Gott im Widerspruch?: Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik [Reprint 2011 ed.] 3110173778, 9783110173772, 9783110882360

Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Grundlegung der theologischen Apologetik leisten. Sie sucht dabei die Gren

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Gott im Widerspruch?: Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik [Reprint 2011 ed.]
 3110173778, 9783110173772, 9783110882360

Table of contents :
Die Aufgabe
Teil 1: Notwendige Klärung im Vorfeld der Untersuchung des apologetischen Verfahrens: Die Vierfachheit des göttlichen Wirkens
Vorbemerkung
I Die Grundprobleme des theologischen Monismus
Vorbemerkung
A Der evolutionäre Monismus (F. D. E. Schleiermacher)
0. Vorspiel in Barby
1. Der monistische Ansatz Schleiermachers
1.1 Die Voraussetzungen in den Prolegomena: Die Frömmigkeit als das Gefühl der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz
1.2 Evolutionärer Monismus
2. Die Lehre von der Sünde und der Gnade innerhalb der Grenzen des evolutionären Monismus
2.1 Die Sünde als Element der gesetzten Entwicklung des Lebenszusammenhanges
2.2 Person und Werk Christi
3. Einheit statt Differenz
B Die Transformation des evolutionären Monismus in den Gnadenmonismus (K. Barth)
1. Die Unterscheidung zwischen Menschenwort und Gotteswort
2. Barths noetische Implikation und ihre ontologische Fundierung
2.1 Jesus Christus als ratio essendi
2.2 Der noetische „Gewinn“
3. Probleme der Barthschen Ontologie
4. Evangelium und Gesetz
II Die theologischen Fundamentalunterscheidungen und ihre Konsequenz für die differenzierte Bestimmung des Wirkens Gottes
Vorbemerkung
A Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung
1. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln
2. Die Schöpfung als Möglichkeitsbedingung für Sünde und Erlösung
3. Offene Fragen
Exkurs 1: Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion: Einheit statt Differenz?
1. Die Trinitätslehre im Rahmen der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung
2. Das Nivellieren der Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion
2.1 Denkbarkeit Gottes
2.2 Die Entfaltung eines einfachen göttlichen Wirkens
2.3 Einblicke in das innertrinitarische Beziehungsgeschehen
3. Die Grenze der Trinitätslehre
3.1 Widerspruch gegen die Behauptung der Einheit des Handelns Gottes
3.2 Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums“?
3.3 Verzicht auf die trinitätstheologische Spekulation?
3.4 Fazit
Exkurs 2: Die Frage nach der Schöpfungsmittlerschaft Christi: Das Sein des Menschen Jesus als ewiges Sein bei Gott?
1. Die Funktion der Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi
2. Das problematische Verständnis der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi
3. Verzicht auf das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft?
4. Die Intention der biblischen Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi
5. Die Schöpfungsmittlerschaft als Prädikation des logos asarkos?
6. Fazit
B Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
0. Vorbemerkung
1. Die Nivellierung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Barth
2. Paulus gegen Barth
3. Das Gesetz als Heilsgabe – nötiger Widerspruch zu Paulus?
3.1 Die Rehabilitierung des hebräischen Altertums
3.2 Die Rehabilitierung des biblischen Kanons
3.3 Die Rehabilitierung des Judentums
4. Der Ort des paulinischen Widerspruchs zum alttestamentlichen Gesetzesverständnis
5. Der Grund des paulinischen Widerspruchs
6. Die paulinische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in den Bahnen alttestamentlicher Einsichten
7. Abschließender Widerspruch zur Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium: Die Unmöglichkeit der Identifikation von Gesetz und Evangelium als Form und Inhalt
8. Folgerungen
8.1 Das Gesetz als opus alienum: Das Gesetz in Diensten des Evangeliums oder die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium?
8.2 Gesetz und Schöpfung
8.3 Abschließende Bemerkung zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium: Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Aufgabe der theologischen Gotteslehre
C Grenzen des Sagbaren: Die Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus
1. Der Sinn der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes
2. Lozierung der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes
3. Der deus absconditus in den monistischen Konzeptionen
3.1 Die Allkausalität als Strukturprinzip (Schleiermacher)
3.2 Der deus absconditus als deus revelatus (Barth)
4. Folgerung: Gottes verborgenes Wirken als Grenzbegriff der theologischen Erkenntnis
D Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns
1. Die sich aus den Fundamentalunterscheidungen ergebende vierfache Bestimmung des Wirkens Gottes
1.1 Irreduzibilität
1.2 Bezogenheit
1.3 „Ungleichmäßigkeit“
1.4 Einheit
2. Folgerungen
2.1 Allkausalität als Strukturprinzip?
2.2 Die Trinitätslehre als offenes Problem
3. Folgerungen für die Apologetik
Teil 2: Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens
Vorbemerkung
I Apologetik als obsoletes Unternehmen: Einheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und des christlichen Glaubensbewußtseins (E. Hirsch)
1. Die beiden Angelpunkte: Allgemein-menschliches Wahrheitsbewußtsein und Glaubensbewußtsein
2. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein
2.1 Die Grundlagen des abendländischen Bewußtseins
2.2 Die verschiedenen Gestalten der menschlichen Wahrheit
3. Das christliche Glaubensbewußtsein unter den Bedingungen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins
4. Die Begegnung mit Christus
5. Die ethische Subjektivität
5.1 Wider jeder apologetischen Methode
5.2 Das „Gotterleiden“ als Kraft des Glaubens
5.3 Das Gotterleiden in Schöpfung und Sünde
6. Rückzug auf die Innerlichkeit
6.1 Die Prämissen der Theologie Hirschs
6.2 Die Problematik
II Zwischen Diastase und Korrelation
Vorbemerkung
A Die Methode der Korrelation (P. Tillich)
1. Die Absicht: Apologetik als apologetische Dogmatik – Die Bezeugung der biblischen Botschaft im Horizont der Situation
2. Die Durchführung: Die Methode der Korrelation
3. Die Voraussetzung der Methode der Korrelation
3.1 Vernunft und Offenbarung
3.2 Philosophie und Theologie – universaler und konkreter Logos
3.3 Der Glaube als absoluter Glaube – das Ergriffenwerden von der Tiefe der Vernunft
4. Die theologische Frage: Sünde und Gnade
4.1 Das Prinzip der Sünde
4.2 Das Prinzip der Gnade
5. Apologetik durch Entgegenständlichung der Theologie
6. Fazit
6.1 Die Sünde als strukturelle Verkehrung der Vernunft
6.2 Die Erlösung als neues Handeln Gottes
6.3 Die Eröffnung des Problemhorizontes
B Das Modell der Diastase: Die Unmöglichkeit der Anknüpfung an die Erfahrungen des existentiellen Daseins (W. Elert)
1. Die Absicht: Diastase statt Vermittlung – Die Entgegensetzung von menschlichem Selbstverständnis und dem Zeugnis von Christus
2. Die Voraussetzungen der Diastase
2.1 Wider der Verschmelzung mit dem allgemeinen Zeitbewußtsein
2.2 Der Widerstreit: Gesetz und Evangelium
3. Der Mensch unter der Verborgenheit Gottes
3.1 Urgrauen
3.2 Das Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes
3.3 Der bleibende Kampf
4. Jenseits von Dualismus und Apologetik
4.1 Diastase, nicht Dualismus!
4.2 Diastase, nicht Apologetik!
5. Elerts Gesetzesverständnis
5.1 Die Beurteilung der geschöpflichen Wirklichkeit im Horizont des Gesetzes
5.2 Unterbelichtung des schöpferischen Handelns Gottes als Möglichkeitsbedingung für Gesetz und Evangelium
5.3 Das Verhältnis zwischen dem anklagenden und verurteilenden Gesetz und der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes
6. Fazit
C Die Methode der Anknüpfung (P. Althaus)
1. Althaus, der Apologet – die Methode der „Anknüpfung“
2. Die Voraussetzungen der Methode der Anknüpfung
2.1 Gottes Handeln in Christus als Skandalon gegen die idealistische Idee aller Zeiten – Abwehr der Mäeutik
2.2 Gottes Zorn als Erweis seiner Gnade – Abwehr der Diastase
Exkurs 3: Althaus’ Modifikation der Lehre von Gesetz und Evangelium
3. Anamnesis: Die Methode der Anknüpfung
3.1 Die Uroffenbarung
3.2 Die Methode der Mäeutik: confessio, appellatio
4. Confessio und appellatio der Güte und der Verborgenheit Gottes
5. Die Methode der Anknüpfung und ihr Scheitern
5.1 Die Methode der Anknüpfung: Althaus zwischen Tillich und Elert
5.2 Das Scheitern der Methode der Anknüpfung
D Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen
1. Zusammenfassung
1.1 Die Unmöglichkeit der Identifikation von allgemeinmenschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein (Hirsch)
1.2 Die Unmöglichkeit der Korrelation und der Anknüpfung
2. Folgerungen
2.1 Die Unterscheidung zwischen Weltgegenwart und Heilsgegenwart Gottes
2.2 Die Unterscheidung zwischen der Weltgegenwart Gottes und dem natürlichen Erkennen der Weltgegenwart Gottes
2.3 Schöpfung und Gesetz als Gegenstand der menschlichen Erfahrung
2.4 Problemhorizont
III Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie
Vorbemerkung
A Apologetik als Eristik (E. Brunner)
1. Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie
1.1 Die Dogmatik als erste Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche
1.2 Die Eristik als andere Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche
2. Die dogmatischen Voraussetzungen
2.1 Das ursprüngliche Gottesverhältnis
2.2 Sündige Verblendung des ursprünglichen Gottesverhältnisses
2.3 Die Überwindung der Sünde
3. Brunners theologische Anthropologie und ihre apologetische Verifikation
3.1 Die Anthropologie als Ort der Auseinandersetzung zwischen der Offenbarung und der (verblendeten) Vernunft
3.2 Die Lehre vom Menschen
3.3 Das Programm der Eristik
4. Kritische Würdigung des Programms der Eristik
4.1 Eristik als Streit um die rechtmäßige Ontologie der Person
4.2 Kritische Auseinandersetzung
B Reformulierung des Konzeptes Brunners
1. Zusammenfassung der Problemlage und die sich von hier aus stellende Aufgabe der Reformulierung des Konzeptes Brunners
2. Apologetik als Deutung von Erfahrung
3. Die im Glauben implizierte Sicht der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und ihre apologetisch-eristische Verifikation
3.1 Die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes und ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben
3.2 Die Passivität als Strukturmerkmal humaner Personalität
4. Problemhorizont
C Fazit und Ausblick: Apologetik auf dem Felde der Anthropologie?
0. Vorbemerkung
1. Apologetik auf dem Boden der Anthropologie
2. Apologetik als Erweis der erhellenden Kraft des christlichen Glaubens
2.1 Die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende formal-ontologische Struktur humaner Personalität
2.2 Die Konfrontation des sündigen Menschen mit Gottes Gesetz
2.3 Verzicht auf eine Bewahrheitung des Christusgeschehens?
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Register

Citation preview

Michael Roth Gott im Widerspruch?

Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle · H.-P. Müller

Band 117

W DE

G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002

Michael Roth

Gott im Widerspruch? Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik

w DE

G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 2002

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutschs Bibliothek —

ClP-Einheitsaufnahme

Roth, Michael: Gott im Widerspruch? : Möglichkeiten und Grenzen der theologischen Apologetik / Michael Roth. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2002 (Theologische Bibliothek Töpclmann ; Bd. 117) Zugl.: Bonn, Univ., Habil.-Schr., 2000 ISBN 3-11-017377-8

© Copyright 2002 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Diskettenkonvertierung: Readymade, Berlin

Dem Andenken meiner Großmutter, Caroline Roth

Vorwort Die vorliegende Untersuchung ist die für den Druck durchgesehene Fassung meiner Habilitationsschrift, die die Evang.-theol. Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn unter dem Titel „Die Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens im Hinblick auf die Vierfachheit des göttlichen Wirkens" im Jahre 2 0 0 0 angenommen hat. Ich habe vielfach zu danken. Zunächst danke ich Herrn Professor Dr. Konrad Stock dafür, daß er mir als seinem Assistenten die Möglichkeit geboten und als seinem Schüler die Freiheit gelassen hat, die hier beschrittenen Wege zu gehen. Herrn Professor Dr. Günter Bader danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Oswald Bayer, Herrn Professor Dr. Wilfried Härle und Herrn Professor Dr. Hans-Peter Müller danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Theologische Bibliothek Töpelmann". Die Drucklegung wurde ermöglicht durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, wofür ich ebenfalls herzlich danke. Ein besonderes Bedürfnis ist mir, mich an dieser Stelle bei Herrn Rainer Goltz zu bedanken. Er hat nicht nur die mühsame Arbeit des ersten Korrekturlesens auf sich genommen, sondern hat mir darüber hinaus als kritischer und sachkundiger Diskussionspartner hilfreich zur Seite gestanden. Gewidmet ist diese Untersuchung dem Andenken des Menschen, dem ich mehr zu verdanken habe, als es sich in Worten ausdrücken läßt: meiner Großmutter, Caroline Roth. Bonn, im September 2 0 0 1

Michael Roth

Inhaltsverzeichnis Die Aufgabe

1

Teil 1: Notwendige Klärung im Vorfeld der Untersuchung des apologetischen Verfahrens: Die Vierfachheit des göttlichen Wirkens Vorbemerkung

6

I

7

Die Grundprobleme des theologischen Monismus

Vorbemerkung Α 0. 1. 1.1

1.2 2. 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3

Der evolutionäre Monismus (F. D. E. Schleiermacher) . . . Vorspiel in Barby Der monistische Ansatz Schleiermachers Die Voraussetzungen in den Prolegomena: Die Frömmigkeit als das Gefühl der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz Evolutionärer Monismus Die Lehre von der Sünde und der Gnade innerhalb der Grenzen des evolutionären Monismus Die Sünde als Element der gesetzten Entwicklung des Lebenszusammenhanges Die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt und die Ursündlichkeit der menschlichen Natur Das Von-Gott-Gesetztsein der Sünde Die Sünde als Bewußtsein der Sünde Die Lehre von der Sünde im Rahmen des evolutionären Monismus Person und Werk Christi Die Würde Christi: Die Urbildlichkeit Das Amt Christi: Repräsentation der menschlichen Bestimmung Jesus Christus: das Vorbild des Gleichmutes

7 8 8 11

11 18 24 24 24 28 32 37 38 40 41 43

X 2.2.4 2.2.5 2.2.6 3. Β 1. 2. 2.1 2.2 3. 4. II

Inhaltsverzeichnis Umbildung der Lehre von der Versöhnung und Erlösung Iustificatio pii Die Lehre von Person und Werk Jesu Christi im Rahmen des evolutionären Monismus Einheit statt Differenz

51 57

Die Transformation des evolutionären Monismus in den Gnadenmonismus (K. Barth) Die Unterscheidung zwischen Menschenwort und Gotteswort Barths noetische Implikation und ihre ontologische Fundierung Jesus Christus als ratio essendi Der noetische „Gewinn" Probleme der Barthschen Ontologie Evangelium und Gesetz

68 69 76 81 89

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen und ihre Konsequenz für die differenzierte Bestimmung des Wirkens Gottes

97

Vorbemerkung Α 1.

44 47

62 62

97

Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung 98 Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln 98 2. Die Schöpfung als Möglichkeitsbedingung für Sünde und Erlösung 102 3. Offene Fragen 105 Exkurs 1: Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion: Einheit statt Differenz? 107 1. Die Trinitätslehre im Rahmen der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung 107 2. Das Nivellieren der Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion . . 111 2.1 Denkbarkeit Gottes 112 2.2 Die Entfaltung eines einfachen göttlichen Wirkens 115 2.3 Einblicke in das innertrinitarische Beziehungsgeschehen . . 123 3. Die Grenze der Trinitätslehre 137 3.1 Widerspruch gegen die Behauptung der Einheit des Handelns Gottes 137 3.2 Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums"? 138

Inhaltsverzeichnis 3.3 Verzicht auf die trinitätstheologische Spekulation? 3.4 Fazit Exkurs 2: Die Frage nach der Schöpfungsmittlerschaft Christi: Das Sein des Menschen Jesus als ewiges Sein bei Gott? 1. Die Funktion der Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi 2. Das problematische Verständnis der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi 3. Verzicht auf das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft? 4. Die Intention der biblischen Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi 5. Die Schöpfungsmittlerschaft als Prädikation des logos asarkos? 6. Fazit Β 0. 1. 2. 3. 3.1 3.2 3.3 4. 5. 6. 7.

8. 8.1

8.1.1 8.1.2

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium Vorbemerkung Die Nivellierung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Barth Paulus gegen Barth Das Gesetz als Heilsgabe - nötiger Widerspruch zu Paulus? Die Rehabilitierung des hebräischen Altertums Die Rehabilitierung des biblischen Kanons Die Rehabilitierung des Judentums Der Ort des paulinischen Widerspruchs zum alttestamentlichen Gesetzesverständnis Der Grund des paulinischen Widerspruchs Die paulinische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in den Bahnen alttestamentlicher Einsichten . Abschließender Widerspruch zur Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium: Die Unmöglichkeit der Identifikation von Gesetz und Evangelium als Form und Inhalt Folgerungen Das Gesetz als opus alienum: Das Gesetz in Diensten des Evangeliums oder die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium? Die Frage „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes". Das Gesetz in Diensten des Evangeliums

XI 141 143 144 144 145 149 150 153 157 158 158 159 160 168 169 173 175 177 183 190

192 196

196 196 198

XII 8.1.3 8.1.4 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.3

C 1. 2. 3. 3.1 3.2 4.

D 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.2 3.

Inhaltsverzeichnis Die bleibende Fluchtbewegung: Die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium Fazit: Das Gesetz als opus alienum Gesetz und Schöpfung Der Ort des Gesetzes Gottes gesetzgebendes Wort und Gottes schöpferisches Wort Das Gesetz als das in der Schöpfung laut werdende Wort Gottes Abschließende Bemerkung zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium: Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Aufgabe der theologischen Gotteslehre . . Grenzen des Sagbaren: Die Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus Der Sinn der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes Lozierung der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes Der deus absconditus in den monistischen Konzeptionen . Die Allkausalität als Strukturprinzip (Schleiermacher) . . . Der deus absconditus als deus revelatus (Barth) Folgerung: Gottes verborgenes Wirken als Grenzbegriff der theologischen Erkenntnis Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns Die sich aus den Fundamentalunterscheidungen ergebende vierfache Bestimmung des Wirkens Gottes . . . . Irreduzibilität Bezogenheit „ Ungleichmäßigkeit" Einheit Folgerungen Allkausalität als Strukturprinzip? Die Trinitätslehre als offenes Problem Folgerungen für die Apologetik

199 200 202 202 205 206

208

212 212 213 215 216 219 223 224 224 224 226 229 230 230 231 233 236

Inhaltsverzeichnis

XIII

Teil 2: Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens Vorbemerkung I

1.

Apologetik als obsoletes Unternehmen: Einheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und des christlichen Glaubensbewußtseins (E. Hirsch)

238

240

6.2.3

Die beiden Angelpunkte: Allgemein-menschliches Wahrheitsbewußtsein und Glaubensbewußtsein 240 Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein 241 Die Grundlagen des abendländischen Bewußtseins 241 Die verschiedenen Gestalten der menschlichen Wahrheit . 245 Das christliche Glaubensbewußtsein unter den Bedingungen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins . . 251 Die Begegnung mit Christus 255 Die ethische Subjektivität 260 Wider jeder apologetischen Methode 260 Das „Gotterleiden" als Kraft des Glaubens 263 Das Gotterleiden in Schöpfung und Sünde 266 Rückzug auf die Innerlichkeit 267 Die Prämissen der Theologie Hirschs 267 Die Problematik 271 Religiöse Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins? 273 Der eigenständige Gehalt der christlichen Wahrheit: Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung 276 Das Evangelium als Überwindung 280

II

Zwischen Diastase und Korrelation

2. 2.1 2.2 3. 4. 5. 5.1 5.2 5.3 6. 6.1 6.2 6.2.1 6.2.2

283

Vorbemerkung

283

Α 1.

289

2. 3. 3.1

Die Methode der Korrelation (P. Tillich) Die Absicht: Apologetik als apologetische Dogmatik Die Bezeugung der biblischen Botschaft im Horizont der Situation Die Durchführung: Die Methode der Korrelation Die Voraussetzung der Methode der Korrelation Vernunft und Offenbarung

289 290 292 293

XIV 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 5. 6. 6.1 6.2 6.3 Β

1.

2. 2.1 2.2 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 5. 5.1 5.2 5.3

6.

Inhaltsverzeichnis Philosophie und Theologie - universaler und konkreter Logos Der Glaube als absoluter Glaube - das Ergriffenwerden von der Tiefe der Vernunft Die theologische Frage: Sünde und Gnade Das Prinzip der Sünde Das Prinzip der Gnade Das Sein Jesu Christi als Erscheinen eines Prinzips Salus propter Jesum Christum? Apologetik durch Entgegenständlichung der Theologie . . Fazit Die Sünde als strukturelle Verkehrung der Vernunft . . . . Die Erlösung als neues Handeln Gottes Die Eröffnung des Problemhorizontes Das Modell der Diastase: Die Unmöglichkeit der Anknüpfung an die Erfahrungen des existentiellen Daseins (W. Eiert) Die Absicht: Diastase statt Vermittlung - Die Entgegensetzung von menschlichem Selbstverständnis und dem Zeugnis von Christus Die Voraussetzungen der Diastase Wider der Verschmelzung mit dem allgemeinen Zeitbewußtsein Der Widerstreit: Gesetz und Evangelium Der Mensch unter der Verborgenheit Gottes Urgrauen Das Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes Der bleibende Kampf Jenseits von Dualismus und Apologetik Diastase, nicht Dualismus! Diastase, nicht Apologetik! Elerts Gesetzesverständnis Die Beurteilung der geschöpflichen Wirklichkeit im Horizont des Gesetzes Unterbelichtung des schöpferischen Handelns Gottes als Möglichkeitsbedingung für Gesetz und Evangelium Das Verhältnis zwischen dem anklagenden und verurteilenden Gesetz und der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes Fazit

303 307 311 311 318 318 321 325 329 330 335 338

342

342 344 344 350 354 355 358 364 369 369 373 376 377 378

381 383

Inhaltsverzeichnis C 1. 2. 2.1

Die Methode der Anknüpfung (P. Althaus) Althaus, der Apologet - die Methode der „Anknüpfung" Die Voraussetzungen der Methode der Anknüpfung Gottes Handeln in Christus als Skandalon gegen die idealistische Idee aller Zeiten - Abwehr der Mäeutik . . . . 2.2 Gottes Zorn als Erweis seiner Gnade - Abwehr der Diastase Exkurs 3: Althaus' Modifikation der Lehre von Gesetz und Evangelium 3. Anamnesis: Die Methode der Anknüpfung 3.1 Die Uroffenbarung 3.2 Die Methode der Mäeutik: confessio, appellatio 4. Confessio und appellatio der Güte und der Verborgenheit Gottes 5. Die Methode der Anknüpfung und ihr Scheitern 5.1 Die Methode der Anknüpfung: Althaus zwischen Tillich und Eiert 5.2 Das Scheitern der Methode der Anknüpfung 5.2.1 Die problematischen Voraussetzungen 5.2.2 Vergebliches Bemühen D 1. 1.1

1.2 1.2.1

1.2.2

1.2.3 2. 2.1 2.2

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen Zusammenfassung Die Unmöglichkeit der Identifikation von allgemeinmenschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein (Hirsch) Die Unmöglichkeit der Korrelation und der Anknüpfung . Die Parallelität zwischen der Behauptung der Identität von christlichem Glaubensbewußtsein und allgemeinmenschlichem Wahrheitsbewußtsein (Hirsch) und der Methode der Korrelation (Tillich) Der entscheidende Widerspruch Elerts: Der realdialektische Gegensatz von Gesetz und Evangelium und seine Bedeutung für die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Erfahrung des natürlichen Menschen und dem Inhalt der Botschaft von Jesus als dem Christus Der gescheiterte Versuch der Vermittlung (Althaus) Folgerungen Die Unterscheidung zwischen Weltgegenwart und Heilsgegenwart Gottes Die Unterscheidung zwischen der Weltgegenwart Gottes und dem natürlichen Erkennen der Weltgegenwart Gottes

XV 388 388 390 390 392 398 402 402 406 409 412 412 414 415 418 421 421

421 424

424

429 434 438 439 447

XVI

Inhaltsverzeichnis

2.3 2.4

Schöpfung und Gesetz als Gegenstand der menschlichen Erfahrung Problemhorizont

455 461

III

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

463

Vorbemerkung

463

Α 1.

464

Apologetik als Eristik (E. Brunner) Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie 1.1 Die Dogmatik als erste Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche 1.2 Die Eristik als andere Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche 2. Die dogmatischen Voraussetzungen 2.1 Das ursprüngliche Gottesverhältnis 2.2 Sündige Verblendung des ursprünglichen Gottesverhältnisses 2.3 Die Überwindung der Sünde 3. Brunners theologische Anthropologie und ihre apologetische Verifikation 3.1 Die Anthropologie als Ort der Auseinandersetzung zwischen der Offenbarung und der (verblendeten) Vernunft . 3.2 Die Lehre vom Menschen 3.2.1 Die formale imago: Die formal-ontologische Struktur des Menschen (das „Sein-für-die-Liebe") 3.2.2 Die ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz in Entsprechung und im Widerspruch zu ihrer Bestimmung 3.2.2.1 Materiale imago: Die der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz (das „Sein-in-der-Liebe") 3.2.2.2 Die der Bestimmung der Person widersprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz (Sünde) 3.2.3 Die in Christus ermöglichte Entsprechung zur Bestimmung geschöpflicher Personalität 3.3 Das Programm der Eristik 3.3.1 Der Ort der Eristik: Die Auseinandersetzung zwischen der sündigen Vernunft und dem Glauben auf dem Boden der Anthropologie

464 465 468 471 472 475 478 486 486 490 494

498

498

499 502 505

506

Inhaltsverzeichnis 3.3.2 3.3.3 3.3.3.1 3.3.3.2 4. 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.1.1 4.2.1.2 4.2.1.3 4.2.2 4.2.2.1 4.2.2.2 4.2.2.3 4.2.3 4.2.3.1 4.2.3.2

Β 1.

2. 3.

Die Methode der Eristik: Der Anknüpfungspunkt Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms in „Das Gebot und die Ordnungen" Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms in „Der Mensch im Widerspruch" Kritische Würdigung des Programms der Eristik Eristik als Streit um die rechtmäßige Ontologie der Person Brunners Einspruch gegen Barth: Die Unterscheidung zwischen Seins- und Erkenntnisprinzip Brunners Einspruch gegen Bultmann: Widerspruch gegen eine Übernahme der philosophischen Ontologie . . Der Streit um die Ontologie auf dem Felde der Anthropologie Kritische Auseinandersetzung Die Frage nach dem Ort der Anknüpfung Die Frage Barths: formale oder materiale Anknüpfung? . Die Methode der Anknüpfung Die Verschiebung von der formalen Struktur zum materialen Wissen als logische Konsequenz? Die Frage nach der Struktur der formalen imago Die Frage Barths: Bestimmung oder Struktur? Gebundene Freiheit bzw. verantwortliches Sein als Beschreibung einer formal-ontologischen Kategorie? . Ablehnung der Bewertung Barths Die Frage nach der sola gratia Die Frage Barths: die formal-ontologische Struktur humaner Personalität versus sola gratia? Das Verständnis der gebundenen Freiheit bei Brunner als Widerspruch zur reformatorischen Gnadenlehre . . . . Reformulierung des Konzeptes Brunners Zusammenfassung der Problemlage und die sich von hier aus stellende Aufgabe der Reformulierung des Konzeptes Brunners Apologetik als Deutung von Erfahrung Die im Glauben implizierte Sicht der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und ihre apologetisch-eristische Verifikation

XVII 509 515 515 516 519 519 519 522 526 528 528 528 530 533 534 534 536 540 542 542 544 548

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XVIII 3.1

3.2 4. C 0. 1. 2. 2.1 2.2 2.3

Inhaltsverzeichnis Die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes und ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben Die Passivität als Strukturmerkmal humaner Personalität Problemhorizont Fazit und Ausblick: Apologetik auf dem Felde der Anthropologie? Vorbemerkung Apologetik auf dem Boden der Anthropologie Apologetik als Erweis der erhellenden Kraft des christlichen Glaubens Die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende formal-ontologische Struktur humaner Personalität Die Konfrontation des sündigen Menschen mit Gottes Gesetz Verzicht auf eine Bewahrheitung des Christusgeschehens?

554 556 563

564 564 564 567 568 570 574

Anhang Abkürzungsverzeichnis Literaturverzeichnis Register

580 582 615

Die Aufgabe (1) Die Aufgabe, vor einem externen Forum Zeugnis abzulegen, erstreckt sich keinesfalls ausschließlich auf die Bereiche, die in den Verantwortungsbereich der institutionalisierten Sozialgestalt der Kirche fallen - zu denken ist hier vornehmlich an die gottesdienstliche Verkündigung sondern - nimmt man den protestantischen Begriff von Kirche ernst, der kein hierarchisches Lehr- und Leitungsamt kennt, sondern die Aufgabe der Kirche allen Gliedern der Gemeinschaft überträgt - auf alle Bereiche des Lebens, in denen Glaubende von ihrem Glauben Zeugnis ablegen. Die „Ghettoexistenz" (Hirsch) widerspricht dem Wesen des Glaubens; der Glaube verlangt, bekannt zu werden. Ist die „offene Gesellschaft" (Popper) gerade durch den Verzicht einer staatlich legitimierten einheitlichen Weltanschauung zugunsten einer staatlich garantierten Pluralität frei konkurrierender Weltanschauungen und Lebensorientierungen gekennzeichnet, so liegt hierin die Herausforderung für jeden Glaubenden: In einer öffentlichen Sphäre, in der - stillschweigend oder offen artikuliert - eine Pluralität von Weltanschauungen und Lebensorientierungen gelebt wird, ist von der christlichen Gewißheit ohne Scham Zeugnis abzulegen. Die Antwort auf die Frage, wo wir als Christen heute leben, ist - mit Herms formuliert - daher kurz: „mitten auf dem Markt" 1 . ,,[N]otwendig, unvermeidlich ist es für die Zeugen Jesu Christi [...] auf dem Markt zu stehen" 2 . (2) Dem Missionsbefehl entsprechend kann der 1. Petrusbrief (3,15) fordern3, allezeit bereit zur Verantwortung (άττολογία) gegenüber jedem zu sein, „Rechenschaft [zu] geben - jedem der Rechenschaft fordert" 4 . „Den Fragen gegenüber sollen Christen nicht ängstlich zurückweichen, sondern Rede und Antwort stehen" 5 . Apologetik - verstanden als wissenschaftlich-reflektierte Form der „Rechenschaft vom Glauben" vor 1 2 3

4 5

Herms, Mit dem Rücken an der Wand?, S. 4 9 0 . Ebd. So weist auch Barth darauf hin, daß die Sendung der Gemeinde die Fähigkeit verlangt, den Glauben zu verantworten (vgl. bes. KD I V / 3 , S. 9 9 8 ; KD 1/2, 7 9 8 ) . So Ott, Apologetik des Glaubens, S. 12. Schräge, Der erste Petrusbrief, S. 102.

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Aufgabe

einem externen Forum - ist somit eine notwendige Aufgabe der Theologie, insofern sich diese als Funktion des Glaubens begreift 6 . (3) Der Begriff „Apologetik" existiert in zwei verschiedenen Fassungen: Entweder meint er die (bloße) Darstellung des christlichen Glaubens im Unterschied zu anderen Weltanschauungen und Lebensorientierungen 7 , oder er meint die Plausibilisierung des christlichen Glaubens 8 , indem Auskunft darüber gegeben wird, was für die christliche Position (im Unterschied zu jenen anderen Positionen) spricht 9 . (4) Gegen den Versuch, den christlichen Glauben zu plausibilisieren, wurden und werden Bedenken vorgebracht: So vermutet Barth, daß bei diesem Unternehmen das Selbstzeugnis des Glaubens nicht zur Geltung gebracht werden kann 1 0 . In historischer Hinsicht konstatiert Eiert: Bei dem Versuch, Anerkennung vor dem F o r u m der modernen Weltanschauungen zu erlangen, ist es zu „Reduktionen und Restriktionen" in der Artikulation des Inhaltes des christlichen Glaubens gekommen 1 1 . In ähnlicher Weise diagnostiziert Doerne bei dem apologetischen Verfahren ,,ein[en] befremdliche[n] Mangel an Selbstgewißheit um die christliche und die theologische Sache, streckenweise beinahe eine methodische Suspension des Glaubensgehorsams" 1 2 . Die Apologetik ist - so 6

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Ist die Theologie eine Wissenschaft, „deren Teile zu einem Ganzen [...] verbunden sind durch ihre gemeinsame Beziehung auf eine bestimmte Glaubensweise" (Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen, § 1), so hat Schleiermacher zu Recht die Apologetik als eine notwendige Disziplin der Theologie bestimmt (vgl. a. a. O., § 32ff). Dieses Verständnis der Apologetik hat am deutlichsten Schleiermacher innerhalb der evangelischen Theologie vertreten (vgl. ebd). So die eindeutige Definition des Begriffs Apologetik in der vierten Auflage der R G G : „Die von Glaubensgemeinschaften unterschiedlich intensiv empfundene, in Form geeigneter Maßnahmen realisierte Notwendigkeit, eigene Überzeugungen, Handlungsweisen usw. gegenüber anderen, evtl. dominanten Weltanschauungen zu plausibilisieren" (Usarski, Art. Apologetik I, Sp. 6 1 1 ) . Insofern Pannenberg die christliche Religion innerhalb einer Theologie der Religionen und der Religion bewahrheiten will (vgl. ders., Wie wahr ist das Reden von Gott?, S. 29ff) und so die Rationalität in der Theologie nicht bloß auf den Nachweis des Zusammenhangs der einzelnen Glaubensinhalte untereinander beschränken will (vgl. ders., Die Rationalität der Theologie, S. 233ff), hat er dieses zweite Verständnis der Apologetik vertreten. Vgl. K D 1 / 2 , S. 5. Vgl. Eiert, Reduktion und Restriktion in der Dogmatik. - Elerts Geschichte der Apologetik im 19. Jahrhundert, Der Kampf um das Christentum, versucht den Weg nachzuzeichnen, den die Theologie zurücklegte, um in einer kulturellen Welt, die dem Christentum das Existenzrecht zu bestreiten sucht, zu einer Gewißheit um die Wahrheit des christlichen Glaubens zu gelangen. Doerne, Das unbewältigte Problem der Apologetik, Sp. 2 6 1 .

Aufgabe

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Trillhaas - „bereit, für die erbetene Zustimmung [...] jeden Preis zu bezahlen" 1 3 . Schließlich wird aber auch in prinzipieller Hinsicht gefragt, ob das Selbstzeugnis des Glaubens nicht jede Form der Plausibilisierung verbietet - aufgrund der Einsicht in die radikale Schuldverfallenheit des Menschen (Sünde) und der Unverfügbarkeit des Wirkens des Geistes. So liegt nach Barth in dem apologetischen Versuch ein Irrtum hinsichtlich der Sünde und des Unglaubens vor, der auch ein „pädagogischer Irrtum" 1 4 ist: „Der Unglaube und also die Nichterkenntnis Gottes [...] ist aktive Feindschaft gegen Gott und keineswegs eine liebenswürdig hoffnungsvolle Unerfahrenheit, die mit sanftem Wort über sich selbst belehrt werden könnte, um eben damit wenigstens an die Schwelle des Glaubens geführt werden zu können" 1 5 . Nehmen die apologetischen Versuche den Widerspruch des Menschen gegen Gott (im sündhaften Unglauben) als einen solchen ernst, der nur durch Gottes Wirken im Geist aufgehoben werden kann? Gerade für das Zustandekommen des Glaubens - und das heißt: für das Wirken des heiligen Geistes - gilt doch: Unverfügbarkeit 1 6 . Können die apologetischen Versuche dann - um eine Wendung Gestrichs in bezug auf Brunner zu benutzen - Ausdruck einer ernstlich auf den Hl. Geist zählenden evangelischen Theologie sein 17 ? (5) Auf der anderen Seite zeigt sich, daß auch die Beschränkung der Apologetik auf die bloße Darstellung des christlichen Glaubens - im Unterschied zu anderen Weltanschauungen - vor einem externen Forum ein in dieser Konsequenz gar nicht gangbarer Weg ist. Sie wird nicht umhin kommen, Stellung zu beziehen und Gründe anzugeben, was für den christlichen Glauben (im Unterschied zu anderen Weltanschauungen) spricht 18 . Eine andere Form der Darlegung des christlichen Glaubens ist gar nicht denkbar, ist der Glaube und seine Darlegung doch in eine Kommunikationssituation des Fragens und Antwortens hineingestellt 19 (6) Angesichts der Besorgnis einerseits, die der Begriff Apologetik auslöst, und der Notwendigkeit andererseits, den christlichen Glauben zu befähigen, sich in der öffentlichen Sphäre zu artikulieren, versucht die 13 14 15 16 17

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So Trillhaas, E i n f ü h r u n g in die Predigtlehre, S. 52. KD I I / l , S. 103. KD II/2, S. 104. So auch H e r m s , O f f e n b a r u n g und Erfahrung, S. 2 4 6 . Vgl. Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 381. Dies hat deutlich erkannt H e r m s , M i t dem Rücken an der W a n d ? , S. 4 8 8 . So zu Recht H e r m s , Art. Apologetik VI, Sp. 6 2 3 .

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Aufgabe

vorliegende Arbeit einen Beitrag zu leisten zu einer Grundlegung der Apologetik. Sie versucht, die Grenzen und Möglichkeiten des apologetischen Verfahrens zu bestimmen, indem sie es orientiert an der Vierfachheit des göttlichen Wirkens, von der der Glaube an Gottes versöhnendes Handeln in Christus zu reden nötigt. (7) Um dies zu tun, müssen in dem ersten Teil der Arbeit die Gründe namhaft gemacht werden, inwiefern die im Glauben erschlossene Einsicht in Gottes in der Geschichte des Lebens und Sterbens Jesu von Nazareth geschehene Überwindung des - kontingenten - menschlichen Widerspruches gegen die von Gott intendierte Beziehung zwischen Gott und Mensch dazu nötigen, zwischen Gottes schöpferischem Wirken, Gottes gesetzgebendem Wirken, Gottes erlösendem Wirken und Gottes schlechthin verborgenem Wirken zu differenzieren. Mit der vierfachen Bestimmung des Wirkens Gottes beabsichtigt dieser Teil diejenige kategoriale Bestimmung vorzunehmen, die für die Frage nach dem apologetische Verfahren nötig ist. Der Umfang dieser kategorialen Bestimmung als Klärung im Vorfeld der Untersuchung des apologetischen Verfahrens jedoch ist unübersehbar und erklärungsbedürftig: Das ursprüngliche Vorhaben, sie auf wenige Seiten begrenzt darzulegen, erwies sich als nicht möglich. Angesichts einer in der gegenwärtigen Theologie durchaus wirkmächtigen Tendenz, notwendige Differenzierungen zu überspielen, kam ich zu der Überzeugung, die Gründe für diese vierfache Bestimmung des Wirkens Gottes systematisch darzustellen. Der Vorteil dieser umfangreichen Vorbestimmung liegt auf der Hand: Sie ermöglicht die präzise Bestimmung des Standortes dieser Untersuchung und dient damit der Durchsichtigkeit der Argumentation. Im Hauptteil werden wir uns der Frage nach der Konsequenz der vierfachen Bestimmung des Wirkens Gottes für das apologetische Verfahren zuwenden. In Auseinandersetzung mit den Konzeptionen von Emanuel Hirsch, Paul Tillich, Werner Eiert, Paul Althaus und Emil Brunner werden wir versuchen, die Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens darzustellen.

Teil 1: Notwendige Klärung im Vorfeld der Untersuchung des apologetischen Verfahrens: Die Vierfachheit des göttlichen Wirkens

Vorbemerkung Der folgende erste Teil der Untersuchung beabsichtigt mit der Vierfachheit des göttlichen Wirkens diejenige kategoriale Bestimmung namhaft zu machen, die für die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahren nötig ist. Es gilt die Gründe dafür anzugeben, inwiefern der Rechtfertigungsglaube die Theologie - als das vom christlichen Glauben inaugurierte Denken - dazu nötigt, zwischen Gottes schöpferischem Wirken, Gottes gesetzgebendem Wirken, Gottes erlösendem Wirken und Gottes schlechthin verborgenem Wirken zu differenzieren. Das differenzierte Wirken Gottes gilt es daher im folgenden zu bestimmen, indem gezeigt wird, daß die christliche Anschauung von Sünde und Gnade nur zur Geltung gebracht werden kann, wenn die notwendigen Unterscheidungen zwischen Schöpfung und Erlösung, zwischen Gesetz und Evangelium und zwischen deus absconditus und deus revelatus gewahrt werden. Gerade diese Unterscheidungen nötigen dazu, das Wirken Gottes vierfach differenziert zu bestimmen. Hat Luther die Kunst des Unterscheidens in das Zentrum der Theologie gerückt 1 , so gilt es zu zeigen, daß eine Verfehlung der theologischen Unterscheidungskunst zu einer Verfehlung sowohl des Wesens der Sünde als auch der Gnade führt.

Vgl. W A 7, 502, 34; W A 7 40, 1.

I Die Grundprobleme des theologischen Monismus Vorbemerkung Ist der erste Teil der Arbeit dem Versuch gewidmet aufzuweisen, daß die christliche Anschauung von Sünde und Gnade nur durch eine differenzierte Bestimmung des Wirkens Gottes zur Geltung gebracht werden kann, so wenden wir uns im ersten Kapitel des ersten Teiles (I) dem theologischen Monismus zu, der dadurch definiert ist, daß er Gottes Handeln „einfach" bestimmt. Wir werden dies tun anhand des evolutionären Monismus Schleiermachers (A) und seiner Korrektur durch den Gnadenmonismus Barths (B). Gerade die Schwierigkeiten und Aporien des theologischen Monismus gilt es aufzuzeigen 1 .

Dabei ist a n z u m e r k e n , d a ß es keinesfalls d a r u m geht, den f u n d a m e n t a l e n Dissens zwischen Schleiermachers methodischem Rekurs auf das Glaubensbewußtsein und Barths Einspruch hiergegen zu überspielen (vgl. hierzu R o t h , Fundamentaltheologie als Schönheitslehre, S. 1 Off; ders., Evidenz u n d Gewißheit, S. 209ff). Im folgenden jedoch geht es nicht um diese Differenz, sondern um ihre jeweilige Bestimmung des Wirkens Gottes.

Α Der evolutionäre Monismus (F. D. E. Schleiermacher) 0. Vorspiel in Barby In einem Brief v o m 21. J a n u a r 1 7 8 7 an seinen Vater faßt Schleiermacher die G r ü n d e zusammen, die ihn zum Bruch mit der Brüdergemeine geführt und zum Entschluß, das Seminar in Barby, die Fakultät der Brüdergemeine, zu verlassen, bewegt haben 1 : „Ich kann nicht glauben, d a ß der ewiger, wahrer Gott war, der sich selbst nur den Menschensohn nannte; d a ß sein T o d eine stellvertretende Versöhnung w a r , weil er es selbst nie ausdrücklich gesagt hat und weil ich nicht glauben k a n n , d a ß sie nöthig gewesen; denn Gott k a n n die Menschen, die er o f f e n b a r nicht zur Vollkommenheit, sondern nur zum Streben nach derselben geschaffen hat, unmöglich d a r u m ewig strafen wollen, weil sie nicht vollkommen geworden sind" 2 . A m stärksten zum Ausdruck k o m m t Schleiermachers Position in seinem selbstbekannten „Zweifel gegen die Versöhnungslehre und die Gottheit Christi" 3 . Für seinen Vater ist Schleiermacher damit zum „Verleugner Gottes" 4 geworden. Kann Schleiermacher auch weder Gottes kontingent-geschichtliches Gnadenhandeln anerkennen, noch Gottes Verwerfungsurteil über die Sünde, so versucht er doch, den theologischen Gegensatz zu seinem Vater zu überbrücken: „Ist es nicht Ein Gott, der Sie und mich erschaffen hat und erhält und den wir beide verehren? W a r u m können wir nicht an einem Altar niederknien und zu unserem gemeinsamen Vater beten?" 5 Die Unitätsdirektion jedoch betrachtet die Anschauungen des jungen Schleiermacher nicht mehr als k o n f o r m mit ihren Lehren: Als drohende Gefahr für die anderen Seminaristen beschließt die Unitätsdirektion, Schleiermacher nur noch bis Ostern des Jahres in Barby zu dulden 6 . Doch das Urteil wandelt sich: Knapp 50 Jahre später sagt August N e a n d e r am Tage von Schleiermachers Tod zu 1

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Zur Zusammensetzung des theologischen Lehrkörpers in Barby und ihrer Methodik vgl. Kantzenbach, F. D. E. Schleiermacher mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, S. 18ff. Jonas/Dilthey, Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen Bd. I, S. 45. - Vgl. zu Entstehung, Verlauf und Folgen der Krise Schleiermachers in Barby ausführlich: Quapp, Christus im Leben Schleiermachers, S. 84ff. Quapp analysiert die diesem Brief an den Vater vorhergehende - für den Sachverhalt höchst aufschlußreiche - briefliche Diskussion Schleiermachers mit seinem Onkel Stubenrauch. Jonas/Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen Bd. 1, S. 53. Ebd. Ebd. Vgl. Quapp, Christus im Leben Schleiermachers, S. 88f.

Der evolutionäre Monismus (F. D. E. Schleiermacher)

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seinen Studenten: „Von ihm wird einst eine neue Periode in der Kirchengeschichte anheben" 7 . Zu Recht notiert Wenz hierzu: „Der ehemals verloren schien, wurde nun von vielen als ein Retter gepriesen, dem nicht zuletzt in der Lehre von Christus, wie seine ausgearbeitete Dogmatik sie entfaltet, das ersehnte Kunststück gelungen sei, den positiven Glaubensgehalt mit den Maximen der Wissenschaft zu versöhnen" 8 . Hervorzuheben ist zum einen der Widerspruch des jungen Schleiermacher gegen Gottes kontingent-geschichtliches Versöhnungshandeln (darin eingeschlossen sein Widerspruch gegen die Gottheit Christi) und seine Kritik an der Lehre vom menschlichen Verderben 9 : Weder kann Schleiermacher glauben, daß Gottes Tod eine stellvertretende Genugtuung war (s. o.), noch kann er glauben, daß Gott will, „daß wir hier schon ganz fehlerfrei werden sollen, denn das ist nicht möglich. Gott sieht, denke ich, auf das Herz; es kommt Ihm darauf an, ob wir uns wirklich Mühe geben, unsere Fehler abzulegen, ob wir unsere Kräfte dazu anstrengen" 10 . So faßt Quapp die damalige Tendenz des Schleiermacherschen Denkens kurz, aber treffend zusammen: „[Stellvertretende Versöhnung und Gottheit Christi leugnet er auf der einen Seite, auf der anderen mildert er die Lehre vom menschlichen Verderben und glaubt an eine Perfektibilität des Menschen" 11 . Daß Gott selbst in einem geschichtlichen Akt die Versöhnung herbeigeführt haben soll, ist für den jungen Schleiermacher ebensowenig vorstellbar, wie die Behauptung, daß Gott den Menschen schuldig spricht; denn der Mensch ist offenbar nicht zur Vollkommenheit geschaffen - wie kann Gott ihn dann strafen, wenn er nicht vollkommen ist12? So glaubt Schleiermacher an die „Perfektibilität des Menschen" 13 , an einen Prozeß der Vervollkommnung. Dieses prozessuale Denken Schleiermachers hat keinen Platz für Kontingenz: Weder kann Schleiermacher an einen Fall aus einer ursprünglichen Vollkommenheit glauben, noch an einen geschichtlich-kontingenten Akt der Versöhnung. Hervorzuheben ist aber zum anderen auch Schleiermachers Verlangen nach einem Ausgleich zwischen seiner Anschauung mit der christlichen Frömmigkeit. 1787 sind Schleiermachers Mittel hierzu noch ganz schlicht: Verehren wir nicht alle den gleichen Gott? Anders stellt sich die Lage dar, wenn man auf die Glaubenslehre blickt: In einem großartig in sich stimmigen Entwurf integriert Schleiermacher faßt alle Lehrstücke der Tradition. Schien Schleiermacher noch in den „Reden" eine der

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Zit. nach Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, S. 379. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit I, S. 367. Gerade hierin erblickt Quapp die Tiefenursache für Schleiermachers Krise (vgl. ders., Christus im Leben Schleiermachers, S. 88f). Jonas/Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen Bd. I, S. 65. Quapp, Christus im Leben Schleiermachers, S. 91. Vgl. Jonas/Dilthey (Hg.), Aus Schleiermacher's Leben. In Briefen Bd. I, S. 42f. So Quapp, Christus im Leben Schleiermachers, S. 87; vgl. auch a. a. O., S. 91.

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Die G r u n d p r o b l e m e des theologischen M o n i s m u s

christlichen Tradition fremde Sprache zu sprechen 1 4 , so zeigt der Schleiermacher der Glaubenslehre eine Versöhnung mit der christlichen Tradition. Die Absicht zu einer Versöhnung zwischen seiner Position und dem Gehalt des christlichen Glaubens w a r schon 1787 in Barby zu spüren - gelungen ist es ihm freilich hier noch nicht. Und so tauchte verständlicherweise die Frage auf, ob diese Versöhnung - die positive A u f n a h m e der meisten Lehrstücke der Tradition in sein dogmatisches Lehrgebäude - vielleicht vornehmlich Schleiermachers methodischem Geschick zu verdanken ist. So hegte schon Strauß den Verdacht, d a ß „hier mit den kirchlichen Ausdrücken nur noch gespielt" 1 5 wird. Tritt hier wirklich wie Lange formuliert - Schleiermachers „ M e t h o d e des dialektischen ,Gesprächs' zwischen eigener Position und kirchlicher D o g m a t i k " 1 6 hervor, oder dient Schleiermachers Gespräch immer schon der Umdeutung der kirchlichen Lehre, „füllt Schleiermacher" - wie Stephan vermutet - „die alten dogmatischen Formeln mit neuem Inhalt - wobei er freilich zuweilen in die N ä h e der spekulativen Umdeutung des Dogmas gerät" 1 7 ? So wirft Flückiger - ganz ähnlich dem Urteil Stephans - Schleiermacher vor, alle dogmatischen Formeln entweder zu eliminieren oder rigoros umzudeuten 1 8 . Bereits Kähler urteilt über Schleiermachers M e t h o d e scharf: „Schleiermachers Geschicklichkeit, denkend die verschiedenen Beziehungen der verschiedenen Begriffe zueinander aufzufinden, ihren Z u s a m menhang und ihren Unterschied, sie ist das, was seine bestrickende Virtuosität bildet. Über den Inhalt macht er sich nie viel Kopfzerbrechen. Er nimmt den Inhalt, wie er ihn findet; entweder ist es eine von ihm unabhängig konzipierte Anschauung, oder er nimmt die Ideen aus der Tradition. N u n fängt er an, sie dialektisch zu bearbeiten, bis sie in den Z u s a m m e n h a n g seines Denkens hineinpaßt" 1 9 . So ist es für Kähler selbstverständlich, „ d a ß hier mehr formales Geschick als wirkliches Verständnis für die Sache h e r a u s k o m m t " 2 0 . Der Vorwurf der Täuschung, der radikalen Umdeutung der Inhalte des Glaubens bildet d a n n auch den Hintergrund für Schlegels bekanntes Spottgedicht: „Der nackten Wahrheit Schleier machen ist kluger Theologen Amt und Schleiermacher sind bei so bewandten Sachen die Meister der Dogmatik insgesamt" 2 1 . 14

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So hat vornehmlich auf Schleiermachers Buch „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern" aus dem Jahre 1799 die theologische Verwerfung Schleiermachers gezielt (so zu Recht Birkner, Schleiermacher-Interpretation heute, S. 327). Strauß, Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der moderenen Wissenschaft dargestellt Bd. II, S. 326. Lange, Historischer Jesus oder mythischer Christus, S. 136. Stephan/Schmidt, Geschichte der deutschen evangelischen Theologie seit dem Idealismus, S. 105. Vgl. Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 181. Kähler, Geschichte der protestantischen Theologie im 19. Jahrhundert, S. 75. A. a. O., S. 76. Zit. nach Redeker, Einleitung des Herausgebers, S. XXXIV.

D e r evolutionäre M o n i s m u s (F. D. E . Schleiermacher)

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Im Verlauf unserer Auseinandersetzung mit Schleiermacher gilt es nun zu zeigen, daß Schleiermacher die Inhalte des christlichen Glaubens in ein System preßt, das diese Inhalte nicht zur Geltung zu bringen vermag, vielmehr nur in einer radikalen Umdeutung erträgt. Dabei wird sich zeigen, daß Schleiermacher gerade mit den Aussagen des Glaubens Schwierigkeiten b e k o m m t , die ihm schon in Barby größte Schwierigkeiten bereitet haben: mit christlichen Anschauung von Sünde und Gnade.

1. Der monistische Ansatz Schleiermachers 1.1 Die Voraussetzungen in den Prolegomena: Die Frömmigkeit als das Gefühl der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz Schleiermacher leitet seine Dogmatik mit einer Wesensbestimmung des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Frömmigkeit ein. Diese Wesensbestimmung der christlichen Frömmigkeit beginnt mit einer Ortsbestimmung von Frömmigkeit überhaupt. So formuliert Schleiermacher in dem bekannten Paragraphen 3 seiner Glaubenslehre: „Die Frömmigkeit, welche die Basis aller kirchlichen Gemeinschaft ausmacht, ist rein für sich betrachtet weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewußtseins" 22 . Damit ist zunächst nur der „Ort der Frömmigkeit" 23 bestimmt: Die Frömmigkeit gehört nicht in erster Linie dem Ort des Wissens oder dem Ort des Tuns an, sondern dem Ort des Gefühls. Der Terminus „Gefühl" wird nun bei Schleiermacher durch den Terminus „unmittelbares Selbstbewußtsein" expliziert und präzisiert. Indem Schleiermacher das Gefühl als Form des Selbstbewußtseins expliziert, schließt er „bewußtlose Zustände" 24 davon aus. Als Form des Bewußtseins liegt das Spezifikum des Gefühls in seiner Unmittelbarkeit. Damit ist das unmittelbare Selbstbewußtsein von einem solchen Bewußtsein von sich selbst unterschieden, „welches mehr einem gegenständlichen Bewußtsein gleicht, und eine Vorstellung von sich selbst und als solche durch die Betrachtung seiner selbst vermittelt ist" 25 . Das unmittelbare Selbstbewußtsein ist somit gekennzeichnet durch eine „intentionale Selbstbezüglichkeit" 26 , es ist ein

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GlL § 3, Leitsatz. Offermann, Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 3 8 ; vgl. a. a. O., S. 38ff. GlL § 3, 2. GlL § 3, 2. So Albrecht, Schleiermachers Theorie der Frömmigkeit, S. 2 3 5 .

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

unmittelbares Vertrautsein mit sich selbst, d. h. der Mensch ist mit sich selbst vertraut auf eine nicht gegenständliche, d. h. durch die Differenz von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt vermittelte, Weise. Unmittelbares Selbstbewußtsein ist somit das „Sich-als-Ich-Fühlen". Indem Schleiermacher den Ort der Frömmigkeit im Gefühl erblickt, hat er sich einen unwiderruflichen und sicherlich auch nicht hoch genug zu veranschlagenden Verdienst erworben: Schleiermacher gelingt es, der Frömmigkeit ihre Selbständigkeit zurückzugeben, indem er sie gegenüber Wissen und Tun abgrenzt 27 . Schleiermacher hat in dem Paragraphen 3 so zunächst den Ort bzw. die „Form" 2 8 expliziert, dem die Frömmigkeit angehört: das Gefühl. Doch ist das „Gefühl [...] nicht als solches schon fromm, und nicht jede Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins ist Frömmigkeit" 29 . So zeigt Schleiermacher in dem Paragraphen 4 seiner Glaubenslehre die „charakteristische Inhaltlichkeit" 30 der Frömmigkeit auf und lehrt die Frömmigkeit so als ein bestimmtes Gefühl zu verstehen: „Das Gemeinsame aller noch so verschiedenen Äußerungen der Frömmigkeit, wodurch diese sich zugleich von allen andern Gefühlen unterscheiden, [...] ist dieses, daß wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig, oder, was dasselbe sagen will, als in Beziehung mit Gott bewußt sind" 31 . Ist somit das Gefühl bzw. das unmittelbare Selbstbewußtsein die Form der Frömmigkeit, so besteht ihr charakteristischer Inhalt im „schlechthin abhängig fühlen". Ist das unmittelbare Selbstbewußtsein unvermittelte Vertrautheit mit sich selbst, das „Sich-als-Ich-Fühlen", so besteht die Frömmigkeit als eine bestimmte Form der unmittelbaren Selbstbewußtsein gerade im „Sich-als-ein-schlechthin-abhängiges-Ich-Fühlen". Frömmigkeit ist somit die unmittelbare Vertrautheit mit sich selbst als einem schlechthin Abhängigen. Diese charakteristische Inhaltlichkeit der Frömmigkeit wird von Schleiermacher entfaltet, indem er mit der Analyse des „wirklichen" Selbstbewußtseins einsetzt 32 , das Schleiermacher als ein „Bewußtseins unseres Seins in der Welt oder unseres Zusammenseins mit der Welt" 33

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Vgl. GlL § 3, 3.4.5 So gilt Schleiermacher für Eiert als „Schutzpatron aller religiösen Autonomiebestrebungen bis zur Gegenwart" (ders., Der Kampf um das Christentum, S. 37). So der Ausdruck von Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 178. Offermann, Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 47. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 178. GlL § 4, Leitsatz. Vgl. GlL § 4, 1. GlL § 4, 2.

Der evolutionäre Monismus (F. D. E. Schleiermacher)

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betrachtet. Selbstbewußtsein ist somit für Schleiermacher immer Weltbewußtsein, es ist das Bewußtsein des Subjektes von seinem Sein in der Welt. Ist das unmittelbare Selbstbewußtseins somit das unvermittelte (und daher unmittelbare) Vertrautseins des Menschen mit sich selbst, so erfahren wir nun, daß der Mensch mit sich selbst unmittelbar vertraut ist als in der Welt stehend 34 . Das als Weltbewußtsein entfaltete Selbstbewußtsein ist daher duplizitär verfaßt: „das Sein des Subjektes für sich" und „sein Zusammensein mit anderem" 3 5 . Insofern wir uns ,,[i]n keinem wirklichen Bewußtsein [...] unsres Selbst [...] allein bewußt [sind], sondern immer zugleich einer wechselnden Bestimmtheit desselben" 36 , erleben wir uns selbst als empfänglich und als selbsttätig 37 . So teilen sich die Gefühle in Gefühle der Abhängigkeit und Gefühle der Freiheit 38 . Ist das Subjekt aber innerhalb der Sphäre der Welt nie rein abhängig und nie rein frei, ist jede Freiheit und Abhängigkeit eine relative, so ist „unser Selbstbewußtsein als Bewußtsein unseres Seins in der Welt oder unseres Zusammenseins mit der Welt, eine Reihe von geteiltem Freiheitsgefühl oder Abhängigkeitsgefühl" 39 . Innerhalb dieser Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Welt ist ein schlechthinniges Freiheitsgefühl ebenso unmöglich wie ein schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl. Es findet immer eine Wechselwirkung von Subjekt und Objekt statt, mag je die eine oder andere auch noch so klein sein40. Nie ist eine Beziehung von einem Subjekt zu einem Objekt so gestaltet, daß das Subjekt nicht auch auf das Objekt einzuwirken vermag, noch ist das Subjekt je ganz ohne Einwirkung von Seiten des Objektes 41 . Gibt es nun innerhalb der Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Welt weder ein schlechthinniges Freiheitsgefühl noch auch ein schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl, so ist ein schlechthinniges Freiheitsgefühl gänzlich ausgeschlossen 42 ; denn unserer Selbsttätigkeit bezieht sich immer auf einen Gegenstand, der dem Subjekt irgendwie gegeben ist, d. h. den es selbst nicht hervorgebracht hat 43 . Schleiermacher läßt es nun aber auch nicht zu, „die Gesamtheit unserer inneren freien Bewegungen als 34 35 36 37 38 39 40 41 42

43

Vgl. G1L § 4,1. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. G1L § 4, 2. Ebd. Vgl. G1L § 4, 3. Vgl. G1L § 4, 2. Vgl. G1L § 4, 3: „Ein schlechthinniges Freiheitsgefühl k a n n es demnach für uns gar nicht geben" (Hervorhebung durch M.R.). Vgl. ebd.

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

Einheit betrachtet" 44 als ein schlechthinniges Freiheitsgefühl zu bezeichnen; denn wir sind uns bewußt, daß unser ganzes Dasein nicht aus unserer Selbsttätigkeit hervorgegangen ist45. Somit ist ein schlechthinniges Freiheitsgefühl ausgeschlossen, weil wir uns bewußt sind, daß weder die Gegenstände, auf die wir wirken, von uns hervorgebracht sind, noch auch unsere Selbsttätigkeit überhaupt sich unserer Wirksamkeit verdankt. Die schlechthinnige Freiheit wird somit nicht nur in bezug auf die Welt, d. h. „auf der Vollzugsebene der Freiheit als Selbsttätigkeit im Hinblick auf schon gegebenes anders" 46 , sondern auch in bezug auf die „Konstitutionsebene so bestimmter Freiheit" 47 , d. h. in bezug auf die dem Subjekt vorgegebene Grundstruktur überhaupt, ausgeschlossen. Gerade aber in diesem Bewußtsein wurzelt nach Schleiermacher unser schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl. Nicht kann es ausgehen von einem der Gegenstände, auf die sich unsere Selbsttätigkeit bezieht - hier würde immer eine Gegenwirkung auch von uns stattfinden - ; vielmehr ist gerade das Bewußtsein, daß sich unsere gesamte Selbsttätigkeit nicht unserer Wirksamkeit verdankt, d. h. „das unser ganzes Dasein [...] begleitende, schlechthinnige Freiheit verneinende Selbstbewußtsein" 48 , an sich schon ein Bewußtsein schlechthinniger Abhängigkeit. ,,[E]s ist das Bewußtsein, daß unsere ganze Selbsttätigkeit ebenso von anderwärts her ist, wie dasjenige ganz von uns her sein müßte, in Bezug worauf wir ein schlechthinniges Freiheitsgefühl haben sollten" 49 . Ist der Mensch auf diese Weise mit sich selbst unmittelbar vertraut (unmittelbares Selbstbewußtsein), so ist er mit sich vertraut als ein in Beziehung zur Welt stehender (unmittelbares Selbstbewußtsein als Weltbewußtsein) und zwar als ein in Wechselwirkung mit der Welt stehender teilweise selbsttätiger und teilweise empfänglicher (teilweises Freiheitsgefühl/teilweises Abhängigkeitsgefühl) und diese gesamte Weltbeziehung nicht sich selbst

44 45 46 47 48 49

Ebd. Vgl. ebd. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 181f. A. a. O., S. 182. GlL § 4,3. Ebd. - D a ß die Negation des Gefühls schlechthinniger Freiheit das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl erfordere, wird bestritten von Röhls, Frömmigkeit als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, S. 251: „ W e n n ich mich nicht schlechthin frei fühle, so ist darin keineswegs impliziert, d a ß ich mich schlechthin abhängig fühle. Sondern wenn ich mich zwar frei, aber nicht schlechthin frei fühle, dann heißt dies nur, d a ß ich mich relativ frei, also auch relativ abhängig fühle. Insofern bietet die ,Glaubenslehre' zumindest keinen überzeugenden Grund für die von Schleiermacher geforderte Anerkennung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls als eines Wesensmerkmals des M e n s c h e n " .

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verdankender - sondern „von anderwärts her" 5 0 - und daher schlechthin abhängiger (schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl). Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist somit der Ausdruck für das Konstituiertsein relativer Freiheit und relativer Abhängigkeit, für das Gegebensein der Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Welt. Die Struktur der Wechselbeziehung, der teilweisen Freiheit und der teilweisen Abhängigkeit, ist dem Subjekt vorgegeben. Sind alle einzelnen existentiellen Vollzüge des Menschen gekennzeichnet durch die Duplizität von Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, so geht Schleiermachers Begriff der Frömmigkeit aus „von einem Bestimmt-Sein des Menschen, von dem alle existentiellen Vollzüge unmittelbar, ursprünglich geprägt sind" 51 . Ist die Welt- und Naturbeziehung des Menschen konstituiert durch seine Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit, so besteht die Frömmigkeit in dem Gefühl des Vorgegebenseins des menschlichen Daseins. Dabei bezeichnet der Ausdruck „Gott" für Schleiermacher das „Woher" dieser Vorgegebenheit der Struktur der relativen Freiheit und der relativen Abhängigkeit 52 , d. h. er bezeichnet zunächst nur dasjenige, „worauf wir dieses unser Sosein zurückschieben" 53 . Damit hat Schleiermacher das Wesen der Frömmigkeit als eine Gestalt des unmittelbaren Selbstbewußtseins zu verstehen gelehrt 54 : Die Frömmigkeit ist diejenige Gestalt des unmittelbaren Selbstbewußtseins, in der die Person mit sich unmittelbar vertraut ist als gegebenes Dasein. 50 51

52 53

54

G1L § 4,3. Eckert, Gott, Welt und Mensch in Schleiermachers Philosophischer Theologie, S. 291. Vgl. G1L 4,4. Ebd. - Sieht Röhls Schleiermachers Definition der Frömmigkeit vor den Einwänden der Religionskritik nicht geschützt, da die Aussage, d a ß ich mich schlechthin abhängig fühle nur ein Gefühl beschreibt, keinesfalls aber, daß ich auch tatsächlich abhängig bin (vgl. ders., Frömmigkeit als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, S. 251ff), so sieht Wagner diese Bestimmung der Frömmigkeit gar als „Einfallstor der Religionskritik" (ders., Theologie im Banne des religiös f r o m m e n Bewußtseins, S. 943; vgl. a. a. O., S. 937ff); denn hier ist „das mit dem Ausdruck ,Gott' gemeinte Wesen immer auch von G n a d e n des sich von ihm als abhängig aussagenden Abhängigkeitsgefühls" (a. a. O , S. 937; vgl. zu Wagner auch Exkurs 1). Gegenüber Röhls und Wagner ist aber sicherlich festzuhalten, d a ß Schleiermachers Explikation keineswegs die Intention der klassischen Gottesbeweise vertritt. Vielmehr - hierin ist Ebeling zuzustimmen - steht „Schleiermachers Schritt von der schlechthinnigen Abhängigkeit hin zu Gott als der schlechthinnigen Ursächlichkeit [...] im Zeichen der semantischen Frage, was der Ausdruck ,Gott' bedeute" (ders., Schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl als Gottesbewußtsein, S. 118). Auf das Wirklichwerden der Frömmigkeit k a n n für unseren Z u s a m m e n h a n g verzichtet werden. Ich verweise aber auf die detaillierte und tiefgründige Analyse von Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 188ff.

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Es ist sicherlich verfehlt, wollte man Schleiermachers Beschreibung der christlichen Frömmigkeit anhand dieser beiden Paragraphen der Glaubenslehre eruieren. Mit der Bestimmung der Frömmigkeit als Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit beansprucht Schleiermacher zunächst nur, eine Beschreibung der religiösen Dimension zu liefern, sozusagen der Sphäre menschlichen Selbsterlebens, dem auch der christliche Glaube angehört. Ebenso verfehlt ist es auch, Schleiermacher von hier aus vorzuwerfen, er gehe von einem allgemeingültigen Überbau aus und versuche hierauf seine Glaubenslehre zu gründen. Vielmehr geht es Schleiermacher um die Herausarbeitung des eigentümlichen Wesens der christlichen Frömmigkeit55. Gerade aber indem Schleiermacher das allgemeine Wesen der Frömmigkeit angibt, von dem die christliche Frömmigkeit eine bestimmte Prägung darstellt, hat er doch die Grenzen angezeigt, innerhalb deren christliche Frömmigkeit zu stehen hat. Das Wesen der Frömmigkeit besteht in dem Gefühl der Unverfügbarkeit der welthaften Konstitution. Hat Schleiermacher nun zunächst den Ort der Frömmigkeit bestimmt und das Spezifikum der Frömmigkeit innerhalb dieses Ortes präzisiert, so erläutert Schleiermacher in dem Paragraphen 11 der Glaubenslehre das Spezifikum der christlichen Frömmigkeit: Das Christentum ist eine solche Glaubensweise, in der „alles [...] bezogen wird auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung" 56 . Mit dieser Bestimmung intendiert Schleiermacher, das Wesen des Christentums jenseits aller konfessionellen Unterschiede zu bestimmen57. Nicht nur führen alle Christen ihre fromme Gemeinschaft auf Christus zurück, sondern sie beziehen sich alle zugleich auf den Ausdruck Erlösung58. Bedeutet der Begriff Erlösung allgemein „einen Übergang aus einem schlechten Zustande, [...] in einen bessern, und dies ist die passive Seite desselben; dann aber auch die dazu von einem andern geleistete Hülfe, und dies ist die aktive Seite derselben" 59 , so ist auf das Gebiet der Frömmigkeit angewendet der schlechtere Zustand die Hemmung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls, der bessere Zustand hingegen die Belebung des 55

So ist Offermann zuzustimmen, wenn sie schreibt: „ D a s .Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit' ist als solches ein A b s t r a k t u m , aber eines, das an der Tatsächlichkeit der christlichen Glaubenserfahrung gebildet ist; und der Grundbegriff ist so definiert w o r d e n , d a ß mit ihm die besondere Bestimmtheit .christlich frommes Selbstbewußtseins' ausgesagt werden k ö n n e " (dies., Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 3 2 9 ) .

56

G1L § 1 1 , Leitsatz. Vgl. G1L § 1 1 , 1 . Vgl. G1L § 1 1 , 2 . Ebd.

57 58 59

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schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls60. Durch Jesus von Nazareth ist die Erlösung verstanden als Belebung des frommen Bewußtseins ein für alle Mal gesetzt61. Damit ist im Christentum das Verhältnis zu seinem Stifter unterschieden von anderen frommen Gemeinschaften: „Christus [...], als allein und für alle Erlöser, wird allen andern gegenübergestellt, und wird auf keine Weise selbst irgendwann als erlösungsbedürftig gedacht, daher auch, wie die allgemeine Stimme aussagt, ursprünglich von allen andern Menschen unterschieden und mit der erlösenden Kraft von seiner Geburt an ausgestattet" 62 . Damit hat Schleiermacher zunächst die schlechthin konstitutive Rolle Christi und der von ihm vollbrachten Erlösung für den christlichen Glauben zur Geltung gebracht. Daß in Schleiermachers Glaubenslehre Christus nur eine untergeordnete Rolle spielt, kann nicht ernsthaft behauptet werden: Das Spezifische des christlich frommen Selbstbewußtseins im Rahmen des frommen Selbstbewußtseins wird gerade in Jesus Christus und der von ihm vollbrachten Erlösung erblickt. Wurde das Wesen der Frömmigkeit als das Gefühl der Unverfügbarkeit meiner welthaften Konstitution bestimmt, so besteht die differencia specifica der christlichen Frömmigkeit gerade darin, daß dieses Gefühl von der Unverfügbarkeit meiner welthaften Konstitution durch Christus belebt wird 63 . Es gilt sicherlich festzuhalten, daß Schleiermacher in seiner Einleitung nicht intendiert, die Inhalte der christlichen Glaubenslehre zu explizieren, vielmehr beabsichtigt er die „Möglichkeit der christlichen Dogmatik [zu] begründen" 64 . So kann auch nicht von der Einleitung der Glaubenslehre her, sondern nur durch eine Interpretation der Glaubenslehre selbst, entschieden werden, ob Schleiermachers Bestimmung der Inhalte des Glaubens diesen angemessen ist, oder ob sie sie nur verkürzt zu erfassen vermag65. Doch hat Schleiermacher in seiner Einleitung das Wesen der Frömmigkeit bestimmt und gezeigt, inwiefern die christliche Frömmigkeit eine besondere Prägung eben dieser Frömmigkeit ist, d. h. ihren Platz im Rahmen der Frömmigkeit hat, so hat er damit doch die Grenzen markiert, innerhalb deren auch die christliche Frömmigkeit zu verstehen ist und ihre Inhalte zu deuten sind. Ist die Frömmigkeit wesentlich das Gefühl des Vorgegebenseins meiner welthaften Konstitution und besteht das charakteristische des christlichen Glaubens darin, daß dieses Gefühl

60 61 62 63 64 65

Vgl. ebd. Vgl. G1L § 11, 3. GlL § 11, 4. Vgl. ähnlich auch Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 7 6 . Offermann, Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 3 3 2 . So zu Recht Offermann, a. a. O., S. 3 3 0 .

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gerade durch Jesus Christus belebt wird, so hat Schleiermacher hiermit quasi den Interpretationsrahmen für die Inhalte des christlichen Glaubens bzw. der christlichen Frömmigkeit aufgezeigt: Die christliche Frömmigkeit ist die reine Prägung des Gefühls der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz. 1.2 Evolutionärer Monismus Das in der Einleitung der Glaubenslehre als Wesen der Frömmigkeit bestimmte Gefühl der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz ist für Schleiermacher identisch mit dem Gefühl des - unverfügbaren - Eingegliedertseins in den Naturzusammenhang. So formuliert Schleiermacher: „Das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl ist in jeder christlich frommen Erregung mit enthalten, in dem Maß als darin [...] zum Bewußtseins kommt, daß wir in einen allgemeinen Naturzusammenhang gestellt sind, das heißt, in dem Maß, als wir uns darin unserer selbst als Teil der Welt bewußt sind" 66 . Dies heißt für Schleiermacher nicht nur, daß sich „keine fromme Erregung denken [läßt], bei der wir uns nicht zugleich als in einen Naturzusammenhang gestellt fänden" 67 , sondern auch, daß der erste Teil der Glaubenslehre, der die Voraussetzungen für das Gnaden- und Sündenbewußtsein enthält 68 , ,,[n]ichts anderes [...] als dieses fromme Naturgefühl im allgemeinen [...] nach bestem Vermögen zu beschreiben" 69 hat. Das fromme Bewußtsein enthält somit gar nichts anderes als das Gefühl des Gestelltseins in einen Naturzusammenhang. So betont Schleiermacher nicht nur, daß Gottes Wirken und der Naturzusammenhang zu vereinbaren seien, sondern Frömmigkeit und Einsicht in das Bedingt-Sein durch den Naturzusammenhang fallen nach Schleiermacher „ganz zusammen" 70 , die Frömmigkeit ist „nichts anders als" eben diese Einsicht. Daher sind die „schlechthinnige Abhängigkeit aller Begebenheiten und Veränderungen von Gott und die Naturursächlichkeit als die vollständige Bedingtheit all dessen, was geschieht durch den allgemeinen Zusammenhang [...]", das „dasselbige" 71 , nur aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Die Abhängigkeit von Gott negiert nicht die Bedingtheit durch den Naturzusammenhang72, sondern die 66 67 68 69 70 71 72

G1L § 3 4 , Leitsatz. Vgl. GlL § 3 4 , 3. Vgl. GlL § 2 9 . GlL § 3 4 , 3 . GlL § 4 6 , Leitsatz. GlL § 4 6 , 2. So explizit GlL § 47.

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Abhängigkeit von Gott fällt „ganz zusammen", ist „nichts anderes als" (s.o.) die Abhängigkeit von dem Naturzusammenhang 7 3 . Ist bei Schleiermacher Gottes Wille eins mit dem Naturzusammenhang 7 4 , ist somit seine Allmacht seine Allwirksamkeit und ist alles, wozu es eine Möglichkeit in Gott gibt, im Weltgeschehen wirklich 75 , so kann Gott vom Naturablauf nicht getrennt werden. „Damit wird nicht nur ernst gemacht mit der Überzeugung, daß Gott Gott-dieser-Wirklichkeit ist. So wie diese Realität ihren eigenen Gesetzen gehorchend sich fortbewegt, so ist sie von Gott bewirkt. Gottes Tun ist nicht ein spezielles Handeln innerhalb der Geschichte, sondern es ist die Weltwirklichkeit selbst" 76 . Daß Naturzusammenhang und göttliche Kausalität zusammenfallen, ist für Schleiermacher der maßgebende „Grundsatz", der „in einer kunstvollen Systematik im einzelnen entfaltet [wird]" 77 . Wird Gott ganz als die Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges begriffen, so bezeichnen die göttlichen Eigenschaften Perspektiven der göttlichen Ursächlichkeit 78 : Bringt der Begriff der Allmacht Gottes Ursächlichkeit für den gesamten Naturzusammenhang zum Ausdruck 79 , so seine Ewigkeit die Überlegenheit Gottes über die Zeit, seine zeitlose Ursächlichkeit 80 . So folgert Beißer zu Recht: „Der Weltzusammenhang ist nur als ganzer Gottes Tat, Gott greift nicht darüber hinaus in einzelne eigene Handlungen in die Welt ein" 81 . Gott verhält sich zu allem in der Welt grundsätzlich gleich. Dies verdeutlicht Schleiermacher, indem er zeigt, daß die göttliche Ursächlichkeit bei den jeweiligen Extremen gleich ist: bei Gewöhnlichem und Wunderbarem, bei Gut und Übel, bei Freiheit und Mechanismus 82 . Die Konzeption wäre gestört, „wenn auf irgendeinem dieser Punkte diese Gleichsetzung aufgehoben würde" 8 3 . Ist Gott nur die Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges, so kann auch nicht von einer direkten Beziehung Gottes auf ein Einzelereignis 73

74 75

-

76 77 78

79 80 81 82 83

Dies erkennt auch Seeberg, Die Kirche Deutschlands im neunzehnten J a h r h u n dert, S. 88. Vgl. GlL § 51,1. Vgl. GlL § 54. Beißer, Schleiermachers Lehre von G o t t , S. 122f. A. a. O., S. 123. Vgl. GlL § 50. - M i t den W o r t e n Ebelings formuliert: Schleiermacher hat „alle Attribute Gottes als Weisen seiner Ursächlichkeit, seines Wirkens interpretiert" (Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens I, S. 232; vgl. auch ders., Schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl als Gottesbewußtsein, S. 118). So GlL § 54. Vgl. GlL § 52. Beißer, Schleiermachers Lehre von G o t t , S. 123. Vgl. GlL § 49, Zusatz. Ebd.; vgl. auch Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 123f.

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geredet werden. Nur insofern Gott das Ganze wirkt, ist er auch auf Einzelnes (das im Zusammenhang des Ganzen steht) bezogen 84 . Ein Einzelnes wirkt Gott aber nicht. Dies wird nicht zuletzt an Schleiermachers Stellung zum Gebet deutlich 85 : Das Gebet vermag auf den transzendenten Gott keinen Einfluß zu nehmen, weil dies der „Grundvoraussetzung, daß es kein Verhältnis der Wechselwirkung gibt zwischen Geschöpf und Schöpfer" 86 widerspricht. Muß daher der Glaube, „durch das Gebet eine Einwirkung auf Gott ausüben zu können, indem sein Wille und Ratschluß durch dasselbe gebeugt werde" 8 7 , als ein „Übergang in das Magische" 88 abgelehnt werden, so empfiehlt Schleiermacher: „Glaubet daher den Verheißungen nicht, [...] als ob Gott auch allemal gäbe, was im wahrem Glauben und aus reinem Herzen von ihm erbeten wird" 89 . Weil Gott nicht das Einzelne wirkt, sondern nur die Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges ist, darf die Ursache für den Ausgang eines Ereignisses nicht im Gebet gesucht werden 90 . Schleiermachers Verständnis Gottes als nackte Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges vermag die Verheißung Gottes an einen Einzelnen nicht mehr zu fassen. Außerhalb des - einmal in Gang gesetzten - Naturprozesses wirkt Gott nicht, er vermag ihn nicht „aufzubrechen", nur das schon in ihm Beschlossene vermag zum Vorschein zu kommen. Die Bedingtheit durch den Naturprozeß kann nicht aufgehoben werden 91 . Ist das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl das Gefühl des Hineingestelltseins in den Naturzusammenhang, so „werden wir auf unserem Gebiet jede Tatsache, solang es irgend möglich ist, mit Rücksicht auf den Naturzusammenhang und unbeschadet desselben aufzufassen suchen" 92 . Ein schlechthin Übernatürliches gibt es nicht. Auch Christus ist kein den natürlichen Naturzusammenhang durchbrechendes Übernatürliches 93 , auch er hebt weder den „Naturmechanismus" 9 4 noch den von Gott ursprünglich geordneten Verlauf 95 auf.

84 85

86 87 88 89

90 91 92 93 94 95

So zu Recht auch Beißer, a. a. O., 174. Vgl. hierzu G1L §§ 146f und Schleiermachers Predigt „Die Kraft des Gebetes, insofern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist". G1L § 147,2. Ebd. Ebd. Schleiermacher, Die Kraft des Gebetes, insofern es auf äußere Begebenheiten gerichtet ist, S. 171. Vgl. a. a. O., S. 175f. Vgl. G1L 47. G1L § 47,1. Vgl. § 47,2. G1L § 49, 1. Vgl. G1L § 47, 2.

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Die Grenzen, innerhalb derer Schleiermacher das Christusgeschehen verstehen muß, werden schon in Paragraph 13 sichtbar, insofern Schleiermacher sich hier schon genötigt sieht zu zeigen, daß die Erscheinung eines Religionsstifers den natürlichen Zusammenhang nicht durchbrechen kann. Dies gilt auch für den Stifter der christlichen Frömmigkeit: „Die Erscheinung des Erlösers in der Geschichte ist als göttliche Offenbarung weder etwas schlechthin Ubernatürliches noch etwas schlechthin Übervernünftiges" 96 . Schleiermacher steht in diesem Paragraphen vor einer doppelten - durchaus nicht leicht zu lösenden - Aufgabe: Zum einen muß er die belebende Kraft eines Religionsstifers zur Geltung bringen, das Neue, das durch ihn in der Entwicklung der Menschheit gesetzt ist, zum anderen aber darf dieses Neue nicht als Durchbrechung des natürlichen Zusammenhanges verstanden werden, denn ein Bruch in dem prozessualen naturhaften Geschehen ist für Schleiermacher nicht möglich. Kurz: Das Neue muß wirklich etwas Neues sein im Entwicklungsprozeß, aber es muß sich zugleich in den Entwicklungsprozeß eingliedern. So ist für Schleiermacher das Dasein eines Offenbarungsstifters nicht „aus dem Zustande des Kreises zu erklären [...], in welchem er hervortritt und fortwirkt, indem er sonst kein Anfangspunkt wäre, sondern selbst Erzeugnis eines geistigen Umlaufes" 97 . Doch Schleiermacher stellt sofort sicher, daß das prozessuale naturhafte Geschehen dadurch nicht unterbrochen wird; denn ,,[w]iewohl nun aber sein Dasein über die Natur jenes Kreises hinausgeht, hindert doch nichts anzunehmen, das Hervortreten eines solchen Lebens sei eine Wirkung der unserer Natur als Gattung einwohnenden Entwicklungskraft, welche nach, wenn auch uns verborgenen, doch göttlich geordneten Gesetzen sich in einzelnen Menschen an einzelnen Punkten äußert, um durch sie die übrigen weiterzufördern" 9 8 . Das Erscheinen eines Heroen ist zwar nicht aus dem bisherigen Prozeß der Entwicklung abzuleiten, aber das Erscheinen eines Heroen gehört konstitutiv zum Entwicklungsprozeß selbst. Gerade indem Heroen erscheinen, kommt es zu einem Fortschreiten des menschlichen Geschlechtes 99 . Auch die Heroen sind „aus dem allgemeinen Lebensquell befruchtet" 100 . Daß sie „von Zeit zu Zeit erscheinen" ist keine Durchbrechung der Entwicklung, sondern ist selbst „etwas Gesetzmäßiges" 101 . Auch das Erscheinen Jesu Christi reiht sich in diese naturhaft prozessuale Entwicklung ein: das Erscheinen des Erlösers ist im Vergleich zu den bisherigen Entwicklungen etwas Neues, aber es ist etwas Natürliches im Blick auf die Entwicklung als solche 102 .

GlL § 13, Leitsatz. G1L § 13,1. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ähnlich formuliert auch Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 80. - Der Versuch von Offermann, dies zu bestreiten, kann nicht überzeugen (vgl. dies., Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 272ff). So versteht es sich nach Offermann für Schleiermacher von selbst, ,,[d]aß ,Übernatürlichkeit'

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Die G r u n d p r o b l e m e des theologischen M o n i s m u s

Ist auch er dazu bestimmt, d a ß menschliche Geschlecht zu beleben 103 , so ist auch sein Erscheinen etwas Natürliches, das den allgemeinen Entwicklungsprozeß nicht a u f h e b t , sondern hier vorgesehen ist 104 . Als höchste Entwicklung des menschlichen Geistes, ist das Erscheinen des Erlösers konstitutives M o m e n t der von Anbeginn an gesetzten Entwicklung 1 0 5 . Und als höchste Belebung des menschlichen Geistes, die ein konstitutives Element der von Anbeginn an gesetzten Entwicklung ist, ist das Erscheinen des Erlösers in der menschlichen Vernunft „schon auf gewisse Weise [...] gesetzt" 1 0 6 .

[...] das Charakteristikum der Erscheinung Christi ,als göttliche Offenbarung' ist" (a. a. O., S. 275). Daher könne es nicht die Frage sein, „ob Christus Übernatürlichkeit zu prädizieren sei, wohl aber, wie diese so gefaßt werden könne, daß dennoch Vermittlung durch ihn zu geschehen vermag, oder vielmehr: daß dieses Geschehen ausgesagt werden kann" (a. a. O., S. 276). Offermann ist durchaus zuzustimmen, daß die Frage gerade darin besteht, wie bei Schleiermacher die Übernatürlichkeit gefaßt ist. Doch macht Flückiger darauf aufmerksam, daß Schleiermacher den Begriff des „Übernatürlichen" aushöhlt, indem er die Übernatürlichkeit als ein Strukturmoment der natürlichen Entwicklung faßt, das Übernatürliche somit Teil des Natürlichen ist als das „höhere Natürliche" (ders., Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 89): „Natur im Vollsinn des Wortes ist auch dieses Übernatürliche" (ebd.). Dem entgegnet Offermann mit der These: „,Übernatürliches' entwickelt sich für Schleiermacher nicht innerhalb des N a t ü r lichen'" (dies., Schleiermachers Einleitung in die Glaubenslehre, S. 281). Es zeigt sich jedoch, daß Offermann die strukturelle Analogie zwischen Christus und den übrigen Religionsstiftern bei Schleiermacher verkennt. So faßt Offermann die Notwendigkeit des Erscheinens der Heroen aus dem Entwicklungsgeschehen geradezu als Abgrenzung zu dem Erscheinen Jesu Christi auf (vgl. bes. a. a. O., S. 276f). Anders als die Heroen sei Christus nicht aus der Entwicklungsreihe hervorgegangen (vgl. a. a. O., S. 277). Dies hat aber am Text keinerlei Anhalt, es widerspricht der Gedankenführung Schleiermachers, der - s. o. - die „natürliche Übernatürlichkeit" der Heroen in gleichem Maße auch auf Christus anwendet und nirgends zu verstehen gibt, daß in diesem Punkt ein Unterschied zwischen Christus und den übrigen Heroen bestehen soll. So belegt der Text, der nach Offermann ,,[d]em Verstehenwollen aus Analogiebeziehungen [...] eine deutliche Grenze" (a. a. O., S. 277) setzt, ihre These gerade nicht: Der Unterschied zwischen Christus und den übrigen „Heroen" liegt gerade nicht in der Übernatürlichkeit, sondern darin, daß alle anderen Religionsstifter auf Zeiten und Räume beschränkt und im voraus dazu bestimmt sind, „in ihm wieder unterzugehen [...] und nur er dazu gesetzt [ist], allmählich das ganze menschliche Geschlecht höher zu beleben" (G1L § 13,1). Deutlicher kann Schleiermacher nicht betonen, daß die gesamte menschliche Entwicklung so „gesetzt" und „voraus bestimmt" ist, daß Christus in ihr erscheint. Ist Christus aber in der Weise, wie Schleiermacher es getan hat, Höhepunkt der natürlichen Entwicklung, so kann keinesfalls behauptet werden, daß Christus kein Element dieser natürlichen Entwicklung sei. 103 104 105 106

Vgl. Vgl. Vgl. G1L

G1L § 13, 1. ebd. ebd. § 13,2.

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So verhält sich Gott zu jedem einzelnen grundsätzlich gleich, nur vermittelt durch den Naturzusammenhang. Die Erwählung wird zum Ausdruck für die ,,göttliche[] Weltregierung" 107 , der „gesamte Weltverlauf ohne Unterschied [ist] der effektive Ausdruck der göttlichen Bestimmung" 108 . Kommt so für den Menschen „nur diese eine Welt in Betracht, die in einem lückenlosen Lebenszusammenhang abläuft" 1 0 9 , so Gott nur „als der Grund dieser einen Welt" 110 . So formuliert Beißer im Blick auf das biblische Gottesbild zu Recht: „Gott hat keine Geschichte mehr, kein Leben mit Entscheidungen, mit Veränderungen, mit Taten" 1 1 1 . Schleiermachers Konzeption gibt sich eindeutig als eine monistische Konzeption zu erkennen: Schleiermacher kennt nur ein Handeln Gottes. Gott ist der Schöpfer eines von Anbeginn an gesetzten lückenlosen Natur- und Lebenszusammenhanges. Außerhalb dieses - einmal in Gang gesetzten - Naturprozesses wirkt Gott nicht, er vermag ihn nicht „aufzubrechen", nur das schon in ihm Beschlossene vermag zum Vorschein zu kommen. Insofern Gott einen sich entwickelnden Naturprozeß schafft, in der alles gemäß seiner Bestimmung zum Vorschein kommt, eine prozessual sich entwickelnde Menschheit ins Leben ruft, legt es sich nahe, Schleiermachers Monismus als einen evolutionären Monismus zu bezeichnen. Begreift nun Schleiermacher die Welt als einen von Gott von Anbeginn an gesetzten lückenlosen Natur- und Lebensprozeß, den Gott nicht aufzubrechen vermag, weil in ihm nur das zum Vorschein kommt, was von Anbeginn an beschlossen ist, so ergibt sich die Hauptschwierigkeit gerade dadurch, daß die Kontingenz in Schleiermachers Konzeption ausgeschlossen ist. Kann weder der Mensch diesen ursprünglich gesetzten Ablauf abbrechen noch Gott in diesen Naturablauf eingreifen, so fragt sich, wie Schleiermacher innerhalb seiner monistischen Konzeption die christliche Anschauung von Sünde und Gnade zur Darstellung bringen will. Wie kann der Sündenfall ein kontingentes Ereignis sein? Wie kann Gott auf dieses kontingente Ereignis reagieren?

107 108 109 110 111

G1L § 116,1. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 126. A. a. O., S. 2 4 9 . Ebd. A. a. O., S. 248. - „Es fehlen ihm aber alle Konkretionen, denn sie w ü r d e n G o t t unvermeidbar wieder in den Bereich der Gegenstände hereinholen. Es m u ß daher ein Absehen vom Wesen Gottes sein, wenn m a n doch nähere Angaben über das Walten Gottes (denn allein dieses kann in Betracht k o m m e n ) machen will. Das Inhaltliche, das n u n von Gott ausgesagt wird, bewegt sich im Spannungsfeld zwischen d e m unaussprechlichen Wesen G o t t e s u n d unserer menschlichen Glaubenserfahrung, in der Gott so oder so erscheint" (a. a. o. S. 250).

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

2. Die Lehre von der Sünde und der Gnade innerhalb der Grenzen des evolutionären Monismus Im folgenden gilt es zu zeigen, daß es Schleiermacher sehr wohl gelungen ist, in seiner Glaubenslehre von Sünde und Gnade zu reden. Es wird sich aber zeigen, daß, gerade weil Schleiermacher dazu gezwungen ist, sowohl die Sünde als auch die Gnade ihres geschichtlich kontingenten Charakters zu entkleiden, er das christliche Verständnis von Sünde und Gnade völlig entleeren muß. Wir kommen damit zu unserem Hauptinteresse der Beschäftigung mit Schleiermacher, dem Nachweis, daß ein theologischer Monismus das christliche Verständnis von Sünde und Gnade nicht zu fassen vermag.

2.1 Die Sünde als Element der gesetzten Entwicklung des Lebenszusammenhanges Eine monistische Konzeption - wie die Schleiermachers - droht durch die Sünde aus der „pazifistischen Ruhe" 112 „in ein unruhigeres Fahrwasser" 113 zu geraten 114 . Schleiermacher muß daher die Sünde so beschreiben, „ohne daß der Horizont der einfachen, in sich gleichen schlechthinnigen Abhängigkeit verlassen wird" 1 1 5 . Will Schleiermacher die Sündenlehre in seine Vorstellung einer sich prozessual entwickelnden Menschheit integrieren, dann muß er zu verstehen lehren, daß die Sünde keinen Bruch in der Menschheitsentwicklung darstellt. 2.1.1 Die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt und die Ursündlichkeit der menschlichen N a t u r Die Lehre von der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt bereitet einer monistischen Theologie größte Schwierigkeiten; denn die Behauptung einer von Anbeginn an gesetzten prozessualen Entwicklung der Menschheit bis zu ihrer höchsten Belebung muß Schwierigkeiten haben, die Lehre zur Geltung zu bringen, daß die Welt einmal ursprünglich gut gewesen, dann aber gefallen ist. Ein solcher Bruch ist innerhalb einer monistischen Konzeption nicht denkbar, er widerspräche zutiefst den Gedanken einer einlinig prozessual sich entwickelnden Menschheitsge112 113 114

115

Bader, Sünde und Bewußtsein der Sünde, S, 62. Ebd. Vgl. auch a. a. O., S. 64: Bader macht hier auf die Problematik aufmerksam, vor die die Sündenlehre die Theologie Schleiermachers stellt. Ebd.

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schichte. Schleiermacher ist zu scharfsinnig, um dies nicht zu sehen, gleichzeitig aber auch nicht bereit, die Lehre der „ursprünglichen Vollkommenheit" gänzlich fahren zu lassen. Mit methodischem Geschick stellt er sich der Aufgabe der traditionellen Dogmatik, eine unsprüngliche Vollkommenheit der Welt zur Geltung zu bringen und gleichzeitig seinem Gedanken einer einlinig prozessualen Entwicklung treu zu bleiben, indem er den Gedanken der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt radikal umdeutet116. Schleiermacher löst die Vorstellung der ursprünglichen Vollkommenheit der Welt von der Lehre des status integritatis und gibt ihr eine neue Bedeutung: Versteht Schleiermacher unter der Vollkommenheit der Welt, daß die „Gesamtheit des endlichen Seins [...] die Stetigkeit des frommen Selbstbewußtseins möglich" 117 macht, mithin die Möglichkeitsbedingung für Vollkommenheit im endlichen Sein, so unter der ursprünglichen Vollkommenheit, eine Vollkommenheit, „die aller zeitlichen Entwicklung vorangeh[t]" 118 . Die ursprüngliche Vollkommenheit bringt somit nach Schleiermacher gerade zum Ausdruck, daß alles endliche Sein zurückführbar ist auf die allmächtige Ursächlichkeit Gottes 119 . „Unmittelbar wird also hier gar nicht von irgendeinem zeitlichen Zustande der Welt und des Menschen, insbesondere weder vergangenen noch gegenwärtigen oder zukünftigen, gehandelt, sondern nur von den der ganzen zeitlichen Entwicklung gleichmäßig zum Grunde liegenden und während derselben sich immer gleichbleibenden Verhältnissen" 120 . Somit ist nach Schleiermacher nicht die Welt ursprünglich einmal gut gewesen, sondern als gut ist die Entwicklung, zu der die Welt gesetzt ist, zu bezeichnen; die ursprüngliche Vollkommenheit ist somit die „werdende Vollkommenheit" 121 . So ist Vollkommenheit und Unvollkommenheit bei Schleiermacher kein qualitativer Unterschied, sondern das eine ist aufgrund der werdenden Vollkommenheit schon geworden, das andere ist aufgrund der erst werdenden Vollkommenheit noch nicht geworden 122 . So behauptet Schleiermacher, „daß, da der gesamte Zeitverlauf nur eine ununterbrochene Wirksamkeit der gesamten ursprünglichen Vollkommenheit sein kann, das endliche Ergebnis eine schlechthinnige Befriedigung sein muß, und ebenso jeder Moment im ganzen betrachtet befriedigend als

116 117 118 119 120 121 122

Vgl. G1L § 57ff. G1L, § 5 7 , 1 . Ebd. Vgl. ebd. GlL § 5 7 , 2 . Ebd. Vgl. ebd.

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Annäherung" 1 2 3 . Bringt die ursprüngliche Vollkommenheit in bezug auf den Menschen zum Ausdruck, daß „in unserm klaren und wachen Leben eine Stetigkeit des Gottesbewußtseins an und für sich betrachtet möglich ist" 124 , so ist sie vorhanden als „die ursprüngliche Forderung der Stetigkeit und Allgemeinheit des Gottesbewußtseins" 125 . Das menschliche Leben entwickelt sich so aufgrund der ursprünglichen Vollkommenheit 126 . Ist die ursprüngliche Vollkommenheit eine sich entwickelnde Vollkommenheit, muß Schleiermacher selbstverständlich die Lehre von einem vollkommenen Urzustand ablehnen 127 . Schleiermacher lehnt diese Vorstellung nicht nur aus einem methodologischen Gesichtspunkt - als nicht im Interessengebiet des christlichen Glaubens liegend 128 und durch die biblische Bezeugung nicht unmittelbar gefordert 129 - ab, sondern auch aus inhaltlichen Gründen ist sie für ihn nicht akzeptabel: Die göttliche Allmacht verbietet es zu denken, daß das schon „wirklich gesetzte Gute" 130 verlorengeht. Die Vollkommenheit steht daher nach Schleiermacher nicht am Anfang der Geschichte, sondern an ihrem Ende 131 . Die Lehre vom status integritatis wird so von Schleiermacher als Widerspruch zu seiner Auffassung eines prozessual sich entwickelnden Naturund Lebenszusammenhanges bemerkt und folglich konsequent verabschiedet 132 . „Soll aber in einer einzelnen menschlichen Erscheinung alles zusammengeschaut werden, was sich aus solcher ursprünglichen Vollkommenheit entwickeln kann: so wird dieses nicht in Adam aufzusuchen sein, in dem es wieder verloren gegangen sein müßte, sondern in Christo, in welchem es allen Gewinn gebracht hat" 1 3 3 . Damit hat Schleiermacher die erste Hürde beseitigt, die ihm die Sündenlehre aufgibt: Die Sünde braucht ja unter der Bedingung nicht als ein Bruch beschrieben zu werden, wenn Gott die Welt und den Menschen 123 124

125 126 127 128 129 130 131 132 133

G1L § 59, Zusatz. G1L § 60, 1. - So formuliert Axt-Piscalar zu Recht: „Schleiermachers Bestimmung der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen und der Welt formuliert somit insgesamt die Bedingung der Möglichkeit des religiösen Selbstverhältnisses und, da dieses nur ist als ein Verhältnis in der Wechselwirkung mit anderem, auch die Bedingung der Möglichkeit des religiösen Weltverhältnisses" (dies., O h n mächtige Freiheit, S. 223). G1L § 60, 3. Vgl. G1L § 61. Vgl. ebd.; vgl. auch Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. S. 224. So G1L § 61,1. Vgl. G1L § 61,2. GlL § 61, 5. Vgl. GlL § 61, 3ff. Vgl. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 224. GlL § 61, 5.

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gar nicht als schon vollkommene geschaffen hat, sondern die Vollkommenheit Ziel der Entwicklung der Menschheit ist. Ursprünglich vollkommen ist die Menschheit nur insofern, als Gott die Menschheit von Anfang an auf die Vollkommenheit angelegt hat. So gelingt es Schleiermacher den Gedanken der ursprünglichen Vollkommenheit harmonisch in seinen Gedanken einer prozessual sich entwickelnden Menschheit einzufügen: Die Entwicklung hat keinen wirklichen Bruch, die Vollkommenheit steht am Ende - nicht am Anfang - der Menschheitsgeschichte! . Hat Schleiermacher die Vorstellung von der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen und der Welt von der Lehre des status integritatis gelöst, somit die ursprüngliche Vollkommenheit nicht als den Anfang, sondern als das Ziel der Menschheitsgeschichte begriffen, so ist damit schon sichergestellt, daß die - wie auch immer näher verstandene Sünde die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen nicht aufhebt 134 . Hat Schleiermacher nun die Vollkommenheit als das Ziel der sich prozessual entwickelnden Menschheitsgeschichte verstanden, so verlegt er die Sünde an den Ursprung der Menschheitsgeschichte. Wie immer man sich die erste Sünde denkt - so Schleiermacher - , man wird immer etwas Sündliches voraussetzen müssen 135 . So will Schleiermacher von der Behauptung der symbolischen Bücher abweichen 136 : „Wenn also an der Person der ersten Menschen keine Veränderung in der menschlichen Natur vorgegangen ist durch die erste Sünde, sondern, was sich aus derselben entwickelt haben soll, auch schon vor ihr vorausgesetzt werden muß; und wenn dies nicht nur für den Fall irgendeiner bestimmten ersten Sünde gilt, sondern immer, worin sie auch bestanden haben möge, eben dasselbe Verhältnis aber auch bei jedem Einzelnen stattfindet: so ist die allgemeine jeder wirklichen Sünde der Nachgeborenen vorangehende Sündhaftigkeit auch nicht sowohl von der ersten Sünde der ersten Menschen abzuleiten, als sie vielmehr dasselbige ist mit dem, was auch in jenen schon der ersten Sünde voranging, so daß durch ihre erste Sünde die ersten Menschen nur die Erstlinge der Sündigkeit sind" 137 . So ist die angeborene Sündigkeit schon für die ersten Menschen etwas Ursprüngliches138. Hat Schleiermacher die ursprüngliche Vollkommenheit als werdende Vollkommenheit aufgefaßt, so kann Schleiermacher auch von einer Gleichzeitigkeit der der menschlichen Natur anhaftenden Ursündlichkeit und ihrer ursprünglichen Vollkommenheit sprechen 139 . Die ur134 135 136 137 13S 139

Vgl. Vgl. Vgl. G1L Vgl. Vgl.

G1L § 68, 2. G1L § 72, 3. ebd. § 72,4. § 72,5. GlL § 72, 6.

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sprüngliche Vollkommenheit wird als Ursprung der menschlichen Geschichte negiert und als ihr Ziel verstanden, die Sündhaftigkeit hingegen als Ursprung der menschlichen Geschichte, so daß sich Ursündlichkeit und ursprüngliche Vollkommenheit wie Anfang und Ziel verhalten: Der ursprünglich sündige Mensch entwickelt sich zur Vollkommenheit! Damit bildet die „anfängliche Unkräftigkeit des Gottesbewußtseins [...] zugleich die unserer Entwicklung als endlicher Wesen zukommende Existenzweise" 1 4 0 . Die Sündlichkeit ist nun gar kein Bruch mehr in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte; denn die Sünde stellt nach Schleiermacher alles andere als einen Bruch mit dem Ursprung (die Welt ist in ihrem Ursprung nicht vollkommen!) dar, sie ist vielmehr selbst der Ursprung der Menschheitsgeschichte, die sich auf das ursprüngliche Ziel, die Vollkommenheit der Menschheit, zu bewegt. 2 . 1 . 2 Das Von-Gott-Gesetztsein der Sünde M a n darf nun Schleiermachers Korrektur am christlichen Sündenverständnis nicht zu gering veranschlagen und Schleiermachers Negation eines status integritatis „nur" als eine Kritik an der Historizität des status integritatis als eines prähistorischen Ereignisses begreifen. Dies wird verständlich, wenn man Schleiermachers Kritik an dem status integritatis mit einer Kritik an einem historischen Verständnis der Urstandes vergleicht: So kann auch Althaus einem historischen Verständnis von Urzustand und Fall wehren: „Das Paradies hat auf unserer Erde, in unserer Welt weder einen Ort noch eine Zeit gehabt. Urständ und Fall sind nicht zwei einander folgende historische oder prähistorische Epochen" 141 . Das heutige wissenschaftliche Verständnis von der Entstehung der Menschheit läßt nach Althaus weder einen Platz für eine Zeit des Urzustandes noch für einen Fall142. Urständ und Urfall sind daher „nicht zeitlich als vorgeschichtliche Epochen in der Anfangszeit der Menschheit zu denken" 143 , d. h. sie sind nicht in der Geschichte zu lokalisieren.144 Und so kann sogar Althaus behaupten, der Urzustand liege „auch hinter dem ersten Menschen wesentlich schon zurück" 145 . Althaus schlägt daher vor, den Begriff des Urstandes „streng existentiell" 146 zu begründen. „Die biblische Erzählung vom Garten Eden und vom Sündenfall ist selbst nichts anderes als Ausdruck des existentiellen Wissens um die Sünde als Fall und Verkehrung des ursprünglichen Wesens und Standes. Sie beruht [...] auf dem Bedenken des 140 141 142 143 144 145 146

Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 284. ChW II, S. 147. Vgl. ChW II, S. 148. Ebd. Vgl. ChW II, S. 149. ChW II, S. 147. ChW II, S. 146.

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eigenen Sünderseins unter dem Wort Gottes" 147 . So hat die Menschheit in „Einheit und Gleichzeitigkeit [...] den Urfall getan, [...] sie [ist] aus dem Vaterhause ausgezogen, wir mit Adam ,zugleich'" 148 . Mit dieser Bestimmung will Althaus jedoch das Entscheidende der traditionellen Urstandslehre festhalten - um mit Althaus zu reden: Das Ausgezogensein aus dem Vaterhaus! ,,[Z]ur Sünde kommt es durch eine unableitbare unbegreifliche Tat, durch einen Fall. [...] Mein böser Wille, der wider Gott streitet, ist nicht von Gott gesetzt. Sünde bedeutet Widerspruch gegen das schöpfungsmäßige Sein, Verkehrung desselben. Wir sind also aus einem Urzustände, den Gott gesetzt hat, herausgefallen. [...] Nicht Ziel, sondern Ursprung und Heimat ist das Leben bei Gott. [...] Mit unserer Sünde verlassen wir das Vaterhaus, in dem wir als Söhne leben durften" 149 . Althaus will so das entscheidende Interesse der Urstandslehre wahren: Gott hat uns als vollkommen geschaffen, so liegt unser Ursprung in der vollkommenen Gottesgemeinschaft, die Sünde ist ein Verlassen eben dieses Ursprungs - so sehr dieses Verlassen nicht als historische Tat am Anfang, sondern als Moment eines jeden menschlichen Lebens verstanden werden muß! Gerade dies ist aber der Grund für Schleiermachers Bestreitung der Urstandslehre, sie ist nicht gegen eine historische Verankerung des Urstandes gerichtet, sondern gegen die theologische Aussage der Urstandslehre: gegen die Aussage des ursprünglichen Beheimatetseins im Vaterhaus! Dieses ursprüngliche Beheimatetsein des Menschen im Vaterhaus wird von Schleiermacher dadurch bestritten, daß er die ursprüngliche Vollkommenheit gerade nicht als Heimat der Menschen betrachtet, sondern als Ziel ihrer Reise. Gerade hierin erkennt auch Althaus seinen theologischen Gegensatz zu Schleiermacher: „Wenn er [Schleiermacher] die Geschichtlichkeit des Urstandes leugnet, so ist die Meinung, daß der Urständ als die ständige Grundlage der Entwicklung zur vollkommenen Religion für alle erhalten bleibt; wenn wir uns der Historisierung widersetzten, so ist die Meinung, daß der Urständ für alle, auch für Adam schon vergangen ist" 150 . Schleiermacher intendiert den Aufweis, daß nicht die Vollkommenheit der von Gott geschaffene Ursprung menschlicher Existenz ist, sein Vaterhaus, sondern daß die Sündlichkeit die Heimatstätte des Menschen ist. Nicht die Vollkommenheit, sondern die Sündlichkeit ist das schöpfungsmäßige Sein des Menschen. Die theologische Pointe der traditionellen Urstandslehre (nicht bloß ihre problematische Einkleidung in eine historische Vorstellung!) wird von Schleiermacher somit negiert! Der Mensch ist von seinem gottgesetzten Ursprung nicht abgekehrt, nicht Ursprung und Heimat, sondern Ziel ist das Leben bei Gott.

147 148

149 150

Ebd. ChW II, S. 149. - „Adam" - so bringt dies Joest zum Ausdruck - „ist der Mensch, der wir alle sind und von dem wir alle immer auch schon herkommen" (ders., Dogmatik Bd. II, S. 378) ChW II, S. 145f. A. a. O., S. 151.

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Hat Schleiermacher aber nun nicht die Vollkommenheit, sondern die Sündlichkeit als den von Gott gesetzten Ursprung begriffen, so ist darin ja die Aussage enthalten, daß Gott selbst der Ursprung der Sünde ist, daß die Sünde von Gott - und zwar als Ursprung der Menschheit - gesetzt wurde. Hat die traditionelle Urstandslehre in ihrer theologischen Pointe gerade diese Vorstellung abgewehrt, so kann Schleiermachers Beschreibung der ursprünglichen Vollkommenheit und der Ursündlichkeit der menschlichen Natur die Konsequenz, die Sünde als von Gott gesetzt zu sehen, gar nicht vermeiden, sie liegt ihr zugrunde 151 . Schleiermacher selbst täuscht sich über diesen Sachverhalt keineswegs hinweg, sondern er scheut sich nicht, diese Konsequenz auszusprechen und zu verteidigen: Die Sünde ist von Gott „geordnet" 152 . Ist Gott die Ursächlichkeit des lückenlosen Naturzusammenhangs, so muß auch die Sünde „irgendwie [...] durch die göttliche Ursächlichkeit bestehen" 153 . Ist der gesamte Natur- und Lebenszusammenhang in der göttlichen Ursächlichkeit gegründet, ist mithin das fromme Gefühl „nichts anderes als" das Naturgefühl, d. h. das Gefühl des Eingegliedertseins in einen Naturzusammenhang, so ist die Sünde sowohl im Naturzusammenhang gegründet als auch steht sie unter der göttlichen Mitwirkung 154 . So muß sich von der Sünde „irgendwie nachweisen lassen, daß sie vermöge besonderer göttlichen Tätigkeit besteht" 155 . Wie aber kann nun Gott als Urheber der Sünde angesehen werden? Zu der Beschreibung Gottes, die ihn als Urheber der Sünde verstehen läßt, gehören nach Schleiermacher nun aber zwei wesentliche Voraussetzungen: Gott hat kein Interesse an der Sünde selbst, sondern nur als Bedingung für seine Gnade 156 . Zum anderen ist Gottes Mitwirkung an der Sünde in seiner Allmacht begründet 157 . Hat Gott kein eigenständiges Interesse an der Sünde - ist sie vielmehr nur um der Gnade willen gesetzt 151

152 153 154 155 156 157

So macht Axt-Piscalar zu Recht darauf aufmerksam, daß die Vorstellung der Ursündlichkeit der menschlichen Natur mit erheblichen Schwierigkeiten belastet ist (vgl. dies., Ohnmächtige Freiheit, S. 256; 260ff; 280): „Diese Auffassung einer ursprünglichen Sündhaftigkeit Adams bringt Schleiermacher in die Gefahr, dessen Sündhaftigkeit als anerschaffen zu behaupten" (a. a. O., S. 280). Damit aber gehe die Sünde „letztlich auf eine göttliche Anordnung zurück[]" (a. a. 0 . , S . 261), ,,[d]ie Folgerung, daß [...] die Sünde zu einem natürlichen Entwicklungsmoment im Lebensvollzug des Menschen erklärt und auf Gott zurückgeführt wird, kann Schleiermacher [...] nicht vermeiden" (a. a. O., S. 262). G1L § 80, Leitsatz. G1L § 79, 1. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. G1L § 79, 2. Vgl. ebd.

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so will Schleiermacher die Sünde nicht als „besondere Mitteilung" 158 verstehen, sondern nur in ihrem Zusammenhang mit der Gnade 159 . Sünde und Gnade sind beide aufeinander hingeordnet und zwar so, daß Gott die Sünde zum Verschwinden hinsichtlich der Gnade bestimmt hat 160 . So ist nach Schleiermacher die Sünde nicht für sich allein gewollt - wer hätte das auch je behauptet? - , sondern um der Erlösung willen da 1 6 1 . Insofern in Christus das Ziel der Menschheitsentwicklung erscheint, ist von Anfang an alles auf ihn als den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung bezogen 162 . Kann aber die Wirksamkeit der Erlösung erst eintreten, „wenn ein gewisses M a ß der Sünde erfüllt ist, [...] so wird man keine Bedenken tragen können zu sagen, daß Gott auch, wiewohl nur in bezug auf die Erlösung, der Urheber der Sünde ist" 163 . Gott hat mithin die Sünde als ein Entwicklungsstadium auf dem Weg der Erlösung gewollt. Will man aber - so Schleiermacher - umgekehrt behaupten, daß die Sünde nicht gegründet ist im göttlichen Willen, „so muß man einen andern aber von dem göttlichen insofern völlig unabhängigen Willen annehmen, in welchem alle Sünde als solche ihren letzten Grund habe" 1 6 4 . Schleiermacher macht darauf aufmerksam, daß die Urheberschaft Gottes bei der Sünde nicht durch den Hinweis auf die Freiheit des Menschen überwunden werden kann; denn auch die Freiheit des Menschen wurzelt - dies hat Schleiermacher ja gerade in seiner Einleitung eindrücklich herausgestellt - in der Ursächlichkeit Gottes 165 . ,,[S]o muß [...] übrig gelassen werden, daß die in der mit Ohnmacht behafteten Freiheit begründete Sünde auch als solche von Gott geordnet sei, wenn nicht schlechthin angenommen werden soll, daß die göttliche Wirksamkeit durch etwas nicht von der göttlichen Ursächlichkeit Abhängiges könne begrenzt werden" 166 . Die Sünde ist „als das die Erlösung notwendig Machende von Gott geordnet" 167 . Das Gesetztsein der Sünde in bezug auf die Gnade versteht Schleiermacher als negative Folie des positiven göttlichen Willens: Bewirkt Gott die Anerkennung seines Willens in uns, so bewirkt er - als Abfallprodukt - auch die Nichtanerkennung seines Willens 168 . „Durch dieses also ist, 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167 168

G1L § 80, 1. Vgl. G1L § 80, I f f . Vgl. GlL § 80, 2. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. GlL § 80, 4; vgl. auch bes. GlL § 81. Vgl. bes. GlL § 81, 2. Ebd. GlL § 81, 3. Vgl. ebd.

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wenngleich für keine einzelne sündliche Handlung auf eine ihr angehörige göttliche Ursächlichkeit zurückgegangen werden kann, doch die Sünde von Gott geordnet, weil sonst auch die Erlösung nicht könnte von ihm geordnet sein, also auch nicht die Sünde an und für sich, sondern nur die Sünde in bezug auf die Erlösung" 169 . Die Sünde ist von Gott geordnet als dasjenige, was durch die Erlösung aufgehoben werden soll170. Gerade weil die anfängliche Unkräftigkeit des Gottesbewußtseins im ursprünglichen Wollen und Wirken Gottes selbst gründet, kann das ursprüngliche Wollen und Wirken Gottes durch die Sünde nicht tangiert werden171. 2.1.3 Die Sünde als Bewußtsein der Sünde Indem Schleiermacher die ursprüngliche Vollkommenheit als das Ziel der Menschheitsentwicklung begreift, die Sündlichkeit aber als ihren Ursprung - in Anlehnung an Althaus können wir sagen: als das Vaterhaus der Menschheit - , so läßt sich die prozessuale Entwicklung als die Entwicklung aus der Sündlichkeit bis zur Vollkommenheit begreifen und damit als eine immer stärker werdende Vollkommenheit zuungunsten einer abnehmenden Sündlichkeit. Damit aber kann die Sünde nicht als eine Abkehr beschrieben werden. Die Sünde ist für Schleiermacher keine aversio a deo, sondern Hemmung des Gottesbewußtseins 172 , die er als ,,positive[n] Widerstreit des Fleisches gegen den Geist" 173 begreift. Dieser positive Widerstreit des Fleisches gegen den Geist wird von Schleiermacher „als eine[] durch die Selbständigkeit der sinnlichen Funktion verursachte[] Hemmung der bestimmenden Kraft des Geistes"174 erläutert. Dadurch, daß das „Kraftgewinnen des Geistes über das Fleisch"175 nicht stetig ist, entsteht das Bewußtsein von Sünde. Nun hat Axt-Piscalar aus der Einleitung der Glaubenslehre Implikationen für die Sündenlehre entwickelt176 und in Schleiermachers Bestimmung des Wesens der Frömmigkeit als Gefühl der Vorgegebenheit unserer Freiheit die Möglichkeit erblickt, die Sünde als „Negation der Verdanktheit unserer Selbsttätigkeit"177 zu beschreiben und hierin - indem der „Vollzug unmittelbarer Selbsttätigkeit als die faktisch und nicht

169 170 171 172 173 174 175 176 177

Ebd. Vgl. bes. G1L § 82, Zusatz. So zu Recht Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 2 8 5 . G1L § 66, 1. G1L § 66, Leitsatz. G1L § 66,2. G1L § 67,2. Vgl. Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 199ff. A. a. O., S. 2 0 0 .

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immer schon bewußt vollzogene Negation der Verdanktheit unserer Selbständigkeit [erscheint]"178 - sowohl eine Leistung hinsichtlich des Begreifens der christologischen Vermittlung der Sünde179 als auch der phänomenologischen Beschreibungsrelevanz180 erblickt. Doch macht AxtPiscalar darauf aufmerksam, daß Schleiermacher in der Sündenlehre selbst gerade auf die Leistung der Einleitung nicht zurückgreift und die Sünde gerade nicht als strukturelle Verkehrung im Vollzug der Freiheit beschreibt, obwohl die Einleitung ihm dazu die Möglichkeit geboten habe181. So erklärt er die Sünde nun aus den „Naturbedingungen und den Entwicklungsgesetzen menschlichen Daseins"182. Gerade so aber habe Schleiermacher den Gegensatz gegen Gott „nicht ausreichend bedacht" 183 , 178 179

180

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Ebd. Besteht die Sünde nämlich in der Negation der Verdanktheit unserer Selbsttätigkeit und wird diese Negation im Vollzug unmittelbarer Selbsttätigkeit immer schon vollzogen, dann qualifiziert erst das Bewußtsein der Verdanktheit unserer Selbsttätigkeit „diesen in sich widersprüchlichen Vollzug der Freiheit [ . . . ] - gleichsam nachträglich - als ,Sünde'" (ebd.) „Jedenfalls wird durch den Vollzug unmittelbarer Selbsttätigkeit, in dem wir uns immer schon vorfinden, nicht bewußt, sondern de facto die Tatsache des Gesetztseins unserer Freiheit durch den absoluten Grund negiert. Dieser faktische Widerspruch [...] wird durch das Gottesbewußtsein als das qualifiziert, was er eigentlich ist, nämlich Sünde" (ebd.). Erkennt der Sünder erst im Glauben „Unwesen und Ausmaß der Sünde" (a. a. O., S. 202), so ist „[d]ie Qualifizierung unserer Selbstverfehlung als Sünde [...] christologisch vermittelt" (a. a. O., S. 202). Besteht die Sünde in der Negation der Verdanktheit unser Selbsttätigkeit und wird diese Negation immer schon vollzogen, dann kann - so Axt-Piscalar - auch das systematische Interesse der traditionellen Erbsündenlehre aufgenommen werden, „insofern es auf die faktische Unvorgreiflichkeit unseres Sünderseins abhebt" (a. a. O., S. 200). „Der Vollzug unmittelbarer Selbsttätigkeit als solcher hat den Charakter des Gesetztseins endlicher Freiheit immer schon negiert und die Frage nach dem Anfang des so bestimmten Vollzugs ist damit aufgehoben" (ebd.). Mit dieser Beschreibung gelingt es daher - so Axt-Piscalar - , die „Negation der Verdanktheit unserer Selbständigkeit" nicht als eine bewußte Negation verstehen zu müssen, sondern es wird zur Geltung gebracht, „daß der Vollzug von Selbsttätigkeit, in welchem wir uns immer schon vorfinden, faktisch und eo ipso den Grund ihrer selbst negiert und vor allem immer schon negiert hat" (a. a. O., S. 201). Damit wird aber gerade der ,,erhebliche[] Mangel an phänomenologischer Beschreibungsrelevanz im Hinblick auf die Faktizität der Sünde" (ebd.), der mit der Vorstellung der Sünde als einer bewußten Negation verbunden ist, überwunden (vgl. ebd.). Gerade weil Schleiermacher nicht von einer bewußten Abwendung von Gott und damit einem vorausgesetzten Schuldbewußtsein ausgehen muß, gelangt er zu einer christologisch vermittelten Qualifizierung der Sünde (vgl. a. a. O., S. 202; vgl. auch a. a. O., S. 176; 185). Vgl. a. a. O., S. 205; 253. A. a. O., S. 205. A. a. O., S. 237.

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die - um mit R. Hermann zu reden - „immer wieder zum Ereignis werdende und mit entsprechendem geschichtlichem Versagen gepaarte Überhebung der Menschheit und ihrer Glieder gegenüber dem Herrn von Zeit und Geschichte" 184 . Nun wird man zwar Axt-Piscalars Kritik an Schleiermachers Sündenlehre zustimmen müssen, daß hier der Gegensatz gegen Gott nicht ausreichend bedacht ist, insofern die Sünde aus den - von Gott gewirkten Naturbedingungen und Entwicklungsgesetzen des menschlichen Daseins erklärt wird. Zu bestreiten ist aber ihr Versuch, Schleiermachers Sündenlehre als einen Rückschritt hinter die Einsichten der Einleitung des Glaubenslehre aufzufassen, in der die Möglichkeit gegeben sei, die Sünde als Negation der Verdanktheit unserer Selbsttätigkeit zu begreifen; denn es zeigt sich im Rahmen unserer Erörterung der Grundentscheidungen der Theologie Schleiermachers, daß die Sünde von Schleiermacher aufgrund seiner Vorstellung der einlinig prozessualen Entwicklung der Menschheit weder als ein Bruch noch als ein Gegensatz verstanden werden kann. Eine strukturelle Verkehrung ist im Rahmen des Schleiermacherschen Entwicklungsdenkens gar nicht möglich! Schleiermachers Sündenlehre erweist sich so als stimmig innerhalb seiner dogmatischen Konzeption. Daher darf - welche Anregungen man auch immer aus der Einleitung der Glaubenslehre empfängt - nicht verdeckt werden, daß die Möglichkeit der Negation der Verdanktheit unserer Existenz in der in der Einleitung vorgenommenen Wesensbestimmung der Frömmigkeit gar nicht bedacht, ja vielmehr ausgeschlossen ist. Die Selbstverwirklichung als Form der Frömmigkeit, das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von sich selbst, ist bei Schleiermacher nicht in die Bestimmung der Frömmigkeit hineingenommen, dort vielmehr ausgeschlossen. Es gibt keine strukturelle Verkehrung, sondern nur eine schwache Belebung des Gottesbewußtseins 185 . Der Mensch ist qua seines unmittelbaren Selbstbewußtseins immer schon ausgerichtet auf den wahren Grund des Seins1*6. Eine struk-

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H e r m a n n , Art. Schleiermacher II, Sp. 1431. Vgl. G1L § 11, 2. So urteilt O . Bayer: „ M a n verharmlost die ideologische Verblendung, in der der Mensch sich befindet, und überspielt sie durch den Rückgang auf ein formalisiertes ontologisches transcendentale, das m a n als abstraktes Integral zur Gewährleistung anthropologischer Kontinuität meint als notwendig voraussetzen zu müssen" (ders., W a s ist das: Theologie?, S. 48). Daher - so Bayer zu Recht - k a n n Schleiermacher nicht mit Luther parallelisiert werden: „Dächte aber Schleiermacher der Sache nach wirklich parallel zu Luther, d a n n hätte er das von den §§ 3f der Glaubenslehre Ausgeschlossene, nämlich die Selbstverwirklichung als F o r m der Frömmigkeit, in deren Bestimmung hineinnehmen müssen: als das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit von sich selbst. Dies hat Schleiermacher

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turelle Verkehrung, ein „schlechthinniger Widerspruch gegen den gebietenden Willen Gottes" 187 , wäre nicht vereinbar mit der schlechthinnigen göttlichen Ursächlichkeit 188 . Die Verstockung, - und mit keinem anderen Begriff kann man ja eine strukturelle Verkehrung bezeichnen - ist bei Schleiermacher ausschließlich als ein Punkt denkbar, dem man sich nur wie eine Asymptote einer Tangente nähern kann 189 . Eine Verstockung ist daher - so Schleiermacher - „kein menschlicher Zustand" 1 9 0 ; der Mensch befindet sich immer in dem Entwicklungsprozeß, er ist hiervon nie strukturell abgekehrt 191 . So zeigt sich, daß Schleiermacher - sowohl in der in der Einleitung der Glaubenslehre vorgenommenen Wesens- und Ortsbestimmung der Frömmigkeit als auch in der Sündenlehre selbst - mit der Sünde keinen realen Gegensatz zu Gott meint. Dieser reale Gegensatz ist für Schleiermacher durch sein Verständnis Gottes als die schlechthinnige Ursächlichkeit s. o. - ausgeschlossen. Gott - so betont Beißer zu Recht - wird durch die Sünde nicht berührt 192 . „ M a n kann eigentlich nicht gegen Gott sündigen"193. Die Entwicklung des Menschen von seinem unvollkommenen Vaterhaus zu seiner vollkommenen Heimat verträgt keine realen Gegensätze, sondern letztlich nur unterschiedliche Bewußtseinszustände. Die Sünde wird daher bei Schleiermacher - und hierauf hat nicht zuletzt Bader zu Recht entscheidend aufmerksam gemacht - wesentlich als Bewußtsein der Sünde entfaltet 194 . Dies wird von Schleiermacher geradezu als Programm seiner Sündenlehre festgelegt: Das Sündenbewußtsein

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jedoch nicht getan - wohl aufgrund einer christlichen Vorentscheidung: der Annahme des Lebens zunächst als Gabe. Er hat so Ontisches uneingestanden ontologisiert. Dabei wurde aus dem in der Ontologisierung gewonnenen transcendentale gerade das ausgeschlossen, was für Luther ontisch in hartem Widerspruch zum ,rechten Vertrauen' liegt, nämlich das ,Vertrauen' auf das Werk, das ,falsche Vertrauen'. Deshalb konnte für Schleiermacher auf des ,Gegensatzes einer Seite', auf der Seite der Sünde, qualitativ nichts anderes stehen als auf des ,Gegensatzes anderer Seite', auf der Seite der Gnade. Weil die Sünde in der Perspektive desselben transcendentale liegt, das durch die Ontologisierung der Gnade gewonnen ist, ist sie nur quantitativ von dieser, der Klarheit des Gottesbewußtseins, als dessen T r ü b u n g verschieden" (a. a. O., S. 49f). G1L § 81, 3. Vgl. ebd. Vgl. G1L § 74, 3. G1L § 80, 2. Vgl. ebd.: ,,[J]edes solche Gesamtleben ist, w e n n gleich selbst unvollkommen und sündlich, doch schon durch Ahnung und Sehnsucht in innerm Z u s a m m e n h a n g mit der Erlösung". Vgl. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 2 0 6 . Ebd. Vgl. Bader, Sünde und Bewußtsein der Sünde, S. 60ff, bes. 68ff.

