem zu sprechen. Mit dem HuMitarbeiter-Wertstrom mansystem wird ein „Mitarbeiter-Wertstrom“ modelliert, indem folgende Phasen verfolgt werden: Mitarbeiter gewinnen, entwickeln, Kulturelles System Engagement und Inspiration wecken. Es ist nur konsequent, wenn das Systemelement Muda auch hier das Denken bestimmt, indem Mitarbeit ohne und mit Wertschöpfung thematisiert werden. Generell ist Muda im Humansystem als Mangel an Mitbeteiligung zu definieren. Diesem Mangel gilt es mit entsprechenden Instrumenten durch die Führungskräfte entgegenzuwirken. Der Abschnitt kommt zu dem Ergebnis, dass von einem Toyota Managementsystem gesprochen werden muss, das in einem kulturellen System eingebettet ist und dessen Grundlagen sich auch im Arbeitsverständnis der Gruppenarbeit zentriert haben.

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3

Für die Unternehmenskultur Toyotas ist das Verhaftetsein in der Familientradition prägend. Der Spirit von Toyoda Sakichi, dem Gründer und Erfinder ist Bestandteil der Kultur. So haben die fünf von ihm begründeten Prinzipien (Abbildung 3.29) Leitcharacter. Doch Sakichis Ideale sind kein anachronistisches Überbleibsel aus einer fernen Zeit, die Mitarbeiter sind dazu bereit, die Kultur aktiv weiterzuentwickeln, zu formen und zu gestalten. Toyotas Kultur ist des weiteren sehr stark geprägt durch seine historische Entwicklung. Man erzählt Geschichten über die Erfolge und krisenhaften Erscheinungen. All das bildet die gemeinsame Basis, beschworen wird ein Gemeinsinn, ja sogar eine gemeinsame Handlungsperspektive. Kultur ist in dieser Tradition wesentlich mehr als Firmenkultur. Sie wurzelt im religiösen Bereich. Sakichis Prinzipien vermitteln jedenfals so ein religiöses Grundgefühl. Heute werden die Prinzipien interessanterweise nicht ersetzt, sondern ergänzt durch die Guiding Principles, die Aufforderungscharakter besitzen, zum Beispiel indem in ihnen dazu aufgerufen wird, eine Unternehmenskultur zu fördern, die die Kreativität der einzelnen Mitarbeiter ebenso wie den Wert des Teamgeistes steigert (Abbildung 3.30). Da eine Organisationskultur in ihrer Abhängigkeit zu ihrem Umfald entsteht ist es eine nicht ganz leichte Aufgabe den „Toyota Way“ in die globalen Standorte zu tragen. Dieser Aufgabe müssen die Führungskräfte gerecht werden und auch der Aufgabe die Unternehmensvision zu vermitteln, in der die ökologischen Aspekte der Motorisierung besonders betont werden. Dabei werden sie organisatorisch vor allem durch das Toyota Institute in Hamamatsu City untersützt. Die Darlegung der sieben Kernelemente hat die Erkenntnis vertieft, nun nicht mehr von dem TPS zu sprechen, sondern von einem Managementsystem, dem Toyota Managementsystem (TMS; Kapitel 3.3.4). Dieser Switch in der Begrifflichkeit ist von vielen nicht vollzogen worden. Weiterhin wird vom TPS gesprochen, besonders in den gezeichneten Haus- und Tempeldardstellungen. Besonders auffallend, weil sehr differenziert, ist die Darstellung von Cho, der zwar noch die Hausstruktur verwendet, aber inhaltlich in das Zentrum des Systems bewusst die Mitarbeiter und Gruppen stellt, die durch ihr Tätigkeiten sowohl Muda vermeiden wie auch den KVP voranbringen und die gezielte Anwendung entsprechender Techniken durchführen (Abbildung 3.35). Zur Abrundung der Frage, wie die Struktur des Systems von Toyota denn charakterisiert werden sollte wird dem Vorschlag von Gilles Deleuze gefolgt, der weder der Haus- noch der Baumstruktur den Vorzug gibt, sondern eher die Struktur eines Rhizoms, eines Wurzelstocks, ein Geflecht, ein Gewirr von Knollen und Knoten in solchen Organisationsgebilden, wie Toyota sie ausgeformt hat, erkennt: Das System bildet netzartig offene Karten aus.

261 Die Bedeutung von Toyoda Sakichi und die Familientradition

Das erste Musterbeispiel des Lean Managements, das TPS

Toyotas Management als netzartiges System, das begrifflich als Rhizom gefasst werden kann (Deleuze)

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

262

Das 4-P-Modell von Liker mit seinen vierzehn Prinzipien

Mike Rothers Kata

Lean Thinking von Womack & Jones

Unglücklicherweise fördern viele Bücher, die sich mit dem Lean Management befassen, das Missverständnis, das TPS sei eine Sammlung von Instrumenten, mit denen sich Produktionsabläufe effizienter gestalten ließen. Eine solche Vorstellung geht völlig am Zweck des Toyota Managementsystem vorbei. Jeffry K. Liker, ein intimer Kenner von Toyotas Produktionssystem, hat nach gründlichem Studium vierzehn Prinzipien herausgearbeitet, die sich ebenfalls von den Tempel- und Hausdarstellungen abgrenzen. Diese Prinzipien gruppiert er in eine Kategorienschema, die sich zum sog. 4-P-Modell integrieren: Philosophie, Prozesse, People/Partner und Problemlösung. Darin sieht Liker die Essenz des Toyota-Wegs. Dem immer wieder kurz genannten Shingo Shigeo wurde ein Extrakapitel gewidmet. Auf ihn gehen die beiden Konzepte Poka Yoke und SMED, die er bei Toyota ins TPS eingebracht hat, zurück. Ihm ist außerdem eine Ehrung besonderer Art zu Teil geworden, der Shingo Prize, der weltweit einzige Award der nach den prototypischen Konzepten des Lean Managements ausgebildet wurde. Er beruht auf Shingos zehn Prinzpien der operationalen Exzellenz (Abbildung 3.39). Die Gewinner des Shingo Prize sind bisher aus den Ländern USA, Mexiko, Brasilien, China, Indien, Dänemark. Der Shingo Prize wird jährlich seit 2010 in vier Kategorien ausgeschrieben. Einen vielversprechenden Ansatz zur Erklärung des Erfolgs von Toyota legt Mike Rother mit seinem Kata-Konzept vor. Bewußt greift er einen Begriff der japanischen Kampf- und Darstellungskünste auf, um zu zeigen, dass es vor allem die mentalen Prozesse sind, die Toyotas andere Art des Produzierens und Managen bestimmen. Ein Spezifikum der Kata ist es, dass sie tradiert wird in der Beziehung zwischen Meister und Schüler. Diese Struktur deckt Mike Rother nun auf und erkennt sie in Toyotas Managementsystem. Im Zentrum stehen die Verbesserungs- und Coaching-Kata. Beide sind aus der Perspektive der Unternehmenskultur als Wert anzusehen. Sie sind tief in der Kultur als Meta-Techniken verankert. Eine beachtenswerte Weiterentwicklung des TPS haben Womack & Jones mit Lean Thinking vorgelegt, indem sie diffus Bekanntes auf den Begriff brachten. Sie knüpfen an Ohnos Satz „Die einzige Frage ist, ob das Produkt für den Käufer einen Wert besitzt oder nicht.“ an. Die mit Lean Thinking verbundenen Begriffe sind Wert, Wertstrom und Wertstromdesign. Alle drei Begriffe zählen inzwischen zur Standardterminologie des Lean Managements, fokussiert in den fünf Schlüsselprinzipien des Lean Thinkings. Womack/Jones formulieren Lean Thinking wie folgt: „Schlankes Denken ist schlank, weil es einen Weg aufzeigt, immer mehr mit immer weniger zu erreichen … während man immer besser den Kunden das bereitstellt, was sie wirklich wollen.“

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3

Im Konzept des Wertstromdesigns greifen die Autoren Mike Rother und John Shook den „Ball“ von Womack/Jones auf und entwickeln eine für den operativen Bereich handhabbare Vorgehensweise Wertströme zu identifizieren und abzubilden. Mit dieser Methodik wird die Zielsetzung verfolgt, eine Organisation in der Fähigkeit zu unterstützen Material, Produkte und Informationen durch die Prozesse verschwendungsfrei fließen zu lassen. Das Besondere an der Methodik ist die Schaffung einer intersubjektiven Sprachregelung durch die definierte und einfach zu erlernende und anzuwendende Symbolsprache. In kürzester Zeit hat sich Wertstromdesign in der industriellen Praxis einen festen Platz erobert, wenn es darum geht Ist und Soll zu bestimmen und als Lösungsvorschlag eine Prozesslandkarte zu entwickeln. Mit One Piece Flow, dem sogenannte Ein-Stück-Fluss von Toyota, kurz 1x1-Fluss genannt, verfolgt Toyota eine langfristige Zielsetzung, die in der aktuellen True North-Vision aufgenommen wurde. Gemeint ist die Produktion, bei der ein Teil von Arbeitsstation zu Arbeitsstation bewegt wird, ohne dass sich an oder zwischen den Stationen Bestände und damit Muda bilden können. Damit ist der pufferlose Idealfall in der Fließfertigung erreicht. Eng damit verbunden sind arbeitsorganisatorische Maßnahmen der Gruppenfertigung, die auch den Autonomiegrad solcher Gruppen thematisieren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die sog. Teilautonome Arbeitsgruppe, ein Konzept, das noch in den 1980er Jahren in der europäischen Diskussion zur Gruppenarbeit eine große Rolle spielte. Bei der Weiterentwicklung des Lean Managements dominiert seit etlichen Jahren der Lean Six Sigma-Ansatz (kurz auch Lean Sigma). Wie der Name nahelegt handelt es sich um eine Kombination von Lean Management und dem Motorola-Konzept Six Sigma. Auch hier wurde auf den japanischen Kampfsport zurückgegriffen: Die Aufwertung der Qualifikation von Mitarbeitern erfolgt über besondere Personenzertifizierungen (z. B. Black Belt-Meister-Zertifikate – Six-Sigma-Gürtel-Pyramide). Die Diskussion um Lean Six Sigma zeigt, dass schon bei dem Versuch, beide Ansätze zu kombinieren, Widersprüche und Ambivalenzen zu erkennen sind. Obwohl erhebliche Probleme in der Konzeptionsphase festzustellen sind und auch Toyota selbst einen Six-Sigma-Lean-Mix nie verfolgen würde, melden Erfahrungen aus der Praxis positive Ergebnisse bei der Anwendung. Derartige Berichte sind daraufhin zu prüfen, welchem Ansatz genau gefolgt wurde, da die Kombination der Elemente ein weites Feld der Umsetzung ermöglichen kann. Im deutschsprachigen Raum werden seit den 1990er Jahren in den größeren Unternehmen Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) umgesetzt. Solche unter dem Etikett der Ganzheitlichkeit firmie-

263 Learning to See: Rother und Shook

One Piece Flow

Lean Six Sigma

Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS)

264

3 Die Systeme und Konzepte des Lean Managements

renden Systeme beruhen in ihren Grundzügen auf dem Toyota Produktionssystem und bestehen aus organisatorischen Konzepten (z.B. für die Prozessgestaltung oder für Gruppenarbeit), aus Modellen (z.B. Entgelt- und Arbeitszeitmodelle) sowie aus Techniken (z.B. KVP, TPM, JIT, Visualisierungsmanagement). Sie richten sich in erster Linie an das untere und mittlere Management sowie an die betrieblichen Mitarbeiter. Mithilfe Ganzheitlicher Produktionssysteme sollen diese Personengruppen in die Lage versetzt werden, auftretende Probleme wie z.B. mangelnde Qualität, zu geringe Verfügbarkeit, zu niedrige Nutzungsgrade, zu hohe Lagerbestände, qualifikatorische Über- und Unterforderung oder zu geringe Motivation eigenständig zu lösen. Beispielhaft wurde das Mercedes-Benz Produktionssystem vorgestellt und diskutiert. Bei der Implementierung ist zu beachten, dass die Elemente des kulturellen und Human-Systems in solchen ganzheitlichen Produktionssystemen verankert werden. Ganzheitlichkeit muss das gesamte Unternehmen umfassen, nicht nur die Fertigung. Es ist zu ergänzen um ein Achtsamkeitssystem, damit auf Veränderungen und Herausforderungen auch prophylaktisch frühzeitig und angemessen reagiert werden kann. Ganzheitliche Produktionssysteme sind nur dann ganzheitlich, wenn sie die humanen und kulturellen Elemente nicht nur thematisieren, sondern die Systeme um ein Achtsamkeitssystem ergänzt miteinander systematisch verknüpfen. Ein völlig vernachlässigtes Thema im Zusammenhang mit dem Methods-Time MeasuLean Management ist noch das Management der Zeit, auch Zeitwirtrement (MTM) schaft zu nennen. Es handelt sich um eine aus dem Scientific Management herausgebildete Disziplin, das Methods-Time Measurement (MTM) genannt wird. Bei diesem Ansatz geht es zunächst um die methodisch angeleitete Optimierung der Motorik des arbeitenden Menschen (Beispiel Maurer im Text). Zielsetzung war es die Körperbewegungen des Menschen zu zerlegen und in ihren einzelnen Komponenten zu analysieren, um sie so aufgeschlossen „neu zusammenzusetzen“. Neben Frank B. Gilbreth war der französische Arzt Etienne-Jules Marey, der Pionier auf diesem Gebiet, in dem es darum ging eine Ökonomie der Arbeit zu begründen, in der die wissenschaftliche Methode zur Erhaltung der Kraft als Arbeitskraft im Zentrum stand. MTM tritt heute als moderne Richtung dieser Zeitökonomie der Arbeit auf, mittels derer Zeitbemessungen und das Festlegen von Standardzeiten im Mittelpunkt des Bemühens stehen, die für die Arbeit verwendete Zeit in den Griff zu bekommen. Die Institution, die sich seit 1951 vornehmlich dem Ziel der Durchrationalisierung der Arbeit gewidmet hat, ist die gemeinnützige Organisation „U.S. MTM Association for Stadards and Research“, die auch eine Dependance als Deutsche MTM-Vereinigung seit 1962 gegründet hat. Aus der angren-

3.13 Zusammenfassung Kapitel 3

zenden Disziplin des Industrial Engineering wird vor allem die Mitarbeit rekrutiert. Zu beobachten ist der andauernde Versuch Ansätze des Lean Managements mit dem MTM-Konzept zu kombinieren. Aktuelle Themen sind Ganzheitliche Produktionssysteme und Wertstromdesign. Es werden sogar hervorragende Synergien erwartet. Das letzte Thema in dem umfangreichen Kapitel 3 widmete sich der sog. Theory of Constraints (TOC), kurz Constraint-Management, ein Ansatz, der – ohne es explizit zu thematisieren – auf das Lean Management zugreift, seine Ansätze weitgehend akzeptiert, bis auf eine neuralgische Stelle, die völlig konträr gesehen wird, der Engpass, dort wo im Fluss der Produktion die Kapazität gleich oder geringer ist, als die darauf bezogene Nachfrage. Gerade dort müssen schwerpunktmäßig Verbesserungen ansetzen. Bei diesen Verbesserungen geht es einerseits um die Erhöhung des Durchsatzes, andererseits darum die Bestände zu optimieren (Buffermanagement). Lean Management und Constraint Management sind zwei Ansätze die nicht so einfach gegeneinander ausgespielt werden können. Beim Constraint Management handelt es sich um eine spezielle Form des Projektmanagements, beim Lean Management dagegen um einen umfassenden Ansatz zur Führung eines Unternehmens. Die abschließende Frage aus der Sicht des Lean Managements lautet folglich, was es vom Constraint Management lernen kann und ob ein Lean Constraint-Management möglich sein kann. Diese Zusammenfassung des Kapitels der Systeme und Konzepte des Lean Managements erbrachte zunächts viele Klarstellungen um den Mythos Lean Management, indem konsequent die Primärliteratur herangezogen wurde. So konnte in abstrahierender Absicht den Systemelementen des TPS eine neue übergreifende Perspektive zugewiesen werden. Neuere Entwicklungen wurden aufgegriffen und ihr Stellenwert für das Lean Management wurde bestimmt. Im Licht dieser Erkenntnisse muss ein neuer Blick auf das Lean Management geworfen werden, als Managementansatz, der in der Tat jedem Unternehmen, das seinen Lehren folgt, einen herausfordernden Wandel verspricht.

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265

Theory of Constraints (TOC) = ConstraintManagement nach Goldratt & Cox

3.14 Mindmap zur Rekapitulation

266

TPS als Toyota Managementsystem TPS-Haus-Darstellungen 14 leitende Prinzipien des TPS

Vorläufer des Lean Managements

Shingo PriceModell Toyota Kata Lean Thinking, Wertstromdesign, One Piece Flow Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) Lean Six Sigma Methods-Time Measurement (MTM) Theory of Constraints (TOC)

Handwerksproduktion

Taylor

Systeme und Konzepte

Element Unternehmenskultur Element Humansystem, Mitarbeiter, Arbeit Element höchste Qualität

Element Wertschöpfungsprozess

Ford

Das TPS nach Ohno Ohno und das Ford-System Element Muda Element Just in Time

Element Techniken

4

Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

Wer etas zerteilt, um etwas ganzes zu erreichen, wird dieses früher oder später, mehr oder weniger gut wieder zusammenfügen müssen. „Verbesserung der Unternehmensqualität durch Verkürzung der Durchlaufzeit um 50 bis 70 Prozent, Erhöhung der Termintreue um 45 bis 60 Prozent innerhalb weniger Monate.“ Hinter solchen Zeitwundern steckt im Kern ein einfaches Prinzip: Anstatt eine Aufgabe zu zerhacken und die Einzelstücke an dafür spezialisierte Abteilungen zu geben, wird ein Team mit der gesamten Aufgabe betraut und soll die möglichst in einem Rutsch durchziehen. In der Produktion führt dieses Prinzip zu „Fertigungsinseln“. Um ein bestimmtes Teil herzustellen, hat man die notwendigen Maschinen zu einer Gruppe zusammengerückt. Im Toyota Produktionssystem hatte man dies schon längst erkannt, für den Westen stellt es ein Aha-Erlebnis dar.

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

268 Leitfragen 1. 2.

Was ist unter Techniken, was unter Lean Management-Techniken zu verstehen? Welche Super-Lean-Techniken lassen sich bestimmen? Warum werden sie als konstitutiv bezeichnet?

Wichtige Fachliteratur • •

Ohno 1993 Traeger 1994

3. 4.

Wie lassen sich die Lean ManagementTechniken gliedern? Wählen Sie aus der Vielzahl der Lean Managementtechniken drei aus und beschreiben Sie diese beispielhaft.

4.1 Was ist unter Techniken, was unter Lean-Techniken zu verstehen? „Der Kunstgriff des technischen Handelns besteht gerade darin, dass man – im Gegensatz zum magischen Denken – der Natur keine unrealistischen Ziele aufzwingt.“ (Friedrich Rapp: Analytische Technikphilosophie. Freiburg [Alber] 1978, 135)

4.1

Was ist unter Techniken, was unter Lean-Techniken zu verstehen?

Leider wird durchgängig in den Publikationen zum Lean Management begrifflich vieles durcheinandergeworfen, was getrennt werden sollte. Da wird von Methoden, Instrumenten, Werkzeugen, Tools etc. geredet. Je nachdem, ob der Sprechende ein Ingenieur, Betriebswirt, Marketingfachmann oder (selten) Sozialwissenschaftler ist. Im mündlichen Sprachgebrauch ist es noch schlimmer bestellt. Der Praktiker mag müde lächeln über das Anliegen etwas auf den Begriff zu bringen, was für ihn völlig klar erscheint. Doch es ist zum Beispiel nicht egal, ob es sich bei Kaizen um eine Unternehmensphilosophie, ein Instrument des Marketings, ein Element eines Produktionssystems oder eine im operativen Bereich des Unternehmens angewandte Lean-Technik handelt. Deshalb ist es erforderlich klarzustellen und abzugrenzen, dass es um Techniken geht, und es ist zunächst zu klären, was unter Technik resp. Techniken zu verstehen ist, bevor die Techniken des Lean Managements bestimmt werden. In Abgrenzung zum Begriff Technik als alle von Menschen gemachten Gegenstände wie Maschinen, Apparate etc. geht es in unserem Zusammenhang bei Technik um eine menschliche Tätigkeit, die Können voraussetzt. Wer das Rechnen im Kopf beherrscht, der kann etwas. Er hat die Technik des Kopfrechnens gelernt und ist nicht nur in der Lage Auswendiggelerntes zu reproduzieren, sondern auch komplexe Rechenaufgaben „im Kopf “ ohne Nutzung schriftlicher Aufzeichnungen durchzuführen. In diesem Sinn ist natürlich auch der Koch (Kochtechniken) oder natürlich der Sportler ein Techniker. So können manche Fußballspieler sowohl mit dem linken wie mit dem rechten Fuß sehr gut den Ball dorthin bewegen, wo sie ihn hinhaben wollen. Zum Können gehören Geschicklichkeit, Fertigkeit, Übung, Gewandtheit etc, wohl auch Begabung. Zum Können gehört auch das Anwendenkönnen technischer Systeme, wie das Fahrrad- oder Autofahren. Zum Können und Wollen des Menschen gehört es auch in sozialen Systemen Techniken anzuwenden. Lean Management ist

y Technik (griech. techne, ›Kunst, Kunstwerk‹): Die Art und Weise, etwas durchzu-

setzen, zu erreichen, zu bewerkstelligen; im allgemeinsten Sinn die menschliche Tätigkeit, insofern sie darauf gerichtet ist, das Vorgefundene, Gegebene menschlichen Bedürfnissen und Wünschen entsprechend zu ändern. Manuelle Ertüchtigung, Gestaltungssinn, Naturerkenntnis, Wissen, Einsicht sind die Voraussetzungen der Technik, Sicherung, Erhöhung, Veredlung des menschlichen Daseins war ihr Ziel.

Was ist unter Technik zu verstehen?

Technik als eine menschliche Tätigkeit, die Können voraussetzt

269

270

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

eben nicht nur ein Managementsystem, sondern bildet – nach seiner Implementierung in einer Organisation – ein soziales und technisches System. Die Anwendung von Techniken sind Ausfluss der definierten „Spielregeln“. Lean-Techniken anzuwenden bedeutet im Medium eines definierten Managementsystems angemessen zu handeln. Die Techniken des Lean Managements entfalten sich folglich in der Regel nicht direkt aus der Kreation von technischen Sachsystemen heraus, sondern entstehen mental und motorisch in Wechselbeziehung zu diesen. Am Beispiel: Wer die 5-W-Fragetechnik anwendet folgt (wie beim Kopfrechnen) dem, was er gelernt hat in verbaler oder schriftlicher Form. Wer erkennt, dass ein Bandstopp (Andon) durchzuführen ist, handelt auch in motorischer Weise. Lean-Techniken beruhen gewissermaßen sehr oft einfach auf Gebrauchsanweisungen im Sinne „Wenn das und das passiert, dann tue – unter den und den Bedingungen – das und/oder das!“ Lean-Techniken sind Standards, erstmals von Toyota entwickelt und eingesetzt. Die wohl erste dieser Techniken des TPS geht auf die legendäre Gründerfigur Toyoda Sakichi (Kapitel 2.3.1) zurück, dem Erfinder des automatischen Webstuhls. Die von ihm entwickelte Technik, die auf einem kleinen Gerät beruht, führt den automatischen Stopp des Webstuhls durch, wenn ein Ketten- oder Schussfaden reißen sollte. Losgelöst von dieser speziellen Anwendung ist sie heute weit mehr, nämlich eine Qualitätstechnik, die eingesetzt wird, um drohende Qualitätsprobleme in den Griff zu bekommen (Andon, Bandstopp, Jidoka). Was sind Lean-TechDefinition: Unter Lean-Techniken sollen erprobte kognitive niken? und/oder motorische Standards im Lean Management verstanden werden, die im operativen Managementbereich von jedem Mitarbeiter angewendet werden können, um Probleme der Produktion, Organisation und Qualität vor allem in prophylaktischer Absicht zu lösen. Lean-Techniken richten sich schwerpunktmäßig auf Probleme, die Lösungen verlangen, Prozesse, die zu synchronisieren, verbessern und zu standardisieren sind und Prozesse, die es zu kontrollieren gilt. Der operative Bereich begrenzt sich nicht nur auf Fertigungs- und Geschäftsprozesse, sondern bezieht auch die Tätigkeiten des Managements ein, die ihren Aufgaben im Rahmen strategischer Planungen nachgehen und dort Lean-Techniken wie zum Beispiel Policy DeWelche Techniken ployment anwenden. Nach diesem Verständnis ist nicht gleich jede als Lean-Techniken angewandte Handlungsweise schon eine Lean-Technik, sondern erst, zum Zuge kommen wenn sie einen gewissen Reifegrad erreicht hat und als allgemeingültig sollen, entscheidet der erkannt worden ist. Da im Lean Management keine NormungsorgaDiskurs innerhalb der nisation à la ISO existent ist, „entscheidet“ der Diskurs in der Lean Lean Management Management Community (Kapitel 6) darüber. Community Lean-Techniken anzuwenden bedeutet im Medium eines definierten Managementsystems angemessen zu handeln

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

4.2

Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

Lean-Techniken lassen sich zunächst nach übergeordneten Gesichtspunkten als Meta- bzw. Super-Lean-Techniken einstufen. Sie sind dem Lean Management-System konstitutiv. Dazu zählen Muda, Just in Time, Kanban, Autonome Automation, 5 Ws, Poka Yoke, Kaizen, Standardisierung, One Piece Flow und Wertstromdesign. Werden eine oder mehrere dieser Techniken in der Organisation nicht einbezogen, ist das Lean Management-System unzureichend. Eine weitere Abgrenzung, die eher praktischen Gesichtspunkten folgt, charakterisiert Lean-Techniken in drei Kategorien ◼ Problemlösung ◼ Prozessorientierung ◼ Prozess- und Lösungskontrolle Diese Dreiteilung wird in den folgenden Kapiteln aufgegriffen, in denen die Lean-Techniken erläutert werden. Die Aufzählung der Techniken ist exemplarisch (alphabetisch), keinesfalls vollständig, kann es auch wegen der dynamischen Entwicklung nicht sein.

Es gilt das „Conditiosine-qua-non-Prinzip“: Fehlt eine der zehn konstitutiven SuperLean-Techniken, dann sind die LeanTechniken des Lean Management-Systems unzureichend bestimmt

4.2.1 Lean-Techniken im Verständnis von Ohno Taiichi Der Begründer des TPS, Ohno Taiichi, siedelt die Techniken des Die Kerntechniken des TPS direkt auf der obersten Systemebene des TPS an. Für ihn gab es TPS wurden von Ohno nur eine Systemebene. Er hat die Kerntechniken des TPS definiert definiert (Ohno 1993, 148f): ◼ Ando ◼ Arbeitsfluss einrichten ◼ Autonome Automation ( Jidoka) ◼ Poka Yoke (=Baka Yoke) ◼ Muda ◼ Fünf Warum (5 Ws) ◼ Just in Time ◼ Kanban ◼ SMED ◼ 1x1-Fluss (One Piece Flow) ◼ Produktionsnivellierung (Ninjutsu) ◼ Staffelstabübergabe ◼ Standard-Arbeitsverfahren ◼ Visuelle Kontrolle Dabei ist folgende Wertigkeit zu beachten: Just in Time und Autonome Automation werden von Ohno als die tragenden Säulen des TPS angesehen. Sie bilden die Grundlage zur Unterstützung von Muda.

271

272

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

4.2.2 Lean-Techniken zur Problemlösung Es werden zwei Lean-Techniken der Problemlösung vorgestellt. Die Literatur und viele Trainingsseminare zählen weit mehr auf. Die hier aufgeführten zeichnen sich sowohl dadurch aus, dass jeder sie anzuwenden vermag und dass sie im Lean Management einen gewissen Verbreitungsgrad erlangt haben.

Die 5-Warum-Fragetechnik wurde bei Toyota im TPS entwickelt

Das Ishikawa-Diagramm geht auf den gleichnamigen Experten zurück

5-Warum-Fragetechnik (5 Ws) Genau wie die 9 ist die 5 in der japanischen Mythologie eine magische Zahl. Das ist wohl der Grund, warum Ohno Taiichi das fünfmalige Warum-Fragen priorisiert, wenn es darum geht, die eigentliche, die „wahre“ Ursache eines Problems zu finden. Wichtig ist, dass solange nachgehakt wird, bis die Ursache, das fehlerverursachenden Problems gefunden wird. Nur wenn durch solcherart hartnäckiges Nachfragen die Wurzel des Problems gefunden wurde, kann dieses auch beseitigt werden. Geht man nicht so vor und gibt sich mit einfachen vordergründigen Scheinlösungen zufrieden, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit das Problem wieder auftreten. Darum ist die Technik des fünfmaligen Warumfragens grundsätzlich anzuwenden, um die tieferen Ursachen zu erkennen. Ein Beispiel zur Anwendung dieser Fragetechnik findet sich in Kapitel 3.3.3.6. Ishikawa-Diagramm (auch Ursache-Wirkungs-Diagramm) (engl. fishbone diagram, cause and effect diagram) Das Ishikawa-Diagramm wurde bereits Anfang der 1940er Jahre von Kaoru Ishikawa entwickelt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es Ohno Taiichi und den Toyota Managern bekannt war und auch im TPS angewandt wird. Das Diagramm ist sehr weit verbreitet und zählt heute als Qualitätstechnik und auch Lean-Technik zum Standard-Repertoire. Es dient dazu Problemursachen differenziert zu identifizieren und zu analysieren. Die Anwendung erfordert kein besonderes Fachwissen, ist folglich mit dem „gesunden Menschenverstand“ möglich, sollte aber moderiert werden, um zu brauchbaren Ergebnissen zu gelangen. Ausgangspunkt ist die genaue Definition des Problems, seine Wirkung, um dann nach den Ursachen zu fragen. Das geschieht am besten dadurch, indem das Problem in eine Warum-Frage umgeformt wird. Abbildung 4.2 (Folgeseite) zeigt die Grundstruktur von links nach rechts lesend, ausgehend vom auftauchenden Problem. Beispielsweise hat der Unterlieferant verspätet die Teile an das Montageband geliefert („Warum wurden durch den Lieferanten XY die Teile verspätet an-

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

WIRKUNG

◀ Abb. 4.1: IshikawaDiagramm

URSACHE Mensch

Material

Methode

Maschine

Messung

Milieu

Problem

geliefert?). Diese Fragestellung ist als Problem in den blauen Kreis einzutragen. Dann sind die hypothetischen bzw. erkannten Ursachen in die Pfeilstruktur einzutragen. Die angebotenen „6 M“ sind nicht als starres Kategorienschema zu sehen. Je nach Problem können sie ergänzt oder reduziert werden. Häufig wird vorgeschlagen die Ursachensuche im moderierten Brainstorming durchzuführen (Metaplantechnik). Diesem Vorgehen sollte – nach der genauen Problemidentifizierung und -definition – eine Beobachtungsund Datensammelphase vorgeschaltet werden. Zu fragen ist also in einem zweiten Schritt: Beobachten und prüfen unter welchen Bedingungen das Problem auftritt und Informationen dazu zusammenstellen. Erst dann kommt der dritte Schritt, in dem zunächst abzuwägen ist, ob man mit der Lean-Technik der 5 Ws beginnen sollte. Ist das nicht der Fall oder bereits erfolgt, kann die moderierte Gruppe 1. die Haupt- und Nebenursachen erarbeiten 2. die Vollständigkeit der Ergebnisse überprüfen 3. die bedeutendsten Ursachen bestimmen (Evaluationsphase) 4. die Plausibilität prüfen (Statistik) 5. Maßnahmen zur Beseitigung von Ursachen diskutieren und beschließen 6. Maßnahmen umsetzen 7. Verbessern und Standardisieren. Einschränkend ist anzumerken, dass es das Diagramm direkt nicht Grenzen des Ishikawaerlaubt, Wechselbeziehungen und zeitliche Beziehungen zu erfas- Diagramms sen. Hierzu wäre es evtl. um alternative Darstellungsformen zu ergänzen. – Versuchen Sie einmal zum genannten Beispiel der Lieferverzögerung ein Ishikawa-Diagramm zu entwickeln.

