Gott oder Geld?: Im Gespräche mit Pater Eugen Hillgengass SJ 3402130173, 9783402130179

Book by Ernst Sagemüller

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German Pages [201] Year 2013

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Gott oder Geld?: Im Gespräche mit Pater Eugen Hillgengass SJ
 3402130173, 9783402130179

Table of contents :
Title
Inhalt
Vorworte
Lebensdaten Pater Eugen Hillengass SJ
Vom Hotel ins Münster (1930–1946)
„Lülosau“ – am Kolleg St. Blasien (1946–1950)
Ordensausbildung mit Studium und Abschlüssen in Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaftslehre (1950–1968)
„Ich brauche Sie mal kurz ...!" Sozius beim Provinzial in München (1967–1971)
„Da war doch neulich dieser junge deutsche Pater ...“ - Leben und Arbeiten in Rom – dem Zentrum der katholischen Weltkirche (1971–1993)
Nachdem der „Eiserne Vorhang“ zerbrach: Geschäftsführer Renovabis (1993–2002)
„Pater Hillengass – wir brauchen viel Geld und nochmehr Freunde“ - Leiter der Projektförderung der Deutschen Provinz der Jesuiten – München (2002–2009)
Über die Jesuiten
1. Wer sind die Jesuiten?
2. Die Gelübde und das Apostolat der Jesuiten
3. Gehorsam – Grundlage menschlicher Ordnung
4. Dekrete – verbindliche Satzungen für das Ordensleben
5. Die Jesuiten – 500 Jahre lebendiger Organismus zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen
6. Grundlegende Aspekte und Abläufe der Jesuiten-Ausbildung
7. Aktuelle Tendenzen: Rückläufige Zahl von Bewerbungen in Deutschland – Zunahme in Asien und Afrika
8. Verleumdungen durch die Jahrhunderte führen zum teilweise negativen Bild des Ordens
9. Zum Verhältnis zwischen Generaloberen und dem Papst
10. Exerzitien (Geistliche Übungen) – Herz der Lehre des Hl. Ignatius
11. Bildung – Domäne der Jesuiten
12. Über die Zukunft des Jesuitenordens
Über Gegenwart und Zukunft
1. Gott – Glaube – Hoffnung – Liebe
2. Ökumene ja – aber Wie und mit Wem ?
3. Entwicklungshilfe – zwischen Fürsorge und Einmischung
4. Kirche und Kapitalismus – ein Widerspruch?
5. Demokratie – die beste aller Gesellschaftsformen?
6. Braucht die Kirche Demokratie?
7. Wozu eine 2000 Jahre erfolgreich existierende Kirche reformieren?
EXKURS i: Zum Tod und Wirken von Kardinal Carlo M. Martini
EXKURS ii: Zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI.
EXKURS iii: Zur wahl von papst franziskus I.
8. Wer gehört zu Europa?
9. Medien – die WELTMACHT?
10. Leben wir in einem apokalyptischen Zeitalter? Wann genau geht die Welt unter?
50 Jahre Priester – Goldenes Jubiläum – Würden Sie es noch einmal tun?
Literaturempfehlungen und Links
Wie können Sie die guten Werke unterstützen?
Danksagung
Über den Autor
Personenverzeichnis

Citation preview

Dr. Ernst Sagemüller studierte Theologie, Kunst und Kultur der Weltreligionen sowie Kulturmanagement. Er ist seit 30 Jahren in zahlreichen Entwicklungshilfeprojekten sowie als Journalist und Buchautor tätig.

ISBN 978-3-402-13017-9

GOTT ODER GELD?

Ernst Sagemüller Ernst Sagemüller

Pater Eugen Hillengass SJ hatte als Generalökonom des Jesuitenordens, als Gesamtleiter von Renovabis und als „Fundraiser“ des Ordens schon immer ein besonderes Verhältnis zum Geld, das er im Namen Gottes erfolgreich sammelte und für Gutes einsetzte. Im Interview mit Ernst Sagemüller berichtet er anlässlich seines 50-jährigen Priesterjubiläums von seinem Leben im Dienst der Kirche. Er blickt zurück auf Kindheit und Jugend, Studium und Ordensleben, auf zahlreiche Funktionen im Jesuitenorden. Man erfährt durch seine Erinnerungen auch viel Zeitgeschichtliches, insbesondere über Wesen und Arbeit des Jesuitenordens, aber auch über allgemeine Aspekte des Priestertums in der heutigen Zeit. Offen antwortet Hillengass auf die Fragen nach notwendigen Reformen seiner Kirche, nach dem Nutzen von Entwicklungsarbeit und nach der Rolle des Geldes in der Kirche. Seine Zuversicht, aber vor allem seine Bodenhaftung und Entschlossenheit machen jedem Mut, der sich für die Kirche in aller Welt aktiv einsetzen will.

GOTT ODER GELD?

Im Gespräch mit Pater Eugen Hillengass SJ

Ernst Sagemüller

Gott oder Geld?

Ernst Sagemüller

GOTT ODER GELD? Im Gespräch mit Pater Eugen Hillengass SJ

Die Fotos in diesem Band stammen, soweit nicht anders angegeben, aus Privatbesitz.

© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbeson­ dere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funk­ sendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speiche­ rung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwer­ tungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Druckhaus Münster Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier ∞ ISBN 978-3-402-13017-9

Dekrete – verbindliche satzungen für das Ordensleben

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Inhalt Vorworte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Wozu dieses Buch?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Du hast mich gerufen – Herr Jesus Christus!. . . . . . . . . . . . . 15 Lebensdaten Pater Eugen Hillengass SJ. . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 „Gott stellte mich immer zur rechten Zeit genau an den richtigen Platz“ Zeitreise durch ein überaus erfülltes Leben. . . . . . . . . . . . . . 17 Vom Hotel ins Münster (1930–1946) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 „Lülosau“ – am Kolleg St. Blasien (1946–1950) . . . . . . . . . . 25 Ordensausbildung mit Studium und Abschlüssen in Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaftslehre (1950–1968) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 ... und dann ist man Priester – der Weihevorgang . . . . . . 37 „Ich brauche Sie mal kurz ...!“ Sozius beim Provinzial in München (1967–1971) . . . . . . . . 41 „Da war doch neulich dieser junge deutsche Pater ...“ Leben und Arbeiten in Rom – dem Zentrum der katholischen Weltkirche (1971–1993) . . . . . . . . . . . . . . . 46 Täglich kleine Wunder vollbringen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 „In Italien fährt man Fiat“ – ein typischer untypischer Tag. 49 Mittagsschlaf im Büro gab es nicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 100 Euro monatlich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 „Pater Müller kennt alle Kirchen – Pater Hillengass alle Restaurants“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Mafia? Nie gehört! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 „Wenn ich weg war – war ich weg“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Nachdem der „Eiserne Vorhang“ zerbrach: Geschäftsführer Renovabis (1993–2002) . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Neun Jahre Aufbauarbeit von Renovabis. . . . . . . . . . . . . . 67

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inhalt

„Pater Hillengass – wir brauchen viel Geld und noch mehr Freunde“ Leiter der Projektförderung der Deutschen Provinz der Jesuiten – München (2002–2009). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Ich bin dir gefolgt! Über die Jesuiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Wer sind die Jesuiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2. Die Gelübde und das Apostolat der Jesuiten . . . . . . . 91 3. Gehorsam – Grundlage menschlicher Ordnung. . . . 95 4. Dekrete – verbindliche Satzungen für das Ordensleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5. Die Jesuiten – 500 Jahre lebendiger Organismus zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen. . . . . 101 6. Grundlegende Aspekte und Abläufe der Jesuiten-Ausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 7. Aktuelle Tendenzen: Rückläufige Zahl von Bewerbungen in Deutschland – Zunahme in Asien und Afrika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 8. Verleumdungen durch die Jahrhunderte führen zum teilweise negativen Bild des Ordens. . . . 105 9. Zum Verhältnis zwischen Generaloberen und dem Papst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 10. Exerzitien (Geistliche Übungen) – Herz der Lehre des Hl. Ignatius . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 11. Bildung – Domäne der Jesuiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 12. Über die Zukunft des Jesuitenordens . . . . . . . . . . . . . 114 Über Gegenwart und Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Gott – Glaube – Hoffnung – Liebe. . . . . . . . . . . . . . . . 116 Warum an Gott glauben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Jesus Christus – „Sohn“ Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Sieben Geschenke des Heiligen Geistes . . . . . . . . . . . . . 118 Wo finde ich Gott?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Beten ist Dialog mit Gott. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Heißt Glaube – nicht wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Trägt Hoffnung – oder trügt sie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Über die Liebe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Zwei Mal „merkwürdige“ Empfängnis. . . . . . . . . . . . . 127

inhalt

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2. Ökumene ja – aber Wie und mit Wem ?. . . . . . . . . . . 129 3. Entwicklungshilfe – zwischen Fürsorge und Einmischung. . . . . . . . . . . . . 137 4. Kirche und Kapitalismus – ein Widerspruch? . . . . . . 143 Finanzgestaltung der Gesellschaft Jesu. . . . . . . . . . . . . 148 5. Demokratie – die beste aller Gesellschaftsformen?. . 152 6. Braucht die Kirche Demokratie? . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7. Wozu eine 2000 Jahre erfolgreich existierende Kirche reformieren?. . . . . . . . . . . . . . . . . 157 exkurs i: Zum Tod und Wirken von Kardinal Carlo M. Martini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 exkurs ii: Zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI. . 166 exkurs iii: Zur Wahl von Papst Franziskus I. . . . . . . 169 8. Wer gehört zu Europa? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 9. Medien – die Weltmacht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Zwischen Pflicht und Verantwortung. . . . . . . . . . . . . . 175 10. Leben wir in einem apokalyptischen Zeitalter? Wann genau geht die Welt unter? . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Das habe ich niemals bereut! 50 Jahre Priester – Goldenes Jubiläum – Würden Sie es noch einmal tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 Gebrechen und Selbstdisziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Lebenssinn erfüllt sich im Tun für Andere. . . . . . . . . . . . . 187 Auszeichnungen und Ehrungen von Pater Hillengass SJ. . . 191 Literaturempfehlungen und Links. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Wie können Sie die guten Werke unterstützen? Pater Eberhard von Gemmingen, Leiter der Projektförderung bei der Deutschen Provinz der Jesuiten in München. . . . .

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Über den Autor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

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Über die Jesuiten

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vorworte

Vorworte Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz Wir Christen sind überzeugt, dass jeder Einzelne von Gott selbst mit seiner Erschaffung und erst recht mit dem Christwerden in Glaube und Taufe eine Berufung erhalten hat. Dies gilt nicht nur für Ordens­ mitglieder und Geistliche, sondern für alle Christen. Wir betrachten diese Berufung in ihrem Verlauf oft nur kerzengerade, einlinig und bruchlos. Vermutlich verhindert diese Sicht, dass viele Menschen überhaupt ihre eigene Berufung entdecken. Das Leben und Wirken von P. Eugen Hillengass SJ legt Zeugnis davon ab, wie verschlungen und vieldimensional die Wege des Men­ schen, von Gottes Geist inspiriert, verlaufen können. P. Hillengass ist immer wieder dem Ruf Gottes gefolgt: aufgewachsen im Hotel, Ge­ fährdung im Zweiten Weltkrieg, Erziehung im Jesuitenkolleg in St. Blasien, Studium der Betriebswirtschaftslehre sowie der Philosophie und Theologie, Sekretär des Provinzials, Generalökonom des Jesuiten­ ordens in Rom, Erster Geschäftsführer des kirchlichen Hilfswerks „Re­ novabis“ für Osteuropa, Leiter der Projektförderung der Deutschen Provinz der Jesuiten. So spricht P. Hillengass vom „Glück des vielseitigen Gebrauchtwer­ dens“ oder hält folgendermaßen Rückschau: „Gott stellte mich immer zur rechten Zeit genau an den richtigen Platz.“ Von heute aus fügt sich alles gut zusammen zu einem „überaus erfüllten Leben“. An den beiden vielleicht wichtigsten Stationen des Wirkens von P. Hillengass konnte ich ihn näher kennen und schätzen lernen. Ich brauche dies nicht ausführlicher zu erzählen, da er selbst es auf den folgenden Seiten am besten tut. Zweiundzwanzig wichtige Jahre gab er nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil als General-Ökonom dem Jesuitenorden eine große äußere Unterstützung für einen erneu­ ten Aufschwung zu einem Wirken auf dem ganzen Globus, wirklich in weltkirchlicher Dimension. Gerade auch im Blick auf diese reiche Erfahrung konnte die Deutsche Bischofskonferenz keinen besseren Gründungsgeschäftsführer des neuen Hilfswerks Renovabis für Ost­ europa finden als den welterfahrenen, kirchlich und weltlich überaus kompetenten wie erprobten ehemaligen Generalökonomen des wohl

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vorworte

in diesen Dingen am meisten erfahrenen Ordens. Neun Jahre baute er mit großer Sensibilität und mit gut ausgewählten Mitarbeitern dieses Werk für die Erneuerung Osteuropas auf. Der Autor Dr. Ernst Sagemüller und P. Eugen Hillengass SJ lassen durch dieses Buch den Leser in einem spannenden Zwiegespräch an vielen bunten Facetten des Lebens und Wirkens teilnehmen. Sie zei­ gen, wie vielfältig und reich die Wege der Berufung durch Gott und einer immer wieder faszinierenden Ordensgemeinschaft sein können. So hilft das Buch jungen und alten Menschen, auch heute ihre ureige­ ne, oft verborgene Berufung zu finden.

Stefan Dartmann SJ Dass ein Jesuit nicht unbedingt weltfremd ist, setzt man voraus. Dass er mit Geld umzugehen weiß, vielleicht auch. Mag sein, dass es da auch große und berühmte Ausnahmen gibt ... Eugen Hillengass ist nicht weltfremd und mit Geld kann er sehr professionell umgehen, aber über ihn als Person sagt das alles noch sehr wenig. Nur wer seine Lei­ denschaft kennt, den Menschen helfen zu wollen, eine Leidenschaft, die Eugen Hillengass mit dem Gründer unseres Ordens, Ignatius, ge­ meinsam hat, wird erahnen, was diesen „ruhelosen Antreiber“ – wie es einer seiner früheren Mitarbeiter einmal formulierte – antreibt, sich noch immer nicht aufs Altenteil zurückzuziehen, sondern nach Kräf­ ten weiterzumachen. Ich sitze heute auf dem Freisinger Domberg im selben Raum und an demselben Schreibtisch, wo einst Eugen Hillengass den Aufbau von Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, vorantrieb. Innerhalb nur eines Jahrzehntes (1993–2002) wuchs diese Organisation unter seiner und Dr. Gerhard Alberts Leitung aus einem jungen Pflänzchen zu dem, was sie noch heute ist, einem großen Hilfswerk mit circa 30 Mio. Euro an jährlicher Projekthilfe im Ausland und einer Inlandsarbeit, die nicht nur Geld einbringen, sondern die wesentlichen Aspekte gelebter So­ lidarität (Partnerschaft, Dialog, Information) in der bundesdeutschen Kirche verankern und mit Leben füllen soll. Wenn auch nur mittelbarer Nachfolger in der Leitung von Renova­ bis, gehe ich doch seit nunmehr zwei Jahren gleichsam in den Schuhen von P. Hillengass und erkenne immer wieder seine unverwechsel­

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baren Spuren. Sein Grundansatz partnerschaftlicher Arbeit etwa gilt bis heute, auch wenn das – damals wie heute – nicht bedeutet, dass jede Idee unserer Partner, wie etwa der Gedanke, man müsse die Höhe eines Kirchturms unbedingt an der Höhe des Minaretts in der Nach­ barschaft orientieren, auf positive Unterstützung von Renovabis stößt. Sachgerecht, im Dienst der Menschen, bloß keine Prunkbauten oder auf Dauer nicht zu unterhaltende Großprojekte – Eugen Hillen­ gass hat immer wieder die nüchterne Frage gestellt, was die geplanten Projekte den konkreten Menschen bringen können. Seine Neugier, um nicht zu sagen Ungeduld, wenn es etwa darum ging, die zukünftige Entwicklung von Renovabis anzustoßen, ist hier im Hause sprichwört­ lich geworden: „Wie geht denn das hier jetzt weiter?“ ist bei Renovabis als „die typische Hillengass-Frage“ bekannt. Schon als Provinzial der Jesuiten habe ich von 2004 bis 2010 Eugen als engen Mitarbeiter in meiner Nähe haben dürfen. Als Verantwort­ licher der Projektförderung SJ – wo er noch heute mitarbeitet – und als Promotor der „Freunde der Gesellschaft Jesu“ kombinierte er auf eine faszinierende Weise Fundraising und Seelsorge miteinander. Damals war ich sehr dankbar, zu fast jeder erdenklichen Tageszeit den Rat meines älteren und erfahrenen Mitbruders in Anspruch neh­ men zu können. Was die Leitung unseres Ordens angeht, haben die rö­ mischen Jahrzehnte Eugen Hillengass enorme Erfahrung gegeben und ihn zu einem weltgewandten, versierten und weisen Mann gemacht. Die Gespräche nach Feierabend, wenn wir uns im Refektorium zum Abendbrot trafen, wurden für mich nicht selten zu Seminaren in Mo­ derner Kirchengeschichte und angewandter Menschenführung. Das vorliegende Buch mit dem provozierenden Titel „Gott und Geld“ handelt ganz wesentlich davon, dass Menschen aus der Kraft des Glaubens und mit allem, was sie zur Verfügung haben, Menschen Gutes tun wollen und dafür auf die Vermittlung anderer Menschen an­ gewiesen sind. Was immer der geneigte Leser oder die geneigte Leserin beim Lesen des Titels assoziiert – an dieser Vermittlung ist nichts An­ rüchiges. Ein integrer und engagierter, vom Glauben her motivierter Vermittler dieser Art ist P. Eugen Hillengass, der sich – ohne eigene Interessen dabei zu verfolgen –, in den Dienst der Menschen stellt, so­ wohl in den derer, die Hilfe geben wollen, als auch in den Dienst derer, die Hilfe brauchen. Er lotet in den Interviews dieses Buches Tiefen und Untiefen einer solchen Berufung aus und erweist sich als guter Analyst der zeitgenössischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Situation.

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vorworte

Die im „animas iuvare“ enthaltene Zielsetzung unseres Ordens ist der Mensch, in seiner konkreten Lebenssituation, aber auch und nicht zuletzt in seiner inneren Verfasstheit, der „Seele“. Eugen Hillengass ist bis heute ein eifriger und gefragter Seelsorger. Ob im Beicht- und Sprechzimmer von St. Michael in der Münchner Fußgängerzone, bei zahlreichen Exerzitienkursen im In- und Ausland, oder einfach in der treuen und liebevollen Beantwortung der Briefe von Spendern und Spenderinnen, der Seelsorger Hillengass hat sich nie nur der Welt der Finanzen verschrieben, sondern nimmt seine priesterliche Berufung bis heute sehr ernst. Die ihn kennen, werden jetzt nicken. Die ihn (noch) nicht kennen, werden nach der Lektüre des Buches nicken. Eugen, ad multos annos!

Ernst Sagemüller

Wozu dieses Buch? Vor etwa 18 Jahren las ich in den „Geistlichen Übungen“ von Ignatius Loyola und war sehr beeindruckt. Ich kontaktierte einen Jesuitenpater und fragte, wo ich diese Übungen machen könnte. Mitten im Sommer waren aber alle Jesuiten ausgebucht. Er sagte: „Da ist in München Pater Hillengass SJ. Er ist eigentlich ein bedeutender Ökonom, kennt sich aber sicher auch in der Lehre des Ignatius sehr gut aus. Ich frage mal an.“ Pater Hillengass hatte Zeit. Das war der Beginn unserer intensiven freundschaftlichen und vor allem geistlichen Verbindung. Es war eine jener Fügungen im Leben, die normalerweise nicht hätten geschehen können, aber offensichtlich sich ereignen sollen. Ich nenne es die „Hand Gottes“. Nicht nur die Begegnung mit Pater Hillengass war bereichernd und wegweisend, sondern auch diejenigen mit zahlreichen anderen Jesui­ ten. Ihnen verdanke ich vertiefende Einblicke in eine hingebungsvolle Lebensweise bewundernswerter Bescheidenheit zur Ehre Gottes und zum Wohl unzähliger leidender Menschen weltweit. Diese Begeg­ nungen haben mir Mut gemacht, mich auch als Nicht-Jesuit zu en­ gagieren gegen Unrecht und Unterdrückung, Gewalt, Terror und Not. Daraus sind vielseitige und fruchtbare, ganz praktische Lebenshilfen in

vorworte

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Südamerika, Asien und Afrika möglich geworden. Diese Aktivitäten dauern an bzw. sind noch in der Entfaltung. Im Juli 2012 feierte Pater Hillengass sein 50-jähriges Priesterjubilä­ um. Ziel dieses Buches ist es, die ethischen Werte und geistlichen Tu­ genden, die tiefe Weisheit vorzustellen, die Pater Hillengass in äußerst bescheidener Selbstverständlichkeit verkörpert, die er in Rom und überall in der Welt in verantwortungsvoller Weise gelebt hat und es noch heute lebt. Es sind nämlich genau diese Werte, die in unserer Gesellschaft „aus der Mode“ gekommen zu sein scheinen, aber essentiell notwendig sind: Selbstlosigkeit, Hingabe, Demut, Nächstenliebe, Vergebung, Be­ scheidenheit, Großzügigkeit, Barmherzigkeit. Diese lebenserfüllenden Werte sind ohne bewusste Verankerung in Gott nicht erreichbar. Der Versuch, ohne Verantwortung vor Gott zu leben, bescherte uns eine „Burn-out“Gesellschaft im Bereich des Menschen wie auch der Natur. Wenn wir einige Aspekte des vielschichtigen Lebenswerkes von Pa­ ter Hillengass aufzuzeichnen versuchen, wird hoffentlich die bewun­ dernswerte Größe der Jesuiten allgemein und ihres Ordens sichtbar, die sich in liebevoller Aufopferung selbstlos zur Verfügung stellen, um Armen, Unterdrückten, Bildungshungrigen in aller Welt beizustehen. Viele mussten diesen Dienst mit ihrem Leben bezahlen. Sie haben die immer noch verbreitete Stigmatisierung und die ge­ hässigen Märchen, die von Nicht-Informierten nachgeplappert oder gegen besseres Wissen verbreitet werden, wahrlich nicht verdient. Un­ geachtet aller Schwierigkeiten versuchen sie seit 500 Jahren – damals wie heute – alles zu geben „zur größeren Ehre Gottes und dem Wohle der Menschen“.

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Pater Eugen Hillengass SJ im Interview mit Ernst Sagemüller

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Du hast mich gerufen – Herr Jesus Christus! Ich bin Dir gefolgt! Das habe ich niemals bereut! Pater Eugen Hillengass SJ

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Lebensdaten Pater Eugen Hillengass SJ Geb. 1930 in Frankfurt am Main 1937–1943 Schulbesuch in Frankfurt 1943 Verschickung aus Frankfurt wegen der Kriegsereignisse nach Baden-Baden und Überlingen (Bodensee) 1946–1950 Besuch des Jesuitengymnasiums in St. Blasien (Schwarzwald) 1950 Abitur und Eintritt in die Gesellschaft Jesu 1950–1968 Ordensausbildung mit Studium und Abschlüssen in Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaftslehre in Pullach bei München, Innsbruck, München, Mannheim und den USA 1968–1971 Sozius des Provinzials der süddeutschen Provinz der Jesuiten, München 1972–1993 Generalökonom der Gesellschaft Jesu in Rom 1993–2002 Geschäftsführer von Renovabis, der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa 2002–2009 Leiter Projektförderung der deutschen Provinz der Jesuiten in München 2010 Übergabe der Leitungsfunktion an Pater von Gemmingen, den früheren Leiter der deutschspra- chigen Sektion von Radio Vatikan. Seit 2010 „Glück des Gebrauchtwerdens“: Beichthören, hl. Messen, Taufen, Beerdigungen, Artikel schreiben, Online-Exerzitien, Finanzberatung, Beratung der Abteilung „Projektförderung“, u. a. für Testaments- fragen

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Du hast mich gerufen – Herr Jesus Christus! „Gott stellte mich immer zur rechten Zeit genau an den richtigen Platz“ Zeitreise durch ein überaus erfülltes Leben

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vom hotel ins münster

Vom Hotel ins Münster (1930–1946) Sie haben praktisch die ersten Jahre Ihres Lebens im Hotel verbracht. Das lässt nicht gerade auf eine jesuitische Ausrichtung schließen. Nein, ganz gewiss nicht. Ich bin nicht gerade in einem Hotel geboren, schon in einer Klinik. Aber mein Zuhause war ein Hotel. Beide Eltern und auch beide Großelternpaare waren Hoteliers. Meine ganze Kind­ heit spielte sich in der Tat in Hotels ab. Wenn ich zu Verwandten fuhr, war es auch dort ein Hotel. Oder wenn ich die Sommerferien in Über­ lingen am Bodensee verbrachte, war es auch dort ein Hotel. Das war in der damaligen Zeit (zwischen 1930 und 1943) auch ganz üblich. Es gab noch keine Hotelketten. Aber es gab Freundschaften zwischen Hoteliers, sodass man sich gegenseitig auch Gäste weiter­ empfahl. An welche Ereignisse aus dieser Zeit können Sie sich noch erinnern? Vor allem an das Zeppelin-Luftschiff. In unserem „Frankfurter Hof “ in Frankfurt am Main, dem ersten Haus in Frankfurt, kamen alle Rei­ senden zusammen, die dann in die USA oder anderswohin flogen. Diese Luftschiffe, mit denen ich zwar nie geflogen bin, die ich aber von außen und innen bestaunen konnte, haben mir sehr imponiert. Denn das waren ja für meine Kinderaugen riesige Dimensionen. In diesem Luftschiff gab es nicht nur einen vornehmen Speisesalon, es gab sogar einen Rauchersalon, was bei der Unmenge Benzin und Wasserstoff­ gas, die dieses Luftschiff mit sich führte, nicht ungefährlich war. Oder ich erinnere mich noch ziemlich genau an die sogenannte „Reichs­ kristallnacht“ vom 9. zum 10. November 1938, als die Pogrome gegen die Juden ihren vorläufigen Höhepunkt erreichten. Ich habe das mit Schrecken verfolgen müssen, da in unserer Nähe ein jüdisches Hos­ piz war. Übrigens waren sehr viele unserer Stammgäste und Freunde Juden. Mein Großvater hatte wegen des internationalen Publikums keinerlei Parteipolitiker, auch nicht aus dem Umfeld Hitlers, ins Hotel aufgenommen. Hitler musste deshalb in Frankfurt am Main im „Base­ ler Hof “ absteigen. Er hat das niemals vergessen, auch nicht, als er spä­ ter der oberste „Führer“ war. Zum Glück ist uns aber nichts passiert, was durchaus hätte sein können. Später, als die Nazis an der Macht

vom hotel ins münster

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Das Fünf-Sterne-Hotel „Frankfurter Hof “ (Steigenberger-Kette) heute, ein im Zweiten Weltkrieg völlig zerbombtes und später originalgetreu wiederaufgebautes Luxushotel. Hier verbrachte Pater Eugen Hillengass seine ersten Lebensjahre. Seine Eltern waren die Direktoren bis 1940.

Eugen Hillengass im Alter von einem Jahr

Mit Cousine im Alter von fünf Jahren

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waren, war es üblich, dass zahlreiche „Größen“ bei uns logierten. Häu­ fig ist Göring mit seiner Frau bei uns abgestiegen. Ich erinnere mich noch, wie meine Schwester „der hohen Frau“ ein Blumensträußchen überreicht hat. Auch wenn Sie jetzt als Priester eine hochgeachtete Persönlichkeit sind, haben Sie doch sicher in der Kindheit Streiche oder Dummheiten ausgeführt? Abgesehen vom Eisnaschen in der Hotelküche gab es da nichts Aufre­ gendes. Sie haben also niemals „Dummejungenstreiche“ ausgeführt? Kirschen klauen, Streichhölzer in die Klingeln der Häuser stecken, Fensterscheiben einwerfen oder so etwas? Es klingt fast unglaublich, aber nein. Das Einzige, woran ich mich noch gut erinnern kann, ist die Geschichte mit der Landsknechtstrommel. Was ist da passiert? Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt und bekam zum Geburtstag eine Landsknechtstrommel. Meine Großeltern auf dem Lande, wo ich zu dieser Zeit weilte, fanden es nicht so beglückend, dass ich meine ersten künstlerischen Wirbelversuche mit dieser Trommel sehr früh morgens im Badezimmer auf der Toilette durchführte. – Etwas an­ deres ist mir noch in Erinnerung, dass nämlich mein Vater und sein Freund sich an meiner Märklin-Spieleisenbahn erfreuten, die immer zu Weihnachten aufgebaut wurde ... ich durfte aber vor Weihnachten natürlich nicht in dieses Zimmer. Womit haben Sie gespielt? Hatten Sie, abgesehen von der Eisenbahn, zu der sie selten Zugang bekamen, Puppen, einen Teddy oder ein Stoffpferdchen? Nein, mit so etwas habe ich mich niemals befasst. Aber ich hatte Pla­ stilin-Soldaten, mit denen ich gerne spielte, die ich aufbaute und mar­ schieren ließ. Wer waren die Gegner? Die Juden oder Nicht-Arier? Nein, nein, so herum habe ich nicht gespielt, es gab keine Gegner. Ich hatte Spaß an einer Soldatenformation, die mit einer „Musikkapelle“, mit glänzenden, schmucken Uniformen „vorbeimarschierte“. „Ge­

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schossen“ oder „gekämpft“ wurde bei meinen Spielen nicht. Da hätten meine Eltern vielleicht auch eingegriffen. Im Übrigen spielte ich gerne mit kleinen Autos und hatte auch ein Tretauto.

Die erste Klasse, 1937. Eugen Hillengass: letzte Reihe ganz links außen

Sie sind zur Hitlerzeit ab 1937 in die Grundschule gegangen. Hatten Sie eine Tasche oder eine Tüte oder trugen Sie die Bücher und Hefte, wie damals üblich, unter dem Arm? Nein, ich bekam zur Einschulung einen richtigen Ranzen, den man auf dem Rücken tragen konnte ... und natürlich eine große Zuckertüte. Der Ranzen war mir aber lieber. Hatten Sie Pausenbrote von zu Hause mit oder gab es so etwas wie Schulspeisung? Es gab die üblichen belegten Butterbrote von zu Hause, die ich artig gegessen habe, obwohl ich von anderen Schülern auch lernte, wie man diese „entsorgen“ konnte, falls das „Draufgelegte“ nicht behagte. Mussten Sie in die Schule „getrieben“ werden oder sind Sie freiwillig oder gar gerne gegangen? Ich ging gerne in die Schule. Es war interessant, jeder Tag war anders und es war immer „etwas los“. Ich war für Stunden mir selber überlas­ sen, oft auch den ganzen Tag über, denn meine Eltern waren ja beide im Hotel tätig.

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Was für ein Typ von Schüler waren Sie: eifriger Streber oder genialer Überflieger? Eigentlich weder noch! Ich lernte nicht, weil ich dem Lehrer oder mei­ nen Eltern eine Freude machen wollte, und war auch nicht der „Hier Herr Lehrer, ich weiß was“-Junge, sondern mir fiel es halt nicht leicht. Deshalb musste ich alles mit viel Fleiß erarbeiten. Dazu war das An­ trainieren einer gewissen Disziplin unerlässlich. In der Klasse war ich eher ein unauffälliger Schüler, habe mich nie irgendwann oder irgend­ wo vorgedrängelt oder bei jeder unbedeutenden Gelegenheit den Fin­ ger gehoben. Vielleicht haben Sie von daher Ihre von allen Seiten bewunderte Zähigkeit und geduldige Ausdauer? Mag sein, auf jeden Fall fiel es mir während meiner gesamten Lebens­ zeit niemals und nirgendwo leicht. Ich musste mir alles erkämpfen, be­ gleitet von argen Minderwertigkeitskomplexen (auch wenn das nicht bemerkt wurde). Wieso hatten Sie gerade diese Komplexe? Ich weiß auch nicht, aber wahrscheinlich führten der Respekt vor der Aufgabe und die Kenntnis meiner eigenen Fähigkeiten und Möglich­ keiten dazu. Das war bei allen Aufgaben in meinem Leben so. Ich bin niemals mit einer Art „Hoppla – das kriegen wir schon hin!“Mentalität an eine Sache herangegangen, sondern bedenkend und abwägend. Wieviele Stunden Unterricht gab es durchschnittlich täglich? In der Grundschule 4, in der höheren Schule 5 bis 6, aber nur vormittags. Die Schule war kostenlos? Die öffentliche Schule (Grund- und höhere Schule) war kostenlos. Die private Schule kostete natürlich Geld. Wie war die Klasse zusammengesetzt (Sie kamen ja aus einem großbürgerlichen Haushalt)? In der Grundschule waren alle Bevölkerungskreise vertreten, aber zur damaligen Zeit gab es noch keine Migrantenkinder. In der höheren Schule waren es vorwiegend Kinder aus Akademikerhaushalten.

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Sind Sie nach der Schule gleich nach Hause gegangen? Oder noch herumgelungert? Nicht gleich nach Hause, aber auch nicht zu lange herumgelungert. Heimlich geraucht? Nein, da hatte ich irgendwie kein Interesse daran. Was dachten Sie, als sich diese Hitler-Ära entwickelte? Oder haben Sie sich nicht dafür interessiert? Ich bin 1930 geboren, 1933 wurde Hitler Reichskanzler. Die Vor- und Alleinherrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland hatte sich entwickelt, bevor ich dafür oder dagegen Interesse entwickeln konnte. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl, der im selben Jahr wie ich geboren wurde, nannte dieses Phänomen „die weißen Jahrgänge“. War der Unterricht sehr politisch geprägt? Eigentlich anfangs nicht, abgesehen vom Hitlergruß und Fahnen­ appellen und ähnlichen Dingen, die wir halt vollzogen, weil es selbstverständlich war. Das änderte sich ab 1942 und wurde bis 1945 zunehmend stärker. Wir hatten Lehrer, die nicht an die Front wollten und sich deshalb als „Stärker der Heimatfront“ profilierten und zuwei­ len in Uniform unterrichteten. Sicherlich hat das auch jeder Schüler unterschiedlich empfunden. Ich empfand die Schulzeit inhaltlich nicht extrem politisch, von Geschichte vielleicht abgesehen. Schwieriger war es, Kirche und Jungvolk unter einen Hut zu bringen. Zwei Mal in der Woche nachmittags mussten wir beim Jungvolk Dienst tun: Mar­ schieren, auf Kommandos hören und handeln, Sport und Abenteuer­ Übungen für den Ernstfall, der für mich Gott sei Dank nicht kam, da der Krieg mit dem bekannten Chaos zu Ende ging, noch ehe ich zum Volkssturm eingezogen werden konnte. Sie sagten, dass Kirche und Jungvolk schwierig miteinander in Einklang zu bringen waren. Warum? Kirche war doch nicht verboten? Hitler empfand sich doch als eine Art neuer Jesus, als Retter der germanischen Rasse? Kirche war ungeliebt von den Nazis, weil sie als Konkurrentin, fremd­ ländisch und weit überlegen empfunden und deshalb abgelehnt wurde. Sie ließ sich nicht in das religionsphilosophisch rassistische Bild ein­ gliedern.

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Wie kamen Sie dann aber aus diesem Milieu in eine katholische Umgebung? Das war um 1939, als mein Vater zur Wehrmacht eingezogen wurde. Meine Mutter mit uns Kindern und die Großeltern mütterlicherseits gingen regelmäßig zur Messe. Wir hatten in unserer Pfarrei einen sehr guten Kaplan. Durch ihn kam ich in die Jugendarbeit der Gemeinde, die weithin verboten war im 3. Reich. So geriet ich fast automatisch zum „Ministrieren“, und das war irgendwie „meine Welt“ – so, als wäre ich dafür vorgesehen. In den folgenden Jahren wurde das Ministrie­ ren zu einer Selbstverständlichkeit, und zwar überall, wo ich hinkam. Die Nähe zum Altar und besonders zur Liturgie hat in mir die Idee aufkommen lassen, einen Beruf auszuüben, der unmittelbar mit die­ sen Dimensionen zu tun hat. Das war nicht so einfach zu Kriegszeiten, oder gleich danach. Denn zunächst mussten wir aus Frankfurt fliehen, da das Hotel 1944 durch Bomben abgebrannt war. Wir hatten Ver­ wandte in Überlingen am Bodensee. Dorthin gelangten wir mit mei­ ner Mutter. Wie kamen Sie aus dem brennenden Frankfurt heraus? Und wie gelangten Sie nach Überlingen? Wir Kinder waren schon 1943 aus Frankfurt herausgebracht worden. Meine Mutter blieb bis zur Zerstörung des Hotels, die sie selber auch nicht erleben musste (weil sie außerhalb der Stadt bei Freunden schlief). Nach der Zerstörung des „Frankfurter Hofes“ wohnten meine Mutter und meine Schwester in Baden-Baden in einer Ein-Zimmer-Woh­ nung, während ich bei den Großeltern, ebenfalls in Baden-Baden, das bessere Los gezogen hatte. Meine Mutter arbeitete bei Freunden und an diversen anderen Ar­ beitsstellen und zog dann mit meiner Schwester nach Überlingen am Bodensee, bis sie mich 1944 auch dorthin holen konnte.

„Lülosau“ – Am Kolleg St. Blasien

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„Lülosau“ – am Kolleg St. Blasien (1946–1950) Pater, erinnern Sie sich noch an die genaueren Umstände, wann der Entschluss in Ihnen reifte, Priester zu werden? Es war um das Jahr 1945. Durch das regelmäßige Ministrieren bei den hl. Messen, die physische Nähe zum Altar, das Berührtwerden von der Würde und heiligen Ernsthaftigkeit der Liturgie, die Beobach­ tung von Priestern und der seelischen Not vieler Menschen zu dieser Kriegs- und Nachkriegszeit reifte allmählich, aber stetig wachsend der Wunsch, in diesem Umfeld dienend zu helfen. Die Kriegsjahre mit Elend, Zerstörung und Verwüstung, Entwurzelung und unsagbarem Leid ... inwieweit hat das Ihren Entschluss beeinflusst? Das hat mich natürlich ernster gemacht, aber nicht unmittelbar zur Berufswahl geführt. Wie empfanden Sie als junger Mann den seelischen Zustand der Menschen in Deutschland? War es mehr diese Haltung „Gott gibt es nicht, sonst würde er das nicht zulassen!“ – oder gerade wegen des Elends eine Hinwendung zu Gott als quasi letzte Hoffnung? Oder war es eine allgemeine seelische Verwahrlosung? Es gab da sicherlich all dies. Aber wohl verstärkt eine Hinwendung zu Gott in einer Zeit irdischer Hoffnungslosigkeit. Sie waren ja im Altersstadium der berüchtigten Pubertät, also Aufbegehren ... Sind Sie rebellisch gegen Ihre Mutter, Erwachsene und das ganze Establishment gewesen und haben Sie es für das Elend verantwortlich gemacht? Ich habe das Elend mitgelebt und gesehen, wie die mir bekannten Er­ wachsenen darunter litten. Deshalb hatte ich keine Wut oder Aufbe­ gehren, sondern eher Mitleid und den Wunsch des Mittragens. Und wie kamen Sie nach St. Blasien? Allmählich wurde das Priestertum mein Berufsbild. Dazu gehörte da­ mals die Kenntnis alter Sprachen, vor allem auch des Griechischen. Das konnte ich an meinem Schulort, Überlingen am Bodensee, nicht lernen. Deshalb machten sich meine Mutter und ich 1946 auf die Su­

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„Lülosau“ – Am Kolleg St. Blasien

Das Kolleg kurz nach seiner Wiedereröfnnung 1946 (Foto: Archiv Kolleg St. Blasien)

che. Vorher erfuhren wir, dass in St. Blasien im Schwarzwald ein Jesui­ tengymnasium im Mai eröffnet würde. Wie kamen Sie dahin? St. Blasien liegt abseits der großen Linien und es war fast alles zerstört. Von Überlingen bis nach St. Blasien sind es nicht mehr als 120 km. Heute eine Stunde Fahrtzeit. Kurz nach dem Zusammenbruch des Landes, unter chaotischen Zuständen, mit französischen Besatzungs­ kontrollen, zerstörten Bahnlinien mit Zügen, die nicht im besten Zu­ stand waren, unsicheren Landstraßen, war diese Fahrt ein Abenteuer. Einen Abschnitt wurden wir im Zug mitgenommen, mussten aber zu siebt auf der Toilette kampieren und dieses enge Plätzchen, immer wieder sich irgendwohin quetschend, räumen, wenn jemand „mal musste“. Oder eine andere Wegstrecke konnten wir mit einem Krad (Motor­ rad) zurücklegen. Meine Mutter im Beiwagen, ich auf dem Sozius ... Wie auch immer, wir schafften es. In welchem Zustand war das Gelände des Kollegs von St. Blasien? Das Gymnasium hatte gerade eröffnet. Das aber war mehr symbolisch. Da diese Anstalt während des Krieges als TBC-Lungenheilstätte ver­

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wendet worden war, mussten alle Räume zunächst gereinigt und ge­ weißt werden. Alles war mehr oder weniger improvisiert. Aber der gute Wille und die Hoffnung auf friedlichere Zeiten, sowie tatkräftiges Zupacken verhalfen schrittweise aus dem desolaten Zustand. Sie wollten Priester werden – dazu brauchten Sie eine humanistische Ausbildung ... Vor allem musste ich gründliche Kenntnisse in Latein und Griechisch erwerben. In Überlingen am Bodensee gab es nur eine deutsche Ober­ schule, wo wir etwas Latein lernen konnten, aber kein Griechisch. Das wollte ich an dem neu eröffneten Kolleg tun. Was und wie haben Sie dort gelernt? Wir hatten Deutsch, Latein, Griechisch, Französisch, weil St. Blasien zur französischen Besatzungszone gehörte, Mathematik, Physik, Bi­ ologie, Erdkunde, Turnen, Musik und Geschichte. Es gab keine Ge­ schichtsbücher, denn die aus der Nazizeit konnten nicht verwendet werden. Unser Geschichtslehrer, ein Jesuitenpater, war aber ein so glänzender Fachmann, dass es ihm gelang, in kürzester Zeit die Lü­ cken zu schließen. Er schrieb selber Lehrbücher für uns. Überhaupt waren alle Lehrer ausgezeichnet ... Woher kamen diese Lehrer? Wir hatten Unterricht bei 15–20 Patres, aber auch Laien, die früher Lehrer gewesen waren und zum Teil als Mitläufer jetzt ein paar braune Flecken auf der Jacke nicht ganz verbergen konnten. Sie waren fachlich sehr gut bis hervorragend. Woher sie kamen? Sprichwörtlich aus der ganzen Welt. Einen Pater rief man aus Argentinien zurück. Wie viele Schüler gab es in diesem ersten Nachkriegs-Durchgang? Wie lebten Sie? Insgesamt ca. 300 – in meiner Abteilung 84 Zöglinge. Ich benutze bewusst dieses Wort, da wir unter der „Lülosau“ lebten, das heißt „Lückenlose-Aufsicht“, rund um die Uhr. Es gab Schlafsäle, Spielsäle, Speisesäle, Studiersäle, alles einfach, aber in Ordnung. Gab es ausreichend zu essen? Durch Gottes Gnade und das unermüdliche Bemühen Einzelner, wie z. B. Bruder Schuhmacher, hatten wir, was nötig war. Dieser Bruder

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fuhr durch die Lande und hamsterte, was es zu bekommen gab: Kohl, Kartoffeln. Oder aus Rom kam gelegentlich ein Solidaritäts-Waggon mit Lebensmitteln, sagen wir so: Wir kamen durch! Gab es Freizeit? Ja natürlich, aber immer unter „Lülosau“ ... Wir hatten Gelegenheit, Sport zu treiben, beispielsweise Handball, oder machten Spaziergänge in die waldreiche Umgebung in sogenannten „gesteckten“ Gruppen. Der Aufsicht führende Erzieher stellte, „steckte“, wie er das nannte, die Gruppen jeweils individuell so zusammen, dass Klüngelei und Streicheplanungen gar nicht aufkommen konnten. Was ist gemeint mit „gesteckt“? Jeder Zögling hatte ein Holzklötzchen mit seinem Namen darauf. Auf einem Lochbrett wurden Gruppen „gesteckt“ mit den Klötzchen, da­ mit ein jeder genau wusste, Wo und Wann er mit Wem zu sein hat­ te. Das wurde auch anderweitig verwendet, zum Beispiel für Musik, Nachhilfe, Chor, Blechmusik, Beichte ... Das heißt aber, dass Sie nicht nur die klassischen schulischen Lernfächer hatten, sondern auch musisch-künstlerische Angebote. Oh ja, es gab eine breit gefächerte Auswahl an Möglichkeiten, auch oder besonders nach dem Krieg. Kunst kann ja vieles heilen. Wir hat­ ten ein Blasorchester, das besonders an Fronleichnamsprozessionen, aber auch bei anderen Gelegenheiten eingesetzt wurde, oft gemein­ sam mit der Stadtkapelle. Oder es gab Chor und Streichorchester und auch gregorianische Choräle in der Schola. Daneben sollte ich beto­ nen, dass auch Einzelunterricht in Violine, Klavier, Cello, Orgel usw. für besonders Talentierte ermöglicht wurde. Alles aber während der Freizeit, nachmittags oder am Wochenende. Und Sie haben als Trommler musisch mitgewirkt? Nein, ich habe Klarinette gespielt. Wie perfekt waren Sie dabei? So, ... dass es nicht unangenehm auffiel! Kamen während der Studienzeit in St. Blasien Zweifel an Ihrem Berufswunsch auf?

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Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil! Das vorbildhafte Leben unserer Priester, Lehrer und Brüder hat diesen Wunsch bekräftigt. Konnten Sie das damals bezahlen? Ich nehme an, dass es nicht billig war. Nein, natürlich konnte meine Mutter das nicht bezahlen. Und da kam wieder so etwas wie Fügung in mein Leben. Denn ich erhielt ein Voll­ stipendium. Damals war es üblich, dass niemand davon erfuhr – weder Lehrer noch Schüler, nur der Rektor, und der schwieg. Durch diesen glücklichen Umstand konnte ich dort 4 Jahre lang lernen. Wie haben Sie gelernt? Waren Sie so etwas wie ein genialer „Überflieger“, wie man heute sagt, einer, der alles „mit links“ machte, oder mussten Sie sich alles klein und fleißig erarbeiten? Zuerst hatte ich schreckliche Minderwertigkeitskomplexe, ob ich das Ganze überhaupt schaffe ... ich meine die schulischen Anforderun­ gen. Ich hatte keine Ahnung von Griechisch, mein Latein war mehr als dürftig. Dann aber langsam, mit zähem Bemühen und, man kann auch wohl sagen: Fleiß, der ja eng mit Disziplin gepaart sein muss, ging es vorwärts, schrittweise. Im Abitur habe ich einige Aufgaben zwei Mal gelöst, für meinen Nachbarn gleich mit. Wenn man Ihre Bilder aus dieser Zeit betrachtet: ein sehr attraktiver junger Mann! War da niemals ein weibliches Wesen, das sich für Sie – oder Sie sich für dieses – interessiert hat? Nein, da gab es niemanden. Ich weiß, das klingt nicht überzeugend, aber es war so. Ich habe Mädchen und Frauen immer eher übersehen. Sie hatten vielleicht keine Gelegenheit, jemanden kennenzulernen in der Abgeschiedenheit von St. Blasien. Oder gab es so etwas wie gemeinsame Feste mit einer Mädchen-Oberschule? Nein, damals noch nicht, nicht einmal einen Tanzkurs. Heute sind sol­ che Begegnungen üblich, schließlich ist es nicht das vordergründige Ziel, alle Jungen und Mädchen zu Mönchen und Nonnen zu erziehen. Wohl aber werden Grundlagen und ethische Verhaltensformen, die zum verantwortlichen Handeln in einer gesunden Familie gehören, in der Ausbildung angesprochen. Selbst die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben erzählt, dass es in der Studentenzeit freundschaftliche Begegnungen mit Mäd-

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chen gegeben hat, sie sich dann aber letztlich für die geistliche Laufbahn entschieden hätten. So etwas hat es bei Ihnen nie gegeben? Nein, Wünsche, sich doch in einer Familie zu binden, hat es nie gege­ ben. Auch später habe ich nie diesen Wunsch verspürt. Vielleicht auch, weil ich vollkommen glücklich und zufrieden mit meinem Weg als Priester war. Vielleicht wirkte da auch sehr tief aus dem Unterbewusst­ sein die nicht sehr glückliche Beziehung meiner Eltern nach ... Wie ging dann diese Zeit von St. Blasien zu Ende? Abitur? Ja, ich machte das Abitur. Später, während Ihrer Ausbildung im Orden, waren Sie einige Jahre Präfekt und mussten auf die Kleineren aufpassen. Waren Sie sehr streng? Das kann ich so nicht beurteilen ... Da müssten Sie diese Schüler fragen. Ich weiß nur, dass ich manche Schliche, verbotene Dinge doch zu tun, durchkreuzt habe. Was zum Beispiel? Ich wusste, wo einige Schüler ihre Zigaretten versteckt hatten, nämlich in den Hohlräumen der Kleiderstangen, und habe sie da gefunden und konfisziert. Oder ich wußte um kleine Tauchsieder, die in großen Foli­ anten verborgen waren ... Tauchsieder? Wozu? Um sich heimlich Brühe oder Kaffee zu kochen, was man aber roch. Warum? War das Essen so schlecht? Nein, das nicht gerade, aber weil Menschen nun einmal Individua­ listen sind und – neben dem üblichen Gemeinschaftsessen – auch et­ was Spezielles genießen wollten, und sicherlich, weil es verboten war – das reizt doch. Und wie haben Sie diese Tauchsieder entdeckt? Tja, der klügste Schüler macht halt kleine Fehler bei solchen Aktionen; mir fiel auf, dass es immer längst ausrangierte Jahrgänge von Folianten waren, deren Buchrücken halt nicht zwischen die aktuellen Bände passten. Gab es drakonische Strafen oder eher christlich milde Ermahnungen?