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ist dasjenige Bewußtsein, „welches [...] immer mehr verschwinden soll" 1 9 5 , das Gnadenbewußtsein dasjenige Bewußtsein, „welches immer weniger durch jenes erste soll begrenzt werden" 1 9 6 . So ist für Schleiermacher das Bewußtsein der Sünde das „Bewußtsein, daß man mit seiner Selbstbildung hinter seinem Ideal zurückbleibt" 1 9 7 , es ist das Bewußtsein, daß das Fleisch über den Geist dominiert. Axt-Piscalar hat nun zu Recht darauf aufmerksam gemacht 1 9 8 , daß Schleiermachers Sündenlehre christologisch vermittelt ist, d. h. die Verkehrung des Daseins qualifiziert sich erst aus der Perspektive des Glaubens als Sünde 1 9 9 . Ist aber - so Schleiermacher - mithin erst aus dem Gottesbewußtsein, d. h. der Richtung auf das Gute, die Sünde als solche erkennbar, so ist die Sünde nach Schleiermacher überhaupt erst da, wo ein Bewußtsein von ihr ist 200 . Qualifiziert sich aber erst aus der Richtung auf das Gute das Sündenbewußtsein, mithin die Sünde, so ist nach Schleiermacher das Bewußtsein der Sünde immer durch Gutes bedingt 201 . Sünde offenbart sich „an schon gewordenem Guten" 2 0 2 und hemmt das Künftige. Hat die Sünde aber so sehr ihren Ort am Guten als „notwendige Begleiterin eines jeden Guten" 2 0 3 , so kann ihr Widerspruch nicht mehr real werden 204 . Ist die Sünde nur in ihrer Bezogenheit auf das Gute wirklich, so können „auftretende Gegensätze [...] nie ,reale' oder ,schlechthinnige' Widersprüche sein, sondern es handelt sich um einen ,beziehungsweisen Gegensatz', innerhalb dessen die formale Dialektik ihr Spiel des ,Mehr oder Minder' entspinnt" 2 0 5 . So wird die Sünde statt als realer Widerspruch gegen Gott als ein mangelhafter Bewußtseinszustand innerhalb der menschlichen

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200 201 202 203 204

205

G1L § 6 4 , 2 . Ebd. Kahler, Geschichte der protestantischen D o g m a t i k des 19. Jahrhunderts, S. 77. Vgl. oben A n m . 179. Hierauf hat auch schon Ritsehl zu Recht hingewiesen (vgl. ders., Rechtfertigung und V e r s ö h n u n g I, bes. S. 4 9 7 . Vgl. G1L § 6 8 , 2. Vgl. ebd. G1L 6 8 , 1. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 182. D a h e r formuliert Bader zu Recht: „Bewußtsein kann nie ohne die innere Tendenz auf die Klarheit des vollen Gottesbewußtseins g e d a c h t werden; Bewußtsein ist somit die allgemeine Präsenz des Guten. Wir müssen also sagen: Indem Sünde g e m ä ß dem K a n o n der Glaubenslehre nur als Sündenbewußtsein thematisch wird, ist sie von vornherein in eine Proportion und Relation gestellt, die es unmöglich macht, daß der Widerspruch noch einmal reell wird. Auf dieser Linie steht die Formel, daß das Böse ohne eigenes Dasein nur a m Guten ist und die Sünde nur an der G n a d e " (ders., Sünde und Bewußtsein der Sünde, Seite 68). A. a. O . , S. 69.

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Entwicklung entfaltet, bestimmt, durch den höheren Bewußtseinszustand abgelöst zu werden 206 . So kritisiert Axt-Piscalar zu Recht: „Schleiermacher vermag es nicht, die Wirklichkeit der Sünde für Gott als ein im Gang der Heilsökonomie zu überwindender realer Gegensatz zu seiner Schöpfungsabsicht aussagen" 207 . 2.1.4 Die Lehre von der Sünde im Rahmen des evolutionären Monismus Schleiermacher hat sich somit durch die Sünde nicht aus dem ruhigen Fahrwasser seiner Glaubenslehre herausbringen lassen, sondern ist in der pazifistischen Ruhe geblieben, in der sie verharrte: Ist in dem einlinig prozessual sich entwickelnden Naturzusammenhang ein Bruch nicht möglich, so wird die Sünde verstanden als das Bewußtsein der Unvollkommenheit der eigenen Entwicklung innerhalb der Menschheitsentwicklung. Und ist Gott die Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges, so kann gerade in bezug auf das Bewußtsein des Menschen Gott als der Urheber der Sünde bezeichnet werden: Als gerechter Gott hat Gott uns das Gewissen gegeben208; gerecht ist Gott, weil er uns das Bewußtsein der Strafwürdigkeit entstehen läßt 209 . Damit hat Schleiermachers monistische Theologie deutlich gezeigt, unter welchen Bedingungen sie die Sünde zu integrieren vermag: Sie muß die Sünde so fassen, daß sie nicht mehr als Bruch erscheint. Schleiermacher tut dies, indem er zum einen die ursprüngliche Vollkommenheit nicht als Ursprung der Menschheit begreift, sondern als ihr Ziel, ihren Ursprung aber gerade in der Sündlichkeit erblickt. Die anfängliche Unkräftigkeit des Gottesbewußtseins gehört zur Entwicklung des Menschen und geht auf die göttliche Anordnung zurück. Zum anderen wird die Sünde erst in der Kräftigkeit des Gottesbewußtseins wirklich 210 . Indem die Sünde erst in der Kräftigkeit des Gottesbewußtseins wirklich wird, hängt sie mithin unauflöslich am Guten. Damit ist aber jeder reale und schlechthinnige Widerspruch, jede strukturelle Abkehr von Gott aus dem Sündenverständnis ausgeschlossen: In dem Moment, wo die Sünde wirklich wird, ist sie schon aufgehoben im Gang der Entwicklung, der Vervollkommnung des Menschen. So

206

So kritisiert schon Seibert, Schleiermachers Lehre von der Versöhnung, S. 2 6 :

„Die Sünde ist etwas rein Subjectives Bedeutung".

207 208 209

210

ohne jedliche

objective

Beziehung

und

Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 2 9 3 . Vgl G1L § 8 3 , 3. Vgl. bes. GlL § 8 4 , 2. - Vgl. auch Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 192ff; Kähler, Geschichte der protestantischen Dogmatik, S. 7 7 . Vgl. ebenso Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, S. 2 8 2 f .

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

zeigt der Blick auf Schleiermachers Sündenverständnis, daß die monistische Konzeption Schleiermachers diesen dazu zwingt, dem christlichen Verständnis der Sünde die Spitze abzubrechen, indem sie - die Sünde im Heilswillen Gottes begründend - die Sünde gar nicht mehr als Feindschaft des Menschen zu Gott zur Sprache bringt.

2.2 Person und Werk Christi In der Einleitung seiner Glaubenslehre hat Schleiermacher das Wesen der Frömmigkeit beschrieben und damit die Grenzen gezeigt, innerhalb deren der christliche Glaube, als eine bestimmte Gestalt dieses Wesens, zu verstehen ist. Dabei wurde zum einen deutlich, daß Jesus Christus für den christlichen Glauben eine konstitutive Funktion besitzt. Zum anderen wurde auch schon die Schranke dessen deutlich, was Schleiermacher innerhalb der Grenzen seiner Beschreibung des allgemeinen Wesens von Frömmigkeit zu leisten vermag: Jesus Christus kann innerhalb der prozessualen Entwicklung der Menschheit nicht als ein schlechthin Neues verstanden werden, vielmehr ist sein Erscheinen der menschlichen Entwicklung als ein Entwicklungsmoment eingestiftet. Die Schranken, die Schleiermachers Entwicklungsgedanke besitzt, zeigt sich deutlich in seiner Bestimmung von Person und Werk Jesu Christi. So wird auch hier zunächst deutlich: Der Zustand der Seligkeit bzw. die „Annäherungen an den Zustand der Seligkeit" 211 ist begründet „in einem neuen göttlich gewirkten Gesamtleben" 212 . Gerade hier greift Schleiermacher die konstitutive Bedeutung der Kirche und Jesu Christi für die christliche Frömmigkeit auf: Keine Erlösung ohne Bezug auf Christus und kein Bezug auf Christus ohne die Vermittlung der Gemeinschaft 213 ! Doch indem Schleiermacher die Erlösung als Mitteilung der unsündlichen Vollkommenheit begreift 214 , ist sie eingepaßt in seine Vorstellung einer sich prozessual entwickelnden Menschheit von der Sündlichkeit bis hin zur Vollkommenheit. Hat Schleiermacher schon in seiner Einleitung gezeigt, daß er auch das Erscheinen Christi nicht als etwas Übernatürliches in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte begreift, so betont er auch in seiner Christologie, daß Christus im „Zusammenhang" 2 1 5 mit der Entwicklung der Menschheit steht. Geht die menschli-

2,1 212 213 214 2,5

G1L § 87, Leitsatz. Ebd. Vgl. G1L § 87, 2. Vgl. G1L § 88. G1L § 88, 4.

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che Entwicklung von der Ursündlichkeit hin zur Vollkommenheit, so stellt Jesus Christus die „Vollendung der Schöpfung des Menschen" 2 1 6 dar. Gerade so - als Moment der Entwicklung der Menschheit - steht Christus unter dem „Gesetz der geschichtlichen Entwicklung" 2 1 7 als zweites Moment der göttlichen Schöpfung 2 1 8 . „Denn kam gleich bei der ersten Schöpfung des Menschengeschlechtes nur der unvollkommene Zustand der menschlichen Natur zur Erscheinung: so war doch das Erscheinen des Erlösers ihr auf unzeitliche Weise schon eingepflanzt. So daß die Einheit des göttlichen Ratschlusses auch in dem Sinne, wie er immer hat müssen in der Erfüllung begriffen sein, gleich deutlich erhellt, ob wir sagen, Gott habe den Menschen die Sünde geordnet mit Beziehung auf die Erlösung, oder ob wir sagen, er habe die menschliche Natur auch in dem Sinne unter das Gesetz des irdischen Seins gestellt, daß so wie in jedem Einzelnen das sinnliche Selbstbewußtsein sich früher entwickelt, das Gottesbewußtsein aber erst später hinzutritt und sich jenes allmählich bis zu einem gewissen Grad aneignet und unterwirft" 2 1 9 . Hiermit hat Schleiermacher sein Verständnis des Heils und des Heilsmittlers schon wesentlich dargelegt: Geht die Entwicklung der Menschheit von der Sündlichkeit hin zur Vollkommenheit, so ist das Erscheinen Jesu Christi ein Moment dieser Entwicklung; in ihm erscheint - als ein zweites Moment des schöpferischen Aktes Gottes - die Vollkommenheit. Damit ist - wie auch schon in der Einleitung deutlich wurde, sich aber nun gerade in der Ausführung der Glaubenslehre bestätigt - zum einen Christus als ein «ewschöpferischer Akt Gottes negiert: Er ist der Höhepunkt der einlinigen Entwicklung der Menschheit. So ist - wie bei der Sünde auch - die Kontingenz des Erscheinens Christi bestritten! Zum anderen ist damit schon markiert, wie Schleiermacher das „Amt" Christi verstehen will: In Christus erscheint kein neues göttliches Handeln, auf das der Glaubende vertrauen darf (dies ist innerhalb des Programms Schleiermachers unmöglich!), sondern in Christus erscheint die Vollkommenheit, die Ziel der Menschheitsentwicklung ist und der Menschheit - als ihre Bestimmung - „eingepflanzt" ist. Schleiermacher bringt dies nun in seiner Auseinandersetzung mit der Tradition zum Ausdruck, indem er sowohl die Lehre von Christi Person (seiner Würde) als auch die Lehre von Christi Werk so umformt, daß sie in die Form seines evolutionären Monismus passen.

216 217 218 219

G1L G1L Vgl. GlL

§ 89,1. § 89, 2. ebd. § 89,3.

40

Die Grundprobleme des theologischen Monismus 2 . 2 . 1 Die Würde Christi: Die Urbildlichkeit

Ist Gott bei Schleiermacher also die Ursächlichkeit des Naturzusammenhangs, so kann der so verstandene transzendente Grund des Seins niemals wirklich in den Naturzusammenhang eingehen. Der Satz, daß Gott Mensch wurde, kann kein Bestandteil des von Schleiermacher beschriebenen Wesens der Frömmigkeit sein (s.u.). So ist Schleiermacher gezwungen, die Würde Christi nicht in seiner Gottheit zu erblicken, sondern darin, daß er der der Bestimmung des Menschen entsprechende (d. h. unsündliche und vollkommene) Mensch 2 2 0 war. Dennoch ist Schleiermacher natürlich um Ausgleich mit der Tradition bemüht und so negiert er nicht die Rede von der Gottheit Christi, sondern erblickt Christi Gottheit gerade darin, daß er der der Bestimmung des Menschen gemäße Mensch ist: der urbildliche Mensch. Die Würde Jesu Christi wird so von Schleiermacher in der Urbildlichkeit des Gottesbewußtseins erblickt, die Schleiermacher als die Kräftigkeit des Gottesbewußtseins erläutert 221 . Schleiermacher grenzt sein Verständnis Jesu Christi als Urbild gegen ein Verständnis seiner Würde als „bloßes" Vorbild vehement ab: Die Vorbildlichkeit kann Christi Würde nicht zur Geltung bringen; denn zum einen kann man über ein Vorbild hinausgehen, es ist nicht als der Endpunkt einer Entwicklung zu betrachten, zum anderen ist in dem Begriff des Vorbildes noch nicht die produktive Kraft zum Ausdruck gebracht, die Jesus Christus als dem Erlöser eigen ist 222 . Damit hat aber Schleier220 221 222

Vgl. G1L § 9 8 . Vgl. G1L § 9 3 , 2. Vgl. ebd. Der Versuch, Schleiermachers Verständnis Jesu Christi als „Urbild" von einem Verständnis Jesu Christi als „Vorbild" abzugrenzen, stützt sich im wesentlichen auf Schleiermachers eigene Hinweise: So weist Lange darauf hin, daß ein Urbild „etwas anderes ist als ein moralisches Vorbild: das Urbild ergreift und formt den Menschen, dem es sich mitteilt" (ders., Neugestaltung christlicher Glaubenslehre, S. 101). Auch Weymann urteilt, daß Christus „nicht nur Vorbild oder nur Entwicklungspunkt [ist], sondern stetige Quelle des neuen Gesamtlebens, das immer nur unvollkommen und daher der Belebung und Vervollkommnung bedürftig bleibt" (ders., Glaube als Lebensvollzug und der Lebensvollzug des Denkens, S. 144). Daher halte es Schleiermacher für entscheidend, „daß der Lebensvollzug des Glaubens auf seinen Grund bezogen bleibt, das Leben Christi in uns in der Weise des Glaubens im geschichtlich urbildlichen Leben Christi seine Quelle h a t " (a. a. O., S. 148). Schließlich wird auch darauf aufmerksam gemacht, daß das Verhältnis des Glaubenden zu Jesu konstitutiv ist: „Für Schleiermacher ist Jesus nicht lediglich der Kristallisationskern, an dem die ewige Idee der gottmenschlichen Einheit ihre bloße Vorstellungsform bildet, [...] sondern das Verhältnis des Glaubens zur Persönlichkeit Jesu in ihrer ganzen Ursprünglichkeit ist das Grunddatum aller christlichen Frömmigkeit, von dem sie sich niemals lösen, über das sie nie, ζ. B. durch Erhebung zum reinen Begriff wie bei Hegel, hinaus wachsen k a n n " (Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 5 9 ; vgl. ders., Anmerkungen zur Christologie Schleiermachers, S. 122).

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macher letztlich doch nicht mehr getan, als die Vorstellung des „Vorbildes" auf ein „absolutes Vorbild" hin erweitert, ein Vorbild, das die absolute Vollkommenheit, über die nicht hinausgegangen werden kann, abbildet und als solches die Kraft besitzt, eine „Steigerung in der Gesamtheit zu bewirken" 223 . So ist nach Schleiermacher in Christus die schlechthinnige Kräftigkeit des Gottesbewußtseins verwirklicht. Gerade hierin erblickt Schleiermacher die Gottheit Jesu Christi 224 . Insofern unser Gottesbewußtsein nie rein ist, kann nach Schleiermacher nur von Christus selbst gesagt werden, daß das Sein Gottes in ihm ist 225 . Von einer Wesensidentität zwischen Gott und Jesus Christus ist jedoch bei Schleiermacher nicht die Rede 226 ; denn „Schleiermacher hat die Einheit Jesu mit Gott nur im Sinne des Gottesbewußtseins Jesu gedacht" 227 . 2.2.2 Das Amt Christi: Repräsentation der menschlichen Bestimmung Damit ist für Schleiermacher Christi Würde in der Reinheit seines Gottesverhältnisses begründet, darin, daß er die „vollendete Schöpfung der menschlichen Natur" 2 2 8 ist. Die Würde des Erlösers wird so von Schleiermacher eingepaßt in seine Bestimmung des Wesens der Frömmigkeit als das Gefühl des Eingegliedertseins in den Natur- und Lebenszusammenhang. Jesus Christus repräsentiert dasjenige Gottesverhältnis, zu dem der Mensch von Anfang an bestimmt und angelegt war, in das er aber nicht ursprünglich versetzt worden ist 229 . Hat Schleiermacher die Sündlichkeit als den Ursprung des Menschen erblickt und so die Sünde gerade nicht als kontingenten Bruch innerhalb der Menschheitsgeschichte begriffen, sondern als ein notwendiges Strukturmoment dieser Entwicklung, so braucht Christus nun auch nicht als ein ^«schöpferischer Akt Gottes verstanden werden, sondern eben als das Erscheinen des ursprünglichen

223 224 225 226

227

228 229

Ebd. Vgl. G1L § 94, 2 ; 96, 3. Vgl. G1L § 94, 2. So zu Recht auch Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. 1, S. 3 8 1 . Pannenberg, Grundzüge der Christologie, S. 30. - Indem aber gerade die Gottheit Jesu in seinem Gottesverhältnis besteht, dieses Gottesverhältnis aber auch von den Glaubenden gelebt wird, ist bei Schleiermacher - so Slenczka zu Recht - „das ,Sein Gottes in Christo' nicht die einmalige Tat Gottes" (ders., Geschichtlichkeit und Personsein Jesu von Nazareth, S. 2 1 2 ) . G1L § 9 4 , 3 . Christus „bleibt aber innerhalb der Grenzen des von Natur aus möglichen, weil die in ihm Ereignis gewordene Herrschaft des Gottesbewußtseins (Gnade) nur die höchste Verwirklichung einer in jedem Menschen vorhandenen Anlage ist" (Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 140).

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

Zieles der Menschheit 230 . In ihm wird die dem Menschen als seine Bestimmung „eingepflanzte" Vollkommenheit geschichtlich 231 . „War die in dem ersten Adam geschehene Mitteilung des Geistes an die menschliche Natur eine unzureichende, indem der Geist in die Sinnlichkeit versenkt blieb, und kaum auf Augenblicke als Ahndung eines Besseren ganz hervorschaute, und ist das schöpferische Werk erst durch die zweite gleich ursprüngliche Mitteilung an den zweiten Adam vollendet: so gehen doch beide Momente auf einen ungeteilten ewigen göttlichen Ratschluß zurück, und bilden auch im höhern Sinne nur einen und denselben wenn auch uns unerreichbaren Naturzusammenhang" 232 . So bilden der erste und der zweite Adam nicht zwei schöpferische Akte Gottes, sondern zwei Momente eines schöpferischen Aktes und Zusammenhanges: Gott ruft die Welt nicht als vollkommene ins Dasein, sondern als eine, die sich zur Vollkommenheit allererst entwickelt und durch Jesus von Nazareth, durch die in ihm erscheinende Urbildlichkeit, vollendet wird 233 . Ist die geschichtliche Erscheinung Jesu von Nazareth Ziel des schöpferischen Aktes Gottes, auf den die Entwicklung als Höhepunkt zuläuft, so kann in diesem Sinne Christus die Schöpfung zugeschrieben werden 234 . Kommt so die Schöpfung erst durch die geschichtliche Existenz Jesu von Nazareth, in der Erscheinung der schlechthinnigen Kräftigkeit seines Gottes-

230

251 232 233

234

Ist in dem ewigen göttlichen Willen das Erscheinen Christi als Vervollkommnung der menschlichen N a t u r , d. h. als Erscheinung der Vollkommenheit, die die Menschheit dem schöpferischen Willen Gottes entsprechend in ihrem Ursprung nicht hatte, grundgelegt, so ist Jesus Christus in der Tat nicht als ein solcher N e u a n f a n g der Geschichte zur Sprache zu bringen, der eine bisherige Entwicklung abbricht oder unterbricht, vielmehr ist Christus ein M o m e n t dieser - in einem ewigen göttlichen Willen - vorherbestimmten Entwicklung der Geschichte. Das w a h r e Gottesverhältnis, das Christus lebt, wird bei Schleiermacher keineswegs verstanden als ein - gegenüber dem kontingenten Einbruch der Sünde - erneutes Zur-Geltung-Bringen des schöpferischen Willens Gottes, sondern es liegt im schöpferischen Willen Gottes, d a ß das w a h r e Gottesverhältnis allererst in Christus erscheint. So hat nach Schleiermacher Gott in seinem ewigen Ratschluß festgelegt, d a ß der Mensch erst im Laufe der Geschichte zu seiner wahren Frömmigkeit gelangt. Insofern ist durchaus das Erscheinen Jesu Christi als die exemplarische Präsentation des w a h r e n Gottesverhältnisses im Menschen immer schon angelegt. Vgl. G1L § 93. G1L § 94,3. So auch Scheel, Die Theorie von Christus als dem zweiten Adam bei Schleiermacher, S. 60: „Es wird nun deutlich sein, w a s es besagen will, wenn Schleiermacher im zweiten Adam die ganze Fülle des neuen Lebens in der Welt erschienen sieht. Die erste Schöpfung war unvollständig, erst durch die zweite Schöpfung ist das schöpferische Werk Gottes an der Menschheit vollendet". Vgl. G1L § 99, Zusatz.

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bewußtseins, zu ihrer Vollendung, „so läßt sich [...] alle Tätigkeit des Erlösers als eine Fortsetzung jener personbildenden göttlichen Einwirkung auf die menschliche Natur ansehen" 235 . 2.2.3 Jesus Christus: das Vorbild des Gleichmutes Entscheidend ist nun an dem Erscheinen Christi, daß in ihm das der Bestimmung des Menschen gemäße Gottesverhältnis exklusiv und unüberbietbar erscheint 236 ; d. h. das angemessene Bewußtsein von dem Eingegliedertsein in den Naturzusammenhang. So stellt Schleiermacher Jesus Christus - in ausschließlicher Anlehnung an Züge der johanneischen Christologie - 2 3 7 als den im Leiden Unerschütterlichen dar. Der Tod war für Christus kein Übel 238 ; denn in einer „gleichmäßigen Stimmung" 2 3 9 ging Jesus seinem Tod entgegen: Die „Welt solle hieran erkennen, daß er so thue, wie ihm der Vater geboten hat. Dieser, dachte er, hat mich unter das Gesetz gestellt, ich habe das Ansehn desselben geschützt nach meinen Kräften, ich will mich nun auch jeder Prüfung, die es über meine Handlungsweisen anstellen will, offen hingeben" 240 . „Und indem Er nun übersah, was aus diesem hervorgehen würde, wie leicht mußte es für ihn sein, in die Stunde seines Todes zu gehen" 241 . So wird Jesus zum „Vorbild der Standhaftigkeit und des Gleichmutes" 242 , ,,[v]on Anfechtung und wirklichem Leiden des Erlösers findet sich bei Schleiermacher keine Spur" 243 . Ist die ganze evangelische Darstellung jedoch „nicht ohne weiteres mit der stillen Harmonie einer ,schönen Seele' identisch" 244 und verbietet sie „aus dem Charakter Jesu ein Ideal stoischer Apathie und Ataraxie zu machen" 245 , so wird von Schleiermacher die Sündlosigkeit Jesu wesentlich als Affektlosigkeit begriffen 2 4 6 . Schleiermacher beschreibt das Gottesverhältnis Jesu als die angemessene Gestalt des Gefühls des Ein235 236

2,7

238 2W 240 241 242 243

244 245 246

G1L § 100, 2. So auch Mildenberger, Geschichte der protestantischen Theologie des 19. u n d 20. Jahrhunderts, S. 81. Vgl. Wintzer, Art. Predigt IX, S. 312; Scholz, Schleiermachers Lehre von der Sündlosigkeit Jesu, S. 418; Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. I, S. 385. Vgl. G1L § 98, 1. Schleiermacher, Gott unser Vater auch im Sterben, S. 343. Ders., Die Gesinnung, in welcher Christus seinem Leiden entgegenging, S. 2 3 8 . A. a. O., S. 242. Trillhaas, Schleiermachers Predigten, S. 60. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. I, S. 385. Scholz, Schleiermachers Lehre von der Sündlosigkeit Jesu, S. 4 1 4 . Ullmann, Die Sündlosigkeit Jesu, S. 115. Vgl. G1L § 98.

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

gegliedertseins in den Naturzusammenhang. Wird Gott als (a) die nackte Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges beschrieben, ist er (b) auf das einzelne Subjekt nie wirklich bezogen, sondern immer nur durch die Vermittlung des Natur- und Lebenszusammenhanges, in dem das einzelne Subjekt steht, hat Gott (c) der Welt eine unabänderliche Entwicklung eingestiftet, in der alles nach der vorgegebenen Zeit geschieht, so kann die Frömmigkeit, die dieser Tatsache gewahr wird, letztlich nichts anderes sein als stoische Apathie und Ataraxie. 2.2.4 Umbildung der Lehre von der Versöhnung und Erlösung Wird Jesus Christus so als ein notwendiges Element der Schöpfung verstanden, die Schleiermacher wesentlich als eine nach einem gesetzten Plan sich entwickelnde Schöpfung begreift, so ist hiermit die Umbildung schon vorgezeichnet, die die Lehre von Christi versöhnendem und erlösendem Werk erfahren muß: In Christus erfolgt die „Sättigung der Natur mit Gottesbewußtsein" 2 4 7 . Dem Menschen wird das kräftige Gottesbewußtsein eingepflanzt als ein neues Lebensprinzip 248 . Hierin besteht Christi erlösende Tätigkeit 249 . „Erlöser aber ist er als derjenige Mensch, der in der Geschichte das Urbild des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls verwirklicht" 250 . Die versöhnenden Tätigkeit Christi besteht nach Schleiermacher demgegenüber gerade darin, daß Christus uns aufnimmt „in die Gemeinschaft seiner ungetrübten Seligkeit" 251 . Das neue Lebensprinzip, daß in Jesus Christus - dem Gang der Geschichte entsprechend - erscheint, d. h. geschichtlich wird, ist ausgezeichnet durch die ungetrübte Seligkeit. Sind für Schleiermacher weder das Übel noch die Schuld Realitäten, sondern gibt es lediglich das Bewußtsein der Schuld und das Bewußtsein des Übel, so besteht die Seligkeit, die durch Christus mitgeteilt wird, nicht in einer realen Überwindung der Schuld, sondern lediglich darin, daß das Bewußtsein von Übel und Schuld aufgehoben wird. Das Bewußtsein des Übels wird überwunden, weil es erkannt wird als etwas, was die Gemeinschaft mit Christo nicht zu hemmen vermag 252 , das Bewußtsein der Strafwürdigkeit verschwindet, weil das Übel nicht mehr auf die Sünde bezogen wird 253 . Damit hat Christus nicht eine Tat vollbracht, sondern sein Wirken besteht ausschließlich in dem von ihm 247 248 249 250 251 252 253

G1L § 94,3 G1L § 100, 2. Vgl. G1L § 100. Lange, Historischer Jesus oder mythischer Christus, S. 171. G1L § 101, Leitsatz. Vgl. G1L 101, 2. Vgl. ebd.

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gelebten exemplarischen Gottesverhältnis, in einer neuen Betrachtung der Dinge. So formuliert schon Kähler zu Recht: Nach Schleiermacher handelt es sich bei der Erlösung „nicht [...] um ganz neue Dinge, die eingetreten sind, sondern nur um Wandlung der Stellung der Menschen zu den Dingen. [...] Mit anderen Worten: Gott hat nicht die Welt mit sich versöhnt, sondern das christliche Bewußtsein versöhnt den Menschen mit seiner W e l t " 2 5 4 . Unterscheidet die Tradition zwischen Christus als exemplum und Christus als sacramentum, so ist bei Schleiermacher das sakramentale Wirken Christi vollständig zugunsten seiner exemplarischen Wirksamkeit ausgeschieden worden. Daß in Jesus Christus - durch seinen Tod am Kreuz - Versöhnung geschieht, wird bei Schleiermacher nicht zur Geltung gebracht. Vielmehr - s. o. - wird die Versöhnung umgedeutet, als die - der Bestimmung der Person entsprechende - Form die Welt anzuschauen. Schleiermacher konstatiert selbst, daß das Leiden Christi nicht zur Sprache kommt 2 5 5 . „Und dies hat auch seine Richtigkeit, weil sonst keine vollkommene Aufnahme in die Lebensgemeinschaft mit Christo, aus welcher sich Erlösung und Versöhnung vollkommen begreifen lassen, möglich gewesen wäre vor dem Leiden und Tode Christi" 2 5 6 . Damit ist deutlich, daß Schleiermacher dem Tode Christi keine konstitutive Rolle für die christliche Frömmigkeit zusprechen kann: 2 5 7 Entscheidend ist das Gottesverhältnis, was Jesus Christus exemplarisch gelebt hat 2 5 8 . Der T o d Christi kommt nur als Ausdruck für die sich auch in der extremen Situation bewährenden urbildlichen Frömmigkeit in den Blick 2 5 9 254 255 256 257

Kähler, Geschichte der protestantischen Dogmatik des 1 9 . J a h r h u n d e r t s , S. 7 9 f . Vgl. G1L § 1 0 1 , 4 . Ebd. So kann Schleiermacher sogar in seinem „Leben J e s u " auf die T h e s e der Aufklärung zurückgreifen, Jesus sei nur scheintot gewesen und habe dann in den 4 0 Tagen die Gemeinschaft der Kirche gegründet (vgl. ders., D a s Leben Jesu, S. 4 5 6 , 489f).

258

So formuliert zu Recht Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 1 4 7 : „Die Erlösung ist nicht abhängig v o m Kreuzestod Christi, sondern einzig davon, daß in ihm das höhere Leben in die menschliche N a t u r h i n e i n k a m " .

259

So betont Flückiger zu Recht, d a ß bei Schleiermacher zwar das Leiden Christi erwähnt wird, aber ihm kein Versöhnungswert beigemessen wird (vgl. a. a. O . , S. 1 5 2 f ) . Ist Christus die Vollendung der menschlichen N a t u r , so erweist sich dies gerade auch im Leiden, nämlich darin, „ d a ß körperliche Leiden niemals die K r a f t hatten, sein freudiges Selbstbewußtsein zu zerstören und den ,Seligkeitszustand eines M o m e n t e s ' zu verringern" (a. a. O . , S. 1 5 3 ) . Und auch Gerdes stellt fest, daß die Passion Jesu Christ bei Schleiermacher „die vollkommene Darstellung des in gleicher Weise an und für sich jedem seiner Lebensmomente innewohnenden Gottesbewußtseins [ist]" (ders., D a s Christusbild Sören Kierkegaards, S. 6 6 ) . Damit aber sind „entscheidend nicht Leiden und T o d als solche [ . . . ] , sondern entscheidend ist die Art und Weise, wie Jesus sich ihnen u n t e r w i r f t " (ebd.).

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

- auch in seinen Predigten geht Schleiermacher hierüber nicht hinaus260. Eine Vorstellung, die dem Leiden Christi eine Heilsbedeutung zusprechen würde, wird demgegenüber von Schleiermacher als eine magische Vorstellung vehement abgelehnt 261 . Dies zeigt sich nicht zuletzt an Schleiermachers Verständnis des hohenpriesterlichen Amtes Christi262. Schleiermacher muß die stellvertretende Genugtuung Christi radikal umdeuten, so daß seine Lehre „mit dem kirchlichen Begriff der stellvertretenden Genugtuung [...] einfach nichts gemein" 263 mehr hat. So schlägt Schleiermacher eine Teilung des Begriffes der „stellvertretenden Genugtuung" vor: „Christus hat ja allerdings genug für uns getan, indem er durch seine Gesamttat [...] die ewig unerschöpfliche und für jede weitere Entwicklung hinreichende Quelle eines geistigen und seligen Lebens geworden ist" 264 . Aber diese Genugtuung kann nicht als stellvertretend bezeichnet werden: Wir sind - so Schleiermacher - durch die Tat Christi nicht von der Notwendigkeit entbunden, „dies geistige Leben in der Gemeinschaft mit ihm selbsttätig fortzusetzen" 265 . Jesu Leiden kann demgegenüber zwar als stellvertretend bezeichnet werden, weil er Mitgefühl mit der Sünde hatte und Übel erlitt, obwohl er nichts Böses getan hat, doch ist dieses Leiden nicht genugtuend, weil es Leiden dieser Art nicht auszuschließen vermag266. So spricht Schleiermacher statt von einer stellvertretenden Genugtuung von Jesus als dem genugtuenden Stellvertreter 267 : Eine andere Bedeutung kann das Leiden und der Tod Christi nach Schleiermacher nicht haben, weil sonst die Vorbildlichkeit und Urbildlichkeit seines Lebens gefährdet ist268. Als reines Exemplum kann Chri260

261

262 263 264 265 266 267 268

So formuliert Melzer im Blick auf die Karfreitagspredigten Schleiermachers: „Aber all diese Predigten bleiben im besten Falle bei einer Betrachtung des Kreuzestodes stehen. Sie geben nicht die Fülle der Folgen und Lebensbezüge, die das Kreuz gebracht hat" (ders., Christus in den Predigten Schleiermachers, S. 80). So ist es nach Melzer durchaus „[bezeichnend [...], daß er [Schleiermacher] mit dem Opfer Jesu, mit dem Kreuz, mit der Auferstehung, mit den Gerichtsworten Jesu nichts anzufangen vermag" (a. a. O., S. 81). Zu Recht zieht Melzer das Fazit, daß in der Betrachtung des Todes Jesu die Predigten mit der Glaubenslehre vollkommen zusammenstimmen (Vgl. a. a. Ο., S. 83). GIL § 1 0 1 , 4. - Vgl. hierzu auch Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit Bd. 1, S. 3 7 4 . Vgl. G1L § 104. Stephan, Die Lehre Schleiermachers von der Erlösung, S. 61. G1L § 1 0 4 , 4. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. - „Christi Tod am Kreuz, und die Bedeutung, welche die Kirche diesem beilegt, sind für Schleiermacher ein sichtliches Ärgernis. Er will vor allem die Erlösung von jeder speziellen Beziehung auf den Tod Christi lösen und sie allein

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stus nichts vollbracht haben, was nicht auch die Glaubenden, die sein Gottesverhältnis aufnehmen, auch tun können und müssen. Damit ist das hohepriesterliche Amt Christ auf die Gläubigen übergegangen 269 . ,,[U]nd dasselbe gilt von allen Leiden um des Evangeliums willen im weitesten Sinne, daß sie zu dem versöhnenden Leiden Christi gehören" 270 . An keiner Stelle spricht daher Schleiermacher von so etwas wie Vertrauen auf Gott oder Christus, der Glaubende zeichnet sich nicht dadurch aus, daß er sich auf die Tat Christi verläßt, sondern daß er ethische Impulse von ihm erhält 271 . 2.2.5 Iustificatio pii Als Urbild ist Jesus Christus, bei Schleiermacher nie „das ganz Andere" 272 und so kann er auch nicht das „Gegenüber" 273 sein, auf das sich der Glaube richten darf. Mit „völliger Ignorierung der ganzen objectiven Seite des Wirkens Christi hat er [Schleiermacher] Erlösung und Versöhnung als etwas rein subjectives dargestellt" 274 . Die Vergebung bezieht sich nicht auf ein Handeln Gottes, auf das sich der Glaubende verlassen kann, sie bezieht sich ebensowenig auf ein Tat Christi - oder gar auf sein Sterben am Kreuz wie Schuld und Sünde bei Schleiermacher keine Realitäten sind 275 . So gibt es auch keine tätige Beseitigung von Schuld und Sünde 276 , sondern nur eine neue Form der Anschauung der Welt, ein neues Gottesbewußtsein 277 . Eine reale Vergebung ist zugunsten einer

269 270 271 272

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nur auf die höhere N a t u r Christi begründen, welche dieser mit der ganzen Gattung gemeinsam hat (wenn auch in einzigartiger Vollkommenheit bei i h m ) " (Fliickiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 153). GlL § 104, 6. Ebd. Vgl. GlL § 107ff Melzer, Christus in den Predigten Schleiermachers, S. 81 (in der Quelle hervorgehoben). Stephan/Schmidt, Geschichte der deutschen evangelischen Theologie seit dem deutschen Idealismus, S. 104. Seibert, Schleiermachers Lehre von der Versöhnung, S. 23 (in der Quelle hervorgehoben). So urteilt auch H u b e r : Mit der Vergebung hat die Gnade bei Schleiermacher „nichts zu t u n " (ders., Jesus Christus in der liberalen Theologie, S. 38) und „[zjusammen mit der Vergebung fällt auch die religiöse Auffassung von Schuld und Sünde d a h i n " (a. a. O., S. 45). Daher - hierauf macht Stephan zu Recht a u f m e r k s a m - wird bei Schleiermacher auch nie auf ein Versöhnungsbedürfnis des Menschen hingewiesen, sondern nur auf ein Erlösungsbedürfnis, das das Bewußtsein von Schuld u n d Sünde a u f h e b t (vgl. ders., Die Lehre Schleiermachers von der Erlösung, S. 7). So auch Seeberg, Die Kirche Deutschlands im neunzehnten J a h r h u n d e r t , S. 7; Kinder, Rechtfertigung I I / l , Sp. 838.

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

neuen Anschauungsform beseitigt278. So ist bei Schleiermacher die Rechtfertigung begründet im Prozeß der Minderung der Sünden.279 Die Vereinigung mit Christus ist wesentlich „tätiger Gehorsam" 280 , er wird nicht von Christus, sondern von dem Glaubenden - durch Christi ethischen Impuls - geleistet. Dies wird nicht zuletzt in seiner Predigt „Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben" deutlich. „[G]iebt es eine Gerechtigkeit aus dem Glauben vor Gott: so muß der Glaube auch wirklich gerecht machen. Allein freilich, denkt man sich den Glauben erst als ein solches Wissen und Annehmen, welches nichts in den Menschen bewirkt, dann wohl kann man sich auch nur eine solche willkürlich eingerichtete Gerechtsprechung durch den Glauben denken. Der Glaube aber, welcher das Leben Christi in uns ist, vermag gar wohl gerecht zu machen" 281 . Die Gerechtigkeit des Glaubens besteht somit nicht darin, daß Gott den Sünder gerecht spricht, sondern darin, daß der Sünder gerecht wird. Das „Wachsthum des Lebens Christi in uns, dieses Absterben des alten Menschen, das ist unsere Gerechtigkeit" 282 . Hat Christus diesea neuen Lebensimpuls in uns entfacht, so richtet Gott nicht mehr nach dem äußeren Werk, sondern nach unserem tiefsten Inneren 283 . Zu Recht kann Trillhaas mit Blick auf diese Worte davon sprechen, daß Schleiermacher die Gerechtigkeit auf nichts Geringeres gründen will „als auf eine Art von inhabitatio Christi, jedenfalls auf einen Perfektionismus der Innerlichkeit"28*. Gott spricht so nicht den Sünder gerecht, sondern Rechtfertigung geschieht in dem Maße, wie die Sünde verschwindet. So ordnet Schleiermacher die Bekehrung der Rechtfertigung vor und über 285 , so daß „Gott den sich Bekehrenden rechtfertigt" 286 . Damit weist

278

Zu Recht formuliert daher Seibert, Schleiermachers Lehre von der Versöhnung, S. 2 5 : „Es ist nicht Aufhebung der Sündenschuld und der damit verbundenen Trennung von Gott, nicht Befreiung von der Sünde und Kräftigung zum Guten; sondern nur Mittheilung des in Christo vollkommenen Gottesbewußtseins und des damit zusammenhängenden Seligkeitsgefühls: also lediglich ein Bestimmtwerden des subjectiven Bewußtseins und Gefühls durch Christus, und da Schl[eiermacher] das vorhergehende Bewußtsein das sinnliche nennt, so kann man mit recht sagen [...]: die Versöhnung bestehe nach Schl[eiermacher] in der Ausgleichung der Disharmonie zwischen dem sinnlichen (natürlichen) und göttlichen Bewußtsein der Menschen ".

Vgl. GIL § 111. G1L § 1 1 2 , 1 . 2 8 1 Schleiermacher, Von der Gerechtigkeit aus dem Glauben, S. 5 8 . 2 8 2 A. a. O., S. 5 9 . 2 8 3 Vgl. a. a. O., S. 58. 284 TriHhaas, Schleiermachers Predigt, S. 91 2 8 5 Vgl. G1L SS 108f. 2 8 6 G1L § 109, Leitsatz. 279 280

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Schleiermacher der Rechtfertigung eine nur sekundäre Funktion zu287, die der nur sekundären Bedeutung des munus sacerdotale gegenüber dem munus regium korrespondiert 288 . Es scheint von hier aus allerdings höchst fraglich, ob man - wie Birkner - behaupten kann: „Schleiermacher hat sich die reformatorische Lehre, daß der Glaube unsere Gerechtigkeit vor Gott ist, ohne weiteres aneignen können" 289 . Hat Schleiermacher die Wiedergeburt der Erlösung übergeordnet, besteht die Gerechtigkeit nicht darin, daß Gott den Sünder gerecht spricht, sondern daß der Sünder gerecht wird, so hat Schleiermacher die iustificatio impii in eine iustificatio pii verwandelt 290 . Die Ursache für diese Verwandlung der iustificatio impii zur iustificatio pii besteht darin, daß Christus nicht der Andere ist, das Gegenüber, das eine Tat vollbracht hat, auf die sich der Glaubende verlassen kann, sondern daß Christi Werk ganz ausschließlich darin besteht, daß in ihm die Bestimmung des Menschen geschichtlich zutage tritt. Auf ein urbildliches Vorbild kann sich der Mensch nicht verlassen, sondern er muß tun, was dieses Vorbild getan hat 291 . Dies zeigt sich nicht zuletzt an Schleiermachers Umdeutung der stellvertretenden Genugtuung Christi im Rahmen der Explikation des munus propheticum. Christi Leiden hat an und für sich keinen Wert, es ist nicht stellvertretend, der Glaubende wird in die Leiden Christi miteinbezogen. Auch im Leiden ist Christus Vorbild, indem er zeigt, wie - auch in extremster Situation - das Gottesbewußtsein zu bewähren ist. So ist „das Leiden Christi [...] nicht mehr isoliert, sondern es ist in Beziehung zu uns gesetzt durch den Gedanken der

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So auch Subilia, Die Rechtfertigung aus Glauben, S. 274; Kinder, Rechtfertigung II/1, Sp. 838. Vgl. G1L §104f. - So bemerkt Weber zu Recht: „Tatsächlich liegt bei Schleiermacher der Ton so sehr auf der renovatio vitae, daß er ,Versöhnung' doch letztlich immer nur als Mittel dazu ansieht. Daher rührt die Hervorhebung der Lebensgemeinschaft' mit Christus. Sie ist in diesem Zusammenhang eine Einseitigkeit: der Gläubige ist der in der realen Nachfolge Christi zu neuem, gehorsamen Leben Befähigte. Die Tilgung der bösen Vergangenheit ist sekundär geworden, und das wieder betonte munus sacerdotale wird zur Voraussetzung des beherrschenden, weil die Gemeinschaft betreffenden munus regium" (ders., Grundlagen der Dogmatik II, S. 253). Birkner, Schleiermachers Sittenlehre im Zusammenhang seines philosophischtheologischen Systems, S. 78. So zu Recht auch Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. l O l f f . Weymanns Behauptung, für Schleiermacher bestehe wie für Luther, Christsein nicht im Sein, sondern im Werden, verkennt die fundamentale Differenz (vgl. ders., Glauben als Lebensvollzug und der Lebensvollzug des Denkens, S. 158). Vgl. hierzu auch Roth, Christliche Frömmigkeit als ästhetische Frömmigkeit, S. 216ff.

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Leidensgemeinschaft, es ist als ein wichtiges Glied eingeordnet dem christlichen Prozeß" 292 . „Christus ist Vorbild der Standhaftigkeit und des Gleichmutes" 293 . Völlig anders hingegen wird Christi Leiden in bezug auf unser Leiden bei Luther beurteilt: Bei Luther „stehen wir Menschen, in grundsätzlicher Unterschiedenheit von Christo, dem Kreuz als Sünder gegenüber" 294 . So formuliert Luther den Unterschied drastisch: „Nostrae passioni hengt sich kein glaub. Si vero est idolatrica, oportet hanc fide arripias. Summa summarum: ne misceas tuam passionem passioni Christi, sed discernas ut coeleste et terrestre, aurum et terram" 2 9 5 . Damit ist bei Luther jede Kontinuität zwischen Christi Leiden und dem Leiden der Glaubenden negiert, ohne jedoch das Leiden der Glaubenden von der Beziehung auf Christus zu lösen: So formuliert Trillhaas zutreffend: „Auch für ihn [Luther] hat das eigene Leiden den Sinn treuer Nachfolge, der Besserung und des Beispiels. Luther verleugnet nicht den Mönch, der er war. Aber Luther weiß von keiner Kontinuität unseres Leidens mit dem des Erlösers, er baut nicht auf den Wert unseres Lebens, sondern auf den Glauben allein" 296 . Ist Christus dergestalt als Repräsentant des der Bestimmung des Menschen gemäßen Lebens verstanden, kann er die Rechtfertigung für die Menschen nicht bewirken; denn die Rechtfertigung kann dem Menschen nicht aufgrund von Christi Tat zugesprochen werden, vielmehr kann Christus nur durch sein Leben den Impuls geben, daß der Mensch gerecht wird. Das neu beginnende Leben selbst ist Grund der Rechtfertigung bei Schleiermacher197. Damit wird aber auch Schleiermachers Verständnis der Frömmigkeit Jesu und der Jesu Folgenden als affektloses Leiden, als in sich ruhende unangefochtene Anschauung, verständlich. Ist das neu beginnende Leben selbst dasjenige, worauf der Glaubende sein Vertrauen richtet, kann er es nicht auf Christus als den Anderen richten, der dasjenige vollbracht hat, was der Mensch selbst nicht vollbringen konnte und kann, so ist der Glaube nicht als angefochtener Glaube, der immer wieder zu Christus flieht, zur Geltung zu bringen, sondern als unangefochtener Bewußtseinszustand 298 . 299 292 293 294 295 296 297 298

Trillhaas, Schleiermachers Predigt, S. 58. A. a. O., S. 60. A. a. O., S. 65. W A 29, 229, 24ff. Trillhaas, Schleiermachers Predigt, S. 67. So zu Recht auch Ebeling, Luther und Schleiermacher, S. 32. Ist Jesu T o d das Ideal des im Leiden Unerschütterlichen, so wird Jesu Sterben Vorbild der Kunst zu Sterben (vgl. bes. Schleiermacher, Einige Empfindungen des sterbenden Jesus, die auch wir uns für unseren letzten Augenblick wünschen sollten, S. 179ff). Ein eindrückliches D o k u m e n t für den unangefochtenen Glau-

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2 . 2 . 6 Die Lehre von Person und Werk Jesu Christi im Rahmen des evolutionären Monismus Schleiermacher - so zeigte sich - begreift die Welt als eine, von Gott von Anbeginn an gesetzte, fortschreitende Entwicklung. Außerhalb dieses einmal in Gang gesetzten - Naturprozesses wirkt Gott nicht, er vermag ihn nicht „aufzubrechen", nur das schon in ihm beschlossene vermag zum Vorschein zu kommen. So fragte sich, wie eine dergestalt monistische Konzeption das christliche Verständnis von der Sünde und der Gnade zur Geltung zu bringen vermag. Im Rahmen einer nach der Schöpferabsicht einlinig prozessual sich entwickelnden Menschheit ist weder ein Gegensatz des Menschen zu dieser Schöpfungsabsicht zur Geltung zu bringen (Sünde), noch ein Neuansatz von Gott, ein, gegenüber seinem schöpferischen Wort, zweites Wort (Erlösung). Zeigte sich bereits, daß Schleiermacher die Sündenlehre so modifiziert, daß die Sünde gar nicht als ein Widerspruch gegen die Schöpfungsabsicht zur Geltung gebracht wird, vielmehr ein notwendiges Moment der von Anbeginn an geplanten Entwicklung ist, so wird auch die Gnade bei Schleiermacher nicht als ein ben bei Schleiermacher scheint mir die Rede am Grab seines Sohnes Nathanael zu sein (vgl. Schleiermacher, Rede an Nathanaels Grab, S. 3 3 7 f f ) . Gegen Trillhaas Behauptung, wir hörten hier „andere Klänge" (ders., Schleiermachers Predigt, S. 128) als bei anderen Äußerungen über den T o d und das Sterben, ist Hirsch doch darin zuzustimmen, daß diese Rede „mit keiner Silbe über diejenigen Aussagen vom ewigen Leben hinaus [geht], welche Schleiermacher als Denken und Prediger für die allein erlaubten gehalten hat" (Hirsch, Erläuterungen, S. 3 9 7 ) . Gerade daher ist die Predigt ein eindrückliches Dokument des unangefochtenen Glaubens, der bei Schleiermacher durchaus nicht nur theoretischer Natur war. Schleiermacher kannte auch in dieser schweren Stunde keine Anfechtung: Er will sich der göttlichen Allmacht unterwerfen und sich der unerforschlichen Weisheit Gottes fügen (vgl. ders., Rede an Nathanaels Grab, S. 3 4 1 ) . Inwieweit demgegenüber Luthers Glauben in der gleichen Situation - auch Luther ist es nicht erspart gewesen, den T o d zweier seiner Kinder beklagen zu müssen - ein angefochtener Glaube ist, ist in seinen Briefen belegt (vgl. W A B 4 , 1 3 0 3 ; 10, 3 7 9 4 ) . 299

Vgl. auch Ebeling, Luther und Schleiermacher, S. 3 2 . - Durchaus zutreffend bemerkt Gerdes die Entsprechung zwischen dem affektlosen und unerschütterlichen Urbild, Jesus von Nazareth, und der Unangefochtenheit der Glaubenden, so daß „Christologie und Rechtfertigungslehre bei Schleiermacher in vollkommener Weise aufeinander abgestimmt sind" (ders., Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 103): „Wir haben gesehen, daß Schleiermacher dem angefochtenen Christus nicht gerecht geworden ist, ja in letzter Hinsicht ihn gerade nicht in den Blick bekommen hat. Wenn nun das, was der rechtfertigende Glaube an Leben aus Gott empfängt, wesentlich die Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser ist, so ist deutlich, daß dies Leben nicht über den Bereich der inneren Erfahrung Christi hinausgehen und in größere Tiefen dringen kann. Dem nicht angefochtenen Christus entspricht der in der iustificatio pii ruhende, nicht angefochtene Fromme: Christologie und Rechtfertigung sind eins" (a. a. O., S. 1 0 4 ) .

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gegenüber dem schöpferischen Tun Gottes zweites Handeln zur Geltung gebracht, sondern wird ebenfalls als ein notwendiges Moment der sich prozessual entwickelnden Menschheit begriffen. Gott hat die Welt als eine sich entwickelnde geschaffen und von Anfang an dazu bestimmt, daß in dem Leben Jesu von Nazareth die reine Prägung des Gefühls der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz, des - unverfügbaren - Eingegliedertseins in den Naturzusammenhang, erscheint. Schleiermachers monistischer Konzeption ist die sakramentale Bedeutung Jesu zum Opfer gefallen - dies zeigt eindrücklich: das Entscheidende des christlichen Glaubens sträubte sich, in eine monistische Konzeption hinein gepreßt zu werden. Von hier aus ist das bekannte Urteil von Barth, die Christologie sei „die große Störung in Schleiermachers Glaubenslehre" 300 nicht zu bestreiten, wenn sie auch durchaus mißverständlich ist. Mißverständlich ist dieses Diktum insofern, als bei Schleiermacher Jesus Christus durchaus für den christlichen Glauben konstitutiv ist. So kann Schleiermacher selbst den Satz „Das Wort ward Fleisch" als Grundtext der Glaubenslehre bezeichnen 301 , und schon - so Lange zu Recht - eine formale Analyse zeigt den zentralen Charakter der Christologie innerhalb Schleiermachers Glaubenslehre 302 . Schleiermacher ist durchaus bemüht, Christus die entscheidende Mittlerrolle einzuräumen 303 . Insofern es Jesus von Nazareth ist, der die reine Prägung des Gefühls der Unverfügbarkeit der welthaften Existenz präsentiert, ist er konstitutiv für die christliche Frömmigkeit. Das Zum-Vorschein-Kommen des wahren Gottesverhältnisses, der wahren Frömmigkeit, ist der Höhepunkt der Menschheitsentwicklung. Insofern ist Christus alles andere als eine Störung; die Glaubenslehre zeigt, daß die Menschheitsentwicklung auf ihn zuläuft. Die große Störung, die die traditionelle Christologie für eine monistische Konzeption bereitet, nämlich, daß in Christi kontingentem Erscheinen sich Gottes Versöhnung ereignet, ist ja von Schleiermacher beseitigt: Die sakramentale Bedeutung Christi ist negiert, Christus ist das vorbildliche Urbild. Christi Tun und Leiden hat an sich keine Kraft zur Vergebung der Sünden, der Mensch wird nicht aufgrund Jesu Tat gerecht gesprochen, sondern er wird gerecht in dem Maße, in dem sein Leben dem urbildlichen Leben Christi gleicht. So richtet sich der Glaube nicht

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303

Barth, Die protestantische Theologie im 19. J a h r h u n d e r t , S. 385. Vgl. Schleiermacher, Über seine Glaubenslehre an Dr. Lücke, S. 611. Vgl. Lange, Historischer Jesus oder mythischer Christus, S. 141. - Daher formuliert Lange gegen Barth: „Die Lehre von Christus ist also nicht ,die große Störung' seines Konzepts, wie Karl Barth gemeint hatte, sondern es liegt schlechthin alles an ihr" (ders., Neugestaltung christlicher Glaubenslehre, S. 100). So zu Recht u. a. auch Melzer, Christus in den Predigten Schleiermachers, S. 58.

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auf Christus, er ist nicht der Grund, auf den sich das christliche Vertrauen richten darf. In dieser Hinsicht verliert in Schleiermachers Glaubenslehre Christus allerdings die entscheidende Stellung: Er ist nicht mehr das Objekt des Glaubens, sondern - als die Präsentation des wahren Gottesverhältnisses - ausschließlich Subjekt des Glaubens. Zeigte sich, daß Christi Erscheinen als Urbild kein kontingenter geschichtlicher Akt Gottes ist, sondern ein notwendiges Moment im ursprünglich angelegten Ablauf der menschlichen Entwicklung (die so eingerichtet ist, daß die Menschen erst im Verlauf ihrer Geschichte zu dem wahren Gottesverhältnis kommen), so ist die Erlösung als Anteilhabe am Gottesverhältnis Christi ebenfalls ein notwendiges Element im ursprünglich angelegten Ablauf der Entwicklung der Menschheit. Die Erlösung gehört mit der Schöpfung zusammen zum ursprünglichen schöpferischen Akt Gottes 304 , der die Welt als eine sich entwickelnde schafft. So formuliert Schleiermacher selbst: „Dieser Ratschluß [sc. der Erlösung] wiederum ist derselbe mit dem der Sendung Christi, sonst müßte diese ohne ihren Erfolg in Gott gedacht und beschlossen sein und dieser wiederum ist nur einer auch mit dem der Schöpfung des menschlichen Geschlechts, sofern erst in Christo die menschliche Natur vollendet ist" 3 0 5 . Es zeigte sich bereits, daß für Schleiermacher Frömmigkeit und Einsicht in den Naturzusammenhang ganz zusammen fallen 306 , daß die Naturursächlichkeit der Dinge und die Abhängigkeit von Gott nur „verschiedenen Gesichtspunkte!]" 307 desselben Sachverhaltes sind, daß Gottes Wille mithin eins ist mit dem Naturzusammenhang308 und daher von ihm nicht getrennt werden kann, weil alles, was bei Gott möglich ist, auch wirklich ist 309 . Ebenfalls zeigte sich, daß Schleiermacher hiervon ausgehend eine einlinig prozessual sich entwickelnde Menschheitsgeschichte gezeichnet hat: Der Mensch entwickelt sich von der Ursündlichkeit zur Vollkommenheit. Die exemplarische Verwirklichung

304

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Vgl. G1L 89, 2: 94, 3. - Die Zusammengehörigkeit von Erlösung bzw. Versöhnung und Schöpfung konstatiert auch Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards, S. 97. Ob Schleiermacher jedoch hier in der Tradition Luthers steht, da - so Gerdes - „die Anschauung von der durch Sünde und Erlösung hindurch in dem einen ewigen Ratschluß Gottes vollendeten Schöpfung des Menschen bei Luther ihren Anknüpfungspunkt [hat]" (a. a. O., S. 99) ist höchst fraglich. Der von Gerdes namhaft gemachten Beleg W A XII, 5 9 6 (vgl. a. a. O., S. 1 9 4 ) spricht jedenfalls ganz und gar nicht dafür! G1L § 109, 3. Vgl. G1L § 4 6 , Leitsatz. GlL § 46, 2. Vgl. GlL § 5 1 , 1 . Vgl. GlL § 5 4 .

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des der Bestimmung des Menschen entsprechenden Gottesverhältnisses in dem Menschen Jesus von Nazareth (Urbildlichkeit) ist somit ebenso Moment des ursprünglich angelegten Ablaufs der Entwicklung wie das Beeindrucktwerden des Menschen hiervon. So formuliert Flückiger auch in der ihm eigenen Schärfe - zutreffend. „Die Erlösung ist überhaupt nicht T a t eines personhaften göttlichen Willens, sondern notwendiges Ergebnis des ursprünglich angelegten Naturablaufes. Gottes Wille oder Plan kann vom Naturzusammenhang nicht getrennt werden. Weil alles, was Gott möglich ist, auch wirklich ist, kann ein anderer göttlicher Wille als die im Naturzusammenhang bestehende Kausalität gar nicht gedacht werden" 3 1 0 . Daher muß - so Flückiger - ,,[d]ie Erlösung - wie schon das Erscheinen des Erlösers - [...] also aus dem immanenten Gesetz der natürlichen Entwicklung selber erklärt werden" 3 1 1 . Dabei weist Flückiger noch einmal deutlich auf Schleiermachers Vorstellung der einlinig prozessualen Entwicklung hin: „Von dieser monistischen Gottes- bzw. Seinsanschauung aus erfährt die Christologie eine völlig neue, philosophische Deutung. Die Erlösung in Christo ist ein kosmischer Vorgang, der sich im Laufe der Weltentwicklung notwendig aus dem allgemeinen Naturablauf ergeben mußte" 3 1 2 . So wird die Erwählung 310

311 312

Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 145. - Gerade weil die Menschheit bei Schleiermacher immer schon auf die Erlösung angelegt ist, kann Beißer sie als „eine zeitlos, immer geltende ,Idee'" (ders., Schleiermachers Lehre von Gott, S. 212) bezeichnen. „Das Tathafte an ihr besteht nicht in einem Akt, in einer Handlung, sondern in einer Enthüllung, einer Entdeckung" (a. a. O., S. 212). Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 145. A. a. O., S. 141. - „Alles was geschieht, dem Übel wie dem Guten, liegt[] eine göttliche Providenz, ein Naturgesetz zugrunde. Die Erlösung geht aus dem gleichen Naturprinzip hervor, aus welchem auch die Sünde hervorgeht, sind doch beides nur verschiedene Stufen in der Linie einer und derselben Entwicklung. Unverkennbar zeigt sich hier das Bestreben, den Gedanken einer freien Gnade Gottes aus der Dogmatik zu eliminieren. Das Heil ist uns nicht widerfahren, weil Gott in freier Gnadenwahl sich unserer erbarmte; vielmehr erfolgt das Heil, die Erlösung, die Uberwindung der Sünde nur als die natürliche Verwirklichung einer in der menschlichen Natur selbst gelegenen Möglichkeit. Die Erlösung ist Ausdruck einer immanenten Gesetzmäßigkeit dieser Natur" (a. a. O., S. 146). Durchaus ähnlich urteilt auch Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 212: „Die Erlösung selbst ist eine zeitlos, immer geltende ,Idee', auf die hin die Menschheit immer schon angelegt ist. Das Tathafte an ihr besteht nicht in einem Akt, in einer Handlung, sondern in einer Enthüllung, einer Entdeckung." Und auch Stephan stimmt hiermit durchaus überein: „Das religiöse Leben gerät in gefährliche Analogie zu natürlichen Prozessen; die Erlösung wird ein kleiner Bruchteil der Schöpfung oder Erhaltung" (ders., Die Lehre Schleiermachers von der Erlösung, S. 177). Gegen Flückigers Interpretation der Erlösung bei Schleiermacher als kosmischer Vorgang, der sich im Laufe der Weltentwicklung notwendig aus dem all-

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des Menschen in Jesus Christus bei Schleiermacher formalisiert und ontologisiert: Ist (a) Gott die Ursächlichkeit des sich entwickelnden Naturzusammenhanges, werden (b) Einzelakte Gottes streng abgelehnt und ist gemeinen Naturverlauf ergeben muß, will Huber den Unterschied zu Hegel betont wissen: „Wenn auch Schleiermacher das evolutionistische Prinzip seiner Geschichtsauffassung zugrunde legt, so kämpft er eben doch in seiner Dogmatik gegen die Geschichtsauffassung Hegels und der gesamten idealistischen Philosophie. Darin zwar steht er mit Hegel auf einer Seite, dass er die Geschichte rechtfertigt und den naiven Dualismus aufhebt. Aber in der Begründung der Rechtfertigung unterscheidet er sich darin von Hegel, dass er die Erlösung eben nicht als eine natürliche Entwicklung nach immanenten Gesetzen, sondern als eine nur durch ein Wunder ermöglichte Vereinigung der Naturen mit dem Übernatürlichen bestimmt. Allein von sich aus könnte die Natur mit all ihren ihr immanenten Gesetzen in keiner Phase ihrer Entwicklung zur Erlösung gelangen. Jesus ist deshalb bei Schleiermacher in gar keiner Weise das notwendige Produkt irgend einer ihm vorausgegangenen Entwicklung, sondern ein Neubeginn, der, hätte es Gott gefallen, schon zu irgend einem früheren Zeitpunkt hätte gesetzt werden können, ohne dass Gott deswegen genötigt gewesen wäre, auch nur ein Jota an der Kausalität und an den der Natur immanenten Entwicklungsgesetzen zu ändern. Schleiermacher behauptet nur, der Zeitpunkt sowie die Tatsache und die Art ihrer Ausführung seien von Ewigkeit her mit samt aller Geschichte in Gott beschlossen gewesen, und deswegen gehöre die sogenannte Heilsgeschichte zu der einen und einzigen Geschichte, wie sie in Gottes Vorsehung beschlossen gewesen sei" (ders., Jesus Christus als Erlöser in der liberalen Theologie, S. 48f). Der Anfang der Heilsgeschichte jedoch - so Huber - bleibt bei Schleiermacher ein Wunder (vgl. a. a. O., S. 49). Nun merkt jedoch Huber selbst, daß es „verwirrend wirken [muß], dass Schleiermacher nur von einer einzigen Geschichte wissen will, obwohl doch mit der Einzigartigkeit Jesu und mit der für die Welt absolut neuen Erlösung in einem vorher in keiner Weise vorhanden gewesenen höheren Leben eine absolut neue Phase, die in keinem Kausalzusammenhang mit der vorangegangenen Geschichte steht, beginnt" (a. a. O., S. 49) Huber löst dieses Problem, indem er diese einzige Geschichte, von der Schleiermacher nur wissen will, nicht als die gesamte Menschheitsgeschichte begreift, sondern als die Heilsgeschichte: „Die eigentliche Evolution nimmt ihren Ausgang und Anfang in Jesus und kann sich qualitativ bis zur Vollkommenheit des höheren Lebens und quantitativ bis zur Erfassung aller Menschen steigern" (a. a. O., S. 49). Damit jedoch verkennt Huber Schleiermachers Vorstellung des einlinigen Ablaufs der Menschheitsgeschichte, in das er das Erscheinen Jesu Christi einbettet. Ist das Erscheinen Jesu Christi von Anfang an - als Höhepunkt - in dem Ablauf der Menschheitsentwicklung beschlossen, so ist er ein notwendiges Moment dieser Entwicklung selbst. Die eigentliche Evolution nimmt ihren Ausgang nicht bei Jesus von Nazareth, vielmehr hat Schleiermacher - s.o. - schon den Ursprung des Menschen so gefaßt, daß die Erlösung ein notwendiges Moment der gesamten Menschheitsentwicklung wird. Der Neubeginn durch Christus - dies wurde oben hinreichend deutlich - ist gerade deshalb ein konstitutives Moment des Ablaufes der Menschheitsentwicklung, weil diese auf diesen angelegt ist.Nicht zuletzt hat sich auch Bultmanns Kritik an Schleiermacher daran entzündet, daß dieser die Erlösung und Vergebung nicht als einen wunderhaften Durch-

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(c) das geschichtliche Erscheinen Jesu Christi der H ö h e p u n k t der von Anbeginn a n gesetzten Menschheitsentwicklung, so gibt es nur einen Akt Gottes, nämlich die Erwählung in Christus als die Vorherbestimmung zur Gemeinschaft mit Gott 3 1 3 . Die E r w ä h l u n g wird so z u m Ausruck für die ,,göttliche[] W e l t r e g i e r u n g " 3 1 4 ; der „gesamte Weltverlauf ohne Unterschied [ist] der effektive Ausdruck von Gottes B e s t i m m u n g " 3 1 5 . Z u R e c h t zieht H u b e r daraus die Konsequenz, d a ß bei Schleiermacher „die O r d n u n g im Reich der Gnade identisch [ist] mit der allgemeinen göttlichen W e l t o r d n u n g , so daß es keine Heilsordnung im Unterschied zu einer anderen O r d n u n g geben k a n n " 3 1 6 . Damit fällt bei Schleiermacher

3,3 314 315

316

bruch durch das Weltgeschehen aufzufassen vermag. Das Wunder - so Schleiermacher - setzt den Naturzusammenhang nicht außer Kraft, sondern setzt ihn voraus (vgl. G1L § 34,2). Nichts kann das „Bedingtsein durch den Naturzusammenhang" (G1L § 47), den „unabänderlichen Verlauf desselben" (G1L § 47,1) aufheben - auch das Christusgeschehen nicht (vgl. ebd.). Demgegenüber hält Bultmann fest, daß die „Vergebung als Wunder, d. h. als Tun Gottes im Gegensatz zum Weltgeschehen" (der., Zur Frage des Wunders, S. 224) verstanden werden muß. So betont Bultmann, daß das Wunder contra naturam geschieht und den Gedanken der gesetzmäßigen Natur aufhebt (vgl. a. a. O., S. 225). Damit - dies dürfte hinreichend bekannt sein - will Bultmann nicht den alten Wunderglaube repristinieren. In dem modernen Weltbild - so Bultmann - ist „die Verbindung von Ursache und Wirkung grundlegend" (ders., Jesus Christus und die Mythologie, S. 144). So kann mit der modernen Wissenschaft nicht daran geglaubt werden, „daß der Lauf der Natur von übernatürlichen Kräften durchbrochen oder sozusagen durchlöchert werden kann" (ebd.). Wird im mythologischen Denken das Handeln Gottes „als ein Handeln verstanden, das in den natürlichen oder geschichtlichen oder psychologischen Lauf der Dinge eingreift" (a. a. O., S. 172), so wird das Handeln Gottes wie ein weltliches Handeln oder Ereignis vorgestellt (vgl. ebd.). Demgegenüber betont Bultmann, daß das Handeln Gottes nicht als Handeln gedacht werden darf, „das sich zwischen weltlichem Handeln oder weltlichen Ereignissen abspielt, sondern als eines, das sich in ihnen ereignet" (a. a. O., S.173). Und doch wehrt Bultmann die pantheistische Vorstellung ab, daß alles Weltgeschehen als ein Wunder zu bezeichnen wäre (vgl. a. a. 0 . , S 173ff); denn der Christ kann sagen, daß Gott jetzt und hier an mir handelt (vgl. a. a. O, S. 174). Bultmanns und Schleiermachers Auffassung sind in der Frage nach dem unveränderlichen Ablauf des Weltgeschehens völlig different: Wird bei Schleiermacher das Wunder negiert, so ist mit dieser Negation auch die Unterscheidung zwischen einer Heilsgeschichte und einer Weltgeschichte negiert. Dies ist bei Bultmann jedoch nicht der Fall. Für Bultmann unterscheidet sich das Heilsgeschehen sehr wohl von dem Weltgeschehen, wenn auch nicht so, daß es von außen sichtbar den natürlichen Weltablauf aufhebt, vielmehr nur aus den Augen des Glaubens betrachtet (vgl. a. a. O., S. 173ff). Vgl. G1L § 109, 3. GlL § 116,1. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 126; vgl. ebenso Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 146. Huber, Jesus Christus und die liberale Theologie, S. 47.

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auch die Unterscheidung zwischen einer Heilsgeschichte und einer natürlichen Geschichte weg, es gibt nur eine „einzige Geschichte [...], die wir entweder als Heilsgeschichte oder als natürliche Geschichte bezeichnen können" 317 . Wird aber die Sünde als realer Widerspruch gegen Gottes schöpferische Absicht zur Geltung gebracht und die Erlösung als ein realer Akt Gottes innerhalb des Weltgeschehens, der einen neuen Äon heraufführt, der die durch den realen Widerspruch des Menschen gegen die Schöpfungsabsicht Gottes entfremdete Geschichte des Menschen aufbricht, muß es dann nicht notwendig eine spezifische Heilsgeschichte geben318?

3. Einheit statt Differenz Zu zeigen versucht wurde, daß innerhalb des evolutionären Monismus, der nur ein einfaches Wirken Gottes kennt, die christliche Anschauung von Sünde und Gnade nicht zur Geltung gebracht werden kann. In dem Zusammenhang der Frage nach der Bestimmung des göttlichen Handelns fragten wir nach Schleiermachers Bestimmung des Wirkens Gottes. Dies gilt es gegenüber einer Kritik zu betonen 319 , die sich gegen Schleiermachers methodischen Rekurs auf das Glaubensbewußtsein richtet 320 . Demgegenüber wurde in dieser Untersuchung die Ursache für die Verkürzungen, die Schleiermacher an dem christlichen Verständnis von Sünde und Gnade anbringt, nicht in seinem methodischen Rekurs auf das Glaubensbewußtsein erblickt 321 , sondern in seiner inhaltlichen Beschrei-

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Ebd.; vgl. auch Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 1 3 7 ; 182. So fragt zu Recht auch Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 1 7 6 . So unter anderem die Kritik von Bayer: Gegen Schleiermachers „Hermeneutik des Rückgangs" (ders., Theologie, Glaube und Bildung, S. 2 2 8 ) fordert Bayer programmatisch: Wortlehre statt Glaubenslehre (vgl. ders., Schleiermacher und Luther, S. 1008ff; ders., Autorität und Kritik, S. 156ff). So nimmt der Schleiermachersche Rekurs auf das Glaubensbewußtsein vielmehr die Einsicht ernst, daß die Bedeutung eines Sachverhaltes sich einem Subjekt allererst erschließen muß (vgl. hierzu Roth, Fundamentaltheologie als Schönheitslehre?, S. lOff; ders., Evidenz und Gewißheit, S. 209ff). In dieser Hinsicht ist vor allem die Erfahrungstheologie Franks lehrreich: Von Schleiermacher übernimmt Frank den erfahrungstheologischen Ansatz, unterscheidet sich aber vor allem von Schleiermacher in der inhaltlichen Beschreibung des Glaubensbewußtseins und des in diesem Bewußtsein enthaltenden und dieses Bewußtsein verursachenden Wirkens Gottes (vgl. hierzu: Roth, Der Mensch als Gewißheitswesen, bes. S. 84ff, bes. 98ff).

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bung des Glaubensbewußtseins, präziser: in Schleiermachers Bestimmung des in diesem Bewußtsein enthaltenen und dieses Bewußtsein verursachenden Wirkens Gottes. Das christliche Glaubensbewußtsein wird von Schleiermacher als schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl bestimmt und als Gefühl des unverfügbaren Eingegliedertseins in den Naturzusammenhang erläutert. Gott ist in diesem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl enthalten als die Ursächlichkeit des Naturzusammenhangs, Gottes Wille ist mit dem Naturzusammenhang identisch. Gottes Handeln wird begriffen als das Wirken des von Anbeginn an gesetzten Naturund Lebenszusammenhangs, Gottes Werk ist der sich entwickelnde Naturprozeß, in dem alles gemäß seiner Bestimmung zum Vorschein kommt 322 . 322

Wird Gott nur gefaßt als nackte Ursächlichkeit des Naturzusammenhanges, fällt das Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit zu Gott zusammen mit dem Bewußtsein, daß alles durch den Naturzusammenhang bedingt ist, ist mithin alles, was bei Gott möglich ist, auch wirklich, so weist Schleiermachers Anschauung durchaus eine pantheistische Tendenz auf, was Schleiermacher an den entsprechenden Stellen durchaus selbst bemerkt (vgl. G1L §§ 46,2; 49,2; 53; 2). Die einzig explizite Auseinandersetzung innerhalb der Glaubenslehre (G1L § 8, Zusatz 2) erklärt den Pantheismus nicht zum expliziten Thema der Glaubenslehre, denn nie - so Schleiermacher - ist er „das Bekenntnis einer geschichtlich hervorgetretenen frommen Gemeinschaft gewesen und nur hiermit haben wir es zu tun", vielmehr sei der Pantheismus eher als ein Schimpfname aufzufassen. Ist der Pantheismus auch - so Schleiermacher - nicht aus der frommen Erregung erwachsen, sondern aus der Spekulation, so bemerkt Schleiermacher doch ausdrücklich, daß er sich mit dem Gegenstand des von ihm eruierten Wesens der Frömmigkeit verträgt (vgl. ebd.). Sicherlich gilt festzuhalten, daß Schleiermacher zwar ein theoretischer Pantheismus ferne liegt (so zu Recht: Kattenbusch, Die deutsche evangelische Kirche seit Schleiermacher, S. 27), gleichzeitig aber Schleiermachers Konzeption „keinen durchschlagenden Gesichtspunkt wider den Pantheismus" (a. a. O., S. 28; vgl. auch Klein, Pantheismus II, S. 41) gewährt. Ob Schleiermachers Konzeption daher als pantheistisch zu bezeichnen ist, ist - so macht Beißer zu Recht deutlich - eine Definitionsfrage (ders., Schleiermachers Lehre von Gott, S. 41). So stellt Beißer die m. E. entscheidende Frage, ob Schleiermacher Universum und Gott identifiziert (vgl. a. a. O., S. 42f). Beißer ist hier in seiner Antwort - dem Textbefund gegenüber durchaus angemessen - differenziert: Auf der einen Seite - so Beißer - ist bei Schleiermacher ,,[d]as Universum [...] nicht außer und vor der Welt, sondern es ist immer nur, indem es mit der Welt handelt" (a. a. O., S. 43), zum anderen unterscheidet Schleiermacher aber auch zwischen beiden: „Es ist ein Unterschied zwischen dem Seienden und dem Urgrund alles Seienden" (a. a. O., S. 43). Ist aber das Universum „der begründende Grund alles Seienden" (a. a. O., S. 43), so ist „der Zusammenhang zwischen Universum und Seiendem der innigste" (a. a. O., S. 43). „Das Seiende kann nicht verstanden werden als für sich bestehendes Seiendes, sondern es ist überhaupt nur, indem es vom Sein getragen wird" (a. a. O., S. 42). Auf diesen Punkt macht auch Flückiger aufmerksam: Ist dergestalt Gott als Ursache des

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Schleiermacher kennt somit nur ein einliniges Wirken Gottes. Gottes Wirken wird im Brennglas der Allkausalität 323 zentriert und zur Einheit gebracht. In diesem Verständnis des göttlichen Wirkens liegen Schleiermachers Schwierigkeiten mit dem Sünden- und Gnadenverständnis begründet. Die monistische Bestimmung des Wirkens Gottes läßt keinen Raum für Kontingenz: weder für die Sünde, noch für Gottes Reaktion auf die Sünde. Faßt Schleiermacher Gottes Handeln monistisch auf, muß er sowohl die Sünde als auch Gottes Reaktion auf die Sünde ontologisieren. Weder kann Schleiermacher so die Sünde als Feindschaft gegen Gott bestimmen, noch die sakramentale Bedeutung Christi festhalten. Durch Schleiermachers monistische Bestimmung des Wirkens Gottes ist mit jeder Kontingenz auch jede Empfänglichkeit Gottes ausgeschlossen. Unüberbietbar deutlich wird die Schranke, die Schleiermacher die monistische Bestimmung des Wirkens Gottes auferlegt, darin, daß Schleiermacher das Wesen Gottes als Barmherzigkeit und Liebe preisgeben muß; die Barmherzigkeit Gottes muß aus seiner Dogmatik verbannt werden 324 : Der Gott Schleiermachers als schlechthinnige Ursächlichkeit, von dem jede Form der Empfänglichkeit ausgeschlossen ist, kann nicht

323 324

Weltverlaufes etabliert, kann Gott auch nicht wirklich vom Weltverlauf geschieden werden; denn nichts ist bei Gott möglich, was nicht auch im Weltverlauf wirklich ist. So ist die Transzendenz Gottes ausgeschlossen (vgl. ders., Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 116). Und auch Kattenbusch fragt, ob unter diesen Umständen bei Schleiermacher „Gott existenzhaft ,anders' ist als der ,Kosmos!" (ders., Schleiermachers Größe und Schranke, S. 383). Ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit identisch mit dem Bewußtsein, daß alles durch den Naturzusammenhang bedingt ist, ,,[s]o entsteht unvermeidlich die Frage, wie eine Unterscheidung von Kosmos und Gott für das Gefühl zustande komme" (ebd.). Zumindest kann Schleiermachers Beschäftigung mit Spinoza und ihre Folgen festgestellt werden: In einer Untersuchung der frühen Predigten macht MeierDörken auf den immer stärker werdenden Einfluß Spinozas auf Schleiermacher aufmerksam (vgl. ders., Die Theologie der frühen Predigten Schleiermachers, S. 101). „In dieser Bestimmung des endlich Seienden als notwendiger, von Gott geordneter und von ihm abhängiger Natur- und Weltzusammenhang, worin alles einzelne als ein Teil existiert, erkennen wir auch den Einfluß des von Schleiermacher wahrscheinlich seit 1794 betriebenen Spinozastudiums" (a. a. O., S. 144f; vgl. auch a. a. O., S. 175; 197; 255). Zum Prinzip der Allkausalität vgl. Teil 1: Kap. II.C.3.1; II.D.2.1. Vgl. GlL § 85. - Sicherlich hat Beißer die Entschlossenheit, mit der Schleiermacher seinen evolutionären Monismus entfaltet, richtig beurteilt, wenn er feststellt: „Es stellt dem Mut und der Konsequenz Schleiermachers das beste Zeugnis aus, daß er nicht davor zurückweicht, diese Eigenschaft Gottes aus der Dogmatik zu verbannen" (Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 204).

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barmherzig sein. Drückt die Barmherzigkeit einen „durch fremdes Leiden besonders aufgeregten und in Hülfleistung übergehenden Empfindungszustand[]" 325 aus, so ist diese „Hülfleistung" durch ein „sinnliches Mitgefühl" 326 verursacht; dies ist aber - so Schleiermacher - für Gott undenkbar 327 : „Es gibt in Gott keine Affekte; weder reagiert er, noch empfindet er eigens. Beides ist durch seine zeitlose Allmacht ausgeschlossen" 328 . Z u m anderen kommt die Vorstellung der Barmherzigkeit Gottes mit der Gerechtigkeit Gottes im Konflikt 329 . Schleiermachers monistische Konzeption verbietet es zu denken, daß die göttliche Gerechtigkeit durch die Barmherzigkeit begrenzt wird oder gar gegen sie kämpft. So formuliert Barth zu Recht: „Der Gott Schleiermachers kann sich nicht erbarmen" 330 . Gottes Barmherzigkeit muß auch zwangsläufig Schwierigkeiten mit Schleiermachers Hamartiologie mit sich bringen. Barmherzigkeit als eigene Zuwendung setzt eine vorher bestehende Entfremdung voraus 331 . Ist aber die Sünde dergestalt als notwendiges Strukturmoment der menschlichen Entwicklung begriffen, und nicht als Widerspruch gegen Gott entfaltet, so ist eine persönliche Stellung Gottes zur Sünde ausgeschlossen, Gottes „Reaktion" auf die Sünde ist die Kausalität 332 . Zeigt sich aber gerade - wie es Schleiermacher selbst feststellt - , (a) daß die Barmherzigkeit nur als ein Mitgefühl zustande kommt und daß persönliche Zuwendung nur unter der Bedingung bestehender Entfremdung wirklich werden kann, werden aber (b) beide Vorstellungen von Schleiermacher vehement abgewiesen, so muß Schleiermacher, indem er die Gotteslehre von den Erweisungen Gottes in seinen konkreten Begegnungen löst und Gott als den unbewegten Grund des Seins darstellt, die Barmherzigkeit Gottes verabschieden. Dies hat Schleiermacher in aller Konsequenz dann ja auch getan. „Leichter" scheint demgegenüber noch die Vorstellung Gottes als der Liebe in seine Konzeption eingetragen werden zu können 333 . Sie wird von Schleiermacher jedoch nicht als Af-

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G1L § 85,1. Ebd. Ist es ein „Fundament des Schleiermacherschen Vorhabens, ein Gottesbild ohne Anthropomorphismus zu errichten" (Curran, Schleiermacher wider die Spekulation, S. 998), so zeigt sich hier die problematische Konsequenz. Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 204. Vgl. G1L § 85,2. Barth, Einführung in die evangelische Theologie, S. 17. So zu Recht Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 204. So auch Kattenbusch, Geschichte der protestantischen Dogmatik im 19. Jahrhundert, S. 77f. Vgl. G1L § 165ff.

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fekt, sondern als zeitlos ewige Zuwendung 3 3 4 begriffen. H a t Schleiermacher jedoch die Liebe dergestalt in seine evolutionären Monismus integriert, hat er sie damit auch neutralisiert. Die göttliche Liebe verliert ihre Lebendigkeit 335 . Zu Recht formuliert daher Flückiger: „Die göttliche Liebe ist also nicht freie, schenkende Liebe, sondern sie ist All-Liebe oder das treibende Moment, das Gott zu ewiger Schöpfung bewegt. Daher darf nicht nur ein einzelnes Geschehen im Unterschied zu anderem als Ausdruck der göttlichen Liebe angesehen werden. Nicht nur der Erlösung in Christus, sondern allen Naturvorgängen liegt diese Liebe zugrunde. Eine besondere göttliche Ursächlichkeit, die von der einen AllUrsächlichkeit getrennt wäre, gibt es nicht" 336 . Eine erbarmende Liebe, d. h. eine Liebe die zu einem Erbarmen führt, vermag Schleiermacher nicht zur Geltung zu bringen. Eine Liebe allerdings, die kein Erbarmen kennt, eine Liebe, die keine Affekte kennt - wer wollt diese Liebe als Liebe bezeichnen? Doch - und hierin zeigt sich die beeindruckende innere Konsistenz der Glaubenslehre - die angemessene Form der Frömmigkeit stimmt mit dem so entworfenen Gottesbild bei Schleiermacher vollkommen überein: Dem unbewegten Grund des Seins antwortete der Mensch in stoischem Gleichmut. Überspitzt formuliert: Dem affektlosen Gott antwortet der affektlose Mensch. Das biblische Zeugnis von der Liebe und dem Erbarmen Gottes bringt Schleiermacher ebensowenig zur Geltung wie das biblisch-reformatorische Verständnis des Glaubens: Das Fliehen des Menschen zu Gottes Liebe und Gottes Erbarmen.

134 335

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Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 224ff. So zu Recht auch Aulen, Das christliche Gottesbild in Vergangenheit und Gegenwart, S. 319ff. Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 143.

Β Die Transformation des evolutionären Monismus in den Gnadenmonismus (K. Barth) 1. Die Unterscheidung zwischen Menschenwort und Gotteswort Das Grundproblem der Schleiermacherschen Theologie 1 erblickt Barth in dem Glauben bzw. dem frommen Selbstbewußtsein als Ausgangspunkt der theologischen Reflexion. Wird primär der Glaube des Menschen thematisch, wird - so Barth - das Göttliche zum Prädikat des Menschlichen, so daß für Barth Schleiermachers Theologie letztlich nichts anderes ist als der groß angelegte Versuch, „Religion, Offenbarung, Gottesverhältnis als ein Prädikat des Menschen verständlich" 2 zu machen3. Gerade so erscheint Schleiermacher Barth als ein Vorläufer Feuerbachs: „Wir denken an Schleiermachers Lehre von dem Verhältnis zwischen Gott und der frommen Erregung, das offenbar nach ihm gerade kein Verhältnis sein soll, das allen Charakter einer Begegnung verloren hat. Oder an seine Lehre von den drei dogmatischen Formen, von denen die zweite und dritte, die Aussagen über Gott und die Welt allenfalls auch fehlen könnten. [...] Die Frage erhebt sich, ob Feuerbach nicht der Schnittpunkt ist, auf den hin alle jene Linien konvergieren, so wenig dies im Sinn ihrer Urheber liegen mochte" 4 . Diese Vorläuferschaft zu Feuerbach teilt Schleiermacher nach Barth mit keinem geringeren als dem Reformator Martin Luther. So „ist es für uns als protestantische Theologen eine besonders nachdenkliche Sache, daß Feuerbach sich für seine Interpretation des Christentums mit Vorliebe [...] ausgerechnet auf Luther berufen hat" 5 - und dies nicht „ohne allen Schein von Recht" 6 ; hat Luther doch 1

2 3 4 5

Die Bedeutung der Theologie Schleiermachers für Barth wird schon an den häufigen B e z u g n a h m e n evident. So formuliert L ü t z treffend: „Schleiermacher war für Barth ein Leuchtturm; ein Licht, an dem m a n sich orientiert, um an ihm vorbei zu f a h r e n " (ders., H o m o viator. Karl Barths Ringen mit Schleiermacher, S. 367). Leider wird allerdings das interessante T h e m a bei Lütz vertan. Ihm gelingt es nicht, übergreifende Linien zu ziehen und Grunddifferenzen herauszuarbeiten. Vgl. Barth, Die protestantische Theologie im 19. J a h r h u n d e r t , S. 4 8 6 . Vgl. Bayer, Theologie, S. 3 2 7 . Barth, Die protestantische Theologie im 19. J a h r h u n d e r t , S. 4 8 7 . Ebd.

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- so Barth - mit den kühnen Prädikaten, die er dem Glauben gegeben hat, diesen „als eine fast selbständig auftretende[] und wirkende[] göttliche[] Hypostase" 7 erscheinen lassen und in seiner Christologie und Abendmahlslehre gelehrt, „daß die Gottheit nicht im Himmel, sondern auf Erden, im Menschen Jesus zu suchen sei und wiederum die Gottmenschheit Christi substantiell in den Elementen des Abendmahls" 8 . Die Möglichkeit einer „Umkehrung von oben und unten, von Gott und Mensch" 9 war damit gesetzt. Das Selbstbewußtsein des Menschen als Ausgangspunkt menschlichen Erkennens wird von Barth daher vehement abgelehnt10. „Unser als Ichbewußtsein und Weltbewußtsein, d. h. als Wahrnehmung und Begriff unserer selbst und der Menschen und Dinge außer uns sich vollziehende Existenzerkenntnis könnte auch bloß vermeintlich, sie könnte auch Schein, und zwar reiner Schein, eine Gestalt des Nichts sein, unser Schritt vom Bewußtsein zum Sein eine leere Fiktion. Es ist nicht wahr, daß wir unmittelbar um unsere eigene oder um irgend eine Wirklichkeit wissen. Wahr ist nur dies, daß wir unmittelbar meinen, darum zu wissen. Wahr ist nur unsere unmittelbare Vermutung, daß wir und andere Wesen existieren, daß unser Bewußtsein ein Sein - unser eigenes und fremdes Sein - in sich schließe" 11 . Jede Setzung des Bewußtseins unterliegt daher nach Barth dem Verdacht, Täuschung und Illusion zu sein12. Wir leben - so Barth - über dem Abgrund der Möglichkeit der Täuschung 13 . Daß wir sind, können wir uns nicht selbst sagen, sondern dazu müssen wir „ermächtigt, autorisiert und unausweichlich genötigt sein" 14 . Um gewiß zu sein, daß wir sind, mußte es uns „gesagt sein" 15 . Die Tatsache, daß wir dies von unserem Schöpfer gesagt bekommen, darf jedoch nach Barth keinesfalls mit dem unmittelbaren Gottesbewußtsein verwechselt werden. Es geht nämlich nicht um die Setzung des menschlichen Selbstbewußtseins, sondern um die „göttliche[] Selbstkundgebung" 16 . Somit gilt: Nicht ,,weitere[] Setzung unseres Bewußtseins, sondern [...] eine[] unse-

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Ders., Ludwig Feuerbach, S. 2 3 0 . Ebd.; vgl. ders., Die protestantische Theologie des 19. Jahrhunderts, S. 4 8 7 . Ebd. Ebd. Vgl. bes. KD I I I / l , S. 395ff. KD I I I / l , S. 3 9 5 . So Härle, Sein und Gnade, S. 2 7 1 . Vgl. KD I I I / l , S. 3 9 6 . Ebd. KD I I I / l , S. 3 9 7 . KD I I I / l , S. 3 9 9 .

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rem Bewußtsein widerfahrende[] Entgegensetzung" 17 ! So beruht schon die „Erkenntnis geschöpflicher Existenz [...] ganz und ausschließlich auf Gottes Selbstkundgabe und Offenbarung" 1 8 . Der Ausgangspunkt der theologischen wie überhaupt der erkennenden Reflexion ist daher für Barth das „Deus dixit" 19 . Die Kirchliche Dogmatik will dieses Deus dixit nachdenken. So formuliert Bayer zu Recht das Interesse Barths: „Barth erfindet seinen Ausgangspunkt nicht, sondern findet ihn vor, läßt ihn sich vorgegeben sein" 20 . Das Wort Gottes ist die Voraussetzung der Verkündigung 21 . Dieses Wort Gottes ist ein Auftrag, ein positiver Befehl 22 . Damit ist die menschliche Rede von Gott nicht in der menschlichen Motivation begründet, sondern in Gottes anzuerkennenden Anweisung 23 . Ist aber nun Barths Interesse vornehmlich in der Differenz zwischen dem menschlichen Bewußtsein und einer unserem Bewußtsein widerfahrenden göttlichen Entgegensetzung begründet, so ist Barth entscheidend am Gott-Welt Gegensatz orientiert, dem „unendlichen qualitativen Unterschied" 24 - „Gott ist im Himmel und du auf Erden" 25 ! - , und diese Unterscheidung soll durch die strikte Differenz zwischen Gotteswort und menschlichem Wort gewahrt werden. Und gerade durch diese entscheidende Differenz zwischen Gotteswort und dem menschlichen Wort ist der Verkündiger, der Gottes Wort reden soll, aber nur menschliche Worte besitzt, in entscheidende Bedrängnis gesetzt 26 : „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und Nicht-Können, wissen und damit Gott die Ehre geben"27. Diese Not des Theologen stellt sich nach Barth für Schleiermacher aber gerade nicht 28 . Die entscheidende Differenz zwischen Gott und Mensch, die Barth durch die Differenz zwischen Gotteswort und menschlichem Wort gewahrt wissen will, wird nach Barth bei Schleiermacher gerade nicht gewahrt; denn letztlich heißt bei Schleiermacher von Gott 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

Ebd. KD I I I / l , S. 400. Ders., Unterricht in der christlichen Religion, S. 53ff. Bayer, Theologie, S. 323. Vgl. KD 1/1, S. 89ff. Vgl. KD 1/1, S. 90ff. Vgl. KD 1/1, S. 92. Ders., Der Römerbrief, S. XX. Ebd. Vgl. u. a. ders., N o t und Verheißung der christlichen Verkündigung, S. 5f. Ders., Das W o r t Gottes als Aufgabe der Theologie, S. 199. Vgl. a. a. O., S. 205f.

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zu reden, „in etwas erhöhtem Ton vom Menschen reden" 2 9 . Damit hat Schleiermacher - so Barth - aber gerade eine „Brücke zwischen Himmel und Erde geschlagen" 30 , die es nach Barth nicht geben darf, weil sie die entscheidende Differenz zwischen Gotteswort und Menschenwort nicht wahrt, die entscheidende Not des Menschen aber gerade dadurch verkennt. Besteht die Not in der kategorialen Differenz zwischen Gotteswort und dem menschlichen Wort, kann es nicht mehr um die Frage gehen, predigen - wie macht man das, sondern nur noch: predigen - wie kann man das 31 ? So kann es für den Theologen nicht mehr als eine vage Hoffnung, ein „vielleicht", ein „es könnte ja sein" geben: Die vage Hoffnung, daß das menschliche Wort wenigstens Hülle für das göttliche Wort werden kann 32 . Und doch lauert hier zugleich die Gefahr, wenn der Mensch Gottes Wort auf seine Lippen nimmt 33 . Das „est" der lutherischen Heilsgewißheit, das Vertrauen darauf, daß das Wort Gottes sich als menschliches Wort ereignet, ist bei Barth zerbrochen. Zwar kann auch Barth den Satz bejahen „Praedicatio verbi dei est verbum Dei" 34 , doch wird bei ihm die Gleichung zwischen Gotteswort und menschlichem Wort in der Verkündigung zerbrochen zugunsten eines Gleichnisses: Die „Dienstleistung der Kirche" besteht „nur darin [...] Gottes eigenem Wort Aufmerksamkeit, Respekt und sachliches Verständnis zu verschaffen" 35 . Das menschliche Wort ist nicht Gotteswort, es kann es keinesfalls ersetzen, vielmehr kann es nur eine „Zone" 3 6 um Gottes Wort herum errichten, die Kirche steht in der Linie von Johannes dem Täufer 37 . Prädicatio verbi dei est verbum dei - nach Barth handelt es sich hier um „keine Gleichung" 38 , sondern die Verkündigung ist eine „Ankündigung", in der sich das Wort Gottes „spiegeln und widerhallen will" 39 . Das irdische Menschenwort ist lediglich das „Spiegelbild" 40 des göttli29 30 31

32 33 34 35 36 37 38 39 40

A. a. O., S. 205. Ebd. Vgl. ders., N o t und Verheißung der christlichen Verkündigung, S. 6. - Damit wird zum eigentlichen T h e m a „die Frage nach dem Wesen der Predigt, und zwar in der Gestalt, die eine Behandlung des praktischen Problems als sekundär, überflüssig oder gar sachwidrig auschließt" (Rössler, Das Problem der Homiletik, S. 24). Vgl. Barth, Das W o r t Gottes als Aufgabe der Theologie, S. 2 1 8 . Vgl. ders., N o t und Verheißung der christlichen Verkündigung, S. 20f. Vgl. u . a . ders., M e n s c h e n w o r t und Gotteswort in der christlichen Predigt, S. 119. A. a. O., S. 127. A. a. O., S. 130; 135. Vgl. a. a. O., S. 130. Ders., Einführung in die evangelische Theologie, S. 2 0 7 . A. a. O., S. 208. K D I / 1 , S. 136.

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chen Wortes. Das menschliche Wort in der Predigt hat einen rein verweisenden Charakter 41 . Nie können wir Gottes Wort mitteilen, als „unser Erlebnis, als unseren Besitz, als unsere Gewißheit" 42 . Wir können Gottes Wort nicht selbst reden, wir können darauf nur verweisen 43 . „Wozu man Johannes des Täufers auf Grünewalds Kreuzigungsbild, besonders seines ungeheuerlichen Zeigefingers, gedenken möge: Kann man nachdrücklicher und vollständiger von sich selbst weg zeigen [...]? Und kann man nachdrücklicher und realer auf das Gezeigte zeigen, als es da geschieht?" 44 Barth bestreitet die Identifikation von Gotteswort und Menschenwort in der Predigt, insofern das Menschenwort in der Predigt nur einen hinweisenden Charakter besitzt, d. h. „Zeichen" 45 ist. Gilt nach Luther, daß der Geist nicht „unmittelbar" ohne das äußere Wort wirkt, sondern nur mittels des menschlichen Wortes 46 , so besagt dies gerade auch, daß das äußere Wort sich selbst als geistmächtig erweist, der Geist wirkt durch und im äußeren Wort 47 . Wort und Geist verhalten sich wie Stimme und Atem: „Man kann nicht von einander scheiden die Stimme und den Atem" 4 8 . Gegen dieses lutherische est wie der daraus erwachsenden Gewißheit will Barth eine „letzte Distanz wahren" 4 9 . Nicht Gleichung, sondern Gleichnis 50 . Im Rückblick erscheint es Barth daher als problematisch, in KD 1/1 von drei Gestalten des Wortes Gottes gesprochen zu haben, ist doch diese Redeweise nicht geeignet, begrifflich zwischen Gotteswort und Menschenwort entscheidend zu differenzieren - dies war aber immer schon seine Absicht 51 ! So formuliert Bayer: „An genau die Stelle, an der es Luther um die unauflösliche Einheit von Gott und

41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 sl

Vgl. ders., Menschenwort und Gotteswort in der christlichen Predigt, S. 135. A. a. O., S. 135f. Vgl. a. a. O., S. 136. K D I / 1 , S. 115. Vgl. hierzu ders., Die Not der evangelischen Kirche, bes. S. 97. Vgl. WA 18, 695, 18ff; WA 50, 245,1. Vgl. WA 9, 632, 25; 633,2. WA 9, 632, 26; 633,5. Barth, Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, S. 218. Vgl. ders., Einführung in die evangelische Theologie, S. 152. So berichtet W. Kreck in der Diskussion auf dem Leuenberg 1973: „Kurz vor seinem Tod hat Barth im kleineren Kreis geäußert, er würde nicht mehr, wie noch in KD 1/1 von den drei Gestalten des Wortes Gottes reden. Und er gebrauchte dann zur Charakterisierung der Verkündigung das Bild von dem Klingeln des Meßdieners, das die Verwandlung der Messe anzeigt, sie aber nicht selbst vollzieht (Diskussion auf dem Leuenberg 1973, in: Klappert, Promissio und Bund, 272). Und H. Gollwitzer fügt hinzu: „Im Frühjahr 1961 waren H. Diem und ich zwei Tage mit Barth zusammen, um über die Tauffrage zu sprechen. Wir haben Barth damals zu seiner Überraschung darauf hingewiesen, daß, wenn er über die

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M e n s c h in der sich im H e i l s w o r t mitteilenden Person Jesu Christi geht, setzt Barth gegen das identifizierende est ein significat, gegen die G l e i chung' das ,Gleichnis'" 5 2 .

52

Wassertaufe so rede, er über die Predigt ja nicht mehr so reden könne wie in KD 1/1. Barth hat dann im Gespräch KD 1/1 sofort zurückgezogen, da er nicht mehr von den drei Gestalten des Wortes Gottes reden würde. Ich versuchte Barth dann deutlich zu machen, daß er das nicht muß: Wie man auch über die Wassertaufe spricht, es könnte die Predigt etwas anderes sein. Ich habe also nicht einsehen können, warum Barth exklusiv zueinander setzt: entweder Hinweis oder Instrument" (a. a. O., S. 273f). Bayer, Theologie, S. 381. „Daß sich Gott, über den der Mensch nicht verfügen kann, in bestimmtem menschlichem Wort festlegt, wie dies Luther für das Absolutions-, Tauf- und Abendmahlswort behauptet, lehnt Barth von seiner Frühzeit an durch die Jahrzehnte hindurch bis zu seinen letzten Äußerungen radikal ab" (a. a. O., S. 314). Ähnlich auch Härle, der den entscheidenden Unterschied zwischen Barth und Luther in der konstitutiven Bedeutung des Gott-Welt-Gegensatz für Barths Offenbarungsverständnis erblickt (vgl. ders., Die Theologie des frühen' Karl Barth in ihrem Verhältnis zu der Theologie Martin Luthers, bes. S. 105ff).Ist zu Recht u. a. in den Arbeiten von Wintzer herausgestellt worden, daß Barth an der Ausarbeitung einer materialen Homiletik nicht interessiert ist (vgl. u. a. ders., Die Homiletik seit Schleiermacher bis in die Anfänge der dialektischen Theologie' in Grundzügen, S. 184ff, bes. 186; ders., Einführung in die Wissenschafts- und Problemgeschichte der Homiletik seit dem 19. Jahrhundert, S. 28; ders., Praktische Theologie, S. 106), so wird dieser Sachverhalt in praktischtheologischen Erörterungen fälschlicherweise damit begründet, daß Barth das göttliche Wort mit dem menschlichen Wort der Predigt identifiziere. So wurde nach Trillhaas der „steilef] Anspruch der Predigt, der in und seit der Reformation für sie erhoben worden ist, selbst Wort Gottes zu sein" (ders., Die wirkliche Predigt, S. 13) durch Karl Barth erneuert (vgl. ders., Einführung in die Predigtlehre, S. 21). Und so fragt Trillhaas scharf: „Kann die wirkliche Predigt der evangelischen Kirche dem überschwenglichen Predigtbegriff standhalten" (ders., Die wirkliche Predigt, S. 14)? Trillhaas fordert daher vehement, „daß die selbstverständliche Gleichung, die zwischen Predigt und Wort gesetzt wird, zerbrochen wird" (a. a. O., S. 19), d. h. „die Predigttheorie [ist] aus der Unwahrheit des Supranaturalismus" (a. a. O., S. 21) zu lösen. „Die Predigt ist Dienst am Wort. Ob sie darüber hinaus dann zum Wort Gottes wird, das steht nicht in unserer Macht" (a. a. O., S. 20). Nur so - als Dienst am Wort, nicht als Wort Gottes selbst! - „fordert sie unser Bemühen, unseren Einsatz, nämlich den Einsatz unserer Menschlichkeit heraus, und das Bedenken, es könnte sich so etwas wie ein Synergismus in unsere Predigtauffassung einschleichen, hat gar kein Objekt" (a. a. O., S. 21). So lautet Trillhaas' These in Kürze: Barths Identifikation des Gotteswortes mit dem menschlichen Wort der Predigt führt zu der Vernachlässigung der homiletischen Frage nach dem Wie der Predigt. Barths Theologie verhindert die Ausarbeitung der Theologie als empirisch-kritische Handlungswissenschaft (zu dieser Frontstellung zu Barth vgl. Genest, Karl Barth und die Predigt, S. 229). Durchaus ähnlich urteilt auch Bastian: Er attestiert der kerygmatisch orientierten Theologie den „Glauben an eine Art Transsubstantiation des

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus 2 . Barths noetische Implikation und ihre ontologische Fundierung

So ist nach Barth nicht das menschliche Selbstbewußtsein Ausgangspunkt der theologischen Reflexion, sondern das, was dem Menschen entgegentritt: die Offenbarung Gottes. Nur an dem offenbarten Gott soll die Theologie ihre Erkenntnisquelle haben. Das ist die Beherzigung des ersten Gebotes als theologisches Axiom: Die Offenbarung Gottes ist die „Quelle, aus der sie ihre Sätze ableitet"53. Offenbar aber ist Gott ausschließlich in Jesus Christus54. Daher hat sich die Theologie allein an den „Gott zu hängen, der sich in Jesus Christus offenbart hat" 55 . Mit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus will Barth jede andere Erkenntnisquelle der theologischen Reflexion ausschließen. Gottes Offenbarung in Jesus Christus allein ist der Ausgangspunkt der theologischen Reflexion. Insofern ist Barths theologische Noetik eine „Noetik der Gnade"

53 54 ss

Wortes in der Predigt" (ders., Verfremdung und Verkündigung, S. 8). Barths Lehre vom Wort Gottes wird daher von Bastian als eine „dogmatische Theorie" (ders., Vom Wort zu den Wörtern, S. 50) verstanden, die aber nicht als Modell für die kirchliche Handlungswissenschaft geeignet ist, ,,[w]eil mit dieser Theorie [...] weder soziale Situationen strukturiert noch sprachliche Aktionen im Blick auf mögliche Funktionen modellmäßig vorweggenommen werden können" (ebd.). Demgegenüber will Genest Barth vor dem Vorwurf der Identifikation des Gotteswortes mit dem Menschenwort in Schutz nehmen (!), indem er darauf hinweist, daß bei Barth die Predigt „dem Selbstwort Gottes nur selbstlos dienen [kann] im Sinne von Ankündigung, Zeichen und Zeugnis" (ders., Karl Barth und die Predigt, S. 232). Und so versucht Genest denn auch, Impulse und Anstrengungen Barth hinsichtlich der materialen Homiletik nachzuweisen (vgl. a. a. O., S. 232ff). Bestreitet Genest so auch die Identifikation von Gotteswort und menschlichem Wort bei Barth, so gilt doch bei ihm - wie vor allem auch bei Trillhaas unumstößlich: Die Identifikation von Gotteswort und menschlichem Wort verhindert die Ausarbeitung einer materialen Homiletik! Gegen diese Kritik an Barths Predigtbegriff ist festzuhalten: Barths Lehre vom Wort Gottes zeigt eine immer stärker werdende Scheidung zwischen Gotteswort und dem menschlichen Wort der Predigt, das lutherische „est" wird zum „significat" (s.o.). Wenn aber Barth die reformatorische Gleichung zwischen Gotteswort und Menschenwort nicht erneuert, sondern gerade zerbricht, dann kann weder Barths Desinteresse an der Fragen der materialen Homiletik und seine starke Fixierung der Predigt als reine Textpredigt noch auch die „Einschüchterung" (Müller, Art. Homiletik, S. 544), zu der Barths Auffassung der Predigt für den Prediger führt, aus der Erneuerung der reformatorischen Gleichung gezogen werden, sondern muß aus der Zerbrechung dieser Gleichung erklärt werden. Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, S. 136. Vgl. u . a . K D I / 1 , S. 122f. Ders., Das erste Gebot als theologisches Axiom, S. 143.

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(Härle) 56 . Mit Jesus Christus hat Barth aber nicht nur den Ausgangspunkt der theologischen Reflexion gewählt, sondern zugleich will Barth den Versuch jeder Vermittlung verabschieden. Jeder Versuch einer solchen Vermittlung wird bei Barth als Hinzunahme einer weiteren Erkenntnisquelle abgelehnt. „So sagte das 18. Jahrhundert: Offenbarung und Vernunft. So sagte SCHLEIERMACHER: Offenbarung und religiöses Bewußtsein. So sagten A. RITSCHL und die Seinen: Offenbarung und Kulturethos, so sagten TROELTSCH und die Seinen: Offenbarung und Religionsgeschichte. Und so sagt man heute von allen Seiten: Offenbarung und Schöpfung, Offenbarung und Uroffenbarung, Neues Testament und menschliche Existenz, das Gebot und die Ordnungen" 5 7 . Die erkenntnistheoretische Frage wird ausgeblendet zugunsten der Frage nach dem Inhalt der Erkenntnis: „Die Erkenntnisfrage der Theologie" - so Barth - „kann nicht lauten: wie ist menschliche Erkenntnis der Offenbarung möglich?, [...] sondern·, welches ist die wirkliche Erkenntnis der 5 8 göttlichen Offenbarung?" Aufgabe der Theologie ist daher die Wiedergabe des Inhaltes der göttlichen Offenbarung in Christus. So ist für Barth Jesus Christus die ratio cognoscendi. Christus als ratio cognoscendi zur Geltung zu bringen, heißt aber für Barth, ihn als ratio essendi zu fassen. Dies gilt es im folgenden zu klären. 2.1 Jesus Christus als ratio essendi Im Unterschied zu Schleiermacher will Barth die Eigenständigkeit des Versöhnungswerkes Gottes wahren, das Versöhnungswerk soll gerade nicht als Teil des Schöpferwillens Gottes gefaßt werden. „Der Vollzug der Versöhnung und also die geschichtliche Wirklichkeit Jesu Christi ist nicht die höchste entwicklungsmäßige Fortsetzung, die Krönung und Vollendung der von Gott gewollten und vollbrachten Setzung der von ihm verschiedenen Wirklichkeit der Welt und des Menschen, nicht etwa das dieser Wirklichkeit immanente Telos" 5 9 . Damit widerspricht Barth bewußt dem evolutionären Monismus Schleiermachers 60 . „Die Erfüllung der Zeit in Jesus Christus bedeutet für ihn [Schleiermacher]: der Mensch und in ihm das endliche Sein als solches erlangen in Jesus Christus am Ziel seines geschichtlichen Werdens diejenige Gestalt, zu der er in seinem Verhältnis schlechthinniger Abhängigkeit von Gott als dem unendlichen 56 57 58 59 60

Vgl. Härle, Sein und Gnade, S. 2 8 7 . Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, S. 1 3 7 . K D I / 1 , S. 28. KD I V / 1 , S. 5 1 . Vgl. KD I V / 1 , S. 51f.

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Sein als Mensch keimartig zum vornherein disponiert und begabt ist. Gottes ewiger Wille geschieht in Jesus Christus in der Weise, daß der Mensch in ihm - nämlich in der ungetrübten Einheit seines menschlichen Selbstbewußtseins mit seinem Gottesbewußtsein - zu der ihm als Mensch bestimmten und notwendigen Vollendung kommt" 6 1 . Barth stimmt Schleiermacher nun aber nachdrücklich in der Intention zu, die Erscheinung Jesu Christi als von Ewigkeit her begründet und notwendig zu fassen62. So sieht Barth eine große „Sachnähe" zu der Auffassung Schleiermachers, „weil ja der Zusammenhang des Seins des Menschen und der Welt in seiner Geschöpflichkeit mit dem Sein Jesu Christi angesichts dessen, was in diesem offenbar wird, nach der deutlichen Anleitung des Neuen Testamentes selbst nicht intim genug verstanden und gar nicht stark genug hervorgehoben werden kann" 6 3 . Doch habe Schleiermacher diese Dinge insofern „auf den Kopf gestellt" 64 , als er „diesen Zusammenhang in der Weise darstellt, daß [er] das Sein Jesu Christi vom Sein des Menschen und der Welt, statt dieses vom Sein Jesu Christi her - die Versöhnung von der Schöpfung, statt die Schöpfung von der Versöhnung her - ableitet und interpretiert" 65 . Will Barth somit zum einen den engen Zusammenhang zwischen der Schöpfung und Jesus Christus wahren, zum anderen aber Jesus Christus nicht als Vollendung der Schöpfung verstehen, so ist nach Barth nicht die Versöhnung von der Schöpfung, sondern die Schöpfung von der Versöhnung her abzuleiten. Von daher betritt Barth mit KD IV die Mitte der kirchlichen Dogmatik. „Sie hat auch einen Umkreis: die Lehre von der Schöpfung und die Lehre von den ,letzten Dingen', von der Erfüllung und Vollendung. Der im Werk der Versöhnung erfüllte Bund aber ist ihre Mitte. Man muß und kann von hier aus auch einen Umkreis sehen. Man sieht ihn aber nur von hier aus" 66 . Unter der Überschrift „Gott mit uns" umschreibt Barth „diese christliche Mitte in einer ersten allgemeinen Annäherung" 67 . Zunächst ist dieses „Gott mit uns" ein Ereignis, eine Tat Gottes 68 - und zwar „ei« Ereignis, eine Tat Gottes" 69 . „[W]as Gott in sich selber und was er als Schöpfer und Regent des Menschen tut, das zielt auf eine einzige, besondere Tat, hat in ihr eine Mitte und einen 61 62 63

64 65 66 67 68 69

KD I V / 1 , S. 52. Vgl. KD I V / 1 , S. 51 f. KD I V / 1 , S. 52.

Ebd. Ebd. KD I V / 1 , S. 1. KD I V / 1 , S. 2. Vgl. KD I V / 1 , S. 4ff. KD I V / 1 , S. 6; vgl. auch KD I V / 1 , S 6ff.

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Sinn" 70 . Das Besondere dieses Geschehens besteht nun aber gerade darin, „daß es sich dabei um des Menschen Heil handelt, daß da die allgemeine, Gott und dem Menschen, Gott und der ganzen Kreatur gemeinsame Geschichte in ihrer Mitte und Spitze zur Heilsgeschichte wird" 7 1 . Das „Zukommen des Heils" ist die Gnade Gottes 72 . Zwar - so Barth - ist auch schon Gottes Schöpfung Gnade, doch geht es hier „um das, was mehr, was größer ist als jene" 73 . Die Verheißung des „Gott mit uns" „greift hinaus über seinen Willen und sein Wirken als Schöpfer" 7 4 und das heißt: Sie „geht diesem voran" 7 5 . Die Verheißung des „Gott mit uns" von Gottes Schöpferwirken zu unterscheiden heißt daher, es „als ein Erstes, das ihm vorangeht"76 zu unterscheiden. Dieses Geschehen des „Gott mit uns", das als Verheißung Gottes Schöpferwillen schon vorangeht, trägt „jenen Namen [...], Jesus Christus, kein Anderer, nichts sonst" 77 . Ist so dieses „Gott mit uns" in Gottes Handeln in Jesus Christus geschehen, im Werk der Versöhnung, so ist er die „ E r f ü l l u n g des Bundes zwischen Gott und Menschen" 7 8 . Der Bund ist „die zwischen Gott und dem Menschen zuvor bestehende, dann gestörte und bedrohte Gemeinschaft, deren Absicht in Jesus Christus und also im Werk der Versöhnung erfüllt wird" 7 9 . Wie ist das zu verstehen? „,Ich will eurer Gott sein!' das ist das ursprüngliche Heraustreten Gottes aus aller Neutralität, sein Heraustreten auch aus seinem gewiß schon gnadenvollen Sein und Wirken als Schöpfer und Herr dem Menschen gegenüber. Das ist mehr als Schöpfung, mehr als Erhaltung, Begleitung und Beherrschung seiner Geschöpfe. Das ist eben der Bund Gottes mit dem Menschen, von dem in seinem Verhältnis zu ihm immer schon herzukommen und auszugehen, dessen eingedenk zu sein Gott beschlossen, Gott sich selbst verbunden und verpflichtet hat" 8 0 . Dieser Bund, daß Gott unser Gott sein will, ist somit ein „Gnadenbund"*1. Der Mensch darf „vernehmen und entgegennehmen [...], daß Gott sich selbst zu seinem Gott erwählt, bestimmt und 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

KD IV/1, S. KD IV/1, S. Vgl. ebd. KD IV/1, S. Ebd. Ebd. Ebd. K D I V / 1 , S. KDIV/1,S. Ebd. K D I V / 1 , S. K D I V / 1 , S. Ebd.

6. 7. 8.

17. 22. 39. 40.

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gemacht hat" 8 2 . „Indem Gott selbst sich von Ewigkeit her dazu erwählt und bestimmt, für uns Menschen Mensch zu werden, und uns Menschen dazu bestimmt, die zu sein, für die er Gott ist: seine Mitmenschen, indem er das, indem er Jesus Christus will, will er unser Gott sein, will er uns zu seinem Volke haben. Es ist also der Gnadenbund schon ontologisch eben in Jesus Christus, in der menschlichen Gestalt und dem menschlichen Inhalt, den Gott seinem Wort von Ewigkeit her geben wollte, geschlossen und begründet" 83 . Indem Gott sich von Ewigkeit Jesus Christus erwählt hat, hat er den Gnadenbund konstituiert. In der Geschichte der Menschwerdung Jesu von Nazareth kommt der Bund zu seiner Erfüllung, in ihm setzt sich Gottes Bundeswille durch und kommt zu seinem Ziel 84 . Die Menschwerdung Gottes präexistiert als Verheißung dem geschichtlichen Vollzug des Bundes 85 . Und ist der Bund Gottes ursprüngliche Intention, so liegt die Verheißung der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus „dem ganzen Entwurf und Geschehen der Schöpfung und dem ganzen Gang der Vorsehung Gottes schon zugrunde" 86 . Daher „folgt die Existenz und das Werk Jesu Christi nicht aus dem Gnadenakt der Schöpfung und nicht aus den Gnadenakten der göttlichen Vorhersehung. Sondern um Jesu Christi willen geschieht die Schöpfung, waltet Gott als Erhalter der Welt und Regent des Weltgeschehens, und göttliche Gnadenakte sind das Alles, weil sie um seinetwillen geschehen" 87 . So ist auch verständlich, inwiefern für Barth die Schöpfung „der äußere Grund des Bundes" 88 , der Bund der „innere Grund der Schöpfung" 8 9 ist. Der Bund Gottes, der in der Menschwerdung Jesu Christi seine Erfüllung hat, begründet die Schöpfung, sie ist zu dem Zwecke geschaffen, Raum zu sein für Gottes Bund, Raum für Gottes Menschwerdung in Jesus Christus. Die Schöpfung ist der Raum für Jesus Christus, er ist Gottes erstes Wort, um dessen Willen die Schöpfung existiert. „Im Anfang, vor dieser unserer Zeit und vor diesem unserem Raum, vor der Schöpfung [...], hat Gott in sich selber [...] dies vorweggenommen: [...] daß er in seinem Sohn dem Menschen gnädig sein, daß er sich ihm verbinden wolle" 90 . „Es geschieht Alles, was von Gott her geschieht, ,in Jesus Christus'"n. Ist aber Jesus Christus das erste Wort Gottes, der Grund für die Schöpfung, so scheint Barths Konzeption mit der Kontingenz der mensch83 84 85 86 87 88 89 90 91

K D I V / 1 , S. 47. Vgl. KD I V / 1 , S. 40. Vgl. KD I V / 1 , S. 50. Ebd. K D I V / 1 , S. 53. KD I I I / l , S. 103ff. KD I V / 1 , S. 258ff. KD II/2, S. 108. KD II/2, S. 7.

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lichen Sünde in größte Schwierigkeiten zu kommen. Soll Jesus Christus als Überwindung der Sünde zur Geltung gebracht werden, gleichzeitig aber das erste Wort Gottes sein, das als Verheißung der Schöpfung präexistiert und sie kausiert und dazu bestimmt ist, in der Geschichte Wirklichkeit zu werden, muß dann die Sünde nicht als von Gott notwendig geordnet erscheinen, damit Gott seinen ursprünglichen Plan verwirklichen kann und in Jesus Christus zur Überwindung der Sünde Mensch werden kann? Oder ist bei Barth zwischen der Erfüllung des Bundes in der Menschwerdung Jesu Christi und der Versöhnung zu unterscheiden, so daß man formulieren müßte: Durch den kontingenten Einbruch der Sünde verwirklicht Gott sein ursprüngliches Wort als Versöhnung 92 ? Der Bund ist nach Barth die Voraussetzung der Versöhnung in Jesus Christus, die Versöhnung aber auch die Konsequenz dieser Voraussetzung, insofern die Versöhnung die Realisierung des Bundes ist 93 . So kann zwar auch Barth die Versöhnung verstehen als „Gottes Replik auf des Menschen Sünde" 9 4 . Doch der Zusammenhang zwischen dem in der Menschwerdung Christi erfüllten Bund und der Versöhnung ist viel enger: „Das Werk der Versöhnung in Jesus Christus ist die Erfüllung der von Gott ursprünglich gewollten und geschaffenen Vereinigung zwischen sich und dem Menschen, dem Menschen und sich" 9 5 . Der Bund ist nicht nur die Voraussetzung der Versöhnung, sondern die Versöhnung ist die Konsequenz des Bundes 96 . Zwischen Bund und Versöhnung herrscht so eine Kontinuität 97 . So ist denn die Versöhnung in Jesus Chri92

93 94 95 96 97

In diesem Sinne versucht Kreck Barth zu verstehen: „Es ist also von einem Bundes- und Erwählungswillen Gottes zu reden, dem die Schöpfung dient und der in der Versöhnung durch das Kreuz Christi seine Erfüllung findet - die angesichts des ,Zwischenfalls' der Sünde den Charakter der Versöhnung annehmen mußte" (ders., Grundentscheidungen in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, S. 242). Vgl. KD I V / 1 , S. 39. K D I V / 1 , S. 4 9 . KD IV/1, S. 3 7 (Hervorhebung durch M.R.). Vgl. KD I V / 1 , S. 4 0 . Dies zeigt Härle, Sein und Gnade, bes. S. 75ff. Kann Barth tatsächlich die Versöhnung als „Gottes Replik auf des Menschen Sünde" bezeichnen und von der Versöhnung als der „Wiederherstellung" (KD I V / 1 , S. 2 2 ) des Bundes sprechen, so ist doch nach Härle festzustellen, „daß die Termini ,Wiederaufnahme' und Wiederherstellung' von vornherein flankiert sind - und immer mehr verdrängt werden - von den Begriffen ,Behauptung',,Durchsetzung', Vollstreckung',,Konsequenz', Durchführung', .Fortsetzung', ,Ausführung', ,Besiegelung', Bestätigung' und ,Erfüllung'. Weiter ist zu bemerken, daß auch die Rede Barths von einem den Bund .unterbrechenden Element' relativiert wird, indem Barth im selben Zusammenhang nur von dem ,mit Aufhebung bedrohten' Bund spricht. Und schließlich wird auch die Charakterisierung der Versöhnung als ,Gottes

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stus auch nur „faktisch" Gottes Replik auf die menschliche Sünde, den „Zwischenfall" 98 , aber nicht selbst nur ein Zwischenfall: „Was in ihm geschieht, das ist vielmehr auch abgesehen von Gottes Gegensatz zu des Menschen Sünde die Ausführung, nämlich die Besiegelung und die Offenbarung, das Urphänomen des positiven Willens Gottes in seinem Verhältnis zum Menschen und damit auch seines Schöpfer- und Herrenwillens im Ganzen. Nicht erst um jene Störung seines Willens aus dem Felde zu schlagen, nicht erst in dieser polemisch-irenischen Behauptung und Bereinigung seines Verhältnisses zum Menschen und damit zu der ganzen von ihm geschaffenen Welt gegenüber dem Auf- und Einbruch der menschlichen Sünde wollte Gott Mensch werden und ist es tatsächlich geworden. Er wollte und wurde es vielmehr zuerst und vor allem positiv dazu, um der Verheißung: ,Ich will euer Gott sein!' [...] konkrete Realität, Wirksamkeit zu geben" 99 . So zielt die Erwählung des Menschen Jesus Christus von vornherein auf die Versöhnung 100 : „Was in Jesus Christus, in dem geschichtlichen Ereignis der in ihm vollbrachten Versöhnung in der Zeit geschieht, ist also nicht nur eine Geschichte unter vielen anderen und auch nicht nur Gottes Reaktion gegen die menschliche Sünde, sondern [...] dies, daß Gott dieses sein Wort, wie es von Anfang an lautete, hält und erfüllt, seine ursprüngliche Verheißung und sein ursprüngliches Gebot in der konkreten Realität und Wirksamkeit seines eigenen Menschseins als Wort an uns wahr macht und auf unseren Plan stellt" 101 . So existiert die Schöpfung um der Versöhnung willen, die Schöpfung ist der von Gott geschaffene Raum für die Versöhnung, die als Verheißung der Schöpfung präexistiert und sie kausiert und im Raum der Schöpfung geschichtliche Wirklichkeit wird. So kann Barth denn auch in seiner Schöpfungslehre formulieren: „ Weil servatio, darum creatio" 102 . Und das heißt: „Weil es [das Geschöpf] dabei sein soll bei Gottes Errettungs- und Befreiungstat, darum darf es da sein"103.