273

274

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

4.2.3 Lean-Techniken der Prozessorientierung Auch hier sind zahlreiche Techniken entwickelt worden. Schließlich sind Prozessmanagement und Prozessorganisation inzwischen Standard-Managementthemen. Ausgewählt wurden typische Techniken wie sie im Lean Management Anwendung finden.

Die Autonome Automation ist Element des TPS

Autonome Automation (Automation mit menschlichen Zügen) ⇢ Jidoka Eine der beiden Säulen des synchronen Produktionssystems (die zweite ist ⇢ Just in Time). Autonome Automation ist eine Form der Automatisierung, bei der nicht nur eine Tätigkeit an sich, sondern auch die menschliche Fähigkeit des Beurteilens mit einfachen Mitteln auf eine Maschine übertragen wird: Eine solche Maschine hält im Fall einer Abweichung an, um die Weitergabe von NIOTeilen zu verhindern. Kein Mitarbeiter muss die Maschine ständig beobachten – sie kann autonom arbeiten. Gleichzeitig wird Qualitätsproblemen und der Verschwendung durch Produktion von Schlecht-Teilen vorgebeugt. Im erweiterten Sinne werden auch Mechanismen, mit denen Linienmitarbeiter bei Abweichungen wie Zeitverzug, Qualitätsproblemen oder Ähnlichem ihre Linie anhalten können, als Autonome Automation bezeichnet. Durch Autonome Automation werden Probleme in dem Moment sichtbar, in dem sie auftreten. Das erleichtert ein schnelles Reagieren und die nachhaltige Beseitigung der Ursachen.

Heijunka (engl. levelization; dtsch. nivellieren, glätten) Heijunka wurde bei ToOberste Zielsetzung des Pull-Systems ist die nivellierte Produkyota im TPS entwickelt tion. Diese ist deshalb nicht naturgegeben, weil die Kundennachfrage schwankt. Folglich müssen die Fertigungs- und Logistikprozesse von den der Kundennachfrage immanenten Schwankungen abgekoppelt werden. Die Kundennachfrage wird vom Kundentakt bestimmt (Berechnung: Taktzeit = Fertigungszeit/Kundennachfrage). Wie die Blackbox-Skizze Heijunka (Abbildung 4.2 Folgeseite) zeigt, ist es Aufgabe des Produktionsmanagements die Schwankungen der Kundennachfrage innerhalb der Blackbox sowohl in horizontaler wie in vertikaler Hinsicht zu nivellieren, also das Niveau über den Zeitraum jeden Tag gleichbleibend in der Kapazitätsauslastung zu steuern. Dies gelingt über das Heijunka Board (auch Heijunka Tafel), eine Produktionsplanungstechnik, ein Element des Visuellen Managements. Wenn die Teile die Endmontage erreichen ist die Produktion derart geglättet worden, dass

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken ◀ Abb. 4.2: Die Heijunka-Blackbox

Kundentakt

Kundennachfrage Produktionsmenge

Blackbox tten ren/glä nivellie

Montage

Zeit

die Schwankungen am Endmontageband bei Null gehalten werden können: Ein Modell nach dem anderen wird montiert. Es kann somit gesagt werden, dass die Heijunka-Technik ein Element von ⇢  Just in Time ist, ja seine Voraussetzung. Der Produktionsfluss wird im Sinne eines mengenmäßigen und zeitlichen Ausgleichs harmonisiert, Bestandsanhäufungen und Warteschlangen, also Muda wird vermieden. Jidoka ⇢ Autonome Automation Andere Bezeichnung für ⇢ Autonome Automation. Größtenteils wird in der westlich orientierten Literatur zum Lean Management Jidoka als japanischer Fachbegriff geführt. Tatsächlich handelt es dabei um eine bedeutungsverändernde Vereinfachung, weil Jidoka schlicht Automatisierung heißt. Der Toyota-Fachterminus meint jedoch nach Ohno „Automatisierung mit menschlichen Zügen“, und das muss mit „Ninben-no-tsuita-jidoka“ wiedergegeben werden. Also sollten wir eigentlich den Fachbegriff so belassen, wie er von Ohno Taiichi eingeführt wurde: ⇢ Autonome Automation. Wir nutzen aber gleichzeitig als Synonym Jidoka, weil dieser Terminus inzwischen besonders in der angelsächsichen Fachliteratur weite Verbreitung gefunden hat. Just-in-Time (JiT) (dtsch. Fertigungssynchrone Lieferung für eine Produktion auf Abruf) Die Idee, die Möglichkeit, Güter zur richtigen Zeit und in der benötigten Menge zu beschaffen, um so Ungleichmäßigkeiten und Unzweckmäßigkeit zu beseitigen und die Effizienz zu verbessern, stammt von Toyota Kiichirõ, dem Gründer der TMC. Sie ist dann durch seine Nachfolger zu einem Produktionssystem entwickelt worden, das zunächst auch so genannt wurde: Just in Time-Produk-

JiT ist schon sehr alt und grundlegend, geht auf Toyota Kiichirõ zurück

275

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

276

Was bedeutet JiS?

Die Grundlagen von Muda liegen in JiT und Kanban begründet

tion. Ohno weist darauf hin, dass es nicht simpel „in time“, sondern „just in time“ heißt (siehe auch Kapitel 10.3 im Anhang). Just-inTime und autonome Automation sind die beiden Meta-Techniken des TPS. Nur herstellen, was tatsächlich gebraucht wird, und zwar dann, wenn es gebraucht wird, und in der Menge, die gebraucht wird, d. h. Lieferung exakt entsprechend der Nachfrage, setzt an, wenn vorgelagerte Aktivitäten Minuten oder Sekunden vor den nachgelagerten erfolgen, so dass Einzelstückfließfertigung (⇢ One Piece Flow) möglich ist. Durch den Einsatz von JiT kann bei hoher betrieblicher Effizienz leicht auf Veränderungen reagiert werden. JiT erfordert eine geglättete Produktion und basiert auf den drei Grundkonzepten Pull-Prinzip, durchgängige Verknüpfung von Prozessen, Produktion im Kundentakt. Unternehmen, die JiT einführen wollen, sind gehalten eine ganzheitliche Betrachtung der Auftragsabwicklung ins Auge zu fassen und nicht die einzelnen Funktionsbereiche zu optimieren. Die Produktion erfolgt „nachfragegenau“ entlang einer logistischen Prozesskette indem Bestände (Kosten) minimiert werden. Wenn die Zeitkomponente in JiT noch um Produktspezifika ergänzt wird, spricht man von Just in Sequence ( JiS), der fertigungs- und reihenfolgesynchronen Lieferung. Die Teile werden dann nicht nur zeitnah, sondern auch teilespezifisch so angeliefert wie sie verbaut werden. Sie werden dafür beim Lieferanten in umgekehrter Reihenfolge geladen und so „passgenau“ ans Montageband geliefert. – Die Anwendung von JiT hat immer wieder sowohl Kritik an Einzelaspekten wie auch grundsätzlicher Art hervorgerufen. Es ist das Verdienst von Horst Wildemann hierauf ausführlich eingegangen zu sein (1995, 243286). Kanban (japan. Kanban hoshiki) Der enge Zusammenhang von ⇢ Muda, ⇢ Just in Time und ⇢ Kanban ist – neben der autonomen Automation – das Herzstück des TPS. Ohno hat betont, dass die Grundlagen von Muda in Just in Time und Kanban liegen. Dabei besteht Kanban in den meisten Fällen lediglich aus einer kleinen Karte, die an den Teileboxen angebracht wird und die den Sog (Pull) im TPS regelt und so über die vorgelagerte Produktion und Lieferung informiert. Es erscheint vordergründig ein Hilfsmittel zur Organisation und Sicherstellung der JiT-Produktion zu sein, eine einfache und direkte Form der Kommunikation an dem Ort, wo sie notwendig ist. – Kanban ist somit eine Technik zu Steuerung der Produktion. Doch es ist mehr: Es ist als Technik ein Element der Lean Produktion, um

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

Verschwendung aufzudecken. „Es zeigt sofort, wo Verschwendung vorkommt und ermöglicht so eine eingehende Ursachenüberprüfung und die richtige Umsetzung der Verbesserungsvorschläge“ (Ohno 1993, S. 56). Daher erschien es Ohno sinnvoll, ein System bzw. einen Meldemechanismus einzurichten, der Produktionsprozesse überwacht und automatisch informiert, wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt, um so fehlerhafte Endprodukte zu vermeiden. „Vertuschung darf nicht mehr möglich sein. Gerade hierin ist das Kanban-System unschlagbar“ (Ohno 1993, S. 69) Kanban sollte nicht einfach in Push-Systemen eingesetzt werden, sondern regelhaft installiert werden. Solche Kanban-Regeln sind von Ohno entwickelt worden (Abbildung 3.18). Beim Einsatz von Kanban muss sich jeder an ganz feste Grundsätze halten, die sich in neun Punkten zusammenfassen lassen. Nur so entfaltet es seine volle Wirkung im Produktionssystem (Tautrim 2012, 43): 1. Jeder Behälter muss mit einer Kanbankarte versehen sein. 2. Wird das erste Teil aus dem Behälter entnommen, wird die Kanbankarte in den dafür bestimmten Briefkasten gelegt. 3. Der nachgelagerte Prozess zieht das Material vom vorgelagerten Prozess. 4. Es wird in der Reihenfolge produziert, in der der nachgelagerte Prozess verbraucht. 5. Es wird nur die vom nachgelagerten Prozess verbrauchte Menge produziert. 6. Sobald ein Materialmangel auftritt, wird dies dem vorgelagerten Prozess bekannt gegeben. 7. Die Kanbankarten werden von dem Bereich, in dem sie verwendet werden, erstellt und verwaltet. Ein einheitlicher Aufbau ist wichtig. 8. Der Verlust von Karten muss sofort gemeldet werden. 9. Hat sich die Materialverfügbarkeit verbessert, stabilisiert, dann kann die Kanbankartenanzahl reduziert werden. Muda Muda ist natürlich generell ein Systemelement des TPS, muss aber zugleich auch als Lean-Technik bestimmt werden. Die sieben Arten von Muda zählen zum Standardwissen eines jeden Mitarbeiters, gehören damit auf die operative Ebene Die ausführliche Darstellung findet sich in den Kapiteln 1.3.6 und 3.3.3.1. One Piece Flow (OPF) Diese wichtige Lean-Technik nennt Toyota 1x1-Flow. Sie ist in Toyotas „True North Vision“ verankert. Beim One Piece Flow-

Kanban ist eine Technik, um Verschwendung aufzudecken

Die neun KanbanRegeln

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4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

Prinzip geht es darum, Puffer jeglicher Art vor und nach den Arbeitsstationen zu vermeiden. Mit OPF wird der Strom des Wertes ohne Unterbrechung und in Übereinstimmung zwischen der Kundennachfrage und den Prozessen verfolgt. Auftretende Probleme müssen unmittelbar gelöst werden. Die Organisation erfolgt meistens im U-Zellen-Layout, weshalb sich auch der Begriff One Piece Flow-Zelle eingebürgert hat. Die Lean-Technik One Piece Flow ist in Kapitel 3.8 beschrieben worden.

SMED geht auf Shingo Shigeo zurück

Single Minute Exchange of Die (SMED) Hohe Durchlaufzeiten hängen oft (aber nicht nur) an zu langen Umrüstzeiten. Dieses Problem können Unternehmen durch Anwendung von SMED in den Griff bekommen. Allerdings sollte SMED in eine Leankonzeption eingebunden werden. Losgelöst vom Lean Management-Ansatz ist der Erfolg von SMED eher enttäuschend. SMED steht im direkten Zusammenhang mit der ⇢  One Piece Flow-Technik, die eine Produktion in Losgröße  1 anstrebt. Da es bei hoher Variantenzahl zu einer starken Rüstzeitenerhöhung kommt, ist SMED unabdingbar. Wenn zu hohe Prozesswartezeiten entstehen, sind diese als Muda zu markieren. Die Lean-Technik SMED ist in Kapitel 3.6 ausführlich erläutert. Sie beruht im Wesentlichen auf den Arbeiten von Shingo Shigeo bei Toyota. Supermarkt Produktionstechnik der autonomen Produktionssteuerung: Eine Fertigungslinie stellt die von ihr produzierten Teile in einem Supermarkt für die nachgelagerten Linien bereit. Zunächst wird für jedes Teil ein Maximalbestand definiert und der Supermarkt entsprechend gefüllt. Ab diesem Zeitpunkt produziert die Linie nur noch die Teile, die von den Linienversorgern der nachgelagerten Linien abgezogen wurden, in der entsprechenden Stückzahl nach. Durch den KVP wird der Bestand im Supermarkt immer weiter reduziert, was zur Verkürzung der Durchlaufzeit führt. Wertstromdesign (WSD) Dieser wichtigen Lean-Technik folgt Toyota im TPS ohne sie jemals extra zu nennen und zu benennen. Sie ist ausführlich inhaltlich und in ihrem Entstehungskontext in Kapitel 3.8 beschrieben. Die Lean-Technik Wertstromdesign wird zur operativen Produktionsoptimierung eingesetzt.

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

4.2.4 Lean-Techniken zur Prozess- und Lösungskontrolle Andon (jap. Papierlaterne) Lean-Technik des ⇢ Visualen Managements in Form eines optisch-akustischen Signalsystems. Andons dienen zur Meldung von Abweichungen sowie als Arbeitsanweisungssysteme (für Rüstvorgänge, Materialversorgung etc.). Ziel ist, Führungskräfte und Mitarbeiter mit unterstützenden Aufgaben zu raschem Handeln Bei Andon ist rasches anzuregen. Dazu werden sowohl die einzelnen Arbeitsplätze so Handeln angezeigt! mit Signallampen und Summern ausgestattet, dass Abweichungen oder Anweisungen schon aus der Ferne sofort wahrgenommen, wie auch die Informationen der einzelnen Arbeitsplätze auf Anzeige- oder Ruftafeln über Hauptverkehrswegen zusammengefasst. Fünf S (5 S/5 A) Das Thema, das sich hinter der Lean-Technik 5 S (Deutsch 5 A) verbirgt, ist sehr simpel: Einen Arbeitsplatz aufräumen, sauber halten und dafür zu sorgen, dass ein so verbesserter Arbeitsplatz auch dauerhaft in diesem Zustand bleibt. Wenn dieses Ziel erreicht ist, dann haben wir einen standardisierten Arbeitsplatz, an dem verschwendungsfrei gearbeitet werden kann. Fünf S senkt damit die Unfallgefahr. Weder in den USA noch in Europa ist ein Manager auf die Idee gekommen, dieses Thema zum Gegenstand eines Arbeitssystems zu machen. Ganz anders in Japan (Imai 1997, 77): „Die Verfahrensweisen der 5 S wurden durch intensive Arbeit in der Fertigungsindustrie entwickelt.“ Die Lean Technik 5 S differenziert sich in fünf aufeinanderfolgenden Schritten: Japanisch Seiri Seiton Seiso Seiketsu Shitsuke

Deutsch Aussortieren Aufräumen Arbeitsplatz sauber halten Anordnung zur Regel machen Standardisieren Alle Vorgaben einhalten und kontinuierlich verbessern

Englisch Sort Set in Order Shine Standardize Sustain Hinter den 5 S steckt mehr als man augenscheinlich vermutet. Sie sind der Einstieg ins Lean Management

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4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

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5 S eignet sich als Einstieg in Kaizen

Die einzelnen Schritte von 5 S

Fünf S ist eine Basisaufgabe eines jeden Mitarbeiters zur Organisation seines Arbeitsumfeldes. Fünf S eignet sich zum Einstieg in den Kontinuierlichen Verbesserungsprozess, weil es die beiden Aktivitäten der Lean-Techniken Standardisieren und Verschwendung beseitigen konkret und anschaulich miteinander verbindet. Die Bedeutung von Fünf 5 geht folglich weit über das Aufräumen und Inordnunghalten des Arbeitsplatzes hinaus. Die zyklische Struktur von 5 S hat den Stellenwert eines Lean-Techniken-Paradigmas mit Einführungscharakter (Abbildung 4.3). Das haben auch Unternehmen wie Porsche erkannt, in den der CEO mit gutem Beispiel voranging und mit „Blaumann“ in die Gemba hinabstieg, um sich an Fünf S-Aktionen zu beteiligen. Im Ergebnis bringt 5 S dann pro Schritt folgendes: 1. Seiri: Notwendige werden von nicht notwendigen Gegenständen getrennt. Nichtnotwendige Gegenstände werden entfernt. Muda ist eleminiert worden. 2. Seiton: Die notwendigen Gegenstände werden einem bestimmten Platz zugewiesen, damit sie leicht und schnell gefunden werden können. 3. Seiso: Der Arbeitsbereich wird sauber gehalten. 4. Seiketsu: Ordnung und Sauberkeit werden durch die wiederholte Anwendung standardisiert. 5. Shitsuke: Die eingeführten Maßnahmen werden auf Dauer eingehalten, werden zur Gewohnheit. Der Kontinuierliche Verbesserungsprozess wird initiert und ständig in Gang gehalten.

Abb. 4.3: 5 S-Circle 

Shitsuke

Seiketsu

Seiri

5 SCircle

Seiso

Seiton

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

Die langfristigen Wirkungen sind unübersehbar: ◼ Geringes Unfallrisiko ◼ Höhere Produktivität ◼ Bessere Qualität ◼ Weniger Platzbedarf ◼ Weniger Zeit für Suche nach Arbeitsmitteln und Dokumenten ◼ Verbesserte Kommunikation ◼ Gesteigerte Arbeitsmotivation Kaizen/KVP Der Begriff ist vieldeutig und bedarf der Klärung. In Kapitel 1.3.2 ist er bereits im Zusammenhang mit dem Qualitätsbegriff eingeordnet worden. Zunächst klärt die sprachliche Übersetzung ins Deutsche (siehe unten): Kaizen heißt Ersatz des Guten durch das Bessere. Es tritt eine Veränderung ein, die aber nicht zum Schlechteren führt, sondern immer zum Besseren. Das Japanische impliziert darüberhinaus noch den Zeitaspekt. Im Deutschen wird daraus der Begriff Kontinuierliche Verbesserung, im Englischen Continous Improvement. Beide Begriffe haben sich als Fachtermini inzwischen international durchgesetzt. Sehr oft erfolgt eine Eingrenzung auf Qualität, ausführlich also: Kontinuierliche Qualitätsverbesserung (engl.: quality improvement). Im Abschnitt Grundlagen und Begriffe der ISO 9000:2005-12 ist die folgende Definition zu finden: „Teil des Qualitätsmanagements, der auf die Erhöhung der Fähigkeit zur Erfüllung der Qualitätsforderungen gerichtet ist. Anmerkung: Die Forderungen können jeden beliebigen Aspekt betreffen, wie Wirksamkeit, Effizienz oder Rückverfolgbarkeit.“ Für einige Verwirrung hat Imai gesorgt, der sehr früh mit seinem Buch „Kaizen. Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb“ den Begriff zunächst richtigerweise ganz im japanischen Sinn als grundlegende bewusste Handlungsweise des Menschen, die sein tägliches (Arbeits-)Leben leitet, bestimmt (Imai 1997, 15): „Die Kaizen-Philosophie setzt voraus, dass unsere Art zu leben – sei es unser Arbeitsleben, unser Sozialleben oder unser Leben zu Hause – das Ziel ständiger Verbesserung sein sollte. Dieses

KAIZEN ?

KAI + ZEN

Kai

Zen

Ersatz + das Gute

=

=

KAIZEN

Ersatz des Guten durch das Bessere

Sprachliche Übersetzung von KAIZEN

281

282

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements Abb. 4.4: KaizenSchirm (Imai 1992, 25) 

◼ Kundenorientierung ◼ TQC (Umfassende Qualitätslenkung) ◼ QC (Qualitätszirkel) ◼ Vorschlagswesen ◼ Automatisierung ◼ Arbeitsdisziplin ◼ TPM (Total Productive Maintenance)

Beachten Sie auch die kurze Abhandlung zum PDCA-Zyklus in Kapitel 1.3.8

◼ ◼ ◼ ◼

Kanban JiT (Just in Time) Fehlervermeidung Kooperation der Managementebenen ◼ Produktivitätssteigerung ◼ Qualitätsverbesserung ◼ Entwicklung neuer Produkte

Konzept ist für viele Japaner so natürlich und naheliegend, dass sie sich seiner oft gar nicht gewahr sind!“ An anderer Stelle (Imai 1992, 23) heißt es sogar „… einer ständigen Verbesserung bedarf.“ Diese Sicht treibt Imai in naheliegender Absicht (er sieht es als Beratungskonzept im außerjapanischen Ausland) auf die Spitze, indem er schreibt (Imai 1992, 16): „Kaizen ist das übergeordnete Konzept, der Schirm über all diese Konzepte.“ So gelangt er zur Visualisierung eines Kaizen-Schirms (Abbildung 4.4). Eine solche eigenwillige Sicht, nach der sogar Just in Time als Unterbegriff von Kaizen auftaucht, geht keineswegs konform mit der Ausrichtung des Toyota Produktionssystems. Das hier beschriebene Verständnis von Kaizen folgt dem naheliegenden Gedanken, es als Lean-Technik zu begreifen und nicht als eine Spielart des TQM wie Imai sie in seinem Kaizen-Schirm demonstriert. Diese engere Sicht bemüht den PDCA-Zyklus, der auf Shewhart und Deming zurückgeht, als konkrete Technik des Verbesserns. Schlußendlich ist Imai in seinem Kaizen-Buch auch bei dieser Technik gelandet (1992, 86ff), die von Shewhart bereits 1939 eingeführt wurde. Diese Denkhaltung des kontinuierlichen Verbesserns folgt der Vierer-Schrittfolge, die in einem infiniten Prozess ended. Die Benennung folgt den Anfangsbuchstaben der einzelnen Schritte (Abbildung 4.5):

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

∞ D ▼

D C P 3. PDCA-circle A 2. PDCA-circle P A P ▼

D

1. PDCA-circle



C Englisch

Deutsch

Abkürzung

Plan Do Check Act

Planen Ausführen Überprüfen Verbessern

P D C A

Plan: Der Zyklus beginnt mit einer Situationsanalyse, zu der relevante Informationen zusammengestellt werden. Eine genaue Problembeschreibung sollte erfolgen. Das P für plan ist nicht zu eng zu sehen (plan heißt ja auch auslegen, ausmachen, entwerfen, überlegen, planmäßig ordnen etc.), etwa konkret so: Kundenbedarf ermitteln, Problem definieren und Ziele setzen was mit der Verbesserung erreicht werden soll, Plan erstellen, Informationen sammeln und auswerten, Ursachen feststellen, Kommunikation mit anderen in die Analyse einbeziehen. – In japanischen Unternehmen wird gerade in die Plan-Phase viel Zeit investiert. Do: Diese Phase ist gewissermaßen die Pilotphase. Es geht darum, das Geplante im „geschützten Bereich“ laufen zu lassen, manche sagen einen Pretest durchführen. Durchführungszeiten sind festzuhalten. Check: Diese Prüf- und Lernphase ist auch eine Fragephase: Wird alles so wie es geplant wurde? Was läuft schief? Warum? In dieser Phase sollte auch den Kernursachen nachgegangen werden und geprüft werden, ob es Verständnisprobleme gibt. Mögliche Themen: Ist das Ziel erreicht? Welche Ursachen wurden festgestellt? Vergleich vorher/nachher! Learned Lessons? Was können wir besser

◀ Abb. 4.5: Der theoretisch unbegrenzte zyklische Charakter des PDCA-Zyklus

283

284

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

machen? Wurde das Problem vollständig gelernt? Die Auswertung unter Check muss die Frage beantworten, ob die Umsetzung von Plan zur geforderten Verbesserung führt oder nicht. Act: Es geht in dieser Phase darum, das bisher Erreichte zu halten. Juran hat das mit den Worten „hold the gains“ ausgedrückt. Das bisher erreichte ist zu Standardisieren. Weitere Verbesserungen schon andenken, Erfolge dokumentieren, Vorkehrungen treffen, damit kein Rückfall erfolgt. Diese Phase ist Ausgangspunkt für die nächsten Verbesserungen, die wieder zyklisch mit Plan in zyklischer Manier beginnen: Ein neuer Zyklus beginnt. Damit der PDCA-Zyklus seine volle Wirkung entfalten kann, müssen nach Deming drei Voraussetzungen gegeben sein: 1. Jede Aktivität innerhalb und außerhalb der Organisation ist als Prozess aufzufassen und kann entsprechend verbessert werden; 2. Problemlösungen allein genügen nicht, fundamentale Veränderungen sind erforderlich: die PDCA-Technik gilt generell im Unternehmen; 3. Das Top-Management muss Vorbild sein und handeln. Die Übernahme von Verantwortung ist nicht ausreichend. Im ersten Punkt von Deming wird das Objekt der Verbesserung, die Einheit, die der Verbesserung bedarf, angesprochen. Sie ist prozesshaft zu begreifen. Das entspricht voll und ganz dem modernen Verständnis, das organisatorische Geschehen in Prozessen zu denken. Offen bleibt dabei, was an der ausgewählten Einheit verbessert werden soll. Sehr oft ist es die Qualität. Will man es dabei belassen, wäre der Verbesserungsprozess eingeschränkt. Deshalb sollte dem Vorschlag von Geiger (2013) gefolgt werden, indem auf die Beschaffenheit (engl. nature) abgestellt wird. Verbessert wird folglich jegliche Beschaffenheit einer Einheit. Raum, Zeit, und Kosten lassen sich somit genauso verbessern wie die Qualität. Empfohlen wird deshalb dem PDCA-Zyklus eine Phase der Identifizierung vorzuschalten, indem nach den Forderungen gefragt wird, auf die sich das Verbessern bezieht. Forderungen werden im Englischen requirements genannt. Gemeint sein können quality requirements, cost requirements, time requirements etc. Der neue Zyklus wäre entsprechend den folgenden fünf Phasen mit einer davorgeschalteten +R-Phase zu charakterisieren: 1. Requirements (+R) 2. Plan (P) 3. Do (D) 4. Check (C) 5. Act (A)

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

♾ 4

Abwandlung/Neudefinition: Einsetzen der neuen Definition in den Aussagenzusammenhang der wissenschaftlichen Arbeit

Aussagensuche (zum Beispiel Suche nach einer passenden Definition oder einer Hypothese); Planen der Recherche; evtl. synoptisches Vorgehen

1

A P C D

Definition/Hypothese/ Aussage werden geprüft: evtl. sind sie falsch, ungenau, jedenfalls für die eigenen Zwecke so nicht brauchbar

3

Definition/Hypothese/Aussage gefunden; Probehandeln: Einfügen in den Aussagenzusammenhang

2

Im Kern handelt es sich bei Kaizen und seiner Lean-Technik, dem PDCA-Zyklus, um eine wissenschaftliche Denkhaltung, worauf Deming selbst mehrfach hingewiesen hat. Das lässt sich direkt nachweisen, wenn man einen Definitions- und Hypothesen-Zusammenhang, wie er dem wissenschaftlichen Forschen zugrundeliegt, direkt auf den PDCA-Zyklus anwendet. Die abschließende Abbildung 4.6 zeigt das selbsterklärend. PDCA-Zyklus ⇢ Kaizen/KVP Poka Yoke ⇢ Kapitel 3.6 Standardisieren ⇢ Kapitel 1.3.8 Visual Management (Management by Sight) Visualisierung wird im Lean Management intensiv genutzt. Toyota nennt es Management by Sight und setzt sie zur visuellen Kontrolle ein, um Schwachstellen zu identifizieren. Ohno hierzu (1997,47):

◀ Abb. 4.6: Der PDCAZyklus als wissenschaftlicher Denk- und Handlungsprozess

285

286

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

Generell kann man sagen, dass es im operativen Bereich angestrebt wird, Standards einzuführen, die visuelle Elemente enthalten.

„In jedem Werk von Toyota und in den Fertigungsstätten kooperierender Firmen, die das TPS übernommen haben, wird durchgehend die visuelle Kontrolle praktiziert. An jedem Arbeitsplatz sind deutlich sichtbar Standard-Arbeitsblätter angebracht. Wenn man aufsieht, kommt die andon-Anzeige (zum Anhalten des Fließbandes) ins Blickfeld, die einem sofort den Ort und die Art eines Problems anzeigt.“ Bei der ⇢ autonomen Automation (⇢ Jidoka) zeigt andon, die Anzeigetafel, bei normalem Betrieb grünes Licht, beim Bandstopp rotes Licht und wenn etwas in Ordnung gebracht werden soll gelbes Licht an. Generell kann man sagen, dass es im operativen Bereich angestrebt wird, Standards einzuführen, die visuelle Elemente enthalten. So ist das Zoning die Abbildung eines standardisierten Ortes, eines mobilen Gegenstandes oder einer Ausrüstung, indem Farbe, Zoning-Band oder andere visuelle Mittel zum Einsatz kommen. Die meisten Unternehmen verwenden farbige Bänder, die zum Beispiel auf dem Fußboden angebracht werden. Auch bei der Lean-Technik 5 S leistet Zoning gute Dienste, wenn es um die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung von eingeführten Standards geht. – Aus der Führungsperspektive heißt Visual Management das Führen und Nutzen von visuellen Informationen. Solche Informationen zeigen der Führungskraft den Status und bei auftretenden Problemen den geforderten Unterstützungsgrad, verlangen also aktives Handeln.

4.2.5 Spezielle Lean-Techniken In diesem Abschnitt werden ausgewählte Lean-Techniken vorgestellt, die eher als Führungstechniken einzustufen sind. Hoshin Kanri (⇢ Policy Deployment) Es handelt sich um ein aus dem Japanischen stammendes Konzept der strategischen Unternehmensführung, das in der Praxis japanischer Unternehmen seit den 1950er Jahren im Umfeld der sich herausbildenden Qualitätsbewegung entstanden ist. Zur Wortbedeutung: Hoshin steht für Ziel bzw. Richtung (ho = Richtung, shin = Nadel also Kompaßnadel, kanri für Planung bzw. Management). Gebräuchlich ist entsprechend dieser Zerlegung auch der Begriff Hoshin Management. Hier wird jedoch der im Japanischen mehrheitlich genutzte Begriff Hoshin Kanri verwendet. Eine umfassende Definition (nach Jochum 2002, 69f) begreift Hoshin Kanri als ein unternehmensumfassendes Planungs- und Steuerungssystem,

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

◼ das alle Führungskräfte und Mitarbeiter einbindet ◼ in einem systematischen und stringenten Kaskadierungs- (Ableitungs- und Abstimmungs-) Prozess, ◼ im Rahmen einer gleichzeitigen vertikalen und horizontalen Abstimmung und Vereinbarung, ◼ bei dem aus der Vision die übergeordneten Durchbruchsziele (’breakthroughs’) des Unternehmens entwickelt und festgelegt werden, um daraus ◼ die wesentlichen Strategien und Ziele für alle Mitarbeiter (inkl. Führungskräften) abzuleiten, ◼ damit das Streben aller Mitarbeiter des Unternehmens auf die gleiche Vision und die gleichen Ziele fokussiert werden. Durch die systematische Koordination von Zielen verfügt jeder einzelne Mitarbeiter über ein Verständnis der abgeleiteten und abgestimmten Ziele (Catch-Ball-Prinzip). Hoshin Kanri wird deshalb in der Managementpraxis auch „Compass-Management“ genannt. Es gibt nicht gerade viele Unternehmen, die mit einem solchen „Compass-Management“ arbeiten. Diejenigen, die Hoshin Kanri anwenden, sind sehr erfolgreich, verfügen über eine ausgearbeitete Vision und führen ihren Erfolg größtenteils auf Hoshin Kanri zurück. In Deutschland ist Hoshin Kanri wenig bekannt.

⇢ Kapitel 3.7 ⇢ Kapitel 3.7

Abb. 4.7: Lean Thinking – Die fünf Prinzipien 

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Policy Deployment ⇢ Hoshin Kanri Policy Deployment ist der Synonymbegriff zu ⇢ Hoshin Kanri. Er kommt aus dem Englischen und bedeutet Durchdringung der Unternehmensziele.