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Aktuelles Luftbild der Gesamtanlage des Jesuiten-Kollegs St. Blasien, Schwarzwald

Wie wurden derartige Kleinstvergehen bestraft? Drakonisch waren die Strafen nicht. Nachsitzen, extra Studienaufga­ ben oder zusätzliche Hilfsdienste im Kolleg, wodurch die ohnehin kur­ ze Freizeit noch einmal verknappt wurde. Während dieser Zeit lernte am gleichen Kolleg der spätere bedeutende CDU-Politiker Heiner Geißler, der 1949, ein Jahr vor Ihnen, Abitur machte. Hatten Sie mit ihm Kontakt oder fiel er in besonderer Weise auf? Er hat ja später als Jurist und Minister, als CDU-Generalsekretär und Buchautor Bedeutendes geleistet und ist heute noch sehr aktiv. Natürlich kannte und kenne ich Heiner Geißler, wir waren ja nur ein Jahr in der Schule auseinander. Auch er ist in den Jesuitenorden einge­ treten und war etwa 5 Jahre bei uns, bevor er austrat. Und war bereits klar, was Sie als Nächstes tun würden? Noch in der Oberprima habe ich mich als Kandidat bei der oberdeut­ schen Provinz der Gesellschaft Jesu beworben, also bei den süddeut­ schen Jesuiten, und wurde von vier Patres examiniert und danach vom Provinzial aufgenommen. Im September 1950, also wenige Monate nach dem Abitur, bin ich ins Noviziat des Ordens eingetreten. 1977 gab es an den Kollegsbauten einen Großbrand, der weite Teile der Anlage zerstörte. Die Frage war damals: Schließung oder Weitermachen?

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Man hatte sich für Weitermachen entschlossen. Zum einen entspricht es nicht jesuitischem Geist, schnell aufzugeben, und man wollte we­ der Jesuiten am Kolleg, noch Schüler und deren Eltern, noch die zahl­ reichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Schwierigkeiten bringen. Zum anderen wurde der Wiederaufbau durch die zufällige Tatsache begünstigt, dass ein Sohn des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (der 1978 zurücktreten musste) an diesem Kolleg lernte und das Land beträchtliche Mittel beisteu­ erte. Aber auch zahlreiche private Spender, besonders die im Denk­ malschutz engagierten, ermöglichten den schrittweisen Wiederaufbau. Heute ist das Kolleg eine der modernsten und besten Bildungseinrich­ tungen in Deutschland. Etwa 850 Schülerinnen und Schüler aus über 25 Ländern (davon 300 im Internat) lernen unter dem Motto: „Men­ schen für andere: Wissen, Gewissen, Gespür“, dem weltweiten Auftrag ignatianischer Pädagogik (zitiert aus der Kollegsbroschüre).

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Ordensausbildung mit Studium und Abschlüssen in Philosophie, Theologie und Betriebswirtschaftslehre (1950–1968) Pater Hillengass, 18 Jahre Ordensausbildung sind eine sehr lange Zeit. Warum hat die Ausbildung einen solchen Umfang? Die Ausbildung ist so lang, weil die Ordensmitglieder einen sehr ho­ hen Bildungsstandard erwerben sollen. Allerdings ist die Ausbildungs­ zeit unterbrochen durch praktische Jahre mit geistlichen und sozialen Akzenten. Ich habe nach dem zweijährigen Noviziat [Vorbereitungs­ zeit auf das Ordensleben] und einem Jahr Juniorat [Studienzeit der alten Sprachen und des Deutschen] zunächst drei Jahre in unserem Ordenshaus in Pullach bei München Philosophie studiert. Welche Art von Philosophie? Antike Philosophie? Wozu brauchen Sie das als Priester? Philosophie ist die Wissenschaft vom menschlichen Leben und damit die Grundlage für die Theologie, denn ich muss erst Mensch sein, um dann Christ sein zu können. Danach studierte ich in Innsbruck, München, Mannheim und auch den USA Theologie und Betriebswirtschaftslehre. Wieso USA und nicht Rom? Weil ich zur Blickweitung mein letztes Jahr der Ordensausbildung, das sogenannte Terziat, also das dritte Probejahr, in den USA absol­ vierte und dabei einige Kurse in Betriebswirtschaftslehre studierte. USA auch deswegen, weil dort ein Platz frei war, und weil ich Englisch sprach und deshalb keine neue Sprache erlernen musste. So kam ich nach Cleveland, Ohio, Cincinnati, San Francisco. Und was haben Sie nach dem Terziat gemacht? Ich habe mir erst einmal zwei Monate lang einige Teile der USA ange­ sehen. Und dann sind Sie zurück nach Deutschland geflogen? Nicht geflogen. Damals fuhr man vorwiegend mit dem Schiff. Ich wirkte als Schiffskaplan auf der Überfahrt von Montreal nach Southampton. In Montreal hatte ich nur einen Tag Zeit, um etwas von der Stadt zu

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Ordensausbildung mit Studium

Der junge Pater Hillengass als Teilnehmer des University of Omaha College Business Management Course USA, 1965 (3. Reihe von oben mit Priestergewand)

sehen. So kam ich dazu, als einziger Gast im letzten Sightseeing-Bus des Tages gefahren zu werden. Das ist mir deshalb in bleibender Er­ innerung, weil der Fahrer – offenbar, um mir einen besonderen Ser­ vice zu erweisen – das Tonband mit den Erklärungen abstellte und es persönlich tat. Nur legte er seine Erläuterungen weniger auf kul­ turelle, aber umso mehr auf kriegerische Aspekte, z. B. „also hier, auf diesem Platz, haben die Engländer 25 Leute aufgehängt“ oder „an je­ ner Ecke haben die Engländer 12 Offiziere erschossen!“ usw. Es war eine sehr spezielle Führung! Und was veranlasste Sie dazu, Betriebwirtschaft zu studieren? Sie wollten doch Priester werden? Ich war bereits Priester und wurde vom Provinzial gebeten, Be­ triebswirtschaft zu studieren, weil er einen Ökonomen brauchte und deshalb bereits sanften Ärger mit Rom hatte. Konkrete Veran­ lassung war ein Knöchelbruch im Fuß während des letzten Jahres des Theologiestudiums, der wegen der Nachbehandlung die Ausbil­ dung im sogenannten Terziat unterbrach. Darum stellte der Provin­ zial die obige Bitte.

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Ordensausbildung mit Studium

In Innsbruck lehrten die großen Theologen, die Brüder Hugo und Karl Rahner. Das muss doch ein besonderes Erlebnis für Sie gewesen sein. Ich habe natürlich mitbekommen, dass diese beiden Hochschullehrer von ganz außerordentlicher Bedeutung für das Eindringen in geist­ liche Dimensionen des Christseins sind. Genauso wie der Liturgiker Andreas Jungmann, der mit seinen Forschungen einen großen Teil der Gottesdienstreformen des Zweiten Vatikanischen Konzils vorbe­ reitet hat. Aber so richtig in der ganzen Bedeutung erkannten wir das Wirken von Hugo Rahner erst, nachdem seine „Eine Theologie der Verkündigung“ gedruckt, aber nicht verkauft worden und in den Kel­ lern verschwunden war. Und als genau dieses Werk nach dem Welt­ krieg reißend abgenommen und mit großem Gewinn verkauft wurde, fragten wir uns natürlich nach der Ursache.

Hugo Rahner

Karl Rahner

Was war geschehen? Wer hatte angewiesen, dass dieses Werk in die Unterwelt verbannt sein sollte? Die Botschaft des Werkes war: Verkündigung! Wem? Den Menschen ganz allgemein, nicht nur eingeweihten Christen. Raus aus den war­ men Studierstuben und auf die Kriegsgeplagten in ihrem Ringen um Fassung und Lebensbewältigung zu. Auf die Menschen zugehen! Hugo Rahner hat weitere großartige Werke herausgegeben bzw. verfasst. So „Ignatius von Loyola. Briefwechsel mit Frauen“ oder „Bei­ träge zur Herz-Jesu-Verehrung“, und er hat vor allem ungezählte Exer­ zitien gegeben.

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Aber das ist doch selbstverständlich! Wenn man das Neue Testament ernst nimmt, sind das die Kernbotschaften Jesu. Waren die dann irgendwann verloren gegangen oder vielleicht „vergraben“ worden unter der Last theologisch-dogmatischer Interpretationen? Bis nach dem Zweiten Weltkrieg blieb Theologie systemimmanent und wurde immer weniger lebensnah. Deshalb erschien die Erwerbung dieser Lebensnähe zunächst als eine Gefahr und wurde „abgeblockt“. Und Sie als Studenten haben das Neue begeistert aufgenommen oder waren Sie eher verunsichert, weil „zwischen die Fronten“ gekommen? Natürlich haben die meisten von uns das Neue gerne aufgenommen, mussten es aber mit den alten Traditionen verbinden – mit allen Schwierigkeiten, die das auch mit sich brachte. Und Karl Rahner? Karl Rahner war ebenfalls ein Querdenker. Quer – gegen wen und welche Denkart? Er kam von der Existenzphilosophie her (im Zentrum steht die Exi­ stenz des Menschen), war von Martin Heidegger (1889–1976, Haupt­ werk: „Sein und Zeit“) und anderen beeinflusst und kannte aber auch die scholastische Theologie sehr gut, durchdachte sie neu in ei­ ner neuen Zeit. Er sollte Philosophieprofessor in Pullach werden und hatte dafür eine Arbeit in Freiburg einzureichen, um seinen Dok­ tortitel zu bekommen. Aber seine Dissertation wurde nicht ange­ nommen. Daraus wurde später sein genialer Traktat „Geist in Welt“. Allgemein war sein Denken stark von existenzphilosophischen Ten­ denzen beeinflusst. Ein christlicher Camus? Anders als bei den französischen Philosophen Camus oder Sartre war seine Ausrichtung keine Verneinung oder Ablehnung des Alten, sondern von und auf Gott zu und damit positiv. Ihm galt die Gegen­ wart, der Moment mehr wie Zukunftsplanungen oder reflektorische Betrachtungen der Vergangenheit. Seine Werke sind heute noch sehr aktuell. In diesem Sinn ist auch seine Antwort auf die Frage zu verste­ hen: „Würden Sie es heute nach 35 Jahren noch einmal so machen und in diesen Orden eintreten?” Diese Frage „sei eigentlich nicht zulässig“, weil sie rein spekulativ unnütz sei. Denn wir leben aus Gottes aktu­

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eller Gnade und die wird im rechten Moment gegeben. Man kann des­ halb sinnvollerweise nicht sagen: In dieser oder jener Situation werde ich mich so oder anders verhalten. Wie Jesus sagt: „Wenn ihr vor die Gerichte geschleppt werdet, macht euch keine Sorge, denn dann wird euch eingegeben werden, was ihr sagen sollt.“ Was hat Sie, Pater Hillengass, von diesen Lehrern so nachhaltig beeinflusst, dass Sie es für und in Ihre Lebenspraxis übernommen haben? Ja, da gibt es viel, was ich nutz- und hoffentlich segenbringend anwen­ den konnte. Besonders beeinflusst aber hat mich der Bußtraktat von Karl Rahner. Können Sie bitte dem christlichen Laien erklären, was dieser beinhaltet? Karl Rahner sagt, dass beim Bußsakrament die Reue der wichtigste Teil ist, nicht das Bekenntnis. Er begründet das damit, dass die eigentliche Reue die Reue aus Liebe zu Gott ist. Das Herz mit anderen, besseren Inhalten erfüllen, aus Liebe zu Gott. Und wenn und wo das geschieht, ist die Sünde vergeben, auch wenn sie noch gebeichtet werden muss. Denn das Intimste und Allerwichtigste ist die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Ein Priester, der die Absolution erteilt, ist nur ein Werkzeug, Gott ist es, der vergibt! Das ist in der Tat deutlich! Karl Rahner bot ferner freitagabends ein „freies Kolloquium“ an. Mit den Worten „Was wollt ihr wissen?“ leitete er jedes Mal eine faszinie­ rende Stunde ein. Seine Gebetsbücher sind berühmt und vergriffen. Glücklich und dankbar bin ich auch für die Gelegenheit, die Exerzitien bei diesem großen Priester erlebt zu haben.

... und dann ist man Priester – der Weihevorgang Pater, dürfen wir über Ihre Priesterweihe sprechen, obwohl das sicherlich ein Vorgang ist, dessen eigentliches Geschehen in Worten nicht darstellbar ist? Das war 1962? Ja! Das war doch sicherlich ein ganz besonderes Erlebnis! Natürlich, da man sich lange darauf vorbereitet hatte ... aber anderer­

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Besuche und Begegnungen während der Studienzeit

seits war es der vorläufige logische Abschluss einer zielstrebigen Ent­ wicklung, die in früher Jugend begonnen hatte. Gab es auf diesem langen Weg zur Priesterschaft irgendwann Phasen voller Zweifel oder Abwägung? Nein, am Grundsatz niemals, lediglich hinsichtlich meines Leistungs­ vermögens. Pater, Entschuldigung für die vielleicht naive Frage: Was für eine Zeremonie ist die Priesterweihe ? Ab wann genau konnten Sie sagen: Jetzt bin ich geweihter Priester? Das ist gar nicht so geheimnisvoll, wie viele denken mögen. Im Grun­ de ist das eine Feier der Heiligen Messe, nur dass sie einige besonde­ re Elemente enthält. Diese Messe zur Priesterweihe muss von einem Bischof gefeiert werden. In meinem Fall war das der Weihbischof Jo­ hannes Neuhäusler von München. Der Provinzial stellt den oder die Weihekandidaten vor. Der Bischof fragt: „Hast du dich versichert, dass sie würdig sind?“ Der Provinzial antwortet: „Nach menschlichem Ermessen, ja.“ Dann folgt die Predigt des Bischofs. Darauf knien die Kandidaten vor dem Bischof nieder. Der Bischof und alle anwesenden Priester legen dann die Hände auf den Kopf jedes Weihekandidaten. Das ist eine sehr feine, interessante Erfahrung, denn die Art dieses

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Jahrgangsfoto in Pullach

Priesterweihe

Handauflegens variiert von kräftigem Druck bis zu sehr subtilem Be­ rühren. Dann „ist“ man Priester. Danach werden die Hände des Neu­ priesters vom Bischof mit Weiheöl gesalbt und zusammengebunden, denn die Hände sind jetzt gebunden in den Dienst Christi hinein. Mit diesen gebundenen Händen berühren die Neupriester die heiligen Ge­

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räte, Patene (Hostienschale) und Messkelch, die ihnen dadurch sym­ bolisch anvertraut und aufgetragen werden. Dann werden die Hände wieder frei gebunden. Man „ist“ aber eigentlich nie richtig Priester. Die Weihe ist erst der Anfang. Priester werden und sein ist eine lebenslange Aufgabe, denn die stellvertretende Nachfolge Christi hört niemals auf.

Sozius beim Provinzial in München

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„Ich brauche Sie mal kurz ...!“ Sozius beim Provinzial in München (1967–1971) Sie studierten Betriebswirtschaftslehre in München, als Sie plötzlich Sozius des Provinzials der süddeutschen Provinz wurden. Wer war zu dieser Zeit Provinzial? Pater Heinrich Krauss. Es war für mich eine Chance, dass ich gerade die betriebswirtschaftlichen Studien abschloss, als der Provinzial einen Sekretär suchte. Hatten Sie nichts zu tun? Natürlich die Studien, aber die Priorität von Provinzial und Provinz war größer? Genau so ist es! Natürlich war für einen jungen Pater das Amt des Pro­ vinzsozius auch eine Herausforderung und Verlockung. Was für eine Funktion hat der Sozius, was tut er? Der Sozius ist Sekretär des Provinzials und gelegentlich sein Vertre­ ter. Die Erfüllung dieser Funktion hängt von der „Chemie“ zwischen beiden ab und von der Fähigkeit und Eignung des Sozius. Er muss al­ les erledigen, was der Provinzial abgeben will oder muss. Dazu gehört die Amtskorrespondenz mit Rom, Berichte, Protokolle, Statistiken, das Führen von Weihebüchern, Personalfragen, Gespräche mit vielen Mit­ brüdern, administrative Erledigungen vielfältigster Art. Heute schreibt der Provinzial seine Berichte zumeist selber. Damals vor 50 Jahren gab es keine E-Mail und kein Fax. Da wurde mit Blaupa­ pier und Tipp-Ex gewerkelt. Sehr zeitaufwendig! Ihrer Beschreibung nach ist das eigentlich eine administrative Aufgabe. Hat Sie Ihr Studium der Theologie und Philosophie denn auf so etwas vorbereitet – oder machten Sie das so „aus dem genialen Kopf “ heraus? Wenn man eine bürokratische Ader hat, kann man sich relativ leicht einarbeiten, dann geht es vor allem darum, sich in andere hineinzu­ denken und das dann umzusetzen.Weil ich ja noch mein Studium abschloss, war die Menge der zu erledigenden Arbeiten zeitweilig

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Sozius beim Provinzial in München

Verwaltungshaus der Deutschen Provinz der Jesuiten in München (Foto Sagemüller)

so umfangreich, dass ich nacheinander mit drei Assistenten zusam­ menarbeiten musste. Was waren die Aufgaben dieser Assistenten? Ihnen zur Hand gehen? Ja, nach Anweisungen alle Routinearbeiten erledigen. Was war das zum Beispiel? Korrespondenz, Anträge bearbeiten, Statistiken usw. Und aus dem „mal kurz“ wurden dann 4 Jahre ... Gab es bei Ihnen so etwas wie Karrieredenken? „Hinauf an die Spitze! Provinzial werden!“ Oder war es so, dass Sie dachten: „Egal, ich wirke da, wo ich gebraucht werde“? Karrieredenken war und ist mir fremd. Sozii werden höchst selten Provinziale, weil es beim Provinzial gerade nicht um Bürokratie geht, sondern um Menschenkenntnis, Menschenführung, Gesamtüberblick, Vorausplanungen. Ich hatte ja auch wirklich ausreichend zu tun. Zu­ nächst musste ich mein Studium mit den Examina abschließen. In die­

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ser Zeit lief die Sozius-Tätigkeit eher nebenher. Es galt vor allem die Probleme zu verstehen, was meinem Vorgänger weniger gut gelungen war. Natürlich war man immer mit dem Provinzial zusammen und lernte so einige seiner Kollegen kennen, die nach München zu Besuch kamen. Welcher Art war Ihr Provinzial? Wo lagen seine besonderen Fähigkeiten und Schwerpunkte? Weil das doch sicherlich wesentliche Akzente setzte. Der Provinzial war vor seiner Ernennung als Leiter unseres Bildungs­ hauses im Sozialsektor tätig gewesen. Dadurch ergaben sich besonders häufig Kontakte aus und mit diesem Sachgebiet. Vor allem führte mein Chef mich in die umfangreiche und gut besetzte Arbeitsgruppe der Sozialtheoretiker und Sozialpraktiker ein. Wie kann man diese beiden Kategorien verstehen? Was taten diese Fachleute? Wem nützten sie? Und wodurch? Sozialtheoretiker forschten und lehrten an unseren Hochschulen katho­ lische Soziallehre und verwandte Fächer. Sozialpraktiker arbeiteten mit katholischen Arbeiterverbänden, der christlichen Arbeiterjugend, als Betriebsseelsorger, als Vortragsredner und in Bildungshäusern auf die­ sem Sektor. Zu den Professoren gehörten bedeutende Persönlichkeiten wie Oswald von Nell-Breuning, Johannes Hirschmann, Hermann Josef Wallraff, Franz Xaver Prinz, um nur einige Beispiele zu nennen. Worüber wurde zum Beispiel in diesen Arbeitsgruppen diskutiert? Ich erinnere mich an eine Tagung, wo es unterschiedliche Auffassungen zwischen Hirschmann und Nell-Breuning über die Interpretation der Sozialenzyklika „Quadragesimo Anno“, im vierzigsten Jahr nach „Re­ rum Novarum“, der ersten Sozialenzyklika, gab. Nell-Breuning schloss sein Argument mit dem Hinweis, dass er schließlich wissen müsse, was diese Stelle in der Enzyklika bedeute, denn er habe sie geschrieben. Da­ rauf Hirschmann: „Dass Sie das geschrieben haben, wissen wir. Aber durch die Unterschrift des Papstes ist sie zu einem Statement des Heili­ gen Geistes geworden, und den dürfen wir interpretieren.“ Pater Hillengass, erlauben Sie mir in Abwandlung des Jesus-Wortes, „dass der Mensch nicht nur aus Brot und Arbeit besteht“, scherzhaft zu fragen: Was haben Sie während der Aufgabe als Sozius des Provinzials in Ihrer Freizeit in einer Weltstadt wie München, reich an geistlichen und weltlichen

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Verlockungen, getan? Sind Sie vielleicht tanzen gegangen? Tanzen Sie gerne? Nein, überhaupt nicht! Ich habe es nur einmal in der Familie versucht, aber ohne Freude und mit äußerst mäßigem Erfolg. Ich kenne zahlreiche Priester, die sehr gerne tanzen ... Die Aversion gegen das Tanzen hatte nichts mit meinem geistlichen Beruf zu tun, sondern es machte mir einfach keinen Spaß. Nein, aber ich habe viel zu viel Fernsehen geschaut, gelegentliche Kinobesuche, aber viele gute und gehaltvolle Gespräche mit unterschiedlichen Men­ schen. Während dieser vier Jahre als Sozius in München sind Sie auch nach Rom gefahren, um die Kontakte zur Kurie zu pflegen und sich vorzustellen. Wie war dieses erste Kennenlernen? Die Begegnung mit den Kollegen in Rom verlief interessant und pro­ blemlos und hatte ja dann auch Folgen für mich. Aber an diesen Aufenthalt erinnere ich mich besonders deshalb, weil es Aufregendes mit der Schwägerin meines Schweizer Kollegen gab. Wo kam die denn plötzlich her? Da mein Kollege ähnliche Aufgaben mit Rom zu erledigen hatte, nahm ich ihn mit dem Auto mit. Er wollte seiner Schwägerin eine Freude bereiten und ihr erstmals den Besuch der Heiligen Stadt ermöglichen. Also fuhren wir zu dritt. Da wir aber nicht mit einer jungen Dame in der Kurie erscheinen wollten, ließen wir die biedere Schweizer Landfrau auf dem Petersplatz warten. Als wir später dahin zurückkehrten, fanden wir sie tränenüberströmt mit dem Rücken zum Obelisken. Was war geschehen? Kaum hatten wir sie alleine gelassen, kamen Papagalli („Papageien“ oder Gigolos) und einer be­ gleitete sie mit seinem Fiat 500 sogar bis an die Stufen von St. Peter, wohinein sie sich flüchtete. Kaum im Petersdom angelangt, näherte sich ein anderer, sodass sie wieder zurück zum Obelisken floh. Sie hatte nicht gelernt, sich der Gigolos zu erwehren, indem man sie einfach ignoriert, wie italienische Frauen das tun. Die übrigen RomTage hat sie ihr Hotelzimmer nur verlassen, wenn wir sie rechts und links eskortierten.

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Gab es während dieser Sozius-Zeit nennenswerte Anfechtungen irgendwelcher Art? Privates, Berufliches oder Frustrierendes? Nichts Besonderes. Ich war ja sehr eingespannt, sodass ich keine Zeit hatte, frustriert zu werden. Manchmal gab es halt desillusionierende Momente, so z. B. als es bei einem Provinzsymposium um die Schlie­ ßung des Kollegs von St. Blasien ging. Mein Provinzial bedeutete mir: „Schreib alle auf, die für das Kolleg sprechen.“ Später sagte er mir: „Ich habe sie alle einzeln gefragt. Keiner wollte nach St. Blasien!“

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„Da war doch neulich dieser junge deutsche Pater ...“ Leben und Arbeiten in Rom – dem Zentrum der katholischen Weltkirche (1971–1993) Pater, Sie wirkten 22 lange Jahre als Generalökonom der Gesellschaft Jesu in Rom. Wie kamen Sie zu dieser Funktion als Generalökonom? Es war eine merkwürdige Fügung, wie fast immer in meinem Berufs­ leben. Als Sozius des Provinzials in München hatte ich oft Korrespon­ denz mit der Jesuitenkurie in Rom. Irgendwann meinte der Provinzial: „Fahr doch mal zur Kurie nach Rom und mache dich persönlich be­ kannt mit den Mitarbeitern, damit ihr wisst, welches Gesicht hinter welchem Namen steckt“. Das tat ich. Bei diesem Besuch habe ich auch zum ersten Mal den Pater General Pedro Arrupe kennengelernt. Dann fuhr ich zurück nach München. Einige Zeit später suchte der Pater General einen Generalöko­ nomen, weil der amerikanische Generalökonom seine Probleme mit der europäisch-italienischen Arbeitsmethode hatte und sein Amt zur Verfügung gestellt hatte. Es gelang offenbar nicht, einen geeigneten Kandidaten zu finden. Der Pater General soll dann ge­ sagt haben: „Da war doch neulich dieser junge deutsche Pater hier. – Vielleicht könnte der ...?“ So wurde ich gefragt und fuhr nach 18 Monaten zurück in die Ewige Stadt als Generalökonom der Gesell­ schaft Jesu. Die Einen verdrehen selig-verzückt die Augen, wenn sie den Namen Rom hören; für die Anderen ist es das machtgierige Zentrum einer „überholten“ Kirche, das Übel schlechthin. Wie war Ihr Leben in dieser ganz besonderen Stadt? Sachlich vernünftig, aber sehr intensiv, weniger auf Kirchenpolitik als auf Finanzierungs- und Verwaltungsaufgaben ausgerichtet. Was sind die Aufgaben eines Generalökonomen der Gesellschaft Jesu in der „Zentrale“ Rom? Ich kann mir vorstellen, dass Sie in dieser Position als Mann mit viel Geld hoch geschätzt wurden.

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Pater Hillengass in seinem Arbeitszimmer in Rom

Hochgeschätzt vielleicht, aber nicht als Mann mit viel Geld, denn ich hatte überhaupt kein Geld zu verteilen. Als Generalökonom habe ich – unter anderem – dafür gesorgt, dass reichere Provinzen den ärmeren unter die Arme greifen. So habe ich geholfen, Partnerschaften zwi­ schen den Provinzen einzurichten, etwa zwischen den deutschen und den polnischen Ordensprovinzen. Oder ich habe dazu beigetragen, dass Provinzen in Nordamerika und dem angelsächsischen Raum de­ nen in anderen Teilen der Welt beistanden. Ich habe koordiniert, aber hatte dafür keine Macht, sondern nur moralische Autorität. Eingreifen musste ich eigentlich nur bei Konflikten und offenen Fragen. Und wie war das mit den akademischen Jesuiten-Einrichtungen in Rom? Die Gesamtverwaltung des Ordens wurde zunächst fast ausschließ­ lich von großen Wohltätern bezahlt. Das erschien mir nicht richtig. Deshalb habe ich einen Plan erarbeitet, wie alle Ordensprovinzen, je nach Größe und Vermögen, zur Gesamtverwaltung beitragen könnten. Die großen Wohltäter wünschte ich mir für andere Aufgaben. Fer­ ner arbeitete ich intensiv für die Sicherstellung der Finanzierung der Jesuiten-Universität Gregoriana, das päpstliche Bibelinstitut und das Orientalische Institut. Der Generalökonom ist nur indirekt zuständig für alles, was mit Geld zu tun hat, und zwar in allen Weltgegenden, wo Jesuiten engagiert sind. Es gibt in anderen Orden Generalökonomen,

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die in Weltstädten der USA, der Schweiz, in London oder Brüssel, also außerhalb Roms leben. Das ist bei uns Jesuiten anders. Unser Gene­ ralökonom hat seinen Sitz in Rom beim Generaloberen wegen seiner Beratungsaufgaben. Warum ist das so? Weil es in anderen Ordensgemeinschaften oft vorteilhafter ist, wenn der Ökonom an den Zentren des Geldverkehrs angesiedelt ist, beson­ ders dann, wenn ein Schwerpunkt auf dem Investment liegt. Sie müs­ sen dann „hautnah“ am aktuellen Geschehen sein, fehlen aber für die Beratung im Tagesgeschäft.

Täglich kleine Wunder vollbringen Wenn nicht Geld „verwalten und verteilen“, was waren dann Ihre hauptsächlichen Tätigkeitsfelder? Täglich kleine Wunder vollbringen, besonders hinsichtlich Wirtschaft, Finanzen, Zivilrecht. Damit meinen Sie, das fast Unmögliche doch möglich zu machen. Können Sie das bitte näher erläutern? Nehmen wir ein Beispiel aus der Wirtschaft. Ich wurde in den Libanon gebeten, um eine konkurrierende Situation zwischen einer Druckerei und einem Verlag zu entschärfen, die beide von den Jesuiten betrieben wurden. Ein Pater, der sehr professionell Bücher druckte, zum Beispiel zweisprachige Bibeln in Englisch und Arabisch parallel auf jeder Seite, konnte sich leider nicht genügend um die Entwicklung und den Ver­ kauf dieser Produkte durch den angeschlossenen Verlag kümmern. Dadurch wurden falsche Akzente gesetzt. Am Ende musste ich raten, die Druckerei zu schließen und die Maschinen, mit hohen Verlusten natürlich, zu verkaufen, um das eigentliche apostolische Element, den Verlag, zu entwickeln. Oder es handelte sich um Fragen von Neugrün­ dungen, Hausverkäufen usw. Neugründungen? Heißt das, dass Sie das Geld besorgen sollten? Oder Vorschläge dazu? Sowohl als auch! Die Lösungen mussten immer praktikabel sein, das heißt realisierbar. Zum Beispiel bei der Verlegung der theologischen

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Bibliotheken in den Studienhäusern in Spanien. Der Pater General hatte es für notwendig erachtet, die Verlegung der dortigen Studi­ enhäuser mit ihren Bibliotheken anzuordnen. Die Spanier, die nicht begeistert davon waren, konfrontierten ihn mit der Tatsache, dass sie das selbstverständlich tun würden, aber leider kein Geld dafür hät­ ten. So musste ich eine Lösung finden. Bei den Finanzen des Ordens drehte es sich überwiegend um Investment- und Anlagefragen. Wo soll man investieren? Wo darf man aus ethisch-religiösen Gründen nicht investieren, obwohl die Rendite gut ist, z. B. beim Waffenhan­ del, Ausbeutung von Menschen, Menschenhandel, Drogen? Welche Wertpapiere kann der Orden erwerben und welche müssen „abge­ stoßen“ werden (Siehe auch Detaillierteres im Kapitel „Kirche und Kapitalismus“). Das Zivilrecht betrifft eine ganze Reihe von Ord­ nungs- und Vertragsfragen, wie Eigentumsverträge, ferner auch Per­ sonalverträge und Rechtsklärungen mit Bischöfen. Es gab und gibt legitime Interessenkonflikte zwischen Bischöfen und Ordensleuten, besonders wenn Liegenschaften betroffen sind. Diese waren oft nicht ganz einfach zu lösen. Es wird immer wieder behauptet, dass die Gesellschaft Jesu, weil sie in ganz besonders enger Weise mit dem Papst verbunden ist, den größten Teil ihrer Einkünfte vom Vatikan erhält. Stimmt das? Das ist absolut falsch. Im Gegenteil. Die Gesellschaft Jesu bekommt, abgesehen von einigen Zuwendungen für das Orientalische Institut, überhaupt kein Geld vom Vatikan. Wir müssen unsere Einkünfte selber erwirtschaften, sei es durch un­ serer Hände und Köpfe Arbeit oder durch Spenden, Liegenschaften, Ausbildungseinrichtungen usw.

„In Italien fährt man Fiat“ – ein typischer untypischer Tag Wie verlief so ein typischer Arbeitstag? Den gab es nicht, denn jeder Tag war anders, manchmal aufregend, manchmal weniger aufregend, aber immer neu und interessant. Offiziell sollte der Tag um 7 Uhr mit einer hl. Messe beginnen. Da mir das zu spät war, zelebrierten ein Mitbruder und ich die Messe bereits gegen 6 Uhr, und ich bezog mein Büro um 7 Uhr, spätestens 7.15 Uhr.

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Welches Verkehrsmittel benutzten Sie im quirligen Rom? Als einem Generalökonomen sollte Ihnen zumindest ein Mercedes mit Fahrer zur Verfügung stehen. Da sind halt die Unterschiede zwischen einem Generalmanager einer Bank und dem Generalökonomen der Gesellschaft Jesu. Zu meinem Büro waren es nur ein paar Schritte, die ich zu Fuß zurücklegte. Wir brauchten aber Autos, um die Aufgaben halbwegs effektiv erledigen zu können. Aber ein Mercedes kam nicht infrage. Zuerst hatte ich einen VW Passat, und als ich merkte, dass das in Italien die falsche Marke war und sich keiner der Mitarbeiter traute, ihn auszuleihen (was eigentlich vorgesehen war, denn das Fahrzeug gehörte ja nicht mir, sondern dem Orden), stiegen wir auf Fiat um. Besser oder nicht war hier nicht die Frage, sondern „in Italien fährt man Fiat!“ Und Fahrer ? – Gab es nicht, ich fuhr selber. Auch der Pater General, der Gesamtleiter des Ordens also, hatte eigentlich keinen Fahrer, sondern einen Helfer, der ihm zur Hand ging und ihn, unter anderem, auch fuhr. Dürfen wir auf den Beginn des Arbeitstages zurückkommen? Der Arbeitstag begann mit Besprechungen mit meiner Sekretärin. Am Abend vorher oder zwischendurch hatte ich Briefe aufs Diktafon auf­ gezeichnet, die sie jetzt abarbeitete. In welcher Sprache lief alles ab? Italienisch? Latein? Englisch? Wie viele Sprachen beherrschen Sie überhaupt? Die offizielle Amtssprache bei uns war Italienisch. Natürlich sprach ich mit meinen Sekretärinnen Deutsch oder Französisch, je nach ihren Herkunftsländern. Ich habe Englisch, Französisch, Italienisch gelernt und praktiziert. Zudem spreche ich Spanisch und etwas Portugiesisch. Durch meine Ausbildung hatten wir natürlich die sogenannten „alten“ Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch studieren müssen. Was taten die anderen Mitarbeiter der Kurie? Für andere Mitarbeiter in der Kurie gab es morgens das tägliche Briefing, besonders für die Assistenten oder Konsultoren durch den Ordensgeneral, zu meiner Zeit zuerst Pater Arrupe, später Pater PeterHans Kolvenbach. Was ist die Funktion dieser Assistenten bzw. Konsultoren? Es gibt vier Generalassistenten, die den General „überwachen“.

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Pater General Arrupe im Gespräch mit Delegierten

Nicht im Sinne von innerer Sicherheit oder ähnlichem, sondern auf seine Funktionsfähigkeit ausgerichtet. Schließlich ist er der Leiter ei­ ner Weltgemeinschaft und hat eine globale Verantwortung. Ist der Ge­ neral (noch) regierungsfähig? Oder, was ja im fortgeschrittenen Alter vorkommen kann, zu krank, zu vergesslich, nicht mehr in der Lage? Die Selbstwahrnehmung entspricht ja nicht immer der Realität. Da­ neben existieren die sogenannten Regionalassistenten, die für einzel­ ne Gegenden der Welt verantwortlich sind, z. B. für Deutschland und Osteuropa, Westeuropa bis Kanada, Südeuropa, Afrika, Nordamerika, Indien, Ostasien – insgesamt damals 12. Sie bilden den Rat des Gene­ rals. Zudem waren sie noch für einzelne Sachgebiete zuständig: Bil­ dung, Soziales, Flüchtlingshilfe, Massenmedien usw. Um Verwirrungen vorzubeugen, können Sie bitte ein klärendes Wort zum Begriff „Kurie“ sagen? Normalerweise versteht man darunter die Gesamtheit der Verwaltungsorgane des Heiligen Stuhls. Haben die Jesuiten eine eigene Kurie, oder wirken sie innerhalb dieser Gesamtkurie? Jede Ordensgemeinschaft hat ihre Kurie. Mit dem Heiligen Stuhl gibt es Zusammenarbeit, aber keine allgemeine Kurie.

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Und wie verlief der Vormittag weiter? In meiner Funktion hätte ich mir die Mitarbeiter in mein Büro bestel­ len können, aber ich hatte mir angewöhnt, zu den Mitarbeitern zu ge­ hen. Einmal konnte ich kommen und vor allem auch gehen, wann ICH wollte, zum anderen bot es die Möglichkeit, die Arbeitsatmosphäre zu „schnuppern“. Wie viele Mitarbeiter gehörten zu Ihrem Bereich? Etwa ein Dutzend.

Mittagsschlaf im Büro gab es nicht Hatten Sie ein gemeinsames Mittagessen? Im Prinzip ja, nur ich war selten dabei ... ... hatten Sie keinen Hunger? Das schon, aber da ich verantwortlich für Banken und Rechtsanwalts­ kontakte war, musste ich deren Rhythmus folgen. Die Mitglieder die­ ser Gruppe begannen oft erst spät am Vormittag. Dürfen wir Uneingeweihten neugierig sein? Was gab es an einem „normalen“ Tag z. B. zum Mittagessen in der Kurie? Typisch italienische Menüs, also Suppe, Pasta, Fleisch, Salat, Obst, Wein und Wasser. Nach dem Essen war Ruhen angesagt? Nicht im eigentlichen Sinne. Ich ging zurück ins Büro und hatte zwar mit dem Schlaf zu kämpfen, aber wir haben weitergearbeitet. Schwie­ rig für mich war die wöchentliche Hauptkonsultation beim General am Vormittag. Ich bin oft eingenickt, habe aber alles mitbekommen ... beim Stichwort „Geld“ war ich sofort wach. Unvergesslich ist mir eine solche Sitzung, nach der der Pater Ge­ neral sich für die konstruktive Zusammenarbeit bedankte und meinte: „Das war sehr fruchtbar heute und sogar Pater Hillengass hat nicht ge­ schlafen!“

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Pater General Kolvenbach mit einigen Mitarbeitern auf dem Dach der Kurie in Rom 1984 (Pater Hillengass 2. Reihe, ganz rechts)

Und wie verlief der Nachmittag und Abend? Je nachdem ... zumeist aber mit Büroarbeit, Termine organisieren bzw. abstimmen und vor allem erledigen, wobei die Welt-Zeitenver­ schiebungen berücksichtigt werden mussten, damit man nicht einen Verantwortlichen z. B. in Japan in seiner nächtlichen Ruhe störte. Ich verließ das Büro oft auch sehr spät – je nach dem, was zu tun war.

100 Euro monatlich Darf ich nach der Vergütung fragen? Gemäß Ihrer beruflichen Qualifikation müssten Sie mindestens 50.000 Euro monatlich verdient haben. In der Wirtschaft vielleicht. Aber Ordensleute arbeiten nicht für Geld. Meine durchschnittlichen Ausgaben, die korrekt abgerechnet wurden, bewegten sich um die 100 Euro monatlich. Alles andere zum Leben, einschließlich Kleidung, Verpflegung und die notwendigen Extras (Bücher, Reisen etc.) erhält man vom Orden. Vergessen Sie nicht, dass wir bei der Gesellschaft Jesu ein Armutsgelübde haben. Sie hatten ganz selbstverständlich auch mit Pater Arrupe, seinem Interimsnachfolger, dem Päpstlichen Delegaten Pater Paolo Dezza, der 2 Jahre den Orden leitete (1981–83), und seinem Nachfolger, Pater Peter-Hans

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Kolvenbach, den aufeinander folgenden Generaloberen der Gesellschaft Jesu, zu tun. Wie würden Sie Pater Arrupe und Pater Kolvenbach kurz beschreiben? Sie waren sehr, sehr unterschiedlich. Beide einte das Bemühen, als geistliche Menschen anderen Menschen zu dienen. Beide bezogen ihre Kraft aus ihrer engen Verbindung mit Gott. Pater Arrupe war „sichtbarer“, präsenter in der Öffentlichkeit, ein Mensch zum „Anfassen“, da für andere. Seinen Impulsen ist die Rückbesinnung des Ordens auf den Dienst an den Armen und die erneute Betonung des Armutsgelübdes zu verdanken. Ich kann mich nicht an einen einzigen Menschen erinnern, der ihm seine persönliche Integrität abgesprochen hätte. Seine diplomatische Klugheit hatte gelegentlich nicht den letzten Schliff. Das führte dann auch zur Verstimmung mit Papst Johannes Paul II. Das hingegen war die Stärke von Pater General Kolven­ bach. Durch seinen langen Dienst im Libanon, wie wir wissen, ein gespaltenes und religiös-politisch äußerst schwieriges Terrain, hatte er eine faszinierende Umsichtigkeit für die Folgen von Handlungen entwickelt, die ihm in Rom sehr zugutekam. Seinem diplomatischen Geschick gelang es, die Spannungen mit dem Heiligen Stuhl zu „re­ parieren“. Als er es für weiser hielt, aus Alters- und gesundheitlichen Gründen zurückzutreten, besprach er das schrittweise, zuerst mit den wichtigsten vatikanischen Leitern. Und als er dort positive Si­ gnale erhielt, vertraute er sich dem Papst an. Also von „unten“ nach „oben“. Und warum gab es einen Interims-General? Durch die plötzliche Erkrankung des Generals Pater Arrupe war es nötig geworden, sofort einen Verwalter des Amtes des Generaloberen einzusetzen. Das tat Papst Johannes Paul II. mit der Ernennung des Pater Dezza. Dieser war ein äußerst geschickter Diplomat, der, be­ dingt durch eine Augenkrankheit, alle Fakten, Reden und Statistiken auswendig lernen musste und sich auf sein phänomenales Gedächtnis verlassen konnte. Ihm gelang es, in kurzer Zeit die 33. Generalkongre­ gation einzuberufen. In Pater Kolvenbach fand sich ein Kandidat für die vakante Position des Generals, mit dem sofort die Mehrheit der Elektoren einverstanden waren. Hatten Sie auch mit dem Heiligen Stuhl zu tun?

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Papst Benedikt XVI. in der Gregoriana-Universität in Rom anlässlich des Besuches einer deutschen Delegation „Freunde der Gregoriana“

Nicht sehr oft, und ich habe mich auch nicht danach gedrängelt. Aber natürlich hatte ich mit der Vatikan-Bank, der „Sparkasse“, zu tun. Falls ich Fragen hatte, die in die Entscheidungshoheit des Vatikan fielen, suchte ich dessen Staatssekretär auf. Dagegen war ich mit Rechtsanwälten fast täglich beschäftigt, denn ich habe keine Entscheidung gefällt, ohne vorher unseren Anwalt zu konsultieren. Zum Beispiel war die Ausfertigung von Personalverträgen immer ein gewisses Problem, weil es keine einheitlichen Normen gibt. Auf verschiedenen Photos sind Sie mit den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. zu sehen. Hatten Sie regelmäßig mit diesen zu tun? Schon, aber eher unregelmäßig mit Johannes Paul und weniger mit Benedikt XVI., weil ich da bereits aus Rom weg und mit anderen Auf­ gaben betraut war. Papst ist ja nicht gleich Papst und es gibt sicher keinen Zweifel an der außergewöhnlichen Dimension beider Persönlichkeiten. Trotzdem, wie würden Sie beide kurz charakterisieren? Was sind die besonders bemerkenswerten Merkmale?

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Ich kann natürlich nur meine sehr subjektiven Empfindungen wieder­ geben. Johannes Paul war immer sehr freundlich zu mir, wusste immer sofort, wer ich war und dass ich mit Geld zu tun hatte. Im allgemeinen Umgang war er aber wohl eine sehr energisch-bestimmende Persön­ lichkeit. Papst Benedikt überraschte mit seinem außergewöhnlichen Personengedächtnis. Galt es Entscheidungen von besonderer Trag­ weite, etwa hinsichtlich des Umgangs mit der Pius-Bruderschaft, zu treffen, hatte man eher den Eindruck einer zögernden, vorsichtig ta­ stenden Person.

„Pater Müller kennt alle Kirchen – Pater Hillengass alle Restaurants“ Was haben Sie in Ihrer Freizeit gemacht? Freizeit? Gab es keine für mich. Aber Sie haben doch sicherlich die weltberühmten Museen Roms besucht? Nein, dafür hatte ich keine Zeit und auch nicht so arg viel Interesse, abgesehen von den vatikanischen Museen. Es hieß bei uns immer: „Pater Müller kennt alle Kirchen, der Pater Hillengass alle Restaurants!“ Warum, lieben Sie den italienischen Rotwein so sehr? Ich mag eigentlich lieber Weißwein, aber das war nicht der Grund. Für mich sind Restaurants die besten Plätze, um Geschäftliches zu er­ ledigen. Man kann das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Das entspricht auch der Mentalität der Italiener. Es hieß, dass meine Restaurantrechnungen, denn ICH bezahlte die Restaurantkosten, die höchsten seien, nicht für mich, sondern für den Gast, den ich oft bei diesen Gelegenheiten um 50.000 oder 100.000 Euro als Spende für unsere Werke bat. Und ? Haben Sie es bekommen? Meistens! Abgesehen davon habe ich zahlreiche Verpflichtungen als Geistlicher außerhalb des Hauses wahrgenommen. So baten mich zum Beispiel die Schwestern des Ordens „Unserer Lieben Frau“ oft , die hl. Messe zu zelebrieren.

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Und im Urlaub? Im Urlaub habe ich in den ersten Jahren ferne Länder bereist, z. B. Japan, Indien, Lateinamerika, habe Löwen im Nationalpark bei Jo­ hannesburg aus nächster Nähe mit etwas flauem Gefühl im Magen bestaunt.