98 99 100

101 102 103

Replik auf des Menschen Sünde' von Barth dahingehend eingeschränkt, daß die Versöhnung ,nicht nur Gottes Reaktion gegen die menschliche Sünde' sei, sondern ,zugleich und zuerst der große Akt der Treue Gottes gegen sich selbst und gerade damit gegen uns'" (a. a. O., S. 77. Siehe dort auch die Orte der Zitate.). Von daher zieht Härle das Fazit: „Alle diese Interpretationen und Einschränkungen weisen nur in eine Richtung: in Richtung auf die Kontinuität zwischen Bund und Versöhnung" (ebd.). KDIV/1, S.49. Ebd. Vgl. zu Recht Härle, Sein und Gnade, S. 78; vgl. auch Ratschow, Jesus Christus, S. 155ff. KD IV/1, S.49. KD III/3, S. 91. Ebd.

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Heißt es also, daß die Versöhnung als innerer Grund der Schöpfung und die Schöpfung als äußerer Grund der Erwählung zu denken ist, ist Gott schöpferisch wirksam, weil er versöhnend wirksam sein will und in der Schöpfung den Raum für die Erwählung erstellt, taucht das Problem mit der Sündenlehre, in das Barth gerät, ungleich deutlicher und schärfer hervor. Anders allerdings für Barth: Für ihn ist die Sünde „zum vornherein, von Ewigkeit her, schon überholt, Lügen gestraft und erledigt." 104 In Gottes erstem Wort, der Versöhnung, d. h. der Überwindung der menschlichen Sünde, ist der Sünde schon widersprochen und sie überwunden105. Hat Barth Gottes Versöhnung seinem schöpferischen Handeln ontologisch vorgeordnet, geschieht ,,[a]lles, was von Gott her geschieht, ,in Jesus Christus'" 106 , ist Gottes Versöhnungswillen der Seinsgrund für das kreatürliche Sein, gibt es Schöpfung nur, weil es Versöhnung geben soll, so charakterisiert Härle Barths Ontologie zutreffend als eine „christologische Ontologie"107 bzw. als eine „Ontologie der Gnade" 108 . Und bedenkt man weiterhin, daß Barth damit nur einen Willen, ein Werk Gottes kennt, die Versöhnung in Jesus Christus, in die die Schöpfung als „Vorwort" mit hineingenommen ist, so ist Barths Konzeption zu Recht als einlinig109 und monistisch bezeichnet worden 110 , bzw. näher als ein „Gnadenmonismus" 111 ; die „Geschichtslosigkeit" wird als Folge dieses Konzeption kritisiert112. Mit seiner Konzeption aber handelt sich Barth ganz offensichtlich zwei Schwierigkeiten ein: Ist Gottes erstes Wort, der Grund seiner Schöpfung, der Widerspruch gegen die menschliche Sünde, so fragt sich, ob hier nicht die Gefahr besteht, die Sünde in Gott zu gründen. Schafft Gott die Sünde, um sie zu überwinden? Die zweite Schwierigkeit besteht in Barths Unterscheidung zwischen dem ersten Wort Gottes, der Menschwerdung in Jesus Christus und der in dieser 104 105 106 107 108 109

KD I V / 1 , S. 5 0 . Vgl. ebd. KD I I / 2 , S. 7 . Härle, Sein und Gnade, S. 2 9 7 . A. a. O., S. 2 9 9 . So konstatiert Q u a n d t Barth eine ,„einlinige' Denkweise" (ders., Gott und Mensch, S. 2 0 6 ) und Bayer spricht von einem „Einheitsdenken" Barths (ders., Schöpfung als Anrede, S. 4 ; vgl. ders., Theologie, S. 3 6 3 ) .

110

So droht nach Berkouwer die „Gefahr eines M o n i s m u s " (ders., Der T r i u m p h der Gnade in der Theologie Karl Barths, S. 2 3 3 ) , während Krause Barth bis an die „Grenzen des M o n i s m u s " (ders., Gottes Leiden - Leiden des M e n s c h e n , S. 2 7 0 ) vorstoßen sieht. Gloege hingegen rühmt den „großartigen M o n i s m u s " (ders., Art. Karl Barth, Sp. 8 9 7 ) der Theologie Karl Barths.

111

Pöhlmann, Analogia entis oder analogia fidei?, S. 1 5 4 . Härle, Sein und Gnade, S. 3 2 7 . D e m Begriff der Geschichtslosigkeit bei Härle entspricht durchaus auch Althaus Kritik der „Epochelosigkeit" (ders., Gebot und Gesetz, S. 2 2 2 ) Vgl. auch: Kreck, Die Lehre von der Versöhnung, S. 9 0 .

112

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Menschwerdung geschehenen Versöhnung, und der geschichtlichen Realisation dieses Wortes, d. h. der präexistierenden Verheißung und der geschichtlichen Realisation der Verheißung: Droht hier nicht Jesus Christus zu einem ewigen Prinzip zu werden, was nur in der Geschichte realisiert wird? Hierauf wird noch zurückzukommen sein. Zunächst jedoch gilt es noch einmal, den Grund für die Vorordnung der Versöhnung vor die Schöpfung, d. h. den Grund dafür, die Versöhnung als erstes Wort Gottes zur Sprache zu bringen und so diese eminenten Schwierigkeiten in Kauf zu nehmen, hervorzuheben.

2.2 Der noetische „Gewinn" Barth möchte Jesus Christus als ratio cognoscendi, als Erkenntnisprinzip der theologischen Reflexion, zur Geltung bringen. Von Jesus Christus aus soll die Schöpfung begriffen und verstanden werden, er ist das Erkenntnisprinzip der geschöpflichen Wirklichkeit. Die Schöpfung ist von der Versöhnung her zu interpretieren, nicht die Versöhnung von der Schöpfung her 113 . Gerade hier will Barth Schleiermacher widersprechen: Bei Schleiermacher - so Barths Kritik - ist die Schöpfung, nicht die Versöhnung der Ausgangspunkt der Erkenntnis. Ist dies Erkenntnisprinzip Schleiermachers aber dadurch fundiert, daß bei diesem die Versöhnung die „höchste entwicklungsmäßige Fortsetzung, die Krönung und Vollendung" 114 der Schöpfung ist, so intendiert Barth nichts Geringeres als dieses Fundament - im Interesse seines christologischen Erkenntnisprinzipes - neu zu bestimmen: Ist die Versöhnung, d. h. ist Jesus Christus der Seinsgrund des geschöpflichen Seins, dann kann das geschöpfliche Sein nur in der Erscheinung seines Grundes erkannt werden. Ist Jesus Christus der Grund der Schöpfung, dann kann ,,[d]ieser S i t z o r d n u n g [...] die Erkenntnisovdming nicht ungehorsam sein, sondern nur folgen. Es kann zur Erkenntnis Gottes und des Menschen [...] das Wort Gottes nur in der Gestalt und dem Inhalt gehört werden, den Gott selbst ihm gegeben, durch den er seinen Stand und Ort und den unsrigen von Anfang an festlegen wollte. Allein durch dieses Wort, das Jesus Christus heißt, [...] können wir uns [...] belehren lassen" 115 . Und auch Gott kann nur durch Jesus Christus erkannt werden, weil er nur in Jesus Christus existiert 116 . Weil Gott nur in Jesus Christus existiert, weil 1.3 1.4 115 116

Vgl. KD IV/1, S. 52. KD IV/1, S. 51. KD IV/1, S. 48. Vgl. KD II/2, S. 564. - Zu der damit verbundenen Vorstellung der Präexistenz des Menschen Jesu von Nazareth vgl. Exkurs 2.

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Jesus Christus der Grund der Schöpfung ist, können die Welt und Gott nur verstanden werden von der Geschichte, in der Jesus Christus zur Erscheinung kommt. Barth möchte Jesus Christus als ratio cognoscendi, als Erkenntnisprinzip der theologischen Reflexion, zur Geltung bringen. Wittert Barth bei Schleiermacher „natürliche Theologie", d. h. eine Erkenntnis von Gott und Welt abgesehen von der Offenbarung Gottes in Christus 1 1 7 , die „im Lichte einer Offenbarung Gottes von der Schöpfung her" 1 1 8 argumentiert, so intendiert Barth, das Fundament dieser Noetik, die ihr zugrundeliegende Ontologie, zu verwerfen: Jesus Christus ist der Seinsgrund des Seins, daher kann nur an der geschichtlichen Erscheinung des Seinsgrundes das Sein erkannt werden, weil der verheißene Grund erst hier konstituiert wird. Barth entwickelt so eine Ontologie, in deren Rahmen natürliche Gotteserkenntnis, Erkenntnis außerhalb der Offenbarung Gottes in Christus, nicht gedacht werden kann. Von hier aus ist auch Barths Ablehnung der analogia entis zu begreifen. Wird die analogia entis bei Barth auch an keiner Stelle hinreichend präzise definiert 119 , so geht jedoch ,,[a]us seinem Protest [...] hervor, daß er die Spitze der Lehre von der analogia entis darin sieht, daß hier eine Erkennbarkeit Gottes außerhalb der Offenbarung angenommen wird" 1 2 0 . Es ist die natürliche Gotteserkenntnis, die Barth in der Lehre von der analogia entis ablehnt 121 . Es gibt keine Offenbarung außerhalb der Offenbarung Gottes in Christus in der Schöpfung 1 2 2 und die Schöpfung begründet auch in keiner Weise die Möglichkeit, daß uns Gott in seiner Offenbarung entgegentritt: Es gibt keine analogia entis im Sinne einer „von der Schöpfung her eigentümlichen und trotz des Sündenfalls in ihr erkennbaren Affinität und Eignung für Gottes Offenbarung" 1 2 3 . Das Christusereignis knüpft nicht an einem „Bestand" 1 2 4 an, den der Mensch durch sein geschöpfliches Sein mit sich bringt, sondern es schafft diesen Anknüpfungspunkt selbst. Hierin wurzelt auch Barths Ablehnung der formalen imago dei, wie Brunner sie beschrieben hat 1 2 5 . Verwirft Barth die analogia entis, weil in dieser Lehre eine Erkennbarkeit Gottes außerhalb der Christusoffen-

1,7 118 119 120 121

122 123 124 125

Vgl. KD 1/1, S. 1 6 0 . KD 1/1, S. 134. So Track, Analogie, S. 6 4 0 ; Härle, Sein und Gnade, S. 1 7 3 . Track, Analogie, S. 6 4 0 . So programmatisch in dem Vorwort zur Kirchlichen Dogmatik (KD 1/1, S. VHIf). Vgl u. a. auch KD I I / l , S. 88. Vgl. u . a . KD 1 / 1 , S. 180. KD 1/2, 4 1 . Ebd. Vgl. hierzu ausführlich Teil 2: Kap. III.A.4.2.1.1.

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barung in der Schöpfung angenommen wird und verbietet das schöpfungsmäßige Gott-Welt-Verhältnis, von einer solchen Erkennbarkeit zu reden, so bestreitet Barth sowohl die noetische Intention der Lehre von der analogia entis als auch ihr ontologisches Fundament. Wird nämlich - so Barth - das ontologische Fundament der Lehre von der analogia entis akzeptiert, die Analogie des Seienden, dann ist die natürliche Gotteserkenntnis, die Erkennbarkeit Gottes auch außerhalb seiner Offenbarung in Christus, die logische Konsequenz. Dies wird nicht zuletzt deutlich an dem von Barth formulierten katholischen Einwand gegen eine ausschließlich auf die Offenbarung Gottes in Christus sich gründende Theologie: „Schreibt ihr Gott in seinem Werk und Handeln und schreibt ihr nun doch, wenn auch in unendlichem qualitativen Abstand, auch dem Menschen Sein zu, dann habt ihr, was auch über die Unzulänglichkeit aller anderen Aussagen zu sagen sei - und als Sinn und Rechtfertigung aller anderen, in sich zweideutigen Analogien! - eine Analogie zwischen Gott und Menschen und also einen Punkt der Erkennbarkeit Gottes auch außerhalb seiner Offenbarung anerkannt: die Analogie des Seienden nämlich, die analogia entis, die Seinsidee, in der Gott und der Mensch auf alle Fälle zusammengefaßt sind, wenn ihr Verhältnis zum Sein auch ein ganz verschiedenes ist, wenn sie am Sein auch einen ganz verschiedenen Anteil haben" 126 . Härle bringt diese Beschreibung auf eine kurze Formel: „Analogia entis ist (für Barth) die durch die Schöpfung gesetzte, in einem allgemeinen' Seinsbegriff grundgelegte Ähnlichkeit zwischen Geschöpf und Schöpfer (bei gleichzeitiger Unähnlichkeit), die dem Geschöpf eine Gotteserkenntnis abgesehen von der (Christus-)Offenbarung ermöglicht" 127 . Und zu Recht fährt Härle fort: „Analogia entis impliziert also eine ontologische und eine noetische Aussage. Sie besagt eine seinshafte Ähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf und daraufhin die Möglichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis" 128 . 126 127 128

KD I I / 1 , S. 88f. Härle, Sein und Gnade, S. 174. Ebd. Ähnlich urteilt auch Track, Analogie, S. 640: „Die Rede von der analogia entis impliziert für Barth die ontologische Aussage, Gott und Geschöpf sind sich in ihrem Sein ähnlich, und die noetische Aussage, Gott kann aufgrund der Ähnlichkeit in natürlicher Gotteserkenntnis erkannt werden." Auch Brunner (vgl. Teil 2: Kap. III.A.2.2; III.A.4.1.1) hat die Frontstellung Barths gegen die noetische und ontologische Aussage der Lehre von der analogia entis wohl gesehen. Dagegen urteilt Pannenberg: „Barths Kritik an der analogia entis trifft also weniger die ontologische Struktur des Gott-Welt-Verhältnisses als ihre [...] Zugänglichkeit für natürliche Erkenntnis sowie damit auch ihre Verwendbarkeit als philosophisches Konstruktionsprinzip der Theologie" (ders., Analogie, Sp. 352; vgl auch ders, Analogie und Offenbarung, S 138f). Bei Pannenberg ist allerdings verkannt,

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Um Jesus Christus zum Erkenntnisprinzip des Seins zu machen, entwickelt Barth ein ontologisches Fundament, in dem Jesus Christus das Seinsprinzip des Seins ist. Die in Jesus Christus geschehene Versöhnung ist Gottes eigentlicher Wille, die Schöpfung ist kein erstes - der Versöhnung gegenüber selbständiges - W o r t , sondern die Schöpfung ist um der Versöhnung willen da. Jesus Christus ist für Barth sowohl in noetischer als auch in ontologischer Hinsicht das eine W o r t Gottes. Präziser: Weil Jesus daß Barth nicht nur die natürliche Gotteserkenntnis, die aus der analogia entis folgt, sondern ihr ontologisches Fundament ablehnt; denn gerade aus dem ontologischen Fundament, der „Analogie des Seienden", folgt für Barth notwendig die Anerkennung einer „Erkennbarkeit Gottes auch außerhalb seiner Offenbarung" (KD II/1, S. 89). Setzt Barth der analogia entis die analogia fidei entgegen (vgl. KD 1/1, S. 257: die analogia fidei wird hier bewußt als Alternative zur analogia entis zur Sprache gebracht), so muß die analogia fidei - als Gegensatz zu der sowohl in ontologischer als auch noetischer Hinsicht verfehlten Lehre von der analogia entis - sowohl eine noetische als auch eine ontologische Alternative zur analogia entis sein, präziser gesagt: die analogia fidei muß eine ontologische und darum eine noetische Alternative zur analogia entis sein. Sagt die analogia entis - in der von Barth kritisierten Form - in ontologischer Hinsicht eine durch die Schöpfung gesetzte Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf und darum in noetischer Hinsicht eine Gotteserkenntnis abgesehen von der Christusoffenbarung aus, so lassen sich von hier aus die negativen Bestimmungen der analogia fidei - will sie eine Alternative zur analogia entis sein - ermitteln: „Die in ihr ausgesagte Ähnlichkeit zwischen Gott und dem Mensch darf nicht durch die Schöpfung gesetzt sein, darf nicht in einem allgemeinen' Seinsbegriff grundgelegt sein und darf dem Menschen keine Gotteserkenntnis abgesehen von der Christusoffenbarung ermöglichen" (so unüberbietbar deutlich: Härle, Sein und Gnade, S. 187; vgl. aber auch ähnlich Pöhlmann, Analogia entis oder Analogia fidei?, S. lOlf). So ist die Analogie nach Barth keine Analogie des Seins; denn es gibt kein „Sein, das das Geschöpf mit dem Schöpfer bei aller Unähnlichkeit gemeinsam haben soll" (KD 1/1, S. 252). Die Analogie wird vielmehr erst im Glauben geschenkt, d. h. erst durch die Fleischwerdung wird die Gleichnisfähigkeit konstituiert (vgl. KD 1/1, S. 459). So sind die menschlichen Worte nicht aufgrund ihres schöpfungsmäßigen Seins in der Lage, Wahrheit auszudrücken, sondern das Ereignis der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist eine Erwekkung der Worte (vgl. ebd.) Nicht weil unsere Worte an sich geeignet wären, Gott zu bezeichenen, sondern, weil Gott in seiner Offenbarung diese Worte in Dienst nimmt, werden sie gleichnisfähig (vgl. KD 1171, S. 258). So formuliert Pöhlmann doch wohl zu Recht: „Glaubensanalogie heißt eine Analogie, die exklusiv - und zwar in noetischer und ontischer Beziehung - von der gnädigen Christusoffenbarung lebt. Allein durch die gnädige Christusoffenbarung wird Analogie sowohl geschenkt als auch erkannt" (Pöhlmann, Analogia entis oder analogia fidei?, S. 103. - Vgl. ebd. eine Fülle von Belegen! Der komplexe Analogienlehre von Barth wird ausführlich nachgezeichnet bei Härle, Sein und Gnade, S. 183ff). Und auch Jüngel kann für das Analogieverständnis Barths folgenden Grundsatz formulieren: „Das Sein des Menschen Jesus ist der Seins- und Erkenntnisgrund aller Analogie" (ders., Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie, S. 538. In der Quelle hervorgehoben.).

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Christus in ontologischer H i n s i c h t das eine W o r t Gottes ist, d a r u m ist er es a u c h in noetischer H i n s i c h t 1 2 9 . B a r t h will - nicht zuletzt a u c h im K i r c h e n k a m p f im Anschluß a n die B a r m e r theologische E r k l ä r u n g

-

Jesus Christus als das eine W o r t G o t t e s zur Geltung bringen 1 3 0 . Ist Jesus Christus das eine W o r t Gottes, der G r u n d des geschöpflichen Seins, so zieht B a r t h in der V e r h ä l t n i s b e s t i m m u n g von Rechtfertigung u n d R e c h t sowie der v o n Christengemeinde und Bürgergemeinde die K o n s e q u e n z . Die Bürgergemeinde h a t ihren G r u n d nicht in einer - v o n der G n a d e n o r d n u n g G o t t e s zu unterscheidenden, auf d e m schöpferischen W o r t G o t t e s beruhenden - S c h ö p f u n g s o r d n u n g , s o n d e r n sie ist „ O r d n u n g der göttlichen Gnade"lil.

In J e s u s Christus h a b e n Bürger-

gemeinde und Christengemeinde ein g e m e i n s a m e s Z e n t r u m 1 3 2 . Weil so J e s u s Christus a u c h das Z e n t r u m und Prinzip der staatlichen O r d n u n g ist, nur die G l a u b e n d e n aber u m den G r u n d dieser staatlichen O r d n u n g wissen, h a b e n sie eine Informationspflicht

d e m Staat und der Gesell-

schaft gegenüber: Die Christengemeinde „ w e i ß " 1 3 3 , w a s der Staat bedarf. 129

130

131

132 133

So Barth ausdrücklich in KD III/1, S. 29: Der noetische Zusammenhang zwischen Christus und der Schöpfung hat einen ontologischen Grund: „Jesus Christus ist darum das Wort, durch das uns die Erkenntnis der Schöpfung vermittelt wird, weil er das Wort ist, durch das Gott die Schöpfung vollzogen hat und durch das er sie fort und fort erhält und regiert". Von daher lassen sich Barths Veröffentlichungen durchaus als „Auslegung von Barmen" (Bayer, Theologie, S. 339) begreifen (vgl. Barths ausdrückliche Hinweise auf Barmen an zentralen Stellen: KD I V / 3 , S. 1; Christengemeinde und Bürgergemeinde, S. 82). Freilich ist umstritten, ob Barth der Barmer theologischen Erklärung gerecht geworden ist. So weist Bayer darauf hin, daß der Nebensatz der ersten These der Barmer theologischen Erklärung, „nicht als beiläufiger, akzidentieller, Nebensatz, sondern als wesentlicher, essentieller, Nebensatz zu verstehen ist" (ders., Theologie, S. 340). So ist nach der Aussage, daß Jesus Christus das eine Wort Gottes ist, kein Punkt zu lesen, sondern der sich hieran anschließende Relativsatz ist ernst zu nehmen: „Jesus Christus [...] ist das eine Wort Gottes, [...] dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen haben". Weist Bayer darüber hinaus darauf hin, daß die Barmer theologische Erklärung nur im Zusammenhang mit dem Vortrag von Hans Asmussen als biblisch-reformatorisches Zeugnis von der Barmer Synode anerkannt und verantwortet wird (vgl. Die Barmer theologische Erklärung, S. 58), so kommt Bayer zu dem Urteil: „Barth selbst hat sich in der Auslegung Barmens von Barmen entfernt" (a. a. O., S. 342). Haben die Lutheraner Barmen als mit dem lutherischen Bekenntnis übereinstimmend unterzeichnet, so präzisiert Bayer seine These noch weiter: „Barth selbst hat sich in der Auslegung Barmens vom lutherisch verstandenen Barmen entfernt" (a. a. O., S. 343. In der Quelle hervorgehoben). Barth, Christengemeinde und Bürgergemeinde, S. 54; vgl. auch ders., Rechtfertigung und Recht, bes. S. 21 ff. Vgl. ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, S. 65. Vgl. a. a. O., S. 53f: Barth gibt hier in seiner kurzen Beschreibung der Christengemeinde einen Einblick in das, was die Christengemeinde alles weiß.

Die Transformation in den Gnadenmonismus (Κ. Barth)

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„Die Garantie jedoch, die die Kirche dem Staat gibt, besteht in ihrer exklusiven Stellung als der Wissenden" 134 . Ist Jesus Christus der Grund für die Schöpfung, die Schöpfung der von Gott gewählte Raum für das geschichtliche Erscheinen Christi, so gilt auf den Staat angewendet: Christus ist auch der innere Grund der staatlichen Ordnung, so ist die staatliche Ordnung der von Gott gewählte Raum für die Verkündigung Jesu Christi. Hierin besteht seine eigentliche Aufgabe, an die die Kirche zu erinnern hat 135 . Auch hier zeigt sich wieder deutlich die ontologische Fundierung der noetischen Implikation Barths: Will Barth in der politischen Sphäre „vom Evangelium her argumentier[en]" 136 , will er von Jesus Christus her „auch [...] Entscheidungen im politischen Raum vollziehen" 137 , so meint er dies - seinem Ansatz folgerecht - in der Weise ontologisch fundieren zu müssen, daß er Jesus Christus als das ontologische Prinzip der politischen Sphäre zur Sprache bringt.

3. Probleme der Barthschen Ontologie Ist Gottes erstes Wort, der Grund seiner Schöpfung, der Widerspruch gegen die menschliche Sünde, so fragt sich, ob hier nicht die Gefahr besteht, die Sünde in Gott zu gründen. Wie ist, wenn die Versöhnung in Christus das Prinzip des geschöpflichen Seins ist, das in dem geschichtlichen Erscheinen Jesu Christ verwirklicht ist, die Kontingenz der Gnade festzuhalten? Und ist der kontingente Charakter der Versöhnung preisgegeben, weil Gottes Wille der Überwindung der Sünde sein erster urzeitlicher - Wille ist, wie kann dann unter dieser Bedingung die Kontingenz der Sünde noch zur Geltung gebracht werden? Ist die Überwindung der Sünde Gottes urzeitlicher Wille, muß dann nicht auch die Sünde selbst in Gott gegründet werden, nämlich als dasjenige, was Gott überwinden will138? 134

135 136 137 138

Wingren, Evangelium und Gesetz, S. 2 6 6 . - Vgl. auch Bayer, Theologie, S. 3 6 8 : „Jedes politische Wesen, jeder Staat gehört von vornherein, seiner Wahrheit nach, zu Jesus Christus. Er muß von seiner ontologischen Gründung in dieser Mitte nur noch erfahren, genauer gesagt: sein Wesen zur Kenntnis nehmen; er muß noch kognitiv erkennen, was er immer schon ist". Vgl. Barth, Rechtfertigung und Recht, S. 29ff. Ders., Christengemeinde und Bürgergemeinde, S. 7 5 . Ebd. So macht Härle darauf aufmerksam, daß die Beurteilung der Konzeption Barths in der Schöpfungs- und Sündenlehre zu geschehen hat (vgl. ders., Die Theologie des .frühen' Karl Barth in ihrem Verhältnis zu der Theologie Martin Luthers, S. 125).

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Diese theologischen Schwierigkeiten der Ontologie Barths hat Härle scharf gesehen: „Als Konsequenz dessen rücken Sünde und Versöhnung unter den Aspekt eines notwendigen, ontologischen Prozesses, und der Entscheidungscharakter menschlichen Existierens und Sichverhaltens wird nahezu bedeutungslos. Die Geschichtslosigkeit ist hier unmittelbar drohende Gefahr. Von daher muß auch unter theologischem Gesichtspunkt Barths Verwendung der Gnade als Ausgangspunkt der Ontologie als problematisch erscheinen, stellt sie doch in höchstem Maße den kontingenten Charakter von Sünde und Versöhnung in Frage" 139 . Damit zeigen sich bei Barth durchaus die gleichen grundsätzlichen Fragen wie bei Schleiermacher. Sie liegen im Gedankengang einer monistischen Konzeption - unabhängig davon, ob es sich um einen evolutionären Monismus oder einen Gnadenmonismus handelt. Bei Schleiermacher zeigte sich deutlich: Gottes erlösendes Handeln in Christus wird als ein Strukturmoment der prozessual sich entwickelnden Schöpfung begriffen. Die Menschheit ist auf das Erscheinen Jesu Christi als Höhepunkt dieser Entwicklung angelegt. Die Schöpfung ist bei Schleiermacher nicht nur die Möglichkeitsbedingung für die Erlösung, sondern sie macht die Erlösung notwendig. Die Schöpfung geschieht in zwei Akten, die Erlösung ist wesentliches Teilmoment der göttlichen Schöpfung selbst. Gerade hier hatte ja Barth (s.o.) vehement Einspruch erhoben: Will Barth die Eigenständigkeit des Versöhnungswerkes Gottes wahren, so soll die Versöhnung gerade nicht als Teil des Schöpferwillens Gottes gefaßt werden. Die monistisch-evolutionäre Konzeption Schleiermachers soll daher gerade der Kritik unterzogen werden. Doch ist es nicht der Monismus Schleiermachers an sich, der von Barth der Kritik unterzogen wird. Vielmehr stimmt Barth Schleiermacher gerade in der Intention ausdrücklich zu, die Erscheinung Jesu Christi als von Ewigkeit her begründet und notwendig zu fassen. Der Zusammenhang der Geschöpflichkeit des Menschen mit Jesus Christus kann nicht „intim genug" (s.o.) gefaßt werden. Es ist so nicht der Monismus an sich, der von Barth der Kritik unterzogen wird, sondern seine Prägung als ein evolutionärer Monismus, d. h. das Eingegründetsein der Erlösung in die Schöpfung. Anders als Schleiermacher will daher Barth nicht die Versöhnung aus der Schöpfung ableiten, sondern die Schöpfung aus der Versöhnung. Damit hat auch Barth das monistische Prinzip gewahrt: Gottes Handeln wird als ein einliniges Handeln begriffen. Spricht Schleiermacher von einem schöpferischen Akt Gottes, der die Versöhnung in Christus als 539

Härle, Sein und Gnade, S. 327f. Aus diesem Grund fährt Härle fort: „Dies läßt es nicht als geraten erscheinen, Barth in der Wahl der Gnade (bzw. Jesu Christi) als Prinzip der Ontologie zu folgen" (a. a. O., S. 328).

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zweiten Akt aus sich heraus setzt, so spricht Barth nur von einem versöhnenden Akt Gottes, der die Schöpfung sich vorhersetzt. Die Versöhnung ist Gottes ursprüngliche Intention, die Schöpfung geschieht um der Versöhnung willen als der Raum, in dem sie stattfindet. Ist aber die Versöhnung der ewige Wille Gottes, ist die Verheißung der - erst in der Schöpfung sich vollziehenden - Versöhnung der Konstitutionsgrund der Schöpfung, so ist doch die Versöhnung in Jesus Christus in der Geschichte als ein kontingentes Geschehen höchst fraglich geworden. Damit jedoch steht Barths Modifikation des Monismus Schleiermachers - seine Transformation des evolutionären Monismus in einen Gnadenmonismus - vor der gleichen Schwierigkeit: den kontingenten Charakter des Versöhnungsgeschehens nicht zur Sprache bringen zu können. Und mit dieser Schwierigkeit stehen beide Konzeptionen vor dem gleichen Folgeproblem: der Schwierigkeit in der theologischen Hamartiologie 140 . Begreift Schleiermacher die Welt als einen von Gott von Anbeginn an gesetzten lückenlosen Natur- und Lebenszusammenhang, ist bei Schleiermacher die „Erlösung" in Christus die Konsequenz der Schöpfung als ihr zweiter Teil und ihre Vollendung, so stellte sich bei Schleiermacher die Frage, ob Schleiermacher unter diesen Bedingungen nicht von der Notwendigkeit der Sünde (als um der von Anfang an gewollten Erlösung als Vollendung der Schöpfung willen notwendiges Durchgangsstadium) sprechen muß und sie als von Gott kommend verstehen muß. Wie wir festgestellt haben, hat Schleiermacher in seiner Sündenlehre tatsächlich die Konsequenz aus seinem Ansatz gezogen, indem er die Sünde als von Gott notwendig gesetztes Durchgangsstadium beschrieben hat: Ist Gott die Ursächlichkeit des lückenlosen Naturzusammenhangs, so muß auch die Sünde „durch die göttliche Ursächlichkeit" geworden sein. Die Sünde ist von Gott geordnet als dasjenige, was durch die Erlösung aufgehoben werden soll, sie ist „als das die Erlösung notwendig machende von Gott geordnet". Damit macht Schleiermacher zugleich deutlich: Die Sünde ist keine „besondere Mitteilung" Gottes, Gott hat kein eigenständiges Interesse an ihr, vielmehr ist die Sünde nur um der Gnade willen gesetzt; nicht für sich allein hat Gott die Sünde gewollt, sondern nur im Zusammenhang mit der Erlösung und zwar so, daß er die Sünde zum Verschwinden hinsichtlich der Gnade bestimmt hat. Wird nun bei Barth nicht wie bei Schleiermacher die Erlösung als ein Moment der Schöpfung begriffen, sondern umgekehrt die Schöpfung als ein Moment der Erlösung, so stellt sich doch das hamartiologische Problem in der gleichen Weise. Will Gott

140

Diese gemeinsame Schwierigkeit erkennt auch Beißer, Schleiermachers Lehre von Gott, S. 182.

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die Versöhnung, muß er dann nicht auch die Sünde wollen und muß dann nicht auch Gott Urheber der Sünde werden? Auch in Barths Hamartiologie schlägt sich nun diese Schwierigkeit nieder. Dies zeigt sich vor allem in Barths Lehre vom Nichtigen 141 . 142 Tritt das Nichtige in der Gestalt der Sünde, des Übels und des Todes auf 143 , so ist doch die Sünde die „wichtigste [...] unter allen Gestalten des Nichtigen" 144 . Die Lehre von der Gestalt des Nichtigen ist daher durchaus aufschlußreich für Barths Sündenverständnis. Zunächst gilt für Barth in noetischer Hinsicht, daß das Nichtige erst durch Gottes Offenbarung in Christus als solches erkannt wird. Auch bei dem Nichtigen muß so „auf den Ursprung aller christlichen Erkenntnis, nämlich [...] auf die Erkenntnis Jesu Christi"145 zurückgegangen werden. „Was in ihm offenbar ist, das ist eben nicht nur die Güte der Schöpfung Gottes in ihrer doppelten Gestalt, sondern auch, vom Schöpfer und vom Geschöpf ganz verschieden, das wirklich Nichtige [...]: der Gegensatz nämlich, der sich darum gegen die Totalität der geschaffenen Welt richtet, weil er zuerst und vor allem Gott selbst angeht, Gegensatz gegen ihn ist" 146 . Und gemäß der Methode der ontologischen Fundierung der noetischen Implikation gilt auch für die Sünde - wenn auch in abgeleiteter Weise: Die Sünde wird durch Jesus Christus erkannt, weil sie - in abgeleiteter Weise - durch Jesus Christus konstituiert ist: „Der ontische Zusammenhang, in welchem das Nichtige wirklich ist, ist das auf Erwählung begründete Handeln Gottes"147. Inwiefern aber ist das Nichtige in Gottes erwählendem Handeln begründet? Gottes Tun geschieht - als heiliger Wille - immer in einem bestimmten Gegensatz, d. h. indem „Gott erwählt, [...] verwirft er auch, was er nicht erwählt. [...] Er sagt Ja und eben damit Nein zu dem, wozu er nicht Ja sagt" 148 . Indem Gott etwas positiv will, wird das, was er nicht will, ins Dasein gerufen, ihm „Existenz zugesprochen und Gestalt gegeben" 149 . Gott ist - so kann Barth in Entsprechung zu Schleiermacher formulieren - „Grund und Herr auch des Nichtigen" 150 . „Weil es nur zur 141 142

143 144 145 146 147 148 149 150

KD I I I / 3 , S. 327ff. Die wohl subtilste und scharfsinnigste Darlegung und Problematisierung von Barths Lehre vom Nichtigen bietet Härle, Sein und Gnade, S. 226ff. Vgl. K D I I I / 3 , S. 352f. KD III/3, S. 3 4 7 . KD III/3, S. 342; vgl. hierzu KD III/3, S. 342ff. KD III/3, S. 342. KD I I I / 3 , S. 405; vgl. zum G r u n d des Nichtigen KD III/3, S. 402ff. KD III/3, S. 4 0 5 . KD III/3, S. 4 0 6 . KD III/3, S. 4 0 5 .

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Linken Gottes, nur unter seinem Nein, nur Gegenstand seines Eifers, seines Zürnens, seines Gerichtes ist, darum ,ist' es so problematisch: so gar nicht wie Gott, so gar nicht wie Gottes Geschöpf, sondern eben nur in seiner eigenen, schlechthin nichtigen Weise, nur als Widerspruch in sich selbst, nur als die unmögliche Möglichkeit" 151 . Gerade darum, weil Gott das Nichtige nicht will, folgt der Charakter des Nichtigen als des Bösens 152 ; denn positiv will Gott als sein opus proprium die Gnade, was Gott daher verwirft als sein opus alienum ist das „gnadenfremde, gnadenwidrige, gnadenlose Sein" 153 , ,,[u]nd eben das heißt im christlichen Sinne böse: gnadenfremd, gnadenwidrig, gnadenlos" 154 . Dabei werden freilich von Barth zwei Dinge hervorgehoben: Zum einen ist das opus alienum nur aufgrund des opus proprium da „als dessen Kehrseite" 155 . So betont Barth - durchaus in Entsprechung zu Schleiermacher - , daß das Böse nicht geschieht „wie Gottes opus proprium, das Werk seiner Gnade in einer inneren, eigenen, selbständigen Notwendigkeit. Es geschieht vielmehr nur subsidiär und komplimentär zu diesem göttlichen opus proprium" 156 . Und ebenfalls durchaus in Entsprechung zu Schleiermacher betont Barth, daß das opus alienum zum Vergehen bestimmt ist: „Das Ziel seines opus proprium ist das Ende seines opus alienum, eben damit aber auch das Ende von dessen Gegenstand"157.

151 152 153 154 155

156 1,7

Ebd. Vgl. KD III/3, S. 407ff. KD III/3, S. 407. KD III/3, S. 408 KD III/3, S. 4 0 9 - Quandt spricht treffend von einem „Seinsschatten" (ders., Gott und Mensch, S. 89), der nach Barth dem eigentlichen Werk Gottes von außen anhaftet. KD III/3, S. 4 1 7 . KD III/3, S. 4 1 9 . Barth selbst hat diese Parallelen seiner Lehre vom Nichtigen zu Schleiermachers Hamartiologie wohl erkannt und benannt (vgl. KD III/3, S. 365ff). So lobt Barth an Schleiermacher zum einen, daß dieser zur Geltung gebracht habe, daß das Nichtige durch Gott sei (vgl. KD III/3. S. 375). Gott ist zwar nur insofern als Urheber der Sünde zu bezeichnen, indem er sie verneint, doch „ [i]n diesem Sinne ist er allerdings - und ist er allein auch ihr Urheber" (KD III/3, S. 374). Ebenfalls habe Schleiermacher richtig erkannt, daß das Nichtige keine Selbständigkeit besitze, es sei nicht an sich von Gott gewollt (vgl. KD III/ 3, S. 381), vielmehr existiere es nur in seiner Beziehung auf die Erlösung (vgl. KD III/3, S. 379). Und schließlich habe Schleiermacher die Sünde als etwas zum Vergehen Bestimmtes erkannt (vgl. KD III/3, S. 376). Barths Kritik an Schleiermacher hat seine Ursache darin, daß Barth bei Schleiermacher die Sünde als eine reale, der Gnade widerstrebenden Macht verkannt sieht. Zum einen sieht Barth bei Schleiermacher die Sünde nur noch als eine in unserem Bewußtsein bestehende, nicht aber als eine für Gott selbst bestehende Wirklichkeit zur Geltung ge-

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Die monistische Konzeption Barths wie auch die monistische Konzeption Schleiermachers zeitigt daher in der Lehre von der Sünde die gleiche theologische Schwierigkeit. Das Nichtige ist „von Gott", insofern es durch den verneinenden Willen Gottes Gestalt bekommt, Gott ist „Grund" des Nichtigen158. Kurz: Gott wird so zum Urheber der Sünde, des Nichtigen insgesamt15,9. Wird zur Verteidigung Barths hervorgebracht, bei ihm könne Gott nicht der Urheber der Sunde sein, weil nach Barth Gott die Sünde ja gerade verneine, so darf nicht übersehen werden, daß Barth selbst - in positiver Aufnahme von Schleiermacher - betont: „Er [Gott] ist ihr Urheber, indem er sie verneint"160. Und Barth fügt hinzu: „In diesem Sinne ist er allerdings - und ist er allein auch ihr Urheber"161.

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bracht (vgl. KD III/3, S. 377). „Gott selbst hat bei ihm an dieser Sache keinen Anteil, sondern steht unberührt über ihr" (ebd.). Zum anderen stimmt Barth zwar Schleiermacher zu, daß das Böse nur am Guten ist, kritisiert aber, daß Schleiermacher diesen Satz auch umkehren zu dürfen glaube, nämlich so, daß das Gute nur am Bösen sei (vgl. KD III/3, S. 381). Schleiermacher verkenne hier, daß „jenes Verhältnis von Gnade und Sünde [...] kein positives Verhältnis ist, sondern ein Verhältnis der Entgegensetzung und des Streites" (KD III/3, S. 382. - Vgl. hierzu Lüthi, Gott und das Böse, S. 93f; Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, bes. S. 291ff). Durch Jesus Christus, Gottes Nein zur Sünde, wird - so Barth - das Nichtige überwunden (vgl. KD III/3, bes. S. 418ff). Das Nichtige hat „keinen Bestand" (KD III/3, S. 421), es ist „nur fliehender Schatten" (KD III/3, S. 417). „Jesus [ist] Sieger" (KD III/3, S. 421). So ausdrücklich KD III/3, 405f. So völlig zu Recht Härle, Sein und Gnade, bes. 267f, vgl. auch ders., Die Theologie des .frühen' Karl Barth in ihrem Verhältnis zu der Theologie Martin Luthers, bes. S. 103. - So weist Härle zwar darauf hin, daß Barth „in diesem Zusammenhang zwar geflissentlich die Begriffe ,Ursache' und ,Urheber' [vermeidet]" (ders., Sein und Gnade, S. 240), doch fragt Härle zu Recht, „ob sie nach dem Gesagten vermieden werden können. Worin sollte der sachliche Unterschied bestehen zwischen dem Satz: Gottes Wille ist der ,Grund' des Nichtigen und dem anderen: Gottes Wille ist die .Ursache' des Nichtigen? Und ist denn die These: ,Das Nichtige ist durch Gott' nicht lediglich eine andere sprachliche Formulierung für die Behauptung: Gott ist der Urheber des Nichtigen" (ebd.)? Diese Konsequenz Härles wird von Krötke vehement bestritten, jedoch ohne neue Argumente zu nennen (vgl. ders. Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, S. 107ff). Sein Einwand, daß nach Barth ,,[d]as Nichtige gar nicht da [ist], ohne daß Gott es verneint" (a. a. O., S. 109. - Diesen Einwand macht auch Krause, Gottes Leiden - Leiden des Menschen, S. 265, gegen Härle geltend!) ist in Härles Urteil längst mitbedacht. Wie Krötke angesichts von KD III/3, S. 405 - und vor allem angesichts Barths Zustimmung zu Schleiermacher - behaupten kann, „daß Gott am allerwenigsten als ,Seinsgrund' des Nichtigen gedacht werden kann" (ders., Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, S. 110), ist m. E. schier unverständlich. KD III/3, S. 374. Ebd.

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Die Problematik - dies gilt es auch an dieser Stelle hervorzuheben liegt nicht in der noetischen Implikation Barths, sondern in seiner Art der ontologischen Fundierung. Ist Jesus Christus das Nein zu der Sünde, ihre Überwindung, dann kann die Sünde in der Tat erst in Christus vollständig erkannt werden. Problematisch ist die ontologische Fundierung: Daß die Sünde und das Nichtige erst durch Gottes Handeln in Christus konstituiert werden 162 ! Hierbei nämlich ergeben sich kaum lösbare logische Schwierigkeiten: Zum einen wird das Nichtige durch Gott verneint, zum anderen aber hat es gerade durch Gottes Nein seinen positiven Bestand 163 . „So wird also einmal das Entstehen, das andere mal das Vergehen des Nichtigen mit Gottes Verneinen in Verbindung gebracht" 1 6 4 . Bedenkt man weiterhin, daß Jesus Christus, das Nein Gottes zur Sünde, Gottes erstes Wort ist, so ist das Nichtige durch Gottes "Wort in Christus sowohl ins Dasein gerufen als auch überwunden. Das Nichtige ist als ein schon überwundenes ins Dasein gerufen. So hat das Nichtige „von Haus aus [...] die Bestimmung, keinen Bestand zu haben" 1 6 5 . Bedenkt man aber nun in diesem Zusammenhang, daß Gottes erstes Wort, die Erwählung in Jesu Christi, die Versöhnung meint, d. h. Gottes Nein zur Sünde, dann ergibt sich folgende - doch nur noch schwer verstehbare - Aussage:

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Diese Unterscheidung hält zu Recht auch Weber wach, wenn er Barth zwar darin zustimmt, daß das Böse erst durch Christus erkannt wird (vgl. ders., Grundlagen der Dogmatik, S. 542), ihm aber darin widerspricht, daß die Sünde erst durch Gottes Nein in Christus ins Dasein tritt (vgl. a. a. O., S. 543). Vgl. hierzu Härle, Sein und Gnade, S. 255, bes. S. 259. - Wenn Krause behauptet, bei Barth werde das Nichtige nur noch durch das verantwortet, „wozu es durch Christus gemacht worden ist" (ders., Gottes Leiden - Leiden des Menschen, S. 254), und daraus die Folgerung zieht, daß die „Geschichte, die Gott in Jesus Christus als der Schöpfer, Versöhner und Erlöser mit dem Nichtigen hat, [...) für das Nichtige selbst gerade keine Entstehungsgeschichte [ist], sondern eine Vergehensgeschichte" (a. a. 0 . , S . 268), so bringt er - dem Textbefund gegenüber schlicht unangemessen - nur eine Seite der „Geschichte, die Gott in Jesu Christus [...] mit dem Nichtigen hat" zur Geltung. Was Krause als Alternative sieht, ist bei Barth als ein ,sowohl als auch' zu sehen! Wenn Krause daher behauptet: „In Jesus Christus setzt Gott sich (im Wissen um das seinem Bundeswillen a priori widersprechende) verneinend der absurden Entstehung des Nichtigen voraus. Sein Nein ist eher als das Nichtige selbst" (a. a. O., S. 270f), so verkennt er, daß Gottes Wille in Christus das Nichtige allererst konstituiert (vgl. nochmals KD III/3, S. 405f!). Härle, Sein und Gnade, S. 2 5 9 . KD III/3, S. 419. - Wird hier das Nichtige verharmlost? So fragt Lüthi, Gott und das Böse, S. 262: „Gewiss muss die Proklamation des Sieges bezeugt werden, aber dürfen weder die weiten Wege zum Ziel, noch die Spannung zwischen dem schon Erfüllten und noch Ausstehenden, die diesen Aeon charakterisiert, übergangen werden."

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Gott ursprüngliches Ziel ist die Verneinung der Sünde, die gerade indem Gott sie verneint, ins Dasein gerufen wird. Anders: Ist das Nichtige „der Bruch im Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf" 166 , dann ist Gottes ursprünglicher Wille, sein eigentliches Werk, die Heilung eines Bruches, der aber erst dadurch entsteht, daß Gott diesen Bruch heilen will. Oder - mit Stock formuliert - Barths Konzeption führt „zu der zirkulären Behauptung, daß Gott sich in der Existenz Jesu des Menschen angenommen habe, der sich der göttlichen Annahme in der Existenz Jesu versagt" 167 . Wie ist das zu begreifen168? Besitzen so unter dem theologischen Gesichtspunkt Barths Gnadenmonismus und der evolutionäre Monismus Schleiermachers die gleichen Probleme, so ist darüber hinaus festzustellen, daß das gnadenmonistische Modell zu nicht zu begreifenden selbstwidersprüchlichen Aussagen führt 169 . Der Grund hierfür liegt gerade darin, daß Barths Gnadenmonismus in sich widersprüchlich ist, denn wird die Gnade als ontologisches Prinzip verstanden, sind diese widersprüchlichen Aussagen notwendig produziert. „Gnade ist - im Sinne Barths - das den Widerspruch zwischen Gott und dem Widergöttlichen überwindende Sein und Verhalten Gottes. Als ontologisches Prinzip ist Gnade aber auch notwendigerweise der Ursprung dieses Widerspruchs zwischen Gott und dem Widergöttlichen. [...] So erweist sich das ontologische Prinzip Barths als ein in sich widersprüchliches (und in diesem Sinne dialektisches) Prinzip, und die Widersprüche der Barthschen Ontologie haben dementsprechend prinzipiellen Charakter" 170 . So hat Barths Modifikation des Monismus 166 167 168

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KD III/3, S. 3 3 2 . Stock, Anthropologie der Verheißung, S. 92. Kann Krause schon nicht glauben, daß nach Barth Gott das Nichtige „zunächst einmal konstituiert, um daraufhin seine Schöpfung davon zu befreien" (ders., Gottes Leiden - Leiden des Menschen, S. 2 6 7 ) , so ist zu entgegnen: Gott will nach Barth die Schöpfung von dem Nichtigen befreien, das aber erst dadurch entsteht, das Gott von ihm die Schöpfung befreien will! Dies ist aber wohl kaum leichter zu begreifen. Da kann auch nicht der Hinweis helfen, daß Barths Theologie „in der Bewegung" zu interpretieren ist (so Krötke, Der Mensch und die Religionen nach Karl Barth, S. 5). Verständlich aber wird die Warnung Krötkes, eine „Position Karl Barths" (ebd.) zu ermitteln. Härle, Sein und Gnade, S. 323f. Zu Recht zieht Härle daher die Konsequenz: „Sollen die Widersprüche aus Barths Ontologie eliminiert werden, so muß ihr Ansatzpunkt, ihr Prinzip korrigiert werden" (a. a. O., S. 3 2 4 ) . Zu dem gleichen Ergebnis kommt Stock, wenn er die - anhand der Lehre vom Menschen dargestellte - Konzeption Barths als „aporetisch" bezeichnet: „[D]er Mensch Jesus sein Leben zum Tod am Kreuz und vom Kreuz her - ist die Versöhnungsgeschichte Gottes. Er ist der Erweis der Gerechtigkeit Gottes für den schuldigen

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- die Transformation des evolutionären Monismus in einen Gnadenmonismus - die theologischen Schwierigkeiten der monistischen Konzeption nicht beseitigt, sie hat jedoch in logischer Hinsicht eine - zwar theologisch problematische, aber in sich konsistente - Konzeption in eine theologisch problematische und in sich widersprüchliche Konzeption verwandelt.

4. Evangelium und Gesetz Es zeigte sich deutlich, daß der Gnadenmonismus Barths wie der evolutionäre Monismus Schleiermachers nur ein Handeln Gottes kennt: Während der evolutionäre Monismus Schleiermachers nur ein schöpferisches Handeln Gottes kennt und Gottes erlösendes und versöhnendes Handeln als Element des schöpferischen Handelns begreift, kennt der Gnadenmonismus Barths nur ein versöhnendes Handeln Gottes und begreift die Schöpfung als Element der Versöhnung. Beide monistische Konzeptionen zeigen, daß sie theologisch höchst problematische Konsequenzen in und leidenden Menschen. Ist die menschliche Geschichte unter der Macht der αμαρτία ein Negatives, dann ist der Mensch Jesus darin das Wort des Vaters, darin der Sohn, daß er die Negation dieses Negativen, daß er das versöhnende Wort ist. Gerade wenn man ihn in der Form der Negation des Negativen ernst nimmt, kann er nicht mit dem ursprünglichen schöpferischen Wort unmittelbar identisch sein. Wohl ist die Negation des Negativen, theologisch geurteilt, dem Negativen .vorher', jedoch nicht in ihrer durch das Negative bedingten F o r m " (ders., Anthropologie der Verheißung, S. 236). Freilich scheinen die Konsequenzen, die Härle und Stock hieraus ziehen wollen, unterschiedlich zu sein: So plädiert Härle dafür, eine theologische Ontologie überhaupt zu verabschieden: Mit der Kritik an Barths Konzeption einer theologischen Ontologie „verbindet sich zugleich die Überzeugung, daß die Klärung der ontologischen Fragen in einer der Vernunft und der Erfahrung verpflichteten Weise zu den dringenden Desideraten der Forschung gehört. Eine solche Ontologie darf dann freilich keine t h e o logische Ontologie' sein mit besonderen .dogmatischen' Prämissen, sondern muß, - wie Ebeling mit Recht fordert - ,eine zur allgemeinen Diskussion stehende Fundamentalontologie' sein" (Härle, Sein und Gnade, S. 328). Während so Härle eine „neutrale" Ontologie fordert, d. h. eine nicht aus der Perspektive des Glaubens konzipierte Ontologie, zieht Stock eine modifizierte Konsequenz aus Barths Ontologie der Gnade. Stocks Kritik richtet sich nur gegen eine bestimmte Prägung der theologischen Ontologie, nämlich gegen die Ontologie der Gnade, nicht aber gegen eine christologische Begründung ontologischer Aussagen (vgl. Stock, Anthropologie der Verheißung, S. 235f). Diesem kann m. E. nur zugestimmt werden: Die Selbstwidersprüchlichkeiten der Barthschen Fassung der theologischen Ontologie kann nicht zu einem Verabschieden der theologischen Ontologie führen; denn nicht jede theologische Ontologie ist eine Ontologie der Gnade! Gerade die Auseinandersetzung zwischen Barth und Brunner wird dies zeigen (vgl. Teil 2: Kap. III.A.4.1.1).

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der Gnaden- und Sündenlehre in Kauf nehmen müssen. Dabei stellt es sich als belanglos heraus, ob der Monismus in der Gestalt eines evolutionären Monismus oder in der Gestalt eines Gnadenmonismus auftritt, mit dem Unterschied freilich, daß der Gnadenmonismus Barths - gerade weil er die Gnade zu einem ontologischen Prinzip zu erheben versucht selbstwidersprüchlich ist. Ist die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung kein eigenständiger Topos der protestantischen Dogmatik, so jedoch die Unterscheidung von Gottes Handeln im Gesetz und seinem Handeln in Christus. Anders als Schleiermacher, der dieser Unterscheidung in seiner Glaubenslehre keinen Ort eingeräumt hat, wendet sich Barth in seinem Aufsatz „Evangelium und Gesetz" aus dem Jahre 1935 diesem „ur- und genuin-reformatorischen Thema[]" 171 zu und eröffnet „eine neue Periode" 1 7 2 seiner Erörterung. Barth wendet sich aber entschieden gegen eine solche Unterscheidung des Wortes Gottes, die Gottes verklagendes, der Sünde überführendes Wort im Gesetz und sein freisprechendes Wort im Evangelium als zwei nicht aufeinander zurückführbare und aufeinander abbildbare Worte des einen Gottes begreift. Eine solche Unterscheidung zwischen zwei nicht aufeinander zurückführbaren und aufeinander abbildbaren Worten Gottes widerspricht zutiefst der Grundentscheidung der Theologie Barths, ihrem Monismus, der nur Gottes Gnade kennt. Ist die Gnade das Strukturprinzip der Schöpfung und Gottes einziges Wort, so kann Barth kein Wort Gottes zur Sprache bringen, daß nicht an sich schon Gnade ist. Weil bei Barth jedes Wort Gottes ein Gnadenwort ist, „hat Barth die Möglichkeit eines richtenden Wortes, das als solches kein Gnadenwort ist, von vornherein durch seinen Ansatz ausgeschlossen" 173 . Barth muß daher hinter den zwei Worten Gottes in Gesetz und Evangelium eine Einheit aufsuchen, das heißt, das Gesetz als Wort der Gnade deuten. Daher will Barth - bei aller notwendigen Differenzierung von Gesetz und Evangelium - drei entscheidende Punkte nicht übersehen wissen: 1. ,,[G]rößer als ihre Zweiheit und Streit ist ihr Frieden in dem einen Wort dieses Vaters" 174 . 2. Gottes Wort ist an sich immer schon Gnade. „Daß Gott mit uns redet, das ist unter allen Umständen schon an sich Gnade" 175 . 3. Auch im Gesetz ist und bleibt Gottes Wort Gnade. 171 172 173 174 175

Kinder/Haendler, Zur Einführung, S. X X I . Ebd. Wingren, Evangelium und Gesetz, S. 2 6 9 . Barth, Evangelium und Gesetz, S. 2. Ebd.

Die Transformation in den Gnadenmonismus (Κ. Barth)

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Damit hat Barth den Kern seiner Auslegung der distinctio legis et evangelii festgelegt: Hinter Gesetz und Evangelium liegt das eine Wort Gottes und dies ist Gnade. Damit ist auch das Gesetz Gnade, mit Worten Barths ,,[D]as Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form, des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist" 1 7 6 . Will Barth nun (a) zwischen Gesetz und Evangelium unterscheiden, gleichzeitig aber (b) nicht von einem Wort Gottes reden, das etwas anderes ist als Gnade bzw. Evangelium, muß er daher (c) auch das Gesetz als eine Form des Evangeliums deuten, so kann Barth dies nur tun, indem er die dem Gnadenzuspruch des Evangeliums entgegengesetzte Anklage des Gesetzes als nicht wesenskonstitutiv für das Gesetz bestimmt. Die Anklage kann nicht als die ursprüngliche göttliche Intention der Gesetzgebung bestimmt werden. Will aber Barth gleichzeitig auch der Anklage des Gesetzes Raum geben - ohne die Anklage als ursprüngliche Intention der göttlichen Gesetzgebung zu bestimmen - , muß er die Anklage als eine - durch den Menschen verursachte - Mutation des Gesetzes bestimmen, welches ursprünglich gerade nicht Anklage, sondern Gnade ist. So transponiert Barth die Unterscheidung zwischen den zwei Worten Gottes in die Unterscheidung von Wirklichkeit und Wahrheit 177 . Ist die Fundamentalunterscheidung Barths die zwischen Gottes einem Wort und dem Menschenwort, so trägt Barth auch in seiner Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium dieser Fundamentalunterscheidung Rechnung, indem er die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht in zwei göttlichen Worten begründet sieht, sondern in dem einen wahren Wort Gottes und dem (das wahre Wort mißbrauchenden) menschlichem Wort 178 . Zunächst wird so die Wahrheit von Evangelium und „Gesetz" betrachtet: Barth kommt an erster Stelle auf die Gnade Gottes zu sprechen, die Inhalt des Evangeliums ist 179 : „Gottes Gnade [...] heißt und ist Jesus Christusiim. „Das ist Gottes Gnade: daß unser Menschsein nicht nur, 176 177

A. a. O., S. 9. Vgl. a. a. Ο . , bes. S. 1 3 . - So bemerkt Bayer zutreffend: „Diese Zweiteilung der Schrift ist aufschlußreich. W a s mit ihr zutage tritt - die Unterscheidung von Wahrheit und Wirklichkeit - ist für die ganze Theologie Barths, s o w o h l für die frühe wie für die späte, konstitutiv. So ist das Entscheidende der Schrift ihre Gesamtkomposition, in der sich ihre Konzeption bekundet - das Gefalle v o n oben nach unten: von der der Zeit enthobenen W a h r h e i t zur Wirklichkeit in der Zeit. Der Sachverhalt wird zuerst mit den Augen Gottes gesehen. D a n a c h , im Abstieg von der geschauten Wahrheit, wird [ . . . ] die Wirklichkeit mit den von der W a h r heit erleuchteten Augen w a h r g e n o m m e n " (ders., Theologie, S. 3 5 8 ) .

178

Ähnlich urteilen auch Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium, S. lOOf; Schlink, Gesetz und Paraklese, S. 2 5 4 .

179

Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz, S. 3ff. A. a. O., S. 3 .

180

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Die Grundprobleme des theologischen Monismus

sofern es das unsrige ist, gerichtet und verloren ist um unserer Sünde [...] willen, sondern zugleich, sofern es das Menschsein Jesu Christi ist, von Gott gerechtfertigt und angenommen im Gericht und in der Verlorenheit, weil Jesus Christus - es brauchte das ewige Wort Gottes dazu - glaubte, d. h. zur Gnade und also zu dem Gerichtetsein und Verlorenseins des Menschen nicht Nein, sondern Ja sagte" 181 . An zweiter Stelle nimmt Barth Bezug auf das „Gesetz" 182 , das als Wort Gottes ebenfalls die Gnade zum Inhalt haben muß 183 . Das Gesetz wird - in seiner ursprünglichen Intention, d. h. in seiner Wahrheit - als Gebot verstanden: Die in Jesus Christus erschienene Gnade bedeutet einen Anspruch an den Menschen. Gottes Handeln zielt hin „auf unser Handeln, auf eine Konformität unseres Handelns mit dem seinigen" 184 . Das Gesetz ist also nach Barth ursprünglich ausschließlich dazu gegeben, um von uns ein Handeln zu fordern, welches der in Jesus Christus erschienenen Gnade entspricht. Bedeutet das Evangelium einen Anspruch an den Menschen und ist die ursprüngliche Intention des „Gesetzes" gerade dieser im Evangelium liegende Anspruch, so gilt: ,,[D]as Gesetz ist nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist" 185 . Hat Barth so die Wahrheit von Evangelium und Gesetz erläutert, kommt er in einem zweiten Schritt auf die „ Wirklichkeit"186 des Menschen zu sprechen. Das Gesetz Gottes trifft auf den sündigen Menschen, und dieser nun benutzt das Gesetz, um mit seiner Hilfe seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Man macht somit „aus dem Anspruch Gottes einen eigenen Anspruch [...], den Anspruch nämlich, daß man dem von Gott geforderten selber genügen wolle und könne" 187 . Damit nun hat der Mensch das Gesetz entehrt und entleert 188 und dadurch wird das Gesetz zum Ankläger: Es zeigt uns nun, daß wir das von Gott Gebotene nicht vollbracht haben. Weil das Gesetz auf den Sünder trifft, der glaubt, hier ein Mittel in die Hand bekommen zu haben, mit dessen Hilfe er seine eigene Gerechtigkeit aufrichten kann, wird das Gesetz zum Todesgesetz. So wird von Barth abschließend gezeigt, wo die Reihenfolge von Gesetz und Evangelium, deren Recht auch Barth zur Geltung bringen will, ihren Ort hat. Die Gnade des Evangelium siegt über die Sünde, die das Gesetz aufzeigt. Nun erst zeigt das Evangelium seine volle Kraft als 181 182 183 184 185 186 187 188

A. a. O., Vgl. a. a. Vgl. a. a. A. a. O., A. a. O., A. a. O., A. a. O., Vgl. a. a.

S. 4. O., S. 6ff. O., bes. S. 3. S. 8. S. 9. S. 13. S. 16. O., S. 23.

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„die wirkliche frohe Botschaft für wirkliche Sünder" 1 8 9 . Der Sieg des Evangeliums muß nun als Sieg über den Mißbrauch des Gesetzes betrachtet werden 1 9 0 . Das Gesetz wird wiederhergestellt. Es wandelt sich „aus der Forderung: Du sollst! zu der Verheißung: Du wirst sein!" 1 9 1 . Ist es möglich jenseits der Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium eine Einheit aufzusuchen? Gerade an dieser entscheidenden Frage entzündete sich der Streit um Karl Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium, hierin begründet sich die Annahme oder die Ablehnung der Barthschen Verhältnisbestimmung. Hatte Iwand beispielsweise zunächst betont, daß es keine Möglichkeit gibt, „jenseits des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium nach dem W o r t Gottes zu fragen und daß es uns nur innerhalb, nicht aber oberhalb dieser Unterscheidung zugänglich ist" 1 9 2 , so kann sich Iwand später „dem herkömmlichen Schema von Gesetz und Evangelium nicht anschließen" 1 9 3 . Die Lehre vom Wort Gottes - so urteilt Iwand nun, „wird dadurch verdorben, daß man sie sofort in die Lehre von Gesetz und Evangelium aufspaltet" 1 9 4 . Durch die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wird „die Einheit des Wortes Gottes [...] zerschlagen" 1 9 5 . Die Frage, ob Barth darin im Recht ist, einen Einheitspunkt jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu etablieren, muß Voraussetzungen befragen, auf denen Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium beruhen. Und hier ist die entscheidende Frage, was das Wesen des Gesetzes ist. Barth sieht die Anklagefunktion des Gesetzes nicht als ursprüngliche Funktion; erst durch den menschlichen Gebrauch wird das Gesetz zur Anklage, die Anklage ist aber nach Barth keinesfalls ein Wesensmerkmal des Gesetzes. So wird die Entgegensetzung von Gesetz und Evangelium „von der Ebene einer innergöttlichen Dialektik weg auf die Ebene menschlich-gesetzlichen Irrtums" 1 9 6 verwiesen. Barth unterscheidet so zwischen einem usus und einem abusus des Gesetzes 197 . Die Wahrheit des Gesetzes liegt darin, Gebot zu sein 1 9 8 ! Die

189 190 191 192 193 194 195 196 197 198

A. a. O., S. 24. Vgl. a. a. O., S. 24f. A. a. O., S. 27. Iwand, Jenseits von Gesetz und Evangelium?, S. 1 0 9 . Ders., Evangelium und Gesetz, S. 3 1 . Ders., Nachgelassene Werke V, S. 2 0 3 . A. a. O,. S. 2 0 6 . Joest, Gesetz und Freiheit, S. 37. Vgl. Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther, S. 5 6 2 . So erläutert Klappert diesen Sachverhalt bei Barth: „D. h. die Wesensbestimmung des Gebotes ist vor der Funktions-(usus-) Bestimmung des richtenden Gesetzes zu diskutieren, die Wesens- und Wahrheitsbestimmung des Gebotes kann also nie-

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entscheidende F r a g e ist daher, ob das Gesetz von seiner Anklagefunktion befreit gedacht werden kann, anders: ob die Anklage zur W a h r h e i t des Gesetzes gehört, oder ob die Anklage im menschlichen M i ß b r a u c h des Gesetzes zu suchen ist. U n d umgekehrt: Ist die W a h r h e i t des Gesetzes die Verheißung? Barths Verhältnisbestimmung v o n Gesetz und Evangelium geht von drei Grundvoraussetzungen aus: 1. Die ursprüngliche Funktion des Gesetzes ist die Verheißung und Forderung. Es ist mithin diejenige F o r m des Evangeliums, in dem uns dieses als Forderung gegenübertritt. In der christlichen Pränese wird das „ G e s e t z " zu seiner ursprünglichen Intention gebracht. 2 . Die Anklage ist somit nicht das W e s e n des Gesetzes, sondern nur eine durch den menschlichen M i ß b r a u c h des Gesetzes verursachte M u t a t i o n . 3. Die Schuld des M e n s c h e n besteht darin, d a ß der M e n s c h mit Hilfe des Gesetzes versucht, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Diese Aussagen sind in sich durchaus schlüssig und konsistent:

mals aus der usus-Bestimmung des Gesetzes abgeleitet werden. [...] Die in dieser Unterscheidung von Wahrheitsgeschichte bzw. Wahrheitsaspekt und Wirklichkeitsgeschichte bzw. Wirklichkeitsaspekt von Barth ausgesprochene Negation lautet: Die Wahrheits- und Wesensbestimmung des Gebotes hat den Primat vor der Wirklichkeits- bzw. usus-Bestimmung des Gesetzes, die Wahrheitsbestimmung des Gebotes kann also niemals aus der usus-Bestimmung des Gesetzes abgeleitet werden" (ders., Promissio und Bund, S. 60). Gerade hierin sieht Klappert den Unterschied zwischen Barth und Luther begründet: ,,[I]m Unterschied zu Luther ist bei Barth die Wahrheitsbestimmung des Gebotes als Bundesgebot der ususBestimmung des Gesetzes in seiner richtenden Funktion vorgeordnet, insofern der usus des Gesetzes nur im Rahmen der Wahrheitsbestimmung des Gebotes verstehbar und interpretierbar ist. Von daher unterscheidet Barth in seiner Schrift ,Evangelium und Gesetz' zwischen der Wahrheitsgeschichte von Evangelium und Gebot, der Wirklichkeitsgeschichte von Gesetz und Evangelium und der siegreichen Durchsetzung der Wahrheitsgeschichte in und gegenüber der Wirklichkeitsgeschichte" (a. a. O., S. 61). „Ist Barths Ansatz durch die Vorordnung der Wahrheits- und Wesensbestimmung des Gebotes vor die Wirklichkeits- und ususBestimmung des richtenden Gesetzes charakterisiert, so zeigt sich bei Luther eine Tendenz, die Wesensbestimmung des Gebotes aus der usus-Bestimmung des richtenden Gesetzes in Richtung auf ein abstraktes Leistungsgesetz abzuleiten" (a. a. O., S. 69). Durch Klapperts Formulierungen ist aber die entscheidende Unterscheidung zwischen Luther und Barth schief dargestellt, weil Klapperts Formulierungen schon von vornherein von Barths Verständnis ausgehen und so die entscheidende Frage überspielen: Während Klappert im Blick auf das Gebot von einer „Wesens- und Wahrheitsbestimmung" spricht, spricht er im Blick auf das Gesetz von seiner „usus-Bestimmung". Mit dieser Formulierung ist die entscheidende Grundfrage überspielt: Was ist das Wesen des Gesetzes? Daher wäre neutraler zu formulieren: Während Barth das Wesen des „Gesetzes" darin erblickt, verheißendes Gebot zu sein, so erblickt Luther das Wesen des Gesetzes darin, Anklage zu sein.

Die Transformation in den Gnadenmonismus (Κ. Barth)

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Weil die ursprüngliche Intention des Gesetzes die Verheißung und Forderung ist, ist in der christlichen Paränese diese ursprüngliche Intention aufgerichtet. Und besteht die eigentliche Funktion des Gesetzes in der Verheißung und Forderung, so besteht die Schuld des Menschen darin, das Gesetz zu mißbrauchen und seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Die sich aufdrängende Frage, ob die Barthsche Unterscheidung von Gesetz und Evangelium dem neutestamentlichen (vornehmlich paulinischen) Textbefund angemessen ist, sei zunächst ebenso zurückgestellt, wie die Frage, ob die Unterscheidung von Barth eine dem Wort Gottes in Christus angemessene Unterscheidung ist 199 . Gefragt aber werden muß nach den Konsequenzen, die die Barthsche Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium zeitigt. Es zeigte sich bereits, daß Barth, um die Einheit des Wortes Gottes zu zementieren, das göttliche Gesetz depotenziert, von der Anklage zur Forderung. Damit - und von hier aus erst begreift sich der vehemente Widerspruch Elerts zu Barths Gesetzeslehre! - droht er aber gleichzeitig, das Evangelium zu depotenzieren. Wird auf der einen Seite die Anklage nicht mehr als Wesen des Gesetzes bestimmt, sondern die Forderung, so ist auf der anderen Seite Gottes Gnadenwort „nur zugleich forderndes, nicht aber nur schenkendes Wort" 2 0 0 . Es schließt „als Zuspruch der Gnade Gottes (wie die Lade des alttestamentlichen Bundes die Tafel der Gebote!) auch Gottes nicht minder gnädigen Anspruch in sich" 201 . Barth ist der Sinn eines Evangeliums unverständlich, „das vom Menschen in einem bloß innerlichen, rein rezeptiven Glauben aufzunehmen wäre" 202 . So zwingt Barths monistische Konzeption, die nur ein Wort Gottes gelten lassen kann, die Anklage zur Forderung hin zu depotenzieren und die Forderung als Element des Gnadenwortes aufzufassen, so daß es kein Wort des reinen Zuspruches bei Barth zu geben scheint. Hierin liegt die problematischste Konsequenz der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium 203 !

199

200 201 202 203

Wir werden hierauf noch ausführlich z u r ü c k k o m m e n : Teil 1: Kap. II.B.l; II.B.2: II.B.7. Bayer, T h e o l o g i e , S. 3 5 9 . KD I V / 3 , S. 4 2 7 . Ebd. Eine kritische Auseinandersetzung mit Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium führen wir im Rahmen unserer Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium (vgl. Teil 1: Kap. II.B.).

II Die theologischen Fundamentalunterscheidungen und ihre Konsequenz für die differenzierte Bestimmung des Wirkens Gottes Vorbemerkung Die Erörterung der beiden großen monistischen Konzeptionen des 19. und des 20. Jahrhunderts hat gezeigt, daß die monistische Konzeption die christliche Anschauung von Sünde und Gnade nicht zur Geltung zu bringen vermag (Schleiermacher) und daß der Versuch, die christliche Anschauung von Sünde und Gnade unter den Bedingungen einer monistischen Konzeption zu artikulieren, in unüberwindliche gedankliche Schwierigkeiten führt und daher als aporetisch zu beurteilen ist (Barth). Im folgenden gilt es, in Auseinandersetzung mit den monistischen Konzeptionen die Fundamentalunterscheidungen von Schöpfung und Erlösung (A), Gesetz und Evangelium (B) sowie von dem offenbaren und und verborgenen Handeln Gottes (C) zu entwickeln und von hier aus eine differenzierte Bestimmung des Wirkens Gottes vorzunehmen (D).

A Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung 1. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln Die Konzeptionen von Barth und Schleiermacher zeigen exemplarisch die Grundmöglichkeiten, die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung zu hintergehen: Zum einen kann die Eigenständigkeit des erlösenden Handelns Gottes aufgehoben werden, indem das erlösende Handeln Gottes in Gottes schöpferisches Handeln integriert wird (Schleiermacher); zum anderen kann die Eigenständigkeit des schöpferischen Handelns Gottes aufgehoben werden, indem das schöpferische Handeln Gottes in sein erlösendes Handeln integriert wird (Barth). Kennt Schleiermacher ausschließlich eine schöpferische Intention Gottes, unter die Gottes erlösendes Handeln subsumiert wird, so kennt Barth ausschließlich eine versöhnende Intention Gottes, unter die Gottes schöpferisches Handeln subsumiert wird. Zeigen die Konzeptionen von Barth und Schleiermacher exemplarisch die beiden Grundmöglichkeiten, die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung zu hintergehen, so treten hier auch die Schwierigkeiten einer nicht angemessenen Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung exemplarisch zutage: Gibt es für Schleiermacher nur die schöpferische Intention Gottes, so kann die Erlösung nicht als Neuschöpfung (gegenüber der Schöpfung) zur Sprache gebracht werden. Schöpfung und Erlösung werden so bei Schleiermacher als erster und zweiter Akt der Realisierung der schöpferischen Intention Gottes begriffen, d. h. der erlösende Akt ist in dem schöpferischen Akt Gottes als ewig beschlossen eingegründet: Gott hat die Schöpfung als eine sich entwickelnde Schöpfung geschaffen, die Menschheit ist dazu bestimmt, sich aus der Ursündlichkeit hin zur Vollkommenheit zu entwickeln. In Christus erscheint die Vollkommenheit, die Ziel der Menschheitsentwicklung ist und der Menschheit - als ihre Bestimmung - inhäriert. Gottes Handeln in Christus wird so ebenso zu einem notwendigen Strukturmoment der sich prozessual entwickelnden Menschheit wie die Sünde. Damit aber - so zeigte sich - kommt der evolutionäre Monismus Schleiermachers in unüberwindliche Probleme mit der christlichen Anschauung von Sünde und Gnade; denn entwirft Gott die Schöpfung als eine sich

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entwickelnde Schöpfung von der Ursündlichkeit hin zur Vollkommenheit, muß die Sünde zweifellos in Gottes Plan eingegründet werden als ein wesentlicher Bestandteil des Entwicklungsprozesses. Schleiermacher hat denn auch - die gedanklichen Konsequenzen seines Konzeptes nicht scheuend - Gott zum Urheber der Sünde erklärt. So als notwendigen Teil des schöpferischen Akt Gottes gesehen, kann Schleiermacher die Sünde auch nicht mehr als strukturellen Widerspruch gegen Gott verstehen und Gottes Feindschaft gegen die Sünde ernst nehmen. Konsequenterweise wird die Sünde zum Bewußtsein einer Entwicklungshemmung, sie ist notwendige Begleiterin eines jeden Guten, der Widerspruch gegen Gott ist nicht mehr real. Gott selbst ist von der Sünde nicht berührt. Daß Schleiermacher damit die biblische Auffassung der Sünde als Feindschaft zu Gott nicht gerecht zu werden vermag, ist offensichtlich. Wird die Sünde nun aber nicht als reale Feindschaft zu Gott begriffen, so muß auch das Wirken Jesu Christi von Schleiermacher neu bestimmt werden. Jesus Christus wird nicht als ein Neuanfang zur Sprache gebracht, der eine bisherige Entwicklung abbricht oder unterbricht, vielmehr ist Jesus Christus ein notwendiges Moment dieser - in dem ewigen göttlichen Willen - vorherbestimmten Entwicklung der Geschichte. In Christus erscheint das wahre Gottesverhältnis, auf das die Geschichte der Menschheitsentwicklung zuläuft. Damit ist der sakramentale Charakter des Christusgeschehens zugunsten des rein exemplarischen (urbildlichen) Charakters aufgegeben. Wird hingegen bei Barth die Schöpfung in die Erlösung eingegründet, so stellen sich ähnliche Probleme. Ist bei Schleiermacher die Erlösung der zweite Akt der Schöpfung, so ist bei Barth die Schöpfung der erste Akt der Erlösung. Die Schöpfung geschieht um der Erlösung willen, die Erlösung ist Gottes ursprüngliche Intention. Die Verheißung, die dem Schöpferwillen Gottes vorangeht, trägt den Namen Jesus Christus. Die Verheißung der Versöhnung liegt nach Barth schon dem Geschehen der Schöpfung zugrunde, insofern Gottes die Sünde überwindendes Wort als erstes Wort der Schöpfung präexistiert, indem das die Sünde überwindende Wort die Schöpfung kausiert. Damit ist nach Barth Gottes die Sünde überwindendes Wort der Konstitutionsgrund der Schöpfung. So kann Jorissen das Verhältnis von Schöpfung und Erlösung - in bewußter Anlehnung an Barth - mit der These bestimmen1: „Schöpfung (Welt) ist Vgl. Jorissens Aufnahme der Barthschen Verhältnisbestimmung von innerem und äußerem Grund der Schöpfung: „Der Bund, d. h. die Gemeinschaft mit Welt und Mensch, zu der Gott sich von Ewigkeit her in Jesus Christus bestimmt hat, ist der innere Grund der Schöpfung, das will sagen: Nur um dieses Bundes willen, auf diesen Bund hin hat Gott die Welt geschaffen. Die Schöpfung ist der äußere Grund des Bundes, das bedeutet: Die geschaffene Welt ist die Wirklichkeit, die Gott sich selbst voraussetzt, damit das möglich werde, wozu er sich selbst in

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

nur, weil Gott sich selbst von Ewigkeit her in absoluter und souveräner Freiheit in Jesus Christus und im Geist der Liebe zur Gemeinschaft (zur communio, zum Bund) mit Welt und Mensch bestimmt hat" 2 . Auch bei der gnadenmonistischen Variante der monistischen Konzeption stellt sich die Frage, wie unter dieser Voraussetzung der kontingente Charakter von Sünde und Gnade gewahrt werden kann. Wird das Christusgeschehen zur geschichtlichen Realisation der ewigen Verheißung Gottes, so ist die bekannte Vermutung von Balthasars nur schwer abzuweisen, „daß in dieser Theologie des Geschehens und der Geschichte vielleicht doch nichts geschieht, weil alles in der Ewigkeit schon immer geschehen ist" 3 . Und ist Gottes ursprüngliche Intention die Überwindung der Sünde, wird Gottes Widerspruch gegen die Sünde zum Konstitutionsgrund der Schöpfung, dann rückt nicht nur die Versöhnung, sondern auch die Sünde „unter den Aspekt eines notwendigen, ontologischen Prozesses" 4 . Ist das ursprünglich von Gott intendierte Verhältnis zum Menschen die Überwindung der Sünde, wie kann dann die Sünde als Bruch der ursprünglichen Beziehung zwischen Gott und Mensch zur Geltung gebracht werden? Entsteht nun aber die Sünde gerade durch Gottes positives Wollen in Jesus Christus, ist Jesus Christus aber als die Versöhnung die Überwindung der Sünde, so fragt sich, wie es zu denken sein soll, daß Gottes ursprüngliches Wollen die Überwindung der Sünde ist, die aber gerade dadurch entsteht, daß Gott sie überwinden will. Die Vorordnung der Erlösung (wenn auch bloß in der Form der Verheißung) vor die Schöpfung ist daher als aporetisch zu beurteilen. Resultiert aus Gottes Wort der Verurteilung der menschlichen Sünde und seinem bedingungslosen Freispruch in Jesus Christus die christliche Lehre von der Sünde als dem von Gott nicht gewollten und gewirkten Bruch des ursprünglichen Gottesverhältnisses und die Auffassung des Christusgeschehens als der in der Geschichte vollzogenen Überwindung dieses Bruches, so ist es zwingend notwendig, von verschiedenen Epochen des Handelns Gottes zu sprechen. Ist Gottes Handeln in Christus die Überwindung des kontingenten Bruches einer ursprünglichen Beziehung, so muß zwischen einem ursprünglichen Handeln Gottes, das allererst die Welt ins Dasein ruft (und damit auch den Möglichkeitsraum für eine ursprüngliche Gottesbeziehung erstellt) und Gottes Handeln in Christus absoluter Freiheit von Ewigkeit her bestimmt hat: zum Bund, zur Gemeinschaft mit W e l t und Mensch - nicht aus der Bedürftigkeit eines Mangels, sondern aus dem schöpferischen Überfluß seines Selbstmitteilungswillens, seiner Liebe" (ders., Die W e l t als Schöpfung, S. 2 0 9 ) . 2 3 4

A. a. O . , S. 2 0 7 . Balthasar, Karl Barth, S. 3 8 0 . Härle, Sein und Gnade, S. 3 2 7 .

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in der Weise unterschieden werden, daß in Christus ein neues Handeln Gottes geschieht, das dem ursprünglichen Handeln Gottes in keiner Weise schon zugrunde liegt, sei es, daß es das ursprüngliche Handeln kausiert (Barth), sei es, daß es zu diesem ursprünglichen Handeln notwendig hinzugehört (Schleiermacher); denn liegt das die Sünde überwindende Handeln dem ursprünglichen (schöpferischen) Handeln in irgendeiner Weise schon zugrunde, kann die Sünde nicht als ein kontingenter Bruch gefaßt werden; denn, wenn die Überwindung der Sünde dem ursprünglichen (schöpferischen) Handeln Gottes zugrunde liegt, muß auch die Sünde selbst dem ursprünglichen (schöpferischen) Handeln Gottes zugrunde liegen, da die Überwindung der Sünde die Sünde voraussetzt. Soll die Sünde als menschlicher Widerspruch gegen Gott verstanden werden, ja als Feindschaft zu Gott, dann kann dieser Bruch nicht zur Geltung gebracht werden, wenn ein Handeln Gottes jenseits dieses Bruches konstituiert wird. Der evolutionistische Monismus Schleiermachers kann die Sünde nicht mehr als realen Widerspruch gegen Gott denken, der Gnadenmonismus Barths führt in selbstwidersprüchliche Konsequenzen. So gilt es als ein entscheidendes Kriterium festzuhalten: Gottes schöpferisches Wort (d. h. Gottes Dasein gewährendes Wort als Gottes die Welt ins Dasein rufendes und erhaltendes Wort)5 ist von seinem die 5

Gottes schöpferisches Wort umschließt sowohl Gottes erstmals ins Dasein rufendes (d. h. erstmals aus dem Nichts Dasein gewährendes) Wort als auch Gottes kontinuierlich Dasein gewährendes Wort, insofern Gott seiner Schöpfung dauerhaft Bestand verleiht. So ist Härles pointierter Verhältnisbestimmung von creatio ex nihilo und creatio continua zuzustimmen: „Indem die Erhaltung der Welt als creatio continuata verstanden wird, rücken Schöpfung und Erhaltung so eng zusammen, daß Erhaltung nichts anderes ist als die kontinuierliche Fortsetzung des Schöpfungsgeschehens" (ders., Dogmatik, S. 423). Nun kann in diesem Zusammenhang keine Verhältnisbestimmung von creatio ex nihilo und creatio continua vorgenommen werden, es kommt aber darauf an zu betonen, daß Gottes schöpferische Intention als seine Dasein gewährende Intention begriffen wird, die sowohl Gottes ursprüngliche, aus dem Nichts erstmalige, Gewährung von Dasein als auch seine fortgesetzte Gewährung von Dasein umgreift. Dabei ist auch an dieser Stelle zu betonen, daß es sich bei Gottes schöpferischer Intention (erstmalige „Schöpfung" aus dem Nichts und Erhaltung) ausschließlich um die Ermöglichung und Gewährung von Leben handelt, der Begriff Schöpfung (dieser schließt - s. o. - sowohl die Gewährung des Daseins aus dem Nichts als auch die kontinuierliche Gewährung des Daseins ein) ist auch unter dem Aspekt der kontinuierlichen Gewährung von Dasein, d. h. unter dem Aspekt der Erhaltung, von der Erlösung streng zu unterscheiden (hierauf insistiert zu Recht Ebeling, Dogmatik I, bes. S. 327). Gottes das Dasein gewährende Handeln (als Ermöglichung und Erstellung des Lebensraums) ist zu unterscheiden von Gottes die Sünde überwindendes Handeln. Wie immer man daher creatio ex nihilo und creatio continua differenziert, sie sind beide unterschieden von Gottes erlösendem Handeln und als Dasein gewährendes Handeln geeint.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Feindschaft der Welt zu ihm überwindenden versöhnenden Wort zu unterscheiden und zwar in der Weise, daß Gottes versöhnendes Wort als ein wirkliches neues Wort von dem schöpferischen Wort Gottes unterschieden wird. Das schöpferische Wort besitzt ontologische Priorität hinsichtlich des die gefallene Welt versöhnenden Wortes.

2. Die Schöpfung als Möglichkeitsbedingung für Sünde und Erlösung Diese Aussagen plädieren jedoch keinesfalls für ein beziehungsloses Nebeneinander von Schöpfung, Sünde und Erlösung. Vielmehr sind sowohl die Sünde (a) als auch die Erlösung (b) in einem sehr präzisen Sinne auf die Schöpfung bezogen. (a) Will man die Sünde als von Gott nicht gewollte und nicht gewirkte Feindschaft des Menschen zu Gott denken, so kann die Sünde nicht notwendig aus der Schöpfung und der Geschöpflichkeit des Menschen resultieren (dies hieße ja die Sünde in Gottes Wollen und Wirken zu begründen). Doch bricht die Sünde in die Schöpfung ein, so daß sie die von Gott geschaffene Schöpfung zur gefallenen Schöpfung depraviert. Das heißt aber auch: Die von Gott geschaffene Schöpfung konnte zur gefallenen Schöpfung pervertieren, es war möglich, daß die Schöpfung zur gefallenen Schöpfung wird; anthropologisch gewendet: Der Mensch ist aufgrund seiner geschöpflichen Möglichkeiten fähig zur Sünde: So darf zwar die Sünde nicht als etwas gedacht werden, was notwendig aus der Schöpfung und der Geschöpflichkeit des Menschen resultiert, die Sünde kann aber nicht anders gedacht werden als etwas, was im Rahmen der Schöpfung und der Geschöpflichkeit des Menschen möglich ist 6 . 7 Ist

Vgl. ähnlich Härle, Dogmatik, S. 468f: Völlig zu Recht ermittelt Härle als systematisch-theologische Leitfrage für die christliche Überlieferung (sowohl der biblischen Grundtexte als auch der entsprechenden Aussagen in den Bekenntnisschriften) des „Sündenfalls": „Welche Verhältnisbestimmung zwischen der Geschöpflichkeit des Menschen und seiner Sünde wird in der christlichen Überlieferung erkennbar, die einerseits beides so miteinander verbindet, daß der Fall zumindest als möglich gedacht werden kann, und die andererseits beide so voneinander unterscheidet, daß der Fall nicht notwendig aus der Geschöpflichkeit des Menschen resultiert" (a. a. O., S. 469). - Daher kann die Sünde keinesfalls wie Barth es tut als „unmögliche Möglichkeit" (KD III/3, S. 405) bestimmt werden; denn die Realität des Falls zeigt ja gerade, daß er möglich war, nicht daß er unmöglich war. Mit anderen Worten: Die Schöpfung ist die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für den Einbruch der Sünde.

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somit eine Explikation der Schöpfung vor die Aufgabe gestellt zu zeigen, inwiefern die Sünde eine Möglichkeit im Raum der Schöpfung ist, so ist eine Explikation der Sünde vor die Aufgabe gestellt zu zeigen, inwiefern die Sünde geschöpfliche Fähigkeiten pervertiert, die aber - und auch dies gilt es zu zeigen - ihre sündhafte Pervertierung ermöglichen. (b) Auch Gottes Gnadenhandeln kann nicht so in bezug zu seinem schöpferischen Handeln gesetzt werden, daß die Erlösung notwendig aus der Schöpfung folgt. Wäre Gottes die Sünde überwindendes Wort die notwendige Folge seines die Welt ins Dasein rufenden Wortes, so müßte - s. o. - die Sünde selbst für Gott eine Notwendigkeit sein. Doch findet Gottes Gnadenhandeln in Christus als Heilung der gefallenen Welt im Raum der (gefallenen) Schöpfung und der Geschichte statt. Im Raum der Schöpfung konnte sich somit Gottes Gnadenhandeln vollziehen, es war möglich, daß es sich im Raum der Schöpfung vollzieht. So kann auch Gottes Gnadenhandeln nicht als etwas gedacht werden, was notwendig aus seinem schöpferischen Handeln resultiert, aber das Gnadenhandeln Gottes kann nicht anders gedacht werden als etwas, was im Rahmen der Schöpfung möglich ist8. Die Ehre der Schöpfung besteht nicht zuletzt darin, daß die Erlösung in ihr möglich war. Ist somit eine Explikation der Schöpfung vor die Aufgabe gestellt zu zeigen, inwiefern die Erlösung eine Möglichkeit im Raum der Schöpfung ist, so hat eine Explikation des Gnadenhandelns Gottes zu zeigen, inwiefern das Gnadenhandeln Gottes die geschöpflichen Fähigkeiten des Menschen heilt, die aber - und auch dies gilt es zü zeigen - der Heilung fähig sind. So zeigt sich, daß die Behauptung der Notwendigkeit, zwischen Gottes schöpferischem Wort und seinem versöhnenden Wort in der Weise zu unterscheiden, daß Gottes versöhnendes Wort als ein wirklich neues Wort gegenüber seinem schöpferischen Wort zur Geltung gebracht wird, keinesfalls die Behauptung der Beziehungslosigkeit von Gottes schöpferischem Wort und seinem versöhnenden Wort zur Konsequenz hat. Ein dualistisches und ein marcionitisches Auseinanderdividieren von Schöpfung und Erlösung widerspricht schon der - für den christlichen Glauben fundamentalen - Einsicht, daß es derselbe Gott ist, der die Welt schafft und der die gefallene Welt versöhnt. Ja, das Evangelium - so konstatiert Eiert zu Recht - verlöre ohne eine Lehre von der Welt als Gottes Schöpfung seine Gültigkeit9: Gott erlöst seine Schöpfung. Nicht zuletzt an der Sendung seines Sohnes zeigt sich Gottes Liebe zu seinem Kosmos 10 . Gilt 8

9 10

Mit anderen Worten: Die Schöpfung ist die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für das erlösende H a n d e l n Gottes. Vgl. CG, S. 251f. Vgl. CG, S. 249f.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

es mit Eiert gegen jedes marcionitische Auseinanderdividieren von Schöpfung und Erlösung festzuhalten, daß er der gleiche Gott ist, der die Welt schafft und die gefallene Welt mit sich versöhnt, so ist es eine legitime Aufgabe der theologischen Reflexion, einen Begriff von Gott auszuarbeiten, der Gott als den schöpferisch und erlösend wirkenden zu denken erlaubt. Dieses Anliegen der trinitätstheologischen Reflexion widerspricht somit durchaus nicht einer theologischen Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem Handeln und Gottes erlösendem Handeln, vielmehr nimmt das Anliegen ernst, daß es derselbe Gott ist, der die Welt schafft, die - von ihm geschaffene - gefallene Welt erlöst und den Geschöpfen dies erschließt, und stellt von hier aus die Frage, was dies für den Gottesbegriff bedeutet. Von der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung her zu problematisieren ist es aber, wenn innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion ein solcher Begriff des Handelns Gottes entwickelt wird, der die Unterscheidung zwischen Gottes erlösendem Handeln und seinem schöpferischen Handeln gerade nicht zur Geltung bringt. Die Differenz zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln darf innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion nicht zugunsten der Einheit Gottes überspielt werden11. Ist es der eine Gott, der die Welt schafft und die von ihm geschaffene und durch den kontingenten Einbruch der Sünde gefallene Welt versöhnt, so ist der Versuch, einen Begriff stark zu machen, der die Bezogenheit von Schöpfung und Erlösung gegen ein marcionitisches Auseinanderdividieren zum Ausdruck bringt, ebenfalls legitim: So ist es durchaus nicht problematisch, daß die Bezogenheit der Schöpfung auf die Erlösung in der Schöpfungsmittlerschaft Christi thematisch wird. Doch ist auch hier im Interesse der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung darauf zu insistieren, daß die Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi nicht dazu fungieren darf, die notwendige Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung zu überspielen12. Zusammenfassend formuliert: Folgt aus der Forderung, zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem - die Feindschaft der Welt zu ihm überwindenden - versöhnenden Handeln in der Weise zu unterscheiden, daß Gottes die Feindschaft der Welt gegen Gott versöhnendes Wort als ein wirkliches neues Wort von dem schöpferischen Wort unterschieden wird, (a) keinesfalls die Behauptung der Beziehungslosigkeit von Gottes schöpferischem Wort und seinem versöhnenden Wort, so untersagt sie (b) ebensowenig, diese Beziehung in der Gotteslehre, genau-

11 12

Vgl. hierzu Exkurs 1. Vgl. hierzu Exkurs 2.

Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung

105

er: innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion, zu untersuchen und ihr mittels des Theologumenons der Schöpfungsmittlerschaft Christi Ausdruck zu geben.

3. Offene Fragen Abschließend gilt es drei offene Fragen zu markieren, die gerade die erkenntnistheoretischen Implikationen der namhaft gemachten Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung betreffen: (a) Soll die Sünde als kontingenter - von Gott weder gewollter noch gewirkter - Einbruch in die Schöpfung ebenso ernstgenommen werden wie Gottes den kontingenten Einbruch der Sünde überwindendes Handeln als in der Geschichte Jesu von Nazareth und seinem Tod am Kreuz vollzogen und geschehen, indem zur Geltung gebracht wird, daß das schöpferische Wort ontologische Priorität gegenüber dem die Welt versöhnenden Wort hat, 50 ist damit noch nichts über die noetische Priorität entschieden. Die ontologische Priorität der Schöpfung vor der Erlösung sagt an sich noch nichts aus über eine noetische Priorität. Daß die Welt zuerst durch Gott geschaffen ist und erst dann von der Sünde geheilt wird, sagt durchaus noch nicht aus, daß die Welt zunächst als eine auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende erkannt wird, bevor sie als eine durch Gott versöhnte erkannt wird. Gerade hier wird nach der Konsequenz der sündhaften Verblendung zu fragen sein. (b) Ist ferner Barths „Ontologie der Gnade" als aporetisch beurteilt, so ist damit keinesfalls in noetischer Hinsicht die Konsequenz, eine Ontologie bewußt nicht als eine theologische Ontologie, d. h. als eine Ontologie aus der Perspektive des Glaubens, zu entwerfen, verbunden; denn nicht jede theologische Ontologie ist eine Ontologie der Gnade 13 . Gilt für die Ontologie vielmehr, daß sie sich mit den Bestimmungen beschäftigt, „die dem Seienden nur aufgrund dessen zukommen, daß es ein Seiendes ist" 14 , d. h. die dem Seienden als solchem zukommen, so ist mit den bisherigen Aussagen - und auch mit der Ablehnung der theologischen Konzeption der Ontologie, wie Barth sie vorgetragen hat - keineswegs entschieden, ob es eine Lehre vom Sein geben kann, die jenseits der Frage steht, aus welcher Perspektive diese Lehre unternommen wird.

13

14

Vgl. hierzu die unterschiedlichen Konsequenzen, die Stock und Härle aus der Einsicht gewinnen, d a ß Barths „Ontologie der G n a d e " als aporetisch zu beurteilen ist (Vgl. Teil 1: Kap. I.B.3, A n m . 170). So Wieland, Ontologie, Sp. 1632.

106

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

(c) Wird jedoch Gottes schöpferisches Handeln von seinem die gefallene Welt versöhnenden Handeln in der Weise unterschieden, daß Gottes versöhnendes Handeln als ein wirklich neues Handeln von seinem schöpferischen Handeln unterschieden wird, und heißt dies, daß das versöhnende Handeln dem schöpferischen (ursprünglichen) Handeln in keiner Weise schon zugrunde liegt, so hat dies doch notwendigerweise eine erkenntnistheoretische Konsequenz: Die Erkenntnis des schöpferischen Handelns Gottes an sich vermag keine Erkenntnis des versöhnenden Handelns zu vermitteln. Bleibt somit unentschieden, ob die Erkenntnis des schöpferischen Handelns Gottes der Erkenntnis des erlösenden Handelns Gottes vor- oder nachgeordnet ist, d. h. ob die ontologische Priorität eine noetische Priorität zur Konsequenz hat, so ist doch eine Entscheidung dahingehend getroffen, daß eine Erkenntnis der Schöpfung an sich keine Erkenntnis der Erlösung vermittelt.

Exkurs 1: Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion: Einheit statt Differenz? 1. Die Trinitätslehre im Rahmen der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung Als Fazit der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung ist festzuhalten: Gottes schöpferisches Wort ist von seinem, die Feindschaft der Welt zu ihm überwindenden, versöhnenden Wort zu unterscheiden und zwar in der Weise, daß Gottes versöhnendes Wort als ein neues Wort von dem schöpferischen Wort unterschieden wird. Das schöpferische Wort Gottes besitzt ontologische Priorität gegenüber dem die gefallene Welt versöhnenden Wort. Gegen jedes dualistische oder marcionitische Verständnis galt es dabei zu betonen, daß es derselbe Gott ist, der die Welt schafft und der die gefallene Welt versöhnt, so daß nicht von einer Beziehungslosigkeit zwischen Schöpfung und Erlösung gesprochen werden kann: Die Schöpfung ist die ontologische Möglichkeitsbedingung für Gottes erlösendes Handeln; Gottes erlösendes Handeln spielt sich im Raum der Schöpfung ab und heilt die Schöpfung. Damit ist der theologischen Reflexion die Aufgabe gestellt, sich zwischen Dualismus und Monismus zu bewegen: Gegen alle monistischen Tendenzen hat sie darauf zu dringen, die notwendige distinctio zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln zur Geltung zu bringen, die nicht auf eine höhere Einheit überboten werden kann; gegen jedes Auseinanderdividieren Gottes ist entschieden festzuhalten, daß es derselbe Gott ist, der die Welt schafft und die gefallene Welt versöhnt. In dem Zusammenhang der Explikation der notwendigen distinctio zwischen Gottes schöpferischem Wort und seinem die Welt in Jesus Christus erlösenden Wort muß - neben der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi, die in Exkurs 2 thematisiert wird - vor allem auf die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes eingegangen werden1; denn hier werden 1

Dies verdeutlicht auf seine Weise auch Wingren, der im R a h m e n seiner Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Evangelium (vgl. ders., Schöpfung und Gesetz, S. 11 ff) sowohl auf die Dreifaltigkeit Gottes ausführlich eingeht (vgl. ebd.) als auch die Schöpfungsmittlerschaft Christi ausführlich thematisch m a c h t (vgl. a. a. O . , S. 37ff).

108

Exkurs 1

Gottes schöpferisches Handeln und sein erlösendes Handeln (gemeinsam mit Gottes erschließendem Handeln) als Handlungen des einen Gottes ausgesagt. Dabei kann jedoch nicht übersehen werden, daß sich innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion die Perspektive wandelt; das zu unterscheidende Handeln Gottes selbst ist nicht der Gegenstand der trinitätstheologischen Reflexion: Zwar nimmt die trinitätstheologische Reflexion ihren Ausgang bei dem geschichtlichen Wirken Gottes, konkret: bei Gottes erlösendem Handeln in Jesus von Nazareth 2 , doch geht die kirchliche Lehrbildung und ihre zum kirchlichen Dogma gewordene Gestalt hinter das Geschehen des dreifachen Wirkens Gottes zurück und unternimmt den Versuch, einen Gottesbegriff zu entwickeln, der es erlaubt, das je verschiedene Gegenwärtigsein des einen Gottes zu denken. Das dreifache Handeln Gottes des einen Gottes wird durch die Ausarbeitung eines Begriffes von einem dreifachen Gott zu denken versucht, indem die Unterscheidung zwischen Gottes einer Usia und den drei göttlichen Hypostasen zu klären versucht wird3. Verlagert sich so die biblisch konkrete Redeweise vom Handeln Gottes in seinshaft-metaphysische Gedanken, so kann in diesem Zusammenhang die Frage, ob mit der Übernahme von Begrifflichkeiten der griechischen Philosophie und hellenistischen Kultur ein der Bibel inkomensurabler Geist unterlegt wurde oder ob in der Aufnahme dieser Begrifflichkeiten diesen die „Giftzähne ausgebrochen" wurden 4 , unentschieden bleiben. Ist in der trinitätstheologischen Lehrbildung auch eine Gewichtsverlagerung vorgenommen, so darf doch nicht verkannt werden, daß auch die Reflexion über das innergöttliche Leben im Dienst der ökonomischen Trinität zu begreifen ist, gilt es doch sowohl Gottes Souveränität gegenüber seinem Handeln zu betonen und festzuhalten, daß Gott nicht erst zu dem wird, der er ist, als auch zu zeigen, daß Gott der ist, als der er sich offenbart5. Durch diese Gewichtsverlagerung besteht jedoch insofern eine Gefahr in der trinitätstheologischen Reflexion der Alten Kirche, vor allem aber in der Frage nach der immanenten Trinität, „als dieses Interpretationsmedium seine eigene Schwerkraft besaß und eine innere Gewichts2

Auf diesen Ausgangspunkt der trinitarischen Fragestellung m a c h t zu Recht aufmerksam: Gilg, W e g und Bedeutung der altkirchlichen Christologie, S. 7ff. Neuere Darstellung bieten in diesem Punkt zu Gilg keinen Widerspruch. Vgl. u. a. K o t t j e / Moeller, Ökumenische Kirchengeschichte I, S. 1 7 2 f f ; Ritter, D o g m a und Lehre in der Alten Kirche, S. 1 2 5 f f ; vgl. auch: Scheffczyk, Lehramtliche Formulierungen und Dogmengeschichte der Trinität, bes. S. 1 8 4 .

3 4

Vgl. u. a. Kelly, Altkirchliche Glaubensbekenntnisse, S. 3 2 8 f f . Z u dieser Frage vgl. u. a. Eiert, Der Ausgang der altkirchlichen Christologie, S. 2 7 7 .

5

So zu R e c h t Joest, D o g m a t i k I, S. 3 3 8 .

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

109

Verschiebung verursachte" 6 . Die Gefahr, die Ebeling namhaft macht, ist „eine logische Abstraktion von der Erfahrung, ein Sichentfernen von der Situation des angefochtenen Glaubens, ein gottvergessenes Durchspielen göttlicher Strukturen, eine Verwechslung der Vollkommenheit Gottes mit theologischer Perfektion" 7 . Zwar ist es möglich - so gesteht Ebeling zu - „das innertrinitarische Geschehen als Grund und Urbild der opera trinitatis ad extra zu verstehen" 8 , doch ist die innergöttliche Trinität hieran erinnert Ebeling - „allein von der Dreiheit der Werke Gottes als Schöpfung, Versöhnung und Vollendung der Welt her sinnvoll" 9 . So ist auch bei Luther das Interesse an der trinitätstheologischen Denkweise in dem dreifachen Wirken Gottes begründet, d. h. Luther findet „die Unterschiedenheit der Personen darin [...], wie sich dieser Gott gibt"10: „Das sind die drey person und ein Gott, der sich uns allen selbs gantz und gar gegeben hat mit allem, das er ist und hat. Der vater gibt sich uns mit hymel und erden sampt allen creaturen, das sie dienen und nütze sein müssen. Aber solche gäbe ist durch Adams fal verfinstert und unnütze worden. Darumb hat darnach der son sich selbs auch uns gegeben, alle sein werck, leiden, Weisheit und gerechtigkeit geschenckt und uns dem Vater versunet, damit wir widder lebendig und gerecht, auch den Vater mit seinen gaben erkennen und haben möchten. Weil aber solche gnade niemand nütze were, wo sie so heymlich verborgen bliebe, und zu uns nicht komen kündte, So kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nützlich brauchen und austeilen, mehren und foddern, Und thut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich: Ynnerlich durch den glauben und andere geistlich gaben. Eusserlich aber durchs Euangelion, durch die tauffe und sacrament des altars, durch welche er als durch drey mittel odder weise zu uns kompt und das leiden Christi ynn uns übet und zu nutz bringet der Seligkeit" 11 . Beklagte noch Rahner eine Marginalisierung der Trinitätslehre in der Theologie 12 , so erlebt die Trinitätstheologie seit geraumer Zeit eine 6 7 8 9

10 11 12

Ebeling, D o g m a t i k des christlichen Glaubens III, S. 5 3 2 . A. a. O., S. 5 4 0 . A. a. O., S. 5 4 2 . Ebd. - „Es w ä r e aber eine Illusion, wenn man es als Sache einer situationsgerechten T h e o l o g i e a n s ä h e , mit einer Beschreibung der innergöttlichen Liebesgeheimnisse einzusetzen, um von diesen innertrinitarischen Vorgängen aus den W e g mitzugehen, den die Trinität selbst in ihren o p e r a ad e x t r a beschritten h a t " (a. a. O., S. 5 4 2 f ) . Mildenberger, Gotteslehre, S. 7 3 . W A 26, 5 0 5 , 3 8 - 5 0 6 , 12. „ M a n wird also die Behauptung wagen dürfen, daß, wenn m a n die Trinitätslehre als falsch ausmerzen müßte, bei dieser Prozedur ein Großteil der religiösen Lite-

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Exkurs 1

Hochkonjunktur 1 3 . So wird „jetzt die Trinitätslehre in den Mittelpunkt systematisch-theologischer Reflexion gestellt" 1 4 und mit „hohen Erwartungen [...] verbunden" 1 5 : Die Trinitätslehre verspricht als Integral der unterschiedlichen theologischen Aussagen zu fungieren. Nun geht es in diesem Exkurs nicht um die Trinitätslehre selbst, weder um ihre Funktion innerhalb der Dogmatik (beziehungsweise im engeren Sinne: der Gotteslehre) noch um ihre angemessene Gestalt und die ihr aufgegebenen Inhalte. So liegt es auch nicht in der Absicht des Exkurses zu diskutieren, ob die Trinitätslehre überhaupt als Integral der theologischen Aussagen zu fungieren vermag. Damit ist auch die Frage zurückgestellt, ob die Trinitätslehre überhaupt alle zu unterscheidenden Handlungen Gottes zu integrieren vermag 1 6 . Selbst die Frage, ob die Trinitätslehre überhaupt die Aufgabe besitzt, Handlungen Gottes zu strukturieren, braucht in diesem Zusammenhang nicht entschieden zu werden 17 . Damit - unsere Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung betreffend - geht es in diesem Exkurs auch nicht um die Frage, ob es überhaupt eine Aufgabe der Trinitätslehre ist, das schöpferische und erlösende Handeln Gottes zu thematisieren. Allerdings gilt es - im Interesse der angemessenen distinctio zwischen Gottes schöpferischen und seinem erlösenden Handeln - , entschieden zu widersprechen, wenn innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion ausgehend von dem Versuch, die trinitätstheologische Reflexi-

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14 15 16

17

ratur unverändert bleiben könnte" (Rahner, Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte, S. 319f). So zu Recht u. a. Breuning, Einführung: Trinität. Aktuelle Perspektiven der Theologie, S. 7ff; Rosenau, Trinität - Zur Einführung, S. 4; Schwöbel, Trinitätslehre als Rahmentheorie des christlichen Glaubens, S. 128; Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, S. 189. Auch im Blick auf die kirchengeschichtlichen Arbeiten beobachtet Markschies eine „Hochkonjunktur von Arbeiten über die Trinitätstheologie einzelner Autoren und ganzer Epochen" (ders, Z u m Stand der Erforschung der altkirchlichen Trinitätstheologie, S. 179; vgl. ders., Gibt es eine einheitliche „kappadozische Trinitätstheologie", S. 52). Schwöbel, Trinitätslehre als Rahmentheorie des christlichen Glaubens, S. 128. Rosenau, Trinität - Zur Einführung, S. 4. Im Vorgriff auf die in den beiden folgenden Kapiteln diskutierten Fundamentalunterscheidungen zwischen Gesetz und Evangelium, sowie zwischen der Verborgenheit Gottes und seinem Offenbarsein sei angedeutet: Gottes Handeln geht nicht in seinem schöpferischen und erlösenden Handeln auf. Vielmehr gilt es daneben auch, Gottes gesetzgebendes und sein schlechthin verborgenes Handeln zu bedenken. Somit braucht in diesem Zusammenhang nicht die Tatsache erörtert zu werden, daß die Abstraktion von den göttlichen Handlungen innerhalb der Trinitätslehre so weit gehen kann, daß zwar eine innertrinitarische Relation zwischen Gott dem Vater, dem Sohn und dem Hl. Geist entwickelt wird, aber gar nicht mehr deutlich zu werden vermag, inwiefern diese theologisch entwickelte innertrinitarische Beziehung tauglich dafür ist, Gottes dreifaches Wirken zu erhellen.

Das P r o b l e m der trinitätstheologischen R e f l e x i o n

111

on für einen Begriff des göttlichen Handelns fruchtbar zu machen, ein solcher Begriff eines trinitarischen Handelns Gottes entwickelt wird, der die zwei irreduziblen Handlungen Gottes in Schöpfung und Erlösung ersetzt durch ein einfaches Handeln Gottes, das der notwendigen distinctio zwischen Schöpfung und Erlösung keine Rechnung trägt, d. h. konkret: das Gottes erlösendes Handeln gerade nicht als einen neuschöpferischen Akt Gottes begreift, der weder notwendig aus dem schöpferischen Handeln Gottes folgt, noch auf das schöpferische Handeln Gottes abgebildet werden kann. Es zeigt sich die Tendenz, die Regel „opera trinitatis ad extra sunt indivisa", die einen Schutzwall gegen den Tritheismus bilden sollte, zum entscheidenden Konstruktionsprinzip zu erheben, so daß „die absolute Einheit des göttlichen Wirkens nach außen als die eigentliche Glaubenserfahrung" 1 8 betrachtet wird. So wird gerade diese Regel zum Legitimationsgrund für den Versuch, ein einfaches Handeln Gottes zu konstituieren. Der letzte Satz der Trinitätslehre, wird zum ersten - die letzte zu machende Aussage zum Konstruktionsprinzip erhoben - und zum Schlachtruf für ein Programm, das die Differenz zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln überspielt: opera trinitatis ad extra sunt indivisa! So ist es eine auffällige Tatsache, daß innerhalb der neueren trinitätstheologischen Reflexionen die notwendige distinctio zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem erlösenden Handeln durch ein - mittels der Trinitätslehre ermitteltes - einheitliches Handeln Gottes überspielt zu werden droht. Ausschließlich auf diese problematische Tendenz gilt es im folgenden unser Augenmerk zu richten.

2. Das Nivellieren der Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion Das Nivellieren innerhalb der Trinitätslehre zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln besteht in drei eng zusammenhängenden - teilweise einander bedingenden - Tendenzen: Zum einen wird die trinitarische Unterscheidung nicht aus dem göttlichen Wirken selbst abgeleitet, sondern nimmt ihren Ausgangspunkt in der Frage nach der Denkbarkeit Gottes und weist nach, daß Gott angemessen nur in einer trinitarischen Relation verstanden werden kann (2.1). Zum anderen wird zwar bei Gottes Offenbarung in Christus eingesetzt, doch ein einfaches göttliches Wirken entfaltet, das eine angemessene Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln 18

Jüngel, Das Verhältnis von „ökonomischer" und „immanenter" Trinität, S. 2 6 8 .

112

Exkurs 1

überspielt ( 2 . 2 ) . Schließlich besteht die Tendenz, ein innertrinitarisches Beziehungsgeschehen zu entwickeln, das aber ebenfalls nur ein einfaches H a n d e l n Gottes zu denken erlaubt ( 2 . 3 ) .

2 . 1 Denkbarkeit Gottes 2.1.1 Hegel hat bekanntlich - ausgehend von der Einsicht, daß die Wahrheit des religiösen Dogmas ihren adäquaten Ausdruck erst im philosophischen Begriff erhält - die Trinitätslehre aus der Gottheit Gottes bzw. aus dem Selbstbewußtsein Gottes entwickelt: Es gehört zum Wesen Gottes, sich zu offenbaren und damit ein Anderes, dem er sich offenbart, aus sich herauszusetzen und sich ihm zu erschließen. Die Lehre von der immanenten Trinität bringt somit zum Ausdruck, daß es zum Wesen Gottes gehört, im Anderen bei sich selbst zu sein 19 . Die Begründung der trinitarischen Verfaßtheit Gottes aus der Gottheit Gottes hat in neuerer Zeit besonders Wagner unternommen. Zeichnet sich nach Wagner die religiöse Lage der Gegenwart gerade aus durch ein „in fortschreitender Auflösung begriffenefs] Gottesbewußtsein" 20 , d. h. durch einen Verlust an dem Bewußtsein um den Grund des Seins, so gilt es nach Wagner diesen Grund in einer

"

Vgl. zu Hegel: Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit I, S. 313ff. In vergleichbarer Weise verfährt auch Barth: Barth entwickelt bekanntlich - in den Prolegomena seiner Dogmatik - die Trinität aus dem Begriff der Offenbarung; der Offenbarungsbegriff „impliziert somit bereits die Lehre vom dreieinigen Gott" (Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre der evangelischen Theologie der Neuzeit II, S. 216): „Wollen wir die Offenbarung wirklich von ihrem Subjekt, von Gott her verstehen, dann müssen wir vor allem verstehen, daß dieses ihr Subjekt, Gott, der Offenbarer, identisch ist mit seinem Tun in der Offenbarung, identisch auch mit dessen Wirkung" (KD 1/1, S. 312). So spricht Barth von der „Einheit des sich offenbarenden Gottes und seiner Offenbarung und seines Offenbarseins" (a. a. O., S. 315) und entfaltet seine Trinitätslehre von dem Satz her „Gott offenbart sich als der Herr" (a. a. O., S. 323ff), den er als „Wurzel der Trinitätslehre" (a. a. O., S. 324) auffaßt. So begreift Barth die Offenbarung Gottes als die „Selbstenthüllung des seinem Wesen nach dem Menschen unenthüllbaren Gottes" (a. a. O., 332f) Die Lehre von dem dreieinigen Gott ist somit begründet in der „Struktur des Offenbarungsbegriffs" (Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre der evangelischen Theologie der Neuzeit II, S. 217). Nicht zu Unrecht erblickt Pannenberg daher in Barths Modell der Offenbarungstrinität, d. h. der Entwicklung des trinitarischen Gottes aus dem formalen Begriff der Offenbarung als Selbstoffenbarung, eine strukturelle Identität mit Hegels Modell des seiner selbst bewußten Absoluten, „zumal wenn das Offenbarsein Gottes in seiner Offenbarung primär als ein Sichselbstoffenbarsein gedacht werden muß" (ders., Systematische Theologie I, S. 322. Vgl. ferner ders., Die Subjektivität Gottes und die Trinitätslehre, S. 98ff; ders., Der Gott in der Geschichte, S. 123f).

20

Wagner, Zur gegenwärtigen Lage des Protestantismus, S. 15; vgl. zur Analyse der Situation a. a. O., S. 1 Iff.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

113

solchen Weise zur Sprache zu bringen, daß nicht „der gemeinte göttliche Grund von Gnaden des Begründeten ist" 21 . Eine Begründung des religiösen Bewußtseins kann daher nach Wagner unter der Bedingung, daß der absolute oder transzendente Grund von dem religiösen Bewußtsein abhängt, überhaupt nicht geleistet werden. Aus diesem Grund vermag nach Wagner ausschließlich eine Theorie des Absoluten es zu leisten, die vom religiösen Bewußtsein vorausgesetzte Gottesbeziehung zu begründen 22 . „Denn da diese Begründung von den Religionstheorien, die auf der Basis des religiösen Bewußtseins und seiner Gottesbeziehung agieren, nicht geleistet werden kann, bedürfen Religionstheorie und Religionsphilosophie einer vorgängigen Verankerung in einer philosophischen oder theologischen Theologie, die ihrerseits als Theorie des Absoluten auszuarbeiten ist" 23 . Diese von Wagner geforderte Theorie des Absoluten beansprucht daher, eine Begründung der Religion zu leisten 24 . Die „Aporie des religiösen Bewußtseins" 25 durch eine Theorie des Absoluten zu überwinden, bedeutet für Wagner, die Selbsterfassung des absoluten Subjektes so zu denken, daß die Tätigkeit der endlichen Subjekte konstitutiv für die Selbsterfassung des absoluten Subjektes gedacht wird 26 , und zwar in der Weise, daß die „Qualifizierung Gottes als des Absoluten als durch Gott selber gesetzt erscheint" 27 . Ist Gott als alles bestimmende Macht vor allem die sich selbst bestimmende Macht, muß der Begriff Gott weiterhin als absolute Se/fesibestimmung gedacht werden 28 , so muß der Begriff des Absoluten nach Wagner gerade so gedacht werden, „daß sich das Absolute [...] von sich aus dazu bestimmt [...], absolutes Selbstbestimmen zu sein" 29 . Als absolute Selbstbestimmen jedoch ist Gott „nur aufgrund seiner internen Selbstdifferenzierung erfaßbar" 3 0 , so daß Gott „als Struktur des trinitarischen Gottes expliziert werden [kann]" 31 . So ist die „Selbstdarstellung Gottes allein aufgrund seiner trinitarischen Selbstdifferenzierung denkbar" 3 2 , „der adäquate Begriff von Gott [ist] nur aus dem sich trinitarisch differenzierenden Gott selbst zu gewinnen" 33 . Daher ist nach Wagner ausschließlich die Erkenntnis Gottes als sich trinitarisch differenzierender Gott in der Lage, einen haltbaren Begriff Gottes zu entwickeln 34 . Mit dieser Einsicht ist nach Wagner auch die Forderung verbunden, die Unterscheidung zwischen natürlicher Theologie und der Offenbarungstheologie 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

A. a. O., S. 46. Vgl. ders., Was ist Religion?, S. 570. A. a. O., S. 571. Vgl. ebd. A. a. O., S. 572. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 578. Ebd. A. a. O., S. 580. A. a. O., S. 585. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

114

Exkurs 1

einzuziehen: „Denn verbürgt nur der trinitarisch differenzierte Gott einen haltbaren Begriff Gottes, so ist die Trinität als einzig vernünftige Theo-Logie zu entfalten" 3 5 . Folglich gilt nach Wagner, „daß der als Trinität konzipierte Gottesgedanke ein Thema der Vernunft sein muß" 3 6 . Ausschließlich unter dieser Bedingung kann es nach Wagner gelingen, der notwendigen Forderung gerecht zu werden, den ,,Gedanke[n] des Absoluten unabhängig von der Beziehung des religiösen Subjektes als konsistent" 37 zu denken. Wagner geht gerade nicht von einem Gottesverständnis des religiösen Bewußtseins aus, sondern von einer Theorie des Absoluten, die aufweist, daß das Absolute angemessen nur begriffen werden kann, wenn es als trinitarisch differenziert aufgefaßt wird. Damit wird aber - und zwar ganz bewußt zur Überwindung der Aporie des religiösen Bewußtseins - ein Ausgangspunkt gewählt, der von der religiösen Erfahrung des Handelns Gottes absieht, um nicht das Absolute in die Abhängigkeit dieser Erfahrung zu begeben, so daß der göttliche Grund nicht von Gnaden des Begründeten ist. Ist aber die (religiöse) Erfahrung des Heilshandelns Gottes in Christo der Grund für das trinitätstheologische Modell gewesen, so wird bei Wagner das durch Gottes Heilshandeln in Christo begründete trinitätstheologische Modell ohne seinen Grund entwickelt, so daß das Begründete nun nicht mehr von Gnaden seines Grundes ist. In unserem Zusammenhang kommt es nun aber vor allem darauf an, aufmerksam zu machen, daß Wagners trinitätstheologische Differenzierung es zwar erlaubt, eine Vorstellung von einem trinitarisch differenzierten Absoluten zu gewinnen, das sich in seinem Wirken in drei Schritten sozusagen seiner selbst durch das endliche Individuum ansichtig wird, von einem zu unterscheidenden Wirken Gottes, das nicht in einer logische Kontinuität aufgehoben wird, kann aber bei Wagner nicht die Rede sein. 2.1.2 Entsprechend fordert auch Deuser, daß zu zeigen sei, „daß Wahrnehmen, Erfahren und Denken GOTTES in jeder Form seines Auftretens in sich schon dreigliedrig strukturiert ist" 38 . Deuser versucht die Frage der Trinität zu lösen, indem er zu denken versucht, wie Handeln überhaupt dreifach strukturiert sein kann. Die Lösung, einen einheitlichen Akt a-ls dreifach strukturiert zu denken, empfangen wir mittels Deuser durch Charles Sanders Peirce semiotische Theorie, in der der Zeichenprozeß als ein dreistellig relationales Geschehen zu verstehen gelehrt wird 39 . Indem Deuser die triadische Struktur eines jeden Handelns zeigt, intendiert er die triadische Struktur des Handelns Gottes kosmologisch zugänglich und vorstellbar zu machen 40 . Ein einlinig prozessualer Akt in dreistelliger

35 36 37 38 39 40

Ebd. A. a. O., S. 586. A. a. O., S. 587. Deuser, Die phänomenologischen Grundlagen der Trinität, S. 65. Vgl. a. a. O., S. 46ff. Vgl. ders., Trinität und Relation, bes. S. 98f. Gerade darin, daß die trinitätstheologischen Überlegungen von Deuser ihren Ausgang nicht in Gottes Selbsterweis, in seinem Handeln nehmen, liegt eine eindeutige Parallele zu den trinitäts-

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

115

Relation wird von Deuser als Antwort auf die Frage nach drei zu unterscheidenden - nicht prozessual aufeinander bezogenen - Akten Gottes gegeben! Die von Deuser namhaft gemachte Zeichentheorie von Peirce ist zwar interessant, sie ist aber in keiner Weise aufschlußreich für die Frage nach den zu unterscheidenden Handlungen Gottes, weil sie dazu einlädt, die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung mit Hilfe eines einlinigen Offenbarungsprozesses zu überspielen und dabei schlichtweg die unterschiedlichen Intentionen von Schöpfung und Erlösung übersieht.

2 . 2 Die Entfaltung eines einfachen göttlichen Wirkens Anders als Deuser und Wagner nehmen die trinitätstheologischen Reflexionen von Härle und Dalferth ihren Ausgangspunkt im göttlichen Wirken selbst. Doch entwickeln auch Härle und Dalferth eine Theorie eines einheitlich prozessualen Handelns Gottes. In diesem Punkt beanspruchen sie die Einsichten Schwöbeis aufzunehmen41, der beabsichtigt, „drei unterschiedliche Typen göttlichen Handelns zu individuieren und zugleich Gott als das eine Handlungssubjekt in diesen drei Typen zu identifizieren" 42 , indem er das Werk des Geistes darin erblickt, Gewißheit zu wirken „in bezug auf die Wahrheit der Offenbarung des Sohnes als Offenbarung der wahren Beziehung des Vaters zu seiner Schöpfung" 43 . 2.2.1. Härle erblickt die Notwendigkeit der Trinitätslehre für den Glauben in einer zweifachen Behauptung: einerseits in der Behauptung der Göttlichkeit Jesu Christi und der Göttlichkeit des Geistes und andererseits in der Behauptung der Einzigartigkeit Gottes 44 . Die Trinitätslehre soll somit „die Göttlichkeit Jesu Christi und des Heiligen Geistes mit der Einzigartigkeit Gottes zusammendenken" 45 . Dabei soll sie gerade zu verstehen anleiten, wie Glaubensgewißheit entsteht46. Die Gewißheit des Glaubens bezieht sich - so Härle - auf Gottes Heilshandeln in Christus und verweist wiederum auf Gottes schöpferisches Handeln als Grund des kreatürlichen Daseins47. Ist nach Härle in der ratio cognoscendi das Heilswirken dem schöpferischen Wirken Gottes vorgeordnet, weil sich das schöpferische Wirken als die Voraussetzung des Heilswirken erst

41 42 43 44 45 46 47

theologischen Überlegungen von Wagner. Versucht Wagner der Trinitätslehre Plausibilität zu verleihen, indem er zeigt, daß das Absolute nur angemessen verstanden werden kann, wenn es als trinitarisch differenziert explizit wird, so versucht Deuser der Trinitätslehre Plausibilität zu verleihen, indem er zeigt, daß Handeln angemessen nur verstanden werden kann, wenn seine triadische Struktur erkannt wird. Vgl. Härle, Dogmatik, S. 393f; Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, S. 203. Schwöbel, Die Rede vom Handeln Gottes im christlichen Glauben, S. 78. Ebd. Vgl. Härle, Dogmatik, S. 387. A. a. O., S. 388. Vgl. a. a. O., S. 390. Vgl. a. a. O., S. 390f.