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Lean Thinking ⇢ Kapitel 3.8 Die Prinzipien des Lean Thinking können in jeder Branche angewendet werden. Sie sind in Abbildung 4.7 gezeigt.

4

Kata Coaching-Kata: Verbesserungs-Kata

2 Wertschöpfungsstrom

5 Perfektion: Muda eliminieren

287

288

4 Zur operativen Basis: Die Techniken des Lean Managements

4.3

Zusammenfassung Kapitel 4

In diesem Kapitel wurde zunächst der Begriff Lean-Techniken herausgearbeitet, bevor die Lean-Techniken nach inhaltlichen Gesichtspunkten zusammengestellt wurden. Dabei wurde erkannt, dass einige Techniken als Meta- oder besser Supertechniken agieren. Diese sind zugleich Systemelemente des TPS. Hierzu zählen die klassischen von Ohno bestimmten Techniken Muda, Just in Time und Autonome Automation. Da sich das Lean Management weiterentwickelt hat, muss aus heutiger Sicht das bereits bei Ohno angelegte Wertstromdesign als Super-Lean-Technik hinzugefügt werden. Die Abbildung 4.8 zeigt die zehn Super-Lean-Techniken.

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Abb. 4.8: Die zehn Super-Lean-Techniken 

 Super-Lean-Techniken  Standardisierung

Kaizen

Poka Yoke

Muda

Problemlösung Prozessorientierung Prozess- und Lösungskontrolle

5 Ws

Wertstromdesign

Just in Time

Kanban

Autonome Automation

One Piece Flow

4.2 Die Techniken des Lean Managements – kurz: Lean-Techniken

Hier können Sie weitere Lean Management-Techniken zusammenstellen: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

289

4.4 Mindmap zur Rekapitulation

290

1 Was sind Lean Techniken?

Super-LeanTechniken 6 Spezielle Lean-Techniken

2 Lean Techniken nach Ohno

Die Techniken des Lean Managements 5 Prozessund Lösungskontrolle

3 Problemlösung

4 Prozessorientierte Techniken

5

Lean Management umsetzen

„Die Lean Production ist jedoch kein betriebliches Allheilmittel, vor übertriebener Euphorie sei hier ausdrücklich gewarnt. Der Betrieb bleibt eine Arbeitsstätte mit entsprechenden Problemen und wird auch durch die Einführung von Gruppenarbeit nicht zu einer ‚schlanken Insel der Seligen‘. Durch Aspekte wie Gruppenarbeit treten jedoch deutliche wirtschaftliche und soziale Verbesserungen ein. So ist die Gruppenarbeit unter anderem durch ein hohes Maß an Selbstorganisation gekennzeichnet, die Gruppenmitglieder übernehmen die volle Verantwortung für ihr Arbeitsergebnis im Hinblick auf Menge, Qualität, Termine, Kosten etc. Die externe Kontrolle und die damit verbundene Nacharbeit werden durch eine gruppeninterne Qualitätskontrolle ersetzt. Arbeitsvorbereitung und klassische Sekundärfunktionen wie Wartungs- und einfache Instandsetzungsarbeiten an den Maschinen werden in den Arbeitsumfang der Gruppe integriert. Es ist anzustreben, dass jedes Gruppenmitglied durch eine erweiterte Fachkompetenz alle anfallenden Aufgaben und Arbeiten ausführen kann. Dazu sind umfangreiche Trainingsmaßnahmen notwendig, die sich für den Betrieb jedoch bezahlt machen.“ (Traeger 1994, 65)

5 Lean Management umsetzen

292 Leitfragen 1.

2. 3.

Lean Management ist ein komplexes Managementkonzept. Wie komplex muss erst ein Umsetzungsmodell sein! Setzen Sie sich mit dieser Aussage auseinander. Karl Popper nannte sein Modell zur Umsetzung „Stückwerk-Technologie“. Was ist darunter zu verstehen? Was sollte mindestens im Veränderungsprozess bei der Einführung von Lean Management gefordert werden (Voraussetzungen)?

Wichtige Fachliteratur • • •

Drew et al. 2005 Kotter 2011 Malorny 1999

4. 5. 6. 7.

• •

Erläutern Sie die vier Phasen des Lean Management-Umsetzungsmodells. Erläutern Sie die Vorbildrolle des Managements an einem selbstgewählten Beispiel. Was bedeutet es, einen Zielzustand zu verfolgen? Welche drei übergeordneten Aufgaben kommen dem Management bei der Umsetzung zu?

Ohno 1993 Popper 1997

5.1 Einfach da Einfache finden … ist schwierig

293

„Das meiste, was wir als Führung bezeichnen, besteht darin, den Mitarbeitern die Arbeit zu erschweren.“ (Peter Drucker)

Einführende Anmerkungen Zur Umsetzung von Managementkonzepten existiert eine reichhaltige Literatur, wobei sich die Fülle noch erhöht, wenn man die Bücher zum Change Management und zur Lernenden Organisation miteinbezieht. Es ist hier kein Raum, diese Implementierung-/Umsetzungs-/Strategie-Literatur zu würdigen. Versucht wird ein eher induktiver Zugang vom Objekt Lean Management selbst her denkend, wie es bisher dargelegt wurde, wonach die Ansicht vertreten wird, dass im Prinzip jede Organisation sich mit dem Thema der Reorganisation zur Lean-Organisation auseinanderzusetzen hat, will sie in Zukunft auf einer höheren Ebene noch existenzfähig sein. In diesem Sinn sei auf die folgenden Titel zur Vertiefung im Literaturverzeichnis hingewiesen: Womack/Jones 1997; Malorny 1999; Liker/Hoseus 2009; Zeyer 1996; Kotter 2011, Drew et al. 2005. In diesen Büchern wird nicht der Kardinalfehler begangen, dass ein in der Planungsphase festgelegtes Umsetzungsobjekt ohne Modifikation im Verlauf der Einführung implementiert werden kann.

5.1

Das plumpste, was man machen kann, ist es, mit einer sog. Bombenwurfstrategie Lean Management einführen.

Den Kardinalfehler der reinen Top downPlanung vermeiden

Einfach das Einfache finden … ist schwierig

Im 14. Jahrhundert hat Nikolaus von Oresme (1330-1382), der die Schriften des Aristoteles vom Lateinischen ins Französische übersetzt Das mechanische hat, als erster das Weltall als ein riesiges mechanisches Uhrwerk gedeu- Uhrwerk des Nikolaus tet, das von Gott geschaffen und in Betrieb gesetzt worden sei, so dass von Oresme sich alle Räder in bestmöglicher Übereinstimmung bewegen: Dieser Vorstellung folgt naheliegend der Gedanke des Eingriffs in die Organisation des Weltalls als Uhrräderwerk. Wir wissen, dass eine solch mechanistische Weltauffasung dem Gegenstand nicht gerecht wird. Des späteren Bischofs von Lisieux (Normandie) Fiktion, gilt dennoch als Vorläufer des heliozentrischen Weltbildes. Wir stehen mit dem Lean Management heute vor einer ähnlichen Aufgabe wie von Oresme bei seinem Erklärungsversuch zum Weltall. Seit bekannt wurde, dass es die völlig konträren Organisations- und Produktionsprinzipien sind, die – wie von Ohno Taiichi beschrieben – von Toyota in seinem TPS angewendet wurden, glauben wir, dass in einem Produktionssystem

5 Lean Management umsetzen

294 Produktions- und Managementsysteme sind keine mechanischen Uhrwerke

Poppers Lösungsvorschlag: StückwerkTechnologie

ein „mechanisches Uhrwerk“ tickt, an dem man lediglich bestimmte Elemente verändern muss, damit diese anders funktionieren ( Just in Time/Kanban einführen, Hierarchien abbauen, Bewusstsein der Mitarbeiter ändern, etc.). Diese Vorstellung ging fehl: Unternehmen, die mit solchen Eingriffen in den 1990er Jahren versucht haben, ihre Produktion und Organisation umzustellen, hatten wenig Erfolg. Das Denkmodell führte in die Irre, Lehrgeld wurde bezahlt. Die Sache, mit der wir uns hier befassen, der Umsetzung des Lean Managements in die betriebliche Praxis, folgt keinem simplen Organisationsmodell. Jedenfall muss das angenommen werden, denn Toyota zeigt uns immer noch, dass das TPS nie fertig ist, sondern ständig weiterentwickelt wird. Müssen wir uns auf diese Komplexität einlassen und eine dem Gegenstand angemessene ebensolch komplexe Implementierungsstrategie entwickeln, indem wir alle möglichen Stellschrauben (Systemelemente) am Produktionssystem (Kapitel 3.10) aufspüren, die höchstwahrscheinlich den Erfolg garantieren? „Die Planung und Auslegung von Produktionsanlagen und -systemen ist eine komplexe Herausforderung: Zahlreiche Informationen müssen unternehmensweit zusammengetragen und bewertet werden, um daraus unter den vielen denkbaren Lösungen die optimale Auslegung der Produktion zu finden. Typischerweise sind dabei marktseitige, technologische, arbeitsorganisatorische und infrastrukturelle Größen gegeneinander abzuwägen. Bei der Lösungsfindung zählen die klassischen Zielgrößen: Erfüllung der Marktforderungen, Kosten und Prozesssicherheit.“ (URL: http://www.leanmanufacturing.de/de/complexity.html; 28-04-2013, 21:38) Nein, dieser Vorstellung kann für die Entwicklung eines Umsetzungsmodells nicht gefolgt werden, sie kann nicht leitend sein, auch wenn sie die Realität eher trifft als ein Uhrwerk-Modell. Eine umfassende Situationsanalyse mit Sollkonzept muss her, würde ein Betriebswirt sagen. Es ist interessant, dass das Implementierungs- oder Transformationsproblem schon vorher viel Kopfzerbrechen gemacht hat. Hammer & Champy waren der Meinung, dass nur ein radikaler Ansatz weiterhelfen wird, der eine alternative Organisation schafft. Weiter zurückgehend finden wir einen symphatischeren Vorschlag, den wohl einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts in einem längst vergessenen Aufsatz vorgelegt hat. Er nannte seine generelle Lösung „Stückwerk-Technologie“. Es war kein geringerer, als Sir Karl R. Popper, der aufschlussreich formulierte (Popper 1997, 297f): „So wie die Hauptaufgabe des naturbearbeitenden Ingenieurs darin besteht, dass er Maschinen konstruiert, umbaut und in Gang hält, so ist es die Aufgabe des Sozialingenieurs, der die

5.1 Einfach da Einfache finden … ist schwierig

Stückwerk-Technik beherrscht, soziale Institutionen zu entwerfen, umzugestalten und die schon bestehenden in Funktion zu erhalten. … Der Spezialist der Stückwerk-Technologie weiß, dass nur eine Minderheit sozialer Institutionen bewußt geplant wird, während die große Mehrzahl als ungeplantes Ergebnis menschlichen Handelns einfach gewachsen ist. Doch wie stark ihn diese wichtige Tatsache auch beeindrucken mag, als Ingenieur wird er die Institutionen ‚funktional‘ oder ‚instrumental‘ sehen. Er wird sie als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele betrachten, als Dinge, die man in den Dienst bestimmter Ziele stellen kann, als Maschinen und nicht als Organismen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass er die fundamentalen Unterschiede zwischen Werkzeugen, die der Naturbearbeitung dienen, und Institutionen übersieht. Im Gegenteil, der Technologe soll sowohl die Unterschiede als auch die Ähnlichkeiten studieren und seine Ergebnisse als Hypothesen formulieren. Es ist ja nicht schwer, …“ Diesen Vorschlag von Popper sollten wir bei der Implementierung, Transformation, Umsetzung, wie immer wir es nennen wollen, aufgreifen: Hypothetisch (in Kenntnis dessen, was Lean Management wirklich ist) aufzeigen, wohin wir wollen und dann peu à peu den Weg dorthin schreiten, ohne ganz genau wissen zu können, was auf dem Weg passieren mag. Mit Sicherheit sind einige Umwege erfordlich. Für Popper ist ein solches Schritt-für-Schritt-Voranschreiben klar (1997, 298): „Der typische Stückwerk-Ingenieur wird folgendermaßen vorgehen. … Was immer seine Ziele sein mögen, er sucht sie schrittweise durch kleine Eingriffe zu erreichen, die sich dauernd verbessern lassen. … Wie Sokrates weiß der StückwerkIngenieur, wie wenig er weiß. Er weiß, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen können. Daher wird er nur Schritt für Schritt vorgehen und die erwarteten Resultate stets sorgfältig mit den tatsächlich erreichten vergleichen, immer auf der Hut vor den bei jeder Reform unweigerlich auftretenden Nebenwirkungen.“ Popper weist entschieden zurück, das Ganze nach einem feststehenden Gesamtplan umzumodeln. Er weiß, dass die zielführenden Hypothesen des Stückwerk-Ingenieurs ihre völlig ausreichende Funktion erfüllen, die Auswirkungen jeder einzelnen Maßnahme abzuschätzen. Popper empfiehlt, sich auf die Sache zur Zielerreichung zu konzentrieren. Auf keinen Fall darf es darum gehen, einen „neuen Menschen“ auf dem Reißbrett zu erschaffen, den Shojinka, und dann zu versuchen, die realen Mitarbeiter daran anzupassen, also einen geplanten Bewußtseinswandel durchzuführen, der dann doch nur als manipulativ empfunden wird.

295

Der Spezialist der Stückwerk-Technologie weiß, dass nur eine Minderheit sozialer Institutionen bewußt geplant wird, während die große Mehrzahl als ungeplantes Ergebnis menschlichen Handelns einfach gewachsen ist.

„… die Technik der Ganzheitsplanung, ihr steht eine andere Art von Sozialtechnik gegenüber …, die Technik des schrittweisen Umbaus“ (Popper, Der Zauber Platons, 213)

Wissen, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen können.

Vermeiden, den Shojinka zu planen

5 Lean Management umsetzen

296

Wenn wir Poppers Vorschlag aufgreifen, geht es im Unternehmen zunächst darum ein hypothetisches Gerüst für die Umsetzung zu entwickeln, keinen genauen Plan. Dann sollten im „trial and error-Takt“ die notwendigen Aktionsbereiche identifiziert werden. Diese Bereiche sind anschließend in eine Prioritätenfolge zu bringen: Womit anfangen ist immer eine schwierig zu beantwortende Frage! Exkurs: Eine Organisation entsteht selten am Reißbrett. Vielmehr wird sie von Menschen gegründet, die ihre Ideen und Kompetenzen in die Organisation einbringen. Durch das Zusammenwirken von Einzelwissen und Einzelhandlungen gewinnen Möglichkeiten Gestalt, die über die des einzelnen Mitarbeiters hinausgehen. So arbeiten Unternehmen auf der Basis der von den Mitgliedern getragenen Vorstellungen über ihre Organisation. Diese Vorstellungen sind teilweise manifest, wirken aber auch als ungeschriebene „to do‘s“ und „not to do‘s“, als Rituale, geflügelte Worte, Unternehmenskulturen. Sie etablieren sich als implizite Regelwerke für das Handeln der Mitarbeiter (Kapitel 1.3.9). In ein solches – je spezifisch gewachsenes Gebilde – wird „eingeMaßnahmen der Reorganisation sind immer brochen“, wenn Maßnahmen der Reorganisation durchgeführt werauch als „Einbrüche“ den. Es zeigen sich – größtenteils verdeckt – mannigfache beharrende in bestehende soziale Tendenzen, auch wenn von den Mitarbeitern erkannt wurde, dass kriZusammenhänge zu senhafte Erscheinungen dem Unternehmen zu schaffen machen. Diese sehen. werden als Barrieren von den Umsetzern sehr wohl identifiziert. Manager und Mitarbeiter, die im Reorganisationsprozess involviert sind, müssen mit Widerstand rechnen, denn sie treffen auf eingefahrene Muster in der Zusammenarbeit, die konträr zum Neuen stehen. Was sollte mindestens im Veränderungsprozess bei der Einführung von Lean Management gefordert werden (Voraussetzungen)? ◼ Entscheidung auf ein durchführbares Umsetzungsmodell ◼ Permanentes Weiterentwickeln von Zielen, Vorgehensweisen, etc. ◼ Aktive Beteiligung des Managements: Vorbildfunktion ◼ Einbeziehen aller Mitarbeiter ◼ Transparenz in der Vorgehensweise ◼ Übereinstimmung in Sprache und im Handeln ◼ Fortlaufende Reflexion der Erfahrungen und Ziehen von KonUnternehmen, die sequenzen, zum Beispiel durch Standardisierung eine Vision ausDrei Aspekte sind in diesem Zusammenhang besonders zu beachten: gearbeitet haben, ◼ Unternehmen, die eine Vision ausgearbeitet haben, verfügen verfügen über eine über eine bessere Ausgangsposition bei der Einführung von bessere AusgangsLean Management, weil sie damit ihren Mitarbeitern eine starke position bei der Identifikationsbasis bieten. Einführung Planen ja, aber grob und hypothetisch und wissend, was man will, um daran festzuhalten. Also das Wie offen lassen.

5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell

◼ Wenn wesentliche Manager/Mitarbeiter fehlen, die Verantwortung für den Umsetzungsprozess tragen oder die Kompetenz haben, Lösungen zu finden und das Neue zu gestalten, dann sind die Ressourcen zu schwach. ◼ Wenn die Mitarbeiter ihre Aufgaben und die neuen Ziele nicht kennen, wissen sie auch nicht, wie sie ihr Handeln ausrichten sollen. Diese Punkte führen zu der Überlegung, dass die Transparenz und die Identifikation aller mit Lean Management deutlich steigt, wenn ein Lean Management-Umsetzungsleitbild ausformuliert und kommuniziert wird. Dieses Leitbild als nie endenden Weg gedacht, Ein Lean Managebeinhaltet unter Beachtung der spezifischen Unternehmenssituation ment-Umsetzungsleitdie folgenden Themen, wie sie im Lean-Management-Umsetzungs- bild entwickeln modell im nächsten Kapitel behandelt werden: 1. Ein durchführbares Umsetzungsmodell muß flexibel sein und hat einen Zeithorizont zu definieren. 2. Klarzustellen ist, dass keine ausführlichen und damit zeitraubenden detaillierten Planungen durchgeführt werden. Es wird davon ausgegangen, dass Lean Management einzuführen ist, damit das Unternehmen weiterhin existenzfähig ist. 3. Es sind die Voraussetzungen der Umsetzung zu diskutieren, auf den Punkt zu bringen und festzulegen. 4. Hypothesen/Zielsetzungen sind zu bestimmen. 5. Die erste Festlegung des Stück-für-Stück-Vorgehens ist zu formulieren. 6. Die Aktionsfelder des Lean Managements sind zu bestimmen (Systemelemente/Super-Lean Techniken) 7. Das Umsetzungsleitbild ist zu entwickeln, abzustimmen und zu publizieren. 8. Beginnen mit dem ersten Aktionsfeld: Vorbildfunktion des Managements nutzen.

5.2

Das Lean Management-Umsetzungsmodell

Keine umfassenden Pläne, sondern ein gerafftes Aktionsmodell soll die zielführende Leitlinie sein, um Lean Management in einer Organisation (egal welcher Größenordnung) einzuführen. Der Prozess des Voranschreitens erfolgt dann iterativ in kleinen Schritten. Hierzu empfiehlt sich die Anwendung des PDCA-Zyklus, der innerhalb des Modells, wie es in Abbildung 5.1 skizziert ist, fungieren kann. Das Lean Management-Umsetzungsmodell weist folgende Phasen aus:

297

5 Lean Management umsetzen

298 Abb. 5.1: Das Lean Management-Umsetzungsmodell ▶

4 Beginnen (Incipe!): Erstes Aktionsfeld zweites, drittes …

1 Voraussetzungen

Lean ManagementUmsetzungsfelder

Aktionsfelder 3

Vorbildfunktion des Managements

Funktion des Change Agent

Hypothesen / Zielzustände / Ziele 2

1 Voraussetzungen schaffen Damit mit Phase 4 begonnen werden kann, sollte sich jedes Unternehmen darüber im Klaren sein, dass im Lean Management bestimmte „Selbstverständlichkeiten“ gegeben sein müssen. Dazu zählt zunächst die Vorbildfunktion, die jede Führungskraft ausübt. Es wird sogar eine aktive Beteiligung erwartet. Gute Führungskräfte sind Vorbilder im Denken und im Tun. Dieses Denken und Tun soll durch Lernen und Verändern geprägt sein. Wer von anderen verlangt, Neues zu schaffen, muss selbst lernfähig und lernwillig sein. Führungskräfte müssen Glaubwürdigkeit ausstrahlen, glaubwürdig agieren und alle Informationen zum Veränderungsprozess glaubwürdig vertreten. Lean Management muss vorgelebt werden, Distanzen sind abzubauen. Der Ort, wo man sich trifft („Go and See!“) ist die Gemba. Einerseits ist das der Ort des täglichen Arbeitshandelns, andererseits sollten dort einführend symbolische Handlungen praktiziert werden, die zu kommunizieren sind, z.B. im eigenen Intranet oder in Hauszeitschriften. Eine wichtige Voraussetzung ist es, einen Change Agent zu finden. Im Rahmen des vorbereitenden Managementtrainings zur Lean Management-Einführung dürfte es gelingen den richtigen ausfindig zu machen, vielleicht ist es ja auch eine Frau, viel-

5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell

leicht der CEO selbst wie im Fall Wendelin Wiedeking bei Porsche. An dieser Person hängt viel. Sie muss das Wissen nicht gleich mitbringen. Wichtig ist ein entschlossenes Auftreten und eine Gabe andere begeistern und mitziehen zu können. Der Change Agent muss den Toyota-Lehrsatz voll verinnerlicht haben (Rother 2009, 160): „Der Erfolg von Toyota rührt nicht von blitzartigen Innovationen oder wasserfesten Plänen, sondern von der Fähigkeit, in einem Umfeld voller unerwarteter Hindernisse und Schwierigkeiten effektiv zu handeln.“ Lean Management ist keine Insellösung. Alle Mitarbeiter sind einzubeziehen. Das entspricht dem TQM-Ansatz. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei konsequent eingeführtem Lean Management bestimmte Arbeiten und Arbeitsplätze entfallen. Es wird zu viel Personal da sein. Es versteht sich von selbst, dass Garantien ausgesprochen werden müssen, dass niemand seinen Arbeitsplatz verliert. Das Personalproblem gehört zu einer der wichtigsten Voraussetzungen, die vorher offensiv gelöst und zu Beginn angesprochen werden muss. Erfolgt das nicht, schwingt die Personalfrage immer mit und wird vor sich hergeschoben. Womack/Jones hierzu (2003, 386): „Wenn Sie im Laufe der Zeit den Nachweis erbringen, dass niemand aufgrund der Einführung schlanker Techniken entlassen wird und dass in Wirklichkeit die Arbeitsplatzsicherheit aller gesteigert wurde, werden die Mitarbeiter zunehmend kooperativer und proaktiver. Andererseits: Nur ein Ausrutscher – ein Abweichen von Ihrem Versprechen, Arbeitsplätze zu bewahren – braucht Jahre der Wiedergutmachung.“ Lean Management ist zwar anfangs Top-down-Führung, lebt dann aber sehr schnell von permanenten Bottom-up-Initiativen. Das hat zur Folge, dass Managementschichten abgestreift werden müssen. Diese Frage gehört ebenfalls zum Personalproblem und sollte als Voraussetzung behandelt und kommuniziert werden. Explizit keine Vision zu haben, erscheint für manche Unternehmen normal zu sein. Doch es ist besser im Rahmen der Zielverfolgung einen solchen Leuchtturm zu kreieren. So können Zielzustände besser Schritt für Schritt ins Visier genommen werden (Kapitel 3.7). Der Weg zur Vision besteht aus dem Verfolgen solcher Zielzustände, die das Unternehmen zu erreichen sucht. Da gibt es viele Hindernisse auf dem Weg zur Vision, die beseitigt werden müssen. Ein guter Anknüpfungspunkt, um notwendige Veränderungen im Hinblick auf den zu erreichenden Zielzustand zu begründen: „Wir müssen dahin, was müssen wir tun, welche Hindernisse sind zu bewältigen, damit wir dorthin gelangen?“

299 Der Erfolg von Toyota rührt nicht von blitzartigen Innovationen oder wasserfesten Plänen, sondern von der Fähigkeit, in einem Umfeld voller unerwarteter Hindernisse und Schwierigkeiten effektiv zu handeln.

Abstreifen von Managementschichten

Zielzustände verfolgen

Hindernisse bewältigen

5 Lean Management umsetzen

300 Abb. 5.2: Zeitrahmen für den schlanken Sprung (Womack/ Jones 2003, 405) ▶

Bitte diesen Vorschlag von Womack & Jones nicht sklavisch umsetzen. Betrachten Sie ihn als Ideengeber!

Stufe

Einzelne Schritte

Zeitrahmen

Startphase

Finden Sie einen Change Agent Erwerben Sie das schlanke Wissen Finden Sie einen Hebel Zeichnen Sie die Wertströme auf Beginnen Sie mit kaikaku Dehnen Sie Ihre Zuständigkeit aus

Die ersten sechs Monate

Aufbau einer neuen Organisation

Reorganisieren Sie nach ProSechs Monate duktgruppen bis zum Ende des Schaffen Sie eine schlanke Funktion zweiten Jahres Entwickeln Sie eine Politik für die überschüssigen Mitarbeiter Entwerfen Sie eine Wachstumsstrategie Entlassen Sie die Bremser Impfen Sie ein ‚Perfektions‘-Denken ein

Einführung von Unternehmenssystemen

Führen Sie ein schlankes RechDrittes und viertes nungswesen ein Jahr Bezahlen Sie in Relation zur Unternehmensleistung Führen Sie Transparenz ein Initiieren Sie Policy Deployment Führen Sie schlankes Lernen ein Suchen Sie nach miniaturisierten Werkzeugen

Vervollständigung Wenden Sie diese Schritte bei Ihren Ende des fünften der Transformation Zulieferern/Kunden an Jahre Entwickeln Sie eine globale Strategie Gehen Sie von einer Top-down- zu einer Bottom-up-Verbesserung über

Zeitrahmen

Läßt sich ein Zeithorizont definieren? Diese Frage ist legitim. Was kann gesagt werden. Womack und Jones haben sich damit befasst und einen groben Zeitrahmen bestimmt, der in unserem Lean Management-Umsetzungsmodell bei Punkt 4 („Beginnen“) angeschlossen werden kann (2003, 405). Das Denken in Projekten erfordert es, einen ungefähren Zeitrahmen ins Auge zu fassen. Abbildung 5.2 greift dieses Problem auf. Den Inhalt möge man von Organisation zu Organisation variieren. Ob man die dort genannten „Bremser“ gleich entlassen muss, muss angezweifelt werden. Ein solcher Zeitrahmen ist natürlich sehr grob, da das permanente

5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell

Weiterentwickeln von Zielen, Vorgehensweisen, etc. dem Lean Management-Ansatz inhärent ist und jedes Zeitkorsett leicht ins Wanken bringen kann. Aber als ungefähre Vorstellung mag der in Abbildung 5.2 skizzierte Zeitrahmen ausreichen. 2 Hypothesen / Zielzustände / Ziele Hypothesen sind in unserem Verständnis Annahmen über die Realität, die erst noch bestätigt werden müssen. Die Bestätigung, die Verifikation oder Falsifikation wird die Umsetzung zeigen. Bei identischen Vorgehensweisen mag es bei dem einen Unternehmen eine positive Bestätigung geben, bei dem anderen ein falsifizierende. Hypothesen erklären nicht, dazu sind Theorien da. Im Lean Management gibt es lediglich Plausibilitätsüberlegungen, keine geschlossene Theorie. Für die Praxis ist das ausreichend. Der Umsetzer sollte sich dieser Zusammenhänge bewusst sein, wenn er seine Zielsetzungen formuliert und später die Ergebnisse bewertet. Auch eine Verifikation (Es funktioniert!) bestätigt nur vorläufig das Ergebnis. Und wenn wir etwas falsifizieren (Es funktioniert nicht!“) müssen wir sagen „Lasst es uns ansehen! Was müssen wir tun, damit es funktioniert?“ Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun, die ein Lean Management-System tragen. Wenn sie engagiert und mit Begeisterung dabei sind, sehen die Ergebnisse ganz anders aus, als wenn jegliche Motivation fehlt. Durch ein solches Denken und Tun bringen wir uns dem Zielzustand immer näher. Den endgültigen Zielzustand erreichen wir aber nie. Alles was wir tun ist „Stückwerk“! (Kapitel 5.1). Wir hangeln uns von einem Zielzustand zum nächsten und erzielen immer wieder Ergebnisse. In Abbildung 5.3 (Folgeseite) wird deutlich was ein Zielzustand, was ein Ziel ist. Zielzustände und Ziele werden festgelegt. Es gilt, sie zu erreichen. Also stellen sie eine Herausforderung dar. Aber ein Zielzustand wird nicht automatisch erreicht. Es müssen Wege gefunden werden, Hindernisse überwunden werden, wenn ein solches Zielmuster aktiviert wird. Ohne einen gemeinsam festgelegten Zielzustand passiert viel. In der Regel sind permanente Richtungswechsel zu beobachten. Nur ein definierter Zielzustand sorgt für ein einheitliches von allen getragenes Voranschreiten. Eine Hypothese kann lauten: Unsere Mitarbeiter sind intelligent, flexibel, kundenorientiert und setzen sich für das Unternehmen ein. Damit sie ihre Fähigkeiten im Rahmen des Lean Managements voll entfalten können, sollte noch das Sensei-Prinzip eingeführt werden. Der Sensei ist ein Lehrer, Meister, ein Coach. Er begleitet den Mitarbeiter in seiner Rolle, beim Lernen, beim Fehlerkorrigieren, als Motivator. Der Zielzustand lautet: Unsere

301

„Das Spiel der Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende: Wer eines Tages beschließt, dass wissenschaftliche Sätze nicht weitere Überprüfung brauchen, sondern als endgültig verifiziert gelten, der tritt aus dem Spiel aus.“ (Sir K. R. Popper: Logik der Forschung. Tübingen 1994, 30)

Tätigkeit

Ergebnis

Nur ein definierter Zielzustand sorgt für ein einheitliches von allen getragenes Voranschreiten.

5 Lean Management umsetzen

302 Abb. 5.3: Vom Zielzustand zum Ziel ▶

Zielzustand Wie?

Ziel Was?