Mafia? Nie gehört! Pater Hillengass, man kann nicht über Geschäftliches in Rom oder Italien sprechen, ohne dass der Begriff „Mafia“ automatisch fällt. Ich weiß, dass meine Frage heikel ist, aber hatten Sie in Ihrer Funktion als Generalökonom der Gesellschaft Jesu auch mit der Mafia zu tun? Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen da keine aufregenden Geschich­ ten aus meinem Amt erzählen. Man hat komischerweise auch nie ver­ sucht, mich da hineinzuziehen. Wahrscheinlich hatte ich mir auch den Ruf der Unbestechlichkeit erworben, sodass es sich nicht „lohnte“. Abgesehen davon tragen diese Kriminellen ja kein Schild um den Hals mit der Aufschrift „Ich bin Mafioso“. Glauben Sie, dass es irgendwann eine Zeit geben wird, wo Italien frei von dieser Plage ist? Das ist schwer zu sagen ... Die eigentlichen mafiosen Strukturen stam­ men ja aus dem 19. Jahrhundert auf Sizilien. Aber kriminelle Vereini­ gungen gibt es auf der ganzen Welt. Wahrscheinlich hat das auch mit Charaktereigenschaften bestimmter Menschentypen zu tun. Ich glaube übrigens gar nicht, dass Italien da so viel stärker infiziert ist als viele andere Länder. Man spricht nur mehr darüber. Und wie war das mit Korruption? Auch das ist kein allein italienisches Phänomen. Es kommt oft auf die Definition an. Was heute in Deutschland bereits als Bestechung angesehen wird, wird in Italien und vielen anderen, besonders süd­ lichen oder asiatischen, Ländern durchaus zum Bereich gegenseitiger „Freundschaftshilfe“ gezählt. In meiner Funktion habe ich versucht, immer das allerkleinste Übel zu wählen, und auch das nur, wenn es unausweichlich schien, und immer mit der Assistenz unserer Anwälte. In diesem Zusammenhang darf ich noch einmal auf das Motto der Ge­ sellschaft Jesu hinweisen: „Alles zur größeren Ehre Gottes“. Und da wir

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uns ernsthaft bemühten, diesem treu zu bleiben, verboten sich zahl­ reiche, besonders riskante oder unethische oder spekulative, Geschäfte von selber. Pater, in Ihre Zeit in Rom fällt ja auch der Zusammenbruch des kommunistischen Imperiums um 1989, und dadurch bedingt, die Wiedervereinigung Deutschlands. Hat man in Ihrem Umfeld in Rom etwas von dieser Dynamik gespürt oder gar geahnt, was sich da an dramatischen Ereignissen ankündigte? Nicht sehr viel. Natürlich haben wir bemerkt, besonders bei Besu­ chen in Osteuropa, dass es in der Bevölkerung gärte und brodelte. Aber das war ja nicht neu. Hinter vorgehaltener Hand hörte man schon vorher viel. Und wir haben auch die zunehmend mutiger wer­ denden Aktionen der DDR-Christen auf ihren Demos bewundert und die Fernsehaufnahmen über die vielen DDR-Bürger, die sich in die westdeutsche Botschaft in Prag flüchteten ... aber dass es so plötz­ lich und so schnell gehen würde, diese Dynamik habe ich nicht er­ wartet. Und in manchen europäischen Ländern, auch in Italien, hielt sich der Enthusiasmus für die deutsche Wiedervereinigung durchaus in Grenzen. Es hält sich auch das Gerücht, dass Papst Johannes Paul II. da im Hintergrund kräftig mitgewirkt haben soll, vor allem in Polen, beim Erstarken der Gewerkschaftsbewegung „Solidarnosc“. Es gibt ja auch einen offensichtlichen Zusammenhang zwischen dem Attentat auf gerade diesen Papst und seinem Einfluss. Die glaubwürdigsten Spuren führen zum damaligen kommunistischen Hardliner Leonid Breschnew. Freiheit lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Diese Sehnsucht ist den Menschen anscheinend von Gott eingegeben. Ja, wir haben von diesen Gerüchten auch gehört, aber was da im Ein­ zelnen gelaufen ist, weiß niemand genau. Man munkelte überall, auch in vatikanischen Kreisen, dass dieser polnische Papst seine besonderen Fäden zieht ... denn es war ja ganz offensichtlich, da er das menschen­ verachtende Unterdrückungssystem des Kommunismus immer wieder anprangerte. Bis heute ist das alles nicht restlos geklärt, und ich ver­ mute, dass auch diese subtilen Bewegungen im Dunkel der Geschichte verschwinden werden – eigentlich schade. Besonders wichtig in der international besetzten Jesuitenkurie

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war der Falklandkrieg zwischen Großbritannien und Argentinien. Je nach Tischgemeinschaft im Speisesaal sprach man spanisch von den „Malvinas“ oder amerikanisch von den „Falklands“. Ich wollte neutral bleiben und habe mir damals angewöhnt, nur „queste isole“, diese Inseln, zu sagen. Ähnliche Neutralität hat es übrigens im Zwei­ ten Weltkrieg gegeben.

„Wenn ich weg war – war ich weg“ Wie war das gesellschaftliche Leben außerhalb des Büros? Da gab es immer eine große Auswahl, wobei man die notwendigen von den unsinnigen Kontakten trennen musste, um nicht ununter­ brochen unterwegs zu sein ... Ich erinnere mich an die regelmäßigen Einladungen der zwei deutschen Botschaften (Vatikan und Italien), an zahlreiche Empfänge anderer Botschaften oder Ordensfeste, na­ türlich die zahlreichen Jahresfeste der Kirche, die in Rom eine be­ sonders intensive Ausprägung erhalten. Einladungen in Familien, mit Familien in Restaurants – viel, aber direkt nach Hause – äußerst selten. Und dann muss man berücksichtigen, dass ich ja nicht immer in Rom war, sondern die Länder, wo Jesuiten leben, besuchte. Und zu Weihnachten und Ostern war ich für gewöhnlich als Seelsorger zur „Aushilfe“ in Deutschland. Taten Ihnen nicht die Knochen weh von dem vielen unbequemen Fliegen und der damit verbundenen Hektik? Es ging, ich habe das irgendwie weggesteckt und zumeist geschlafen ... außerdem war ich einfach nicht erreichbar. Wenn ich „weg“ war, war ich „weg“. Das hat meine Nerven geschont. Und für anstehende Aufgaben in Rom hatte ich meine Vertreter, denen ich völlig vertrauen konnte. Können Sie sich erinnern, wie viele Länder Sie während Ihrer Tätigkeit als Generalökonom bereist haben? Nicht genau, aber mindestens 40. Womit hatten Sie die meisten Schwierigkeiten bei Ihrer Arbeit? Mit meinem „Deutschtum“ innerhalb der Kurie ...

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Was heißt das? Naja, die grundverschiedenen Mentalitäten der Deutschen und Italie­ ner waren oft schwer zu vereinen ... Jede hat sicherlich Vorteile. Aber da das Ganze sich in Italien abspielte, musste ich mich angleichen und Kompromisse finden. Aus diesem Grunde sage ich, dass der Papst ein Italiener sein sollte. Warum? War Johannes Paul II. nicht ein ganz exzellenter Papst? Ohne jeden Zweifel. Aber es hieß, dass ein Italiener auf dem Heiligen Stuhl die Prinzipien so hoch hält, dass sie jeder sieht und darunter durchlaufen kann! Wenn Sie zusammenfassend zurückblicken auf die Zeit in Rom, was würden Sie sagen? Ich empfinde großen Dank! Als Jesuit in Rom zu leben und arbeiten, um möglichst vielen Menschen zu begegnen und vielen in der Welt zu helfen, das war schon etwas! Deshalb: eine schöne und hoffentlich auch fruchtbare Zeit!

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Dienstreise nach Japan

Mit Kollegen während eines Arbeitstreffens in den Niederlanden

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Geschäftsführer von „Renovabis“

Nachdem der „Eiserne Vorhang“ zerbrach: Geschäftsführer Renovabis (1993–2002) Pater Hillengass, Sie waren von 1993 bis 2002 Geschäftsführer von Renovabis, der Solidaritäts-Aktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa mit Sitz in Freising (Bayern). Im Gründungsdokument ist zu lesen: „Eine Antwort der deutschen Katholiken auf den gesellschaftlichen und religiösen Neuanfang in den Staaten des ehemaligen Ostblocks nach Zusammenbruch des kommu­ nistischen Systems sein.“ Und wie kamen Sie eigentlich auf die Idee, sich bei Renovabis zu engagieren? Sie hatten doch reichlich in Rom zu tun. Ich hatte in der Tat keinen Grund, als Generalökonom in Rom auf­ zuhören, außer dass ich meinte, es müsse nach 22 Jahren einmal ein neues Gesicht mit anderen Blickwinkeln auf diesen Posten, damit das Amt nicht zu einseitig von einer Person geprägt wird. Weihbischof Leo Schwarz von Trier besuchte mich in Rom und erzählte mir von der Idee mit Renovabis und dass er jemanden suche, der die Aufbauarbeit und Leitung übernehmen könnte. Das brachte mich auf die Idee, dass ich das vielleicht tun könnte. Ich habe dem Weihbischof das aber nicht gesagt, kein Wort, sondern habe mich dem damaligen Bischof Karl Lehmann anvertraut, der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war. Hat man Sie in Rom denn so einfach gehen lassen? Sie waren doch sehr erfolgreich und hatten bedeutende Reformen und Strukturänderungen bewirkt. Ich denke an die Neuordnung des Armutsrechts und die Neuorientierung der Gesamtfinanzierung der Kurie, effektivere Besteuerung der Provinzen anstelle auswärtiger Spenden der Solidaritätsfonds FACSI der Gesellschaft Jesu usw. Womit haben Sie den Pater General dann letzlich überzeugt? Hat es lange gedauert? Etwa 2 Jahre. Ich habe es „wirken“ lassen beim Pater General. Bis auch er zu der Überzeugung kam, dass eine andere Impuls-Handschrift vielleicht keine schlechte Lösung wäre.

Geschäftsführer von „Renovabis“

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Warum war es wichtig, ausgerechnet in Osteuropa Hilfe zu leisten? Das allgemeine Kennzeichen aller dieser ehemaligen Ostblockstaaten war ein zerrüttetes gesellschaftliches Gefüge, verursacht durch brutale Unterdrückung, totale Kontrolle, Korruption, voller Angst und Miss­ trauen, zerstörte Städte und Gemeinden, darniederliegende religiöse Strukturen, religiöse Verwahrlosung nebst unzähligen baufälligen Kir­ chen. Und das Allerschlimmste war das fast abgetötete Bewusstsein für Kreativität, Eigeninitiativen und Verantwortung. Da musste unbedingt etwas getan werden. Aber es gab doch schon „Kirche in Not“, die Ostpriesterhilfe? Das stimmt, und da war ja auch die gute Idee des flämischen Paters Werenfried van Straaten OPraem, des Gründers von „Kirche in Not“. Er hatte über viele Jahre 4 Milliarden DM gesammelt und in Osteu­ ropa verteilt. Eine ungeheure Leistung! Pater Werenfried hatte der deutschen Bischofskonferenz den Vorschlag gemacht: „Gebt mir, der ich schon Erfahrung habe, die Kollekte für Osteuropa; ich werde sie verteilen.“ Die Bischöfe stimmten diesem Vorschlag nicht zu, weil Kollekten, die in deutschen Kirchengemeinden gesammelt wurden, nicht an pri­ vate Organisationen, wie das zu dieser Zeit die von Pater van Straaten war, außerhalb der Kontrolle der deutschen Bischöfe vergeben werden können (Heute ist das Werk Pater van Straatens unter dem Namen „Kirche in Not“ ein weltweit agierendes vatikanisches Hilfswerk). Es war ohnehin nicht leicht, alle Würdenträger von der Notwendigkeit eines finanziellen Engagements in Osteuropa – gerade zu einem Zeit­ punkt, wo in Deutschland angeblich jeder Pfennig gebraucht wurde – zu überzeugen. Hatte man Zweifel an der Lauterkeit von Pater van Straaten? Absolut nicht, das hatte etwas mit öffentlichen Strukturen zu tun und der Verantwortung den Spendenden gegenüber. Deshalb musste die Sammlung einer nicht unbeträchtlichen Kol­ lekte doch in die eigene Regie der Bischofskonferenz übernommen und durch eigene, transparente Rechenschaftslegung den Pfarreien gegenüber demonstriert werden. Sonst wären sicherlich nachfolgende Sammlungen durch Misstrauen erheblich erschwert worden. Bei der Suche nach einer zufriedenstellenden Lösung für die not­ leidende Bevölkerung Osteuropas warf der damalige Weihbischof

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Geschäftsführer von „Renovabis“

Schwarz, der Hauptgeschäftsführer für das in Afrika, Lateinamerika und Asien zuständige Entwicklungshilfswerk MISEREOR gewesen war, die Frage auf, warum man nicht auch ein Hilfswerk für Osteuropa ins Leben rufen könnte, das, im Unterschied zu allen anderen Hilfs­ werken, sowohl pastorale als auch entwicklungsorientierte Aufgaben übernehmen sollte. Die bereits existierenden Hilfswerke boten sich an, diese Aufgabe zusätzlich zu bewältigen. Es gab viele – auch kontrover­ se – Diskussionen. Am Ende wurde dann 1993 Renovabis als neue Organisation aus der Taufe gehoben. Man darf nicht übersehen, dass die Initiative zu dieser Osteuropahilfe nicht nur von den Bischöfen, sondern auch von dem „Volk“ der Katholiken ausging. Wieso hat man gerade dieses Wort gewählt? Dieses Wort Renovabis hatte unser Nürnberger Pater Joseph Übelmes­ ser für eine einmalige Pfingsaktion verwendet. Später hat man diesem einfallsreichen Pater diesen nicht patentierten Namen für das neue Osthilfswerk „ab-erbeten“. Der symbolträchtige Name Renovabis hat seinen Ursprung in der Heiligen Schrift. Dort heißt es im Psalm 104, Vers 30: „Renovabis fa­ ciem terrae“, zu deutsch: „Du wirst das Antlitz der Erde erneuern.“ Und weil das genau der programmatischen Absicht entsprach, hat man es dann für das ganze Hilfswerk übernommen ... Im Jahresbericht 2011 befinden sich aufschlussreiche Bilanzzahlen. So wurden alleine in diesem einen Jahr 826 Projekte mit einem Aufwand von 27.590.286,30 Euro gefördert. Es wurden u. a. Projekte für Kindergärten, Schulen, Familienberatungen, medizinische Einrichtungen, Kirchenrestaurierungen und kirchliche Ausbildungsstätten gefördert. Woher kommt das Geld für Renovabis? Das Geld für die Projekte kam und kommt zum Teil von der deutschen Bischofskonferenz, teilweise durch Kollekten, Spenden und Erbschaf­ ten, von der Stiftung Renovabis, aber auch vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ). Inzwischen sind über 580 Mio. Euro von den genannten Spendern aufgebracht worden, die für ca. 20.000 Projekte in Ost-, Mittel-und Südosteuropa eingesetzt wurden. Wobei die grundsätzliche Philoso­ phie von Renovabis lautet: Hilfe zur Selbsthilfe.

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Kardinal-DöpfnerHaus auf dem Domberg zu Freising, das auch die Geschäftsstelle von Renovabis beherbergt (Foto: Sagemüller)

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Der veröffentlichte Jahresbericht (www.renovabis.de) dokumentiert mit bemerkenswerter Transparenz, wie mit dem Geld umgegangen wird. Wie viel Geld kommt woher und geht wohin? Dies wird geprüft von staatlich vereidigten Wirtschaftsprüfern, dazu gibt es seit Jahren regelmäßig das Spendensiegel des DZI (Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen). Ja, diese Transparenz war uns von Anfang an sehr wichtig. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, leider nicht überall praktiziert. Wir kön­ nen es unserem Gewissen und den Spendern gegenüber nicht verant­ worten, uns in irgendwelche Mauscheleien einzulassen. Deshalb legt Renovabis größten Wert auf eine transparente Berichterstattung und war bereits fünf Mal unter den Finalisten des „Transparenzpreises“, der von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers ge­ meinsam mit der Universität Göttingen verliehen wird. In allen Berichten von Renovabis wird besonders der Begriff „Partnerschaftsinititativen“ hervorgehoben. Wie sehen diese Initiativen aus? Es gab schon gleich nach dem Zweiten Weltkrieg erste Initiativen, die entweder von den katholischen Pfarrgemeinden oder auf Anfragen aus dem Osten, vor allem aus Polen oder der Tschechoslowakei, Rumänien oder Bulgarien ausgingen. Als Renovabis gegründet wurde, gab es ca. 800 solcher Partnerschaften. Jetzt sind es meines Wissen etwa doppelt so viele. Wir bei Renovabis haben versucht, diese Einzelaktivitäten zu bündeln, um eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Der Grundgedanke war Aussöhnung und Hilfe. Man besuchte sich gegenseitig, lernte die Sorgen und Notwendigkeiten kennen und ver­ suchte, gemeinsam mit dem Gemeindepfarrer, praktische Hilfe zu lei­ sten. Die Anregungen gingen aber zumeist von Gemeindemitgliedern aus. In einem Fall aus Tschechien wurde ein Kindergarten dringend benötigt. Dann versuchte man genau das zu realisieren. Inzwischen sind diese Helfer aber „in die Jahre“ gekommen und die Jugend hat zum Teil andere Prioritäten. Werden diese Initiativen nicht irgendwann überflüssig, weil sich die Menschen, z. B. in Polen, selber helfen können? Was Polen betrifft, vielleicht ... aber wenn Sie an Kasachstan, Weißrus­ sland, Moldawien oder die Weiten Russlands denken – da wird noch sehr, sehr lange Hilfe benötigt.

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v.l.n.r.: Titelbild des Aktionsheftes über die Förderzeit 2008–2009, Titelbild des Aktionsheftes 2010, Aktionsplakat 2012 (Renovabis-Archiv)

Pater Hillengass (links) mit der Provinzialverwaltung der deutschen Jesuiten.

Neun Jahre Aufbauarbeit von Renovabis Ein Hilfswerk wie Renovabis aufzubauen, war sicher keine leichte Aufgabe ... Ganz und gar nicht! Nehmen Sie nur die allmähliche Personalausweitung von 7 auf 49 Mitarbeiter. Oder die Schaffung eines Netzwerkes, das 29 Länder umfassen sollte.

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Pater Hillengass mit Patriarch Alexij 1999 in Moskau

Renovabis-Baustelle in Irkutsk (Russland)

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Aus den Festschriften für Sie bei Renovabis ist herauszulesen, dass Sie das mit Bravour gemeistert haben. Ja, das schreibt man so leicht ... und es hat auch viel Freude bereitet, aber es beinhaltet ein zähes Ringen – oftmals mit dem eigenen Vor­ stand und den eigenen Kollegen oder Bischöfen und Kardinälen als Mitglieder des Unterausschusses bzw. Trägerkreises. Denn Renovabis ist ja ein eingetragener Verein. Zähigkeit scheint eine Ihrer herausragenden Eigenschaften zu sein ... Dieses Durchhaltevermögen braucht man, um etwas zu erreichen. Auch – oder gerade – in der katholischen Kirche. Wir hatten ja mit vielen, auch internen, Schwierigkeiten zu kämpfen. Ich habe gelernt, das „Gegenüber“ durch konsequente Ausdauer zu überwinden. Was waren ihre nachhaltigsten Eindrücke dieser neun Jahre? Alles war irgendwie aufregend, neu und kreativ. Wir hatten ja kaum Erfahrungen mit Osteuropa ... Wir mussten zunächst einmal viel ler­ nen, täglich Neuland betreten und andere Mentalitäten und Denkwei­ sen zur Kenntnis nehmen. Und wir mussten sehr sanft und vorsichtig Vertrauen aufbauen. Denn das hatten die Menschen unter der kommu­ nistischen Diktatur verlernt, dass man jemandem vertrauen kann. Viel­ leicht darf ich sagen, dass mich die zahlreichen Begegnungen in den 29 Ländern – zum Teil in abgelegensten Gegenden – mit heldenhaft leben­ den und leidenden Menschen, die ihren Glauben durch all diese schwe­ re Zeit hindurch erhalten hatten, nachhaltig beeindruckt haben. Oder mit vielen Zeugen des Widerstands und blutiger Verfolgung. Können Sie Beispiele nennen? Denn das ist ja für heutige Bürger westlicher Demokratien kaum vorstellbar. Von den vielen, vielen Begegnungen ist mir besonders die Begegnung mit den Wolgadeutschen in Avchasien, die mangels eines Priesters von Babuschkis, also von alten Frauen, betreut wurden, die ihren Glauben unter schwierigsten Bedingungen in aller Stille, aber mit großer Selbstverständlichkeit weiterführten (einschließlich der Riten für Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen). Als wir diese alten Frauen be­ suchten und nach ihrem wichtigsten Wunsch fragten, sagten sie: „Wir möchten bitte einen Priester.“ Auch ist mir die außerordentliche Persönlichkeit von Kazimierz Kardinal Swiatek, dem Erzbischof von Minsk, in bleibender Erinne­

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Siedlung in Bulgarien (Renovabis-Archiv)

rung. Dieser standhafte Würdenträger hat unglaubliche Strapazen überleben müssen: 10 Jahre in der Todeszelle der Sowjets, danach 10 Jahre Arbeitslager in Sibirien, nach der Wende mit völllig zer­ störten und verwahrlosten Strukturen in seiner Heimat konfron­ tiert, vermochte er die ersten Grundbausteine christlichen Lebens zu setzen. Er wurde über 90 Jahre alt und war noch immer aktiver Bischof. Was konnten Sie konkret helfen? Wir haben versucht, Kirchen, die zerstört worden waren, teilwei­ se wieder instand zu setzen, damit Gottesdienste abgehalten werden konnten, oder Räume für Katechese zu gestalten oder Suppenküchen einzurichten. Die Armut war (und ist!) sehr groß! War das nicht frustrierend zu erleben, wie wenig man in Wirklichkeit helfen kann, quasi nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Es war schon erschütternd, ansehen zu müssen, in welche physischen und seelischen Abgründe eine Gesellschaft stürzen kann, die versucht ohne Gott auszukommen. Ich habe dann den Mitarbeitern immer meine Interpretation des Gleichnisses vom Barmherzigen Samariter, die Jesus auf die Frage des Gesetzeslehrers antwortet (Lukas 10, 25-37), erklärt. „Wo und wa­ rum soll ich überhaupt anfangen, wenn wir doch nicht allen helfen können?“ „Es mag sein, dass 3 oder 5 oder 7 km weiter noch andere

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Leidende im Straßengraben liegen ... aber Dein Nächster ist dieser hier, der gerade hier vor Dir liegt. Für die anderen musst Du Gott sorgen lassen.“ Wie sind Sie vorgegangen? Es gab sicherlich unendlich mehr Notlagen als die, für die Renovabis Geld zur Verfügung hatte. Wir haben versucht, zuerst konkret vor Ort zu erkunden, was wirk­ lich benötigt wird, und das dann zu unseren bescheidenen Mitteln ins Verhältnis gesetzt. Oft mussten wir auch die Geistlichen zu größerer Bescheidenheit anhalten. Wieso das ? Ich erinnere mich an das Beispiel von Wolgograd (früher Stalingrad). Dort stand an der Wolga eine große römisch-katholische Kirche. Der Pfarrer wollte von uns zum Wiederaufbau der zerfallenen Kirche 8 Mio. US-Dollar. Man baute damals manchmal Kirchen in die Blickrichtungen von anderen Glaubensgemeinschaften, um die besondere Bedeutung der eigenen Religion zu demonstrieren. Was haben Sie diesem Priester geantwortet? Wir haben ihm klargemacht, dass zu dieser Größenordnung kein Weg führt; zumal auch bescheidenere Lösungen möglich waren. Vor allem haben wir auf die Diskrepanz zwischen der gewaltigen Dimension dieser dreischiffigen Basilika und der unverhältnismäßig kleinen Ge­ meinde überzeugend hingewiesen. Und wie ging das aus ? Am Ende baute er seine Kirche für 800.000 DM um, die wir ger­ ne schrittweise zur Verfügung gestellt haben. Oder nehmen wir das Beispiel des Bischofs von Eger in Ungarn. Der hatte sich vom Staat das von den kommunistischen Behörden früher konfiszierte Bischofspalais überantworten lassen, anstelle es zurückzuweisen. Denn er hatte weder Verwendung dafür noch annähernd genug Geld, um es zu unterhalten. Wir haben versucht ihm das deutlich zu machen. Schwerpunkt von Renovabis ist „nur“ Osteuropa? Es sind 29 Länder in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, in Mittelasien

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und Transkaukasien, für die Renovabis zuständig ist. Natürlich müs­ sen Schwerpunkte gesetzt werden, da nicht alle Regionen gleichmäßig bedürftig und unsere Mittel begrenzt sind. Zuerst wurde die Hilfe für Polen als besonders wichtig angesehen. Inzwischen können die Nach­ barn schon überwiegend auf eigenen Füßen stehen. Wie konnten Sie kontrollieren, dass die Gelder auch wirklich für den beantragten Zweck verwendet wurden? Sind Sie überall zur Kontrolle herumgereist oder hatten Sie Mitarbeiter, die das machten? Kann man das überhaupt exakt kontrollieren? Oder ist, wie Pater van Straaten meinte, alleine die Kontrollabsicht eine indirekte Unterstellung und eine Beleidigung? Eine 100%ig exakte Kontrolle ist nicht möglich. Aber ohne Kontrolle missbrauchen wir das Vertrauen der Spender. Natürlich haben wir im Verlauf der Jahre Methoden entwickelt, um eine gewisse Kontrolle zu ermöglichen, vor allem indem wir die Ortsbischöfe eingebunden haben. Die halfen meistens aus ureigenstem Interesse mit, da sie irgendwann weitere Mittel beantragen wollten. Wir haben Besichtigungen der Projektplätze durchgeführt, Bauplä­ ne von Experten überprüfen lassen, haben Wirtschaftsprüfer für die Abrechnungen beauftragt, Berichte und Abrechnungen verlangt und auch – bei wiederholter Verweigerung – erneute Zahlungen verwei­ gert. Wir waren schon bemüht, so nahe wie möglich an die Realität zu kommen. Aber absolut ist das schon alleine deshalb nicht möglich, weil diese Länder sehr verschiedenartige rechtliche Bestimmungen zu Abrechnungsverfahren haben und auch ganz offensichtlich mentali­ tätsbedingte, von unserer abweichende Auffassungen von Korrektheit. Man muss dennoch Vertrauen aufbringen. Unser seliger Pater Rupert Mayer SJ sagte auch: „Wer noch nie über den Tisch gezogen wurde, der hat auch noch nie Gutes getan.“ Gibt es einen bestimmten Tag, an dem für Renovabis in den Kirchen gesammelt wird? Das ganze Kirchenjahr ist sehr genau zwischen den Hilfswerken auf­ geteilt: beginnend mit der Sternsinger-Aktion am 6. Januar für das Kindermissionswerk, gefolgt von der Fastenzeit für MISEREOR, dann zu Pfingsten Renovabis, gefolgt vom Peterspfennig Ende Juni, dann erscheint am Horizont bereits missio im Oktober, Bonifatiuswerk im November, dann Adveniat für Lateinamerika im Dezember.

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Renovabis veranstaltet seit 1997 in jährlicher Folge in Freising internationale Kongresse. Diese Veranstaltungen sind als Fortsetzung der Tradition der „Internationalen Kongresse Kirche in Not“ konzipiert, die bis 1995 in Königstein Taunus veranstaltet wurden, wie Dr. Gerhard Albert von Renovabis erläutert. Was sind die Schwerpunkte dieser breit angelegten Kongresse? Sie als Geschäftsführer haben da sicherlich intensiv mitgewirkt. Dasselbe wie die gesamte Inlandsarbeit von Renovabis: zuerst den Blick der Menschen öffnen, dann das Herz der Menschen erwärmen und letztlich den Geldbeutel für die Menschen und Situationen in Mit­ tel- und Osteuropa aufzumachen. Im Falle der Kongresse geschieht das auf intellektueller Ebene. Die Kongresse sind quasi der Auftakt-Impuls zu einem bestimm­ ten Thema, das über das ganze folgende Jahr und darüber hinaus ver­ ankert wird. Sie finden im September statt. Es folgt im Dezember die Popularisierung durch die Partnerschaftstreffen, z. B. im Jahr 2011 am 2. und 3. Dezember in Freising unter dem Motto „Osteuropa an das Herz der Menschen bringen“, und diese Gedanken erreichen ihren Hö­ hepunkt jedes Jahr zu Pfingsten nächsten Jahres mit der „Pfingstakti­ on“. Deshalb passt der Name der Organisation Renovabis aus dem 104. Psalm („Du erneuerst das Antlitz der Erde“) ganz besonders gut, denn der Heilige Geist, den wir an Pfingsten feiern, ist es, der die Welt „er­ neuert“. Welche Themen wurden bzw. werden z. B. behandelt? Es geht immer um Schwerpunkte, die gleichzeitig auch soziale Brenn­ punkte sind, gekennzeichnet durch besonders gravierende Probleme für die Menschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa oder Europa als Ganzes. Also Themen wie „Migration“, „Europa wächst zusammen, aber wie?“, „Gesellschaft gestalten – Glauben entfalten“, „Religion und Nation im 21. Jahrhundert“, „Einheit suchen – Vielfalt wahren (Öku­ mene)“, „Ökologische Herausforderungen in Mittel- und Osteuropa“. Das Thema für den Kongress 2013 und die Pfingstaktionen wird „Be­ hinderte“ sein. Beim Kongress geht es um gesellschaftliches Engage­ ment von Christen und deren Freiheitsideale. Dies wird dann 2014, 25 Jahre nach der Wende, auch Leitthema. Wer sind die Teilnehmer? Die Teilnehmer kommen aus ganz Europa, wobei Ost- und Südosteuropa stärker vertreten sind. Als Referenten bzw. Moderatoren konnten

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Pater Hillengass spricht auf der Kongresseröffnung 2000 (Renovabis-Archiv)

Werbung auf dem Berliner Alexanderplatz nach 1989 (Renovabis-Archiv)

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stets erstklassige und hochrangige Vertreter aus Religion, Politik, Kul­ tur und Wirtschaft gewonnen werden. Neben den themenbezogenen Grundsatzreferaten gibt es Arbeitskreise, wo über regionale Probleme oder Sichtweisen und Lösungsansätze beraten wird. So waren es beim Thema „Ökologie“ (dem 14. Kongress 2010), mit über 300 Teilneh­ mern aus 35 Nationen (einschließlich der USA), neun solcher Arbeits­ gruppen über „Umweltprobleme in Albanien“ oder „Für und Wider der Kernkraft als Energiequelle“, „Nachhaltige Energiewirtschaft in Kasachstan“, „Probleme und Perspektiven der Umweltschutzmaßnah­ men in Kirche und Gesellschaft Rumäniens“, „Wasser und bedrohte Ressourcen im Donauraum“ u. a. Sind alle Teilnehmer Katholiken? Absolut nicht. Die Inititativen zu Renovabis gehen von den deutschen Katholiken und der deutschen Bischofskonferenz aus. Aber unter den Teilnehmern der Kongresse sind Protestanten, orthodoxe Würdenträ­ ger verschiedener Richtungen und konfessionslose Laien. Welche Länder sind im Moment die dringendsten Hilfsschwerpunkte von Renovabis ? Das sind vor allem die Länder, wo Kirche entwickelt (oder wieder entwickelt) werden muss: Russland, die baltischen Staaten, Albanien, Mazedonien, Serbien, Kosovo, Moldawien. Aber immer katholische Kirchen ... ? Nicht immer – wir geben auch viel – nach unseren Kräften – für or­ thodoxe Gemeinden. Orthodoxe Kirchen haben oft Bruderschaften, die sich um wichtige Sozial- oder Erziehungsprojekte kümmern. Da engagieren wir uns auch. Seltener ist dies für evangelische Gemeinden, da die ihr eigenes Hilfswerk für Osteuropa haben. Aber auch für nicht kirchlich gebun­ dene wichtige Aufgaben, wie Brücken-, Straßen- und Wegebau, oder zur Schulung für Konfliktbewältigung (Balkan). Wir haben sogar in einer entlegenen Gegend eine Bäckerei finanziert. Wie war das Gefühl nach einem Wechsel von Rom nach Freising in Bayern? Kamen Sie sich in Freising nicht wie in der hintersten Ecke vor? Nein, absolut nicht! Ich war ja nicht nach Rom gegangen, weil es eine Weltstadt oder Kunstmetropole ist oder weil es das Zentrum

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der katholischen Weltkirche ist, sondern um als Generalökonom der Gesellschaft Jesu zu arbeiten. Und in Freising interessierte mich vor allem die Herausforderung, beim Aufbau von Renovabis zu hel­ fen. Und als ausgewiesenem Kenner römischer Restaurants fehlte Ihnen da nichts? Nicht so sehr ... denn auch Freising, und überhaupt Bayern, ist ja wahr­ lich nicht arm an kulinarischen Einrichtungen! Da, wo gute Arbeit in der Kirche gemacht wird, gibt es auch immer gutes Bier und schmack­ haftes Essen. Wo haben Sie während dieser Zeit gewohnt? In einer Villa am Domberg oder wo im schönen Freising? Meine „Villa“ bestand aus einem kleinen Appartement im Areal des jetzt renovierten Bildungszentrums. Dazu gehörte neben dem Eingangsbe­ reich eine Nasszelle, ein Wohnraum und ein kleines Schlafzimmer. Das war alles und das reichte auch, getreu unserem Armutsgelübde. Außer­ dem war ich dadurch nahe an der Arbeitsstelle Renovabis. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates von Renovabis ist der Kölner Kardinal Meisner. Wenn man seiner Laudatio zu Ihrem 70. Geburtstag glauben darf, hatten Sie da keine nennenswerten Probleme. Dort heißt es: „Renovabis hatte für seinen Start das Glück, in Pater Eugen Hillengass SJ einen kompetenten Geschäftsführer zu haben, der aus seiner reichen Erfahrung als Generalökonom des Jesuitenordens nun das Hilfswerk für Mittel- und Osteuropa in Deutschland aufbaute.“ Nein, wir hatten keine Probleme miteinander. Die Beziehung war sehr gut. Wenn jeder den Standpunkt des anderen respektiert, ist eine har­ monische Arbeitsgrundlage möglich. Kardinal Lehmann hielt auf dem Internationalen Kongress Renovabis 2002 einen vielbeachteten Vortrag zum Thema „Christliche Wurzeln einer europäischen Gesellschaft“. Auf einem Ihrer Bilder sind Sie mit Kardinal Lehmann bei Renovabis zu sehen. Hatten Sie regelmäßige Kontakte zu diesem ganz außerordentlichen Geistlichen? Ich kenne den jetzigen Kardinal Lehmann schon sehr lange. Als ich 1960 in Innsbruck studierte, war Karl Lehmann Assistent des Theolo­ gen Karl Rahner, der wesentlich zur Erneuerung der katholischen The­

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ologie im 20. Jahrhundert beigetragen hat. Vorher hatte Karl Lehmann sieben Jahre lang in Rom studiert. Es war auch in Rom, als die entschei­ denden Weichen für meine Mitwirkung bei Renovabis gestellt wurden. Wie geschah das, bitte? Ich fuhr Herrn Bischof Lehmann in sein Quartier. Als wir vor seine Haustür ausstiegen, sagte ich – wie beiläufig: „Übrigens, ich bin in ein paar Monaten hier frei für andere Aufgaben.“ Er hat das sofort ver­ standen. Am 31. August 2002 hörte ich in Rom auf. Mein Nachfolger, Pater Alfredo Villanueva, fing am 1. September an und ich war ab 2. Septem­ ber am Arbeitstisch des Geschäftsführers von Renovabis. Später besuchte Bischof Lehmann uns in Freising und war außeror­ dentlich interessiert und angetan von unserer Arbeit. Wenn man das alles genau betrachtet, dann war das auch physisch eine enorm anstrengende Tätigkeit. Darf ich nach der durchschnittlichen Dauer Ihres Arbeitstages fragen? Dürfen Sie – normalerweise von 8 Uhr früh bis 22 Uhr abends. Oft auch länger. Als Geschäftsführer von Renovabis waren Sie außerordentlich erfolgreich. Warum beendeten Sie bereits im Sommer 2002 dieses Aufgabengebiet? Aus Altersgründen war von vornherein dieser Zeitpunkt festgelegt. Die Bischofskonferenz hatte beschlossen, den Trend, dass kirchliche Fachleute bis zum letzten Atemzug im Amt bleiben und der Nach­ wuchs nicht zum Zuge kommt, zu stoppen. Sollte das nicht auch für Päpste und andere leitende Würdenträger der katholischen Weltkirche gelten? Sicher, aber das kann nur vom Heiligen Vater – oder von seinen Bera­ tern – ausgehen. Aber es ist sicher nicht einfach, durch einen solchen Rat auch seine eigene Position in Frage zu stellen. In weiten Teilen der Welt ist es auch eine Mentalitätsfrage, nicht einfach aus Altersgründen ein Amt aufzugeben. Aber wie Sie gerade im Fall von Papst Benedikt XVI. sehen, geschieht es bereits. Sie hätten bereits 2002 „in Rente“ gehen können. Das wäre ungut gewesen! Von Amts wegen ist es ja geschehen, aber

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Kardinal Karl Lehmann besucht die Mitarbeiter von Renovabis in Freising.

persönlich haben wir Jesuiten das nicht gelernt! Selbst bei unseren Alten und Kranken in unseren Altersheimen wird als Auftrag gegeben: „Betet für Kirche und Gesellschaft Jesu!“ Das ist also eine Aufgabe, die uns im­ mer bleibt. Wir wollen gebraucht werden – solange wir Sinnvolles leisten und beitragen können. Gerade im sozialen Bereich gibt es unendlich viel zu tun. Wenn wir nach jahrzehntelanger, verantwortlicher Tätigkeit plötz­ lich aufhören müssten, würden wir vielleicht in das berühmte „Altersloch“ fallen. Deshalb ist das Gefühl, gebraucht zu werden, sehr wichtig.

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Und da bin ich dem damaligen Provinzial Pater Bernd Franke SJ dankbar, dass er mich schon vor Beendigung meiner Tätigkeit bei Re­ novabis informierte, dass ich in München für den Auf- und Ausbau des Fundraising gebraucht werde. Das habe ich dann mit einigem Er­ folg von 2002 bis 2009 tun können.

Pater Hillengass SJ und sein Nachfolger Pater Dietger Demuth C.Ss.R.

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„Pater Hillengass – wir brauchen viel Geld und noch mehr Freunde“ Leiter der Projektförderung der Deutschen Provinz der Jesuiten – München (2002–2009) Pater Hillengass, um Projekte fördern zu können, braucht man viel Geld. Das ist sicherlich ein sehr schwieriger Job, oder? Woher bekamen Sie Geld? Einfach ist es nicht! Das ist in erster Linie eine Aufgabe des Fundrai­ sings. Als ich 2002 hierher kam, gab es natürlich Fundraising der ver­ schiedensten Wege und Methoden. Aber es gab in den Jahren davor keinen hauptamtlichen Pater dafür. Fundraising – eigentlich eine elegantere Umschreibung des Begriffs „Geldsammeln“– war durchaus nicht selbstverständlich. Da muss­ te man zuerst Hemmungen auf unserer Seite abbauen. „Wir betteln nicht“, war zuerst die Devise. Als dann 1949 aber Notsituationen ka­ men, musste man sich zu Fundraising entschließen, denn der Ober­ deutschen Provinz fehlten zehntausend Deutsche Mark, die sie dem Berchmanskolleg schuldete und nicht hatte. Wie macht man das? Fundraising ist bei den Jesuiten eng verbunden mit „Freundesam­ meln“. Es geht bei der Freunde-Arbeit nicht in erster Linie um Geld, sondern um wirkliche Freundschaft, ehrenamtliche Mitarbeit und vor allem um das Gebet füreinander. Aus diesem Grund hieß das erste, viermal jährlich in München erscheinende Blättchen, mit dem um Spenden geworben wurde, auch „An unsere Freunde“. Gleichzeitig gab es „Canisius“ – eine ähnliche Publikation – in Frankfurt. Wenn man das heute in die Hand nimmt, sieht man eine Bleiwüste, voller hoch anspruchsvoller Artikel, die zuweilen schwer verständlich sind. Als aber die deutschen Provinzen zusammengelegt werden mussten ...

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... aus finanziellen Gründen? Weniger, sondern vor allem wegen der schrumpfenden Zahl der Jesuiten. Wir haben uns dann bei der Publikation nach reiflichen Überle­ gungen für den Namen „Jesuiten“ entschlossen, den sie bis heute trägt. Inhalt und Stil sind vollkommen anders als die der Vorgänger gewor­ den. Die Zeitschrift hat eine dynamische, junge Redaktion bekommen. Sie gestaltet aktuelle Themen wie „Armut“, „Alter“ oder „Vergessen“, präsentiert aber gleichzeitig die wichtigen Aufgaben und Positionen der Gesellschaft Jesu und motiviert dadurch großherzige Menschen, sich auch finanziell zu engagieren. Wir wollen aber die Zahl der Bezieher dieser Zeitschrift „Jesuiten“ erheblich steigern. Deshalb legen wir sie auch in Kirchen und Heimen aus, um neue Interessenten zu gewinnen. Wir müssen uns halt sehr rühren und immer neue Wege finden. Pa­ ter Eberhard von Gemmingen hat viele der 13.000 Pfarreien in Deutsch­ land angeschrieben und gebeten, das Heft dort auslegen zu dürfen. Etwa 10 Prozent sind bisher zur Kooperation bereit. Aber immerhin! Ist das nicht frustrierend? Die Gemeinden müssten doch begeistert für diese gute Sache einspringen. Einige machen das ja. Nur sind wir ja nicht die Einzigen, denn man muss sich vorstellen, dass jede Ordensgemeinschaft, jede katholische Schule, jedes Heim heute über die gewöhnlichen Unterstützungszahlungen hi­ naus Geldbedarf hat. Das überfrachtet die Schriftenstände der Kirchen. Und dann darf man nicht übersehen, dass zahlreiche Pfarrer oder deren Sekretärinnen einfach überlastet sind. Und offenbar ist auch die Befürchtung vorhanden, sich damit ein Trojanisches Pferd ins Büro zu holen. Wenn man mit den Jesuiten anfängt, werden vielleicht auch an­ dere Orden das gleiche Recht erbitten. Oder manche Pfarrer gehören einem anderen Orden an und sammeln natürlich für ihre eigenen Ge­ meinschaften. Wir müssen auch Verständnis für die Beschaffenheit der Gemeinden und ihrer Probleme aufbringen. Darüber hinaus brauchten wir bedeutend mehr Mitarbeiter. Und an dieser Stelle möchte ich die großartige Arbeit der ehrenamtlichen Helfer erwähnen. Ohne deren Hilfe könnten wir die Versendung und Verteilung der Auflage des Jesuitenheftes von 65.000 Stück viermal jährlich überhaupt nicht bewältigen. Als ganz kleines Dankeschön ver­ anstalten wir, von Zeit zu Zeit, für die Ehrenamtlichen einen Kegelabend mit Essen und Getränken.

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Pater Hillengass (re.) mit Mitarbeitern der Deutschen Provinz der Jesuiten in München während seiner Zeit als Leiter der Projektförderung

Was sind das für Menschen, die es für wichtig erachten, Ihnen ehrenamtlich zu helfen? Die kommen aus völlig unterschiedlichen Berufen: Rentner, ehemalige Manager oder auch leitende Angestellte, Studenten – alle vereinigt in dem Gedanken, etwas für die Bewältigung der wichtigen Aufgaben der Gesellschaft Jesu tun zu wollen. Wenn Menschen dem Orden Geld spenden, tun sie das anonym oder wie in Afrika, wo jeder noch so kleine Spender öffentlich genannt oder auf einer Sitzbank verewigt werden will? Das ist unterschiedlich. Aber von besonderer Wichtigkeit ist der per­ sönliche Kontakt der Verantwortlichen in der Spendenzentrale zu den Spendern. Das sind über Jahre aufgebaute und vor allem liebevolle, teilweise freundschaftlich gepflegte Verbindungen. Auch haben wir erfahren, dass die direkte Einbindung der Mitbrüder in das Spen­ densammeln wirksam ist. Wenn zum Beispiel der Präsident einer Jesuitenhochschule sich dieser Sache annimmt, kann das äußerst er­ folgreich sein, denn er kennt natürlich seine Institution viel besser als wir in der Zentrale.

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Von all diesen mühseligen und aufwendigen Arbeiten, die sicherlich viel Idealismus benötigen, hat der normale Bürger nicht die leiseste Ahnung. Da gibt es die absurdesten Spekulationen über die Finanzierung des Ordens: angefangen von der Kirchensteuer, vielleicht auch tricksenden Reichen, über spezielle Abhängigkeiten vom Papst bis hin zu dunklen mysteriösen Geschäften. Wir wissen das. Nur ist nicht alles, was nicht in den Medien erscheint, deshalb unehrlich. Vieles geschieht selbstlos in der Stille. Die Wahrheit ist, dass wir als Ordensgemeinschaften überhaupt keine Gelder von der Kirchensteuer erhalten. Wir folgen dem Vorbild unseres Ordensgrün­ ders, des heiligen Ignatius (von Loyola), der, ohne großes Aufsehen zu veranstalten, jedes Jahr im Sommer nach England reiste, Spenden für sein Studium und den Lebensunterhalt der ersten sieben Gründungs­ väter in Paris sammelte und damit in mühsamen Schritten den Orden aufzubauen begann. Das Mühevolle hat dem Orden immer gutgetan, weil es gepaart ist mit Demut und Dankbarkeit – beides wichtige Tugenden für Jesuiten. Übrigens sagt Jesus: „Wenn du Almosen gibst, soll deine Linke nicht wissen, was die Rechte tut.“ Gibt es noch andere Felder der Freundschaftspflege? Durchaus. Da gibt es die Begegnungswochenenden und Begegnungs­ tage. Diese werden von uns gut vorbereitet und mit viel Aufwand ver­ anstaltet. Dabei dienen Vorträge namhafter Experten, Aussprachen und das gemeinsame Feiern und Essen als Ausdruck unserer Dank­ barkeit, der Information und der Festigung unserer freundschaftlichen Verbindungen sowie dem Verständnis für die Belange des Ordens. Zentral ist bei all diesen Treffen der Gottesdienst. Das Kernanliegen dieser Begegnungen ist für uns die immer aktuelle Frage: Wie kommen wir dahin, dass Menschen sich für uns und unsere Arbeit nachhaltig interessieren und dass dieses Interesse nicht nur the­ oretisch bleibt, sondern ganz praktische Formen annimmt? Gibt es noch sonstige Formen des „Geldsammelns“? Wir müssen uns halt etwas einfallen lassen. Wir sind ja nicht die Ein­ zigen, denen es per Gesetz erlaubt ist, Spenden zu sammeln. Da gibt es einige Tausend Organisationen; nicht nur religiöse, sondern auch Sportverbände, Kulturvereine usw. – circa dreihunderttausend in Deutschland. Das Bußgeldmarketing ist eine andere Form.