116

Exkurs 1

von diesem her erschließt, so geht in der ratio essendi das schöpferische Wirken Gottes voraus, Gottes Selbsterschließung in Christus folgt diesem Werk und kommt in dem gewißmachenden Wirken des Geistes zu seinem Ziel 48 . Hat die Kirche für diese „Folgeordnung" den Begriff der „Ökonomie" gewählt, so spricht sich darin „die Einsicht aus, daß die Trinitätslehre - zumindest auch - das heilsgeschichtliche Wirken Gottes zum Ausdruck bringen muß, und zwar unter den für die Trinität generell gültigen beiden Aspekten, daß alle Werke Gottes im vollen und uneingeschränkten Sinn an seinem göttlichen Wesen partizipieren und daß die Vielfalt der Werke die Einheit und Einzigartigkeit Gottes nicht aufhebt. Dabei steht gerade die ökonomische Trinitätslehre, die von der Vielfalt der Werke Gottes ausgeht, vor der Aufgabe zu zeigen, daß durch diese Vielfalt die Einheit und Einzigartigkeit Gottes nicht aufgehoben wird. Die Vielfalt muß folglich als Vielfalt innerhalb der Einheit und Einzigartigkeit Gottes gedacht werden" 49 . Von der ökonomischen Trinität ausgehend stellt sich daher nach Härle die Frage, „wie unter Voraussetzung der Einheit und Einzigkeit Gottes eine Vielfalt oder Differenzierung in Gott überhaupt gedacht werden könnte" 50 . Um zu zeigen, wie die ökonomische als immanente Trinität gedacht werden kann, will Härle sowohl den leitenden Gedanken einer ökonomischen als auch den einer immanenten Trinität aufnehmen: Härle intendiert daher, die verschiedenen Werke Gottes verschiedenen Wirkweisen zuzuordnen, um im Anschluß an diesen Reflexionsgang zu bedenken, inwiefern die Werke Gottes eine Einheit bilden51. Eine heilsgeschichtliche Reihung muß nach Härle zumindest folgende Elemente enthalten: „Gott erschafft und erhält die Welt, er lenkt die Geschichte, er redet durch die Propheten, er offenbart sich in Jesus Christus, er sendet seinen Geist, er schafft Glaubensgewißheit, er sammelt und erhält die Kirche, er vollendet seine Schöpfung" 52 . Schon an dieser Stelle gilt es darauf hinzuweisen, daß Härle - im Zusammenhang der trinitätstheologischen Reflexion - Jesus Christus nicht in erster Linie als die durch Gott geschehene Konstitution des Heils begreift, sondern als Offenbarung Gottes. Härle kommt so zu einem Einteilungsschema, indem er unterscheidet zwischen dem „schöpferischen Wirken (,als Existenzbegründung'), dem offenbarenden Wirken (,als Erschließung der Wahrheit über das Verhältnis Gottes des Schöpfers zu seiner begnadigten Schöpfung') und dem inspirierenden oder erleuchtenden Wirken Gottes (,als Ermöglichung von Gewißheit in bezug auf die

48 49 50

5

'

52

Vgl. a. a. O., S. 391. Ebd. Ebd. - Auch Härle geht von Rahners berühmter These aus, daß die immanente Trinität die ökonomische Trinität ist (vgl. Rahner, Bemerkungen zum dogmatischen Traktat ,De Trinitate', S. 115). Durchaus zu Recht bemerkt Maurer, daß dieses Axiom allen neueren Entwürfen „mit unterschiedlichen Nuancen zugrunde liegt" (ders., Tendenzen neuerer Trinitätslehre, S. 7). Vgl. Härle Dogmatik, S. 392. A. a. O., S. 392f. - Die Spiegelstriche in der Quelle wurden ausgelassen.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

117

Wahrheit der Konstitution der Wirklichkeit')" 53 . Gerade in der Möglichkeit, kategorial zwischen drei Formen göttlichen Wirkens zu unterscheiden, erblickt Härle die Leistungsfähigkeit dieser Unterscheidung54. Problematisch ist aber diese Unterscheidung, weil Härle es nicht unternimmt zu zeigen, inwiefern durch diese Unterscheidung die von ihm inaugurierten Handlungsweisen Gottes umfassend erfaßt sind, d. h. Härle verzichtet bei der Einführung dieser distinctio auf eine Ableitung. Nur indem Härle schon von vornherein Gottes Handeln in Christus von einem Konstitutionsgeschehen auf ein reines Offenbarungsgeschehen transponiert, somit aber gerade nicht zur Geltung bringt, daß in Christus zwar auch Gottes schöpferisches Handeln als ontologische Voraussetzung des Christusgeschehens offenbar wird, aber auch das Christusgeschehen selbst, das mit der Schöpfung in keiner Weise identifiziert werden darf, kann Härle die Offenbarung in Christus ganz als Offenbarung des schöpferischen Handelns Gottes begreifen. Schöpferisches, offenbarendes und erleuchtendes Wirken sind so bei Härle als reale Einheit gefaßt, an der nur in kategorialer Hinsicht unterschieden wird. Daraus folgert Härle, daß nicht drei Arten göttlichen Wirkens zu unterscheiden sind, sondern „drei Aspekte, oder Dimensionen oder Facetten an jedem Wirken Gottes" 55 . Plausibel wird dies nach Härle erst durch die Einbeziehung des erkennenden Subjekts; denn ,,[a]us der Sicht des erkennenden Subjekts stellt sich [...] auch das Wirken Gottes als Zeichenprozeß dar, in dem ein Element der Wirklichkeit [...] als (durch sein Dasein und Sosein) auf Gott weisend (von einem Subjekt) erkannt und gedeutet wird. An jedem solchem Zeichenaspekt lassen sich folgende drei Aspekte unterscheiden: - schöpferisches (= wirklichkeitsbegründendes) Wirken - offenbarendes (= Wahrheitserschließendes) Wirken - erleuchtendes (= gewißheitsschaffendes) Wirken. Dieser Prozeß, den wir mit dem Begriff ,Wirken Gottes' benennen, kommt zum Ziel in der Gewißheit eines Subjektes: ,Das hat Gott gewirkt.'" 56 . So hält Härle entschieden fest, „daß jedes Wirken Gottes, von dem sinnvoll gesprochen werden kann, drei Aspekte aufweist, die mit den Begriffen schöpferisches, offenbarendes und erleuchtendes Wirken bezeichnet werden können" 5 7 . Zwischen den drei Aspekten des Wirken Gottes - so Härle - scheint nur eine Affinität zu der heilsgeschichtlichen Abfolge der Werke Gottes zu bestehen 58 . Zwar sei vermutlich die ökonomische Abfolge zwischen dem Schöpfungswerk, dem Erlösungswerk in Christus und dem Wirken des Geistes im Bewußtsein der Christen das „plausibelste Anschauungsmodell für die Trinitätslehre" 59 , doch -

53

54 55 56 57 58 59

A. a. O., S. 393 (in Aufnahme der Unterscheidung von Schwöbel, Die Rede vom Handeln Gottes im christlichen Glauben, S. 56ff). Vgl. Härle, Dogmatik, S. 393f. A. a. O., S. 394. Ebd. A. a. O., S. 395. Vgl. a. a. O., S. 396. Ebd.

118

Exkurs 1

so Härle ausdrücklich - „weist dieser Zugang eher in die Irre" 60 . Auch die Appropriationen der mittelalterlichen Theologie erfolgen „nach dem Prinzip der Ähnlichkeit oder Affinität" 61 , sie haben aber „niemals den Charakter von exklusiven Gleichsetzungen oder Identitätsaussagen" 62 . Eine exklusive Verbindung würde - so Härle - doch dazu führen, daß „die Einheit des Seins und Wirkens Gottes und damit die unreduzierbare Göttlichkeit seiner Werke aus dem Blick geriete oder in Frage gestellt würde" 63 . Daher verschanzt sich auch Härle hinter dem Satz: Opera trinitatis ad extra sunt indivisa64. Das Wirken des dreieinigen Gottes ist - so glaubt sich Härle durch den Satz gedeckt - „ungeteilt" und „unteilbar" 65 . Zwischen den Wirkweisen Gottes soll daher nicht „quantitativ oder qualitativ, sondern (nur) kategorial [...] unterschieden" 66 werden: „Die göttliche Liebe wirkt schöpferisch (d. h. Leben schaffend), offenbarend (d. h. sich selbst erschließend) und erleuchtend (d. h. gewißmachend und inspirierend), und zwar immer und überall, wo sie wirkt, so daß gesagt werden kann und muß: Diese drei Aspekte sind stets am Wirken Gottes zu unterscheiden, aber nie voneinander zu trennen. In diesem Sinne geschieht Gottes Wirken auf dreieinige, also trinitarische Weise. Und in diesem Sinne gilt: ,Die ökonomische' Trinität ist die immanente Trinität [...]"' 6 7 . Folglich setzt Härle das Wort „ökonomisch" konsequenter Weise auch in Anführungsstriche, „weil es sich nicht um eine (geschichtliche) Abfolge von Werken handelt, sondern um unterschiedliche Aspekte an dem einen, unteilbaren Wirken (nach außen)" 68 . Vater, Sohn und Geist werden so als Seinsweisen gefaßt: Die erste Seinsweise (der Vater) wird als Ermöglichungsgeschehen gedacht, die zweite Seinsweise (der Sohn) als Verwirklichungsgeschehen, d. h. als diejenige Seinsweise in der sich die erste welthaft konkretisiert 69 , der heilige Geist schließlich als Vermittlungsgeschehen, d. h. als „dasjenige Geschehen, in dem das Verwirklichungsgeschehen der zweiten Seinsweise als Verwirklichung des Ermöglichungsgeschehen der ersten Seinsweise sich selbst durchsichtig wird" 70 . Die enge Zusammengehörigkeit von Ermöglichungsgeschehen und Verwirklichungsgeschehen wird nun in dem Beziehungsgeschehen der Liebe, die Härle als Wirklichkeit Gottes geschildert hat 71 , deutlich72; denn es läßt sich nach Härle deutlich zeigen, „daß Liebe als dasjenige Ermöglichungsgeschehen gedacht werden kann, das aus sich selbst heraus anderes da sein läßt und ihm Raum gibt, 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. A. a. O., S. 397. Ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 400f. A. a. O., S. 403. Vgl. a. a. O., S. 276ff. A. a. O., S. 405.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

119

das seinem Wesen nach vollkommen mit dieser Ermöglichung, also mit der Liebe, übereinstimmt und sie realisiert"73. „Indem sich das Ermöglichungsgeschehen der göttlichen Liebe (ihrem Wesen gemäß) in der zweiten Seinsweise konkretisiert, nimmt die Liebe Gestalt an, wird sie aus der (wirklichen) ermöglichenden Möglichkeit zur (existierenden) welthaften Realität"7*. Deutlich ist, daß in Härles Unterscheidung zwischen dem Ermöglichungsgeschehen, dem Verwirklichungsgeschehen und dem Erschließungsgeschehen Gottes dreifaches Handeln in Schöpfung, Erlösung und Versöhnung in eine einheitliche Handlungsstruktur gepreßt wird. Wie bereits festgestellt, gelingt dies Härle, indem er das Erlösungsgeschehen rein als Verwirklichungsgeschehen der ersten Seinsweise begreift, damit aber gerade nicht zur Geltung zu bringen vermag, daß in Christus etwas gegenüber der Schöpfung Neues und Kontingentes verwirklicht wird. Zwar erkennt Härle selbst, daß es so wirken kann, als seien die Aussagen über die zweite Seinsweise „zu weit und zu unspezifisch, weil sie zu sehr mit dem allgemeinen Existenz- und Weltbegriff und zu wenig mit dem präzisen Offenbarungs- oder Versöhnungsbegriff verbunden sind" 75 , doch - so fügt Härle gleich beruhigend hinzu - „diese Weise ist dem christlichen Glauben durchaus angemessen" 76 ; ,,[d]amit wird die biblische Einsicht, daß durch die Sophia bzw. den Logos nicht nur das Heil vermittelt, sondern schon die Schöpfung gestaltet und geprägt wird [... ] zur Geltung gebracht" 17 . Diese Verteidigung seines Modells greift aber gerade deshalb entschieden zu kurz, weil Härle keineswegs zur Geltung bringt, daß der Logos bzw. die Sophia auch die Schöpfung gestaltet und prägt, sondern er vermag mit seinem Modell nichts anderes zur Geltung zu bringen, als daß der Logos die Welt gestaltet und prägt. Es ist etwas anderes zu betonen, daß in Christus das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf offenbart wird als ihn auf die Offenbarung der Schöpfung zu reduzieren! Gegen Härle ist daran zu erinnern, daß in Christus zwar auch Gottes schöpferisches Handeln erschlossen wird, vor allem aber Gottes erlösendes Handeln konstituiert wird 78 . Beide unterschiedlichen Handlungsweisen Gottes können aber nicht unter den Oberbegriff der Offenbarung subsumiert werden, der über die unterschiedlichen Inhalte der Offenbarung hinwegtäuscht. Wird das Christusgeschehen als Offenbarung bzw. Verwirklichung des Ermöglichungsgeschehens des Vaters gefaßt, so ist die Differenz zwischen der Ermöglichung von Welt und der Ermöglichung von Heil mit Hilfe des Offenbarungsbegriffes überspielt 79 . Wir beginnen die weitblickende

73 74 75 76 77 78

79

A. a. O., S. 401. A. a. O., S. 402. Ebd. Ebd. Ebd. Kurz: Gegen Härle ist daran zu erinnern, daß „Erlösung" und „Offenbarung der Schöpfung" nicht identisch sind. Wird bei Härle die Erlösung ausschließlich als Verwirklichung des in der Schöpfung Ermöglichten gefaßt, ist bei dieser Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung allen Ernstes zu fragen, ob Härle eine „Ontologie der Gnade" intendiert.

120

Exkurs 1

Warnung Elerts zu verstehen, die Differenzen nicht unter einen Oberbegriff der Offenbarung zu subsumieren und einzuebnen80. Die Warnung vor dem hier angelegten monistischen Zug der Theologie hat ihre Gültigkeit nicht verloren. Wie bei Deuser (s.o.) so zeigt sich auch bei Härle, daß der Versuch, die dreifache Handlung Gottes anhand des Zeichenprozesses zu verdeutlichen, dazu führt, die notwendige Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln durch den Gedanken eines einlinig prozessualen Offenbarungsgeschehens zu überspielen. 2.2.3 Auch die trinitätstheologische Konzeption von Dalferth ist mit ähnlichen Problemen behaftet wie Härles trinitätstheologische Konzeption des Handelns Gottes: Um „der Sachlogik des christlichen Glaubenszeugnisses zu Jesus Christus gerecht [zu] werden" 81 , muß das Kreuz im Blick auf das Gottesverständnis Jesu von Nazareth ausgelegt werden82. Im Lichte von Ostern wird das Gotteszeugnis Jesu von Nazareth in der Weise neu bestimmt, daß das Gottesverständnis Jesu in das christliche Gottesverständnis transformiert wurde83, so daß der im Lichte von Kreuz und Auferstehung betrachtete, von Jesus als Vater angeredete, Gott nun „mit innerer Konsequenz trinitarisch"M gedacht werden muß: „Indem Gott den gekreuzigten Jesus von den Toten erweckte und uns durch seinen Geist zur Erkenntnis und zum Bekenntnis seines Auferweckungshandelns instand setzt und zur Wahrnehmung seiner eschatologischen Heilsnähe in unserem eigenen Leben befähigt, erweist er sich zugleich als der Schöpfer, der das Nichtseiende ins Sein ruft (Rom 4, 17), als der Versöhner, der den Gottlosen gerecht macht (Rom 4,4), und als der Vollender, der die Toten auferwecken und eine neue Welt schaffen wird (Rom 4, 17)" 8 5 . Schöpfung, Versöhnung und Vollendung müssen somit nach Dalferth zusammen das Gottsein Gottes konkretisieren 86 , und zwar so, daß Gott „mit allem von ihm Verschiedenen als Schöpfer, für alles von ihm Verschiedene als Versöhner und bei allem von ihm Verschiedenen als Vollender [ist]. Gottes Nähe ist dementsprechend als sein schöpferisches Mit-Sein, versöhnendes Für-Sein und vollendendes Da-Sein bei allem von ihm Verschiedenen zu denken" 87 . So gründet nach Dalferth die Wirklichkeit in einer „komplexen Handlung Gottes, die drei fundamentale und irreduzible Teilhandlungen umfaßt" 8 8 . Diese komplexe Handlung Gottes - so Dalferth - wird in der Akzentu-

80

81 82 83 84 85 86 87 88

Vgl. CG, S. 133ff. Daß diese Einsicht auch in der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts nicht verstummt ist, ist den Arbeiten Bayers zu verdanken (vgl. u. a ders., Theologie, 402ff). Sie besitzen eine kaum zu überschätzende Bedeutung als notwendiges Korrektiv zu dem gegenwärtig en vogue gewordenen Monismus. Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, S. 160. A. a. O., S. 160f. Vgl. a. a. O., S. 161. A. a. O., S. 163. A. a. O., S. 164. Vgl. a. a. O., S. 166. A. a. O., S. 171. A. a. O., S. 203.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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ierung als Schöpfung, Versöhnung und Erlösung, als Schöpfung, Inkarnation oder Vollendung oder - in Anlehnung an Schwöbeis Explikation des Handelns Gottes - als Schöpfung, Offenbarung und Inspiration bezeichnet 89 . Dalferth selbst entwickelt ein Modell des Handelns Gottes, das die Dreigliederung von Schöpfung, Offenbarung und Inspiration erneut aufgreift: „ - Alles, was von Gott verschieden ist, verdankt seine Möglichkeit und Wirklichkeit allein Gott selbst (Schöpfung) - Gott erschließt uns in und durch Jesus Christus, daß die uneingeschränkte Verwirklichung seiner Liebe die Intention ist, die sein Schöpfungshandeln leitet (Offenbarung) - Gott öffnet uns die Augen wahrzunehmen und macht uns willig anzunehmen, daß das, was er in seiner Offenbarung über seine liebende Nähe bei seiner Schöpfung erschließt, absolut wahr und verläßlich ist (Inspiration). Gottes Schöpfungshandeln konstituiert also alle Wirklichkeit, Gottes Offenbarungshandeln erschließt die Wahrheit dieser Wirklichkeit und Gottes Inspirationshandeln stiftet die Gewißheit von der Wahrheit dieser Wirklichkeit" 90 . So geht auch Dalferth von dem letzten Satz der Trinitätslehre „Opera ad extra sunt indivisa" aus und konzipiert ein Modell des Handelns Gottes, das Handeln Gottes „immer und überall und in jeder Hinsicht als Handeln von Vater, Sohn und Geist zu denken [fordert], Gott selbst als de[n], der als der Vater, Sohn und Geist handelt und so die Liebe, die er ist, konkretisiert" 91 . Versöhnung wird so nicht in ihrer irreduziblen Unterschiedenheit zum schöpferischen Handeln Gottes gedacht, sondern als „Fortbestimmungen des Schöpfungshandelns Gottes [...]: Versöhnung ist diejenige Weise des schöpferischen Liebeshandelns Gottes, in der sich dieser für uns im Geschaffenen als unser Schöpfer zur Geltung bringt, Vollendung dagegen diejenige, in der einzelne und schließlich alle Geschöpfe aufgrund dieses Versöhnungshandelns Gottes dazu kommen, Gott als ihren Schöpfer anzuerkennen" 92 . So gelingt es auch letztlich Dalferth nicht, über den einlinig prozessualen Handlungsbegriff hinauszukommen. Vielmehr entwickelt Dalferth ein Handeln Gottes, das immer ein Mit-Sein ein Für-Sein und ein Bei-Sein in bezug auf die Geschöpfe enthält 93 , mithin ein Handeln Gottes das „immer und überall und in jeder Hinsicht" 9 4 diese „drei fundamentale[n] und irreduzible[n] Teilhandlungen" 95 umfaßt. Damit wird aber nicht zwischen einem schöpferischen und erlösenden Handeln Gottes unterschieden, vielmehr wird von Dalferth ein Handeln Gottes etabliert, das eine schöpferische, eine erlösende und eine erschließende Dimension besitzt. Auch Dalferth muß daher Gottes Handeln in Christus -

89 90 91 92 93 94 95

Vgl. ebd. A. a. O., S. 203. A. a. O., S. 228. A. a. O., S. 232. Vgl. a. a. O., S. 171. A. a. O., S. 228. A. a. O., S. 203.

122

Exkurs 1

um es in das einlinige Handeln Gottes bruchlos einzufügen - auf seine Offenbarungsfunktion beschränken. Doch ist auch gegen Dalferth festzuhalten, daß das Christusgeschehen nicht auf die Offenbarung der göttliche Liebesintention bei der Schöpfung reduziert werden darf. Ein Modell, das den Vater, den Sohn und den Geist nur als einen Prozeß des Durchsichtigwerden Gottes begreift, besitzt auf Grund seiner einlinig prozessualen Dynamik nicht die Offenheit, zwei Handlungen Gottes zur Geltung zu bringen, die weder aufeinander abgebildet werden können, noch als logische Folge aufgefaßt werden dürfen. Darüber hinaus zeigt sich auch bei Dalferth das Problem, die Liebe Gottes als ein solches innertrinitarisches Geschehen zu bestimmen, das Gottes Wirken nach außen beleuchten soll als Anknüpfung an das innere Liebeshandeln Gottes 9 6 . Die theologische Erforschung des innertrinitarischen Liebesgeschehens zwischen dem Vater und dem Sohn durch den Geist und in der Fortführung des Geistes 97 (opera trinitatis ad intra) führt bei Dalferth dazu, in Gottes Handeln an der Welt (opera trinitatis ad extra) ein einheitliches Liebeshandeln zu erblicken 9 8 . Gottes Liebeshandeln „organisiert [...] sich selbst gemäß einer Bedingungsstruktur, die sich in der Zuordnung von Schöpfung, Versöhnung und Vollendung zum Ausdruck bringen läßt" 9 9 . So ordnet Dalferth Schöpfung, Erlösung und Vollendung als Teilaspekte des einen Liebeshandelns Gottes einander in der Weise zu, daß er die Schöpfung als „von Gott aus freier Liebe vorgenommene Setzung von anderem als Gott und dessen Anerkennung als anderes als G o t t " 1 0 0 begreift, die Versöhnung als „diejenige Weise des schöpferischen Liebeshandelns Gottes, in der sich dieser für uns im Geschaffenen als unser Schöpfer zur Geltung bringt" 1 0 1 , und schließlich die Vollendung als diejenige Weise des schöpferischen Liebeshandelns Gottes, „in der einzelne und schließlich alle Geschöpfe aufgrund dieses Versöhnungshandelns Gottes dazu kommen, Gott als ihren Schöpfer anzuerkennen" 1 0 2 . M i t anderen Worten: Die Schöpfung ist „die Voraussetzung dafür, ihn [= Gott] als liebenden Schöpfer anzuerkennen" 1 0 3 , die Versöhnung erweist Gott als den liebenden Schöpfer, die Vollendung bewirkt die Anerkennung Gottes als liebenden Schöpfer 1 0 4 . Damit zeigt aber Dalferths Konzeption des Liebeshandelns Gottes strukturelle Ähnlichkeit zu Barths. Bringt Barth die Differenz von Schöpfung und Erlösung als innerer und äußerer Grund des Bundes zur problematischen Einheit, so Dalferth durch die Zuordnung von Voraussetzung für ein Anerkennen eines liebenden Schöpfers und Erweis des liebenden Schöpfers.

96 97 98 99 100 101 102 103 104

Vgl. a. a. O., S. 229ff. Vgl. ausführlich a. a. O., S. 230. Vgl. a. a. O., S. 231f. A. a. O., S. 232. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

123

2 . 3 Einblicke in das innertrinitarische Beziehungsgeschehen Die von Dalferth zu Recht konstatierte „Wiederaufleben der trinitätstheologischen Debatte in den vergangenen Jahren" 1 0 5 ist nicht zuletzt vor allem auch durch die Konzeptionen von Jüngel und Moltmann gekennzeichnet. In Anlehnung an Steffens bekanntes Diktum („Nicht die spärlichen trinitarischen Formeln des Neuen Testaments, sondern das durchgehende, einheitliche Zeugnis vom Kreuz ist der Schriftgrund für den christlichen Glauben an den dreieinigen Gott, und der kürzeste Ausdruck für die Trinität ist die göttliche Kreuzestat" 1 0 6 ) versuchen sowohl Jüngel als auch Moltmann 1 0 7 , die trinitätstheologische Reflexion im Kreuz Jesu zu begründen. Dabei zeigen sich aber unterschiedliche Tendenzen: Versucht Jüngel in dem Geschehen des Kreuzestodes Jesu Gott zu begreifen, so versteht Moltmann Gott als dieses Geschehen. Versuchen beide die Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität zu betonen, so intendiert Moltmann (s. u.) diese Unterscheidung aufzuheben, während Jüngel die „distinctio rationis" 108 von immanenter und ökonomischer Trinität beibehalten will. 2.3.1 Ist nach Jüngel „Gott [...] vollständig definiert in dem gekreuzigten Jesus von Nazareth" 1 0 9 , so versucht er konsequenterweise aus Jesu „Lebens- und Leidensgeschichte die Spur, die zur Begründung des Glaubens an den dreieinigen Gott führt", zu finden 110 . Jesus Christus allein - so Jüngel programmatisch kann als vestigium trinitatis bezeichnet werden 111 , insofern gerade die Identifikation Gottes mit dem gekreuzigten Jesus die Selbstunterscheidung Gottes und somit die Begründung der Trinitätslehre impliziert 112 . Durchaus in Parallele zu Moltmann (s.u.) versucht auch Jüngel die Geschichte von Jesus von Nazareth als Geschichte „zwischen ewigem Leben und zeitlichem Tod" 1 1 3 als eine das Sein Gottes selbst bestimmende Geschichte zu deuten; denn gerade diese Geschichte Jesu von Nazareth - so Jüngel - wird im Begriff des dreieinigen Gottes gedacht

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1,3

A. a. O., S. 189. Vgl. Steffen, Das Dogma vom Kreuz, S. 152. Vgl. Jüngels und Moltmanns Bezugnahme auf Steffen an zentralen Stellen ihrer Untersuchungen u. a. Jüngel, Das Verhältnis von .ökonomischer' und immanenter' Trinität, S. 268; ders., Gott als Geheimnis der Welt, S. 481; Moltmann, Der gekreuzigte Gott, S. 228. Jüngel, Das Verhältnis von ökonomischer und immanenter Trinität, S. 275 Ders., Das Sein Jesu Christi als Ereignis der Versöhnung Gottes mit der gottlosen Welt, S. 277. Ders., Gott als Geheimnis der Welt, S. 482. - So kann Jüngel sogar den Todesschrei Jesu als Kriterium eines richtigen christlichen Glaubensbekenntnisses bezeichnen (vgl. ders., Was ist „das unterscheidend Christliche"?, S. 297). Vgl. ders., Gott als Geheimnis der Welt, S. 479. Vgl. a. a. O., S. 520. - Durchaus zu Recht kann daher Webster formulieren: ,,[D]ie Trinitätslehre bringt die Evangelienerzählungen in eine begriffliche Form" (ders., Eberhard Jüngel, S. 96). Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, S. 471.

124

Exkurs 1

und bekannt 114 . Jüngel will so in seiner theologischen Theorie der Trinität die „faktische Begründung des trinitarischen Dogmas im Kreuzestod Jesu" 115 einholen. Zu Recht macht Jüngel darauf aufmerksam, daß die Regel „opera trinitatis ad extra sunt indivisa", die auf die Vermeidung eines Tritheismus bedacht war, dazu führte, „die absolute Einheit des göttlichen Wirkens nach außen als die eigentliche Glaubenserfahrung" 116 erscheinen zu lassen. Damit aber - so betont Jüngel zu Recht - wird gerade nicht das Interesse der trinitarischen Struktur des Apostolikuns Rechnung getragen: „Die trinitarische Struktur [...] des Apostolikums mit seiner besonderen Zuordnung von Schöpfung, Versöhnung und christlichem Leben zu Vater, Sohn und Heiligem Geist wurde im Sinne ,bloßer Appropriation' verstanden" 117 Dies führte nach Jüngel dazu, daß sich das eigentlich trinitarische Geschehen nur noch im immanenten Leben der Gottheit abspielte 118 . Will nun Jüngel in der Geschichte Jesu von Nazareth, die auch als eine Leidensgeschichte ernstgenommen sein will, die Spur des dreieinigen Gottes erblicken, so zeigt er, daß, indem Gott sich mit dem toten Jesus von Nazareth identifiziert, dies eine Selbstunterscheidung in Gott impliziert 119 , so daß man nun „von einer Unterscheidung zwischen Gott und Gott reden muß" 1 2 0 . In dieser Unterscheidung von sich selbst, d. h. indem Gott „als Gott der Sohn die Verlassenheit von Gott dem Vater erleidet, ist Gott der Versöhner" 121 . „Gott versöhnt die Welt mit sich, indem er sich im Tode Jesu gegenübertritt als Gott der Vater und Gott der Sohn, ohne mit sich selbst uneins zu werden" 122 . So ist es gerade der Geist, „der Vater und Sohn im Tode Jesu in aller realer Unterschiedenheit, also im Gegenüber, eins sein läßt" 123 . Damit versucht Jüngel Gott nicht nur als den Dahingehenden und den Dahingegebenen zu verstehen, sondern als die Dahingabe selbst 124 und damit zu begreifen, daß Gott das Ereignis der Liebe ist.

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Vgl. ebd. - Schon vor Moltmann hatte Jüngel gefordert, Gottes Sein aus dem Ereignis des Todes Jesu her zu verstehen (vgl. ders., Vom Tod des lebendigen Gottes, S. 117). So kann Jüngel in Anknüpfung an seine vorhergehenden Untersuchungen programmatisch feststellen: „Für die christliche Verantwortung des Wortes ,Gott' ist der Gekreuzigte geradezu so etwas wie die Realdefinition dessen, was mit dem Wort ,Gott' gemeint ist. Christliche Theologie ist deshalb fundamental Theologie des Gekreuzigten" (ders., Gott als Geheimnis der Welt, S. 15). Ders., Das Verhältnis von ökonomischer' und ,immanenter' Trinität, S. 268. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ders., Gott als Geheimnis der Welt, S. 498. Ebd. A. a. O., S. 504. Ebd. Ebd. - „Das vincumlum caritatis bringt in Jesu Tod Gottes ewiges Sein als Liebe zur Geltung" (ebd.). Vgl. ebd.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

125

Gott ist das Ereignis der Liebe, weil er von sich selbst aus - anders als Menschen, die nur aufgrund des Geliebtseins lieben können - Liebe ist125; Gott ist aber nur unter der Bedingung der von sich selbst aus Liebende, weil er sich liebt. „In der Unterscheidung von Liebendem (und deshalb wieder Geliebtem), Geliebtem (und deshalb wieder Liebendem) und vinculum caritatis (als Ereignis der Liebe) liebt Gott sich selbst" 126 , die Liebe Gottes ist somit als „innergöttliche Selbstbezogenheit" 127 zu verstehen. Doch erweist sich in der Dahingabe Jesu Christi am Kreuz die Struktur der Liebe als „eine inmitten noch so großer und mit Recht noch so großer Selbstbezogenheit immer noch größere Selbstlosigkeit, bzw. als eine in Freiheit über sich selbst hinausgehendes, sich verströmendes und verschenkendes Selbstverhältnis"128. Gerade so wird deutlich, wie für Jüngel die innergöttliche Liebe zur Liebe des Menschen wird. „Das innergöttliche Selbstverhältnis ereignet sich als Liebe in derjenigen Selbstbezogenheit Gottes, die bereits eine noch größere Selbstlosigkeit einschließt. Aber eben diese immer noch größere Selbstlosigkeit läßt den sich zu sich selbst verhaltenden Gott in Freiheit ,nach außen' treten: der Gott, der Liebe ist, schafft sich - ex nihilo - sein Anderes" 129 . Diese Liebe, die schöpferisch Anderes werden läßt, wird in Jesus Christus offenbar 130 . So ist die Liebe in Jesus Christus schon der innere Grund der Schöpfung Gottes 131 . Damit reproduziert Jüngel - wie auf seine Weise auch Dalferth - innerhalb seiner trinitätstheologischen Reflexion die - schon namhaft gemachte - höchst problematische Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung bei Barth 132 . So versucht Jüngel denn auch schon das verbum incarnandum als präexistenten Logos zu begreifen 133 . Die Einheit von ökonomischer' und ,immanenter' Trinität wird von Jüngel zum Ausdruck gebracht durch den Gedanken: Gottes Sein ist im Kommen, d. h. „Gott ist, indem er zu sich selbst kommt - von Gott zu Gott als Gott" 1 3 4 . So besagt der Satz, daß Gottes Sein im Kommen ist, „daß Gottes Sein das Ereignis seines Zu-sich-selbst-Kommens ist" 135 . Gott kommt von Gott, Gott kommt zu Gott, Gott kommt als Gott 136 . Mit anderen Worten: „Als Gott der Vater ist Gott der Ursprung seiner selbst" 137 und als solcher auch „Vater alles Lebendigen und

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Vgl. ebd. A. a. O., S. 506f. A. a. O., S. 509 Ders., Das Verhältnis von ökonomischer und immanenter Trinität, S. 270. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd; vgl. daneben ders., Gottes Sein ist im Werden, S. 19ff (Anm. 26); ders., Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grund der Analogie, S. 543f. Vgl. hierzu Exkurs 2. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, S. 522. A. a. O., S. 521. Vgl. a. a. O., S. 522ff; 524ff; 531ff. A. a. O., S. 522.

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Exkurs 1

aller Väter Vater" 138 , „der Souverän des Seins" 139 , ja der „gnädige Souverän des Seins" 140 . Als ewiger Vater erweist sich Gott in der Sendung seines Sohnes; denn „Gott tritt aus diesem Ursprung sich selbst so gegenüber, daß er sich selbst Partner ist" 141 . Gerade so kommt Gott von Gott zu Gott 142 , uns zwar kommt Gott zu Gott im Sohn 143 . Doch nicht in der Weise wie Gott von Gott kommt; denn Gott kommt nicht nur zu Gott, sondern auch zum Menschen, schließlich ist Gott in Jesus Christus zum Menschen gekommen und dieses Ereignis ist „allererst die Konstituierung des christlichen Gottesbegriffs" 144 . In dem ewigen Sohn „zielt Gott in ihm auch schon auf ein Werden, in dem nicht nur Gott von Gott kommt, sondern darüber hinaus der Mensch mit seiner Welt von Gott gemacht, gewirkt, geschaffen wird" 145 . So ist Jesus Christus „göttliches Urbild des von ihm ewig unterschiedenen Geschöpfs [...]" 146 . Aber als dieses Zielen auf die Welt ist er „der im Sein Gottes sich offenbarende Ausdruck seiner Gnade" 147 . Zwar ist - so betont Jüngel - der trinitarische Gott in seiner innertrinitarischen Liebesbeziehung sich selber genug, aber „indem er sich selber genug ist, ist er Sein im Überfluß, ist sein überströmendes Sein Ausdruck seiner Gnade" 148 . So zielt Gott in der innertrinitarischen Liebe als Vater zum Sohn schon auf den Menschen 149 , „Gottes ewige Selbstliebe [ist] der Ursprung seiner uns errettenden Selbstlosigkeit" 150 . Die innertrinitarische Selbstliebe zwischen dem Vater und dem Sohn zielt daher nach Jüngel auf den Akt der Selbstlosigkeit Gottes, in der Gott sich mit dem toten Jesus von Nazareth identifiziert 151 . Zielt nach Jüngel Gott aufgrund seiner trinitarischen Verfaßtheit, seiner Selbstliebe, die Selbstlosigkeit einschließt, in seinem Sohn auf die Schöpfung und ist dieses Zielen auf die Welt schon Ausdruck der göttlichen Gnade, so bleibt auch bei dem Entwurf Jüngels die Frage, inwiefern zwischen der schöpferischen Gabe des Lebens und der versöhnenden Gnade unterschieden wird, offen. Es ist zu fragen, ob eine solche Unterscheidung nicht schwierig wird, wenn die Identifikation mit dem Gekreuzigten in der Weise in der innertrinitarischen Liebes-

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Ebd. A. a. O., S. 523. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 524. Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., S. 524 ff. A. a. Ο., S. 524f. Und als Konstatierung des christlichen Gottesbegriffs ist dieses Ereignis auch „die Erkenntnis der Wahrheit, daß Gott von Gott kommt" (a. a. O., S. 525). A. a. O., S. 526. Ebd. - „Er ist Urbild der Schöpfung, insofern Gott der Vater in ihm auf die Schöpfung zielt" (ebd.). Ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 527. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 528.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

127

beziehung Gottes begründet wird, daß sie als Intention schon dem schöpferischen Akt Gottes zugrunde liegt. So scheint Jüngel doch in die gleiche Problematik hinein zu geraten, in der Barths Zuordnung von Schöpfung und Erlösung als äußerer und innerer Grund des Bundes verhaftet ist 152 . Zwar intendiert Jüngel, den Gedanken eines schlechthin einheitlichen Wirkens nach außen, bei dem sich das Trinitarische nur in der immanenten Gottheit abspielt, zu überwinden 153 , und plädiert dafür, das göttliche Wesen nicht von dem Geschehen des dreifaltigen Daseins Gottes zu abstrahieren 154 , doch scheint diese Absicht auf problematische Weise eingeholt zu sein: Wenn Jüngels trinitätstheologische Reflexion von der Identifikation Gottes mit Jesus von Nazareth im Kreuz von Golgatha ausgeht, so bedeutet dies bei Jüngel nicht nur, daß Gottes Handeln am Menschen erkannt wird, sondern Jüngel läßt es auch durch den (präexistenten) Jesus Christus konstituiert sein155. So formuliert Jüngel in einem anderen Zusammenhang: ,,[D]ie in der Erwählung Jesu Christi beschlossene Präexistenz der Menschheit Jesu schließt gerade dies ein, daß Gott auch zu dem Menschen als solchem Ja sagt. In der präexistenten Menschheit Jesu bejaht Gott den Menschen als sol-

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Konkret gesagt: Es scheint fraglich, ob zwischen Gottes schöpferischem Wirken und seinem erlösenden Wirken angemessen differenziert werden kann, wenn Jüngel Gottes Gnadenwahl, die „Entscheidung für den Menschen Jesus" (ders., Gottes Sein ist im Werden, S. 83), als „ Urentscheidung Gottes" (a. a. O., S. 82. Hervorhebung durch M.R.) begreift und behauptet, daß „die Schöpfungszeit von dem ,Urbild aller Zeit', von der in der Lebenszeit Jesu Christi urbildichen Gnadenzeit her ermöglicht ist" (ders., Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie, S. 544). So ist Gott schon in seiner Selbstbeziehung auf den Menschen Jesus von Nazareth bezogen (vgl. u. a. auch: ders., Thesen zur Grundlegung der Christologie, S. Uli). Vgl. ders., Das Verhältnis von ,ökonomischer und »immanenter' Trinität, S. 268f Vgl. a. a. O., S. 274. - Bei Jüngel wird „Gottes Wesen und ewiges Sein [...] vom Ereignis der Identifikation mit dem Gekreuzigten her erschlossen, nicht umgekehrt" (Löser, Trinitätstheologie heute, S. 34). Gerade hier liegt auch die Verstehensschwierigkeit von Klimek, Der Gott der Liebe ist, bes. S. 97ff. Nach Klimek scheinen die Aussagen Jüngels zu dem Verhältnis von Schöpfungs- und Erlösungsordnung widersprüchlich zu sein, Klimek vermutet daher eine Vermischung der Ebenen bei Jüngel (vgl. a. a,. O, S. 99). Zwar - so Klimek - sei Jüngel zuzustimmen, wenn er feststelle, die Trinitätslehre verdanke sich dem Bekenntnis zu Jesus als dem Christus (vgl. ebd.), „[o]b aber in der Seinsordnung ebenso Gottes Sein nur vom Sein des Menschen Jesu her verstanden werden kann, ist zu bezweifeln" (ebd.). Damit - so Klimek - würde ja zum Ausdruck gebracht, „Gott sei vor der Menschwerdung, also vor dem Leben Jesu nicht Gott gewesen" (ebd.). Sei aber nach Jüngel in anderen Aussagen Gott schon vor der Menschwerdung in seinem Selbstbesitz, so scheine er nach andern Aussagen erst in der Menschwerdung Christi zu sich selbst gekommen (vgl. a. a. O., S. 99f). Diese Verstehensschwierigkeit läßt sich m.E. beheben, wenn man - vgl. bes. Exkurs 2 - bedenkt, daß, weil Jüngel die Menschheit Jesu Christi als präexistent faßt, Gott nach Jüngel in seiner Selbstbeziehung ewig auf den (präexistenten) Menschen Jesus von Nazareth bezogen ist.

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Exkurs 1

chen. Indem G o t t in der präexistenten Menschheit den Menschen als solchen bejaht, konstituiert sein erwählendes Ja eine Beziehung zu dem Menschen als solchem" 1 5 6 . Hier scheint nicht mehr zwischen einem schöpferischen Ja Gottes und einem erlösenden Ja Gottes, zwischen einer auf Gottes schöpferischem Handeln und einer auf Gottes erlösendem H a n d e l n konstituierten Beziehung unterschieden zu sein, ist doch die Beziehung als solche schon durch Gottes Erwählung konstituiert. Ausgehend von Gottes Identifikation mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth entwickelt Jüngel ein innertrinitarisches Beziehungsgeschehen als Liebesgeschehen, das trotz der Selbstbeziehung noch größere Selbstlosigkeit einschließt und d a r u m nach außen tritt und sich ein Anderes schafft gerade diese Liebe wird als die Liebe in Jesus Christus identifiziert. So m u ß doch abschließend die Frage gestellt werden, o b hier unterschieden wird zwischen Gottes Aus-sich-Herausgehen als Schöpfer und seinem Aus-sich-Herausgehen als Erlöser. Ist diese Unterscheidung nicht überspielt, wenn schon der Akt des Aus-sich-Herausgehens mit Jesus Christus identifiziert wird? 2.3.2 In besonders eindrücklicher Weise hat M o l t m a n n versucht, den Gekreuzigten zum Konstitionsprinzip der trinitätstheologischen Reflexion zu erheben: Programmatisch gilt bei M o l t m a n n , daß Kreuzestheologie Trinitätstheologie und Trinitätstheologie Kreuzestheologie sein m u ß , um den menschlichen, gekreuzigten G o t t zu begreifen 1 5 7 . So begreift M o l t m a n n die Trinitätslehre als den ,,begriffliche[n] Rahmen" 1 5 8 der Geschichte Christi: Im Blick auf die Geschichte Jesu Christi, die wesentlich Passionsgeschichte ist, ist von Gott trinitarisch zu sprechen 1 5 '. So kann M o l t m a n n programmatisch formulieren: „Die Trinitätslehre ist [...] nichts anderes als die Kurzfassung der Passionsgeschichte Christi, verstanden als die ,Geschichte Gottes'" 1 6 0 . Damit intendiert M o l t m a n n , die Trinität radikal zu vergeschichtlichen: Die Geschichte des Kreuzes ist die Trinität 1 6 1 . So versucht M o l t m a n n in seinem Werk „Der gekreuzigte G o t t " aus dem Jahre 1972, die Unterscheidung zwischen Gott in sich und G o t t für uns, sowie die Unterscheidung zwischen einer immanenten und einer ökonomischen Trini156

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Jüngel, Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie, S. 549. Vgl. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, S. 228. Ders., Die trinitarische Geschichte Gottes, S. 89. Vgl. a. a. O., S. 90. Ders., Kreuzestheologie heute, S. 81. - Und es gilt: „[D]as Materialprinzip der Trinitätslehre ist das Kreuz Christi - das Formalprinzip der Kreuzestheologie als Theologie ist die Trinitätslehre" (ebd). Zu Recht formuliert daher Wenz als Intention Moltmanns: „Eine konsequent verfolgte Kreuzestheologie erfordere notwendig einen trinitarisch verfaßten Gottesgedanken. Eine staurologische Trinitätslehre bzw. trinitarische Kreuzestheologie gilt Moltmann deshalb als Inbegriff christlicher Theologie, gleichsam als regulative Idee all ihrer Gehalte" (ders., Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit II, S. 320). Vgl. auch Dalferth, Der auferweckte Gekreuzigte, 192; Bauckham, Jürgen Moltmann, S. 282.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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tat aufzuheben und die Trinität als ein Geschehen zu interpretieren - und zwar als das Geschehen zwischen Vater und Sohn im Geist am Kreuz 162 . Die Frage nach der Trinität ist für Moltmann somit die Frage, wie Gott im Geschehen des Kreuzes zu verstehen ist 163 . Der Weg des Sohnes von seiner Selbstentäußerung bis ans Kreuz soll trinitarisch als Gottesgedanke dargestellt werden 164 . „Man muß, um zu begreifen, was zwischen Jesus und seinem Gott und Vater am Kreuz geschehen ist, trinitarisch reden. Der Sohn erleidet das Sterben, der Vater erleidet den Tod des Sohnes. Der Schmerz des Vaters ist dabei von gleichem Gewicht wie der Tod des Sohnes. Der Vaterlosigkeit des Sohnes entspricht die Sohneslosigkeit des Vaters, und wenn sich Gott als Vater Jesu Christi konstituiert hat, dann erleidet er im Tod des Sohnes auch den Tod seines Vaterseins. Anders hätte die Trinitätstheologie noch einen monotheistischen Hintergrund" 165 . Der Tod Jesu ist so nicht nur der Tod einer Person der Trinität, sondern ein trinitarisches Geschehen zwischen Vater und Sohn 166 . Damit muß Jesu Tod als Tod in Gott ernst genommen werden 167 , der Gekreuzigte wird zur „ewigen Signatur Gottes" 168 . Ist die Trinität das Geschehen zwischen Vater und Sohn am Kreuz, so läßt sich denn auch „die Einheit der spannungsvollen und dialektischen Geschichte [...] - nachträglich sozusagen - als ,Gott' bezeichnen" 169 . „Wer christlich von Gott redet, muß die Geschichte Jesu als die Geschichte zwischen dem Sohn und dem Vater erzählen. Mit ,Gott' ist dann [...] tatsächlich ein geschehen' [gemeint]" 170 . So begreift Moltmann die Trinität als ein Geschehen, Gott als die nachträgliche Bezeichnung der spannungsvollen Geschichte am Kreuz, und unterzieht so die Unterscheidung von immanenter und ökonomischer Trinität einer gründlichen „Revision" 171 . „Von jetzt an" - so bemerkt Ricoeur sehr treffend in bezug auf die Konzeption Moltmanns - „beinhaltet das Wort ,Gott' weder eine metaphysische Gestalt noch eine moralische Instanz, sondern die Geschichte, die sich zwischen Vater und Sohn entfaltet, das Geschehen der Liebe des Sohnes und des Schmerzes des Vaters" 172 . Doch ist dieses Geschehen nach 162

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Vgl. bes. ders., Der gekreuzigte Gott, S. 225ff. - Indem Moltmann das Sein Gottes vom Kreuzesgeschehen her versteht, beansprucht Moltmann mit aller Konsequenz damit ernst zu machen, die christliche Identität als Akt der „Identifizierung mit dem Gekreuzigten" (a. a. O., S. 29) zu begreifen. So kann ,,[d]as erkenntnistheoretische Prinzip der Kreuzestheologie [...] nur dieses dialektische Prinzip sein: Gottes Gottheit wird nur im Paradox des Kreuzes offenbar (a. a. O., S. 32). Vgl. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, S. 225. Vgl. a. a. O., S. 192. A. a. O., S. 230. Vgl. a. a. O., S. 232. Vgl. a. a. O., S. 192. Ders., Kreuzestheologie heute, S. 82. Ders., Der gekreuzigte Gott, S. 233. A. a. O., S. 233f. Wenz, Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit II, S. 320; vgl. Bauckham, Jürgen Moltmann, S. 282. Ricoeur, Der gekreuzigte Gott von Jürgen Moltmann, S. 23f.

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Exkurs 1

M o l t m a n n keineswegs ein geschlossener Kreis, sondern ein „ f ü r die Menschen offener eschatologischer Prozeß auf Erden, der vom Kreuz Christi ausgeht" 1 7 3 : denn in dieses Geschehen zwischen Vater und Sohn am Kreuz wird der Mensch in seinem Leiden einbezogen: „ W o wir leiden, weil wir lieben, leidet Gott in uns" 1 7 4 . Und M o l t m a n n fügt hinzu: „Wer d a r u m in die Liebe k o m m t und durch die Liebe in das ausweglose Leiden und die Tödlichkeit des Todes erfährt, der k o m m t in die Geschichte des menschlichen Gottes hinein, denn seine Verlassenheit ist für ihn aufgehoben in die Verlassenheit Christi, und so kann er in der Liebe bleiben, braucht nicht vom Negativen und vom T o d wegzusehen, sondern kann das Tote festhalten" 1 7 5 . Einige Anfragen können an diesem Punkt nicht zurückgehalten werden: Z u m einen - so ist zu Recht angemahnt worden - steht M o l t m a n n s Theorie der trinitarischen Gottesgeschichte natürlich vor dem Problem, in eine Spekulation „abzugleiten" 1 7 6 , „die die Frage nach den Grenzen des Erkennbaren und Sagbaren verachtet" 1 7 7 . Doch zeigt sich, daß die Konzeption M o l t m a n n s an sich schon äußerst problematisch ist. Indem M o l t m a n n Gottes Für-sich-Sein ganz in seinem Für-uns-Sein aufgehen läßt und Gott als ein Geschehen auffaßt, das kein geschlossener Kreis (im Himmel), sondern ein offener Prozeß (auf Erden) 178 ist, in den mithin die leidenden Geschöpfe mit hineingenommen werden, wird Gott in der Heilsgeschichte eigentlich ganz er selbst 179 . Durch die Nivellierung der Unterscheidung zwischen der immanenten und der ökonomischen Trinität droht der Verlust der Souveränität Gottes gegenüber seinem Handeln 1 8 0 . (Dieser Punkt 173 174 175 176 177

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Moltmann, Der gekreuzigte Gott, S. 236. A. a. O., S. 240. A. a. O., S. 241. So Migliore, Der gekreuzigte Gott, S. 42. Lochmann/Dembowski, Gottes Sein ist im Leiden, S. 36. - „In seinem Entwurf überschreitet Moltmann ferner das einem Menschen Erkennbare und Sagbare. Woher weiß er vom Schmerz des Vaters im Tode des Sohnes? Woher weiß er vom ,Entspringen' des Geistes aus dem Bezug wechselseitiger Hingabe von Vater und Sohn?" (ebd.). Vgl. auch Miskotte, Das Leiden ist in Gott, S. 79. Vgl. Bauckham, Moltmanns Eschatologie des Kreuzes, S. 52. - Aus „Gottes Engagement für seine Schöpfung [...] [wird] praktisch Gottes ganzes Sein" (ebd.). Wenn Barth daher betont, daß Gott, nur „weil er in sich selbst Vater ist, weil Vaterschaft eine ewige Seinsweise des göttlichen Wesens ist" (KD 1/1, S 411. Im Original hervorgehoben.), d. h nur weil Gott schon vor und abgesehen von seiner Offenbarung Vater ist, sich als Vater offenbaren kann (vgl. ebd), daß er sich als Sohn offenbaren kann, „weil er als der Sohn [...] zuvor in sich selber ist" (a. a. O., S. 419) und daß er schließlich „der Heilige Geist [ist], durch dessen Empfang wir Kinder Gottes werden, weil er als der Geist der Liebe Gottes des Vaters und Gottes des Sohnes zuvor in sich selber ist" (a. a. O., S. 470), so zeigt sich, daß Barth die Unterscheidung von ökonomischer und immanenter Trinität gerade aus dem Grunde festhalten will, weil er die Freiheit und Souveränität Gottes gegenüber seinem Wirken festzuhalten beabsichtigt. Und auch Jüngel warnt - im Interesse der Freiheit und Souveränität Gottes - davor, die Unterscheidung von immanenter und ökonomischer Trinität aufzuheben: „Die Einheit von ,immanen-

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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wird uns im folgenden noch beschäftigen, da die Souveränität Gottes gegenüber seinem Handeln die notwendige Bedingung ist, zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln zu unterscheiden.) So ist Bauckham durchaus zuzustimmen, wenn er im Blick auf diesen Sachverhalt formuliert: „Es wäre richtiger zu sagen, Moltmanns Gott wird Liebe, als er ist Liebe" 1 8 1 . Im Blick auf die Konzeption Moltmanns ist so nicht nur davon zu sprechen, daß Gottes Sein im Werden ist, sondern - um die Abgrenzung Jüngels aufzunehmen 1 8 2 - daß Gott ein werdender Gott ist 183 . Wird Gott aber als ein offener Prozeß, in den die Menschen hineingezogen werden, interpretiert, als das Geschehen selbst, nicht als der Wirker dieses Geschehens, so steht Gott diesem Geschehen weder souverän gegenüber, noch ist er ein Gegenüber zu dem Menschen 1 8 4 . Geschieht es dann aber nicht, daß das Vertrauen zu einem Gegenüber sich in eine „apersonale Teilnahme an einem Kraftfeld verwandelt" 1 8 5 ? „Aber kann m a n " - so fragt Ricoeur - „zu einem ,Geschehen' beten?" 1 8 6 Moltmann hat seine Trinitätslehre innerhalb seiner Gotteslehre „Trinität und Reich Gottes", mit der Moltmann seine „Beiträge zur systematischen Theologie" eröffnete, weiter entfaltet 1 8 7 . Hat Moltmann in „Der gekreuzigte G o t t "

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ter' und ökonomischer' Trinität zu behaupten ist theologisch nur dann legitim, wenn diese Einheit nicht in dem Sinne tautologisch verkannt wird, daß die Freiheit und ungeschuldete Gnade der Selbstmitteilung Gottes und also deren Ereignishaftigkeit undenkbar wird. Es sollte deshalb, gerade um die reale Identität von .immanenter' und ökonomischer' Trinität als Geheimnis aussagen zu können, die distinctio rationis von ökonomischer' und .immanenter' Trinität theologisch beibehalten werden" (ders., Das Verhältnis von „ökonomischer" und „immanenter" Trinität, S. 275). Sieht Jüngel - entgegen Moltmanns Vorwurf gegen ihn, im Blick auf Jesu Kreuzestod keine trinitarische sondern eine „einfache Rede von ,Gott"' entwickelt zu haben (vgl. bes. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, bes. S. 188f) - durchaus zu Recht seine Gemeinsamkeit mit Moltmann gerade darin, Gott aufgrund des Kreuzestodes trinitarisch zu denken (vgl. bes. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, S. 298f. Anm. 65), so markiert Jüngel doch gerade in der Frage nach der Unterscheidung zwischen der ökonomischen und der immanenten Trinität seinen Unterschied zu Moltmann und seinen Widerspruch gegen die Moltmannsche Durchführung des gemeinsamen Anliegens. Bauckham, Moltmanns Eschatologie des Kreuzes, S. 52. Vgl. Jüngel, Gottes Sein ist im Werden, VI. So zu Recht auch Miskotte, Das Leiden ist in Gott, S. 85. Auch Küng wendet sich dagegen, das Leiden in Gott selbst und in den göttlichen Geschehenszusammenhang einzutragen, weil hier das Gegenüber zwischen dem Leiden des Menschen und Gott nicht gewahrt bleibt (vgl. ders., Credo, S. 117ff). Lochmann/Dembowski, Gottes Sein ist im Leiden, S. 37. Ricoeur, Der Gekreuzigte Gott von Jürgen Moltmann, S. 24. Moltmann beabsichtigt auch hier, „den biblischen Ansatz der Trinitätslehre so darzustellen, daß der trinitarische Ursprung der biblischen Geschichte selbst erkennbar wird" (ders., Trinität und Reich Gottes, S. 80). Die Heilsgeschichte wird „als die trinitarische Geschichte Gottes im Zusammenwirken der drei Subjekte Vater, Sohn und Geist verstanden und sie als die Geschichte der trinitarischen Gemeinschaftsbeziehungen Gottes interpretiert" (a. a. O., S.173f).

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Exkurs 1

die Kreuzestheologie trinitarisch gedacht und die Trinitätslehre kreuzestheologisch begriffen 188 , indem er die Trinität als das Geschehen zwischen Vater und Sohn im Geist am Kreuz zu interpretieren anleitet und Gott so als die nachträgliche Bezeichnung der spannungsvollen und dialektischen Geschichte am Kreuz zu verstehen lehrt, hat Moltmann damit die Unterscheidung zwischen ökonomischer und immanenter Trinität, die Unterscheidung zwischen Gottes Für-sichSein und seinem Für-uns-Sein eingezogen, weil Gott das Geschehen am Kreuz ist, so verdeutlicht Moltmann in „Trinität und Reich Gottes" noch einmal die Konsequenz dieses Geschehens hinsichtlich der Trennung von ökonomischer und immanenter Trinität: Das Kreuz kann nicht nur in der Heilsökonomie zu stehen kommen, sondern muß seinen Ort auch in der immanenten Trinität haben 189 . „Wenn der zentrale Erkenntnisgrund für die Trinität das Kreuz ist, an das der Vater den Sohn durch den Geist für uns dahin gibt, dann läßt sich keine Wesenstrinität im transzendenten Urgrund dieses Geschehens denken, in der Kreuz und Hingabe nicht vorkommen" 190 . Moltmann will seine Interpretation der Trinität als ein Geschehen zwischen Vater und Sohn im Geist am Kreuz jenseits der Unterscheidung von immanenter und ökonomischer Trinität nun bewähren, indem er zeigt, daß die ökonomische Trinität nicht nur die immanente Trinität offenbart, sondern auch auf diese zurückwirkt 191 . So fragt Moltmann, was die opera trinitatis ad extra für Gott bedeuten. Intendiert die Unterscheidung der opera trinitatis ad extra, die Moltmann interessanterweise (s.u.) als „,die Schöpfung des Vaters', die ,Menschwerdung des Sohnes' und die .Verklärung des Geistes'" 192 begreift, zu klären, was Gott für die Welt bedeutet, so will Moltmann nun nach der „Wechselwirkungen" 193 fragen, d. h. was die Welt für Gott bedeutet194. Daher will Moltmann bei allen opera trinitatis ad extra „nach den damit verbundenen opera trinitatis ad intra - der Liebe des Vaters zum Sohn, der Liebe des Sohnes zum Vater und der Verherrlichung des Vaters und des Sohnes durch den Geist - fragen" 195 . „Wie Gott durch sein Handeln aus sich herausgeht und seine Welt prägt, so prägt seine Welt durch ihre Reaktionen, Abirritationen und Eigeninitiativen auch ihn: gewiß nicht auf die gleiche Weise, doch ohne Zweifel auf ihre Weise. Ist Gott Liebe, dann verströmt er nicht nur, sondern dann erwartet er auch und braucht Liebe" 196 . Gerade hier nimmt Moltmann seinen Gedanken aus „Der gekreuzigte Gott" erneut auf: Hat

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So Moltmanns eigene Zusammenfassung der Pointe seines Buches „Der gekreuzigte Gott" (vgl. ders., Trinität und Reich Gottes, S. 176). Vgl. a. a. O., S. 177. Ebd. So explizit a. a. O., S. S. 177. Vgl. a. a. O., S. 112. A. a. O., S. 113. Vgl. ebd. Ebd. - Moltmann entfaltet dies im einzelnen an der Schöpfung des Vaters (vgl. a. a. O., S. 119ff), der Menschwerdung seines Sohnes (vgl. a. a. O., S. 129ff) und der Verklärung des Geistes (vgl. a. a. O., S. 137ff). A. a. O., S. 114.

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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Moltmann Gott als das Geschehen zwischen Vater und Sohn im Geist zu verstehen gelehrt - und das heißt: Gott als das Geschehen des Leidens am Kreuz identifiziert - so heißt dies für Moltmann, daß Gott Heil nach außen schafft, und nach innen das Unheil an sich selbst erleidet197. ,,[D]ie Hingabe des Sohnes für uns am Kreuz [wirkt] auf den Vater zurück und verursacht unendlichen Schmerz. Am Kreuz schafft Gott Heil nach außen für seine ganze Schöpfung und erleidet zugleich das Unheil der ganzen Welt nach innen an sich selbst. Den opera trinitatis ad extra entsprechen die passiones ad intra. [...] Der Schmerz des Kreuzes bestimmt das innere Leben des dreieinigen Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit" 198 . Hat Moltmann seinen Gedanken, daß die Trinität als Geschehen, Gott mithin als Geschichte zu bezeichnen ist, noch einmal verdeutlicht, indem er die Durchdringung von immanenter und ökonomischer Trinität zeigt und dabei Gott ganz in diesem Geschehen aufgehen läßt, so kommt er denn auch zu dem Schluß, daß diese Geschichte nur in Form einer Erzählung zum Ausdruck gebracht werden kann 199 , d. h. daß man in der Lehre von der immanenten Trinität im Grunde nur erzählen darf 0 0 . Unterstellt die augustinische Unterscheidung zwischen den opera trinitatis ad extra und den opera trinitatis an intra ein Einheit nach außen und eine Dreiheit nach innen, so zeigt Moltmann, daß das Kreuzesgeschehen selbst nur trinitarisch zu verstehen ist 201 . Damit aber kommt auch Moltmann über das einlinig prozessuale Wirken nicht hinaus. Moltmann verwirft zwar - wie auch Jüngel - völlig zu Recht das einheitliche Wirken nach außen bei einer (nur) innertrinitarischen Dreiheit, doch erreicht Moltmann selbst nur ein - zwar spannungsvolles und dialektisches einliniges Geschehen. Moltmann besitzt - hat er Gottes An-sich-Sein ganz in seinem Handeln für uns am Kreuz aufgehen lassen - nicht mehr die Möglichkeit, ein Handeln Gottes zu konstituieren, daß nicht sein Handeln am Kreuz ist. Wird mithin das Kreuz zur ewigen Signatur Gottes, so stellt sich auch bei Moltmann wieder das Problem ein, daß das Christusgeschehens notwendig wird. Moltmann hat dieses Problem wohl gesehen und versucht sich ihm zu stellen, indem er die Unterscheidung zwischen Heilsgeschehen und Schöpfungsglauben reflektiert. Er begreift die Schöpfungsgeschichte als Vorgeschichte zur Heilsgeschichte; denn weder im Schöpfungsbericht des Jahwisten noch in der Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift sei mit der Schöpfung im Anfang ein paradiesischer Urzustand intendiert202. Vielmehr solle - wie im Alten - so auch im Neuen Testament der Schöpfungsglaube „die universale Bedeutung des erfahrenen Heils erweisen und dieses als das Heil des Universums darstellen" 203 . Gerade hierin liegt nach Moltmann auch die Bedeutung der Schöpfungsmittlerschaft Christi begründet: Weil Christus Grund des Heils der ganzen Schöpfung ist, ist er auch der Grund 197 198 199 200 201 202 203

Vgl. ders., Trinität und Reich Gottes, S. 177. A. a. O., S. 177. So zu Recht Bauckham, Jürgen Moltmann, S. 282. Vgl. Moltmann, Trinität und Reich Gottes, S. 206. Vgl. A. a. O., S. 177. Vgl. a. a. O., S. 115. A. a. O., S. 117.

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Exkurs 1

der Existenz der Schöpfung 204 . Der Vater schafft die Welt in seiner Liebe zum Sohn und damit auch durch den Sohn 205 . Damit gilt zum einen, daß die Welt zur Gemeinschaft mit dem Sohn bestimmt ist206, zum anderen, daß der Sohn als Schöpfungsmittler zur Menschwerdung ewig bestimmt ist. „Der trinitarisch notwendige Gedanke der Schöpfungsmittlerschaft des Sohnes steht in Korrelation zu dem Gedanken der Menschwerdung des Sohnes Gottes und zu dem Gedanken der Herrschaft des Menschensohnes" 207 . Damit stellt Moltmann die entscheidende Frage nach der Notwendigkeit der Inkarnation: Entweder ist die Inkarnation um der Sünde - als Notmaßnahme Gottes zur Überwindung der Not der Sünde - willen notwendig oder aber sie ist von Ewigkeit her in Gottes Absicht, d. h. sie gehört „zur ewig sich mitteilenden Liebe Gottes selbst" 208 . Moltmann lehnt die Menschwerdung des Sohnes als Maßnahme zur Überwindung der - kontingenten - Sünde ab, weil - so Moltmann - in diesem Verständnis die Menschwerdung nur zur funktionalen Voraussetzung der Versöhnung wird und keine eigene Bedeutung mehr besitzt. Durch dieses Verständnis - so Moltmann - wird die gottmenschliche Verbindung nach der vollbrachten Versöhnung aufgelöst 209 . Beide Einwände Moltmanns sind jedoch problematisch: Zum einen zeigt der Duktus der neutestamentlichen (vornehmlich paulinischen) Schriften, daß die Menschwerdung tatsächlich im Dienst der Versöhnung als ihre gedankliche Voraussetzung steht. Zum anderen ist es keinesfalls so, daß nach der vollbrachten Versöhnung die gottmenschliche Verbindung überflüssig wird, ist es doch das in Jesus Christus beschlossene Heil, in dem der Mensch steht und in das er einbezogen werden muß. Aufgrund seiner Einwände jedoch plädiert Moltmann für die zweite Lösung: Die Menschwerdung des Sohnes vollendet die Schöpfung 210 . Wir erfahren nun auch, warum Moltmann den paradiesischen Urzustand ablehnte: Die Schöpfung am Anfang ist eine zu vervollkommnende, d. h. eine verbesserungswürdige und darum verbesserungsfähige. Moltmann ist an der Menschwerdung des Sohnes als ewig in Gottes Absicht liegend interessiert, um die Menschwerdung nicht bloß als das Weltverhältnis Gottes betreffend auffassen211 zu müssen, sondern auch als sein Selbstverhältnis betreffend zur Geltung

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Vgl. a. a. O., S. 117. Vgl. a. a. O., S. 127. Vgl. ebd. Ebd. A. a. O., S. 129. Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., S. 130. Dieses Verständnis begreift Moltmann folgendermaßen: „Gott kann die Sünder durch die Sendung seines Sohnes retten, er muß es aber nicht. Sein eigenes Werk bleibt durch die Sendung seines Sohnes unberührt. Er hat durch die menschliche Sünde nicht gelitten und gewinnt durch die Versöhnung der Welt nichts hinzu. Hat der menschgewordene Gottessohn die Versöhnung der Welt in Gott vollbracht, dann wird er selbst überflüssig. Das liegt schon im Begriff des Mittlers, sonst würde der Mittler zum Verhinderer. In der einst erlösten und von Sünde

D a s Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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zu bringen 2 1 2 . So unterscheidet M o l t m a n n die M e n s c h w e r d u n g des Sohnes als ewige Absicht Gottes von dem Kreuzesgeschehen. Die M e n s c h w e r d u n g des Sohnes ist - so M o l t m a n n - die „vollendete Selbstmitteilung des dreieinigen Gottes an seine Welt" 2 1 3 , das Kreuz hingegen, d. h. ,,[d]aß aber der menschgewordene Sohn von der Krippe bis zum Kreuz die Gestalt des Knechtes a n n e h m e n m u ß , u m durch sein Leiden zu heilen und durch seinen T o d zu retten" 2 1 4 , ist durch die Sünde bedingt. M o l t m a n n spricht daher von einem sowohl als auch: Im Kreuz ist somit sowohl die durch die Sünde bedingte Versöhnung geschehen als auch die Vollendung der Schöpfung. So behauptet M o l t m a n n - in einer doch höchst zweifelhaften Bezugnahme auf Paulus - 2 1 5 , d a ß das Ungleichgewicht von Sünde und G n a d e zu einem M e h r w e r t der G n a d e führe, die anfängliche Schöpfung zur neuen Schöpfung hin zu verändern 2 1 6 . „ D a r a u s folgt, d a ß der Sohn Gottes nicht allein um der Sünde der Menschen willen Geschöpf geworden ist, sondern viel mehr noch um der Vollendung der Schöpfung willen" 2 1 7 . D a m i t ist die ursprünglich geschaffene Welt eine „ o f f e n e " Welt, die der M e n s c h w e r d u n g des Sohnes als Ebenbild Gottes bedarP 1 8 . Und so formuliert M o l t m a n n d a n n - wir fühlen uns an Barth erinnert - d a ß die M e n s c h w e r d u n g der Absicht nach der Schöpfung vorhergeht 2 1 9 - freilich ohne wie Barth zu behaupten, die Versöhnung gehe der Absicht nach der Schöpfung vorher. So teilt sich erst in der M e n s c h w e r d u n g der dreieinige Gott ganz mit 220 . Und gerade hier wird deutlich, was die Welt f ü r G o t t bedeutet: In der Menschwerdung gewinnt der Vater in dem Sohn und dem Ebenbild ein zweifaches Gegenüber seiner Liebe und erfährt so die zweifache Erwiderung seiner Liebe 221 . „Er wird dadurch reicher u n d seliger" 2 2 2 . gereinigten und vom Tod befreiten Schöpfung hat der Gottmensch keinen Platz mehr. Der Irrweg jeder funktionalen und nur soteriologischen Christologie wird in dieser ihrer Selbstaufhebung offenkundig. [...] In der Menschwerdung des Sohnes liegt aber mehr als nur ein Mittel zu einem Zweck" (ebd.). 212 Vgl. ebd. 2 " A. a. O., S. 131. 214 Ebd. 215 So nimmt Moltmann Bezug auf Rom 5, 20: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade noch viel mächtiger geworden." Aus Paulus Bemühen zu zeigen, daß die göttliche Gnade auch stärker ist als die durch das Gesetz zur Feindschaft gesteigerten Sünde (vgl. u. a. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, S. 82), folgert Moltmann - doch höchst problematisch - den Mehrwert der Gnade gegenüber der ursprünglichen Schöpfung. 216 Vgl. ebd. 217 Ebd. 218 Vgl. a. a. O., S. 132. 219 Vgl. ebd. 220 Vgl. a. a. O., S. 136. 221 Vgl. ebd. 222 Ebd. - Liegt in Moltmanns Verständnis der göttlichen Liebe, die durch die Erwiderung der Liebe des Menschen und des Sohnes noch „reicher und seliger" wird eine Opposition zu Jüngel Konzeption der Selbstlosigkeit der Liebe Gottes (vgl. u. a. ders., Das Verhältnis von ökonomischer' und ,immanenter' Trinität, S. 270f) vor?

136

Exkurs 1

Die Unterscheidung zwischen einer von Ewigkeit her in Gottes Absicht liegenden Menschwerdung und der durch die Kontingenz der Sünde bedingten Versöhnung am Kreuz ist jedoch nur eine Scheinlösung. Zum einen ist diese Differenzierung biblisch an keiner Stelle gedeckt. Hat die Menschwerdung des präexistenten Logos die Funktion, die Würde des Erlösers zu prädizieren, so reißt Moltmann - doch in höchstem Maße spekulativ - beides auseinander. Zum anderen muß Moltmann von einer noch ergänzungsbedürftigen Schöpfung ausgehen. Damit kann er aber weder dem „sehr gut" der ursprünglichen Schöpfung Rechnung tragen, noch die Unerklärbarkeit der Sünde festhalten: Sie wird erklärlich, weil die Menschen der Vollkommenheit des Ebenbildes noch entgegen harrten. Der Bruch, den die Sünde darstellt, droht damit überspielt zu werden. Das Problem Moltmanns liegt nicht an einer „übertriebenen Kreuzestheologie" 223 , nicht darin, daß das Kreuz als „absolutes und ausschließendes hermeneutisches Kriterium" 224 in Anschlag gebracht wird, sondern darin, daß Moltmann nicht zur Geltung zu bringen vermag, daß Gottes Handeln im Kreuzesgeschehen nicht aufgeht 225 - nicht also in Moltmanns Hermeneutik, sondern in ihrer ontologischen Fundierung. Die Souveränität Gottes ist vielmehr auch im Kreuzesgeschehen festzuhalten 2 2 6 . „Gottes Sein ist nicht nur im Leiden" 227 . Ist der als offener Prozeß, in den die Menschen einbezogen werden, begriffene Gott - wie schon betont wurde - dem Menschen gegenüber nicht souverän, so gilt es in unserem Zusammenhang besonders darauf aufmerksam zu machen, daß Gott auch selbst diesem Geschehen gegenüber nicht souverän ist. Doch gilt - im Interesse der Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung - gegen Moltmann zur Geltung zu bringen: Gott wirkt nicht nur im Kreuz; Gott ist Erlöser und Schöpfer. Er handelt in der Erlösung anders als in der Schöpfung. Dies kann aber nur gedacht werden, wenn die Souveränität Gottes 228 auch gegenüber seinem Erlösungsgeschehen betont wird, der Gedanke wird hingegen verunmöglicht, wenn Gott mit dem Erlösungsgeschehen identifiziert wird. So hat Kasper völlig zu Recht seine Kritik an Moltmanns Konzeption auf die Unterscheidung und Zuordnung von Schöpfung und Erlösung gerichtet 229 .

223 224 225

226 227 228

229

So Modin, Der gekreuzigte Gott, S. 106. A. a. O., S. 107. So völlig zu Recht Lochmann: „Ist eine Gotteslehre ohne Kreuz keine christliche Gotteslehre, so geht christliche Gotteslehre in der Kreuzesperspektive nicht auf" (ders./Dembowski, Gottes Sein ist im Leiden, S. 33). Vgl. a. a. O., S. 33. Ebd. Durchaus zu Recht macht Welker darauf aufmerksam, daß den meisten Anfragen an Moltmanns Konzeption gerade die Souveränität Gottes nicht gewahrt zu sein scheint (vgl. ders., Einleitung: Diskussion über Jürgen Moltmanns Buch „Der Gekreuzigte Gott", S. 9). Vgl. Kasper, Revolution im Gottesverständnis, bes. S. 147. - Zwar ist Moltmann in seiner Entgegnung auf Kasper auf den Kern von dessen Kritik, nämlich die problematischen Zuordnung von Schöpfung und Erlösung, nicht eingegangen

D a s P r o b l e m der t r i n i t ä t s t h e o l o g i s c h e n R e f l e x i o n

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M o l t m a n n s A u f h e b u n g der Unterscheidung zwischen einer i m m a n e n t e n und einer ö k o n o m i s c h e n T r i n i t ä t geht zwar nicht den W e g , eine innertrinitarische Beziehung zu beschreiben, die nur ein einliniges H a n d e l n G o t t e s zu d e n k e n e r l a u b t , aber i n d e m M o l t m a n n das G e s c h e h e n a m K r e u z selbst als G o t t identifiziert, k o m m t auch er über ein einliniges H a n d e l n G o t t e s nicht hinaus.

3. Die Grenze der Trinitätslehre 3.1 Widerspruch gegen die Behauptung der Einheit des Handelns Gottes Die in diesem Exkurs namhaft zu machende Gefahr, vor der die trinitätstheologische Reflexion steht und der sie, wie sich zeigte, teilweise auch erlegen ist, besteht gerade darin, aus dem zu unterscheidenden Wirken des einen Gottes das einfache Wirken eines dreifachen Gottes zu machen. Es droht - unter dem Schlachtruf: opera trinitatis ad extra sunt indivisa230 - innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion ein einfaches Handeln Gottes statuiert zu werden, das die notwendige Unterscheidung zwischen Gottes erlösendem Handeln und seinem schöpferischen Handeln gar nicht zur Geltung bringt. Ist Gottes schöpferisches Wort - als die Möglichkeitsbedingung auch der menschlichen Feindschaft zu Gott von seinem die Feindschaft der Welt zu ihm überwindenden erlösenden Wort in der Weise zu unterscheiden, daß Gottes erlösendes Wort als wirklich neues Wort gegenüber seinem schöpferischen Wort zur Geltung gebracht wird, das aus dem schöpferischen Wort weder abgeleitet noch auf das schöpferische Wort abgebildet werden kann, widerstreben somit Gottes schöpferisches und sein erlösendes Handeln dagegen, in ein ein-

230

(vgl. M o l t m a n n , , D i a l e k t i k , die umschlägt in Identität' - was ist das?), doch hat Kasper hier nicht lockergelassen und diese Frage erneut aufgegriffen (vgl. ders., Zur Sachfrage: Schöpfung und Erlösung): Moltmanns christologische Engführung wird von Kasper der Kritik unterzogen (vgl. a. a. O., S. 157), wobei sich Kaspers Kritik jedoch nicht als eine Kritik an Moltmanns hermeneutischem Ausgangspunkt begreifen läßt. Vielmehr stimmt Kasper Moltmann ausdrücklich darin zu, daß erst von Christus her der Sinn der Schöpfung entziffert werden kann (vgl. Kasper, Zur Sachfrage: Schöpfung und Erlösung, S. 1 5 8 ) , doch schärft Kasper gegen Moltmann - ein, daß zwischen einer schon in der Schöpfung begründeten Entsprechung zwischen Gott und Mensch und dem Christusgeschehen wohl zu unterscheiden ist (vgl. ebd). In unserem Exkurs ging es freilich keineswegs um die Ablehnung der Formel „Opera trinitatis ad extra sunt indivisa", vielmehr sollte ausschließlich die problematische Verwendungsweise dieser Formel hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln markiert werden.

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Exkurs 1

faches Handeln Gottes aufgehoben zu werden, so zeigte sich innerhalb der namhaft gemachten trinitätstheologischen Konzeptionen die Tendenz, Gottes Handeln in Christus ausschließlich als Offenbarung des schöpferischen Handeln Gottes zu begreifen und so die unterschiedlichen Intentionen des schöpferischen und des erlösenden Handeln Gottes zu überspielen. So zeigt sich vornehmlich in einigen neueren Rekonstruktionen der trinitätstheologischen Lehrbildung die Tendenz, ein einfaches lediglich dreifach strukturiertes - Handeln Gottes zu statuieren. Anstatt das verschiedene Gegenwärtig-Sein Gottes in seinen unterschiedlichen Handlungen zu betonen, wird - unter dem Schlachtruf „opera trinitatis ad extra sunt indivisa" - betont, daß jedes Handeln Gottes dreifach strukturiert ist; eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Handlungsweisen - und damit das nicht zuletzt auch von Luther betonte Interesse des Glaubensbekenntnisses an Gottes dreifachem Wirken - wird aber gerade nicht mehr zur Geltung gebracht. Zu Recht bemerkt Ebeling, daß zwar ,,[e]in Grundsatz der augustinischen Trinitätslehre, der die innergöttliche Trinität gegen die Auflösung in eine rein ökonomische Trinität absicherte, lautete: Opera trinitatis ad extra sunt indivisa" 2 3 1 , doch - so Ebeling - ,,[t]rotz dieser Zuordnung der opera ad extra zur Trinität als solcher bleiben sie nun aber doch in bestimmter Weise den einzelnen Personen zugeeignet. Gemäß der Ökonomie des göttlichen Ratschlusses besteht eine Appropriation des Werkes der Schöpfung zur Person des Vaters, des Werkes der Versöhnung zur Person des Sohnes und des Werkes der Vollendung zur Person des Geistes" 2 3 2 . Wird das je verschiedene Gegenwärtig-Sein Gottes bei den zu unterscheidenden Handlungen Gottes ersetzt durch ein verschiedenes Gegenwärtig-Sein Gottes bei einer Handlung, gerät - und hierauf kommt es in diesem Zusammenhang an - die Differenz zwischen dem schöpferischen und dem versöhnenden Wort Gottes aus dem Blick.

3.2 Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums"? Die Gefahr der trinitätstheologischen Reflexion, das Überspielen der zu unterscheidenden Handlungen Gottes, hat gerade Bayer deutlich erkannt: So richtet sich Bayer „[gjegen die ungeduldige - spekulative - Verallgemeinerung des Bekenntnisses zu Gott dem dreieinigen" 233 und plädiert für eine genauere Bestimmung der Trinitätslehre im Gesamtzusammen231 232 233

Ebeling, Dogmatik III, S. 5 3 8 . A. a. O., S. 5 3 9 . Bayer, Poetologische Theologie?, Sp. 11 (in der Quelle hervorgehoben.).

Das Problem der trinitätstheologischen Reflexion

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hang der systematischen Theologie 234 . Bedenkt die Trinitätslehre das Evangelium, so will sie Bayer in Aufnahme des Diktums von Baur als „Summe des Evangeliums" 235 explizieren. Will Baur damit zum Ausdruck bringen, daß ,,[d]as Wort von der Dreieinigkeit [...] sich der Erfahrung am Evangelium verdankt und es [...] sich [bewährt], indem es das ursprüngliche Zeugnis des Evangeliums gegenwärtig erschließt" 236 eine sicherlich notwendige Erinnerung, die die Trinitätslehre vor der Abstraktion bewahren soll - 2 3 7 , so will Bayer mit der Bezeichnung der Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums" nicht bloß zum Ausdruck bringen, daß die Trinitätslehre von der Erfahrung des Handelns Gottes in Christus ihren Impetus gewinnt, sondern damit die Identifikation der Trinitätslehre mit der Gotteslehre aufheben, die die Trinitätslehre zur allgemeinen Gotteslehre macht 238 . Gilt es die Unterscheidung des Handelns Gottes ernst zu nehmen, handelt Gott somit nicht nur im Evangelium, so hat die Trinitätslehre nach Bayer „nichts anderes als das Evangelium"239 zu bedenken, d. h. „das Befreiungsgeschehen: die Freiheit, die uns Christus erworben und gebracht hat und die er uns gegenwärtig im Wort des Heiligen Geistes zuspricht und mitteilt" 240 . Damit loziert Bayer die Trinitätslehre, die Gottes Handeln in Christus zu bedenken hat, innerhalb der allgemeinen Gotteslehre, die daneben noch Gottes gesetzgebendes, sein schöpferisches und erhaltendes Handeln, sowie sein Wirken in der schlechthinnigen Verborgenheit zu bedenken hat: „Bedenkt die Trinitätslehre das reine Evangelium und nichts als das Evangelium, dann läßt sich dem dreieinigen Gott nicht einfach das 234 235 236 237

238

239 240

Vgl. a. a. O., Sp. 12. Vgl. ders., Poetologische Trinitätslehre, S. 76. Baur, Die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums, S. 1 1 5 . In dieser Hinsicht kann auch Schwöbel die Trinitätslehre als Summe des Evangeliums bezeichnen: „Die Trinitätslehre kann nur dann vor der Gefahr der Abstraktion vom Zusammenhang christlichen Glaubens und Lebens bewahrt werden, wenn sie als begriffliche Rekonstruktion dessen konzipiert wird, was Grund und Inhalt christlichen Glaubens und Lebens ist. Der Ansatz der Entfaltung der Trinitätslehre beim Glaubensbekenntnis, ihre Entfaltung als ,Summe des Evangeliums' oder ihre Verortung im Kontext der Doxologie sind darum nicht alternative Wege trinitarischer Theologie, sondern müssen im Blick auf das ihnen gemeinsame, in Evangelium, Bekenntnis und Doxologie je in besonderen Aspekte akzentuierte Grundgeschehen entfaltet werden. Insofern gilt, daß die Trinitätslehre die begriffliche Explikation des im Gottesverhältnis des christlichen Glaubens enthaltenen Gottesverständnis ist" (ders., Trinitätslehre als Rahmentheorie des christlichen Glaubens, S. 140f). Vgl. Bayer, Poetologische Trinitätslehre, S. 76ff; ders., Poetologische Theologie?, Sp. 11 ff. A. a. O., S. 12. Ders., Poetologische Trinitätslehre, S. 76.

140

Exkurs 1

tötende Gesetz zuschreiben. Wer bedekennt, daß der, der im Gesetz gegen mich spricht, und der, der im Evangelium für mich spricht, ja für mich eintritt, einer und derselbe ist, sagt das Paradox eines Wunders, das nicht etwa durch die Annahme einer selbstverständlichen Selbigkeit Gottes entschärft werden kann. Dieses Problem wird gewöhnlich verharmlost, indem das tötende Gesetz selbstverständlich als Handeln des dreieinigen Gottes verstanden wird. Wenn aber die Trinitätslehre allein und spezifisch das Evangelium - nichts anderes als Gottes Liebe - bedenkt und wenn das Geschick des verlorenen Menschen nicht nur der Verkehrung seiner Freiheit zuzuschreiben ist, sondern er es auch noch in dieser Verkehrung mit ,Gott' zu tun hat, dann ist es unumgänglich, von der Trinitätslehre eine allgemeine' Gotteslehre und Anthropologie zu unterscheiden und beide nicht ineinander fallen zu lassen. Eine solche allgemeine' Gotteslehre thematisiert den vorchristlichen Menschen, der unter Gottes Forderung und Anklage steht. [...] Die von der Trinitätslehre zu unterscheidende allgemeine' Gotteslehre und Anthropologie bezieht sich jedoch nicht nur auf die Erfahrung des anklagenden und tötenden Gesetzes. Sie bezieht sich des weiteren auf das Erfahrungsfeld dessen, was Luther mit dem ,primus usus legis', dem ,usus politicus', bezeichnet. Nicht zuletzt bezieht sie sich auf das Widerfahrnis jener uns f...] unbegreiflichen und schrecklichen Verborgenheit Gottes, in der er sich in einer dunklen, unendlich fernen und zugleich unendlich nahen verzehrend, verbrennend, bedrängend nahen - Macht verbirgt" 241 . Die Trinitätslehre artikuliert somit nach Bayer ausschließlich die durch den Geist Gottes gewirkte Erfahrung des in Christus ergangenen Freispruches Gottes und bildet damit nur ein Element der Gotteslehre, die neben der in der Trinitätslehre artikulierten Erfahrung des Freispruches in Christus in einer „allgemeinen Gotteslehre" auch die Erfahrung des Todesurteils des Gesetzes Gottes, die Erfahrung des schöpferisch-erhaltende Wirken Gottes und die Erfahrung der schrecklichen Verborgenheit Gottes enthält. Nun sind in diesem ausführlichen Zitat Unterscheidungen angesprochen, die noch nicht im Blickfeld dieses sich auf die Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung konzentrierenden Kapitels liegen: Gottes Wirken im Gesetz und Gottes schlechthinnige Verborgenheit. Es bleibt den beiden folgenden Kapiteln vorbehalten, auf die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und auf die Unterscheidung zwischen dem verborgenen und dem offenbaren Handeln Gottes zu sprechen zu kommen. Entscheidend aber ist, daß Bayer auf die unübersehbare Gefahr der trinitätstheologischen Reflexion aufmerksam macht: das 241

Ders., Poetologische Theologie?, Sp. 12.

Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung

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Überspielen von Irreduzibilität durch den ungeduldigen Versuch, Einheit zu denken. Die Konsequenzen dieses Versuches für die Unterscheidung von Gottes schöpferischem und Gottes erlösendem Handeln wurden in diesem Exkurs thematisch gemacht. Geht es in diesem Exkurs auch nicht um die Trinitätslehre selbst, so sei doch gefragt, ob die Trinitätslehre ausschließlich die Versöhnung Gottes in Christus zu reflektieren und deshalb ausschließlich Gottes erlösendes Handeln zur Darstellung zu bringen hat. Ist es die trinitarische Struktur des Apostolikums, der die trinitätstheologische Reflexion ihren Impetus verdankt und der es daher Rechnung zu tragen gilt, so hat die Trinitätslehre neben dem Evangelium und der Erschließung durch den Geist auch die Schöpfung zu bedenken 2 4 2 . Wird dies allerdings der. trinitätstheologischen Reflexion zur Aufgabe gemacht, so ist sie freilich einer Gefahr ausgeliefert, vor der sie bei Bayer geschützt ist: die Irreduzibilität von Schöpfung und Erlösung zu überspielen. Es zeigte sich bereits, daß die trinitätstheologischen Konzeptionen dieser Gefahr nicht immer gewachsen sind.

3 . 3 Verzicht auf die trinitätstheologische Spekulation? Ist die Trinitätslehre kein unmittelbarer Ausdruck des Glaubens, vielmehr ein Interpretament mit der Gefahr einer eigenen Schwerkraft und eigenständigen Dynamik, so versucht Joest ganz von der ökonomischen Selbstbewegung Gottes auszugehen und von hier aus nach der Bedeutung der immanenten Trinität zu fragen 2 4 3 . Statt zwischen einer Person des Vaters, des Sohnes und des Geistes zu unterscheiden, spricht Joest von verschiedenen „ O r t e n " , „in die Gott kommt, um seine Selbstbewegung zur Einholung des Menschen in das Zusammensein mit ihm zu vollziehen" 2 4 4 . Dies will Joest aber nicht modalistisch verstanden wissen, viel242

Dann will auch das schöpferische W i r k e n Gottes als die Möglichkeitsbedingung für das erlösende W i r k e n Gottes in der trinitätstheologischen Reflexion zur Geltung gebracht sein. Steht das schöpferische W i r k e n in Beziehung zu dem erlösenden W i r k e n als die Möglichkeitsbedingung für Gottes erlösendes W i r k e n , so gilt es in der Trinitätslehre gerade diese Beziehung zum Ausdruck zu bringen, indem der Vater als der Konstitutionsgrund der geschöpflichen Wirklichkeit, der Sohn als die Heilung der zerbrochenen Gottesbeziehung und der Geist als die Erschließung der Heilung der zerbrochenen Gottesbeziehung zur Geltung gebracht wird.

243

Vgl. Joest, D o g m a t i k I, bes. S. 3 3 5 . A. a. O . , S. 3 3 6 . Vgl. hierzu auch M a u r e r , Tendenzen der neueren Trinitätsforschung, S. 6f.

244

142

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

mehr ist Gott „in jedem dieser Orte so gegenwärtig, daß er damit nicht aufhört, es auch an den je anderen Orten zu sein" 245 . Gleichzeitig ist Joest jedoch auch darum bemüht, die immanente Trinität nicht in die ökonomische aufzulösen, sondern das Interesse an der Betonung der immanenten Trinität ernst zu nehmen. Die Selbstbewegung Gottes zum Menschen ist auch eine Bewegung in Gott selbst246. „Gott wird in je diesen ,Orten' verschieden gegenwärtig und ist doch in jedem ganz gegenwärtig, in keinem von seiner Gegenwart in den je anderen geschieden"'247. Mehr möchte Joest denn auch nicht sagen: ,,[V]or einem darüber hinausgehenden gedanklichen Eindringen in das Wie dieses innergöttlichen Verhältnisses steht der theologischen Reflexion Zurückhaltung an" 248 . Sieht Joest in der Betonung der immanenten Trinität das rechtmäßige Anliegen, die Souveränität Gottes gegenüber seinem Handeln zu wahren, indem gezeigt wird, daß Gott durch seine Offenbarung nicht erst zu dem wird, der er ist, vielmehr daß Gott sich als der offenbart, der er ist249, so muß doch nach Joest die theologische Reflexion nicht, um diese wichtige Aussage zu betonen, über das genaue Wie des innergöttlichen Lebens vor und abgesehen von der Offenbarung spekulieren. So fragt Joest: „Ist es der Sinn der Offenbarung, daß Gott uns durch sie ein ,Bild', ein in Begriffe zu fassendes Wissen davon vermittelt, wie er in diesem ,Zuvor' in sich selber ist?"250. Ob man nun Joests Vorschlag zustimmt oder nicht, so wird man doch zumindest so viel zugestehen müssen, daß Joest die entscheidenden Anliegen der Trinitätslehre zur Geltung gebracht hat.

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250

Joest, Dogmatik I, S. 336. - „Jesus Christus ist der , O r t ' , in dem Gott mit uns geworden ist (und dieser ,Ort' ist in der T a t eine Person), ohne aufzuhören, als der Vater Christus gegenüber und über uns zu sein. Im Heiligen Geist macht Gott unser Selbst zu dem , O r t ' , in dem er ist und wirkt, ohne aufzuhören, in Christus mit uns und als Vater über uns zu sein" (ebd). Vgl. a. a. O., S. 337. - So hält Joest fest: „Indem Gott als der Vater der Ursprung der Sendung des Sohnes ist und bleibt, unterscheidet er sich in seinem Sein über uns und allem von seinem Sein mit uns als der Sohn. Indem er der Ursprung der Spendung des Heiligen Geistes ist, unterscheidet er sich als der Vater von seiner wirksamen Gegenwart in uns als der Geist; und in seinem Wirken in uns unterscheidet er sich auch von seinem Sein mit uns als der Sohn, dem uns dieses Wirken entgegenträgt" (ebd.). Ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 338. - „ H a t Gott sich dreieinig offenbart, d a n n ist er auch in sich selbst der Dreieinige. In seiner O f f e n b a r u n g entspricht G o t t sich so, wie er ,zuvor' in sich selber ist" (ebd.). A. a. O., S. 339.

Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung

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3 . 4 Fazit Die in diesem Exkurs geführte Auseinandersetzung mit der trinitätstheologischen Reflexion beansprucht nicht mehr (aber auch nicht weniger) zu sein, als die Forderung, die notwendige Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln in der Trinitätslehre nicht zu überspielen251. Als Fazit gilt es daher festzuhalten: 1. Es ist verständlich, daß Gottes je verschiedenes Gegenwärtig-Sein dazu führt zu versuchen, einen Begriff eines innergöttlichen Lebens zu konstituieren, der es erlaubt zu denken, wie es möglich ist, daß der eine Gott in verschiedenen Weisen (gleichzeitig) gegenwärtig ist. 2. Es ist sicherlich eine Gefahr, wenn der Ausgangspunkt bei dem göttlichen Wirken in den Hintergrund tritt, während die Frage nach dem wie des innergöttlichen Lebens zur Zentralfrage erhoben wird, so daß sich die Dynamik der Trinitätslehre verändert. 3. Es ist aber ein Irrweg, wenn die - von dem unterschiedlichen Wirken Gottes in Schöpfung und Erlösung losgelöste - Spekulation über ein dreifältiges innergöttliches Lebens zum Ausgangspunkt der Frage nach dem Handeln Gottes wird (d. h. das Interpretament zum Interpretandum wird) und nun statt eines dreifachen Wirkens des einen Gottes ein einfaches Wirken eines dreifachen Gottes statuiert wird, d. h. ein zwar dreifach strukturiertes - einheitliches Handeln Gottes entwickelt wird, das nicht mehr zwischen den Handlungen Gottes zu unterscheiden vermag. Gerade hiergegen ist aber im Interesse der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung zu widersprechen!

251

Es geht somit - wie bereits betont - nicht um die F o r d e r u n g , die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und erlösendem H a n d e l n in der Trinitätslehre zur Geltung zu bringen, sondern ausschließlich um die F o r d e r u n g , sie hier nicht aufzulösen.

Exkurs 2: Die Frage nach der Schöpfungsmittlerschaft Christi: Das Sein des Menschen Jesus als ewiges Sein bei Gott? 1. Die Funktion der Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi Es zeigte sich, daß die Explikation der notwendigen Unterscheidung von Gottes schöpferischem und erlösendem Wort es notwendig macht, auf die trinitätstheologische Reflexion einzugehen, besteht doch gerade innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion - wie dargelegt - die gefährliche Tendenz, diese notwendige distinctio aufzuheben und ein einfaches Handeln Gottes zu statuieren. Im Interesse einer angemessenen distinctio zwischen der kreatorischen und der versöhnenden Aktivität Gottes ist auch die Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi thematisch zu machen; denn gerade das Theorem der Präexistenz und das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft Christi 1 soll die Bezogenheit von Schöpfung und Erlösung - gegen ein marcionitisches Auseinanderreißen beider - festhalten: Es ist derselbe eine Gott, der die Welt geschaffen hat und der sie erlöst, der eine und selbe Gott handelt in der Schöpfung und in der Erlösung 2 . Dies Interesse an dem Theorem der Schöpfungsmittlerschaft hat Wingren deutlich hervorgehoben: So sieht Wingren in der Schöpfungsmittlerschaft Christi zum Ausdruck gebracht, daß Gottes zwei - wohl zu

1

2

So ist auch im Blick auf die „Präexistenz" und die „Schöpfungsmittlerschaft" Christi festzuhalten, daß die Präexistenzlehre nicht unmittelbarer Gegenstand der christlichen Heilsbotschaft ist, sondern „dem Ereignis Jesus Christus Hintergrund und Tiefe [gibt]" (Trillhaas, Dogmatik, S. 266). So auch Wingren, Schöpfung und Gesetz, S. 184: „Diese Einheit von Schöpfung und Erlösung, durch welche die biblische Heilsbotschaft sich absolut von den dualistischen Religionen unterscheidet, für welche Erlösung die Herauslösung aus dem geschaffenen Zusammenhang ist, und nicht die Wiederaufrichtung der erschaffenen Welt, findet ihren Ausdruck in dem eigentümlichen Zug des neutestamentlichen Schöpfungszeugnisses, nämlich dem, daß Christus als der Mittler sowohl der ersten als auch der zweiten Schöpfung verkündet wird. Christus ist das Schöpfungswort, mit dem Gott im Anfang aller Dinge erschafft".

Die Frage nach der Schöpfungsmittlerschaft Christi

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unterscheidende - Handlungen weder als einander widersprechend begriffen werden können, noch in der Weise vereinheitlicht werden dürfen, daß die Versöhnung als Vollendung der Schöpfung begriffen wird 3 . In der Versöhnung geschieht nach Wingren vielmehr die Wiederherstellung der ursprünglichen Schöpfung und gerade als solche - als Wiederherstellung der Schöpfung - ist die Versöhnung auf die Schöpfung bezogen. Diese Bezogenheit des Versöhungsgeschehens auf die Schöpfung wird nach Wingren in der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi thematisch4. Sieht so Wingren in der Schöpfungsmittlerschaft die ontologische Bezogenheit Christi auf die Schöpfung zum Ausdruck gebracht, so kann die Schöpfungsmittlerschaft Christi auch als Ausdruck der hermeneutischen Funktion des Christusereignisses in bezug auf die Schöpfung gedeutet werden: So macht nach Mildenberger die Schöpfungsmittlerschaft Christi deutlich, „daß es gerade Jesus Christus als das Wort Gottes ist, durch das sich der Schöpfer erschließt" 5 . Christus als Schöpfungsmittler zu begreifen, heißt - so Link - daher ihn zu begreifen als „Schlüssel, eine noch ungedeutete Welt theologisch zu entziffern" 6 . Schließlich bemerkt auch Bayer: „Erst in der von ihm hergestellten, durch sein Wort wirksamen Vermittlung redet die Natur als Schöpfung; er ist der Schöpfungsmittler" 7 .

2. Das problematische Verständnis der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi Wird in der Schöpfungsmittlerschaft Christi die unaufhebbare Zusammengehörigkeit von Schöpfung und Erlösung zum Ausdruck gebracht als Werke des einen Gottes - so besteht innerhalb der theologischen Reflexion über die Schöpfungsmittlerschaft die gleiche Gefahr wie innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion: das Überspielen der notwendigen Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln, indem nicht nur die Bezogenheit von Schöpfung und Erlösung zum Ausdruck gebracht wird, sondern eine Identität von beiden statuiert wird. Nicht zuletzt wird gerade innerhalb der trinitätstheo3 4

5 6 7

Vgl. a. a. O . , S. 4 I f f . Daher sprengen - so W i n g r e n - auch die Gebote Christi nicht die Forderungen der Schöpfung, sondern bringen diese Forderungen unter den Bedingungen der Sünde zur Geltung (vgl. a. a. O . , S. 4 8 f f ) . Mildenberger, Biblische D o g m a t i k I, S. 1 3 4 . Link, Schöpfung, S. 5 0 5 . Bayer, Schöpfung als Anrede, S. 7 6 .

146

Exkurs 2

logischen Reflexion das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft Christi dazu benutzt, die notwendige distinctio zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln zu überspielen. Zeigte sich schon in unserer Erörterung der trinitätstheologischen Reflexion die Gefahr, daß ein einfaches Handeln Gottes statuiert wird, indem Jesus Christus als ratio essendi - nicht nur als ratio cognoscendi - des Seins verstanden wird, so tritt dieses Problem selbstverständlich bei der Frage nach der Bedeutung der Schöpfungsmittlerschaft Christi explizit zutage: Wird der Mensch Jesus zum Schöpfungsmittler erhoben, dann ist die Nivellierung der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung zementiert. Dies zeigt sich in besonderer Deutlichkeit bei Barth: Unsere Auseinandersetzung mit Barth zeigte, daß bei Barth eine distinctio zwischen einem erlösenden Handeln Gottes in Jesus Christus und einem schöpferischen Handeln als „Aufspaltung" 8 abgelehnt wird, weil nach Barth ,,[a]lles, was von Gott her geschieht, ,in Jesus Christus' [geschieht]" 9 . Gott - so zeigte sich - wird somit nach Barth nicht nur in Jesus Christus erkannt, sondern existiert auch nicht ohne Jesus Christus10. Jesus Christus ist daher nicht nur der einzige Bereich, in dem sich Gott offenbart, sondern es ist auch der einzige Bereich in dem Gott handelt11 \ Und so ist Jesus Christus - Gottes den Menschen von der Sünde erlösendes Wort auch das Wort Gottes „durch welches Gott die Welt aus dem Nichts geschaffen hat" 1 2 . An dieser Stelle ist noch einmal deutlich hervorzuheben: Zwischen Jesus Christus und der Schöpfung besteht nach Barth nicht nur ein noetischer Zusammenhang, die Wirklichkeit der Schöpfung wird nicht nur in Jesus Christus erkannt, sondern dieser noetische Zusammenhang hat seinen Ursache nach Barth in einem ontologischen Grund: „Jesus Christus ist darum das Wort, durch das uns die Erkenntnis der Schöpfung vermittelt wird, weil er das Wort ist, durch das Gott die Schöpfung vollzogen hat" 1 3 . Dieser Gedanke - so Barth - ist aber in der Tradition merkwürdigerweise nicht ausgezogen geworden14. „Das erste, ewige Wort Gottes, das dem Schöpferwillen und Schöpferwerk als Anfang aller Dinge in Gott selber zugrunde liegt und vorangeht, heißt wirklich Jesus

8 9 10 11 12 13 14

K D I V / 1 , S. 4 0 0 . KD I I / 2 , S. 7. Vgl. KD I I / 2 , S. 5 6 4 . Vgl. KD III/1, S. 26. KD 1 / 1 , S. 4 6 5 ; vgl. a. a. O., 465ff. KD I I I / l , S. 2 9 . Vgl. KD I I I / l , S. 30ff.

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Christus, ist identisch mit ihm, der als wahrer Gott und wahrer Mensch, in der Zeit geboren, lebend, handelnd, leidend und überwindend die Versöhnung vollstreckt. Er und kein Anderer ist der Inhalt und die Gestalt von Gottes Gnadengedanken, Gnadenwillen, Gnadenbeschluß im Blick auf die Welt und den Menschen, bevor diese waren und indem er sie wollte und schuf" 15 . Daher kann auch die zweite Person der Trinität nach Barth nicht der logos asarkos sein; denn es hat „keinen Sinn, es wäre geradezu unerlaubt, auf das innere Sein und Wesen Gottes und im besonderen auf die zweite Person der Trinität als solche noch einmal in der Weise zurückzukommen, daß wir dieser auch noch eine andere Gestalt zuschreiben wollten als eben die, die sie sich, indem Gott sich nach außen offenbaren und handeln wollte, selbst gegeben hat" 1 6 . Der ewige Sohn Gottes ist nach Barth daher Jesus, kein dahinter liegender logos asarkos 17 . Er ist die von Ewigkeit her gefällte Entscheidung Gottes, so „daß es uns verwehrt ist, an ihr vorbei von einem ,Logos an sich' zu träumen, der noch nicht diesen Inhalt und diese Gestalt hätte, der ohne diesen Inhalt und diese Gestalt das ewige Wort Gottes wäre" 1 8 . So ist die Geschichte Jesu von Nazareth Gottes ewiges und erstes Wort, das „aller anderen Wirklichkeit zugrunde liegt und vorangeht" 19 . Daher „[haben] wir es in dieser Geschichte in der Tat mit dem Boden und Raum [zu tun], mit der Atmosphäre des Seins jedes Menschen, gleichviel, ob er tausend Jahre vor oder nach Jesus lebte" 2 0 . Damit ist bei Barth der Schöpfungsmittler nicht der präexistente logos asarkos, sondern der Mensch Jesus von Nazareth, die Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth ist der Seinsgrund des menschlichen Seins. Gerade diesen Gedanken haben wir auch in Jüngels trinitätstheologischer Reflexion festgestellt21: Wird Gott als ein Beziehungs- (und Liebes)geschehen gedacht, indem der Vater auf den Sohn und den Geist bezogen ist, so ist Gott schon in seiner ewigen Selbstbeziehung auf den Menschen Jesus von Nazareth bezogen 22 . So versteht auch Jüngel die „Entscheidung für den Menschen Jesus" 2 3 als „ Urentscheidung Gottes" 2 4 und behauptet, daß „die Schöpfungszeit von dem ,Urbild aller 15 16 17 18

" 20 21 22 23 24

K D I V / 1 , S. 5 4 . KD I V / 1 , S. 54f. Vgl. KD I V / 1 , S. 55. Ebd. Ebd. KD I V / 1 , S. 55f. Vgl. Exkurs 1 (bes. Kap. 2.3). Vgl. Jüngel, Thesen zur Grundlegung der Christologie, S. 2 7 7 f . Ders., Gottes Sein ist im Werden, S. 83. A. a. O., S. 84. Hervorhebung durch M.R..

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Zeit', von der in der Lebenszeit Jesu Christi urbildlichen Gnadenzeit her ermöglicht ist" 2 5 . Durchaus konsequent zu dieser Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung schlägt Jüngel dann auch vor, nicht nur den logos asarkos, sondern auch schon das verbum incarnandum als präexistenten Logos zu begreifen 26 . Was in der Menschwerdung geschieht so Jüngel - „muß dann ,immanent' bereits ontologisch intendiert oder zumindest doch in der Weise der Ermöglichung dieses Geschehens wirklich sein" 2 7 . Wird jedoch wie bei Barth und bei Jüngel das verbum incarnandum, Gottes kontingent-gescbicbtliche Antwort auf die sündhafte Entfremdung des Menschen, zum Seinsgrund des geschöpflichen Seins erhoben, so stellt sich doch die Frage, wie der Seinsgrund des geschöpflichen Seins, welcher doch als Möglichkeitsbedingung für den existentiellen Vollzug der geschichtlichen Existenz eine ontologische Priorität vor der Geschichte beanspruchen muß, in einer konkreten Geschichte in der Zeit erblickt wird, die sich erst im Laufe der menschlichen Geschichte ereignet. Zum einen fehlt es an der ,,enorme[n] Phantasie" 2 8 zu denken, wie dies möglich ist, zum anderen spitzt sich bei diesem Gedanken, der letztlich nur der Spitzensatz der Barthschen Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung ist, das in der Erörterung dieser Verhältnisbestimmung bereits namhaft gemachte Problem zu: Wie will die Kontingenz des Christusgeschehens, Gottes versöhnendes Handeln in der Geschichte Jesu von Nazareth, gewahrt werden, wenn diese Geschichte das strukturierende Prinzip des Seins selbst ist? Und wie will die Kontingenz der Sünde gewahrt werden, wenn die Überwindung der Sünde Gottes ursprüngliches - dem Einbruch der Sünde vorhergehendes - Wollen ist? Es zeigt sich, daß das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft Christi und seiner Präexistenz aus bestimmtem theologischen Interesse dankbar aufgegriffen werden kann: Die Präexistenz des Logos wird als Präexistenz des Menschen Jesus verstanden, die Schöpfungsmittlerschaft auf den Menschen Jesus übertragen und damit die Aussage zementiert,

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26 27

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Ders., Die Möglichkeit theologischer Anthropologie auf dem Grunde der Analogie, S. 5 4 4 . Vgl. ders., Das Verhältnis von ökonomischer und immanenter Trinität, S. 2 7 1 . Ebd. - Es wird allerdings noch zu fragen sein, ob es nicht ein entscheidender Unterschied ist zu behaupten, die Menschwerdung sei in der Schöpfung schon intendiert, oder zu behaupten, die Menschwerdung sei in der Schöpfung ermöglicht. Gegen Brunners gleichlautenden Einwand bemerkt Barth, daß es keiner „enormein] Phantasie" für diesen Gedanken bedürfe; leider zeigt er aber in diesem Zusammenhang nicht, wie man auch mit einer nur durchschnittlichen Phantasie diesen Gedanken erklimmen kann, sondern wiederholt ihn lediglich (vgl. KD IV/ 55f).

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daß Gott nur in Jesus Christus gehandelt hat, daß das erlösende Wort dem kreatorischen Wort vorhergeht und es bestimmt.

3. Verzicht auf das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft? Es ist m. E. durchaus verständlich, daß diese problematische Verwendungsweise des Theorems der Schöpfungsmittlerschaft Christi die Frage aufgeworfen hat, ob das Theorem der Schöpfungsmittlerschaft Christi damit nicht obsolet geworden ist. Es scheint schon per se dazu zu führen, das kontingent-geschichtliche Ereignis des Kreuzes zu ontologisieren. Größten Vorbehalt gegen dieses Theorem äußern daher beispielsweise Ratschow und Fritzsche. So urteilt Ratschow, daß die Rede vom Sein Gottes in Jesus zu ,,logische[n] Rückschlüsse[n] und Konklusionen [veranlaßt], von denen wir de facto nichts wissen und deren Wert für den Glauben gleich Null ist" 2 9 . Daher mahnt Ratschow: „Der Glaube lebt in dem Bereich der Weltzugewandtheit Gottes. Jeder Schritt über diesen Bereich hinaus führt in die ungewisse Dämmerung mehr oder weniger wahrscheinlicher Vermutungen, die auf logischen Rückschlüssen ruhen. Die christliche Botschaft ist Heilslehre, keine Theosophie" 30 . Wendet sich Ratschow so gegen eine Entwicklung der Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi, weil er schon durch diese Vorgehensweise an sich eine dem Glauben fremde Spekulation vermutet, so möchte Fritzsche den Begriff der Schöpfungsmittlerschaft Christi aus dem Grund verabschieden, weil Jesus Christus hinsichtlich der Schöpfungswirklichkeit „wohl ratio cognoscendi, aber nicht ratio bzw. causa essendi [ist]" 31 . Durch die Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi wird die Versöhnung dann nicht mehr individuell-subjektiv, sondern als kosmisches Drama gedacht32. „Jesus Christus ist nicht causa oder ratio essendi der Welt als Schöpfung Gottes, sondern ratio cognoscendi. Sein Mittlertum ist Repräsentanz Gottes als Offenbarung und ,Erscheinung' Gottes - mit allem Akzent darauf, Gott als den Menschen liebend statt ihn hassend kundzutun. Deswegen sollte, des näheren, nur von Versöhnungsmittler, aber nicht von ,Schöpfungsmittler' die Rede sein" 33 . Es zeigt sich, daß das Unbehagen gegen die Schöpfungsmittlerschaft gerade in der Vermutung besteht, daß hier der kontingent-geschichtliche 29 30 31 32 33

Ratschow, Christologie, S. 2 6 1 . Ebd. Fritzsche, Lehrbuch der Dogmatik III, S. 145. Vgl. ebd. A. a. O., S. 2 5 3 .

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Akt der Versöhnung nicht mehr gewahrt ist. Die subjektiv-individuelle Versöhnung wird zu einem kosmischen Drama, die die - durch die Sünde gefallene - Welt heilende Versöhnung zum Strukturprinzip der Schöpfung, anders: Jesus Christus wird zur ratio essendi der Welt. Ist es folglich ratsam, die Schöpfungsmittlerschaft Christi abzulehnen, will man nicht in die - bereits thematisch gemachte - Schwierigkeit mit der Kontingenz von Sünde und Versöhnung geraten?

4. Die Intention der biblischen Rede von der Schöpfungsmittlerschaft Christi Haben Ratschow und Fritzsche die Problematik der Schöpfungsmittlerschaft Christi deutlich ausgesprochen und gerade den Verzicht auf dieses Theorem gefordert, so fragt sich auch im Blick auf die biblischen Belege - zu denken ist hier vor allem an Joh 1,3; 1 Kor 8,6; Kol 1, 15-20; Hebr l , 2 f - und ihrer Aufnahme weisheitlich-kosmologischer Vorstellungen 34 , ob hier „entweder eine dem christlichen Glauben letztlich fremde und ihm nur notdürftig assimilierte Vorstellung vorliegft] oder aber ein zumindest nicht unproblematischer Ausdruck dieses Glaubens, der die Gefahr einer Irreführung mit sich bringt, weil er vom geschichtlichen und dynamischen Charakter des Glaubens zu einer statischen Sicht einer kosmischen Versöhnung verführen kann" 3 5 . So ist die Gefahr ersichtlich, daß hier das heilsgeschichtliche Denken in ein kosmologisches Denken transponiert wird, das das „Kreuz als Strukturgeheimnis des Kosmos" 3 6 begreift. Nun zeigt aber der exegetische Befund der Stellen, die die Schöpfungsmittlerschaft Christi beinhalten, daß diese Stellen ganz anders motiviert

sind: Es ist der Sinn dieser biblischen Stellen, mit Hilfe der Prädikation des Schöpfungsmittlers die Würde Christi zu bestimmen. So betont bereits Hegermann in seiner Untersuchung über die Schöpfungsmittlerschaft, daß die Schöpfungsmittlerchristologie „die wichtigste und älteste [...] inhaltliche Bestimmung der Gottheit des Christus" 3 7 ist. Daher gilt:

Die Bezeichnung Christi als Schöpfungsmittler 34

35 36 37

ist ein Ausdruck für die

Die Übernahme weisheitlich-kosmologischer Vorstellungen wird eindrücklich gerade von Gese am Johannesprolog nachgewiesen (vgl. ders., Der Johannesprolog, S. 1 7 3 ff). Schoberth, „Es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen", S. 157. A. a. O., S. 1 5 8 . Hegermann, Die Vorstellung vom Schöpfungsmittler im hellenistischen Judentum und Urchristentum, S. 137.

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Gottheit Christi. Und stellt die Bezeichnung der Gottheit Christi die Bedeutung der Erlösung heraus, so soll auch die Bezeichnung der Schöpfungsmittlerschaft - als konkrete Bestimmung der Gottheit Christi - gerade die kosmische Bedeutung der Erlösung als ein die gesamte Welt betreffendes Ereignis herausstellen. Für alexandrinisches Denken - so betont Hegermann - kann diese kosmische Bedeutung nur als Schöpfermacht zum Ausdruck gebracht werden 38 . Die den gesamten Kosmos umgreifende Bedeutung und Macht der Erlösung - dies wird von den Exegeten betont - soll so durch den Gedanken der Schöpfungsmittlerschaft Christi zum Ausdruck gebracht werden. So formuliert Wolter im Blick auf die entscheidende Stelle im Kolosserbrief, daß es hier darum geht, „die schlechthinnige Überlegenheit des gegenwärtig von der Gemeinde verehrten Gottessohnes über die Welt zu erweisen, womit gleichzeitig zum Ausdruck gebracht wird, daß dessen Herrschaftsbereich die gesamte Schöpfung umschließt" 3 9 . Setzt sich der Kolosserbrief mit einer „Philosophie" auseinander, die die, die Menschen beherrschenden und bestimmenden, Weltelemente zu verehren lehrt 4 0 , so widerspricht - worauf u. a. die Stellen Kol 2, 1 0 . 1 5 . 1 8 hindeuten - der Verfasser des Kolosserbriefes dieser Lehre und betont, daß Christus - und nichts anderes - die bestimmende Macht ist. Christus ist der Schutz und die Macht, zu der der bedrohte Mensch zu fliehen hat - nicht irgendwelche Weltelemente 41 . Wer in den Hymnus des Kolosserbriefes einstimmt, „dem steht die Welt nicht mehr rätselhaft und bedrohlich gegenüber; er weiß vielmehr, daß er sich hermeneutisch ihrer bemächtigen und darum angstfrei in ihr leben k a n n " 4 2 . Die Welt „hat für den Glaubenden darum den Schrecken verloren" 4 3 . Damit aber zeigt sich, daß die Lehre von der Schöpfungsmittlerschaft Christi ein soteriologisches, kein kosmologisches Interesse besitzt 44 . So macht Wolter deutlich, daß die Schöpfungsaussagen der ersten Strophe des Kolosserbriefes „nicht eine an der außergeschichtlichen Vergangenheit orientierte Weltentstehungslehre mitteilen wollen; ihnen geht es vielmehr um die Gegenwart und um den Aufweis dessen, daß der im Hymnus gepriesene Christus präsens über der Welt steht und der Glau38

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Vgl. a. a. O . , S. 1 2 5 . - Dieses Urteil verifiziert H e g e r m a n n im Blick auf die Stelle im Hebräerbrief (vgl. ders., Der Brief an die H e b r ä e r , S. 3 3 ) . Vgl. auch die Bestätigung des Urteils von H e g e r m a n n bei G r ä ß e r , An die H e b r ä e r I, S. 1 2 5 . W o l t e r , Der Brief an die Kolosser, S. 7 7 . Vgl. u. a. C o n z e l m a n n / L i n d e m a n n , Arbeitsbuch zum N e u e n Testament, S. 2 6 8 . Vgl. u. a. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S. 1 5 0 . Wolter, Der Brief an die Kolosser, S. 8 9 . A. a. O., S. 9 0 . Vgl. a. a. O . , S. 7 7 .

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bende daran Anteil hat" 4 5 . Auch Schräge macht im Blick auf die Aussage der Schöpfungsmittlerschaft Christi im ersten Korintherbrief deutlich, daß Paulus' Übernahme der Prädikation der Schöpfungsmittlerschaft nicht kosmologisch, sondern soteriologisch motiviert ist, soll dieser Gedanke doch die Macht des Erlösers über die Welt hervorheben 4 6 . Dieser Sachverhalt stellt sich im Hebräerbrief ganz ähnlich dar, insofern auch im Hebräerbrief - wie Gräßer einschärft - spekulatives Denken kein Gewicht hat 4 7 . Die Prädikation Christi als Schöpfungsmittler „ist zuletzt kein spekulatives Theologumenon, sondern wie die Präexistenz Christi ein dynamischer Ausdruck für die unbegrenzte Weltherrschaft des Christus Pantokrator" 4 8 . Damit ist deutlich, daß Begrifflichkeiten und Vorstellungen des weisheitlich-kosmologischen Denkens übernommen werden können, doch zu dem Zwecke, die Bedeutung des Christusereignisses als ein den gesamten Kosmos betreffendes Ereignis sicherzustellen. Die Aussagen der Schöpfungsmittlerschaft besitzen somit kein eigenes kosmologisches Interesse. So zeigen nicht zuletzt die Zusätze, die der Verfasser des Kolosserbriefes an den von ihm übernommenen Hymnus anbringt 4 9 , daß die weisheitliche Spekulation an das heilsgeschichtliche Denken gebunden wird: Die Einfügung des Kreuzes in Kol. 1, 2 0 zeigt deutlich, daß der Verfasser die kosmologischen Begriffe von hier aus verstanden wissen will 50 . Die Aussagen der Schöpfungsmittlerschaft Christi sind an das geschichtlich kontingente Ereignis des Kreuzes gebunden: Sie lehren das Kreuz Christi als Tat Gottes zu verstehen, indem sie zeigen, daß Gott selbst in der Geschichte Jesu Christi gegenwärtig war. Die Gefahr des Theorems der Schöpfungsmittlerschaft Christi besteht gerade darin, daß

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A. a. O., S. 8 9 ; vgl. auch Pfamatter, Epheserbrief. Kolosserbrief, S. 6 5 . Setzt sich Paulus mit der Frage des Götzenopferfleischs (vgl. 1. Kor. 1 0 - 1 1 ) auseinander, so nimmt er „die von ihm nur hier bezeugte Schöpfungsmittlerschaft darum auf, um damit zu unterstreichen, daß man unbedenklich alles Geschaffene essen kann" (Schräge, Der erste Brief an die Korinther II, S. 2 4 4 ) . Vgl. Gräßer, An die Hebräer I, S. 5 8 . A. a. O., S. 5 9 . - Dies zeigt sich nicht zuletzt gerade daran, daß der Hebräerbrief eine chronologische Aporie hinsichtlich des Zeitpunktes des Würdegewinns Christi aufweist. So reflektiert der Hebräerbrief den Zeitpunkt des Würdegewinns nicht, sondern beinhaltet hinsichtlich dieser Frage einander ausschließende Aussagen (vgl. hierzu den Exkurs bei Braun, An die Hebräer, S. 32f). Die Tatsache, daß der Verfasser in dieser Frage zu unterschiedlichen Aussagen fähig war, zeigt, daß es ihm ausschließlich auf das daß der Würde Christi ankam. Vgl. u. a. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, S. 5 0 . Vgl. Lindemann, Der Kolosserbrief, S. 2 5 ; 3 1 ; Pfamatter, Epheserbrief. Kolosserbrief, S. 64.

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es von seinem Zweck - Ausdruck über die Göttlichkeit Christi und damit der Bedeutung seines Heilswerkes zu sein - gelöst wird und zu einer solchen kosmologischen Spekulation herangezogen wird, die das Kreuz als Strukturprinzip des Kosmos zur Sprache bringt. Doch ist diese metaphysische Spekulation durch die biblischen Stellen und ihre Intention nicht gedeckt 5 1 ! Anliegen der biblischen Prädikation der Schöpfungsmittlerschaft ist es zu zeigen, daß der ewige Gott selbst im Handeln Jesu gegenwärtig ist, keinesfalls aber zu behaupten, daß Gott ewig in Jesu von Nazareth gegenwärtig ist. Mit der letzten Aussage würde gerade das Wunder, das im Prolog des Johannesevangeliums zur Sprache gebracht wird, verfehlt: Das Wunder, von dem J o h 1, 14 spricht, liegt gerade darin, daß der ewige Logos, der Schöpfungsmittler, Fleisch wurde52. So redet Joh 1, 14 von dem ,,inkarnierte[n] Schöpfungsmittler" 5 3 . Erst von Joh. 1, 10 an ist vom logos ensarkos die Rede 5 4 , während in den beiden Strophen zuvor vom logos asarkos die Rede war 5 5 . Das Wunder von J o h 1, 14 würde überhaupt nicht verständlich, wenn der ewige Logos schon als solcher ein ensarkierter Logos wäre.

5. Die Schöpfungsmittlerschaft als Prädikation des logos asarkos? Soll die rechte Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem erlösenden Handeln in dem Menschen Jesus von Nazareth als dem Christus gewahrt werden, so kann nicht von einer Schöpfungsmittlerschaft des Menschen Jesus gesprochen werden; insofern seine Geschichte unaufhebbar an die Versöhnung - (die Überwindung des kontingenten Bruches der Gottesbeziehung) gebunden ist. Dabei zeigt sich im Blick auf die biblischen Belege der Schöpfungsmittlerschaft, daß es ihr Interesse ist zu zeigen, daß der ewige Gott in Christus handelt, keineswegs aber daß Gott ewig in Jesus Christus handelt. Vielmehr wird im Johannessprolog dem ewigen Logos die Gottheit prädiziert, der in Jesus von Nazareth Fleisch wurde. Hier wird somit angeleitet, zwischen dem ewigen Logos und dem inkarnierten Logos zu differenzieren. So hat 51

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So zu Recht auch Schoberth, „Es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen", S. 156. So Bultmann, Das Evangelium des Johannes, S. 3 8 ; vgl. ähnlich Hofius, Struktur und Aufbau des Logos-Hymnos in Joh 1, 1 - 1 8 , S. 2 1 . Becker, Das Evangelium nach Johannes I, S. 7 8 . Vgl. Hofius, Struktur und Aufbau des Logos-Hymnos in Joh 1 , 1 - 1 8 , S. 19. Vgl. a. a. O., S. 14ff.