Beschreibung, wie Ergebnis, das ein und nach welchem realisierter ZielMuster ein Prozess zustand erreichen funktionieren soll, soll um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, z.B. einen Standard

Zielzustände sind immer vorläufig und verbesserungsfähig

Mitarbeiter werden sich voll im Sinne der Unternehmensvision entfalten, wenn sie von einem Sensei begleitet werden, der ihre Flexibilität und ihr kundenorientiertes Handeln unterstützt. Inwieweit sich diese Hypothese dann später bei der Umsetzung bestätigt, kann natürlich mit wissenschaftlichen Methoden überprüft werden. Doch in der Praxis wird das nicht der Fall sein. Der Erfolg des Sensei-Prinzips unter der beschriebenen Annahme zeigt sich an den Arbeitsergebnissen, die zunächst der Vorgesetzte einstuft und auch in der Gruppe bewertet werden können. Egal ob sie zufriedenstellend (Verifikation) oder schlecht sind (Falsifikation), sie dokumentieren immer einen vorläufigen Zustand, der zu verbessern ist (Kaizen, PDCA-Zyklus). Dieses Beispiel verdeutlicht, was es heißt Hypothesen im betrieblichen Zusammenhang aufzustellen und Zielzustände zu verfolgen. Bevor der Startschuss zum Lean Management fällt sollte die Managementebene in einem Brainstorming versuchen eine solche realistische Sicht über das Unternehmen hypothetisch zu formulieren. Dieses hypothetische Bild kann kein Idealbild sein, sondern eine Einschätzung aus der Sicht des Managements, ein realistisches Bild, dass es zu falsifizieren gilt. Es bezieht sich nicht nur auf die Personalsituation, sondern auf jegliche Sachverhalte im Betrieb. Welche das sind, bestimmt die Zeit, die dafür aufgewendet werden soll/kann. Es ist ein Bild, das eine sehr aufwän-

5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell

dige IST-Analyse ersetzt. Es ist eine lebendige Momentaufnahme des Status-Quo eines Unternehmens, die dem Change Agent zeigt, wo das Unternehmen aus der Sicht des Managements steht, gewissermaßen der IST-Zielzustand. Es hilft Ziele zu setzen und Zielzustände zu konkretisieren. Es gilt dann Soll-Zielzustände zu erreichen. 3 Aktionsfelder bestimmen Aktionsfelder sind die betrieblichen Orte, an denen konkret die Techniken des Lean Managements ansetzen können. Beispiele hierfür wären Montagelinie, Reservierungsabteilung, Empfang im Hotel, Großraumbüro, etc. Aktionsfelder sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich durch einen Wertstrom charakterisieren lassen. Überhaupt sollte in dieser Phase jede Organisation das Wertstromkonzept eingeführt haben. Jede Tätigkeit ist schließlich in einen Wertstrom eingebunden (Kapitel 3.8). Um Lean Management-Techniken zum Zuge kommen zu lassen müssen Aktionsfelder bestimmt werden, die unter bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt werden. Auswahlgesichtspunkt kann das Exemplarische sein: An einem ausgewählten Aktionsfeld soll demonstriert werden, wie Kaizen eingeführt wird: ,,Verba docent, exempla trahunt!“ (Worte belehren, Beispiele reißen mit! [geht wohl auf Seneca zurück]), wie der Lateiner sagt. Am Beispiel sehen dann die Mitarbeiter anderer Aktionsfelder, dass Ähnlichkeiten zur eigenen Situation bestehen und dass sie das exemplarische Wissen transferieren können. Welche Techniken sollten im jeweiligen Aktionsfeld vorrangig zum Einsatz kommen? Eine Auswahlhilfe bietet Abbildung 4.8, in der die zehn Super-Lean-Techniken genannt sind. Gewöhnlich sind es diese zehn Techniken, die auch die wichtigsten sind und meistens eingesetzt werden. 4 Beginnen (Incipe!): Erstes Aktionsfeld, zweites, drittes … Der Anfang („Incipe!“ [ Jetzt fang an!“]) ist immer am Schwierigsten. Doch wenn auf der Managementebene Überzeugung und Mut als Charakterstärken vorherrschen, wird es gelingen, den Impetusfunken auf die Mitarbeiter zu übertragen. Da in 3 durch das Unternehmen bereits das Netz und das Zusammenspiel der Aktionsfelder im Wertstrom entwickelt wurden, muss in dieser Phase, aus der heraus alles weitere wie eine Kettenreaktion freigesetzt

y »Verba docent, exempla trahunt« können wir sprachlich zurückverfolgen. In der

Langfassung heißt es »longum iter est per praecepta, breve et efficax per exempla« (Es ist ein langer Weg über Vorschriften, ein kurzer und wirkungsvoller über Beispiele. Dieses Prinzip hat die Erziehung und die Ausbildung in der Antike und im Mittelalter geprägt. Es wurde erst in der Neuzeit durch ein neues Welt- und Menschenbild abgelöst, das in dem »sapere aude« (Wage es, vernünftig zu sein) gipfelte, den Wahlspruch der Aufklärung (nach Kant: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.).

303

Aktionsfelder sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich durch einen Wertstrom charakterisieren lassen.

5 Lean Management umsetzen

304 Fallbeispiel Versicherungsunternehmen: INCIPE!

wird, der erste Zielzustand verfolgt werden. Ein nicht ganz fiktives Beispiel mag das zeigen: Stellen Sie sich ein Versicherungsunternehmen vor, eines der wenigen eigenständigen, das noch nicht aufgekauft wurde. Um drohenden Übernahmen wirkungsvoll begegnen zu können wurde beschlossen die Organisation als Lean-Organisation umzustrukturieren und so optimal wettbewerbsfähig zu machen. Die Startphase soll in der Leistungsabteilung (wird manchmal auch Schadenabteilung genannt) beginnen. Dieser Bereich ist nach verschiedenen Sparten differenziert. Das Topmanagement übernimmt die Vorreiterrolle. Die Fünf S-Aktion wird als geeignete Startaktion angesehen. Der Change Agent selbst und die leitenden Manager beginnen dort mit den Mitarbeitern in einer Sparte die Fünf S-Technik umzusetzen. Die Aktion wird von dem Pressereferenten des Unternehmens begleitet. Es wird fotografiert, ein Videomitschnitt wird erstellt. Die Aktion wird an alle Mitarbeiter kommuniziert. Ein neuer Standard wird als Zielzustand festgelegt. Die anderen Sparten in der Leistungsabteilung übernehmen sukzessive die prototypische 5-S-Initialzündung und erreichen ebenfalls den neuen Zielzustand. Das Vorgehen setzt sich über alle Aktionsfelder des Unternehmens fort. – Was konnte damit erreicht werden? Durch die beispielhafte Auswahl der Fünf-S-Technik gleich zu Beginn wurde allen demonstriert, was unter Muda zu verstehen ist und zudem haben alle erfahren, was es heißt Standards festzulegen. Die nächsten Phasen müssen dann darauf setzen das Wertstromdenken bewußt zu machen. Auch hier lässt sich gezielt ansetzen, da es in diesem Unternehmen auch darum geht, die analoge Aktenführung auf digitale Arbeitsweise umzustellen. Insgesamt handelt es sich um ein breit angelegtes Umsetzungsprojekt, in das alle Prozesse, alle Mitarbeiter einbezogen werden und mit dem – außer den organisatorischen – auch sachliche Ziele verfolgt werden. Für das Unternehmen selbst geht es ums Überleben in Eigenständigkeit und darum wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Aufgaben des Managements beschränken sich nicht nur auf die Begleitung bis alles wieder läuft. Es steht unter einem erheblichem Problemdruck, in dem es nicht stecken bleiben darf. Das Problembewußtsein und die Stoßrichtung der Reorganisation erfordert eine hohe Sensibilität und permanente offene Kommunikation. Während die Mitarbeiter neben dem Tagesgeschäft, das ja weiterläuft, mit operativen Aufgaben befasst sind und sich auf die neuen Zielzustände konzentrieren, muss das Management während dieser vier Umsetzungsphasen parallel schwerpunktmäßig drei übergeordnete Aufgaben verfolgen (Abbildung 5.4):

5.2 Das Lean Management-Umsetzungsmodell

Umsetzungsphasen

Aufgaben des Managements Sensibilisieren

Realisieren

Stabilisieren

305 Abb. 5.4: Aufgaben des Managements im Umsetzungsprozess ◀

Voraussetzungen schaffen Hypothesen, Zielzustände, Ziele Aktionsfelder Beginnen: 1., 2. … 1. Sensibilisieren, also Voraussetzungen schaffen, Inhalte des Zu den drei übergeordLean Managements kommunizieren, Qualifizierungen einleiten neten Aufgaben des Managements und den Reorganisationsprozess in Gang halten 2. Realisieren, also ein ganzheitliches über alle Prozesse hinweg abgestimmte Organisation anstreben, indem sowohl die vertikalen wie auch die horizontalen Prozesse aufeinander abgestimmt werden und der Bezug zu den Produkten nicht verlorengeht 3. Stabilisieren, also auch auf der Managementebene dafür zu sorgen, dass Standards gesetzt werden, zum Beispiel das Hoshin Kanri dauerhaft eingeführt wird. Schließlich muss die gesamte Organisation während der Umsetzung und natürlich darüberhinaus ihre Verbesserungsfähigkeit (improvement capability) entwickeln und unter Beweis stellen. Wenn dies dauerhaft erreicht worden ist, kann man von einer gelungenen Implementierung des Lean Managements sprechen. Eine Vorstellung davon, welchen Stellenwert die Umsetzung hat, formulieren Drew et al. abschließend (2005, 261): „Die Umstellung auf schlanke Prozesse ist weder mit einem Spaziergang im Park noch mit einer Wanderung im Wald vergleichbar – es handelt sich schon eher um eine regelrechte Expedition.“ Eine Expedition stellt sich schließlich niemand als Uhrwerk mit Stellschrauben vor, eher als höchst risikoreiches Unternehmen. Genau hier müssen wir das Projekt Lean Management-Umsetzung verorten.

5.3 Zusammenfassung Kapitel 5

306

„Das Leben besteht aus Bewegung. Wer sich Neuem gegenüber verschließt, ist lebendig tot.“ (Aristoteles, Nicomaische Ethik)

5.3

Zusammenfassung Kapitel 5

Unternehmen, die Lean Management einführen wollen, müssen beachten, dass sie sich auf ein höchst risikoreiches Vorhaben einlassen, einem Vorhaben, dem nicht mit einem im Detail vorformulierten Plan gefolgt werden kann. Bewusst wurde auf Poppers StückwerkTechnologie zurückgegriffen, einem Ansatz, dem deshalb der Vorzug gegeben wurde, weil er gerade wegen der Komplexität des Umsetzungsgegenstandes überraschend Einfaches verlangt, nämlich einfach schrittweise (Stück-für-Stück) vorzugehen, aber sich immer bewußt zu sein, dass gerade das schrittweise Entfalten des Ganzen dann zu immer mehr Komplexität führt. Der naheliegenden Versuchung, einen „neuen Menschen“ zu denken und zu planen, wurde nicht gefolgt. Stattdessen wurden Voraussetzungen definiert, die in einem Lean Management-Umsetzungsmodell endeten. Das Modell konkretisiert vier handlungsleitende Phasen (Umsetzungsfelder): (1) Voraussetzungen, (2) Hypothesen, Zielzustände, Ziele, (3) Aktionsfelder, (4) Beginnen (Incipe!). In der ersten Phase wurde besonders die Vorbildrolle des Managements betont. Hingewiesen wurde auf den besonderen Status des Change Agents. Die zweite Phase legte den Schwerpunkt auf das Konzept des Zielzustandes. Es wird für das sukzessive Voranschreiten als ausschlaggebend angesehen. In der dritten Phase wurden die Aktionsfelder als diejenigen betrieblichen Orte bestimmt, an denen konkret die Techniken des Lean Managements ansetzen können. Sie sind durch Wertströme charakterisiert. In Phase vier wurde an einem ausführlichen Fallbeispiel der Beginn der Umsetzung aufgezeigt. Abschließend wurde auf die besonderen Aufgaben des Managements im Umsetzungsprozess hingewiesen; deren Hauptaufgaben wurden im Sensibilisieren, Realisieren und Stabilisieren der Prozesse (Zielzustände) gesehen. Die Personalfrage wurde nicht extra in der Umsetzungsphase thematisiert. Sie ist innerhalb des Lean Managements von zentraler Bedeutung und mündet in der bewußten Entwicklung eines Human-Systems (Kapitel 1.3.9; Abbildung 1.21).

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5 Lean Management umsetzen

Hier können Sie Ihre Ideen zur Umsetzung von Lean Management formulieren: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

307

5.4 Mindmap zur Rekapitulation

308

1 Einfach das Einfache finden

6 Beginnen (Incipe!)

2 Das Umsetzungsmodell

Lean Management umsetzen 5 Aktionsfelder bestimmen

3 Voraussetzungen schaffen

4 Hypothesen, Zielzustände, Ziele

6

Das Netzwerk der Lean Management-Community

„Mitarbeiter reihenweise zu entlassen macht unglaubwürdig. Sozial verträgliche und gesellschaftlich vertretbare Maßnahmen sind gefragt, um einen aus dem Ruder gelaufenen Betrieb wieder auf Kurs zu bringen. Diese Maßnahmen hängen sehr spezifisch vom jeweiligen Betrieb ab. Firmen, die unter dem Argument ‚schlanker‘ zu werden die gesamte Entwicklungsabteilung entlassen, haben die Grundgedanken der Lean Production nicht verstanden. Lean Production ist mehr als reihenweise Mitarbeiter zu entlassen, den Zulieferer zu knebeln und das Lager auf die Straße zu verlegen. Falls ein Ansatz derartige Blüten treibt, muss dieser Ansatz selbst an der Wurzel ausgerottet werden. (Traeger 1994, 71f)

6 Das Netzwerk der Lean Management-Community

310 Leitfragen 1. 2. 3. 4.

Nehmen Sie zu der These Stellung, dass sich das Paradigma der Massenproduktion erschöpft haben soll. Wie lässt sich der Erfolg des neuen Paradigmas „Lean Management“ erklären? Begründen Sie den Erfolg des Buches „Lean Thinking“ von Womack/Jones. Innerhalb des Lean Management-Community-Netzwerks nimmt das Lean Enterprise Institute eine Sonderstellung ein. Welche?

Wichtige Fachliteratur • • •

Drew et al. 2005 Kuhn 1977 Kuhn 1999

5. 6.

• •

Die Lean Management-Community läßt sich in sieben verschiedene Aktionsbereiche gliedern. Welche sind gemeint? Warum wird sich das Netzwerk der Lean Management-Community auch in Zukunft weiterentwickeln?

Ohno 1993 Womack/Jones 1997

6.1 Auf dem Weg zur Lean Management-Community „Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden.“ (Hermann Hesse)

6.1

Auf dem Weg zur Lean ManagementCommunity

Wenn wir heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, tendenziell einen Paradigmawechsel in der Produktionsweise hin zur Lean Production feststellen, so ist die Frage zu stellen, welche Kräfte, konkret welche Stakeholders, einen solchen fundamentalen Prozess ausgelöst haben, verstärken und weiterhin unterstützen? Seit Anfang des 20. Jahrhunderts haben das Scientific Management und in seiner Folge das Ford-System der Massenproduktion die Produktionsweise grundlegend verändert. Die dadurch geschaffene Struktur industrieller Produktion konnte als Allgemeingut in die Industriegeschichte eingehen (Womack/Jones/Roos 1994, 31): „Das Hauptelement der Massenproduktion war … die vollständige passgenaue Austauschbarkeit der Bauteile und die Einfachheit des Zusammenbaus.“ Dieses Paradigma hat sich erschöpft. Der Erfolg des neuen Produktionsparadigmas Lean Management lässt sich nicht allein durch den bestsellerartigen Erfolg des MITBuches und seiner Folgeliteratur erklären. Wenn es nicht aufgegriffen wird, wenn es nicht diskutiert wird, wenn nicht Versuche unternommen werden, es in die eigenen organisatorischen Zusammenhänge zu transformieren, …, dann bleibt ein solches Thema folgenlos. In den ersten Jahren nach dem Erscheinen der MIT-Studie hatte es – nach Fehlversuchen der Umsetzung – den Anschein, als ob nur die reinen Qualitätstechniken Just in Time und Kanban ihren Einzug in die Praxis und Fachliteratur der Produktionswirtschaft und Logistik und in der Praxis gefunden hätten. Doch dieser „erste Eindruck“ verflüchtigte sich spätestens Anfang des neuen Jahrhunderts, als zu erkennen war, dass sowohl neue Lean Initiativen in den Betrieben der Fertigungsindustrie entstanden waren wie auch zunehmend Unternehmensberatungen das Thema für sich neu bzw. wieder entdeckten und es besetzten. Frage: War die der MIT-Studie folgende Entwicklung von langer Hand vorbereitet, ja schon programmatisch in der Studie selbst angelegt? Jedenfalls war der Auslöser für die Intensivierung und Ausweitung der Stakeholders – so wird hier begründet angenommen – die Rückkehr zweier MIT-Erfolgsautoren (Womack/Jones) mit dem programmatischen Buchtitel

Wer bewirkt den Paradigmawechsel in der Produktion?

Irgendwann gab es wohl einen „tipping point“ (Malcolm Gladwell), der dafür sorgte, dass sich Lean Management in der Beraterbranche nicht mehr langsam verbreitete. Dieser Punkt war mit Sicherheit das Erscheinen von „lean thinking“ Lean Management als Beratungsangebot

Vielleicht war die Entwicklung des Lean Managements als Beratungsangebot bereits mit Erscheinen der MIT-Studie Teil eines Programms

311

6 Das Netzwerk der Lean Management-Community

312 Lean Thinking als neuer Schlüsselbegriff steht im Zentrum der zweiten Phase der Implementation von Lean Management

„Auf dem Weg zum perfekten Unternehmen: Lean Thinking“, das 1996 erschien und das in den Folgeauflagen (2004, 2013) dann eine entscheidende Titeländerung, eine Umkehrung von Titel/Untertitel, erfuhr: „Lean Thinking: Ballast abwerfen! Unternehmensgewinn steigern!“.

So wurde der frühere Untertitel zum Haupttitel erklärt. Die Autoren hatten erkannt, dass der Schlüsselbegriff „Lean Thinking“ auch in den deutschsprachigen Ländern in das Zentrum der Argumentation gestellt werden sollte. Auf „Lean Thinking“ bezogen sich bereits 1996 die fünf Schlüsselprinzipien (siehe Kapitel 3.8, Abbildung 3.44). Bei Durchsicht der neueren Fachliteratur zum Lean Management ist zu beobachten, dass diese fünf Prinzipien in den meisten Fällen gar nicht mehr quellenmäßig gewürdigt werden. Es wird einfach umstandslos, ja quasi gesetzesartig von Lean Thinking und seinen fünf Prinzipien gesprochen: Jeder weiß, was gemeint war und von wem diese Prinzipien stammen. Das Buch kann als neuer Ausgangspunkt gesehen werden, eine Art Handlungsanweisung Lean Management umzusetMit „Lean Thinking“ zen, bestens geeignet um nun eigene Beratungsangebote und Traiwar ein eingängiges Sprachspiel gefunden, ningsmodule zur Weiterbildung darauf abzustellen. Womack & Jones dessen Wirkung nicht hatten ein von ihnen definiertes Sprachspiel etabliert. Es wurde wenig ausblieb: Damit wurde später noch ergänzt durch die Schrift „Learning to See“ von John Shook und Michael Rother, in der ebenfalls auf die Praxis bezogen das Wertdas Thema eineindeutig auf den Begriff stromdesign (es fungiert als Element des Lean Thinking) der breiten gebracht Masse von Mitarbeitern verständlich zugänglich gemacht wurde. Im gleichen Zug wurde von Womack das Lean Enterprise Institute in Die Aktivitäten des Cambridge, USA, gegründet. Mit seinen Niederlassungen in Afrika, Lean Enterprise Australien, Brasilien (für Südamerika), China, Frankreich, GroßbriInstitute sind darauf tannien, Indien, Israel, Italien, Mexiko, Niederlande, Polen, Spanien, ausgerichtet das Türkei, Ungarn wurde damit ein internationales Netzwerk des Lean Lean-ManagementManagements geschaffen. Es propagiert auf seiner URL (www.lean. Netzwerk durch org) die Mission Beratung, Tagungen, Vorträge, Bücher und Trainingsangebote zu etablieren.

„Advance lean thinking throughout the world“. Die Aktivitäten des Lean Enterprise Institute sind darauf ausgerichtet das Lean-Management-Netzwerk durch Beratung, Tagungen, Vorträge, Bücher und Trainingsangebote zu etablieren. Heute wird es von John Shook (siehe auch Kapitel 3.8) geleitet.

6.2 Zur Community des Lean Managements

313

Es kann davon ausgegangen werden, dass das Lean Enterpri- Die Vorreiterrolle se Institute eine gewisse Leitfigur für die Community darstellt, was des Lean Enterprise schon daran erkennbar ist, dass von Womack, Rother und Shook neu Institute definierte Begriffe und Konzepte, wie Wert, Wertstrom und Value Stream Mapping geschaffen und in der Praxis übernommen werden. Dem Lean Enterprise Institute kommt damit in theoretischer wie in praktischer Hinsicht die Vorreiterrolle, ja eine Definitionsmacht für die Bewegung zu.

6.2

Zur Community des Lean Managements

Außer den auf die Autoren der MIT-Studie fußenden Bemühungen, die Umsetzung von Lean Management voranzutreiben, lassen sich mit steigender Tendenz zahlreiche Beratungsinitiativen überall auf der Welt feststellen, in Europa fast in jedem Land. Einen ersten Versuch der Systematisierung zeigt Abbildung 6.1: ◀ Abb. 6.1: Die Lean Management-Community

Lean Management Community Toyota

1

Shingo Price 2 Lean Enterprise 3 Institute (LEI)

Unternehmen mit 4 Beratungsinstitut Beratungsinstitute 5 Wirtschaft Beratungsinstitute 6 Universitätsnah Einzelpersonen 7 als Berater Gründung: Zielsetzung: Hauptziel: Netzwerk:

Unternehmen, die Lean Management umgesetzt haben

1997 durch J. P. Womack, CEO: John Shook Förderung der Prinzipien des Lean Thinking Entwicklung eines vollständigen Toolkits, das geeignet ist Lean Thinking in traditionelle Unternehmen zu implementieren Das Lean-Management-Netzwerk des LEI agiert von Cambridge, USA, aus weltweit mit Niederlassungen in Afrika, Australien, Brasilien, China, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Mexiko, Niederlande, Polen, Türkei, Ungarn

6 Das Netzwerk der Lean Management-Community

314

1 Toyota: Die TMC selbst unterhält keine Institution, an die UnDie Bedeutung Toyotas im Penetrationsprozess

Der Shingo Price, eine Plattform diverser Aktivitäten zur Verbreitung von Lean Management

Das Netzwerk des Lean Enterprise Institute

Ein Unternehmen, das bereits erfolgreich Lean Management eingführt hat, gründet ein Beratungsinstitut – eine sehr fundierte und anerkannte Vorgehensweise, die von zukünftigen Interessenten honoriert wird

ternehmen herantreten können. Allerdings hat sich Toyota schon immer offen gezeigt, sein Produktionssystem auch externen Unternehmen zugänglich zu machen. Außerdem wirbt es mit dem TPS. Nicht zu unterschätzen sind die ehemaligen Toyota-Mitarbeiter, die in selbständiger Funktion inzwischen als Einzelberater oder innerhalb eines Consultingunternehmens auftreten. Sie können als Multiplikatoren von Toyota bezeichnet werden, ohne allerdings von dort gesandt worden zu sein. 2 Shingo Price (Kapitel 3.6): Die werbenden Aktivitäten der Utah University erschöpfen sich nicht nur in der jährlichen Ausschreibung des Awards. Internationale Konferenzen, Workshops und die Study Tour nach Japan vervollständigen das Programm. Außerdem treten die Preisgewinner als Multiplikatoren auf. Im Rahmen dieser Daueraktivitäten werden zahlreiche Kontakte geknüpft, die vor allem der Kommunikation des Lean Managements dienen. 3 Lean Enterprise Institute – LEI (Kapitel 6.1): Auf die Bedeutung des LEI als Zentrum des Netzwerks wurde bereits hingewiesen. Wegen seiner historischen Wurzeln im MIT und seiner globalen Ausrichtung kommt ihm langfristig eine besondere tragende Rolle innerhalb der Lean Management-Community zu. 4 Unternehmen mit Beratungsinstitut: Die bereits im August 1994 gegründete Porsche Consulting GmbH (entstanden aus den positiven Erfahrungen nach der Restrukturierung der Porsche AG) hatte wohl auch dazu beigetragen, das Vertrauen in Lean Production zu gewinnen. Jedenfalls klingt die folgende Selbstbeschreibung des wohl einflussreichsten „Lean-Consulters“ in Deutschland sehr animierend: „Wir stehen für messbare Resultate, umgesetzte und dauerhaft funktionierende Lösungen, die Befähigung unserer Klienten zur Selbsthilfe sowie die Begeisterung von Führungskräften und Mitarbeitern. Unsere Klienten sollen im operativen Geschäft die Besten in ihrem Segment werden. Erarbeitete Lösungen setzen wir gemeinsam mit den Mitarbeitern um. Das schafft Akzeptanz und Nachhaltigkeit.“ (Quelle: URL:www.porscheconsulting. de) Porsche Consulting ist derzeit das einzige Consulting-Unternehmen der Automobilbranche, das sein Angebot zum Training im Lean Management extern vermarktet. Es pflegt enge Kontakte zum Lean Enterprise Institute von Womack. Beratungsunternehmen dieser Art, die aus dem Erfahrungsschatz eines Produktionsunternehmens schöpfen können, genießen bei ihren Kunden eine hohe Glaubwürdigkeit und sind ein wichtiges Element innerhalb der Lean Management-Community.

6.3 Zusammenfassung Kapitel 6 5 Beratungsinstitute der Wirtschaft: Ein Blick ins Internet zeigt,

dass es zunächst zwei Typen von Consulting-Instituten gibt, solche, die das Thema Lean Management zusätzlich in ihr Beratungsangebot aufgenommen haben (wohl die Mehrheit) und solche, die ausschließlich als Lean Management-Consultingunternehmen auftreten, wie das Lean Institute von Jörg Tautrim, das sich sogar bemüht die Begriffe in einem kleinen Lexikon zu klären (Lean Pocket Guide). Aussagen wie diese zum Selbstverständnis lassen die Ausrichtung erkennen (www.lean-institute.de): „Wir beraten und schulen alle Branchen auf dem Weg zum perfekten Unternehmen. Wir setzen dabei bewährte Praktiken zur nachhaltigen Verbesserung mit schneller Ergebnisverbesserung um.“ Solche Institute bieten Beratungen in Unternehmen (inhouse) und externe offene Workshops an. Sie sind autonom und pflegen eher indirekte Kontakte zum Lean Enterprise Institute. – Zur Kategorie der Beratungsunternehmen in der Wirtschaft gehört auch der REFA – Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung. REFA versteht sich als internationaler Anbieter von betrieblicher Weiterbildung und ist aus der Tradition des Scientific Management-Bewegung heraus 1924 in Deutschland gegründet worden. Inzwischen wurde von REFA erkannt, dass sich das Gedankengut der modernen Managementlehre weit von seinen Ursprüngen entfernt hat. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen führt REFA auch Beratungs- und Weiterbildungsmaßnahmen zum Lean Management durch. Der Verband steht in Kontakt mit der Deutschen MTM-Vereinigung (Kapitel 3.11), die auch zum Thema Lean Management Seminare und Beratung anbietet. 6 Universitätsnahe Beratungsinstitute: Unter diesen Institutionen hat sich besonders das Frauenhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) dem Thema Lean Management gewidmet. Es wird unter dem Interesse aufgegriffen strukturierte Hilfen, Seminarwissen und Beratungen zum Aufbau Ganzheitlicher Produktionssysteme (GPS – Kapitel 3.9) für KMUs anzubieten. Da GPS Weiterentwicklungen des Toyota Produktionssystems sind, tragen die Initiativen solcher Institute dazu bei, Ansätze des Lean Managements zu multiplizieren. Eine weitere Institution dieser Kategorie ist das WZL, das unter der Bezeichnung WZL-Forum an der RWTH Aachen mit dem Frauenhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) kooperiert und sich auf das Thema Lean Innovation spezialisiert hat. 7 Einzelpersonen als Lean Management-Berater: Personen treten auch einzeln als Berater auf. Sehr oft handelt es sich um Hochschullehrer, die das Thema in Lehre und Forschung vertreten und es zu-

315 Beratungsinstitute der Wirtschaft mit Schwerpunkt Lean Management dominieren rein quantitativ die Community

Die besondere Rolle der REFA und der MTM-Vereinigung

Universitätsnahe Beratungsangebote sehen den Schwerpunkt im Aufbau Ganzheitlicher Produktionssysteme (GPS)

Auch Einzelberater haben das Betätigungsfeld Lean Management entdeckt

316

6 Das Netzwerk der Lean Management-Community

sätzlich zu ihrem Lehrdeputat als Beratungsangebot für Organisationen wahrnehmen. Sie treten damit als Multiplikatoren auf.

6.3

Zusammenfassung Kapitel 6

In diesem Kapitel konnte anknüpfend an den sich langsam vollziehenden Wechsel des Paradigmas von der Massenproduktion zur Herausbildung der Lean Produktion gezeigt werden, dass sich eine Bewegung herausbilLean Managementdet, die Lean Management-Community. Ihr geistiges Zentrum, das Community die begriffliche Definitionsmacht zu besitzen scheint, ist das Lean Die zweite Phase der Enterprise Institute in den USA mit Niederlassungen überall auf der Penetration des Lean Welt. Es fungiert in der Tradition des Grundlagenbuchs zum Lean Managements wurde Management von Womack & Jones (Die zweite Revolution in der Auvor allem durch das toindustrie). Von diesem Institut aus wurde die „zweite Phase“ der Lean Enterprise InstiPenetration des Lean Managements angestoßen. Es prägte den für die tute geprägt weitere konzeptionelle und praktische Arbeit wichtigen Begriff „Lean Thinking“ (Kapitel 3.8). Sieben typische Es konnten sieben institutionelle Bereiche identifiziert werden, die Bereiche, die die auf Dauer maßgebend für den Erfolg des Lean Managements gesorgt Entwicklung des Lean haben und weiterhin sorgen werden. Es handelt sich um OrganisatiManagements voranonen, die Beratung und Weiterbildung für Organisationen anbieten, treiben werden die aus eigener Kraft schwer in der Lage sind eine Lean ManagementOrganisation zu implementieren. Toyota selbst ist in der Beraterbranche eher passiv, stellt aber weiterhin eine wichtige Adresse für die Community dar, weil es mit dem TPS offensiv wirbt. Interessant ist, dass sogar solche Institutionen, wie der REFA, der eher aus der Tradition des Scientific Managements, also der Massenproduktion, sein Selbstverständnis bezieht, ebenfals das Lean Management als Betätigungsfeld sieht und seine Aktivitäten auch in diese Richtung lenkt. Es lässt sich prognostizieren, dass sich das Netzwerk der Lean Das Netzwerk der Community-Bewegung, das momentan noch nicht eng geknüpft ist, Lean Communityauf Sicht weiterentwickeln wird. Diese Einschätzung beruht vor allem Bewegung wird sich auch in Zukunft weiter auf dem Faktum, dass die Organisation eines Unternehmens, das eine entwickeln Lean Management-Konzeption verfolgt, aus eigener Kraft wohl kaum in der Lage ist einen solch komplexen Restrukturierungsprozess zu vollziehen. Insofern ist der Begriff des „lean thinking“ sehr treffend, weil es zunächst um eine Konversion des Denkens, auch des VeränLean Thinking als neu- derns der Einstellungen, geht und dann im zweiten Schritt um eine er Schlüsselbegriff völlig andere Handlungsweise.