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Wie bitte? Der Orden darf doch keine Bußgelder verhängen ...? Nein, aber der Staat erlaubt „Sündern“, an eine rechtlich anerkannte Gesellschaft (z. B. DRK, Caritas, Behindertenhilfswerke oder halt Je­ suiten) seine Buße zu entrichten. Das klingt sehr einfach, aber da wir nicht die einzigen infrage kommenden Bewerber für diese Bußgelder sind, müssen wir uns halt „bemerkbar“ machen. Oder nehmen wir das Erbschaftsmarketing ... ... das klingt sehr dubios... ... klingt vielleicht so – das Wort Erbschaftsmarketing mag anstößig sein, doch die Sache ist zutiefst seriös. Wir machen Menschen darauf aufmerksam, dass sie „über den Tag X“, der für jeden einmal kommt, hinausdenken sollen. Das ist auch der Titel der Schrift, die wir – der Pater von Gemmingen und ich, in Zusammenarbeit mit Ärzten und Juristen – erarbeitet haben. Darin geben wir zunächst – ganz auf den Leser bezogen – Hinweise für das Erstellen eines vollgültigen Testamentes, einer Patientenverfü­ gung, einer Betreuungsvollmacht, einer Vorsorgevollmacht. Ich habe in einem ersten Anlauf ca. 1300 Hefte verschickt und unauffällig in­ formiert, dass bei Bedarf mit der angehefteten Postkarte detaillierte­ re Informationen angefordert werden können. Aber nur 10 Personen machten Gebrauch davon. Nach einem Jahr haben wir noch einmal einen Brief an alle Adressen verschickt und nachgefragt. Und siehe da! Es kamen viele Rückmeldungen, die alle den Tenor hatten: Wir ha­ ben es bekommen, finden es gut, haben aber das Thema vor uns her­ geschoben, weil wir noch nicht sterben wollen und uns darum auch nicht ernsthaft mit den Fragen beschäftigt haben. Deshalb war unsere Idee, „über den Tag hinaus“ konkret und möglichst umfassend zu in­ formieren, durchaus richtig. Können Sie bitte etwas über den konkreten Inhalt dieses Heftes sagen? Nach den aktuellen Statistiken sterben in Deutschland nur ca. 2% aller Menschen mit einem rechtsgültigen Testament. Das gibt zu denken. Wo einfach die gesetzliche Erbfolge gewünscht wird, braucht es kein Testament, wohl aber entsprechende Informationen. Aber viele spätere Rechtsstreitigkeiten, besonders innerhalb von Familien, könnten ver­ mieden werden, wenn zu Lebzeiten der Tatsache, dass jeder Mensch einmal sterben muss und das sehr plötzlich geschehen kann, mehr Be­ achtung geschenkt werden würde. Dieses Kapitel wird oft in der selbst­

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trügerischen Illusion vor sich hergeschoben, dass dazu „immer noch“ Zeit bleibt. Vielleicht ist dem so – vielleicht aber auch nicht! Durch dieses Heft kann ich deshalb u. a. eine Checkliste anfor­ dern, was alles zu der Erbberechtigung zu bedenken ist, einschließlich der Fragen zur Erbmasse, der eindeutigen und juristisch akzeptablen Abfassung des Testamentes, einer Betreuungsvollmacht und Vorsor­ gevollmacht, einer Patientenverfügung für den Fall X, Fragen zum seelsorgerlichen Beistand und der Art des Beerdigungswunsches usw. Aber wie platzieren Sie dann in diesem Informationsheft die delikate Frage nach Spenden? Ja, das ist eine zutiefst delikate Sache, denn wir reden ja über den Tod eines Menschen. In dem Heft ist die Arbeit der Gesellschaft Jesu relativ umfassend dargestellt. Wir weisen auch darauf hin, dass Ordensleu­ te als solche keinen Anteil am Kirchensteueraufkommen haben. Und wenn wir über das Abfassen des Testaments informieren, wofür eine juristisch korrekte Tabelle über die Erbfolge enthalten ist, erwähnen wir auch Folgendes: „Wenn Sie keine Angehörigen mehr haben oder nicht wissen, wen Sie einsetzen sollen, oder die natürliche Familienab­ folge aus bestimmten Gründen nicht einhalten möchten – dann kön­ nen Sie auch die Gesellschaft Jesu einsetzen.“ Denn ohne gesetzliche oder testamentarische Erben – bekommt es der Staat. Wir versuchen deshalb jetzt vermehrt, aufklärende Vorträge zu halten. Die Inhalte sind dreigeteilt: „Wie sieht das mit dem Sterben spirituell aus?“, „Welche Dinge sind juristisch zu beachten?“ und „Wie verhält es sich vom medizinischen Standpunkt aus?“ (Künstliche Beat­ mung usw.) Pater von Gemmingen reist deshalb sehr engagiert durch die Lan­ de, begleitet von einem erfahrenen Juristen und einer erstklassigen Ärztin. Eine weitere Möglichkeit des Jesuitenordens, auf seine hilfreiche Tätigkeit und den Bedarf an Spenden aufmerksam zu machen, ist die Verteilung des Jahrbuches. Was beinhaltet dieses Jahrbuch? Nur Statistiken? Nein, keinesfalls. Das Jahrbuch wird mit großer Sorgfalt und hervor­ ragender optischer Qualität in Rom auch in deutscher Sprache herge­ stellt. Es vermittelt einen repräsentativen Überblick über wichtige und notwendige soziale Werke und Arbeiten von Jesuiten weltweit. So bie­

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Battambang (Kambodscha): Schule für Landminenopfer (Jahrbuch 2012)

tet z. B. das Jahrbuch 2012 Erinnerungen an bestimmte, weil ihre Zeit maßgeblich mitprägende, herausragende Persönlichkeiten aus Wissen­ schaft, Politik, sozialem Engagement. Ferner Berichte über Jubiläen in den Provinzen, wie z. B. 400 Jahre Jesuiten in Kanada oder das goldene Jubiläum in Kerala (Indien). Von besonderem Interesse dürften die Artikel über „Fe y Alegria“, eine von El Salvador ausgehende Volks­ bildungs- und soziale Förderungsinitiative für die Armen und Unter­ drückten, sein. Der Gründer, Pater Joaquin Lopez y Lopez SJ, der 1989 dafür erschossen wurde, sagte: „Wenn du Pläne für 5 Jahre hast, säe Weizen, wenn es Pläne für 10 Jahre sind, pflanze einen Baum, wenn es Pläne für 100 Jahre sind, erziehe die Leute!” Ich habe gehört, dass in Zukunft auch über gemeinsame Reisen mit den Freunden der Gesellschaft Jesu nachgedacht wird. Stimmt das? Ja, es gibt bereits konkrete Pläne für eine gemeinsame Rom-Fahrt. In­ wieweit weitere Touren zu anderen spirituellen Zentren in der Welt durchgeführt werden können, hängt von der Belastbarkeit unserer Mitarbeiter ab, die bereits an der allerobersten Grenze angelangt ist. Wünschenwert wäre es jedenfalls, denn solche Reisen verbinden Men­ schen sehr stark, bereichern das Wissen und dienen der Horizonter­ weiterung.

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Und 2010 hatten Sie dann genug von der mühevollen Tätigkeit ...? Nein, so kann man das nicht sagen. Aber altersbedingt lassen die Kräfte auf ganz natürliche Weise nach. Ich hatte ja auch den schwe­ ren Unfall um diese Zeit. Außerdem gehört es zur Vorgehensweise des Ordens, von Zeit zu Zeit andere Brüder mit wichtigen Aufgaben zu betrauen – einfach um neue Impulse zu geben. Nur aus diesem Grun­ de habe ich nach 22 Jahren in Rom dem Pater General vorgeschlagen, einen Wechsel vorzunehmen. Meine Nachfolge in München mit Pater von Gemmingen, dem be­ kannten „Radio Vatikan“-Journalisten aus Rom, ist eine glänzende Lö­ sung. Ohne jeden Zweifel, aber Pater von Gemmingen ist auch bereits im „gesegneten“ Alter von 76 Jahren... Grundsätzlich ist es so, dass ein Provinzial, also der Leiter einer Jesui­ tischen Provinz, auf drei Jahre berufen wird. Das wird – wenn er seine Sache gut gemacht hat – in der Regel um weitere drei Jahre verlängert. Dann aber ist es Zeit für einen Wechsel, einfach weil diese Tätigkeit extrem anstrengend ist, zuweilen auch für die Mitbrüder. Auch bei allen anderen Brüdern ist der Zeitablauf des Einsatzes vom Gesundheitszustand abhängig. Grundsätzlich – ich wiederhole das – wollen wir „gebraucht“ werden. Ist das vielleicht einer der Gründe, warum die Gesellschaft Jesu so außerordentlich erfolgreich ist, dass man den enormen Erfahrungsschatz seiner Mitglieder nicht ins „Rentenbank-Aus“ schickt, sondern für die menschliche Gesellschaft wirksam werden lässt? Ist das nicht ein beklagenswerter Fehler, den viele Unternehmen da begehen? Das ist ja der ewige Streit: Ist es wichtiger, junge Menschen mit neuen Ideen zu haben oder die Experten mit alten Erfahrungen? Vielleicht beides? Richtig, aber das hängt auch vom Geschäftszweig ab. Nehmen Sie die Modebranche. Da muss man immer am neuen Trend dranbleiben bzw. sogar neue Linien kreieren. Beim Buchhandel oder in geisteswis­ senschaftlichen Bereichen ist das sicherlich anders. Oder was wir ge­ rade bei den Banken beobachten, ist, dass Mitarbeiter um die 40 Jahre bereits damit rechnen müssen, hinauskomplimentiert zu werden. Na­ türlich mit einem „vergoldeten Händedruck“, aber immerhin.

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Leiter der Projektförderung

Pater, was passiert aber, wenn Sie ernsthaft krank sind oder aus Altersgründen nicht mehr wirken können? Ich hoffe, dass dies noch eine Weile Zeit hat. Denn momentan ist mein Kalender noch reichlich gefüllt, besonders nach dem 50. Priesterjubi­ läum. Das habe ich bemerkt, denn Sie genießen ja wirklich ein seltenes „Glück des Gebrauchtwerdens“ und haben viele Termine und Aufgaben: Beichtenhören, hl. Messen, Taufen, Beerdigungen, Sterbebegleitung, Artikel schreiben, Onlineexerzitien, Finanzberatungen – wie schaffen Sie das alles? Ich bin dankbar für die erfolgreichen Rehabilitationsmaßnahmen – die Rückkehr oder wenigstens Erhaltung meiner physischen Lei­ stungsfähigkeit. Denn das war durchaus nicht selbstverständlich. Ich versuche mit eiserner Disziplin den Tag genau zu planen, sodass er mit sinnvollem Tun gefüllt ist. Ich kenne aber und akzeptiere auch meine Grenzen. Aber wenn es dann nicht mehr gelingt, Sinnvolles beizutragen, hat der Orden in Deutschland drei Altersheime, wo man mit Liebe und Fürsorge betreut wird.

Ich bin Dir gefolgt!

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Über die Jesuiten

Über die Jesuiten 1. Wer sind die Jesuiten? Ich habe gelesen, dass sie mit den Freimaurern und auch anderen Geheimbünden zu tun haben. Das stimmt nicht. Die Jesuiten haben absolut nichts mit den Freimaur­ ern oder anderen Geheimbünden zu tun. Als Jesuiten bezeichnet man Mitglieder der katholischen Ordensgemeinschaft Gesellschaft Jesu (So­ cietas Jesu). Dieser Orden führt sich zurück auf eine Versammlung am 15. August 1534 um den spanischen Adligen Ignatius von Loyola (1491– 1556). Jesuiten gehören zu den Regularklerikern. Sie tragen keine besondere Ordenstracht. Hinter ihrem Nachnamen führen sie den Zusatz SJ (Abkür­ zung für „Societas Jesu“). Symbol des Ordens ist das Monogramm IHS, die ersten drei Buchstaben des Namens Jesus in griechischer Schrift, das auch oft als Iesum Habemus Socium (Wir haben Jesus als Gefährten) ge­

Ignatius (aus Haub: Geschichte der Jesuiten, S. 27)

Siegelstock IHS (Haub, S. 30 )

lesen wird. Das Motto des Ordens ist die lateinische Wendung „Omnia ad maiorem Dei gloriam“ (Alles zur größeren Ehre Gottes). Wie ist der Orden aufgebaut? Oder ist das ein Geheimnis? Es gibt eigentlich keine Geheimnisse bei uns. Nur breiten wir nicht al­ les ständig „auf der Straße“ aus. Deshalb erscheint es vielen so. Aber

die Gelübde und das Apostolat der jesuiten

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wer sich ernsthaft interessiert, hat Zugang zu einer Fülle an Informa­ tionen und Literatur, sodass alle Fragen beantwortet werden. Das gilt ausnahmslos für alle Menschen. Aber zu Ihrer Frage: Wie ist der Orden aufgebaut? An der Spitze steht der Ordensgeneral. General? Das klingt so militärisch ... aber der Jesuitenorden ist kein solcher. Warum hat man dieses Funktionsbezeichnung gewählt? General ist die Abkürzung für Generaloberer, „generalis“ (lateinisch) heißt „allgemein“, also Allgemeiner, das heißt Höchster der Oberen. Unter dem Generaloberen befinden sich im Strukturaufbau des SJ­ Ordens der Provinzial oder Provinzobere, dann der Hausobere oder Ortsobere.

2. Die Gelübde und das Apostolat der Jesuiten Pater Hillengass, wer Jesuit werden will, muss, neben einer äußerst umfangreichen und fundierten Ausbildung, Gelübde ablegen. Welche sind das? Es sind 3 Gelübde: Armut – Keuschheit – Gehorsam (gegenüber sei­ nen Oberen). Eigentlich sind es 4, denn Gehorsam gegenüber dem Papst gehört ebenfalls dazu. Bedeutet Ehelosigkeit, dass die Mitglieder des Ordens nur nicht heiraten, ansonsten aber sich des anderen Geschlechts erfreuen dürfen? Nein, nein, das schließt schon einen keuschen Lebensstil, also sexuelle Enthaltsamkeit, mit ein ... Warum eigentlich? Gott hat doch die Menschen als Mann und Frau so geschaffen, damit sie sich vereinigen. Ein Geistlicher, der verheiratet ist, wie bei den Protestanten und der Orthodoxen Kirche, kann doch Gott und den Menschen genauso dienen, oder nicht? Was ist der Vorteil sexueller Enthaltsamkeit? Zweifellos kann man Gott im Ehestand genauso dienen wie in der Ehelosigkeit, die sicher nicht für alle Menschen gedacht ist. Die Ehe­ losigkeit kann jedoch Einzelne, die sich total für eine andere Aufgabe hingeben wollen, dafür freier machen. Das ist keine Wertung, sondern eine andere Lebensform, wobei in diesem Falle die Opferbereitschaft

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Über die Jesuiten

sicherlich auch ein wertvoller Beitrag ist. Es gibt diese Ehelosigkeits­ ansicht nicht nur in der Kirche, sondern zahlreiche Politiker, die eine besondere Mission zu haben glauben, wie Dr. Bernhard Vogel, glau­ ben, dass sie ihre Funktionen und die damit verbundenen Belastungen nur mit Verzicht auf Familiengründung tragen können. Und zwar aus einem Blickwinkel von Verantwortung, dass sie es einer Familie nicht zumuten wollen, keine Zeit für sie zu haben oder sie mit den täglichen politischen Sorgen zu belasten, keine oder wenig Zeit für die Frau und die Erziehung der Kinder zu haben. Das ist immer auch eine sehr in­ time, persönliche Einstellung. Muss man nicht auch, angesichts der Missbrauchsskandale, offen fragen: Ist in der verpflichtenden Keuschheit – denn die Priester-Kandidaten der römisch-katholischen Kirche haben ja nur die Wahl zwischen Nicht-Priester und Priester in der Enthaltsamkeit – nicht auch einer der Gründe für das unverantwortliche Handeln an Kindern und Jugendlichen zu sehen? Ich glaube, dass man da nicht automatisch einen Zusammenhang se­ hen kann. Nach Ansicht führender Mediziner und Juristen, wie des Professors Pfeiffer, Kriminologe in Hannover, entwickelt sich die Pä­ dophilie in der Lebensphase der Pubertät, also zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr. Die Zölibatsfrage wird aber erst etwa 10 Jahre später gestellt, es geht also nicht um einen „Priester in der Enthaltsamkeit, der seine sexuellen Bedürfnisse ausleben zu müssen glaubt und dann halt zu Jungens greift“, sondern Zölibatsprobleme werden weit später ausgelöst. Es mag umgekehrt denkbar sein, dass pädophil Veranlagte aus der Erkenntnis ihrer spezifischen Neigung heraus sich dann in ei­ nen Priesterberuf sozusagen flüchten. Sind Jesuiten Heilige? In der Öffentlichkeit besteht offensichtlich die unreale Erwartung, dass Priester Heilige und fehlerlos sein müssten, eine Meinung, an der wir als Kirche nicht unschuldig sind. Das mag es äußerst selten geben, wo­ bei niemand frei von Fehlern ist. So steht es jedenfalls in der Heili­ gen Schrift. Aber Geistliche werden nicht als Heilige geboren, sondern Gott „rührt“ sie an und „ruft sie“. Manche Menschen nehmen diesen An-Ruf auf und folgen ihm, die meisten aber nehmen ihn nicht ein­ mal wahr. Diejenigen, welche sich entschließen diesem Ruf zu folgen, machen sich „auf den Weg zur Heiligkeit“ ... und beginnen den mü­ hevollen Weg der Nachfolge Christi. Aber wir sind und bleiben Men­

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schen voller Sünden und Unvollkommenheiten. Was vielleicht den kleinen, aber entscheidenden Unterschied ausmacht, ist, dass wir in der Nachfolge Jesu das wissen, ,,es akzeptieren“ und uns ernsthaft be­ mühen, diese Unheiligkeit zu einem Heil-(Ganz-)Sein zu formen. Darf ich nach dem Armutsgelübde fragen? Ist der Jesuitenorden ein Bettelorden? Kirchenrechtlich ja, aber nicht in der Art wie die Franziskaner oder Dominikaner oder Benediktiner. Der Grundgedanke des Jesuitenor­ dens war und ist: Armut ist apostolisch. Das heißt, unsere Armut ist zwar nicht die Armut eines Bettelordens, der den armen Jesus nach­ ahmen will, sondern alles das, was für die Ausübung des apostolischen Dienstes an den Menschen nötig ist, sollte vorhanden sein. Das Armutsdekret führt klar aus, dass so viel an Materiellem vor­ handen sein sollte, dass unsere Mission – Bildung und Erziehung zu bewirken – nicht behindert wird. Aber die Praxis ist oft doch Armut des Lebensstils und das ist so gewollt! Das schließt auch die Vergemeinschaftung der Mittel unserer Mit­ brüder und Institutionen ein, dergestalt, dass, wenn eine Institution mehr hat als eine andere, ein Ausgleich erfolgen muss. Dieser Aus­ gleich darf nicht der Anhäufung von Besitz etwa für schlechte Zeiten dienen, sondern muss sich an der Bedürftigkeit – spirituell wie materi­ ell – ausrichten. Was ist das Wesentlichste für die Gesellschaft Jesu im Blick auf die religiöse Armut im Apostolat? Das Wesentliche im Apostolat ist das sogenannte „Tantum Quantum“. Das meint, dass die materiellen Dinge soweit benutzt werden, wie sie für das Apostolat nützlich sind. In der Umkehr heißt das aber auch, dass sie nicht benutzt werden, wo sie für das Apostolat behindernd oder unmäßig sind. Was verstehen Sie unter „unmäßig“, vielleicht ein praktisches Beispiel? Wir können nicht Spenden sammeln für unsere Hilfswerke und selber unmäßig viel davon verbraten für großklassige Mercedes oder in Ba­ yern BMW oder teure Büroausstattungen. Was haben die Jesuiten in München dann für Autos? Grundsätzlich kleine und solche, die wir vorwiegend billig erworben

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Über die Jesuiten

oder geschenkt bekommen haben, also VW Golf, Opel Corsa und ähnliche. Soweit es sinnvoll ist, benutzen wir die öffentlichen Ver­ kehrsmittel. Wenn ich zum Beispiel zum Beichtstuhldienst nach St. Michael gerufen werde, fahre ich mit der U-Bahn. Sie wollten etwas zum „Tantum Quantum“ sagen ... Ich erinnere mich an den Wahlspruch des Paters Franz Xaver Müller SJ, der mich in den Orden aufgenommen hat, an die scherzhaft so ge­ nannten 5 „f “: frisch – fromm – fröhlich – frei – vernünftig. Frisch an die Dinge rangehen; fromm: alles in einen religiösen Rahmen stellen; fröhlich, weil Griesgrämige nicht sehr überzeugend sind; frei, dass ich mich nicht selber fessele oder fesseln lasse (deshalb Apostolische Armut); vernünftig: keine unsinnigen Dinge tun aus Gründen des Kalküls. Kurz: Hilft es dem Apostolat oder hilft es nur mir? Fazit: Ich tue etwas insoweit, wie es hilft, und ich lasse es, wenn es nicht hilft. Das ist natürlich die Theorie. Die Praxis sieht leider nicht selten anders aus. Die Ordensmitglieder sind dem Papst verpflichtet. Darf man das so verstehen, dass der Heilige Vater sich an die Jesuiten wendet: Ich brauche da oder dort dieses oder jenes, diesen oder jenen. So eine Art geistliche „Spezialeinheit“ für besondere Aufgaben? Ja, der Jesuitenorden ist von seinem Gründer, dem hl. Ignatius von Lo­ yola, konzipiert worden als eine Organisation, die dem Heiligen Vater (Papst) zur Verfügung steht. Denn nach unserer Auffassung vertritt der Heilige Vater Jesus Christus auf Erden. Praktisch heißt das, dass es in verschiedenen Situ­ ationen auch verschiedene Wirkungsfelder gibt, je nach Notwendigkeit der aktuellen Welt- und Kirchenlage. So wurden die Jesuiten, die zum Beispiel nach China missionie­ ren gingen, angewiesen, zuerst Astronomie zu studieren. Sie haben dadurch Zugang als Experten zum Kaiserhof in Peking gefunden. Sie haben viele Jahre dort als Astronomen erfolgreich gewirkt, so zum Bei­ spiel Matteo Ricci SJ (1552–1610). Oder Ignatius bemerkte, dass es im deutschsprachigen Raum an Schulen fehlte. Deshalb wurde diese Lücke richtungsweisend für das dortige Apostolat der Jesuiten. Alleine in Bayern wurden damals 50 Jesuiten-Kollegien gegründet.

Gehorsam – grundlage menschlicher ordnung

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Woher hatten die Jesuiten das Geld für solche aufwendigen Unternehmungen? Zusammengebettelt? Nein, denn mit Ausnahme der römischen Kollegien (heutige Gregori­ ana und Germanicum) hat Ignatius solche wirkungsvollen Bildungsstätten nur eingerichtet, wenn entweder die Bürgerschaft oder die Bischöfe oder Fürsten diese Kollegien fundiert haben. Das heißt, der Bedürfnis-Impuls ging von der Anforderungs-Seite aus. So ist es mit den Missionen gelaufen. Der hl. Ignatius erklärte: Wir sind 7 Personen, die ihr Gelübde abgelegt haben. Das erste Gelübde war eine Pilgerfahrt nach Jerusalem. Sie warteten ein Jahr. Es klapp­ te nicht, weil wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Türken keine Schiffe fuhren. So kam Gelübde Nr. 2 zum Zuge, näm­ lich: Wir stellen uns dem Heiligen Vater zur Verfügung. Papst Paul III. suchte einen Jesuiten, der nach Indien reisen sollte. So wurde Franz Xavier ausgewählt. Dieser hat in Indien und anderen Teilen Asiens großartige Arbeit geleistet. Im Namen des Papstes! Oder nehmen wir ein anderes Beispiel, Jesuiten in Japan. Der Ka­ puziner-Bischof in Japan bat um Jesuiten, damit eine internationale Universität aufgebaut werden konnte. So schickte Papst Pius XI. Je­ suiten, daraus wurde dann eine permanente, internationale Mission. Einer dieser Missionare in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhun­ derts war der Spanier Pedro Arrupe, der zunächst in Japan fünf Jahre die Sprache studierte, dann als Novizenmeister und später als Provin­ zial arbeitete, bis er zum Generaloberen gewählt wurde. Er berief mich nach Rom als seinen Generalökonomen.

3. Gehorsam – Grundlage menschlicher Ordnung Der oberste Dienstherr ist also der jeweilige Papst? Ist der Gehorsam gegenüber ihm, ebenso wie gegenüber dem jeweils Oberen, absolut oder relativ. Absolut! Der hl. Ignatius erklärte: „Ich werde glauben, dass weiß schwarz ist, wenn es die Kirche so definiert.“ Aber ist das nicht Kadavergehorsam, der zur völligen Aufgabe der denkenden Individuen führt ...? Wozu hat Gott sie dann mit einem eigenen entwicklungsfähigen Hirn ausgestattet? Man sollte diese Formulierung nur im Kontext mit der Gesamtlehre

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Über die Jesuiten

Papst Johannes Paul II. nimmt das Gehorsamsgelübde des 28. Generaloberen der Gesellschaft Jesu entgegen

sehen. Damit beschrieb der Ordensgründer natürlich einen Extrem­ fall, im Wissen darum und im Vertrauen darauf, dass es niemals zu einer solchen Definition kommen würde. Absoluter Gehorsam, straffe Hierarchie, aber größtmögliche per­ sönliche Initiative und Flexibilität sind ja die Gründe, warum sich der Orden schnell ausbreitete. Grundsätzlich kann man sagen, dass Gehorsam die Grundlage je­ der menschlichen Ordnung bildet. Ungehorsam führt zum Chaos. Nehmen Sie nur ein ganz einfaches Beispiel: wenn jeder Autofahrer den Straßenverkehrsbestimmungen zuwiderhandeln würde, hätten wir Straßenchaos. Oder wenn Menschen den elementaren ethischen Gesetzen des Zusammenlebens im geschlechtlichen Bereich nicht gehorchen wür­ den, hätten wir Sodom. Gehorsam, wie er hier gemeint ist, darf aber nie das Denken aus­ schalten. Der Ordensgründer schrieb: „Wenn Eure Hochwürden vor Ort feststellen, dass anders zu handeln ist, tun Sie es!“ Das heißt also, sich der jeweiligen Situation anzupassen? Gehorsam verpflichtet beide Seiten, den Fordernden und den Gehor­ chenden. Der Obere, der einen Gehorsam einfordert, wird sich – wenn er klug ist – beraten, an die Konsequenzen denken und dann erst ent­ scheiden.

Gehorsam – grundlage menschlicher ordnung

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Audienz bei Benedikt XVI. für die Mitglieder der 35. Generalkongregation (Bild: Osservatore Romano)

Berühmt ist die Geschichte, die der hl. Ignatius in diesem Zusammen­ hang erzählte: „Ein Abt wollte den Gehorsam eines Mitbruders prüfen und ordnete an, dass er ihm eine Löwin einfangen und bringen sollte. Dieser tat es, und der Abt wurde von der Löwin gefressen.“ Der For­ dernde muss also sinnvoll anordnen. Der Gehorsam Leistende, und übrigens auch der Befehlende, ist in letzter Instanz seinem Gewissen verpflichtet, ein Gewissen, das auf breit informierter Grundlage ruht, steht über dem Gehorsam. Paulus lehrt uns, „dass das Gewissen die Führungskraft Gottes in uns ist“, denn was gegen das wohlinformierte Gewissen geschieht, ist Sün­ de. Der Orden verstand sich aber auch als Teil einer katholischen Erneuerungsbewegung. Wie wurde das konkret umgesetzt? Es war die Umbruchszeit von Reformation und Gegenreformation. Die katholische Kirche war in keinem besonders guten Zustand. Das hatte ja Martin Luther und andere Reformatoren auf den Plan geru­ fen. Daraufhin gab es notwendigerweise auch Überlegungen, wie das christlich-katholische Geistesleben wieder auf seine eigentlichen Auf­ gaben zurückgeführt werden konnte.

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Über die Jesuiten

Was hieß das konkret für die Praxis? Eine Art „Säuberung“, wie sie Jesus im Tempel durchführt (Lukas 19/45ff.)? Welches sind die „eigentlichen christlich-katholischen Aufgaben“? Das sind, kurz gesagt, Selbstheiligung und Weltheiligung! Also ein an Christi Beispiel und Lehre ausgerichtetes Leben führen, das die Hin­ wendung zum Nächsten aus Liebe einschließt. Und dieses wiederum soll zu einer Umgestaltung der eigenen Umwelt führen. Die Jesuiten spielten bei der oben erwähnten Erneuerungsbewe­ gung eine sehr aktive Rolle. Innere Erneuerung durch erneute persönliche Christus-Beziehung sollte wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. Dazu gründete der Orden in den durch „Häresien” gefährdeten (d. h. protestantischen) Ländern Ordenshäuser. Wo dies nicht möglich war, wie in Irland oder England oder verschiedenen deutschen Territorien, wurde das ent­ sprechende Ordenshaus in Rom oder andernorts eröffnet. Schwerpunkte waren besonders Exerzitien, Seelsorge, Beichte, Bil­ dung.

4. Dekrete – verbindliche Satzungen für das Ordensleben Das Ordensleben der Gesellschaft Jesu wird durch die Ordensstatuten und Dekrete geregelt. Können Sie uns bitte Sinn und Aufgabe dieser Dekrete beschreiben und an einigen Beispielen erläutern? Die Dekrete sind inhaltliche und geistliche Standortbestimmungen und Aufgabenstellungen und daraus folgende Richtlinien der Gesellschaft Jesu für die jeweilige Zeit, sind also Konkretisierungen. Sie reflektieren den Ursprung, aktivieren die Gegenwart und bestimmen die Zukunft des Ordens. Sie werden auf den Generalkongregationen verabschiedet. Zum Beispiel die Frage „Was ist ein Jesuit?“ wird eindeutig und er­ neut auf der 32.Generalkongregation im Dekret 2 festgelegt: „Der Je­ suit ist ein Sünder, der erlöst und berufen ist. Der Jesuit heute ist ein Mann, dessen Sendung darin besteht, sich ganz einzusetzen für den Dienst am Glauben und die Förderung der Gerechtigkeit, in der Le­ bens-, Arbeits- und Opfergemeinschaft mit seinen Gefährten, die sich um dasselbe Banner des Kreuzes geschart haben, in Treue zum Stell­ vertreter Christi, um eine Welt aufzubauen, die zugleich menschlicher und göttlicher werden soll.“

Dekrete – verbindliche satzungen für das Ordensleben

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Sünder ist eindeutig, aber „erlöst“? Und berufen? Ist hier die Erlösungsopfertat Jesu gemeint? Aber demnach müssten doch alle Menschen erlöst sein? Und fordert Jesus nicht alle Menschen auf, ihm nachzufolgen? Wo ist der Unterschied zu den Jesuiten? Es gibt keinen Unterschied, denn nach christlicher Lehre sind alle Men­ schen durch das Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi erlöst. Jesuiten sind zuerst Menschen, dann Jesuiten. Genau das sagt das Dekret, dass Jesuiten erlöste Sünder sind, die allerdings, wie in den nachfolgenden Erklärungen des Dekretes, genauer bestimmt werden, nämlich dass sie gesandte Menschen sind. Im Hinblick auf die ganze Gemeinschaft ist im Dekret 2, 11 der 32. Generalkongregation zu lesen: „Unsere Gesellschaft wurde in erster Li­ nie zur Verteidigung und Verbreitung des Glaubens gegründet, und um der Kirche jeden Dienst zu leisten, der zur Ehre Gottes und zum allge­ meinen Wohl beitragen könnte“. Dieselbe Gnade Christi, durch die wir „das Heil und die Vervollkommnung der eigenen Seele“ suchen, befä­ higt uns, „das Heil und die Vervollkommnung der Seele des Nächsten zu suchen“. In moderner Sprache ausgedrückt: „die völlige Befreiung des Menschen, die zu einer Teilnahme am Leben Gottes führt“. Im Dekret 4 der 32. Generalkongregation, Nummer 91, ist unter der Überschrift „Der soziale Einsatz“ formuliert: „Der von unserem Glauben an Jesus Christus und unserer Sendung zur Verkündigung des Evangeliums verlangte Einsatz für die Förderung der Gerechtigkeit und für die Solidarität mit jenen, die keine Stimme und keine Macht haben, führt uns dazu, uns ernsthaft über die schwierigen Lebensum­ stände dieser Menschen zu informieren.“ Unter Nummer 98 desselben Dekretes lesen wir: „... Es wird darum nötig sein, dass eine größere Anzahl der Unsrigen das Los der Familien mit bescheidenen Einkommen teilt, das heißt das Leben derer, die in al­ len Ländern die Mehrzahl bilden und oft arm und unterdrückt sind.“ Im Dekret 12 derselben Kongregation, wo es um eine authenti­ schere Armut der Mitglieder der Gesellschaft Jesu geht und bei dessen Ausformulierung ich maßgeblich mitarbeiten konnte, heißt es in der Nummer 270: „So soll sie (die Gesellschaft Jesu) werden: – einfach im Lebensstil der Kommunität und freudig in der Nachfolge Christi; – bereit, alles untereinander und mit anderen zu teilen; – apostolisch in der tätigen Indifferenz und Verfügbarkeit zu jeder Art von Dienst für andere

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33. Generalkongregation in Rom

Deutsche Delegation zur Generalkongregation im Vatikan

Über die Jesuiten

500 Jahre lebendiger Organismus

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– inspirierend bei der Auswahl der Arbeiten, sodass diejenigen Hil­ fe erfahren, die sie am nötigsten haben“ (Auszug). Praktisch heißt das, dass Überschüsse geplant und kreiert werden müssen, damit sie dann geteilt werden können. Ferner in demselben Dekret, Nummern 27–29 (Auszug): „Leben in Liebe“: „aus einer persönlichen Liebe zu Jesus Christus, den wir im­ mer besser zu verstehen suchen, um ihn mehr zu lieben und ihm mehr nachzufolgen“ (27). „In Armut“: „Indem wir mehr auf die Vorsehung Gottes vertrau­ en als auf menschliche Mittel, die Freiheit des Apostels wahren durch Loslösung von jeder Habgier und den Fesseln, die sie mit sich bringt“ (28). „In Demut“: „... und auch bei den Aufgaben, die wir übernehmen können und sollen, erkennen wir, dass wir bereit sein müssen, zusam­ men mit anderen zu arbeiten, mit Christen, mit Angehörigen anderer Religionen, mit allen Menschen guten Willens“ (29). (Siehe auch Lite­ raturhinweise im Anhang) Diese Dekrete sind von allen Mitgliedern zu befolgen wie ein Diktat? Nicht wie ein Diktat. Es verlangt die Umsetzung in Freiheit des Ein­ zelnen je nach seiner besonderen Situation. Die Dekrete sind insofern verbindliche Festlegungen, als nicht jeder seine persönliche Auffas­ sung über das woher und wohin der Gesellschaft Jesu leben kann. Denn das würde zu einer Zersplitterung und Auflösung der Gesell­ schaft führen. Deshalb hat gerade hier das Gehorsamsgelübde eine be­ sondere Bedeutung. Das ist vergleichbar mit einem Zug, in dem alle in dieselbe Richtung fahren, obwohl jeder sein individuelles Gepäck, seine unterschiedliche Kleidung, Sitz- und Lesegewohnheiten hat.

5. Die Jesuiten – 500 Jahre lebendiger Organismus zur Ehre Gottes und zum Wohl der Menschen Haben sich Inhalt und Form der Gesellschaft in den bald 500 Jahren im Wesen verändert? Nein, nicht im Wesen. Diese Geschichte nimmt ihren Anfang in den geistlichen Übungen unseres hl. Vaters Ignatius und seiner Gefährten. Sie bildeten eine apostolische, in der Liebe begründete Gemeinschaft.

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Über die Jesuiten

Sie wollten unter dem Banner Christi von ihm in alle Welt „gesandt“ werden, um allen Ständen und Lebenslagen der Menschen seine Lehre zu verkünden (31. Generalkongregation Nummer 2: „Ursprung der Ge­ sellschaft“) – das gilt auch heute noch genauso. Wie hat es die Gesellschaft Jesu geschafft, nicht als museale Vereinigung, wo die Formen weihevoll gepflegt werden, der Inhalt aber längst entleert ist, zu versteinern, wie es bei vielen Organisationen heute der Fall ist? Die Gesellschaft Jesu war und ist ein „lebendiger“ Organismus, inspi­ riert vom Geist Christi und ihm verpflichtet. Das wollen und bewirken auch unsere jungen Mitbrüder, die gerade deshalb zu uns kommen. Das ist der Unterschied zu Organisationen, wo sich Menschen aus einem zeitlich bedingten Anlass zusammengefunden haben und Ver­ ordnungen selber festlegten. Die Gesellschaft Jesu ist, wie ich glaube, durch die Inspiration des Heiligen Geistes gegründet worden und wird von diesem und durch unser Dazutun täglich lebendig erhalten (Paulus: „Gott ist ja kein Gott der Toten, sondern der Lebenden“). Aber muss es da nicht ständige Anpassungen an die real existierenden Verhältnisse, Zeitgeist usw. geben? Und woher wissen Sie, dass auch diese Anpassungen vom hl. Geist geleitet werden? Natürlich ... Deshalb müssen sich die konkreten Formen und Wir­ kungsmethoden dieses „lebendigen Organismus“ einem veränderten Zeitalter der Globalisierung und Technisierung anpassen. Insofern hat sich äußerlich viel verändert. Die Menschen in der Welt haben sich verändert. Unterschiedliche Kulturen verlangen adäquate Antworten. Bildungsmenge und der Zugang zu ungeheuren Informationsmengen verlangen eine größere Kapazität und Fähigkeit der Sondierung des Lernens unserer Mitbrüder. Die geografische Weitung, bedingt durch technischen Fortschritt, ermöglicht das schnelle Erreichen jedes globalen Zieles. Denken Sie an die monatelangen, nicht ungefährlichen Schiffreisen des hl. Xavier nach Indien, Malaysia oder Japan. Heute ist das ein bequemer Nachtflug. Aber das Fundament, sich von Christus gesandt zu wissen, auf sei­ ner Lehre zu stehen und von da aus für andere da zu sein, „in aller Welt den Beladenen und Unterdrückten“ beizustehen, geistlich und physisch hilfreich zu sein, und das „alles zur größeren Ehre Gottes“ – und die feste Überzeugung, dass wir dabei vom Heiligen Geist ge­

Grundlegende Aspekte und abläufe der Ausbildung

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leitet werden („Wo zwei oder drei zusammen sind in meinem Namen“, Mt.18), das hat sich nicht verändert. Das heißt aber doch in der Konsequenz, dass die Jesuiten heute sogar noch mehr als früher gebraucht werden. Die Leidenden in aller Welt leiden heute immer noch unter den klassischen Geißeln wie Hunger, Seuchen, Armut, Unterdrückung, Ungerechtigkeit, modernen Formen von ausbeutender Sklaverei, Men­ schenhandel, Zwangsheiraten – auch wenn sie heute Blue Jeans tragen und Handys benutzen. Deshalb ist die Aufgabe der Jesuiten nicht nur nicht beendet, son­ dern, im Gegenteil, mehr denn je nötig.

6. Grundlegende Aspekte und Abläufe der Jesuiten-Ausbildung Können Sie bitte den grundlegenden Ablauf einer typischen Ausbildung beschreiben? Die Ausbildung dauert eigentlich das ganze Leben. Aber die normale Struktur umfasst die Kandidatur, das 2-jährige Noviziat, die Scholasti­ ker-Zeit mit dem Magisterium und das Terziat. Am Anfang steht die Kandidatur, die erste Prüfungs- und Besin­ nungszeit des Kandidaten. Kern sind die 3-tägigen Exerzitien (Tridu­ um). Dann folgt das Noviziat, eine ausgedehnte Zeit der Einführung in das Ordensleben. Während dieser Zeit muss der Kandidat sich späte­ stens entscheiden, ob er Jesuitenbruder oder Priester werden will. Die­ se 2 Jahre sind unterbrochen von Experimenten pastoraler und sozialer Tätigkeiten. Vor allem finden die 30-tägigen Exerzitien statt, eine vom Gebet bestimmte Wahlzeit für das Leben nach Christi Vorbild. Am Ende dieser Periode legt der Kandidat die ersten Gelübde ab: Armut – Keuschheit – Gehorsam. Die Novizen, die sich entscheiden Priester zu werden – sofern sie angenommen werden – begeben sich in die Scholastiker-Zeit (Stu­ dienzeit). Sie umfasst ein intensives Studium der Philosophie und Theologie und etwa 2-jährige praktische Tätigkeiten im sogenannten Magisterium (Interstiz). Den vorläufigen Abschluss der Ausbildung – nach ca. 10 Jahren – bildet das sogenannte Terziat (die abschließende Prüfungs-und Bewährungszeit). Eine einjährige Art von Sabbatzeit so­

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Über die Jesuiten

wie die 30-tägigen Exerzitien gehören wesentlich dazu. Am Ende legt der Jesuit die letzten Gelübde ab, und gegebenenfalls das sogenannte 4. Gelübde – nämlich dem Papst zur Verfügung zu stehen und seine Aufträge zu erfüllen.

7. Aktuelle Tendenzen: Rückläufige Zahl von Bewerbungen in Deutschland – Zunahme in Asien und Afrika Wie will die Gesellschaft die gewaltigen Anforderungen mit der stark schrumpfenden Anzahl von Mitgliedern bewältigen? Was sind Ihrer Meinung nach die Ursachen für den Rückgang der Bewerbungen und die zahlreichen Austritte? Das ist in der Tat ein großes Problem, für das wir noch keine allumfas­ sende Lösung gefunden haben. Als ich 1950 in den Orden eingetreten bin, gab es 1200 Jesuiten in Deutschland, jetzt sind es ca. 400. Davon erfreuen sich etwa 200 meines Alters – über 70. Damals hatten wir 90 Novizen alleine im No­ viziat der damaligen süddeutschen und ostdeutschen Provinzen. Heute haben wir 17 zusammen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in Nürnberg von einem Novizenmeister betreut werden. Woran liegt das ? Das hat sicher viele verschiedene Ursachen. Damals waren viele Jugend­ liche von den wichtigen Anliegen des Ordens fasziniert und kamen teilweise gleich nach dem Abitur ins Noviziat. Zumeist entstammten sie kinderreichen Familien, wo es üblich war, dass zumindest ein, zwei Kinder in einen geistlichen Beruf, einen Orden oder ein Schwestern­ haus eintraten. Das versprach unter anderem Ansehen und ein gewisses Maß an Geborgenheit (auch für die Familie). Davon haben allerdings fast 50% im Laufe der Ausbildung den Orden wieder verlassen. Warum? Die Ausbildung ist langwierig und nicht einfach, weil die Zurüstung auf die späteren Aufgaben es so erfordert. Die einen hatten es sich ganz anders vorgestellt. Andere wollten dann doch lieber eine Familie grün­ den. Oder sie waren den hohen Anforderungen des Ordens nicht ge­ wachsen oder kamen mit der Disziplin nicht zurecht ...

Verleumdungen durch die Jahrhunderte

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Gruppenfoto des Scholastiker-Jahrgangs während der Studienzeit in Pullach (bei München) 1956, Pater Hillengass 2. Reihe, 1. v. li.

... und heute? Heute haben wir eine andere Situation. Die Menschen, die sich zu einem Noviziat entschlossen haben, tun das sehr selten aus den oben erwähnten Motiven, sondern fühlen eine starke Berufung. Durch die viel sorgfältigere Vor-Auswahl ist die Zahl derer, die ausscheiden, be­ deutend geringer. Die Kandidaten müssen eine Art Vor-Kandidatur durchleben. In dieser Selbstprüfungszeit werden alle wichtigen Fragen wie Keuschheit, Armut, Gehorsam in aller Deutlichkeit und Konse­ quenz an die Eintrittswilligen herangetragen. Das ermöglicht eine tiefere Besinnung und Vorbereitung auf das Gelübde. Bedenken Sie aber bitte auch, dass die großartige Arbeit unserer Mitbrüder-Vorfahren weltweit nur von ungefähr 15.000 Jesuiten geleistet wurde.

8. Verleumdungen durch die Jahrhunderte führen zum teilweise negativen Bild des Ordens Woher kommt es, dass sich immer noch teilweise in der Bevölkerung (nicht nur auf Biertisch-Niveau) dieses negative Image hält – zusammen mit nicht belegbaren Vorurteilen, die Jesuiten hätten die Inquisition ver-

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Über die Jesuiten

ursacht? Oder noch unsinniger, die Jesuiten wären heimliche Muslime und hätten den Islam nach Europa gebracht? Oder sie hätten die Indianer in Lateinamerika gebraten usw. usf. Das hat sich im Laufe der Zeit aus Mangel an Kenntnis so entwickelt und wird von Generation zu Generation oft ungeprüft nachgeplappert und außerdem brauchen bestimmte Menschengruppen „Sündenböcke“ ... Die Jesuiten haben mit Sicherheit nichts mit der Inquisition zu tun. Das ist eine historische Tatsache, denn die Inquisition entstand lange vor der Gründung des Jesuitenordens (Anfang des 13. Jh.). Im Gegen­ teil, der Ordensgründer Ignatius wurde verschiedene Male vor diese Einrichtung geladen, weil seine Aktivitäten – da sie neuartig waren – verdächtig erschienen. Vielleicht hat es einzelne SJ-Pater durch die Jahrhunderte gegeben, die sich da hineinziehen lassen haben, aber der Orden als Ganzes hat und kann gar nicht aufgrund seiner christlichen Einstellung an Frauenverbrennungen u. a. teilhaben. Es ist auch eine eindeutige Tatsache, dass der Jesuitenpater Fried­ rich von Spee mit seiner Schrift „Cautio Criminalis“ (erstmals 1631 erschienen) wesentlich zur Überwindung dieser Auswüchse beige­ tragen hat. Was die Behandlung der Indianer anbetrifft, so haben die Jesu­ iten genau das Gegenteil getan, nämlich durch die Gründung von sogenannten „Reduktionen“ die Einheimischen zu sammeln, mit christlichem Sozialverständnis bekannt zu machen, sie wirtschaft­ lich und kulturell zu fördern und dadurch vor Sklaverei und Aus­ beutung durch die spanischen Kolonialherren zu beschützen. Und den Verbreitern des Islam-Unsinns sei ein genaueres Studium der Geschichte empfohlen. Prof. Roding, Universität Heidelberg, schrieb 1575 über die Jesuiten: „Sie sind wilde Tiere, die aus unseren Städten vertrieben werden sollten. Obgleich äußerlich bescheiden, einfach und demütig und höf­ lich, sind sie in Wirklichkeit Furien und Atheisten – ja viel schlimmer noch als Atheisten. Die Kinder, die ihnen anvertraut werden, sind ge­ zwungen, sich ihren säuischen Lehren anzuschließen, wenn sie Gottes Majestät angrunzen. Sie sind nicht nur Giftmischer, sondern auch Verschwörer und Mörder. Sie veranlassten die Bartholomäusnacht [ge­ meint ist die Nacht vom 23. zum 24. August 1572, wo auf Befehl Katha­ rinas von Medici Tausende protestantischer Hugenotten umgebracht wurden, Anmerkung der Verfasser], sie töteten König Sebastian; in Peru stießen sie rotglühende Eisen in die Leiber der Indianer, damit

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sie verraten, wo sie ihre Schätze verborgen halten. In dreißig Jahren tö­ teten die Päpste 900.000 Menschen, die Jesuiten 2 Millionen. Die Kel­ ler ihrer Kollegien in Deutschland sind vollgestopft mit Soldaten; und Canisius heiratete eine Äbtissin“ (Zitiert aus Stefan Kiechle SJ „Die Je­ suiten – Wissen, was stimmt“, S. 73/74). Aber wieso halten sich dann solche Gerüchte? Tatsache ist, dass die Inquisition vom Papst dem Orden der Dominika­ ner aufgetragen war. Über unhaltbare Gerüchte hat Jesuitenpater Bernhard Duhr ein wichtiges Buch geschrieben: „Die Jesuiten-Fabeln“ (siehe Literaturli­ ste). Man kann sicherlich Neid auf die Erfolge und Wut auf die Jesuiten nicht ausschließen, weil diese das soziale Gefüge zwischen arm und reich gerechter gestalten wollten und damit automatisch die Privile­ gien bestimmter Herrscherkreise antasteten. Vielleicht ist das auch entstanden, weil die SJ als eine in sich ge­ schlossene Geheimgesellschaft angesehen wurde, was sachlich voll­ kommen falsch ist, vielleicht auch, weil die Jesuiten nicht alles so direkt „auf die Straße stellen“. In Zeiten, wo die Bürger jede Kleinigkeit wis­ sen zu müssen glauben, wo unangemessene Neugier zur Ehrlichkeit deklariert wird, wo das Volk meint, sein sogenanntes demokratisches Recht nur dadurch erlangen zu können, dass es in alles und jedes hi­ neinsehen darf (auch wenn es hinterher gar nicht interessiert), kommt jeder in Verdacht, Übles zu verbergen, der das nicht alles ausbreitet. So etwas klingt interessant ... Wie könnte man das ändern? Gar nicht! Die uralten, alten oder neuen Verleumdungen werden kommen und gehen. Was sich ändern müsste, ist nicht der Orden, sondern das Bewusstsein derer, die ungeprüft unhaltbare Geschichten nachplappern. Die Gesellschaft Jesu ist alles andere als ein Geheimbund, denn alleine schon durch ihre vielen sozialen oder bildungsbezogenen Aktivitäten überall in der Welt an Schulen, Universitäten (alleine in Deutschland 3) mit bedeutenden Bibliotheken, wo jedermann will­ kommen ist zu lesen, durch Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Flüchtlingsdienste, die weltweit auch von Deutschland operierenden, freiwilligen Jugendeinsätze, durch Kirchen oder durch die zahl­

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reichen Publikationen, wie z. B. das kostenlose Heft „Jesuiten“ oder den kostenlosen Online-„Newsletter“, um nur zwei zu nennen, ist alles öffentlich. Aus der Vielzahl ausgezeichneter und informativer Bücher möchte ich nur zwei herausgreifen: Dr. Rita Haub „Die Geschichte der Jesuiten“ und Dr. Stefan Kiechle SJ „Die Jesuiten – Wissen, was stimmt“. Oder die Internetportale aller Provinzen, wo Herkunft, Sinn und Ziele nebst aktuellen Berichten frei zugänglich sind für alle. Regelmäßig finden öffentliche Veranstaltungen der „Freunde der Gesellschaft Jesu“ statt. Ein „Geheimbund“ agiert anders! Jeder, der sich wirklich interessiert, ist immer und überall herzlich willkommen. (siehe Literaturliste Anhang)

9. Zum Verhältnis zwischen Generaloberen und dem Papst Gab es in der Geschichte der Jesuiten Spannungen oder gar Konflikte zwischen Päpsten und dem Orden aufgrund unterschiedlicher Auffassungen? Wenige, aber immerhin. Betrachten wir das Beispiel zwischen Jo­ hannes Paul II. und dem Generaloberen, dem Spanier Pater Arrupe. Was war die Ursache für diesen Streit, oder sagen wir besser: Konflikt? Pater Arrupe hatte gefordert, dass es eine Möglichkeit geben müsse, dass ein General zurücktreten kann. Normalerweise trennt erst der Tod die Beziehung zwischen dem General und seinen Verpflichtungen. Aber es hat zum Schaden des Ordens und der ganzen Kirche Fälle ge­ geben, wo die physische Auflösung im Alter eine effiziente Ausübung des Amtes nicht mehr erlaubte. Ein entsprechendes Dekret der 31. Generalkongregation wurde von Papst Paul VI. approbiert. Als Pater Arrupe es für sich erstmals anwen­ den wollte, plante er eine Generalkongregation einzuberufen. In einer Privataudienz mit Papst Johannes Paul II. aus anderen Gründen er­ wähnte der General diesen Vorgang und erzeugte damit eine arge Ver­ stimmung beim Heiligen Vater, weil er ihn nicht vorher konsultiert habe. Es kam in Laufe dieser Verstimmung zu erheblichen Komplikati­ onen. Da Pater Arrupe wenig später einen Gehirnschlag bekam, muss­ te nun ein Vertreter eingesetzt werden. Anscheinend hat Pater Arrupe genau solch eine Situation vermeiden wollen.