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denn auch die traditionelle Dogmatik „nicht einfach de[n] Mann aus Nazareth als Schöpfungsmittler behauptet, sondern vielmehr de[n] ewigefn] Sohn, die zweite Person der Trinität" 5 6 . Gegen die Prädizierung des ewigen Logos als Schöpfungsmittler wendet Mildenberger ein, es sei ein „Ungedanke" von einem Sohn zu sprechen, der noch nicht Fleisch geworden ist 57 . Läßt sich von der Schöpfung „nur zutreffend reden, wenn sie von der Auferweckung des Gekreuzigten her besprochen wird" 5 8 , so ist der vom Tod auferweckte Gekreuzigte der Schöpfungsmittler 59 . Der Ungedanke eines Sohnes, der noch nicht Fleisch geworden ist, führt nach Mildenberger nicht nur in eine überholte Denkweise und drängt in eine überholte Denkform zurück, sondern diese metaphysische Redeweise bringt die Gefahr mit sich, „daß der Mensch Jesus mit seiner Zeit, mit dem, was er tat und sagte, und mit dem, was ihm widerfuhr, zurückgedrängt wird. Sein Menschsein kann dann ja letztlich nur noch Prädikat sein, das der göttlichen Sohneshypostase oder wie immer man näher bestimmen mag - zukommt. Die Tradition des dogmatischen Denkens zeigt diesen Irrweg deutlich an. [...] Wenn wir den Schöpfungsmittler aus den Erzählungen der Evangelien und nur so kennenlernen, dann sollten wir es auch bei dem Menschen lassen, der uns durch diese Erzählung nahekommt" 6 0 . Deutlich hervorzuheben ist, daß sich Mildenberger in diesem Punkt sehr wohl von Barth und Jüngel unterscheidet. Hier wird nicht das Sein des Menschen Jesus von Nazareth zum Seinsgrund des menschlichen Seins gemacht, sondern - im Rückgriff auf die biblische Tradition ausschließlich bei der hermeneutischen Bedeutung der Schöpfungsmittlerschaft Christi stehengeblieben: Erschließt Gott die Welt in dem Menschen Jesus von Nazareth, dann ist auch ihm die Schöpfungsmittlerschaft zuzusprechen. Damit wird aber bei Mildenberger - anders als bei Jüngel und Barth - nicht Jesus Christus als ratio cognoscendi auch zur ratio essendi gemacht, sondern bei der Bestimmung Jesus Christi als ratio cognoscendi stehen geblieben. So wird man Mildenbergers Bestimmung der Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi nicht in der Weise widersprechen müssen, wie es bei Barth und Jüngel nötig ist. Mildenbergers Bestimmung der Schöpfungsmittlerschaft Christi zeigt aber deutlich, daß Verzicht auf metaphysische Reflexion zugunsten der biblischen Aussage auch durchaus problematisch ist. Zwar kann man Mildenbergers Inter56 57 58 59 60

A. a. O., S. 18. Vgl. Mildenberger, Biblische Dogmatik III, S. 427, Anm. 5. A. a. O., S. 432; vgl. auch a. a. O., S. 437. Vgl. a. a. O., S. 437f. A. a. O., S. 438.

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esse teilen, daß die Schöpfungsmittlerschaft die hermeneutische Funktion des Christusereignisses in bezug auf die Schöpfung Gottes zum Ausdruck bringt, doch verlangt die hermeneutische Leistungskraft des Christusgeschehens eine ontologischen Begründung. Der Verzicht auf eine ontologische Begründung kann in einem Diskussionszusammenhang, der gerade um das wie dieser ontologischen Begründung streitet, nur schwerlich unmißverständlich geleistet werden. Nun geht es in diesem Exkurs nicht um die angemessene Bestimmung der Schöpfungsmittlerschaft Christi. Vielmehr geht es nur um die Bestreitung einer solchen Bestimmung der Schöpfungsmittlerschaft Christi, die die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln überspielt, indem sie den Menschen Jesus als Schöpfungsmittler prädiziert. Bemerkt sein will jedoch, daß gerade auch im Blick auf die biblischen Belege eine hermeneutische Reduktion der Schöpfungsmittlerschaft Christi schwierig ist 61 . Die biblischen Aussagen der Schöpfungsmittlerschaft Christi wollen ja gerade zeigen, daß in der Erlösung derselbe Gott gehandelt hat, der die Welt erschaffen hat, indem Christus die Würde des Schöpfungsmittlers beigelegt wird 62 : Weil Gott selbst in Christus gehandelt hat, hat Christus Macht über den gesamten Kosmos. Hier liegt sicherlich alles andere als eine ausgefeilte Christologie vor. Doch ist die Macht Christi und die Bedeutung seiner Erlösung in seiner Gottheit begründet. Gerade die Gottheit wird durch die Aussage der Schöpfungsmittlerschaft qualifiziert. So wird man dieser Aussage m. E. nur gerecht werden, wenn man sie nicht aus ihrem Zusammenhang löst, sondern sie als Aussage über die Gottheit Christi beibehält. Eine Transposition der Schöpfungsmittlerschaft auf die Menschheit Christi verfehlt die Intention der biblischen Stellen, besonders aber die des Prologs des Johanesevangeliums: Das Wunder des Christusgeschehens besteht gera61

So auch Bayer, Schöpfung als Anrede, S. 77f: „ D a ß diese Schöpfungsmittlerschaft nicht nur hermeneutischer, sondern zugleich ontologischer Art ist, bekennen die neutestamentlichen Christushymnen und der J o h a n n e s p r o l o g " . D a h e r hält es Bayer für notwendig, ,,[d]ie Alternative einer ,nur' hermeneutischen Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi einerseits und einer ontologischen Schöpfungsmittlerschaft anderseits [ . . . ] zu ü b e r w i n d e n " (a. a. O . , S. 7 6 , A n m . 4 6 ) . Es zeigt sich jedoch, daß - im Blick auf das Interesse der biblischen Stellen - zu fragen ist, auf welche Weise die Schöpfungsmittlerschaft ontologisch zu bestimmen ist.

62

Daher ist zu bestreiten, d a ß die biblischen Stellen zur Schöpfungsmittlerschaft als „awiZ-metaphysisch" (Schoberth, „ E s ist alles durch ihn und zu ihm hin geschaffen", S. 1 6 0 ) bezeichnet werden können. Es zeigte sich z w a r , d a ß diese Stellen nicht kosmologisch, sondern soteriologisch motiviert sind, indem sie zum Ausdruck bringen wollen, daß in Jesus von N a z a r e t h G o t t selbst gehandelt h a t , d o c h ist damit keine metaphysische Fundierung ausgeschlossen, sondern eröffnet: W a s heißt es, daß G o t t in Jesus von N a z a r e t h gehandelt hat?

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de darin, das die Gottheit selbst Fleisch wird, dieses Wunder wird aber gerade negiert, wenn die Fleischwerdung selbst in der Schöpfung eingegründet wird, wenn sie als Strukturprinzip des Kosmos begriffen wird. Das Christusgeschehen ist ein kontingentes Geschehen, kein ewiges kosmisches Drama. Ist es so nicht möglich, den in der Schöpfungsmittlerschaft Christi ausgedrückten (ontologischen) Bezug Christi auf die Welt herauszustellen, indem das Christusgeschehen, die Menschwerdung und das Kreuz, als Strukturmerkmal der Schöpfung gefaßt wird, d. h. indem die Verwirklichung der Versöhnung in das Schöpferhandeln Gottes eingegründet wird, so stellt sich doch die Frage, wie die Schöpfung auf die Erlösung bezogen ist, wenn die Schöpfung die Verwirklichung der Versöhnung nicht intendiert. Wurde innerhalb unserer Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung die Schöpfung als Ermöglichungsgrund der Versöhnung begriffen, so ist von hieraus auch die ontologische Qualität der Schöpfungsmittlerschaft Christi zu begreifen, weil sie gerade dem Aspekt der Schöpfung als Ermöglichungsgrund der Versöhnung Ausdruck verleiht, indem sie ihn begrifflich fixiert 63 . Nicht die Erlösung ist der Ermöglichungsgrund der Schöpfung, sondern die Welt ist der „Ermöglichungsgrund (und faktisch der Ort) der Inkarnation" 64 . Wenn Jüngel feststellt, daß das, was in der Menschwerdung geschieht, „,immanent' bereits ontologisch intendiert oder zumindest doch in der Weise der Ermöglichung dieses Geschehens wirklich sein [muß]" 65 , dann ist der entscheidende Unterschied zwischen der Behauptung, die Menschwerdung sei in der Schöpfung intendiert, und der Behauptung, die Menschwerdung sein in der Schöpfung ermöglicht, überspielt. Ist die Beziehung zwischen Schöpfung und Erlösung nur so zu begreifen, daß (a) die Schöpfung die Möglichkeitsbedingung für die Erlösung ist, kann mithin (b) die Schöpfungsmittlerschaft Christi, die gerade der Bezogenheit der Schöpfung auf die Erlösung Ausdruck verhelfen will, nur die Möglichkeitsbedingung der Schöpfung für die Erlösung zum Ausdruck bringen, dann ist es konsequent, den logos asarkos als Schöpfungsmittler zu prädizieren; denn somit gelingt es, sowohl die Gottheit Christi zu betonen (als ensarkierter Logos) als auch festzuhalten, daß der ewige Logos Fleisch wird. 63

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Wenn daher Stock die Konsequenz der Schöpfungsmittlerschaft Christi gerade darin erblickt, daß die Welt „nachfolge-geeignet" (so notiert bei Schoberth, „Es ist alles durch ihn und zu ihm hin geschaffen", S. 1 6 9 , Anm. 53) sei, dann ist damit gerade zum Ausdruck gebracht, daß die Schöpfung der Ermöglichungsgrund für die Versöhnung ist: Die Welt ist geeignet für die Nachfolge Christi. Link, Die Schöpfung und die Lehre von der Schöpfung, S. 4 9 5 . Jüngel, Das Verhältnis von ökonomischer' und ,immanenter' Trinität, S. 2 7 1 .

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6. Fazit Festzuhalten gilt es daher im Interesse der angemessenen distinctio zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln, daß die Aussage der Schöpfungsmittlerschaft Christi vor die Aufgabe stellt, die Bezogenheit von Schöpfung und Erlösung in den Blick zu nehmen, ihre Gefahr aber darin besteht - von der Aussage des kontingenten Ereignisses des Kreuzes abgelöst - in eine kosmologische Spekulation zu geraten, die das Kontingent-Geschichtliche nicht mehr ernst zu nehmen vermag.

Β Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium 0. Vorbemerkung Hat dieses Kapitel die Fundamentalunterscheidung von Gesetz und Evangelium, Gottes verurteilendendem Wort und seinem versöhnenden Wort, zu seinem Gegenstand und fragt nach der angemessenen Verhältnisbestimmung, so nähern wir uns damit einem „ur- und genuin-reformatorischen Themaf]" 1 . Der Zentralstellung dieses Themas innerhalb der protestantischen Theologie ist immer wieder Ausdruck gegeben worden: In der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - so Ebeling - geht es somit „gewissermaßen um die Logik der Sache der Theologie" 2 . Diese Zentralstellung des Themas kann sich auf keinen geringeren als Luther selbst berufen: So macht es nach Luther gerade den richtigen Theologen aus, zwischen Gesetz und Evangelium angemessen unterscheiden zu vermögen3. Damit ergibt sich für die theologische Arbeit ein durchaus ambivalenter Sachverhalt: Zum einen ist die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium die theologische Lebensaufgabe. Als Lebensaufgabe verlangt die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht nur eine große Zeit des gedanklichen Reifens, sondern auch einen Raum, der diesem Thema angemessen ist. Zum anderen aber kann Theologie überhaupt nicht getrieben werden ohne eine angemessene Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium. Es gilt daher, das dieser Arbeit zugrundeliegende Verständnis der distinctio legis et evangelii namhaft zu machen und die Gründe für dieses Verständnis anzugeben, ohne zu verkennen, daß eine angemessene Verhältnisbestimmung zwischen Gesetz und Evangelium nicht weniger voraussetzt als das Durchdringen der gesamten Theologie in einem gereiften Theologenleben. Wir werden die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ausgehend von Barths Verhältnisbestimmung beider Größen vornehmen, da die Auseinandersetzung mit Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium die Erörterung dieses Themas bis in die Gegenwart 1 2 3

K i n d e r / H a e n d l e r , Z u r Einführung, S. XXI. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens III, S. 289. Vgl. W A 7, 40, 1. Vgl. auch W A 7, 502, 34: „pene universa scriptura totius Theologiae cognitio pendet in recta cognitione legis et Evangelii".

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hinein prägt. Es gilt in diesem Teil nicht nur zu zeigen, daß das Barthsche Gesetzesverständnis dem paulinischen diametral entgegensteht, sondern in Auseinandersetzung mit Paulus den Grund für die paulinische Bestimmung des Gesetzes deutlich zu machen: die Einsicht in die Radikalität der menschlichen Schuld und in die Bedingungslosigkeit der Gnade 4 . 1. Die Nivellierung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bei Barth Durchaus wirkmächtig für die Erörterung des genuin reformatorischen Themas der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist Barths Verhältnisbestimmung, doch ist von seiner „Ontologie der Gnade" her bereits die entscheidende Vorentscheidung hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium gefallen: Ist die Gnade Gottes erstes und einziges Wort, so will - und kann - Barth kein Wort Gottes zur Sprache bringen, das an sich nicht schon Gnade ist5. So liegt nach Barth hinter der Differenz von Gesetz und Evangelium das eine Wort Gottes, das die Gnade ist. Auch das Gesetz ist für Barth nichts anderes als ein Ausdruck der göttlichen Gnade, insofern es die notwendige Form des Evangeliums ist. Barth sieht so die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht in zwei göttlichen Worten begründet, sondern in dem einen wahren Wort und dem (das wahre Wort mißbrauchenden) menschlichen Wort. Gottes erstes Wort ist die Gnade in Jesus Christus, das Gesetz wird als das zu Gottes Gnadenwort gehörende Gebot verstanden; insofern die in Jesus Christus erschienene Gnade einen Anspruch an den Menschen bedeutet. Die ursprüngliche Intention des Gesetzes besteht nach Barth gerade darin, von den Menschen ein Handeln zu fordern, welches der in Jesus Christus erschienenen Gnade entspricht. Erst indem das Gebot auf den sündigen Menschen trifft, der mit Hilfe des Gesetzes seine eigene Gerechtigkeit aufrichten will, wird es entehrt und entleert und mutiert durch den menschlichen Mißbrauch zum Ankläger (d. h. zum Gesetz)! Ausschließlich hier hat nach Barth die traditionelle Reihenfolge von Gesetz und Evangelium ihren legitimen Ort: Weil das Gesetz auf den Sünder trifft, der glaubt, hier ein Mittel in die Hand bekommen zu haben, mit dessen Hilfe er seine eigene Gerechtigkeit aufrichten kann, wird das Gesetz zum 4

Gerade so soll der „Gefahr der auf ein theologisches Prinzip tendierenden Schematisierung der Formel G[esetz] und Efvangelium] und der Entleerung ihres theologischen Gehaltes zum bloßen S c h l a g w o r t " (Wolf, Gesetz und E v a n g e l i u m , dogmengeschichtlich, Sp. 1 5 2 6 ) gewehrt werden.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Todesgesetz. Durch den Sieg des Evangeliums über den Mißbrauch des Gesetzes wird die ursprüngliche Intention des Gesetzes wiederhergestellt: Es wandelt sich aus der Forderung zur Verheißung. Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium geht - wie sich bereits zeigte - von drei sich gegenseitig bedingenden Grundvoraussetzungen aus: Erstens erblickt Barth die ursprüngliche Intention des Gesetzes darin, Verheißung zu sein. Das Gesetz ist somit die Form des Evangeliums, weil uns im Gesetz die Gnade als Forderung gegenübertritt. Die Paränese ist somit die ursprüngliche Form des Gesetzes. Ist die Verheißung die ursprüngliche Intention des göttlichen Gesetzes, so geht Barth zweitens davon aus, daß die Anklage nicht die ursprüngliche Intention des Gesetzes ist, vielmehr nur eine durch den menschlichen Mißbrauch verursachte Mutation. Drittens schließlich ist nach Barth das Scheitern des Menschen an Gottes Gesetz darin begründet, daß der (sündige) Mensch mit Hilfe des Gesetzes versucht, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Mit dieser wenig beachteten dritten Grundannahme schafft Barth die Voraussetzung für die Behauptung, daß die Anklage des Gesetzes aus einem falschen Umgang mit ihm resultiert.

2. Paulus gegen Barth Zunächst gilt es zu erörtern, ob^Barths Modell eine angemessene Antwort auf den biblischen Befund darstellt. Im Zusammenhang dieser Frage ist wohl das erstaunlichste Phänomen Barths Behandlung des neutestamentlichen Textbestandes. „Der neutestamentliche Textbestand, der für die Reformatoren der Ausgangspunkt zu ihrer sorgfältigen Unterscheidung zwischen dem anklagenden Gesetz und dem freisprechenden Evangelium war, wird auf den Tausenden Seiten der Dogmatik Barths nirgendwo präzise vorgeführt und eigenständig reflektiert" 6 . Doch ist mit dieser Auffälligkeit die Frage, ob Barths Modell dem biblischen Textbefund gegenüber adäquat ist, noch nicht beantwortet. Es gilt daher zu fragen, ob Barths entscheidende These dem biblischen Textbefund gerecht zu werden vermag. Die Frage, ob Barth zu Recht einen Einheitspunkt jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium etabliert, muß die entscheidende Voraussetzung befragen, auf denen Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium beruht. Die entscheidende Frage ist daher, ob das Gesetz von seiner Anklagefunktion befreit gedacht werden kann, anders: ob die Anklage zur Wahrheit des Gesetzes gehört oder 5 6

Vgl. hierzu Teil 1: Kap. I.B.4. Peters, Gesetz und Evangelium, S. 1 2 9 f .

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ob die Anklage im menschlichen Mißbrauch des Gesetzes zu suchen ist. Und umgekehrt: Ist die Wahrheit des Gesetzes die Verheißung1f Zunächst gilt entschieden festzustellen, daß Paulus8, der von den neutestamentlichen Autoren die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium am genauesten reflektiert hat, die christliche Paränese nie als Gesetz bezeichnet. Die (christliche) Paränese kann so keineswegs als ursprüngliche Intention des göttlichen Gesetzes verstanden werden zumindest in keiner ernsthaften Bezugnahme auf Paulus. Nach Paulus ist das Gesetz aus dem Grund gegeben, um den Menschen in die Schuld zu führen (s.u.)! Hierin besteht seine ursprüngliche Intention·. „Was soll nun das Gesetz? Es ist hinzugekommen, um der Sünde willen" (Gal 3, 19). Die ursprüngliche Funktion des Gesetzes - in der Terminologie Barths: seine Wahrheit - ist nach Paulus die Anklage! Zwar klagt das Gesetz ausschließlich aufgrund der menschlichen Sünde an, doch wird hierdurch keineswegs die Aufgabe des Gesetzes verdreht: Nicht erst durch den Menschen mutiert das Gesetz zu einem Ankläger, sondern hierin liegt seine eigentliche Bestimmung! ,,[D]ie ursprüngliche Bestimmung der Sinai-Tora [liegt nach Paulus] darin, Wort der Anklage und Verurteilung zu sein" 9 . „Die Bestimmung und Funktion, die Paulus der Tora im Heilsplan Gottes zumißt, liegt darin, den gottlosen, der Sünde verfallenen Menschen bei seinem sündigen Tun zu behaften und ihn so seinem göttlichen Richter zu konfrontieren. In der Tora ergeht das Wort der Anklage und des Verdammungs- und Todesurteils"10. Das Gesetz ist von Gott als Anklage und damit als Verdammungsurteil gegeben, dies ist die ursprüngliche Intention des Gesetzes, seine Wahrheit! 11 . So gilt

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8

9 10 11

Die begriffliche Unterscheidung zwischen „ W a h r h e i t " und „ W i r k l i c h k e i t " des Gesetzes bezieht sich auf Barths Unterscheidung von „ W a h r h e i t " und „ W i r k l i c h keit" des Gesetzes (vgl. Teil 1: B. 4 ) . Ich beziehe mich bei der Interpretation des paulinischen Gesetzesverständnisses vornehmlich auf die Aufsätze von Hofius und die M o n o g r a p h i e von Eckstein, Verheißung und Gesetz. Hofius, Das Gesetz des M o s e und das Gesetz Christi, S. 6 1 . A. a. O . , S. 5 6 . Diese von Hofius eingeschärfte Einsicht hat zuletzt Eckstein in seiner Untersuchung zu Gal 2 , 1 5 - 4 , 7 nachdrücklich bestätigt (vgl. ders., Verheißung und Gesetz, bes. S. 1 9 0 f f ) . Eckstein zeigt, d a ß es „unangemessen ist [ . . . ] , zwischen einer ursprünglichen, göttlichen Bestimmung und einer faktischen W i r k u n g der SinaiT o r a zu differenzieren und die kritischen Äußerungen des Paulus lediglich auf ein legalistisch mißverstandenes Gesetz zu beziehen. Das Unvermögen des Gesetzes, Rechtfertigung und Leben zu vermitteln ( [ G a l ] 2 , 1 6 ; 3 , 1 0 - 1 2 ; 3 , 2 1 ) , erklärt sich nach der Überzeugung des Apostels nicht aus einer Fehlentwicklung, sondern aus der Absicht Gottes, den Freispruch der Verurteilten und die Erlösung der Gefangenen auf eine andere Weise zu verwirklichen" (a. a. O . , S. 2 5 5 ) .

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

für Paulus „ d a ß es gar nicht die Bestimmung und Funktion der a m Sinai empfangenen T o r a w a r , lebendig zu m a c h e n ([Gal] 3 , 2 1 ) , sondern die Sünde als Übertretung zu qualifizieren und als Schuld zu dokumentieren (των παραβάσεων χάριν ττροσετεθη Gal 3 , 1 9 ; vgl. R o m 3 , 1 9 f ; 4 , 1 5 ; 5 , 1 3 . 2 0 ; 7 , 1 3 ) " 1 2 . Das Gesetz ist nie zum Leben gegeben, es ist zur Anklage und zum Schuldaufweis gegeben 1 3 ! Genau an dieser Stelle ist B a r t h - und seinen Verteidigern (zu denken ist hier u. a. an Gollwitzer und W o l f 1 4 , aber auch an J o e s t 1 5 ) - mit aller Entschiedenheit zu wider12 13

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15

A. a. O., S. 130. Wenn Kreck demgegenüber behauptet, das Gesetz sei nach Paulus „ursprünglich zum Leben gegeben" (ders., Grundentscheidungen in Karl Barths Dogmatik, S. 255), so hat dies keinerlei Anhalt am Textbefund! Die Untersuchung von Eckstein hat eine solche Auffassung eindrücklich widerlegt! Von daher ist es dann auch verfehlt zu behaupten, daß Gesetz sei „für den Christen als Heilsweg abgetan"; denn das Gesetz ist nie Heilsweg gewesen! So kommt Eckstein in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis: „Da es [...] die Sinai-Tora nach paulinischem Verständnis von Anfang an nur mit ,erwiesenen Sündern' zu tun haben konnte, scheidet sie nicht nur ,faktisch', sondern auch grundsätzlich' als Heilsweg aus" (ders., Verheißung und Gesetz, S. 130). So sieht Gollwitzer wie Barth die Anklage als eine durch den menschlichen Mißbrauch verursachte Mutation des Gesetzes: „Der Gegensatz von Gesetz und Evangelium kommt dadurch zustande, daß der sündige, d. h. der aus sich selbst und für sich selbst lebenden wollende Mensch aus Gottes gnädiger Gabe, selbst sein und selbst antworten zu dürfen, den .Anlaß' (Rom 7,7.11), die Gelegenheit und Rechtfertigung nimmt, sich auf sich selbst zu stellen und durch sich selbst zu leben. Damit mißbraucht und verkehrt er Gottes Gebot und setzt Gott (den Gebietenden) wider Gott (den Gebenden)" (ders., Zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium, S. 45). Ähnlich urteilt Wolf, Habere Christus omnia Mosi, S. 173f: „An dieser Stelle hat K. Barth zweifellos das reformatorische Erbe richtig erfaßt, wenn er nach der Feststellung des Vorrangs des Evangeliums [..] als bald sowohl negativ wie positiv von unserem .Verfahren' mit dem Gesetz Gottes handelt, von seinem .gesetzlichen' Mißbrauch und seinem .geistlichen' Gebrauch" (a. a. O., S. 173f). Zunächst begreift Joest Barth folgendermaßen: ,,G[esetz] u[nd] E[vangelium] seien von Gott her überhaupt nicht einander entgegengesetzt, sondern gehörten undialekisch zusammen; [...] Was hingegen dem E[vangelium] entgegenstehe und an ihm sein Ende finde, sei wirklich nur jene menschliche G[esetz]esfrömmigkeit, die Gottes G[esetz] gerade mißdeutet und verfälscht, indem sie es als eine Forderung zu Leistungen versteht, mit denen sich der Mensch Rechtfertigung vor Gott erst erwerben soll. [...] Fraglicher ist die negative Seite der These Barths: das dem E[vangelium] entgegenstehende und an ihm endende Gfesetz] sei nicht Gottes wirkliches, sondern vom Menschen .gesetzlich' mißverstandenes G[esetz]. Zweifellos ist das, was vom E[vangelium] überwunden wird, auch menschliche G[esetz]esreligion, und zweifellos ist Gottes Gjesetz], wenn es von ihr als Ermöglichung von Leistungen der Selbstrechtfertigung verstanden wird, verkannt. Aber ist hier nur eine falsche menschliche Auffassung des G[setze]es im Spiel? Gibt es nicht auch von Gott her ein Gjesetz] - besser vielleicht: eine Wirkweise und

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Funktion seines G[setz]es, der das E[vangelium] entgegentritt und die in Christus zu Ende kommt? [...] [U]m den paulinischen Aussagen voll gerecht zu werden, wird man doch sagen müssen: an diesem Eigenwillen des Menschen und ihm entgegen gewinnt nun auch Gottes wirkliches G[esetz] eine Gestalt, in der es nicht mehr gnädiger Zuspruch und Anspruch für ein aus der Heilsgegenwart geschenktes Tun sein kann. (Auch Barth deutet in ,E[vangelium] u[nd] G[esetz]' diesen Gedanken an, ohne ihn aber systematisch in seine Gesamtkonzeption hineinzunehmen.)" (ders., Gesetz und Evangelium VI, Sp. 1529f). Dieser Interpretation von Joest ist von Klappert - zum Teil durchaus zu Recht - entschieden widersprochen worden: „Barth hat sich demgegenüber schon in ,Evangelium und Gesetz' - aber nicht nur dort! - in dezidiert anderer Weise und Richtung geäußert, wenn er sagt: ,Es ist das durch den Betrug der Sünde entehrte und entleerte Gesetz, das mit der Kraft des Zornes Gottes dennoch sein Gesetz ist und bleibt.' [Barth, Evangelium und Gesetz, S. 27]" (ders., Promissio und Bund, S. 111). Von daher - so zeigt Klappert durchaus zu Recht - ist es zu vordergründig, Barth zu unterstellen, er könne nur Gottes gnädigen Anspruch an uns zur Sprache bringen (vgl. a. a. O., S. 11 Iff). Gottes Zorn und Gericht ist bei Barth durchaus nicht nur eine falsa opinio de lege. Zu Recht macht daher Klappert darauf aufmerksam, daß auch die Reihenfolge „Gesetz und Evangelium" bei Barth ihren systematischen Ort hat: „Barth" - so Klappert - „deutet diesen Gedanken, wie Joest meint, nicht nur an, sondern bezeichnet präzise [...] den Ort, an dem die Reihenfolge .richtendes Gesetz Gottes - freisprechendes Evangelium' ihre konstitutive Bedeutung hat" (a. a. O., S. 112). Diesen Einsichten Klapperts hat sich Joest nicht verschlossen: Die Frage, ob bei Barth die Gerichtssituation „als wirklich von Gott her bestehend noch ernstgenommen und nicht vielmehr unter die Beleuchtung eines lediglich von Menschen mißdeutetes Gesetz gerückt [wird]" (ders., Karl Barth und das lutherische Verständnis von Gesetz und Evangelium, S. 93) wird nun neu beantwortet: ,,[H]ier ist einer Klarstellung, die B. Klappert in seiner Analyse vollzogen hat, zunächst einfach Recht zu geben: Barth sagt: Das Gesetz als Leistungs- und Vergeltungsordnung verstanden ist mißdeutetes Gesetz. Er sagt nicht, die Wirklichkeit des Gerichtes Gottes bestehe lediglich in einer menschlichen falsa opinio de lege. Vielmehr gerät gerade der Mensch, der an der Gnade Gottes vorbei das Gesetz in jenem Sinne versteht und mißbraucht, damit in der Tat unter Gottes Gericht und stellt sich an den Ort, an dem er sich nur den Tod holen kann" (a. a. O., S. 93f). So folgert Joest nun: „Wenn ich ihn [=Barth] recht verstehe, wird man seine Auffassung wie folgt zusammenfassen können: Daß Gott dem Menschen Lebensweisung gibt, und was er ihm zur Lebensweisung gibt, ist aus der in Jesus Christus vollzogenen Zuwendung Gottes zum Menschen zu verstehen und nur aus ihr: Gottes erster und letzter Wille ist der Mensch, der aus seiner Gnade lebt und in der Macht dieser Gnade das tut, wozu sie ihn bewegt. Zum Gericht kann dem Menschen das Gebot Gottes nur werden, weil und wenn er dieser Zuwendung Gottes den Rücken gekehrt und von Gnade nicht leben will. So ist gerade auch die Möglichkeit, daß das Gesetz zum Gericht wird, allein vom Gnadenwillen Gottes her zu verstehen" (a. a. O., S. 94; vgl. auch Joest, Dogmatik II, S. 498ff). Das eigentliche Problem der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium ist aber weder durch Klappert noch durch Joests Modifikation seiner ursprünglichen These beseitigt. Das Problem liegt nicht darin, daß Barth die anklagende Funktion des Gesetzes Gottes nicht zur Sprache zu bringen vermag

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

sprechen 16 . Gerade weil die ursprüngliche Funktion des Gesetzes - die Wahrheit des Gesetzes - die Anklage ist, bezeichnet Paulus die Paränese nie als Gesetz 17 . Dabei gilt es aber zweierlei festzuhalten: Zum einen gilt - in diesem Punkt hat Joest in der Tat geirrt und Klappert hat ihm zu Recht widersprochen - , vielmehr liegt das eigentliche Problem darin, daß Barth nicht ernst nimmt, daß das Gesetz nach Paulus aus dem Grund gegeben ist, um Anklage und Gericht zu sein. Die Anklage ist für Paulus das Wesen des Gesetzes, die Anlage ist die von Gott ursprünglich gewollte - nicht erst durch den Menschen verursachte - Gestalt des Gesetzes. So hat Joest schon in seiner ursprünglichen Kritik an Barth die - problematische - Grundentscheidung Barths geteilt: Erst durch den Menschen mutiert das göttliche Gesetz zur Anklage (vgl. ders., Gesetz und Evangelium VI, Sp. 1530). Diese Grundentscheidung bei Joest hält sich auch durch, wenn er später fragt: „Und so gewiß Paulus am nomos mit dieser tötenden Macht eine Funktion erkennt und herausstellt, die in der alttestamentlichen Rede vom Bundesgesetz weithin so noch nicht erkannt und bekannt ist - ist es nicht auch für ihn das ,mit Unverstand' und zur Aufrichtung des eigenen Gerechtigkeit vor Gott mißbrauchte Gesetz, das nun zur tötenden Macht wird; zu jenem Gericht, das der Mensch sich zuzieht, der von jenem ersten und letzten Willen Gottes nicht leben, der auf sich selbst stehen will und daran nur fallen kann?" (ders., Karl Barth und das lutherische Verständnis von Gesetz und Evangelium, S. 97). Diesem Verständnis der ursprünglichen Funktion des Gesetzes ist aber durch das paulinische Verständnis des Gesetzes entschieden zu widersprechen. Hat Klappert gezeigt, daß im Rahmen der von ihm und Joest geteilten Grundentscheidung, die von Joest namhaft gemachte Kritik unrichtig ist, so ist gerade dieser Grundentscheidung entschieden zu widersprechen; denn sie verkennt gerade die paulinische Auffassung vom Wesen des Gesetzes. Daß Barth auch innerhalb seiner Grundentscheidung von einer Entgegensetzung von Evangelium und Gesetz zu sprechen vermag, hat Klappert zu Recht gezeigt (vgl. ders, Promissio und Bund, S. 31; 71; vgl auch H.-M. Barth, Art. Gesetz und Evangelium I, S. 135). Doch - und dies gilt es gegen Barth zu betonen - der Widerspruch von Gesetz und Evangelium ist nicht durch menschlichen Mißbrauch des Gesetzes verursacht, nicht dadurch, daß der Mensch das Gesetz mißbraucht, um seine eigenen Leistungen aufzurichten. Der Ort der Barthschen distinctio legis et evangelii befindet sich bloß in der „Wirklichkeit" des Menschen. Um Barths Unterscheidung zwischen Wahrheit und Wirklichkeit aufzugreifen (vgl. Teil 1: Kap. I.B.4), ist aber zu formulieren: Die Entgegensetzung von Gesetz und Evangelium hat nicht bloß ihren Ort in der Wirklichkeit des Gesetzes, sondern in der Wahrheit des Gesetzes. Damit ist aber die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Wahrheit in der von Barth verwendeten Weise an sich höchst fraglich geworden. 16

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Eine weitere Frage ist, ob Luther das paulinische Gesetzesverständnis in diesem - entscheidenden - Punkt teilt, oder ob bei ihm - wie durch Verteidiger der Position Barths betont wird - die Anklage im menschlichen Mißbrauch des Gesetzes begründet ist (vgl. u. a. Wolf, Habere Christum omnia Mosi, bes. S. 173f; Klappert, Promissio und Bund, S. 112). Belege für diese Behauptung haben sie allerdings nicht gefunden. Dies betont zu Recht auch Eckstein, Verheißung und Gesetz: Aus einem doppelten Grund ist nach Eckstein der Gebrauch des Gesetzes für den Wiedergeborenen nach Paulus nicht möglich: Zum einen „ist die Verfügung vom Sinai [...] nicht nur

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es festzuhalten, d a ß das göttliche Gesetz „heilig, g e r e c h t und g u t " ( R o m 7 , 1 2 ) ist. „Sie [= die T o r a ] ist es, weil in ihr - m i t M i 6 , 8 g e s p r o c h e n , - d e m M e n s c h gültig ,gesagt' ist, , w a s g u t ist u n d w a s J a h w e v o n dir f o r d e r t ' " 1 8 . G e r a d e als G o t t e s heiliges W o r t bringt d a s Gesetz „objektiv an den T a g , w e r der unheilige M e n s c h ist und wie es v o r G o t t u m ihn s t e h t " 1 9 . Weil a b e r der heilige Wille G o t t e s im Gesetz a u f den sündigen M e n s c h e n trifft, d a r u m k a n n es ihn nur verklagen 2 0 . D a h e r d a r f die Aussage, d a ß das Gesetz heilig, gerecht und gut ist, nicht als Bestreitung seiner reinen A n k l a g e f u n k t i o n gesehen w e r d e n , s o n d e r n g e r a d e weil das Gesetz heilig, gerecht und gut ist, ist es A n k l a g e : Im Gesetz seinen

heiligen

überführen

Willen

bekannt,

und ihn anzuklagen.

um

den

Menschen

seiner

gibt Schuld

Gott zu

Z u m a n d e r e n ist v o n hier aus v e r s t ä n d -

lich, d a ß Paulus in seiner Paraklese G e b o t e des Gesetzes a u f z u n e h m e n v e r m a g ( R o m 1 3 , 9 ) 2 1 , ja s o g a r b e h a u p t e n k a n n , d u r c h den G l a u b e n w e r d e das Gesetz erfüllt (Gal 5 , 13ff); denn im Gesetz wird der

wahre

Wille G o t t e s k u n d , zu dessen Erfüllung der G l a u b e g e r a d e befähigt. Aber

gerade

weil der heilige

Wille Gottes

im Gesetz

zum

Zwecke

der

als ethische Rechtsforderung gegeben worden, sondern zugleich als Rechtsbestimmung Gottes, nach der jeder Übertreter ihrer Gebote verdammt wird. Da die Tora nach Gottes Willen nur die Macht hat zu verurteilen, nicht aber das Vermögen, den Übertreter zu rechtfertigen, ihn lebendig zu machen und ihm zum Tun des Willens Gottes zu befähigen, scheidet sie als Heilsgröße grundsätzlich und bleibend aus. Sich ihr als Rechtsforderung zu verpflichten bedeutet zwangsläufig, sich ihr als todbringende Rechtsbestimmung auszuliefern" (a. a. O., S. 250). Zum anderen scheidet die Tora nach Paulus aber auch aus inhaltlichen Gründen als Kriterium für das christliche Leben aus: „Maßstab für das Handeln, das dem Geist Gottes entspricht, ist für den im Glauben Gerechtfertigten nicht die Rechtsforderung des Gesetzes, sondern der Sohn Gottes selbst, der sich aus der Liebe für uns dahingegeben hat" (ebd.). Dies hebt Eckstein entscheidend hervor: „Nicht auf die Tora vom Sinai werden die Christen in Galatien also von dem Geist Christi verpflichtet, sondern auf die ,Weisung' - d. h. auf die ,Tora' Christi. ([Gal] 6,2) Bei der Paraklese und Paränese, deren offensichtlich auch die freien Söhne Gottes noch bedürfen ([Gal] 5,13-6,10; vgl. 3,1-5; 4,8-20; 5, 1-12), handelt es sich folglich keinesfalls um einen tertius usus legis, sondern um eine usus evangelii. ,Denn ich bin durch das Gesetz [...] dem Gesetz [...] gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Also lebe nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber nun im Fleisch (d. h. in meiner irdischen Existenz) lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich (in den Tod) dahingegeben hat' ([Gal] 2, 19f)" (a. a. O., S. 257). 18 19 20 21

Hofius, Das Gesetz des Mose und das Gesetz Christi, S 53. Ders., .Rechtfertigung des Gottlosen' als Thema biblischer Theologie, S. 124. Vgl. a. a. O., S. 127. Dies wird auch von Wingren keineswegs in Abrede gestellt, sondern anerkannt (vgl. ders., Gesetz und Paraklese, S. 245).

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Verschuldung und der Anklage gegeben ist, bezeichnet Paulus die Paränese nie als Gesetz. Wird bei Paulus das Wesen des Gesetzes in seiner Funktion als Feststellung der menschlichen Schuld und als Anklage gegen den sündigen Menschen begriffen, die Paränese hingegen nie als „Gesetz", so faßt Barth im Unterschied dazu das Gesetz wesentlich als Paränese auf 22 . Die von der neutestamentlichen Paraklese tatsächlich geltende Reihenfolge Evangelium und Gebot 23 kann aber - dies gilt es, mit Entschiedenheit gegen Barth zu betonen - nicht für das Verhältnis von Gesetz und Evangelium herangezogen werden - schlicht deshalb nicht, weil die Paränese nicht mit dem Gesetz zu identifizieren ist24! So bleibt bei Barth „innerhalb der alles umgreifenden systematisierenden Struktur der Paraklese kein gebührender Raum mehr für die paulinische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium" 25 . Diese Einwände sind Barth allerdings „völlig dunkel" 26 geblieben27. Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium geht von zwei Grundvoraussetzungen aus: zum einen, daß das „Gesetz" ursprünglich Verheißung ist, mithin die Form des Evangeliums, in dem uns dieses als Forderung gegenübertritt, zum anderen, daß die Anklage nicht das Wesen des „Gesetzes" ist, vielmehr nur deren - durch den menschlichen Mißbrauch des Gebotes - verursachte Mutation. Beide Grundvoraussetzungen haben jedoch keinen Anhalt an der paulinischen Gesetzeslehre, beiden wird vielmehr durch die paulinische Gesetzeslehre entscheidend widersprochen: Die ursprüngliche Funktion des Gesetzes besteht nach

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So zu Recht Schlink, Gesetz und Paraklese, S. 257; Wingren, Evangelium und Gesetz, S. 275. So zu Recht Schlink, Gesetz und Paraklese, S. 253. - Nicht zuletzt der Aufbau des Römerbriefes ist ein beeindruckendes Dokument für das Eingegründetsein der christlichen Paränese in das zusprechende Evangelium. Damit ist aber an sich noch nicht der Ort der Paränese bestritten, die Barth herausstellt, d. h. seine Bestimmung des Verhältnisses von Dogmatik und Ethik, genauer: seine Zuordnung der Ethik zur Dogmatik (vgl. Jüngel, Evangelium und Gesetz, S. 188; aber auch die positive Würdigung dieses Sachverhaltes bei Wingren, Evangelium und Gesetz, S. 273f). Schlink, Gesetz und Paraklese, 254; vgl. auch Pöhlmann, Analogia entis oder Analogia fidei?, S. 150. KD IV/3, S. 427. So entgegnet Barth den Einwänden von Wingren und Schlink: „Ich verstehe [...] nicht, mit welchem biblischen und inneren Recht, von welchem Begriff von Gott, seinem Tun und seiner Offenbarung, vor allem von welcher Christologie her man dazu kommt, statt von einem in sich wahren und klaren Wort Gottes von deren zwei zu reden, in welchem er, man weiß nicht nach welcher Regel alternierend, je in ganz verschiedener Weise zum Menschen reden würde" (KD IV/3, S. 427).

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Paulus in der Anklage. Das Gesetz ist von Gott zu genau dem Zweck gegeben, Anklage und Verdammungsurteil zu sein. Genau aus diesem Grunde bezeichnet Paulus auch die paränetischen Gebote nicht als Gesetz. Schließlich ist noch ein dritter deutlicher Widerspruch zur paulinischen Theologie zu bemerken, der keinesfalls unwichtig ist. Der Mensch scheitert nach Paulus nicht deshalb am Gesetz, weil er mit seiner Hilfe versucht, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten28; sondern weil er es nicht erfüllt29. Die Sünde, die das Gesetz feststellt, besteht in der Übertretung des Gesetzes (vgl. Gal 2 , 1 8 ; 5, 19ff.; 6 , 1 3 ; vgl. Rom 2, lff,17ff.; 3, 19ff.; 7, 14ff.; 8, 5-8), nicht in dem Versuch, durch das Halten der Gebote Ruhm bei Gott zu erwerben und so eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten30. Wenn Barth hingegen - wie auch Bultmann31 - die Schuld nicht darin erblickt, daß der Mensch die Gebote des Gesetzes nicht hält, sondern in dem Versuch, durch das Halten der Gebote die eigene Gerechtigkeit aufzurichten, so ist dies durchaus nicht nur eine kleine exegetische Nachlässigkeit eines großen Dogmatikers. Denn erblickt Barth die Schuld des Menschen darin, mit Hilfe des Gesetzes die eigene Gerechtigkeit aufrichten zu wollen, so ist hier die These vorbereitet, die Anklage und der Schuldaufweis resultiere aus dem falschen Umgang des Menschen mit dem Gesetz, nämlich dem Versuch der Selbstrechtfertigung. Das Gesetz wird in diesem Verständnis also erst durch seinen Mißbrauch dem Versuch mit seiner Hilfe die Selbstrechtfertigung aufzurichten - zum Ankläger. Dies verdunkelt aber von vornherein die Einsicht, daß das Gesetz dazu gegeben ist, die Schuld des Menschen offenbar zu machen. 28

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So u. a. Bultmann, wenn er schreibt, daß „das Bemühen des Menschen, durch Erfüllung des Gesetzes sein Heil zu gewinnen" (ders., Theologie des Neuen Testaments, S. 2 6 4 f ) den Menschen am Gesetz scheitern läßt. Demgegenüber negiert Wilkens, „daß die Gesetzeswerke selbst, der Wille überhaupt, das Gesetz durch Werke zu erfüllen und dadurch sich vor Gott als Gerechten zu qualifizieren, von Paulus im Blick auf die Rechtfertigung des Menschen grundsätzlich bestritten werden, daß also, was das Gesetz seinem Täter zusagt, in Wahrheit falsch sei" (ders., Was heißt bei Paulus: ,Aus Werken des Gesetzes wird kein Mensch gerecht'?, S. 94). Gal. 3, lOf. - Vgl. hierzu ausführlich Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 1 2 1 ff: Nach Paulus begründet „weder die legalistische Perversion des Gehorsams noch das Streben, durch Gesetzeswerke gerecht zu werden, das Verdammungsurteil der Tora [...], sondern allein der Ungehorsam" (a. a. O., S. 131). Vgl. a. a. O., S. 1 3 1 . - Dies wird bei Eckstein gerade dadurch eindrücklich belegt, daß bei Paulus - vgl. bes. Gal 2, 1 5 - 1 8 - die gesetzestreuen Juden wie die Heiden als Sünder befunden werden, die Sünden der Heiden aber keineswegs durch den Versuch gekennzeichnet sind, durch das Halten der Gebote sich Ruhm bei Gott zu verschaffen und eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten (vgl. ebd.; vgl. auch a. a. O., S. 5ff). S. o. Anm. 2 8 .

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Fassen wir die Unterschiede pointiert zusammen: Gilt nach Paulus, daß (a) die ursprüngliche Intention des Gesetzes in der Anklage und dem Schuldaufweis liegt, daß (b) die Paränese nicht als Gesetz beschrieben wird und (c) die durch das Gesetz offenbar gemachte Schuld des Menschen darin besteht, daß der Mensch dem Gesetz gegenüber ungehorsam ist, d. h. daß er Übertreter des Gesetzes ist, so sind diese drei Punkte völlig konsistent 32 : Weil die ursprüngliche Intention des Gesetzes, sein Wesen und seine Wahrheit, in der Anklage und dem Schuldaufweis besteht, kann es keinen „tertius usus legis" für Paulus geben. Und besteht die eigentliche Funktion des Gesetzes in der Anklage und der Offenbarung der menschlichen Schuld, so besteht die Schuld im Ungehorsam, in der Übertretung der einzelnen Gebote des Gesetzes, nicht in seinem Mißbrauch. Barth muß nun aber Paulus - um seinerseits konsistent zu sein - an allen drei Punkten widersprechen: (a) Die ursprüngliche Funktion des Gesetzes ist die Verheißung und Forderung, (b) In der christlichen Paränese wird die ursprüngliche Intention des „Gesetzes" zu seiner Geltung gebracht, (c) Die Schuld des Menschen besteht darin, daß der Mensch mit Hilfe des Gesetzes versucht, seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Der Gegensatz der Barthschen Verhältnisbestimmung zu der pauliniscben ist fundamental.

3. Das Gesetz als Heilsgabe - nötiger Widerspruch zu Paulus? Das Gesetz als notwendige Form des Evangeliums zu sehen, ist so der schärfste Widerspruch zu dem paulinischen Gesetzesverständnis. Stehen sich so Barth und Paulus als unversöhnliche Antipoden in der Frage nach der Bedeutung des Gesetzes gegenüber, so gilt konsequenterweise: Eine Zustimmung zu Barth hinsichtlich der Frage nach der Bedeutung des Gesetzes wird entweder die paulinische Auffassung der Bedeutung des Gesetzes einer Kritik unterziehen müssen oder sie wird Paulus von Barth her zu deuten unternehmen müssen. Hat Paulus das Wesen des Gesetzes in der Anklage und der Offenbarung der menschlichen Schuld erblickt, so ist damit jede heilvolle Sicht des Gesetzes bestritten. So wird von Paulus jede Sichtweise des Gesetzes problematisiert und als falsch entlarvt, die - wie sublim auch immer - darum bemüht ist, das Gesetz als eine heilsame Größe aufzufassen.

32

Μ . E. völlig überzeugend führt Eckstein in seiner Arbeit den Nachweis, „ d a ß die paulinischen Aussagen über Auftrag und Funktion der Sinai-Tora durchaus klar und schlüssig s i n d " (vgl. ders., Verheißung und Gesetz, S. 2 5 3 ) .

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Nun ist auf unterschiedliche Weisen versucht worden, verschiedene religiöse Traditionen oder Schriften von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit zu befreien. An dieser Beschäftigung mit den unterschiedlichen religiösen Traditionen und Schriften kann in unserem Zusammenhang nun aus dem Grunde nicht vorübergegangen werden, weil sich zeigt, daß die Bestreitung des Vorwurfs der Gesetzlichkeit nicht selten Hand in H a n d geht mit der Behauptung der heilvollen Bedeutung des Gesetzes. Gegen Paulus wird nicht nur geltend gemacht, daß er das jüdische oder alttestamentliche Verständnis des Gesetzes um seine Pointe gebracht hat, sondern (s.u.) nicht selten wird gefordert, Paulus durch die neu freigelegte Sichtweise des Gesetzes einer grundlegenden Korrektur zu unterziehen und eine heilvolle Sicht des Gesetzes endlich in die christliche Theologie zu (re)integrieren. Aus diesem Grund ist es für die Auseinandersetzung mit dem paulinischen Gesetzesverständnis - damit auch für den Sinn der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium überhaupt - aufschlußreich, die unterschiedlichen Rehabilitierungsversuche in dem Blick zu nehmen. Im folgenden seinen daher drei „Rehabilitierungsversuche" unterschieden: Erstens der Versuch, das hebräische Altertum von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit zu befreien (3.1), zweitens die Verteidigung des alttestamentlichen Kanons vor dem Vorwurf der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit (3.2) und schließlich drittens die Rehabilitierung des Judentums von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit (3.3). 3.1 Die Rehabilitierung des hebräischen Altertums Die Einsicht, daß die Verbeißung an Israel dem Gesetz am Sinai vorangeht, folglich nicht das Gesetz, sondern Gottes gnädiger Zuspruch die Gemeinschaft zwischen Jahwe und seinem Volk Israel konstituiert, ist eine heute allseits bekannte Feststellung. Dabei zeigt sich aber, daß zunächst in der alttestamentlichen Forschung mit dieser Behauptung weder das Interesse bestand, das Gesetz zu Ehren zu bringen noch auch eine Verteidigung des kanonischen Alten Testamentes damit verbunden war. Zunächst ging es um die Rehabilitierung des hebräischen Altertums, nicht um die erst später entstandenen Schriften des Alten Testaments. In diesen Gedankengang können im Grunde schon die Arbeiten von Julius Wellhausen eingereiht werden. Indem er der These lex post prophetas zu allgemeiner Anerkennung verhalf 33 , hat Wellhausen auf die nur sekundä33

Vgl. die Hauptwerke Wellhausens, Die Composition des Hexateuchs; ders., Prolegomena zur Geschichte Israels.

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re Funktion des Gesetzes hingewiesen. Die Einsicht der These, daß das Gesetz der Verkündigung der Propheten folgt, damit nicht, wie der Kanon des Alten Testamentes glauben machen will, das Gesetz das Ursprüngliche ist, führt für Wellhausen zu der befreienden Konsequenz, „daß das hebräische Altertum ohne das Buch der Thora verstanden werden könne" 34 . Das hebräische Altertum wird bei Wellhausen somit dadurch rehabilitiert, daß es die Zeit ohne das Gesetz war. Damit verbunden ist allerdings bei Wellhausen die Beurteilung des Gesetzes als Abfall von der Höhe und der Unmittelbarkeit der Propheten 35 . Bei Wellhausen zeigt sich so deutlich, daß weder das Gesetz selbst in irgendeiner Form rehabilitiert werden soll, noch der Kanon des Alten Testamentes. Ist das Gesetz vielmehr ein Abfall von der Höhe und Unmittelbarkeit der Propheten, so vermittelt die kanonische Darstellung des Alten Testamentes nach Wellhausen fälschlich die Vorstellung, daß Gesetz sei das ursprüngliche, die Propheten hingegen der Gesetzgebung zeitlich nachgeordnet 36 . Zunächst scheint die Behauptung Wellhausens durchaus anschlußfähig an die paulinischen Polemik gegen die Gesetzlichkeit zu sein; denn Wellhausens Rehabilitierung des hebräischen Altertums ist ja nicht mit einer Behauptung einer heilvollen Bedeutung des Gesetzes verbunden, vielmehr betrachtet Wellhausen das Gesetz als Abfall von einer zeitlich vergangenen höheren Stufe. Doch hiermit sind zwei problematische Konsequenzen verbunden: Zum einen richtet sich Wellhausen nicht gegen ein falsches Verständnis des Gesetzes, sondern das Gesetz selbst ist schon an sich eine problematische Größe. Zum anderen geschieht die positive Wertung des hebräischen Altertums auf Kosten des kanonisch gewordenen Alten Testaments. In dieser Linie geht Martin Noth einen Schritt über Wellhausen hinaus, indem er zwischen einem ursprünglichen Gesetzesverständnis und einem pervertierten Gesetzesverständnis zu differenzieren anleitet: Im ursprünglichen Verständnis des Gesetzes - so Noth - setzt das Gesetz den Bund des Volkes Israel mit Jahwe voraus, es ist diesem keinesfalls konditional vorgeordnet: „Am Anfang steht die Verheißung Jahwes, die an die ,Väter' ergangen ist und die die Inbesitznahme des gelobten Landes und den göttlichen Segen in diesem Lande zum Inhalt hatte. Im Zuge ihrer Verwirklichung liegt der Bundesschluß zwischen Gott und Volk am Sinai, bei dessen Vollzug das Gesetz gegeben wurde, dessen Beachtung Jahwe als legitimer Gesetzgeber als selbstverständlichen Ausfluß der 34 35 36

Wellhausen, Prolegomena zur Geschichte Israels, S. 4. Vgl. a. a. O., S. 3f. So ist es nach Wellhausen „ein leerer W a h n , d a ß die Propheten das Gesetz erklärt und angewandt haben sollen" (A. a. O., S. 398).

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wechselseitigen Bundestreue fordern kann und muß. Der Inhalt des Gesetzes will ja in erster Linie die Treue zu Gott auf den verschiedensten Gebieten des realen Lebens festlegen. Eine Übertretung des Gesetzes und sei es nur in einem Punkte - bedeutet Verlassen der Bundestreue, damit Bundesbruch und Abfall; und für diesen Fall ist das Wirksamwerden des dem Gesetz beigefügten Fluches vorgesehen, den Jahwe selbst vollstrecken wird. Der in Dtn 28 auch ausgesprochene Segen für Erfüllung des Gesetzes kann dann im Grunde nur den negativen Sinn haben, daß das NichtÜbertreten des Gesetzes die von Jahwe aufgerichtete Ordnung und damit auch den von ihm verheißenen Segen bestehen läßt" 3 7 . Das Gesetz ist daher nach Noth „keine voraussetzungslos und allgemein dahstehende Größe, von der aus es die beiden Möglichkeiten von Erfüllung und Nichterfüllung, von guten und bösen Werken, von Lohn und Strafe, von Segen und Fluch in gleicher Weise gäbe. Das Gesetz hat vielmehr zur Voraussetzung jene Verfassung, die das Alte Testament den von Jahwe aus eigener Initiative aufgerichteten Bund zwischen Gott und Volk nennt, der seinerseits verbunden ist mit der von Jahwe frei gegebenen Verheißung. Aufgrund dieses Gesetzes, das Erfüllung rechtmäßig fordern kann und fordert, gibt es den Begriff von guten, verdienstvollen Werken und eines damit verdienten Lohnes überhaupt nicht; der Segen wird nicht verdient, sondern ist frei verheißen. Von diesem Gesetz aus gibt es nur eine menschliche Möglichkeit eigenen, unabhängigen Handelns; das ist Übertretung, Abfall und damit Fluch und Gericht" 38 . Ist die Verheißung und der von Gott frei gewährte Bund dem Gesetz vorgeordnet, das Gesetz nur der Ausfluß aus dem frei gewährten Bund und der Verheißung, in dem Jahwe wechselseitige Bundestreue fordert, so bedeutet die Übertretung des Gesetzes den Bruch der von Gott frei gewährten Gemeinschaft. Damit ist anfänglich das Gesetz eingegliedert in den Rahmen einer vorgegebenen sakralen Gemeinschaftsordnung 39 . Erst in der Spätzeit in der nachexilischen Gemeinde rückt - so Noth - das Gesetz ins Zentrum, das Gesetz löst sich von einer vorausgehenden Gemeinschaftsordnung, so daß es zu einer absoluten Größe wird und nun dem Pentateuch in seiner kanonisch gewordenen Form als Hauptsache gilt 40 . Diese sekundäre Vorstellung von der Bedeutung des Gesetzes setzt nach Noth somit allererst mit der kanonischen Form des Pentateuchs ein 41 . Diese - sozusagen kanonisch gewordenene - Vorstellung von der Bedeu-

37 38 39 40 41

N o t h , „Die mit des Gesetzen Werken umgehen, sind unter den Fluch", S. 167f. A. a. O., S. 171. Vgl. bes. ders., Die Gesetze im Pentateuch, S. 136ff. Vgl. a. a. O., S. 112ff, bes. 135f. Vgl. a. a. O., S. 137.

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tung des Gesetzes wird von Noth als ein „Irrweg" 42 bezeichnet, die sich von der „echten Grundlage des Glaubens" 43 entfernt hat. Die These von Wellhausen ist damit bei Noth entschieden modifiziert. Ist bei Wellhausen die Prophetie das ursprüngliche und wahre, das Gesetz hingegen der Abfall von der Höhe der prophetischen Verkündigung, so ist bei Noth das Gesetz an sich durchaus nicht als ein Abfall zu beurteilen. Das Gesetz ist in seinem Ursprung eingegliedert in eine vorgegebene sakrale Gemeinschaftsordnung, will also die Gemeinschaft nicht erst konstituieren, sondern lediglich die Gemeinschaft bewahren. Erst in der Spätzeit - und dadurch in der kanonischen Form des Alten Testamentes - wird das Gesetz zu einer eigenständigen Größe, die über Heil und Unheil entscheidet. Damit bleibt aber eine Schwierigkeit der Wertung von Wellhausen bestehen: Die durch den Historiker ermittelte Genese der israelitischen Religion wird über die Kanonizität des Alten Testamentes gestellt. In die Linie der Alttestamentier, die zwischen einem ursprünglichen reinen hebräischen Altertum und einem Abfall im kanonischen Alten Testament unterscheiden, gehört letztlich - obwohl zeitlich später - auch Westermanns Unterscheidung von Gebot und Gesetz 44 . Das Gebot ist nach Westermann von der Form her „eingliedrig und hat die Form der direkten Anrede" 45 ; es gehört, wie die neutestamentliche Weisung, zur Verheißung; denn die Weisungen haben neben der Heilsbotschaft ihren notwendigen Ort 46 . Demgegenüber ist das Gesetz von der Form her „zweigliedrig und verbindet den Tatbestand mit einer Tatfolge" 47 . Verdanken sich die Gebote den Weisungen Gottes 48 , so entstehen Gesetze durch Menschen 49 . Somit gilt für Westermann: „Nur das Gebot ist direktes und unmittelbares Gotteswort. Die Gesetze sind erst nachträglich, in einem späteren Stadium zum Gotteswort erklärt worden" 5 0 . Ist historisch zwischen Gebot und Gesetz streng zu unterscheiden, so sind sie ,,[e]rst nachträglich [...] zusammengekommen in den Gesetzessammlungen des Pentateuch, und damit erst entstand das Gebote und Gesetze zusammenfassende ,Gesetz'. So zusammengefaßt sind sie der Theopha42

A. a. O., S. 140.

43

Ebd. So vorgetragen in seiner Monographie „Theologie des Alten Testaments in Grundzügen". A. a. O., S. 156. Vgl. a. a. O., S. 157f. A. a. O., S. 156. Vgl. a. a. O., S. 159f. Vgl. a. a. O., S. 160ff. A. a. O., S. 157.

44

45 46 47 48 49 50

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nie am Sinai zugeordnet und insgesamt das von Gott seinem Volk vorgegebene Gesetz geworden" 5 1 . Unterscheidet das Neue Testament zwischen Gebot und Gesetz, so sind nach Westermann „die Gebote von dem nicht betroffen [...], was vom Gesetz als dem überwundenen Heilsweg gesagt wird" 52 . Ist der historischen Differenzierung von Westermann zwischen Gebot und Gesetz in der alttestamentlichen Forschung widersprochen worden 53 , so besteht darüber hinaus auch bei ihm die theologische Schwierigkeit darin, daß Westermann die Traditionsgeschichte der kanonischen Gestalt des Alten Testamentes hermeneutisch vorordnet. Die Arbeiten von Wellhausen, Noth und Westermann weisen also eine grundlegende Gemeinsamkeit auf: Es wird unterschieden zwischen einer (vorexilischen) nicht „gesetzlichen" Zeit (einer Zeit vor der Kanonisierung des Alten Testamentes) und einer Zeit der Vergesetzlichung, die sich in der kanonisierten Form des Alten Testamentes niederschlägt. Dabei differieren die unterschiedlichen Ansätze hinsichtlich ihrer Begründung einer reinen nicht gesetzlichen Vorzeit: Ist es bei Wellhausen eine Zeit ohne Gesetz, so ist es bei Noth eine Zeit des richtigen Verständnisses des Gesetzes. Die Auffassung Westermann steht in dieser Hinsicht zwischen Noth und Wellhausen: Auch bei ihm scheint - durchaus strukturell ähnlich wie bei Wellhausen - das Gesetz an sich eine problematische Größe zu sein. Doch kannte die reine Vorzeit neben dem Gesetz auch das Gebot, das von der paulinischen Kritik nicht berührt ist. Doch gilt festzuhalten: Sowohl von Wellhausen und Noth als auch von Westermann sind zwar die Ursprünge der israelitischen Religion von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit rehabilitiert, nicht aber das Alte Testament in seiner kanonischen Form. Darüber hinaus zeigt sich (besonders bei Noth) ein Gedanke, dem noch nachzugehen sein wird (s. u.): das Gesetz als ursprüngliche Heilsgabe zu sehen, das in der gnadenhaft geschenkten Gottesbeziehung hält, und nur den mit dem Fluch belegt, der diese gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung durch die Übertretung der Weisungen des Gesetzes verläßt.

3.2 Die Rehabilitierung des biblischen Kanons So sind die Arbeiten an dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis als eine zweite Periode von den Arbeiten von Wellhausen, Noth und auch 51 52 53

Ders., Zur Fragen einer biblischen Theologie, S. 15. Ders., Theologie des Alten Testaments in Grundzügen, S. 157f. Vgl. u. a. Lohfink, Kennt das Alte Testament einen Unterschied von Gesetz und Gebot?, bes. S. 69ff, bes. 88f.

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Westermann zu unterscheiden, die das Alte Testament - und zwar in seiner kanonischen Form, nicht eine traditionsgeschichtliche Vorstufe vor dem Vorwurf der Gesetzlichkeit in Schutz nehmen. Gerade die vielgescholtenen nachexilischen Texte durften sich einer Rehabilitierung erfreuen: Nicht nur die Gesetzespsalmen 1; 19B und 119 werden vor dem Vorwurf der „Gesetzlichkeit" in Schutz genommen 54 , sondern auch das Deuteronomium, das eigentliche Gesetzbuch des Alten Testamentes. So ist nach von Rad das Deuteronomium keinesfalls als ein gesetzliches Buch im Sinne der Werkgerechtigkeit aufzufassen: „Die Erfüllung der Gebote ist [...] keinesfalls die Voraussetzung des Heiles; die Verkündigung der Gebote geschieht ja gleichzeitig mit der Erwählung, und deshalb kann der Gehorsam in jedem Fall dem göttlichen Heilshandeln nur nachfolgen" 5 5 . Und auch die Priesterschrift wurde von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit zu befreien gesucht. So hat sich nach Zimmerli in der Priesterschrift eine revolutionäre Umzeichnung der Sinaitradition vollzogen 56 . Die Priesterschrift - so Zimmerli - eliminiert den Bund aus dem Sinaigeschehen, der Proklamation der Gesetze, weil ,,[d]er Sinaibund in seiner alten Gestalt [...] Ρ als Grundlage des Gottesverhältnisses fraglich geworden [ist]. So wird die ganze Begründung des Bundesstandes in den Abrahambund zurückverlegt, der schon nach den alten Quellen ein reiner Gnadenbund gewesen ist" 57 . Daher ist nun ,,[w]as unter Mose am Sinai geschieht, [...] in Ρ ganz rein als Einlösung jener früheren Gnadenzusage, auf welcher der Bund nun allein ruht, verstanden. Die Proklamation des Gottesrechtes und die daraufhin erfolgende Bundesschließung unter den Möglichkeiten von Fluch und Segen ist verdrängt" 5 8 . Steht am Sinai vor allem die Konstitution des Kultus, so werden die Gesetzestafeln bei Ρ „fast nebenbei" 59 erwähnt.

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55

56 57 58 59

Vgl. hierzu Wolff, Psalm 1, S. 385ff; Kraus, Freude an Gottes Gesetz, S. 337ff. So ist nach Kraus die Freude an Gottes Gesetz „Zeichen der eschatologischen Existenz, die bereits im Alten Testament ihr Bekenntnis spricht. Der Lobpreis des Gesetzes ist d a r u m nicht ein Zeugnis für den allgemeinen N o m i s m u s spätjüdischer Frömmigkeit, sondern ein Signal durch welches das K o m m e n des .neuen Menschen' angekündigt wird - jenes Menschen, der die Tora Gottes in seinem Herzen t r ä g t " (a. a. O., S. 348). Von Rad, Deuteronomiumstudien, S. 50; vgl. auch Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 429: Das Deuteronomium „schärft mit einer Vielfalt von Formulierungen den Gehorsam (,heute') ein; jedoch braucht dieser die Gemeinschaft GottVolk nicht erst zu schaffen bzw. zu begründen". Vgl. Zimmerli, Sinaibund und A b r a h a m b u n d , S. 205ff. A. a. O., S. 2 1 5 . Ebd. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 108.

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So hat denn von Rad - und hierin ist er höchst folgenreich geworden - im Blick auf das gesamte Alte Testament formuliert: „Dem Empfang der Gebote ist die Erwählung durch Jahwe vorausgegangen" 60 . Dieses Urteil von von Rad hat bis in die gegenwärtige alttestamentliche Forschung ihr Gültigkeit nicht verloren. So urteilt Schmidt: „Insgesamt bleibt ein Grundzug deutlich: Gottes Verheißung (Ex 3; 6), Rettung und Fürsorge (Ex 14-17) gehen allen Gesetzen (Ex 21ff) voraus. Der ihnen zusammenfassend vorangestellte Dekalog (Ex 20) spiegelt dieselbe Struktur wider, wenn er vor allen Forderungen im Vorspruch an die Tat Gottes erinnert und die von ihm gewährte Gemeinschaft bezeugt. Erst aus der Zusage ,dein Gott' ergeben sich die Gebote. [...] Insofern braucht die Rechtsordnung, damit menschliches Tun, diese Gemeinschaft nicht erst hervorzubringen und zu begründen" 6 1 . Aus diesem Grunde „ist das Gesetz kein Heilsweg - im Sinne eines Weges zum Heil, sondern höchstens ein Weg, das Heil zu bewahren" 6 2 . So suchen die Gesetze „das Wohl der Gemeinschaft zu bewahren und den einzelnen Übertreter, der aus ihr herausfällt, zu erfassen, um ,das Böse aus Israel zu entfernen' (Dtn 24, 7; vgl. Lev 17, 4 u.a.)" 63 . Aus diesem Grund bedeutet die Tora „Leben" 64 . „Die Tora, Zeichen und Unterpfand der Fortwirkung des Bundes, ist Gottes gute Gabe, dem Volk weder schwer noch fern, vielmehr erfüllbar" 6 5 .

3.3 Die Rehabilitierung des Judentums Wurde zunächst die ursprüngliche israelitische Religion, das hebräische Altertum, von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit befreit, die Gesetzlichkeit dem kanonisch gewordenen Alten Testament hingegen angelastet, so ist in einem zweiten Schritt auch das kanonisch gewordene Alte Testament von dem Vorwurf der Gesetzlichkeit befreit worden. So hat erst das Judentum - dieser Vorwurf konnte sich wohl am längsten der allgemeinen Anerkennung erfreuen - den Glauben vergesetztlicht. In diesem Sinne urteilt beispielsweise auch Bornkamm: „Ohne Zweifel hatte die

60 61 62

63 64 65

Von Rad, Theologie des Alten Testaments II, S. 4 1 7 . Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 430. Ders., W e r k Gottes und T u n des M e n s c h e n , S. 2 8 . - So f o r m u l i e r t a u c h Würthwein, Gesetz II, Sp. 1514 im Blick auf das D e u t e r o n o m i u m : Das „Bundesverhältnis unversehrt zu erhalten, ist ein zentrales Anliegen der G[esetz]e". Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 428. A. a. O., S. 4 2 9 . Ebd.

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Religion des alten Israel im Judentum nach dem Exil eine ungeheure Verengung und Versteinerung erfahren. Aus dem Herrn der Völker war das Parteioberhaupt des Gesetzlichen, aus dem Gehorsam gegenüber dem Lenker der Geschichte eine weitverzweigte Technik der Frömmigkeit geworden" 6 6 . So wurde nach Schmid das Gesetz im Spätjudentum nicht mehr verstanden als „Gottes lebendiges Wort, sondern [war] zum toten Buchstaben erstarrt, der sich als selbständige Größe zwischen Gott und Menschen stellte. [...] Am schwerwiegensten aber war die Verbindung des Gesetzes mit dem Gedanken des durch eigene Leistung erworbenen Lohnes, durch den das Verhältnis zwischen Gott und Mensch eine grundlegende Wandlung erfährt" 6 7 . Und auch Lohse resümiert: „Allein durch das G[esetz] kann [...] der Mensch Gemeinschaft mit Gott gewinnen und erfahren" 6 8 . Der Vorwurf der Gesetzlichkeit wird somit nicht mehr dem kanonischen Alten Testament gemacht, sondern an das Judentum herangetragen. Doch auch das Judentum durfte sich hinsichtlich seiner Vorstellung von der Bedeutung des Gesetzes in den letzten Jahren einer Rehabilitierung erfreuen: So wird aus der Perspektive des jüdischen Gesetzesverständnisses der paulinische Gedanke der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit als ein „Fremdkörper" 6 9 beurteilt 70 . W a s nun im Blick auf das kanonische Alte Testament ermittelt wurde, wird auch für die jüdische Religion behauptet: „Gesetzesgehorsam steht im Rahmen des Bundesgedankens. Er ist von Gott geschenkte menschliche Partnerschaft mit dem seinen Partner beanspruchenden G o t t " 7 1 . Nicht das Gesetz konstituiert das Gottesverhältnis, vielmehr lebt Israel aus der gnädigen Zusage Gottes, die aber zugleich Israel an die Gebote und ihre Verwirklichung bindet 72 . „Jahwes Zusage besteht in der Gabe der ,Gebote' und der in ihm enthaltenen Bindung an Gott und den Nächsten" 7 3 . So ist das „Ausüben der Tora [...] ein Zeugnis der Juden in ihrer Beziehung zu Gott" 7 4 . Die Bedeutung der Tora im Judentum wird erkannt als „ein Mittel, die gegenseitigen Beziehungen der Liebe zwischen Israel und seinem Gott zu stärken" 7 5 . Als Mittel zur Stärkung und Bewahrung der gnadenhaft ge66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Bornkamm, Jesus von Nazareth, S. 3 3 ; ähnlich urteilt Dibelius, Jesus, S. 3 5 . Schmid, Gesetz II, S. 8 1 9 . Lohse, Gesetz III, Sp. 1 5 1 7 . Smend/Luz, Gesetz, S. 4 7 . Vgl. a. a. O., S. 45ff. A. a. O., S. 4 7 . So Jepsen, Israel und das Gesetz, S. 92. Ebd. Ehrlicher, Tora im Judentum, S. 5 4 8 . Ebd.

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schenkten Beziehung - so wird betont - ist denn auch die eschatologische Hoffnung des rabbinischen Judentums weder auf eine Aufhebung der Tora gerichtet noch auf eine neue Tora, sondern auf ein neues Verständnis der Tora 76 . Ist die Tora und vor allem der Dekalog, der im Judentum eine Sonderstellung genießt 77 , das Mittel, die gnadenhaft geschenkten Gottesbeziehung zu wahren und zu stärken™, so ist die Tora das „Gegengift gegen das Gift der Sünde" 79 .

4. Der Ort des paulinischen Widerspruchs zum alttestamentlichen Gesetzesverständnis Die Rehabilitierung des Kanons des Alten Testamentes und des Judentums hat vor allem zwei Ergebnisse zutage gefördert, die durchaus beanspruchen, auch in der systematischen Reflexion berücksichtigt zu werden - und hier (s. u.) auch ihr Gehör gefunden haben: Zum einen wird betont, daß weder das Alte Testament noch die jüdische Religion gesetzlich und werkgerecht sind: Die Verheißung ist dem Gesetz sowohl im Alten Testament als auch im Bewußtsein der jüdischen Frömmigkeit vorgeordnet. Daher - so wird geltend gemacht - hat das Gesetz weder im Alten Testament noch auch in der jüdischen Religion die Aufgabe, das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk erst zu begründen. Zum anderen wird die positive Funktion des Gesetzes ermittelt: Die positive Funktion des Gesetzes besteht darin, das gnadenhaft geschenkte Heil zu bewahren. Ist die gnadenhaft geschenkte Beziehung zu Gott durch die Sünde bedroht und ist es zwar nicht die Aufgabe des göttlichen Gesetzes, das Heil zu konstituieren, aber doch es zu bewahren, so ist es höchst konsequent, wenn die rabbinische Literatur das Gesetz als „Gegengift gegen das Gift der Sünde" (s. o.) begreift. Das Gesetzesverständnis des Alten Testaments und der jüdischen Religion erfährt so seine Rehabilitierung in einer zweifachen Hinsicht: Zum einen wird versucht zu zeigen, daß der alte Vorwurf der Gesetzlichkeit und Werkgerechtigkeit falsch sei, zum anderen wird ein Verständnis des Gesetzes vorgestellt, von dem behauptet wird, es sei auch für den christlichen Glauben und seine wissenschaftliche Reflexion akzeptabel 76 77

78 79

Vgl. hierzu Schäfer, Die Torah der messianischen Zeit, S. 27ff, bes. 4 2 . Vgl. Stemberger, Der Dekalog im frühen Judentum, S. 91. So kann der Dekalog im Judentum als „Inbegriff aller Gebote" (a. a. O., S. 1 0 3 ) aufgefaßt werden. So auch Limbeck, Die Ordnung des Heils, S. 190ff; Amir, Gesetz II, S. 55. Jacobs, Die Bedeutung des Gesetzes im Judentum, S. 5 4 8 . Vgl. a. a. O., S. 5 4 8 f die Belege aus der rabbinischen Literatur.

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und von dem daher gefordert wird, es in die theologische Reflexion zu integrieren; denn sowohl das Alte Testament als auch die jüdische Religion lehren - gemäß dieser Auffassung - neu zu verstehen, was Gesetz überhaupt zu bedeuten hat, konkreter: sie lehren die heilsame Bedeutung des Gesetzes zu verstehen. Hat Paulus Heil und Gesetz scharf geschieden, so wird die „Rehabilitierung des Gesetzes" 80 enthusiastisch gefeiert. So heißt es nun - fast schon bekenntnishaft: „Wir erkennen jetzt, daß das rettende Ereignis des Exodus, der Geburtsstunde Israels, unauflöslich mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Verhaltensnormen, also gewisser Forderungen Jahwes verbunden ist" 81 . Die „paulinische Polemik gegen das Gesetz" 82 - so wird gefordert - gilt es in der theologischen Reflexion endlich zu überwinden. „Kurz gesagt plädieren wir für die Anerkennung des Platzes des Gesetzes im Christentum" 8 3 . Auffallend ist hier die Nichtunterscheidung zweier verschiedener Forderungen: die Anerkennung eines Platzes des Gesetzes im Christentum einerseits und die Forderung zur Anerkennung eines bestimmten Platzes des Gesetzes im Christentum, nämlich seine Zugehörigkeit zum Heil. So scheint es nur ein Entweder-Oder zu geben: Entweder Polemik gegen das Gesetz oder Anerkennung der heilsamen Bedeutung des Gesetzes. Gerade aber die Erkenntnis der heilsamen Bedeutung des Gesetzes - so die Intention - soll durch das Alte Testament und die jüdische Religion dem Christentum erneut vermittelt werden. So begrüßt es Crüsemann enthusiastisch, daß „in der protestantischen Theologie ansatzweise eine Sicht des Gesetzes heimisch geworden [ist], die dem Judentum originär ist, zweifellos den biblischen Texten entspricht und auf die Formel ,Tora als Gnade' gebracht werden kann. Die Forderung nach einer Reintegration der Tora in eine evangelisch Theologie ist die theologisch unausweichliche Folge" 84 . Auch bei Crüsemann ist deutlich: Rehabilitation der Tora bedeutet die „Tora als Gnade" zu deuten. Die Einsichten in das Verständnis des Gesetzes als Gottes Gnadengabe und die Forderung, dies in der Theologie zur Geltung zu bringen, sind bei Gestrich wohl angekommen. „Die Tora oder das Gesetz Gottes - das Herzstück der Hebräischen Bibel/des Alten Testaments - ist nur als eine (Gottes Zuwendung zum durch sich selbst bedrohten, sündigen Menschen bekundende) rettende göttliche Gnade recht zu verstehen. D. h. die 80 81 82 83 84

Davies, Die Bedeutung des Gesetzes im Christentum, S. 551. Ebd. Ebd. A. a. O., S. 556. Crüsemann, Die Tora, S. 9. - So ist es für Crüsemann selbstverständlich, „daß unbeschadet des historischen Abstandes allein die Tora die Grundlage einer biblisch orientierten christlichen Ethik sein kann" (a. a. O., S. 424f).

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Tora ist Israel von Gott nicht in der verborgenen Absicht gegeben worden, daß Israel an diesem Gesetz scheitere und dadurch ganz auf Gottes freie, erbarmende Gnade geworfen werde" 85 . Ist nach Gestrich die Tora „wegen der schon vorgängigen Sündhaftigkeit und Armut des menschlichen Wesens von Gott ,gesetzt' worden" 86 , so bedeutet dies nichts anderes, als daß die Tora eine rettende Gabe gegen die Sünde ist; mit den Rabbinen geredet: Es bedeutet, daß die Tora das Gegengift gegen das Gift der Sünde ist. Von dieser Einsicht aus ist es für Gestrich nun nicht mehr möglich, zu behaupten, Gottes Hilfe meine „exklusiv die Hilfe in Jesus Christus, welche gegen eine angeblich zuvor von Gott selbst durch die Setzung der Tora erzeugte Notlage ,gesandt' worden wäre" 87 . Auch die Tora gehört zu den heilvollen Bundesgaben Gottes 88 . Das Gesetz Gottes als eine heilschaffende Größe, als Mittel gegen die Sünde, als Mittel, die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch zu bewahren - der Anspruch, diese Aussagen in ein christlichen Verständnis des Gesetzes zu integrieren, gebärdet sich zwar (vor allem bei Crüsemann und Gestrich) als modern, ist in Wahrheit aber alt, schon Paulus selbst hat auf diese Aussagen reagiert. Hat Paulus auf diese Aussagen im Galaterbrief recht ungestüm geantwortet, so verbietet es der Ort dieser Arbeit mit Gal 3, 1 zu antworten. Versucht werden soll daher „sine ira et studio" diesen Gedanken nachzugehen; denn gerade die Auseinandersetzung mit dem alttestamentlichen und jüdischen Gesetzesverständnis verspricht, den Grund der paulinischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu erhellen. Zunächst ist aber genau der Ort zu bestimmen, an dem sich das paulinische Gesetzesverständnis von „dem" 89 alttestamentlichen Gesetzesverständnis unterscheidet. Dabei gilt es vor allem die Voraussetzung des deuteronomistischen Gesetzesverständnisses und des paulinischen Gesetzesverständnisses namhaft zu machen; denn allererst hier stoßen wir auf den Kern der Unterschiedenheit beider Verständnisse des Gesetzes. (a) Zunächst ist darauf aufmerksam zu machen, daß das Gesetz selbst in bezug auf das paulinische Gesetzesverständnis einer Rehabilitierung nicht

85 86 87 88 89

Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt, S. 206. A. a. O., S. 207. In der Quelle kursiv gedruckt. A. a. O., S. 208. Vgl. ebd. Es wird in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen sein, daß durchaus nicht von dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis gesprochen werden kann, insofern das Alte Testament nicht nur das Deuteronomium (und das Heiligkeitsgesetz) kennt, sondern auch die radikale Unheilsansage der Schriftpropheten. Vgl. hierzu Teil 1: Kap. II.B.6.

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bedarf. Das Gesetz selbst wird von Paulus keiner Kritik unterzogen. Daher ist es durchaus irreführend gar von einer „ paulinische [n] Polemik gegen das Gesetz" 90 zu sprechen. Paulus polemisiert nicht gegen das Gesetz (Gal, 3, 19ff), sondern gegen ein falsches Verständnis vom Gesetz91. Das Gesetz ist für Paulus „heilig, recht und gut" (Rom 7, 12), es offenbart den göttlichen Willen. Der christliche Glaube beansprucht daher nach Paulus keineswegs das Gesetz zu beseitigen. Ganz im Gegenteil: Im Glauben wird das Gesetz aufgerichtet! (Rom 3, 31) Wenn daher Wellhausen (s.o) das Gesetz als Abfall von einer höheren Religionsstufe betrachtet, oder Westermann (s.o.) das Gesetz gar nicht als Gottes Wort gelten lassen will, so ist dies ganz und gar nicht anschlußfähig an das paulinische Gesetzesverständnis. Diese Polemik gegen das Gesetz ist Paulus fremd: Das Gesetz ist für Paulus Gottes Gabe! 92 (b) Auch eine zweite Einsicht kann von dem paulinischen Gesetzesverständnis ausgehend nur bejaht werden: Das Gesetz ist - so betont Gestrich zu Recht - nicht die Ursache für die menschliche Sünde93; desweiteren ist Gestrich auch darin zuzustimmen, daß „die Tora [...] wegen der schon vorgängigen Sündhaftigkeit und Armut des menschlichen Wesens von Gott ,gesetzt' worden" 94 ist. So betont denn auch Paulus, daß die Gabe des Gesetzes durch die vorgängige Sünde bedingt ist (Gal 3, 19f). Das Gesetz kann damit nicht als Grund der Sünde betrachtet werden95. (c) Somit gilt: Das Gesetz ist Gottes Gabe, die um der Sünde willen gegeben wurde. Die entscheidende Frage ist aber die nach der Funktion des Gesetzes in bezug auf die Sünde. Ist das Gesetz, das nach Paulus zweifellos eine Gabe Gottes ist, als eine Heilsgabe aufzufassen? 90 91 92

93 94 95

So u. a. Davies, Die Bedeutung des Gesetzes im Christentum, S. 5 5 1 . Vgl. hierzu Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 1 2 4 . Dies wird auch durch Gal, 3 , 1 9 , der Gabe des Gesetzes durch die H a n d eines Mittlers, nicht widerlegt. Z w a r beschreibt Hübner die Engel als dämonische M ä c h t e (vgl. ders., Das Gesetz bei Paulus, S. 2 8 f f ; 7 5 ) , doch zeigt Eckstein, daß sich diese Deutung nicht rechtfertigen läßt (vgl. ders., Verheißung und Gesetz, S. 2 0 0 f f ) . Z u m einen läßt weder der K o n t e x t die Klassifizierung der „ E n g e l " als dämonische M ä c h t e erkennen, zum andern knüpft Paulus mit der Gesetzgebung durch die Engel an eine altjüdische Tradition an (vgl. a. a. Ο . , bes. 2 0 1 f . Hier auch die Belege aus der Septuaginta und ihrer Aufnahme im Hebräerbrief und in der Apostelgeschichte.) Vgl. Gestrich, Die Wiederkehr des Glanzes in der Welt, S. 2 0 7 . Ebd. Die Behauptung, daß Gesetz habe zum Z w e c k , die Sündentaten zu provozieren, wird von Eckstein schlagkräftig entkräftet. Vgl. hierzu seine scharfsinnigen Ausführungen: Verheißung und Gesetz, S. 1 9 0 f f .

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Mit guten Gründen wird bestritten, daß das Gesetz im Alten Testament und im Judentum die Funktion habe, das Gottesverhältnis allererst zu konstituieren. Hier hat von Rad in bezug auf das Alte Testament zu Recht sein bekanntes Diktum ausgesprochen: „Dem Empfang der Gebote ist die Erwählung durch Jahwe vorangegangen" 96 . Und so gilt nach von Rad auch im Blick auf das Deuteronomium, dem eigentlichen Gesetzbuch des Alten Testaments, daß die Erfüllung der Gebote nicht die Voraussetzung des Heils darstellt, daß daher der Gehorsam gegenüber den Geboten nur dem göttlichen Heilshandeln nachfolgt97. Dieser Sachverhalt ist von Zimmerli auch keinesfalls bestritten worden. Doch hebt er völlig zu Recht hervor, daß das Gesetz im Deuteronomium (vgl. 30, 19) nur für den ein Segen ist, der es hält; nur für den bedeutet nach dem Heiligkeitsgesetz (vgl. Lev 18, 5) das Gesetz Leben, der die Gebote tut". Die Sicht, daß die Tora „Leben" bedeutet99, impliziert somit die Meinung, daß die Tora „weder schwer noch fern, vielmehr erfüllbar ([Dtn] 30, 11-14; vgl. 6,6)" 1 0 0 ist. So hat Schmidt zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß das Gesetz unter der Voraussetzung, daß es „weder schwer noch fern, vielmehr erfüllbar" ist, „ein Weg, das Heil zu bewahren" 101 ist. So zeigt es die Grenzen auf, die nicht überschritten werden dürfen, will sich Israel nicht aus seiner gnadenhaft geschenkten Gottesbeziehung herausbegeben. Will das Gesetz die gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung wahren, indem es die Grenzen aufzeigt, die nicht überschritten werden dürfen, so konstituiert die Gesetzestreue nicht allererst die gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung, bewahrt sie aber. Daher formuliert Noth konsequent: „Ein Ubertreten des Gesetzes - und sei es auch nur an einem Punkte - bedeutet Verlassen der Bundestreue, damit Bundesbruch und Abfall; und für diesen Fall ist das Wirksamwerden des dem Gesetz beigefügten Fluches vorgesehen, den Jahwe selbst vollstrecken wird. Der in Dtn 28 auch ausgesprochene Segen für die Erfüllung des Gesetzes kann dann im Grunde nur negativen Sinn haben, daß das NichtÜbertreten des Gesetzes die von Jahwe aufgerichtete Ordnung und damit auch den von ihm verheißenen Segen bestehen läßt" 1 0 2 . Das Gesetz ist im Deuteronomium somit aus dem Grunde eine Heilsgabe, weil es den, der das Gesetz hält - und zwar in jedem einzelnen 96 97 98 99 100 101 102

Von Rad, Theologie des Alten Testaments II, S. 4 1 7 . Vgl. ders., Deuteronomiumstudien, S. 50. Vgl. Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, S. 9 7 . Vgl. Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 4 2 9 . Ebd. Ders., Werke Gottes und Tun des Menschen, S. 2 8 . Noth, „Die mit Werken des Gesetzes umgehen, die sind unter dem Fluch", S. 167f.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Punkt (u. a. Dtn 1 3 , 6 ) - in der von Gott gnadenhaft geschenkten Gottesbeziehung hält 103 . Auch hinsichtlich dieser Einsicht des Gesetzesverständnisses des Deuteronomiums und des Heiligkeitsgesetzes befindet sich kein Widerspruch zum paulinischen Gesetzesverständnis 104 . In Gal, 3, 10-12 wird deutlich: Paulus setzt wie das Deuteronomium und das Heiligkeitsgesetz 105 voraus, „daß die Lebensverheißung an das Einhalten der Gebote geknüpft ist und der Übertreter der Tora von dieser lediglich den todbringenden Fluch erwarten kann" 106 . Doch - und hierin liegt die neue Einsicht des Apostels - weil alle Menschen schuldig sind, d. h. sich alle Menschen als Übertreter des Gesetzes erweisen (Rom 3, 9ff), darum stehen alle Menschen unter dem todbringenden Fluch des Gesetzes. Der entscheidende Unterschied zu dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis (wie es uns im Deuteronomium und im Heiligkeitsgesetz begegnet) be103

104 105

106

Dies gilt ebenso für das priesterschriftliche Heiligkeitsgesetz. H a t Zimmerli (s. o.) auch hervorgehoben, d a ß die Priesterschrift den Bund Gottes mit Israel in den A b r a h a m b u n d als reinen G n a d e n b u n d zurückverlegt, so bemerkt Schmidt zu Recht, d a ß Gottes Z u w e n d u n g zu A b r a h a m (Gen 17) „kein ,reiner G n a d e n b u n d ' [...] [ist], als Gottes Selbstvorstellung in eine M a h n u n g übergeht" (ders., Einführung in das Alte Testament, S. 109): Wandle vor mir und sei vollkommen! (Gen 1 7 , 1 ) „Das W o r t " - so Elliger - „ist gewiß eine V o r w e g n a h m e des Dekalogs, des ,Zeugnisses', das erst am Sinai formuliert und an heiligster Stätte, in der Lade a u f b e w a h r t w i r d " (ders., Sinn u n d U r s p r u n g der priesterlichen Geschichtserzählung, S. 197). So m u ß m a n sicherlich auch auf die Priesterschrift das Urteil Zimmeriis anwenden, d a ß hier „ G a b e und Rechtswille Gottes [...] ineinander verschlungen [bleiben]" (ders., Das Gesetz im Alten Testament, S. 276). Dieses Urteil erweist sich um so mehr im Blick auf das Heiligkeitsgesetz (Lev 18-26) als berechtigt, das - wie das D e u t e r o n o m i u m auch - Leben nur dem Täter der Gebote verheißt (Lev 18, 5). Gerade in der umfangreichen Paränese Lev 26 wird „Heil für den Fall der Befolgung der göttlichen Gebote und, viel ausführlicher, Unheil für den Fall ihrer Nichtbefolgung a n k ü n d i g t " (Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, S. 59). Dabei ist es f ü r das Verständnis der Priesterschrift sicherlich nicht unerheblich, ob das Heiligkeitsgesetz - wie es die meisten Exegeten annehmen - der ursprünglich selbständigen Priesterschrift hinzugefügt w u r d e (so u. a. Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, S. 59ff; Boecker, Recht und Gesetz im Alten Testament und im Alten Orient, S. 162) oder ob es von Anfang an in die Priesterschrift eingefügt war und aus ihrem A u f b a u nicht herauszulösen ist (so u. a. Wagner, Z u r Existenz des sogenannten ,Heiligkeitsgesetzes', S. 307ff; Crüsemann, Die T o r a , S. 323ff). In der Endgestalt der Priesterschrift jedenfalls - darin ist Köckert nachdrücklich zuzustimmen - ist das Gesetz die ,,materiale[] Bestimmung des Ortes, an dem Jahwe sich offenbarend begegnet" (ders., Leben in Gottes Gegenwart, S. 61). Vgl. Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 121 ff. Vgl. die Bezugnahme von Paulus auf Dtn 27, 26 (Gal, 3,10) u n d auf Lev 18, 5 (Gal 3, 12). Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 253.

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steht somit darin, daß hier - im Gegensatz zu Paulus - vorausgesetzt wird, daß „das Befolgen aller aufgeführten Weisungen für den Israeliten möglich ist und insofern der Mensch durch Toraobservanz am Leben bleiben kann, daß er das in seiner Erwählung empfangene Leben durch die Tora bewahren kann" 1 0 7 . Demgegenüber stehen - aufgrund der allgemeinen Schuldverfallenheit - nach Paulus alle Menschen unter dem Fluch, mit dem das Gesetz den belegt, der seine Weisungen nicht befolgt. Das heißt: Verflucht nach Noth das Gesetz den Übertreter des Gesetzes, so stehen nach Paulus alle Menschen - ohne Ausnahme - unter dem Fluch des Gesetzes. Bringt das Gesetz (a) dem Heil, der es - in allen seinen Punkten - befolgt und verflucht (b) es den, der es - sei es nur in einem einzigen Punkt - nicht befolgt, erweisen sich (c) andererseits nach Paulus alle Menschen als Übertreter des Gesetzes, sind damit alle Menschen schuldig vor Gottes Gesetz, so bedeutet der Weg, im Gesetz Heil zu suchen, den Tod! Daher gilt für Paulus: Die mit Werken des Gesetzes umgehen, die sind unter dem Fluch (Gal 3, 10).

5. Der Grund des paulinischen Widerspruchs Zu einer anderen Bestimmung der Funktion des Gesetzes kommt Paulus somit durch die Einsicht in die Radikalität der menschlichen Schuld. Ist im alttestamentlichen Verständnis des Gesetzes - wie es uns im Deuteronomium und im Heiligkeitsgesetz vorliegt - vorausgesetzt, daß der Mensch die Gesetze halten kann 108 , so kann dem Gesetz die Funktion zugeschrieben werden, das Heil zu bewahren. Indem Paulus aber die Voraussetzung dieser Funktionsbestimmung des Gesetzes durch die Einsicht in die Radikalität der menschlichen Schuld nicht mehr zu teilen vermag, muß er zu einer anderen Bestimmung der Funktion des Gesetzes kommen. Hat das Gesetz nach Paulus nicht die Funktion der Bewahrung des Heils so stellt sich zu Recht die Frage: „Was soll nun das Gesetz?" (Gal, 3, 19). Die Funktion des Gesetzes besteht nach Paulus darin, die Schuld des Menschen offenbar zu machen (Gal 3, 22) und ihn unter den Fluch des Gesetzes zu stellen (Gal 3, 10) 109 . Das Gesetz vermittelt die Erkenntnis der Sünde (Rom 3, 2 0 ; 7, 7), indem es die gerechten Weisungen Gottes offenbar macht. Die Funktion des Gesetzes ist daher nach Paulus die Anklage und der Schuldaufweis, es ist nicht zum Leben gege107 108

109

A. a. O., S. 146. Vgl. nochmals Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 4 2 9 ; Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 146. Vgl. a. a. O., S. 212ff.

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ben (Gal, 3, 21)! „Da [...] der Sinai-Tora von Gott weder der Auftrag noch die Fähigkeit verliehen wurde, Leben aus dem Tode zu schaffen^] darf von ihr auch keinesfalls die Rechtfertigung des Gottlosen' und der ,Segen für die Verfluchten' erwartet werden" 110 . Weil das Gesetz einerseits nur für denjenigen Heil bedeutet, der es hält, denjenigen aber verflucht, der seine Weisungen bricht, andererseits aber alle Menschen vor dem Gesetz schuldig sind, darum kann das Gesetz weder das Heil schaffen, noch es bewahren. Das Gesetz ist nach Paulus nicht zum Leben gegebennl. Von daher versteht sich die erregte Reaktion des Apostels Paulus gegen die galatischen Gemeinden: Die Rückkehr unter das Gesetz bedeutet die Rückkehr unter den todbringenden Fluch des Gesetzes, den es gegen jeden ausspricht, der es - und sei es auch nur an einem Punkt - bricht. Nur wer glaubt, daß der Mensch das Gesetz in allen Punkten halten könnte, kann das ursprüngliche Wesen des Gesetzes im Heil erblicken. Gerade an diese Integrität der Person vermag Paulus nicht zu glauben. Weil das Gesetz erst nach der Sünde in die Welt kommt, das Gesetz aber jeden mit dem Fluch belegt, der es - sei es auch nur an einem Punkt - übertritt, kann für Paulus der Zweck des Gesetzes nur in der Anklage und der Offenbarung der menschlichen Schuld bestehen. Damit aber bestimmt Paulus die Funktion des Gesetzes anders als das Deuteronomium und das Heiligkeitsgesetz112. 110 111

112

A. a. O., S. 207; vgl. a. a. O., S. 205ff. Die Behauptung von Limbeck, das Gesetz habe bei den Juden die gleiche Bedeutung wie bei Christen (vgl. ders., Vom rechten Gebrauch des Gesetzes, bes. S. 151), weil auch nach Paulus der Mensch unter das Gesetz verwiesen sei und das Gesetz das Leben und die Liebe zum Ziel habe (vgl. a. a. O., 169), ist völlig unhaltbar. Vgl. Eckstein, Verheißung und Gesetz, bspw. S. 127; 253. - Der Widerspruch, den Paulus an das Gesetzesverständnis des Deuteronomiums anbringt, ist noch schärfer zu fassen, als dies bspw. bei Bornkamm geschieht. Zuzustimmen ist Bornkamm mit Nachdruck darin, daß nach Paulus die Möglichkeit, durch das Gesetz das Heil zu bewahren, als eine Unmöglichkeit erkannt wird. Laut Bornkamm ist das Gesetz allerdings für Paulus kein Heilsweg mehr (vgl. Bornkamm, Paulus, S. 139). Nach Paulus - so Bornkamm - steht der im Gesetz gewiesene Weg nicht mehr offen (ders., Wandlungen im alt- und neutestamentlichen Gesetzesverständnis, S. 107). „Es [das Gesetz] vermochte und vermag nicht mehr zu wirken, wozu es bestimmt war, weil immer schon die Sünde [...] eher auf dem Plan war" (a. a. O., S. 107). Gegen Bornkamm ist daher - s. o. darauf hinzuweisen, daß das Gesetz für Paulus nie ein Heilsweg gewesen ist, das Gesetz war von Anfang an dazu bestimmt, Ankläger zu sein. So legt doch - dies macht nicht zuletzt auch Bornkamms Gedankengang (s. o.) deutlich - die zeitliche Priorität des Einbuchs der Sünde vor der Gabe des Gesetzes gerade den Schluß nahe: Gerade weil das Gesetz der Sünde zeitlich nachgeordnet ist und alle Menschen als Sünder erweist, kann seine Aufgabe nur in der Anklage bestehen.

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Der Widerspruch zu dem - von von Rad, Noth und Kraus eruierten - Gesetzesverständnisses des Deuteronomiums zu dem paulinischen Gesetzesverständnis ist an diesem Punkt unüberbrückbar: Kann vom Alten Testament her formuliert werden, daß das Gesetz die notwendige Form der Evangeliums ist, oder - um Gese aufzugreifen „Das Gesetz ist die Form, in der Erlösung geschieht" 113 - so müssen für Paulus das Evangelium, das versöhnt, und das Gesetz, das die Schuld und Gottes Anklage feststellt, voneinander streng geschieden werden. Das alttestamentlich/jüdische Gesetzesverständnis sieht im Gesetz eine heilvolle Gabe, insofern das Gesetz die Fähigkeit besitzt, die gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung zu wahren als Schutzwall gegen die Sünde. Doch gerade diese Sicht des Gesetzes ist Paulus unmöglich geworden. Hält das Gesetz denjenigen in der gnadenhaft geschenkten Gottesbeziehung, der das Gesetz - und zwar in allen seinen Punkten! - hält, und belegt es denjenigen mit dem Fluch, der durch die Übertretung des Gesetzes - und sei es auch nur in einem einzigen Gebot! - die gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung verläßt, so verbindet Paulus dies mit seiner Einsicht in die Radikalität der menschlichen Sünde und Schuld. Sind alle Menschen Sünder, dann stehen alle Menschen unter dem Fluch des Gesetzes. Für den sündigen Menschen - und Sünder sind nach Paulus alle Menschen - ist das Gesetz Fluch! Gerade aber weil das Gesetz aufgrund der Sünde gegeben ist, kann seine ursprüngliche Funktion nur die Anklage und der Schuldaufweis sein. Es ist somit deutlich (s. o.), daß Paulus das Gesetz anders deutet als das Deuteronomium selbst. Hier ist eine Entscheidung zwischen dem paulinischen und dem Gesetzesverständnis, wie es vor allem im Deuteronomium aber auch im Heiligkeitsgesetz vorliegt, zu treffen. Dabei wird aber - will man dem Ausgangspunkt der paulinischen Reflexion über das Gesetz gerecht werden - nicht nur zu fragen sein, ob das paulinische Gesetzesverständnis dem Selbstverständnis des Gesetzesverständnisses des Alten Testamentes gerecht wird; denn es darf nicht übersehen werden, daß das neue Verständnis des Apostels selbstverständlich nicht aus seinem Torastudium erwachsen ist. Man beurteilt Gerade in diesem Punkt ist der paulinische Widerspruch zu dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis, wie es sich gerade im D e u t e r o n o m i u m findet, a m schärfsten: D a s Gesetz ist kein Heilsweg, es ist nie als Heilsweg gedacht gewesen, sondern dient - seinem Wesen und seiner Bestimmung nach - dem Aufweis der menschlichen Schuld und der Anklage. Gerade aus diesem Grund (weil das Gesetz gar nicht Heilsweg sein will) braucht Paulus auch gegen das Gesetz nicht zu polemisieren und das Gesetz ins Unrecht zu setzen (vgl. ebenso Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 6 5 ) . 113

Gese, Das Gesetz, S. 8 4 .

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daher Paulus schon im Ansatz „falsch, wenn man ihn als Exegeten versteht, der vom Standpunkt des Alten Testaments aus die Schrift auszulegen habe" 114 . Paulus begreift die Funktion und das Wesen des Gesetzes erst von Gottes Handeln in Christus her 115 . Erst durch Christus ist die „Decke" vom Gesetz genommen (2. Kor 3, 14) 116 . Von Christus - vom Kreuz her! - bestimmt sich die paulinische Reflexion über Funktion, Wesen und Grenzen des Gesetzes. Von hier aus ist dem Satz Gutbrods zuzustimmen -"[d]ie Negation des Gesetzes ist bei Paulus eine Konsequenz des Kreuzes" 117 - , wenn er auch (s. o.) dahingegen präziser zu formulieren ist, daß die Negation einer heilvollen Sicht des Gesetzes bei Paulus eine Konsequenz des Kreuzes Christi ist; denn schließlich wird das Gesetz selbst - in seiner Funktion als Schuldaufweis und Anklage - nicht negiert. Ist in weiten Teilen des alttestamentlichen Verständnisses des Gesetzes (Deuteronomium) die Gnade mit dem Gesetz verschränkt, im Sinne einer vorlaufenden Gnade und einer Bejahung der Gnade durch das Gesetz, so entschränkt das Kreuz diese Verschränkung durch die von ihm her gewonnene Einsicht in die absolute Bedingungslosigkeit der Gnade und die hieraus gewonnene Einsicht in die Radikalität der Schuld. Kann nach dem Deuteronomium die Gnade nur durch die - totale! - Observanz des Gesetzes bewahrt werden, bedeutet somit Gnade immer auch 114 115 116

117

Bornkamm, Paulus, S. 1 3 9 . So zu Recht Eichholz, Die Theologie des Paulus im Umriß, S. 2 5 3 . Vgl. hierzu Bornkamm, Wandlungen im alt- und neutestamentlichen Gesetzesverständnis, S. 108f. In eine andere Richtung argumentiert von der Osten-Sacken: „Weil das Gesetz durch T o d und Auferweckung Jesu Christi in seine eschatologische Gerichtsfunktion eingesetzt ist, darum kann von hier aus für Paulus jüdisches Thoraverständnis, wie es sich selbst sieht und entfaltet, gar nicht zu Gesicht k o m m e n " (ders., Das paulinische Verständnis des Gesetzes im Spannungsfeld von Eschatologie und Geschichte, S. 5 6 5 ) . Daher - so von der OstenSacken - darf man nicht „geschichtlich verifizieren, was bei Paulus ein eschatologisches Urteil ist" (a. a. O . , S. 5 6 6 ) . Diesem Rat kann aber keine Folge geleistet werden. Für Paulus ist ja nicht erst durch T o d und Auferweckung Jesu das Gesetz in seine Gerichtsfunktion eingesetzt, sondern von hier bestimmt Paulus das ursprüngliche Wesen und die ursprüngliche Funktion der T o r a . Kurz: Paulus beansprucht nicht etwas über das Gesetz auszusagen, was erst vom Kreuz her gilt, sondern was immer schon für das Gesetz gegolten hat. Und gerade weil Paulus beansprucht, von Christi T o d und Auferweckung her das Wesen des Gesetzes in seiner Tiefe zu erfassen, bemüht er sich auch um die geschichtliche Verifizierung, indem er den Anspruch des Gesetzes mit der Tiefe der menschlichen Schuld konfrontiert. Gerade hier zeigt sich dann: Das Gesetz kann das Heil nicht bewahren, es ist als Anklage und Schuldaufweis gegeben. Gutbrod, Art. νόμο? κτλ, S. 1 0 6 3 . Vgl. auch Schräge, Das Verständnis des Todes Jesu Christi im Neuen Testament, S. 6 8 .

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Gesetz, und geht das Verständnis des Gesetzes gerade davon aus, daß das Gesetz „weder schwer noch fern, vielmehr erfüllbar" 118 ist, so ist dieser Sicht durch die paulinische Einsicht von der Bedingungslosigkeit der Gnade und der Radikalität der Sünde entschieden widersprochen. Im Kreuz wird offenbar, daß Gottes Gnade „ohne Werke des Gesetzes" geschieht (und gerade der Versuch der Galater, Gnade und Werke des Gesetzes zusammenzufassen, wird vehement von Paulus abgelehnt!) und die Sünde des Menschen wird als eine solche erkannt, gegen die das Gesetz ein viel zu schwaches Gegengift ist. Die radikale Einsicht in die Schuld des Menschen verbietet es für Paulus, in dem Gesetz, das denjenigen in der von Gott gewährten Gemeinschaft bewahrt, der es hält und denjenigen, der es übertritt, mit dem Fluch belegt, eine heilvolle Größe zu erblicken. Alle Menschen erweisen sich als Sünder und so stehen alle Menschen gleichermaßen - ob Juden oder Heiden - unter dem Fluch des Gesetzes. Israel hat hier keine Vorrangstellung - es sei denn die, daß durch das Gesetz seine Schuld offenbar ist. Das Gesetz erweist sich nach Paulus gerade nicht als Gegengift gegen das Gift der Sünde, es ist nur der Indikator für die Sünde, nicht deren Heilmittel. Im Gesetz wird dem Sünder die unabdingbare Konsequenz seines Verhaltens offenbart: Gottes Todesurteil! Und gleichzeitig ist die Gnade, die Gott in Jesus Christus und seinem Tod am Kreuz erweist, eine Gnade, in der Gott bedingungslos das Heil zuspricht. Das reine Gnadenwort darf aber nicht mit der Forderung immer schon gleich vermischt werden. Gerade hierin liegt der Irrglaube der Galater: Unerträglich für das reine Gnadenwort ist nicht nur die Forderung „Gesetz statt Evangelium!" - das haben auch die Galater nicht gemeint! - , sondern schon die Anschauung, Evangelium und Gesetz als Heilswort zu betrachten, d. h. unerträglich für das reine Gnadenwort ist der Versuch, das Gnadenwort des Evangeliums durch menschliche Leistungen zu bewahren. Sind im alttestamentlichen Verständnis Gesetz und Gnade vermischt, so ist das Gesetz immer auch Gnade, die Gnade immer auch Gesetz. Damit ist ist aber sowohl das Verständnis der Gnade als auch das Verständnis der Sünde - aus der Perspektive des Kreuzesgeschehens - nicht in seiner ganzen Tiefe erfaßt. Das Offenbarwerden der Radikalität der Sünde und das Offenbarwerden der bedingungslosen Gnade nötigen zu der paulinischen Unterscheidung von Gottes anklagendem und verdammendem Gesetz und seinem freisprechenden Evangelium™.

118 119

Schmidt, Alttestamentlicher Glaube, S. 4 2 9 . Ist das Gesetzesverständnis Paulus' nicht aus dem Torastudium erwachsen, sondern begreift Paulus das Wesen des Gesetzes erst von Gottes Handeln in Christus

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Die Gültigkeit von Gottes Todesurteils im Gesetz wird nach Paulus im als Sühnegeschehen interpretierten - Christusgeschehen (vor allem

her, so muß der Versuch, das genuine Gesetzesverständnis des Deuteronomiums in der protestantischen Theologie zur Geltung zu bringen, sich grundsätzlich fragen lassen, ob dieser Versuch den Standort des Paulus teilt. Dies sei kritisch zu Welkers Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium angemerkt: „Die eindrucksvollste Kritik [an der traditionellen Unterscheidung] ist in den vergangenen Jahrzehnten von der protestantischen alttestamentlichen Forschung ausgegangen. Sie hat die Rede vom Werke fordernden Gott bzw. vom den Menschen durch seine Forderung bedrängenden oder gar in Verzweiflung treibenden Gesetz als jedenfalls den alttestamentlichen Texten fremd und mit ihnen unverträglich zurückgewiesen" (ders., Gesetz und Geist, S. 218). Von den Ergebnissen der alttestamentlichen Forschung aus ist „an die konventionellen dogmatischen Aufstellungen über das Gesetz die Frage zu richten [...], ob sie überhaupt an einer Bezugnahme auf das Alte Testament interessiert seien" (ebd.). Und auch die „christlich-jüdischen Gespräche" nötigen zu einer Modifikation des Gesetzesbegriffs (a. a. O., S. 219). Damit machen es nach Welker sowohl die Aussagen des Alten Testaments als auch die Aussagen des Judentums nötig, die reduktionistische Auffassung des Gesetzes als reines Instrument zur Anklage und zum Schuldaufweis zu überwinden. So wiederholt denn auch Welker die guten Bestimmungen des Gesetzes hinsichtlich der sozial Benachteiligten wie der Sklaven, Witwen und Waisen, Fremden und sozial Geächteten (vgl. a. a. O., S. 220f). Die Ohnmacht des heilsamen Gesetzes erweist sich nach Welker darin, daß es durch die Sünde zur Selbstrechtfertigung instrumentalisiert zu werden vermag (vgl. a. a. O., S. 222ff). In den Händen des sündigen Menschen wird das Gesetz „nicht nur zu einer Kraft der Beschönigung und Verschleierung, der trügerischen Selbstberuhigung, Beschwichtigung und Vertröstung anderer, sondern [...] darüber hinaus [...] zu einer Macht systematischer Irreführung" (a. a. O., S. 223f). Gerade die Struktur des Gesetzes begründet nach Welker seine Pervertierbarkeit: „Gerade weil das Gesetz seiner selektiven und seiner gegen seine eigentlichen Intention laufenden Wahrnehmung und Erfüllung nicht wehren kann, gerade weil es noch seiner es verzerrenden und seinen Intentionen zuwiderlaufenden Aneignung den Schein des Guten und Gottgewollten verleihen kann, wird es so gefährlich und wirkt es tödlich" (a. a. O., S. 224). Gerade daher ist der Mensch auf das Wirken des Geistes zur Erfüllung der Gerechtigkeit angewiesen (vgl. a. a. O., S. 225ff). „Obwohl das Wirken des Geistes weder beim Buchstaben des Gesetzes ansetzt noch auf Werke des Gesetzes aufbaut, obwohl selbst bestimmte Formen des Gesetzes nicht beanspruchen können, Institutionen des Geistes zu sein, behält das Gesetz seine orientierende Funktion auch inmitten der Ausgießung und inmitten des Wirkens des Heiligen Geistes. [...] Der Geist Gottes nimmt vielmehr immer erneut und unter den verschiedenartigen Bedingungen die Menschen in Dienst, das auf Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Gotteserkenntnis unter den Menschen abstellende Gesetz zu erfüllen" (a. a. O., S. 228). Welker Übernahme der Einsichten des Deuteronomiums verkennt, daß diese Bestimmung des Gesetzes der oben explizierten paulinischen Bestimmung des Wesens und der Funktion des Gesetzes auf das deutlichste widerspricht. Kommt Paulus durch die Einsicht in die Radikalität der menschlichen Schuld und der

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2. Kor 5, 14-21) bestätigt120. Setzt die alttestamentliche Vorstellung der Sühne (wie sie vor allem in der priesterschriftlichen Theologie greifbar wird) ein Verständnis der Sünde voraus, das in der Sünde die irreparable Störung des Gottesverhältnisses erblickt und den Tod als die unweigerliche Folge der Sünde 121 , so kann die Wiederherstellung des durch die Sünde gestörten Gottesverhältnisses „nur durch das Todesgericht hindurch geschehen" 122 . Gottes reines Gnadenwort für den Menschen vollzieht sich nicht anders als in der Weise, daß der radikale Todesfluch über die Sünde vollstreckt wird. Wird der Mensch durch Christi Sterben am Kreuz vom Fluch des Gesetzes über die Übertretungen befreit, so wird dieser Fluch durch Gottes Handeln im Kreuz nicht aufgehoben, sondern vollzogen! Daher kann Eiert zu Recht formulieren: ,,[G]erade das Evangelium bestätigt die Geltung des Gesetzes - desselben Gesetzes, dessen Geltung vom Evangelium aufgehoben wird" 1 2 3 . Gott nimmt in seinem Gnadenhandeln in Christus das todbringende Wort des Gesetzes ernst. Somit gilt: Die Unterscheidung zwischen dem verklagenden, die Schuld feststellenden und verdammenden Gesetz und dem versöhnenden Evangelium entstammt der paulinischen Reflexion des Kreuzesgeschehen, denn das Kreuzesgeschehen ist nur mit Hilfe dieser Unterscheidung zu explizieren.

Bedingungslosigkeit der Gnade zu einer gegenüber der deuteronomischen Auffassung des Gesetzes neuen Bestimmung des Wesens des Gesetzes, so wird sich Welker fragen lassen müssen, o b er wie Paulus aus der Perspektive des Neuen Testamentes auf das Gesetzesverständnis des Deuteronomiums blicken will oder, ob seine Blickrichtung umgekehrt ist. Die Frage lautet daher konkret: Geht das Gesetzesverständnis des Deuteronomiums davon aus, daß die Verheißung durch das Gesetz bewahrt werden kann, weil es einen D a m m gegen die Sünden darstellt, ist damit vorausgesetzt, daß der Mensch die Gebote des Gesetzes zu halten vermag, so ist zu fragen, ob dies aus der Perspektive des Kreuzes, dem Offenbarwerden der radikalen Sündhaftigkeit des Menschen und dem Offenbarwerden der Bedingungslosigkeit der Gnade, so problemlos nachgesprochen werden kann. Zu Welker s. u. Anm. 1 3 5 . 120

121 122

123

Vgl. hierzu vor allem die Arbeiten von Gese, Die Sühne; Hofius, Sühne und Versöhnung. O b die Heilsbedeutung des Todes Jesu „nur mit dem Sühnegedanken zu fassen" (Gese, Die Sühne, S. 105) ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Zugestimmt wird aber der Einsicht, daß gerade die Interpretation des Kreuzesgeschehens durch den Sühnegedanken das Kreuzesgeschehen in seiner Tiefe zu deuten vermag. Vgl. Hofius, Sühne und Versöhnung, S. 41f. A. a. O. S. 4 2 . - „ S ü h n e kann deshalb nur heißen: durch den T o d hindurch sein Leben an Gott hingeben und durch solche Hingabe des Lebens an Gott ,dem verdienten T o d entrissen werden"'(ebd.). C G , S. 140.

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6. Die paulinische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium in den Bahnen alttestamentlicher Einsichten Es muß jedoch mit Entschiedenheit darauf hingewiesen werden, daß die paulinische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium - selbst wenn sie dem Gesetzesverständnis des Deuteronomiums (und auch dem des Heiligkeitsgesetzes) widerspricht - alles andere darstellt als eine Widerlegung des Alten Testamentes: (Es darf daher keinesfalls die Parole ausgegeben werden: Paulus gegen das Alte Testament!) Vielmehr bewegt sich die paulinische Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium in den Bahnen alttestamentlicher Einsichten. Ist dem Alten Testament - wie Schmidt eindrücklich aufgewiesen hat - an der Unterscheidung zwischen Gottes Handeln und Handeln des Menschen gelegen124, so ist diese Intention mit der paulinischen Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium in ihrer konsequentesten Gestalt zur Geltung gebracht 125 . Auch das Deuteronomium versucht das Heil in dem von dem Handeln des Menschen unterschiedenen göttlichen Handeln zu begründen, wenn auch in der defizitären Form, daß die Bewahrung des Heils in den Bereich des menschlichen Handelns fällt. Vor allem darf aber nicht übersehen werden, daß die Schuldansage und die radikale Gerichtsandrohung der Propheten der Schuldanklage des Paulus in ihrer Radikalität kaum in etwas nachsteht 126 . Zu denken ist hier nicht zuletzt an die radikale Schuldeinsicht in Jer 13, 23: „Verändert der Mohr seine Haut, oder der Panther seine Flecken? Genauso wenig könnt ihr Gutes tun, die ihr gewohnt seid, böse zu handeln." 127 So urteilt Schmidt zu Recht: „Den prophetischen Vorwurf, daß das Volksganze schuldig ist und nicht umkehren will, spitzen vor allem Hosea und Jeremia zu der Einsicht zu, daß der Mensch das Gute nicht tun kann, zu rechtem Handeln nicht mehr fähig ist, unbußfertig bleibt" 128 . Gerade hier besteht auch eine Spannung innerhalb des Alten Testamentes selbst! Ruft das Deuteronomium auf, Gottes Gebote zu halten um das Heil zu bewahren, so verkündet Jeremia im Blick auf die Verfehlungen hinsichtlich der 124 12s

126

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Vgl. Schmidt, Werk Gottes und Tun des Menschen, S. 11. In dieser Hinsicht kann daher Schmidt die Intention zur Unterscheidung von Gottes Handeln und Handeln des Menschen als eine „Voraussetzung" der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bezeichnen. Daher - so Schmidt zu Recht - besteht in dieser Hinsicht „kein echter Gegensatz" zwischen Altem Testament und den neutestamentlich-paulinischen Aussagen (vgl. a. a. O., S. 28). Darauf weisen zu Recht auch Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, S. 270ff; Schmidt, Werk Gottes und Tun des Menschen, S. 16ff hin. Übersetzt nach Schmidt, Werk Gottes und Tun des Menschen, S. 17. Ebd.

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Weisungen Gottes das Ende des Bundes und das kommende Gericht 129 . So weist Schmidt darauf hin, daß das Verständnis des Gesetzes als Weg, das Heil zu bewahren, nicht für die Schriftpropheten giltl30\ Deuten aber nicht auch die priesterschriftlichen Partien die Aporie eines Bundes an, der durch das Gesetz bewahrt werden soll? Und schließlich muß auch an die Weissagungen Jer, 31, 31ff und Ez 36, 26 erinnert werden. Die Verheißung eines neuen Bundes in Jer 31, 3Iff „findet nur für den Bruch des alten Bundes, nicht für die Errichtung des neuen Anhalt an menschlichem Verhalten" 131 . Und im Blick auf Ex 36, 36 fragt Schmidt doch wohl zu Recht: „Kann künftiges Heil darum ausdrücklich eine Wandlung des Menschen, einen neuen Geist und ein neues Herz [...] einschließen, weil er sich von sich aus nicht für die Heilszukunft freimachen kann?" 132 Und so muß man in Anlehnung an Schmidt fragen: Ist hier nicht die Schuld des Menschen in einer Tiefe erfaßt, daß künftiges Heil darum nur noch ausschließlich als göttliches Werk erwartet wird, ja, daß erwartet wird, daß Gott selbst den Menschen für sein Heil bereitet? Zeigt sich so im Blick auf das gesamte Alte Testament, daß „Gabe und Rechtswille Gottes noch eng miteinander verschlungen sind" (Zimmerli), so dürfen auch nicht die Stimmen innerhalb des Alten Testaments überhört werden, die die paulinische Einsicht der strikten Unterscheidung zwischen Gabe und Rechtswillen Gottes „vorbereiten" (W. H. Schmidt). Zeigt die unbedingte Unheilsansage der Schriftpropheten eine tiefe Einsicht in die Schuld Israels und spricht sie die Konsequenz dieses Verhaltens in aller Radikalität aus - ein Bewahren des Heils ist aufgrund der Radikalität der Sünde nicht mehr möglich, das Ende steht vielmehr unabwendbar (!) nahe bevor - , gibt es desweiteren innerhalb des Alten Testaments Erwartungen nach einem bedingungslosen Heil, so darf doch die Frage gestellt werden, ob die strikte Einsicht in die Unterscheidung von dem die Schuld offenbarenden und den Tod ankündigenden Gesetz und der bedingungslosen Gnade erst von dort geleistet werden kann, wo die bedingungslose Gnade erscheint, nämlich vom Kreuz her 133 . Von hier aus werden die Einsichten der Propheten und die Erwartungen von Jer

129 130 131 132 133

So Zimmerli, Das Gesetz im Alten Testament, S. 2 7 6 . Vgl. Schmidt, Werk Gottes und T u n des Menschen, S. 28, A n m . 55. A. a. O., S. 18. Ebd. Ähnlich formuliert auch Zimmerli: Die klare Einsicht in das P h ä n o m e n ,Gesetz' in seinem paulinischen Verständnis „kann erst im Angesichte Christi geschehen, in dem sich die O f f e n b a r u n g des heiligen göttlichen Rechtswillens (die G e r e c h tigkeit Gottes') als das vollkommene Ereignis der Gnade ereignet" (ders., Das Gesetz im Alten Testament, S. 276).

192

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

31, 3Iff und Ez 36, 26 ins Recht gesetzt und andere Konzeptionen fragwürdig. So hat Paulus vom Kreuz her die Verschränkung von Gabe und Rechtswillen Gottes entschränkt. Beansprucht daher die theologische Reflexion vom Kreuz Christi ihren Ausgangspunkt zu nehmen, so wird sie nicht hinter die hier zutage getretenen Einsicht in die bedingungslose Gnade und in die radikale Schuldverfallenheit des Menschen zurückgehen können. Ein Rückgang hinter die paulinische Einsicht von Gesetz und Evangelium bedeutet somit nicht nur einen Rückgang hinter den Ausgangspunkt der theologischen Reflexion (und dem Grund des christlichen Glaubens), sondern auch einen Rückgang hinter viele Einsichten des alttestamentlichen Kanons. Konkret: Die heilvolle Sicht des Gesetzes, die gnadenhaft geschenkte Gottesbeziehung durch die Observanz des Gesetzes zu bewahren, widerspricht nicht nur der paulinischen Einsicht in die Funktion und das Wesen des Gesetzes, sondern auch der Einsicht der Prophetie in die Radikalität der menschlichen Schuld134, des göttlichen Zornes und der Erwartung eines Heils, das allein in Gott gründet und bedingungslos ergeht 135 .

7 . A b s c h l i e ß e n d e r W i d e r s p r u c h zur B a r t h s c h e n V e r h ä l t n i s bestimmung von Gesetz und Evangelium: Die Unmöglichkeit der Identifikation von Gesetz und Evangelium als F o r m und Inhalt Nun ist mit der Auseinandersetzung zwischen dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis und dem paulinischen durchaus noch nicht das abschließende Urteil auch über das Barthsche Gesetzesverständnis gefällt - und zwar aus dem Grunde, weil das Barthsche Gesetzesverständnis dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis durchaus nicht entspricht. 134

Z u der Radikaltität von H o s 1, 9 vgl. Schmidt, Elementare Erwägungen zur Quellenscheidung, S. 1 3 6 ; ders., Die prophetische „Grundgewißheit", S. 1 9 6 ; ders., Pentateuch und Prophetie, S. 2 2 9 .

135

Gegen Welker (s.o. Anm. 1 1 9 ) ist daher zu betonen, daß eine kritische Auseinandersetzung mit dem Gesetzesverständnis des Deuteronomiums durchaus in den Bahnen alttestamentlicher Einsichten verläuft. Die Frage Welkers, ob die Kritik an der Heilskonzeption des Deuteronomiums „überhaupt an einer Bezugnahme auf das Alte Testament interessiert sei[]" (ders., Gesetz und Geist, S. 2 1 8 ) , erweist sich - in diese Alternative - als schräg, weil sie die Vielstimmigkeit des alttestamentlichen K a n o n s auf die Heilskonzeption des Deuteronomiums reduziert. H a t sich daher eine biblische Theologie zu fragen, welche Stimmen des Alten Testamentes sie zum Klingen bringen will, so wird sie nicht umhin können, über den Standort Rechenschaft abzulegen, von dem aus sie dies tut.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

193

Dies gilt es zu betonen gegenüber dem Selbstverständnis der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium; denn Barth fand in dem von von Rad, Noth und Kraus eruierten alttestamentlichen Verständnis des Gesetzes sein Verständnis des Gesetzes durchaus bestätigt 136 . Dem Selbstverständnis Barths entsprechend kann so Crüsemann formulieren: „Noths exegetische Erkenntnisse entsprechen dem, was Karl Barth systematisch über ,Evangelium und Gesetz' formuliert hat mit der Spitzenaussage vom Gesetz als der notwendige Form des Evangeliums" 137 . Nun können jedoch die Unterschiede zwischen beiden Konzeptionen nicht übersehen werden. Ist im Deuteronomium die heilvolle Gabe des Gesetzes dem Einbruch der Sünde nachgeordnet, so ist bei Barth Evangelium und Gebot dem Einbruch der Sünde vorgeordnet. Gilt aber für Barth gerade nach dem Einbruch der Sünde die Reihenfolge Gesetz und Evangelium, so deutet auch Barth - durchaus im Widerspruch zum deuteronomischen Gesetzesverständnis - an, daß in der sündigen Welt das Gesetz kein Heil gewähren bzw. bewahren kann. Auch Barths dreifache Verhältnisbestimmung Evangelium-Gebot / Gesetz-Evangelium / Evangelium-Gebot (s.o.) ist dem Deuteronomium fremd. Diese dreifache Verhältnisbestimmung Barths resultiert gerade daraus, daß Barth die deuteronomische Sicht, das Heil durch das Gesetz zu bewahren, in ein dieser Sicht fremdes Verständnis von drei Epochen, die Zeit vor der Sünde, die Zeit der sündhaften Verblendung und die Zeit nach der Erscheinung Christi, transponiert. Kurz: Barth erkennt nicht, daß im Deuteronomium eine andere Sicht von Heil liegt als in der Sicht des Paulus - für Barth ist es nämlich von vornherein auszuschließen, daß das Gesetzesverständnis des Apostels dem alttestamentlichen Gesetzesverständnis widerspricht 138 - und so bringt er zwei disjunkte Konzeptionen spekulativ zum Ausgleich. Von daher ist es nötig, daß die Barthsche Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium ein eigenes abschließendes Urteil erfährt. (a) Lenken wir den Blick noch einmal zur biblischen Tradition. Sieht das Deuteronomium im Gesetz die Heilsgabe Gottes - ein Gegengift gegen das Gift der Sünde - , weil es davon ausgeht, daß das Befolgen der 1,6 137 138

Vgl. vor allem KD I V / 3 , S. 4 2 7 f . Crüsemann, Die Tora, S. 9. „Ich verstehe [...] nicht, wie man dazu kommt, dem Apostel Paulus eine Auffassung von Gottes Gesetz zuzuschreiben, in der er sich zu dem, was im Selbstverständnis des Alten Testaments so heißt, zugestandenermaßen nicht in Übereinstimmung, deutlicher gesagt: in Widerspruch befinden würde - eine Auffassung, die man von diesem [...) [her] nur als tief irrtümlich bezeichnen könnte" (KD IV/ 3, S. 427f).