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6.3 Zusammenfassung Kapitel 6

Die Lean Management-Community lebt! Wie sieht die weitere Entwicklung aus? ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

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6 Das Netzwerk der Lean Management-Community

1 Shingo Price als Multiplikator

6 Einzelpersonen als Berater

Lean ManagementCommunity 5 Beratungsinstitute universitätsnah

2 Lean Enterprise Institute

3 Unternehmen mit Beratungsinstitut

4 Beratungsinstitute der Wirtschaft

7

Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

„Die abendländische Tradition der Erkenntnistheorie geht – auch in ihrer skeptischen Form – wie selbstverständlich davon aus, dass die Gedanken völlig fügsam und glatt, dass sie vollkomen der Macht des Subjekts unterworfen sind. ‚Der Geist‘, sagt David Hume, ‚hat die Macht über alle seine Ideen und kann sie trennen, vereinigen, mixen und variieren, wie es ihm gefällt.‘ Hierzu wird ein geübter buddhistischer Praktizierender einfach sagen: ‚Schon ausprobiert?‘ Der Geist ist, wie Buddha sagt, ein ungebändigter Affe, der von einem Ast zum nächsten greift. Die Beherrschung der Denkprozesse ist weit davon entfernt, eine natürliche Gabe des Menschen zu sein. Ganz im Gegenteil.“ (Brodbeck 2005, 29)

Hier können Sie Ihre Notizen zur Zusammenfassung und zum eigenen Fazit formulieren: ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––

7.1 Was wurde gezeigt und erreicht? – Bestandsaufnahme „Und das Ende allen Erkundens wird sein, dass wir ankommen, wo wir aufbrachen. Und diesen Ort zum ersten Mal erkennen.“ (T. S. Eliot, Vier Quartette)

7.1

Was wurde gezeigt und erreicht? – Bestandsaufnahme

Entwicklung gibt es nur, wenn nichts ewig Gültigkeit hat. Dieser Es geht auch anders: Satz gilt in der Wissenschaft. Umso mehr trifft er auch in der Wirt- Der Paradigmawechschaft zu. Lange Zeit hat man geleugnet, dass es so etwas wie eine sel japanische Produktionsweise geben soll. Der wirtschaftliche Erfolg wurde mehr in der Arbeitsbiene Mensch gesehen, nicht jedoch in dem Faktum, dass die Art und Weise des Produzierens unter begrenzenden Raum-, Zeit-, und Kostenfaktoren auch völlig anders organisiert werden muss als in einem verschwendungsfreien Großraum wie in dem der USA. Es bedurfte erst einer Untersuchung der Erfolgsfaktoren, wie in der MIT-Studie geschehen, um der produzierenden Welt zu zeigen, dass es auch anders geht, als es im westlichen Massenproduktionssystem praktiziert wird. Dabei hat es für die Wirkungsgeschichte der sogenannten Lean Production keine Rolle gespielt, ob die Qualität und Auswahl der MIT-Studie hinsichtlich der erhobenen Fakten besonders gut war oder sogar Verzerrungen lieferte. Entscheidend war die Aussagenrhetorik, und die traf ins Schwarze. Was die Insider eigentlich schon gewusst haben mussten, hier fanden sie die Bestätigung. Die Einführung neuer Produktionsprinzipien war längst überfällig geworden. Doch alles brauchte seine Zeit. Die ersten Reaktionen, das Problem auf der Ebene der Lean Management-Techniken anzupacken, hatte nur begrenzten Erfolg. Der Ansatz der Beraterbranche, die Hierarchieebenen zu verflachen, ohne das Produktionssystem als solches ins Visier zu nehmen, war eindeutig die falsche Lösung. Es bedurfte noch einiger Jahre, um zu erkennen, dass man die Gesamtheit der Systemelemente betrachten und ordnen muss, um dann eigene „ganzheitliche“ Produktionssysteme zu kreieren. Der Erfolg blieb Die acht Kategorien nicht aus (Kapitel 3.10). zur Analyse von ProDer hier begangene Weg setzte an den Kategorien an, die für die duktionssystemen Analyse der nötigen ZuRaum Zeit sammenhänge zu nutzen sind. Nur Zeit, Kosten Qualität Kosten und Qualität als leitende Kategorien heranzuzieGPS hen, um die Problemsicht auszuloten, war Wertunzureichend. GanzKultur schöpfung heitliche ProduktionsArbeit Muda systeme (GPS) fordern

321

322

7 Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

geradezu heraus auf mindestens acht kategoriale Ebenen Bezug zu nehmen. Nichts anderes haben auch die Entwickler des legendären Toyota Produktionssystem mehr oder weniger explizit getan. Wenn man so will, sind das schon immer die „Stellschrauben“ jeglicher Systembildung für die Produktion gewesen. Neben der übergeordneten inhaltlichen Bestimmung leitender Kategorien ging es im zweiten Schritt darum, sich des Gegenstandes aus einer eher historischen Perspektive zu vergewissern. Dies geschah dadurch, dass die handelnden Leitfiguren mit dem, was sie dachten und taten ausführlich gewürdigt wurden. So konnten die Prinzipien offenDie Erfolgsfaktoren für gelegt werden, die den Erfolg von Toyota bestimmten. Es waren zwar den Erfolg von Toyota einerseits die Familienbande, die den Zusammenhalt erbrachten, aber maßgebend für den Erfolg war die richtige Wahl des richtigen CEOs an der Spitze. Und dass war nicht immer ein direktes Familienmitglied, manchmal auch ein Angeheirateter oder eine Führungskraft, die sich bewährt hatte. In den einzelnen Phasen der Unternehmensentwicklung, die sehr oft kritisch waren, wurde der richtige ausgewählt. Ihm gelang es schließlich das Unternehmen vorwärtszubringen. Dabei wurde der Impetus von Toyoda Sakichi nie aus den Augen verloren. Toyota folgte bis auf den heutigen Tag strikt seiner Traditionslinie und seinen ethischen Maximen. (Kapitel 2.4). Entgegen oft praktizierten Versuchen, eine solide Basis für das Verständnis des Lean Managements zu finden, wurde in dem umfangreichen Kapitel 3 nicht die MIT-Studie als primäre Quellenbasis Ausgangspunkt der herangezogen, sondern die japanischen Originalschriften von Ohno Analyse des TPS sind Taiichi zum Produktionssystem von Toyota (Kapitel 3.3). Größtendie Originalschriften teils sind sie heute ins Englische und sogar ins Deutsche übersetzt worvon Ohno Taiichi den. Dieses Vorgehen erlaubte es, dass keine voreiligen Schlüsse aus der Sekundärliteratur übernommen wurden. Erst im zweiten Schritt wurden andere Quellen miteinbezogen. Das auf dem Produktionssystem von Toyota aufsitzende Lean Management stellt ein Paradigma der Art und Weise dar, wie produziert und die Produktion organisiert werden soll. Es handelt sich um einen normativen Ansatz, dessen Herzstück die Interdependenz von Just in Time/Kanban – Muda ausmacht. In dieser Relation wurde die Bedeutung der übergeordneten Kategorien Zeit und Raum verortet (Abbildung 3.14). Bereits den Aussagen von Ohno Taiichi war zu entnehmen, dass es sich beim TPS eigentlich um ein Managementsystem handelt. Dieser Spur wurde gefolgt und auch eine veränderte Benennung vorgeschlagen, indem vom Toyota Managementsystem (TMS) gesprochen wurde, das sowohl das Humansystem wie auch das kulturelle System mit dem Produktionssystem vereint. Toyota tritt als visionäres Unternehmen auf. Dieser Tatsache wurde Rechnung getragen, indem die Wertvorstellungen

7.1 Was wurde gezeigt und erreicht? – Bestandsaufnahme

und visionären Elemente analysiert wurden. Aufgehoben ist die Tradition Toyotas trotzdem im Toyota Way und seiner Vision für das 21. Jahrhundert (Abbildungen 3.31 und 3.32): Die traditionellen Werte des Firmengründers und die Werte „Respekt“ und „Kontinuierliche Verbesserung“ sind – trotz oder gerade wegen der Fokussierung auf Ökologie/Gesellschaft – unhintergehbar für die Zukunft. Toyota wird seinem eigenen Weg weiter folgen. Ab Kapitel 3.4 geht es in weiten Teilen um Deutungsversuche und Versatzstücke, um das Managementsystem von Toyota zutreffender zu verstehen. Die Autoren sind intime Kenner, die sehr oft in Führungsfunktionen bei Toyota tätig gewesen waren, wie John Shook oder solche, die dort ihre Erfahrungen gemacht haben, wo Lean Management umgesetzt wurde, wie Womack/Jones bei der kleinen Fallstudie zur Reorganisation bei der Porsche AG. Womack & Jones waren es denn auch, die mit dem Lean Thinking-Ansatz eine Erweiterung im Denken und Handeln eingeleitet haben. Im Lean Management wird heute in der Definition von Womack & Jones eher vom Wertstrom gesprochen als den spezifischen Tätigkeiten, die für die Konstruktion, die Bestellung und Bereitstellung eines bestimmten Produkts erforderlich sind, und zwar vom Konzept bis zur Einführung, vom Auftrag bis zur Auslieferung und vom Rohmaterial bis in die Hände des Kunden. Innerhalb des Lean Thinking hat sich das Wertstromdesign als Technik etabliert Wertströme zu identifizieren und Soll-Wertströme zu entwickeln. Eine Technik, die es durch die Einführung einer leicht erlernbaren Symbolsprache jedem Mitarbeiter erlaubt an der Entwicklung einer Value Stream Map konkret mitzuwirken. Inwieweit dem Lean Six Sigma-Ansatz die Zukunft gehört, kann hier nicht abgeschätzt werden. Es gibt ein bestimmtes Interesse, was sich in der Entwicklung einer eigenen Managementnorm bei der ISO niedergeschlagen hat. Aus der übergeordneten Sicht des Lean Managements erscheint eine Integration dieser speziellen Managementfacette nicht weiter verfolgt zu werden. Abbildung 3.56 zeigt die konträren Elemente sehr deutlich. Das Thema Ganzheitliche Produktionssysteme kann man als direkte Fortsetzung des TPS in erweiterter und allgemeiner Absicht für deutsche Betriebe sehen. Solche Systeme haben größere Unternehmen bereits mit firmenspezifischen Bezeichnungen belegt (Beispiel Mercedes-Benz Produktionssystem, MBS). Besonders von universitätsnahen Institutionen wird versucht, auch für KMUs Leitfäden zur Einführung eines GPS zu entwickeln und die Einführung beratend zu unterstützen. Es wurde darauf hingewiesen, dass die naive Einführung über solche Leitfäden nur dann Sinn macht und Risiken mindert, wenn das Humansystem und das kulturelle System ergänzt durch ein Achtsamkeitsmanagementsystem einbezogen werden. Ein weiterer Bereich der westlichen Managementlehre, der

Tradition und Wertesystem

Mit dem Lean Thinking-Ansatz wurde eine Erweiterung im Denken und Handeln erreicht

Wird Lean Six Sigma eine Zukunft haben?

Ganzheitliche Produktionssysteme werden in Deutschland wohl weiter aufgegriffen werden

Die Bedeutung des Achtsamkeitsmanagementsystems

323

324

7 Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

auf Taylors Scientific Management bezogen ist, wurde noch untersucht, das sogenannte Methods-Time-Measurement (MTM). Der ReTaylorisierungsansatz gibt sich modern und sucht die Nähe zum Lean Management. Ob eine solche Anpassung gelingen kann, mag wohl angezweifelt werden. Einem wichtigen Ansatz, der bisher eigentlich gar nicht im Zusammenhang mit dem Lean Management gesehen wurde, soll noch nachgegangen werden, dem Constraint Management. Constraint ManageEs handelt sich um einen Ansatz, der gerade im Projektmanagement ment als Projektmanagementvariante des verfolgt wird. In der Geschichte von Goldratt & Cox (es handelt sich Lean Managements wirklich um einen Roman aus dem Managementalltag) geht es um die angemessene Art und Weise Bestände zu managen. Wie das Lean Management dies sieht ist über das Systemelement Muda bekannt. Beim Constraint Management wird daraus ein Buffermanagement, in dem die Zielsetzung verfolgt wird, solche Bestände nicht generell, sondern in Engpässen abzufangen. Beim Vergleich des Constraint Managements mit dem Lean Management muss der Vollständigkeit halber noch gesagt werden, dass es sich um zwei Ansätze handelt, die auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt sind. Während das Constraint Management eher als ein Projektmanagement zu betrachten ist, handelt es sich beim Lean Management doch um einen umfassenden Ansatz zur Führung eines Unternehmens. Der Ansatz des Constraint Management steht in keiner Weise konträr zum Lean Management. Seine Grundzüge ließen sich durchaus integrieren. Zusammenfassend lassen sich die Ausführungen in Kapitel 3 auch derart verstehen, dass die Lücken gefüllt werden mussten, die sich aus dem engen Verständnis eines Produktionssystems aufgetan haben. Gerade in diesem Sinn sind sicher noch nicht sämtliche „Geheimnisse“ der TMC aufgedeckt. Kapitel 4 thematisiert die Lean Management-Techniken, von deLean Managementnen es eine Vielzahl gibt. Sie in einen geordneten Zusammenhang zu Techniken bringen, war das Ziel. Doch zunächst wurde begrifflich von den Synonymen Werkzeuge, Tools oder Instrumente Abschied genommen. Es geht um Techniken, auch nicht um wissenschaftliche Methoden, sondern um solche Anwendungen, die dem praktisch in der Organisation handelnden Menschen auszeichnen. Die inhaltliche Einteilung erfolgte in folgende typischen Lean-Techniken: Lean-Techniken zur Problemlösung, Prozessorientierte Lean-Techniken, Lean-Techniken zur Prozess- und Lösungskontrolle, Spezielle Lean-Techniken. Zusätzlich lassen sich sogenannte Super Lean-Techniken ausmachen, die zugleich Elemente des Produktionssstems sind. Mit diesem Ordnungsrahmen als Hintergrund lässt sich in der Praxis arbeiten. Umsetzung des Lean An Umsetzungskonzepten für das Lean Management besteht kein Managements Mangel. Schließlich steht die gesamte Literatur zum Change Ma-

7.2 Was können wir erhoffen? – Schlussbetrachtung

nagement zur Verfügung und auch die Disziplin Organisationsentwicklung befasst sich mit diesem Thema. In Kapitel 5 wurde ein dem Gegenstand Lean Management angepasstes Umsetzungsprogramm vorgeschlagen: Unternehmen, die Lean Management einführen wollen, müssen beachten, dass sie sich auf ein höchst risikoreiches Vorhaben einlassen, einem Vorhaben, dem nicht mit einem im Detail vorformulierten Plan gefolgt werden kann. Bewusst wurde auf Poppers Stückwerk-Technologie zurückgegriffen, einem Ansatz, dem deshalb der Vorzug gegeben wurde, weil er gerade wegen der Komplexität des Umsetzungsgegenstandes überraschend Einfaches verlangt, nämlich einfach schrittweise (Stück-für-Stück) vorzugehen, aber sich immer bewußt zu sein, dass gerade das schrittweise Entfalten des Ganzen dann zu immer mehr Komplexität führt. Es wurde ein Umsetzungsmodell vorgeschlagen, das vier handlungsleitende Phasen (Umsetzungsfelder): (1) Voraussetzungen, (2)  Hypothesen, Zielzustände, Ziele, (3) Aktionsfelder, (4) Beginnen (Incipe!) konkretisiert. Besonders stark wurde auf die Voraussetzungen eingegangen.

325

Die praktische Bedeutung von Poppers Stückwerk-Technologie

Das vierphasige Umsetzungsmodell

„Dunkelheiten und Schwierigkeiten jeder Wissenschaft werden dann erst bemerkbar, wenn man zu derselben Zutritt gewinnt.“ Michel de Montaigne (Von der Erfahrung, de Montaignes letzter Essai)

7.2

Was können wir erhoffen? – Schlussbetrachtung

7.2.1

Nichts ist unmöglich …

Es soll ja alles sehr einfach sein. Das einzige japanische Wort, das man für das Verständnis von Lean Thinking wirklich kennen muss, heißt muda. So versuchen Womack & Jones ihre anwendungsortierten Leser zu motivieren (1994, 16). Doch so einfach ist es nicht. Da gilt es wohl zunächst zu klären, ob sich denn die von Ohno im Fertigungsbereich identifizierten Formen der Verschwendung generell übertragen lassen. Ein Blick in andere Tätigkeitsbereiche, zum Beispiel Produktentwicklung, Verwaltung oder IT (Tätigkeit des Programmierers), zeigt uns sofort, dass es sich bei den von Ohno erkannten Formen der Verschwendung keineswegs um allgemeine Kategorien handelt (Ohno 1993, 46). So hat es weder der Programmierer noch Muda bereichsspezider Produktentwickler (Lean Development) mit Beständen zu tun. fisch bestimmen Daraus folgt, jeder Tätigkeitsbereich muss sich zunächst darum bemühen, Muda bereichsspezifisch (also für den Scope) und dann die je spezifischen Formen von Muda zu definieren. Beispielhaft ist das in Kapitel 3.3 7 (Abbildung 3.25) für den Mitarbeiterbereich erfolgt

326

7 Bestandsaufnahme und Schlussbetrachtung

(Muda im Human-System). Diejenigen, die der Meinung sind, Lean Management sei ein System, dass sich umstandslos auf all und jenes übertragen lässt, gehen fehl. Es bedarf schon einiger Anstrengungen das für die Produktion entwickelte System zu adaptieren. Wenn diese Anstrengungen erfolgreich waren, können die Anwender sehr zufrieden sein. 7.2.2

Setzt sich Lean Management durch?

Survival of the fittest, heisst es in der Evolutionsbiologie. Das System, dass sich besser anpassen kann, wird überleben. Kuhns Paradigmatheorie sieht das differenzierter: Paradigmen können auch nebeneinder bestehen bleiben, ältere, schon längst für überholt geltende Paradigmen, können sogar wiederbelebt werden (Relaunch). Paradigmen lösen sich ab, wie es in der MIT-Studie prognostiziert wurde. Doch vieles spricht dafür, dass Handwerk, Massenproduktion Ablösung oder Koexis- und Lean Production in Koexistenz leben werden. Dabei befruchten tenz von Paradigmen? sie sich gegenseitig, jeder lernt vom anderen. Diese Idealvorstellung hinkt allerdings. Je mehr man sich mit den unterschiedlichen Typen von Produktionssystemen befasst, desto eher gelangt man zu der Überzeugung, dass sie konfligieren. Die fünf S zum Beispiel scheinen oberflächlich gesehen jedem Betrieb gut zu tun. Aber nur oberflächlich gesehen ist ein aufgeräumter Arbeitsplatz in Handwerk, Massenproduktionsarbeitsstation oder als Lean Produktion-Arbeitsplatz ein wohlfeiles Beispiel guter Organisation. In der Lean Produktion ist es lediglich der äußere Schein, im Inneren geht es um viel mehr: Standardisierung, Kontinuierliche Verbesserung, Muda, Pull-Prinzip etc., also sind die fünf S erst der Anfang vom Ende. Was in den anderen beiden Systemen so bleibt ohne große Hintergrundmusik, wird in der Lean Produktion elementar weitergedacht und gemacht, sowohl vom Alles ist eingebunden Mitarbeiter wie vom Management. Alles ist eingebunden in ein sich in ein sich gegenseitig gegenseitig bedingendes Gefüge, eben dem Rhizom, von dem schon bedingendes Gefüge die Rede war. Die von Toyota gelebte und sich kontinuierlich weiterentwickelnde Reinform von Organisation und Produktion ist sicher die nie erreichbare Meßlatte für andere Unternehmen. Sie basiert auf einer gemeinsam geteilten, gewachsenen Kultur. Sie ist eine im Wesentlichen verborgene und ungegliederte Kraft, die als selbstverständlich hingenommen wird. Es ist das, was man normalerweise unter Kultur versteht, in die man hineinsozialisiert wird, die uns zu sehen, zu sprechen und zu denken lehrt. Nur unter großen Mühen können wir unsere Kultur sichtbar machen. Für jeden langfristig bei Toyota angestellten Mitarbeiter wird die spezifische Toyota-Kultur seine in Sekundärpro-

7.2 Was können wir erhoffen? – Schlussbetrachtung

zessen gelernte zweite Haut. Es fällt ihm gar nicht ein an ihr zu zweifeln. Verbessern und Standardisieren, Muda beseitigen sind tägliche Praxis. Durch sein Handeln hat Toyota Erfolg. Wenn andere Unternehmen diesen enormen Vorsprung aufholen wollen, dann bedarf das erheblicher Anstrengungen. Der Ansatz und die Definition von Unternehmenskultur sind dann nicht mehr dasselbe. Selbstverständlichkeiten werden zu gelingenden/mißlingenden Lernprozessen. Die eigene Kultur muss erst einmal analysiert, Die Bedeutung kultubewertet und dann verändert werden. Eingeschliffene Mechanismen reller Entwicklungen müssen durch andere ersetzt werden. Die Manager müssen sich in Anthropolgen verwandeln. Überspitzt gesagt, sie müssen Kulturen gründen wie es einst Moses und Mohammed getan haben. Ihr Charisma, ihr Vorbildhandeln ist entscheidend, nicht die Anwendung von neuen Techniken in Seminaren zur Kulturveränderung bringen den Erfolg. Es muss ihnen gelingen, dass sich die Mitarbeiter mit der Unternehmenskultur identifizieren und die Mission begeistert verinnerlichen. Teamidentität ist aufzubauen, der höhere Zweck des Unternehmens ist von jedem einzelnen nicht nur zu erkennen, sondern zu verinnerlichen. Kann das gelingen oder werden die Nachahmer die ewigen Zweiten sein und bleiben? Stecken wir in einem Dilemma? Den Ausweg mit dem charismatischen Führer können wir aus naheliegenden, vielfältigen Gründen nicht als realen Weg zur Lean-Organisation gehen. Was dann? In Kapitel 5 wurde bereits das Rüstzeug bereitgestellt, dem wir uns bedienen müssen: Wir können das Lean Management nicht begreifen, indem wir es anstarren, sondern indem wir es anfassen. Ein Verständnis erlangen wir nur über Denken und Tun, nicht, indem wir darüber noch weiter nachdenken, wie Lean Management denn nun wirklich ist, also indem wir das Thema (wie es hier im Buch geschehen ist) immer mehr vertiefen. Wir erkennen das Wesen des Lean Managements, indem wir es als realen Handlungszusammenhang begreifen und anfangen (Incipe!), zum Beispiel über die fünf S oder über das Verbessern und Standardisieren. Einfach den Weg des Stück-für-Stück-Fortschreitens gehen. Dabei hat das Management nicht nur an der Spitze zu stehen, sondern muss dem Prozess in der Gemba vorbildhaft voranschreiten. Mut zum Risiko und Ausstrahlung gehört natürlich dazu: Wer den Mindset verändern will, muss bei sich selbst anfangen!

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327

7.3 Mindmap zur Rekapitulation

328

1 Was wurde erreicht?

Bestandsaufnahme und Schluß

2 Was können wir hoffen?

Nichts ist unmöglich …

Setzt sich Lean Management durch?

8

Methodologische Nachbemerkungen

„Verbesserung der Unternehmensqualität durch Verkürzung der Durchlaufzeit um 50 bis 70 Prozent, Erhöhung der Termintreue um 45 bis 60 Prozent innerhalb weniger Monate.“ Hinter solchen Zeitwundern steckt im Kern ein einfaches Prinzip: Anstatt eine Aufgabe zu zerhacken und die Einzelstücke an dafür spezialisierte Abteilungen zu geben, wird eine Gruppe mit der gesamten Aufgabe betraut und soll die möglichst in einem Rutsch durchziehen. In der Produktion führt dieses Prinzip zu „Fertigungsinseln“. Um ein bestimmtes Teil herzustellen, hat man die notwendigen Maschinen zu einer Gruppe zusammengerückt. Die Lean Management-Terminologie verwendet hierfür den Begriff OPF-Zelle.

330

8 Methodologische Nachbemerkungen

8.2 Das Korrespondenzprinzip und das Lean Management „Wir vergessen viel zu oft, dass das Denken eine Kunst ist, ein Spiel zwischen Genauigkeit und Ungenauigkeit, Leichtigkeit und Strenge.“ Edgar Morin (*1921)

8

Methodologische Nachbemerkungen

In diesem Buch kamen zwei methodische Vorgehensweisen zum Zuge, einmal der historische Rekurs und zum anderen die Entwicklung von und der Bezug zu erkenntnisleitenden Kategorien.

8.1

Die doppelte historische Bedingtheit des Lean Managements

Wohl doch zu sehr geblendet von der MIT-Studie haben viele Autoren kurzschlüssig an deren Ergebnissen angesetzt und versäumt zu den Ursprüngen zurückzugehen. Die Gründe mögen vielfältig gewesen sein. Der jetzige zeitliche Abstand erfordert es auf zwei Rekursebenen abzustellen. Erstens zurückzugehen zu den Wurzeln. Dieser Rückgang wurde in Kapitel 2 durchgeführt, indem in monografischer Absicht Handlungsbiografien der zentralen Personen erstellt wurden, um so Erkenntnisse im Längsschnitt gewinnen zu können. So wurde aufgrund dieses Vorgehens unter anderem die alles bis in die Gegenwart bestimmende Figur Toyoda Sakichi erkannt. Zweitens den Anfang des TPS dort zu suchen, wo er erstmals dargestellt wurde. Hier sind die Schriften von Ohno Taiichi zu nennen, von denen eine sogar ins Deutsche übertragen wurde. In Kapitel 3.3 liegt der Schwerpunkt der Analyse auf Ohnos Darstellung des TPS. Hier im Text wird außerdem durchgehend Anschluss auf sein Werk gesucht. Man vergleiche im Personenregister die entsprechenden Seiten.

8.2

Bisher: Vernachlässigung der OriginalToyota-Literatur

Bedeutung von Toyoda Sakichi und Ohno Taiichi

Das Korrespondenzprinzip und das Lean Management

Die Methodologie, die der Herausarbeitung der leitenden Kategorien zugrundeliegt, wird als Korrespondenzprinzip bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Methode aus den Naturwissenschaften, erstmals in der Physik grundgelegt. Gemeint ist dort die Forderung, dass die neuen Gesetze der Atommechanik mit ihren Begriffen in die der Newtonschen Mechanik für Körper und Vorgänge übergehen müssen. Es muss also ein Ableitungszusammenhang herstellbar und formulierbar sein, eine Weiterführung, kein abrupter Bruch. Damit haben wir es mit einer Methode zu tun, die auch in der Wissenschaftstheorie von großer Bedeutung ist (Reduktionismus). Außerdem veranschaulicht es das Wesen der Beziehung zwischen neuer Erkenntnis und altem

Transparenz: Das Korrespondenzprinzip legt den Ableitungszusammenhang offen und zeigt das Wesen der Beziehung zwischen neuer Erkenntnis und altem Wissen!

331

8 Methodologische Nachbemerkungen

332

Wissen. In der Wissenschaft müssen die alten Kenntnisse gerade als Sprungbrett zu neuen innerhalb ihrer alten Grenzen enthalten bleiben. Erst wenn wir ihre Grenzen überschreiten, betreten wir Neuland. Ist Neues entstanden (Kuhn 1977), als im produktionswirtschaftIst Neues entstanden (Kuhn 1977), als im lichen Sprachgebrauch Begriffe wie Just in Time, Muda, Kanban etc. produktionswirtschaft- aufgetaucht sind und damit ein alternatives Paradigma beschrieben lichen Sprachgebrauch wurde? Ja, in der Tat lässt sich von einem Übergang in neue BegriffsBegriffe wie Just in welten sprechen. Aber der Ersatz des Alten durch das Neue ist kein Time, Muda, Kanban einfacher Austausch. Ohno weist selbst darauf hin, dass er Henry Ford etc. aufgetaucht sind vieles zu verdanken habe. Das Flussprinzip und die Standardisierung und damit ein altersind schließlich keineswegs Erfindungen, die erstmals im TPS entnatives Paradigma deckt und realisiert wurden. An vielen Stellen lässt sich das nachweibeschrieben wurde? sen (vgl. v.a. Kapitel 3.3.1). Insofern gilt – wie Abbildung 8.1 zeigt – zunächst die Korrespondenz zwischen Altem und Neuem: Die sogenannte Frühphase ist geprägt durch ein trial-anderror-Handeln, indem Techniken wie Kaizen, Just in Time und Kanban isoliert von Gesamtzusammenhängen umgesetzt wurden. Viele Fehlversuche waren zu beklagen. Der Eintritt des Lean Managements in eine Phase der Normalität ist nicht durch vorgreifende Entwürfe, wie sie durch das Erscheinen von Abb. 8.1: ParadigmaOhnos Buch zum TPS und die MIT-Studie signalisiert wurde, tische Entwicklung erfolgt. Der Paradigmawechsel hatte sich in der Frühphase des Lean Managenoch nicht vollzogen (Haus- und Tempeldarstellungen). Es ments 

Korrespondenz

Neues Paradigma

Altes Paradigma

Konzept und Begriffe der Massenproduktion (Fordismus seit ca. 1920)

Haus- und Tempeldarstellungen Frühphase des TPS

(seit ca. 1970)

Kategorienorientierte Beschreibung Reifephase II des TPM Kategorienorientierte und Beschreibung Lean Reifephase I Managements des TPS

(seit ca. 2000)

(seit ca. 2012)

t

8.2 Das Korrespondenzprinzip und das Lean Management

gab viel zu viele falsche Starts und die Kritik in Deutschland, die sich an die Ergebnisse des HdA-Projekts aus den 1970er Jahren erinnerte (Stichwort Gruppenarbeit). Und das Wichtigste, es hatte sich noch keine Community formiert. Ohne eine Gemeinschaft, die sich zu dem neuen Paradigma bekennt, es öffentlich vertritt, macht die Rede von einem „Lean Paradigma“ keinen Sinn. Es fehlten also die konstituierenden Bedingungen. Für die wissenschaftliche Gemeinschaft formuliert das Kuhn (1977, 390) wie folgt: „Ein Paradigma ist das, was den Mitgliedern einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, und nur ihnen, gemeinsam ist. Umgekehrt macht der Besitz eines gemeinsamen Paradigmas aus einer Gruppe sonst unverbundener Menschen eine wissenschaftliche Gemeinschaft.“ Diese unabdingbare Voraussetzung war noch nicht gegeben, als versucht wurde das TPS in Haus- und Tempeldarstellungen bildlich in Szene zu setzen (Kapitel 3.4). Erkennbar war die Gemeinschaftsbildung erst durch die hohe Resonanz von Womacks & Jones’ Buch „Lean Thinking“, das im ersten Anlauf noch den Titel „Das perfekte Unternehmen“ trug. Mit Lean Thinking wurden unterscheidende Merkmale kommuniziert, die das neue Paradigma ausmachten. Auf diese fünf Elemente griffen in der Folge Autoren und Praktiker zurück. Perfekt wurde der Trend zur Gemeinschaftsbildung erst als Rother & Shook 1998 ihre Studie „Learning to See“ herausbrachten. Die daran anknüpfende Strömung, die sich um das Begriffsfeld „Wert/Wertstrom/ Wertstromdesign“ drehte, belebte in auffallender Weise die Praxis des Lean Managements. Lean Management-Berater und auch Unternehmen, in denen Lean Management zum state-of-the-art gehört, griffen „Lean Thinking“ mit seinen handlungsleitenden Elementen auf und setzten es um: Mit ganzen Seminarreihen zum neuen Thema Wertstromdesign wurde die Weiterbildungsbranche neu belebt. Jeder Mitarbeiter kann mit dem neuen technischen Wissen in den Stand gesetzt werden im Team Wertströme zu identifizieren und in einem Schaubild als IST-Wertstrom darzustellen. So wurde das Neue zurechtgerückt unter den zwei neuen Perspektiven „Lean Thinking“ und „Wertstromdesign“. Damit stand die Frage nach der Korrespondenz zwischen allgemeiner Kategorie und spezieller Kategorie auf der Ebene des Lean Managements wieder auf der Tagesordnung. Diese Beziehungen der Begriffe zueinander unter einem abstrahierenden Dach, das Offenheit für zukünftige Entwicklungen zulässt, ist in der Tat als „Neuland“ zu werten. Damit können neue Phänomene eingeordnet und zugeordnet werden, wie in Ka-

Ohne eine Gemeinschaft, die sich zu dem neuen Paradigma bekennt, es öffentlich vertritt, macht die Rede von einem „Lean Paradigma“ keinen Sinn. Es fehlten also die konstituierenden Bedingungen.

Mit dem Buch „Lean Thinking“ wurden unterscheidende Merkmale kommuniziert, die das neue Paradigma ausmachten, mit „Learning to See“ sprang das neue Paradigma in die Praxis.

333

8 Methodologische Nachbemerkungen

334

Kategorien allgemein

speziell Toyota Managementsystem

Kosten Qualität

höchste Qualität

Zeit

Just in Time/Kanban

Raum

Produktions- und Qualitätstechniken-Einsatz

Muda (Mira, Muri)

Muda

Wertschöpfung

Wertschöpfungsprozess (Wertstrom)

Arbeit

Mitarbeiter (Mensch + Arbeit) = Humansystem

Organisationskultur

Unternehmenskultur

 Abb. 8.2: Korrespondenz zwischen allgemeinen und speziellen Kategorien des TPM

pitel 3.3 gezeigt werden konnte, indem den Konzepten Kata, Wert, Wertstromdesign ihr Ort im System (in der disziplinären Matrix nach Kuhn) des Lean Managements zugewiesen werden konnte. Abbildung 8.2 zeigt die Korrespondenz zwischen allgemeinen und speziellen Kategorien beispielhaft auf. Um eine Kategorie herauszugreifen: Die Organisationskultur als allgemeine Kategorie manifestiert sich als Unternehmenskultur in einem Unternehmen der privaten Wirtschaft. Gleichzeitig verweist die allgemeine Kategorie der Organisationskultur aber auch auf den Mitarbeiter und das Humansystem. Die allgemeinen Kategorien erweisen sich damit als Bindeglieder zum „Neuen“, dem Lean Management. Umgekehrt lässt sich der Phänomenbereich „Massenproduktion“ auch mit den allgemeinen Kategorien beschreiben. Das ist jedoch nicht unser Thema. Somit ist davon auszugehen, dass die Korrespondenz zum Neuen gegeben ist.