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10. Exerzitien (Geistliche Übungen) – Herz der Lehre des Hl. Ignatius Die Exerzitien nehmen den zentralen Platz in der Lehre des hl. Ignatius ein und sind auch einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste Lehr-Aspekt des Jesuitenordens. Sie wurden von Gegnern oftmals als „geheime Gehirnwäsche” diffamiert oder, wie in jüngster Zeit, gar in die Nähe der Scientology-„Kirche“ gebracht.Was sind diese Exerzitien und wofür sind sie gedacht? Das ist natürlich Quatsch und wurde sicher von Leuten verbreitet, die an keinen Exerzitien teilgenommen hatten oder sie jedenfalls falsch machten. Richtig ist, dass sie einen wichtigen Platz in der Gesellschaft Jesu einnehmen und dass sie eine eher befreiende Wirkung auf den Übenden haben, weil er nicht nur seine inneren Entwicklungen wirk­ lich zu beobachten lernt und – mithilfe des Exerzitienbegleiters – auch Wege zur Reinigung einzuleiten vermag. Dann kann er sein Leben „gelöster“ fortsetzen und seiner Umwelt fröhlicher dienen. Es gibt im Grunde 2 Arten von Exerzitien. Das eine sind die Ent­ scheidungsexerzitien, das andere die Wiederholungsxerzitien. Die vollen geistlichen Übungen, wie sie der hl. Ignatius vorlegt, umfassen 30 Tage. Der Übende wird durch 4 Phasen hindurchgeleitet. Diese sind: Reinigung – Leben Jesu – Jesu Leiden und Sterben – Auf­ erstehung Jesu. Dabei ist nicht jede „Woche“ gleich lang im Sinne unserer Kalen­ dereinteilung. Die eigentliche lange und vielleicht wichtigste Woche ist die zweite, die der Entscheidung. Man muss sich nach Eignung des Übenden richten. Ignatius emp­ fiehlt z. B., dass man einem Übenden, der nicht sehr dafür disponiert ist, die Reinigungs-Woche geben soll und ihn dann wieder wegschickt „mit ein paar frommen Lebensanleitungen“. Was mir bei diesen Übungen auffällt, ist der gesunde Pragmatismus, das Sich-Einstellen auf das Mögliche voller Flexibilität? Wenn man nämlich einen Menschen, der in seiner inneren Entwick­ lung noch nicht so weit ist, hineinschiebt in diesen Prozess, kann es passieren, dass es ihn innerlich „zerreißt“ und ihm schadet.

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Was heißt „noch nicht disponiert ist“? „Noch“ nicht ist vielleicht nicht ganz richtig, vielleicht wird er das nie, denn die Entscheidung, aktiv mitmachen zu wollen, ist bedeutsam ... ... kann man sagen, dass das „Disponiertsein“ dafür eine Gnade Gottes ist? Ja, im Letzten ist alles eine Gnade Gottes ... ... dann ist Christsein eine Art von Auserwähltsein durch die Gnade Gottes? Sicher, aber nicht im Sinne einer Elitebildung. Gott beruft alle Men­ schen, nur nicht in gleicher Weise. Jeder hat seinen eigenen Weg, und es hängt auch von der bewussten Anstrengung des Einzelnen ab, was aus ihm wird. Wenn jemand z. B. eine Firma leitet oder anderweitig im Leben ver­ ankert ist, ist er nicht eigentlich „disponiert“ zu einem priesterlichen Wandel als Lebensform, wohl aber zu einem Wandel des Lebens. Dann sind diese Exerzitien nur für Menschen, die einer geistlichen Berufung folgen wollen? Nein, auf keinen Fall. Es gibt viele, die diese Übungen intensiv gemacht haben und in ihrem öffentlichen und privaten Wirken aus dem Geist dieser Exerzitien leben. Besonders wichtig sind diese Exerzitien aber für junge Menschen, die nach einer Form für ihr Leben suchen ... Und was sind die Wiederholungsexerzitien? Die Wiederholungsexerzitien sind solche, die auf die Entscheidung zu­ rückgehen, die für Laien empfehlenswert, aber für Ordensleute vorge­ schrieben sind, allerdings in verschiedener Länge, von jährlich 3–8 Tagen. Da muss man sich als Begleiter überlegen: Was kann ich in diese Zeit hi­ neinlegen, ohne jemanden zu überfrachten oder – schlimmer noch – zu manipulieren? In den Anweisungen von Ignatius heißt es eindeutig: „Du sollst nicht Deine Gedanken in den Übenden hineintragen, sondern bei­ seitestehen und sehen, dass Er (Sie) sich entwickelt ...“ Die Kernfrage ist: Was will ich als Exerzitienbegleiter erreichen? Und vor allem: Was will Gott vermutlich aus diesem Menschen machen? Kann jeder Exerzitienleiter seine eigene Methode wählen? Oder ist er durch besondere Anweisungen festgelegt?

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Nein, der hl. Ignatius hat – basierend auf seiner genialen Menschen­ kenntnis – sehr genau festgelegt, wie das ablaufen soll. Das ist der unverrückbare rote Faden. Aber jeder Leiter hat natürlich seinen Stil, diese durchzuführen, beispielsweise durch die impulsgebenden Bei­ spiele, die er wählt. So ist es ja übrigens mit allen Anweisungen von Ignatius, welches Arbeitsfeld auch immer betreffend. Er gibt klare In­ struktionen, Strukturen vor, sagte aber immer: „Wenn Du aber vor Ort und in Deinem besonderen Umfeld bessere Methoden findest, wähle diese.“ So hielt er es z. B. mit den Missionaren, die er nach Indien aus­ sandte.Vielleicht ist das der Grund, warum der Jesuitenorden immer flexibel reagieren und ein Erstarren in Regeln und Verordnungen ver­ meiden konnte. Was will der Exerzitienleiter erreichen? Bei Entscheidungsexerzitien im Allgemeinen sollte der Übende eine Entscheidung treffen, wie die Wahl des Lebensweges. Bei den Wieder­ holungsexerzitien zum Beispiel Vorsätze für das kommende Jahr. Welcher Art sind diese Entscheidungen? Zum Beispiel, dass ich mich mit dem Alkohol zurückhalte, dass ich meinen Umgang mit anderen Menschen verbessere, ganz konkret, dass ich Jesus besser erkenne, ihn inniger liebe und ihm treuer nach­ folge. Kurz, dass sich in meinem Leben etwas nachhaltig und spürbar zum Besseren verändert ... Das ist übrigens auch das Ziel meiner Onlineexerzitien (siehe An­ hang: Homepage der Jesuiten). Wenn man diese vier Phasen betrachtet, so ergibt sich das Schema: 1) innere Reinigung, die aufrichtige Selbstanalyse einschließt 2) Entscheidung, etwas wirklich zum Guten zu verändern 3) Leiden – auch, weil die Umsetzung sicherlich nicht ohne Kämpfe abgeht ... und: 4) Auferstehung eines (wenigstens z. T.) neuen Menschen, des Christus in uns. So kann man das auch sagen, denn die Phasen sind immer auf dem Hintergrund des Lebens des Gott-Menschen Jesus zu sehen, der genau diese vier Phasen vorgelebt hat.

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11. Bildung – Domäne der Jesuiten Wenn man Menschen, egal auf welchem Kontinent, fragt, was ihnen zum Stichwort Jesuiten einfällt, antworten alle (von den unwissenden Verleumdern abgesehen) Bildung! Ignatius hat sich gefragt: Wie kann ich nachhaltig etwas ändern? Es war, wie schon erwähnt, die Zeit der Reformation und Gegenrefor­ mation. Die Bildung der Geistlichen war schwach. Die Priester waren zum Teil nur Lehrlinge des Pfarrers. Erst durch das Konzil von Trient (das 19. Ökumenische Konzil 1545–1563), das ja teilweise zur Lebenszeit von Ignatius stattfand, hat man die Priesterausbildung so strukturiert, wie wir sie noch bis heu­ te im Wesentlichen haben. An dieser progressiven Weiterentwicklung hatten die Jesuiten maßgeblichen Anteil. So z. B. durch das inzwischen berühmt gewordene römische Kollegium Germanicum und das Colle­ gium Romanum (heutige Gregoriana). Im Verlaufe dieser Entwicklung hat sich dann die Erkenntnis durchgesetzt, dass Bildung nicht nur für eine kleine Gruppe elitär ausgewählter Kleriker wichtig ist, sondern für breitere Schichten der Bevölkerung. Deshalb mussten Schulen (Kollegien) eingerichtet wer­ den. Ende des 16. Jahrhunderts bekam diese Entwicklung eine inten­ sive Vorwärtsbewegung durch die von den Jesuiten entwickelte „Ratio Studiorum“ (Studien-Ordnung), die in allen Ordensschulen weltweit gültig war. Sie bewährte sich so schnell, dass auch andere Kollegien sie übernahmen. Also kann man sagen, dass der Jesuitenorden ein Schulorden ist? Nein, das stimmt so nicht. Wir betreiben auch Schulen. Aber wenn wir Schulen errichten, dann wollen wir sie professionell und effizient aufbauen und unterhalten. Was sind die „Säulen“, die Eckpunkte, des erfolgreichen Systems? Was soll bewirkt werden am jungen Menschen? Eine Verwandlung oder Veredlung des Charakters? Verwandeln klingt so nach manipulieren. Und das ist es ja genau, was die nicht informierten Verleumder uns immer vorwerfen. Ich würde sagen: „Entwickeln” des Charakters, des individuell geformten, von Gott gewollten Charakters, um die Menschen so ihrer Vollendung näher zu bringen und vielleicht auch nützlicher für die menschliche

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Gesellschaft zu machen. Und das ist das genaue Gegenteil von „ma­ nipulieren“. Manipulieren zwingt die Menschen in eine Gleichschal­ tung, wie wir im Kommunismus oder bei den Nazis erlebt haben. Sie beraubt ihn dadurch seiner unverwechselbaren, von Gott geschenkten und gewollten Individualität. In der überschaubaren Geschichte der Menschheit haben nur Individuen eine Weiterentwicklung bewirkt. Der Charakter des Schülers soll natürlich „veredelt“ werden, aber nicht durch Manipulation. Das ist übrigens eine lebenslange Aufgabe jedes Einzelnen. Und diese tiefgreifende Veredlung des Charakters spiegelt sich auch als Kernforderung in allen seriösen Religionen wider. Mit welchen didaktischen Methoden wird diese „Entwicklung des veranlagten Charakters“ bewirkt? Man könnte es unter dem Begriff „Ganzheitliche Erziehung“ zusam­ menfassen. Wir Menschen bestehen im Wesentlichen aus Seele, Geist und Körper. Und diese Dimensionen des Menschseins müssen glei­ chermaßen und möglichst ausbalanciert entwickelt werden. Ausge­ hend vom Himmel, der göttlichen Ordnung, zur Erde als praktischem Wirkungsfeld. Also weder weltfremd, abgehoben auf spirituellen Wol­ ken, noch in den Illusionen der Erde versunken. Schon die antiken Griechen haben um die Wichtigkeit einer alles umfassenden Erziehung bereits gewusst und sie praktiziert. Die Einbringung der „Ratio Studiorum” um 1580, also der Studi­ en-Ordnung für Jesuiten, die dann weltweit übernommen wurde, be­ rücksichtigt das Nebeneinander von religiöser, körperlicher, geistiger Entwicklung in ausgezeichneter Weise und hat sich ja auch Jahrhun­ derte bestens bewährt. Das heißt, dass die Jesuiten-Ausbildung heute immer noch nach dieser „Ratio Studiorum“ erfolgt? Im Wesentlichen, ja! Denn der Mensch in seiner Grundstruktur hat sich nicht wesentlich geändert. Natürlich wurden im Laufe der Jahrhunderte aktuelle Anpassungen vorgenommen. Sehen Sie auf die Lehre Jesu. Sie ist 2000 Jahre alt und gleichbleibend notwendig, richtig und wertvoll! In der Verkündigung muss aber auch sie immer wieder neu dargestellt werden. Die Wahrheit ist zeitlos und territorial unbegrenzt. Ignatius hat Bildung sehr ernst genommen. Neben dem Erwähnten war ihm wichtig, dass Lernende gleichzeitig Lehrende sind. Also sollen

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junge Lehrer bereits unterrichten und gleichzeitig weiter lernen, ein Leben lang. Dadurch sind sie immer in der Praxis und können gleich­ zeitig aus der Theorie Impulse geben. Das ist das Gegenteil von heutiger spezialisierter Ausbildung – nach der Überschrift: Je mehr ich mich spezialisiere, umso tiefer dringe ich in ein Wissen ein, oder? Ja, aber das ist ein Irrtum: Das Gegenteil tritt ein. Je punktueller ich mich entwickle, umso weniger erfahre ich die Verbundenheit aller Dinge. Alles ist miteinander verbunden. Deshalb ist Sport genau so wichtig wie Literatur, Computerkunde genauso notwendig wie Kunst, Biologie ebenso wie Rhetorik. Die Ansammlung von Fakten ist nicht von essenzieller Bedeutung, also das bloße Auswendiglernen. Lebens­ tragend ist eine Erziehung, die das Erwerben von Wissen über diese Welt und über die Ursachen zwischen den Dingen der Erscheinungen vermittelt. Wo sehen Sie den Unterschied zwischen „lernen“ und „erwerben“? „Lernen“ ist das „In-den-Kopf-Hineinstopfen“. Der Professor schreibt vor ... die Schüler plappern nach ... Das Auswendiglernen ... Scheine machen ... Abhaken ... Ankreuzen ... „Erwerben“ ist das Eindringen in die Materie, sich mit ihr geistig zu verbinden, und sie dem eigenen Wissensschatz einzuverleiben. Die Auswirkungen dieser in unterschiedlichen politischen Systemen gehandhabten Methoden sind fundamental. Beim bloßen „Lernen“ wird die Fähigkeit zum selbstständigen Denken nicht besonders geför­ dert, beim „Erwerben“ aber sehr.

12. Über die Zukunft des JesuitenOrdens Pater Hillengass, wie sieht die Zukunft des Ordens aus? Könnte es eventuell sogar zu einem langsamen Erlöschen des Ordens kommen? Obwohl das Christentum 15 Jahrhunderte ohne Jesuiten bestanden hat, glaube ich das auf keinen Fall! Abgesehen davon, dass die Ge­ schichte der Gesellschaft Jesu immer von historischen Höhen und Tie­ fen gekennzeichnet war, bin ich überzeugt, dass wir ja nicht zufällig existieren, sondern von Jesus Christus als dem „lebendigen“ Haupt der Kirche gewollt und geführt werden. Wir dürfen diese rückläu­

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Morgensport in 3000 Metern Höhe an einer Jesuiten-Schule in Nepal

fige Tendenz bei Bewerbungen in Deutschland nicht verallgemeinern. Europa ist nicht der Nabel der Welt. Der Orden wächst in Asien und Afrika. Allgemein kann ich sagen, dass die Tendenz der Gottverneinung und des Versuchs ein Leben in Eigenregie zu führen, unübersehbar ist und sich erstaunlicherweise gerade in den sogenannten „entwickelten“ Nationen, wie Deutschland und den USA, etabliert hat. Aber wir sehen auch die dramatischen Folgen dieser Eigenregie: die Burn-Out-Krank­ heit, das völlige „Ausgebranntsein“, das „Am-Ende-Sein“, ist zu einer existenziellen Bedrohung für Menschen gerade dieser „entwickelten“ Gesellschaften geworden. Der Mensch ist eben ein Geschöpf Gottes und keine Maschine. Wir brauchen mehr Engagement in der Seelsorge (Exerzitien, Ein­ zel-Seelsorge), bei der Volksbildung, beim Sozialapostolat (unter ande­ rem Jesuit Refugee Service), beim Dienst an den Armen. Viel gibt es zu tun in Forschung und Lehre, Erziehung, Schulbil­ dung. Denn die Spiritualität des Ignatius verlangt stets neue Anfänge.

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Über Gegenwart und Zukunft 1. Gott – Glaube – Hoffnung – Liebe Warum an Gott glauben? Pater Hillengass, es gibt sicher nicht den geringsten Zweifel, dass Sie an Gott glauben und aus diesem Glauben jahrzehntelang Kraft, Mut und Inspiration für Ihre vielfältigen, schwierigen Aufgaben, ihre gesundheitlichen Probleme bezogen haben. Nur gibt es – ähnlich wie bei der Liebe – unzählige unterschiedliche Auffassungen über das, was Gott ist. Bitte sagen Sie uns etwas über Ihren Gottesbegriff. Wenn Sie nach meinem Gottesbegriff fragen, so ist das eine philoso­ phische Frage. Und die Antwort aus der Philosophie und aus meiner eigenen Lebenserfahrung heraus heißt: Gott ist die einzige unverurs­ achte Ursache. Alles, was geschaffen ist, besteht, weil der Schöpfer es trägt. Das klingt in der Tat philosophisch. Was kann man sich unter „die einzig unverursachte Ursache“ vorstellen? Dass es keinen Anfang und kein Ende gibt? Gibt es so etwas? Wir können uns bei jeder Tatsache, bei jedem Wesen, auch bei Men­ schen fragen, warum dieses Wesen, dieser Mensch besteht, und finden immer Gründe dafür. Bei Gott finden wir keinen Grund, keine Ursache außer ihm selbst. Er ist, Er besteht, weil Er ist. Das sagt er selbst: „Ich bin der, der Ich bin, Ich bin, weil Ich bin“! Wir finden keine weitere Ursache, keinen Seinsgrund außer ihm selbst. Er hat keine Ursache – weil er die Ursache ist! – Er ist die Ursache von allem anderen. Vom Gottesbegriff alleine können wir nicht leben. Wir können aber leben von Gottes-Bildern, nicht im Sinne von Abbildungen, denn die allumfassende Göttlichkeit kann man bildnerisch nicht dar­ stellend erfassen (deshalb gibt es das Bilderverbot Gottes im Alten Testament und auch im Islam), sondern als symbolische Zeichen. „Unsere Wirklichkeit ist als ein von seinem Wirken erfülltes Gleich­ nis zu verstehen, als symbolhafte Zeichen, die über sich selbst hi­ nausweisen auf eine unendliche Wirklichkeit“, sagt mein Mitbruder Pater Karl Frielingsdorf.

gott – glaube – hoffnung – liebe

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Das erste Bild ist: Als Mose Gott, der ihn anruft, nach seinem Na­ men fragt, erhält er zur Antwort: „Ich bin der ‚Ich Bin Da‘ und ich bin JAHVE – Euer Gott. Das ist mein Name für immer. Und ich bin da für Euch – für mein Volk“ (Exodus 3, 14–16). Für alle, also in umfassende­ rer Weise als für das damalige auserwählte Volk. Und das ist ein Jemand, keine bloße Idee, sondern als ein Jemand, der Ich sagen kann. Ich ... Bin Da! Eine Person. Wie kann man sich Gott als eine „Person“ vorstellen? Als eine Art Super-, hyper-Mensch? Ist das nicht allzu „menschlich“ ? Ja, eine solche Vorstellung ist allzu menschlich und deshalb unzurei­ chend, ja falsch. Deshalb – noch einmal – das Bilderverbot. Aber Gott wird Mensch in Jesus Christus und tritt so in unseren Vorstellungsbe­ reich. Das erscheint für uns Heutige sehr abstrakt, erzeugt Zweifel und verlangt nach Beweisen. Das ist nicht so neu. Denken wir wieder an Mose. Der hatte genau deshalb immer Schwierigkeiten mit seinem Volk. Das fragte: „Woran sehen wir es, dass dieser Gott-Jemand da ist?“ Das ist auch unsere Forderung: Woran sehen wir es, dass er da ist? Wenn wir aber genauer in die Schrift eintauchen, bekommen wir die Antwort. Wir sehen Gott nicht als einen Geist, sondern an seiner Wirk­ samkeit: an der Feuersäule, am Wasser aus dem Felsen, an der Speisung durch die Wachteln, an der wundersamen Errettung des Volkes vor der Ägyptischen Armee im Roten Meer, alles Ereignisse, die nach unserer Logik nicht erklärbar sind, vor allem nicht in ihrer Häufung und Folge­ richtigkeit. Es sind Zeichen Gottes! Gott wird sichtbar für uns Menschen durch seine Zeichen, die Er setzt – auch heute noch. Im Moment des Geschehens selber erkennen wir nicht die Ursache dahinter, sind nur erstaunt und froh. Aber im Nachhinein kann die­ ses Zeichen zu einer überzeugenden Erkenntnis reifen... Also könnte man sagen: Gott ist, der Zeichen setzt, das heißt Wirken. Ist Gott die alles bewirkende Kraft ?

Jesus Christus – „Sohn“ Gottes Genau so, und am deutlichsten wird dieses da-sein Gottes für sein Volk in der Gestalt Jesus Christus. War Gottes Geist vorher durch Zei­ chen von ihm sichtbar ... so entfaltet sich in Jesus, dem Christus, eine neue Qualität, wenn Sie so wollen.

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Zum ersten Mal wird Gott selber sichtbar, weil er Mensch wird, also in unserer physischen Realität sichtbar, erlebbar durch seine vorbildhafte Lebensweise, sein da-sein, seine Hingabe für sein Volk, sein Sterben, seine Auferstehung. Denn „der Vater und ich sind eins“ (Joh. 10,30). Das belegen unzählige Stellen im Neuen Testament und letztendlich, wenn Sie nach einem weiteren Beweis fragen: die Bewahrheitung der weltwei­ ten Ausbreitung des Christentums, ungeachtet aller Schwierigkeiten und historischer Turbulenzen, durch die wir auch gerade wieder hindurchge­ hen. Auch in Fehlentwicklungen! Deshalb ist diese Tatsache, dass Gott im Menschen Jesus Christus sichtbar geworden ist und „bei uns ist alle Tage“, der Grund, aus dem wir alle leben, aus dem ich lebe.

Sieben Geschenke des Heiligen Geistes Die Christen aller Konfessionen beten zu Gott, dem Vater, Christus, dem Sohn und dem Heiligen Geist. Viele Menschen heute haben Probleme mit der Existenz des Heiligen Geistes. Gott-Vater erscheint einsichtig, GottSohn noch eher, aber Heiliger Geist? Wie kann man diesen Geist verstehen, als selbständige Einheit? Oder als eine Kraft, die von Gott ausgeht? Durch die beiden wichtigen Konzilien in Nikaia (325) und Konstantinopel (381) wurde die Dreifaltigkeit, der zufolge „der wirkliche Gott als ein Wesen in drei Personen zu denken ist“, festgelegt.Wie sieht die katholische Kirche das heute? Ich würde die Frage nach dem Heiligen Geist durch Worte meines hochgeschätzten Lehrers Karl Rahner beantworten, der im Lexikon für Theologie und Kirche geschrieben hat: „Der Heilige Geist ist – nach der Schrift – die Offenbarungskraft Gottes. Aber sein Wirken lässt sei­ ne eigene Personalität – mehr als die des Vaters und des Sohnes – im Verborgenen. So kommt es, dass gerade der Heilige Geist, der durch sein Wirken uns am nächsten ist, uns nicht bewusst wird.“ Gab es diesen Geist schon immer oder erst nach Jesu Rückkehr zum himmlischen Vater? In der Zeit des Alten Bundes, den Gott mit Abraham schließt, gibt es diesen Geist, der von Gott ausgeht. Die Menschen wurden ja lebendig durch die Ruach, den „Hauch“ Gottes. Die lebensspendende Luft, „ge­ laden“ mit dem Hauch Gottes. Was aber im Neuen Bund, der durch die Einsetzung der Eucharistie durch Jesus kurz vor seinem Leiden und durch seine Auferstehung und

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Rückkehr zum himmlischen Vater und die Aussendung des Geistes an Pfingsten vollendet wird, ist die Erfüllung der Prophezeihung Joels (der im 5. oder 4. Jahrhundert vor Christus lebte): „Siehe, Ich gieße meinen Geist aus über alles Fleisch“ (Joel 3, 1–5). Jesus geht zurück zum Vater, aber „Gott wird euch einen anderen Beistand senden, der für immer bei euch bleiben soll. Es ist der Geist der Wahrheit – der in euch sein wird“ (Joh 14/26 ff.). „Aus diesem Hei­ ligen Geist, der vom Vater und dem Sohne ausgeht, bringt er die Gna­ de zu den vernunftbegabten Wesen. Und durch diese Gnade können alle Tugenden entstehen, die das Gewebe des übernatürlichen Lebens bilden, nämlich: Rat, Einsicht, Weisheit, Verstand, Stärke, Frömmig­ keit, Gottesfurcht.“ ( Zitat nach Papst Johannes Paul II. in der HeiligerGeist-Katechese 1994) Diese sieben „Geschenke“ des Heiligen Geistes sind demnach lebensnotwendige „Schätze“, ohne die eine sinnvolle, vernünftige Existenz kaum möglich ist. Können alle Menschen den Heiligen Geist, der von Gottvater und dem Sohne ausgeht, erhalten? Grundsätzlich ja! Aber Papst Johannes Paul II. macht eine bedin­ gende Einschränkung, nämlich, dass der Mensch, der den Heiligen Geist empfangen will, lieben muss. Er bezieht sich dabei auf eine Aussage Jesu: „Wenn jemand mich liebt“, sagt Jesus, „dann wird er an meinem Wort festhalten und mein Vater und und ich werden bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14). Das liebende Herz ist Voraussetzung. Der Heilige Geist wirkt nicht im „hassenden, bösen“ Herzen. Und man kann nur durch Einsicht, Verständnis und Liebe zur Weisheit gelangen, niemals durch deren Gegenteil. Die Gaben des Heiligen Geistes sind in der Tat fundamentale Tugenden für alle Menschen und sind deshalb ja auch in allen wahren Religionen der Welt wie­ derzufinden.

Wo finde ich Gott? Wie können Menschen, die Gott suchen, ihn finden? Gott ist überall und in allem Guten, also auch in uns? Warum spüren das viele Menschen nicht und sagen: „Es gibt keinen Gott?“ Die Menschen, die nicht an Gott glauben können oder wollen, sehen Gott nicht mit ihren Augen, weil sie nur darauf trainiert sind, die physische Realität als die einzige Dimension anzuerkennen. Sie wis­

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sen nicht, dass sie aus Gott existieren und nicht eine einzige Sekunde ohne Gott existieren könnten. Das ist so normal, wie dass jemand eine Seele besitzt, obwohl er sie nicht sehen kann. Viele würden an Gott glauben, sagen sie, wenn sie ihn „verstehen“ und analysieren könnten. Das ist aber der falsche Zugangsweg. Denn die Ursache des gesamten Kosmos kann nicht mit unserem Hirn erklärt und analy­ siert werden. Und wie kann man dann mit Gott in Kontakt kommen? Um mit Gott in einen ahnenden Kontakt zu kommen, müssen wir zu­ nächst den inneren Lärm abstellen, indem wir zur Ruhe kommen und still werden. In unserer auf ununterbrochene Aktivität getrimmten Welt, durchzogen von Lärm, attackierenden Reklame-Reizen, Lichtü­ berflutungen, ist es nicht so einfach, zur inneren Ruhe zu finden. Es scheint, als könnten wir Stille nicht ertragen oder aushalten. Merkwürdig ist zudem, dass wir freiwillig dieses Lärmpotential noch vergrößern, indem wir uns über die Ohrclips permanent mit „Musik“, oder was immer, volldröhnen und dadurch jeden Anflug von Stille un­ möglich machen. Diese permanente „Vernichtung“ von Stille ist sicher eine der Ursachen für das epidemieartige Um-sich-Greifen der BurnOut-Krankheit. Nicht umsonst erleben zahlreiche Klöster eine erneute Blüte durch nach Stille Suchende aller Altersschichten. In der Bibel lesen wir im 1. Buch der Könige die Geschichte des Propheten Elija. Gott be­ gegnet ihm, aber nicht im Sturm, nicht im Erdbeben und auch nicht in Gewitterblitzen, sondern im sanften Säuseln des Windes. In einem Buch des Beuroner Kunstverlages fand ich die treffenden Worte: „Was wächst, macht keinen Lärm, Gebet und Arbeit reifen alleine in der Stille“. Nur in der Stille öffnet sich das andere Erkenntnis-„Organ“, das Herz. Dieses durch das Herz symbolisierte „Organ“ hat Zugang zu ei­ ner tieferen geistigen Realität, wo essentielle Qualitäten präsent sein können, nämlich: Dankbarkeit, selbstlose Liebe, Vergebung, Barmher­ zigkeit, Trost spenden usw. Indem wir diese annehmen und praktizie­ ren, können wir Gott erfahren oder zumindest erahnen.

Beten ist Dialog mit Gott Warum soll man beten? Zeitgemäß gefragt: Was hat jemand davon, wenn er/sie betet? Und wie soll man beten? Stehend, sitzend, kniend, lang oder kurz?

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Beten heißt Sprechen mit Gott, ist aber zunächst ein Akt des Glaubens an Gottes Dasein. Ein Gespräch kann lang oder kurz sein, zum Bei­ spiel ein Stoßgebet. Die Formen wechseln nach Personen und Gele­ genheiten und Traditionen, auch die Gebetshaltungen. Sie haben alle ihren Wert. Worauf es aber ankommt, ist die innere Einstellung, die Aufrichtigkeit der Motivation, die Intensität und Verbindlichkeit. Beten bringt mir Kontakt mit Gott, in dem ich lebe und mich be­ wege und durch den ich bin. Wenn Gott Ursache und Zentrum meines Lebens ist und immer mehr werden soll, kann ich nicht einfach an ihm vorbeistoffeln, muss ihn ernst nehmen, wie ich mich selbst und mei­ ne alltäglichen Gesprächspartner ernst nehme. Wichtig ist außerdem, nicht viele Worte zu machen und nicht zu plappern, sondern das vor Gott bringen, was mich wirklich beschäftigt, mir Sorgen macht, mich erfreut.

Heißt Glaube – nicht wissen? Pater, Paulus sagt in seinem 1. Korintherbrief, Kapitel 13, dass in der jetzigen unvollkommenen Erdenzeit Glaube – Hoffnung – Liebe die drei wichtigsten Lebensqualitäten der Christen sind und dass davon die Liebe die wichtigste sei. Viele Menschen heute haben Probleme mit dem Glauben. „Ich möchte so gerne glauben, aber ich kann nicht!“ Was ist Glaube? Kann man Glauben erlernen? Aus dem Glauben heraus leben! Das ist es, was wir uns wünschen und was die großen christlichen Gestalten der Geschichte, Heilige, aber auch zahlreiche weltliche Persönlichkeiten, uns vorgelebt haben. – Ich vermute, dass die Konfusion mit dem Begriff Glauben damit zu tun hat, dass wir alles sehen wollen, damit wir es glauben können. Jesus aber lehrt eindeutig, dass „die selig, glücklich sind, die nicht sehen und doch glauben“. Warum ist das so? Weil das, was wir sehen kön­ nen, nur ein ganz kleiner Ausschnitt der göttlichen Realität ist. Der Glaube, den Jesus aber hier meint, bezieht sich auf die unendliche, allumfassende, nicht sichtbare Realität, „die sichtbare und die nicht sichtbare Welt“, wie es im Glaubensbekenntnis heißt. Glauben in die­ sem Sinne meint das Sichöffnen für diese nicht sichtbare Welt. Glauben hat nicht unbedingt etwas mit Gefühl zu tun. Gefühle sind wie der Wind, sie kommen und gehen und schwanken.

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Lenin hat gesagt: „Glauben heißt nicht wissen!“ Das stimmt! Und stimmt auch wieder nicht. Denn wir wissen zwar ei­ niges, aber nicht genug über die göttliche Realität, die wir nicht nur durch Wissen oder Information über Fakten erfahren können. Glau­ ben heißt aber auch gleichzeitig nicht nicht wissen. Denn wir haben eine große Bandbreite an Erfahrungsübermittlungen und eigenen Er­ lebnissen, also indirektem Wissen über Gott. Muss man von Gott „berührt“ werden, um glauben zu können? Gott berührt einen jeden von uns immer. Nur erkennen wir das oft nicht. Die Intensität und Methoden, wie das geschieht, sind sehr un­ terschiedlich und entziehen sich weitestgehend unseren Einblicken. Würden Sie sagen, dass der Glaube unerlässlich ist für einen Christen? Unbedingt! Der Glaube ist eine schaffende Kraft. Jesus sagt: „Wenn Euer Glaube auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn, Ihr könntet Berge versetzen.“ (Mt 17,20) Und Paulus erklärt völlig richtig, dass wir niemals durch unser Tun, unsere Werke vor Gott bestehen könnten, sondern alleine im Glauben, das heißt, von Gott getragen. Oft beginnt das durch den Glauben an uns selbst (Selbstvertrauen) oder durch ein sich vermehrendes Gefühl von Dankbarkeit für alle diese Dinge, die wir so selbstverständlich bekommen, dass wir meinen, es müsste so sein – ohne zu überlegen, dass die Mehrzahl der Menschen auf der Erde eben nicht fließendes Wasser oder elektrischen Strom oder drei üppige Mahlzeiten täglich oder ein komfortables Zuhause oder funktionierende Gliedmaßen und eine fröhliche Gesundheit hat. Dankbarkeit ist ein sehr formender Zugang zum Glauben. Was würden Sie jemanden raten, der sagt: „Ich möchte glauben, kann es aber nicht“? Danken, jeden Tag viele Male, immer wenn wir etwas erhalten, be­ sonders aber abends vor dem Einschlafen. Dranbleiben, weiter darum beten, weiter eindringen in die heiligen Schriften. Wir alle haben die Fähigkeit des Glaubens in uns angelegt. Sie ist da. Wir müssen sie „nur“ entdecken und entwickeln. Das ist einer der Gründe, warum wir überhaupt existieren. Dieses lebenslange Ringen kann uns niemand abnehmen.

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Trägt Hoffnung – oder trügt sie? Kann man ohne Hoffnung leben, Pater? Man kann, aber das ist ein trauriges Leben. Wie kann man Hoffnung definieren? Ist sie nicht eine Art Lotterie? Hoffnung meint besonders Zuversicht, Erwartung und ist als Lebens­ mitte von Gott „eingepflanzt“, aber nicht wie ein immer bleibender Besitz, sondern wie eine Qualität, die immer wieder neu erbeten und belebt werden muss. Wie darf man das verstehen ? Das zarte Pflänzchen Hoffnung verlangt Pflege. Ich muss mir nur das Ziel meiner Hoffnung immer wieder bewusst machen und vor Augen stellen, wie ich auch eine Pflanze pflegen muss, damit sie gedeiht. In verschiedenen Lebensphasen präsentiert sich Hoffnung stets neu. Dessen muss ich mir bewusst sein, denn unser Leben ist kein Museum, sondern ein lebendiger Strom. Gibt es Unterschiede in der Wertung des Begriffes Hoffnung? Wenn eine Mutter z. B. hofft, dass ihre Tochter einen reichen Mann heiratet, und wenn ein frommer Mensch auf das Himmelreich hofft. Und wie ist das mit der Hoffnung als Böses, z. B. wenn ich auf den Ruin meines geschäftlichen Konkurrenten hoffe, oder auf den Sieg im Krieg über ein anderes Land? Hitler hoffte auf den Sieg seiner wahnsinnigen Rassentheorie über die ganze Welt, so wie der Iran heute auf die Vernichtung Israels hofft. Sind alle Hoffnungen gleich? Nein, auf keinen Fall! Es gibt Hoffnung als menschliche Tugend und Hoffnung als göttliche Tugend. Menschliche Hoffnung kann gut oder böse sein, wie alles menschliche Handeln. Deshalb haben wir den freien Willen. Wenn wir Hoffnungen auf böse Resultate unseres Tuns oder anderer Ursachen haben, dann wünschen wir nicht, sondern VER–wünschen wir. Oft aber sehen wir in unserem Wünschen nicht die bösen Folgen für andere und tragen deshalb Gott kindische Wünsche und Hoffnungen vor. In früheren Zeiten war das typisch für das Gebet um Sieg im Krieg. „Gott mit uns“ stand auf dem Koppelschloss, „Vive la France“ auf der anderen Seite und so weiter. Kann man vielleicht etwas lax so formulieren: Gott ist nicht für die Erfüllung unserer Wünsche, die zum Unguten führen, zuständig?

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Ja, so könnte man das sagen, wir müssen dabei aber beachten, dass ohne Gott gar nichts geht in seiner Schöpfung. Deshalb ist Gott durch­ aus Ursache des Bestehens des Bösen – nicht aber des negativen Cha­ rakters, der Anwendung des Bösen. Wie oft hören wir die Klagerufe zum Himmel: „Wie kannst Du – wenn es Dich überhaupt gibt – dieses Elend zulassen, diese Kriege, die Ungerechtigkeiten?“ Ein weiser asiatischer Lehrer hat einmal ganz zutreffend auf diese Anklage geantwortet: „Ich habe Gott nie­ mals mit einer Maschinenpistole in der Hand gesehen, nur Men­ schen.“ Das heißt, Gott ist ausschließlich Ursache des Seins dieser Maschinenpistole. Entschuldigung – meinen Sie wirklich, dass Gott Maschinenpistolen produziert? Gott ist die Ursache von allem Existierenden. Ob diese Waffe aber zum Beispiel von einer Polizeistreife zum Schutz von Bürgern oder von Gangstern zum Töten Unschuldiger verwendet wird, ist freie Entschei­ dung des Menschen. Es gibt immer die Wahl zwischen Blumen und Waffen. Beide sind vorhanden. Die Auswirkungen der Anwendung machen den fundamentalen Unterschied. Oder, um ein ganz profanes Beispiel zu nehmen, wenn ich Ihnen mein Auto leihe, Sie fahren es an einen Baum und sagen zu mir: „Wie können Sie so etwas zulassen?“ Das ist in höchstem Maße unfair. Im Matthäusevangelium (12,21) wird der Prophet Jesaja zitiert, der über Jesus (u. a.) sagt „Und auf seinen Namen werden die Völker ihre Hoffnung setzen“. Wie ist das zu verstehen? Jesus ist der Erlöser der Welt. Erlösung von Schuld und Gottesferne ist unsere endgültige Hoffnung, die in Jesus ruht. Das Gegenteil von Hoffnung ist Hoffnungslosigkeit? Wie kommt es, dass so viele Menschen heute von dieser Art gezeichnet sind, einer Mischung aus „Ach, man kann sowieso als Einzelner nichts ausrichten“ und „Es gibt keine Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit, denn das sind Utopien, die sich niemals realisieren werden“. Was könnte man diesen Menschen, die sich von dieser Verzweiflung treiben lassen, helfend raten? Utopien sind Zielvorstellungen, auf die ich mein Leben ausrichten kann, aber wie bei allen Zielen muss ich etwas „höher“ zielen, damit ich treffe. Im Übrigen rettet sich der in die Milch gefallene Frosch

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durch sein Strampeln, damit Butter ensteht und ihm Halt zum Heraus­ springen bietet. Karl Rahner, mein herausragender Lehrer, erbittet von seinem „Gott der Gnade“ die Hoffnung und bezeichnet sie als „Tugend der Starken, als Kraft der Zuversichtlichen, als Mut der Unerschütter­ lichen“. Und gleichzeitig beschreibt er, wie wir diese göttliche Hoff­ nung erlangen können, indem wir „immer Sehnsucht haben nach dir, der unendlichen Erfüllung des Wesens, lass uns immer auf dich bauen und deine Treue, lass uns immer unverzagt halten an deine Macht ... lass uns so gesinnt sein und wirke du durch deinen Heiligen Geist die­ se Gesinnung in uns – dann, unser Herr und Gott ... haben wir die Tugend der Hoffnung“ (aus „Gebete des Lebens“, siehe Literaturliste Anhang). Das sagt alles!

Über die Liebe Jede der großen Weltreligionen hat der Menschheit eine besondere neue Qualität hinterlassen. Das Christentum hat die Liebe gebracht. Und in der Tat ist in keiner der anderen Weltreligionen – Hinduismus, Buddhismus, Judaismus, Islam – so viel die Rede von der Liebe. Die Liebe scheint die Grundessenz der christlichen Weltanschauung zu sein. Warum spürt man dann so wenig in unseren christlichen Gemeinden, in unserem Alltag davon? Warum sind alle dieselben menschlichen Unvollkommenheiten wie Neid, Hass, Überheblichkeit, Aggression, Intoleranz gegenüber Andersdenkenden usw. gerade auch im christlichen Umfeld, sogar bei vielen Geistlichen, so dominant? Ist die Betonung der Liebe ein Irrtum? Weil wir Menschen sind, die wie alle Lebewesen zunächst auf Selbster­ haltung angelegt sind und nur mühsam lernen müssen, dass die Selbst­ erhaltung nicht in Gegensatz zur Arterhaltung treten darf, sondern diese sogar voraussetzt. Das heißt, ich baue meine Selbsterhaltung da­ rauf auf, dass ich nicht nur mich, sondern vor allem meine Art erhalte, was bedeutet, dass ich für andere da bin, sie liebe. Inzwischen sind wir auch auf dem Weg, aus dieser Arterhaltung die ganze Schöpfungser­ haltung zu begreifen. Der heilige Paulus hat in seinem 1. Korintherbrief, Kapitel 13, eine perfekte Anleitung und Beschreibung gegeben, wie Liebe zu praktizieren ist. Da liest man höchste Anforderungen: „Die Liebe ist langmütig, gütig, sie bläst sich nicht auf, sie übervorteilt den anderen nicht, sie lässt sich nicht

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zum Zorn reizen, vergibt alles, erträgt alles, glaubt alles.“ Wer kann das verwirklichen? Sind wir Menschen damit nicht überfordert? Zweifellos, aber gerade an dieser anscheinenden Überforderung kön­ nen und sollen wir wachsen. Die für mich klarsten Hinweise über die Liebe untereinander finden sich im 1. Johannesbrief, Kapitel 4. Aber die Anforderung „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht!“ braucht sicherlich eine gute Erziehung. Da die Erfüllung dieser Forderung eher zu den Ausnahmen in der Welt zählt, muss man fragen: Hat die Kirche, deren Aufgabe es ist, zu dieser Qualität zu erziehen, da nicht versagt? Kirche ist immer eine Kirche von Menschen. Darum bleibt sie in die­ ser Welt immer hinter dem letzten Ziel zurück, muss es aber anstre­ ben und muss bereit sein, ehrlich zu bekennen, dass sie eine sündige Kirche ist – auf dem Weg zur Heiligkeit, zur Vollendung in Gott, aber eben auf dem Weg. Das ist es wohl auch, was der heilige Paulus meint, wenn er schreibt, „dass die ganze Schöpfung noch nicht vollendet ist, sondern noch mit Seufzen in den Wehen liegt“ (Römer 8,22). Liebe und Egoismus schließen sich aus. Ist das vielleicht einer der Gründe, warum die Liebe in unserem gesellschaftlichen Alltag selten zu spüren ist, die Ego-Behauptung bis zur Ellbogen-Praxis aber die Regel zu sein scheint? Darüber habe ich am Anfang dieser Fragereihe über die Liebe gespro­ chen: Wir brauchen Egoismus. Aber wir müssen ihn überwinden. Könnte man, ohne allzu spekulativ zu werden, nicht auch die Zerstörung unseres Planeten als eine Folge der Lieblosigkeit ansehen? Wenn ich, um nur ein Beispiel zu nennen, für die Straffung meiner Gesichtshaut wissend das Leid von unzähligen Test-Tieren in Kauf nehme? So kann man das wohl sehen. „Macht euch die Erde untertan“, heißt es in der Genesis. Das bedeutet die Aufforderung zum „Machen, Tun“. Aber geleitet von Liebe und anderen ethischen Prinzipien. Sicherlich ist nicht gemeint „Macht euch die Erde untertan, indem ihr sie zer­ stört“. Das hieße Macht zu missbrauchen. Das eine muss geschehen, das andere vermieden werden. Der heilige Paulus schreibt im bereits erwähnten 1. Korintherbrief, dass die Liebe die wichtigste Qualität überhaupt ist. Über die Liebe wird so

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unendlich viel geredet, diskutiert und gedichtet. Warum ist die Liebe so wichtig? Das ist richtig, aber kaum ein anderer Begriff ist so sehr belastet mit Missdeutungen wie gerade dieser. Wenn allgemein von Liebe ge­ sprochen wird, meint man zu oft die geschlechtliche Liebe oder ein erotisches Gefühl, das dahin führen kann. Daran ist absolut nichts Ne­ gatives. Es bezeichnet aber nur eine Dimension dieses Begriffes. Woher stammt dieses Wort Liebe? Es ersetzte das mittelalterliche „Minne“, welches im ausgehenden Mittel­ alter des 14. Jh.s – ähnlich wie heute der Begriff Liebe – so auf das nur Geschlechtliche reduziert worden war, dass man es im geistlichen Bereich nicht mehr verwenden konnte. Heute müsste man es wahrscheinlich um­ drehen, denn unter „Minne“ verstehen alle etwas fast Heiliges. Vielleicht kann man das in der lateinischen Sprache besser verdeutlichen. Da wird unterschieden zwischen „Amor“ und „Caritas“. „Amor“ meint eine selbstbezogene Liebe, oft geschlechtlich-erotisch, aber nicht immer, während „Caritas“, Agape, die Liebe der Selbstlosigkeit benennt. Der Unterschied ist fundamental. Die körperliche Liebe, aber auch jede andere selbstbezogene Liebe, will den Anderen haben, besitzen. Die geistliche Liebe erstrebt das Gegenteil: sich selbstlos verschenken zu wollen, weg von sich, auf die anderen zu. Geistliche Liebe vermehrt sich und „steckt an“, multipliziert sich, wie zum Beispiel deutlich sichtbar am Wirken von Mutter Teresa. Und diese Art von Liebe meint Paulus.

Zwei Mal „merkwürdige“ Empfängnis Darf ich auf die „ungewöhnliche“ Art der Menschwerdung Jesu zu sprechen kommen? Für gläubige Muslime ist die Zeugung durch den Heiligen Geist überhaupt kein Gegenstand eines Zweifels. Aber für die in Vernunft und Logik geschulten Christen gibt es da teilweise ungläubiges Fragen. Wie können heutige Menschen, die an derartigen Barrieren des Denkens hängen bleiben, dazu einen Zugang finden? Zuerst muss man unterscheiden zwischen der „unbefleckten Empfäng­ nis“ Marias und der durch die Zeugung des Heiligen Geistes bewirkten geistigen Empfängnis Jesu. Über die Empfängnis Jesu berichtet der Evangelist Lukas in beson­ ders klarer Weise. Da wird erzählt, dass der Erzengel Gabriel von Gott zu Maria gesandt wird.