194

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Weisungen des Gesetzes für den Menschen möglich ist und er durch die Toraobservanz am Leben bleiben kann (s.o.), so kommt Paulus zu einer anderen Bestimmung der Funktion der Tora durch die Einsicht in die Radikalität der menschlichen Schuld und der Bedingungslosigkeit der göttlichen Gnade: Das Wesen des Gesetzes ist die objektive Feststellung der menschlichen Schuld, seine ursprüngliche und eigentliche Funktion besteht darin, den Menschen unter den Fluch zu stellen. Das Gesetz ist somit nicht zum Leben gegeben. Gerade aber hierin besteht (s.o.) der entscheidende Widerspruch zu Barth: Nimmt man ernst, daß das Wesen des Gesetzes in der Schuldanklage und dem Verdammungsurteil besteht, so können Gesetz und Evangelium unmöglich identifiziert werden, indem man sie als Form und Inhalt aufeinander bezieht, wenn man nicht behauptet will, daß das Verdammungsurteil des Gesetzes die notwendige Form des Evangeliums ist. (b) Barths Bestimmung der Funktion des Gesetzes als Forderung, die als solche die notwendige Form des Evangeliums ist, ist natürlich nicht zu lösen von seiner als aporetisch erkannten Ontologie der Gnade. Gottes gütiges Wort am Anfang kann in logischer Hinsicht unmöglich mit Gottes Vergebungswort in Christus identifiziert werden, weil Gottes die Sünde vergebendes Wort unmöglich der Sünde präexistieren kann. Wie immer man Gesetz und Evangelium zueinander ins Verhältnis setzt, so kann das Evangelium - verstanden als Gottes den Sünder begnadigendes Wort nicht mit der Urstandsgnade identifiziert werden139! Gegen Barth betont Althaus, daß das Evangelium nie vor dem Gesetz sein kann, die ursprüngliche Liebe kann nicht mit dem Evangelium identifiziert werden, soll die Epochelosigkeit des Barthschen Denkens und damit seine Aporetik nicht mit übernommen werden. Es ist somit unmöglich, die Barthsche Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium zu übernehmen. (c) Ist also Barths Bestimmung von Gesetz und Evangelium als unhaltbar erkannt, weil sie selbstwidersprüchlich ist, so gilt es doch auch auf die theologisch problematischen Aussagen zu sprechen zu kommen, die hierin enthalten sind: Gottes Wort in Jesus Christus (Evangelium) schließt nach Barth als notwendige Form seinen Anspruch (Gebot) in sich ein. Erst durch die Sünde mutiert das Gebot zu dem verurteilenden Gesetz. In der geschichtlichen Erscheinung Jesu Christi wird über das Gesetz Gottes triumphiert. Um nur von einem (wahren) Wort Gottes in seiner Unterschiedenheit vom menschlichen Mißbrauch des wahren Wortes

139

Hierin liegt zu Recht der vehemente Widerspruch von Althaus gegen Barth (vgl. ders., G u G , S. 25; vgl. hierzu ausführlich Teil 2: Exkurs 3).

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

195

Gottes zu sprechen, hat Barth den Schuldspruch und das Todesurteil des Gesetzes nicht auf ein direktes Wort Gottes gegründet, sondern als Ursache des menschlichen Mißbrauch des göttlichen Wortes zu verstehen gelehrt. Die Beziehung des Gesetzes auf die Sünde ist somit „nicht primär, sondern sekundär" 1 4 0 . Es gibt gar kein direktes Verurteilungswort Gottes mehr über die menschliche Sünde. Der Ernst, mit dem Paulus von dem Verdammungsurteil Gottes über die menschliche Sünde spricht, ist bei Barth schon im Ansatz ausgehöhlt. Zum anderen hat Barth das Gebot als Anspruch in das Evangelium als dessen notwendige Form hineinverlegt. So aber kann das Evangelium nicht mehr als reines Gnadenwort Gottes zur Sprache gebracht werden. Wird auf der einen Seite die Anklage nicht mehr als Wesen des Gesetzes bestimmt, sondern die Forderung, so ist auf der anderen Seite Gottes Gnadenwort „nur zugleich forderndes, nicht aber nur schenkendes Wort" 1 4 1 . Es schließt „als Zuspruch der Gnade Gottes (wie die Lade des alttestamentlichen Bundes die Tafel der Gebote!) auch Gottes nicht minder gnädigen Anspruch in sich" 142 . Für Barth ist der Sinn eines Evangeliums unverständlich, „das vom Menschen in einem bloß innerlichen, rein rezeptiven Glauben aufzunehmen wäre" 143 . So wehrt sich schon Althaus vehement dagegen, das Gebot als die primäre Gestalt des Evangeliums zu bestimmen, weil so die reine Gnadenzusage des Evangeliums nicht mehr zur Geltung gebracht werden kann 144 . Das reine Gnadenwort, als das Paulus das Evangelium zur Sprache bringt, kann Barth so nicht sprechen. Es zeigt sich so, daß Barth, indem er Gesetz und Evangelium als Form und Inhalt einander zuordnet, beide abschleift und so eine Statik konstruiert, die „der unheimlichen Spannung und Bewegtheit des biblischen Zeugnisses" 145 nicht gerecht wird. Barths Versuch, sich über den „irdischen Kampfplatz" 1 4 6 von Gesetz und Evangelium zu erheben, indem er sie als Form und Inhalt miteinander identifiziert, muß daher mit Nachdruck abgewiesen werden.

140 141 142 143 144 145 146

Bayer, Theologie, S. 363. A. a. O., S. 359. KD IV/3, S. 427. Ebd. Vgl. Althaus, GuG, S. 25. Vgl. hierzu ausführlich Teil 2: Exkurs 3. Weber, Grundlagen der Dogmatik II, S. 425. Bayer, Theologie, S. 381.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

8. Folgerungen 8.1 Das Gesetz als opus alienum: Das Gesetz in Diensten des Evangeliums oder die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium? 8.1.1 Die Frage Nach Bayer sind „der sich gegen mich richtende Widerspruch des mich der Sünde überführenden, mich verklagenden und dem Tod überantwortenden Gesetzes" 147 und „der Zuspruch des Evangeliums, in dem mit Jesus Christus Gott selbst für mich spricht, ja an meine Stelle tritt" 148 zwei Wirkweisen Gottes, „die sich in keiner Weise aufeinander zurückführen oder einem gemeinsamen Oberbegriff - etwa dem der Selbstoffenbarung Gottes - unterordnen lassen" 149 . „Anders als im Gesetz, in dem Gott gegen mich spricht, spricht er im Evangelium für mich. Das Evangelium ist deshalb ein ,anderes', ein zweites, Wort Gottes, das mit dem des Gesetzes nicht auf ein Drittes [...] hin relativiert werden kann. Keines der zwei Worte läßt sich auf das jeweils andere zurückführen; die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium ist durch keine Kunst der Aufhebung in eine höhere oder tiefere Einheit zu beseitigen" 150 . Nun bestätigte sich diese deutliche Warnung Bayers, Gesetz und Evangelium nicht auf eine höhere Einheit hin zu transponieren, bereits durch die Einsicht, daß, auf eine höhere Einheit transponiert, sowohl das Gesetz als auch das Evangelium entwertet zu werden drohen. Doch gilt von einer anderen Seite zu fragen, ob die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium sich halten läßt angesichts der Funktion des Gesetzes als usus elenchticus. Gerade in der lutherischen Tradition ist ja keiner Beziehungslosigkeit zwischen Gesetz und Evangelium das Wort gesprochen, vielmehr ist das Gesetz in seinem usus elenchticus nur in seiner Beziehung zum Evangelium zu verstehen, konkret: in seinem usus elenchticus steht das Gesetz in Diensten des Evangeliums. Der wahrhaft theologische Gebrauch des Gesetzes - so Luther in seinem großen Galaterbriefkommentar von 1531 - besteht gerade darin, daß das Gesetz den Menschen überführt, indem es das Gewissen vor Gott bindet 151 . Kann aber - so gilt es im folgenden zu fragen - von einer Irreduzibilität des Wortes Gottes gesprochen werden, wenn das Gesetz in Diensten des Evangeliums steht? Ist dann nicht doch eine höhere Einheit von Gesetz 147 148 149 150 151

A. a. O., S. 413. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. W A 40 I, 480f.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

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und Evangelium in Sicht? So formuliert Joest in seiner Dogmatik: „Daß heißt doch, daß Gott auch mit der richtenden Kraft seines Wortes nicht auf den Tod des Sünders zielt, sondern auf das Sterben seiner Sünde und vor allem seiner Selbstgerechtigkeit, weil er ihn in Christus zum wahren Leben bringen will. Was hier zu unterscheiden ist, ist nicht ein Nein und ein J a in nacktem Widerspruch, sondern ein Nein, das um des Ja willen und auf das J a hin gesprochen wird" 1 5 2 . Gerade daher kann nach Joest Barths Rede von der Einheit des Wortes Gottes „einer problematischen Dialektik zum Korrektiv werden" 1 5 3 . Sind so das im Diensten des Evangelium stehende Gesetz und das das Gesetz in Dienst nehmende Evangelium auf einer höheren Ebene geeint? Dabei gilt nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß die Forderung nach einer höheren Einheit von Gesetz und Evangelium durchaus nicht mit der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium identifiziert werden muß. Weder muß notwendigerweise die problematische Ontologie Barths übernommen werden, die das Evangelium der Sünde präexistieren läßt, noch muß bestritten werden, daß das Wesen des Gesetzes die Anklage ist. Die Frage ist vielmehr, ob, wenn das Nein Gottes in Diensten des göttlichen Ja steht, damit eine übergeordnete Einheit von Gesetz und Evangelium sichtbar ist? Wird nach der Bedeutung des usus elenchticus legis für die Frage nach der Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium gefragt, so ist zunächst auf ein Unterschied zwischen Paulus und Luther in dieser Frage hinzuweisen: Bei Paulus hat das Gesetz die Funktion des Schuldaufweises und der Anklage. Diesbezüglich macht Eckstein allerdings deutlich, daß „der Gedanke an die subjektive Einsicht und wirksame Reue des Angeklagten [...] dabei nicht nur untergeordnet [ist], sondern in Anbetracht der absoluten Schuldverfallenheit sogar ausgeschlossen [ist], so daß nicht von einem - pädagogischen oder propädeutisch verstandenen - usus elenchticus gesprochen werden kann" 1 5 4 . Vielmehr - so Eckstein - begreift Paulus „den Auftrag der Tora des Mose im streng forensischen Sinne. Als ,Gesetz' soll sie den Menschen objektiv seiner Schuld überführen, d. h. ihn als schuldfähig und straffällig erweisen" 1 5 5 . Gerade bei den häufig im Sinne des usus elenchticus gedeuteten Stellen Gal 2, 19; 3, 19; 3, 2 4 und auch Rom 3, 2 0 weist Eckstein nach, daß es nicht um einen kognitiven Akt des Menschen, d. h. um eine durch das Gesetz vermittelte subjektive Einsicht geht, sondern ausschließlich um die forensische Situation der 152 153 154 155

Joest, Dogmatik II, S. 5 1 4 . A. a. O., S. 5 1 5 . Eckstein, Verheißung und Gesetz, S. 2 5 4 . Ebd.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Anklage und Verurteilung, d. h. den objektiven Erweis allgemeiner Schuldverfallenheit156. Ist dieser Unterschied durchaus ernstzunehmen, so besitzt er doch keine Bedeutung in unserer Frage nach der Konsequenz für die Zugehörigkeit des Gesetzes zum Evangelium; denn auch für Paulus steht das Gesetz ganz unbestritten in Diensten des Evangeliums (Gal 3, 19)! In der Frage nach der Konsequenz des im Diensten des Evangelium stehenden Gesetzes ist es daher unerheblich, ob das Gesetz subjektive Einsicht in die Schuld wecken soll oder ob es ausschließlich den objektiven Erweis der allgemeinen Schuldverfallenheit liefern soll. Die Frage bleibt so bestehen, ob eine übergeordnete Einheit von Gesetz und Evangelium sichtbar ist, wenn das Gesetz durch das Evangelium in Dienst genommen wird - sei es als Instrument, die subjektive Einsicht in die Schuld des Menschen zu wecken, sei es ausschließlich als Instrument des objektiven Erweises der allgemeinen Schuldverfallenheit des Menschen. Nun wird im folgenden zu zeigen sein, daß die Rede von der Indienstnahme des Gesetzes durch das Evangelium keineswegs dazu nötigt, die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium aufzugeben, vielmehr diese präzise zu lozieren. 8.1.2 „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes". Das Gesetz in Diensten des Evangeliums Gottes Wort im Gesetz und sein Wort im Evangelium können aus der Perspektive des Evangeliums nicht als gleichwertige Kundgaben Gottes verstanden werden, so daß an die Stelle der reformatorischen Heilsgewißheit eine letzte Ungewißheit tritt und die Frage Raum greift und Verzweiflung weckt, ob Gott den Tod des Menschen will (Gesetz) oder ihm die bedingungslose Liebe zuspricht (Evangelium); denn das Gesetz und das Evangelium sind aufeinander bezogen (a) und zwar so, daß im Evangelium das Todesurteil des Gesetzes aufgehoben ist (b) und das Gesetz in Diensten des Evangeliums steht (c). (a) Das Evangelium geschieht ja gerade nicht unabhängig vom Gesetz als ein dem Todesurteil Gottes bezugslos gegenüberstehender Freispruch, sondern die Gültigkeit des Todesurteil des Gesetzes wird im Evangelium bestätigt. Die bedingungslose Liebe Gottes geschieht nicht anders als so, daß der radikale Todesfluch über die Sünde vollstreckt wird157. Es zeigte sich bereits: Wird der Mensch durch Christi Sterben am Kreuz vom Fluch

156 157

Vgl. a. a. O., S. 62ff; 196f. So formuliert Eiert treffend: „Gott verheißt also seine Gnade nur unter der Bedingung, daß das Gesetz erfüllt wird" (ders., Gesetz und Evangelium, S. 137).

Die Unterscheidung v o n Gesetz und E v a n g e l i u m

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des Gesetzes über die Übertretungen befreit, so wird dieser Fluch durch Gottes Handeln im Kreuz nicht aufgehoben, sondern vollzogen! Gerade das Gesetz macht es notwendig, daß die bedingungslose Liebe und Vergebung Gottes die Gestalt des Kreuzes annehmen mußte. Anders: Gott nimmt in seinem Gnadenhandeln das todbringende Wort des Gesetzes ernst. (b) Wird der Fluch des Gesetzes im Evangelium nicht aufgehoben (im Sinne von: für ungültig erklärt), sondern vollstreckt (und damit für gültig erklärt und bestätigt), so heißt dies auch, daß im Evangelium das Gesetz nur als ein bereits vollstrecktes aufgehoben, im Sinne von bewahrt, ist. Der bereits aufgegriffene Satz von Eiert ist daher unhintergehbar: ,,[G]erade das Evangelium bestätigt die Geltung des Gesetzes - desselben Gesetzes, dessen Geltung vom Evangelium aufgehoben wird" 1 5 8 . Im Freispruch des Evangeliums hat das Todesurteil des Gesetzes keinen Platz mehr, weil das Todesurteil des Gesetzes hier zur Vollstreckung gekommen ist. Man wird vom Kreuzesgeschehen aus sagen können, daß das Evangelium über das Gesetz siegt, nirgends aber wird man von einem Sieg des Gesetzes über das Evangelium sprechen können. Im Glauben an Jesus als den Christus ist das Gesetz besiegt. (c) Ist im Evangelium das Gesetz als ein bereits vollstrecktes aufgehoben, so stehen sich Gottes W o r t des Gesetzes und sein W o r t des Evangeliums nicht als zwei gleichwertige Worte gegenüber, vielmehr zeigt sich, daß das Gesetz in Diensten des Evangeliums steht, indem es die Menschen unter der Schuldverfallenheit festhalten soll, bis Christus erscheint. Dabei kann an dieser Stelle offen gelassen werden, ob das Gesetz dazu dient, die subjektive Einsicht in die Schuld des Menschen zu wecken oder ausschließlich als Instrument des objektiven Erweises der allgemeinen Schuldverfallenheit des Menschen. Auch hier wird man nicht umgekehrt sagen können: Das Evangelium steht in Diensten des Gesetzes. Damit ist das Evangelium als das Wort Gottes identifiziert, das als Gottes eigentliches Wort zu gelten hat. 8.1.3 Die bleibende Fluchtbewegung: Die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium So zeigt sich, daß Gesetz und Evangelium nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern das Evangelium die Gültigkeit des Gesetzes bejaht und das Todesurteil des Gesetzes (der der Wahrheit des Gesetzes entsprechende Gebrauch) im Evangelium vollstreckt ist. Ist hier schon die „Dominanz des Evangeliums" 1 5 9 demonstriert, so wird diese Dominanz ge158 159

CG, S. 140. Trillhaas, Dogmatik, S. 2 3 5

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rade auch daran deutlich, daß das Evangelium das Gesetz in Dienst nimmt. Was sagt dies für das Verhältnis von Gesetz und Evangelium aus? Es zeigte sich bereits in der Auseinandersetzung mit der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium, daß es nicht möglich ist, das Gesetz und Evangelium einander zuzuordnen, indem das Gesetz als Form des Evangeliums begriffen wird, wenn ernstgenommen wird, daß das Wesen des Gesetzes, seine Wahrheit, in der Schuldanklage und dem Todesurteil besteht. Es ist auch nicht möglich, sie in eine übergeordnete Einheit hin aufzuheben. Zum einen würde diese Modifikation der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium die gleichen Konsequenzen zeitigen: Das Gesetz als Gottes Todesurteil über die Menschen könnte nicht ernst genommen werden, weil es letzten Endes selbst das Wort zum Leben wäre. Auf der anderen Seite aber wird dann und dies ist entscheidend - die reine Gnadenzusage und bedingungslose Liebe Gottes in Christus in den Horizont des Verdammungsurteils des Gesetzes getaucht. Kurz: Treffen sich Gesetz und Evangelium auf einem Mittelweg, ist sowohl die Schärfe des Gesetzes als auch die Radikalität der Gnade abgeschliffen. Zum anderen würde aber auch der Durchbruch des Evangeliums durch das Gesetz nicht ernst genommen. Ausschließlich im Freispruch des Evangeliums wird das Todesurteil des Gesetzes überwunden. So sind beide Sachverhalte unaufgebbar: der bleibende Widerstreit zwischen dem Freispruch des Evangeliums und dem Todesurteil des Gesetzes und die Überwindung des Todesurteil des Gesetzes im Freispruch des Evangeliums als das ihm Widersprechende. „Unter dem Gesetz" stehen ist in keiner Weise gleichbedeutend mit dem Stehen unter dem Zuspruch des Evangeliums. Der Glaube und seine wissenschaftliche Reflexion, die Theologie, befindet sich daher in der Fluchtbewegung von dem Todesurteil des Gesetzes zu dem Ort, an dem dieses Todesurteil aufgehoben ist. 8.1.4 Fazit: Das Gesetz als opus alienum Diesen Sachverhalt bringt die Apologie mit der Unterscheidung zwischen Gottes opus alienum und Gottes opus proprium zum Ausdruck 160 . Gottes opus proprium, sein eigentliches Werk, ist das Evangelium, das Lebendigmachende. Daher kann das Werk des Gesetzes nicht Gottes eigentliches Werk sein, sondern ist sein opus alienum. Zwar steht Gottes opus alienum in Diensten von Gottes opus proprium, aber es ist nicht sein opus proprium. Damit löst die Apologie die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium nicht auf, hält jedoch ihre Bezogenheit aufrecht, wobei sie 160

Vgl. u. a. Αρ. XII, 51ff (= BELK, S. 2 6 1 f ) .

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

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die Voranstellung des Evangeliums vor dem Gesetz auf das Deutlichste markiert. a.) Indem sowohl Gesetz als auch Evangelium als Werke Gottes bezeichnet werden, ist jeder marcionitischen Auseinanderdividierung von Gesetz und Evangelium gewehrt. Gesetz und Evangelium sind Worte des einen Gottes. Sowohl das Verdammungsurteil des Gesetzes als auch der bedingungslose Freispruch des Evangeliums sind Worte des einen Gottes. b.) Das Evangelium ist Gottes opus proprium. Damit sind Evangelium und Gott auf das stärkste aneinander gerückt und bestimmen sich gegenseitig. Im Evangelium erscheint der Wille Gottes; Gott ist derjenige, der das Evangelium will. Das wahre Gesicht Gottes wird im Evangelium sichtbar. c.) Das Gesetz wird demgegenüber nicht als das eigentliche Werk Gottes, sondern als sein fremdes Werk bezeichnet. In Gesetz und Evangelium hat Gott nicht zwei Gesichter, das Gesetz ist kein zweites Gesicht Gottes; vielmehr hat Gott nur ein einziges Gesicht, welches im Evangelium sichtbar wird 161 . Damit ist jede Gefährdung der Heilsgewißheit abgewiesen: Das Evangelium ist das eigentliche, das Gott charakterisierende Werk. Im Evangelium - nicht im Gesetz - hat Gott das seinem Sein gemäße Wort gesprochen; im Evangelium - nicht im Gesetz - erfährt der Mensch wie Gott wesentlich ist. Kurz: Im Evangelium - nicht im Gesetz - blickt der Mensch in Gottes Angesicht! d.) Das Gesetz ist die Verbergung des eigentlichen Wortes Gottes, es ist die Verhüllung seines wahren Angesichts. Im Gesetz tut Gott etwas, was ihm fremd ist 162 . Dabei gilt es nun zwei Dinge entschieden festzuhalten: Zum einen, daß Gott selbst es ist, der hier sein wahres Werk verbirgt, d. h. der etwas tut, was ihm fremd ist, zum anderen, daß auch die Verbergung Gottes in Diensten des Evangeliums steht, d. h. auch das Gott fremde Tun, steht im Dienst des Evangeliums. Damit hält die Apologie die entscheidende Spannung offen, ohne die Heilsgewißheit zu gefährden: Gottes Gesetz ist ein fremdes Werk Gottes, das nicht zu seinem eigentlichen Werk, dem Evangelium gehört, obwohl es in Diensten des Evangeliums steht. Als fremdes Wort Gottes gegenüber seinem eigentlichen Wort ist das Gesetz nicht in irgendeiner Form auf das Evangelium zurückführbar, aus ihm ableitbar oder mit ihm harmonisch zu vereinen. In Anlehnung an Josuttis formuliert: Wir müssen „auf die endzeitliche Offenbarung der Einheit des Wesens und des Wortes Gottes [...] warten" 163 . 161 162 163

So zu Recht auch Pöhlmann, Rechtfertigung, S. 5 8 . Αρ. XII, 51. Josuttis, Gesetzlichkeit in der Predigt der Gegenwart, S. 118f.

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen 8.2 Gesetz und Schöpfung 8.2.1 Der Ort des Gesetzes

Unbestritten ist, daß Paulus mit dem „Gesetz" in erster Linie die Tora vom Sinai meint. Die entscheidende Frage ist daher - um mit Ebeling zu sprechen, der diese Frage eindeutig bejaht - ob, „auch außerhalb des Geltungsbereichs der mosaischen Tora Gesetz als eine Wirklichkeit angenommen werden" 164 darf. Diese Frage ist durchaus kontrovers diskutiert. Um zwei Positionen herauszugreifen: Mußner bestreitet eine solche Ausweitung des Gesetzes: Er sieht Paulus gesamte Ausführungen ausschließlich gegen die Sinai-Tora gerichtet 165 . Daher ist - so Mußner ausschließlich die Sinai-Tora nach Paulus durch Jesus abgetan, der eine nova lex bringe. Dieses neue Gesetz muß aber auch der Glaubende halten, um das Endheil zu erlangen (!) 166 . Anders hingegen das Urteil von Hahn. Auch er betont, „daß der Apostel bei seinen Erörterungen über den νόμος grundsätzlich von der alttestamentlichen Tora ausgeht" 167 . Doch - so Hahn - bemühe sich Paulus, „das Gesetz als eine die Heiden in gleicher Weise angehende Wirklichkeit zu erfassen" 168 . In ähnlicher Weise plädiert auch Bultmann dafür, das Gesetz nicht ausschließlich auf die Tora vom Sinai einzuschränken169. Die Ansicht, daß nach Paulus auch außerhalb des Geltungsbereichs der Tora das Gesetz als eine Wirklichkeit angenommen werden muß, stützt sich vornehmlich auf Rom 2, 12ff: Die Heiden sind sich selbst Gesetz, weil ihnen ins Herz geschrieben ist, was das Gesetz fordert! Es ist daher nach der Bedeutung dieser Stelle zu fragen. Bekanntlich hat Barth die „Heiden" als Heidenchristen aufgefaßt und damit die Stelle - in nur 3 Zeilen! - entschärft: „Die Heiden, an denen die Weissagung von Jer 31, 33 in Erfüllung gegangen ist, sind nach dem ganzen Zusammenhang als Heidenchristen zu verstehen" 170 . Anders als Barth versucht sein Schüler Flückiger dies näher auszuführen und zu begründen171. Nun ist diese These gewiß alt, schon Augustin hat sie vertreten172. Anders als bei Flückiger ist auch versucht worden, sie rein 164 165 166 167 168 169 170 171 172

Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens III, S. 2 6 8 . Vgl. Mußner, Der Galaterbrief, S. 277ff. Vgl. ebd. Hahn, Das Gesetzesverständnis im Römer- und Galaterbrief, S. 5 7 . Ebd. Vgl. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 283f. KD 1/2, S. 3 3 2 . Vgl. Flückiger, Die Werke des Gesetzes bei den Heiden, S. 17ff. Vgl. hierzu die Belege bei Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 2 1 4 , Anm. 5; Kühr, Römer 2, 14f und die Verheißung bei Jeremia 3 1 , 3 1 ff, S. 244ff.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

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exegetisch zu begründen 173 . Doch konnte sie sich nicht halten, sie wird in modernen Auslegung des Römerbriefes einhellig nicht mehr vertreten bzw. explizit abgewiesen 174 . Vornehmlich die Arbeiten von Kuss 1 7 5 und Bornkamm 1 7 6 haben die These als unhaltbar aufgewiesen 177 . Die These, die Heiden als „Heidenchristen" zu verstehen, widerspricht aufs deutlichste der Gedankenführung von R o m 1 , 1 8 - 3 , 2 0 und ihrem Ziel zu zeigen, daß „Juden Gott gegenüber nicht besser dastehen als die Heiden" 1 7 8 . Ist es die Absicht der Stelle R o m 2, 5 - 1 1 , die jüdischen Ansprüche zu destruieren und zu zeigen, daß Juden wie Heiden nach dem gleichem Maßstab gerichtet werden 1 7 9 , so besteht die Schwierigkeit darin, daß der, der gerichtet wird, das Gesetz gekannt haben muß, nach dem er gerichtet wird, und „wenn Juden und Heiden auf der gleichen Ebene stehen und nach der gleichen Norm gerichtet werden, müssen sie auch das gleiche Gesetz gekannt haben" 1 8 0 . Gerade diese Schwierigkeit versucht Paulus in den Versen R o m 2 , 1 2 - 1 6 zu klären: „Paulus [...] bestreitet die Sicherheit jüdischen Hochmutes, indem er einmal das tatsächliche Versagen des Juden vor dem Gesetz hervorhebt, dann aber die Kenntnis des wesentlichen Kerns des mosaischen Gesetzes, auch den Heiden zuschreibt" 1 8 1 . So kann den Heiden nur die explizite Kenntnis des mosaischen Gesetzes abgesprochen werden, „keineswegs jede Kenntnis der im mosaischen Gesetz niedergelegten göttlichen Offenbarung der sittlichen Forderungen" 1 8 2 . Der Gedankengang Rom 2 , 1 4 - 1 6 handelt daher von der Gesetzeskenntnis auch der Heiden 1 8 3 . Zwar kennen die Heiden nicht den Text des mosaischen Textes, aber doch die vom Text gemeinte Sache 1 8 4 . Doch ist die den Heiden ins Herzen geschriebene Gesetz „in-

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So bspw. Mundle, Zur Auslegung von Rom 2, 13ff, S. 249ff. Vgl. u. a. Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, S. 43; Wilckens, Der Brief an die Römer, S. 133; Käsemann, An die Römer, S. 59f; Michel, Der Brief an die Römer, S. 77f. Vgl. Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 213ff. Vgl. Bornkamm, Gesetz und Natur, S. 93ff. Nicht zu vergessen ist aber auch die frühe Abweisung der These durch Giesecke, Zur Exegese von Rom 2, 11-16, S. 173ff. Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 229. Vgl. a. a. O., S. 230. A. a. O., S. 231. Ebenso urteilt Bornkamm, Gesetz und Natur, S. 97: Paulus hat ein doppeltes Interesse: „1. alle werden gerichtet - nicht nur die Heiden. 2. alle kennen das Gesetz - nicht nur die Juden. Zur Stützung des ersten Gedankens bedarf es des zweiten". Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 231. A. a. O., S. 232. So Bornkamm, Gesetz und Natur, S. 98. So Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 132.

204

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

haltlich identisch" mit der Sinai-Tora 185 . Zu Recht weist daher Kuss daraufhin, daß in den Versen Rom 2,14-16 die Wendungen „von N a t u r " und „im Gewissen" von entscheidender Bedeutung sind 186 . ,,[E]ben was in der Schrift in seiner Fülle, in seinem ganzen Umfang dem Juden zugänglich wird, ist dem Heiden φύσει, von Natur, durch das mit seiner Erschaffung in seinem Menschenwesen mitgegebene sittliche Normenbewußtsein zugänglich" 187 . Und im Blick auf das Gewissen faßt Kuss zusammen: „Jeder Mensch, auch der Heide, stößt in seinem Inneren auf eine dem Bereich des Transzendenten entstammende und in das Transzendente wieder hinein reichende Instanz, die ihn mit absoluter Gewalt vor eine Normentafel stellt und seine Handlungen danach beurteilt. Der Inhalt dieser Normentafel ist nicht bis ins einzelne für alle Menschen gleich, sondern gewissen Schwankungen unterworfen, doch geht aus dem Verhalten der Heiden hervor, daß sie über bestimmte Grundforderungen des göttlichen Willens richtig informiert sind, der freilich den Juden im alttestamentlichen Gesetz viel deutlicher bekanntgegeben war und seinen vollkommenen Ausdruck überhaupt erst im Evangelium findet, ohne daß damit die Funktion des Gewissens aufgehoben wäre" 188 . So ist gerade das den Menschen anklagende Gewissen für Paulus der Zeuge für die Tatsache, daß das Gesetz den Heiden ins Herz eingeschrieben ist189. Daher ist festzuhalten, daß auch die Heiden das Gottesgesetz kennen, „und zwar nicht aus einem ihnen gegenüberstehenden schriftlichen Dekret, sondern darum, weil es in ihre Herzen geschrieben ist" 190 . Im Blick auf diesen Sachverhalt betont Bornkamm: „Νόμος meint also das eine und gleiche Gottesgesetz, das Juden und Heiden nur in verschiedener Weise gegeben ist" 191 . Das spezifische Kennzeichen der Sinai-Tora gegenüber dem den Heiden ins Herzen geschriebene Gesetz ist die „schriftliche Fixierung" 192 , inhaltlich ist das Gesetz vom Sinai aber identisch mit dem ins Herz geschriebenen Gesetz 193 . Mit Ebeling ist daher zu betonen, daß „auch außerhalb des Geltungsbereichs der mosaischen Tora Gesetz als eine Wirklichkeit angenommen werden" 194 muß. Die Stimme des 185 186 187 188 185 190 191 192 193 194

So Wilckens, Der Brief an die Römer, S. 135. Vgl. Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 233ff. A. a. O., S. 234. A. a. O., S. 239. So zu Recht Walker, Die Heiden und das Gericht, S. 309. Bornkamm, Gesetz und Natur, S. 106. A. a. O., S. 101. Käsemann, An die Römer, S. 57. Vgl. Wilckens, Der Brief an die Römer, S. 135. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens III, S. 268.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

205

Gesetzes ertönt nicht nur in der Tora vom Sinai, sondern in der geschöpflichen Wirklichkeit überhaupt. Damit weist Rom 2,12ff auf den gleichen Sachverhalt hin wie Rom 1,19-21: ,,[A]uch in der Erkenntnis Gottes, bzw. der Offenbarung Gottes gibt es nach Paulus zwei Wege, den über die Werke der Schöpfung und den, der sich im Glauben an das Evangelium eröffnet" 1 9 5 . Festzuhalten gilt daher: Die Schöpfung bekundet den göttlichen Willen und den göttlichen Zorn! 8.2.2 Gottes gesetzgebendes Wort und Gottes schöpferisches Wort Nun zeigte sich, daß das Gesetz über die Sinai-Tora hinaus auf die Gesamtwirklichkeit hin ausgeweitet werden muß. Die Schöpfung bekundet dasselbe Gesetz Gottes, das in der Sinai-Tora schriftlich fixiert ist und das heißt: Die Werke der Schöpfung bekunden den göttlichen Zorn, sein Verdammungsurteil über das ungerechte Tun der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Damit sind wir aber vor ein zentrales Problem der Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium gestoßen: Wie verhält sich die Schöpfung zum Gesetz? Gerade die Ausweitung des Gesetzes auf die Gesamtwirklichkeit des Lebens, die Bekundung des göttlichen Zornes durch die Werke der Schöpfung, läßt die Frage laut werden nach dem Verhältnis des schöpferischen Handelns Gottes und seinem gesetzgebendem Handeln. Inwiefern kann behauptet werden, der Schöpfung selbst sei das Gesetz Gottes eingestiftet? Diese Frage bekommt dadurch ihre Brisanz, daß das Wesen und die Funktion des Gesetzes gerade in der Schuldanklage und dem Verdammungsurteil besteht. Das Verdammungsurteil selbst kann aber der Schöpfung nicht eingestiftet sein! Eine Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Gesetz - die kaum Gegenstand theologischer Erörterungen geworden ist - 1 9 6 kann in diesem Zusammenhang nicht einmal ansatzweise unternommen werden. Vielmehr kann die Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Gesetz nur als ein offenes Problem markiert werden, das einer sorgfältigen gedanklichen Durchdringung noch harrt. Einige notwendige Konsequenzen aus dem bisher Dargelegten können aber gezogen werden, die für den folgenden Gedankengang notwendig sind und 195 196

Kuss, Die Heiden und die Werke des Gesetzes, S. 245. Auch Eiert hat sich in seinen ausführlichen Untersuchungen zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium die Frage nach der Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Gesetz nicht gestellt. Besonders auffällig ist dies in seiner Ethik: Zwar erfahren wir sowohl, daß der Mensch durch den schöpferischen Akt Gottes in die Welt hineingeschaffen ist und durch Gottes Gesetz in ihr festgehalten wird, als auch, daß in der sündigen Welt der Mensch durch das Gesetz dem Tode überantwortet wird (CE, S. 74ff), doch unternimmt es Eiert nicht, diesen Sachverhalt zu reflektieren (vgl. hierzu ausführlich Teil 2: Kap. II.B.5.2).

206

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

gleichsam die Grenzen abstecken, in denen sich eine künftige Verhältnisbestimmung von Gesetz und Schöpfung zu bewegen hat. a.) Das Verdammungsurteil des Gesetzes kann der Schöpfung nicht eingestiftet sein; denn der schöpferische Akt Gottes kann nicht darauf zielen, den Menschen zu verdammen und seine Schuld offenbar zu machen. Soll die Sünde als kontingenter Einbruch in die göttliche Schöpfung ernst genommen werden, so kann Gottes Reaktion auf die Sünde nicht mit Gottes schöpferischen Akt identifiziert werden. b.) Gottes sich gegen mich richtender Widerspruch des mich der Sünde überführenden, mich verklagenden und dem Tod überantwortenden Gesetzes ereignet sich aber im Raum der Schöpfung. Die Schöpfung ist somit die Möglichkeitsbedingung dafür, daß Gottes Verdammungswort des Gesetzes an alle Menschen ergeht 197 . c.) In der gefallenen Welt verkündet die Schöpfung Gottes Gesetz, d. h. sie verkündet die Schuld des Menschen und das Verdammungsurteil Gottes über die menschliche Schuld. 8.2.3 Das Gesetz als das in der Schöpfung laut werdende Wort Gottes Nun zeigte unsere Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung, daß Gottes schöpferisches Handeln von seinem die Feindschaft der Welt zu ihm überwindenden Handeln zu unterscheiden ist, und zwar in der Weise, daß Gottes die Feinschaft zu ihm überwindendes Handeln als ein wirklich neues Handeln von dem das Leben gewährenden (schöpferischen) Handeln unterschieden wird. Damit war die ontologische Priorität von Gottes schöpferischem Handeln gegenüber seinem die gefallene Welt erlösenden Handeln festgestellt. Dabei zeigte sich, daß die ontologische Priorität noch nichts über die noetische Priorität aussagt. Daß die Welt zuerst von Gott geschaffen wird und dann von der Sünde geheilt wird, sagt durchaus nicht aus, daß die Welt zunächst als eine auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende erkannt wird, bevor sie als eine von Gott versöhnte erkannt wird. Die ontologischen Priorität des schöpferischen Handelns gegenüber dem erlösenden Handeln zeigte nur, daß die Erkenntnis des schöpferischen Wortes Gottes keine Erkenntnis des erlösenden Wortes vermitteln kann. Die Frage, inwiefern Gottes schöpferisches Handeln - gerade unter den Bedingungen der Sünde - als schöpferisches Handeln Gottes erkennbar ist, blieb offen. 197

Umgekehrt gilt aber nicht, d a ß Gottes Liebeshandeln in Christus der R a u m für Gottes Gesetz ist. Die Aufgabe für eine Durchdringung des Verhältnisses von Gesetz und Schöpfung und damit für eine Charakterisierung der göttlichen Schöpf u n g liegt daher gerade darin, zu fragen, was es bedeutet, d a ß die Schöpfung R a u m f ü r Gottes Gesetz ist, nicht aber die Erlösung.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

207

Nun gilt auch für Gottes Verdammungsurteil im Gesetz, daß offen blieb, ob es als Verdammungsurteil Gottes erkennbar ist. Gerade Paulus (s.o.) sieht die Aufgabe des Gesetzes ja ausschließlich in der forensischen Situation der Anklage und Verurteilung, d. h. in der objektiven Feststellung allgemeiner Schuldverfallenheit, nicht jedoch in der subjektiven Einsicht. Daher bleibt auch hier die Frage offen, inwiefern Gottes Verdammungswort - gerade unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung - als Verdammungswort Gottes erkannt wird. Gilt nun, daß in der gefallenen Welt Gottes Gesetz, d. h. seine Offenbarung der menschlichen Schuld und sein Verdammungsurteil laut wird, so bleibt sowohl offen, ob - gerade unter der Bedingung der sündhaften Verblendung - Gottes Verdammungsurteil als Gottes Verdammungsurteil erkannt wird, als auch, ob daneben Gottes schöpferisches Handeln als Gottes schöpferisches Handeln erkannt wird. Bleibt somit die Frage nach der Erkenntnis der Gegenwart Gottes in der (unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung stehenden) Welt als Schöpfer und Geber des Gesetzes offen, so bleibt festzuhalten, daß Gott in der gefallenen Schöpfung sowohl in seinem schöpferischen und seinem gesetzgebenden Handeln gegenwärtig ist. Gegenwärtig ist Gott (in der gefallenen Welt) immer nur als Dasein gewährender und die Sünde verdammender, d. h. als Dasein gewährender ist er immer auch gegenwärtig als der die Sünde verdammende, als der die Sünde verdammende ist er immer nur gegenwärtig als der Dasein gewährende. In der gefallenen Welt ist die schöpferische Gegenwart Gottes umspannt von seiner gesetzgebenden Gegenwart, seine gesetzgebende Gegenwart ist eingebettet in seine schöpferische Gegenwart 1 9 8 . Kurz: In der gefallenen Welt ist die Schöpfung Gottes umspannt von Gottes Gesetz. O b der Mensch darum weiß oder nicht, er steht unter dem Gesetz Gottes! Ist nun („natürliches") menschliches Erkennen und Wissen auf Gottes Schöpfung bezogen, so steht es „im Banne des Gesetzes" 1 9 9 . Vermittelt die Erkenntnis der Schöpfung keine Erkenntnis der Versöhnung, so stößt das menschliche Bemühen die Schöpfung zu durchdringen, auf die vom Gesetz umspannte Schöpfung, die Wirklichkeit, die der Mensch zu durchdringen sucht, ist eine Gesetzeswirklichkeit. Der folgenden Untersuchung bleibt es daher anheim gestellt, zu fragen, was dies für die tatsächliche menschliche Erkenntnis bedeutet.

198

Es scheint mir nicht empfehlenswert die schöpferische Gegenwart Gottes als usus politicus legis in den Gesetzesbegriff zu integrieren. Ich stimme daher n a c h d r ü c k lich Bayer zu, der die schöpferische Gegenwart Gottes kategorial selbständig faßt (vgl. ders., Theologie, S. 4 1 6 ) .

199

Ebeling, Theologie und Philosophie III, Sp. 8 2 8 .

208

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen 8.3 Abschließende Bemerkung zum Verhältnis von Gesetz und Evangelium: Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium als Aufgabe der theologischen Gotteslehre

Abschließend ist auf die Bedeutung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und der Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium für das theologische Erkennen innerhalb der Gotteslehre hinzuweisen, stellt doch diese Unterscheidung eine Grenze dar, die auch die Gotteslehre zu berücksichtigen hat; denn bekundet Gott im Gesetz seinen Zorn und im Evangelium seine bedingungslose Liebe, so ist das Bemühen, einen theoretischen Begriff der Einheit Gottes zu statuieren, zum Scheitern verurteilt 200 . Mit dieser Kapitulation ist jedoch - wie sich bereits zeigte keineswegs in irgendeiner Form „die Gültigkeit der göttlichen Heilsgewißheit ungewiß gemacht" 201 . Nun gibt es angesichts der Spannung von Zorn und Liebe Gottes grundsätzlich vier Möglichkeiten, einen einheitlichen Gottesbegriff zu konstatieren. Zunächst könnte überhaupt eine der Bekundungen Gottes bestritten werden: Die Möglichkeit (a), die Liebe Gottes zu verabschieden und einen einheitlichen Gottesbegriff ausschließlich über den Zorn zu entwerfen, ist vermutlich in der christlichen Theologie nie ernsthaft diskutiert worden, weil er allem widerspräche, was der Glaube über Gottes bedingungslose Liebe in Christo sagt. Auch die Verabschiedung der Rede vom Zorn Gottes (b) durch Ritsehl 202 und Schleiermacher 203 wird allgemein abgewiesen, da der durchgängige biblische Befund eine solche Verabschiedung verbietet 204 . Zeigt sich so, daß es nicht möglich ist, einen theoretischen Begriff der Einheit Gottes zu konstruieren, indem entweder der Zorn oder die Liebe Gottes gänzlich verabschiedet wird, so besteht nur die Möglichkeit einen theoretischen Begriff der Einheit Gottes zu konstruieren, indem entweder die Liebe als Ausdruck des Zornes Gottes oder der Zorn als Ausdruck der göttlichen Liebe aufgefaßt wird. Nun ist die Möglichkeit (c), die Liebe als Ausdruck seines Zornes zu sehen, - soweit ich sehe - nirgends in der christlichen Theologie ernsthaft diskutiert worden. Großer Beliebtheit erfreut sich aber der Versuch (d), einen theoretischen Begriff der Einheit Gottes zu entwickeln, der den

200 201 202

203

204

So urteilt auch Bayer, Theologie, S. 416. So Bandt, Zorn Gottes, S. 1932. Vgl. u. a. Ritsehl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung II, S. 119ff. Vgl. u. a. Schleiermachers Predigt „Daß wir nichts vom Zorne Gottes zu lehren haben. 2. Cor. 5, 17.18". Vgl. zu Ritsehl und Schleiermacher ausführlich Schütte, Die Ausscheidung der Lehre vom Zorn Gottes in der Theologie Schleiermachers und Ritschis, S. 387ff.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

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Zorn als Ausdruck der Liebe zu begreifen intendiert. Gerade so soll vermieden werden, über das „Gottesbild einen Schatten [zu werfen], der geeignet ist, alles zu verdunkeln" 205 . Die Fragen nach der angemessenen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium kehren so in der Gotteslehre wieder. Zeigte sich die Dominanz des Evangeliums vor dem Gesetz, so gilt, daß Gottes Liebe stärker ist als der Zorn. Gottes Liebe ist stärker als sein Zorn, in Gottes versöhnender Liebe ist sein Zorn überwunden. Doch heißt dies gerade nicht, daß Gottes Zorn Ausdruck seiner Liebe ist. Gottes Liebe überwindet den Zorn, sie ist stärker als der Zorn, der Zorn ist somit das von Gottes Liebe Überwundene, keinesfalls aber ein Element der Liebe selbst206. Dies wird besonders deutlich bei Härles Versuch, den Zorn Gottes als Element seiner Liebe zu verstehen. „Der heilige Zorn bzw. die zornige Liebe Gottes richtet sich um des geliebten Menschen willen gegen alles, was ihm bzw. wodurch er sich selbst schadet. ,Liebe' ohne solchen heiligen Zorn wäre keine echte Liebe" 207 . Und Härle fügt erklärend hinzu: „Dies gilt im übrigen auch für zwischenmenschliche Liebe, zu deren Echtheit es gehört, zornig zu sein über alles, was dem geliebten Gegenüber schadet" 208 . Dabei verschiebt Härle den Zorn Gottes von dem Sünder auf die Sünde. Der Radikalität des Zornes Gottes über die Sünder, ist damit schon im Ansatz abgeschliffen, wenn der Zorn Gottes nur die Sünde trifft als etwas, was dem Menschen schadet nicht aber die Sünder, so daß Gott nur zornig über die Sünde wäre, dieser Zorn sich aber nicht auf den Täter der Sünde bezöge. Daher greift auch Härles Verdeutlichung aus dem Bereich der zwischenmenschlichen Liebe nicht; denn es gehört durchaus nicht zum Wesen der Liebe zornig über das geliebte Gegenüber zu sein209. Gerade die Hineinnahme des Zornes in die Liebe verdunkelt Gottes Wesen als die Liebe; denn nicht nur wird Gottes Zorn verharmlost, wenn er als Liebeshandeln Gottes begriffen und nur auf die Sünde nicht aber auf ihren Täter zielt, sondern - und dies ist entscheidend - die Liebe 205 206

207 208 209

Härle, D o g m a t i k , S. 2 6 8 . Vgl zur angemessenen Rede von der Einheit Gottes und des göttlichen Wirkens: Teil 1: Kap. II.D.1.4. Härle, Dogmatik, S. 26 8 f. A. a. O., S. 2 6 9 , Anm. 50. Dies gilt es auch gegenüber Webers Behauptung zu betonen, „der Z o r n Gottes [sei] nichts anderes als Gottes Liebe, die sich gegen ihre eigene Abweisung k e h r t " (ders., Grundlagen der Dogmatik I, S. 483): Der Z o r n ist durchaus nicht die Form, mit der ein Liebender die Abweisung der Liebe durch das geliebte Gegenüber beantwortet, es sei denn die Liebe kehrt sich um zum Z o r n , d a n n aber ist sie nicht mehr Liebe.

210

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Gottes wird in das Dunkel des göttlichen Zornes getaucht, wenn der Zorn Element der Liebe ist. Befindet sich der Glaube in der Fluchtbewegung von dem Todesurteil des Gesetzes zum Freispruch des Evangeliums, so bedeutet dies auf Gott angewendet: der Glaubende befindet sich in der Fluchtbewegung von Gottes Zorn zu dem Ort, an dem Gottes Liebe seinen Zorn besiegt. Damit ist der theologischen Gotteslehre die Aufgabe gesteckt, sowohl Gottes Liebe als auch den Zorn Gottes über die menschliche Sünde zu lozieren. Dabei ist bei der Hochkonjunktur der Trinitätslehre in der heutigen theologischen Landschaft zu betonen: Sperrt sich die Unterscheidung zwischen Gottes Zorn und Gottes Liebe dagegen, einen theoretischen Begriff der Einheit Gottes zu gewinnen, so gilt dies auch für den trinitarisch entwickelten Gottesgedanken 210 . Wir wenden uns daher an dieser Stelle noch einmal zu Bayers Lozierung der Trinitätslehre im Gesamtzusammenhang der systematischen Theologie, die wir in unserer Untersuchung über die Bedeutung der Trinitätslehre hinsichtlich der Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung reflektiert haben 211 . Bayer wehrt sich ,,[g]egen die ungeduldige - spekulative - Verallgemeinerung des Bekenntnisses zu Gott dem dreieinigen" 212 . Die Trinitätslehre - so Bayer - hat „nichts anderes als das Evangelium"213 zu bedenken, so daß die Trinitätslehre nicht mit der Gotteslehre identifiziert werden darf, sondern innerhalb der Gotteslehre ihren Ort hat: Die Trinitätslehre artikuliert nach Bayer ausschließlich die durch den Geist Gottes gewirkte Erfahrung des erlösenden Handelns Gottes und bildet damit nur ein Element der Gotteslehre, die neben der in der Trinitätslehre artikulierten Erfahrung des erlösenden Handelns in Christus in einer „allgemeinen Gotteslehre" auch das gesetzgebende Handeln Gottes, das schöpferischerhaltende Handeln Gottes und das schlechthin verborgene Handeln Gottes enthält. Galt es im Rahmen unserer Erörterung der Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und Gottes erlösendem Handeln, - unter Rückstellung der Erörterung des Gesetzeswirkens Gottes und der schlechthin verborgenen Gegenwart Gottes - geltend zu machen, daß soll die Bezogenheit der Schöpfung auf die Erlösung als deren ontologische Möglichkeitsbedingung nicht aus dem Blick geraten - die Trinitätslehre nicht nur das erlösende Wirken als Werk des Sohnes und die Erschließung dieses Wirkens im Werk des Geistes, sondern auch die Schöpfung als die ontologische Möglichkeitsbedingung für Gottes Heilshandeln zu 210 2,1 212 213

Hierauf macht zu Recht aufmerksam Bayer, Theologie, S. 4 1 6 . Vgl. Exkurs 1 (bes. Kap. 3.2). Ders., Poetologische Theologie?, Sp. 11 (In der Quelle hervorgehoben.). Ders., Poetologische Trinitätslehre, S. 12.

Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

211

bedenken hat, so gilt es nun - unter Rückstellung der Erörterung des verborgenen Wirkens Gottes - , geltend zu machen, daß wenn die Trinitätslehre dem Heilshandeln Gottes (und seiner Möglichkeitsbedingung durch die Schöpfung) nachdenkt, das Gesetz in der so verstandenen trinitätstheologischen Reflexion keinen Platz hat. An dieser Stelle soll keine Entscheidung über den Inhalt der trinitätstheologischen Reflexion getroffen werden, es gilt aber Bayer darin nachdrücklich zuzustimmen, daß wenn die Trinitätslehre ausschließlich die Liebe Gottes bedenkt, sich die Gotteslehre in der Trinitätslehre nicht erschöpfen kann. Galt es gegen problematische Tendenzen und Ausführungen der Trinitätslehre, die Gottes schöpferisches und sein erlösendes Handeln nicht mehr angemessen unterscheiden, zu betonen, daß die trinitätstheologische Reflexion die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln nicht überspielen darf, so gilt es an dieser Stelle ebenso entschieden daran zu erinnern, daß der trinitarisch entwickelte Gottesgedanke keinesfalls dazu führen darf, die Unterscheidung zwischen Gottes Zorn und Gottes Gnade zu nivellieren. Kurz: Auch die Lehre vom Wesen Gottes harrt der endzeitlichen Offenbarung der Einheit von Gottes Wesen und Gottes Willen noch entgegen, sie kann diese keinesfalls ersetzen.

C Grenzen des Sagbaren: Die Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus 1. Der Sinn der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes Es zeigt sich, daß der Begriff „verborgener Gott" ein „dehnbarer Begriff" 1 ist. „Er kann" - so Jüngel zu Recht - „vielerlei Gedanken Unterschlupf bieten" 2 . Die Rede von der Verborgenheit Gottes hat - auch hierin ist Jüngel nachdrücklich zuzustimmen - unterschiedliche Inhalte und Funktionen 3 . Doch gilt dies nicht nur hinsichtlich der unterschiedlichen Konfessionen. Es bedarf keiner Zitation anderer Konfessionen, um die unterschiedlichste Verwendung dieses Begriffes zu verdeutlichen. Man vergleiche nur Jüngels Satz: „Daß Gott sich in Jesus Christus offenbart, besagt: der verborgene Gott [...] ist zur Welt gekommen" 4 mit dem Satz Elerts: „Den Gegensatz zur Verborgenheit Gottes bildet sein Offenbarsein" 5 . Man vergleiche nur die Bezeichnung der Verborgenheit Gottes als „Eigenschaft Gottes" 6 und „Wesen" 7 Gottes bei Barth8 mit Elerts Bestimmung der Verborgenheit Gottes als der Verhüllung des wahren Wesens Gottes 9 . Man vergleiche nur den Satz Barths: „Der Satz von der Verborgenheit Gottes ist [...] nicht als ein Satz verzweifelnder Resignation zu verstehen, sondern tatsächlich als der terminus a quo unserer wirklichen Erkenntnis Gottes, als die grundlegende und entscheidende Bestimmung nicht unseres Nichtwissens, sondern unseres Wissens um Gott. Sie besagt, daß unser Wissen um Gott darum nicht in uns 1 2 3 4

5 6 7 8

9

Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 164. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 165. A. a. O., S. 1 7 0 . - Vgl. auch die Behauptung Barths, daß der „Deus revelatus als solcher [!] auch der Deus absconditus" (KD I I / 1 , S. 609f) ist. CG, S. 1 1 4 . KD I I / l , S. 2 0 6 . KD I I / l , S. 2 0 9 . Auch Jüngel kennt eine Weise der Verborgenheit Gottes, die als die „,Ureigenschaft' Gottes bezeichnet werden [kann]" (ders., Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 168). Vgl. Eiert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 16.

Grenzen des Sagbaren:

213

anhebt, weil es in Gott, nämlich in Gottes Offenbarung und im Glauben an ihn, schon angehoben hat. Das Bekenntnis zu Gottes Verborgenheit ist das Bekenntnis zu Gottes Offenbarung als dem Anfang unseres Wissens um ihn." 1 0 mit Luthers Behauptung, daß die Erfahrung der Verborgenheit Gottes den Menschen zugrunde richtet 1 1 . Es gilt daher, genau zu bestimmen und zu differenzieren, was mit der Verborgenheit Gottes gemeint ist 12 . Haben wir bisher Gottes erlösendes Handeln, Gottes schöpferisches Handeln und Gottes gesetzgebendes Handeln erörtert, so geht es im folgenden darum, auf Gottes schlechthin verborgenes Handeln zu verweisen als der Grenze der theologischen Erkenntnis.

2. Lozierung der Rede von der verborgenen Gegenwart Gottes (a) Der Begriff „verborgener G o t t " kann nicht zum Ausdruck bringen, daß Gott nur in seinem Wirken erfahren wird, jenseits seines Wirkens aber verborgen ist; denn es darf nicht übersehen werden, daß es kein Ereignis gibt, in dem Gott nicht wirkt 1 3 , daß wir es „immer und überall mit ihm zu tun [haben]" 1 4 . Der allmächtige Gott wirkt alles in allem (1. Kor 12,6). Der Begriff der Verborgenheit Gottes darf so nicht zu einer Preisgabe der geschöpflichen Wirklichkeit führen, indem er etwa den Raum der Abwesenheit Gottes bezeichnet. Der Begriff der „Verborgenheit" Gottes kann

daher keinesfalls in Abgrenzung zu einer „Anwesenheit" Gottes

gebraucht

werden. Die Verborgenheit Gottes kann daher nur eine bestimmte seiner Anwesenheit und seines Wirkens bezeichnen 15 . 10

11 12 13 14 15

Weise

KD I I / l , S. 2 1 5 . - Vgl. auch: KD I I / l , S. 2 1 6 : „Nicht eine Unvollkommenheit, sondern gerade die Vollkommenheit, nicht eine Problematisierung, sondern gerade die Gewißheit, nicht eine Grenze, sondern gerade die Wirklichkeit der Erkenntnis Gottes ist hinsichtlich ihres terminus a quo bezeichnet durch den Satz von der Verborgenheit Gottes". Auch Jüngel kennt eine „Freude, die zur Rede von dem im Lichte seines Seins verborgenen Gott gehört" (ders., Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 169). Vgl. WA 40/11, 3 2 9 , 9 - 1 1 . Dies hat Jüngel auf seine Weise in dem oben genannten Aufsatz getan. Vgl. CG, S. 146f. Beyschlag, Werner Eiert in memoriam, S. 6. So auch Härle: Der Begriff der „Verborgenheit" Gottes meint keinesfalls Gottes „Abwesenheit", vielmehr ist die Verborgenheit Gottes immer „eine Weise der Anwesenheit und der Gegenwart" (ders., Dogmatik, 2 8 0 ) Gottes. „Der deus absconditus ist nicht der .verreiste', ,abwesende' oder ,tote' Gott, wie er in Nietzsches Philosophie oder in Sölles Theologie eine Rolle spielt, sondern der rätselhafte, vielleicht sogar bedrohlich nahe Gott, der sich aber nicht zeigt oder den wir nicht sehen (können)" (ebd.).

214

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

(b) Kann der Begriff der Verborgenheit Gottes keinesfalls Gottes Abwesenheit bezeichnen, sondern eine bestimmte Weise seines Wirkens, so zeigte sich, daß von dem schöpferischen Handeln Gottes keinesfalls gesagt werden kann, daß es - im Unterschied zum erlösenden Handeln Gottes - verborgen ist. Vielmehr preist der christliche Glaube und die Frömmigkeit - als die „Gestaltung des christlichen Glaubens" 16 - Gott als den Schöpfer. Das Schöpfersein Gottes ist wesentlicher Bestandteil des christlichen Gottesbegriffs. So setzt Gottes Wirken in Christus Gottes schöpferisches Handeln als die Konstitution der (ontologischen) Möglichkeitsbedingung für das Christusgeschehen (wie auch für den Einbruch der Sünde) voraus. Kurz: Gottes schöpferisches Wirken ist deshalb nicht als verborgenes Wirken Gottes zu bezeichnen, weil das schöpferische Wirken Gottes aus theologischer Perspektive als schöpferisches Wirken gedeutet wird. (c) Auch von Gottes gesetzgebendem Wirken kann keinesfalls gesagt werden, daß hier Gott schlechthin verborgen ist. Vielmehr tut das Gesetz Gottes Zorn „über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen kund, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit gefangen halten" (Rom 1, 18). Im Gesetz zeigt sich Gott als der Heilige, der seiner nicht spotten läßt. Das Evangelium - so zeigte sich - negiert nicht Gottes Gesetz, sondern bestätigt es. So setzt Gottes Wirken in Christus Gottes gesetzgebendes Handeln als dasjenige voraus, das im Christusgeschehen überwunden wird. Kurz: Gottes gesetzgebendes Wirken ist deshalb nicht als verborgenes Wirken Gottes zu bezeichnen, weil das gesetzgebende Wirken Gottes aus theologischer Perspektive als gesetzgebendes Wirken Gottes gedeutet wird. (d) Wirkt der allmächtige Gott, alles in allem (1. Kor 12, 6) 17 und kann deshalb der Begriff „Verborgenheit Gottes" keinesfalls eine „Abwesenheit Gottes" bezeichnen, sondern nur eine bestimmte Weise seines Wirkens, können aber weder Gottes gesetzgebendes Wirken noch sein schöpferisches Wirken als verborgenes Wirken Gottes bezeichnet werden, weil sie aus theologischer Perspektive gedeutet werden können (nämlich als schöpferisches Wirken und als gesetzgebendes Wirken), so geht doch Gottes Wirken nicht in seinem gesetzgebendem Wirken, seinem schöpferischen Wirken und seinem erlösenden Wirken auf. Gott wirkt auch „im Widerfahrnis blind wütender Naturkatastrophen, unaufhebbaren Unrechts, unschuldigen Leidens, des Hungers und Mordens, 16

17

Wintzer, Frömmigkeit als eine Grundperspektive der praktischen Theologie, S. 13. Diese Stelle hat für Luther in „De servo arbitrio" eine entscheidende Bedeutung (vgl. u. a. WA 18, 614, 12; 685, 22; 709, 10; 732, 19).

Grenzen des Sagbaren:

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eines jeden Krieges, im Widerfahrnis unheilbarer Krankheit, die einen jungen Menschen tötet" 1 8 . Hier ist Gott „anonym, [...] ins Passivum verhüllt, kein Liebhaber des Lebens, sondern dessen Verkläger und Verneiner, der Gottes offenbarem Willen und dem Evangelium widerspricht" 19 . Dieses Wirken Gottes ist - verglichen mit Gottes schöpferischem Handel und gesetzgebendem Handeln - ein Wirken, von dem gerade nicht erkannt wird, inwiefern es „in Diensten" des Evangeliums stehen, das von dem Evangelium in keiner Weise vorausgesetzt wird wie das schöpferische Handeln Gottes und das göttliche Gesetz. „Verborgen im engeren Sinne" ist „ein Wirken Gottes, daß gerade keinen Rückschluß auf Gott selbst erlaubt" 20 . Gottes Wille ist in Gottes verborgenem Wirken schlechthin verborgen. Wir bezeichnet somit mit dem Begriff der „Verborgenheit Gottes" dasjenige Wirken Gottes, das aus theologischer Perspektive gerade nicht gedeutet werden kann; schlechthin verborgen ist, warum und inwiefern der in Christus die bedingungslose Versöhnung wirkende Gott auf diese Weise wirkt. Ohne jeden Bezug steht Gottes schlechthin verborgenes Wirken zu Gottes Wort in Christus21.

3. Der deus absconditus in den monistischen Konzeptionen Verlangt gerade die Unterscheidung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus die grundsätzliche Problematisierung einer Etablierung eines einheitlichen Wirkens Gottes, so fragt sich, wie das schlechthin verborgene Wirken Gottes in einer monistischen Konzeption zur Geltung gebracht werden kann. Die Gefahr, die in einer monistischen Konzeption zutage tritt, ist evident: Zeigte sich, daß die Integration des Gesetzes in das Evangelium dem Evangelium selbst gesetzliche Züge zu verleihen droht, so droht die Integration des verborgenen Wirkens Got18 19 20 21

Bayer, Theologie, S. 4 1 5 . A. a. O., S. 4 1 5 f . Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 1 7 6 . Damit ist auch Jüngels Bestimmung dessen, was Gottes Verborgenheit „auf keinen Fall" (ders., Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 1 6 5 ) bedeuten kann, zur Geltung gebracht: „Die Rede von der Verborgenheit Gottes kann zwar besagen, daß uns im Blick auf Gott einiges, vieles oder auch alles dunkel ist. Sie kann aber nicht besagen, daß Gott selbst dunkel ist" (ebd.; vgl. ders. Quae supra nos, nihil ad nos, S. 222f). „Seine ,Aufklärung' findet dieses verborgene Wirken Gottes erst im lumen gloriae, im eschatologischen Licht der Herrlichkeit, das die Übereinstimmung aller göttlichen Werke, also auch die Übereinstimmung des jetzt Grauen erregenden, verborgenen göttlichen Handelns mit seiner Gnade erweisen wird" (ders., Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 1 7 6 ) .

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Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

tes in sein erlösendes Wirken dieses selbst in das Dunkel der Verborgenheit zu ziehen. Es zeigt sich denn auch, daß die monistischen Konzeptionen von Barth und Schleiermacher - je auf ihre Weise - das schlechthin verborgene Wirken Gottes in sein erlösendes Wirken integriert haben. 3.1 Die Allkausalität als Strukturprinzip (Schleiermacher)22 Nehmen wir den Ausgangspunkt bei der monistischen Theologie in ihrer Gestalt als evolutionärer Monismus, wie er in der Theologie Schleiermachers zutage tritt, so zeigt sich, daß Schleiermacher an dem traditionellen Theologumenon des deus absconditus wenig interessiert ist. Von hierher wäre es aber vorschnell zu urteilen, daß Schleiermacher keine Antwort auf dieses Problem gibt. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang Schleiermachers Reflexion über das Übel in der Welt, die sich in der Glaubenslehre innerhalb des Lehrstücks über die Erhaltung und des Abschnittes über die Beschaffenheit der Welt in Beziehung auf die Sünde befindet, aufschlußreich. Liegt nach Schleiermacher dem gesamten Weltverlauf eine göttliche Providenz zugrunde, so wird alles, was geschieht, das Gute wie das Übel, in diese eine göttliche Providenz gegründet23. So bezieht Schleiermacher auch das Übel auf Gott, weil Gott alles in allem wirkt 24 . Doch unterscheidet Schleiermacher nicht zwischen dem Gott, der alles in allem wirkt, und dem Gott, der sich in Jesus Christus als das schlechthin Gute offenbart hat, vielmehr intendiert Schleiermacher, sowohl das Gute als auch das Übel „gleichmäßig" 25 auf Gott zu beziehen. So wird das Übel und das Gute zusammengeschaut. Das Gute ist notwendig immer mit dem Übel verbunden 26 , das Übel ist „Mitbedingung des Guten und in Beziehung auf dasselbe von Gott geordnet" 27 . Die Einheit des Übels mit dem Guten, das der Gott, der die bedingungslose Gnade ist, gewährt, wird nicht „im lumen gloriae, im eschatologischen Licht der Herrlichkeit" (Jüngel) erwartet, sondern bei Schleiermacher im theologischen Prozeß geklärt. So intendiert Schleiermacher zu explizieren, inwiefern das Übel und das Gute notwendig zusammengehören. Wie die Sünde so ist auch das Übel in der Welt von Gott gesetzt28. Doch darf nach Schleiermacher nicht 22 23 24 25 26 27 28

Vgl. hierzu auch Teil 1: Kap. II.D.2.1. So zu Recht Flückiger, Philosophie und Theologie bei Schleiermacher, S. 141. Vgl. bes. G1L § 48, 3. Ebd. Vgl. G1L § 48, 2. 3. G1L § 48, 3. Vgl. bes. G1L § 75, 3.

Grenzen des Sagbaren:

217

übersehen werden, daß nicht das Übel jedes einzelnen von Gott für den einzelnen gesetzt ist, sondern in bezug auf die gesamte Weltordnung 29 . Schleiermacher sieht das Übel in der Welt in Abhängigkeit von der Sünde, insofern das Übel die Strafe für die Sünde (!) ist30. Dabei jedoch darf dieser Zusammenhang nicht so gesehen werden, „daß für jeden das Maß seiner Sünde auch das seines Übels sei"31, vielmehr „läßt sich [...] die Abhängigkeit des Übels von der Sünde nur nachweisen, wenn man ein gemeinsames Leben in seiner Vollständigkeit ins Auge faßt" 32 . Diese Anschauung Schleiermachers ist von seinem Grundsatz her zu verstehen, daß Gott nicht zu dem einzelnen direkt, sondern nur zu dem gesamten Weltverlauf in Beziehung steht. Zeigte sich nun bei Schleiermachers Lehre von der Sünde, daß er das Gesetztsein der Sünde durch Gott insofern abmildert, als er von der Sünde nur als einem Bewußtsein der Sünde sprechen will, so auch bei der Lehre vom Übel, indem er von einem „Bewußtsein des Übels" spricht. Gerade durch die Sünde wird etwas für ein Übel gehalten. „[Ojhne die Sünde [wäre] in der Welt nichts, was mit Recht für ein Übel gehalten werden könnte, sondern was unmittelbar mit der Vergänglichkeit des menschlichen Einzellebens zusammenhängt, würde höchstens als eine unvermeidliche Unvollkommenheit aufgefaßt werden; und die dem menschlichen Bestrebungen entgegenstehenden Äußerungen natürlicher Kräfte nur als Reizmittel, um diese in noch höherem Grade der Herrschaft des Menschen zu unterwerfen" 33 . Die fromme Haltung gegenüber dem Leid ist daher nach Schleiermacher die fromme Ergebung34. Damit wird bei Schleiermacher das Übel in die Heilsordnung eingegliedert. Hat Gott die Welt als eine sich - von der Ursündlichkeit bis hin zu Vollkommenheit - entwickelnde Welt geschaffen, ist mithin das Bewußtsein der Sünde dazu bestimmt in das Bewußtsein der Erlösung überzugehen, so werden nur im Sündenbewußtsein die unvermeidbaren Unvollkommenheiten der Welt als Übel aufgefaßt, im Bewußtsein der Gnade hingegen als unvermeidbare Unvollkommenheiten, denen es sich zu unterwerfen gilt. Gerade aus diesem Grund ist die dem Glauben gemäße Haltung gegenüber dem Leid die fromme Ergebung. Der Glaube erkennt die Unvollkommenheiten als zum Entwicklungsprozeß notwendig hinzugehörend. Das Übel in der Welt ist alles andere als ein verborgenes Wirken Gottes, das in keinerlei Beziehung zu seinem erlösenden Wirken 29 30 31 32 33 34

Vgl. Vgl. GlL GlL GlL Vgl.

GlL § 76, 1. GlL § 78. § 77, 2. § 77, Leitsatz. § 75, 2. GlL § 78, 2.

218

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

steht; denn es gehört notwendig zur sich entwickelnden Welt hinzu. Daher ist die Haltung des Glaubens gegenüber der Erfahrung der Unvollkommenheiten auch nicht die Anfechtung, sondern die fromme Ergebung. Die Unvollkommenheiten werden als dasjenige erfahren, was notwendig hinzugehört zum sich entwickelnden Weltprozeß. Dabei muß natürlich der einzelne von sich absehen und sich als Glied des gesamten Weltverlaufs verstehen. Schleiermachers Verknüpfung des deus absconditus mit dem deus revelatus - falls man diese Begrifflichkeiten hier einmal herantragen darf - hat aber zwei unausweichliche Folgen: Zum einen wird gerade die persönliche Beziehung des einzelnen zu Gott aufgelöst, der einzelne ist nur insofern auf Gott bezogen, als er in dem Prozeß der sich entwickelnden Welt steht. Von daher ist es schon auffällig, wie theoretisch und abstrakt Schleiermacher von den „Unvollkommenheiten" spricht - der Thematisierung der Erfahrungen dessen, was oben als schlechthin verborgenes Wirken Gottes beschrieben wurde, wird kein Raum geboten. Zum anderen wird der sich in Christus als die bedingungslose Liebe zusagende Gott hineingetaucht in die Erfahrung des Leids und des Übels. Schleiermachers Verständnis Gottes als die Allkausalität läßt es gerade nicht zu, zwischen verschiedenen Handlungen Gottes angemessen zu differenzieren. Die verschiedenen Wirkweisen Gottes werden im Brennglas der Allkausalität Gottes zentriert und als gleichwertige Wirkweisen der Allkausalität Gottes zusammengeschaut. Jeder Widerstreit ist ausgeschlossen und in eine statische Ruhe gebracht. An der Stelle der existenzbedrohenden Anfechtung, des lauten Aufschreis, steht die stille Ergebung. Die einander widerstreitenden Wirkweisen Gottes werden von Schleiermacher als Ausdruck der Allkausalität Gottes zur Einheit gebracht. Wird Gottes Wirken des Übels - mit einer Konkretion gesagt, die Schleiermacher vermeiden muß: wird Gottes Wirken des qualvollen Todes eines Kindes - in dem gleichen göttlichen Willen begründet wie sein Wirken in Jesus als dem Christus, verliert das Christusgeschehen seine Leuchtkraft und wird in einen dunklen Schatten getaucht. An dieser Stelle den Widerstreit zwischen den Wirkweisen Gottes aufzuheben und sie zur ruhigen Einheit zu bringen, hat verheerende Konsequenzen. Schließlich gilt zu bemerken, daß Schleiermacher, indem er einen Punkt aufsucht, von dem der Weltlauf sich entschlüsselt, keine Grenze mehr dessen kennt, was innerhalb der theologischen Reflexion ausgesagt wird. Indem die Unterscheidung zwischen deus revelatus und deus absconditus nicht mehr aufrechterhalten wird 35 , wird deutlich, daß Schleiermacher die Grenze des theologisch Sagbaren überschreitet. 35

Vgl. u. a. auch das Urteil von Ebeling, Luther und Schleiermacher, S. 32.

Grenzen des Sagbaren:

219

3.2 Der deus absconditus als deus revelatus (Barth) Anders als Schleiermacher versucht Barth, die Rede von der Verborgenheit Gottes zu ihrem Recht kommen zu lassen. Der Reflexion über die Verborgenheit Gottes findet bei Barth ihren Raum innerhalb der Erörterung der Erkenntnis Gottes 36 . Sind die beiden Hauptfragen der Erörterung der Erkenntnis Gottes „Inwiefern wird Gott erkannt? und: Inwiefern ist Gott erkennbar?" 3 7 , so beantwortet sie Barth dahingehend zusammenfassend: „Gott wird durch Gott, Gott wird nur durch Gott erkannt. Seine Offenbarung ist nicht nur seine eigene, sondern auch des Menschen Bereitschaft zu seiner Erkenntnis; seine Offenbarung ist also Gottes Erkennbarkeit 3 8 ". Stiftet Gott selbst die Gemeinschaft mit ihm, ermöglicht Gott selbst die Erkenntnis Gottes, so bringt der Begriff der Verborgenheit Gottes nach Barth gerade zum Ausdruck, daß der Mensch von sich aus keine Fähigkeit zur Gemeinschaft mit Gott, keine Fähigkeit zur Erkenntnis Gottes hat 39 . Weil so die Erkenntnis Gottes mit der Erkenntnis beginnt, daß der Mensch von sich aus keine Möglichkeit zur Erkenntnis Gottes hat, so beginnt die Erkenntnis Gottes mit der Erkenntnis der Verborgenheit Gottes 40 . „Der Satz von der Verborgenheit Gottes sagt [...] dies: daß Gott nicht zu den Gegenständen gehört, die wir je dem Prozeß unseres Anschauens, Begreifens und Aussprechens und damit unserer geistigen Übersicht und Verfügung unterwerfen können. Sein Wesen ist im Unterschied zu dem aller anderen Gegenstände kein solches, das in diesem Sinn im Bereich unserer Macht ist. Gott ist unerfaßlich" 4 1 . So kann Barth formulieren: „Weil die Gemeinschaft zwischen Gott und uns durch Gottes Gnade begründet ist und Bestand hat, darum

36 37 38 39

40

41

KD I I / l , S. 200ff. KD II/1, S. 2 0 0 ; vgl hierzu auch KD \ ! \ , S. Iff. K D I I / 1 , 200f. Vgl. KD II/1, S. 2 0 4 . Ähnlich argumentiert auch Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 166: „Die schlechthinnige Unsichtbarkeit Gottes ist [...] Ausdruck des Übermaßes an Licht, das Gott wesentlich ist. Es ist, so könnte man sagen, ein in seiner Intensität unerträgliches, ein vor lauter Leuchtkraft blendendes Licht. In diesem Licht, im Licht seines eigenen Seins ist Gott unsichtbar, ist er verborgen. Gibt es in ihm unzugängliche Tiefe, dann ist das auf keinen Fall dunkle Tiefe, finsterer Abgrund, sondern die Tiefe seiner Herrlichkeit, die Unergründlichkeit ursprünglichen Lichtes. Es ist die Majestät, die ihn für uns verborgen sein läßt". Vgl. KD II/1, S. 205f. - Ebenso auch Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 167: „Der Begriff der Verborgenheit Gottes ist [...] die erste Erkenntnis, die der sich offenbarende Gott von sich selbst ermöglicht". KD II/1, S. 2 0 9 .

220

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

ist Gott uns verborgen. Daran scheitern alle unsere Bemühungen, ihn von uns aus zu erfassen" 42 . Es ist deutlich, daß der Begriff der Verborgenheit Gottes bei Barth etwas ganz anderes meint als in dem oben explizierten Sinn. Verborgenheit meint die Tatsache, daß Gott nur in seiner Offenbarung erkannt wird, der Mensch von sich aus gerade nicht die Fähigkeit zur Erkenntnis Gottes besitzt, dem Menschen vielmehr - nach seinen eigenen Möglichkeiten - Gott verborgen ist. Die Verborgenheit Gottes ist so ein Element seiner Offenbarung; denn die Offenbarung Gottes, die von Gott geschenkte Fähigkeit zur Gotteserkenntnis erhält gleichzeitig das „Gerichtsurteil[], durch das ihm [= dem Menschen] eine ihm eigene Möglichkeit zur Realisierung der Erkenntnis des ihm begegnenden Gottes abgesprochen, durch das ihm allein die durch Gottes Gnade ihm gewährte und gebotene Erkenntnis des Glaubens und also auch nur das Anschauen und Begreifen des Glaubens übrig gelassen wird" 43 . Weil sich die Erkenntnis der Verborgenheit Gottes - verstanden als Gottes Gericht über die menschliche Möglichkeit zur Erkenntnis Gottes - gerade aus der Offenbarung Gottes ergibt, indem sie dem Menschen seine eigene Unfähigkeit zur Erkenntnis Gottes erschließt, ist ,,[d]er Satz von der Verborgenheit Gottes [...] nicht als ein Satz verzweifelter Resignation zu verstehen, sondern tatsächlich als der terminus a quo unserer wirklichen Erkenntnis Gottes, als die grundlegende und entscheidende Bestimmung nicht unseres Nichtwissens, sondern unseres Wissens um Gott. [...] Das Bekenntnis zu Gottes Verborgenheit ist das Bekenntnis zu Gottes Offenbarung als dem Anfang unseres Wissens um ihn" 4 4 . Ist Gottes Gnade die von Gott eröffnete Möglichkeit zur Gotteserkenntnis, so ist die Verborgenheit Gottes gerade das „Merkmal der Gnade". Ist jedoch die Verborgenheit Gottes der Begriff dafür, daß die Erkenntnis Gottes erst durch Gott ermöglicht wird, dem Menschen - abgesehen von dieser Offenbarung - Gott verborgen ist, so kann die Offenbarung Gottes nach Barth doch nicht als Aufhebung der Verborgenheit Gottes verstanden werden. Es bleibt nämlich bestehen, daß wir Gott „von uns aus nicht mächtig [werden]" 45 . So wird nicht der verborgene Gott zum offenbaren Gott, sondern der unfaßbar verborgene Gott wird zum faßbar verborgenen Gott 46 . Meint der Begriff der Verborgenheit Gottes bei Barth etwas ganz anderes als in dem oben explizierten Sinn - nämlich das menschliche 42 43 44 45 46

KD II/l, S. 211.

KD I I / l , S. 2 1 5 . Ebd.; vgl. auch Bandt, Verborgenheit Gottes, Sp. 1 2 5 8 . KD I I / l , S. 2 1 8 . Vgl. hierzu auch Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther, S. 4 7 7 .

Grenzen des Sagbaren:

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Unvermögen, von sich aus Gott zu erkennen - , und wird die so verstandene Verborgenheit Gottes als Element seiner Offenbarung begriffen, so scheint man auf den ersten Blick gegen die Ausführungen Barths nichts einzuwenden zu haben - abgesehen von seinem Gebrauch des Begriffes, der zu diskutieren wäre. Doch hiermit sind problematische Entscheidungen verbunden. (a) Barths Beschränkung der Rede vom verborgenen Gott als Negation der menschlichen Möglichkeiten der Gotteserkenntnis ist problematisch; denn Barth integriert das Gericht in Gottes bedingungslosen Zuspruch in Christus. Wird bei Barth die als Gericht verstandene Verborgenheit in Gottes Handeln in Christus integriert, so bestehen doch nicht nur terminologische Unterschiede, sondern auch inhaltliche Differenzen zu unseren Ergebnissen. Zunächst haben wir das Gericht nicht als ein Gericht über die geschöpflichen Möglichkeiten des Menschen verstanden, sondern als ein Gericht über die Sünde des Menschen. Hier zeigt sich die Konsequenz der Barthschen Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung. Desweiteren - und dies ist in diesem Zusammenhang entscheidend - wurde in unserer Bestimmung zwar das Gericht nicht mit dem schlechthin verborgenen Wirken Gottes identifiziert, aber - und hierauf kommt es an - auch nicht als ein Element der in Christus erschienenen bedingungslosen Liebe Gottes betrachtet. Zeigte sich bei Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium, daß bei ihm das Evangelium als reiner Zuspruch, der nicht immer schon wieder Anspruch ist, aus dem Blick zu geraten droht, so zeigt sich nun auch in seiner Explikation des verborgenen Gottes, daß er ein Evangelium, das nicht immer schon wieder Gericht ist, nicht zu denken vermag. Es gibt keinen Moment, in dem das Gnadenwort nicht immer schon hineingetaucht ist in das Gericht. (b) Nun hat Barth das Wirken Gottes, das wir als das schlechthin verborgene Wirken Gottes bestimmt haben, bisher ausgeblendet. Doch gerade in seiner Diskussion des Begriffes der Verborgenheit Gottes bei Luther wird deutlich, daß Barth ein Erfassen dieses Wirkens Gottes durch seinen Monismus schon vom Ansatz her verwehrt ist. Zunächst möchte Barth festhalten, daß der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, der wahre Gott ist. Daher gilt: „Es bleibt aber in Gottes Offenbarung kein verborgener Gott, kein deus absconditus hinter seiner Offenbarung zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein Wort und seinen Geist hinaus gelegentlich auch noch zu rechnen, den wir hinter seiner Offenbarung auch noch zu fürchten und verehren hätten. So könnte es in gewissen Zusammenhängen bei Luther manchmal aussehen 47 ". Nun - dies ist festzuhalten - geht es Luther ganz und 47

KD II/l, S. 236f.

222

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

gar nicht um eine Verehrung des verborgenen Gottes 48 . Vielmehr ist der verborgene Gott bei Luther gerade nicht Objekt der Verehrung und Erforschung Gottes - Gott will allein in Christus erkannt werden 49 . Und auch in unserer Bestimmung der Verborgenheit Gottes geht es keineswegs darum, hier Gott zu erkennen, mit dem Begriff ist vielmehr die Grenze der Gotteserkenntnis markiert. So sollen zwei Dinge festgehalten werden: Zum einen, daß es Gott ist, der alles in allem wirkt und so auch in den Erfahrungen, die als Erfahrungen des schlechthin verborgenen Wirkens Gottes beschrieben wurden. Zum anderen, daß der Glaube darauf vertraut, daß auch der hier begegnende Gott kein anderer sein kann als der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Doch der Glaube kann Gott in diesem Wirken nicht erkennen. Diese unaufhebbare Spannung zwischen dem deus absconditus und dem deus revelatus, die erst im „lumen gloriae, im eschatologischen Licht der Herrlichkeit" (Jüngel) aufgelöst wird, droht Barth zu überspielen, wenn er konstatiert, „daß eben dieser Deus revelatus als solcher auch der Deus absconditus, als der Deus absconditus in allen seinen Möglichkeiten, in seinem ganzen Können auch in allen uns unzugänglichen Bezirken und Dimensionen kein Anderer als eben der Deus revelatus ist 50 ". Die eschatologische Schau überspielt hier die weltliche Spannung zwischen deus absconditus und deus revelatus. Wenn dieser Spannung nicht Rechnung getragen wird, droht der deus revelatus in das dunkle Licht des deus absconditus getaucht zu werden 51 . Barth intendiert, den deus absconditus als den deus revelatus zu denken. Einerseits droht die unmittelbare Gefahr, daß demjenigen Wirken 48

49

50 51

Vgl. u. a. W A 18, 685, 5. 29. - Diesen Sachverhalt verdeutlicht Jüngel an der Formel „ Q u a e supra nos, nihil ad n o s " (vgl. ders., Q u a e supra nos, nihil ad nos, S. 202ff), insofern diese Formel nach Jüngel geradezu „eine positive Aufforderung [ist], sich von dem unterschiedslos Leben und T o d , weil alles in allem, wirkenden Gott über uns wegzuwenden hin zu dem im Fleischgewordenen, gekreuzigten und gepredigten W o r t Gottes den T o d des Todes wirkenden deus revelatus" (a. a. O., S. 231). So hat Peters deutlich herausgearbeitet, d a ß der Begriff der „Verborgenheit Gottes" bei Luther als ein „Grenzbegriff" (ders., Verborgener Gott - dreieiniger Gott bei M a r t i n Luther, S. 133) hinsichtlich der theologischen Gotteserkenntnis zu beurteilen ist. KD I I / l , S. 609f. Versteht sich Barths leidenschaftlicher Protest gegen Luthers Rede von dem deus absconditus gerade von Barths Befürchtung her, d a ß die im Evangelium gegründete Heilsgewißheit unterminiert wird (so zu Recht Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther, S. 478), so ist festzustellen, d a ß gerade das Problem von Barths Verhältnisbestimmung von deus absconditus und deus revelatus darin besteht, daß hier die Gewißheit der bedingungslosen Liebe Gottes unterminiert zu werden droht.

Grenzen des Sagbaren:

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Gottes, das wir als schlechthin verborgenes Wirken Gottes bezeichnet haben, kein Raum mehr gewährt wird. Und andererseits droht die Gefahr, daß der deus revelatus mit hinein getaucht wird in den Schatten des deus absconditus. Dies wird nicht zuletzt gerade dann deutlich, wenn Barth betont, daß allein die Tatsache, daß Gott überhaupt begegnet, an sich schon Gnade bedeutet52, denn hier droht einerseits die Gefahr, das schlechthin verborgene Wirken Gottes nicht ernst zu nehmen und in einen Gnadenerweis Gottes umzudeuten. Auf der anderen Weise droht hier - so undifferenziert von der Gnade gesprochen - Gottes Gnadenhandeln in Christus depotenziert zu werden. Die Gnade, die uns in Christus zuteil wird, besteht nicht darin, daß Gott wirkt, sondern in der Qualität seines Wirkens.

4. Folgerung: Gottes verborgenes Wirken als Grenzbegriff der theologischen Erkenntnis Mit der Rede von der „Verborgenheit" soll daher die Grenze der theologischen Erkenntnis markiert werden. Schon die Fundamentalunterscheidungen zwischen Schöpfung und Erlösung und zwischen Gesetz und Evangelium haben die Grenze des theologischen Erkennens markieren, insofern die Einheit von Gesetz und Evangelium, sowie von Schöpfung und Erlösung dem Glauben und der theologischen Erkenntnis verborgen ist. Gottes verborgenes Wirken bezeichnet dasjenige Wirken Gottes, das in keinerlei Beziehung zu Gottes erlösendem Handeln steht. In diesem Wirken ist Gott schlechthin verborgen. Mit dem schlechthin verborgenen Wirken Gottes ist so die absolute Grenze der theologischen Reflexion markiert: Gerade in der Theodizeefrage wird diese Grenze als Grenze schmerzhaft spürbar. Der Begriff des verborgenen Wirkens Gottes bezeichnet dasjenige Wirken, in dem Gott anonym bleibt. Daher bewegt sich die theologische Reflexion jenseits des verborgenen Wirkens Gottes, weil gerade dieses Wirken aus theologischer Perspektive nicht gedeutet zu werden vermag. Dies muß die theologische Reflexion bedenken, will sie nicht zu gesprächig werden. Doch muß die theologische Reflexion um dieses Jenseits wissen, will sie nicht sprachlos werden.

52

Vgl. Barth, Evangelium und Gesetz, S. 2; vgl. hierzu Teil 1: Kap. I.B.4.

D Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns 1. Die sich aus den Fundamentalunterscheidungen ergebende vierfache Bestimmung des Wirkens Gottes 1.1 Irreduzibilität Die drei Fundamentalunterscheidungen von Schöpfung und Erlösung, Gesetz und Evangelium sowie dem deus absconditus und dem deus revelatus verweigern eine einfache Bestimmung des Handelns Gottes, vielmehr nötigen sie dazu, das Wirken Gottes vierfältig zu bestimmen (s.u.): das schöpferische Handeln Gottes, Gottes gesetzgebendes Handeln, Gottes erlösendes Handeln in Christus (von dem das Evangelium berichtet und das sich durch den Geist Gottes erschließt), sowie Gottes schlechthin verborgenes Handeln als (bewußte) Grenze der theologischen Reflexion. Unsere bisherige Erörterung hat deutlich gezeigt, daß diese vier Handlungen Gottes irreduzibel sind und daher nicht aufeinander abgebildet werden können: (a) Gottes schöpferisches Handeln muß von seinem erlösenden Handeln unterschieden werden und zwar in der Weise, daß Gottes erlösendes Wort als ein wirklich neues Wort gegenüber seinem schöpferischen Wort zur Geltung gebracht wird. Die Beziehung zwischen Gottes schöpferischem Wort und seinem erlösenden Wort kann weder so gedacht werden, daß Gottes erlösendes Wort im schöpferischen Wort Gottes mit enthalten ist (Schleiermacher), noch so, daß das erlösende Wort Gottes schöpferischem Wort präexistiert oder es kausiert (Barth). Zwar ist Gottes schöpferisches Wort auf Gottes erlösendes Wort in der Weise bezogen, daß Gottes schöpferisches Wort die Möglichkeitsbedingung der Erlösung ist, doch ist nicht eine Identität zu folgern in der Weise, daß die Erlösung (bloß) die schöpferische Intention unter den Bedingungen der Sünde neu zur Geltung bringt; denn die Schöpfung ist - anders als die Erlösung - auch die Möglichkeitsbedingung für die Sünde und Gottes Gesetz! Gerade hierin liegt der entscheidende Grund, nicht nur die zeitliche Unterschiedenheit von Schöpfung und Erlösung festzuhalten, der entscheidende Grund auch mithin dafür, die Erlösung - Gottes die Sünde überwindendes Handeln - nicht bloß von ihrer - eben durch die Sünde bedingten - Form her von der Schöpfung zu unterscheiden.

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

225

(b) Der unaufhebbare Widerstreit von Gottes gesetzgebendem Handeln und seinem erlösenden Handeln darf innerhalb der theologischen Reflexion nicht überspielt werden: Im Gesetz verhängt Gott das Todesurteil, in Christus bewirkt Gott die Aufhebung des Gesetzes, indem er es vollstreckt. Anders formuliert: Zwar nimmt das Evangelium das Gesetz in Dienst, doch darf nicht verkannt werden, daß das Evangelium der Durchbruch durch das Gesetz ist; das Gesetz wird im Evangelium überwunden. Dabei sei noch einmal deutlich betont, daß damit keine Ungewißheit an die Stelle der christlichen Gewißheit gesetzt ist; vielmehr hält sich der Glaubende an Gottes Wirken im Christus als dem „eigentlichen" Wirken Gottes. Doch die Einheit von Gesetz und Evangelium ist Gegenstand der christlichen Hoffnung; wir harren ihrer (endzeitlichen) Offenbarung noch entgegen, sie ist aber nicht Gegenstand der christlichen Erkenntnis 1 . (c) Notwendig zu unterscheiden, d. h. keinesfalls aufeinander abzubilden, sind auch Gesetz und Schöpfung. Haben wir auch die Unterscheidung zwischen Schöpfung und Gesetz als ein offenes Problem markiert, das einer sorgfältigen gedanklichen Durchdringung noch harrt, so galt es doch festzustellen, daß das Gesetz der Schöpfung nicht eingestiftet sein kann, weil dieser Gedanke ebenfalls die Kontingenz der Sünde aufheben und die Sünde in Gottes Wollen begründen würde. Parallel zur Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung ist daher auch bei der Unterscheidung von Schöpfung und Gesetz zu formulieren: Zwar ist die Schöpfung die Möglichkeitsbedingung des Gesetzes (und der Sünde), sie ist aber auch die Möglichkeitsbedingung für die Erlösung. (d) Schließlich ist dasjenige Wirken Gottes, in dem Gott schlechthin verborgen ist, sowohl von Gottes schöpferischem und erlösendem Handeln als auch von seinem gesetzgebenden Handeln zu unterscheiden. Gott bleibt hier „anonym; [...] ins Passivum gehüllt" 2 . Das schlechthin verborgene Wirken Gottes kann aus theologischer Perspektive gerade nicht gedeutet werden und ist so hinsichtlich der theologischen Reflexion als ein „Grenzbegriff" 3 zu setzen. Bewegt sich die theologische Reflexion so innerhalb des Widerstreits zwischen dem (durch die Schöpfung ermöglichten) Gesetz und dem (durch die Schöpfung ermöglichten) Evangelium, so bewegt sie sich jenseits des verborgenen Wirken Gottes. Ausschließlich als Grenze gehört das Bedenken dieses Wirkens zur theologischen Reflexion hinzu.

1

2 5

Mit Bayer formuliert: „Noch ist uns die Wahrheit der Einheit von Gesetz und Evangelium nicht offenbar geworden (vgl. 1. Joh 3 , 2 ) " (ders. Theologie, S. 5 1 0 ) . A. a. O., S. 4 1 5 . Peters, Verborgener Gott - dreieiniger Gott bei Martin Luther, S. 133.

226

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

Eine vierfache Bestimmung des Wirkens Gottes versucht daher, die Irreduzibilität von Gottes schöpferischem, seinem erlösenden, seinem gesetzgebenden und seinem verborgenen Handeln nicht aufzulösen, indem eine vorschnelle - „ungeduldige" - Einheit herbeigeführt wird, sondern sich der Differenz zwischen den Grenzen christlicher Erkenntnis und der christlichen Hoffnung bewußt zu sein.

1.2 Bezogenheit Unverkennbar berührt sich unser Ergebnis mit der Forderung Bayers nach einer vierfältigen Bestimmung des Gegenstandes der Theologie 4 . Nach Bayer sind die vier Widerfahrnisse „(a) der sich gegen mich richtende Widerspruch des mich der Sünde überführenden, mich verklagenden und dem Tod überantwortenden Gesetzes, (b) der Zuspruch des Evangeliums, in dem mit Jesus Christus Gott selbst für mich spricht, ja an meine Stelle tritt, (c) der Ansturm der keineswegs nur als Wirkung des Gesetzes zu verstehenden und dem Evangelium radikal widersprechenden, erdrückenden und unbegreiflichen Verborgenheit Gottes" 5 und (d) die schöpferische Gegenwart Gottes 6 . Dabei ist die schöpferische Gegenwart Gottes „eher eine leise Gegenwart Gottes denn sein viertes Widerfahrnis" 7 . Daher hat die Theologie nach Bayer einen „Verzicht auf den Begriff einer Einheit der Geschichte" 8 zu leisten: „Wer blickt hier durch? Niemand. Gott entspricht sich nicht, Gott widerspricht sich: Gott gegen Gott! [...]" 9 . So hat sich die Theologie nach Bayer zu verweigern, „den Zusammenhang der unbegreiflichen Verborgenheit Gottes mit seiner den Tod beklagenden und Leben durch den Tod hindurch wirkenden Zusage als stimmig zu erweisen und auf diese Weise, wenigstens im Denken, zu begreifen" 10 . Bayers scharfem Widerspruch gegen jeden Versuch, das Wirken Gottes einfach zu bestimmen, ist von unseren Ergebnissen her mit Entschiedenheit zuzustimmen. Zu konstatieren ist aber auch eine unübersehbare Differenz: Bayer bestimmt als subjectum theologiae die vier irreduziblen

4 5 6 7 8 9 10

Vgl. hierzu Bayer, Theologie, S. 408ff. A. a. O., S. 413. Vgl. a. a. O., S. 417 A. a. O., S. 416. A. a. O., S. 406. Ebd. A. a. O., S. 406.

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

227

„Widerfahrnisse des deus dicens [...], denen eine vielfältige passio des homo recipiens entspricht" 11 . Demgegenüber haben wir in diesem ersten Teil von einem Wirken Gottes gesprochen. Es geht darum, diejenigen Handlungen Gottes zu bestimmen und zu unterscheiden, die in Gottes versöhnendem Wirken vorausgesetzt sind. Der zweite Teil dieser Untersuchung wird sich der Frage nach dem allgemein-menschlichen Erkennen und Erfahren zuwenden. Zu fragen gilt es, ob Bayer mit dem einen Begriff des „Widerfahrnisses" diese unterschiedlichen Fragerichtungen überspielt. Der Begriff des Widerfahrnisses hält diese Differenz merkwürdig in der Schwebe. Dies wird gerade bei dem vierten Widerfahrnis Gottes deutlich: Bayer möchte hier eher von einer „leisefn] Gegenwart Gottes" als von einem „Widerfahrnis" (s.o.) sprechen. Was heißt aber „leise"? Daß Gottes schöpferisches Handeln nicht als ebensolches erfahren wird und gerade deshalb als „leise" zu bezeichnen ist? Für wen ist es leise? Schließlich ist aber auch daran zu erinnern, daß der Widerspruch gegen jeden Versuch, das Wirken Gottes einfach zu bestimmen, nicht dazu führen darf, daß die Bezogenheit zwischen den verschiedenen Handlungen Gottes aus dem Blick gerät; denn nach dem bisher Dargelegten kann keinesfalls von vier gleichermaßen widersprechenden Handlungen Gottes gesprochen werden. Es geht an dieser Stelle nicht darum, die Irreduzibilität von Gottes schöpferischem Handeln, seinem gesetzgebenden Handeln, seinem erlösenden Handeln und seiner schlechthin verborgenen Handeln aufzuheben, aber doch darum, auch die Bezogenheiten, die deutlich geworden sind, hervorzuheben. (a) Die Erörterung der Fundamentalunterscheidung von Schöpfung und Erlösung sowie Gesetz und Evangelium zeigte, daß die Schöpfung ernst zu nehmen ist als die Möglichkeitsbedingung für Gottes gesetzgebendes und sein erlösendes Handeln. (α) Gottes Gnadenhandeln in Christus als Heilung der gefallenen Welt findet im Raum der Schöpfung und der Geschichte statt. Im Raum der Schöpfung konnte sich somit Gottes Gnadenhandeln vollziehen, es war möglich, daß Gottes Gnadenhandeln sich im Raum der Schöpfung vollzieht. Die Schöpfung ist somit die Möglichkeitsbedingung für die Erlösung. (ß) Ebenfalls zeigte sich, daß sich Gottes Handeln im Gesetz im Raum der Schöpfung vollzieht, die Schöpfung damit auch die Möglichkeitsbedingung dafür ist, daß Gottes Verdammungswort des Gesetzes an alle Menschen ergeht. 11

A. a. O., S. 453.

228

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

So wird man hinsichtlich der Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung als auch hinsichtlich der Unterscheidung von Schöpfung und Gesetz zwar von einer Irreduzibilität sprechen müssen, nicht aber von einem Widerstreit der Schöpfung gegen die Erlösung bzw. der Schöpfung gegen das Gesetz. (b) Von einem Widerstreit kann man so nur bei der Unterscheidung zwischen Gottes erlösendem Handeln in Jesus als dem Christus und seinem anklagenden und verurteilenden Handeln im Gesetz sprechen. In unserer Erörterung der Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium zeigte sich, daß der Widerstreit zwischen Gesetz und Evangelium nicht zu einer denkerischen Einheit gebracht werden kann, soll nicht die Radikalität des Gesetzes (dessen Wesen in der Schuldanklage und dem Todesurteil besteht) und die Radikalität des Gnadenhandelns Gottes (als reiner Zuspruch) abgeschliffen werden. Ist hinsichtlich der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium nicht bloß von einer Irreduzibilität zu sprechen, sondern von einem bleibenden Widerstreit, so kann doch auch hier nicht von einer Bezugslosigkeit gesprochen werden: Das erlösende Handeln geschieht gerade nicht unabhängig von dem gesetzgebendem Handeln als ein dem Todesurteil gegenüberstehender Freispruch, sondern die Gültigkeit des Gesetzes wird in Gottes Handeln in Christus bestätigt und vollstreckt. Damit stehen sich in Gesetz und Evangelium nicht zwei gleichwertige Worte Gottes gegenüber, sondern das Evangelium ist als das eigentliche Wort Gottes von dem Gesetz zu unterscheiden. (c) Muß von einer Irreduzibilität von Gottes schöpferischem Wort, seinem gesetzgebenden Wort und seinem erlösenden Wort in Jesus Christus gesprochen werden, so doch ganz und gar nicht von einer Bezugslosigkeit: Die Schöpfung ist die Möglichkeitsbedingung für Gesetz und Evangelium (sie ist damit auch die Möglichkeitsbedingung für den Widerstreit von Gesetz und Evangelium), das Evangelium widerstreitet dem Gesetz nicht anders als in der Weise, daß das Gesetz im Evangelium bestätigt und vollzogen wird. Gerade dies gilt aber für die verborgene Gegenwart Gottes nicht, Gottes verborgenes Wirken erlaubt gerade keinen Rückschluß auf Gott. Gerade aus diesem Grund haben wir Gottes verborgenes Wirken als „Grenzbegriff" der theologischen Reflexion bezeichnet. Damit aber kann das verborgene Wirken Gottes nicht in gleicher Weise als subjectum theologiae bezeichnet werden wie Gottes erlösendes Handeln in Christus und Gottes schöpferisches Handeln, aber auch nicht wie Gottes gesetzgebendes Handeln, in dem sich Gott als der zornige kundgibt. Gerade weil Gottes verborgene Gegenwart „keinen Rückschluß auf Gott selbst erlaubt" 12 , markiert sie die Grenze der theo12

Jüngel, Die Offenbarung der Verborgenheit Gottes, S. 1 7 6 .

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

229

logischen Reflexion, um die sich die theologische Reflexion bewußt sein muß. Ausschließlich als Grenze des Sagbaren gehört Gottes verborgene Gegenwart zum Gegenstand der Theologie.

1.3

„Ungleichmäßigkeit"

Unsere Erörterung der Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium zeigt, daß diese Unterscheidung keineswegs die reformatorische Heilsgewißheit durch eine Ungewißheit ersetzt, weil etwa die Frage so nicht entschieden werden könne, ob Gott den Tod des Menschen will (Gesetz) oder als die bedingungslose Liebe wirkt (Evangelium). Gesetz und Evangelium sind nicht zwei „gleichwertige" Handlungen Gottes für den Glaubenden; denn das Evangelium bestätigt das Gesetz in der Weise, daß es das Gesetz vollstreckt und seine Geltung daher für den Glaubenden aufhebt. So zeigte sich: Das Evangelium nimmt das Gesetz in Dienst (keinesfalls kann man sagen, daß das Gesetz das Evangelium in Dienst nimmt) und siegt über das Gesetz (keinesfalls kann man sagen, daß in Christus das Gesetz über das Evangelium siegt). Das Evangelium ist daher „als das endgültige Wort und Werk Gottes von den anderen Bestimmungen [...] hervorzuheben" 1 3 . Dies tut innerhalb der Bekenntnisschriften die Apologie 1 4 , indem sie zwischen Gottes opus alienum und Gottes opus proprium unterscheidet. Damit löst die Apologie die Irreduzibilität von Gesetz und Evangelium nicht auf, hält jedoch ihre Bezogenheit aufrecht, wobei sie die Vorrangstellung des Evangeliums vor dem Gesetz auf das deutlichste markiert. Das Evangelium ist als Gottes wahres und eigentliches Werk zu bezeichnen, während das Gesetz Gottes fremdes Werk ist. Gerade daher darf sich der Glaubende ganz und gar an das Evangelium halten, weil er hier in Gottes wahres Angesicht blickt: seinen reinen Zuspruch und seinen Sieg über das Gesetz. Diese christliche Heilsgewißheit wird auch durch die Rede von dem verborgenen Gott nicht unterminiert: In seiner schlechthinnigen Verborgenheit gibt Gott sich gerade nicht kund, er will - um mit Luther zu sprechen - hier gerade nicht erkannt sein! So darf der Glaube auch angesichts der Erfahrungen der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes darauf vertrauen, daß Gott der ist, der sich im Evangelium zugesagt hat, auch wenn er den Gott, der sich im Evangelium zugesagt hat, in den Erfahrungen der Verborgenheit Gottes nicht zu erkennen vermag.

13 14

Bayer, Theologie, S. 4 1 7 , A m . 1 1 5 . Vgl. Teil 1: K a p . II.B.8.1.4.

230

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

1.4 Einheit Damit ist auch die angemessene Weise, in der der Theologie von der Einheit Gottes zu reden erlaubt, ja geboten ist, bestimmt: Die Einheit Gottes ist Gegenstand der christlichen Hoffnung und des christlichen Vertrauens, sie ist nicht Gegenstand der christlichen Erkenntnis15. Die Theologie bleibt vor der Irreduzibilität von Gottes schöpferischem Handeln, seinem gesetzgebenden Handeln und seinem erlösenden Handeln stehen, sie weiß darüber hinaus auch von Gottes schlechthin verborgener Gegenwart. Der Verzicht der Theologie, die Einheit Gottes denkerisch in den Griff zu bekommen, führt nun aber keinesfalls zu einem Zerfall der Theologie; denn es ist auch die Aufgabe der theologischen Reflexion, die Bezogenheit ihrer irreduziblen Gegenstände zu reflektieren und zu explizieren. Die vierfältige Bestimmung des Wirkens Gottes steht aber auch in keiner Weise bezugslos zum Vertrauen des Glaubens auf die Einheit Gottes; denn die theologische Reflexion bringt Gottes Wort in Jesus als dem Christus als das eigentliche Wort Gottes zur Sprache, auf das der Mensch vertrauen soll. In ihrem Verzicht, die Einheit Gottes denkerisch in den Griff zu bekommen, weiß die theologische Reflexion aber auch um den Unterschied zwischen „Hoffen" und „Sehen" (Rom 8, 25). Ist der Glaube die Fluchtbewegung hin zu dem Ort, an dem sich Gott als die bedingungslose Liebe zugesagt hat, ist er das Vertrauen auf Gottes Wort in Christus wider die Anfechtung, den Gott, der sich in Christus als die bedingungslose Liebe zugesagt hat, in vielen Erfahrungen - ja schrecklichen Widerfahrnissen - nicht (wieder)zuerkennen, ist er der Glaube, der sich in Lob und Bitte aber auch in Klage an Gott äußert, so trägt die wissenschaftliche Reflexion dieses Glaubens (die christliche Theologie) ihrem Gegenstand gerade in ihrem Verzicht, eine Einheit Gottes zu entwerfen, Rechnung.

2. Folgerungen Zeigte so unsere Erörterung, daß eine vierfältige Bestimmung des Handelns Gottes notwendig ist, die die Irreduzibilität von Gottes schöpferischem Handeln, seinem erlösenden Handeln, seinem gesetzgebenden Handeln und seiner schlechthin verborgenen Gegenwart aufrecht erhält, 15

Daher formuliert Bayer zu Recht: „Redet man im Zusammenhang von Gesetz und Evangelium, Leben und Tod, Gericht und Gnade von einer ,Einheit', dann muß deutlich sein, daß diese streng eschatologisch gemeint ist" (ders., Theologie, S. 517).

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

231

ohne die waltenden Bezogenheiten in den Hintergrund treten zu lassen und ohne Explikation der Einheit von Gottes Wesen und Wirken als Gegenstand der christlichen H o f f n u n g und des christlichen Vertrauens zu vernachlässigen, so zeigte sich umgekehrt, das sich die vierfältige Bestimmung des Handelns Gottes gegen jeden Versuch sträubt, die Einheit Gottes denkerisch in den Griff zu bekommen und die vierfältige Bestimmung des Handelns Gottes durch eine einfache Bestimmung zu substituieren. Damit sind zwei Folgerungen verbunden, die in unterschiedlichen Zusammenhängen bereits mehrfach thematisch wurden: Die Ablehnung der Schleiermacherschen Verwendungsweise der Allkausalität Gottes als Strukturprinzip der Theologie und die Eröffnung des Problemhorizontes für die trinitätstheologische Reflexion. 2.1 Allkausalität als Strukturprinzip? Schleiermacher - so zeigte sich - faßt das religiöse Bewußtsein als ein Bewußtsein der schlechthinnigen Abhängigkeit, so daß die Frömmigkeit als das Gefühl des Vorgegebenseins des menschlichen Daseins gefaßt wird 16 . Die Frömmigkeit ist nach Schleiermacher diejenige Gestalt des unmittelbaren Selbstbewußtseins, in der die Person mit sich unmittelbar vertraut ist als gegebenes Dasein. Diese Bestimmung der Frömmigkeit als das Gefühl der Unverfügbarkeit meiner welthaften Konstitution ist - so zeigte sich ebenfalls - für Schleiermacher identisch mit dem Gefühl des unverfügbaren - Eingegliedertseins in den Naturzusammenhang, so daß Frömmigkeit und Einsicht in den Naturzusammenhang „ganz zusammen" 1 7 fallen. Gottes Allmacht wird daher von Schleiermacher als Gottes Allkausalität und Allwirksamkeit zur Sprache gebracht: Alles, wozu es eine Möglichkeit in Gott gibt, ist im Weltgeschehen wirklich und zu allem, was im Weltgeschehen wirklich ist, gibt es in Gott eine Möglichkeit. N u n ist der Behauptung, daß Gott die Ursächlichkeit von allem ist, nicht zu widersprechen; auch die theologischen Fundamentalunterscheidungen zwischen Schöpfung und Erlösung, Gesetz und Evangelium, dem Offenbarsein und dem Verborgensein des Handelns Gottes bestreiten diese Einsicht nicht, sondern setzen sie voraus 1 8 : Gott erlöst in Christus die gefallene Welt, Gott handelt schöpferisch, Gott ist der Geber des 16 17 18

Vgl. Teil 1; I.A.1.1. GlL § 46, Leitsatz. Freilich mit dem Unterschied, d a ß Gott hier nicht als Ursache, sondern als Urheber zur Sprache k o m m t .

232

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

den Menschen verklagenden und dem Tod überantwortenden Gesetzes (dies galt es gerade gegenüber einer solchen Bestimmung des Wesens des Gesetzes festzuhalten, die die Anklage und das Todesurteil des Gesetzes im menschlichen Mißbrauch des Gesetzes begründet und nicht zur Geltung zu bringen vermag, daß die Anklage und das Todesurteil das Wesen des von Gott gegebenen Gesetzes sind) und schließlich ist es Gott, der schlechthin verborgen wirkt. Zu problematisieren ist daher nicht die Gottesprädikation der Allmacht, sondern Schleiermachers Verwendungsweise dieser Gottesprädikation. Es zeigte sich, daß Schleiermacher die unterschiedlichen Handlungen Gottes im Brennglas der Allkausalität zentriert und zu einer Einheit bringt. Auch der leitende Gedanke dieser Verwendungsweise ist schon namhaft gemacht worden: Schleiermachers Verwendungsweise der Allkausalität impliziert den Gedanken, daß alles in der Weltgeschichte Geschehene gleichwertige Handlungen Gottes sind. Besonders deutlich wird dies in Schleiermachers Erörterung des Lehrstückes „Von der Erhaltung" 19 ; Schleiermacher versucht in diesem Zusammenhang zu verdeutlichen, daß sich Gott zu allem im Weltgeschehen Wirklichen grundsätzlich gleich verhält. Die Beziehung Gottes zum Wunderbaren ist ebenso gleich wie seine Beziehung auf das Natürliche, das Gute ist ebenso von Gott geordnet wie das Übel, in der menschlichen Freiheit wirkt Gott ebenso gleich wie in dem Naturmechanismus. In allem verhält sich das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl „gleich". Die Konsequenz dieses Gedankens tritt besonders deutlich bei Schleiermachers - im Rahmen seiner Erörterung des Lehrstücks „Von der Erhaltung" vorgenommenen - Erörterung des Übels zutage: Das Übel wird ebenso wie das Gute auf Gott bezogen, weil Gott alles in allem wirkt 20 . So widerspricht nach Schleiermacher der Versuch, das Übel gerade nicht in Gottes Wirken zu begründen, der Allkausalität Gottes 21 . Gerade bei Schleiermachers Erörterung des Übels wird aber auch die Problematik seines Ansatzes bei der Allkausalität Gottes deutlich: Nicht darin besteht das Problem, daß Schleiermacher auch im Übel Gottes Wirken sieht, sondern, daß er das Gute wie das Übel „gleichmäßig" 22 auf Gott bezieht. So werden das Übel und das Gute in Gottes Allkausalität zur Einheit gebracht, indem das Übel als „Mitbedingung des Guten" 23 zur Sprache gebracht wird. Das Gute wie das Übel gehören bei Schleiermacher zur Heilsordnung Gottes, die mit der Weltgeschichte identisch ist.

19 20 21 22 23

Vgl. G1L §§ 46ff. Vgl. bes. GlL § 48, 3. Vgl. ebd. Ebd. Ebd.

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

233

Bedeutet die Gottesprädikation der Allmacht für Schleiermacher, alles in der Weltgeschichte Wirkliche, „gleichmäßig" auf Gott - als den Urheber - zu beziehen, so hat dies zwei - für die gesamte Glaubenslehre maßgebliche - Postulate zur Folge: Zwra einen folgert Schleiermacher daraus die (erkennbare) Einheit des göttlichen Handelns. Ist alles, was in der Weltwirklichkeit geschieht, auf Gottes schlechthinnige Ursächlichkeit zurückzuführen, so bedeutet dies für Schleiermacher, daß alles seinen logischen Platz in der als Heilsgeschichte aufgefaßten Weltgeschichte bekommt: die Schöpfung gehört notwendig ebenso zu dieser Geschichte hinzu wie die Sünde, die Erlösung und das Übel. Schleiermacher geht damit gerade nicht von (für theologisches Erkennen) zu unterscheidenden Handlungen Gottes aus, sondern postuliert von vornherein ihre (erkennbare) Einheit. Schleiermacher wählt gleichsam einen Punkt, von dem der als Heilsgeschichte interpretierte Weltverlauf sich entschlüsselt. Die Verkürzungen, die Schleiermacher hinsichtlich der Sünde, der Erlösung und des Übels anbringen muß, um sie in sein Verständnis einer prozessual sich entwickelnden Geschichte zu integrieren, sind deutlich geworden. Zum anderen gilt es, darauf hinzuweisen, daß Schleiermacher, indem er die unterschiedlichen Handlungen Gottes im Brennglas der Allkausalität Gottes zentriert und damit zur Einheit bringt, die unterschiedlichen Handlungen Gottes als gleichwertig wertet: Es gibt kein Wirken Gottes, in dem Gott sich so zusagt, daß der Glaube auf dieses Wirken Gottes sein Vertrauen richten darf; Schleiermacher kennt auch keinen Ort, an dem Gott gerade nicht erkannt werden will. Gerade hierin ist auch das von Schleiermacher vorausgesetzte Wesen des Glaubens begründet; der Glaube wird von Schleiermacher gerade nicht als Fluchtbewegung zu Gottes eindeutigem Wort in Christus verstanden; der Glaube wird nicht ernst genommen in seiner Spannweite zwischen Gewißheit und Anfechtung, sondern erscheint als stoische Ergebenheit an den Gott, der alles wirkt und von dem alles - in gleicher Weise - in dankbarer Ergebenheit entgegenzunehmen ist.

2.2 Die Trinitätslehre als offenes Problem Wendet sich die vierfältige Bestimmung des Wirkens Gottes gegen jeden Versuch, die zu unterscheidenden - (für menschliches Denken) irreduziblen - Wirkweisen Gottes durch den Versuch zu überspielen, die Einheit des Wirkens denkerisch in den Griff zu bekommen, so gilt dies auch für die trinitätstheologische Reflexion: Sinn und Zweck der Trinitätslehre kann es nicht sein, zu versuchen, die Einheit der Wirkweise Gottes

234

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

denkerisch in den Griff zu bekommen 24 . So richtet sich Bayer ,,[g]egen die ungeduldige - spekulative - Verallgemeinerung des Bekenntnisses zu Gott dem dreieinen" 25 . Mit diesem Votum plädiert Bayer aber keineswegs für eine Verabschiedung der Trinitätslehre, vielmehr intendiert Bayer, die Trinitätslehre genauer zu lozieren26: Bayer - so zeigte sich will die Trinitätslehre als „Summe des Evangeliums" 27 explizieren und damit die Identifikation der Trinitätslehre mit der Gotteslehre aufheben, die die Trinitätslehre zur allgemeinen Gotteslehre macht 28 . Die Trinitätslehre hat nach Bayer „nichts anderes als das Evangelium"29 zu bedenken, d. h. „das Befreiungsgeschehen: die Freiheit, die uns Christus erworben und gebracht hat und die er uns gegenwärtig im Wort des Heiligen Geistes zuspricht und mitteilt" 30 . Damit - so zeigte sich bereits - loziert Bayer die Trinitätslehre, die Gottes Handeln in Christus zu bedenken hat, innerhalb der allgemeinen Gotteslehre, die daneben noch Gottes gesetzgebendes, sein schöpferisches und erhaltendes Handeln, sowie sein Wirken in der schlechthinnigen Verborgenheit zu bedenken hat: „Bedenkt die Trinitätslehre das reine Evangelium und nichts als das Evangelium, dann läßt sich dem dreieinigen Gott nicht einfach das tötende Gesetz zuschreiben. Wer bedenkt, daß der, der im Gesetz gegen mich spricht, und der, der im Evangelium für mich spricht, ja für mich eintritt, einer und derselbe ist, sagt das Paradox eines Wunders, das nicht etwa durch die Annahme einer selbstverständlichen Selbigkeit Gottes entschärft werden kann. Dieses Problem wird gewöhnlich verharmlost, indem das tötende Gesetz selbstverständlich als Handeln des dreieinen Gottes verstanden wird. Wenn aber die Trinitätslehre allein und spezifisch das Evangelium - nichts anderes als Gottes Liebe - bedenkt und wenn das Geschick des verlorenen Menschen nicht nur der Verkehrung seiner Freiheit zuzuschreiben ist, sondern er es auch noch in dieser Verkehrung mit ,Gott' zu tun hat, dann ist es unumgänglich, von der Trinitätslehre eine ,allgemeine' Gotteslehre und Anthropologie zu unterscheiden und beides nicht ineinander fallen zu lassen. Eine solche ,allge-

24 25 26

27 28 29 30

So zu Recht Bayer, Theologie, S. 4 1 6 f . Ders., Poetologische Theologie, Sp. 11 (in der Quelle hervorgehoben.). Darin unterscheidet sich das Votum Bayers von Krügers Kritik an der trinitätstheologischen Reflexion, der die Vielfalt der göttlichen Wirkweisen (wie sie im Alten Testament thematisch werden) gegen die trinitätstheologische Reflexion überhaupt geltend macht (vgl. ders., Einheit und Vielfalt des Göttlichen nach dem Alten Testament, S. 15ff). Vgl. Bayer, Poetologische Trinitätslehre, S. 76. Vgl. a. a. O., S. 76ff; ders., Poetologische Theologie?, Sp. 1 Iff. A. a. Ο., Sp. 12. Ders., Poetologische Trinitätslehre, S. 7 6 .

Fazit: Die Vierfachheit des göttlichen Handelns

235

meine' Gotteslehre thematisiert den vorchristlichen Menschen, der unter Gottes Forderung und Anklage steht. [...] Die von der Trinitätslehre zu unterscheidende ,allgemeine' Gotteslehre und Anthropologie bezieht sich jedoch nicht nur auf die Erfahrung des anklagenden und tötenden Gesetzes. Sie bezieht sich desweiteren auf das Erfahrungsfeld dessen, was Luther mit dem ,primus usus legis', dem ,usus politicus', bezeichnet. Nicht zuletzt aber bezieht sie sich auf das Widerfahrnis jener uns [...] unbegreiflich schrecklichen Verborgenheit Gottes, in der er sich in einer dunklen, unendlich fernen und zugleich unendlich nahen - verzehrend, verbrennend, bedrängend nahen - Macht verbirgt" 31 . Von unseren Ergebnissen her aufzunehmen ist Bayers Votum in jedem Fall dahingehend, die unterschiedlichen Wirkweisen des einen Gottes nicht innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion zu überspielen. Geht es in unseren Untersuchungen auch nicht um die Trinitätslehre selbst, d. h. darum, ihr Wesen, ihre Aufgaben und ihren Gegenstand zu bestimmen, so ist doch von unseren Ergebnissen her darauf zu insistieren, daß - was immer Gegenstand der Trinitätslehre sein mag - die Trinitätslehre nicht dazu fungieren kann, eine Einheit des Wirkens Gottes theoretisch aufzuweisen. Sind es gerade Gottes schöpferisches und sein erlösendes Handeln, die in der Trinitätslehre thematisch werden, so galt es gerade die aktuellste Gefahr der Trinitätslehre namhaft zu machen: das Überspielen der notwendigen distinctio zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem erlösenden Handeln. Die Gefahr, die notwendige Unterscheidung zwischen Gottes erlösendem und seinem gesetzgebenden Handeln zu überspielen, brauchte dabei aus dem Grunde in den namhaft gemachten Versuchen zur Rekonstruktion des trinitarischen Dogmas nicht diskutiert zu werden, weil das gesetzgebende Handeln in diesen Entwürfen gar kein expliziter Gegenstand der trinitätstheologischen Reflexion war. Dabei ist aber die Gefahr, die notwendige Unterscheidung zwischen Gottes gesetzgebendem und seinem erlösenden Handeln innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion zu überspielen, in all diesen Entwürfen virulent; denn ist es ihr Anspruch, Gottes gesamtes Handeln mit Hilfe der Trinitätslehre zu strukturieren, wird aber Gottes gesetzgebendes Handeln gar nicht thematisch, so ist die Differenz von Gesetz und Evangelium schon im Ansatz überspielt. Diese Aussage plädiert keinesfalls dafür, auch das Gesetz innerhalb der trinitätstheologischen Reflexion zu bedenken, sie plädiert aber mit Entschiedenheit dafür, daß, wenn das gesetzgebende Handeln Gottes nicht in der Trinitätslehre thematisch wird, die Trinitätslehre keinesfalls als Integral der verschiedenen Hand-

31

Ders., Poetologische Theologie, S. 12.

236

Die theologischen Fundamentalunterscheidungen

lungsweisen Gottes ausgegeben werden kann. Keinesfalls sei auch dafür plädiert, die verborgene Gegenwart Gottes in der trinitätstheologischen Reflexion einer Erörterung zu unterziehen, plädiert sei aber dafür, daß ein jeder Konstrukteur der Trinitätslehre um die verborgene Gegenwart Gottes weiß und sich daher nicht gebärdet, Gottes Einheit theoretisch aufgewiesen zu haben. Bedenkt man jedoch die Bezogenheit der Handlungen Gottes, so ist hinsichtlich der Lozierung der Trinitätslehre innerhalb der Gotteslehre zu fragen, ob die trinitarische Struktur des Apostolikons es nicht nahe legt, neben Gottes erlösendem Handeln auch Gottes schöpferisches Handeln zu bedenken. So wäre es gerade die Aufgabe der trinitätstheologischen Reflexion, die Bezogenheit von Gottes schöpferischem Handeln auf sein erlösendes Handeln zu bedenken: Gottes schöpferisches Handeln als die Möglichkeitsbedingung des erlösenden Handelns. Indem Bayer die Trinitätslehre ausschließlich als Artikulation des erlösenden Handelns bedenkt, schützt er die Trinitätslehre vor der Gefahr, die Irreduzibilität von Schöpfung und Erlösung zu überspielen, aber er beraubt sie auch der Möglichkeit, die Bezogenheit von Schöpfung und Erlösung genauer zu bedenken.

3. Folgerungen für die Apologetik Die irreduzible Gegenwart Gottes kann auch innerhalb der theologischen Apologetik nicht überspielt werden. Sie hat zu bedenken, daß Gottes schöpferische Gegenwart keinesfalls seine erlösende Gegenwart einschließt, daß Gottes gesetzgebende Gegenwart seiner erlösenden Gegenwart widerstreitet. Eine apologetische Methode, die auf Prämissen beruht, die die Grundunterscheidungen außer Kraft setzen, kann zwar innerhalb ihrer Prämissen - leistungskräftig sein, sie ist aber im Interesse der differenzierten Bestimmung des Wirkens Gottes und der in ihr vorausgesetzten Grundunterscheidungen nicht zu befolgen.