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Literatur

Der Mensch, der Mitarbeiter, ist der Maßstab des Lean Managments. Er steht im Mittelpunkt des Produktionsgeschehens, er ist das wichtigste Unternehmenskapital. Ansätze, die nur auf Kosten- und Gewinnpolitik beruhen und dabei den Menschen außer acht lassen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt, auch wenn dieses Scheitern recht langfristig angelegt sein kann. Der größte Unterschied zwischen dem Lean Management und der herkömmlichen Massenproduktion ist die große Menge an Verantwortung und Entscheidungskompetenz, die der Vorgesetzte an seine Mitarbeiter abtritt, und die daraus resultierende Motivation und Verpflichtung gegenüber seinem jeweiligen Arbeitsplatz.

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10 Anhang

„Trotz der Parallele zur Vergangenheit kommt es heute darauf an, neuartige Pozesse und Faktoren zu analysieren, die die moderne Wirtschaft verändern. Und dazu gehört die Neufassung der Bedeutung von Zeit und Ort für das wirtschaftliche Handeln.“ (Nico Stehr: Wissen und Wirtschaften Frankfurt am Main 2001, 317)

„Verbesserung der Unternehmensqualität durch Verkürzung der Durchlaufzeit um 50 bis 70 Prozent, Erhöhung der Termintreue um 45 bis 60 Prozent innerhalb weniger Monate.“ Hinter solchen Zeitwundern steckt im Kern ein einfaches Prinzip: Anstatt eine Aufgabe zu zerhacken und die Einzelstücke an dafür spezialisierte Abteilungen zu geben, wird ein Team mit der gesamten Aufgabe betraut und soll die möglichst in einem Rutsch durchziehen. In der Produktion führt dieses Prinzip zu „Fertigungsinseln“. Um ein bestimmtes Teil herzustellen, hat man die notwendigen Maschinen zu einer Gruppe zusammengerückt.

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10.1 Selected Sayings of Ohno Taiichi On Teamwork I used to tell production workers one of my favoRespect for Continuous rite stories about a boat People Improvement rowed by eight men. One rower might feel he is stronger than the next and row twice as hard. This extra effort upsets the boat´s process On the Hoarding Instinct and moves it off course. We must no remain an agricultural people. We must become hungers and have the On Standards courage to acquire what we need, when Where there is no standard, there can be we need it, in the amount we need. It goes no kaizen. beyond courage. I want this to become common sense in today‘s industrialized On the Seven Types of Waste society. I don‘t know who came up with it but people often talk about „the seven types of On Kanban waste.“ This might have started when the The aim of kanban is to make troubles book came out, but waste is not limited to come to the surface and link them to kaiseven types. There‘s an old expression: „He zen activity. I tell people, „Let idle people without bad habits has seven,“ meaning play rather than do unnecessary work.“ even if you think there‘s no waste you will find at least seven types. So I came up with On How the Toyota Prodution System overproduction, waiting, etc., but that Came About As a matter of fact, we could say the Toyota doesn‘t mean there are only seven types. Production System came about as a result So don‘t bother thinking about „what type of the sum of, and as the application of, the of waste is this?“ Just get on with it and to behavior by Toyota people to scientifically kaizen. approach matters by asking „Why?“ five On Overproduction times. If you asked me „What is the most important part of production control?“ I would On Standardized Work Standardized work at Toyota is a framesay it is to limit overproduction. If you can work for kaizen improvements. We start get away say it is to limit overproduction. If by adopting some kind-any kind-of work you can get away with staring at the floor standards for a job. Then wie tackle one until the scolding ends whenever „there improvement after anoter, trial and error. parts were made“ then production control is not doing its job at all. If you put „at a lower cost“ first you can make various mis- On Practice over Theory Don‘t look with your eyes, look with your takes such as overproducing or not making feet. Don‘t think with your head, think enough, or getting the timing wrong. There with your hands. is no end to the pursuit of the Toyota System and how to produce at a lower cost.

10.1 Selected Sayings of Ohno Taiichi

On Walking the Gemba It should take you hours to walk 100 meters each time you enter the factory. If it takes you no time at all to walk 100 meters that means no one is relying on you. On Production Lines That Never Stop The production line that never stops is either excellent or terrible. On the Contradictions within Just in Time To common sense thinking it seems that Just in Time is full of contradictions, such as that between Just in Time and cost, or even the squeeze Just in Time puts on suppliers. We must break through this wall of common sense, and go „beyond common sense“ in order to take the two contradictory sides and make them stand up reason. On Understanding the Numbers People who can‘t understand numbers are useless. The gemba where numbers ar not visible is also bad. However, people who only look at the numbers are the worst for all. On Costs Costs do not exist to be calculated. Costs exist to be reduce. On Work Worthy of Humans I think it ruins people when there is no race to get each person to add their good ideas to the work they do within a company. Your improvements make the job

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easier for you, and this gives you time to make further improvements. Unlike in the [Charlie] Chaplin movie where people are treated as parts of a machine, the ability to add your creative ideas and changes to your own work is what makes it possible to do work that is worthy of humans. On Kaizen Kaizen are infinite. Dont´think you have made things better than before and be at ease. As I mentioned earlier, this would be like the student who becommes proud because they bested their master two times out of three in fencing. Once you learn how to pick up the sprouts of kaizen ideas it is important to have the attitude in our daily work that just underneath one kaizen idea is yet another one. On Patience I was young and very eager but I saw that pushing sudden changes over a short calm and proceed deliberately. On Taking His Advice You are a fool if you do just as I say. You are a greater fool if you don‘t do as I say. You should think for yourself and come up with better ideas than mine. ⟣⟣⟣ (Quelle: Taiichi Ohno‘s Workplace Management, Special 100th Birthay Edition. Mc Graw Hill 2013, 175-178. Original jap. 1982)

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10.2 Wortliste ausgewählter relevanter japanischer Fachbegriffe Aus der Vielzahl an Japanismen, die im Buch nicht ausführlicher behandelt werden konnten, denen aber gleichwohl eine gewisse Bedeutung zukommt, seien die folgenden ausgewählt und kurz bestimmt. ◼ chaku-chaku ◼ kigyo kumiai laden-laden (chaku = einsetzen) Betriebsgewerkschaften ◼ gemba ◼ kumi Ort, an dem produziert wird Arbeitsgruppen ◼ genchi Genbutsu ◼ kumicho zur Quelle des Geschehens gehen, um Vorarbeiter Fakten zu recherchieren ◼ kyosei ◼ ginokai Zusammanarbeit zwischen Unternehmen Anlernling, Mitarbeiter und Staat ◼ hancho ◼ mizusumashi Teamleiter Linienversorger (jap. = Taumelkäfer) ◼ hanedasi ◼ monozukuri Einrichtung zum automatischen Herstellen von Dingen Abnehmen von Teilen von der Maschine ◼ muda ◼ heijunka (engl.: production smooting) Verschwendung Gesamtproduktionsvolumen so konstant ◼ mura wie möglich halten Abweichung vom Plan ◼ jishuken ◼ muri autonomer Workshop Überlastung ◼ kaikaku ◼ nagara radikale Verbesserung einer Aktivität Gleichzeitigkeit von Abläufen zur Beseitigung von Muda ◼ nemawashi ◼ kaizen informelle Gespräche im Rahmen eines Kontinuierliche Verbesserung Entscheidungsfindungsprozesses führen ◼ kamishibai (jap. = Herumgehen um eine Pflanze und T-Karte, Mittel zur Unterstützung Ausgraben der Wurzeln zum Verpflanzen) wiederkehrender Aufgaben ◼ ninjutsu ◼ kanban die Kunst, sich unsichtbar zu machen (dtsch: Karte, Schild), Produktions(genauer: sich überflüssig zu machen) lenkungssystem nach dem Pull-Prinzip ◼ Obeya ◼ karakuri Form des Projektmanagements bei Mittel zur Einfachautomatisierung Toyota (jap. = großer Raum) ◼ karoshi ◼ poka yoke Tod durch Überarbeitung Ein System narrensicher machen ◼ keiretsu ◼ ringo seido Unternehmensverbund mit ringförmiger Entscheidungsfindungsprozess in Kapitalverflechtung japanischen Unternehmen und Behörden

10.3 Just in Time or Just on Time of Taiichi Ohno ◼ senso

Lehrer, Mentor, Meister ◼ shikake Stellgrößen in der Produktionsorganisation, die technische und soziale Elemente eng miteinander verbindet ◼ shojinka Mitarbeiter mit hohem Flexibilitätsgrad (jap. = sparsamer Personaleinsatz) ◼ shokucho Vizemeister

◼ shunin

Meister

◼ shusa

Chef

◼ shûkan

Gewöhnung ◼ sushin koyo lebenslange Anstellung ◼ yamazumi Balkendiagramm zur Zykluszeitenanzeige ◼ zaibatsu Holding-Unternehmen im Familienbesitz

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10.3 Just in Time or Just on Time of Ohno Taiichi I have realized this only recently, but apparently the phrase „just in time“ is a created expression and not proper English. Jidoka, as in „automation with a human element“ and „just in Time,“ are two phrases used in the Toyota Production System. I think Toyoda Kiichirō, the first president of Toyota, may have invented this phrase. I have been thinking lately that the took the English words and made them into a Japanese phrase. According to people in English-speaking countries such as America and England, there is no expression „just in time“ in proper English. I heard from one person that „exactly on time“ is proper English. Although they say that „just in time“ is not proper English, I think „just in time“ is a very good expression. The usage of „just in time“ translated into Japanese is „to be just in time.“ It may be the „in time“ that is not proper English. „Timing“ is not the same as „time“ but rather whether the timing is good or bad, as in whether it is on time or not on time, whether it is „in timing,“ although I don‘t know if that is proper English either. The word „just“ was added so that enough to be on time would not be plenty in time. There is an English phrase „just a moment“, which means „please wait a little,“ and this „little“ is not the same „just“ as in „enough“ or „right on.“ Being too early is not good and being late is worse, so being „just in time“ is good. For example, if something is needed in the afternoon, it should be delivered by noon at the latest. Delivering it the day before is too early and not „just“ at all, but off by a whole day. Anyhow, „just in time“ seems like a Japanese-style expression to me. The correct English expression „exactly on time“ implies that you are „on“ time, as when you see „on time“ displayed for airplanes departing on schedule. We used the „just“ from „just a moment“ but when we say „just“ to native English speakers they would say, „Not just, but exactly or precisely on time.“ For example, I understand that foreigners think that Toyota‘s Just in Time means that if we demand delivery at eleven o‘clock then it is delivered right at eleven o‘clock. Even Japanese who English will say, „Toyota‘s Just in Time is not English“ and that „Toyota‘s Just in Time is too

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strict on deliveries. „There is nothing strict about what we do. Whether the delivery is from a supplier or from another Toyota department, if we need it at one o‘clock we require delivery by eleven o‘clock. All we are saying is that delivery by nine o‘clock is too early and that is not „just“. Just a moment“ means „only a little bit,“ so you could not say this if you wanted someone to wait three hours or even five hours or you would make them angry. If they deliver parts by around eleven o‘clock they will start to run of parts but there will still be one or two hours‘ worth of parts available at the line side. It ist best if the delivery arrives before we run out of parts. It is best when the next parts are delivered while there ar still some parts available. So Just in Time should be interpreted to mean that it is a problem when parts are delivered too early. It is very troubling when some people give Toyota a bad reputation by saying that Just in Time is extremely strict, and that the purchasing department will give you grief if you are even five or ten minutes late. In that sense, I am impressed that „just in time“ is a very appropriate phrase whether it is proper English or Japanese-English. Although I have also heard that during the Meijii era there was something called the Yokohama dialect, which was a mishmash of Japanese and English words, I think this „just in time“ is a good Japanese expression made from English words, so if people want to speak proper English and say „on time“ that is up to them. If we were to ask an English and say „on time“ that is up to them. If we were to ask an English language expert what the English equivalent of the Japanese expression „to be just in time for“ is, the answer might be something quite odd. The words „just in time“ are easy for the Japanese to become familiar with and are easy to say. This makes me think that Toyoda Kiichirō was an even greater man than we thought. (Quelle: Taiichi Ohno‘s Workplace Management, Special 100th Birthay Edition. Mc Graw Hill 2013, 55-57. Original jap. 1982)

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10.4 Lean Six Sigma – Missverständnisse und Umsetzungsfallen Die folgenden sieben typischen Missverständnisse und Umsetzungsfallen einer Kombination von Lean Management und Six Sigma sind immer wieder festzustellen. „1 Lean Six Sigma bedeutet vor allem, das Six Sigma-Konzept so zu verschlanken, dass es in jedem Unternehmen schnell und kostengünstig einsetzbar ist. Dies wird nicht funktionieren, denn sowohl bei Lean Management als auch erst recht bei Six Sigma ist ein nicht unerheblicher Ressourcenaufwand bezogen auf Qualifizierung, Personaleinsatz und damit vor allem Zeitaufwand zu veranschlagen. Six Sigma ist auch als Lean Six Sigma in einer schlanken Version eine strategische Investition, die es zu budgetieren gilt, die sich aber über die Projekte relativ schnell amortisiert. Ein Vorlauf-Aufwand ist jedoch unerlässlich. 2 Bei Lean Six Sigma handelt es sich um eine Modeerscheinung und kein nachhaltiges Managementkonzept. Es wird vor allem von einschlägigen Beratungsunternehmen propagiert, ohne einen wirklichen Zusatznutzen zu schaffen. Dies ist nicht vollkommen zutreffend, aber es ist auch nicht völlig falsch. Als realistische Balance lässt sich Folgendes festhalten: Lean Six Sigma transportiert einen grundsätzlichen Nutzen durch Six Sigma Projekte und einen zusätzlichen Nutzen durch die Kombination mit Lean Management und/oder durch eine schlanke Variante von Six Sigma. Wenn diese Konzepte von qualifizierten Beratungs-

10.4 Lean Six Sigma – Missverständnisse und Umsetzungsfallen

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unternehmen angeboten werden, dann kann so fundiertes Expertenwissen, vor allem auch branchenübergreifend abgesichert, preiswürdig genutzt werden. Kombination von Lean Management und Six Sigma: Die Implementierung von Lean Six Sigma erfordert immer die folgende Vorgehensweise: (1) Lean Management, dann (2) Six Sigma. Grundsätzlich ist diese Reihenfolge für Unternehmen empfehlenswert, die bislang über keines der beiden Konzepte verfügen, wie z.B. Xerox vor der Einführung von Lean Six Sigma. In der Unternehmenspraxis kann aber auch die umgekehrte Implementierungsreihenfolge vorgefunden werden, z.B. bei General Electric. Im Allgemeinen ist dies eine Frage des ersten Einführungszeitpunktes eines Konzeptes. Beide Konzept-Reihenfolgen können erfolgreich sein. Dies hängt maßgeblich von der Koordination und dem Nachdruck bei der Umsetzung ab. Lean Management ist immer auf die Reduzierung der Durchlaufzeit und Six Sigma immer auf die Erhöhung des Qualitätsniveaus ausgerichtet. Dies ist vordergründig richtig, beide Konzepte unterstützen jedoch gemeinsam das Ziel, eine praktikable Null-Fehler-Qualität im gesamten Unternehmen zu erreichen. Lean Management setzt dabei primär an der Vermeidung von Ressourcenverschwendung und an der Reduzierung der Durchlaufzeiten an. Eine verbesserte Qualität ist dann eine wesentliche Folgewirkung, aber zunächst kein originär formuliertes Ziel des Konzeptes. Die Reduzierung der Ressourcenverschwendung durch eine Verbesserung der ganzheitlichen Qualität bewirkt zusätzlich auch eine Senkung der Fehlerkosten in den Prozessen. Six Sigma strebt über die Beseitigung von Abweichungen und damit den Abbau von Fehlerkosten primär die Erhöhung der Qualität in Richtung definierter und praktikabler Null-Fehler-Qualität an. Dadurch werden zugleich aber auch Ressourcen geschont, weil Verschwendung vermieden wird und Durchlaufzeiten verkürzt werden. Genau hierdurch schließt sich der Kreis zwischen beiden Konzepten, die aus unterschiedlichen Blickrichtungen und Ansätzen einen weitgehend gleichen Managementverbesserungsprozess mit zum Teil verschiedenen Schwerpunkten in Gang setzen. Das Ziel einer Kombination beider Konzepte sind also schlanke, schnelle und verschwendungsfreie Prozesse, mit denen qualitativ hochwertige – da stark auf den Kundennutzen ausgerichtete – und fehlerarme Produkte oder Dienstleistungen als Wertschöpfungsergebnisse geschaffen werden. Lean Management-Techniken sind durchweg einfach anwendbar und deshalb schnell implementierbar. Im Vergleich zu Six Sigma ist diese Aussage richtig. Jedoch ist zu beachten, dass sich die volle Wirkung der Methoden nur im Zusammenhang mit einem durchgängigen Lean Thinking im gesamten Unternehmen entfaltet. Dies bedeutet, dass alle an der Wertschöpfung beteiligten Akteure diese Philosophie verstanden haben und das hieraus abgeleitete Konzept umsetzen wollen. Dadurch ist jeder Lean Management-Ansatz ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess unter Einbeziehung aller Mitarbeiter des entsprechenden Prozesses respektive Bereiches des Unternehmens mit sich wiederholenden und vertiefenden Verbesserungsschleifen. Fehlt diese „Durchsetzung“ mit dem Lean-Gedankengut in der Organisation, dann hat der Verbesserungsprozess keine Traktion und damit keine Wirkung. Lean Six Sigma bezieht sich in erster Linie auf die Verbesserung von bestehenden Prozessen. Dies ist grundsätzlich richtig. Zusätzlich ist in jedem Unternehmen aber auch die Um-

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setzung einer Lean Six Sigma-Philosophie im F & E-Bereich empfehlenswert. Denn durch die frühzeitige Verschlankung und Optimierung des Produktentstehungsprozesses (PEP) wird ein stärkerer Fokus auf die Ideenfindung, Entwicklung und Umsetzung von Innovationen gelegt und neue Marktchancen können durch Produkte mit einem hohen Kundennutzen, also umfassend realisierten CTQs, in einer verkürzten Time to Market schneller und besser ausgenutzt werden. Wird diese Vorgehensweise durch Design for Six Sigma (DFSS) ergänzt, dann werden genau die vorstehend angesprochenen Aspekte und Forderungen einer hohen und fehlerfreien Kundenorientierung der Prozesse und Produkte realisiert. 7 Wenn man Lean Six Sigma als Integration von Lean Management, Six Sigma und z.T. DFSS versteht, dann ist die Ausbildung von Experten, also zumindest Green Belts, häufiger auch Black Belts, mit sehr hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Darunter leidet am Ende die Wirtschaftlichkeit des Konzeptes. Das Argument des erforderlichen Aufwandes im Vorlauf ist nicht von der Hand zu weisen. Wir haben dies bereits beim 1. Stolperstein bzw. Missverständnis angesprochen. Die meisten Unternehmen starten eine derartige Lean Six Sigma-Initiative heute jedoch nicht als vorlaufende Aktivität mit einer breiten Qualifizierungskampagne. Vielmehr wird ein Ansatz des Learning by doing favorisiert. Dies bedeutet, dass entweder bereits Lean Management oder Six Sigma zumindest in Ansätzen praktiziert wird und dann mit der Kombination in Form der vorgestellten koordinierten oder integrierten Konzeption beider Techniken fortgefahren werden kann. Oder aber Lean Six Sigma wird ohne Vorerfahrung gestartet; dann sollte dies jedoch mit externer Unterstützung beginnen. Dabei empfiehlt es sich, die Reihenfolge – Verschlankung der Prozesse durch Lean-Aktivitäten und Verbesserung des Prozessniveaus durch Six Sigma-Aktivitäten – einzuhalten. Im Zuge der Lean Management-Kampagne und im Rahmen der Six Sigma-Projekte kann dann eine Fokusgruppe von internen Experten durch ergänzende Qualifizierungsmaßnahmen herangebildet werden. Die Verbesserungen durch Prozessverschlankungen und Ergebnisoptimierungen führen zu Einsparungen, welche die entstehenden Qualifizierungskosten um ein Mehrfaches überdecken.“ (Quelle: Töpfer, Armin: 2009b, 62ff)

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10.5 Die zehn Ursachen von menschlichen Fehlhandlungen Beinahe alle Fehler haben ihre Ursache in menschlichen Fehlhandlungen. Die meisten sind auf zehn Ursachen zurückzuführen. 1 Vergeßlichkeit Manchmal vergessen wir Dinge wegen mangelnder Konzentration. Zum Beispiel vergißt der Schrankenwärter die Schranke herunterzulassen. Absicherungen: Frühzeitiges Alarmieren des Schranken-Bedieners oder Checks in regelmäßigen Intervallen. 2 Fehlhandlungen aufgrund von Mißverständnissen Manchmal machen wir Fehler, wenn wir aus Unwissen falsche Schlußfolgerungen ziehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Person, die mit einem Automatikgetriebe nicht vertraut ist und in der Annahme, es sei die Kupplung, auf die Bremse tritt. Absicherungen: Übung, vorzeitige Checks, Standardisierung der Arbeit.

10.5 Die zehn Ursachen von menschlichen Fehlhandlungen

3 Fehlhandlungen beim Identifizieren Manchmal beurteilen wir eine Situation falsch, weil wir zu schnell schauen oder zu weit weg sind, um sie klar zu erkennen. Ein Beispiel ist, wenn wir eine 10€-Banknote für einen 100€-Schein halten. Absicherungen: Übung, Aufmerksamkeit, Wachsamkeit. 4 Fehlhandlungen von Ungeübten Manchmal machen wir Fehler aus Mangel an Erfahrung. Ein neuer Mitarbeiter kennt zum Beispiel den Arbeitsablauf nicht oder ist mit ihm kaum richtig vertraut. Absicherungen: Einarbeitung, Standardisierung der Arbeit. 5 Absichtliche Fehlhandlungen Manchmal treten Fehlhandlungen auf, wenn wir uns entscheiden, unter bestimmten Umständen Regeln nicht zu beachten. Zum Beispiel das Überqueren der Straße bei roter Ampel, wenn momentan kein Fahzeug zu sehen ist. Absicherungen: elementare Erziehung und Erfahrung. 6 Versehentliche Fehler Manchmal sind wir geistig abwesend und machen Fehler, ohne dass wir merken, wie sie auftreten. Jemand ist beispielsweise tief in Gedanken versunken und versucht, ohne die rote Ampel überhaupt zu bemerken, über die Straße zu gehen. Absicherungen: Aufmerksamkeit, Disziplin, Standardisierung der Arbeit. 7 Fehlhandlungen aufgrund von Langsamkeit Manchmal machen wir Fehler, wenn unsere Aktionen aufgrund von langsamen Reaktionen in der Beurteilung verlangsamt sind. Ein Beispiel dafür ist ein Fahrschüler, der zu langsam auf die Bremse tritt. Absicherungen: Training, Standardisierung der Arbeit. 8 Fehlhandlungen wegen fehlender Standards Manche Fehlhandlungen treten wegen nicht vorhandener geeigneter Arbeitsanweisungen oder Arbeitsstandards auf. Ein Beispiel ist die dem Gutdünken eines einzelnen Mitarbeiters überlassene Ausführung einer Messung. Absicherungen: Standardisierung, Arbeitsanweisungen. 9 Fehlhandlungen durch Überraschungseffekte Manchmal treten Fehlhandlungen auf, wenn Maschinen anders als erwartet laufen. Beispiel ist eine ohne Vorwarnung falsch funktionierende Maschine. Absicherungen: Vorbeugende Wartung durch Mitarbeiter, Standardisierung der Arbeit. 10 Vorsätzliche Fehlhandlungen Manche Leute machen vorsätzlich Fehler. Beispiele sind Verbrechen und Sabotage. Absicherungen: Fundamentale Erziehung, Disziplin. Quelle: Hiroyuki Hirano: Poka-Yoke. 240 Tips für Null-Fehler Programme. Landsberg (mi) 1992, 30-31)

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10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich Es gehört auch heute noch zur üblichen Praxis in den Unternehmen, sich bei der Einführung von Lean Management nach geeigneten japanischen Beratern umzusehen. Ihnen traut man es wohl am ehesten zu, „Das Neue“ nachhaltig zu implementieren. Selten findet man Dokumente, in denen ein japanischer Berater seine Tätigkeit und seine Erfahrungen reflektiert darstellt. Im folgenden Textauszug wird noch der Begriff JIT für Lean Production benutzt. Der Begriff Lean Production hatte damals, im Jahr 1987, noch nicht die Öffentlichkeit erreicht. Auch dieses Dokument ist ein Beweis dafür, dass sich das Management der außerjapanischen Autoindustrie einige Kenntnisse vom Toyota Produktionssystem schon vor Erscheinen der MIT-Studie angeeignet haben muss. Die MIT-Studie war für Insider kein Paukenschlag. Der japanische Berater dokumentiert sehr deutlich, dass die kulturellen Zusammenhänge, die sich in den Arbeitstraditionen niederschlagen, wo sie verhaltenswirksam geworden sind, aber auch das Wertsystem und die Einstellungen geprägt haben, der zentrale Hemmschuh sind, anderen Arbeitstechniken den Vorzug zu geben. Man könnte zu der Ansicht gelangen, dass hier übertrieben wurde oder der Berichter auf eine besonders resistente Gruppe gestoßen ist. Keines von beidem ist der Fall. Der Fall ist es aber auch, dass es am Vorbildhandeln des Managements in jeder Hinsicht fehlte. Das Management hat den japanischen Berater einfach so „wurschteln lassen“. Eine Erkenntnis, die im Umsetzungskapitel 10.5 besonders betont wird. „Uemos ‚Briefe aus Frankreich‘ (Erster Teil): Die Französische Revolution 6. April 1987. Wir haben schönes Wetter in Paris. Bald werde ich mit der Beratung einer französischen Herstellfirma beginnen. Das Thema heißt Just-in-Time-Fertigung. JIT ist ein Produktionssystem, das insgesamt sogar in Japan nur von wenigen Betrieben praktiziert wird. Ich bin neugierig, welche Fortschritte Unternehmen in Ländern mit so verschiedener Kultur und so verschiedenen Gebräuchen auf diesem Gebiet erreichen können, speziell in Frankreich, wo man so überaus stolz auf seine fortschrittliche Gesinnung ist. Ich bin erstaunt, daß hier alles so anders ist, ich beobachte und halte alles fest. Wir Berater waren ziemlich überzeugt, daß es hier schwieriger als in Japan sein würde, vorwärts zu kommen. Abgesehen von den Unterschieden in der Kultur und in den Gebräuchen ist es unabdingbar, daß Verbesserung (Kaizen) bei

den 5 S beginnt. Daher erläuterten wir den Leuten hier die „cinq-S“. In Japan wäre das sehr schnell gegangen. Wir hätten nur sagen müssen ‚Die 5 S heißen Seiri, Seiton, Seiketsu, Seiso und Shitsuke‘ – zweckmäßige Anordnung, Ordnung, Sauberkeit, Aufräumen und Disziplin. Dann hätte man die Konzepte nur mehr in der Fabrik umsetzen müssen. In Frankreich mußten wir jedoch erst erklären, was wir unter zweckmäßiger Anordnung verstehen. Viele Dinge werden in der Werkshalle nicht gebraucht und behindern die Produktion. Daher müssen alle überflüssigen Gegenstände aus der Fabrik erntfernt werden. Das ist ‚zweckmäßige Anordnung‘. Nach unserer Erklärung bekamen wir zu hören ‚Nicht gebrauchte Gegenstände? In unserer Werkshalle gibt es nichts Überflüssiges‘. Wir mußten also erklären, was wir unter ‚in der Fabrik nicht benötigten Dingen‘ verstehen; dann mußten wir darauf hinweisen, welche Auswirkung eine ‚zweckmäßige Anordnung‘ auf Produktivität und Kosten hat.

10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich

Und wir mußten das erklären. Und dann noch einmal. Schließlich kam es zu folgender Diskussion: ‚Bon, messieurs, meinten Sie, beginnen wir mit Seiri. Übrigens, wir beauftragen damit eine Fremdfirma; nennen Sie uns bitte einen Fertigstellungstermin.‘ ‚Eine Fremdfirma? Warum machen Sie das nicht selbst?‘ ‚Warum sollten wir? Wir sind doch keine Hausmeister!‘ ‚Natürlich sind Sie keine Hausmeister, aber da dies Ihre Fabrik ist, wäre es sinnvoll, wenn Sie es selbst tun würden.‘ ‚Aber wir müssen doch arbeiten – nein, dafür haben wir keine Zeit.‘ ‚Keine Zeit dafür? Und Sie sind Mitglied des Projektteams?‘ So etwas geschah nicht einmal, sondern noch zehntausendmal. In einem Land mit so ausgeprägtem Individualismus, wo Stellenbeschreibungen mit größter Präzision formuliert sind, können viele Dinge einfach nicht kommuniziert werden, selbst wenn die Leute aus der Werkshalle einen nahezu japanischen Idealismus haben. Auch Slogans wie ‚Versuchen wir es, dann werden wir sehen‘ sagen ihnen nichts. Im allgemeinen wird so gearbeitet, daß man Ergebnisse im voraus berechnet und erst mit der Durchführung beginnt, nachdem die zuständigen Abteilungen grünes Licht gegeben haben. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht es den Mitarbeitern, sich der persönlichen Verantwortung zu entziehen. Konzepte wie ‚Tu es sofort. Wenn es klappt, mach so weiter – wenn nicht, hör damit auf ‘ und ‚Eine sechzigprozentige Lösung scheint bei Renault im Beurteilungssystem und im Abteilungsdenken zu liegen‘. Einige mögen den Grund dafür im Nationalcharakter suchen, ich schließe mich dieser Meinung aber nicht an. Einige Mitglieder des Projetteams verstanden die JIT-Konzepte recht gut. Ich persön-

lich denke, das Problem liegt im mangelnden Mitarbeitertraining. Einige Leute aus dem Projektteam sagten, wenn sie genau da umsetzen, was wir von ihnen verlangten, würde es einen größeren Aufruhr erzeugen als die Französische Revolution. Frankreich gilt als ein Land, in dem die persönliche Freiheit über alles geschätzt wird. ‚Persönliche Freiheit‘ – wie schön das klingt. Aber genau das ist das Übel. Wenn man eine französische Fabrikhalle betritt, ist man zunächst einmal überwältigt von den hohen Umlaufbeständen. Man kann nicht einmal sehen, wie lang die Produktionslinien sind. Das sind die ersten Eindrücke, die sich jedem Japaner aufdrängen, der mit Fertigung zu tun hat. Der Grund dafür liegt zum großen Teil in der Einstellung der Franzosen zur persönlichen Freiheit. In diesem Betrieb hat jeder in seiner Arbeit auch seine ‚Freiheit‘ – vom alten Araber, der saubermacht (aus irgendwelchen Gründen besteht die Putzkolonne nur aus Arbabern) bis hin zum Präsidenten des Unternehmens. Aber welche Art von Freiheit streben sie an? Es scheint, sie wollen die Freiheit, möglichst wenig zu arbeiten, oder nur dann zu arbeiten, wann sie wollen, ohne auf die Bedürfnisse anderer Rücksicht zu nehmen. Freiberufler wie z. B. Designer können selbst bestimmen, an welchen Tagen und zu welcher Zeit sie arbeiten wollen. In Frankreich gilt dies aber zumindest teilweise auch für koordinierte Fertigungsprozesse. Und solange die Arbeiter in der Fabrik nur ihre festgelegte Stückzahl erreichen, bleibt es ihnen überlassen, wann sie die Teile fertigen. Hier gibt es währen der Arbeit noch ‚Sonderzeiten‘. In diesem Betrieb machen die freie Zeit und die Sonderzeiten zusammen nicht weniger als 50 Prozent der Arbeitszeit aus.