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Der Engel verkündigt Maria, dass sie ein Kind gebären wird, dem sie den Namen Jesus geben soll. Maria fragt erschrocken, aber ganz logisch, wie das gehen soll, da sie mit keinem Mann zusammen ist. Der Engel gibt eine – nicht nur nach heutigem Verständnis – unfassbare Antwort: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (Lukas 1,35) ... da für Gott nichts unmöglich ist. Dieser kurze Dialog zwischen Maria und dem Engel wurde in un­ zähligen Verkündigungsbildern durch die Geschichte veranschaulicht. Das leuchtet irgendwie noch ein, aber die „unbefleckte Empfängnis“ Marias? Ich konnte das in der heiligen Schrift nirgendwo finden. Der Glaube an die „unbefleckte Empfängnis“ Mariä, hat sich durch die bedeutenden Konzilien, besonders im 4. und 5. Jahrhundert, entwi­ ckelt. Das kann man so nicht direkt in der Heiligen Schrift aufzeigen. Obwohl es auch in der Bibel ganz eindeutige Hinweise auf die Gültig­ keit dieser Aussage gibt. Da ist die Botschaft des Erzengels Gabriels, der Maria als „voll der Gnade“ bezeichnet. Das heißt in der Vollkom­ menheit Gottes stehend. Es geht – wenn wir von der unbefleckten Empfängnis Marias sprechen – nicht um die Empfängnis Jesu, son­ dern darum, dass auch schon Maria unbefleckt, d. h. frei von Erbsünde, empfangen wurde. 1854 wurde von Papst Pius IX., nach jahrhundertelangen Beratungen, die seit der frühen Christenheit exi­ stierende Marienfrömmigkeit im Glauben festgeschrieben. Dort heißt es wörtlich: „Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben.“ Deshalb feiern die Ostkirchen und auch die katholische Kirche im Westen das Fest der „unbefleckten Empfängnis Mariens“ am 8. De­ zember. Und das Fest der „Überschattung durch die Kraft des Heiligen Geistes“, aus der Jesus dann entstanden ist, am 25. März, also jeweils neun Monate vor dem Fest der Geburt Mariens am 8. September und der Geburt Jesu am 25. Dezember. Verzeihung, aber ist das nicht alles ein wenig konstruiert? Das ist zumindest kompliziert. Aber man muss in diesem Zusammen­ hang auch die enorme Bedeutung dieses Glaubens sehen. Nachdem

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durch ein Menschenpaar, nämlich Adam und Eva, durch die Übertre­ tung der Gebote Gottes und den Versuch, selbst das Leben ohne Gott in die Hand zu nehmen, die Sünde in die Welt kam, konnte dies nun durch die „reine“ Geburt des Gottmenschen Jesus und seine Erlö­ sungstat ausgeglichen werden. Nach Karl Rahner ist der Mensch auf Gott ausgerichtet von allem Anfang an. Er hat ein übernatürliches Existential, das durch die Sün­ dentat in die Leere ging. Nach der Sünde ist er weiterhin ausgerichtet auf die Ewigkeit, kann diese aber aus sich selber alleine nicht erlangen. Die meisten Menschen, besonders in Deutschland, haben ja ihre Pro­ bleme mit den Wort Erbsünde. Weil sie in diesen Begriff eine mo­ ralische Wertung hineinlegen. Zum Beispiel in Italien ist das anders, denn dort versteht man unter Sünde eine Art „Webfehler“. Etwas, was nicht komplett ist oder teilweise kaputt ist oder nicht 100%ig „funkti­ onsfähig“.

2. Ökumene ja – aber Wie und mit Wem ? Pater, wenn man heute über Ökumene spricht – wäre es ratsam zu fragen: Ökumene mit WEM? In Deutschland scheint es, dass die meisten Christen besonders an einer Einheit zwischen Protestanten und Katholiken interessiert sind. Betrachtet man dagegen offizielle katholische Veröffentlichungen, liegt der Schwerpunkt ganz eindeutig auf einer respektvollen Annäherung zwischen den Ostkirchen und der römisch-katholischen Kirche. Existiert da ein Interessenkonflikt zwischen Gläubigen und Oberen? Nein, aber ein Konflikt der Wahrnehmung. Wir sehen sehr oft nur, was wir unmittelbar vor Augen haben, z. B. die Situation in unserem Land, in Deutschland. Unser Land ist aber nicht der Nabel der Welt. Die Lei­ tungen der Weltkirchen müssen – zumindest in Glaubensfragen – in globalen Zusammenhängen denken. Pater, warum erscheint eigentlich das Thema Ökumene so wichtig? Soll doch jeder glauben, was er will, oder? Nein, diese Dimension ist zu flach. Das Thema Ökumene berührt im Letzten Krieg und Frieden, unseren Glauben, unser Leben, unser Christsein. Religion berührt das Innerste der Seelen der Menschen. Und da sind sie, wie die Ereignisse der Mohammed-Verunglimpfungen und der Reaktionen darauf zeigen, existentiell verwundbar. Deshalb

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sollte es zu einer Toleranz und friedlichem Mit- oder zumindest re­ spektvollem Nebeneinander der Glaubenden aller echten Religionen kommen. Und darum geht es auch der römisch-katholischen Kirche. Ohne allzu tief in theologische Weisheiten eindringen zu wollen, aber wie kam es eigentlich zu diesen Spaltungen, a) der zwischen Katholiken und Protestanten und b) der zwischen Ost– und Westkirche? Die Entwicklungen, die zur Kirchenspaltung in Protestanten und Ka­ tholiken führten, sind weitestgehend bekannt und brauchen hier nicht in aller Ausführlichkeit wiederholt zu werden. Aber vielleicht darf ich einen Aspekt herausgreifen. Die katholische Kirche war im 16. Jahrhundert, durch die unglück­ liche Vermischung weltlicher Macht mit Vernachlässigung des christ­ lichen Sendungsauftrags und mit finanziellen Interessen (Ablasshandel), in keinem besonders guten Zustand. Vor allem kam es immer wieder zu Interessenkonflikten zwischen Fürsten, Kaiser und dem jeweiligen Papst. Ämterkauf und finanzielle Manipulationen führten zu spiritueller Unreinheit. Dabei wurden die ureigentlichen Anliegen der Verbreitung und Pflege der Botschaft Jesu Christi durch den Kampf um Macht und territoriales Besitztum bei der Aufteilung Europas verdrängt. Als dann die „Plätze für die menschliche Seele im Himmel“ durch Ablasshandel verkauft wurden, war das Maß übervoll. Es rief Luther 1517 und später alle anderen Reformatoren auf den Plan. Das katholische Reformkonzil von 1545–63 kam zu spät, konnte sehr wohl Reformen diskutieren, aber die Spaltung nicht mehr verhindern. Europa und besonders die deut­ schen Staaten versanken in der Dynamik des Kriegschaos, das erst 1648 im Westfälischen Frieden zu einem vorläufigen Abschluss kam. Es waren die profilierten Vertreter der „Protestanten“, die durch ihre radikalen Reformbestrebungen bei einer zu langsamen Reaktion der römisch-katholischen Kirche zu der bis heute andauernden Spal­ tung führten. Und wie kam es zur Trennung der römisch-katholischen Kirche von den Ostkirchen? Diese Entfremdung ging seit dem 4. Jahrhundert sprachlich, kulturell und politisch vor sich. Im Osten herrschte die griechische Sprache vor. Der Westen sprach lateinisch. Der Osten legte die Schwerpunkte auf klassische Philoso­ phie, Theologie ( z. B. Christologie) und Rhetorik.

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Im Westen lag der Akzent mehr auf juristisch-politischen Gestal­ tungen, der Rechtfertigungslehre und organisatorischen Aspekten (Ekklesiologie).

Martin Luther

Jean Calvin

Ulrich Zwingli

Politisch wurde durch die Verlegung der Kaiserlichen Macht von Rom nach Konstantinopel eine Art kulturelle Mutation vorgenom­ men. Dem Kaiser dort standen innerhalb der Kirche mehrere Patri­ archen gleichen Ranges gegenüber. Im Westen gab es nur einen Patriarchen, nämlich den Bischof von Rom – im Osten keine Zentralgewalt, sondern streitende „Kleinfür­ sten“. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, die gesamte Wei­ terentwicklung aufzuzeigen. Aber das waren die Keime, die dann 1054 zur zementierten Spaltung führten, als West- und Ostkirchen sich ge­ genseitig verurteilten und in der Folge von Rom die „communicatio in sacris“ (Eucharistie-Gemeinschaft) mit allen Vertretern des Ostens verboten wurde. Im Gegenzug wurden die Katholiken als Häretiker gekennzeichnet und Kontakte untersagt. Es scheint so, dass die Streitigkeiten sich mehr zwischen Theologen bewegten? Denn die nicht studierten Gläubigen verstehen einmal die Details nicht und selbst wenn sie sie verstehen, empfinden sie sie als Spitzfindigkeiten. Und kann man nicht festhalten, dass diese zur Spaltung führenden Auseinandersetzungen mehr mit der Kompromisslosigkeit und dem Machtstreben einzelner Kirchenpersönlichkeiten zu tun hatten, als mit der Lehre Jesu selber?

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Sicher ist es das auch, aber die Reinheit der Lehre ist schon ein hohes Gut, verlangt jedoch die Bereitschaft, miteinander echten Dialog zu führen, vor allem zuzuhören und verstehen zu wollen, was der andere wirklich meint. Und das war und ist oft zu wenig gegeben. Was ist eigentlich eine Kirche? Scientology nennt sich auch Kirche, oder die „Bergpredigt-Geschäftskirche“ und Tausende in aller Welt, besonders in Afrika und den USA, nennen sich ebenfalls Kirche und haben total verschiedene Ansätze. Gibt es allgemeingültige Kriterien, was Kirche genannt werden kann und was nicht? Woher leiten sich diese Festlegungen ab? Ich will jede Art von Wertung vermeiden, aber weil Sie mich fragen, möchte ich es so formulieren: Aus unserer katholischen Sicht ist Kir­ che die Gemeinschaft der Gläubigen mit gemeinsamer, verbindlicher, von Gott inspirierter Lehre und Disziplin, Rückführung auf eine vom Heiligen Geist eingegebene (im Gegensatz zu von Menschenhand kon­ struierter) Gründung durch Jesus Christus, das Spenden und Empfan­ gen der Vollzahl der Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Krankensalbung, Weiheamt und Ehe) als wirksamer Heilszeichen und die Charakteristika des Glaubensbekenntnisses: einig, heilig, allumfas­ send (katholisch), traditionsgebunden (apostolisch). Warum geht es nicht vorwärts mit der Ökumene? Präses Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, hat sogar angedeutet, dass die Evangelischen sich vorstellen könnten, den Papst als Oberhaupt aller Christen anzuerkennen, wenn seinerseits das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche den Alleinvertretungsanspruch aufgäbe. Ähnlich sehen das verschiedene Orthodoxe Kirchen. Denn es gibt ja meines Wissens keinen Beschluss eines Ökumenischen Konzils, wo die Oberhoheit des Römischen Bischofs festgeschrieben wurde. Ist es wirklich so, dass es nicht vorwärts geht? Ich glaube nicht. Ich kann auch nicht feststellen, dass die katholische Kirche einen Allein­ vertretungsanspruch erhebt. Sonst würde sie nicht auf die anderen Kirchen zugehen und für Gemeinschaft „werben“ mit dem Ziel der Gemeinsamkeit. Was die katholische Kirche aber betont, ist, dass die theologischen Grundlagen, auf denen sie aufgebaut ist, von Christus so gewollt und wahr sind. Nur in diesem Sinne geht es um die allei­ nige Aufgabe unserer Kirche in Christus Jesus, dem einen Herrn der Kirche.

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Nur erscheint es unserer schnelllebigen Zeit viel zu langsam zu ge­ hen. Bedenken Sie, dass es zur Zeit von Thomas von Aquin (1225–1274) etwa einhundert Jahre dauerte, bis seine theologischen Werke abge­ schrieben waren und aus dem Herstellungskloster in andere Klosterbi­ bliotheken kamen. Die Buchdruckerkunst gab es ja noch nicht. Und man sollte auch die ungeheuren Nachteile unserer rasenden Zeitmaschine nicht übersehen. Schließlich muss jede Änderung in Glaubensfestlegungen in ihrer mehrschichtigen Auswirkung sehr sorgsam abgewogen werden. Da gibt es unendlich viele und größ­ tenteils berechtigte Einwände und Vorschläge, die alle in Ruhe aus­ diskutiert werden müssen. Und das geschieht, wenn Rom mit den Anglikanern spricht, mit den Orthodoxen verschiedener Ausprä­ gungen oder mit den Protestanten. Die Menschen aber wollen Er­ gebnisse haben und das möglichst schnell. Die Frage ist aber doch: Wollen wir Ergebnisse oder wollen wir richtige Ergebnisse haben, nämlich solche, die tragen und mittragen lassen und zu möglichst großer Einheit und Harmonie führen und nicht zu vertiefter Spal­ tung? Wenn es tatsächlich solche Aktivitäten gibt, warum erfährt die Öffentlichkeit so wenig davon? Alle diese Prozesse laufen zwar nicht hinter verschlossenen Türen ab, aber doch zum Teil unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. Das All­ tagsleben der Menschen ist ja zu überfüllt von beruflichen oder fami­ liären oder finanziellen Problemen, als dass sie sich nun auch noch im Detail um diese Vorgänge kümmern könnten. Aber wer da interessiert ist, kann das täglich bei Radio Vatikan oder den Kirchenzeitungen der Bistümer nachlesen. Ich glaube, dass es seit mindestens 60 Jahren keinen Zeitraum gege­ ben hat, in dem es so viele Begegnungen und erkennbare Bemühungen um Frieden und Einheit zwischen den Religionen, und zwar nicht nur der Christen, gab. Die Ökumene war ja auch ein wichtiges Thema des bis heute immer noch nicht in Tiefe und richtungweisenden Impulsen erkannten II. Vatikanischen Konzils. Das braucht Zeit. Ich habe an­ dererseits ebenso Verständnis für die Ungeduld vieler Menschen und werte das als durchaus positives Zeichen. Kann man von einer Kluft zwischen Kirchenvolk und Kirchenwissenschaftlern sprechen?

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Gruppenfoto der Kommission für den theologischen Dialog zwischen Katholiken und Altorientalen vom 26. Januar 2011

Grundsätzlich nicht, praktisch aber schon, weil Menschen rasch greif­ bare Ergebnisse wollen und frustriert werden, wenn diese scheinbar ausbleiben. Wissenschaftler dagegen suchen überzeugende und über­ zeugte Klarheit und sprechen zumeist eine Fachsprache, wie alle an­ deren Wissenschaften (z. B. die Medizin) auch, die sich der breiten Öffentlichkeit entzieht. Die Menschen unserer Zeit wollen die Dinge gar nicht so genau wissen, sondern suchen vielmehr Aktion. Und diese Gegensätze sind nur schwer zu vereinen. Können wir noch einmal auf die Frage zurückkommen: „Warum geht es so langsam vorwärts“? Wir haben Blockaden zwischen West- und Ostkirchen von über 1000 Jahren. Wir haben ökumenische Bemühungen von nicht einmal 100 Jahren. Das ist – ich wiederhole es – nicht langsam, sondern es geht voran. Denken Sie an das Treffen von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras in Jesusalem, wo man die gegenseitigen Bullen von 1054 aufhob. Oder an den Besuch Papst Johannes Pauls II. in Griechenland und des Papstes Benedikt XVI. in der Türkei und dem Libanon. Denken Sie an die Renovabis-Kongresse, wo auf Podien kirchliche Amtsträger zusammen diskutieren, die das zu Hause nie tun könnten und dürften.

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Und wie sehen Sie das Entwicklungstempo in Deutschland? Auch in Deutschland bewegt sich viel zwischen Katholiken und Evange­ lischen: Einigung über die Rechtfertigungslehre in Augsburg nach mehr als 400 Jahren (Wie kann der Mensch vor Gott gerechtfertigt werden? – über seine Werke, oder alleine durch seinen Glauben?). Oder der Besuch des Papstes im Augustinerkloster in Erfurt. Man kann guten Willen und Verständnis auf beiden Seiten beobachten. Auch bei Lösungen beson­ ders dorniger Fragen wie Amt und Eucharistie gibt es Bewegung inso­ fern, als gegenseitige Unterstellungen sehr selten geworden sind. Entsteht der Wille zur Ökumene nicht auch unter dem Druck der schwindenden Mitgliederzahlen und sinkenden Einflusses auf die Gesellschaft angesichts des fortschreitenden Säkularismus – oder dämmert die Einsicht, dass das ganze Schisma – besonders das von 1054, wo sich zwei Kirchenführer gegenseitig exkommunizierten – ein Unsinn war? Mitgliederschwund und Säkularismus können Motive zu Aktionen sein, aber sauberes Denken nicht ersetzen. Das Schisma von 1054 war unnö­ tig, aber in kulturellen Unterschieden wohl begründet. Das Verständnis dafür gilt es aufzuarbeiten – aber nicht einfach zu übertünchen. Wo sehen Sie heute die Haupthindernisse einer Vereinigung? Im Osten in großen gegenseitigen Denkunterschieden, die zuerst ver­ standen und dann erst überwunden werden können. Im Westen in den Differenzen im Verständnis des Amtes (Priestertum) und deshalb der Eucharistie. Was halten Sie von dem erneuten Aufruf namhafter Politiker, Bischöfe beider Konfessionen, Geisteswissenschaftler: „Ökumene Jetzt“? „Parlamentspräsident, Verteidigungsminister, Altbundespräsident: Prominente Politiker wollen die Spaltung von Katholiken und Protestanten überwinden. In Berlin stellten sie ihr Manifest vor.“ „Ökumene Jetzt“, dieser Aufruf drückt wohl das Lebensgefühl von Ver­ antwortlichen aus Politik, Geisteswissenschaft und auch Kirchen aus und insofern ist das sicherlich eine Frage, der man sich stellen muss. Mir scheinen zwei Aspekte wichtig, wobei ich allerdings kein Fach­ mann für Dogmatik und Kirchenrecht bin. Was ich sage, ist meine persönliche Meinung. Das eine ist die Sicht von Menschen, die auf die Kirche vor allem als eine soziale Gemeinschaft schauen und dann entsprechend reagieren.

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Das andere, was man bei der Kirche – wenn man der Heiligen Schrift folgt und dem Verständnis der ersten Christen – sehen muss, ist Kirche als eine Gemeinschaft derer, die nicht nur auf Christus aus­ gerichtet sind, sondern die auch von ihm zusammengehalten und be­ lebt werden, also nicht nur sozial, sondern geistlich, wenn Sie wollen: im Sinne des „mystischen Leibes“ Christi. Worum geht es im Kern eigentlich bei den Religionen? Was ist das Ziel oder sollte es sein? „Religio“ heißt Bindung. Es geht also um die Bindung an Gott. Um meine Bindung an meinen Gott, an „Jahve“, der für mich da ist. Dann geht es um Lebensgestaltung aus dem Wissen um diese Bindung he­ raus. Letztlich geht es darum, dass diese persönliche Bindung auch in einem Sozialbezug mündet, der in Gemeinschaft verwirklicht werden sollte. Und da wir unter Gott in allen(!) Religionen als „Grundqualität“ die Liebe verstehen, geht es in allen Religionen auch um diese Herzens­ qualität, „die alles vermag und allem standhält“ (siehe 1. Kor. 13). Wenn wir von Kirche sprechen, meinen wir vor allem die Katholische, die Evangelische und die altehrwürdigen Kirchen Osteuropas. Aber es gibt Hunderte Glaubensgemeinschaften neben der Evangelischen und Katholischen, bei denen – ich habe es oft selber erlebt – der hl. Geist anwesend ist: Bahai, Cao Dai, Mormonen, Christengemeinschaft der Anthroposophen, um nur wenige zu nennen. Kann man diesen, die ernsthaft denselben Gott zutiefst verehren und z. T. ebenso aus denselben Schriften ihre Verkündigung zelebrieren, ihn in den Alltag ernsthaft zu integrieren versuchen, die Ernsthaftigkeit und Heiligkeit absprechen? Gottes Geist ist überall und immer anwesend. Darum finden ihn auch Menschen außerhalb unserer traditionellen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Allerdings glauben wir, dass sich Gott in diesen kirchlichen Gemeinschaften objektiv leichter finden lässt. Aber keineswegs kann man diesen Gottsuchenden Ernsthaftigkeit absprechen. Heiligkeit (d. h. Heil= Ganz= Vollkommen Sein) ist keine menschliche Eigenschaft aus sich heraus, sondern immer Ge­ schenk Gottes, Hinein-genommen-Sein in Gottes Bereich. Es ist nicht zu leugnen, sondern als sicher anzunehmen, dass Gott diese seinsmä­ ßige Heiligkeit, diese Gottgemäßheit auch vielen Menschen außerhalb der Kirchen schenkt.

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Was wir aber im allgemeinen Sprachgebrauch als Heiligkeit be­ zeichnen, ist etwas anderes. Es meint eine moralische Eigenschaft, die teilweise durch eigenes Bemühen erworben werden kann. Paulus schreibt an die „Heiligen“ der von ihm gegründeten und betreuten Ge­ meinden, die moralisch aber keineswegs Heilige waren. Der katholische Priester Hans Küng und andere, unzweifelhaft würdige Menschen verschiedener Länder sind der Meinung, dass es in Zukunft eine Welt-umspannende Religion geben wird, die mit keiner der heutigen Institutionen vergleichbar ist. Ist es vielleicht das, was als „Erfüllung am Ende der Zeiten“ gemeint ist? Die Erfüllung am Ende der Zeiten ist Gottes Geheimnis und sicher keine menschliche Tat. Es ist ein Geschenk, auf das wir allerdings zule­ ben sollten, durch die Gestaltung unseres Lebens und die stets neu und persönlich zu erringende Gott-Bindung, soweit das in unseren Hän­ den liegt. Am Ende der Zeiten vergehen alle irdischen Institutionen. Deshalb sind Spekulationen darüber müßig.

3. Entwicklungshilfe – zwischen Fürsorge und Einmischung Pater Hillengass, ist Entwicklungshilfe nötig? MISEREOR sagt: „Gib dem Bedürftigen keinen Fisch, sondern eine An­ gel – also Hilfe zur Selbsthilfe“, aber diese Hilfe zur Selbsthilfe, die muss geleistet werden – sonst kommen die Bedürftigen nicht auf einen grü­ nen Zweig. Um bei dem Angel-Beispiel zu bleiben – deshalb hat man verschiedenen Völkerschaften, die am Meer leben, immer wieder Boote zur Verfügung gestellt. Diese Art von Entwicklungshilfe sollte man wohl immer geben. Zu denken; „Die sollen sich doch selbst helfen“, wäre un­ christlich und unrealistisch, denn es braucht lange Anlaufphasen. Wie lange sollte man diese Entwicklungshilfe geben? Das ist genau die Frage, die diesen Prozess so schwierig macht: Wenn sich einer mal daran gewöhnt hat – wird es nicht immer leicht, ihn zu entwöhnen. Das zeigte sich z. B. bei dem Übergang in Indien von EU- oder nordamerikanischen Missionaren, die in den Pfarreien tätig waren und die abgelöst wurden durch indische Priester. Die Bevölke­ rung reagierte entrüstet: „Du willst von uns jetzt hier unterhalten wer­

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den? Die vorigen Pfarrer haben immer ihr Geld und noch mehr – für uns alle – mitgebracht“. Deshalb sprachen indische Priester zuweilen von „Reischristen“. Da offenbart sich eine der Schwächen der Entwick­ lungshilfe. Man muss die Mentalität der Menschen unbedingt ins Kalkül neh­ men und vor allem auch die Geduld haben – sonst bringt Entwick­ lungshilfe keinen echten Fortschritt. Wie meinen Sie das konkret? VW hat in Südafrika Werkstätten aufgebaut. Deshalb waren deutsche Autobau-Meister immer vor Ort. Wenn diese aber von ihrem Urlaub zurückkamen, waren viele kleine Errungenschaften, wie Sauberkeit und Ordnung, wieder auf den unbefriedigenden Urzustand zurückge­ fallen. Kann man Mentalität von Menschen überhaupt verändern? Und darf man das? Schnell sicher nicht. Allmählich schon! Es sind ja bereits viele gute Er­ fahrungen genau mit diesen Menschen gemacht worden. Viele haben in Europa studiert und füllen danach sehr anspruchsvolle Positionen aus. Allerdings kann diese geografische Ausrichtung – weg aus z. B. Afrika in die EU – nicht die Regel sein, denn man würde damit die wenigen erstklassigen Fachleute aus diesen Ländern abziehen; wich­ tig wäre schon, dass sie nach der erfolgreichen Ausbildung in ihren Stammländern als Katalysatoren wirken. Entwicklungshilfe ist keine einfache Sache. Können nicht auch wir in Europa etwas lernen von diesen Ländern? Aber unbedingt! Wir haben bei Renovabis immer gesagt: Entwick­ lungshilfe darf nicht zu einer Einbahn-Straße verkommen, sondern muss eine Zweibahn-Ausrichtung haben: Austausch von Gaben. Oft wird ja gefragt: Was haben wir denn eigentlich von der gesamt­ en Entwicklunghilfe? Sicherlich nicht so viel materiell – wohl aber im Hinblick auf die Bereicherung durch bestimmte Charaktermerkmale, wovon wir sehr viel lernen können. So würde uns die beeindruckende Lebensfreude und Dankbarkeit – trotz großer Armut – wohl tun. Oder die mit Selbstverständlichkeit praktizierte Nachbarschaftshilfe, die oft­ mals technische Perfektion ersetzt – halt das Menschliche, das allzu leicht durch Wohlstand vernichtet wird.

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Welche Qualitäten sollten Entwicklungshelfer mitbringen, um dieses Geben und Nehmen zu ermöglichen? Ein gutes menschliches Klima, unendliche Geduld, Vermeidung von jeglicher Arroganz oder Besserwisserei, vor allem aber: Zuhören. Aber man kann (und soll) die Mentalitätsunterschiede nicht verwischen. Unser Pater General Arrupe wollte in Rom, in seinem Rat Fachleute nicht nur aus der EU oder Nordamerika haben. Er holte sich einen Madagassen. Dieser hat aber eigentlich die ganze Zeit darunter gelit­ ten, weil die Art und Weise, der Arbeitsstil so verschieden war von dem, was seiner Erfahrung nach geschehen sollte. In Rom: Beratung und Entscheidung – basta. Das geht in Afrika oder Madagaskar aber nicht. Da wird zuerst einmal ausführlich „palavert“. Dieses Anhören von allen Meinungen und Ansichten, dieser für uns zeitlich sehr auf­ wendige Austausch von Gedanken, ist in Afrika wichtiger Bestandteil der Kultur. Und es wird so lange palavert, bis eine Einigung erzielt wird. Bei uns ist diese Tendenz aber auch sichtbar: nehmen Sie nur die Vorgänge um das Projekt Stuttgart 21. Da wurde den Bürgern nicht ge­ nug „palavert“, sie kamen zu kurz – deshalb gingen sie auf die Straße. Die sich daraus ergebende grundsätzliche Frage bei der Entwicklungs­ hilfe ist: Wie bekommt man unterschiedliche Kulturen so auf einen Nenner, dass sie sich nicht gegenseitig blockieren, sondern ergänzen und hilfreich sind? Dann kommt hinzu, dass Entwicklungshilfe zur Frage der Gerechtigkeit werden kann. „Du hast zu viel, weil der An­ dere zu wenig hat.“ Es gibt in Nigeria und anderen afrikanischen Staaten ernst zu nehmende Politiker, Wissenschaftler, Philosophen, die meinen, dass Entwicklungshilfe, genau betrachtet, nur schadet und deshalb keinen Sinn macht, weil man den zu entwickelnden Nationen „ihre Schularbeiten macht“ und sie damit zur Dummheit, Faulheit und Abhängigkeit erzieht. Was meinen Sie dazu? Das ist nicht ganz falsch. Deshalb ist die Frage nach der Dauer und dem Charakter der Hilfe wichtig. Und wir dürfen auch nicht den Tat­ bestand übersehen, der Entwicklungshilfe auf Abwege bringen kann, nämlich die Parteipolitik. In dem Moment, wo die Entwicklungshilfe in den staatlichen Apparat hineingenommen wurde, fließen einerseits leichter finanzielle Mittel, andererseits können vielleicht parteipoli­ tische Interessen präsent oder gar dominant werden.

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Pater, wie konnten Sie bei Renovabis oder anderen kirchlichen Organisationen Entwicklungshilfe kontrollieren? Oder, anders gefragt, kann man das überhaupt zuverlässig? Die Länderreferenten mussten in die Gebiete reisen, um sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen. Nur Kontrollen kosten natürlich Geld. Dann ist die vertraglich vereinbarte, regelmäßige Berichterstattung, und zwar hinsichtlich der Projektabwicklung, wie auch der Verwen­ dung der Mittel, sehr wichtig und muss, im Falle der Nichteinhaltung, angemahnt werden. Diese Berichte sind durch Belege und Nachweise zu untermauern (z. B. Fotos, Original-Rechnungsbelege usw.). Gibt es Anlässe oder Gründe, wo die Geberorganisation, z. B. Renovabis, Entwicklungshilfe verweigern, aussetzen oder gar beenden kann? Ja, die kann es geben. Beispielsweise bei mangelnder Koopera­ tion, schlechter Vorbereitung, bewusster Täuschung, fehlender Rechnungslegung oder falschem Mitteleinsatz. Dann können wir die Zahlungen unterbrechen oder ganz aussetzen. Wie ist das mit plötzlich auftretenden Krisen in Projektgebieten, wie vor Jahren im Kosovo oder jetzt in Nigeria, wenn die Sicherheit der entstehenden Projekte und ihrer Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet werden kann? Sollte da die Hilfe ausgesetzt werden? Auf gar keinen Fall! Denn dann brauchen es die Menschen am drin­ gendsten! Echte Hilfe zur Entwicklung lässt sich durch Bomben oder andere Hindernisse nicht aufhalten! Es wäre auch psychologisch das falsche Signal an die Leidenden, wenn sie gerade in dieser Situation auch noch verlassen würden. Dann wären sie doppelt bestraft. Einmal haben sie ohnehin unter Nachteilen zu leiden und in der doppelt er­ schwerten Situation wird ihnen auch noch diese Hoffnung entzogen. Dem Bischof Oliver Dashe Doeme im Norden Nigerias, dem die Ter­ roristen alle 12 Kirchen vernichtet haben, kann man doch nicht sagen: Warten wir, bis alles ruhig wird, dann bekommst du Kirchen. Aller­ dings darf man die Sicherheit der Projekthelfer ebenfalls nicht aus den Augen lassen. Da gilt es die Risiken besonnen und verantwortungsvoll abzuwägen. Pater, Sie werden in den Jahrbüchern des „Loyola-Gymnasiums“ in Prizren (Kosovo) als „Vater des Gymnasiums“ bezeichnet. Sind Sie der Gründer?

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Mir wurde von einem „Berater auf Zeit“ von Renovabis der Wunsch zahlreicher Eltern aus dem Kosovo nach einem katholischen Gymna­ sium vorgelegt. Ich schlug Renovabis, nachdem ich als Geschäftsführer ausgeschieden war, eine Machbarkeitsstudie und Pater Walter Happel SJ als Verfasser vor. Die Studie ergab die Machbarkeit und Ratsamkeit des Projekts. Dann schlug ich Pater Happel für die Umsetzung vor. Deshalb prägte er den Begriff „Vater des Gymnasiums“. Obwohl es während der sieben Jahre andauernden Arbeit viele, auch kontroverse, interne Diskussionen gab, kann man jetzt, nach sie­ ben Jahren, wo 578 Schüler diese Schule besuchen, sagen, wie wichtig es war, diese Oberschule genau während der Krisenzeit zu bauen. Der einzige verfügbare und mutige Jesuit, Pater Happel, hat Enormes ge­ leistet. Pater, bitte beschreiben Sie uns, was das Besondere dieser Einrichtung ist. Die Fotos belegen eine Vielzahl an Ausbildungsaktivitäten, angefangen von den klassischen Schuldisziplinen, wie Mathematik, Chemie, Sprachen, über Musik, Tanz, Sport, Exkursionen und, besonders erstaunlich, die Kooperation mit deutschen Firmen. Das Konzept ist in der Tat einmalig im Kosovo. Die Einrichtung hat Schu­ le und Internate für Muslime und Katholiken, im Verhältnis sieben zu eins, also die überwiegende Mehrzahl sind Muslime. Wenigstens 50% da­ von sollten Mädchen sein. Alleine das ist – besonders in dieser Region – außergewöhnlich. In welcher Sprache wird unterrichtet? Die Unterrichtssprache ist Albanisch. Als Fremdsprachen werden an­ geboten Englisch, Deutsch und Latein ab der ersten Klasse. Die Inter­ nate sind nach Geschlechtern getrennt. Und ganz sicher gehört die Weitervermittlung zu berufsbildenden Praktika, zu Arbeits- und Aus­ bildungsmöglichkeiten in Deutschland zu den wertvollsten Elementen dieser Ausbildung.

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Glückliche Schüler des „Loyola-Gymnasiums“ Prizren, Kosovo, 2012

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Unterricht im perfekt ausgestatteten Chemielabor

4. Kirche und Kapitalismus – ein Widerspruch? Pater Hillengass, Sie waren lange Zeit Leiter eines kirchlichen Werkes mit arbeitsrechtlichen Regelungen – entstehen da nicht naturgemäß Konflikte? Genauer: Muss die Kirche in kapitalistischen Gesellschaften nicht auch nach kapitalistischen Gesichtspunkten operieren, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein? Da sind verschiedene Gesichtspunkte zu beachten. Das eine ist die Frage des Investments. Das andere ist die Frage des Arbeitsrechts oder überhaupt der Arbeitsatmosphäre. Die Kirche hat ganz natürlich mit Investment zu tun. Sie muss be­ trächtliche Summen aufbringen, um ihren Verpflichtungen nachzu­ kommen. Bedenken Sie, dass zur katholischen Kirche weltweit über 500 Hilfswerke mit einer Zahl von Mitarbeitern, die in die Millionen geht, gehören. Grundsätzlich ist jeder Bischof finanziell verantwortlich für die Besoldung seiner Angestellten und des Klerus, besonders da, wo die staatliche Zuwendung nicht ausreicht. Früher hatten die Kirchen Län­ dereien. Heute rentiert sich das nicht, weil für ihre Bewirtschaftung viele Arbeitskräfte benötigt würden, die man kaum finden und schon gar nicht bezahlen kann. Und die Maschinen sind zu teuer. Vor allem aber fehlt in der Kirche das Know-how.

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Das ist erstaunlich, denn die Ausbildung ist doch sehr gut? Priester und Schwestern mögen hinreichend auf ihre seelsorgerlichen Aufgaben vorbereitet werden, aber nicht im allgemeinen Management, in ökonomischen Fragen, Strategie und Planung oder Computertech­ nologie. Sie haben im Septemberheft „Jesuiten-Mitteilungen der Österreichischen Jesuiten“ zum Thema Geld interessante Ausführungen geschrieben. Und Sie hatten fast Ihr ganzes berufliches Leben mit dieser Materie zu tun. Was ist eigentlich Geld? Geld ist zunächst Tauschmittel und „Speicher“. In unserer Wirtschafts­ ordnung wird es auch zum Ausdrucksmittel von „Kapital“, also Ein­ satzmöglichkeit eigener Arbeit unabhängig von Raum und Zeit. Man kann die Arbeit und ihre Früchte so in verschiedenen Formen spei­ chern oder verbrauchen.   Kapitalreichtum, oder kurz „Reichtum“, ermöglicht uns Jesuiten apostolische Arbeit und muss darum an dem allgemeinen Grundsatz unseres Lebens als Jesuiten gemessen werden, den Ignatius im Exer­ zitienbuch aufstellt, nämlich: alles so weit zu gebrauchen, wie es zum Ziel dient, und so weit zu lassen, wie es das Ziel behindert. Und das Ziel ist? Wir benutzen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel, auch die finan­ ziellen, um unsere Werke der Hilfe und Nächstenliebe zu fördern, na­ türlich immer nur im Rahmen der Ethik, der Moral und der Gesetze. Eine weitere Grenze setzt uns die Solidarität. Wir müssen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten Mittel des eigenen Werkes zugun­ sten anderer Werke innerhalb oder auch außerhalb der Gesellschaft Jesu einsetzen, wenn und soweit diese Werke bedeutend oder relativ schlechter gestellt sind. Sie sind Finanzexperte. Deshalb ist Ihre Meinung von besonderer Gewichtung. Wie entstehen solche Finanzkrisen, wie wir sie in den USA mit Lehman Brothers und jetzt in der EU haben? Sind sie zyklisch, also eine systemimmanente, von Zeit zu Zeit immer wiederkehrende Normalität? Oder was sind die Ursachen? Ich glaube, dass diese gegenwärtigen Krisen ausgelöst wurden durch Halbheiten. Man hat ein einheitliches Währungssystem in der Eurozo­ ne geschaffen. Nur muss dieses normalerweise einhergehen mit einer

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einheitlichen Sozial-, Rechts- und Finanzpolitik. Und das war politisch nicht machbar. Wenn der Wiedervereinigungskanzler Helmut Kohl gesagt hätte, wir wollen zuerst einmal die DDR-Menschen auf unseren Standard bringen und dann können wir auch eine einheitliche Wäh­ rung schaffen, dann wäre die Chance der Wiedervereinigung verpasst gewesen. Der Reiter-Volksmund sagt: Wirf dein Herz über das Hin­ dernis, dann wird das Pferd schon nachspringen! Aber – um im Bild zu bleiben – das Pferd ist nicht nachgesprungen. Das ist ein Grund des Schlamassels. Oder anders ausgedrückt: man hat sich aus „politischer Klugheit“ mit Halbheiten begnügt. Und in den USA? Dort begann es wieder einmal. Hat das nicht auch etwas mit einer Art Super-Gier und Spekulation mit nicht existierenden Werten zu tun? Sicher hat es damit zu tun, aber dieses vielschichtige Problem ver­ langt ausführliche Abklärung. Darüber sind ganze Bibliotheken gefüllt worden. Es wäre unseriös von mir, mit knappen und oberflächlichen Statements Halbwahrheiten zu postulieren. Das überlassen wir der Boulevardpresse. Können Sie trotzdem versuchen zu erhellen, wodurch die gegenwärtige Krise verursacht wurde? Die Euro-Krise hat meiner Meinung nach mit der falschen Vorgehens­ weise zu tun, die aber wahrscheinlich nicht anders möglich war. Klingt spannend! Man hat den Euro geschaffen unter der stillschweigenden, vielleicht auch unbewussten Voraussetzung, dass Grundlagen einer gemein­ samen Fiskal-, Finanz-, Arbeitsmarkts-, Wirtschafts- und Innenpolitik nachgeliefert würden, was aber natürlich bei den großen Unterschie­ den zwischen den europäischen Ländern, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben, nicht einfach ist – und deshalb unterlassen wurde. Warum? Weil immer noch dringlichere Probleme im Sinne des Löcherstopfens auftauchten und dann das wirklich Grundlegende nicht genügend an­ gegangen und vor allem zunächst auch nicht genügend erklärt wurde. Das ist eine mangelnde, solide Grundlage der Finanzpolitik.

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Sie meinen, dass kein solides Fundament geschaffen wurde, auf dem alles andere hätte aufgebaut werden können? Genau! Ein anderer Gesichtspunkt scheint mir das „wahltaktische Den­ ken“, also der Druck vor Wahlen zu sein. Politiker sind leicht versucht, auf die jeweils nächsten Wahlen hinzudenken und nicht auf wirklich solide Fundamente. Das ist in Deutschland – wegen der zu verschiedenen Ter­ minen stattfindenden Wahlen – besonders arg. Dadurch stehen für eine ruhige Politik oft nur zu kurze Zeiträume zur Verfügung. Ferner hängt damit zusammen, dass wirkliche Finanzpolitik Sache von Spezialisten ist, die sich oft nur schwer erklären können (oder wollen) und deshalb in Medien und Schlagzeilen zu wenig und nicht seriös genug erscheinen. Für den normalen, selbst gebildeten nicht-Finanzfachmann sind die Vorgänge um die Spekulation mit nicht existierendem Geld kaum nachvollziehbar. Wie funktioniert das ? Normalerweise wird spekuliert mit real existierendem Geld. Man kann aber auch mit virtuellem Geld spekulieren, das als Darlehen oder For­ derung entsteht und nicht mit Sachwerten, sondern mit Erwartungen, also mit bloßen, vielleicht auch begründeten, Hoffnungen gedeckt ist, also sachwertlich ungedeckt. Wenn solche auf nicht realem Vermögen beruhenden Geldströme in 24 Stunden um den ganzen Globus gehen, von einer gerade geöff­ neten Börse zur anderen, dann erscheinen solche virtuellen Gelder real oder können jedenfalls nicht mehr von tatsächlichen, sachwertge­ stützten unterschieden werden. Ist das nicht höchst unsicher, auf Hoffnungen hin zu spekulieren? Angenommen, jemand beleiht eine zu erwartende Ernte. Ein Unwetter aber vernichtet diese. Was dann? Dann geht die Spekulation nicht auf. Das schafft Gefahren, vor allem wenn virtuelle Erfolge aus virtuellen Börsengeschäften mit Boni an das Bankenpersonal honoriert werden. Sie meinen, wenn Mitarbeiter von Geldinstituten mit hohen Extravergütungen auf zu erwartende Profite von nicht real existierenden Vermögen bezahlt werden? Genau, wobei allerdings die Profite in den Büchern real sind, aber die Grundlage dafür nicht.

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Entziehen sich derartige Prozesse nicht jeder Kontrolle? Grundsätzlich ist alles kontrollierbar, aber die Kontrollen reichen oft aus Kostengründen oder wegen anderer Tatsachen nicht aus und es gibt sicher auch Interessen, die genauere Kontrollen verhindern. Die Schwierigkeit dabei ist, dass Hoffnungen oder Erwartungen nicht in jedem Fall verwerflich sind, denn man kann zum Beispiel durchaus auf Produktions-, Förderungs- oder Ernteerfolge hoffen – aber wie weit? Hundertprozentig sicher eben nicht! Dann kann praktisch auch jede Bank durch fiktive Spekulationen in die Pleite getrieben werden, wenn zum Beispiel anonyme Blogger schwer nachprüfbare Behauptungen aufstellen, die das Image massiv beschädigen. Wenn solche Spekulationen systemrelevante Banken, das heißt, solche mit einer gewissen Größe,  in die Pleite treiben oder jedenfalls wesent­ lich beschädigen, dann kann es bei der heutigen globalen Verflech­ tung, wie oben angedeutet, zu globalen Verwerfungen kommen. Das ist besonders gefährlich, weil unser Wirtschaftssystem weitgehend auf Vertrauen beruht. Wenn das zerstört ist, wird der Wiederaufbau sehr erschwert. Weil viele Börsengeschäfte wegen der Größe und Häufigkeit com­ puterisiert werden, kann Spekulation aus dem Ruder laufen. Eine klei­ ne Hamburger Bank sagte vor Jahren: Wir tun nur, was wir verstehen. Ich bezweifle, dass das immer der Fall ist. Natürlich kann man all das stoppen, aber man muss es wollen und die Konsequenzen auch. Pater, sind Finanzkrisen zyklisch, das heißt eine Art Naturnotwendigkeit? In gewissem Sinne ja, denn nach einer Krise ist man vorsichtig. Nach einiger Zeit schwinden die Vorsicht und auch die Erinnerung. Dann kann ein solcher Zyklus wieder beginnen.   Wenn ich die richtigen Schlussfolgerungen aus Ihren Erklärungen ziehe, kann auch – bedingt durch die globale Vernetzung – das gesamte Weltfinanzsystem zerplatzen. Und dann? Fangen wir dann wieder beim einfachen Tausch Ware gegen Ware an? Das war die Situation in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Währungsreform. Wer sich daran erinnert, weiß aber auch, dass erst Ludwig Erhards Währungsreform die Wirtschaft wieder in

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Schwung gebracht und die großen Hilfen durch den Marshallplan der USA allmählich ersetzt hat. Was also müsste konkret getan werden, damit ein „gesundes“ Weltfinanzsystem existieren kann? Lernen aus den Fehlern, Vertrauen schaffen, Transparenz anstreben, Verluste den tatsächlichen Verursachern anlasten.

Finanzgestaltung der Gesellschaft Jesu Dürfen wir zurückkommen auf die Finanzgestaltung der Gesellschaft Jesu? Wird diese von Rom aus gesteuert? Wie bereits gesagt, bestand meine Aufgabe in Rom nicht im Verwal­ ten von Geld, sondern eher von Kapital. Das sind Liegenschaften und Wertpapiere. Die Jesuiten haben keine zentralisierte Verwaltung von Kapital. Warum, wäre das nicht einfacher? Bei Ignatius, dem Ordensgründer, war jede Provinz eine eigene Entität und hat für eigene Einnahmen und Ausgaben gesorgt. Das wurde im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts immer schwieriger, teilweise weil die den Orden fördernden Fürsten auch kein Geld hatten und oft sogar bei den Fuggern borgen mussten, teilweise weil durch das Aufkommen des Protestantismus viele Fürsten nicht mehr katholisch waren. Trotzdem hat Ignatius immer Position für die beiden römischen Kollegien – das Germanicum und das Römische Kolleg (spätere Gre­ goriana) – bezogen, weil sie unabdingbar wichtig seien, da sie Modelle für alle Bildungseinrichtungen darstellten. Und in dieser Notsituation hat er die Taktik des Fundraising erfunden. Wie funktioniert kirchliches Kapitalinvestment heute? Wenn Sie das sagen dürfen? Natürlich, da gibt es absolut keine Geheimnisse. Alles ist legal und transparent. Also, wir legen Geld in Wertpapieren, Pfandbriefen und Aktien an. Aber wir erwerben auch Grundstücke und verpachten die­ se. Wir brauchen diese Einnahmen. Dann gibt es da quasi keine Unterschiede zwischen privatem, staatlichem und kirchlichem Investment ?

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Doch, erhebliche, und zwar hinsichtlich der Anlagerichtlinien. Die Kirche versucht sich da streng an ethische und humanitäre Leitfäden zu halten. Was darf man darunter verstehen? Ethische Anlageaspekte sind solche, die sich zurückhalten vom In­ vestment in z. B. Waffenfabriken oder dem Handel damit oder in Bordelle oder Pharmaunternehmen, die ethisch bedenkliche Pro­ dukte herstellen. Wir Jesuiten investieren niemals in solche Ge­ schäfte. Sie haben von dem Skandal um den „Weltbild“-Verlag mit den pornografischen Bildern gehört. So etwas ist sicherlich nur eine Aus­ nahme, darf aber nicht sein. Und wie Sie wissen, hat sich die Kirche so­ fort davon distanziert und die entsprechenden Maßnahmen ergriffen. Leider aber ist es immer so, dass aus der geringen Zahl von Fehlent­ wicklungen, bedingt durch menschliche Schwächen, sofort die hinge­ bungsvolle Arbeit Unzähliger überhaupt infrage gestellt wird, und das gilt besonders auch für caritative Projekte. Humanitäre Aspekte sind Investment in Firmen, die menschliche Unzulänglichkeiten verbessern helfen, zum Beispiel erneuerbare En­ ergien wie Solarenergie oder Windkraft oder Forschungslaboratorien, die Krankheiten wie Krebs oder Aids ausrotten helfen können. Und gewinnbringende Orientierungen? Dazu gehört die Verantwortung, keine Gewinne aus Blutgeld zu zie­ hen, wenn z. B. Menschen als Söldner verkauft werden, um andere Menschen gewaltsam zu unterdrücken, wie kürzlich in Syrien oder Li­ byen, im Sudan, Somalia, Nigeria. Dazu gehören ebensolche Gewinne, die auf gefährlichen und schädigenden Experimenten an Menschen oder Tieren beruhen. Ferner gehört aber auch dazu, nicht der Versuchung zu unterliegen, stark risikobehaftete Spekulationen vorzunehmen. Mit dem Geld muss höchst verantwortungsvoll umgegangen werden. Hat die Gesellschaft Jesu genügend Geld? Man kann gar nicht genug haben, um Not und Leid in der Welt zu lindern. Nehmen Sie nur den Hunger, die soziale Ungerechtigkeit, die Ausbeutung und Vertreibung unzähliger Menschen aus Profitgier, vor allem aber den unvorstellbar großen Bildungsmangel.