Teil 2: Bestimmung der Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens

Vorbemerkung Trotz ihres unterschiedlichen Profils zeichnen sich die im folgenden dargelegten dogmatischen Konzeptionen Hirschs, Tillichs, Elerts, Althaus' und Brunners durch eine eigentümliche Gemeinsamkeit aus: Sie möchten gerade nicht so reden „als ob nichts geschehen wäre" sondern derjenigen Wirklichkeit Rechnung tragen, auf die sich das Evangelium bezieht. „Durchgängig wird die theologische Aussage so formuliert, daß sie die erfahrene Wirklichkeit des Menschen als Bezugspunkt der christlichen Botschaft in sich begreift" 2 . So fragen diese Konzeptionen nach der Wirklichkeitserfahrung des natürlichen Menschen und dem natürlich-menschlichen Erkennen aus je eigener Perspektive: So fragt Hirsch nach dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, Tillich nach der aus der menschlichen Existenz artikulierten Frage, Althaus nach der Uroffenbarung, Eiert nach dem Menschen unter der Verborgenheit Gottes und Brunner nach den sich durchhaltenden Strukturen des Menschseins als Anknüpfungspunkt für die christliche Botschaft. Trotz dieses gemeinsamen Ausgangspunktes unterscheiden sich die Konzeptionen allerdings hinsichtlich der Frage nach der Apologetik. Ist für Hirsch die Apologetik ein überflüssiges Unternehmen, so für Tillich, Althaus und Brunner ein mögliches Unternehmen, für Eiert hingegen ein unmögliches Unternehmen. Die Untersuchung beschäftigt sich im folgenden mit den Konsequenzen der differenzierten Bestimmung des Wirkens Gottes für die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des apologetischen Verfahrens. Kritisch zu hinterfragen gilt es: (I) die Behauptung einer Identität von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein und die damit verbundene Erklärung der Apologetik für obsolet, (II) die apologetische Methode der Korrelation (A), ihre Bestreitung durch die diastatische Entgegensetzung von Wirklichkeitserfahrung und Christusglaube (B) und den Versuch eines Ausgleichs (C). Im Horizont der in dieser Auseinandersetzung gewonnenen Einsichten (D) gilt es,

So Barth, Theologische Existenz heute!, S. 3. Fischer, Systematische Theologie, S. 123.

Vorbemerkung

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(III) das Konzept einer Apologetik auf dem Felde der Anthropologie zu bedenken, indem die Methode der Eristik kritisch hinterfragt wird (A), aufgrund der kritischen Auseinandersetzung mit ihr eine Neuformulierung unternommen wird (B) und schließlich die bisherigen Ergebnisse in einen Ausblick integriert werden (C).

I Apologetik als obsoletes Unternehmen: Einheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und des christlichen Glaubensbewußtseins (E. Hirsch) 1. Die beiden Angelpunkte: Allgemein-menschliches Wahrheitsbewußtsein und Glaubensbewußtsein In bewußter Opposition zu Barth bezeichnet es Hirsch als sein Anliegen, gerade nicht so zu reden, als ob nichts vorgefallen wäre 1 . Hirsch sieht die Aufgabe der christlichen Verkündigung darin, sich „in den Strom des lebendigen völkisch-staatlichen Geschehens mitten hinein"2 zu stellen und somit ernst zu nehmen, was die gegenwärtige Stunde fordert 3 . Gott offenbart sich in der geschichtlichen Wirklichkeit und in seiner Begegnung in Christus 4 . So kritisiert Hirsch die dialektische Theologie - wobei es an der Ernsthaftigkeit des Diskussionswillens Hirschs keinen Zweifel geben kann 5 - gerade aus dem Grund, weil hier davon abgesehen werde, die Faktizitäten des Daseins zu beleuchten 6 . Um nicht an einer Anteilhabe am Gesamtleben zu verzichten und zu einer Ghettoexistenz zu erstarren 7 , ist Hirschs christliche Rechenschaft 8 von dem Bemühen getragen, dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, d. h. der aus 1

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Vgl. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel theologischer und politischer Besinnung, S. 139. Vgl. hierzu auch Schneider-Flume, Die politische Theologie Emanuel Hirschs 1918-1933, S. 162. Hirsch, Die gegenwärtige geistige Lage im Spiegel philosophischer und theologischer Besinnung, S. 138; vgl. auch: ders., Freiheit der Kirche, S. 27. Vgl. ders, Die wirkliche Lage unserer Kirche, S. 23. Vgl. ders., Kurzer Unterricht in der christlichen Religion, S. 17f. Vgl. u. a. auch Buff, Karl Barth und Emanuel Hirsch. Anmerkungen zu einem Briefwechsel, S. 15ff. Vgl. Hirsch, Deutschlands Schicksal, S. 155f. - Vgl. auch Schneider-Flume, Die politische Theologie Emanuel Hirschs 1918-1933, S. 5. Vgl. ChR I, S. 21. So auch der Titel von Hirsch zweibändiger Dogmatik (im folgenden abgk. ChR I und ChR II), bei der es sich um die von Gerdes herausgegebenen Erläuterungen von Hirsch zu seinem „Leitfaden zur christlichen Lehre" aus dem Jahre 1938 handelt (vgl. Gerdes, Vorbemerkungen des Herausgebers, S. 1).

Apologetik als obsoletes Unternehmen

241

der Vernunft des Menschen stammenden Welt- und Selbsterkenntnis, Rechnung zu tragen. Die Verhältnisbestimmung des Christlichen zum Allgemein-Menschlichen ist das Hauptthema der Theologie Hirschs 9 und wird zum Konstruktionsthema seiner dogmatischen Reflexion 1 0 . So lautet denn auch seine These: Christentum und Theologie müssen ihre Wahrheit auf dem Boden des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zur Geltung bringen, wollen sie weiter leben 1 1 . Schon in der Vorrede seiner Christlichen Rechenschaft stellt Hirsch programmatisch fest: „Diese Rechenschaft stellt sich ohne Vorbehalt auf die gegenwärtige Geisteswirklichkeit" 1 2 . Der Frage, auf welche Weise die christlichen Rechenschaft auf den Boden des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zu explizieren ist, gilt es nachzugehen, indem zunächst das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein untersucht wird.

2. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein 2.1 Die Grundlagen des abendländischen Bewußtseins Die Grundlagen des heutigen abendländischen Wahrheitsbewußtseins werden von Hirsch durch drei wesentliche Elemente charakterisiert: durch das Verhältnis von Zweifel und Autonomie 1 3 , durch das Verhältnis von dem Gegebenem und der Vernunft 1 4 und schließlich durch das Verhältnis von absolutem Denken und absolutem Sein 15 . Kennzeichnend für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist nach Hirsch seine Loslösung von den Einsichten des Glaubens: Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein - so Hirsch - ist gegenüber dem christlichen Glaubensbewußtsein frei geworden 1 6 , so daß dem christlichen Glauben - anders als in früheren Zeiten - keine allgemeine Anerkennung mehr eignet 17 . Gerade hierin ist nach Hirsch die Selbständigkeit 9

So zu Recht auch Müller, Emanuel Hirsch und die Umformungskrise des neuzeitlichen Denkens, S. 1 1 ; Schneider-Flume, Die politische T h e o l o g i e E m a n u e l Hirschs 1 9 1 8 - 1 9 3 3 , S. 7.

10

So auch Scheliha, Emanuel Hirsch als D o g m a t i k e r , S. 4 3 5 . Vgl. Hirsch, Geschichte der neueren evangelischen Theologie V , S. 6 2 2 . C h R I, S. 4 . Vgl. C h R I, S. 1 5 6 f f . C h R I, S. 1 6 2 f f . Vgl. C h R I, S. 1 6 6 f f . Vgl. W u G , S. 8. Vgl. u. a. auch: ders., Zweifel und Glaube, S. 1 4 ; dazu: Schütte, Christliche Rechenschaft und Gegenwartsdeutung, S. 12f.

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242

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins begründet: „Sie [die autonome Vernunft] hält es für des Menschen freies Königsrecht, selbständig, rein nach den Regeln natürlich-verständigen Wahrheitsernstes, über Sinn und Aufgabe des Menschen in der Welt zu urteilen" 1 8 . Ist das Wahrheitsbewußtsein in früheren Zeiten christlich geprägt gewesen 19 , so hat es sich heute von dieser Prägung befreit 2 0 . Aber auch umgekehrt gilt diese Befreiung: ,,[D]ie Gewißheit des Glaubensgeheimnisses geht nicht mehr an den Krücken der von allen geteilten Evidenz des Weltbewußtseins" 2 1 . Obwohl die Autonomie des abendländischen Wahrheitsbewußtseins nicht „ohne die entbindende Macht der christlichen Reflexion" 2 2 erwachsen ist - gerade in der Entbindung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins vom christlichen Glaubensbewußtsein erblickt Hirsch eine der Hauptleistungen der Theologie Luthers 23 - , ist es eine dem christlichen Glauben gegenüber unabhängige Macht. Insofern spricht Hirsch davon, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein gegenüber dem christliche Glauben - autonom geworden ist 24 . Gerade aber in dem Anspruch der sich selbst kontrollierenden menschlichen Vernunft auf Autonomie ist ihr Mut zum Zweifel begründet; denn - so Hirsch - in einer autonomen, sich selbst kontrollierenden, Vernunft bedeutet das Erkennen von Wahrheit, sich jedem Wahrheitsanspruch gegenüber zunächst zweifelnd zu verhalten 25 : ,,[I]n frei geübtem und beherrschtem Zweifel hat alles Forschen und alles gegründete Urteilen seinen Einsatz" 2 6 . 18

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WuG, S. 8; vgl. hierzu auch Herms, Die Umformungskrise der Neuzeit aus der Sicht Emanuel Hirschs, S. 1 1 3 . Vgl. WuG, S. 13. Vgl. WuG, S. 14. WuG, S. 2 0 . ChR I, S. 1 4 9 . Vgl. ders., Das Wesen des reformatorischen Christentums, S. 221ff; vgl. hierzu ausführlich: Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 44ff; Scheliha, Emanuel Hirsch als Dogmatiker, S. 137ff. Doch bemerkt Ratschow zu Recht, daß Hirschs fünfbändige „Geschichte der neueren evangelischen Theologie" dem Erweis dient, „daß das Wachsen des humanen Wahrheitsbewußtseins in den zwei Jh.en von 1 6 4 8 - 1 8 4 8 das ,Sein des Menschen vor Gott' nicht zerstört, sondern zu sich selbst gebracht habe" (ders., Art. Hirsch, Sp. 363). Vgl. ChR I, S. 1 5 6 . - „Das Vertrauen auf die eigene Vernunft, die Autonomie, hat zur notwendigen Kehrseite das Mißtrauen gegen alle Autorität, den Zweifel. Wahrheitserkenntnis ohne Zweifel und Autonomie ist seit der Aufklärung schlechterdings auf keinem Gebiet, auch nicht auf dem religiösen, mehr möglich" (Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 52f.). ChR I, S. 1 5 6 .

Apologetik als obsoletes Unternehmen

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Wahrheit eignet der Erkenntnis nach Hirsch nicht anders als in dem Erschlossensein des Gegebenen für die Vernunft bzw. in der Durchdringung des Gegebenen durch die Vernunft 27 , so daß die Frage nach dem Verhältnis von Vernunft und Gegebenem bei Hirsch die „ zentrale [] Frage nach der Ganzheit der Vernunft" 2 8 ist. Das Problem dieses Vorgangs liegt nach Hirsch aber in zwei entgegengesetzten Tendenzen, die in der Durchdringung des Gegebenen durch die Vernunft sich je auf ihre Weise geltend machen: Zum einen muß die Vernunft als endlich und begrenzt begriffen werden, weil sich das Gegebene als das Geheimnisvolle der Vernunft zu entziehen sucht: In seinem eigentlichen Wesen entzieht sich das Gegebene der Vernunft, die Vernunft erscheint somit zwar als lebensdienlich, nicht aber als ein über seinen Zweck hinausreichendes Organ. Zum anderen aber besteht der Anspruch der autonomen Vernunft gerade darin, dem Wesen der Dinge mächtig zu sein und das Gegebene lediglich als Material ihrer Durchdingung zu behandeln 29 . Gerade in diesem Zwiespalt taucht nach Hirsch der religiöse Grund der Wahrheit empor: „Er taucht mithin so hervor, daß das menschliche Wahrheitsbewußtsein bestätigt wird in seinem unendlichen Erkenntnisdrang und seiner unermeßlichen Erkenntnisleistung, zugleich aber sich offen und wehrlos hingebreitet wissen muß vor der unerbittlich schweigenden Hoheit des Geheimnisses, das sein Ursprung ist" 30 . So ist in jedem Akt der menschlichen Erkenntnis, in jeder menschlichen Wahrheit als der Durchdringung des Gegebenen durch die Vernunft, das Absolute zwar mitgesetzt (sowohl in bezug auf den unbegrenzten Anspruch der Vernunft als absolutes Denken als auch in bezug auf den absoluten Anspruch des Gegebenen als absolutes Sein), doch ist es im menschlichen Erkenntnisakt nicht vollziehbar 31 . Gerade so - als in der menschlichen Vernunft mitgesetzt und doch durch sie nicht vollziehbar - deckt das Absolute einen Widerspruch der menschlichen Vernunft auf; denn das Absolute kann - so Hirsch - in zweierlei Punkten nicht in den Denkakt integriert werden: 32 Zum einen wird das Absolute im Erkenntnisakt nicht als das Ganze begriffen und somit nicht in den Erkenntnisakt als seine Tiefe integriert, sondern das absolute Denken und die Vernunft sowie das absolute Sein und das Gegebene werden distinkt begriffen, nicht in ihrer Durchdringung gefaßt, sondern als ein Gegeneinander

27 28 29 30 31 32

Vgl. ChR I, S. 162. Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, S. 203. Vgl. ChR I, S. 162. ChR I, S. 163. Vgl. ChR 1, S. 166f. Vgl. ChR I, S. 166.

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

verstanden33. Zum anderen wird das Absolute in unserem Denken nicht erschlossen als das „Eine, das mit sich einig und sich selber gleich ist" 3 4 , sondern erscheint in unterschiedlichen, nicht auf das Eine, das mit sich einig und überall gleich ist, zurückführbaren Gestalten. Zwar ist die Einheit in der Vernunft zu postulieren, doch ist mit diesem Postulat zugleich die Stelle bezeichnet, an der unser Denken vergeht35. So birgt das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein, wenn es zur letzten Tiefe vorstößt, in sich eine unauflösliche Antinomie: Das Absolute erscheint als Grund und Grenze der menschlichen Vernunft 36 . „Sie [die Vernunft] ist also Erkenntnis des den Inhalt und die Richtung alles lebendigen Menschseins bedingenden Grundgesetzes, das Verhältnis zum Absoluten als Widerspruch im Lebensgrunde zu besitzen. Eine unbefangene Analyse der Grundlagen des abendländischen Wahrheitsbewußtseins endet in der Aufdeckung, daß das menschliche Denken und Leben am Verhältnis zu Gott seinen zugleich tragenden und verzehrenden Grund hat, in dem ihm Wahrheitsmacht und Daseinserfüllung in unvollendbarer Bewegung zweideutig schweben" 37 . Das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein stößt daher nach Hirsch auf das Absolute als das es Bedingende und Tragende. Und gleichzeitig entzieht sich das Absolute dem allgemein-menschlichen Denken als fernes Geheimnis38. Indem die allgemein-menschliche Vernunft aber diese Antinomie aushält und nicht ihre Grenzen überschreitet, kann sie nicht von vornherein der Gottlosigkeit oder des Götzendienstes bezichtigt werden: Nur wenn die allgemein-menschliche Vernunft das Absolute als das sie Bedingende und Tragende leugnet, ist sie als gottlos zu bezeichnen, nur wenn sie das Absolute als ein fremdes Geheimnis jenseits des allgemein-menschlichen Denkens leugnet, wäre sie Götzendienst39. „Die Idee des Absoluten steht zugleich immanent und transzendent zu allem, was wir innerhalb des Gegebenen mit unserer Vernunft erkennen. Keine solche Erkenntnis ist Wahrheit, außer vermöge dessen, daß die ewige Wahrheit des Absoluten in ihr als Bedingendes, Tragendes, Haltendes gegenwärtig ist: die Leugnung dieses Sinnes von Wahrheit wäre Gottlosigkeit. - Und wiederum: keine solche Erkenntnis ist Wahrheit, außer so, daß die ewige

33 34 35 36 37 38 39

Vgl. ebd. ChR I, S. 167. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ChR I, S. 1 6 8 . Vgl. ebd.

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Wahrheit des Absoluten in ihr als ein fernes Geheimnis sich entzieht: die Leugnung dieses Hinaus-über wäre Götzendienst"40. Götzendienst und Gottlosigkeit sind daher nach Hirsch keinesfalls Charakteristika des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, vielmehr verhält sich ein bis in die letzte Tiefe vorstoßendes vernünftiges Erkennen gerade polemisch gegen seine götzendienerische wie gottlose Entartung 4 1 . Gerade daher darf das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein des modernen abendländischen Denkens nicht einfach als irreligiös bezeichnet werden. Getragen von einer im Vollzug des Denkens zugleich mitgesetzten und entzogenen Wahrheit des Absoluten und widerstreitend gegen seine götzendienerische und gottlose Entartung ist das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein der christlichen Gotteserkenntnis verwandt 4 2 . Gerade in dem Mitgesetztsein des Absoluten im allgemein-menschlichen Denken erblickt Hirsch die particula veri des ontologischen Gottesbeweises, nämlich die Einsicht, „daß das menschliche Wahrheitsbewußtsein in dem antinomischen Verhältnis zum Absoluten seine letzte unentrinnliche und unaufgebliche Grundlage hat" 4 3 .

2.2 Die verschiedenen Gestalten der menschlichen Wahrheit Hirsch macht drei verschiedene Gestalten der menschlichen Wahrheit namhaft: die Erkenntnis der Natur 4 4 , die Erkenntnis der menschlichen Geschichte 45 und die Selbsterkenntnis 46 . An und in diesen verschiedenen Gestalten der endlichen Wahrheit geht das Absolute auf 4 7 . Damit geschieht Gotteserkenntnis nicht unmittelbar, sondern wir sind auf Gott bezogen in der Sachwahrheit (Naturerkenntnis), der Sinnwahrheit (Geschichtserkenntnis) und der Gewissenswahrheit (Selbsterkenntnis) 48 . Festes Postulat des allgemein-menschlichen Denkens moderner abendländischer Prägung ist die Erkenntnis, daß alle Dinge der Welterkenntnis, alle Dinge, die wir greifen und messen können, greifbare und meßbare Ursachen haben und wir nirgends innerhalb der greifbaren und meßbaren Welt auf ein unerklärbares Jenseitiges stoßen 49 . „Nichts in der Welt 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Ebd. Ebd. Vgl. ChR ChR I, S. Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR

I, S. 168. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S.

172. 175ff. 18Iff. 188ff. 175 200. 175.

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

darf mit dem lieben Gott erklärt werden" 5 0 . Der Versuch, diese kausale Struktur zu durchbrechen, indem entweder auf Lücken der Welterklärung aufmerksam gemacht wird oder der nur hypothetische Charakter der immanenten Welterklärung aufgewiesen wird, wird von Hirsch als unzureichende Apologetik charakterisiert, die dem modernen menschlichen Weltbewußtsein auszuweichen versucht 51 . Hat Hirsch die Antinomie als die Grundlage des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins herausgearbeitet, so erweist sich ein zweifacher Widerspruch auch in und an der Naturerkenntnis des Menschen 52 : Zum einen ist es der allgemein-menschlichen Naturerkenntnis verwehrt, zu einem geschlossenen Weltbild zu kommen; denn in ihrem Fortgang vom Endlichen zum Endlichen bewegt sich die allgemein-menschliche Naturerkenntnis zwischen der „Endlichkeit alles erkannten und erkennbaren Zusammenhangs und der Unendlichkeit des zu erkennen aufgegebnen allumfassenden Zusammenhanges" 5 3 . Auf der anderen Seite fordert die Naturerkenntnis zwar das Heraushalten des Menschen aus der Natur, doch ist der Mensch immer auch ein Glied des Naturzusammenhangs 54 . Gerade in dieser Naturerkenntnis ist auch die Gotteserkenntnis als „unauflösliche[s] Rätsel des Ursprungs" 55 , Gott als der „Mensch und Natur setzende[] verborgene[] Ursprung aller Dinge" 56 gegenwärtig; denn an unserem Widerspruch der Welterkenntnis geht uns Gott als das Urbedingende auf 57 . Und ist uns Gott im Widerspruch unseres Verhältnisses zur Natur als das Urbedingende erschlossen, so sind wir auch im Verhältnis zu Gott im Widerspruch gefangen 58 , so daß unser Verhältnis zu Gott selbst antinomisch ist 59 . Doch liegt in dem Erkennen Gottes als des den Mensch setzenden Absoluten die Wahrheit des kosmologischen Gottesbeweises 60 . Ist die Naturerkenntnis gekennzeichnet durch mathematisch ausdrückbare Bestimmtheit und experimentelle Bewährtheit, so erschließt sich die Erkenntnis der menschlich-geschichtlichen Wirklichkeit von 50 51 52

53 54 55 56 57 58 59 60

ChR I, S. 177f. Vgl. ChR I, S. 178. Vgl. auch: Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 65f. ChR I, S. 175. Vgl. ebd. ChR I, S. 176. Ebd. Vgl. ChR I, S. 179. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChR I, S. 176.

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„innen her, aus eigner menschlich-geschichtlicher Lebendigkeit heraus" 61 . Sie ist daher anders als die Naturerkenntnis keine Sachwahrheit, sondern eine „Sinnwahrheit mit sachlichen Bezügen" 62 . Auch die menschlichgeschichtliche Erkenntnis vollzieht sich in einer Bewegung mit entgegengesetzten Tendenzen: Zum einen muß die menschlich-geschichtliche Erkenntnis die gesamte menschlich-geschichtliche Wirklichkeit durchdringen, zum anderen kann eine wahrhafte Durchdringung auch des geschichtlich Gegebenen nur wahrhaft geleistet werden, wenn sie ihre Begrenzung durch das Absolute akzeptiert als das der Geschichte „Sinn, Leben und Halt Gebende" 63 . So ist der Mensch gerade im geschichtlichen Erkennen hineingeworfen in die Frage nach Gott 64 . Genau auf diesen Sachverhalt macht der teleologische Gottesbeweis aufmerksam: Im geschichtlichen Erkennen stößt der Mensch auf das „das menschlich-geschichtliche Dasein begrenzende [] Göttliche []" 6 5 . Neben dem menschlich-geschichtlichen Erkennen (Sinnwahrheit) und dem Naturerkennen (Sachwahrheit) zeigt Hirsch, daß auch die dritte Weise des menschlichen Erkennens der gleichen Grundantinomie des allgemein-menschlichen Denkens überhaupt unterliegt, die Selbsterkenntnis (oder auch: Gewissenswahrheit, insofern sich das Selbst als Gewissen seiner selbst ansichtig wird); ja, in der Selbsterkenntnis bzw. Gewissenswahrheit erscheint diese Antinomie in ihrer tiefsten Form66. Der Mensch erkennt sich als von Gott zum Leben mit anderen Menschen geschaffen und zum Dienst für andere berufen67. Gerade in dieser Weise des allgemein-menschlichen Denkens ist dem Menschen in ungleich tieferer Weise als in der Sinnwahrheit die menschlich-geschichtliche Gemeinschaft als zugleich gebunden und frei aufgedeckt68. Der Mensch geht aber nicht darin auf, ein Glied des Ganzen zu sein, sondern er steht auch als Einzelner in der Beziehung zu Gott 69 . Die geschöpfliche Personalität des Menschen gründet nach Hirsch gerade darin, daß der Mensch auf der einen Seite Glied der Natur und Teil der Geschichte ist, zugleich aber als ein in diesen Beziehungen stehendes Wesen sich zu Gott verhält 70 . Der

61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

C h R I , S. Ebd. ChR I, S. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR

181. 182.

I, I, I, I, I,

S. S. S. S. S.

188ff. 188f. 188. 189. 282.

248

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Mensch erfährt sich so im Gewissen als mit anderen Menschen koexistierend, zugleich aber als Einzelner im Gegensatz zu Gott seiend71. Gerade Gottes Evidentwerden in der Gewissenswahrheit macht deutlich, daß sich das Offenbarungsgeschehen immer im intersubjektiven Prozeß ereignet; denn in der Begegnung mit anderen Menschen geschieht die Bestimmung unseres Seins vor Gott im Gewissen 72 . So ist für das Offenbarungsgeschehen beides konstitutiv: In der Offenbarung erschließt sich die gottbedingte Bestimmung menschlichen Seins; und zwar erschließt sich diese gottbedingte Bestimmung des Seins im Gewissen der Person, d. h. in der Begegnung mit anderen Personen 73 ; denn die Gewissenswahrheit betrifft stets die Gemeinschaftsbeziehung74. „Der Offenbarungsvorgang ist also der, daß ich, an der Begegnung mit menschlichen Personen selber zur Person werdend, Gott als mir in Ruf und Fügung das Leben gebend erkenne"75. Betrifft aber die Gewissenswahrheit stets die Gemeinschaftsbeziehung, und existiert die Gemeinschaftsbeziehung „nicht anders als in Bestimmungen des menschlich "geschichtlichen Lebens und der nicht-menschlichen Wirklichkeit" 76 , so kann die „in der Gewissenswahrheit leuchtende Gotteserkenntnis immer nur in Bezug auf Erkenntnisse der Sinn- und der Sachwahrheit deutlich gemacht werden" 77 . Umgekehrt ist damit aber auch die Gewissenswahrheit das tragende Fundament und somit die Vertiefung der in der Sinn- und Sachwahrheit gegebenen Erschlossenheit und Verborgenheit Gottes. So wird gerade das in der Geschichts- und Naturerkenntnis auftretende Gefühl der Freiheit und der Abhängigkeit menschlichen Daseins in der Selbsterkenntnis, in der der in der Natur und in der Geschichte stehende Mensch sich zugleich auf Gott bezogen weiß, zu seiner Tiefe gebracht. Der Mensch ist bestimmt durch ein Freiheitsgefühl und ein Abhängigkeitsgefühl: Wird der Mensch in der Geschichts- und Naturerkenntnis auf der einen Seite der menschlichen Freiheit, innerhalb der naturhaften und der geschichtlichen Umwelt zu agieren, inne78, so wird er auf der anderen Seite dieser menschlichen Freiheit als einer durch Charakter und Schick71

72 73 74 75 76 77 78

Vgl. ebd. - So weist Herms zu Recht darauf hin, daß bei Hirsch die Intersubjektivität zum „Fußpunkt der Gottesbeziehung" (ders., Die Umformungskrise in der Neuzeit aus der Sicht Emanuel Hirschs, S. 1 0 3 ) gemacht wird (vgl. auch bes. a. a. O., S. 111). Vgl. ChR I, S. 2 0 0 f . Vgl. ChR I, S. 2 0 1 f. Vgl. ChR I, S. 2 0 6 . ChR I, S. 2 0 3 . ChR I, S. 2 0 6 . Ebd. Vgl. ChR I, S. 2 9 8 .

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sal bedingten gewahr79. In der Natur- und Geschichtserkenntnis wird der Mensch sich somit gewahr als partiell frei und partiell abhängig. In seiner Selbsterkenntnis, in der der Mensch als Glied der geschöpflichen Natur und der Geschichte sich zugleich auf Gott bezogen weiß, wird der Mensch sich als zugleich schlechthin abhängig gewahr80. Der Mensch fühlt, durch Gott gegründet und begrenzt zu sein81. Die Tatsache, daß der Mensch sich so in seinem Freiheitsgefühl gleichzeitig als schlechthin abhängig von Gott weiß, ist der ,,schärfste[] Ausdruck der Antinomie" 82 . So ist der Mensch auf der einen Seite zur Freiheit bestimmt, auf der anderen Seite aber Gott gegenüber durch Unfreiheit gekennzeichnet83. Gerade in dem Widerspruch von Freiheitsbewußtsein und Bewußtsein der Unfreiheit, von Verantwortungsbewußtsein und Bewußtsein der Schuld, erscheint daher Gott als das „letzte Geheimnis des menschlichen Lebens" 84 . In der Tiefe des allgemein-menschlichen Wirklichkeitsbewußtseins, das seine tiefste Form in der Selbsterkenntnis des Menschen hat, in der der Mensch sich in der Natur und Geschichte stehend zugleich auf Gott bezogen weiß, wird Gott in der Antinomie geahnt 85 . Er erscheint als der Allesbedingende86, der Lebendige87 und der Heilige88: Gott erscheint im Verhältnis zum Menschen als dem Bedingten als der Allesbedingende in der Antinomie von Herr und Geist; Herr als der Verborgene und Alleinwirkende, Geist als der, der den Menschen zur Freiheit entbunden hat; 89 als der Lebendige ist er die Quelle der menschlichen Erkenntnis - somit gegenwärtig im menschlichen Leben - , auf der anderen Seite erweist er seine Freiheit gerade darin, dem Menschen geheimnishaft entzogen zu sein90, so daß das Leben von Gott als dem Ursprung nur so zeugt, daß Gott zugleich als Fremder erscheint 91 . Gerade in diesem Dunkel vollzieht sich das Leben mit Gott als dem Schöpfer und der Liebe 92 . Und auch als Heiliger bleibt Gott uns erschlossen und verborgen zugleich93; denn wir 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93

Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Ebd. Vgl. ChR C h R I , S. Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR Vgl. ChR

I, S. 2 9 9 . I, S. 3 0 3 . I, S. 3 0 4 . I, S. 190. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. I, S.

189. 213. 209ff. 225ff. 248ff. 214f. 225. 231. 234. 248ff.

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

erleben ein „Nieder und Auf zwischen Zernichtetsein aus Gott und Erhabensein in Gott" 9 4 . So ist das Erleben Gottes geprägt duch Schuldgefühl und Gottvertrauen 95 . Der Mensch ist Gott in seiner Selbsterkenntnis somit in einer tiefen Antinomie gewahr: Ihm wird Gott gewahr als der Allesbedingende, der uns zugleich zur Freiheit entbunden hat, als die Quelle der menschlichen Erkenntnis, die uns doch zugleich geheimnishaft entzogen ist, als der, der uns erhebt und doch auch zernichtet. Eine diese Spannung tragende Einheit muß daher behaupten, daß Gottes Dunkel sein opus alienum ist, durch das Gottes Liebe hindurchschreitet 96 . Das Gewahrwerden dieser Antinomie führt somit zu der Ahnung, daß Gott uns „zu einer neuen andern Weise des Menschseins bestimmt habe, in der das Ziel und die Vollendung der in uns angefangenen Geschichte liegt. Einen Inhalt, der sie mit Leben erfüllte, empfängt diese Ahnung innerhalb der Grenzen des Humanen aber nicht" 97 . Gedanklich postuliert und geahnt wird somit die vergebende Liebe Gottes; 98 denn ,,[n]ur das Gefühl vergebener Schuld kann so als Grund der Freiheit gelebt werden; und umgekehrt, Schuldgefühl, das Grund solcher Freiheit ist, ist Gefühl vergebener Schuld" 99 . Dieses gedankliche Postulat kann aber innerhalb der Grenzen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins nicht zur religiösen Gewißheit werden 100 . Zwar glaubt der Mensch auch in der Erfahrung der Verborgenheit und Unerkennbarkeit an Gottes Liebe101, doch hat das Gottvertrauen nicht die Macht, den Zweifel an Gottes Liebe zu überwinden 102 . Es kann also das Gotterleben des Einzelnen nicht die entscheidende Prägung verleihen 103 . Doch hat es die Macht, den Menschen davor zu bewahren, im Schuldgefühl zu versinken 104 . Gerade aus diesem Grund schlägt das Gotterleben nicht in den Gotteshaß um 105 . So ist durch diesen 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105

ChR I, S. 253. Vgl. ChR I, S. 258ff. Vgl. ChR I, S. 234. ChR I, S. 308. Vgl. ChR I, S. 310. Ebd. Vgl. ChR I, S. 234. Vgl. ChR I, S. 259. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. - So formuliert Böbel zu Recht: „Dieser Weg vom opus alienum zum opus proprium ist die einzige Möglichkeit, die Rätselhaftigkeit Gottes respektieren und zugleich ertragen zu können. Jedoch kann er im Rahmen der allgemeinmenschlichen Gotteserkenntnis nur geahnt, höchstens geschaut, aber niemals gegangen werden" (ders., Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 102).

Apologetik als obsoletes U n t e r n e h m e n

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erlebten Zwiespalt die Frage nach der letzten Offenbarung Gottes die Grenze der menschlichen Humanität 106 . Und das Humane erweist sich als das „innerhalb seiner eigenen Grenzen nicht zu sich selbst Kommende" 107 .

3. Das christliche Glaubensbewußtsein unter den Bedingungen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins Hirschs christliche Rechenschaft intendiert, dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein in der Weise Rechnung zu tragen, daß Christentum und Theologie ihre Wahrheit auf dem Boden des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zur Geltung zu bringen haben. Um Hirschs Formulierung erneut aufzugreifen: Die Explikation des Gehaltes des christlichen Glaubens muß sich auf den Boden der gegenwärtigen Geisteslage, d. h. des allgemein-menschlichen Weltbewußtseins moderner Prägung, das sich gerade dadurch auszeichnet, daß es selbständig, d. h. rein nach den Regeln der Vernunft - unabhängig vom christlichen Glauben und seiner Wahrheitseinsicht - , urteilt, stellen. Auf dem Boden des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins eine Explikation des Gehaltes des christlichen Glaubens zu leisten, bedeutet nun für Hirsch, daß der christliche Glaube sich nur dann verständlich zu bestimmen und zu einer Durchsichtigkeit zu kommen vermag, wenn er sich mit dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein geeint weiß108. Weil der Christ immer zugleich ein Mensch ist, der als solcher auch an dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein Anteil hat, ist die Einigung von christlichem und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein keine spezifisch theologische Forderung. Vielmehr bildet sich dieses Verhältnis von selbst109. Der sich (wissenschaftlich) Rechenschaft 106 107 108 109

Vgl. ChR I, S. 2 5 9 . ChR I, S. 2 9 3 . Vgl. ChR I, S. 2 1 ; vgl. auch: ders., Geschichte III, S. 185. Vgl. ChR, S. 2 1 . Hierauf weist zu Recht hin: Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, S. 2 3 6 . - Die These von Hirschs „Geschichte der neueren evangelischen Theologie", die Birkner zu Recht zu den „überragenden Leistungen der Theologie unseres Jahrhunderts" (ders., Art. Emanuel Hirsch, S. 3 9 2 ) zählt, ist - so macht Köpf in seinem instruktiven Aufsatz deutlich daß „die Umformung des christlichen Denkens unter den sich wandelnden Bedingungen von Wirklichkeitserfahrung und Wahrheitsverständnis kein Vorgang ist, den man nach Belieben anhalten oder gar umkehren kann, sondern daß sie mit innerer Notwendigkeit abläuft und daß ihre Beeinflussung und Gestaltung im evangelischen Sinne eine unausweichliche Aufgabe der neueren evangelischen Theologie

252

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

über seinen Glauben gebende Christ ist ja auch Mensch 110 und hat als solcher Anteil an dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, so daß er von selbst „diese beiden Seiten seiner geistigen Persönlichkeit in einem lauteren und in sich ganzen und folgerichtigen Denken zu einigen" 111 sucht. Gehört das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein notwendig auch zum Menschsein des Glaubenden, bedarf der Glaube der Grundlage des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins 112 , um „als Glaubender wahrhaft der Mensch zu sein, der man ist, und umgekehrt" 113 . So hat sich der christliche Glaube vor der Instanz des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zu bewähren: „Nur insoweit er mit diesem sich in Wahrhaftigkeit zur Einheit und Ganzheit des Denkens und des Lebens verbinden läßt, darf er auf ein Ja der selbständig gewordenen menschlichen Vernunft rechnen" 114 . Zu einer Einigung „im Denken lebendigen Menschseins" 115 kommt es daher nur, soweit das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein es „gewissenhaft, wahrhaftig, vernünftig findet, das christliche in sich aufzunehmen" 1 1 6 . Nur insoweit es dem christlichen Glauben gelingt, sich vor dem Forum der autonomen menschlichen Vernunft als vernünftig zu erweisen, kann er mit Akzeptanz rechnen, nur so weit er sich auf dem Boden der Prämissen und Bedingungen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zu artikulieren vermag, kann er vor dem Forum der Vernunft bestehen. Anders ausgedrückt: Nur soweit der Glaube die Bedingungen und Prämissen der

110

111 112 113 114

115 116

ist" (ders., Die Theologiegeschichte der Neuzeit aus der Sicht Emanuel Hirschs, S. 83f; vgl. a. a. O., S. 83ff). Immer schon ist nach Hirsch die theologische und kirchliche Lehre von dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins abhängig gewesen und hat sich mit diesem gewandelt (vgl. ders., Geschichte III, S. 317). Beruhte die Orthodoxie auf dem „Weltbild und Denkerfahrungen der wissenschaftlich durchgebildeten christlichen Metaphysik des Abendlandes" (ders., Geschichte II, S. 391) so hat schon die Aufklärung eine Umformulierung vorgenommen, die dem wissenschaftlichen Geist der Zeit zu entsprechen suchte (vgl. ders., Geschichte IV, S. 437). Entzieht sich daher die Explikation des christlichen Glaubens den Bedingungen und Prämissen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, so entzieht sich das Christentum „seiner Bestimmung, dem ganzen Menschen zu gelten" (Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, S. 237). C h R I , S. 4. Vgl. ders., Geschichte I, S. 174. ChR II, S. 172. WuG, S. 8. - „So erhebt E. Hirsch das moderne Wahrheitsbewußtsein zum Richter und formenden Prinzip der Gestalt des christlichen Glaubens" (Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 73). Ähnlich argumentiert: Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, S. 237. WuG, S. 9. Ebd.

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allgemein-menschlichen Vernunft in sich aufzunehmen vermag, kann die geforderte Verflechtung mit dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein gelingen. Diese Verflechtung von christlichem Glaubensbewußtsein und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein ist für Hirsch von zwei Einsichten her gefordert: Zum einen ist Gott „Hüter und Quell aller Wahrheit"117, zum anderen berührt die Einsicht von der Einigung von christlichem Glauben und allgemein-menschlicher Einsicht auf der Erkenntnis, daß sowohl im christlichen Glauben als auch in der allgemeinmenschlichen Einsicht dem Menschen Gott erschlossen ist, Gott aber nur einer ist118. Gerade weil Gott Hüter und Quell sowohl des christlichen Glaubensbewußtseins als auch der allgemein-menschlichen Wahrheit ist119, kann Hirsch in dem Mißlingen einer Verflechtung von christlichem Glaubensbewußtsein und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein, in dem Scheitern einer Durchdringung, ein Signum der Unwahrhaftigkeit sehen120. Daher ist Hirschs christliche Rechenschaft als Explikation des christlichen Wahrheitsbewußtseins unter den Bedingungen und Prämissen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins von der Gewißheit getragen, daß das Menschliche und das Christliche letztlich zusammengehören, daß weder der christliche Glaube durch das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein eine Reduktion oder Restriktion erfährt, noch daß das allgemeine Wahrheitsbewußtsein durch das christliche Wahrheitsbewußtsein verfälscht wird 121 . Soll das christliche Glaubensbewußtsein aber mit dem allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtsein verflochten werden, so kann das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein nicht in der Weise nivelliert werden, daß man ihm einen nicht-religiösen Charakter beilegt und ihm somit die Tiefe abspricht 122 . So wurde in der Darstellung der Grundlagen und der Gestalten des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins deutlich, daß nach Hirsch auch im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein Gott gegenwärtig ist, wenn er auch hier nur mit innerer

117 118 119

120 121 122

ChR I, S. 22. Vgl. ChR I, S. 23. So macht U. Barth darauf aufmerksam, daß die Verhältnisbestimmung von allgemein-menschlichem und christlichem Wahrheitsbewußtseins bei Hirsch gerade dadurch getragen wird, „daß Gott bzw. das Absolute seinem Grundwesen nach als Inbegriff von Wahrheit verstanden wird" (ders., Die Christologie Emanuel Hirschs, S. 536; vgl. a. a. O., S. 535ff). Vgl. ChR I, S. 23. Vgl. ChR I, S. 9. Vgl. WuG, S. 22.

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Unentrinnbarkeit geahnt wird 123 . Aus diesem Grund ist eine solche „Diffamierung" des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins nach Hirsch völlig verfehlt 124 , die den Atheismus in dem Sinne als inneren Wesenszug des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins bezeichnet 125 , daß außerhalb des Glaubens nur der Atheist ein anständiger Mensch ist126. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist nicht notwendig atheistisch, vielmehr nur in seiner atheistischen Entartung und Verflachung; denn in seiner Tiefe kann sich das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein gar nicht begreifen, ohne in Gott seinen Grund und seine Grenze zu erkennen 127 . Somit gilt: „Auch dem freien menschlichen Weltbewußtsein liegt [...] ein echtes Gottesbewußtsein zugrunde" 128 . Gerade in dem, dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein zugrundeliegenden, Gottesverhältnis liegt für Hirsch auch die particula veri des Gottesbeweises: Die Vernunft muß über sich hinausgehen und ein Unbedingtes setzen 129 . Kann dem allgemein-menschlichen Welt- und Selbstbewußtsein nicht einfach ein atheistischer Charakter beigelegt werden, der ihm nach Hirsch nur in seiner Entartung und Verflachung eigen ist, während es in seiner Tiefe gerade das ihm innewohnende Absolute ahnt, so kann es auch keinesfalls im Interesse des christlichen Glaubensbewußtseins liegen, sich im Gegenüber zu einer verflachten und rohen Form des allgemein-menschlichen Welt- und Selbstbewußtseins zu artikulieren, vielmehr hat es sich im Anschluß an die tiefsinnige Form des allgemein-menschlichen Weltund Selbstbewußtseins zu explizieren 130 . „Wahlverwandt" - so Hirsch ist dem christlichen Glaubensbewußtsein „nur ein edler und ernster Zweifel, der von dem menschlichen Wert eines Verhältnisses zum Wahren und Guten als der das Innere durchläuternden Macht durchzittert ist" 131 . Gerade so muß das christliche Glaubensbewußtsein zunächst dazu füh-

123 124 125 126 127 128 129 130

131

Vgl. WuG, S. 25. So auch Müller, Emanuel Hirschs Bedeutung für die Predigt, S. 244. Vgl. WuG, S. 25. Vgl. WuG, S. 26. Vgl. ChR I, S. 209. WuG, S. 27. Vgl. Hauptfragen christlicher Religionsphilosophie, S. 16. Gerade aus diesem Grund hält Hirsch die „Art, in der auch namhafte Theologen Spengler und seinen Pessimismus [...] als Zeugen der Wahrheit" (ders., Grundlegung der christlichen Geschichtsphilosophie, S. 2) heranziehen, für illegitim, wird doch so gerade eine verflachte atheistische Auffassung zum allgemeinen Charakter des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins erhoben, statt ein in seine eigene Tiefe vorgedrungenes Wahrheitsbewußtsein zu diskutieren. WuG, S. 60.

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ren, die Tiefe des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zu erkennen, das christliche Glaubensbewußtsein muß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein zunächst zu der höchsten Form der Humanität führen, zu der das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein fähig ist 132 . Die Vereinigung von christlichem Glaubensbewußtsein und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein verlangt somit, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bis in jene Tiefe geführt wird, die sich dem christlichen Glaubensbewußtsein zu öffnen vermag 1 3 3 . Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein muß erst wieder in seiner Tiefe herausgestellt werden, ehe es zu seiner letzten Tiefe in Christus geführt werden kann, mit anderen Worten: Gott muß zunächst als Schöpfer gesehen werden, ehe er als Erlöser ans Licht treten kann 1 3 4 . Der christliche Glaube widerstreitet daher dem allgemein-menschlichen Bewußtsein nicht, sondern er bewahrt, vertieft und lichtet es auf 1 3 5 .

4. Die Begegnung mit Christus Hirsch hat in seiner Analyse des modernen allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zwei Einsichten pointiert herausgestellt: Z u m einen kann das abendländische Denken nicht einfach als irreligiös bezeichnet werden. In der Tiefe kann sich das menschliche Denken überhaupt nicht verstehen, ohne in Gott seinen Grund und sein Grenze zu erkennen 1 3 6 . Zum anderen ist gerade die Gewissenswahrheit, die in der Selbsterkenntnis des Einzelnen sich ereignet und dem Einzelnen sein Sein vor Gott erschließt, die Wurzel aller Erschlossenheit und Verborgenheit Gottes 1 3 7 . Gott ist - wie sich zeigte - nach Hirsch im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein gerade in seiner Widersprüchlichkeit präsent 1 3 8 : Er 132

Vgl. ebd. - Gerade in der nationalsozialistischen W e n d e erhoffte Hirsch eine Vertiefung der H u m a n i t ä t , indem die atheistische Verflachung des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins überwunden werde und - als vorbereitende Z u c h t und Erziehung auf das Evangelium - die F r a g e nach Gott wieder laut w e r d e (vgl. bes., Hirsch, Kreuzesglaube und politische Bindung, S. 7 2 ; ders., Das kirchliche Wollen der Deutschen Christen, S. 5f; 7 ; 1 2 ; ders., Volk, Staat, Kirche, S. 2 3 ) .

1.3

Vgl. ders., Hauptfragen christlicher Religionsphilosophie, S. 5 . Vgl. ders., Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen, S. 7. Vgl. W u G , S. 2 9 . Vgl. C h R I, S. 2 0 9 . Vgl. ebd. Vgl. auch W u G , S. 3 5 .

1.4

135 136 137 138

256

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

ist als Herr des Todes und Spender des Lebens verborgen und offenbar zugleich 139 , so daß die Gottesahnung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins widersprüchliche Züge trägt und Gott sich nur in seiner Vieldeutigkeit und Vielgestaltigkeit zu erkennen gibt 140 . Doch ist gerade die Rätselhaftigkeit, in der Gott dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein gegenwärtig ist, die notwendige Bedingung für den Glauben, wird doch hier die Frage nach vollkommener Offenbarung evoziert 141 . Das Gewahrwerden dieser Antinomie führt somit zu der Ahnung, daß Gott den Menschen in ein neues Gottesverhältnis setzt. Doch hat diese Ahnung nach Hirsch nicht die Macht, den Zweifel an Gottes Liebe zu überwinden, sie kann das Gottesverhältnis des Einzelnen nicht entscheidend bestimmen. Läßt sich Gott auch in seinen allgemeinen Bekundungen ahnen, so kann er doch erst da zur persönlichen Gewißheit werden, wo er dem Herzen und dem Gewissen des Menschen begegnet 142 . Erst da wird er zur „Möglichkeit eines die Grenzen des irdischen Daseins zersprengenden höheren Lebens" 143 . Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein läßt so einen „Platz als Stätte des persönlichen Glaubensgeheimnisses" 144 offen. „Das Verhältnis des Christlichen und des Menschlichen kann allein von einem jeden einzelnen Christen in seinem persönlichen gegenwärtigen Leben gelöst werden" 145 . Die entscheidende Kategorie ist daher nach Hirsch der Einzelne 146 . So ist die Krise und der Zwiespalt des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins gerade auf dem Boden ethischer Subjektivität zu überwinden 147 . Die ethische Subjektivität - oder auch: die subjektive Gewissensfreiheit - ist der freie Platz innerhalb des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins 148 . Eine Wandlung unseres Gottesverhältnisses kann nach Hirsch daher nur geschehen, indem uns „eine andere Art menschlichen Seins ergreift" 149 . Liegt auch dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein die Ahnung davon zugrunde, daß Gott schrankenlose Güte und Liebe ist, so besteht doch der Mangel darin, daß dieses Wissen nicht zur tragenden menschlichen Gewißheit zu werden vermag, 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149

Vgl. WuG, S. 36f. Vgl. WuG, S. 39ff. Vgl. ChR II, S. 9. Vgl. ders., Das Wesen des reformatorischen Christentums, S. 22. Ebd. WuG, S. 21. Ders., Das Wesen des reformatorischen Christentums, S. 234. Vgl. ebd. Vgl. WuG, S. 66. Vgl. WuG, S. 63. ChR II, S. 21.

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d. h. zur „Gewissensmacht" 1 5 0 wird 1 5 1 . Dieses Ahnen des allgemeinmenschlichen Daseins, daß Gott die schrankenlose Liebe und Güte ist, wird erst in der Begegnung einer anderen Art menschlichen Seins zur Gewissensmacht des Menschen 1 5 2 . Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein muß von der ethischen Subjektivität durchdrungen werden, so daß ihm „eine neue Seele" 1 5 3 eingehaucht wird. Gerade so, indem die in der Subjektivität wurzelnde persönliche Gewißheit das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein durchströmt, wird das menschliche Leben wahrhaft menschlich 154 . „Indem ein die Gegenwart Gottes im persönlichen Sein erlebender Sinn sich in die vom Schaffen des Ewigen geforderten allgemeinen Inhalte echt menschlicher Gemeinschaft hineinwebt, wird das äußere, sachgebundene Tun und Denken auch Gefäß von etwas Tieferem" 1 5 5 . Aussagen des christlichen Wahrheitsbewußtseins sind somit Aussagen unserer Innerlichkeit 156 , sie sind die Explikation eines subjektiven Verständnisses, keinesfalls aber können die Aussagen des christlichen Wahrheitsbewußtseins auftreten als Aussagen über allgemein-evidente Gegebenheiten der Wirklichkeit 157 . Gottes Offenbarwerden geschieht somit immer nur als „eine in personhafter Innerlichkeit sich vollziehende menschliche Lebendigkeit" 1 5 8 . Diese Wahrheit liegt aber nicht auf der Ebene der vernünftigen Durchdringung des menschlichgeschichtlichen und des naturhaften Daseins, sondern sie ist „ein heimliches Licht in Sinn, Herz und Gewissen und vermag als solches auch in der schlichtesten und geistig dürftigsten menschlichen Existenz zu leuchten" 1 5 9 . Dieses in der Innerlichkeit der Person präsente Wesensbild Gottes durchprägt das Weltbewußtsein 160 . Gründet das christliche Glaubensbewußtsein in der ethischen Subjektivität, d. h. in der persönlichen Gewissensentscheidung des einzelnen Subjektes, so hat eine Explikation des christlichen Glaubensbewußtseins „auf dem Felde ethischer Subjektivität" 1 6 1 zu geschehen. „Um es genau zu beschreiben: die vom Glaubensgeheimnis durchgeformte und umgeformte ethische Subjektivität des Rechenschaft Gebenden sucht sich der 150 151 152 153 ,ί4 155 156 157 158 159 160 161

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. WuG, S. 66. Vgl. WuG, S. 67. Ebd. Vgl. WuG, S. 83. Vgl. WuG, S. 83f. WuG, S. 84. ChR II, S. 25. Vgl. WuG, S. 84f. WuG, S. 68.

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ethischen Subjektivität des andern auf freie menschliche Weise so zu vermitteln, daß diesem das dem Rechenschaft Gebenden innerlich bestimmend gewordene Heilige gegenwärtig wird. [...] Aber die Freiheit des andern, selber für seine Person zu entscheiden, je nach dem ihm innerlich Einleuchtenden sein Ja oder Nein zu sagen, ist und bleibt in jedem Fall das Lebenselement" 162 . Rechenschaft vom christlichen Wahrheitsbewußtsein geschieht somit als persönliche Rechenschaft, als Durchschreiten des Weges „welcher zu dieser Neuwerdung christlichen Denkens und Lebens hinleitet" 163 , d. h. sie geschieht als Rechenschaft über die Begegnung Gottes, die dem Menschen zur „Gewissensmacht" wird. Das schon im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein enthaltene Ahnen der Liebe Gottes wird in der Begegnung des Menschen Jesus von Nazareth zur Gewissensmacht des Menschen 164 . Gerade in der Begegnung mit Jesus von Nazareth wird eine menschlich-geschichtliche Wirklichkeit „zum Träger und Künder der göttlichen Güte in Sinn, Herz und Gewissen" 165 . In der Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth wird die Liebe Gottes durchsichtig 166 und zwar indem uns im Bild eines Menschen ein solches Gottesbewußtsein zutage tritt, das im Leiden Gott vertraut 167 . Auch abgesehen von Jesus wird Gott als schrankenlose Güte und Liebe geahnt, auch gibt es hier eine Ahnung und Erfahrung von Erlösung 168 . Doch vermag diese Ahnung nicht das Gewissen des Menschen allein zu bestimmen, sie vermag nicht, die Erfahrung der Schuld und des Verderbens mit sich zu vereinigen 169 . Dies gelingt erst in der Begegnung mit dem Menschen Jesus von Nazareth 170 . In der Begegnung mit ihm wird die Einsicht, daß Gott die schrankenlose Liebe und Güte ist, zur bestimmenden Gewissensmacht. So gilt beides für Hirsch: Auf der einen Seite wird Gottes schrankenlose Liebe und Güte nicht in Jesus von Nazareth konstituiert, vielmehr erscheint sie hier in einer Weise, daß sie den Menschen zur Gewissensmacht zu werden vermag. Damit kann aber auch positiv gesagt werden: Nur in Jesus von Nazareth vermag die schrankenlose Liebe und Güte dem Menschen zur Gewissensmacht zu werden 171 . 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171

W u G , S. 6 8 f. W u G , S. 7 0 . Vgl. ChR II, S. 2 1 . ChR II, S. 3 0 . Vgl. W u G , S. 1 2 1 . Vgl. ChR I, S. 60. Vgl. ChR II, S. 3 0 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChR II, S. 3 I f f .

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Von daher ist für Hirsch sowohl die objektive wie die subjektive Versöhnungstheorie eine mangelhafte Explikation dieses Erschließungsgeschehens. Gerade weil auch unabhängig von Jesus Gott als schrankenlose Liebe und Güte gewußt und der Versöhnungswille Gottes geahnt wird, sind die objektiven Versöhnungstheorien falsch 1 7 2 . Es gibt keine einst geschehene Versöhnung, die Versöhnung darf nicht in ein geschichtliches Ereignis verkehrt werden 173 . Auch abgesehen von Christus ist Gottes schrankenlose Güte und Liebe, seine Versöhnung, zu erfahren 1 7 4 . J a , der Versöhnungsglaube als Ahnung eines neuen menschlichen Seins ist die tiefste Einsicht des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und der hierin erhaltenen Gotteserkenntnis 1 7 5 . Aber auch eine subjektive Versöhnungstheorie, die die Erkenntnis, daß Gott die Liebe ist, zur allgemeingültigen ewigen Wahrheit erhebt, ist mangelhaft; denn sie bringt nicht zum Ausdruck, daß diese Liebe gerade in der Begegnung mit Christus zur Gewissensmacht wird 1 7 6 . In dem geschichtlichen Jesus von Nazareth ergreift eine andere Art menschlichen Seins das Gewissen des Subjektes. Wenn daher der Glaube in der Geschichte Jesu von Nazareth gründet, dann liegt in W o r t und Geschichte Jesu das entscheidende Interesse des Glaubens und seiner wissenschaftlichen Reflexion 1 7 7 . So ist auf die Geschichte Jesu und ihre Bedeutung zurückzugehen 178 . ,,[D]as Wesen des christlichen Glaubens ist für Hirsch in exklusiver Weise orientiert am Gottesverhältnis des Menschen Jesus von Nazareth" 1 7 9 . Einen Unterschied zwischen Paulus und Jesus kann Hirsch daher nicht gelten lassen: Paulus wiederholt zwar in seiner theologischen Reflexion nicht einfach die Geschichte Jesu, doch ist es das Wort und die Geschichte Jesu, die er neu zu durchdenken sucht 1 8 0 . Paulus vermittelt so das in Jesus von Nazareth neu erschienene Gottesbild 181 . Ist nach Hirsch wesentlich die geschichtliche Person Jesu von Nazareth Gegenstand des Glaubens, so werden sowohl die kirchliche Trinitätslehre 1 8 2 als auch die Zweinaturenlehre 1 8 3 von Hirsch mit großer Entschiedenheit verworfen. 172

Vgl. C h R II, S. 3 1 .

173

Vgl. ebd. Vgl. C h R II, S. 3 5 . Vgl. ebd. Vgl. C h R II, S. 3 1 . Vgl. C h R I, S. 5 4 . Vgl. ebd. Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs, S. 1 0 ; vgl. C h R I, S. 6 0 . Vgl. C h R I, S. 7 3 f . Vgl. C h R I, S. 8 0 . Vgl. u. a. C h R I, S. 1 1 1 . Vgl. u. a. C h R I, S. 1 1 5 .

174 175 176 177 178 179 180 181 182 183

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

5. Die ethische Subjektivität 5.1 Wider jeder apologetischen Methode Jede diastatische Entgegensetzung von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein wird daher von Hirsch im Ansatz abgelehnt: Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein und das christliche Glaubensbewußtsein sollen nach Hirsch nicht diastatisch auseinander treten und einen unauflöslichen Gegensatz bilden, sondern das christliche Glaubensbewußtsein ist so zur Darstellung zu bringen, daß es das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bejaht und aufnimmt 184 . Gerade aus diesem Grund lehnt Hirsch die pessimistische Deutung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins - etwa in Anlehnung an Spengler - ab. In seiner Explikation des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zieht Hirsch das heimliche Gottesbewußtsein des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins ans Licht 185 . Hirsch führt somit das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein zu seiner Tiefe, indem er gerade das heimliche Gottesbewußtsein des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins in den Lichtkegel treten läßt und somit die Offenheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins für den Glauben aufweist. So kann der christliche Glaube bei Hirsch auf das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bezogen werden als eine „Heimkehr [...], von der man auch im freien menschlichen Weltbewußtsein als der tiefsten Wurzel des eigenen Denkens und Lebens ein unerfülltes, sehnsüchtiges Ahnen schon hatte" 186 . Daher intendiert Hirsch, das christliche Glaubensbewußtsein und das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein zu verschmelzen·. Das christliche Glaubensbewußtsein muß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bejahen und aufnehmen. Der Theologe muß das Glaubensbewußtsein auf dem Boden des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins artikulieren, indem er die Bedingungen und Prämissen aufnimmt, um „als Glaubender wahrhaft der Mensch zu sein, der man ist" 187 . Hirsch beabsichtigt damit in keiner Weise, eine Begründung oder Rechtfertigung vor dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zu leisten, d. h. für Hirsch: er intendiert nicht, apologetisch zu verfahren 188 . Von der schon namhaft gemachten Einsicht aus, daß auch der 184 185 186 187 188

Vgl. ders., H a u p t f r a g e n christlicher Religionsphilosophie, S. 5. Vgl. W u G , S. 27. W u G , S. 28. ChR II, S. 172. Vgl. ChR I, S. 147.

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Christ und Dogmatiker Mensch ist, damit an dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein Anteil hat und ihm nicht fremd gegenübersteht, muß der Christ und Dogmatiker das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein als sein eigenes, als Macht in seinem Leben, nicht als eine gegenüberstehende Macht, durchsichtig machen 189 . So ist gerade das wirksame Verhältnis des Allgemein-Menschlichen zum Christlichen durchzureflektieren. Diese Analyse hat nach Hirsch zweckfrei zu geschehen, d. h. sie darf nicht in der Absicht geschehen, die Wahrheit oder Unwahrheit des christlichen Glaubens zu ermitteln, vielmehr geht es ausschließlich darum, das wahre Verhältnis von beiden durchsichtig zu machen 190 . Entscheidend ist dabei für Hirsch die Einsicht, daß nur das sich als Inhalt des Glaubens auszuweisen vermag, was dem allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtsein und seiner wissenschaftlichen Reflexion nicht widerspricht, sondern sich mit ihm ins Verhältnis setzen läßt 191 . Gerade aber weil Gott der Gott aller Wahrheit ist, muß sich beides vereinigen lassen: Erst ein dem Christlichen geöffnetes menschliches Wahrheitsbewußtsein ist wahrhaft menschlich, erst ein dem Menschlichen eröffnetes christliches Wahrheitsbewußtsein ist wahrhaft christlich192. Drückt das Wort Humanum „das Recht des Menschlichen, sich unabhängig von christlichen Voraussetzungen über seine Gottes- und Selbsterkenntnis zu besinnen und das Christliche von dem Ergebnis dieser Besinnung aus zu verstehen und zu beurteilen" 193 , aus, so kann das Christliche sich nicht gegen das Humane in irgendeinem Sinn verteidigen wollen 194 . Eine wie auch immer geartete Zweckbestimmung ist somit von Hirsch verworfen zugunsten der Klarheit und Durchsichtigkeit der christlichen Rechenschaft 195 . Daher ist für Hirsch auch die Behauptung, das christliche Wahrheitsbewußtsein knüpfe an das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein an, eine Unterbestimmung des Verhältnisses von Humanem und Christlichem. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist für Hirsch die bestimmende Macht auch des christlichen Glaubensbewußtseins. Ist aber das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die bestimmende Macht des Menschen - und auch des Christen - so steht es dem christlichen Glaubensbewußtsein nicht gegenüber, sondern ist als bestimmende Macht im Leben des Glaubenden lediglich

189 190 1,1 192 193 194 195

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. ChR Vgl. Vgl.

ebd. ChR ChR ChR I, S. ebd. ebd.

I, S. 147f. I, S. 149ff. I, S. 149. 150.

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durchsichtig zu machen, so daß einsichtig wird, wie das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein auch das christliche Glaubensbewußtsein bestimmt. So dürfen nach Hirsch Zwielicht und Krise des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins nicht in dem Sinne apologetisch mißbraucht werden, daß sie zum „Sprungbrett" für das christliche Glaubensbewußtsein werden196. Der Glaubende knüpft nicht an das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein an, sondern als Konstituens des Menschlichen ist das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die gestaltende Kraft der Explikation des christlichen Glaubensbewußtseins. Das christliche Glaubensbewußtsein darf nach Hirsch somit nicht als etwas Fremdes zur Sprache gebracht werden 197 ; denn das Verständnis der Offenbarung darf nicht intellektualistisch eingeengt werden198. Gegen ein intellektualistisches Verständnis von Offenbarung betont Hirsch, daß Jesus von Nazareth nicht eine neue Lehre bringt, sondern das „in der Innerlichkeit uns bestimmende Urbild des Menschseins unseres Lebens bei Gott" 1 9 9 ist: Jesus ist der ,,Herr[] unserer Innerlichkeit" 200 . Und er ist Herr unserer Innerlichkeit, indem seine Art, im Durchleiden der Widersprüche des Daseins auf Gott zu vertrauen, unsere Herzen bewegt und bestimmt 201 . Die Einigung zwischen dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein und dem christlichen Glaubensbewußtsein kommt daher nach Hirsch gerade nicht in der intellektuellen Reflexion zustande, weil der Glaube als „Gewissensmacht" jenseits einer rein intellektuellen Reflexion zu stehen kommt. Die Vermittlung geschieht so wesentlich in der ethischen Existenz des Menschen, dem in der Begegnung mit Jesus von Nazareth die Güte und Liebe Gottes zur Gewissensmacht geworden ist. Diese Güte und Liebe Gottes, der sich der Glaubende gewiß ist, löst nicht die Widersprüchlichkeiten des Daseins auf, sondern der Glaubende durchlebt die Widersprüchlichkeiten des Daseins. Der christliche Glaube führt daher nicht zu einer Erkenntnis der tieferen Zusammenhänge, zu einer Lösung des Zwiespaltes des Lebens, sondern der Glaubende weiß sich 196 197 198

199 200 201

Vgl. W u G , S. 5 8 . Vgl. C h R II, S. 5 2 . Vgl. ebd. - An diesem Punkt markiert Hirsch daher auch seinen Unterschied zu Hegel, der - so Hirsch - das Offenbarungsgeschehen unter dem Aspekt des Wirklichkeitwerdens des Geistes betrachtet, die persönliche Ergriffenheit des Subjektes aber unterbestimmt (vgl. ders., Die idealistische Philosophie und das Christentum, S. 112ff). C h R II, S. 5 6 . C h R II, S. 6 1 . Vgl. Teil 2 : K a p . 1.5.3.

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gefangen von der „Überschwenglichkeit der Liebe Gottes" 202 . Die Einigung von allgemein-menschlicher und christlicher Wahrheit geschieht somit in der ethischen Existenz als Einigung des christlichen Lebens mit dem menschlichen Leben, und dies bedeutet: als Explikation des christlichen Lebens als eines wahrhaft menschlichen Lebens 203 . Mit anderen Worten: In der dogmatischen Konzeption Hirschs, in der auf der einen Seite die Einigung des christlichen Glaubensbewußtseins mit dem menschlichen Wahrheitsbewußtsein intendiert wird, auf der anderen Seite der Glaube als Gewissensmacht gerade nicht als eine intellektuelle Anschauung gedeutet wird, die Einigung mithin nicht in der Form einer rationallogischen Harmonisierung verläuft, sondern in der Form gelebter Existenz, gehört die ethische Reflexion notwendig in die Dogmatik, als ihr Höhepunkt, d. h. als die Einlösung der gestellten Aufgabe. Soll die Vereinigung des Menschlichen mit dem Christlichen auf dem Boden der ethischen Existenz geschehen, so muß die Ethik gerade zeigen, daß ,,[c]hristliche ethische Existenz [...] Menschsein im Glauben [ist], d. h. Menschsein, das aus Gottes Liebe darin gegründet ist, wahrhaft es selbst zu sein" 204 . Der Glaube widerstreitet so dem Zweifel des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins nicht, sondern nimmt den Zweifel bestätigend auP 05 . So sind im Christen Zweifel und Glaube persönlich lebendig 206 , gerade so erweist sich der Glaubende als Christ und als Mensch 207 .

5.2 Das „Gotterleiden" als Kraft des Glaubens Nicht die Verständigkeit ist somit Kraft des Glaubens, sondern das Gotterleiden, „das sich den Händen Gottes übergeben weiß, in diesem Übergebensein Freud und Leid, Sinnhaftigkeit und Grauen, Ausweitung und Begrenzung nimmt" 208 . „Das Ziel des Lebens [...] besteht darin, im Leiden zu bestehen, im Kampf gegen sich und im Ringen mit Gott das Leiden überwunden zu fühlen" 209 . Der Glaube entnimmt den Menschen nicht der Negativität des Lebens 210 , vielmehr gibt es nach Hirsch „nur 202 203 204 205 206 207 208 209 210

Hirsch, Grundlegung der christlichen Geschichtsphilosophie, S. 35. Vgl. ChR II, S. 174ff. ChR II, S. 184. Vgl. Zweifel und Glaube, S. 37. Vgl. a. a. O., S. 49. Vgl. a. a. O., S. 37. ChR II, S. 320. Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und Dogmatik, S. 316. Vgl. ChR II, S. 321.

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eine ethisch-religiöse Möglichkeit, Glück und Unglück, wie sie sich uns in unserm Alltagsleben machen, zu erleben: das schweigend, anbetende Gotterleiden"211. Dieses Gotterleiden sucht nicht nach einer Erklärung der Negativität des Daseins, es verweigert sich der Sinndeutung im Einzelnen 212 . Vielmehr nimmt ein solcher Glaube alles, was geschieht, als Gottes Fügung hin und erkennt in allem, was gefügt ist, Gottes Ruf, für den Menschen dazusein 213 . Gerade in der Deutung der Negativität des Daseins als Fügung Gottes besitzt der Glaube wohl eine Sinndeutung des Lebensganzen, nicht aber eine Sinndeutung von bestimmten einzelnen Gegebenheiten 214 . Als „bejahtes Gotterleiden" ist der Glaube ein Vertrauen, das sich in dem bewährt, was zu Leiden und Tun dem Menschen gefügt ist 215 . Urbildhaft tritt das bejahte Gotterleiden in dem Menschen Jesus von Nazareth zur Erscheinung, so daß es die Innerlichkeit der Person ergreift 216 . Er hat das bejahte Gotterleiden durchlebt bis in den Tod 217 . Und als Urbild, das das „bejahte Gotterleiden" in seiner reinsten Gestalt präsentiert, nimmt er uns nicht heraus aus dem Gotterleiden 218 , sondern macht es uns gegenwärtig 219 . Dieses Jesusbild wird nach Hirsch gerade in der Reformation deutlich herausgestellt: Jesus als der wahrhafte urbildliche Mensch, der bis zu seinem Tode im bejahten Gotterleiden Gott ganz ergeben war 220 . Gerade im Gang Jesu ans Kreuz - so Hirsch - wird dieses Gotterleiden in seiner urbildlichen Vollkommenheit 221 deutlich. Durch das in der Innerlichkeit des Subjektes präsente Urbild des Menschen Jesu von Nazareth wird dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein „eine neue Seele" 222 eingehaucht. Gerade durch die Hingabe des Herzens an das urbildliche Durchleiden Jesu von Nazareth wird das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein „mit neue[m] Tiefensinn durchprägt" 2 2 3 . Indem die in der Subjektivität wurzelnde persönliche Gewißheit das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein

211 212 213 2,4 215 216 217 218 2,9 220 221 222 223

ChR II, S. 322. Vgl. ChR II, S. 322f. Vgl. ChR II, S. 323. Vgl. ebd. Vgl. ChR II, S. 143. Vgl. u. a. ChR I, S. 60. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChR I, S. 132. Vgl. ebd. Vgl. ChR I, S. 133. WuG, S. 66. Ebd.

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durchströmt, wird das menschliche Leben wahrhaft menschlich 224 . „Indem ein die Gegenwart Gottes im persönlichen Sein erlebender Sinn sich in die vom Schaffen des Ewigen geforderten allgemeinen Inhalte echt menschlicher Gemeinschaft hineinwebt, wird das äußere, sachgebundene Tun und Denken auch Gefäß von etwas Tieferem" 225 . Soll daher - wie von Hirsch gefordert - die Rechenschaft des christlichen Glaubensbewußtseins auf dem Felde der ethischen Subjektivität geschehen, so bedeutet dies nichts anderes, als daß die durch die Begegnung des Menschen Jesu von Nazareth umgeformte ethische Subjektivität von dieser Umformung Rechenschaft gibt, so daß das den Glaubenden in seiner Innerlichkeit Bestimmende gegenwärtig wird 226 . Gerade aus diesem Grund kann christliche Rechenschaft nur in der Gestalt der persönlichen Rechenschaft geschehen, als Durchschreiten des Weges, „welcher zu dieser Neuwerdung christlichen Denkens und Lebens hinleitet" 227 . Aussagen des christlichen Glaubensbewußtseins sind somit Aussagen unserer Innerlichkeit 228 , insofern Gottes Offenbarwerden als „eine in personhafter Innerlichkeit sich vollziehende menschliche Lebendigkeit" 229 geschieht. Die im allgemeinen-menschlichen Wahrheitsbewußtsein aufgegangenen Spannungen werden durch den christlichen Glauben nicht gelöst. Nur aufgrund eines Mißverständnisses hinsichtlich des Charakters des christlichen Glaubensbewußtseins kann versucht werden, diese Spannung zu nivellieren, oder sie zu übersehen 230 . Der Versuch von der christlichen Glaubenswahrheit aus die Rätsel des allgemein-menschlichen Weltbewußtseins aufzulösen, bezeichnet Hirsch als einen Wahn 2 3 1 . Die Zwiegestalt des allgemein-menschlichen Weltbewußtseins darf nicht vom christlichen Glaubensbewußtsein aufgelöst werden, sondern muß nachgebildet werden 232 . Nur Kraft der Innerlichkeit des glaubenden Subjektes, nur im Gotterleiden werden die widerstreitenden Züge zusammengeschlossen 233 . Dies bedeutet aber einen Verzicht darauf, „das Dunkle der unser Dasein umwallenden Fragen zu vernichten durch Kindermärchen und Begriffsgespinste" 234 . Indem die urbildliche Vollkommenheit Christi 224 225 226 227 228 229 230 2,1 232 233 234

Vgl. WuG, S. Ebd. Vgl. WuG, S. WuG, S. 70. Vgl. WuG, S. WuG, S. 84. Vgl. WuG, S. Vgl. WuG, S. Vgl. WuG, S. Vgl. WuG, S. WuG, S. 1 1 3 .

67. 68f. 83. 97. 112. 113. 98f.

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die Innerlichkeit des Subjektes als ein „uns ins Herz hineinleuchtendes Wunderlicht" 2 3 5 ergreift und umgestaltet, ist der Sinn des Lebens erschlossen, der die allgemein-menschliche Wahrheit durchleuchtet 236 .

5.3 Das Gotterleiden in Schöpfung und Sünde Die in der Begegnung mit Jesus von Nazareth zur Gewissensmacht werdende Liebe Gottes wird in die Vernünftigkeit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins „eingeschmolzen" 237 . Vom Glauben aus erwächst der Vernunft Antrieb und Kraft 238 , das irdisch-menschliche Dasein wird so zur Stätte des Gottesdienstes 239 . Elemente des natürlich geschichtlichen Daseins 240 , der Stätte des Gottesdienstes, sind die Sünde und die Schöpfung. Erfährt sich der Mensch in seiner Lebendigkeit und seiner Freiheit als Schöpfung Gottes 241 , so erfährt sich der Mensch als sündig, indem er gewahr wird, daß seine Angst und Gier Elemente seiner - kreatürlichen - Freiheit sind 242 . Als notwendiges Element geschöpflicher Freiheit leitet sich die Sünde bei Hirsch somit von der kreatürlichen Grundbefindlichkeit des Menschen ab 243 . Gerade indem uns Gott aber in den Zwiespalt von Schöpfung und Sünde stellt, erweist Gott uns seine Gnade, denn durch diese Unruhe werden wir zu Wartenden auf eine Versöhnung, in der der Zwiespalt von Schöpfung und Sünde überwunden wird 244 . In der Begegnung mit Christus in unserer Innerlichkeit wird uns ein neues Ziel gesetzt, wir werden zu einer neuen Bewegung überführt 2 4 5 . In dieser neuen Bewegung werden wir - so Hirsch - geführt durch das Rätsel von Schöpfung und Sünde hindurch 246 , die Gegensätze von Schöpfung und Sünde werden auf das neue Ziel hin überspannt 247 . 235 236 237 238 239 240

241 242 243

244

245 246 247

W u G , S. 99. Vgl. W u G , S. 113. Ders., Das Wesen des reformatorischen Christentums, S. 222. Vgl. a. a. O., S. 235. Vgl. a. a. O., S. 232. Vgl. ders., Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen, S. 11. Vgl. a. a. O., S. 24. Vgl. a. a. O., S. 30. Vgl. ebenso: Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 104. Vgl. Hirsch, Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen Menschen, S. 38. Vgl. a. a. O., S. 42. Vgl. a. a. O., S. 43. Vgl. a. a. O., S. 50.

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Die in der kreatürlichen Freiheit wurzelnde Sündigkeit wird als „zu vernichtende Grenze" 2 4 8 , als „die zu vernichtende Grenze unseres Lebens mit Gott" 2 4 9 erkannt. Schöpfung und Sünde hören auf dasselbe zu sein und werden erkannt als zwei gegeneinander liegende, zur Unterscheidung voneinander bestimmte Wirklichkeiten. Die Sünde erscheint als Grenze, die es zu überwinden gilt 250 . So ist es der Glaube, der den Menschen befähigt, Sünde und Schöpfung zu scheiden 251 ; das schicksalhafte Gegebensein des Daseins - die Welt als Schöpfung und Sünde muß der Mensch durchleben252. Das kreatürliche Leben ist von Gott bestimmt als „Entscheidungsleben", schon in seiner schöpferischen Absicht zielt Gott „auf den Entscheidungskampf zwischen Gut und Böse hin" 2 5 3 . Von daher kann das Böse nicht als gegen Gottes Willen gedacht werden, vielmehr ist es „mitgedacht und mitgewirkt in seinem großen Plan" 2 5 4 . Die nicht aufzulösende Frage, warum Gott diesen Umweg geht über das Böse, um sein Reich zu bauen, wird von Hirsch umgewandelt in „eine aufrichtige Anbetung des wunderbaren Herrn der Geschichte" 2 5 5 . Der christliche Glaube führt daher nicht zu einer Erkenntnis der tieferen Zusammenhänge, zu einer Lösung des Zwiespaltes des Lebens, sondern der Glaubende weiß sich gefangen von der „Überschwenglichkeit der Liebe Gottes" 2 5 6 . Er ist sich gewiß, „daß alle Dinge sind von Ihm, durch Ihn, zu Ihm" 2 5 7 .

6. Rückzug auf die Innerlichkeit 6.1 Die Prämissen der Theologie Hirschs Um sich in den Strom des gegenwärtigen Lebens hineinzustellen, beabsichtigt Hirsch, dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, d. h. der aus der (autonomen) Vernunft des Menschen stammenden Welt- und 248 249 250

251

252 253 254 255 256 257

A. a. O . , S. 5 3 . Ebd. Vgl. a. a. O . , S. 5 7 . - „ M a n könnte spitz formulieren: Die Schöpfung bedarf der Sündigkeit, aber darin wird sie nach ihrer tiefsten Bestimmung zugleich v e r n e i n t " (Böbel, Menschliche und christliche W a h r h e i t bei Emanuel H i r s c h , S. 1 0 5 ) . Vgl. Hirsch, Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des einzelnen M e n s c h e n , S. 5 9 . Vgl. C h R II, S. 1 9 6 . Ders., Grundlegung der christlichen Geschichtsphilosophie, S. 3 3 . A. a. O . , S. 3 4 . Ebd. A. a. O . , S. 3 5 . Ebd.

268

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Selbsterkenntnis, mit der Forderung Rechnung zu tragen, daß Christentum und Theologie ihre Wahrheit auf dem Boden des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zur Geltung bringen müssen. Eine Explikation des christlichen Glaubensbewußtseins auf dem Boden des allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtseins bedeutet für Hirsch, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die Bedingungen vorgibt, unter denen der christlichen Glaube überhaupt Geltung beanspruchen kann. Gefordert wird somit von Hirsch nicht weniger, als eine Religion innerhalb der Grenzen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, genauer: innerhalb der Grenzen der autonomen Vernunft. Mit diesem Programm von Hirsch ist nicht wenig beansprucht: Hirsch intendiert, den christlichen Glauben in Einklang mit dem modernen Denken, d. h. mit der - gegenüber dem Glauben - autonom gewordenen Vernunft, zu artikulieren und sich somit „vorbehaltlos unter die Denkbedingungen neuzeitlich-aufgeklärter Kritik zu stellen" 258 . Ist aber das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die bestimmende Macht des Menschen - und auch des Christen so steht es dem christlichen Glaubensbewußtsein nicht gegenüber, sondern ist lediglich als bestimmende Macht im Leben des Glaubenden durchsichtig zu machen, so daß einsichtig wird, wie das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein auch das christliche Glaubensbewußtsein bestimmt. Der den christlichen Glauben wissenschaftlich explizierende Theologe hat so zu zeigen, wie christliches Glaubensbewußtsein und allgemein-menschliches Wahrheitsbewußtsein im Leben des Christen geeint sind. Diese Einigung erzielt Hirsch, indem er das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein von seiner atheistischen Verflachung befreit und bis zu seiner höchsten Ahnung führt: Gott erscheint als Grund und Grenze der menschlichen Freiheit, als Erkenntnisquelle und zugleich als der der menschlichen Erkenntnis Entzogene; Gott erscheint somit als der, der den Menschen erhebt und als der, der ihn vernichtet. So postuliert das seiner antinomischen Gotteserfahrung inne gewordene Subjekt, daß Gott die vergebende Liebe sein muß. Hat Hirsch so die inhaltliche Harmonie zwischen allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein aufgewiesen, so erblickt er das Spezificum des christlichen Glaubens lediglich in der Erkenntnisari: Die dem allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtsein in seiner Tiefe aufgegangene Einsicht, daß Gott die vergebende Liebe sein muß, vermag innerhalb des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins nicht zur religiösen Gewißheit zu werden, weil es die Herzen der Menschen nicht zu ergreifen vermag. Genau an diesem Punkt zeigt sich nach Hirsch der leere Platz, 258

Ringleben, V o r w o r t zu Christentumsgeschichte und Wahrheitsbewußtsein, S. V .

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den das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein für den Glauben gelassen hat: Er besteht gerade darin, daß nur innerhalb des Glaubens die höchste Einsicht der allgemein-menschlichen Vernunft zur persönlichen Gewißheit zu werden vermag. Genauer: In der Begegnung mit dem Menschen Jesus von Nazareth wird die Ahnung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zur Gewissensmacht, weil hier in einer menschlich-persönlichen Begegnung das Herz der Person ergriffen wird. Im christlichen Glaubensbewußtsein ist somit das Postulat des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins zur religiösen Gewißheit geworden, sein Inhalt liegt dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein schon zugrunde; genuin ist dem christlichen Wahrheitsbewußtsein ausschließlich seine Form, d. h. die persönliche Gewißheit 259 . Kann man nur unter der Bedingung von einem eigenen Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins sprechen, „wenn sein Gehalt für das nichtchristliche Wahrheitsbewußtsein informativ ist" 2 6 0 , so ist die Eigenständigkeit des Gehaltes des christlichen Glaubens bei Hirsch bestritten: nicht der Inhalt der Erkenntnis ist das Spezificum des Glaubens, sondern seine bestimmte Erkenntnisari. Damit hat im Bereich der Erkenntnis das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ausschließliche Geltung 261 . Der Unterschied zwischen allgemein-menschlicher und christlicher Gotteserkenntnis „besteht nicht in einer Expansion der Erkenntnisse, sondern in einer Intensivierung der vorhandenen" 262 . Hirschs Vereinigung von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein geschieht somit zum einen, indem das christliche Glaubensbewußtsein als persönliche Gewißheit des 259

260 261

262

Auf diesen Sachverhalt weist a u c h Hentschel hin: Der Unterschied zwischen christlichem Glaubensbewußtsein und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein liegt nicht in dem Erkenntnisgegenstand, sondern in der „ E r k e n n t n i s a r t " (ders., Gewissenstheorie als Ethik und D o g m a t i k , S. 2 4 0 ) , so daß das christliche G l a u bensbewußtsein gar „keinen gegen h u m a n e s religiöses Wahrheitsbewußtsein eigenen Inhalt h a t " (a. a. O . , S. 2 4 1 ) . H e r m s , Emanuel Hirsch - zu Unrecht vergessen?, S. 4 4 . So zu Recht Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 8 7 . - „Ein Konflikt zwischen G l a u b e und Wissenschaft ist an der Wurzel dadurch abgeschnitten, d a ß beide auf zwei sich nicht stoßende Ebenen beheimatet werden. Die Gegenständlichkeit der Wissenschaft kann die Ungegenständlichkeit der Innerlichkeit nicht in Frage stellen, wie hinwiederum letztere kein Interesse und auch keine Vollmacht hat, ersterer hineinzureden und sie gar zu k o r r i g i e r e n " (ebd.). A. a. O., S. 1 2 0 . - Z u Recht wird daher gegen Hirsch d a r a n erinnert, d a ß im N e u e n T e s t a m e n t den M ä c h t e n der Geschichte d a s Evangelium gepredigt wird (vgl. H e r m s , Emanuel Hirsch - zu Unrecht vergessen?, S. 4 7 ; Geiger, Geschichtsmächte oder Evangelium?, S. 6 5 ) .

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

höchsten Postulates des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins gefaßt wird (und damit der Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein eingegründet wird), zum andern, indem die Besonderheit des Glaubens in seine Innerlichkeit, mithin in seine bestimmte Form, verlegt wird 263 . Indem der Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins aber auf diese Weise in das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein eingegründet wird, eine Unterscheidung lediglich in der Form der Erkenntnisart markiert wird, wird dem christlichen Glauben jeder exklusive Inhalt, dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein jede gewißheitsbildende Fähigkeit abgesprochen. Die Einigung von allgemein-menschlichem und christlichem Wahrheitsbewußtsein beinhaltet somit zwei Prämissen. Zum einen wird das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein als religiös neutral aufgefaßt: Die persönliche Gewißheit des Subjektes ist die freie Stätte innerhalb des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein beinhaltet keine religiöse Gewißheit, es ist lebensanschaulich neutral. Hirsch unterscheidet mit dem Anspruch, dem Sinn der lutherischen Zwei-Reiche Lehre Rechnung zu tragen264 - terminologisch zwischen Weltanschauung und der in der Innerlichkeit der Person wurzelnden persönlichen Gewißheit: dem Glauben (den er auch - im Unterschied zur Weltanschauung - Lebensanschauung265 nennen kann) 266 . Die Weltanschauung wird von Hirsch als Ausdruck des allgemein-menschlichen Weltbewußtseins bestimmt. Gemäß der Unterscheidung von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und persönlicher Gewißheit gilt daher: Die Weltanschauung enthält keine persönliche Gewißheit 267 , die persönliche Gewißheit keine Weltanschauung268. So wie der Glaube in das geschöpfliche Dasein als Kraft der Innerlichkeit strömt, so strömt er auch in die gemeinsame Weltanschauung269. Die persönliche Gewißheit des Subjektes, die private Innerlichkeit, ist der leere Platz innerhalb des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins; das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein - und hierin liegt die entscheidende Prämisse Hirschs - prägt keineswegs die Gewißheit des Subjektes, es ist lebensanschaulich neutral. Gerade so ist

263

264 265 266 267 268 269

Ähnlich argumentiert auch Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 169f. Vgl. Hirsch, Zweifel und Glaube, S. 5 8 . Vgl. ders., Kreuzesglaube und politische Bildung, S. 64ff. Vgl. u. a. ders., Zweifel und Glaube, S. 6 2 . Vgl. ders., Kreuzesglaube und politische Bildung, S. 67. Vgl. ders., Drei Thesen, S. 81. Vgl. ders., Zweifel und Glaube, S. 5 6 .

Apologetik als obsoletes Unternehmen

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das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein offen für die Einwirkung und die gestaltende Kraft der Lebensanschauung des Glaubens 2 7 0 , weil es auf dem Gebiet der Lebensanschauung nicht mit dem Glauben konkurriert. Z.um anderen wird Gottes vergebende Liebe als Postulat des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins aufgefaßt: Ist aber die vergebende Liebe Gottes schon das Postulat des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, bietet damit das christliche Glaubensbewußtsein gegenüber dem allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein keine neue Aussage 271 , so daß das Spezificum des Glaubens lediglich in der Form, der persönlichen Gewißheit (genauer: in der persönlichen Gewißheit um das Wahrsein des Postulats des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins) besteht, so kann in Jesus von Nazareth Gottes vergebende Liebe keinesfalls allererst konstituiert werden, vielmehr tritt in Jesus von Nazareth ein Mensch vor unsere Augen, dessen Beziehung zu Gott uns wahres (urbildliches) Sein präsentiert 272 . Es darf daher nach Hirsch keinesfalls übersehen werden, daß auch abgesehen von der geschichtlichen Erscheinung Jesu von Nazareth Gottes vergebende Liebe im allgemeinmenschlichen Wahrheitsbewußtsein postuliert wird, wenn und auch nur in Jesus von Nazareth Gottes schrankenlose Liebe zur Gewissensmacht zu werden vermag. Die Versöhnung darf nach Hirsch daher keinesfalls als geschichtliches Ereignis begriffen werden, das einst geschehen ist. Insofern aber in dem Menschen Jesus von Nazareth in urbildlicher Vollkommenheit das wahre Gottesverhältnis präsentiert wird, ist die - schon im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein erkannte - vergebende Liebe Gottes an Jesus von Nazareth als Ort ihres vollkommenen Sichtbarwerdens gebunden, um das Gewissen des Menschen zu ergreifen und umzuformen.

6.2 Die Problematik Gemäß der Hauptprämissen der Theologie Hirschs besteht der Unterschied zwischen allgemein-menschlicher und christlicher Gotteserkenntnis somit „nicht in einer Expansion der Erkenntnisse, sondern in einer Intensivierung der vorhandenen" 2 7 3 . Hat im Bereich der Erkenntnis die menschliche Erkenntnis ausschließliche Geltung, so ist das christliche 270 271 272

273

Vgl. ders., Drei Thesen, bes. S. 8 1 . So auch Herms, Emanuel Hirsch — zu Unrecht vergessen?, S. 4 0 . Dies erkennt auch Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 127ff. A. a. O., S. 1 2 0 .

111

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Glaubensbewußtsein nach Hirsch keinesfalls informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein. Nun ist zu Recht auf die mangelnde Faszination eines solchen Offenbarungsverständnisses hingewiesen worden. Wenn das christliche Wahrheitsbewußtsein nur redundant ist, keine Informationskraft besitzt, so fragt Herms scharf: ,,[W]arum aber sollte dann überhaupt noch jemand hinhören, wenn es sich äußert?" 274 . Ganz ähnlich urteilt auch Böbel: „Eine Offenbarungsreligion muß, um zu faszinieren, im Gleichgewicht von Heterogenität und Homogenität im Verhältnis zum allgemein-menschlichen Bereich ruhen. [...] [E]ine rein homogene Offenbarung ist ohne Geheimnis und damit selbstverständlich und reizlos" 275 . Ist nun das christliche Glaubensbewußtsein nicht informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein und liegt hierin der Grund für die beklagte Reizlosigkeit der Offenbarung, so ist ebenfalls nicht unbeobachtet geblieben, daß bei Hirsch „die kritische Funktion [...], die das Evangelium am vorgegebenen menschlichen Selbstverständnis übt" 2 7 6 lahm gelegt wird 277 . Nun zeigte sich bereits, daß dies der Preis ist, den Hirsch für die Einigung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein zahlt, insofern es die Konsequenz seiner entscheidenden Prämissen, der Bestreitung der gewißheitsbildenden Macht (anders: der Behauptung der religiösen Neutralität) des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und der Bestreitung des eigenständigen Gehaltes des christlichen Glaubensbewußtsein, ist. Es gilt

274 275

276 277

Herms, Emanuel Hirsch - zu Unrecht vergessen, S. 4 4 . Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 1 7 1 . - Die persönliche Gewißheit des Glaubenden - so Herms - muß notwendig ein Außeres besitzen, zu dem sie sich affirmativ verhält: „Es muß ja ein Äußerliches gegeben sein, an dem sie sich entzünden und auf das sie sich richten kann. Folglich ist eine Theorie gläubiger Innerlichkeit abstrakt, ja selbstwidersprüchlich, wenn sie nicht selbst einen Begriff der für diese Innerlichkeit wesentlichen, unverzichtbaren Äußerlichkeit einschließt" (ders., Emanuel Hirsch - zu Unrecht vergessen?, S. 4 5 ) . Ein solches Äußeres jedoch - so Herms - ist bei Hirsch nicht zu entdecken. Zwar ist - so gesteht Herms ein - für Hirsch aus dem Konstitutionsprozeß der christlichen Innerlichkeit der Mensch Jesus nicht wegzudenken. „Aber: sogar dieses Äußere kommt für Hirsch nur als eine Ausdrucksgestalt von Innerlichkeit in Betracht, das im Prozeß der Konstitution der christlichen Innerlichkeit verschwindet zugunsten einer wiederum rein innerlichen Wirklichkeit, die sie erst eigentlich begründet; das ist: das Gottesverhältnis des Menschen Jesus. Das aber heißt: ein bestimmtes Äußeres, welches als solches der christlichen Innerlichkeit durch den Prozeß ihrer eigenen Konstitution verbindlich gemacht würde, gibt es für Hirsch nicht" (a. a. O., S. 46). Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 1 6 9 . Vgl. auch Geiger, Geschichtsmächte oder Evangelium?, S. 75.

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daher zu fragen, ob das christliche Glaubensbewußtsein notwendig auch informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist und ob das christliche Glaubensbewußtsein notwendig eine kritische Funktion für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein besitzt. Es gilt daher, die beiden entscheidenden Prämissen Hirschs daraufhin zu befragen, ob Hirschs Prämissen es vermögen, dem Gehalt des christlichen Glaubens treu zu bleiben 2 7 8 und der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes Rechnung zu tragen. 6 . 2 . 1 Religiöse Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins ? Um einen Widerspruch zwischen dem christlichen Glaubensbewußtsein und dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein auszuschalten, geht Hirsch von der religiösen Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins aus. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein beinhaltet nach Hirsch keine religiöse Gewißheit, es ist lebensanschaulich neutral. Gerade weil das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein lebensanschaulich neutral ist, hält es den Platz für die christliche Lebensanschauung offen. Wird aber - so gilt es kritisch gegen Hirsch zu fragen - dem allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein noch sein Ernst belassen, wenn seine gewißheitsbildende M a c h t nicht ernst genommen wird? Konkret: Wird der sündhaften Entfremdung des

allgemein-menschlichen die gewißheitsbildende

Wahrheitsbewußtseins ihr Ernst belassen, wenn Kraft der Sünde nicht ernst genommen wird?

Durchaus zuzustimmen ist Hirsch gerade darin, daß er das christliche Glaubensbewußtsein als Gewißheit zu beschreiben intendiert, die als Lebensgewißheit das Sein des Menschen in der Welt bestimmt und prägt. Nicht zuletzt von Herms ist dieser Gedanke aufgegriffen und als gut reformatorisch einsichtig gemacht worden: „Luther begreift das Gnadenhandeln Gottes als ein Handeln, daß Gewißheit schafft"279. So gilt, „daß die geistliche Erschließung von Sinn und Wahrheit der Kreuzesbotschaft den Menschen mit genau derjenigen Selbstgewißheit coram deo [...], mit derjenigen Affektgestalt [...] und schließlich mit derjenigen Wollensmöglichkeit [...] versieht, die einem Heiligen eignet, also den Menschen zum Heiligen macht"im. Steht Herms insofern in der von Hirsch fortgesetzten reformatorischen Tradition, so modifiziert Herms den Ansatz Hirschs jedoch dahin entscheidend, daß er deutlich macht, daß das Wirken des Geistes nicht als erstmalige Setzung von personaler Selbst278 279 280

So auch: Geiger, a. a. O., S. 67. Herms, Luther und Freud, S. 113. Ders., Luthers Auslegung des Dritten Artikels, S. 7 3 .

274

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

gewißheit gedacht werden darf 281 . „Denn sie muß ja gedacht werden als Ersetzung einer ihr vorangehenden, inhaltlich andersgearteten (irrigen) Selbstgewißheit coram deo. Und diese Bezugnahme auf eine andere, ihr vorangehende Selbstgewißheit ist für ihr Geschehen und ihre Eigenart wesentlich; denn die durch die geistliche Bewährung der Kreuzesbotschaft bestimmte Selbstgewißheit coram deo ist eben das Werk der der Sünde entgegenwirkenden Gnade und nicht Natur"2*2. So ersetzt Herms zu Recht die Alternative zwischen einer lebensanschaulichen Neutralität und der christlichen Gewißheit durch die reformatorische Alternative zwischen Glaube und Unglaube, d. h. der Alternative „liebend auf den ,wahren einigen Gott' bezogen zu sein oder einen Götzen" 283 . Der Mensch ist somit in der grundsätzlichen Alternative zwischen der wahren Gewißheit und der trügerischen Gewißheit als „das Wesen zwischen der Erscheinung der Wahrheit und gespenstischem Trug" 2 8 4 . Es ist deutlich, daß Hirschs Behauptung der religiösen Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins der sündhaften Entfremdung des Menschen nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt, genauer: der Feindschaft des Menschen zu Gott! Ist die Sünde als Bruch der Gottesbeziehung, als Feindschaft des Menschen wider den Grund des Seins zu verstehen, d. h. als - kontingenter - Widerspruch des Menschen zu der von Gott intendierten und ursprünglichen Gottesbeziehung, so bewegt sich der Mensch in der sündhaften Entfremdung nicht in einer Neutralität zu Gott, sondern im faktischen Widerspruch gegen Gott im Unglauben. Die Sünde ist Feindschaft des Menschen zu Gott; das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein artikuliert sich - als der sündhaften Entfremdung unterworfen - im Widerspruch gegen Gott. Das Problem bei Hirsch besteht somit gerade darin, daß er die Sünde nicht als strukturelle Verkehrung faßt, sondern als Charakteristikum der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Kreatürlichkeit des Menschen. So gerät die Sünde als faktischer Widerspruch des Menschen gegen Gott bei Hirsch aus dem Blick. Wird die Sünde - wie dies bei Hirsch der Fall ist - auf Gottes schöpferischen Willen zurückgeführt, so kann sie nicht als faktischer Widerspruch gegen Gott zur Geltung gebracht werden, will man nicht den faktischen Widerspruch gegen Gott als schöpferische Intention Gottes betrachten. Hirsch sieht die Sünde im schöpferischen Willen Gottes begründet als die zu vernichtende Grenze, als eine schicksalhafte Gegebenheit, die es zu durchleben gilt. Die Sünde 281 282 283 284

Vgl. a. a. O., S. 71. Ebd. A. a. O., S. 70. Ders., Luther und Freud, S. 115.

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wird somit nicht als faktischer Widerspruch gegen Gott, als Unglaube, zur Geltung gebracht, sondern die Alternative Glaube - Unglaube bewegt sich innerhalb der durch Schöpfung und Sünde gekennzeichneten kreatürlichen Existenz des Menschen. So bestreitet Hirsch vehement, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein von vornherein der Gottlosigkeit und des Götzendienstes bezichtigt werden kann. Götzendienst und Gottlosigkeit sind daher nach Hirsch keine Charakteristika des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins, vielmehr verhält sich ein bis in die letzte Tiefe vorstoßendes vernünftiges Erkennen gerade polemisch gegen seine götzendienerische wie gottlose Entartung 285 . Gerade daher - so zeigte sich - darf nach Hirsch das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein des modernen abendländischen Denkens nicht einfach als irreligiös bezeichnet werden. Das Evangelium von Jesus als dem Christus eröffnet somit nach Hirsch keineswegs die Alternative von Glaube und Unglaube; Glaube und Unglaube sind nach Hirsch vielmehr mögliche Formen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins. Wird hingegen die Sünde als faktischer Widerspruch des Menschen gegen Gott und damit als Unglaube ernst genommen, so wird man gegen Hirsch darauf insistieren müssen, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein unter den Bedingungen der Sünde gerade nicht durch religiöse Neutralität ausgezeichnet ist. Hirschs Alternative zwischen religiöser Neutralität und christlicher Gewißheit ist durch die zu Recht von Herms geltend gemachte reformatorische Fundamentalalternative von Glaube und Unglaube, d. h. der Bezogenheit auf Gott oder der Bezogenheit auf einen Götzen, zu ersetzen. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung ist daher weder als religiös neutral, noch als irreligiös zu bezeichnen, sondern als der sündhaften Entfremdung unterworfen, artikuliert sich das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein im Horizont des Unglaubens und insofern im Horizont des Götzendienstes. Unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung ist somit die Stelle für die christliche Glaubensgewißheit nicht offengehalten, sondern die Stelle des Glaubens ist durch den Unglauben besetzt. Die sündhafte Verkehrung besteht dann gerade darin, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die Stelle der persönlichen Gewißheit nicht offen läßt, sondern die Person einer der christlichen Gewißheit widersprechenden (irrigen) Gewißheit versichert. Dies hat Hentschel sehr scharf gesehen: Hirsch - so Hentschel zu Recht - will zwar die Stelle der Gewißheit offen halten, ,,[a]ber religiös gesprochen ist sie entweder vom Teufel oder von Gott besetzt und niemals offen. Meine N o t ist also, daß mir nicht die 285

Vgl. ChR I, S. 1 6 8 .

276

Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Wahrheit, der Grund meiner Gewißheit, zugesagt wird, sondern ich lediglich die Versicherung einer fremden Gewißheit zu hören bekomme" 286 . Der Götzendienst ist somit nicht eine Pervertierung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins außerhalb des Glaubens, sondern das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtseins außerhalb des Glaubens ist Götzendienst, gerade weil es die Person einer irrigen Gewißheit versichert und damit die Stelle im menschlichen Herzen, die Gott gebührt, mit einem Abgott besetzt. Das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein - so muß gegen Hirsch festgestellt werden - hält die Stelle des Glaubens nicht offen, sondern bietet ein Glaubenssurrogat. Gerade in der gewißheitsbildenden Macht der Sünde - so ist gegen Hirsch zu betonen - liegt ihr Ernst begründet! Wurde die Reizlosigkeit des Offenbarungsverständnisses von Hirsch betont, insofern es weder informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist, noch auch am allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein eine kritische Funktion übt, so ist gegen Hirsch festzuhalten: Das christliche Glaubensbewußtsein ist mindestens so informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein wie es gegenüber seiner sündhaften Verkehrung den wahren Grund des Seins präsentiert, und es ist insofern kritisch gegenüber dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, als es - um Herms Formulierung aufzugreifen die vorangehende (irrige) Gewißheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins durch die christliche Gewißheit ersetzt. 6.2.2 Der eigenständige Gehalt der christlichen Wahrheit: Die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung Geht Hirschs intendierte Einigung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein zum einen von der religiösen Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins aus, so zum anderen davon, daß der Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins, die vergebende Liebe, als höchstes Postulat dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein eingegründet ist. Das christliche Wahrheitsbewußtsein darf daher nach Hirsch nicht als etwas Fremdes zur Sprache gebracht werden 287 ; denn das Verständnis der Offenbarung darf nicht intellektualistisch eingeengt werden 288 . Gegen ein intellektualistisches Verständnis von Offenbarung betont Hirsch, daß Jesus von Nazareth nicht eine neue Lehre bringt, sondern das „in der

286 287 288

Hentschel, Gewissenstheorie als Ethik und D o g m a t i k , S. 2 9 6 . Vgl. ChR II, S. 52. Vgl. ebd.

Apologetik als obsoletes Unternehmen

III

Innerlichkeit uns bestimmende Urbild des Menschseins unseres Lebens bei Gott" 289 ist: Jesus ist der „Herr[] unserer Innerlichkeit" 290 . Um den Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins in das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein einzugründen, muß Hirsch Gottes geschichtliche Tat der Versöhnung auf eine ewig zeitlose Wahrheit transponieren. Dies wird von Hirsch offen ausgesprochen: Die vergebende Liebe Gottes wird in Christus keinesfalls konstituiert; denn auch abgesehen von der geschichtlichen Erscheinung Jesu von Nazareth wird die vergebende Liebe Gottes im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein postuliert, so daß die Versöhnung keinesfalls als ein geschichtliches Ereignis begriffen werden darf, das einst geschehen ist. Nun zeigte sich bereits, daß wenn die in Christus erschienene Liebe Gottes als eine ewige Wahrheit begriffen und von der geschichtlichen Tat des Menschen Jesu von Nazareth gelöst wird, Christus nicht mehr als der Versöhner zur Sprache gebracht werden kann. Wie unschwer zu erkennen, wurzelt Hirsch in der liberalen Leben-Jesu-Tradition des 19. Jahrhunderts, er bleibt gebunden an den historischen Jesus291: Im Leben des Menschen Jesus von Nazareth tritt ein neues Gottesbild zutage, das und hierin liegt die Pointe der Auffassung Hirschs - zwar vorher schon postuliert wurde, nicht aber zur Gewissensmacht zu werden vermochte: Jesus als der wahrhafte urbildliche Mensch, der bis zu seinem Tode im bejahten Gotterleiden Gott ganz ergeben war 292 . Dieses Gotterleiden wird gerade in seiner urbildlichen Vollkommenheit im Gang Jesus zum Kreuz deutlich293. Bultmann hat in seiner Kritik an Hirsch - entgegen anders lautender Beurteilungsversuchen - auf das Entscheidende hingewiesen. Er sieht Hirsch der Tradition der liberalen Theologie, die am Χρίστος κατά σάρκα interessiert war, verpflichtet294. Es kann - so formuliert Bultmann völlig zu Recht - bei Hirsch nicht verstanden werden, „inwiefern das Neue Testament vom Tode Jesu als Opfer redet [...], sondern es bleibt bei dem Opfergedanken, in dem schon die Spartaner bei den Thermopylen gestorben sind" 295 . Demgegenüber urteilt Bultmann scharf: ,,[E]s ist nicht zu sehen, was der historische Jesus, der seinen Todesweg in gehorsamer

289 290 291

292 293 294 295

ChR II, S. 56. ChR II, S. 61. So auch Bodenstein, Die religiöse Persönlichkeit im Werk von Emanuel Hirsch, S. 71. Vgl. ChR I, S. 132. Vgl. ChR I, S. 133. Vgl. bes. Bultmann, Z u r Frage der Christologie, S. 94. Vgl. ebd.

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Liebe geht, im mindesten voraus hat vor all denen, die ζ. B. im Weltkriege diesen Weg auch in gehorsamer Liebe gegangen sind, und deren Weg uns nicht nur wegen seiner größeren Anschaulichkeit viel mehr sagt, sondern vor allem, weil wir mit ihnen als einem lebendigen Du verbunden waren" 2 9 6 . „Auf diese Weise wird der Jesus Christus, der die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben, nicht sichtbar" 2 9 7 . Hirsch - so Bultmanns Urteil redet daher nicht theologisch von Jesus Christus, sondern verfällt in eine überwundene Leben-Jesu-Theologie zurück 298 . Hat Hirsch auch - und hierin zeigte er sich als Exeget auf hohem Niveau - gezeigt, daß Bultmanns gegen ihn vorgebrachte Interpretation von 2. Kor 5, 16 fragwürdig ist 299 , so kann doch Bultmaniis theologische Kritik dadurch nicht tangiert werden 300 : Sie verweist mit Recht auf die Konsequenz der Theologie Hirschs, die das geschichtlich-kontingente Handeln Gottes in Jesus Christus, seinen Durchbruch durch die geschöpfliche Wirklichkeit, nicht zur Geltung zu bringen vermag und daher Jesus als den geschichtlichen Menschen zur Darstellung bringen muß, der uns in seiner urbildlichen Vollkommenheit ein ewig wahres Gottesbild präsentiert, das uns durch sein konsequentes Leben zur persönlichen Gewißheit zu werden vermag 301 . In Jesus Christus handelt Gott nach Hirsch keinesfalls neu am Menschen, sondern er bringt das schon immer geltende Gottesverhältnis unüberbietbar rein zur Anschauung. Die sakramentale Bedeutung des Todes Christi muß von Hirsch konsequenterweise zugunsten der exemplarischen Bedeutung Christi negiert werden. Mit der Reduktion auf die

296 297

298

299

300 301

A. a. O., S. 96f. A. a. O., S. 9 7 . - So ist es nach Bultmann die Bruderschaft von Rationalismus und Pietismus, die bei Hirsch lebendig entgegentritt (vgl. a. a. O., S. 98). Vgl. ebd. Hatte Hirsch - ganz im Sinne der Leben-Jesu-Theologie - bei Bultmann einen „kritischefn] Rationalismus" (Hirsch, Bultmanns Jesus, S. 3 0 9 ) gesehen und befürchtet, daß hier nicht wenig mehr vom historischen Jesus übrig gelassen wird als eine Anzahl von Sprüchen, so entgegnet Bultmann: „Ich lasse es ruhig brennen; denn ich sehe, daß das, was da verbrennt, alle die Phantasiebilder der Leben-Jesu-Theologie sind, und daß es der Χρίστος κατά σάρκα selbst ist" (ders., Zur Frage der Christologie, S. 101). Vgl. bes. Hirsch, Antwort an Rudolf Bultmann, S. 645f; ders., Eine Randglosse zu 1. Kor 7, S. 5 8 f f . - V g l . hierzu in aller Ausführlichkeit: Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs, S. 146ff. Gegen Lüdemann, Emanuel Hirsch als Erforscher des frühen Christentums, S. 22ff. Anders urteilt Bodenstein: Sowohl Hirsch als auch Bultmann - so Bodenstein stehen in der Tradition Hegels, insofern sie die Gebundenheit an den historischen Jesus verkennen und Christus zur spekulativen Idee, zum Träger des Christusprinzipes, machen (vgl. ders., Die religiöse Persönlichkeit im Werk von Emanuel Hirsch, S. 22ff). Die Grunddifferenz zwischen Hirsch und Bultmann wird bei Bodenstein freilich verwischt.

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exemplarische Bedeutung Christi zeigt sich deutlich, daß Hirschs Intention, eine Einigung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein zu erzielen, indem er den Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins, Gottes versöhnende Liebe, als (ewige) Wahrheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins expliziert, eine Entleerung der Inhalte des christlichen Glaubensbewußtseins notwendig zur Folge hat: Jesus Christus wird Subjekt des Glaubens, er ist nicht mehr das Objekt, auf den der Glaubende deshalb sein Vertrauen richten darf, weil Christus etwas für ihn vollbracht hat. Gegen Hirschs Eingründung des Gehaltes des christlichen Glaubensbewußtseins in das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist aber entschieden festzuhalten, daß der eigentümliche Gehalt des Glaubens schon aufgrund der distinctio von Schöpfung und Erlösung zu wahren ist. Nur eine angemessene Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem erlösenden Handeln ist in der Lage, Gottes erlösendes Handeln in seiner geschichtlichen Kontingenz ernst zu nehmen und damit den Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins nicht zu entleeren. Wird aber Gottes schöpferisches Handeln von seinem erlösenden Handeln unterschieden und Gottes erlösendes Handeln in Christus in seiner geschichtlichen Kontingenz ernst genommen, kann Gottes erlösendes Handeln, seine vergebende Liebe, nicht dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein als eine ewige Wahrheit zugrunde liegen. Vielmehr zeigte unsere Explikation der distinctio von Schöpfung und Erlösung, daß Gottes erlösendes Handeln als ein neues Handeln gegenüber seinem schöpferischen Handeln zur Geltung zu bringen ist, das dem schöpferischen Handeln Gottes in keiner Weise zugrunde liegt - weder folgt das erlösende Handeln notwendig dem schöpferischen Handeln, noch ist das schöpferische Handeln durch das erlösende Handeln Gottes kausiert. Zeigte sich, daß das christliche Glaubensbewußtsein für das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein schon aus dem Grunde informativ ist, weil es gegen die sündhafte Verblendung des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins den schöpferischen Grund der geschöpflichen Wahrheit zur Geltung bringt, so zeigt sich, daß es als Bewußtsein der Erlösung Gottes gegenüber einem Erkennen der Schöpfung Gottes das Wissen um die Erlösung geltend macht. Gerade hierin wurzelt der eigenständige Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins. Es eröffnet nicht nur den durch die Sünde verstellten Blick auf das schöpferische Handeln Gottes, sondern beinhaltet die Gewißheit um ein neues Handeln Gottes, das als solches der Schöpfung nicht zugrunde liegt. Ist gegen Hirsch zu betonen, daß die Sünde nicht als in der schöpferischen Intention Gottes begründetes Charakteristikum humaner Kreatürlichkeit zu explizieren ist, sondern als kontingenter Widerspruch des

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

Menschen gegen Gott, so antwortet Gott dem Widerspruch des Menschen gerade so, indem er dem Menschen im Gesetz widerspricht. Indem das christliche Glaubensbewußtsein die Gewißheit um Gottes Überwindung des dem Widerspruch des Menschen (in der Sünde) antwortenden Widerspruches Gottes gegen Menschen (im Gesetz) ist, beinhaltet das christliche Glaubensbewußtsein wesentlich mehr als einen - gegenüber der sündhaften Verblendung - neu eröffneten Blick auf Gottes schöpferisches Handeln. 6.2.3 Das Evangelium als Überwindung Nun zeigte sich bereits, daß Hirsch die Sünde nicht als menschlichen Widerspruch gegen Gott zur Geltung bringt, sondern als in der schöpferischen Intention Gottes begründete Aufgabe menschlichen Handelns. So in Gottes schöpferische Intention eingegründet, vermag Hirsch auch nicht Gottes Widerspruch gegen die Sünde in den Blick zu nehmen, der - wie die Sünde - ebenfalls nicht in Gottes schöpferisches Handeln eingegründet werden darf. Wird bei Hirsch die Differenz zwischen Gottes erlösendem und schöpferischem Handeln eingeebnet, indem von Hirsch zum einen Jesus Christus nicht als Gottes geschichtlich-kontingentes Handeln zur Sprache gebracht wird, zum anderen aber die Sünde als Element kreatürlicher Freiheit auf den schöpferischen Plan Gottes zurückgeführt wird, muß auch die Dialektik von Gesetz und Evangelium, die Spannung von Gottes Zorn und Gnade bei Hirsch notwendigerweise eingeebnet werden: Gottes Gnade im Evangelium kann nach Hirsch nicht seinem Zorn im Gesetz widerstreiten, sondern nach Hirsch muß Gottes Zorn interpretiert werden als falsches Verständnis Gottes, das durch das Evangelium berichtigt wird: So widerstreitet bei Hirsch Gottes Gnade nicht seinem Zorn, sondern Gottes Gnade widerstreitet dagegen, daß Gott als Zorn gefaßt wird 302 . Unwahr ist die Gesetzesoffenbarung nach Hirsch somit daher, weil Gottes Wesen als Zornesmacht erscheint 303 , unwahr ist sie durch ihre Aufforderung, mich durch meine eigene Gerechtigkeit heilig zu machen 304 . Das Evangelium verneint die Bestimmung Gottes als Zornes- und Verderbensmacht, es verneint weiterhin den Versuch, das Geschiedensein von Gott durch das Tun des Gesetzes zu überwinden 305 . Gerade in der Begegnung mit Jesus von Nazareth enthüllt die Gnade das Gericht als heimliche Güte, sie

302 303 304 305

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hirsch, Drei Thesenreihen, S. 78f; Ch II, S. 16. ChR II, S. 20. ebd. ebd.

Apologetik als obsoletes Unternehmen

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verwandelt es aus einer todbringenden zu einer lebenssteigernden Macht 306 . Die Realdialektik von Gesetz und Evangelium, von Gottes Zorn und Gnade wird eingeebnet: Das Gericht wird zum Ausdruck der göttlichen Güte, die Zornesmacht wird als falsche Bestimmung Gottes überwunden307. So ist auch in der Konzeption Hirschs die Dialektik durch einen Monismus überwunden308. Deutlich ist somit, daß Hirsch die versöhnende Liebe als ewige Wahrheit in Gottes schöpferische Intention einzugründen vermag, weil er die Versöhnung überhaupt nicht als reale Überwindung des Schuldspruchs Gottes begreift. Damit wird die christliche Frömmigkeit, das Vertrauen auf Gottes Heilshandeln in Jesus als dem Christus, bei Hirsch transformiert in das tapfere Gotterleiden. Es zeigte sich bereits bei Schleiermacher, daß der Bestimmung der christlichen Frömmigkeit als stoische Ergebung aus dem Grunde vehement zu widersprechen ist, weil hier die einander widerstreitenden Erfahrungen Gottes in eine statische Ruhe gebracht werden, indem sie im Brennglas der Allkausalität zentriert und somit als gleichwertige Erfahrungen der Allkausalität Gottes zusammengeschaut werden, so daß an die Stelle der existenzbedrohenden Anfechtung und der Flucht vor dem Urteil des Gesetzes unter die bergende Macht des Evangeliums die stille Ergebung tritt. Hirschs Parallele zu Schleiermacher an dieser Stelle ist deutlich: Indem der Mensch Jesus von Hirsch ausschließlich die Geltung zugesprochen bekommt, in urbildlicher Vollkommenheit ein Gottesbewußtsein zu präsentieren und indem das „Amt" Jesu nach Hirsch ausschließlich darin besteht, dieses Gottesbewußtsein in solcher Weise zur Darstellung zu bringen, daß es die Innerlichkeit der Person zu ergreifen vermag, so vermag sich die Gewißheit des gläubigen Subjektes auf nichts zu richten, das über die Not des existentiellen Daseins hinausgeht und ihm selbst widerstreitet. Konkret gesprochen: Jesus von Nazareth ist für Hirsch bloß das Exemplum eines sich der Not des existentiellen Daseins ergebenden Lebens, er ist nicht das Sakramentum Gottes, das den Erfahrungen der existentiellen Not

306

307 308

Vgl. ChR II, S. 3 6 - Vgl. auch Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 1 1 7 . Vgl. auch a. a. O., S. 1 1 5 . So auch zu Recht Böbel, Menschliche und christliche Wahrheit bei Emanuel Hirsch, S. 169. Der Christomonismus bei Barth wird bei Hirsch durch den ,Humanomonismus' ersetzt (vgl. ders., Allgemeinmenschliche und christliche Gotteserkenntnis bei Emanuel Hirsch, S. 3 0 7 ) .

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Bestimmung des apologetischen Verfahrens

widerstreitet. Das „Gotterleiden" als Charakteristikum der christlichen Frömmigkeit bedenkt gerade nicht, daß Gott in Jesus von Nazareth sein endgültiges Wort gesprochen hat, zu dem der Glaubende vor Gottes Gesetz fliehen darf. Dies muß Hirsch schon im Ansatz verborgen bleiben, weil er das christliche Glaubensbewußtsein seines eigenständigen Gehaltes beraubt.

II Zwischen Diastase und Korrelation Vorbemerkung Die Untersuchung der Methode Hirschs machte deutlich, daß der Inhalt der Botschaft von Gottes Handeln in Jesus als dem Christus nicht aus dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein abgeleitet werden kann. In diesem Punkt sind sich sowohl die Methode der Korrelation (Tillich) als auch die Methode der Diastase (Eiert) und die Methode der Anknüpfung (Althaus) einig. Und doch unterscheiden sie sich (gemeinsam mit Hirsch) gerade darin von Barths Verdikt, daß sie nicht so reden wollen, „als ob nichts vorgefallen wäre". Sie sind daher getragen von dem Bemühen, die existentiellen Erfahrungen des Menschen ernst zu nehmen. Der Erste Weltkrieg, an dem Althaus als Lazarettpfarrer im polnischen Lodz und Eiert und Tillich als Feldgeistliche teilgenommen haben, und die mit ihm verbundenen Erfahrungen sind im besonderen weder aus der Theologie Tillichs noch aus der Elerts wegzudenken. So unterschiedlich die Konzeptionen von Eiert und Tillich auch sein mögen, sie sind geeint in dem Bemühen, die existentiellen Erfahrungen des Daseins, denen sie in den Schrecken und Wirren des Ersten Weltkrieges ausgesetzt waren, theologisch zu beleuchten. Es mutet schon merkwürdig an - so darf an dieser Stelle vielleicht einmal am Rande bemerkt werden - , daß demgegenüber immer die Bedeutung des Ersten Weltkrieges gerade für Karl Barths Theologie als Anlaß zu einer „kritischen Bestimmung und Wendung" 1 seiner bisherigen Theologie herausgestellt wird. Karl Barth selbst hat den Aufruf der 93 Intellektuellen, die Deutschlands Teilnahme am Krieg befürworteten und unter denen er auch viele seiner (liberalen) Lehrer fand, als den entscheidenden Wendepunkt hin zur Abkehr von der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts dargestellt 2 . So betont denn auch Frey in seiner Einführung in Barth: „Darin scheint der größte Anstoß gelegen zu haben, sich von der Theologie des 19. Jahrhunderts zu entfernen, die solche politische Großmannssucht

' 2

Busch, Karl Barths Lebenslauf, S. 93. Vgl. Barth, Nachwort (in: Schleiermacher-Auswahl), S. 293.

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Zwischen Diastase und Korrelation

deckte und sogar den aggressiven Nationalismus von 1 9 1 4 rechtfertigen konnte" 3 . So ist die Erinnerung Barths in vielen Darstellungen nachgesprochen und in die Collegmappen der Studierenden diktiert worden. Nun liegt in diesem Punkt zweifellos eine Verschiebung der Erinnerungen vor: Barth selbst hat im Jahre 1 9 1 4 keine Kenntnis dieses Aufrufes besessen 4 , hat ihn wohl in der späteren Erinnerung mit einem anderen Aufruf verwechselt. Zudem scheint auch fraglich, ob Barths Abkehr von der liberalen Theologie nicht vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu datieren ist 5 . Wie dem aber auch sei - es darf nicht vergessen werden, daß auch für Elerts und Tillichs Theologie der Erste Weltkrieg eine fundamentale Bedeutung besitzt. Anders aber als Barth war es weder Eiert noch Tillich vergönnt, von dem Krieg bloß in der Gestalt eines literarischen Zeugnisses Notiz zu nehmen, sondern sie waren als Feldgeistliche unmittelbar in den Krieg einbezogen 6 . Anders als Barth sind Eiert und Tillich nicht von der intellektuellen Verirrung ihrer Lehrer brüskiert, sondern der Krieg bedeutete für sie, der bedrängenden Realität des Dasein in einer Weise ausgesetzt zu sein, daß sie fortan nicht mehr an den existentiellen Erfahrungen des Daseins vorbeigehen konnten und wollten.

3 4

5

6

Frey, Die Theologie Karl Barths, S. 22. In einer Untersuchung der Predigten Barths aus diesem Zeitraum zeigt Fähler, daß Barth diese Erklärung 1914 nicht gekannt hat, da er sie dort nicht heranzieht, sondern den der Sache nach gleichlautenden „Aufruf der evangelischen Christen des Auslandes", unter dem er unter anderem die Unterschriften Wilhelm Herrmanns und Adolf von Harnacks entdeckte (vgl. ders. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges in Karl Barths Predigten 1913-1915, S. 113f). Ebenso urteilt Frey, Die Theologie Karl Barths, S. 30, Anm. 13: „Der von Barth später genannte dies ater, an dem ihm die Unterschriften der 93 Intellektuellen zu Gesicht gekommen seien, scheint eine Verschiebung in der Erinnerung darzustellen. Zuerst hat Barth wohl nur eine allgemeine Kenntnis von der Zustimmung mancher seiner Lehrer zum Kriege gewonnen". Vgl. hierzu auch Härle, Der Aufruf der 93 Intellektuellen und Karl Barths Bruch mit der liberalen Theologie, S. 207ff. So urteilt Härle in seiner detaillierten Untersuchung: „Folgendes läßt sich aber mit Sicherheit sagen: Der Ablösungsprozeß von der liberalen Theologie begann bei Barth bereits im Jahre 1911 und setzte sich von da an kontinuierlich fort. In diesem Prozeß haben der Aufruf der 93 Intellektuellen keine erkennbare und die Haltung der Christlichen Welt zum Kriegsausbruch keine ausschlaggebende Rolle gespielt. Die von Barth inaugurierte theologiegeschichtliche Darstellung ist an diesem Punkt revisionsbedürftig" (ders., Der Aufruf der 93 Intellektuellen und Karl Barths Bruch mit der liberalen Theologie, S. 224). So bewahrheitet sich schon im Ansatz des Elertschen Denkens die Bemerkung von Trillhaas, Elerts Theologie sei eine „erlittene Theologie" (CG, S. 4 (Geleitwort von W. Trillhaas)) gewesen.