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Wie wird diese Zeit genützt? Wenn man Beginn und Ende der Arbeitszeit festlegt, bringen Mitarbeiter nicht die Flexibillität auf, ihre Arbeit hinter sich zu bringen und dann nach Hause zu gehen. Statt dessen nutzen sie ihre ‚Extrazeit‘ für Kaffeepausen, Rauchpausen und Lesepausen. Wenn eine Maschine in einer Produktionslinie aus irgendwelchen Gründen im Moment nicht bestückt werden kann, hört der Mitarbeiter im nachgelagerten Prozeß sofort zu arbeiten auf und raucht eine Zigarette. Dasselbe gilt auch für den Arbeiter, der den nachgelagerten Prozeß mit Teilen zugestellt hat. Man hat den Eindruck, je größer die Bestände in den vor- und nachgelagerten Prozessen sind, desto öfter kann genüßlich Kaffee getrunken werden. Die Gewerkschaften halten diese ‚Freizeit‘ hoch, und eine Kürzung würde vermutlich zu einem Streik führen. Weil die Betriebe nicht in der Lage sind, solche potentiellen Streikgründe auszuräumen, sind ihre Kosten dreimal höher als die vergleichbarer japanischer Unternehmen. Es dauert sehr lange, die Arbeitskultur eines Betriebes zu ändern, wenn sich diese über Jahrzehnte entwickelt hat. Fällt die Zeit für einen solchen Wandel mit einer Rezessionsphase zusammen, kann dies leicht zum Ruin führen. Wenn ich durch Paris gehe und sehe, daß sich an den Häuserreihen seit Napoleons Zeiten kaum etwas verändert hat, wird mir plötzlich bewußt, wie schnell sich in Japan alles ändert. Die Fertigungsindustrie ist zwar gegenüber Japan noch immer im Rückstand, aber die Franzosen wissen, daß sie wieder eine Revolution brauchen und vor einer großen Wende stehen. Die meisten Arbeiter sind sich jedoch kaum der Gefahr bewußt, in der sie sich derzeit befinden. Ob das Volk, das die Französische Revolution ausgelöst hat, auch die notwendige ‚Revolution der Fabrik‘ her-

beiführen kaum, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. Die erste Verbesserung Ueno erhielt von Renault zunächst den Auftrag, in zwei großen Fabriken am Rande von Paris im Werk von Couronne nahe der Normandie zu arbeiten. In allen drei Fabriken werden Motoren und Getriebe hergestellt. Ueno hatte diese Betriebe schon vorher besucht und war über die Länge der dortigen Fertigungslinien schockiert gewesen. Er wußte nicht, wo er beginnen sollte – die Motormontage, eine starre Linie mit Hängeförderern, war nicht weniger als 1,8 Kilometer lang. Er wollte die Linie zwar in kleinere Zellen aufteilen, aber es gelang ihm nicht. ‚Sehen Sie sich einmal alle diese Linie an. Sie können sie nicht auf einmal überblicken, oder? Wenn Sie aber mehrere Arbeitsschritte an einem Ort zusammenlegen, fördert das die Übersicht – und Verbesserungen gehen leichter vonstatten.‘ Ueno begann damit, die unteilbare Produktionslinie zu verkürzen. Da es nicht möglich war, die 1,8 Kilometer lange Linie physisch kürzer zu machen, verkleinerte Ueno die Nacharbeitsbereiche und räumte nicht benötigte Reinigungsmaschinen weg. (Auf die Frage, wofür diese Anlagen gebraucht würden, bekam er zur Antwort, die Produkte seien am Ende der Linie schmutzig und müßten deshalb gereinigt werden.) Innerhalb des Prozesses faßte er verschiedene Bearbeitungsgänge zu Gruppen zusammen. Ueno war tatsächlich gescheitert. In Japan begann nun die Umsetzung von JIT mit den 5 S. Natürlich macht auch Ueno bei Renault den Anfang mit zweckmäßiger Anordnung, Ordnung usw. – aber das löste überhaupt keine Reaktionen aus. Es dauerte einige Zeit, bis ihm klar wurde, daß die 5 S für einen französischen Autohersteller zu kompliziert sind.

10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich

Der Grund dafür lag darin, daß die Mitarbeiter die Bedeutung der 5 S zwar verstanden hatten, aber keinerlei Notwendigkeit zu deren Umsetzung sahen. Die Arbeit sollte durch Verkleinerung der Stationen und verbesserten Zugriff auf Bauteile und Werkzeuge für die einzelnen Mitarbeiter leichter werden. Wenn ein Arbeiter beispielsweise Werkzeuge aufzunehmen und wieder abzusetzen hat und diese vor jedem Arbeitstakt erst suchen muß, hat er es nicht gerade einfach. Erst wenn die Arbeiter in der Fabrik selbst über den nächsten Arbeitsschritt nachzudenken beginnen, können sie verstehen, warum die 5 S notwendig sind. Das ist auch der Grund, daß in dieser Fabrik erst ein Jahr später, nachdem einige kleine Verbesserungen gelungen waren, mit der Einführung der 5 S begonnen wurde. Uenos ‚Briefe aus Frankreich‘ (Zweiter Teil): Das JIT Produktionssystem Bei der Einführung von JIT müssen wir Berater erst einmal sicherstellen, daß Bestandssenkung und Kürzung der Durchlaufzeit in ihrer Bedeutung und Wichtigkeit im Betrieb auch verstanden werden. Die Leute hier begreifen nicht, was Durchlaufzeit bedeutet. Aus ihrer Sicht brauchen sie das auch nicht zu wissen, weil es keinen Einfluß auf die Kriterien zur Bewertung des Betriebes hat. Jede Fabrik und jeder Arbeitsschritt werden danach beurteilt, wieviele Einheiten oder Teile täglich produziert werden. Die Frage, wieviele Stunden oder Tage man für die Herstellung der Einheiten oder Teile eigentlich braucht, ist für untere Führungskräfte und Mitarbeiter ohne Bedeutung. Aus diesem Grund umgibt jeden Arbeiter ein Berg von Beständen. Dazu kommt noch, daß sich aus Angst vor Maschinenausfällen auch noch links und rechts entlang der automatischen Prozesse Bestände an Bauteilen häufen.

Ich bin überzeugt, daß die europäische Automobilindustrie, die noch vor etwa fünfzehn Jahren so weit vor der japanischen gelegen hat, vor allem wegen des großen Unterschiedes zwischen der europäischen und der japanischen Fertigungsphilosophie einen so großen Marktanteil an Japan verloren hat. Natürlich müssen dabei auch noch andere Faktoren wie der Unterschied zwischen europäischen und japanischen Gewerkschaften berücksichtigt werden, aber sie allein können nicht für eine so große Differenz verantwortlich sein. Wenn ich die Fertigungstechnologien miteinander vergleiche, dann sehe ich keinen großen Unterschied zwischen Europa und Japan. Geht es aber um die Art der Bearbeitung selbst, dann tut sich eine große Lücke auf. Zur Ausführung der gleichen Arbeit benötigen viele Linien in dieser Fabrik die sechs- bis siebenfache Länge japanischer Linien. Braucht man zum Beispiel in Japan zur Herstellung einer bestimmten Stückzahl eine Linie von 50 Metern Länge, würde in dieser Fabrik der gleiche Arbeitsumfang über eine 350 Meter lange Linie geschoben werden. Was aber geschieht auf diesen zusätzlichen 300 Metern? Die Teile werden hin und her geschoben, aufgenommen und wieder abgesetzt, und sie werden durch diese und anderen Operationen zerkratzt und verbeult. Zwar haben wir uns die Verkürzung der Produktionslinien und die Beseitigung der Bestände als unmittelbares Ziel gesetzt, aber es ist uns nicht gelungen, die Mitarbeiter auf einen Termin festzulegen. Obwohl nach wie vor viele Probleme, zum Beispiel mit der Gewerkschaft, ungelöst sind, gibt es doch einige Anzeichen dafür, daß es vorwärts geht. Trotzdem wird es wohl noch einige Zeit dauern, bevor ich für meine Familie ein französisches Auto kaufen werde.

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366 Eine klassenbewußte Gesellschaft

Die Renault AG gehört mit ihren nahezu 80 000 Beschäftigten zur verstaatlichten französischen Industrie. Ueno meinte: „Vielleicht liegt es an Renault, aber auch anderswo fällt es sehr schwer, JIT umzusetzen.“ Zum einen gibt es organisatiorische Probleme. Yoshimatsus Bemerkung, in Frankreich gingen die für JIT verantwortlichen Leute nicht in die Werkshalle hinaus, entspricht nicht ganz der Wahrheit – tatsächlich können sie nämlich gar nicht in die Fabrik gehen. Denn über den Arbeitern stehen in den Fabriken die Abteilungsleiter und Gruppenleiter. Diese haben sich zur Führungskraft hochgedient, der höchsten Stufe, die man als Arbeiter im Unternehmen erreichen kann, egal, wie hart man arbeitet. Absolventen technischer Eliteuniversitäten jedoch beginnen gleich bei ihrem Eintritt ins Unternehmen als Abteilungsleiter und werden nach ein, zwei Jahren befördert. Mit so wenig Betriebserfahrung versuchen sie erst gar nicht, die Vorgänge im Werk zu verstehen. So entsteht – abhängig vom Ausbildungshintergrund der Mitarbeiter – eine vertikale Organisation. Gleichzeitig wird auch horizontal nach Zugehörigkeit zur jeweiligen Hauptabteilung differenziert. In der Hauptabteilung Produktion gibt es bei Renault die vier voneinander unabhängigen Abteilungen Einkauf, Qualitätskontrolle, Fertigung und Planung. Jede Abteilung sieht JIT unter ihrem eigenen Blickwinkel, und laut Ueno unterhält jede auch ihr eigenes, unabhängiges Büro zur Förderung von JIT. Ueno arbeitete in der Hauptabteilung Produktionsdatenverarbeitung – einem Riesenbereich mit 700 Mitarbeitern, der übergeordnet für Produktionssteuerung verantwortlich ist (übrigens heißt es, daß von den bei Renault beschäftigten 80 000 Mitarbeitern 4 000 Manager sind).

Glücklicherweise ist der Chef der Datenverarbeitung ein Mann, der auf fortschrittliche Ideen setzt; seine persönliche Initiative und sein hartnäckiges Eintreten für JIT haben Früchte getragen. Hiranos „Briefe aus Frankreich“: Der U-förmige Berg von Beständen ‚Monsieur 'Irano, wir haben die U-förmige Linie ihrem Wunsch entsprechend aufgebaut, wenn Sie vielleicht einen Blick darauf werfen könnten?‘ Da stand ich nun in einem französischen Autowerk, während der Leiter diese Produktionsabteilung sich stolz in die Brust warf. Ein Jahr voll harter Arbeit und voller Mißgeschicke war vergangen. Jetzt berichten sie mir, daß sie U-förmige Linien eingerichtet hätten. Sehr beeindruckend – wenn man bedenkt, daß man in Frankreich ist und daß das Untenehmen so groß ist. In diesem Jahr hat sich so einiges ereignet. Allein das Kommunizieren der Konzepte von JIT war schon schwierig. Wir wußten nicht so recht, wie wir Begriffe wie Kanban, Andon und Poka-yoke erklären sollten, ganz zu schweigen von Sarashikubi (Kopf des Delinquenten am Pranger); es hätte uns nicht allzusehr verwundert, wenn sie auch unsere Köpfe gerne an den Pranger gestellt hätten. Es heißt zwar, daß viele Japaner nach Paris kommen, aber ich war sicherlich der einzige, dessen Kopf vor dem Hintergrund der Seine am Pranger stand. Mir fiel es sehr schwer, mich hier verständlich zu machen, und ich war mehrmals nahe daran, das Handtuch zu werden und mir zu sagen: „Vergiß es, und fahr nach Hause.“ Jedesmal, wenn ich soweit war, kamen die Franzosen aus der Abteilung zu mir und beruhigten mich, indem sie sagten ‚Monsieur 'Irano, bitte haben Sie noch ein bißchen Ge-

10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich

duld mit uns.‘ Jetzt wo ich sehe, daß sie trotz alledem nach nur einem Jahr schon bei den U-förmigen Linien angelangt sind, bin ich fast zu Tränen gerührt. Während mich der Abteilungsleiter entlangführt, erzählt er mir von ihren Mühen beim Aufbau der U-Linie und was sie alles getan hätten. Ich folgte ihm nickend und sagte immer wieder ‚Im Ernst?‘, ‚Großartig!‘ und ‚Hervorragend!‘. In meinem Herzen machte sich ein Gefühl tiefer Befriedigung breit. ‚Monsieur 'Irano, hier ist sie!‘ sagte er zuversichtlich und deutete mit einer weit ausholenden Bewegung seiner Rechten auf die Arbeitsbereiche. ‚Wo?‘ fragte ich leicht nickend. ‚Wo ist die U-Linie?‘ Ich konnte die U-Linie, auf die er so stolz war, einfach nicht sehen. Während ich meinen Blick weiter schweifen ließ, sagte der Abteilungsleiter mit immer noch gestrecktem Arm ‚Hier ist sie!‘ Er war stolz und aufgeregt zugleich. Erst wußte ich nicht, wovon er redete. Der Bereich, auf den er deutete, war ein Bilderbuchbeispiel einer französischen Massenfertigungslinie. ‚Das ist ja schön und gut, aber Ihre Massenfertigung habe ich doch schon gesehen. Zeigen Sie mir bitte Ihre U-Linie‘, sagte ich ohne Absicht, ihn zu beleidigen. ‚Aber Monsieur 'Irano, das ist die U-Linie, die Frucht aller unserer Anstrengungen!‘ ‚Was????‘ Für mich war es ein Schock, und für einen Augenblick drehte sich alles um mich herum. ‚I–iist etwas nicht in Ordnung?‘ Bei genauerem Betrachten der Massenfertigungslinie dämmerte es mir, daß sie einfach die Berge von Beständen U-förmig aneinandergereiht hatten. ‚Ein Turm, zwei Türme, drei Türme…‘ Beim Zählen der Lose verstand ich plötzlich, was der Abteilungsleiter sagen wollte. Sie hatten tatsächlich ihre lange, gerade Linie für

Massenfertigung in eine U-förmige Losfertigungslinie umgebaut. Zwischen den Arbeitsgängen jedoch gab es immer noch Berge von Beständen. Es war einfach zu lächerlich. Mir fehlten die Worte. Er beobachtete mich lächelnd und erwartete Lob von mir. Obwohl ich aus Frustration hätte schreien können, erinnerte ich mich, daß ich nicht in Japan bin, sondern in Frankreich. Frankreich! In Frankreich sind Bestände eben wichtig. ‚Beim Weinbau ist es doch genau so. Wenn der Wein zu kurze Zeit gelagert wird, kann er seine Blume nicht entfallen‘, raunte ich mir selbst zu. Ich zwang mich zu einem Lächeln, merkte aber, daß meine Miene etwas angespannt war. ‚Ich sehe zwar, daß die Linie ein U bildet. Da sie jedoch keine Fließlinie ist stapeln sich die Teile zwischen den Bearbeitungsschritten.‘ Meine Ruhe erreichte ein in Japan unvorstellbares Maß. ‚Monsieur 'Irano, wir können diese Bestände nicht beseitigen. Dann wäre es nämlich mit der Freiheit der Mitarbeiter vorbei.‘ Frankreich – ein Land von verblüffender Freiheit. Ich wußte nicht, daß ‚Bestände‘ und ‚Freiheit‘ so nah beieinander liegen. Ich drehte mich zu ihm und fragte: ‚Was ist das für eine Freiheit, von der Sie da reden!‘ Er hob seine linke Hand und begann an den Fingern abzuzählen: ‚Erstens die Freiheit, auf die Toilette zu gehen. Zweitens die Freiheit, Rauchpausen abzuhalten. Drittens die Freiheit, Kaffeepausen zu machen. Viertens die Freiheit, überhaupt Pausen einzulegen. Fünftens…‘ Naja, gut. Sollen sie doch tun, was ihnen gefällt. Sie können ihre ‚Freiheiten‘ aufzählen, solange sie wollen – sie müssen ja damit leben. Es scheint, daß diese Fabrik vom Wein der Freiheit betrunken ist.

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368 Streiks

Zu dieser Zeit wurden die eindeutig überflüssigen automatischen Transportkarren aus dem Getriebewerk entfernt. Beim Versuch, außerhalb der Linie aufgestellte Anlagen in diese zu integrieren, weil sie dort gebraucht wurden, brach ein Streik aus. Ein anderes Mal machte Ueno beim Anblick von sechs planlos arbeitenden Leuten den Vorschlag, diese doch alle in einer Uförmigen Fließlinie arbeiten zu lassen. Nach erfolgter Umsetzung stellte der Stab fest. daß die Arbeit auch von fünf Mitarbeitern getan werden konnte – daher versetzte man einen Arbeiter. Dies hatte einen eintägigen Streik zur Folge. Obwohl es von Fabrik zu Fabrik Unterschiede gibt, kann man ohne Übertreibung behaupten, daß Streiks etwas Alltägliches sind. Als Protest gegen Rationalisierung wurde im Februar 1988 ein sechswöchiger Streik ausgerufen. Es wird auch gestreikt, weil die Duschräume nicht sauber sind oder weil die Arbeitskleidung schmutzig wird. Ueno bemerkte seufzend: ‚Es kommt sogar zum Streik, wenn man zwei Arbeiter bittet, ihre Arbeitsplätze um zwanzig Zentimeter näher zusammenzurücken, damit die Produktionslinie verkürzt werden kann.‘ Aus diesem Grund müssen wir den Stil unserer Beratung im Unternehmen ändern. Bei Renault beginnt alles mit Gruppenbildung. Kein Berater kann dort einfach ins Werk hinausgehen und sagen ‚Bitte machen Sie dies oder jenes‘. Es wäre viel leichter, etwas zu verändern, wenn wir Berater die JIT-Konzepte im Werk einfach vorzeigen könnten; statt dessen bleibt uns jedoch nichts anderes übrig, als die Vertreter der jeweiligen Bereiche zu instruieren. Die meisten von ihnen sind Abteilungs- oder Gruppenleiter – und nur sehr wenige sind Arbeiter.

‚Da alles über die Vorgesetzten läuft, können unsere Instruktionen nur indirekt erfolgen. Wenn ich versuche, etwas direkt umzusetzen, stürzt sich jemand aus der Organisation auf mich, bevor ich mit den Mitarbeitern überhaupt Kontakt aufnehmen kann.‘ Wenn man als Japaner durch das Werk geht, lassen die Zurufe und höhnischen Bemerkungen der Leute darauf schließen, daß sie uns als Auslöser ihrer Rationalisierungsprobleme sehen und man sich deshalb hier nicht ganz sicher fühlen kann. ‚Als Einzelpersonen arbeiten diese Leute zwar sehr gewissenhaft, aber es scheint, daß sie zur Gewalttätigkeit neigen, sobald sie sich organisieren. Da wir in der Fabrik zurückhaltend sein müssen, nutzen wir die Mittagszeit, in der die Halle leer ist, um unsere Runden zu drehen. Zeitweise können wir überhaupt nicht arbeiten.‘ Mit hoffnungsloser Miene meinte Ueno, der Grund für diese Situation liege darin, daß es im Unternehmen schon vor der Umsetzung von JIT einfach zu viele Probleme gegeben habe. Uenos „Briefe aus Frankreich“ (Dritter Teil): Oh, Résistance! Wenn jemand versucht, bestehende Denkund Verhaltensweisen zu verändern, stößt er auf Widerstand – das gilt für Japan genauso wie für Europa. Viele Fabriksarbeiter halten ihre Arbeitsweise für richtig, einfach weil sie sich an diese seit dreißig Jahren gewöhnt haben. Die ganze Welt unterliegt jedoch einem stetigen Wandel, und deshalb kommt es kaum vor, daß heute noch Produkte mit dreißig Jahre alten Methoden und Spezifikationen hergestellt werden können. Viele Betriebe, die sich an die Vergangenheit klammerten, gibt es nicht mehr. Man kann durchaus feststellen, daß das Überleben

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eines Unternehmens davon abhängt, ob es sich der Strömung des allgemeinen Wandels anpassen kann. Das ist natürlich viel leichter gesagt als getan. Veränderung ist immer schmerzhaft, egal ob es sich um einen Betrieb oder um ein Individuum handelt. Zweifellos ist die Zahl der Leute, die sich gegen eine Veränderung stellen, immer höher als die der Befürworter. Deshalb sind vielen änderungswilligen Menschen die Hände gebunden. Dies gilt auch für die Beschäftigten in den Betrieben und ganz besonders in Fabriken, in denen man alte Technologie und Traditionen hochhält. Darüber hinaus ist der Individualismus in Europa viel stärker ausgeprägt als in Japan. Bei vielen Gelegenheiten stößt man auf den Respekt vor persönlicher Lebensart. Nicht einmal in der Werkshalle fühlt man sich dem Gruppendruck ausgesetzt – individuelle Denkweisen, Arbeitsweisen und Methoden werden respektiert. Viele Leute sagen ‚Die Welt mag sich zwar ändern, aber ich bleibe, wie ich bin, also quäl mich nicht damit, daß ich etwas anders machen soll‘. Dazu kommt noch, daß der Widerstand in Frankreich eine lange Tradition hat. Während des Zweiten Weltkrieges gab es in diesem Land eine sehr aktive Bewegung namens Résistance, die der deutschen Armee ganz schön zusetzte. Diese Geisteshaltung ist nicht bezwingbar und ganz besonders in den Betrieben zu spüren. Ich bin im Lehrsaal einer Fabrik, und etwa dreißig Arbeiter sitzen hier. Sie sind Maschinenführer und Instandhalter. Ich soll ein JITSeminar halten. Sie schauen mich an, und Mißtrauen trübt ihren Blick. Ihre Mienen sagen mir: ‚Herr 'Irano, diese Diskussion über Kanban kennen wir schon!‘ Ich begann mit meinem Vortrag und kam zum Thema Fließfertigung. Ich erklärte deren Konzepte und die Durchlaufzeit. Die Augen der Teilnehmer wurden immer glasiger. Je-

mand fragte mich nach dem Zusammenhang zwischen Durchlaufzeit und Stückzahl an fertigen Produkten. Natürlich gibt es da keine Beziehung, aber er war der Meinung, die Kürzung der Durchlaufzeit diene lediglich der Erhöhung des Volumens. Ich versuchte ihm den Sachverhalt verständlich zu machen, indem ich die Geschwindigkeit eines Autos auf der Straße als Beispiel brachte. Keine Reaktion. Darauf versuchte ich es mit anderen Beispielen. Ich konnte ihn einfach nicht von der Losgrößenfertigung abbringen. Nach einer langen Diskussion stellte sich heraus, daß er Fließfertigung einfach nicht mochte. Er drehte seinen Tisch zum Fenster und starrte bis zum Ende des Seminars in die Landschaft. Das Projekt lief im April an. Zum neunköpfigen Projektteam gehörten fünf Mitarbeiter aus der Produktion, ein Planer sowie drei Leute aus der Fertigungssteuerung. Ziel des Projektes war der Aufbau einer Linie für ein neues Produkt. Da ein ähnliches Produkt in der Fabrik schon hergestellt wurde, war geplant, die bereits existierende Linie zu modifizieren und dabei die bereits gemachten Erfahrungen einfließen zu lassen. Im Laufe der Diskussion schien es, als ob der Vertreter der Planung für die Einrichtung einer U-förmigen Linie eintreten würde. Der Abteilungsleiter der Produktion sagt, die Mitarbeiter dieses Bereiches seien flexibel und könnten sofort in einer U-förmigen Linie arbeiten. Das Stimmungsbarometer stand auf ‚Versuchen wir es doch‘, und das Projektteam konnte den Chefplaner dazu gewinnen, einen Plan der U-förmigen Linie zu erstellen. Mit französischer Akribie zeichnete er Strich für Strich, und am Ende kam eine feine U-förmige heraus. Es stimmt der Form nach war sie wirklich ein U. Und sie wurde auch nach diesem Plan aufgebaut. Die Linie umfaßte sechs

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Prozesse, zu deren Ausführung drei Mitarbeiter eingesetzt wurden, und das ist schlecht. Gut wäre es, wenn ein Arbeiter alle sechs Prozesse abarbeiten würde. Nach diesem Plan bearbeitet jedoch jeder einzelne nach Belieben dreißig halbfertige Teile. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, daß auf dem Plan zwischen den Prozessen Kreuze eingezeichnet waren. Als ich den Planer fragte, was diese zu bedeuten hätten, blickte er mich befremdet an und sagte, diese Stellen seien zum Abstapeln von Teilen vorgesehen. Sie haben also die Philosophie von JIT noch immer nicht verstanden, grübelte ich. Ich hielt ein Seminar für die Mitarbeiter an der U-förmigen Linie, und nach langer Diskussion wurde das Projekt neu angegangen. Es war August, als der zweite Satz der Zeichnungen fertig wurde. Trotz meiner Verzweiflung wußte ich, daß ich weiterhin Seminare halten würde – und daß sie den Plan ein drittes Mal zeichnen würden… In einer belgischen Fabrik versuchten wir das Umrüsten der Maschinen zu optimieren. In vielen Werken bekommen es die Arbeiter mit der Angst zu tun, wenn sie an Mehrprozeßbedienung, an die Einrichtung U-förmiger Linien und an andere Dinge denken, die sich auf ihre Stellenbeschreibung, auf ihre Qualifikation oder auf wirtschaftlicheres Arbeiten auswirken. Selbst wenn ihre Mitarbeiter streiken, sind solche Fabriken an der Verbesserung von Umrüsttätigkeiten immer interessiert. Es war uns gelungen, die Zeit für das Umrüsten von ursprünglich 90 Minuten auf ganze vier zu reduzieren. Erstaunlicherweise tauchten in Zusammenhang mit den eingesparten 86 Minuten Probleme auf. Die Arbeiter verlangten, frei über diese Zeit verfügen zu können, da die Verbesserung ja durch ihren Einsatz zustandegekommen sei. Auf die Frage, ob diese Verbesserung nicht auch dem Betrieb nutzen solle, zeigte sich, daß den Mitarbei-

tern jegliches Verständnis dafür fehlte, daß Verbessern Teil ihrer Aufgabe ist. Ich fürchte, es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis sich diese 86 Minuten auf den Verkaufspreis eines Renault auswirken werden. Dies alles weist eindeutig darauf hin, daß JIT in Frankreich anders interpretiert wird. Die Probleme wären nicht so unüberwindlich, wären sie nur ein Sprachproblem. Es geht dabei um wesentlich mehr – der Unterschied liegt in der französischen Theorie von JIT. Die Franzosen verstehen JIT als einen Satz von Methoden: U-förmige Linien, Mizusumashi, Werkzeugwechsel binnen einer Minute usw. Die Frage, warum diese Methoden eingesetzt werden sollen, vermögen sie jedoch nicht zu beantworten, obwohl sich der Lehrsatz ‚Anlieferung von Gegenständen, die gebraucht werden, wann sie gebraucht werden, in der erforderlichen Menge‘ so einfach anhört. Nehmen wir den Werkzeugwechsel als Beispiel. In Japan wird so umgerüstet, daß in der Fabrik reibunglos von einem Produkttyp auf den anderen übergangen werden kann – damit wird die ausgeglichene Produktion erst möglich. Die Franzosen interessieren sich eher für Methoden, mit denen die Gesamtarbeitsstunden der Produktion gesenkt werden können. Es kommt sogar vor, daß sie Grundlagen wie flexible oder ausgeglichene Produktion völlig außer acht lassen. Uenos „Briefe aus Frankreich“ (Vierter Teil) Frankreich ist der Fläche nach eineinhalb Mal so groß wie Japan. Davon sind 70 Prozent flaches Land. Seine Bevölkerungszahl beträgt etwa die Hälfte der japanischen. Von einigen städtischen Ballungszentren abgesehen vermitteln die meisten Gegenden Frankreichs einen ähnlichen Eindruck wie die Ebenen im

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Osten der Insel Hokkaido. Schnellstraßen, man nennt sie ‚auto-routes‘, verlaufen nach Osten und Westen. In Frankreich ist Paris der Ausgangspunkt für alles; die Messung aller Entfernungen beginnt am Platz vor der Kathedrale Notre Dame. Paris ist auch der Ausgangspunkt für alle Züge: Von hier verzweigen sich die Schienenstränge in alle Richtungen. Für Berater, die quer durch das Land reisen wollen, ist es nicht gerade angenehm, immer erst nach Paris fahren zu müssen, um von dort einen Zug in die andere Richtung zu nehmen. Alle Wege führen nach Paris – das ist ein Dogma der französischen Verkehrspolitik. Deshalb fahre ich oft mit dem Auto. Ich bin mit dem Wagen östlich von Paris unterwegs. Wir fahren durch die Champagne und erreichen Metz. In der Ferne kann man die Grenzen von Deutschland, Luxemburg und Belgien sehen. Ich bin etwa 330 Kilometer von Paris entfernt, und mir scheint, als wäre ich in einem anderen Land. Die Leute sprechen hier zwar ebenfalls französisch, aber irgendwie klingt ihre Sprache anders. Natürlich fühlen sie sich alle als Franzosen, aber in ihren Adern fließt auch schwerfälliges germanisches Blut. Drei Monate sind jetzt seit Beginn der Verbesserungsaktivitäten vergangen, und dabei hat sich vieles verändert. In diesem Werk werden Kolben gefertigt, in einem anderen Gebäude Getriebegehäuse; dort ist auch ein Teil der Montage untergebracht. Den Verbesserungen lagen zwei Ziele zugrunde: erstens Senkung der Fehlerquote in den Kolbenlinien und zweitens Verringerungen des Teileumlaufs in den Getriebegehäuse-Linien. Das heißt nicht, daß der Bereich Kolben derjenige mit dem geringsten Umlauf gewesen sei – natürlich erreichen die Bestände auch hier, wie in ganz Frankreich, ebenso horrende Ausmaße.