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Ich möchte Ihre Frage so beantworten: Wir müssen uns kräftig be­ mühen, das heißt, viel, viel arbeiten, durch kreatives Handeln so spar­ sam wie möglich leben, dann kommen wir halbwegs zurecht. Dabei vertrauen wir mit Erfolg auch auf die inspirative Hilfe dessen, der un­ ser Leben und die ganze Gesellschaft trägt und der uns gesandt hat: Jesus Christus. Wer kümmert sich um so etwas innerhalb der Kirche? Etwa auch die Bischöfe? Nein, bestimmte, ausgesuchte Banken. Ausgesucht daher, weil sie den gleichen ethischen Richtlinien folgen. Darüber hinaus werden sie von uns streng kontrolliert. Und wie ist das mit der zweiten Komponente, dem Arbeitsrecht? Der größte Arbeitgeber in Deutschland ist die Caritas, also ein kirch­ liches Hilfswerk. Zunächst muss man dabei die rechtlichen Rahmen­ bedingungen zur Kenntnis nehmen. Die Kirche hat aus gutem Grund den „Dritten Weg“ als arbeits­ rechtliche Struktur etabliert. Weder purer Kapitalismus (hire und fire) noch die sogenannte Soziale Marktwirtschaft – Arbeitgeber und Ge­ werkschaft. Dadurch werden Arbeitskämpfe, wie sie immer wieder ganze Lebensgebiete lahmlegen, vermieden. Die Gewerkschaften ar­ gumentieren zuweilen, dass die kirchlichen Organisationen ihre Wirt­ schaftspolitik zuungunsten der Arbeitnehmer gestalten. Das stimmt so nicht, möglicherweise behaupten sie das, weil sie innerhalb dieser Strukturen nicht vertreten sind. Wie geschieht dieser dritte Weg in der Praxis? Wir einigen uns und gehen nicht in Streik. Aus meiner Sicht ist ein Nach­ teil des dritten Weges, dass er letztlich wieder auf den Bischof führt. Nun hat gerade in dieser Woche [20.11.12], angeschoben durch die Gewerkschaften, das Bundesarbeitsgericht verkündet, dass unter bestimmten Bedingungen und in bestimmten Bereichen auch für kirchliche Betriebe Arbeitskämpfe mit Streiks und Aussperrungen möglich sind. Welche Auswirkungen hat das auf das bestehende Verhältnis von Arbeitgeber Kirche und Arbeitnehmern? Es handelt sich meines Wissens um Sozialeinrichtungen der Kirchen, nicht alle anderen, auch seelsorgerliche Betriebe, also Einrichtungen,

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die mit zivilen Einrichtungen im Wettbewerb stehen. Natürlich wird das zu Spannungen führen, vielleicht aber auch zu Ausgleichungen, da nämlich, wo diese heute nur schwer zu erreichen sind. Es kann leider alles schwieriger werden. Dabei wird leider oft übersehen, dass ja auch zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgebern, in gegenseitigem Respekt, Einigungen ausgehandelt werden. Nur, warum muss dann der Bischof das noch extra in Kraft setzen? Oder eben auch nicht? Dabei zieht sich die Kirche argumentativ auf die Oberhoheit des Bischofs zu­ rück. Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese Bischofsoberhoheit in allen Angelegenheiten aus der Heiligen Schrift hergeleitet werden kann. Also: Wir machen das, was ich, der Bischof, euch sage! Nein, so geht das heute nicht mehr. Da gibt es inzwischen auch auf­ gelockerte Veränderungen. Aber das reicht noch lange nicht aus. Da müsste sich sehr viel mehr ändern. Zum Beispiel heißt es in der kirchlichen Arbeitsordnung, dass die Mitarbeiter alle katholisch sein müssen, und wenn nicht – müssen sie zumindest die Grundsätze der katholischen Kirche anerkennen. Sie müssen in kirchlich geregelten, ehelichen Verhältnissen leben. Was aber ist das? Wenn das Paar z. B. nicht verheiratet ist, dann ist es in der Lohnsteuerkarte nicht eingetragen. Sie gelten als ledig. Wenn ich nun beispielsweise eine Kindergärtnerin habe, die mit einem Mann zusam­ menlebt, aber nicht verheiratet ist, muss ich diese deshalb entlassen, soweit mir der Sachverhalt bekannt ist. Es gibt doch für eine gleichgeschlechtliche Beziehung den Status der eingetragenen Partnerschaft. Das stimmt, aber genau dann muss ich sie entlassen. Oder ein anderes Beispiel: Wenn Sie im Umkreis des Münchner Flughafens für Ar­ beitsstellen inserieren, dann bekommen Sie 80 Bewerbungen für Re­ ferentenpositionen, aber nur zwei für Putzfrauen, Sekretärinnen oder Buchhalterinnen. Und wenn sie diese dann interviewen, stellt sich he­ raus, dass beide geschieden sind, eine hat wieder geheiratet und die andere lebt mit einem Mann zusammen. Also sollte die Kirche vielleicht die staatlichen Regelungen übernehmen? Nein, aber vielleicht etwas flexiblere Lösungen erlauben, ohne das Ganze aufzuweichen. Zum Beispiel könnte das von Fall zu Fall unter­ schiedlich gehandhabt werden, denn es ist ein Unterschied, ob eine

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Lehrerin in einem eheähnlichen Verhältnis lebt oder ein Heizer in einem Krankenhaus. Letzterer wird wegen seiner nicht-Ehe kaum den Kessel überheizen ... Aber wie ist denn dann eine vernünftige Personalpolitik unter diesen Umständen überhaupt noch möglich und sinnvoll? Man muss als Leiter sehen, wie man die Probleme möglichst auf nied­ rigem Niveau löst. Wir sprechen hier nur über das kirchliche Arbeitsrecht. Dann ha­ ben wir aber noch Verwaltungsrecht, Sozialrecht usw. Muss alles dieses auf dem Entscheidungstisch des Bischofs liegen? Ich denke, dass man da selbst zu Zeiten des Mose (vor 3000 Jahren) bereits weiter war. Als der Schwiegervater von Mose, Jithro, erlebte, wie sich die Menschen in langen Schlangen aufreihten, um von Mose ihre Rechtsprechung zu bekommen, empfahl er, Rechtsleute zu ernennen, für jedes Dorf oder jede Sippe einen anderen. Und diese sollten dann die Streitfälle ent­ scheiden. In der katholischen Kirche Deutschlands ist man nur teilweise so weit, dass die Bischöfe bereit sind, Macht abzugeben. Jeder Bischof ent­ scheidet anders: der Bischof von Augsburg anders als der von München. Aber die Menschen kommen aus Augsburg zur Arbeit nach München ... Das heißt, es gibt keine einheitliche Regelung? Jeder Bischof ist selbständig ... Was für Lösungen wären denkbar? Denkbar wäre, dass der Bischof eine Reihe von Verantwortlichkeiten aus der bischöflichen Amtsgewalt herausnimmt und parallel bearbeiten lässt, aber Sie können sich vorstellen, wie „einfach“ das in einer Weltkir­ che ist, solche Änderungen durchzusetzen. Natürlich kann der einzelne Bischof entscheiden, Verantwortlichkeiten abzugeben, aber dann bleibt immer noch die Frage, ob es auch sein Nachfolger tut?

5. Demokratie – die beste aller Gesellschaftsformen? Ist Demokratie wirklich die beste aller Gesellschaftsformen? Ich denke daran, dass z. B. in Kambodscha Pol Pot, der Massenmörder seines

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Volkes, völlig legal und demokratisch gewählt wurde, oder kürzlich die Radikalmaoisten in Nepal. Das ist in der Tat eine schwierige Frage. Hitler ist auch legal gewählt worden. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt, dass „Demokratie unter allen schlechten Regierungsformen die beste“ sei. Welche andere Form fällt Ihnen ein? Die konstitutionelle Monarchie funktionierte so lange, wie ein einzel­ ner Kopf selbstlos und weise für sein Land arbeitete. Sie führte sich aber dann ad absurdum, als die königliche Geschlechterfolge nicht mehr durch Weisheit und Selbstlosigkeit glänzte. Und Diktatur? Das ist dieselbe Angelegenheit wie mit der Monarchie. Können Sie sich einen selbstlosen Diktator vorstellen, der nichts für sich, aber alles für sein Volk erstrebt? Schwierig! Also bleibt quasi nur die Demokratie. Die Frage ist: Wie sieht diese aus? Ist Demokratie nicht ein permanenter Gestaltungsprozess? Vielleicht müsste man die Spielregeln dessen, was wir Demokratie nennen, überdenken. Ist das Wahlprinzip eine Person = eine Stim­ me wirklich ideal? Es ist vielleicht notwendig, aber ideal ist es nicht, denn man kann ganz leicht große Massen, die nicht über Konse­ quenzen nachdenken wollen oder können, in eine bestimmte Rich­ tung beeinflussen. Denn das Volk existiert als eine einheitliche Masse nicht. Da müsste man stärker differenzieren zwischen engagierten und weniger Interessierten, zwischen Gebildeten und weniger Gebil­ deten. Große Teile des Volkes interessieren sich doch eigentlich gar nicht besonders für Politik. Sie wollen ihr kleines Alltagsleben möglichst unbeschwert leben, möglichst viel verdienen, ihren Kleingarten bebauen, ihren Fußballklub anhimmeln und ihre Kinder möglichst gut erziehen lassen. Die Frage ist: Wie kann man diese Menschen aktivieren, dass sie nicht nur am Biertisch, sondern in der Öffentlichkeit praktische (nicht rhetorische) Verantwortung übernehmen und sich engagieren? Vielleicht müsste es eine Demokratie sein, die vernünftige Grenzen setzt. Denn unsere Demokratie bringt kuriose Blüten hervor. Da dürfen Neonazis in Dresden am

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Gedenktag der Zerbombung durch die Stadt marschieren und werden von Hunderten von Polizisten beschützt, die Gegendemonstration aber wurde behindert. Oder da kann die britische Regierung nachweisliche Terroristen acht Jahre lang nicht ausweisen, weil diese mit immer wieder neuen Finessen die Gerichte beschäftigen. Oder da können ausländische Salafisten, die bei uns gegen unsere demokratische Grundordnung in massiver Weise kämpfen, nicht ausgewiesen werden, weil sie sich irgendwann einen deutschen Pass ergaunert haben. Solche Demokratie zerstört sich selber. Das alles ist bedenkenswert, aber das hohe Gut des Rechtsstaates ist bedeutender. Und wenn wir an die demokratischen Staaten denken, z. B. an die Kosovo-Frage, könnte man kritisch einwenden: wie klein kann eigentlich ein Staat sein, um eine gleichberechtigte Stimme ne­ ben den großen Ländern zu beanspruchen? Sollten alle Staaten gleiche Gewichtigkeit haben? Man könnte ja sagen, dass alle gleichberechtigt abstimmen sollen, nur hat das bedeut­ same finanzielle Konsequenzen. Sollte nicht der Staat, der mehr in die Kassen der EU einzahlt, auch ein größeres Mitspracherecht und vor allem Verantwortung haben? Luxemburg ist sicher ein leuchtendes Gegenbeispiel, aber Fragen bleiben ... Eines ist durch die Geschichte – besonders durch die deutsche – klar geworden: Wenn eine Demokratie nicht funktioniert, schlittert sie ins Chaos und dann braucht es wieder jemanden, der verspricht „Ordnung“ zu schaffen, egal was es kostet. Wurde Hitler durch das Versagen der Weimarer Republik ermöglicht und Stalin durch das Versagen der Oktoberrevolution? Bei Stalin weiß ich es nicht so genau. Hitler wurde sicher unter ande­ rem durch das Versagen der Weimarer Republik begünstigt. Aber viele andere Faktoren muss man nennen: Weltwirtschaftskrise, Arbeitslo­ sigkeit, Folgen des Versailler Vertrags, mangelnde politische Neubesin­ nung, Rehabilitierung der Parteien usw. Könnten die etablierten Kirchen aufgrund ihres im Evangelium erteilten Auftrages, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, nicht mehr Einfluss auf die politische Gestaltung einer Demokratie nehmen? Die Kirchen haben in einem säkularen Staat ihren Auftrag, aber sie kön­ nen deshalb nicht einfach in die Gestaltung einer Demokratie eingreifen. Ihr Einfluss muss über den Einfluss auf die Gläubigen geschehen und da­ rüber hinaus über den Einfluss auf Menschen guten und wachen Willens.

braucht die kirche demokratie?

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6. Braucht die Kirche Demokratie? Der Augsburger Bischof Dr. Konrad Zdarsa sagte kürzlich, dass Kirche und Demokratie nicht zusammengehören. Das hat einen Aufschrei, besonders bei den Grünen und Linken, hervorgerufen. Wie sehen Sie das? Falls das als Tatsachenfeststellung gemeint ist, kann ich zum Teil zu­ stimmen. Warum? Jeder Bischof ist nach dem existierenden, traditionellen Kirchen­ recht oberster Gesetzgeber, oberster Richter und oberster Exekutor in seiner Diözese. Die Frage ist: Muss das so sein? Ich denke nein. Wir haben im Staat aus gutem Grund die strikte Trennung von Legislative, Judikatur, Exekutive. Woher kommen diese Festlegungen? Die Festlegung in der Kirche existiert schon Jahrhunderte. Es wird ge­ sagt: Jesus ist Oberhaupt der Kirche, der oberste Gesetzgeber, Richter und Regierende. Das stimmt. Die Frage ist nur: Haben alle Bischöfe die gleichen Eigenschaften wie Jesus? Bei der Beantwortung dieser Frage wird es schon aschgrau. In einer modernen Gesellschaft mit Aufgabenteilungen ist sogar die Rechtssprechung noch einmal getrennt: Verwaltungsgerichtsbar­ keit, Sozialgerichtsbarkeit, Verkehrsgerichtsbarkeit, allgemeine Ge­ richtsbarkeit usw. Warum müssen alle diese Funktionen in der einen Person des Bi­ schofs vereint sein? Woher stammt das? Vom Absolutismus? Ja, natürlich. Die Kirche heute präsentiert sich in manchen Erschei­ nungsformen wie im Mittelalter. Unmittelbar nach Jesu Tod und Auf­ erstehung, also vor 2000 Jahren, gab es in der Urkirche auch andere Formen der Entscheidungen. Da hat man zum Beispiel das Los gewor­ fen oder die Apostel haben Vorgaben gemacht, dann aber die Gemein­ de entscheiden lassen. Das ist vielleicht mit 12 Aposteln leichter als mit einer Milliarde Menschen? Gewiss, wenn man nach den eigentlichen historischen Ursachen fragt. Durch das Dekret des Kaisers Konstantin 313, als das Christentum als einzige Religion akzeptiert wurde, ist die Kirche natürlich sehr nahe

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an den Staat gerückt. In Deutschland wurde das noch einmal verstärkt während der mittelalterlichen Vereinigung von weltlicher und geistli­ cher Macht in den Fürstbischöfen. Also sind die Protestanten da weiter mit ihrem synodalen System? Diese Synodalstruktur gibt es bei uns auch – weniger in der römischen Kirche, aber sehr stark in den Orientalischen Kirchen. Insofern ist diese Synodalstruktur eine Form, die man sich in der Kirche auch vorstellen kann, die aber in der römischen Kirche nur auf wenige Einzelereig­ nisse beschränkt ist, nämlich auf die Konzilien und Bischofssynoden. Diese Konzilien versammeln sich, beschließen eine Reihe von De­ kreten und gehen wieder auseinander. Die römische Kurie bleibt ... Deshalb gab es nach dem letzten Konzil Mitglieder der römischen Kurie, die meinten, jetzt habe man genug Beschlüsse gefasst, man müs­ se jetzt wieder zur eigentlichen Ordnung zurückkehren. Im Vatikan wurde gesagt, dass wir ein unausgeglichenes Budget haben, liegt am Konzil. Denn das Konzil hat gesagt, dass man die Ge­ samtkirche an der Regierung der Gesamtkirche beteiligen sollte. Deshalb gibt es im Vatikan Kommissionen, die in allen Verwal­ tungsstellen vertreten sind. Das sind alles Diözesanbischöfe von ir­ gendwoher, die sich natürlich ihre Reisen bezahlen lassen. Sie reisten dann – das trifft besonders auf die Bischöfe aus Ländern der Dritten Welt zu – nach Rom, aber dann weiter zu anderen persön­ lichen Terminen, und waren deshalb anfangs in den Kommissionen selten anwesend ... Ist die Forderung der Katholiken von der Basis, z. B. aus den Diözesanräten oder dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, nach Reformen, die mehr Mitspracherecht ermöglichen, berechtigt? Sie ist berechtigt, weil nur so mehr Engagement zu erreichen ist. Wovon lebt denn die Kirche in Deutschland? Doch von den Kirchensteuern. Wer zahlt die Kirchensteuern? Doch wohl nur zum geringsten Teil die Kleriker, sondern die Gesamtheit der katholischen Bevölkerung. Des­ halb muss diese Gesamtheit auch angemessen eingebunden werden. Das hat sicherlich auch zu tun mit der Art der Finanzverwaltung. Die Finanzämter überweisen die Kirchensteuern an die Diözesen. Und diese unterstützen dann die einzelnen Pfarreien. Die Hilfen kommen also von oben nach unten.

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Wie ist das in anderen Ländern? In den USA ist es genau umgekehrt. Die ganze Finanzmacht ist bei den Pfarreien. Dort werden die Beiträge und Zuwendungen der Familien wöchentlich eingesammelt. Da sind gewöhnlich die nummerierten Umschläge bereits vorbereitet: 1. Woche nach Pfingsten, 2. Woche nach Ostern usw. Und diese Umschläge werden dann mit der Kollekte eingesammelt. Die Pfarreien stützen dann durch ihre Abgabe die Diözesen, also von unten nach oben. Also könnte vielleicht die Überlegung von Papst Benedikt XVI., die Kirche solle sich von ihren Kirchensteuern und Pfründen trennen, ein Fortschritt sein? Mit dem Begriff „Entweltlichung“ hat Papst Benedikt XVI., meiner Meinung nach, Kirchensteuern und Pfründen, die bereits im II. Vati­ kanischen Konzil sehr eingeschränkt wurden, nicht abschaffen wollen, sondern es geht ihm um die geistliche Entweltlichung, die Befreiung der Kirche von weltlicher Verstrickung. Unsere deutsche Kirchensteuer hat ihre bedenklichen Seiten, aber sie hat in der Sicherung der eigenständigen Finanzkraft der Kirchen auch ihre großen Vorteile, die man abwägen muss.

7. Wozu eine 2000 Jahre erfolgreich existierende Kirche reformieren? Eines der am meisten und kontrovers diskutierten Themen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche ist: Muss es jetzt Reformen in der katholischen Kirche geben? Ecclesia semper reformanda! Die Kirche muss sich immer reformie­ ren, da sie ein lebendiger Organismus ist (und kein Museum) – und in einer sich ständig wandelnden Gesellschaften existiert. Wir als Kir­ che – wie übrigens auch die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kultur – dürfen uns also niemals ausruhend zurücklehnen. Da das Leben sich weiterentwickelt, würden wir uns automatisch „rück­ wärts“ bewegen. Ist denn nicht alles klar und deutlich von Jesus Christus festgelegt worden oder muss man seine Belehrungen als quasi „Muster“ verstehen, die auf

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die jeweilige Situation zugeschnitten werden müssen? Und birgt das aber nicht die Gefahr der Fehlinterpretation in sich, wie die Geschichte mehrfach belegt? Wir müssen da schon auf Jesus Christus als den Gründer der allge­ meinen (= katholischen) Kirche zurückgehen und die ganz eindeutige Beauftragung des Simon Petrus, „seine“ Kirche zu bauen (Jo 21/ Mt 16) in dessen Nachfolge ja die Päpste seit Linus (ca. 67), die Geschich­ te und viele Menschen, gute wie böse, an dieser Kirche „bauen“. Aber meiner Meinung nach sollten wir bedenken: Jesus wurde Mensch, aber er musste – um hier auf genau dieser Erde wirken zu können – nicht eine „allumfassende“, globale Menschheit annehmen, sondern eine ganz konkrete Menschennatur in einer ganz konkreten Zeitlichkeit. Er konnte ja nicht die Beschaffenheit des 21. Jahrhunderts annehmen. Deshalb ist, denke ich, die Behauptung falsch: Der Heiland hat zu die­ ser oder jener Frage nichts oder nichts Allumfassendes gesagt, also können wir da auch nichts machen – zum Beispiel bei der Frage der Frauenordination oder des Wahlsystems des Papstes. Dieser sympathischen Konsequenz folgend, hieße das zum Beispiel: Wenn Jesus das Abendmahl mit 12 Männern gefeiert hat, müssen wir heute nicht sagen, Priester dürfen nur Männer sein. Bedeutend wichtiger ist die unverzichtbare Aufgabe, das Mahl immer und überall und authentisch zu feiern, um durch dieses Brot des ewigen Lebens gestärkt zu leben. Ob das heilige Brot aber von einer würdigen Frauenhand oder einer priesterlichen Männerhand gereicht wird, erscheint mir zweitrangig. Ja, so könnte man es sagen. Jesus musste ein „offenes System“ schaffen. Und genau das hat er getan, wenn wir genau hinsehen. Wenn wir Men­ schen diese befreiende Offenheit immer wieder „zuklappen“, geraten wir in die Nähe der Schriftgelehrten und Pharisäer. Warum? Die Schriftgelehrten und Pharisäer haben gesagt: So steht es in der Thora und deshalb wird es genau so gemacht und daran wird nicht ein Tüpfelchen verändert – basta! Ist das aber nicht gerade die Stärke des jüdischen Volkes? Einerseits schon! Es gibt immer eine große Vielzahl von Möglich­ keiten. Und ich muss immer auswählen. Ich darf diese nicht leugnen. Das menschliche Leben ist wie eine Vielzahl von Türen. Immer, wenn

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ich durch eine Tür hindurchgehe, schließen sich auf dieser Ebene alle anderen. Dahinter ist aber wieder eine große Vielzahl an Türen. Wenn Gott nun Mensch wird, muss er menschlich handeln. Das heißt, er muss bestimmte Beschränkungen für seine menschliche Natur in Kauf nehmen. Es wäre aber nun falsch zu schlussfolgern, dass weil Jesus die­ se Begrenzungen in Kauf genommen hat, es nichts anderes gebe. Wenn ich dieses oder jenes im Moment nicht tun „kann“, heißt das nicht, dass ich es niemals tun kann. Was heißt das praktisch für die anstehenden Reformwünsche unserer Tage? Da gibt es eine Fülle von Wünschen. Ich greife nur einige Beispiele heraus. Die Frage nach dem Mitspracherecht des Kirchen-„Volkes“ ist vollkommen berechtigt. Da brauchen wir gar nicht so weit auf die An­ fänge der Urgemeinde zur Zeit des Paulus zurückzugehen. Aber zum Beispiel hat das Volk von Mailand 374 n. Chr. den Ambrosius zum Bi­ schof gewählt – nicht die Domkapitulare. Man muss diesen Punkt genau betrachten. Was ist am Petrusamt unverzichtbar? Die Garantie der Einheit! Wie aber diese Einheit des „Körpers Christi“ umgesetzt wird – das muss immer wieder neu durchdacht werden. Wenn ich Sie recht verstehe, heißt das: Reformen sind immer nötig, nur was reformiert wird, ist die Frage. Man darf keine Sprünge machen. Und alle müssen einbezogen wer­ den. Wir hatten Anfang der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts das II. Vatikanische Konzil. Dann kamen die deutschen Bischöfe zurück und verlangten, dass die neuen liturgischen Regeln zu einem bestimm­ ten Zeitpunkt eingeführt und umgesetzt würden! Und dann haben sie sich gewundert, dass das zum Teil schlecht funktioniert hat. Sie haben nach-konziliare Ziele mit vor-konziliaren Methoden umgesetzt. Das geht nicht. Und darunter leiden wir bis heute. Man hat die Menschen „nicht genügend mitgenommen“. Benedikt XVI. hat während der letzten Bischofssynode mit sehr deutlichen, man kann fast sagen, kritischen Worten geraten, „dass die Texte des II. Vatikanums endlich richtig studiert werden sollen und in die Praxis umgesetzt werden“. Was aber haben dann die Verantwortlichen in der Kirche in den seit dem II. Vatikanum vergangenen 50 Jahren

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versäumt? Oder enthalten die Texte des Konzils bereits die Reformvorschläge, um die in der heutigen Praxis gerungen wird? Oder sind diese für maßgebliche Verantwortliche so unbequem, dass sie „unter den Tisch fallen“? Seit dem Konzil haben die Verantwortlichen gemeinsam am Seil der Kirchenreformen gezogen – leider aber nicht immer in dieselbe Rich­ tung. Natürlich kann man über vieles verschiedener Meinung sein. Konzilstexte enthalten Richtungsbestimmungen und Anregungen. Die Umsetzung verlangt Detailarbeit. Die ist zu leisten! Mir fällt bei der Berichterstattung der Diskussionsrunden zwischen Deutscher Bischofskonferenz und Laienverbänden, etwa dem Zentralkomitee der Katholiken, bezüglich der im II. Vatikanum angesprochenen Frage der verstärkten Einbindung von Laien, eine sehr unterschiedliche Bewertung der Ergebnisse auf. Während Erzbischof Zollitsch jeweils von erfreulichen Fortschritten und Harmonie spricht, sind Töne der Enttäuschung, ja zum Teil bis an Wut und Ohnmacht grenzende Wertungen der Laienverbände unüberhörbar. Liegt das vielleicht genau daran, dass massiv eingreifende Veränderungen seitens konservativer Kirchenfürsten gar nicht gewollt sind? Gibt es konservative Kirchenfürsten in einem negativen Sinn? Ihnen ist doch die Bewahrung des Glaubens aufgetragen. Sie müssen „con­ servare“, bewahren. Aber es braucht doch Dialog. Wir dürfen nicht über Dialog reden, sondern müssen ihn miteinander praktizieren. Und das geschieht nach meiner Meinung zu wenig. Daher mag wohl auch die Enttäuschung vieler Menschen kommen. Was müsste konkret geschehen? Die Verantwortlichen müssen notwendige Reformen so durchführen, dass sie von den Gläubigen „innerlich“ akzeptiert werden können. Das sind längere Prozesse. Und die Kirche hat jahrhundertelang die Dinge zum Teil „einfach laufen lassen“. Das römische Messbuch ist von 1570 und galt bis nach dem Konzil. Dann hat man versucht, in einem Men­ schenalter die Entwicklung von 400 Jahren nachzuholen. Soll es über­ haupt gelingen, setzt das eine große Selbstlosigkeit bei den Bischöfen und Priestern voraus. Haben wir diese Selbstlosigkeit wirklich? Sollten die Zielvorgaben die „Anweisungen“ des hl. Vaters sein oder wäre das das Endprodukt eines Prozesses?

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Das ist ein allmählicher Prozess, dessen Gelingen auch wesentlich da­ von abhängt, welche Haltung die Bischöfe annehmen. Wenn wir jeden Bischof als Herrn von Gottes Gnaden ansehen, der die Meinungen vorgibt und auf andere Ansichten Rücksicht nehmen kann oder auch nicht, gibt es keine echte Weiterentwicklung. In diesen Bereich gehö­ ren zum Beispiel dringende Fragen einer kirchlichen Gerichtsbarkeit, die vom Bischof unabhängig ist. In der sonstigen Gesellschaft hat man das längst abgeschafft – lei­ der aber nicht in der Kirche. Welche Entwicklung ist also in welcher Richtung überhaupt zu erwarten? Der hl. Ignatius drückt das in seinen Exerzitien so aus: „Der Mensch ist geschaffen, um Gott zu dienen, ihm Ehrfurcht zu erweisen und ihn zu preisen. Alle anderen Dinge auf der Welt sind geschaffen, um dieses eine Ziel zu erreichen. Deshalb muss der Mensch alle Dinge so weit gebrauchen, wie sie helfen zu diesem Ziel – und nicht so gebrauchen, wie sie nicht helfen zu diesem Ziel.“ Das können Sie jetzt anwenden auf was immer Sie wollen: Fröm­ migkeits- und Liturgieformen, den Zölibat, das Frauenpriestertum oder was immer.In dem Moment, wo das Mittel zum Ziel wird, ent­ fernt sich die Entwicklung vom Eigentlichen. Das setzt natürlich voraus, dass man – wenigstens einigermaßen – in sich gefestigt ist. Sie spielen auf das Verhalten des Menschen an? Genau. Denn wenn ich selber in Unsicherheit und Selbstzentriertheit schwimme, brauche ich einen Zaun um mich.Und wenn dieser nicht reicht, dann noch einmal den Zaun um den Zaun. Und dann wären wir wieder genau beim Pharisäismus. Es ist unübersehbar, dass wir heute gerade wieder einmal eine Krise in der Kirche durchlaufen. Wohin steuert das Ganze? Wir werden immer in und mit Krisen leben müssen. Weil wir immer in Entscheidungssituationen leben müssen. Und da wird es immer so ausse­ hen, als wenn der „Wagen an die Wand fährt“. Denn sonst passiert wenig! Entschuldigung, wieso? Weil der Mensch sich zumeist nur dann entscheidet, wenn der Druck und die Dynamik so stark sind, dass er das muss.

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Wenn wir uns die Psalmen und heiligen Schriften anschauen, die ja Tausende von Jahren alt sind, bemerken wir, dass es fast immer Kri­ sensituation sind, die sie berichten. Aber – wir können beim aufmerk­ samen Studieren auch bemerken, dass der Optimismus überwiegt, dass es immer wieder zu einem Guten gewendet wird. Und so ist es hier und heute auch. Es wäre unverantwortliche Spekulation, zu behaupten, dass wir wissen, wie es weitergehen wird. Wir können auch nicht erkennen, wie Gott in dieser verfahrenen Situation seine Kirche schützen kann. Und doch tut er es. Woher nehmen Sie diese optimistische Gewissheit? Weil Gott es bisher immer getan hat durch alle Zeiten hindurch. Und weil er es zugesagt hat. Denken Sie an die unendlich vielen Krisen und Konflikte durch die 2000-jährige Geschichte hindurch. Darüber sind viele Bücher geschrieben worden. Überspitzt könnte man sagen, dass friedliche und geruhsame Zeiten eher die Seltenheit waren. Ich greife aus der Konfliktfülle nur 5 Beispiele heraus: Bereits zu Zeiten der Urgemeinde im 1. und 2. Jahrhundert hätten die römischen Kaiser das „kleine Licht des Christentums“ ja leicht „austreten“ können. Sie haben es versucht. Es gelang nicht! Oder sehen Sie auf den Investiturstreit (Streit um die Einsetzung der Bischöfe vom Papst oder vom Kaiser) im 12. Jahrhundert, als die Gefahr bestand, dass sich Papst und Kaiser gegenseitig vernichten, und damit, menschlich gesprochen, die Existenz der Kirche auf dem Spiel stand. Die Reformationszeit (16./17. Jh.) war auch so ein kirchliches „Be­ ben“, wo es möglich schien, dass sich die Kirchen mit Gewalt gegensei­ tig, zumindest für eine Weile, zerstören. Napoleon, der „große“ Kaiser der Franzosen, wollte die katholische Kirche vollkommen abschaffen. Seine Konfiszierungen waren ein enormer Aderlass. Auch er schaffte es nicht. Und vergessen wir letztlich nicht die erklärte Absicht der National­ sozialisten, die Kirche in eine arische, rassische Religionsgemeinschaft umzuwandeln und dadurch – wäre es gelungen – von ihrem göttlichen Ursprung zu trennen und in den Untergang hineinzureißen. Das klingt überzeugend, könnte aber immer auf glücklichen Umständen beruhen. Gott wirkt in „gewöhnlichen und glücklichen Umständen“, nicht so sehr im außergewöhnlichen Eingreifen. Deshalb glaube ich nicht, dass

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der Zufall regiert. Aber der Hauptgrund für mich ist, dass Gott es ver­ sprochen hat! Ich zitiere die Stelle aus dem Matthäusevangelium: „Ich aber sage dir: Du bist Petrus, Fels, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ Und Gottes Versprechen wurden bisher immer eingehalten, oft an­ ders, als wir es uns vorgestellt hatten, aber grundsätzlich immer! Es gelten da ja auch andere Zeitdimensionen. Gott ist treu – sich selber – und absolut zuverlässig in der Weise, dass er nicht erlaubt, dass seine ganze Schöpfung „an die Wand ge­ fahren wird“. Für uns in der Kirche und der Gesellschaft braucht es einen Realis­ mus, der die notwendigen Dinge anpackt. Und einen Optimismus, der vor lauter Realismus nicht die eigentlichen Realitäten vergisst. Also noch einmal ganz konkret, was sind Ihre Wünsche für Reformen in der katholischen Kirche? Ich wünsche mir: eine katholische, eine allgemeine Kirche, die bedeu­ tend mehr für Menschen da ist, auf sie zugeht, zuhört und nicht allzu viel mit sich selber beschäftigt ist. Die versucht Bürokratie abzubauen, Abläufe zu beschleunigen und zu erleichtern, im Sinne der Menschen. Eine Kirche, wo alle Repräsentanten mit Demut und Bescheidenheit daherkommen. Es müssen in absehbarer Zeit Lösungen kommen für geschiedene Wiederverheiratete, für unser Verständnis hinsichtlich der ungetauft Verstorbenen, für verheiratete Priester (ohne den Zölibat zu diskredi­ tieren), für Ungeliebte, denen Gottes Liebe vermittelt werden muss. Und Zölibat und Frauenpriestertum? Wie bereits angedeutet, hätte ich nichts gegen Priesterinnen, wenn sie berufen und hinreichend ausgebildet sind. Und der Zölibat für Priester beiderlei Geschlechts sollte meiner Meinung nach auf freiwilliger Ba­ sis bestehen. Wobei es Einschränkungen geben muss: Ordenspriester beiderlei Geschlechtes sollten im Zölibat leben, um ihre Christusnach­ folge in Gemeinschaft voll zum Tragen zu bringen. Dass aber jeder Gemeindepriester ehelos leben muss, wage ich zu bezweifeln.

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EXKURS i: Zum Tod und Wirken von Kardinal Carlo M. Martini Am 31. August 2012 verstarb eine der bedeutendsten geistlichen Führungspersönlichkeiten unserer Zeit, der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini SJ. Sie waren jahrzehntelang mit ihm arbeitsmäßig und freundschaftlich verbunden. Sie haben einmal gesagt, dass er „ein Geschenk an die Menschen, an die Kirche, an die Gesellschaft Jesu war“. Können Sie das bitte näher erläutern? Ja, der Tod von Kardinal Carlo Maria Martini ist ein großer Verlust für uns alle. Er war in jeder Hinsicht eine ganz außergewöhnliche Persön­ lichkeit. Wo haben Sie ihn kennengelernt? In meiner Zeit als Generalökonom der Gesellschaft Jesu in Rom. Er wirkte dort als Professor und Rektor des Päpstlichen Bibelinstituts, dann später als Rektor der Päpstlichen Universität Gregoriana. Was war das Besondere an ihm? Zunächst einmal war er ein sehr bescheidener Mensch. Ich erinnere mich, dass er mich in meiner Eigenschaft als Generalökonom der Ge­ sellschaft Jesu eines Tages fragte, ob er in seinen Dienstwagen als Erz­ bischof von Mailand eine Klimaanlage einbauen lassen könne oder ob das zu unverschämt sei. Was haben Sie ihm geantwortet? Ich war erstaunt über die Frage, weil viele andere Bischöfe gar nicht auf die Idee kämen, überhaupt einen Moment zu zögern, eine installieren zu lassen. Dann habe ich ihm versichert, dass die Klimaanlage in sei­ nem bischöflichen Wagen ganz gewiss die jesuitischen Armutsgelübde nicht verletzen würde. Er hat neue und wichtige Impulse gesetzt, die eher von der Gesell­ schaft und Politik erkannt wurden. Solche, die es den suchenden Men­ schen, besonders der Jugend, ermöglichten, einen tieferen Zugang zur Heiligen Schrift zu erhalten. In seinen zahlreichen Publikationen, be­ sonders in den Schriftmeditationen und Exerzitien, gelang es ihm, alt­ bekannte, essentielle Themen des christlichen Glaubens, wie Gehorsam, Beten, Leiden, Erlösung, Buße, Nachfolge Jesu Christi in neuer Tiefe zu enthüllen, nebulöse Auffassungen mit neuer Klarheit zu durchleuchten

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und so den Menschen den Weg der Nachfolge zu erleichtern. Er hatte die außergewöhnliche Fähigkeit, nichts in die Evangelien und andere Texte der Heiligen Schrift hineinzuinterpretieren, sondern herauszule­ sen, was – auf den ersten Blick verborgen – vorhanden ist. Berühmt wurden seine Meditationen zu den Evangelien: „Was al­ lein notwendig ist. Jesusnachfolge nach dem Lukasevangelium“ – oder „Ich bin bei euch. Leben im Glauben nach dem Matthäusevangelium“ – oder auch „Wer in der Prüfung bei mir bleibt. Von Ijob zu Jesus“ (sie­ he auch Literaturempfehlungen im Anhang). Können Sie bitte ein ganz konkretes Beispiel nennen? Nehmen wir die achte Meditation aus seinem Buch über das Matthäusevangelium über die Passion Jesu, „Über die Schwäche Gottes“. Alleine die Überschrift ist ungewöhnlich. Gott und Schwäche? Martini versucht sich dem Geheimnis der Passion Jesu anzunähern, „des Werkes Gottes schlechthin“. Dabei erspart er den Übenden nicht, einzutauchen in die grausame physische Gegenwart des Leidens Jesu. Er formuliert Sätze wie: „Die Passion, das Sterben Jesu, ist auf ihre Weise wirklich das Ende, der ‚echte‘ Tod Christi. Deshalb liegt zwi­ schen dem Tod und der Auferstehung ein wirklicher Abgrund. Erst nachdem wir das verstanden haben, können wir erfassen, wie sich die Macht Gottes vom einen zum anderen erstreckt.“ Ich meine, dass diese Tatsache selten in solcher Tiefe ins mensch­ liche Bewusstsein gerufen wurde wie hier bei Martini. Er war, wie zahlreiche Berichte belegen, ein mutiger Jesuit, der sich nicht scheute, anzuecken und heiße Eisen anzupacken. Ja, das stimmt. Er sah die wirklichen Nöte in der Zivilgesellschaft und der einzelnen Menschen und ging auf sie zu. Im Dezemberheft von „Stimmen der Zeit“ hat Dr. Andreas R. Batlogg SJ einige davon zusam­ mengefasst: „Zum Beispiel ließ er sich auf einem Forum mit Nicht­ glaubenden mit dem Bestsellerautor Umberto Ecco (‚Der Name der Rose‘) auf einen hochkarätigen Dialog ein: ‚Woran glaubt, wer nicht glaubt?‘ Auf dem Höhepunkt des Linksterrorismus vertrauten ihm Mitglieder der Brigate Rosse (der Roten Brigaden) ihre Waffen an. Er besuchte Terroristen im Gefängnis, taufte ihre Kinder, befürwortete die Zulassung bewährter Männer zur Weihe oder die Gemeindeleitung durch Frauen, stellte die Ablehnung der Pille oder die Vorrangstellung des Klerus in Frage.“

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Kardinal Martini hat kurz vor seinem Tode in einem Gespräch mit dem verdienstvollen österreichischen Jesuitenpater Georg Sporschill gesagt: „Die Kirche ist zweihundert Jahre lang stehen geblieben.“ Aber es gab doch das II. Vatikanische Konzil, angeregt von dem großartigen Papst Johannes XXIII. War das nicht ein durchgreifender Aufbruch? Martini hat recht, wobei ich mich jetzt hier nicht auf eine konkrete Jahreszahl festlegen möchte. Herr Kardinal Martini spricht aus seiner Erfahrung als Bischof, als Kardinal und als langjähriger Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen. Er meint wohl Fragen wie der Art und Ausbildung des Priesternachwuchses und der Priester und Bischöfe, der Ehemoral und ihrer Verkündigung, der Predigt und der Katechese, der Diözesan- und Kirchenleitung, der Beteiligung von Laien in allen kirchlichen Fragen und Wahlen. In einer Betrachtung zum Wirken Kardinal Martinis (siehe „Stimmen der Zeit“, Dezemberheft 2012) heißt es, „dass die faktische Gläubigkeit und die offizielle Glaubenslehre immer mehr auseinanderklaffen“. Ist es nicht das, was die verschiedenen um ihre Kirche besorgten Katholiken umtreibt? Und dass der Eindruck immer stärker entsteht, dass die offizielle Amtskirche gar keine tiefgreifenden Reformen, solche, die auf den Menschen zugehen, will oder diese sogar blockiert? Jedenfalls scheint es so und man tut nichts dagegen. Martini nannte das „die Angst als Regierungsprinzip“, und wo kirchliches Leben von Angst beherrscht ist, da mangelt es an Glauben und Hoffnung.

EXKURS ii: Zum Rücktritt von Papst Benedikt XVI. Pater Hillengass, wie haben Sie den Rücktritt des Papstes Benedikt XVI. aufgenommen? Haben Sie das erwartet? Was sind die „wirklichen“ Gründe? Die Zeitungen berichten seit einer Zeit über Intrigen gegen den Papst. Kann es sein, dass der Heilige Vater einfach „die Nase voll“ hatte? Oder ist die offizielle Begründung der Altersgebrechlichkeit der tatsächliche Grund? Ich glaube nicht, dass man den Papstrücktritt ein Jahrhundertereignis nennen kann, denn er ist ja fast ein Jahrtausendereignis. Der heilig­ gesprochene Papst Coelestin V. trat nach 5 Monaten und 5 Tagen, of­ fensichtlich durch die Dimension des Amtes überfordert, 1295 zurück – und wurde danach von seinem Nachfolger in einer Festung einge­ sperrt.

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Kardinal Martini während eines Gottesdienstes im Dom zu Mailand

Kardinal Martini mit Pater Hillengass

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Ich habe den Rücktritt nicht erwartet, sondern erhofft, allerdings nicht jetzt schon. Wenn Papst Benedikt nichts anderes getan hätte in den acht Jahren seines Pontifikates, würde er allein dadurch in die Ge­ schichte eingehen, denn es ist ein Durchbruch. Ich bin kein Augur, [Untersucher des Götterwillens im antiken Rom – d. Verfasser], sodass ich über wirkliche oder nicht wirkliche Gründe sprechen könnte, ohne mich in Spekulationen zu verlieren. Ich glaube aber, dass die Altersgebrechlichkeit, so wie sie der Papst subjektiv empfindet, der wirkliche Rücktrittsgrund ist. Die Empfindung dieser Gebrechlichkeit wird natürlich, wie bei jedem Menschen, durch eigene Erlebnisse mitbestimmt, in diesem konkreten Fall also vom Geheimnisverrat im eigenen Haus und der damit verbundenen Treulosigkeit, und dem Treubruch durch die Missbrauchshandlungen einer zwar kleinen, aber doch viel zu großen Zahl von Priestern, von denen jeder einer zu viel ist, die zu lange Miss­ achtung der Opfer in weiten kirchlichen Kreisen und die Behandlung der ganzen Missbrauchsaffäre in der Öffentlichkeit. Ferner das Schei­ tern der unendlich geduldigen Bemühungen um die Piusbrüder, das „Verdunsten“ des Glaubens, auch bei den Hütern und Mitarbeitern der Glaubensbewahrung im Vatikan, und schließlich, daraus resultierend, die Erkenntnis der eigenen Begrenztheit und Unfähigkeit zur Steue­ rung und Überwindung aller Widerstände und wohl auch Intrigen, wie sie in jeder größeren Organisation leider vorkommen, und vieles mehr. Ich glaube nicht, dass der Papst die Nase voll hatte, aber ich be­ merke eine große Müdigkeit ob all dessen, die auch von vielen Beo­ bachtern erkannt wird. Würden Sie eine Wertung des Pontifikates Benedikts XVI. wagen? Aus meiner Sicht hat der Papst vieles bewirkt, vor allem in der Ökume­ ne zu den Orthodoxen Kirchen. Im Hinblick auf die „Kirchen der Re­ formation“ in Deutschland war diese Wirkung geringer. Das lag aber auch an den übersteigerten (und von den Medien unrealistisch hoch­ getriebenen) Erwartungen in der Öffentlichkeit. Benedikt ist zögerlich vorgegangen, wie es seinem Naturell und sei­ ner professoralen Vergangenheit zu entsprechen scheint, und hat des­ halb seine Verwaltung nicht zu sehr beeinflusst. Er sagte mir einmal, dass er so gute Mitarbeiter habe, dass er ihnen vertraue und wenig hin­ terfrage. Deshalb hat er auch nicht, wie man so sagt, „hineinregiert“ oder „durchregiert“ und seine Sichtweisen nicht aufgezwungen.

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Papst Benedikt XVI. nach seiner Rücktrittserklärung am 11.2.2013 Foto: Radio Vatikan

Eine Wertung des Pontifikats Benedikts möchte ich im Moment nicht abgeben, denn das stünde mir nicht besonders gut an, da es zu früh für ein ausgeglichenes Urteil ist. Aller Kritik unserer kritikwü­ tigen Zeit zum Trotz scheint mir der Pontifikat Benedikts ein Erfolg gewesen zu sein, der im Nachhinein wohl auch anerkannt wird. Auch wenn zunächst Missverständnisse aufkamen, gelang es dem Papst immer wieder, scheinbare Misserfolge in Erfolge umzumünzen. Eigentlich bei allen schwierigen Pastoralreisen hat er schließlich sein Publikum für sich und seine Mission gewonnen. Sein phänomenales Personengedächtnis war ihm immer wieder eine Hilfe und sein, insbe­ sondere theologisches, Wissen ist unbestreitbar.

EXKURS iii: Zur wahl von papst franziskus I. Hat Sie die Wahl gerade dieses Papstes überrascht? Die Wahl hat mich überrascht, denn bisher war noch nie ein Jesuit ge­ wählt worden. Sie hat mich allerdings nur in Maßen überrascht, weil schon bei der Wahl von Benedikt den Informationen nach Bergoglio

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die zweithöchste Stimmenzahl hatte und nach Indiskretionen seine Wähler dann gebeten hat, für Benedikt zu stimmen, damit es nicht zu einer Blockade zweier Gruppen kommt. Wie können Sie sich das erklären, dass man gerade in dieser für die katholische Kirche komplizierten Zeit einen Jesuiten gewählt hat? Könnte das vielleicht mit dem Image der Jesuiten zusammenhängen, dass diese über eine exzellente Bildung verfügen? Zunächst haben die Medien berichtet, dass vielen Wählern die Zu­ gehörigkeit Bergoglios zur Gesellschaft Jesu nicht bewusst gewesen sei. Weiter scheint es so gewesen zu sein, dass Bergoglio in den Ge­ neralkongregationen mit seinen Interventionen eine sehr gute Figur gemacht hat. In diesem Zusammenhang könnte auch die Bildung ins Gewicht gefallen sein, denn Bergoglio hat zwar keinen Doktortitel, ist aber in Argentinien Theologieprofessor gewesen. Was könnte die Tatsache, dass die Kardinäle einen Jesuiten gewählt haben, für den Orden bedeuten? Mehr Aufmerksamkeit vielleicht? Öffentliche Aufwertung? Öffentliche Aufwertung bedeutet die Papstwahl für den Orden wohl nicht, mehr Aufmerksamkeit vielleicht, aber sicher auch kritischere Beobachtung vonseiten inner- und außerkirchlicher Kräfte. Könnte es bedeuten, dass der Jesuitenorden dadurch auch für junge Menschen wieder attraktiver wird? Wenn die Entwicklung des öffentlichen Interesses für den Papst wei­ tergeht, könnte vielleicht die Zahl der Berufungen ansteigen, vor allem im Hinblick auf das Engagement des Papstes und des Ordens für Ar­ mut und Bescheidenheit, wenn dies auch von uns allen stimmig gelebt wird. Was erwarten Sie von diesem neuen Papst? Ich erhoffe mir von diesem Papst einen wirksamen Einfluss auf mehr Schlichtheit und Bescheidenheit im kirchlichen Gehabe weltweit, mehr kirchliche Beachtung der Armen und Ausgegrenzten, mehr pa­ storale Volksnähe in einer offeneren Sprache und im Verhalten und bessere und dezentralere Verwaltungsstrukturen des Heiligen Stuhls und deren Umsetzung.

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8. Wer gehört zu Europa? Pater Hillengass, wie beurteilen Sie die Frage der Einwanderungspolitik von Ausländern nach Deutschland? Brauchen wir Ausländer hier? Wir sollten die Einwanderer willkommen heißen, aber nicht unter al­ len Umständen und nicht einen jeden und nach klar definierten Kri­ terien. Welche sollten das sein? Wenn ich die Entwicklung beobachte, so meine ich, dass wir die Frage der Immigration in Deutschland wohl weniger gut gelöst haben als die USA. Da gibt es natürliche Unterschiede. Die USA sind überwiegend durch Einwanderung entstanden. Die Ureinwohner hat man fast alle verdrängt oder umgebracht. Dies wird heute immer wieder offiziell be­ dauert. Die Deutschen gehen wegen der Vergangenheit des Nationalsozia­ lismus sehr vorsichtig an diese Immigrationsfrage heran. Jedoch kann man beobachten, dass wir eigentlich kein vernünftiges Einwande­ rungskonzept haben. Ich habe den Eindruck, dass die Mehrheit der Deutschen mit dem gegenwärtigen Zustand absolut unzufrieden ist, den Mund aber nur am Biertisch aufmacht. Und wenn sachkundige Experten wie Thilo Sarrazin oder Heinz Buschkowsky, Bürgermeister von Neukölln, der nur aus seiner tagtäglichen Praxis berichtet, Faktenbücher herausbringen, werden sie verunglimpft. Meinungsfreiheit nur für eine Seite? Irgendwann in den 50er Jahren hat man festgestellt, dass wir Arbeits­ kräfte in Deutschland brauchen und hat sie eingeführt, egal von woher. Das Denken war: Diese Gastarbeiter aus der Türkei, aus Italien und anderen Ländern sind ein paar Jahre hier und gehen dann wieder zu­ rück in ihre Länder. Man hat sich keine Gedanken gemacht, was das genau für die Menschen und ihre Familien bedeutet. In den USA ver­ schwinden bzw. verschmelzen die einzelnen, nationalen Minderheiten schrittweise im Gesamtgefüge des Landes zum „Wir Amerikaner“-Ge­ fühl. In Deutschland ist das anders. Da wirkt zum Beispiel der türkische Staat mit allen seinen Einrichtungen auf die in Deutschland lebenden Türken ein.

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Jüngstes Beispiel ist die Einweihung der Riesenbotschaft in Berlin. So etwas baut man nicht zum Spaß. Haben sich die Deutschen da ein „Trojanisches Pferd“ ins Land geholt? Die Italiener, Spanier, Portugiesen, Griechen, die damals kamen, sind inzwischen hier wohl integriert – weil sie das wollten. Mit der Mehrzahl der Türken gelingt das nur sehr schwer, warum? Die türkischen Einwanderer möchten sich in Deutschland ansiedeln, aber ihre nationalen Eigenheiten, im Privatleben, in den Familien, in den religiösen Traditionen, unverändert weiterleben. Natürlich ist all das verfassungsmäßig garantiert, führt aber zur Entfremdung oder je­ denfalls nicht zur Verheimatung. Diese Garantien scheinen mir einen Konsens vorauszusetzen, der oftmals fehlt und auch nur schwer einge­ klagt werden kann, wenn man nicht aufeinander zugeht und gemein­ sam unterwegs sein will. Die gastgebenden Deutschen müssten aber sicherlich auch ihren Schritt zur Öffnung tun. Und wir erleben ja gerade jetzt, neu entfacht durch die Studie des Innenministeriums, dass sogar manche der hier geborenen und aufge­ wachsenen jungen Türken sich gar nicht integrieren wollen. Warum kommen diese Menschen dann überhaupt hierher oder warum leben sie hier, wenn sie sich nicht integrieren wollen? Ich habe dafür nur eine Antwort: Es sind ökonomische Gründe. Denn die Anreize, die unser Sozialsystem, wie ich meine, allzu großzügig auf Kosten der Steuerzahler bietet, locken naturgemäß viele an. In den neuen Bundesländern finden sich bedeutend weniger Türken, weil diese Gegenden weniger attraktiv sind. Dafür gibt es allerdings mehr Vietnamesen, bedingt durch die besonderen Arbeitsbeziehungen zur ehemaligen DDR. In einigen Gegenden von Köln, Berlin, Bochum u. a. hört man kaum ein Wort deutscher Sprache. Sie sind wie Enkla­ ven völlig anderer Kultur und Lebensart innerhalb Deutschlands, die dazu nicht immer vom Geist friedlicher Toleranz, sondern gewollter Abkapselung, aggressiver Ablehnung unserer Demokratiewerte und in Deutschland überholtem, uraltem Stammesverhalten geprägt sind. Solche Enklaven innerhalb Deutschlands sind schwer im Blick zu be­ halten und können ein nicht ungefährliches Gewaltpotential bilden. Sie sollten nicht geduldet werden. Es scheint in Deutschland schwer zu sein, eine gesunde Mischung aus Kontrolle und Toleranz zu praktizieren. In Frankreich, der Schweiz oder Belgien wurde die Burka als Tradition der körperlichen Verhül­

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lung verboten. In Deutschland gäbe es einen Aufschrei über die Ge­ fährdung der Toleranz. Unterhalten Sie sich einmal mit deutschen Unternehmern, die in der Türkei oder Vietnam wirken, was die über ständige staatliche und private Intoleranz berichten können. Gäbe es davon nur 20% in Deutschland, wir wären wahrscheinlich übelst verschrien. Es gehört offensichtlich zur deutschen Mentalität, immer wegzusehen, wenn es unbequem wird, aber später, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen ist“ (um ein altdeutsches Bild zu gebrauchen), fragen sich Unzählige: Wie konnte es passieren? Wie konnte es z. B. geschehen, dass einer der Leibwächter von Bin Laden und der Top-Taliban-Terrorist Said Ballout beide jahrelang unerkannt in Bochum leben und in der Moschee Hass predigen konnten, während sie von unserer Sozialhilfe lebten? Es ist auch eine Tatsache, dass durch die zu lax gehandhabte Visa- und Einwanderungspolitik das Ausmaß an kriminellen Straftaten von Jugendlichen, besonders aus Balkanländern und der Türkei, erheblich zugenommen hat. Deutsche Rechtsbehörden (auf Kosten der Steuerzahler) werden jahrelang damit beschäftigt. Jüngstes Beispiel aus einer Vielzahl ist der Mord am Berliner Alexanderplatz durch einen Türken, der dann in sein Land abtauchte. Oder der jugendliche Mehmet, der in München ganze Stadtbezirke terrorisierte, bis er verschwand. Täglich gibt es neue Beispiele. Wie sollte man Ihrer Meinung Immigrationspolitik nach diesen Fehlern der Vergangenheit und gegenwärtigen Tendenzen gestalten? Zunächst scheint mir Ihr Bild zu einseitig an zweifellos negativen Beispielen. Davon abgesehen würde ich mir wünschen, dass eine Fa­ milie, die nach Deutschland kommt und hier dauerhaft leben will, spätestens in der 2. Generation integriert ist. Dazu gehört, dass diese Menschen deutsch sprechen, nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause. Ferner, dass sie die Grundlagen unserer Gesellschaft nicht mit Widerwillen akzeptieren, sondern innerlich annehmen und nicht zu unterlaufen suchen. Ein Kodex der Familienehre, der vielleicht seine Berechtigung in den ländlichen Gegenden der Türkei hat, kann nicht eins zu eins hierher übertragen werden. Das geht nicht und sollte auch nicht toleriert werden. Ich bin nicht dafür, derlei – aus unserer Sicht völlig inakzeptable – Verhaltensweisen über das Strafrecht zu behan­ deln, sondern sie müssten durch persönliche, innere Einsichten verän­ dert werden. Wir sind da viel zu „politically correct”, und das scheint oftmals ausgenutzt zu werden.

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Um einen falschen Eindruck zu vermeiden, die überwiegende Mehrzahl der Deutschen ist nicht pauschal gegen Ausländer. Jeder, der hier friedlich lebt, arbeitet, seine Steuern korrekt bezahlt und unsere Gesetze respektiert, ist herzlich willkommen. Diese Menschen sind eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Beide Seiten können sich gegenseitig „befruchten“. Aber solche Ausländer, die uns zwingen möchten, ihre Sitten und Gebräuche hier in Deutschland zu akzeptieren (siehe Kopftuch, Burka, Moschee in der Schule u. a.), die unsere großzügigen Sozialgesetze schamlos ausnutzen, sollten besser wegbleiben. Und spielen diese Erscheinungsformen – vielleicht ungewollt – nicht auch den Neonazis und anderen Extremisten, wie den rechtsextremen Burschenschaften, in die Hände? Nach der kürzlich von der FriedrichEbert-Stiftung durchgeführten landesweiten Untersuchung hat die Ablehnung von Ausländern in Deutschland, besonders im Osten, erheblich zugenommen. Die von Ihnen angeführte wachsende Quote der Ausländerfeindlich­ keit ist leider wahr. Allerdings gibt es auch zahlreiche Gegenbeispiele. Interessanterweise gibt es kaum Probleme mit Thailändern, Südame­ rikanern, Indern u. a. Die kochen zu Hause ihre Nationalspeise, aber sie integrieren sich ansonsten problemlos in die Gesellschaft. In diesem Zusammenhang muss man fragen: Gehört die Türkei überhaupt zu Europa? Nein, natürlich nicht! Das ist ein amerikanischer Wunsch und hat militärisch-strategische Hintergründe. Und es ist auch gar nicht zu leugnen, dass Türken, die in Istanbul oder Ankara wohnen, westliche Gewohnheiten leben, aber der überwiegende Großteil des Landes? Auch wenn die staatlichen Strukturen westliche Merkmale aufwei­ sen, bedeutet das nicht, dass die Mehrzahl der Menschen bisher auch nur einen Deut von ihren Traditionen abweicht. Deshalb können und sollen wir mit dem Land Türkei in jeder Hin­ sicht freundschaftliche Beziehungen auf der Basis gegenseitigen Re­ spekts pflegen. Aber in die EU gehört die Türkei meiner Meinung nach sicherlich nicht. Allerdings hat man lange Zeit unklar geredet und da­ durch falsche Erwartungen geweckt. Gehört Israel mit seiner ganz eindeutig westlich ausgerichteten Lebensform in die EU? In dem Moment, wo wir Israel in die EU aufnehmen, können mög­ licherweise sämtliche mediterranen Staaten, einschließlich des Liba­

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non und Syriens, mit gleichem Recht Forderungen stellen. Israel hat in jeder Weise eine Sonderstellung in der Welt. Einmal durch die be­ sondere Geschichte mit Deutschland, die uns ganz selbstverständliche Verpflichtungen auferlegt, was ja auch täglich und überall ins Bewusst­ sein gerufen wird. Man darf auch die Lasten, die von England und Frankreich in der Zwischenkriegszeit diesem Land und seiner Bevöl­ kerung aufgelegt wurden und die der Kern des Leides für Palästinenser und Israelis gleichermaßen sind, nämlich dass das gleiche Territorium unterschiedlichen Völkern zugesprochen wurde, nicht übersehen. Bei einer Aufnahme würden wir diesen Konflikt in die EU hineintragen – und zu den bereits zahlreich vorhandenen brisanten Problemen wei­ tere, wahrscheinlich unlösbare, hinzufügen. Wie ist das mit Osteuropa in Bezug auf eine Mitgliedschaft in der EU? Das ist in der Tat eine längst fällige Sache. Denn im Grunde ist die Russische Föderation mehr europäisch geprägt denn asiatisch. Durch die Denkrichtung, die über Jahrhunderte entwickelten Beziehungen zu europäischen Staaten, besonders Deutschland, Holland oder Fran­ kreich. Die Ukraine und Russland gehören in die EU. Das Problem ist, dass die finanziellen Aufwendungen, die zu einer Eingliederung nötig wären, zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei weitem die Kraft der EUStaaten übersteigen würden. Das sollte aber eine grundsätzlich posi­ tive Einstellung dazu nicht ausschließen, setzt allerdings zuvor große Schritte der Öffnung voraus. Auf lange Sicht kann die EU, meiner Meinung nach, nur mit diesen Ländern im Konzert der Weltmächte eine gleichwertige Rolle spielen.

9. Medien – die WELTMACHT? Zwischen Pflicht und Verantwortung Fernsehen, unzählige Zeitungen, Magazine, Buchverlage, Internet, Computer, Telekommunikation usw., eine riesige Flut von Informationen, die zur Verfügung steht oder über die Menschen „ausgeschüttet“ wird. Die Medien sind zu einer großen Macht geworden. Sie können jeden „fertig machen“. Ist der einzelne Mensch da überhaupt noch in der Lage, sich seine eigene Meinung zu bilden? Die Medien gibt es so global gesagt nicht. Man sollte differenzieren

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und von Zeitungen oder Radio oder Fernsehen, Internet, Telekommu­ nikation sprechen. Und dann gibt es ja auch noch die neuen, für jeder­ mann zu nutzenden digitalen Instrumentarien wie Twitter, Facebook, Blogger. Jedes bedient ein Spektrum und Interesse. Es geht gar nicht von den Medien aus. Medien bedienen das Publi­ kum. Sie wollen verkaufen. Aber Sie können das Denken und die Haltungen der Konsumenten zu einem nicht unbeträchtlichen Teil beeinflussen. Sind die Medien zu mächtig? Das alles ist fast unüberschaubar geworden. Kann man diese Form von Kommunikation überhaupt noch kontrollieren? Nur sehr schwer, denn es braucht auch die Freiheit auf rechtlicher Grundlage. Aber man kann und muss an persönliche Verantwortung appellieren und sie einfordern. Ist es aber nicht auch so, dass die Medien sehr gezielt auch Meinungen, z. B. in der Parteipolitik, oder Kaufbedürfnisse herausbilden können? Gewiss, aber zunächst einmal sind die Bedürfnisse da. Das ist sicher­ lich auch eine Wechselwirkung. Wenn also die Gesellschaft so „gestrickt“ ist, dass sie zum Beispiel meint, alles müsse über die Bürger laufen, und wenn diese Gruppe groß genug ist, darf man fragen: Wie groß muss denn eine solche Opposi­ tionsgruppe sein? Sind die lautesten Protestierer immer die Repräsen­ tanten der Mehrheit der Bürger? Ich denke nicht! Wir haben es bei der Volksbefragung zum Stuttgart 21-Bahnprojekt gesehen, auf Landesebe­ ne gesehen ist das Projekt befürwortet worden. Und dann haben einige immer noch behauptet, dass sie nicht befragt wurden. Die Frage ist immer: Wie viel Kompromissbereitschaft bringe ich auf? Warum werden in Deutschland ca. 50% aller Ehen geschieden? Zum guten Teil, weil diese Bereitschaft zum ausgleichenden Kompro­ miss fehlt. Wenn sie nicht vorhanden ist, entstehen Fronten. Und Medi­ en leben von solchen Fronten. Journalisten wollen weiterkommen und müssen „Fälle“ bringen, also untersuchen, hinterfragen, hineinbohren. Wie sollten dann IDEALMEDIEN aussehen? Das ist tatsächlich sehr schwer zu sagen. Es sieht nämlich von ver­ schiedenen Seiten jeweils unterschiedlich aus. Wenn ich zum Beispiel eine unerträgliche Situation habe, wie in Tunesien, Ägypten, Syrien, dann sind Medien eine wichtige Kraft,

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um darüber nicht nur zu berichten, sondern eine Situation sogar zum Kippen zu bringen. Wenn aber in einem anderen Land, wo die Ver­ hältnisse im Allgemeinen mehr oder weniger geordnet sind – und ich mich als investigativer Journalist an Einzelfällen abarbeiten muss, weil die natürlich immer existieren –, so eine Verallgemeinerung die­ ser singulären Fälle eintritt und das die Menschen negativ beeinflusst, dann dienen die Medien nicht der Gesellschaft. Aber wann wird es genau „schief “? Wann ist weiss nicht mehr weiss, sondern beginnt grau zu werden? Dieser Übergang ist schwer zu definieren. Kann man nicht auch ein wenig vorhersehen, welche Medien genauer reflektieren und welche dazu neigen, zu übertreiben oder absichtlich den Blick in eine andere Richtung zu lenken? Im Allgemeinen schon. Aber andersherum gefragt: Sind unsere Bi­ schöfe und Geistlichen immer gut vorbereitet, wenn sie Interviews ge­ ben oder in Talkshows gehen? Ich denke nicht. Es gibt sogar eigene Kurse dafür. Aber Diözesanbischöfe haben selten Zeit dafür. Kürzlich hätte ein einzelner Mensch in den USA durch die Ausstrahlung eines gehässigen und religiöse Gefühle zutiefst beleidigenden AntiMuslim-Films beinahe kriegerische Auseinandersetzungen von globalem Ausmaß provoziert. Wo sind die Grenzen? Darf ein Journalist oder ein Medium alles? Natürlich nicht! Das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Was be­ wirkt was? Ich bin der Auffassung, dass auch Journalisten, genauso wie Wissenschaftler, eine Verantwortung gegenüber dem, was sie ver­ öffentlichen, haben. Obwohl eine genaue Reaktion nicht immer ex­ akt vorhersehbar ist, kann man im Allgemeinen schon vorhersagen, was bewirkt wird. Die Motivation für die Veröffentlichung spielt eine entscheidende Rolle. Im Fall des Anti-Muslim-Machwerkes war es ja die beabsichtigte Wirkung, zu beleidigen und zu provo­ zieren Gibt es, kann es überhaupt neutrale Medien geben? Es gibt keine neutralen Medien. Sie bewirken immer etwas. Aber was und wo und bei wem, mit welchem Ziel? Darf man alles, was man kann? Da gibt es eindeutige moralische Grenzen, z. B. wenn die Wür­

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de von Menschen verletzt wird, weil sich Menschen ungefragt zu Rich­ tern über andere aufspielen. Gehören dazu nicht auch die meiner Meinung nach krankhaften „Leaks“-Enthüllungen, die Mode des Herumspionierens im Leben Einzelner, Organisationen oder sogar Regierungen mit dem Ziel der Aufdeckung privater oder öffentlicher „Geheimnisse“? Wer ermächtigt diese kranken Köpfe dazu? Das Argument, dass die Öffentlichkeit alles wissen muss, erscheint mir nicht nur fadenscheinig, sondern auch sachlich nicht richtig. Wird da nicht eine moralische Grenze erheblich überschritten? Sicherlich. Einzelne ermächtigen sich, in private oder öffentliche Do­ kumente oder Vorgänge, die besser der Geheimhaltung unterliegen sollten, einzudringen, sie in unverantwortlicher Weise an die Öffent­ lichkeit zu zerren – ohne die Konsequenzen überschauen zu können. Damit können Sie natürlich Karriere machen. Ich will damit grund­ sätzlich keineswegs investigativen Journalismus abwerten. Es gibt ge­ nügend Beispiele für seinen Nutzen, ja sogar seine Unverzichtbarkeit. Aber es braucht immer die selbstkritische Frage nach der Verhältnis­ mäßigkeit von Nutzen oder Schaden. Neuerdings gibt es das üble „gesichtslose“ Medium. Da kann ein anonymer Schreiberling eine bekannte und durch jahrzehntelange Arbeit hochgeachtete Ministerin beschuldigen, sie habe in ihrer 30 Jahre zurückliegenden Dissertation die zitierten Quellen nicht klar kenntlich gemacht. Hier mal abgesehen davon, ob die Beschuldigung der Wahrheit entspricht oder nicht, aber das Image dieser Beschuldigten ist zunächst einmal in der Diskussion oder gar beschädigt. Und was soll das heute, nach so einer langen Zeit, überhaupt noch bewirken? Wem nützt so etwas? Oder irgendein Schmutzfink schiebt die geachtete Frau eines ehemaligen Bundespräsidenten in das Rotlichtmilieu. Das ist Rufmord! Anonyme Anzeigen sollten nicht beachtet werden! Pater, wie kann sich ein Individuum oder eine Gesellschaft dagegen wehren? Denn das kann letztlich jedem passieren. Niemand ist fehlerfrei. Brauchen wir nicht neue und tiefer greifende Gesetze zum Schutz der Würde des Menschen? Die Würde ist ein hohes Gut. Tangiert das nicht auch den Aufgabenbereich der Kirche? Natürlich; vor allem aber die Gewissen. Nicht alles Nicht-Verbotene ist erlaubt oder gar geboten. Moral und Ethik werden nicht durch Gesetze

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bestimmt, sondern durch Gewissen. Gesetze sind äußerste Grenzen, aber keine Befreiung vom eigenen und persönlichen Gewissen. Wo haben die Medien Grenzen? Im Recht, im guten Geschmack, in der Vernunft. Das sind aber sehr schwankende Grenzen. Glauben Sie an die Vernunft? Auch wenn es unangenehm klingt, aber Sie können Geschmacklosig­ keiten und Entgleisungen nicht verhindern, es sei denn, dass Sie die Freiheit aufheben oder massiv einschränken, und auch dann nicht. Sie können auch die „Keule“ des Rechtes nicht immer bemühen. Weil diese nicht treffsicher ist. Sie können kein Gesetz so wasserdicht formulieren, dass ein findiger Anwalt sich juristisch nicht dazwischen­ klemmen kann. Was aber dann? Sind wir dann in der technischen Entwicklung nicht schon zu weit gegangen, sodass der Geheimrat Goethe recht behalten hätte, als er im Zauberlehrling schrieb: „Die ich rief, die Geister werd‘ ich nun nicht los.“ Deshalb sagen ja die Jesuiten, und nicht nur wir, dass Erziehung so wichtig ist. Unter anderem auch Erziehung zum guten Geschmack, zu einem stark ausgeprägten Empfinden des „Das Tut Man Nicht!“ Wenn Sie alleine nur die Länder innerhalb der EU betrachten, sind da die Auffassungen von „gutem Geschmack“ nicht sehr unterschiedlich? Sicherlich – aber was für eine Alternative haben Sie anzubieten? Mehr Kontrolle? Mehr Aufsicht? Einschränkung der Presse- und Meinungs­ freiheit? Das hatten wir auch schon. Das führt zu einem anderen Men­ schenbild. Nein, Erziehung könnte dazu führen, dass der Kunde Mensch be­ stimmte Medien einfach nicht kauft oder gebraucht. Denn bekanntlich ist der Kunde König!

10. Leben wir in einem apokalyptischen Zeitalter? Wann genau geht die Welt unter? Pater, es ist momentan viel die Rede vom apokalyptischen Zeitalter. Dabei werden bestimmte Bibelzitate verwendet, vor allem Matthäus 24,29: „Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern

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und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden!“ Oder Lukas 21,10: „Ein Volk wird sich gegen das andere erheben ... Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.“ Leben wir in dieser Periode der Endzeit? Es ist immer „Weltuntergang“! Eine Epoche geht unter, eine neue steigt auf. Und immer wird der Untergang der Welt prophezeit. Das war be­ sonders um die Jahrtausendwenden der Fall. Sie erinnern sich gewiss noch der Hysterie vor dem Übergang ins 21. Jahrhundert. Seit Jahrhunderten wird auch das Ende der Kirche vorhergesagt. Auch das ist auch nicht neu. Die Lage der Kirche war immer sowohl hoffnungsvoll als auch bedrückend. Sie sah sich immer, zum Teil ge­ waltigen, Widerständen ausgesetzt, oft sogar aus den eigenen Reihen. Wie viel Leid hat sie durchgemacht! Und doch gab und gibt es immer eine Weiterentwicklung. Aber warum ist das so? Ist die Kirche als „Leib Christi“ nicht mit besonderem Schutz versorgt? Das sicherlich, denn es heißt, „dass selbst die Hölle sie nicht verschlin­ gen wird“. Das heißt aber nicht, dass dieser Kirche Konflikte und mitunter heftiges Ringen erspart bleiben. Es gibt immer wieder Perioden, in de­ nen die Menschen „Babel-Türme zu bauen versuchen“, um sich an die Stelle Gottes zu setzen. Das durchzieht die ganze bekannte Geschich­ te und ist vielleicht in der Gegenwart mit besonderer Deutlichkeit er­ kennbar. Warum gibt es diesen Drang, wie Gott sein zu wollen? Weil die Menschen von Natur aus größer, bedeutender werden wollen und wohl auch müssen und dabei immer wieder maßlos übertreiben, sodass Größenwahn entsteht, und weil der Widersacher des Men­ schen, ganz gleich ob Sie ihn Teufel, Satan oder wie immer nennen, nicht aufhören wird, sie zu solchen Versuchen anzustiften. Das führt, wie die uns bekannte Geschichte zeigt, zur Selbstver­ nichtung. Und deshalb wird es immer auch die Aufgabe der Kirche sein, dem entgegenzuwirken – was oft zu Turbulenzen führt. Wie Papst Benedikt XVI. kürzlich mehrfach betonte, ist dieser Teu­ fel ja nicht ein sich im Philosophischen bewegendes Gedankenkon­

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strukt, sondern eine bis in die kleinste und feinste physische Realität eines jeden Menschen oder in menschliche Organisationen jeder Art hineinwirkende, aktive, subtile, aber äußerst gefährliche Realität. Die Kirche als „Leib Christi“, also nicht ein von Menschenhand geschaffenes Gebilde, sondern eine von Gott gewollte lebende und le­ bendige Einrichtung, hat ja unter anderem gerade auch hier die Auf­ gabe, Befreiung zu bringen von diesem scheinbaren Automatismus. Das ist ein Teilgrund, warum wir von „der guten Nachricht“ spre­ chen. Was kann der Einzelne tun? Reicht es, Mitglied der Kirche zu sein? Es ist sicherlich förderlich, sich in Gemeinschaft immer wieder gegen­ seitig zu bestärken, aber die Kirche kann nicht die ganz persönliche Auseinandersetzung, das ganz individuelle Ringen des Einzelnen, die­ sen „wider den Menschen als Geschöpf Gottes“ gerichteten Aktivitäten nicht zu folgen, ersetzen. Das würde zur Verminderung der Freiheit der Entscheidung des Einzelnen führen. Läuft nicht alles in sich wiederholenden Zyklen ab? Goethe sagte: „Nach ewigen, ehernen Gesetzen müssen wir alle unseres Daseins Kreise vollenden.“ Nein, die Geschichte der Menschheit belegt eine eindeutige Weiterent­ wicklung, oder nennen wir es Aufwärtsentwicklung. Nehmen Sie zum Beispiel die geistige Konstitution des Menschen vor 5000 Jahren und heute. Das sind keine immer gleichen Bewegungen, die sich wiederho­ len, also ein Kreis, sondern man könnte es eher mit einer sich aufwärts bewegenden Spirale vergleichen. Die Art der Bewegung mag so sein, dass sich Anfang und Ende immer wieder berühren – wohl aber in einer aufwärtssteigenden Dynamik. Da ist ein gewaltiger Fortschritt im menschlichen Verhalten be­ merkbar. So ist das Solidaritätsbewusstsein erheblich gewachsen. Der Mensch entwickelt Technik und Naturwissenschaften immer wei­ ter. Psychologie und Soziologie bringen immer neue Erkenntnisse, menschliches Leben wird immer mehr vernetzt. Durch das Internet steht stets eine Überfülle an Informationen zur Verfügung usw. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus in die Zukunft einer globalisierten Welt, die sich jeden Augenblick selber vielfach zerstören kann? Gott ist treu! Zunächst einmal sich selber, da er unveränderlich ist.

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Und die „Grundqualität“ Gottes ist Liebe. Und aus dieser Liebe ist er auch den Menschen, seinen Geschöpfen, treu. Was immer wir Men­ schen anstellen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass sich Gott seine Schöpfung und den Weltenplan, den er mit ihr hat, nicht vom Men­ schen kaputtmachen lassen wird.

Pater Hillengass als Priester durch die Jahrzehnte (oben: Pater Hillengass rechts)

Das habe ich niemals bereut!

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50 Jahre Priester – Goldenes Jubiläum – Würden Sie es noch einmal tun? 50 Jahre Priester! Das ist eine beachtliche Zeitspanne in einer turbulenten Periode deutscher und europäischer Geschichte. Wenn Sie darüber nachdenken, was kommt Ihnen so spontan in den Sinn dabei? Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich überhaupt keine Zeit habe, um darüber nachzudenken. Ich mache meine Arbeit – jeden Tag, den Gott mir schenkt. Vor dem Jubiläum und danach habe ich natürlich über mein Leben reflektiert. Da gibt es Erinnerungen und Reflexionen und ich lege mir meine Gedanken darüber zurecht. Ich weiß, dass der berühmte Karl Rahner, Ihr Lehrer, gesagt hat, dass die folgende Frage eigentlich nicht zulässig ist – trotzdem stelle ich sie: Würden Sie es noch einmal wagen, den Weg des Priesters zu wählen? Auf jeden Fall! Soweit man derartige hypothetische Aussagen über­ haupt machen kann und darf, sage ich voller Überzeugung und ohne lange zu überlegen: Ja! Unbedingt! Denn ich bin einen Weg gegangen, oder sagen wir besser, bin einen Weg geführt worden, der mir Segen und Zufriedenheit gebracht hat, sehr viele wertvolle Erfahrungen, un­ zählige Begegnungen in fast aller Welt, der mich täglich vor neue He­ rausforderungen stellte, der mich durch Höhen und Tiefen geführt hat. Und ich hoffe, dass ich auch einiges zu einer guten Weiterentwicklung in der Gesellschaft Jesu und darüber hinaus bewirken konnte. Die Ak­ tionen und Reaktionen zu meinem Priesterjubiläum deuten in diese Richtung. Doch, ich würde diesen Weg wieder gehen – sollte das möglich sein. Haben Sie phasenweise oder immer „die Hand Gottes“, also eine innere Führung, gespürt? Oder, noch genauer gefragt, haben Sie Gott gespürt? Nicht immer, – aber phasenweise doch. Wodurch haben Sie das „gespürt“? Das ist schwer zu beschreiben, weil es ein innerer Vorgang ist. Es ist ein sehr beglückendes Gefühl der vollkommenen Übereinstimmung zwi­ schen Idee, Frage, Entscheidung, Tun und Erfüllung. Und die kommt

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niemals alleine durch unser Wirken zustande, sondern immer aus der Gemeinsamkeit mit Gott. Und in einigen Fällen gab es auch unzweifel­ haft eindeutige Hinweise. Zum Beispiel? Ja, zum Beispiel bei der oben beschriebenen Entstehung des „LoyolaGymnasiums“. Zumeist aber habe ich Gottes Führung immer im Nachhinein emp­ funden. Warum bin ich Generalökonom des Jesuitenordens geworden? Weil unser General gerade dringend jemanden suchte und weil ich Betriebswirtschaft studiert hatte und kurz zuvor Rom besuchte – aus völlig anderen Gründen. Und warum habe ich BWL studiert? Weil ich mir den Knöchel ge­ brochen hatte und das sogenannte Terziat nicht machen konnte (spä­ ter habe ich es nachgeholt) und der damalige Provinzial gerade Ärger mit Rom bekommen hatte, weil er zu wenige Jesuiten für ökonomische Fachfragen ausgebildet hatte. Deshalb bat er mich Betriebswirtschafts­ lehre zu studieren. So kam ich dazu ... Und dann habe ich 22 Jahre recht erfolgreich in Rom wirken können. Also ich kann sagen, dass ich Gottes Führung bzw. Fügung im Nachhinein daran erkannt habe, dass Dinge zusammengekommen

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Pater Hillengass 2012 (Photo: Klausmann)

sind, die nach menschlicher Planung so nicht hätten zusammenkom­ men können. Oder wie der Philosoph Kierkegaard sagte: „Man kann das Leben nur vorwärts leben, aber verstehen erst nachher.“

Gebrechen und Selbstdisziplin Pater, wenn man Sie in Ihrem Alltag beobachtet, dann erlebt man niemals ein Wort oder gar irgendein Jammern über Ihre doch vorhandenen Gebrechen und Beschwerden, mit denen Sie seit Jahren leben müssen. Woher nehmen Sie die Kraft dazu ? Das ist eine Frage der Klugheit: In dem Moment, wo ich anfange, mich alt zu fühlen – bin ich alt. Und Jammern erleichtert eine Situation nicht, sondern verschlimmert sie, zumindest mental. Man muss sich halt einschränken und überwinden. Die jesuitische Ausbildung und Lebensweise erziehen und verlangen eine straffe Selbstdisziplin, auch wenn einem manchmal nicht danach zumute ist. Mein jahrzehntelanges Arbeiten erforderte oftmals bis an die Gren­ zen gehende Belastungen, die nur durch einen starken Willen zu be­ wältigen waren. In meiner Arbeit habe ich gelernt, dass Konsequenz den Gegner überwältigt. Denn z. B. die finanzielle Sanierung der Kurie war nur

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mit Konsequenz zu machen – Konsequenz in der Zielsetzung. Ferner: Von sich selber weg-denken – das ist eine große Hilfe!

Lebenssinn erfüllt sich im Tun für Andere Pater Hillengass, können Sie aus Ihren überaus reichen und vielschichtigen Lebenserfahrungen eine allgemein gültige Quintessenz für die Jugend formulieren? Oder einfacher: Worauf kommt es an im Leben? Wie können junge Menschen ihr Leben erfolgreich und zufriedenstellend gestalten? Was würden Sie empfehlen? Wenn ich das Erscheinungsbild großer Teile der Jugend betrachte, scheint mir zuallererst, dass sie ihre Tage und Nächte gerne mit „einem nervenaufreibenden, coolen Action-Kick“ erleben möchten. Das Le­ ben als Aneinanderreihung von „fun“. Sie konstruieren sich ihr Leben aus ihren von Mode und Zeiter­ scheinungen geformten und auf Reichtum, Konsumdenken, Ruhm und Ansehen ausgerichteten Wertigkeiten. Aber das alleine ist kein so­ lides Fundament. Andere lassen sich disziplinlos treiben. Richtiger wäre zu fragen: Was ist meine Aufgabe in diesem Leben? Wofür habe ich Talente und Qualitäten mitbekommen? Wo werde ich gebraucht? Wem kann ich mit meinen Fähigkeiten nützen? Also zuerst „von sich weg“ zu denken, Mensch für andere sein. Schaut man in die Biographien bedeutender und erfolgreicher Menschen aus Kirche, Wissenschaft und Kultur, findet man meistens genau diese Ausrichtung. Sei es freiwillig, sei es durch leidvolle Erfah­ rungen. Zu einem sinnvollen Leben gehört eine strenge Disziplin in den kleinen Ordnungen der Alltagspünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Streb­ samkeit. Das kann bis zu einem gewissen Teil durch Erziehung und Elternhaus vermittelt werden, erspart aber nicht das eigene Bemühen um Selbstdisziplin. Nicht mit einzelnen heroischen Aktionen – die formen nicht – sondern innerhalb der ganz gewöhnlichen, unschein­ baren, zum Teil sich wiederholenden, alltäglichen Aufgaben und Din­ ge. Wir Jesuiten versuchen ja nicht umsonst Gott in allen Dingen zu finden. Ich verspüre noch heute große Dankbarkeit für die durch Strenge und Ordnung geprägten Jahre in St. Blasien. Sie haben mich ganz ent­ scheidend geformt. Es mag sein, dass wir damals „überstreng“ erzogen wurden, heute scheint es mir aber oft das andere Extrem zu sein. Das

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Weiterforschen – Weiterlernen. Pater Hillengass in der Bibliothek der Deutschen Provinz der Jesuiten (Foto: Sagemüller)

Dynamikpendel der Zeit tendiert wahrscheinlich immer in das andere Extrem. Ideal wäre eine wohlausgewogene Mischung aus strenger Dis­ ziplin und Entspannung. Pater, verzeihen Sie diese nicht provokant gemeinte Frage: Was haben Sie von alledem? Sie haben kein Geld auf einem Bankkonto ansammeln können, kein Haus gebaut, Sie hinterlassen keine Nachkommen? Was ist Ihr Lohn? Diese Frage ist nicht neu. Schon im Neuen Testament wird sie von den Jüngern gestellt und von Jesus beantwortet ( Mt 19/27 ff). Mein Lohn ist die Hoffnung auf Gottes Gemeinschaft, Seine Liebe, Seine väterliche Annahme und die Freude der Gemeinschaft mit allen Menschen in Gottes Güte, Seinen Frieden. Was bleibt, Pater Hillengass ? Einige Erfolge, Dankbarkeit, Hoffnung und eine starke Gewissheit, vor allem mit der Schlussfolgerung: Leben lohnt sich! Leben mit An­ deren lohnt sich noch mehr! Leben für Andere erfüllt! Das Ende des Evangeliums ist die Aussendung der Apostel (Matthäus 28). Es dreht sich immer darum: Mach dich auf! Steh auf! Stell dich auf deine eigenen Beine! Fahr hinaus auf die hohe See! Dort ist vielleicht

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Undurchsichtigkeit und Unsicherheit – aber Jesu Wort gilt: „Ich habe die Welt überwunden!“ Deshalb kannst Du es auch!

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Auszeichnungen und Ehrungen von Pater Hillengass SJ 1951 1978 1995 2000 2004

Bayerisches Sportabzeichen Bundesverdienstkreuz I. Klasse Medaille „Pro Ecclesia et Pontifice“ Veröffentlichung und Widmung des Buches „Renovabis faciem terrae“ zum 70. Geburtstag Ehrenwürde (Dr. h. c.) der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Pater Hillengass erhält zum 70. Geburtstag das ihm gewidmete Buch „Renovabis faciem terrae“.

Überreichung der Ernennungsurkunde durch den Dekan Prof. Dr. Alois Schifferle (Foto: Renovabis)

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Literaturempfehlungen und Links Ignatius von Loyola: „Briefe und Unterweisungen“, übersetzt von Peter Knauer SJ, dt. Werkausgabe Bd. 1 (Würzburg: Echter Verlag, 1993) Ignatius von Loyola: „Gründungstexte der Gesellschaft Jesu“, übersetzt von Peter Knauer SJ, dt. Werkausgabe Bd. 2 (Würzburg: Echter Verlag, 1998) Ignatius von Loyola: „Geistliche Übungen“, übersetzt von Peter Knauer SJ (Würzburg: Echter Verlag, 1998) Rita Haub: „Die Geschichte der Jesuiten“ (Darmstadt: Primus Verlag, 2007) „Ignatische Impulse“, aktuelle Themen, bisher 54 Bände (Würzburg: Echter Verlag, ab 2004) Friedrich Spee SJ: „Cautio criminalis“, erstmals erschienen 1631 (digitale Fassung: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/) Eugen Hillengass SJ: „Über Geld“, Österreichische Ausgabe „Jesuiten“ (September 2012) Stefan Kiechle: „Die Jesuiten – Wissen, was stimmt“ (Freiburg: Verlag Herder, 2009) Bernhard Duhr: „Jesuiten-Fabeln“. Über unhaltbare Verleumdungen (Freiburg: Verlag Herder, 1904) Dekrete der 31.–34. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu (1997) Dekrete der 35. Generalkongregation der Gesellschaft Jesu (München 2008) Gianni La Bella/Martin Maier: „Pedro Arrupe“ (Freiburg: Verlag Herder, 2008), über den 28. Generaloberen der Gesellschaft Jesu, 1965–1981

literatur

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Karl Rahner: „Gebete des Lebens“ (Freiburg: Verlag Herder, 2012) Hans Küng: „Ist die Kirche noch zu retten?“ (München: Piper 2012) Carlo Maria Martini: „Wer in der Prüfung bei mir bleibt. Von Ijob zu Jesus“ (Freiburg: Verlag Herder 1991); Exerzitien zu den Evange­ lien des Neuen Testaments: „Ich bin bei euch. Leben im Glauben nach dem Matthäusevangelim“ (1985); „Und sie gingen mit ihm. Der Weg des Christen nach dem Markusevangelium“ (1983); „Was allein notwendig ist. Jesusnachfolge nach dem Lukasevangelium“ (1986).

Die Bibel als Ganzes, hier aber zum Nachlesen der besonders herausgestellten Abschnitte:

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2. Buch Mose (Exodus, 3, 14–16): Wer ist Gott? Prophet Joel 3, 1–5 (Neuer Geist) 1. Brief des Paulus an die Korinther, 13 (Über die Liebe) Brief des Paulus an die Römer 8, 12 (Über die unvollendete Schöp­ fung) − 1. Johannesbrief 4 − Lukas 1, 35 (Ankündigung der Geburt Jesu)

Aktuelle Informationen über Geist und Tätigkeiten der Jesuiten unter:

www.jesuiten.org www.jesuiten.at www.jesuiten.ch

www.radiovatican.com (Tägliche aktuelle Informationen zur Römischkatholischen Weltkirche – auch in deutscher Sprache), www.renovabis.de (Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Men­ schen in Mittel- und Osteuropa), www.alg-prizren.com (Asociation „Loyola-Gymnasium“ – einmaliges, mutiges und erfolgreiches Oberschulexperiement im Kosovo).

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Wie können Sie die guten Werke unterstützen?

Pater Eberhard von Gemmingen, Leiter der Projektförderung bei der Deutschen Provinz der Jesuiten in München. Wir Jesuiten in Deutschland brauchen die Solidarität und Hilfe von vielen guten Freunden. Wir brauchen die Begleitung unserer Werke in Seelsorge, Bildung, Sozialem durch Gebete, ehrenamtliche Mitarbeit und auch Beratung. Wir brauchen aber auch finanzielles Mittragen, da Ordensgemeinschaften in Deutschland keine Kirchensteuergelder erhalten. Aus diesem Grund pflegen wir seit Jahrzehnten einen Kreis der „Freunde der Jesuiten“, einen eingetragenen, gemeinnützigen Verein. Konkret brauchen wir die Hilfe vor allem für unsere Bildungseinrich­ tungen: die drei Gymnasien in Berlin, Bonn-Bad Godesberg und St. Blasien, die zwei Hochschulen in Frankfurt-Sankt Georgen und in München, für das gesellschaftspolitische Institut, für unsere Zeitschrif­ ten, für unsere Exerzitienarbeit – vor allem die in Dresden – für un­ seren Flüchtlingsdienst und anderes. Wer uns hilft, für uns um Leitung und Inspiration und gutes Ge­ lingen betet oder sich finanziell engagiert, unterstützt im eigentlichen Sinn nicht nur den Orden selbst, sondern die Menschen, die durch den Einsatz von vielen Jesuiten seelsorgliche Hilfe oder Rat und Beistand, materielle Unterstützung, aber vor allem auch Lebensorientierung durch Bildung erhalten. Für jede Spende schicken wir mit unserem Dankeschön eine Zu­ wendungsbestätigung (Spendenquittung). Erst recht freuen wir uns, wenn jemand in der Lage ist, unseren verschiedenen Stiftungen durch Zustiftung oder mit Nachlässen und Erbschaften zu helfen. Im Wesentlichen geht es um die Erfüllung urchristlicher Pflicht, um Solidarität von Menschen – für Menschen.

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Danksagung Ich möchte mich sehr herzlich bedanken für die zahlreichen Helfer, die zum Zustandekommen dieses Buches beigetragen haben. Mit be­ sonderer Dankbarkeit erlaube ich mir zu erwähnen: Seine Eminenz Herrn Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz, und Pater Stefan Dartmann SJ, Hauptgeschäftsführer von Renovabis, für die Freundlichkeit der Vorworte Pater Eugen Hillengass SJ für seine unendliche Geduld bei der Beantwortung selbst ungewöhnlichster Fragen Provinzial Stefan Kiechle SJ und Pater Superior Wolfgang Bauer SJ, stellvertretend für alle Jesuiten der Seestraße in München, für ihre herzliche Gastfreundschaft Pater Eberhard von Gemmingen SJ, Leiter Projektförderung, und Frau Brigitte Schmitt für die vielen konstruktiven Anregungen und Beiträge Pater Martin Maier SJ, für seine zahlreichen, wertvollen Hinweise beim Durchlesen Frau Dr. Rita Haub, Leiterin des Referates Geschichte und Medien der Deutschen Provinz der Jesuiten, für die Genehmigung des Abdruckes von kurzen textlichen Auszügen und Bildern aus ihrem richtungswei­ senden Bildband „Die Geschichte der Jesuiten“ Herrn Dr. Thomas Busch, Öffentlichkeitsreferent der Deutschen Pro­ vinz der Jesuiten, für seine Anregungen Pater Georg Schmidt SJ, Rom, für die Bereitstellung der Rom-Fotos (Kurie und Petersdom) Herrn Thomas Schumann, Öffentlichkeitsabteilung von Renovabis Freising, für das Bereitstellen zahlreichen Bildmaterials und seine engagierte Mitarbeit

196 Herrn Wolfgang Mayer, Verantwortlicher für Kommunikation am Kolleg St. Blasien (Schwarzwald), für die Zusendung der Kollegfotos Herrn Jürgen Schwarzbach, „Loyola-Gymnasium“ in Prizren, Kosovo, für die Beratung und die Bereitstellung aktueller Fotos Pater Andreas Batlogg SJ und Herrn Dr. Clemens Brodkorb, Karl-Rah­ ner-Archiv München, für die freundliche Genehmigung des Abdrucks der beiden Fotos von Hugo und Karl Rahner, sowie für die Genehmi­ gung von Auszügen aus „Stimmen der Zeit – Der unerhörte Kardinal“ Herrn Otto Klausmann für die fotografische Unterstützung während der Interviews und die Bereitstellung der Fotos Und nicht zuletzt danke ich dem Aschendorff Verlag in Münster und Herrn Dr. Dirk Paßmann für die höchst professionelle, freundschaft­ liche und herzliche Zusammenarbeit. Ernst Sagemüller

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Über den Autor Dr. phil. Ernst Sagemüller studierte Theologie, Kunst und Kultur der Weltreligionen sowie Kulturmanagement. Seit 30 Jahren mit Entwicklungshilfeorganisationen in Peru, In­ donesien, Indochina, Nepal, Israel, Nigeria leitend beim Aufbau von Bildungseinrichtungen und Kinderhilfen tätig. Aufbau von KulturBuchverlagen in Asien, Umwelt-Tourismus-Einrichtungen. Dr. Sagemüller schrieb zahllose Artikel für internationale Zeitungen und Journale über Kultur, Weltreligionen, Ethik und Umweltschutz. Er verfasste bisher 33 Bücher über diese Themenbereiche. Seit vielen Jahren unterhält er eine intensive geistliche Verbindung mit Pater Eugen Hillengass SJ.

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Personenverzeichnis Albert, Gerhard  10, 73 Ambrosius von Mailand, Bischof  159 Athenagoras, Patriarch  134 Aquin, Thomas von  133 Arrupe, Pedro  46, 50, 51, 53, 54, 95, 108, 139 Ballout, Said  173 Batlogg, Andreas R. 165 Benedikt XVI., Papst (bürg. Joseph Aloisius Ratzinger)  29, 55, 56, 77, 97, 134, 157, 159, 166, 168, 169, 170, 180 Breschnew, Leonid  58 Buschkowsky, Heinz  171 Calvin, Jean  131 Camus, Albert  36 Canisius, Petrus  107 Coelestin V., Papst (bürg. Pietro di Morrone)  166 Demuth, Dietger  79 Dezza, Paolo  53, 54 Doeme, Oliver Dashe, Bischof  140 Duhr, Bernhard  107 Ecco, Umberto  165 Erhard, Ludwig  147 Filbinger, Hans  32 Franke, Bernd  79

Franziskus I., Papst (bürg. Jorge Mario Bergoglio)  169, 170 Frielingsdorf, Karl  116 Geißler, Heiner  31 Gemmingen, Eberhard von  81, 84, 85, 87 Göring, Hermann    20 Happel, Walter  141 Haub, Rita  108 Heidegger, Martin  36 Hirschmann, Johannes  43 Hitler, Adolf  18, 23, 123, 153, 154 Johannes Paul II., Papst (bürg. Karol Józef Wojtyla)  29, 54, 55, 56, 58, 60, 96, 108, 119, 134 Johannes XXIII., Papst (bürg. Angelo Giuseppe Roncalli)  166 Kiechle, Stefan  108 Kohl, Helmut  23, 145 Kolvenbach, Peter-Hans  50, 53, 54 Konstantin der Große, Kaiser    155 Krauss, Heinrich  41 Küng, Hans  137 Lehmann, Karl Kardinal  62, 76, 77, 78 Linus, Papst  158 Lopez, Joaquin Lopez y  86 Loyola, Ignatius von  10, 12, 83, 90, 94, 95, 97, 101, 106, 109,110,

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111, 112, 113, 115, 144, 148, 161 Luther, Martin  97, 130, 131 Martini, Carlo Maria Kardinal  164, 165, 166, 167 Mayer, Rupert  72 Medici, Katharina von  106 Meisner, Joachim Kardinal  76 Müller, Franz Xaver  94 Napoleon (Bonaparte)  162 Nell-Breuning, Oswald von  43 Neuhäusler, Johannes, Weihbischof    38 Paul III., Papst (bürg. Alessandro Farnese)  95 Paul VI., Papst (bürg. Giovanni Montini)  108, 134 Pfeiffer, Christian  92 Pius IX., Papst (bürg. Giovanni Maria Mastai-Ferretti)  128 Pius XI., Papst (bürg. Achille Ratti)  95 Pot, Pol  152 Prinz, Franz Xaver  43

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Rahner, Hugo  35 Rahner, Karl  35, 36, 37, 76, 118, 125, 129, 184 Ricci, Matteo  94 Sarrazin, Thilo  171 Sartre, Jean-Paul  36 Schneider, Nikolaus  132 Schwarz, Leo, Weihbischof  62, 63 Spee, Friedrich von  106 Sporschill, Georg  166 Stalin, Josef  154 Straaten, Werenfried van  63, 72 Swiatek, Kazimierz  69 Teresa (Mutter Teresa; bürg. Agnes Gonxhe Bojaxhiu)  127 Übelmesser, Joseph  64 Villanueva, Alfredo  77 Wallraff, Hermann Josef  43 Xavier, Franz, Hl.  95, 102 Zdarsa, Konrad, Bischof  155 Zollitsch, Robert, Erzbischof  160 Zwingli, Ulrich  131