Zuallererst suchten sie nach den Fehlerursachen. Das muß getan werden, auch wenn diese schon bekannt zu sein scheinen. Hier ware Kratzer und fehlerhafte Stellen die Hauptgründe. Für den Transport mit Gabelstaplern werden die fertigen Teile in Container gepackt und dabei häufig zerkratzt und verbeult. Eine der sieben Linien wurde zur Modelllinie erklärt. Dort wurden Kolben für Dieselmotoren hergestellt. Die Linie bestand aus zwei Teilen: Bearbeitung und Endverpackung. Die maschinelle Bearbeitung erfolgte innerhalb einer integrierten Linie, und mir schienen die verwendeten Maschinen ziemlich untauglich. Aus diesem Grund konzentrierten wir uns auf die Beseitigung von Fehlern im Bereich Endbearbeitung. Auf meine Frage ‚Warum müssen diese Teile transportiert werden?‘ bekam ich zur Antwort ‚Weil Oberflächen, die mit Dieselöl in Berührung kommen, karbonisiert werden müssen. Deshalb müssen wir die Teile zur entsprechenden Anlage bringen‘. Ich fragte ‚Wo ist diese Anlage?‘ und bekam zu hören ‚Etwa fünfzig Meter hinter dem Ende dieser Linie‘. Wir gingen hin, um sie zu besichtigen, und ich sah eine Riesenanlage, einer Dampflokomotive nicht unähnlich. Ich wollte wissen: „Ist eine so große Anlage wirklich notwendig, um die Oberfläche dieser kleinen Kolben zu beschichten?“ Es herrschte Totenstille, bis jemand sagte: ‚Wir benützen diese Anlage, seit es die Fabrik gibt.‘ Ich sagte seufzend: ‚Zum Zeitpunkt der Werksgründung mag das ja in Ordnung gewesen sein, aber jetzt ist die Anlage ein Problem.“ Ich empfahl ihnen, eine Maschine zu bauen, die jeweils nur ein Werkstück beschichtet, und diese in die Fertigungslinie zu integrieren. Keine Antwort. Jetzt beauftragte ich sie damit, und wie im Chor meinten sie:

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„Bonne idée!“ In Paris wäre das nicht passiert. Innerhalb eines Monats nach meinem Vorschlag war ein Prototyp konstruiert worden und lief in der Linie. Dabei gab es noch einige Probleme (zum Beispiel mit der Belüftung), die aber von den Mitarbeitern selbst gelöst wurden. Jetzt gibt es auf der ganzen Linie – bis hinunter zur Endverpackung – Fließfertigung, und kein Teil verläßt mehr die Linie, um anderswo bearbeitet zu werden. Selbstverständlich gibt es keine Kratzer und Beulen mehr, und die Linie ist jetzt wirklich effizient. Ich glaube, während meiner ganzen Arbeit als Berater in Frankreich habe ich nur mit dieser Gruppe Verbesserungsaktivitäten erlebt, die denen in Japan gleichkommen. Bisher hatte ich geglaubt, alle europäischen Völker seien einander einigermaßen gleich, aber allmählich begriff ich, wie unterschiedlich dort die Menschen von Region zu Region sind. Als Ueno nach Paris zurückkehrte, stellte er dem Management von Renault – wie es JIT-Research bei Klienten immer zu tun pflegt – einige Fragen. ‚Wir wollen Renault beim Rationalisieren seiner Produktion helfen und möchten wissen, wie bei der Einführung von JIT das Ziel in Bezug auf den Rationalisierungsgrad lautet. Natürlich haben wir selbst auch Ziele, die wir Ihnen empfehlen möchten…‘ Die Franzosen antworteten, daß sie zwar keine konkreten Ziele hätten, aber doch mit etwa zehn Prozent in zwei Jahren rechneten. Natürlich staunte Ueno über dieses Schneckentempo. Unser irritierter Ueno brauchte länger als ein Jahr, ehe er vertraut war mit der französischen Art zu denken und Aufgaben anzugehen. Ein großes Problem bereitet ihm die Kernphilosophie von JIT. Ueno wurde sich immer bewußter, daß zwischen dieser und der für die Franzosen so überaus wichtigen

‚Freiheit‘ eine Beziehung bestehen muß. Just-in-Time heißt synchronisierte Fertigung. Diese beruht auf der Bereitstellung der benötigten Teile zum richtigen Zeitpunt. Da aber das Prinzip der Freiheit darauf beruht, auch am Arbeitsplatz niemanden zu etwas zu zwingen, ergibt sich konsequenterweise, daß jeder Arbeiter gegenüber seinen Kollegen asynchron arbeitet. Eine solche Situation führt unvermeidlich zu hohen Umlaufbeständen. Auch mit den Anlagen gibt es Probleme. In Zeiten staatlicher Subventionen für einheimische Produzenten konnte es Renault nicht vermeiden, auch Anlagen einzukaufen, die nicht dem Stand der Technik entsprachen. Das Ergebnis war eine schlechte Maschinennutzung und eine Häufung von maschinenbedingten Fehlern. Es scheint allerdings, daß man in letzter Zeit mit einheimischen Herstellen nicht mehr so sanft umgeht, denn sogar Staatbetriebe wie Renault kaufen ihre Anlagen auch im Ausland und sogar in Japan. Denn etwas ist doch auf der ganzen Welt gleich: Wenn man sich auf die Anlagen nicht verlassen kann, wird eine Fabrik sehr anfällig. In diesem Fall werden die Leute nervös und reagieren darauf mit der Anhäufung von Beständen. Wenn sie das tun, werden die Fertigungslinien länger und länger. Uenos „Briefe aus Frankreich“ (Fünfter Teil): Eine Herausforderung für Monsieur Gerard Frankreich ist ein Weinland. Wenn man am Morgen auf dem Weg zur Arbeit ein Café besucht, ist es in aller Regel voll mit älteren Männern, die auf dem Weg zur Arbeit schnell ihr morgendliches Glas Wein genießen. Heute geht es um eine Fabrik in der Nähe von Metz, in der Monsieur Gerard arbeitet. Er ist der Leiter der Getriebegehäusebear-

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beitung und der Montagelinie. Monsieur Gerards Gruppe hat von allen, die ich während meiner Beratungszeit in Frankreich betreut habe, das Konzept der Just-in-TimeFertigung am schnellsten begriffen (wenn auch nur zum Teil) und umgesetzt. Diese Fabrik unterschied sich kaum von den anderen: Auch entlang ihrer Fertigungslinie türmten sich die Bestände. Sie war jedoch ziemlich sauber, vielleicht weil die Mitarbeiter besser als üblich geschult waren. Die Arbeitsgänge waren grob nach Fertigung und Montage aufgeteilt. In der Fertigung standen die Maschinen in langen Reihen; die Maschinennutzung betrug damals weniger als 80 Prozent. Die Teile durchwanderten zwischen Linienbeginn und Fertigstellung einen Weg von 45 Metern. Wir hatten das Ziel, eine Linie für das Produkt mit dem höchsten Volumen einzurichten, und begannen mit einer ABC-Analyse. Da die Umstellung so großer Anlagen viel Geld kostet, versetzten wir erst einmal die kleineren Maschinen um etwa zehn Meter. Wir stellten sie an Arbeitsplätzen auf, an denen die Mitarbeiter genügend Zeit zur Ausführung mehrerer Prozesse hatten. Daraufhin richteten wir Rollenbänder zum Transport der an diesen Plätzen bearbeiteten Teile ein; damit entfiel das bisher übliche Beund Entladen der zum Materialtransport vorgesehenen Karren. Aufgrund des weiterhin großen Abstandes zwischen den Maschinen häufen sich jetzt jedoch die Bestände auf den Rollenförderern. Immerhin konnte durch den konsequenten Einsatz dieser Bänder der Umlauf von 4 000 auf 1 200 Einheiten gesenkt werden. Um diesen weiter zu reduzieren, brachten wir an den Rollenförderern Sensoren an, die die Maschinen des vorgelagerten Prozesses abschalteten, sobald auf dem Band eine bestimmte Umlaufmenge überschritten wurde. Dadurch fiel der Teilebestand um weitere

600 Einheiten. In der Fertigungslinie selbst konnten die Bestände auf weniger als 20 Einheiten gesenkt werden. Natürlich hatten die Mitarbeiter nach der Reduktion der Umlaufbestände weniger zu tun als vorher. Wir hätten eigentlich die Anlagen möglichst nahe zusammenrücken und die Anzahl der Beschäftigten senken sollen. Wegen der potentiellen Probleme mit der Gewerkschaft – einer grundlegenden Schwäche des französischen Systems – war dies jedoch unmöglich. Daher wurde die frei gewordene Zeit von den Mitarbeitern dazu benutzt, selbständige Kontrollen durchzuführen. Daraufhin wandten wir uns der Montage zu. Hier wurde das Verbindungsstück zum Schalthebel an das Getriebeghäuse montiert. Die Arbeitsgänge liefen nach dem ‚Schich kebab‘-Prinzip ab, das heißt, am Ende eines jeden Arbeitsschrittes häuften sich die Teile, bevor sie an die nächste Station weitergeschoben wurden. Hier war es uns aber möglich, jede einzelne Anlage zu versetzen. Wir verdichteten die Linie von 15 Meter auf acht und schufen ein Arbeitssystem ohne Bestände, in welchem die Mitarbeiter für mehrere Arbeitsgänge gleichzeitig verantwortlich sind. Diese Änderung erfolgte sehr rasch, weil die Arbeiter schon flexibel waren. Es gab aber noch Probleme mit der Auslastung der Linie. Kleinere Engpässe konnten durch Modifikation der Anlagen und durch Verlagerung von Arbeitsinhalten an weniger ausgelastete Arbeitsplätze im Fabrikationsprozeß ausgeglichen werden. Dabei gelang uns in der Gesamtlinie eine Senkung der Bestände auf unter vierzig Einheiten. Wegen der nach wie vor geringen Maschinennutzung wurde der kleine Puffer außerhalb der Linie beibehalten. Trotzdem ist es bielspielhaft, was dieser Gruppe schon zwei Monate nach Beginn der Verbesserungskativitäten gelungen ist.

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Obwohl es hier natürlich noch einiges zu verbessern gegeben hätte, mußten wir uns aber auch auf andere Produktionslinien konzentrieren. Deshalb erklärten wir diesen Bereich zur Modelllinie und übertrugen die erreichten Verbesserungen auf andere Linien. Nicht nur die Bestände konnten hier gesenkt worden, sondern auch die Produktivität stieg um 25 Prozent, und die Durchlaufzeit fiel von 22 Stunden auf 56 Minuten. Ausländische Arbeitskräfte Es gibt viele Gründe dafür, warum die Rationalisierung von Fabriken in Europa so schwerfällig vor sich geht. Dazu gehören Geschichte, Verhalten, Einstellungen, Konventionen und Systeme. Auch das Verhalten des Topmanagements ist ein Grund für den schleppenden Fortschritt von JIT. Renault schickt mehrmals pro Jahr Leute nach Japan, die sich in japanischen Betrieben umsehen sollen. In jüngster Zeit fällt uns dabei auf, daß sich die mittleren Manager, die zu uns auf Besuch kommen, geändert haben: Sie sind ohne Hoffnung. Ueno und Komatsu begleiteten im März 1988 eine Renault-Studiengruppe durch Japan. Nach seinen Eindrücken befragt, antwortete ein Teilnehmer: ‚Wir sind mit der Hoffnung hierher gekommen, von gut geführten japanischen Betrieben lernen zu können. Aber die Unterschiede sind viel zu groß! Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir jemals wettbewerbsfähig werden können.‘ In diesem Zusammenhang wies er noch auf die Unterschiede in der Ausbildung der Mitarbeiter sowie in deren Fähigkeit zum Durchführen von Verbesserungen hin und auf die in Japan unternehmensweit einheitliche Vorgangsweise bei Projekten. ‚Ich glaube nicht, daß die Fähigkeiten Ihrer einzelnen Mitarbeiter geringer sind als die

der japanischen‘, antwortete Ueno und wies auf ein großes Hindernis hin, das bewältigt werden müßte. ‚Obwohl die Auswirkungen des Arbeitskräftemangels in Japan wie in Europa gleichermaßen zu spüren sind, wirkt sich diese Problem aber in Europa – und speziell in Frankreich – auf eine besondere Art und Weise aus.‘ Ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, so Ueno, heißt Aufteilung der Arbeitsbereiche und Trennung nach Fertigkeiten sowie nach kultureller und ethnischer Herkunft. Bei Renault erfolgt diese Unterscheidung ganz deutlich: Die Franzosen stellen das Management, während die Belegschaft meist aus Ausländern besteht. Ungeachtet ihrer Fähigkeiten bleiben Leute mit schlechter Ausbildung oder solche, die keine Gelegenheit haben, ihre Qualifikation zu zeigen, in der Fabrik. Bei Renault stammt die Hälfte aller Arbeiter aus arabischen Ländern oder aus Afrika. Diese Umstände haben verhindert, daß die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten auch zeigen können. Statt dessen gibt es Konfrontation. Bei Renault bedeutet ‚Rationalisieren‘ den Abbau von Arbeitsplätzen. Und Leute sind nicht bereit, etwas zu verbessern, wenn es ihre Arbeitsplätze kostet. Ueno fragte die Teilnehmer der Studiengruppe nach ihren Eindrücken von Japan und führte aus: ‚Nach unserer Meinung wäre es für Japan gefährlich, Arbeiter aus anderen asiatischen Ländern zu beschäfigen. Sehen Sie sich zum Beispiel die Probleme der Westdeutschen mit den Türken an. Als in Frankreich die Ausländerbeschäftigung zugelassen wurde, herrschte ein Mangel an Arbeitskräften, und die Wirtschaft blühte, so daß alles, was produziert wurde, auch verkauft werden konnte. Frankreich kann sich seine ausländischen Arbeitskräfte noch leisten, weil es sich auf den Lorbeeren einer mächtigen Nation ausruht.‘

10.6 Aus dem Leben eines japanischen JiT-Beraters in Frankreich

Das Problem hatte jedoch nicht nur mit ausländischen Mitarbeitern zu tun. ‚Es heißt, im extrem individualistischen Frankreich sei es nicht üblich, die Dinge ganzheitlich zu sehen. Die Manager überlegen sich nicht, was für den Betrieb als Ganzes gut ist. Für sie ist es wichtig, ihre Autorität zu demonstrieren. Aus diesem Grund fließen die wichtigen Managementinformationen auch nicht über die Hierarchieebenen auf die nächstniedrigeren Stufen der Organisation hinunter. Genausowenig fließt natürlich auch Information aus der Werksalle die Leiter hinauf.‘ Warum aber gibt es keinen Informationsfluß? ‚Beim Versuch, Information fließen zu lassen, würden die Mitarbeiter der verschiedenen Hierarchieebenen ihre Gruppennormen verletzen und dabei auch ihren Hinauswurf riskieren. Deshalb halten es die Leute für klüger, innerhalb ihres kleinen Verantwortungsbereiches nur das zu tun, was ihnen gesagt wird.‘ Man kann für die Meinung dieses Besuchers – ‚Wir können unser Leben lang arbeiten und trotzdem nicht mit Japan mithalten‘ – Verständnis aufbringen. In Frankreich kann es ein Jahr dauern, bis auch nur eine kleine Verbesserung eingeführt ist, weil man sich vorher immer erst mit den Vorgesetzten technischer Abteilungen beraten muß. Die von Ueno untersuchten Werksbereiche machen nur zehn Prozent vom Ge-

samtbereich bei Renault aus. Selbst wenn man annimmt, daß es dort Erfolge gab, nehmen sie wenig Einfluß auf das ganze Unternehmen. Ueno meinte: ‚Ich würde ja gern den Untersuchungsbereich auf 20 bis 30 Prozent des Gesamtbereiches ausdehenen. Die Arbeiter in meinem Bereich haben etwa 60 Prozent von allem verstanden – und einige unter ihnen waren hochmotiviert.‘ Es scheint freilich, als ob alles wohl noch einige Zeit beanspruchen wird. Hirano meinte einmal: „Wenn ich in Frankreich bin und durch die Fabriken gehe, wundere ich mich in der ersten Woche, warum die Menschen dort so wenig arbeiten. Nach dieser Woche wundert es mich jedoch, warum die Leute in Japan so hart arbeiten.“ Nach einem langen Interview gingen Ueno und ich auf einige Drinks in eine japanische Yakitori-Bar. Es schien, als ob Ueno nach langer Abwesenheit Japan wieder genießen wolle. Er setzte sich mit dem Hier und Jetzt auseinander und brachte alles auf einen Punkt: ‚Von dort aus gesehen, ist Japan wirklich ganz anders.‘ – Tags darauf kehrte er nach Frankreich zurück.“ (Quelle: Ichiro Majima: JIT. Kostensenkung durch Just-inTime-Production. München (Ullstein) 1995, 171-193)

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10 .7 Mindmap zur Rekapitulation

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1 Ohno: Selected Sayings

6 Ein japanischer Berater berichtet

Lean Management ANHANG

2 Wortliste Japanische Begriffe

3 Just in Time or Just on Time

5 Menschliche Fehlhandlungen Ursachen

4 Lean Six Sigma Missverständnisse

11 Stichwortverzeichnisse

Das chinesische Zeichen für »Dao«, auf Deutsch »Weg«. Es bewirkt den Wandel aller Dinge und ist dieser zugleich. Selbst jedoch nichts Dingliches, lässt es sich nicht mit den auf Dinge zugeschnittenen Worten fassen. Da es kein Ding ist, lässt sich nicht darauf zeigen. Es gibt keinen Ort, wo es nicht wäre, denn da es nicht »etwas« ist, gibt es kein Zunehmen des Dao, kein Abhnehmen. Der ewige Wandel der Dinge kann jedoch vom Menschen verfehlt werden, wenn dieser sich an ein einzelnes vergängliches Ding klammert, einer vergänglichen Meinung oder Auffassung nachhängt.

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11.1 Personenregister A Abel 251, 253, 254, 255, 256 Ahrendt 37 Algedri 193 Amis 15 Aristoteles 23, 240, 293 Argyris 193 Aßländer 35, 95 Athos 39, 40, 50, 64 B Baudrillard 233 Becker 92 Bicheno 222 Borscheid 15 Boveri 212 Boyer IXX Britzke 249 Brodbeck 319 Buddha 319 Bullinger 226, 232, 240 C Canned Head 36 Cassirer 24 Champy 294 Cho Fujio 87, 88, 92, 99, 119, 160, 161, 163, 166-170 Ciolek XX Colbert 36 Cox 250-253, 324 Constantino 155 D Dahm 221 Deleuze 168, 261 Deming XVIII, 13, 191, 211, 282, 284, 285 Deutschmann 55 Dickmann 198 Disraelli 65 Drew 211, 305 Drucker 3, 293

E Eckhart, Meister 15 Elias 23 Erlach 35, 197, 206 Eliot 321 Euklid 22 Evelyn 243 F Feigenbaum 145 Ford 19, 37, 63, 64, 67, 68, 69, 76, 77, 97, 100, 101, 105, 109, 112, 113-119, 120, 121, 122, 123, 258, 332 Freud 53 Freyssenet IXX Frieling 193 G Galvin 212 Gauß 212 Geiger 214, 215, 284 George 211, 221 Gilbreth 242, 243, 244, 245, 246, 248, 264 Gladwell 311 Goldratt 250-253, 324 Gutenberg 25 Gygi 215, 219 Guccio 93 H Habersetzer 187, 188 Hammer 294 Handl 221 Hansmann 105 Harrison 36 Hausmann 106 f Heidegger 14 Heraklit 35 Herzberg 151 Hesse, Hans XVI, XVII Hesse, Hermann 311 Hirano 175, 176 Holweg 222 Hoseus 223, 224, 225 Hume 319

11.1 Personenregister I Ihme 103, 104 Imai 46, 98, 279, 281, 282 Ishida Taizo 79, 80, 85 Ishikawa XV, XVIII, 273f J Jones XX, 6, 65, 72, 95, 100, 102, 195, 197, 198, 199, 200, 202, 253, 262, 263, 299, 300, 311, 312, 263, 299, 300, 311, 312, 316, 323, 325, 333 Jünemann 19 Jürgens 210 Juran XVIII, 284 K Kamiske XVIII Kant 303 Keynes 117 Kieser 70 Kojima 123, 128 Kōnosuke 39 Kotte 214, 215 Krafcik 56 Kuhlang 249 Kuhn 73, 97, 257, 326, 332, 333, 334 L Landes 93 Leibniz 12, 23 Lewin 9, 144 Liker 154, 155, 167, 168, 170-172, 178, 223, 224, 225, 262 M Magnusson 212, 213 Marey 242, 243, 264 Maynard 245, 246 Meier 178 Merkel 247 O Oeltjenbruns 199, 226, 228, 231 Ohno XVIII, XX, 18, 30, 31, 66, 77, 78, 81, 82, 83, 84, 87, 91, 97, 99, 113, 116, 119, 120 121, 122, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132,

133, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 141, 143, 145, 146, 147, 148, 152, 164, 166, 168, 173, 195, 242, 250, 257, 258, 259, 260, 262, 271, 272, 275, 276, 277, 285, 288, 293, 322, 325, 331, 332, 354-355, 357-358 Okuda Hiroshi 86, 87 Oresme (von) 293 P Pascale 39, 40, 50, 64 Parsons Talcott 229 Platon 22 Plotin 15 Popper 5, 294, 295, 296, 301, 306, 325 R Reichenbach 157 Risaburo 77, 79, 157 Roos XX, 6, 65, 72, 100, 102 Rother VII, 187-194, 201, 202, 203, 312, 333 S Sackmann 142 Schein 50, 51, 52, Schneidewind 38 Schön 193 Schroer 23 Schulte 132, 133 Schwab 245 Segur 245 Seneca 303 Senge 193 Shewhart 13, 282 Shingo 172-187, 196, 278 Shinoda 39 Shook 201, 202, 203, 312, 323, 333 Simmel 232 Sloan 100, 101 Smiles 75, 76 Smith, A. 35, 110 Smith, B. 212, 213 Sokrates 194 Sorensen 120 Spath 226 Spencer 44

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11 Stichwortverzeichnisse

380 Stengel 37 Strauß 16 Sutcliffe 233, 234, 236, 237, 239

V Vahrenkamp 104, 106, 107, 108, 109, 179, 199 Vahs 169

T Tautrim, 314 Taylor F. W. 97, 104, 109-113, 119, 242, 242, 243, 244, 258, 324 Töpfer 220, 222 Tominori 40 Tomys 34 Toyoda Akio 14, 87, 88, 89 Toyoda Eiji 79, 80, 83, 84, 85, 98, 99, 132 Toyoda Kiichirō 15, 73, 76, 77, 78, 79, 82, 85, 119, 122, 123, 157, 158, 259, 275 Toyoda Sakichi 74, 75, 76, 78, 85, 91, 98, 122, 137, 157, 158, 162, 261, 270, 322, 331 Toyoda Shoichiro 85 Toyoda Tatsuro 86

W Watanabe Katsuaki 86, 88 Watt 76 Wegener 206 Weick 233, 234, 236, 237, 239, 299 Westkämper 106, 206, 210 Wiedeking 299 Wildemann 66, 276 Winkler 247 Womack XX, 6, 65, 70, 72, 95, 100, 102, 195, 197, 198, 199, 200, 202, 253, 262, 263, 300, 311, 312, 314, 316, 323, 325, 333 Z Zollondz 167, 212

U Ulich 71, 208

11.2 Sachwortregister A Achtsamkeit 234-239 Achtsamkeitsmanagementsystem 235-239 Andon 279 Anspruchsklasse 10, 12 Arbeit, 7, 18, 30, 36-49, 70-72 Arbeit in Japan 38-41, 72 Arbeit unproduktive 35 Arbeitsgruppe, teilautonome 108-109, 210 Arbeitsorganisation 95 Arbeitsverständnis 36 Autonome Automation, ⇢ Jidoka

B Baka Yoke, ⇢ Poka Yoke Baustellenprinzip 105 Bergaltar XVI Beschaffenheit 10, 12 Beschleunigung 20 Bewegen versus Arbeiten 29 Blindleistung 31-33 Bombenwurfstrategie 113-114 Break-Even-Analyse 25 Buffer 255-257

11.2 Sachwortregister C Change agent 299, 306 Coaching-Kata 188 ff Constraint-Management 251-257, 265, 324 Controlling 27 D Distribution 20 DMAIC-Zyklus 216-217 Drum-Buffer-Rope 255-257 E Einheit 10 Einstellung 42 Engpass 250-253 Exzellenz 181 F Fachbegriffe, japanisch 356-357 Fehler 10, 11, 12, 173-175 Fehlhandlungen, menschliche 360-361 Fehlleistung 31-33 Fertigungstiefe 101 Fließband 107, 116 Fließfertigung 105Flow 95, 197 Fluss, ⇢ Flow Forderungen 4, 10 Fordismus 116-118 Ford-System 113-119, Ford-System aus Ohnos Sicht 119-121 Formel 1 87 Fünf S 244, 279-281, 325 Fünf Warum 75, 78, 146-147, 272 Funktionsmeister 112 G Ganzheitliches Managementsystem 240-241 Ganzheitliche Produktionssysteme 226-241, 263-264 Geometrie 21 Gewerkschaft 79 Global Vision 2010: 160-161 Globalisierung XX, 21, 23, 64, 115 Gruppenautonomie 209 Gruppenarbeit 42-49, 107

Gruppenarbeit in Japan 40-41 H Handwerk 100-109 Haus- und Tempeldarstellungen 166-170 Heijunka 134, 274-275 HdA 208-209 High Reliability Organisations (HRQs) 233 Hoshin Kanri 286-287 Humansystem XX, 57, 58, 148-156, 260 Hybridantrieb 87 Hybride Layouts 109 I Implementierung 99-100 Ishikawa-Diagramm 272 ISO 13053-2011... 221 ISO 9001… 237 J Jidoka 18, 75, 78, 134, 137-139, 271, 274, 275 Just in Time 77, 78, 84, 86, 128-134, 259, 271, 275-276, 357-358 Just in Time in Frankreich 362-375 Just on Time 357-358 K Kaisha 40 Kaizen/KVP XX, 17, 18, 75, 281-285 Kanban 130-134, 259, 276-277 Kanban-Regeln 131 Kata, ⇢ Toyota Kata Kategoriales Grundgerüst 9, Kategorien 8-58, 259, 321 Kleingruppe Konfuzianismus XX, 92, 184 Konsumtion 20, 37 Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, ⇢ Kaizen Korea-Krieg 79-80 Korrespondenzprinzip 331, 334 Kosten 3, 4, 8, 25-27, 82 Kultur 7, 261 Kundenforderungen 85

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11 Stichwortverzeichnisse L Lead User-Ansatz 16 lean IXX, 5, 6, 7, 66 Lean Enterprise Institute 312-314, 316 Lean Management Definition IXX, 4-7, Lean Management Community 270, 309-316 Lean Management-Techniken, ⇢ Lean-Techniken Lean Management umsetzen 290-308 Lean Management-Umsetzungsmodell 297-305 Lean Production 6, 65 Lean Six Sigma 211-225, 263, 358-360 Lean-Techniken 269-290, 324-325 Lean-Techniken (Definition) 270 Lean-Techniken (Ohno) 271 Lean Thinking 195-200, 262, 287, 312, 316, 323, 325, 333 Lean Thinking, Schlüsselprinzipien 196-200, 253-254 Lebenszyklus 17 Lehrer, ⇢ Schule und Lean Management Leistungszurückhaltung 109 Lernende Organisation 193-194 Lieferantenetzwerk 142 Logistik 19, 23

259, 271, 277 Muda-Beispielliste 128 Muda Definition 28 Muda im Humansystem 149-151 Muda-Prüf- und Vermeidungsliste 127 Mura 28 Muri 28

M Magisches Dreieck 3 Management 39 Mangel 10, 11 Marketing 17 Massenproduktion 69 Mercedes-Benz-Produktionssystem 228-232, 264 Methods-Time Measurement (MTM) 242-249, 264-265, 324 Methodisches Vorgehen 329 MIFA-Diagramm 211 MIT IXX, 5, 65, 66, 235 MIT-Studie 65-73, 91, 97, 100, 148, 311, 321, 322, 326, 331 Mitarbeiter 148-156 Mitarbeiter-Wertstrom 57, 58, 149, 260 Mode 232 Motorola 212 Mu-Checkliste 28 Muda 8, 9, 28-31, 33, 77, 78, 82, 125-128, 250,

P Paradigma XX, 90, 97, 99, 311, 326, 332-333 PDCA-Zyklus 13-14, 17, 47, 191, 282-285 Perfektes Unternehmen, ⇢ Lean Thinking Perfektion 95, 199-200 Pflegeversicherung 245 Poka Yoke 173-175, 260 Porsche Consulting 314 Prinzipien, 14 leitende 170-171 Produktivität 110, 243-244 Projektmanagement 17 Prozessbeherrschung 78 Pull 95, 116, 198-199, 254 Push 116, 118

N Nacharbeit 146 Netzwerk der Lean Management Community, ⇢ Lean Management Community Null-Fehler-Konzept 175-178 Null-Fehler-Programm, ⇢ Null-Fehler-Konzept Nutzleistung 31-33 O One Piece Flow 206-210, 253, 263, 277-278 Organisationskultur 9, 50-58, 92 Organisationskultur Definition 50 Organisationskultur 3-Ebenenmodell 52 Organisationskultur Eisbergmetapher 53 Organisationskultur Kulturwandel 55 Organisationskultur Toyota 156-164, 261 Organisationskultur Trugschlüsse 55

Q Qualität 3, 4, 8, 10-14, 84, 143-148, 260 Qualität Definition 13, 144 Qualitätsforderungen 11, 89 Qualitätsmanagement 98, 258

11.2 Sachwortregister Qualitätsmerkmale 10 Qualitätsprüfung 147-148 R Raum 7, 8,16, 21-25 Raum Definition 23 REFA 316 Relaunch 16 Ressourcen 28 Revolution, Zweite, ⇢ MIT-Studie Rhizom 168-169, 238, 261 Rückrufaktion 12, 89, 173, 239-240 S Schule und Lean Management XX Scientific Community 3 Scientific Management 19, 109-113, 311 SDCA-Zyklus 47-48 Shingo Price 181-186, 262, 314 Six Sigma, ⇢ Lean Six Sigma Six-Sigma-Gürtel-Pyramide 218 S-Kurven-Modell 16 SMED 172, 178-180, 262, 278 Source Inspection 175 Standardisierung 121, 153, 165, 205, 228ff, 288 Standardisierung (Ford) 115 Standardisierung (Taylor) 112 Standort 22 Strategie, fatale 233 Streik 79 Stückwerk-Technologie 294-296, 325 Stützleistung 31-33 Super-Lean-Techniken 288 Supermarkt 278 T Taoismus XX Target-Costing 27, 115 Taylorismus, ⇢ Scientific Management Teamleiter 145-146, 156 Team-System 155-156 Technik, Techniken 269 Technologie-Lebenszyklus 17 Theory of Constraints (TOC) 250-257, 265 THERBLIG 244, 245, 246 Time to market 16

TMU 246-247 Toyoda 73, 74-93 Toyota IXX, 21, 27, 30, 56, 57, 74-93, 314, 322 Toyota Earth Charta 161-162 Toyota Guiding Principles 158-159 Toyota Institute 163, 261 Toyota Kata 187-194, 262 Toyota-Logo 78 Toyota Managementsystem 82, 119, 152-154, 164-165, 261 Toyota Managementsystem (Elemente) 136 Toyota Motor Corporation 6, 66, 76, 98, 157 Toyota Motor Sales 80 Toyota Precepts 157 Toyota Production System, ⇢ Toyota Produktionssystem Toyota Produktionssystem IXX, XX, 18, 19, 28, 65, 66, 75, 78, 81-82, 84, 98, 119-164 Toyota Way 159-160 TPS-Haus nach Cho 167-168 True North-Vision 207 TRUMPF 241 U Überproduktion 126 U-Form 107, 108 Umsetzen, ⇢ Lean Management umsetzen Umsetzungsleitbild 297 Umwelt 9 Unterlieferanten 21, 88, 99, 134, 132, 141-143, 214, 260 Unternehmenskultur, ⇢ Organisationskultur V Verbesserungs-Kata 188 ff Verschwendung, ⇢ Muda Visual Management 285-286 Voraussetzungen: Umsetzung 296-297 W Webstuhl 75, 76 Werkbankprinzip 101-103 Werkstättenfertigung 103-105 Werkzeugwechsel 122-123, 179 Wert 28, 29, 33, 95, 196 Wertschöpfung, ⇢ Wertschöpfungsprozess

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11 Stichwortverzeichnisse Wertschöpfung Definition 32 Wertschöpfungsdenken XVI, 115 Wertschöpfungsprozess 9,13, 16, 18, 20, 29, 30, 31-35, 95, 129, 140-143, 260 Wertstrom 35, 196-197 Wertstrom Analyse 35 Wertstromdesign 35, 201-204, 249, 263, 278 Wertstrom Planung 35 Wirkungsgrad 34

Z Zeit 3, 4, 7, 8, 14-21, 242-249 Zeitökonomie 21, 245 Zeit- und Bewegungsstudien 19, 242 Zen Buddhismus XX, 134 Zielzustand 192, 207, 301-302, 304 Zulieferer, ⇢Unterlieferanten Zunft 101

11.3 Bildnachweise Sämtliche Abbildungen in diesem Buch sind speziell entwickelt worden. Einzelne Kapitel werden durch Elemente aus dem Annaberger Bergaltar eingeleitet, in dem die vorindustrielle Produktionsweise der Silbererzgewinnung, -verarbeitung und Münzerstellung zu Beginn der Renaissance gezeigt wird. In Hans Hesses Altarbild des arbeitenden Menschen, der in den Fluss der Produktion eingebettet ist, wird eine Übertragung auf das moderne Lean Management gesehen, das immer auch die Frage nach dem Kundenwert stellt. In diesem Fall ist es der Fürst im gar nicht so fernen Dresden, für den das Silber in der Münze geprägt wird. (vgl. auch S. XVI-XVII). Soweit auf Archivmaterial zugegriffen wurde, sind folgende Quellen zu beachten: Seite 1: Die Perspektive (1525) findet sich in: Albrecht Dürer: Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt. Nürnberg, Juni 1981 Seite 61 – Quelle: Die Gesandten (1533): Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren in der National Gallery, London Seiten: XVI, XVII, 95, 267, 291, 309, 319, 309, 319, 329, 355 – Quelle: Annaberger Bergaltar (1521): Altarrückseite von Hans Hesse; befindet sich in der Dorfkirche Dittmannsdorf im Erzgebirge Seiten: 5, 15, 21, 35, 39, 44, 53, 55, 63, 65, 68, 74, 75, 77, 80, 81, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 97, 101, 102, 109, 113, 114, 119, 124, 129, 157, 167, 170, 172, 187, 201, 205, 206, 211, 213, 242, 243, 280, 335, 377 – Quelle: Digitales Archiv HDZ