Vorbemerkung

285

So berichtet Eiert in seinem Aufsatz „Vordringliche Fragen an die Theologie" aus dem Jahre 1940 von dem Abgrund, den der 1. Weltkrieg vor ihm aufriß und dessen theologische Verarbeitung ihn vor höchste Probleme stellte: „Diese Frage empfand ich zum erstenmal als wirklich theologische Not Anfang März 1915 auf einem Hauptverbandsplatz in der Kirche zu Rzeczica, nördlich von Pilica. Ich irrte umher, um noch eine Zitrone aufzutreiben, nach der die Verwundeten und besonders die Amputierten in ihrem Durst schrien. Als ich endlich zu dem sächsischen Landwehrmann, dessen Wehklagen mich namentlich hinausgetrieben hatten, mit leeren Händen zurückkehrte, war er gerade erwacht und empfing mich mit dem anklagendem Ruf: Jetzt haben sie mir das Been abgemacht, da kann mer doch nicht mehr an Gott glooben!' [...] Die Logik seiner Worte war einfach, aber die Antwort war es durchaus nicht" 7 . Vor den Erfahrungen und Erlebnissen der Zeit will Eiert nicht verstummen, sondern sie ernst nehmen. Es ist so für Eiert die Aufgabe, die Wucht der Ereignisse zu durchdenken, die menschlichen Erfahrungen aufzunehmen und nicht „so reden zu müssen, ,als ob nichts vorgefallen wär'" 8 . Die unaufgebbare Aufgabe des Christen, die Wahrheit der evangelischen Botschaft in der Welt zu bezeugen, und speziell des christlichen Theologen, hierüber in systematischer Reflexion Rechenschaft zu geben, begründet für Eiert die Notwendigkeit, die konkrete Lebenswirklichkeit des Menschen, der Adressat des Evangeliums ist, zum Gegenstand theologischen Nachdenkens zu machen. Für die Bezeugung des Evangeliums in der Welt ist es für Eiert unerläßlich, „auf die Konkreta unserer menschlichen Existenz Bezug [zu] nehmen" 9 , an der Wirklichkeit des Menschen nicht vorüberzugehen, sondern sich die Fragen der Menschen „in der konkreten Dringlichkeit des natürlichen Lebens" 10 stellen zu lassen 11 . 7

8

9 10 11

Vordringliche Fragen an die Theologie, S. 12. Anm. 1 . - Auch im zweiten Weltkrieg blieben Eiert die Erfahrungen des Schreckens des Krieges nicht erspart: Er wurde durch den Verlust seiner beiden Söhne, Joachim und Rembrandt Eiert, getroffen, die im Zweiten Weltkrieg als Offiziere gefallen waren. In seinem Aufsatz „Philologie der Heimsuchung", der sich in seinem Sammelband „Zwischen Gnade und Ungnade" befindet, deutet Eiert dies in erschütternder Weise an (vgl. a. a. O., S. 15). Ders., Vordringliche Fragen an die Theologie, S. 5 . - Es ist ein deutlicher Mangel der Darstellung Slenczkas (vgl. ders., Selbstkonstitution und Gotteserfahrung), die - deutlich dokumentierten - biographischen Einflüsse Elerts auf seine Arbeit zugunsten einer Einordung Elerts in die Fragestellung seiner Erlanger Lehrer unterbelichtet zu haben. Ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 2 0 . Ebd. In drastischen Worten macht Eiert dies deutlich: „Den Indextheologen empfehlen wir, es doch wenigstens einmal mit einem Buche zu versuchen: ,Die heilige

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Zwischen Diastase und Korrelation

Wie für Eiert so hatten auch für Tillich die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges, den er vor dem Hintergrund der bürgerlich-idealistischen Tradition des 19. Jahrhunderts erlebte 1 2 , fundamentale Bedeutung 13 . Hatte Tillich schon 1 9 1 6 ausgerufen „Um uns tobt die Hölle! Jede Vorstellung versagt." 1 4 , so bezeugt er 1 9 1 9 , den Krieg erlebt zu haben als das „Verhängnis der europäischen Kultur und ein ,Ende' schlechthin" 1 5 . „Das vierjährige Erleben des Krieges riß den Abgrund für mich und meine ganze Generation so auf, daß er sich nie mehr schließen konnte" 1 6 . Und wie Eiert so will auch Tillich vor den Fragen der Zeit nicht verstummen, sondern sie als Aufgabe, die an die Theologie gestellt ist, ernst nehmen. So wird schon in seiner frühen Schrift „Kirchliche Apologetik" deutlich, daß Tillich nicht an den Menschen vorbeireden oder über sie hinweggehen will. Gerade das Anliegen von Eiert und Tillich, den Menschen mit seinen Erfahrungen ernst zu nehmen, machte ihre Theologie überhaupt erst annehmbar für Menschen, denen „die Realität des irdischen Lebens mit furchtbarem Ernst entgegen[ge]treten [ist] - so ernst, daß sie auch theologisch darüber nachdenken müssen" 1 7 . So berichtet Karlmann Beyschlag, der als Kriegsheimkehrer „wahrhaftig ,erfahren' [hatte] [...], was es heißt, wenn einem alle idealistische Euphorie in Fetzen gerissen wird und der Tod - ja, der Tod! - Gottes Gericht über uns - vom Himmel auf die Erde stürzt" 1 8 , welche Motive ihn zu Eiert nach Erlangen getrieben haben: „Was mich selbst betrifft, so war ich nach den ersten Nachkriegssemestern in Bethel mit einem kräftigen Karl-Barth-

Kümmernis' von Karl Joseph Friedrich, vor einigen Jahren im Furcheverlag erschienen. Nicht als ob sie daraus Offenbarung oder Erleuchtung empfangen sollten. Es wird ihnen dabei vielmehr recht dunkel vor den Augen werden. Auch nicht als ob sie darüber predigen sollten. Vielmehr in der Hoffnung, daß sie nachher etwas weniger hochmütig-klerikal vom ,Lesen in Büchern' sprechen, wenn andern die Realitäten des irdischen Lebens mit furchtbarem Ernst entgegentreten - so ernst, daß sie auch theologisch darüber nachdenken müssen. Da wird erzählt - wir greifen nur einen einzigen von vielen darin enthaltenen Berichten heraus - von jener Mutter in Plauen, die am 9. Juli 1 9 2 5 vier Kinder in der Truhe, deren Deckel zugeschnappt war, erstickt fand, die Puppen im Arm, die Alteste mit durchgebissener Z u n g e . . . " (a. a. O., S. 17f).— Vgl. hierzu auch: Beyschlag, Werner Eiert in memoriam, S. 17. 12 13 14 15 16 17 18

Vgl. Tillich, Autobiographische Betrachtungen, S. 58ff. Vgl. hierzu Wehr, Paul Tillich, S. 3Iff. Tillich, Ein Lebensbild in Dokumenten, S. 98. A. a. O., S. 142f; vgl. auch Rössler, Der Erste Weltkrieg ( 1 9 1 4 - 1 9 1 8 ) , S. 30. Tillich, Auf der Grenze, S. 34. Eiert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 18. Beyschlag, Werner Eiert in memoriam, S. 10.

Vorbemerkung

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Schock nach Erlangen gekommen, sozusagen auf Absprung aus der Theologie, freilich darum auch doppelt gespannt, ob mir diese Erlanger Theologen - die verrufenste theologische Fakultät in ganz Deutschland, wie man mir in Bethel versichert hatte - vielleicht doch noch etwas theologisch Abnehmbares zu sagen hätte. D a ß mir Erlangen zum Schicksal werden würde, ahnte ich nicht. Eiert hatte ich noch nie gesehen" 1 9 . Die Theologie Elerts hatte dem jungen Beyschlag tatsächlich noch etwas theologisch Abnehmbares zu sagen, gerade weil es ihr gelang, die Erfahrungen des Daseins - gerade die Erfahrungen des Schreckens des Krieges und der Irrationalität des Daseins - theologisch zu integrieren 2 0 . Und auch Tillichs Theologie konnte den Menschen noch etwas sagen, die die Absurdität des Krieges am eigenen Leibe erfahren hatten: So schreibt Adolf Müller: „Die Generation der Kriegsteilnehmer bezog 1 9 1 9 bis 1 9 2 0 die Universität Berlin. Sie trug noch fast allgemein feldgraue Uniform [...]. Alle waren durch die Materialschlacht um Verdun, an der Somme oder in Flandern und den Zusammenbruch des Bismarckreichs kritisch oder skeptisch gegen das Christentum, ja überhaupt gegen jede Religion. Für die meisten war Gott ,tot', das Ende einer Utopie. Und nun hielt da ein junger Privatdozent Tillich eine Antrittsvorlesung über Ludwig Feuerbach [...]. Die Gedankenführung und die Selbstgewißheit des jungen Dozenten ließen aufhorchen. Als er für das nächste Semester eine Vorlesung über ,Religionsphilosophie' ankündigte, drängte gut ein halbes Hundert alter Kriegsteilnehmer in den Hörsaal, erwartungsvoll, aber äußerst kritisch, auf jeden Fall voller Zweifel, ob Religion nach den schreckensvollen Erfahrungen im Weltkrieg noch als Denkmöglichkeit oder gar als Wirklichkeit erwiesen werden könnte" 2 1 . Sind Eiert und Tillich in theologischer Hinsicht geeint durch die Intention, die existentiellen Erfahrungen des Menschen in die Theologie zu integrieren, so unterscheiden sie sich doch erheblich in der Frage, wie dies zu geschehen hat. Eiert analysiert die existentiellen Erfahrungen des Menschen außerhalb der Begegnung mit Jesus Christus, doch beabsichtigt er keineswegs, die Botschaft von Christus an die existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen „anzuknüpfen", vielmehr wird die in Christus erschienene Wahrheit den existentiellen Erfahrungen des Daseins schroff entgegengesetzt. Ein ganz anderes Bild stellt sich bei Tillich dar: Tillich intendiert, die existentiellen Erfahrungen der Men-

19 20 21

A. a. O . , S. 7 . Vgl. a. a. O . , S. 1 7 . Müller, Der junge Privatdozent in Berlin, S. 5 4 5 f ; vgl. hierzu auch Schüssler, Die Berliner J a h r e , S. 3 8 .

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Zwischen Diastase und Korrelation

sehen in die Theologie einzubeziehen, indem er den verborgen präsenten Bezug zur Transzendenz, der zum Menschen unabdingbar gehört, freizulegen versucht. Tillich beobachtet eine Begierde nach Religion, die in den Leuten wach geworden ist22. Selbst in dem radikalsten Zweifler findet sich - gerade in der Absolutheit des Zweifels - noch dieses Transzendenzbewußtsein, das „sicher mehrere Elemente [enthält], alle unter dem Exponenten ,absolut', als etwa: Unendlichkeitsbewußtsein, Eigenwertbewußtsein, Bewußtsein einer Wertordnung, Abhängigkeitsund Freiheitsbewußtsein, Totalitätsbewußtsein etc., alles unter dem Exponenten ,absolut'" 2 3 . Auch der durch das Erleben der Absurdität des Krieges erschütterte Mensch schaut - so Tillich - hinab und hindurch durch die Immanenz auf ihrer Tiefendimension: die Transzendenz 24 . So stehen sich Tillichs Methode der Korrelation und Elerts Methode der Diastase als Antipoden gegenüber.

22 23 24

Vgl. Tillich, Ein Lebensbild in Dokumenten, S. 87. Ders., Briefwechsel und Streitschriften, S. 102. Vgl. ders., Ein Lebensbild in Dokumenten, S. 106.

A Die Methode der Korrelation (P. Tillich) 1. Die Absicht: Apologetik als apologetische Dogmatik Die Bezeugung der biblischen Botschaft im Horizont der Situation Aufgabe der theologischen Disziplinen ist es nach Tillich, den christlichen Glauben auszulegen 1 , insofern die theologischen Disziplinen die, dem - unverfügbaren - Offenbarungsgeschehen entnommene, ewige Wahrheit explizieren2. Ist bei Hirsch der Erkenntnisgegenstand des christlichen Glaubensbewußtseins in das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein eingegründet, so verdankt sich der Erkenntnisgegenstand der Offenbarung nach Tillich ausschließlich dem unverfügbaren „Offenbarungsgeschehen", der Inhalt wird „in die menschliche Existenz ,hineingesprochen' von jenseits der Existenz" 3 . Die ewige Wahrheit des Evangeliums - und hier liegt Tillichs Interesse - muß aber auf die Zeitsituation, in der die Botschaft vernommen wird, bezogen werden 4 . Dieser Punkt unterscheidet Tillich nicht wesentlich von anderen dogmatischen Konzeptionen, die es vermeiden wollen, in einen luftleeren Raum zu sprechen. Doch soll - und hier liegt eine Grundentscheidung der Theologie Tillichs - die Wahrheit des Evangeliums auf die Zeitsituation, in der die Botschaft vernommen wird, in der Weise bezogen werden, daß sie auf die Fragen antwortet, die die Situation stellt5. Die Theologie hat daher zu versuchen, eine solche Auslegung der christlichen Botschaft vorzunehmen, die auf unsere heutige Situation zutrifft und ihre Fragen beantwortet 6 . Theologie ist daher für Tillich wesentlich antwortende Theologie, und dies heißt für ihn apologetische Theologie 7 . Der Gesichtspunkt der Apologetik ist in keinem großen systematischen Entwurf

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. u. a. ST Vgl. ST I, S. Ebd. Vgl. u. a. ST Vgl. u. a. ST Vgl. ST I, S. Vgl. ST I, S.

I, 32. 78. I, S. 9. I, S. 12. 65. 12ff.

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Zwischen Diastase und Korrelation

des 20. Jahrhunderts so bestimmend gewesen wie bei Tillich 8 . Tillich sieht die Apologetik nicht als ein bestimmtes Aufgabenfeld der Systematik, vielmehr ist sie die Aufgabe der gesamten Dogmatik, die als apologetische Dogmatik konzipiert ist9. In seiner Systematischen Theologie wird Apologetik zur Bezeichnung „für einen Typ von Theologie" 10 , die die christliche Botschaft in die Situation vermitteln will. Die Apologetik ist die Intention der Dogmatik Tillichs, sie ist der Zweck ihres Konstruktionsprinzips 11.

2. Die Durchführung: Die Methode der Korrelation Ist das Befolgen einer Methode in dem Prinzip der methodischen Rationalität begründet, so verlangt Tillichs apologetisches Interesse eine Methode, die dieses Interesse adäquat umzusetzen vermag, d. h. eine Methode, die es gestattet, die Wahrheit des Evangeliums auf die Situation, in der die Botschaft vernommen wird, in der Weise zu beziehen, daß sie auf die Fragen antwortet, die die Situation stellt. Eine solche Methode glaubt Tillich in der Methode der Korrelation gefunden zu haben: Sie soll Botschaft und Situation in Beziehung setzen 12 . Die Methode der Korrelation versucht, „die Fragen, die in der Situation enthalten sind, mit den Antworten, die in der Botschaft enthalten sind, in Korrelation zu bringen" 13 . Die Methode der Korrelation begreift sich als eine Alternative zu drei anderen Methoden, die Wahrheit der christlichen Botschaft zu explizieren. So lehnt Tillich die supranaturalistische Methode, die die christliche Wahrheit wie einen Fremdkörper in der Welt behandelt, die humanistische Methode, die die christliche Botschaft aus dem natürlichen Zustand des Menschen ableitet, und die dualistische Methode, die einen supranaturalistischen Unterbau und einen natürlichen Überbau besitzt, ab 14 . In bezug auf die Methode der Korrelation von Frage und Antwort könnte man daher formulieren: Während die supranaturalistische Methode die Antwort unabhängig

8 9

10 n 12

13 14

So urteilt zu Recht Bayer, Theologie, S. 199. So fragte Rhine zu Recht: Ist denn nicht Tillichs ganze „Systematische Theologie" letztlich eine einzige große Apologetik? (vgl. dies., Tillich, der Apologet, S. 544). Kriegstein, Paul Tillichs M e t h o d e der Korrelation und Symbolbegriff, S. 60. Vgl. u. a. ST I, S. 40. Vgl. auch Eymann, Z u m Verhältnis von O f f e n b a r u n g und Sein bei Paul Tillich, S. 76. ST I, S. 15. Vgl. ST I, S. 80. Hierzu: Bayer, Theologie, S. 223f.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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von der Frage expliziert, die humanistische Methode die Antwort aus der Frage gewinnt, sind bei der dualistischen Methode Frage und Antwort voneinander unabhängig. Versucht die Methode der Korrelation die Fragen, die in der Situation enthalten sind, mit den Antworten, die in der Botschaft enthalten sind, in Korrelation zu bringen, so bedeutet dies ein doppeltes: Zum einen entwickelt die Theologie aus der christlichen Botschaft keine Antworten, die mit den Fragen der Situation des Menschen nichts zu tun haben. Zum anderen aber darf sie auch die Antworten nicht aus der Frage entwickeln 1 5 . Es geht Tillich vielmehr darum, die christliche Botschaft als „Antwort auf die Fragen zu verstehen, die [...] jeder menschlichen Existenz zugrunde liegen" 1 6 . Die Methode der Korrelation unternimmt es somit, die Inhalte des christlichen Glaubens zu explizieren, indem sie existentielle Fragen und theologische Antworten in wechselseitiger Abhängigkeit aufeinander bezieht 1 7 . Die systematische Theologie hat folglich grundsätzlich zwei Arbeitsschritte zu vollziehen: Zum einen gibt sie eine Analyse der menschlichen Situation, aus der die existentiellen Fragen hervorgehen, zum anderen muß sie die christliche Botschaft als Antwort auf diese Fragen zu verstehen lehren 18 . In ihrer Existenzanalyse ist die Theologie abhängig von der menschlichen Selbstinterpretation auf allen Kulturgebieten, die sie sich verfügbar macht 1 9 . Philosophie, Dichtkunst, dramatische und epische Literatur, Psychotherapie und Seelsorge - sie alle liefern das Material, das der Theologe in bezug auf die von der christlichen Botschaft gegebenen Antworten sichtet 20 . Mit Hilfe des Materials der Kulturgeschichte sind die Fragen zu formulieren 21 . Vor den durch die Kultur und ihre wissenschaftliche Explikation gestellten Fragen formuliert der Theologe seine Antworten neu 22 . Zwischen Frage und Antwort bestehen nach Tillich sowohl eine Abhängigkeit als auch eine Unabhängigkeit. Unabhängig sind Frage und Antwort hinsichtlich ihres Inhaltes: Der Inhalt der Antworten der Theologie kann nicht aus der Frage - der Analyse der menschlichen Existenz - abgleitet werden 23 . Von jenseits der Existenz werden sie in die mensch15 16 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. ST I, S. 1 5 . Ebd. Vgl. ST I, S. 7 4 . Vgl. ST I, S. 7 6 . Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ST I, S. 7 7 . ebd. ST I, S. 4 9 . ST I, S. 7 8 . ebd.

292

Z w i s c h e n Diastase und K o r r e l a t i o n

liehe Existenz hineingesprochen 24 . So kann weder der Inhalt der Antwort aus der Frage gewonnen werden, noch kann der Inhalt der Frage aus der Antwort abgeleitet werden 2 5 . Hängen somit die christlichen Antworten inhaltlich von dem Offenbarungsgeschehen ab, so hängen sie formal von der Struktur der Frage ab 2 6 . Daher soll die theologische Reflexion - so Tillich - als „Elipse mit zwei Brennpunkten" 2 7 vorgestellt werden. „Der eine Brennpunkt stellt die existentielle Frage dar und der andere die theologische Antwort" 2 8 . Die Methode der Korrelation erfordert somit stets zwei Arbeitsschritte: Die Analyse der existentiellen Frage und die Explikation der theologischen Antwort auf die existentielle Frage 2 9 . Alle fünf Teile des theologischen Systems Tillichs sind daher in jeweils diese beiden Arbeitsschritte gegliedert: die Gotteslehre („Sein und G o t t " ) , die Christologie („Die Existenz und der Christus"), die Lehre vom Geist („Das Leben und der Geist") und die Eschatologie („Die Geschichte und das Reich Gottes"). Sie werden grundgelegt durch einen erkenntnistheoretischen Teil („Vernunft und Offenbarung").

3. Die Voraussetzung der Methode der Korrelation Gegen eine supranaturalistische Anschauung, die die Offenbarung als kontingent neben dem Bestehenden denkt und damit jede Vermittlung der Offenbarung ausschließt, entwickelt Tillich seine Methode der Korrelation von den existentiellen Fragen und den sich der Offenbarung verdankenden Antworten. „Dieses methodische Verfahren" - so urteilt Fischer pointiert - „ist in seinem Grundmuster verblüffend einfach und steckt doch voller Probleme [...], die sich an der komplizierten Verhältnisbestimmung von Frage und Antwort ableiten lassen" 3 0 . So gilt: „Der Mensch kann nur fragen, wenn der Gegenstand seines Fragens ihm irgendwie gegeben ist. Bedingung der Möglichkeit für das Fragen ist das vorgängige Bezogensein des fragenden Subjekts auf das Erfragte" 3 1 . Tillich selbst hebt diese Voraussetzung seiner Methode deutlich hervor:

24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. 19. Vgl. u. a. ST II, S. 2 0 . ST II, S. 2 1 . Ebd. Vgl. ST I, S. 8Of. Fischer, Systematische Theologie, S. 155. Ebd.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

293

Die Möglichkeit, daß existentielle Frage und theologische Antwort in der von ihm intendierten Weise aufeinander bezogen werden können, hat zur Voraussetzung, daß sie im Grunde schon aufeinander ausgerichtet sind 32 . „Die in der menschlichen Endlichkeit enthaltene Frage ist schon ausgerichtet auf die Antwort: das Ewige. Die in der menschlichen Entfremdung enthaltene Frage ist schon ausgerichtet auf die Antwort: Vergebung" 33 . Nur weil die existentielle Frage schon auf die theologische Antwort ausgerichtet ist, lassen sich die existentielle Frage und die theologische Antwort aufeinander in der Weise beziehen, daß die theologische Antwort der existentiellen Frage antwortet.

3.1 Vernunft und Offenbarung Gegen jeden supranaturalistischen Ansatz, der die Offenbarung als kontingent neben dem Bestehenden denkt und damit jede Vermittlung der Offenbarung ablehnt, intendiert Tillich, eine Vermittlung zwischen dem Bestehenden (den existentiellen Fragen des Menschen) und der Offenbarung. Ist es die Vernunft des Menschen, die die existentiellen Fragen hervorbringt und artikuliert, so ist die Erörterung der Unterscheidung zwischen der (die existentiellen Fragen des Menschen hervorbringenden und artikulierenden) Vernunft und der die theologischen Antworten generierenden Offenbarung der konsequente Ort der erkenntnistheoretischen Fundierung der Methode der Korrelation 34 . Strebt nun Tillich eine Vermittlung zwischen der Offenbarung und der Vernunft an, so ist es ebenso konsequent, daß er sich gegen ein undifferenziertes Reden von der Blindheit der Vernunft wendet. So gilt es nach Tillich differenziert zu bestimmen, wo die Rede von der Blindheit der Vernunft ihren Ort hat. Gehört es „zu den größten Schwächen eines großen Teils des theologischen Schrifttums und der religiösen Rede, daß das Wort ,Vernunft' in einer unklaren und vagen Weise verwendet wird" 35 , so ist es für Tillich „unerläßlich, von Anfang an genau zu definieren, in welchem Sinn der Begriff ,Vernunft' gebraucht werden soll" 36 . Tillich unterscheidet zunächst zwischen der ontologischen und der technischen Vernunft 37 . Die ontologische Vernunft befähigt den Men-

32 33 34 35 36 37

Vgl. ST II, S. 22. Ebd. Vgl. ST I, S. 87. ST I, S. 88. Ebd. Vgl. ebd.

Zwischen Diastase und Korrelation

294

sehen, die Wirklichkeit zu ergreifen und umzuformen3S, während die technische Vernunft die „Fähigkeit des Berechnens und Argumentierens" 3 9 verleiht. Bedenkt so die ontologische Vernunft die Struktur und den Sinn von Wirklichkeit im Ganzen 4 0 , so die technische Vernunft die zweckrationale Frage nach den Mitteln, ein Ziel zu erreichen 41 . „Während die Vernunft im Sinne des logos das Ziel aufzeigt und erst in zweiter Linie die Mittel, zeigt die Vernunft im technischen Sinne die Mittel auf, während sie von den Zielen annimmt, daß sie von „woandersher" gegeben sind" 4 2 . Damit zeigt sich aber, daß die Vernunft nicht auf die technische Vernunft reduziert werden darf, weil sonst entscheidende Dimensionen der Wirklichkeit ausgeblendet werden 43 . Die technische Vernunft muß von der ontologischen Vernunft „genährt" 4 4 werden. Denn bedenkt die technische Vernunft die Mittel zur Erreichung eines Zieles, so bedarf es gerade der ontologischen Vernunft, Werte und Sinngehalte zu erfassen 45 . Die technische Vernunft ist daher nur als „ein Element der ontologischen Vernunft und als ihr Mitarbeiter adäquat und sinnvoll" 4 6 . Die Frage nach der Beziehung der Vernunft zur Offenbarung sollte daher nach Tillich „nicht auf der Ebene der technischen Vernunft erörtert werden, [...] sondern auf der Ebene der ontologischen Vernunft des /ogos" 4 7 ; denn die technische Vernunft bedenkt gerade nicht existentielle Probleme. Das Verhältnis von Vernunft und Offenbarung ist somit hinsichtlich der ontologischen Vernunft zu erörtern. Der Unterscheidung zwischen ontologischer und technischer Vernunft fügt Tillich eine zweite Unterscheidung hinsichtlich der ontologischen Vernunft hinzu 48 . Es ist zu differenzieren zwischen der ontologischen Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und in ihrer entfremdeten Form 4 9 . Von hier aus ist die Rede von der blinden Vernunft differenziert zu betrachten. „Das religiöse Urteil ζ. B., daß die Vernunft,blind' sei, bezieht sich weder auf die technische Vernunft, die

38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49

Vgl. ebd. ST I, S. 8 9 . Vgl. ST I, S. Vgl. ST I, S. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ST I, S. ST I, S. 9 0 . ST I, S. 9 0 f . Vgl. ST I, S. Vgl. ebd.

90. 89.

89f.

91.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

295

die meisten Dinge ihres eigenen Bereiches sehr wohl sehen kann, noch auf die ontologische Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit, sondern es bezieht sich auf die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz" 50 . Nur von der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz kann das Urteil abgegeben werden, „daß die Vernunft schwach sei, teilweise von der Blindheit befreit, teilweise in ihr verhaftet" 51 . Die Tiefe der Vernunft ist unter den Bedingungen der Existenz verborgen 52 . Die Tiefe der Vernunft ist „kein anderes Gebiet der Vernunft, das entdeckt und zum Ausdruck gebracht werden könnte, sondern es ist das, was in jedem Akt der Vernunft zum Ausdruck kommt. Man könnte es die ,Substanz' nennen, die in der Vernunftstruktur sichtbar wird, oder das ,Sein-Selbst', das im logos des Seins offenbar wird, oder den ,Grund', der in jeder Vernunftschöpfung schöpferisch ist" 5 3 . Ist ,,[i]hrer essentiellen Natur nach [...] die Vernunft in jedem ihrer Akte und Prozesse auf ihre eigene Tiefe hin transparent" 54 , d. h. ist ,,[d]ie Tiefe der Vernunft [...] essentiell in der Vernunft offenbar" 55 , so ist sie unter den Bedingungen der Existenz „verborgen" 56 . Sie wird unter den Bedingungen der Existenz in „symbolischen Formen" 57 oder im Mythos und Kultus 58 artikuliert. Intendiert Tillich die undifferenzierte Rede von der Blindheit der Vernunft zu überwinden und genau zu bestimmen, inwiefern von einer Blindheit der Vernunft geredet werden kann, so ergibt sich hinsichtlich seiner Unterscheidungen zwischen der technischen Vernunft und der ontologischen Vernunft sowie zwischen der ontologischen Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der ontologischen Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung die Frage, ob Tillich überhaupt einen Ort aufgewiesen hat, an dem von einer Blindheit der Vernunft gesprochen werden kann, d. h. ob es so etwas wie eine Blindheit der Vernunft nach Tillich überhaupt gibt. Bedenkt die ontologische Vernunft die Struktur und den Sinn von Wirklichkeit im Ganzen, die technische Vernunft lediglich die zweckrationale Frage nach den Mitteln ein Ziel zu erreichen, so stellt sich die Frage nach der Blindheit der 50 51 52

" 54 55 56 57 58

Ebd. Ebd. Vgl. hierzu ST I, S. 96ff. ST I, S. 96. ST I, S. 98. ST I, S. 97. Ebd. ST I, S. 98. Vgl. ST I, S. 97f; vgl. hierzu auch Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 39.

296

Zwischen Diastase und Korrelation

Vernunft nach Tillich ausschließlich hinsichtlich der ontologischen Vernunft. Die Frage, ob diese Entscheidung berechtigt ist, beiseite lassend 59 gilt es aber genauer zu erörtern, inwiefern denn in bezug auf die ontologische Vernunft von so etwas wie Blindheit nach Tillich tatsächlich gesprochen werden kann. Essentiell - so Tillich - ist der Vernunft ihre Tiefe offenbar, sie ist auf ihre Tiefe hin transparent. Von Blindheit kann hier keineswegs gesprochen werden. Aber auch in existentieller Hinsicht nicht. Von ihrer Tiefe ist die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz nicht gänzlich entfernt, vielmehr ist sie ihr nur schemenhaft gewahr. Die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz vermag ihrer Tiefe nicht denkerisch Ausdruck zu geben, doch ist sie ihrer Tiefe insoweit gewahr, als sie sich in Kultus, Mythos und symbolischen Formen - auf freilich nur schemenhafte Weise - Ausdruck verschafft. Die Transparenz der Tiefe der Vernunft wird „undurchsichtig". Die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ist „schwach", sie ist der Blindheit „teilweise [...] verhaftet" (s.o.), sie ist aber nicht blind höchstens sehschwach! Es zeigt sich eindeutig, daß nach Tillich bei der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz keineswegs eine strukturelle Verkehrung zugrunde liegt. Auch unter den Bedingungen der Existenz bleibt die Vernunft in ihrer Erkenntnis auf ihre Tiefe ausgerichtet, sie ist keineswegs strukturell von der wahren Tiefe abgekehrt; kurz: Nach Tillich widerspricht die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ihrer wahren Tiefe nicht, sondern sie vermag diese Tiefe nur nicht mehr ganz zu fassen, so daß sich die Tiefe der Vernunft lediglich in Kultus, Mythos und symbolischen Formen (auf verdeckte Weise) ihren Ausdruck verschafft. Gerade hier wird aber deutlich, daß Tillich die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ganz und gar nicht als strukturell verkehrt denkt: Daß der Mythos, der Kultus und das Symbol auch der Unwahrheit Ausdruck geben könnten, liegt bei Tillich außerhalb des Horizontes, vielmehr verleihen Kultus, Mythos und symbolische Formen der ewigen Wahrheit Ausdruck, auf die die Vernunft ausgerichtet bleibt. In bezug auf die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ist somit von keiner strukturellen Verkehrung zu sprechen, sondern von einer Verwirrung, in der die Tiefendimension immer noch aufleuchtet.

59

Ganz unproblematisch ist diese Entscheidung Tillichs freilich nicht; denn empfängt die technische Vernunft von der ontologischen Vernunft Lebensziele, Werte und Sinn, ist mithin die technische Vernunft „Element" und „Mitarbeiter" (ST I, S. 90) der ontologischen Vernunft, so ist doch zu fragen, inwiefern nicht auch die technische Vernunft als „Element" der ontologischen Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung von dieser Entfremdung mitbetroffen ist.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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An zwei Sachverhalten tritt dies deutlich zur Erscheinung: Erstens ist es höchst auffällig, daß Tillich in den Zusammenhängen, in denen er die Fähigkeit der (ontologischen) Vernunft erörtert, keine Unterscheidung hinsichtlich der Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz trifft. Vielmehr gilt für die ontologische Vernunft, daß sie „als universaler logos des Seins dem Inhalt der Offenbarung nicht widerspricht" 60 . Einen Widerspruch gegen den Inhalt der Offenbarung bildet weder die Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit noch die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung. Die Vernunft (auch unter den Bedingungen der Entfremdung!) widerspricht der Tiefe der Vernunft keinesfalls (s.o.), sondern ist der Tiefe der Vernunft nur nicht denkerisch gewahr. Zweitens fällt ebenso auf, daß Tillich tunlichst die Unterscheidung zwischen einer essentiellen Vernunft und einer existentiell entfremdeten Vernunft vermeidet. Zwar unterscheidet Tillich zwischen einer Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und einer Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung, doch spricht er entscheidend vom dem Essentiellen der Vernunft. Die Tiefe der Vernunft ist „das Essentielle aller Vernunftfunktionen" 61 , sie ist „essentiell in der Vernunft offenbar" 6 2 ; „[ijhrer essentiellen Natur nach ist die Vernunft in jedem ihrer Akte und Prozesse auf ihre eigene Tiefe hi-n transparent" 63 . Auch in der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ist das Essentielle noch vorhanden; wenn es auch der Endlichkeit und der Entfremdung unterworfen ist. Das Essentielle ist sowohl Teil der Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit als auch der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz64. So zeigt schon die Begrifflichkeit, daß zwischen der Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz nicht strukturell unterschieden werden soll, mit anderen Worten: die Unterscheidung zwischen der Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ist keine qualitative, sondern nur eine quantitative Unterscheidung. Hat Tillich die Entfremdung der Vernunft nicht als eine strukturelle Verkehrung der Vernunft, sondern Verwirrung der Vernunft gewertet, so trägt er dieser Wertung Rechnung in seiner genauen Beschreibung der

60

ST I, S. 9 1 .

61

ST I, S. 9 7 . Ebd. ST I, S. 9 8 . Vgl. ST I, S. 1 0 1 . - „Im aktuellen Leben der Vernunft ist ihre essentielle Struktur nie ganz v e r l o r e n " (ST I, S. 1 0 1 ) .

62 63 64

298

Zwischen Diastase und Korrelation

Entfremdung der Vernunft. Sie wird nicht beschrieben als ein grundsätzlich falsches Ausgerichtetsein der ganzen Vernunft, sondern als eine Verwirrung der polaren Strukturelemente der Vernunft: Die existentielle Entfremdung der ontologischen Vernunft besteht nach Tillich darin, daß die polaren Strukturelemente der Vernunft gegeneinander kämpfen 6 5 . Sie geraten „in selbstzerstörerische Konflikte, die auf dem Boden der aktuellen Vernunft nie gelöst werden k ö n n e n " 6 6 . Dieser K a m p f der polaren Strukturelemente der Vernunft ist eine notwendige Konsequenz, wenn die Vernunft ins Dasein tritt 6 7 . Die polare Struktur der Vernunft ist aber nicht nur die Ursache für ihre Entfremdung, sondern sie treibt auch zur Frage nach der O f f e n b a r u n g 6 8 ; denn die selbstzerstörerischen Konflikte der Vernunft verlangen nach Heilung, die widerstreitenden Elemente nach Wiedervereinigung 6 9 . Die Frage nach der O f f e n b a r u n g ist die Frage nach der Heilung der Konflikte der Vernunft, der Wiedervereinigung des Auseinandergetriebenen 7 0 . Aus diesem Grunde kann nach Tillich nicht davon gesprochen werden, daß die Vernunft der O f f e n b a r u n g widerspricht 7 1 . „Sie fragt nach der O f f e n b a r u n g , denn O f f e n b a r u n g bedeutet die Integration der in sich zwiespältigen V e r n u n f t " 7 2 . So ist die O f f e n b a r u n g nach Tillich die Ver-

65 66

67 68 69 70 71 72

Vgl. S T I, S. 101. E b d . - Tillich macht drei Paare von polaren Elementen namhaft, die in der essentiellen Form der ontologischen Vernunft ausgeglichen sind, die aber in der Form der existentiellen Entfremdung einander widerstreiten und nach einem Ausgleich verlangen. Der Konflikt besteht jeweils darin, daß die polaren Elemente jeweils nicht verbunden sind, sondern sich verselbständigen. Dieser jeweils parallele Vorgang wird von Tillich an drei Paaren aufgewiesen: Am Konflikt zwischen der Autonomie und der Heteronomie (vgl. ST I, S. l O l f f ) , am Konflikt zwischen dem dynamischen und dem statischen Element der Vernunft (vgl. ST I, S. 105ff) und schließlich am Konflikt zwischen Formalismus und Emotionalismus (vgl. ST I, S. 108ff). So explizit u. a. S T I, S. 101. Vgl. ST I, S. 114. Vgl. u. a. ST I, S. 103; 108; 113. Vgl. S T I, S. 113. Vgl. ebd. E b d . - Um die Frage der Offenbarung aus der existentiell entfremdeten Vernunft zu extrapolieren, wendet sich Tillich genauer der kognitiven Funktion der Vernunft, d. h. ihrer Erkenntnisfunktion, zu, indem Tillich den Vorgang der Erkenntnis in seiner essentiellen Vollkommenheit darlegt und anschließend in seiner existentiellen Entfremdung beschreibt (vgl. ST I, S. 114ff): Der Grundvorgang des Erkennens besteht darin, daß das Subjekt das (Erkenntnis)objekt „ergreift", indem es das Objekt sich angleicht und sich dem Objekt angleicht (vgl. ST I, S. 114). Diesem Vorgang liegt die Methode der „Einigung durch Trennung" (ST I, S. 114) zugrunde und gerade hierin liegt nach Tillich das Problem:

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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söhnung der existentiell entfremdeten Vernunft; denn sie macht die Tiefendimension der Vernunft offenbar. Die Offenbarung ist die Offenbarung der Tiefe der Vernunft, das „was der Vernunft ,vorausgeht'" 7 3 , was der Grund unseres Seins ist74. Als immer schon der Vernunft zugrundeliegende Tiefe der Vernunft erhebt und bewahrt die Offenbarung das Bewußtsein. Alle Vernunftsfunktionen werden durch die Offenbarung über sich hinausgetrieben 75 . Ist der Inhalt der Offenbarung die Tiefe der Vernunft, so gibt schon die Erörterung der Beziehung zwischen der ontologischen Vernunft unter den Bedingungen der Existenz und der Tiefe der Vernunft Aufschluß über Tillichs Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Vernunft. Zeigte sich, daß die ontologische Vernunft auch unter den Bedingungen der Entfremdung keinen strukturellen Widerspruch zu der Tiefe der Vernunft bildet, sondern nur von einer Verwirrung zu sprechen ist, in der die Tiefendimension immer noch aufleuchtet, so gilt dies natürlich auch für das Verhältnis zwischen der Vernunft unter den Bedingungen der Existenz und der Offenbarung. Ein Widerstreit zwischen der Offenbarung und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung ist nach Tillich nicht möglich, weil sich die Vernunft von der Offenbarung hinsichtlich ihres Gegenstandes unterscheiden: Die Offenbarung fügt der Erkenntnis des Seins keine neuen Einsichten hinzu, sondern offenbart die Tiefenstruktur des Seins76. Die Vernunft unter den Bedingungen der Existenz ist nicht strukturell von ihrer Tiefe abgekehrt, daher bedeutet auch die Offenbarung als Offenbarung der Tiefe der Vernunft keinen

73 74 75 76

„Die Einheit von Distanz und Einigung ist das ontologische Problem der Erkenntnis" (ST I, S. 114); denn die existentielle Einigung muß mit dem Offensein vereinigt werden (vgl. ST I, S. 117). Die Offenbarung behauptet, den in der ontologischen Vernunft in ihrer existentiellen Entfremdung liegenden Konflikt zwischen der zur Erkenntnis nötigen Polarität von Einigung und Distanz zu genügen (vgl. ST I, S. 121). So verleiht Tillich, indem er die kognitive Funktion der ontologischen Vernunft fokussiert, noch einmal seiner grundsätzlichen These Ausdruck, daß die Konflikte der ontologischen Vernunft in ihrer existentiellen Entfremdung, die als Konflikte der polaren Strukturelemente der Vernunft beschrieben werden, nach einer Versöhnung verlangen, die die Offenbarung gibt. ST I, S. 133. Vgl. ST I, S. 134. Vgl. ST I, S. 138. Vgl. ST I, S. 155. „In der Offenbarung wird die Schöpfung nicht in ihrer strukturellen Vorfindlichkeit erhellt, in dem etwa das schon Gewußte durch zusätzliche Informationen vervollständigt wird - Offenbarung ist eben nicht Information! - , sondern sie wird im Aufreißen einer neuen, nicht mehr welthaften Dimension als Schöpfung in ihrer Geschöpflichkeit gegenüber dem Schöpfer ins Licht gestellt" (Rein, Paul Tillich, S. 168).

300

Zwischen Diastase und Korrelation

Widerspruch zu der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung. Ist die Tiefe der Vernunft auch in der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung noch - wenn auch verborgen - gegenwärtig, so ist die Offenbarung als Offenbarung der Tiefe der Vernunft eine Erhöhung der Vernunft. Als Erhöhung der Vernunft zerstört die Offenbarung die Vernunft nicht, sondern sie vertieft sie77. Einen Widerspruch zwischen der Offenbarung und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung kann es daher nicht geben78. Vielmehr muß sich die Offenbarung als Tiefendimension der Vernunft vor der Vernunft ausweisen, indem sie erweist, daß sie ihre Tiefe darstellt, die in jeder Vernunftschöpfung gegenwärtig ist 79 . Sie muß zeigen, daß sie den Konflikt der polaren Vernunftelemente versöhnt. Weil die Offenbarung der Vernunft ihre immer schon gegenwärtige Tiefe offenbar macht, ist sie die Rekonvaleszenz der Vernunft in ihrer existentiellen Entfremdung. Beschreibt Tillich die existentielle Entfremdung der Vernunft, d. h. die blinde Vernunft, indem er den Konflikt der polaren Vernunftelemente darstellt, so besteht die Rekonvaleszenz der Vernunft durch die Offenbarung gerade darin, diesen Konflikt zu versöhnen, der existentiell entfremdeten Vernunft ihre essentielle Vollkommenheit zurückzugeben80. Vier Punkte gilt es in diesem Zusammenhang hervorzuheben: (a) Nach Tillich ist die Vernunft auch unter den Bedingungen der Entfremdung nicht durch eine strukturelle Verkehrung ausgezeichnet, sondern nur durch eine Sehschwäche hinsichtlich der Tiefe der Vernunft, die Tillich als den Grund des Seins oder das Sein-Selbst ermittelt. Es besteht nach Tillich kein Widerspruch zwischen der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung und dem Sein-Selbst, etwa in dem Sinne, daß die Vernunft statt auf den wahren Grund des Seins auf das kreatürliche Sein ausgerichtet ist, sondern aufgrund ihrer unverlierbaren Struktur ist der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung der Grund des Seins gewahr, wenn dieser sich auch nur im Kultus und Mythos verdeckt Ausdruck verschafft. Diese Entfremdung des Seins ist aber ein notwendiges Geschehen, das sich vollzieht, wenn die Vernunft ins Dasein tritt. Die Abschwächung 77 78 79 80

Vgl. ST I, S. 1 4 2 ; vgl. auch M a n n , Das W u n d e r b a r e , S. 6 8 . Vgl. ST I, S. 1 5 6 . Vgl. ST I, S. 1 6 8 . Die Offenbarung überwindet den Konflikt zwischen der Heteronomie und der A u t o n o m i e (vgl. ST I, S. 1 7 5 f f ) , zwischen dem statischen und dynamischen Element der Vernunft (vgl. ST I, S. 1 7 8 f f ) und den Konflikt zwischen Formalismus und Emotionalismus (vgl. ST I, S. 1 8 2 f f ) .

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

301

der Blindheit der Vernunft und die Behauptung der notwendigen Entfremdung der Vernunft im Moment, in dem sie ins Dasein tritt, bedingen sich bei Tillich gegenseitig; denn ist die Vernunft im Moment in dem sie ins Dasein tritt, entfremdet, so wäre, wollte man der entfremdeten Vernunft eine strukturelle Verkehrung zusprechen, sie in diesem Moment auch schon strukturell verkehrt 81 , so daß man - und diese Konsequenz will Tillich gerade vermeiden - von einer notwendigen strukturellen Verkehrung sprechen müßte. (b) Tillich identifiziert den Inhalt der Offenbarung mit der (der Vernunft ewig zugrunde liegenden) Tiefe der Vernunft. Die Offenbarung macht die ewige Wahrheit, die der Vernunft immer schon zugrunde liegt, offenbar. Sie bringt ans Licht, was sich in Mythos und Kultus immer schon verdeckt Ausdruck geschaffen hat. Als Enthüllung einer ewigen sich im Mythos und Kultus verdeckt Ausdruck verschaffenden Wahrheit ist aber ausgeschlossen, daß die Offenbarung etwas zum Inhalt hat, was der Vernunft nicht schon immer zugrunde liegt. Keine konkrete, besondere Geschichte, in der Gott sich bekannt macht, kann Gegenstand der Offenbarung sein82, sondern der Inhalt der Offenbarung muß zurückgeführt werden auf ein ewiges Prinzip. (c) Desweiteren gilt es hervorzuheben, daß Tillichs Beschreibung der Vernunft ihren Ort hat in der existentiellen Frage des Menschen, nicht der theologischen Antwort! Die Beschreibung der essentiellen Struktur der Vernunft sowie ihrer existentiellen Entfremdung ist nicht die Aufgabe der Theologie, sie hat keine eigene Erkenntnistheorie zu liefern 83 . Gerade hier zeigt sich, daß dies nur möglich ist, wenn - wie bei Tillich geschehen - die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung nicht als strukturell verkehrt aufgefaßt wird. Eine in sich verwirrte Vernunft vermag ihre Verwirrung zu durchschauen, nicht aber eine grundsätzlich falsch ausgerichtete Vernunft. Fällt so der Vernunft die Funktion zu, die Konflikte zu beschreiben, die durch die Offenbarung überwunden werden, wird sie zum „sachgemäßen Erfahrungshorizont" und damit auch zum „sachgemäßen Auslegehorizont für das Offenbarungsgeschehen" 8 4 . Die Offenbarung muß sich vor der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung ausweisen. Dies setzt - s. o. - aber notwendig voraus, daß der Inhalt der Offenbarung der Vernunft unter den Bedingungen der

81 82 83 84

Vgl. ST I, S. 101. Vgl. bes. Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 415. Vgl. ST I, S. 114f. Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 149. In der Quelle teilweise hervorgehoben.

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Zwischen Diastase und Korrelation

Entfremdung verborgen präsent ist, denn die Vernunft muß auf die Offenbarung vertieft werden können. (d) Schließlich gilt es daran zu erinnern, daß diese Weichenstellung in der Verhältnisbestimmung von Offenbarung und Vernunft die Voraussetzung der Methode der Korrelation ist: Tillich geht es im Streit mit der dialektischen Theologie um die Frage, ob die Offenbarung „mit dem Bestehenden vermittelt, oder nur als kontingent und unvermittelt neben dem Bestehenden stehend gedacht werden kann" 8 5 . Den supranaturalistischen Ansatz der Offenbarungslehre Barths, in der die Offenbarung als das gänzlich Uberraschende nicht vermittelt werden kann, will Tillich verwerfen 86 durch die Methode der Korrelation: die Wahrheit des Evangeliums soll auf die Situation, in der die Botschaft vernommen wird, in der Weise bezogen werden, daß die Botschaft auf die Fragen antwortet, die die Situation stellt. Dies heißt konkret: Tillich will den verborgen präsenten Bezug zur Transzendenz, die zum Menschen unabdingbar gehört, freilegen. Die Vernunft soll auf den Inhalt der Offenbarung hin vertieft werden. Soll aber die Vernunft auf den Inhalt der Offenbarung hin vertieft werden können, so muß der Inhalt der Offenbarung - wenn auch verdeckt - der Vernunft zugrunde liegen. Dazu muß aber Tillich zwei entscheidende Weichen stellen: Zum einen muß - unabhängig von der Unterscheidung zwischen einer Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung - der Inhalt der Offenbarung mit dem identifiziert werden, was der Vernunft immer schon zu Grunde liegt. Zum anderen kann Tillich die Verblendung der Vernunft nicht als strukturelle Abkehr von dem sie generierenden Grund auffassen, sondern nur als eine Verdunklung. Gerade weil es sich bei der Verblendung der Vernunft nicht um eine strukturelle Verkehrung der Vernunft, sondern nur um eine - notwendige (s.o.) - Verdunklung handelt, kann die verblendete Vernunft ihre Verdunklung selbst durchschauen. Die Methode der Korrelation funktioniert also nur so, daß ein kontingentes Geschehen ausgeschlossen wird: Z u m einen ist die Verblendung der Vernunft ein notwendiges, kein kontingentes, Geschehen, zum anderen berichtet auch die Offenbarung nicht von einem kontingenten Geschehen, sondern von etwas, was der Vernunft als ihre - verborgen präsente - Tiefe immer schon zugrunde liegt.

85 86

Ulrich, Ontologie, S. 138. Z u Tillichs Kritik am Barthschen Supranaturalismus vgl. vor allem: Tillich, W a s ist falsch an der dialektischen Theologie'?, bes. S. 255f.

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3.2 Philosophie und Theologie - universaler und konkreter Logos Tillichs Unterscheidung zwischen Vernunft und Offenbarung liegt auch seiner Verhältnisbestimmung von Philosophie und Theologie zugrunde und präzisiert sie; denn fragt die philosophische Betrachtungsweise im Horizont der allgemeinen Vernunft, so die theologische im Horizont des Ergriffenseins von der Offenbarung. Theologie und Philosophie sind nach Tillich gemeinsam vor die Frage nach dem Sein gestellt; denn die Wirklichkeit ist nur eine 87 . Doch unterscheiden sich die Frage der Philosophie und die der Theologie hinsichtlich ihres Gegenstandes, sie nehmen verschiedene Dimensionen der Wirklichkeit in den Blick88: Gegenstand der Philosophie ist die Analyse der Struktur des Seins89, Gegenstand der Theologie ist die Explikation der Tiefendimension dieser Struktur, der ihr inhärente Sinn90. Der Theologe unternimmt daher keine Analyse der Seinsgehalte wie der Philosoph, deren Analyse er übernimmt 91 , sondern er fragt nach dem Grund des Seins91. Auch das Ethos zu dem jeweiligen Gegenstand ist different: Kann der Philosoph Distanz gegenüber seinem Gegenstand einnehmen, so ist die Haltung des Theologen existentiell 93 . In die Struktur des Seins dringt die philosophische Vorgehensweise durch die kognitive Funktion der Vernunft in distanzierter Haltung ein 94 , ihrer Tiefe und ihrem letztlichen Grund wird die theologische Betrachtungsweise nur durch existentielle „Partizipation" 95 gewahr. Argumentiert der Philosoph als Philosoph aus distanzierter Betrachtung und Schlußfolgerung, so der Theologe als Theologe in existentieller „Hingabe" und „Teilhabe" 96 . Die Unterscheidung zwischen Theologie und Philosophie wird von Tillich nun ontologisch durch die Unterscheidung zwischen dem universalen Logos, dem die philosophische Betrachtungsweise dient, und dem konkreten Logos, dem die theologische Betrachtungsweise dient, fun-

87 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Vgl. Rein, Paul Tillich, S. 188. Vgl. ST I, S. 2Off. Vgl. ST I, S. 33. ST I, S. 30; 2 6 7 . Vgl. ST I, S. 34. Vgl. ST I, S. 33. Vgl. ST I, S. 31. Vgl. ST I, S. 32. Vgl. ST I, S. 55. Vgl. ebd.

304

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diert 97 . Von hier aus ist weder ein Konflikt noch eine Synthese möglich 98 . Denn der Theologe übernimmt von dem Philosophen die Explikation des universalen Logos, des Seinsgehaltes. Unternimmt der Theologe selbst solch eine Explikation, so tut er dies als Philosoph, nicht als Theologe. Ein Konflikt ist daher nach Tillich nur dann möglich, wenn der Theologe als ein verkappter Philosoph und der Philosoph als verkappter Theologe arbeitet, d. h. wenn der Theologe als Theologe eine Explikation des Seinsgehaltes gibt, d. h. als Theologe vom universalen Logos statt vom konkreten Logos redet, bzw. der Philosoph als Philosoph von der existentiellen Betroffenheit aus redet 99 . Mit der Unterscheidung zwischen dem universalen Logos und dem konkreten Logos hat Tillich nun die unterschiedlichen Arbeitsgebiete von Theologie und Philosophie markiert und gezeigt, daß Theologie und Philosophie nicht auf dem gleichen Arbeitsgebiet konkurrieren. Aber auch inhaltlich können sie nicht zu unterschiedlichen Aussagen kommen; denn der in Christus konkret gewordene Logos ist zugleich der universale Logos, konkreter und universaler Logos sind letztlich identisch 100 . In dem konkreten Logos wird der universale Logos „manifest" 101 . Daher kann der universale Logos dem konkreten Logos nicht widersprechen 102 , und die Artikulation des universalen Logos in der Philosophie kann der Artikulation des konkreten Logos in der Theologie nicht widersprechen. Daher gilt: „Keine Philosophie, die dem universalen Logos gehorsam ist, kann im Widerspruch zu dem konkreten Logos stehen, dem Logos, der ,Fleisch geworden ist'" 103 . Nun gilt es auch hinsichtlich der Unterscheidung zwischen dem universalen und dem konkreten Logos einige Grundentscheidungen Tillichs hervorzuheben: (a) Die Unterscheidung zwischen der Artikulation der Vernunft in der Philosophie und der Artikulation des Offenbarungswiderfahrnisses in der Theologie als Unterscheidung hinsichtlich des Gegenstandes der Artikulation, nämlich der Artikulation der Strukturen des Seins in der Philosophie und der Artikulation des Grundes des Seins in der Theologie

97 98 99 100

101 102 103

Vgl. ST I, S. 34ff. Vgl. ebd. Vgl. ST I, S. 35f. Vgl. ST I, S. 23ff; vgl. hierzu Henel, Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs, S. 11. ST I, S. 24. Vgl. ST I, S. 37. Ebd.

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wird bei Tillich innerhalb der Prolegomena getroffen vor seiner Darlegung des Verhältnisses von Vernunft und Offenbarung, in der zwischen einer Vernunft in ihrer essentiellen Vollkommenheit und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung unterschieden wird. Von Tillichs hier getroffenen Unterscheidungen zwischen einer Vernunft in der essentiellen Vollkommenheit und einer Vernunft, die, sobald sie ins Dasein tritt, unter die Bedingungen der Entfremdung gerät, wird man aber sagen müssen: Die in der Geschichte auftretende Philosophie ist als eine Artikulation der Vernunft immer eine Artikulation der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung. Nun soll hier nicht ein Widerspruch behauptet werden zwischen Tillichs Unterscheidung zwischen Vernunft und Offenbarung und seiner Unterscheidung zwischen Philosophie und Theologie in dem Sinn etwa, daß Tillich der Philosophie mehr zuschreibe, als er der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung zugesteht. Vielmehr zeigt dieser Abschnitt noch einmal deutlich, welche Möglichkeiten Tillich der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung zuschreibt. Die Vernunft hat nach Tillich eine solche Beschreibung der Strukturen des Seins zu liefern, die dem Grund des Seins nicht widerspricht. Ausgeschlossen ist somit, daß eine von der Offenbarung absehende Explikation der Strukturen des Seins diese Strukturen so beschreiben könnte, daß sie den in der Offenbarung erschlossenen Grund des Seins als Grund der so beschriebenen Strukturen ausschließen. Zeigte sich nun, daß Tillich eine strukturelle Verkehrung der Vernunft nicht kennt, d. h. daß auch die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung auf den wahren Grund des Seins bezogen ist, ihn vielleicht nur noch sehr schemenhaft erahnt, ihn keinesfalls aber pervertiert, so zeigt sich nun, daß die Philosophie in ihrer Explikation der Strukturen des Seins die Stelle für den Grund des Seins offen läßt. Ein Widerspruch zwischen Theologie und Philosophie ist daher nach Tillich schon deshalb ausgeschlossen, weil der Philosoph als Philosoph den Grund des Seins gar nicht thematisch zu machen hat. Doch so leicht ist ein möglicher Widerspruch zwischen Theologie und Philosophie gar nicht zu beseitigen; denn der Philosoph könnte selbst wenn er den Grund des Seins nicht thematisch macht - dennoch in Konflikt mit dem Theologen geraten; nämlich genau dann, wenn er die Strukturen des Seins so beschreibt, daß sie nicht offen sind für die christliche Auffassung vom Grund des Seins. Für Tillich ist ein dem christlichen Glauben widersprechendes Verständnis formaler Strukturen des Seins nicht vorstellbar, weil die Vernunft nicht strukturell verkehrt ist, sondern auch unter den Bedingungen der Entfremdung auf den wahren Grund des Seins ausgerichtet ist. Ist der wahre Grund des Seins der Vernunft schemenhaft gegenwärtig, so vermag sie ihn vielleicht

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nicht mehr denkerisch zu erfassen, sie läßt dann aber seine Stelle offen und vikariiert ihn nicht. Daher gilt für Tillich: Die Philosophie (als das Betätigungsfeld der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung) expliziert tatsächlich den universalen Logos und nicht ein verkehrtes Verständnis des universalen Logos. (b) Zum andern ist auch auf die ontologische Fundierung der Behauptung der Widerspruchsfreiheit zwischen konkretem und universalem Logos hinzuweisen: Der in Jesus Christus Fleisch gewordene konkrete Logos wird von Tillich identifiziert mit dem universalen Logos. Dies kann nun zweierlei bedeuten: Zum einen kann dies behaupten, daß ausschließlich der logos asarkos mit dem universalen Logos identifiziert wird, zum andern, daß der logos ensarkos mit dem universalen Logos identifiziert wird. Im ersten Fall wird unter der Bedingung, daß die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung in der Philosophie wirklich den universalen Logos artikuliert (und nicht eine falsche Vorstellung von dem universalen Logos), eine Widerspruchsfreiheit zwischen Philosophie und der den konkreten Logos artikulierenden Theologie erreicht. Damit wäre aber keine Identifikation von Philosophie und Theologie behauptet, denn der fleischgewordene Logos selbst wird in diesem Fall nicht mit dem universalen Logos identifiziert. Mit der Unterscheidung zwischen dem logos asarkos, der der universale Logos ist, und dem logos ensarkos als der fleischgewordenen Gestalt des universalen Logos wäre zum einen der Weg eröffnet, die Fleischwerdung selbst als ein kontingentes Geschehen zu verstehen, sie somit nicht als den Strukturen des Seins eingegründet bzw. in ihnen intendiert zu verstehen und sie somit nicht ontologisieren zu müssen. Zum anderen wäre aber damit positiv zum Ausdruck gebracht, daß die Fleischwerdung ontologisch möglich ist; denn die Strukturen des Seins können als der Ermöglichungsgrund für die Menschwerdung zur Sprache gebracht werden. Nicht jedoch könnte unter dieser Bedingung der universale Logos auf den logos ensarkos hin vertieft werden, denn es ist ja nicht der fleischgewordene Logos, der mit dem universalen Logos identifiziert wird. Es ist aber deutlich, daß Tillich, wenn er von einer Identifikation zwischen dem universalen und dem konkreten Logos spricht, mit dem konkreten Logos den logos ensarkos meint; denn konkret wird der universale Logos ja allererst durch die Fleischwerdung. Die Identität meint die Identität des „absolut Konkreten" 104 , Jesus Christus, mit dem

104

ST I, S. 2 4 .

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„absolut Universalen" 105 , den Strukturen des Seins106. Um einen Vorgriff (vgl. Kap. 4.2.1) zu unternehmen: Wenn Tillich behauptet, daß die ewige Einheit zwischen Gott und Mensch in Jesus Christus Wirklichkeit wird 107 , so ist es eindeutig der logos ensarkos, der mit dem universalen Logos identifiziert wird. Dies entspricht auch der Intention Tillichs, wie sie in Kap. 3.2 gezeigt wurde. Wenn der Inhalt der Offenbarung der Vernunft immer schon zugrunde liegt, so daß die Vernunft auf die ihr immer schon zugrundeliegende Offenbarung hin vertieft werden kann, dann ist es der logos ensarkos, der mit dem universalen Logos identifiziert werden muß. Mit seiner Identifikation des universalen Logos und des konkreten Logos wird so von Tillich ontologisch fundiert, daß der Inhalt der Offenbarung der Vernunft immer schon zugrunde liegt. So wird man sagen müssen: Wird der Vernunft (unter den Bedingungen der Entfremdung) die Aufgabe zugewiesen, die Strukturen des Seins zu explizieren, während die Offenbarung den Sinn dieser Strukturen namhaft zu machen hat, dann ergänzen sich Philosophie (der Ort der Explikation der Vernunft) und Theologie (Ort der Explikation der Offenbarung) gegenseitig1^. Wird darüber hinaus eine Identität von dem universalen und dem konkreten Logos behauptet, so kommt es zu einer letzten Identität von biblischer Religion und philosophischer Ontologie109. Gerade diese letzte Identität ist die Grundvoraussetzung der Methode der Korrelation. (c) Die Grundvoraussetzungen der Methode der Korrelation treten nun noch einmal deutlich zutage: Erstens liegt der Inhalt der Offenbarung der Vernunft immer schon zugrunde und zweitens ist die Vernunft von ihrem Grund nicht strukturell abgekehrt. Daher kann drittens die Vernunft auf die Offenbarung hin vertieft werden.

3.3 Der Glaube als absoluter Glaube - das Ergriffenwerden von der Tiefe der Vernunft Glaube ist für Tillich „der Zustand des Ergriffenseins durch das, worauf sich die Selbst-Transzendierung richtet: das Unbedingte in Sein und 105 106

107 108 109

Ebd. Auch die Behauptung Tillichs, d a ß die Theologie den konkreten logos darstellt (vgl. ST I, S. 31ff), k a n n nur in diese Richtung verstanden werden. Vgl. bes. ST II, S. 160. Vgl. ebenso Bader, Das ,Wort Gottes' in Paul Tillichs Theologie, S. 2 2 0 . So zu Recht Henel, Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs, S. 12. Vgl. a. a. O., S. 12ff auch weitere Belege.

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Sinn. Auf eine kurze Formel gebracht kann man sagen: Glaube ist Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht, wobei der Ausdruck ,was uns unbedingt angeht' ein subjektives und ein objektives Element verbindet" 1 1 0 . Glaube wird beschrieben als „Zustand des Ergriffenseins von der Macht des Seins-Selbst, die alles transzendiert und an der alles partizipiert. Wer von dieser Macht ergriffen ist, kann sich bejahen, weil er weiß, daß er bejaht ist. Das ist der Punkt, in dem der mystische und der personal begründete M u t zum Sein eins sind" 1 1 1 . Es gilt im folgenden genauer zu fragen, was Tillich mit seiner Definition des Glaubens zu leisten beansprucht und inwiefern sie eine wesentliche Grundvoraussetzung für die Methode der Korrelation ist. Tillich beabsichtigt, den Glauben aus der intellektualistischen und personalistischen Engführung zu befreien; denn der Glaube ist nach Tillich etwas anderes als die intellektuelle Zustimmung zu Aussagen 112 . Gegen das intellektualistische Mißverständnis des Glaubens weist Tillich darauf hin, daß der Glaube sämtliche Geistfunktionen umfaßt 1 1 3 . Ist die Tiefe der Vernunft der Grund des Seins, fundiert der Grund des Seins das sich in der Subjekt-Objekt-Struktur bewegende Seiende und steht so selbst jenseits von allem sich in der Subjekt-Objekt-Struktur bewegenden Seienden, so richtet sich der Glaube, gerade indem er sich auf die Tiefe des Seins richtet, auf etwas jenseits der Subjekt-Objekt-Struktur der Wirklichkeit 1 1 4 . Mit diesem Gedanken will Tillich die personalistische Engführung vermeiden; denn der Glaube hat nach Tillich gar keinen Objektbezug: Gott ist nicht in die Subjekt-Objekt-Struktur eingespannt: „Der absolute Glaube transzendiert auch die göttlich-menschliche Begegnung. [...] In dieser Begegnung herrscht das Subjekt-Objekt-Schema: ein bestimmtes Subjekt (der Mensch) begegnet einem bestimmten Objekt (Gott). M a n kann diese Behauptung umkehren und sagen, daß ein bestimmtes Subjekt (Gott) einem bestimmten Objekt (dem Menschen) begegnet. Aber der Zweifel untergräbt in beiden Fällen die Subjekt-Objekt-Struktur. Die Theologen, die so überzeugt und selbstsicher von der göttlich-menschlichen Begegnung sprechen, sollten bedenken, daß es eine Situation gibt, in der diese Begegnung durch radikalen Zweifel verhindert wird und nichts bleibt als der absolute Glaube" 1 1 5 .

110 ] n 112 113 114 115

ST I, S. 1 5 5 . Tillich, Der M u t zum Sein, S. 1 2 8 . Vgl. ST III, S. 1 5 6 . Vgl. ST III, S. 1 5 8 ; vgl. ausführlicher: Seigfried, Das neue Sein, S. 99ff. Vgl. ST III, S. 1 5 6 . Tillich, Der M u t zum Sein, S. 1 3 1 .

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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Nun fällt zweierlei auf: Tillich hat nicht nur die personalistische Engführung beseitigt, sondern auch das Personale ausgeschieden 1 1 6 . Bei Tillich hat der Glaube nicht nur keine worthafte Struktur mehr 1 1 7 , sondern bei ihm ist „jedes Verhältnis und damit jede Bestimmung Gottes, die ja immer auch Verendlichung und Einschränkung ist, aufgehoben" 1 1 8 . Der absolute Glaube entbehrt jedes personalen Gegenübers 1 1 9 . Zum anderen wird auch der Grund namhaft gemacht, der Tillich dazu veranlaßt hat, dem Glauben jedes personale Gegenüber zu entziehen: Tillich will so mit dem Atheismus ins Gespräch kommen. Weil auch das Negative vom Positiven, das es negiert, lebt 1 2 0 und weil im absoluten Zweifel und in der Sinnlosigkeit die Frage nach dem Sinn schon bejaht ist, insofern die unbedingte Ernsthaftigkeit des Zweifels dem Unbedingten schon teilhaftig ist 121 , ist auch der Atheist ein Glaubender 1 2 2 . Auch der Atheist partizipiert an der Tiefe des Seins, auch er partizipiert am Unbedingten - gerade in der Radikalität seines Zweifels: Der unbedingte Zweifel ist dem Unbedingten teilhaftig. So ist jeder Mensch auf das Unbedingte bezogen 123 . Der radikale Zweifler ist auf die Tiefendimension der Wirklichkeit, auf das Unbedingte, auf das auch er bezogen ist, zurückzuführen und „zu befähigen, auf das ,Reden aller Dinge von Gott' zu hören" 1 2 4 : auf das dem Bedingten zugrunde liegende Unbedingte, auf das dem Endlichen voraus liegende Unendliche. Ist im Zweifel „keine Festung des Glaubens geblieben, in die nicht Elemente des Zweifels eingedrungen sind" 1 2 5 , so muß der Glaube losgelöst werden von der Vorstellung eines - personal gedachten - im Zweifel haltenden Gottes. Der Gott über Gott ist kein seiendes Etwas 1 2 6 , vielmehr ist er der letzte Grund des Seins, „der erscheint, wenn der Gott, dem wir Namen geben,

116

117

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120 121 122 123 124

125 126

Vgl. Bayer, Theologie, S. 2 4 1 . - So lautet a u c h die bekannte Kritik von Z a h r n t , Die Sache mit Gott, S. 4 3 6 ; ders., Tillich als Gestalt des 2 0 . J a h r h u n d e r t s , S. 3 1 . So Seils, Z u r Problematik des Verhältnisses von Sein und W o r t in der T h e o l o g i e Paul Tillichs, Sp. 8 6 7 f f . Bayer, Theologie, S. 2 4 1 . Vgl. Tillich, Ein Lebensbild in D o k u m e n t e n , S. 1 2 1 ; vgl. hierzu kritisch bes. Ernst, Die Tiefe des Seins, S. 1 0 3 . Tillich, Der M u t zum Sein, S. 1 3 0 . ST III, S. 1 6 2 . So zu Recht u. a. Bayer, Theologie, S. 2 4 5 . Vgl. ebenso Seigfried, Das neue Sein, S. 9 9 . Ernst, Die Tiefe des Seins, S. 4 7 ; vgl. ebenso auch Henel, Philosophie und Theologie im W e r k von Paul Tillich, S. 4 6 . Tillich, Das christliche Menschenbild im 2 0 . Jahrhundert, S. 1 8 3 . Vgl. Ernst, Die Tiefe des Seins, S. 1 0 2 .

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versunken ist" 1 2 7 . Der absolute Glaube realisiert sich daher im „Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht" 128 . Tillichs Definition des Glaubens als Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht, läßt sich zum einen begreifen aus den schon dargelegten Voraussetzungen der Methode der Korrelation, zum anderen werden die Konsequenzen dieser Voraussetzung deutlich sichtbar. Macht die Offenbarung die Tiefendimension der Vernunft offenbar, die ihr immer schon vorausgeht und ihr zugrunde liegt, und kann es sich daher bei dem Gegenstand der Offenbarung um kein konkretes Handeln Gottes handeln, sondern um ein ewiges Prinzip, das der Vernunft selbst schon zugrunde liegt, so muß Tillich auch den Glauben von jedem konkreten Bezug lösen. Der Glaube muß sich auf etwas richten, was der Wirklichkeit immer schon als ihr ewiges Prinzip zugrunde liegt. Und gerade hierin deutet sich die letzte Konsequenz der Korrelationsmethode Tillichs an: Der Bezugspunkt des Glaubens ist gar kein reales Gegenüber mehr, sondern nur noch eine Tiefendimension der Wirklichkeit, das Unendliche wird zur Tiefendimension des Endlichen. Damit bilden aber das Endliche und das Unendliche eine letzte Einheit und gerade sie ist die Voraussetzung der Methode der Korrelation 129 . Der Methode der Korrelation liegt so eine reale Korrelation zugrunde 130 . Gott ist „keine getrennte, unabhängige Wesenheit" 131 , vielmehr wird Gott zur letzten Dimension der Wirklichkeit, einer Qualität der Welt132. Es existiert keine persönliche Bezogenheit eines Ich auf ein transzendentes Du 133 . Kein persönlicher Gott ist Gegenstand des transzendentalen Bezugs des Menschen, sondern lediglich eine Tiefendimension des Weltbezuges 134 . Die klare ontologische Differenzierung zwischen Gott und Welt droht zu verschwinden, der Grund des Seins ist von der Welt nicht

127

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Tillich, Vorlesungen über die Geschichte des christlichen Denkens. Teil 1: Urchristentum bis N a c h r e f o r m a t i o n , S. 113. Ders., Der M u t zum Sein, S. 1 3 6 . Die Frage nach der Seinsidentität von Gott und M e n s c h bei Tillich stellt auch heraus Bayer, Theologie, S. 3 6 7 f f . N a c h Bayer teilt Tillich die „idealistische Identitätsprämisse" (a. a. O . , S. 2 3 8 ) , „ d a ß G o t t und der M e n s c h , daß Gott und Welt ursprünglich eins s i n d " (ebd.). So zu Recht auch Henel, Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs, S. 4 5 . S T III, S. 4 7 6 . Vgl. Schwanz, Analogia imaginis, bes. S. 19f; ferner 1 4 9 f f . N a c h Schwanz liegt bei Tillich eine M o d i f i k a t i o n einer Emanationsvorstellung zugrunde (vgl. a. a. O., S. 2 2 ; ferner 1 5 I f f ) . S o zu Recht Schwanz, A n a l o g i a imaginis, S. 4 0 . „ D a s Sein-Selbst manifestiert sich dem endlichen Sein in dem unendlichen Streben des Endlichen über sich h i n a u s " (ST I, S. 2 2 4 ) .

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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mehr zu scheiden 135 . Gott und Mensch stehen sich nicht als Dialogpartner gegenüber, vielmehr sind nach Tillich Gott und Mensch als GottMensch-Einheit wesenhaft geeint 136 . Tillichs Methode der Korrelation ist getragen durch das ontologische Prinzip der Einheit des Endlichen mit dem Unendlichen. Das Unendliche wird zur Dimension der Wirklichkeit selbst. Forderte die Methode der Korrelation - s. o. - , daß Inhalt der Offenbarung der Vernunft immer schon zugrunde liegt, wird dies ontologisch mit der Identität des konkreten mit dem universalen Logos fundiert, so wird der Bezugspunkt des Glaubens eine Dimension der allgemeinen Wirklichkeit.

4. Die theologische Frage: Sünde und Gnade Tillichs Versuch, mittels der Methode der Korrelation den Inhalt der Offenbarung zu vermitteln, macht bestimmte Grundentscheidungen erforderlich. Der Versuch, die Wahrheit des Evangeliums auf die Zeitsituation, in der die Botschaft von Christus vernommen wird, in der Weise zu beziehen, daß sie auf die Fragen antwortet, die die Situation stellt, hat zur entscheidenden Voraussetzung, daß die existentielle Frage schon ausgerichtet ist auf die theologische Antwort. Die damit verbundenen Voraussetzungen sind im vorigen Kapitel dargestellt worden. Im folgenden gilt es zu bedenken, welche Auswirkungen Tillichs Voraussetzungen für sein Sünden- und Gnadenverständnis besitzen.

4.1 Das Prinzip der Sünde Tillichs Sündenlehre hat ihren wesentlichen Ort im zweiten Band seiner Dogmatik, der Korrelation von der Existenz und dem Christus 137 . Will Tillich mittels der Methode der Korrelation die Botschaft und die Situation miteinander in Beziehung setzen, indem die Fragen, die in der Situation enthalten sind, mit den Antworten, die in der Botschaft enthalten sind, in Korrelation gebracht werden, so wird Christus als Antwort auf die Frage zu verstehen gelehrt, die sich aus der Analyse der menschlichen Existenz ergibt. So stellt sich Tillichs Hamartiologie als eben diese Analyse des menschlichen Seins unter den Bedingungen der Entfrem-

135 1,6 137

So zu Recht N ö r e n b e r g , Analogia imaginis, bes. S. 189f. So auch Wittschier, Die „Systematische Theologie", bes. S. 189. Vgl. ST II, S. 25ff.

312

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dung dar. Wird die Sündenerkenntnis somit allein aus der existentiellen Frage gewonnen, die in der menschlichen Situation enthalten ist, so ist es vor allem die existentialistische Analyse des Seins in seiner Entfremdung, die Tillich sich in der Artikulation der Frage zu eigen macht. Mit der Übernahme der existentialistischen Analyse des Seins in seiner existentiellen Entfremdung glaubt Tillich, keine Vorentscheidung getroffen zu haben 138 ; „ [d]enn der Existentialismus analysiert nur, was es bedeutet zu »existieren'. [...] Er entwickelt die Frage, die durch die Existenz gestellt ist, aber er versucht nicht, eine Antwort zu geben, weder in atheistischen noch in theistischen Begriffen" 139 . Weil der Existentialismus mit seiner Beschreibung der existentiellen Entfremdung von Mensch und Welt eine Beschreibung des alten Äon liefert, ist er ein „natürlicher Bundesgenosse des Christentums" 140 . Die Explikation der sündhaften Existenz wird somit bei Tillich gewonnen aus den Einsichten des Existentialismus, zu dem Tillich nicht zuletzt auch die Tiefenpsychologie rechnet 141 . Zwar ist nach Tillich auch die allgemeine Vernunft in der existentiellen Entfremdung entfremdet, d. h. der Vernunft ist ihre eigene Tiefe verborgen, doch verschafft sie sich im religiösen Kultus und Mythos Ausdruck 142 . Drückt nun „die Existentialanalyse [...] in Begriffen das aus, was der religiöse Mythos zu allen Zeiten über die Situation des Menschen ausgesagt hat" 1 4 3 , so ist nur folgerichtig, daß die Sündenerkenntnis aus der Perspektive der Fragen der entfremdeten Existenz gewonnen werden kann 144 . Die Theologie hat nun nach Tillich den Sündenfall als Symbol für die „universale menschliche Situation" 145 darzustellen, d. h. als Übergang vom essentiellen zum existentiellen Sein146. Dieser Übergang ist aber kein Teil einer Geschichte, die sich einmal ereignet haben soll147, „kein Ereignis in Raum und Zeit [...], sondern die transhistorische Qualität aller Ereignisse in Raum und Zeit" 148 , d. h. der Übergang der Essenz zur

138 139 140 141 142 143 144

145 146 147 148

Vgl. ST II, S. 32. ST II, S. 31. ST II, S. 33. Vgl. ST II, S. 34. V g l . ST I, S. 97. Ders., Existentialanalyse und religiöse Symbole, S. 231. So auch Gunda Schneider-Flume, „Entsprechungsgedanken" und Sündenerkenntnis, S. 510. ST II, S. 35. Vgl. ST II, S. 38. Vgl. ST II, S. 35. ST II, S. 48.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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Existenz geht „allem, was sich in Zeit und Raum ereignet, ontologisch voraus" 1 4 9 . Das Gutsein der Schöpfung will Tillich damit nicht in Abrede stellen 150 . Doch ist ihr Gutsein reine Potentialität - „Adam vor dem Fall" ist reine Potentialität 1 5 1 . Wird die Schöpfung aktuell, so verfällt sie der universellen Entfremdung 1 5 2 . Insofern „koinzidieren" Schöpfung und Fall 1 5 3 . Wie Tillich nicht das Gutsein der Schöpfung in Abrede stellen will, so will er auch nicht von einer essentiellen Notwendigkeit der Sünde sprechen 1 5 4 . Der Sprung von der Essenz zur Existenz hat den „Charakter des Sprunges und nicht den der strukturellen Notwendigkeit" 1 5 5 . Tillich jedoch macht diesen Sprung von den Strukturelementen geschöpflichen Daseins, der Freiheit und des Schicksals, und dem Motiv der Angst her einsichtig: Die Angst ist die treibende Kraft 1 5 6 . Der Mensch wird sich seiner endlichen Freiheit bewußt und erlebt diese als Gefahr, sich zu verlieren 157 . Nur weil die „träumende Unschuld" die Möglichkeit des Zweifels enthält, der zum Menschsein des Menschen, d. h. zur ontologischen Vernunft - auch in seiner essentiellen Vollkommenheit gehört 1 5 8 , konnte die „Schlange" den Zweifel hervorlocken 1 5 9 . In Anlehnung an Kierkegaards Interpretation der Angst weist Tillich den doppelten Aspekt der kreatürlichen Angst auf; denn der Mensch, der sich seiner endlichen Freiheit bewußt wird, wird der Gefahr inne, sich durch Selbstverwirklichung oder durch Nicht-Selbstverwirklichung zu verlieren. „Er steht in der Alternative, entweder seine träumende Unschuld zu bewahren, ohne wirkliches Dasein zu erleben, oder seine Unschuld zu verlieren und Erkenntnis, Macht und Schuld dafür einzutauschen. Die Angst dieser Situation wird als Versuchung erlebt" 1 6 0 . Indem der Mensch sich dafür entscheidet, durch Selbstverwirklichung sich vor dem drohenden Verlust seiner Selbst zu bewahren, vollzieht er den Übergang von der Essenz zur Existenz 1 6 1 . Dieser Ubergang darf aber nicht als geschichtli-

149 150 131 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161

ST II, S. 4 3 . Vgl. ST II, S. 5 2 . Vgl. ST II, S. 4 8 . Vgl. ST II, S. 5 2 . Vgl. ST II, S. 5 1 . Vgl. ST II, S. 5 2 . E b d . - Vgl. ferner bes. ST II, S. 1 0 0 . Vgl. ST II, S. 4 1 . Vgl. ST II, S. 4 2 . Vgl. ST II, S. 8 2 . Vgl. ST II, S. 8 3 . ST II, S. 4 2 . Vgl. ebd.

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Z w i s c h e n Diastase und K o r r e l a t i o n

ches Ereignis im Leben des humanen Subjektes gefaßt werden, vielmehr muß - der transhistorischen Qualität der Sünde Rechnung tragend behauptet werden, daß sich der Mensch stets im Zustand der Entfremdung befindet 1 6 2 . Ist die Sünde somit zum einen in der endlichen Freiheit des humanen Subjektes begründet, so zum anderen in seinem Schicksal; denn die Sünde beruht nicht nur auf der verantwortlichen Entscheidung des Einzelnen 1 6 3 . „Moralische Freiheit und tragisches Schicksal gehören zusammen" 1 6 4 . Das schicksalhafte Element der menschlichen Natur wird - so Tillich - gerade durch moderne anthropologische Einsichten erhellt 1 6 5 . Zum einen kann gezeigt werden, „daß in der Entwicklung der Menschheit keine absolute Diskontinuität besteht zwischen tierischer Gebundenheit und menschlicher Freiheit" 1 6 6 , zum anderen bleibt die Frage eine Schwierigkeit, „an welchem Punkt der Individualentwicklung die Verantwortlichkeit anfängt und an welchem sie aufhört" 1 6 7 . Schließlich - und hier greift Tillich nicht zuletzt die psychoanalytische Betrachtung auf - muß auch der Bedeutung des Unterbewußten für die bewußten Entscheidungen des Menschen Rechnung getragen werden 1 6 8 . Es ist somit neben der individuellen Schuld auch die universelle Tragik, die für die existentielle Entfremdung von Mensch und Welt verantwortlich ist 1 6 9 . Gerade am universalen Schicksal der Menschheit wird das Ineinander von individueller Schuld und universellem Schicksal deutlich 170 . Zum einen partizipiert jeder einzelne am Schicksal der Menschheit, er kann sich hiervon nicht befreien 171 . Zum anderen hat jeder durch seine endliche Freiheit - und damit seiner persönlichen Schuld - Einfluß auf das Schicksal der Menschheit 1 7 2 . Im Blick auf das universale Schicksal der Menschheit wird so deutlich, daß sowohl individuelle, persönliche Schuld als auch universelle Tragik für die Entfremdung verantwortlich sind 1 7 3 .

162 163 164 165 166 167 liS 169 170 171 172 173

Vgl. ST II, S. Vgl. ebd. ST II, S. 5 0 . Vgl. ST II, S. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. Vgl. ST II, S. Vgl. ST II, S. Vgl. ebd. Vgl. ST II, S.

48.

49.

54. 67ff. 68. 52.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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Entfremdet ist der Mensch nach Tillich vom Grund des Seins und dadurch von sich selbst und anderen Wesen 1 7 4 . Die Entfremdung des Menschen wird von Tillich - in Anlehnung an die Tradition - als Unglaube 175 , Hybris 176 und Konkupiszenz 177 zur Sprache gebracht. M a c h t der Unglaube die Dimension der Entfremdung vom Grund des Seins stark 178 , die Hybris die in der Abwendung vom Grund des Seins enthaltene Erhebung des Menschen über die Grenzen seines endlichen Seins 179 , so bringt der Begriff der Konkupiszenz das darin wurzelnde Verlangen, dem potenzierten Selbst alles einzuverleiben, zum Ausdruck 180 . Die Sünde wurzelt in der Tendenz der essentiellen Strukturelemente des essentiellen Seins, sich gegeneinander zu bewegen und sich zu zerstören 181 . Die miteinander in Konflikt geratenen Strukturelemente können nicht mehr zum Ausgleich gebracht werden 182 . Aus der entfremdeten Existenz selbst - die zur Verzweiflung treibt 183 - wird so die Frage nach der Überwindung der existentiellen Entfremdung laut 184 ; „Entfremdung in ihren selbstzerstörerischen Konsequenzen treibt zur Verzweiflung" 185 und zum Wunsch nach Erlösung 186 ; denn die essentielle Vollkommenheit ist auch in der existentiellen Entfremdung - wenn auch verborgen - gegenwärtig 187 . Die Verborgenheit der Tiefe des Seins zeigt sich in den verkehrten Versuchen der Überwindung der existentiellen Entfremdung. Der Versuch der Überwindung der existentiellen Entfrem-

174 175 176 177 178 179 180 181 182

183 184 185 186 187

Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. 5 5 f f . Vgl. ST II, S. 57ff. Vgl. ST II, S. 60ff. Vgl. ST II, S. 5 5 . Vgl. ST II, S. 5 8 . Vgl. ST II, S. 6 0 . Vgl. ST II, S. 6 9 Vgl. ST II, S. 7 0 . - So sind es vor allem die polaren Strukturelemente von Freiheit und Schicksal, die miteinander in Konflikt treten. Der entfremdete M e n s c h ergreift willkürlich die Inhalte. Die Freiheit wird zur Notwendigkeit (vgl. ST II, S. 7 2 ) . Auch das statische und dynamische Element streiten widereinander; der Mensch wird zu verschiedenen Objekten hingetrieben, so daß seine D y n a m i k formlos wird (vgl. ST II, S. 7 3 ) . Schließlich sind auch die - in der essentiellen Vollkommenheit in H a r m o n i e zueinander stehenden - Strukturelemente von Individualisation und Partizipation verkehrt. Z u m einen ist der M e n s c h völlig auf sich selbst zentriert, zum anderen verfällt er - willkürlich zu den verschiedenen Objekten hingetrieben - der M a c h t der Objekte (vgl. ST II, S. 7 5 ) . Vgl. ST II, S. Vgl. ST II, S. ST II, S. 8 4 . Vgl. ST II, S. Vgl. ST II, S.

84. 87ff. 96. 89.

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Zwischen Diastase und Korrelation

dung ist kein Kennzeichen der existentiellen Entfremdung, sondern ein Kennzeichen des verborgen gegenwärtigen essentiellen Seins188. Es ist deutlich, daß es Tillich nicht gelingt, den kontingenten Charakter der Sünde zu wahren: Die Sünde wird als Prinzip gefaßt, wie die Essenz zur Existenz wird, wie sich die Schöpfung aktualisiert 189 . Tillichs Gleichung von Verwirklichung und Entfremdung ist problematisch 190 ; denn so wird die Sünde ontologisch erklärt: Sie ist das notwendige Prinzip, wie sich die Schöpfung aufgrund ihrer Endlichkeit aktualisiert 191 . Wird von Tillich zwar die Kontingenz der Sünde - als Reminiszenz an die protestantische Tradition - betont, so unternimmt es Tillich doch immer wieder, das Eintreten der Sünde aus der Endlichkeit der Schöpfung zu erklären. Sobald die Essenz in die Existenz tritt, steht der Mensch notwendig vor der Alternative „entweder seine träumende Unschuld zu bewahren, ohne wirkliches Dasein zu erleben, oder seine Unschuld zu verlieren und Erkenntnis, Macht und Schuld dafür einzutauschen" 192 . Der Eintritt des Menschen in das „wirklichen Dasein" führt notwendig zum Verlust der ,,träumende[n] Unschuld". 193 So behauptet auch Schepers, daß Tillich, den Fall des Menschen verständlich zu machen suche 194 . Doch erblickt Schepers in Tillichs problematischer Sündenlehre eine problematische Inkonsequenz der Methode der Korrelation, keinesfalls aber haben nach Schepers die problematischen Tendenzen der Sündenlehre Tillichs in der Methode der Korrelation und ihren Prämissen ihre Ursache 195 . Tillichs Sündenlehre als problematische Inkonsequenz seiner Methode der Korrelation aufzufassen, greift aber wesentlich zu kurz: Vielmehr zeigt es sich, daß die namhaft gemachten Voraussetzungen der Methode der Korrelation die Aussagen der Tillichschen Sündenlehre geradezu erfordern. Nur weil Tillich seine Sündenlehre im Rahmen der Grundvoraussetzungen seiner Methode der Korrelation entwickelt, kann sie innerhalb dieser Methode ihre sinnvolle Anwendung finden. Soll der Christus die theologische

188 189

190 191

192 193 194 195

Vgl. ST II, S. 96. Vgl. u. a. Schepers, Schöpfung und allgemeine Sündigkeit, S. 110. „Wenn er [Tillich] sagt, daß die Schöpfung potentiell gut ist, aber aktuell entfremdet, so ist das wenig überzeugend, denn die Aktualisierung gehört doch wohl wesentlich mit zur Schöpfung" (a. a. O., S. 117). Vgl. ebenso auch Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 395ff. Vgl. a. a. O., bes. S. 397; ders., Paul Tillich und die dialektische Theologie, bes. S. 155. ST II, S. 42. Ebd. Vgl. Schepers, Schöpfung und allgemeine Sündigkeit, bes. S. 127. Vgl. a. a. O., 106f; 126.

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Antwort auf die existentielle Frage des Menschen sein, so muß die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung sowohl ihrer essentiellen Struktur und ihrer existentielle Entfremdung einsichtig sein, als auch muß sie die Frage nach der Möglichkeit der Überwindung der existentiellen Entfremdung stellen können. Gerade in seiner Korrelation zwischen der existentiellen Entfremdung und dem Christus holt Tillich so seine Beschreibung der Vernunft ein, die er innerhalb der Unterscheidung zwischen Vernunft und Offenbarung gemacht hat. Wird von Tillich der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung die Möglichkeit zugesprochen, sowohl ihre essentielle Struktur zu durchschauen als auch ihre Entfremdung zu erfassen, so ist eine aus dem existentiellen Fragen des Menschen entwickelte Hamartiologie die folgerichtige Konsequenz. Ist es eine wesentliche Voraussetzung der Methode der Korrelation, daß die Entfremdung der Vernunft die notwendige Konsequenz des Wirklichwerdens der Vernunft ist, so trägt Tillich dieser Voraussetzung insofern in seiner Hamartiologie Rechnung, als er den Sündenfall als ewiges Prinzip der sich aktualisierenden Schöpfung begreift. Gerade diese Voraussetzung ist aber entscheidend: Die Entfremdung kann nur unter der Bedingung aus der Perspektive der Entfremdung entwickelt werden, daß sie nicht als eine strukturelle Verkehrung der Vernunft aufgefaßt wird, sondern als ein notwendiges Moment der Vernunft selbst, so daß die Strukturen der Vernunft auf ihr sündiges Prinzip hin vertieft werden können. Es ist somit deutlich, daß Tillich in der Sündenlehre durchaus keine Behauptungen aufstellt, die mit seinen Grundvoraussetzungen in Widerspruch stehen, vielmehr erfahren diese Voraussetzungen in der Sündenlehre ihre konsequente Anwendung. Allerdings vermag Tillichs Hamartiologie in den Grenzen der Prämissen der Methode der Korrelation weder der Kontingenz und der daraus resultierende Unerklärbarkeit der Sünde noch ihrer Unentschuldbarkeit Rechnung zu tragen. Indem Tillich die Sünde als Prinzip ontologisiert, ist es ihm somit verwehrt, die Aussagen des Glaubens über die Sünde zu erreichen. Im Blick auf Tillichs Hamartiologie wird so der Preis der Methode der Korrelation als Mittel zur Apologetik deutlich: Wird die Sünde als Prinzip der Aktualisierung der Schöpfung begriffen, kann zwar die Vernunft als Instrument zur Erschließung der Strukturen der Schöpfung auf das sündhafte Prinzip hin vertieft werden, die Aussagen des Glaubens aber - die Kontingenz und die daraus resultierende Unerklärbarkeit der Sünde wie auch ihr unentschuldbarer Charakter müssen geopfert werden.

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Zwischen Diastase und Korrelation 4.2 Das Prinzip der Gnade 4 . 2 . 1 Das Sein Jesu Christi als Erscheinen eines Prinzips

Tillichs Hamartiologie als Analyse des menschlichen Seins in der Entfremdung zeigte: Die Frage und das Verlangen nach dem essentiellen Sein, dem wahren Menschsein, wird in der menschlichen Existenz in der Situation der existentiellen Entfremdung des Seins laut, weil der Grund des Seins auch in der existentiellen Entfremdung des Seins als ihre Tiefe verborgen gegenwärtig ist. „Es ist die Frage nach einer Wirklichkeit, in der die Selbstentfremdung unserer Existenz überwunden wird, nach einer Wirklichkeit der Versöhnung und Wiedervereinigung, nach schöpferischer Kraft, Sinnhaftigkeit und Hoffnung. Eine solche Wirklichkeit wollen wir das ,Neue Sein' nennen" 1 9 6 . Der christliche Glaube gibt eine Antwort auf die Frage nach dem Neuen Sein 197 . Jesus Christus bringt das essentielle Sein 198 , symbolisch gesprochen: er bringt den neuen Äon 1 9 9 . In ihm ist die Entfremdung des existentiellen Seins vom essentiellen Sein überwunden 200 . Die Antwort, die der Glaube durch das Verlangen nach dem essentiellen Sein in Jesus Christus gibt, ist paradox; denn die Erscheinung der essentiellen Natur des Menschen geschieht unter den Bedingungen der Existenz 201 . Jesus Christus zeigt, „was Gott wünscht, daß der Mensch sei. Er zeigt denen, die unter den Bedingungen der Existenz leben, was der Mensch essentiell ist und darum sein sollte" 2 0 2 . Christus wird so bei Tillich zur Repräsentation des wahren Menschseins203. Bringt Tillich so Christus als den wahren Menschen, als die Bestimmung des Menschseins zur Geltung, so ist doch zu fragen, inwiefern er den Charakter der Gottheit Christi zur Geltung zu bringen vermag: Die Behauptung, daß Gott Mensch geworden ist, ist für Tillich sinnlos; denn das einzige was Gott nicht tun kann, ist aufzuhören, Gott zu sein 204 . In Christus kommt das essentielle Sein des Menschen zur Erscheinung, während man bei Gott nicht von einer Essenz sprechen

196 197

198 199 200

201 202 203 204

ST I, S. 6 1 . Vgl. ST II, S. 107ff. So entfaltet Tillich die Frage aus der Erörterung der entfremdeten Existenz des Menschen (vgl. hierzu Ratschow, Jesus Christus, S. 109). Vgl. ST II, S. 1 0 7 . Vgl. ST II, S. 1 2 9 . Vgl. ST II, S. 1 3 0 ; vgl. auch Wrzecionko, Die Grundlage der Theologie Paul Tillichs, Sp. 8 7 6 . Vgl. ST II, S. 1 0 2 . ST II, S. 1 0 3 . Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. 1 0 4 .

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kann 2 0 5 . Gerade als Repräsentant des wahren Menschseins repräsentiert Christus Gott 2 0 6 . Christus ist als Repräsentant der essentiellen Natur des Menschen Repräsentant der Gottheit, weil das Bild Gottes im ursprünglichen Menschsein verkörpert ist 2 0 7 . Christus repräsentiert so die essentielle Einheit zwischen Gott und Mensch 2 0 8 , die „wesenhafte GottMensch-Einheit" 2 0 9 . In Christus wird die ewige Beziehung zwischen Gott und Mensch offenbar 2 1 0 . Die Behauptung, daß Jesus als der Christus die persönliche Einheit einer göttlichen und menschlichen Natur ist, muß daher nach Tillich durch die Aussage ersetzt werden, daß in Jesus als dem Christus die ewige Einheit von Gott und Mensch historische Wirklichkeit geworden ist. Mit diesen Aussagen droht Tillich nicht nur, die Homousie von Vater und Sohn zu beeinträchtigen 2 1 1 , sondern er verabschiedet die Lehre von der Wesensidentität von Gott und Christus bedenkenlos 2 1 2 . Das ontologische Prinzip, die Einheit des Endlichen und Unendlichen, die wesenhafte Gott-Mensch-Einheit tritt in Christus zur vollen Erscheinung. Als Repräsentant und exemplarische Verwirklichung essentiellen Seins in der Entfremdung 213 offenbart Christus die Tiefendimension des Menschseins, die dem Menschen immer schon - wenn auch verborgen - zugrunde liegt. Von hier aus wird auch der Tod Jesu interpretiert. Jesu T o d wird als notwendige Konsequenz seines wahren Menschseins unter den Bedingungen der Existenz gefaßt 2 1 4 . Konsequenterweise kann daher nach Tillich das Neue Sein, das sich exemplarisch in Jesus als dem Christus verwirklicht, auch vor der Auferstehung erfahren werden 2 1 5 . Der Gedanke der Stellvertretung tritt bei Tillich hingegen völlig in den Hintergrund 2 1 6 .

205 206 207 208 209 2,0 211 212

213 214 215 216

Vgl. ST II, S. 1 6 0 . Vgl. ST II, S. 1 0 3 . Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. 1 3 7 . ST II, S. 1 6 2 . Vgl. ST II, S. 1 0 6 . So Nörenberg, Analogia imaginis, S. 1 9 7 . In dieser Schärfe zu Recht W e n z , Subjekt und Sein, S. 2 9 5 . Gilt von G o t t , d a ß er jenseits von Essenz und Existenz ist, kann von einer „streng gefaßten substantiellen Einheit Gottes mit dem M e n s c h e n Jesus [ . . . ] nicht mehr die Rede sein" (ebd.). Vgl. ähnlich auch Bayer, Theologie, S. 2 5 1 ; 2 5 2 f f . Vgl. Kühn, Kirche, S. 1 3 1 . Vgl. ST II, S. 1 3 4 . Vgl. ST II, S. 1 7 0 . So auch N ö r e n b e r g , Analogia imaginis, S. 2 0 3 . - Tillichs Christologie weist auffällige Parallelen zur christologischen Konzeption Schleiermachers auf (vgl.

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Zwischen Diastase und Korrelation

Das in Jesus Christus erschienene neue Sein ist somit das essentielle Sein unter den Bedingungen der Existenz 2 1 7 . Es hat in einem personhaften Leben, im Leben und Geschick Jesu von Nazareth, volle Gestalt gewonnen 2 1 8 . In der Totalität seines Seins ist Jesus Christus Träger dieses Neuen Seins, nicht einzelne Äußerungen von ihm, einzelne Handlungen - und auch nicht sein Leiden allein macht ihn zum Träger dieses Neuen Seins 219 . Als Antwort des Glaubens auf die Frage aus der existentiellen Entfremdung nach dem essentiellen Sein und zwar als eine Antwort, die die Erscheinung des essentiellen Seins unter den Bedingungen der Existenz zu verstehen lehrt, muß in Christus der Konflikt der existentiellen Entfremdung überwunden sein. Sind die Charakteristika der entfremdenden Existenz Unglaube, Hybris und Konkupiszenz, so ist im essentiellen Sein weder Unglaube 2 2 0 , noch Hybris 2 2 1 , noch Konkupiszenz 222 . Ist die endliche Freiheit, das Schicksal und die Versuchlichkeit im Sein des Menschen begründet, so muß Christus als Manifestation des essentiellen Seins unter den Bedingungen der Existenz auch diesen drei Wesensmerkmalen geschöpflicher Personalität unterworfen sein. So enthält das biblische Jesusbild alle Merkmale der endlichen Existenz 2 2 3 . Als Repräsentant der essentiellen Natur des Menschen, wie sie sich unter den Bedingungen der Existenz präsentiert, ist Jesus Christus aber nicht von der Tiefe des Seins getrennt (Merkmal des existentiellen Seins

hierzu Teil 1: K a p . I . A . 2 . 2 ) : W i e Tillich so erblickt auch Schleiermacher Christus als die Repräsentation des wahren Menschseins und in der gleichen Konsequenz wie bei Tillich wird auch bei Schleiermacher die sakramentale Bedeutung Christi nicht zur Geltung gebracht. Bezeichnet Tillich die Erscheinung des wahren Menschseins als Erscheinung des essentiellen Seins (unter den Bedingungen der Existenz), so wird das w a h r e Menschsein bei Schleiermacher mit dem Terminus „Urbildlichkeit" zur Geltung gebracht. Tillichs Kritik an Schleiermachers Terminus der „Urbildlichkeit" besteht lediglich darin, daß Schleiermacher - so Tillich - nicht die Teilhabe an den Bedingungen der Existenz zum Ausdruck gebracht habe (vgl. ST II, S. 1 6 2 ) . 217 218 219

220 221 222 223

Vgl. u. a. ST II, S. 1 3 0 . Vgl. ST II, S. 1 3 I f f . Vgl. ST II, S. 1 3 2 . - Tillich will sich somit jenseits von Rationalismus, Pietismus und O r t h o d o x i e stellen: T r e n n t der Rationalismus Jesu W o r t e von seinem Sein, der Pietismus Jesu Handeln von seinem Sein, so trennt die O r t h o d o x i e Jesus Leiden von seinem Sein (vgl. ST II, S. 1 3 5 ) . Vgl. ST II, S. 1 3 7 . Vgl. ebd. Vgl. ST II, S. 1 3 8 . ST II, S. 1 3 9 . - So weist Tillich ausführlich die Echtheit der Versuchlichkeit nach (vgl. ST II, S. 139ff) und beschreibt, wie a u c h Christus dem Schicksal unterworfen w a r (vgl. ST II, S. 1 4 1 ) .

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unter den Bedingungen der Entfremdung), sondern mit der Tiefe des Seins verbunden (essentielles Sein in der Existenz). Erscheint das essentielle Sein des Menschen in der Existenz, so hebt es die Bedingungen der Existenz (die Endlichkeit des Menschen, seine Angst und Versuchlichkeit und die Schicksalhaftigkeit seines kreatürlichen Daseins) nicht auf, sondern nimmt sie in die essentielle Einheit mit Gott auP 2 4 . Die „Negativitäten der Existenz" vermögen ihn von der Einheit mit Gott nicht zu scheiden 225 . Fragt die entfremdete Existenz nach dem essentiellen Sein als dem in ihr verborgenen Prinzip des wahren Lebens und gibt der Glaube in Jesus Christus die Antwort, daß das essentielle Sein unter den Bedingungen der Existenz erschienen ist, so kann daher der entfremdeten Existenz auch einsichtig gemacht werden, daß es nur diese Antwort geben kann: das essentielle Sein muß unter den Bedingungen der Existenz erscheinen 226 . 4 . 2 . 2 Salus propter Jesum Christum? Besteht Christi Sein darin, das wahre Menschsein unter den Bedingungen der Existenz zur exemplarischen Erscheinung zu bringen, so ist schon im Ansatz die sakramentale Bedeutung des Kreuzestodes Jesu Christi ausgeblendet. Jesu Tod wird verstanden als die notwendige Konsequenz seines wahren Menschseins unter den Bedingungen der Existenz 227 . Tillich beabsichtigt in seiner Rechtfertigungslehre die existentielle Situation des Menschen ernst zu nehmen; denn will die Theologie Antworten auf die Fragen der Menschen in der existentiellen Entfremdung geben, so muß sie Christus, den Uberwinder der existentiellen Entfremdung, als Antwort auf das Verlangen der Menschen zu verstehen lehren 228 . Tillich erinnert daher daran, daß die Form der theologischen Antwort der Zeitbedingtheit der Fragen unterworfen ist. Antwortete die alte griechische Kirche auf die Frage nach der Endlichkeit und dem Tod, die Reformation auf die Frage nach einem gnädigen Gott und der Vergebung der Sünde, so stellt der moderne Mensch die Frage nach der Überwindung der Selbstentfremdung unserer Existenz 2 2 9 . Dem Zweifel an allem ausgesetzt, fragt der moderne Mensch nach dem Sinn des

224 225 226 227 228 22S>

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ST II, S. 1 4 5 . ST II, S. 1 7 1 . ST II, S. 1 5 8 . ST II, S. 1 3 4 . bes. ST I, S. 6 1 f f . ebd.

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Seins230. Weil die Theologie auf die Frage des modernen Menschen eine Antwort zu geben hat, so ist nach Tillich die Rechtfertigung als Rechtfertigung des Zweiflers zu entfalten 231 . Der Mensch kann „Gott als die Quelle des Sinns" 232 durch Werke, seien sie moralischer oder intellektueller Natur, nicht erreichen. So kann die Frage nach der Überwindung von Sinnlosigkeit und Zweifel nicht beantwortet werden 233 . In der Situation des Zweifels kann der Mensch nichts tun. Und doch gerade in seinem Zweifel ist die Antwort schon enthalten, die Ernsthaftigkeit des Zweifels ist die Antwort 234 ; denn „in der Situation des Zweifels [ist] die Wahrheit, von der man sich getrennt fühlt, gegenwärtig [...], da in jedem Zweifel die Bejahung des Prinzips der Wahrheit vorausgesetzt ist" 235 . Taucht inmitten der Sinnlosigkeit die Frage nach dem letzten Sinn auf, ist der Sinn schon bejaht 236 . Gerade dies ist die Paradoxie der Rechtfertigung: Obwohl in der Situation des Zweifels der Gedanke an Gott untergegangen ist, erscheint Gott „in der letzten Wahrhaftigkeit des Zweifels und der unbedingten Ernsthaftigkeit des Zweifels [...] in dem Erlebnis des Letzten und Unbedingten" 237 . Das Paradox besteht so letztlich darin, daß der Lebenssinn, den der Zweifler sucht, die Voraussetzung des Zweifels ist 238 . Die Rechtfertigung des Zweiflers ist so bei Tillich ein überzeitlicher Akt239; sie ist im Sein selbst eingegründet. Indem Tillich die Rechtfertigung von der Christusversöhnung behutsam auf „den nicht erzwingbaren Geschenkcharakter des Lebens selber" 240 transponiert, löst er die „sola gratia" vom „propter Christum" ab 241 . Rechtfertigung geschieht im „Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht. Es ist die Macht des Seins-Selbst, die bejaht und den Mut zum Sein verleiht" 242 . Wird die Versöhnung so von der konkreten geschichtlichen Tat Jesu Christi abgelöst und zum im Sein eingegründeten Prinzip243, 230 231 232 233 234 235 236 237 238 239

240 241 242 243

Vgl. ders., D a s christliche Menschenbild im 2 0 . J a h r h u n d e r t , S. 1 8 2 f . Vgl. u. a. ST III, S. 2 6 2 f ; ders., Die protestantische Ä r a , S. 1 4 . ST III, S. 2 6 2 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. Tillich, Rechtfertigung und Zweifel, S. 9 1 . Vgl. Tillich, Briefwechsel und Streitschriften, S. 4 0 . Sie geht „logisch und dynamisch allen einzelnen Akten v o r a n " (ebd.). Peters, Rechtfertigung, S. 1 2 5 ; vgl. ders., Gesetz und Evangelium, S. 1 6 4 . So zu R e c h t Peters, Rechtfertigung, S. 1 2 5 . Tillich, M u t zum Sein, S. 1 3 6 f ; vgl. hierzu kritisch Peters, Rechtfertigung, S. 1 2 4 f . So zu R e c h t auch Bayer, Theologie, S. 2 6 1 .

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verbleibt für Jesus nur „noch der Ehrenrang einer letztgültigen Manifestation der Ubermacht des Neuen Seins unter allen Zweideutigkeiten in Natur und Menschheitsgeschichte" 244 . Jesus Christus ist, als Erscheinung des Seins in seiner essentiellen Vollkommenheit, die Verkörperung dieses Prinzips, er kann aber nicht mehr als das Geschehen der Versöhnung zur Sprache gebracht werden 245 . Die Rechtfertigung als der konkrete Zuspruch der Vergebung um Jesu Christi willen ist transponiert auf ein dem Sein selbst gegenwärtiges Prinzip246. Indem Tillich aber die Rechtfertigung des Zweiflers von dem Christusgeschehen ablöst und auf ein im Zweifel selbst angelegtes Prinzip transponiert, entzieht er ihr jede Grundlage247. Die Rechtfertigung erscheint als „,'Trotzdem', das keinen Grund außer sich hat" 2 4 8 . Eine solche konkrete Grundlage kann nur geschichtlich gegeben sein249. Schon im Blick auf die Sündenlehre zeigte sich, daß es wesentlich zu kurz greift, Tillichs Sündenlehre als problematische Inkonsequenz seiner Methode der Korrelation aufzufassen, daß vielmehr die Voraussetzungen der Methode der Korrelation in der Sündenlehre ihre konsequente Anwendung finden. Auch Tillichs Lehre vom Sein und vom Werk Christi wird durch die Voraussetzungen der Methode der Korrelation erzwungen. Wie bei Tillichs hamartiologischer Explikation so tritt auch bei Tillichs soteriologischer Explikation die Leistungskraft - aber auch der Preis! - der Tillichschen (mit Hilfe der Methode der Korrelation geführten) Apologetik deutlich zutage: Macht es Tillichs Methode der Korrelation erforderlich, den konkreten mit dem universalen Logos zu identifizieren, wird damit der konkrete Logos zu einem dem Sein selbst eingegründeten Prinzip, so sind von hier aus die entscheidenden Weichen für Tillichs Lehre von Christus gestellt: Der Glaubensinhalt muß so gefaßt werden, daß er der Vernunft immer schon zugrunde liegt. Ein geschichtlich kontingentes Handeln Gottes, auf das sich der Glaube bezieht, kann nicht zur Geltung gebracht werden. Daß Rechtfertigung und Versöhnung in dem Christusgeschehen bewirkt wird, ist im Rahmen dieser Grundentscheidungen nicht zu denken. Jesus Christus wird zur Repräsentation des wahren Menschseins, die Rechtfertigung

244 245 246

247 248 249

Peters, Rechtfertigung, S. 125. Vgl. hierzu auch ST III, S. 260f. Vgl. Peters, Rechtfertigung, S. 125. ,,[D]as wort-tathafte Zusprechen des Evangeliums wandelt sich in ein innerliches Ergriffenwerden vom Urbild jenes herzbezwingenden Aufleuchtens des Neuen Seins mitten in der Entfremdung" (ebd.). So zu Recht Rein, Paul Tillich, S. 30; Wenz, Subjekt und Sein, S. 309. A. a. O., S. 306. So auch Rein, Paul Tillich, S. 30.

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und Versöhnung wird von der Person Jesu Christi abgehoben und als ewiges Prinzip gefaßt, das in Jesus Christus sichtbar wird. Tillichs Fassung der Christologie und Soteriologie ist so durch die Voraussetzungen seiner Methode der Korrelation erzwungen: Liegt der Inhalt der Offenbarung der Vernunft als ihre Tiefe immer schon zugrunde, kann ein kontingent geschichtliches Handeln Gottes nicht Inhalt der Offenbarung sein. Um diesem in der christologischen und der soteriologischen Reflexion Rechnung zu tragen, muß er sowohl die Exklusivität des Seins als auch des Wirkens Christi bestreiten. So verabschiedet er die Homousie von Vater und Sohn und faßt das Sein Jesu Christi als exemplarische Verwirklichung der dem menschlichen Sein zugrundeliegenden Bestimmung auf. Christus repräsentiert das wahre Menschsein. Gleichzeitig verabschiedet Tillich die Bindung der Rechtfertigung an die Tat Jesu Christi und macht sie zu einem dem Sein inhärenten Prinzip, daß in Christi Leben sichtbar wird. Kurz: Christus kann nicht etwas anderes sein als das, was dem Menschsein immer schon zugrunde liegt, die Vollkommenheit des menschlichen Seins, und er kann nichts bewirken, was nicht immer schon in Wirkung ist. So gilt es auch in bezug auf Tillichs Soteriologie und Christologie festzuhalten: Zum einen ist die Verabschiedung wesentlicher Inhalte des Glaubens erfordert durch die Methode der Korrelation, zum anderen kann aber gerade durch diese Verabschiedung die Methode der Korrelation allererst das leisten, was sie leisten soll: Nur wenn die Rechtfertigung als ewiges Prinzip verstanden wird, das dem Sein immer schon zugrunde liegt, kann die Vernunft hierauf hin vertieft werden. Nur wenn die Rechtfertigung in dieser Weise ontologisiert wird, wird sie zu einem „der vernünftigen Reflexion zugänglichen Sachverhalt" 250 . Gleichzeitig wird aber in der Lehre von der Rechtfertigung deutlich, daß sie es gerade nicht verträgt, von der Person Jesu Christi und von einem geschichtlichen Ereignis gelöst zu werden: Sie verliert ihren Grund, sie erscheint - um die Formulierung von Wenz erneut aufzugreifen - als „,'Trotzdem', das keinen Grund außer sich hat" 2 5 1 .

250 251

T r a c k , Paul Tillich und die Dialektische Theologie, S. 1 5 1 . W e n z , Subjekt und Sein, S. 3 0 6 .

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5. Apologetik durch Entgegenständlichung der Theologie Tillichs Interesse - so wurde deutlich - ist es, die Dogmatik als apologetische Dogmatik zu konzipieren. Tillich ist wesentlich als Apologet zu verstehen252. Die Wahrheit des Evangeliums muß auf die Zeitsituation, in der sie vernommen wird, bezogen werden, so daß sie auf die Fragen antwortet, die die Situation stellt. Aus diesem Grund heißt für Tillich apologetische Theologie antwortende Theologie: Gerade so will Tillich den supranaturalistischen Ansatz der Barthschen Theologie überwinden, in der die Offenbarung als das gänzlich Überraschende nicht mehr vermittelt werden kann. Tillich geht es im Streit mit der dialektischen Theologie um die Frage, ob die Offenbarung „mit dem Bestehenden vermittelt, oder nur als kontingent und unvermittelt neben dem Bestehenden stehend gedacht werden kann" 2 5 3 . Diese Vermittlung zwischen der Botschaft und der jeweiligen Situation soll die Methode der Korrelation leisten; denn die Methode der Korrelation versucht, „die Fragen, die in der Situation enthalten sind, mit den Antworten, die in der Botschaft enthalten sind, in Korrelation zu bringen" 254 . Die Methode der Korrelation unternimmt es somit, die Inhalte des christlichen Glaubens zu explizieren, indem sie existentielle Fragen und theologische Antworten in wechselseitiger Abhängigkeit aufeinander bezieht. Dabei gilt nun zweierlei: Zum einen soll die Theologie keine Antworten geben, die nichts mit der Frage zu tun haben, zum anderen soll sie ihre Antworten nicht aus den Fragen entwickeln. Inhaltlich soll somit die Antwort von der Frage unabhängig sein, formal hingegen soll die Antwort von der Frage abhängen. Doch - so Tillich - dies kann nur gelingen, wenn der Gegenstand des Fragens dem Fragenden irgendwie schon gegeben ist, konkret: wenn die menschliche Frage schon ausgerichtet ist auf die Vergebung. Tillich muß daher eine letzte Einheit von Frage und Antwort postulieren. Tillichs Methode der Korrelation, die die durch die allgemeine Vernunft gestellten existentiellen Fragen und die durch die Offenbarung gegebenen theologischen Antworten aufeinander bezieht, muß, damit es einerseits der allgemeinen Vernunft überhaupt möglich ist, die Fragen zu stellen, auf die die Offenbarung antwortet, und andererseits die Offenbarung wirklich die Fragen beantwortet, die die Vernunft stellt, das Verhältnis von Offenbarung und Vernunft als letzte Einheit fassen. Hierzu muß Tillich bestimmte Vorentscheidungen treffen: Zum einen ist 252 253 254

So auch T a m u r a , Motive und Strukturen der Theologie Paul Tillichs, S. 3ff. Ulrich, Ontologie, S. 1 3 8 . ST I, 15.

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nach Tillich die Vernunft auch unter den Bedingungen der Entfremdung nicht durch eine strukturelle Verkehrung ausgezeichnet, sondern nur durch eine Sehschwäche hinsichtlich der Tiefe der Vernunft, die Tillich als den Grund des Seins oder das Sein-Selbst begreift. Diese Entfremdung des Seins ist aber ein notwendiges Geschehen, das sich vollzieht, wenn die Vernunft ins Dasein tritt. Dabei gilt für Tillich: Gerade weil die Entfremdung ein notwendiges Geschehen ist, kann es sich nicht um eine strukturelle Verkehrung handeln, weil sonst die Vernunft, im Moment in dem sie ins Dasein tritt, strukturell - von Grund auf verkehrt wäre. Gerade weil aber die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung nicht strukturell verkehrt ist und gerade weil die Entfremdung ein notwendiger Prozeß der Vernunft selbst ist - kein kontingentes Geschehen - kann die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung selbst ihr essentielles Sein erkennen und ihre Entfremdung als solche entlarven. Zum anderen identifiziert Tillich den Inhalt der Offenbarung mit der der Vernunft immer schon zugrunde liegenden Tiefe der Vernunft. Diese Grundentscheidungen Tillichs werden fundiert durch seine Verhältnisbestimmung von konkretem und absolutem Logos. Ist es nach Tillich die Aufgabe der Vernunft den universalen Logos zu artikulieren, sind aber in letzter Konsequenz konkreter und universaler Logos identisch, so ist die Einheit zwischen der Frage und der Antwort ontologisch zementiert. Tillich geht es um die Vermittlung der Inhalte des Glaubens, eine Diastase zwischen Glaube und dem Bestehenden wird von Tillich abgelehnt 255 . Weil jeder Mensch im Besitz der Wahrheit ist, ist der Gegner des Christentums nicht als Ungläubiger, sondern als Irrender zu behandeln256. Jeder Mensch kann auf die der Vernunft und der Wirklichkeit immer schon zugrunde liegenden Wahrheit hingewiesen werden. Die Frage impliziert bereits die Antwort, weil die Antwort der Frage schon zugrunde liegt. Tillichs Identitätsprämisse „impliziert Entscheidendes für den Charakter des Fragens. Es ist unter dieser Prämisse allein sokratisch-mäeutisches Fragen und bringt nur an den Tag, was der Fragende und Gefragte, der sich selbst als Frage Begegnende potentialiter, der Möglichkeit nach, immer schon in sich trägt" 257 . Von hier aus ist deutlich, was Tillichs Methode der Korrelation zu leisten vermag: Die allgemeine Vernunft kann auf ihre Tiefendimension 255

256

257

Vgl. Ders., Kritisches und positives Paradox; S. 2 1 7 f f ; hierzu: Kriegstein, Paul Tillichs Methode der Korrelation und Symbolbegriff, S. 2 7 , bes. Anm. 1. Vgl. Tillich, Kirchliche Apologetik, S. 3 5 ; vgl auch ders., Was ist falsch in der dialektischen' Theologie?, S. 2 5 6 ; 2 5 7 . Bayer, Theologie, S. 2 7 2 .

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hingewiesen werden. Deutlich ist aber auch der Preis, den Tillich dafür zu zahlen hat: Wird in einer ,,geschichtsfremde[n] Tendenz" 2 5 8 die Offenbarung als ewiges Prinzip gefaßt, kann die Geschichtlichkeit des Handelns Gottes nicht mehr in den Blick genommen werden. Der Ereignischarakter des Handelns Gottes muß von Tillich aufgegeben werden. Ein neues Handeln Gottes, ein direkter Zuspruch, ist unter diesen Prämissen nicht mehr zu fassen. Sollen die Aussagen des christlichen Glaubens als ewige, der Vernunft - verborgen - zugrunde liegende Prinzipien zur Sprache gebracht werden, muß Tillich erhebliche Modifikationen an der Sünden- und Gnadenlehre anbringen. Der Einbruch der Sünde und das Geschehen der Gnade können nicht mehr als kontingente Ereignisse gefaßt werden, sondern müssen als ewige Prinzipien ontologisiert werden: Die Sünde wird von Tillich als Prinzip gefaßt, wie sich die Schöpfung aktualisiert. Gehört die Aktualisierung doch wesentlich mit zur Schöpfung, so wird die Sünde zu dem notwendigen Prinzip, wie sich die Schöpfung aufgrund ihrer Endlichkeit aktualisiert. Tillich unternimmt denn auch die Anstrengung, das Prinzip der Sünde aus der Endlichkeit der Schöpfung einsichtig zu machen. Wird die Sünde aber als Prinzip der Aktualisierung der Schöpfung gefaßt und wird sie somit fast zur „metaphysischen Notwendigkeit" 2 5 9 , muß Tillich die hamartiologischen Grundaussagen der theologischen Tradition beiseite schieben: Weder kann er der Kontingenz und der daraus resultierenden Unerklärbarkeit der Sünde, noch ihrer Unentschuldbarkeit Rechnung tragen. Es zeigt sich deutlich: Der Preis der Methode der Korrelation ist die Entgegenständlichung des Glaubens. So wie die Sünde bei Tillich in letzter Konsequenz in die Schöpfung selbst eingegründet wird, so wird auch die Erlösung ontologisiert. Wie die Sünde, so ist auch die Rechtfertigung ein überzeitlicher Akt. Die Rechtfertigung - als Rechtfertigung des Zweiflers gefaßt - ist so bei Tillich als ein überzeitlicher Akt ein im Sein-Selbst eingegründetes Prinzip: Das Paradox der Rechtfertigung wird von Tillich so gefaßt, daß der Lebenssinn, den der Zweifler sucht, die Voraussetzung des Zweifels ist. Als ewiges Prinzip, das der Schöpfung selbst eingegründet ist, muß Tillich die Rechtfertigung aber von Gottes geschichtlichem Handeln am Kreuz lösen. Die Rechtfertigung als der konkrete Zuspruch der Vergebung um Jesu Christi willen wird von Tillich transponiert auf ein dem Sein selbst gegenwärtiges Prinzip. Damit entzieht Tillich aber der Recht-

258 259

Wenz, Subjekt und Sein, S. 2 7 4 . Nörenberg, Analogia imaginis, S. 1 9 0 .

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fertigung diejenige Grundlage, auf die sich der Glaube bezieht: der stellvertretende Tod Jesu Christi. Gottes sakramentales Handeln am Kreuz von Golgatha wird von Tillich nicht mehr zur Geltung gebracht; denn der kontingent-geschichtliche Charakter des Christusgeschehens kann unter der Prämisse eines ontologischen Prinzips nicht mehr gefaßt werden. Wird aber Gottes exklusiv geschichtlich-kontingentes Handeln in Jesus Christus beseitigt, so muß sich auch Tillichs Lehre vom Sein Christi diesem Denken fügen: Christus wird zum Repräsentanten des wahren Menschseins, zur exemplarischen Verwirklichung der Bestimmung des Menschen; d. h. das ontologische Prinzip der Einheit des Endlichen und Unendlichen, die wesenhaften Gott-Mensch-Einheit, tritt in Christus zur vollen Erscheinung. Christus offenbart die Tiefendimension des Menschseins, die dem Menschen immer schon - wenn auch verborgen - zugrunde liegt. Damit ist Christus seiner Sonderstellung als menschgewordener Gottessohn beraubt 260 . Die Vermittlung der Begegnung zwischen Gott und Mensch in Christus wird bei Tillich übergangen 261 , die Gottesbeziehung des Menschen ist im Sein-Selbst eingegründet, sie wird in Christus offenbar. Tillich entzieht somit dem Glauben die Grundlage, auf die er sich bezieht. Der Glaube entbehrt jedes personalen Gegenübers, er ist gelöst von jedem konkreten Bezug, er hat keinen spezifischen Anhalt mehr 262 . Ohne Vertrauen auf Gottes geschichtlich-kontingentes Handeln hat Tillichs Verständnis des Glaubens „mit dem Osterglauben der Gemeinde nicht mehr viel zu tun" 263 . Oder - um Barth zu zitieren - : Redet Tillich wirklich vom „positiven Paradox, wenn sein ,Aufweis' [...] in der [...] dogmatischen Setzung eines ersten Prinzips besteht, zu dessen Erfassung die Kirche und der heilige Geist, die Schrift und Christus grundsätzlich überflüssig sind, sondern höchstens nachträglich als Symbole dessen, was ohne sie ist, in Betracht kommen [...] und bei dessen Auswickelung sich nachher nach berühmtestem Muster alles von selbst ergibt, wenn man nur logisch genug zu denken vermag, um sich in den mannigfaltigen Verfügungen des Entdeckers zurechtzufinden" 264 . Tillichs Versuch der Überwindung des Barthschen Christomonismus führt zu einer Entleerung der christologischen Aussagen, indem das

260

261 262 263 264

Vgl. Schmitz, Die apologetische Theologie Paul Tillichs, S. 251; vgl. auch a. a. O., S. 274, A n m . 106. So zu Recht Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 401. So auch Track, a. a. O., S. 129. Nörenberg, Analogia imaginis, S. 209. Barth, Von der Paradoxie des .positiven Paradoxes', S. 232.

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Christusgeschehen auf ein ewiges Prinzip transponiert wird 2 6 5 . Der Supranaturalismus wird für Tillich zum „Verdikt einer gewissermaßen zeitlos falschen Denkungsart" 2 6 6 , weil die religiösen Inhalte vergegenständlicht werden: Durch Anwendung endlicher Kategorien auf Gott macht der Supranaturalismus - so Tillich - Gott selbst endlich 267 . Tillichs Antwort auf die Vergegenständlichung Gottes ist jedoch die Entgegenständlichung der Inhalte des Glaubens. Die Entgegenständlichung des Glaubens ist der Preis der Methode der Korrelation.

6. Fazit Aus dem bisher Erörterten gilt es, folgende Feststellung zu ziehen: Tillichs Methode der Korrelation führt zu einer Verkürzung der theologischen Antworten. Nun findet sich in der Literatur aber auch die scheinbar entgegengesetzte Feststellung, daß nämlich bei Tillich die existentielle Frage durch die theologische Antwort geleitet wird 2 6 8 . Die Leitung der (philosophischen) Frage durch die (theologische) Antwort kann sogar in dem Sinne als positiv gewertet werden, weil Tillich so wenigstens prinzipiell - der Gefahr entgehe, die theologische Antwort zu verkürzen 269 . Dagegen zeigte sich allerdings, daß die Verkürzungen der theologischen Antworten ihren Grund haben in Tillichs Ontologie 2 7 0 . Haben die Verkürzungen der theologischen Antworten ihren Grund in 265

266 267 268

269

270

Dies erkennt nicht Buchert, Die Kriterien der T h e o l o g i e im Werk Paul Tillichs, S. 1 8 8 f f . „ D i e Ü b e r w i n d u n g des C h r i s t o m o n i s m u s geschieht im Tillichschen System also durch eine B e s c h r ä n k u n g expliziter christologischer A u s s a g e n bei gleichzeitiger [...] A u s d e h n u n g der impliziten Christologie auf d a s g e s a m t e theologische S y s t e m " (a. a. O . , S. 1 9 0 ) . Die diese A u s d e h n u n g e r m ö g l i c h e n d e T r a n s p o s i t i o n des Christusgeschehens auf ein Christusprinzip wird bei Buchert nicht problematisiert. Wenz, Tillichs Kritik a m S u p r a n a t u r a l i s m u s , S. 2 3 . Vgl. STII, S. 12. So bspw. Thielicke: „ M a n w ü r d e [...] T I L L I C H falsch verstehen und ihn als säkularen O n t o l o g e n mit jeweils verspätetem christlichem N a c h w o r t mißdeuten, wenn m a n nicht beachtete, d a ß der R ü c k b e z u g auf die christliche B o t s c h a f t schon implizit und vorweg bei der B e m ü h u n g w i r k s a m ist, mit der er die jeweiligen Fragen der G e g e n w a r t aufsucht und formuliert. M i t dem K e r y g m a im R ü c k e n geht er bereits auf jene Fragen der menschlichen Situation z u " (ders., Theologische Ethik, II.2, S. 3.). So vor allem Schepers, S c h ö p f u n g und allgemeine Sündigkeit, bes. S. 1 0 6 . Daher sind nach Schepers die zu beobachteten Verkürzungen der theologischen A n t w o r t nicht auf die M e t h o d e der Korrelation zurückzuführen. Hierauf insistiert zu Recht Henel, Philosophie und Theologie im Werk Paul Tillichs, S. 4 4 .

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Tillichs Ontologie, kann der „Identitätsverlust theologischer Positionen" 271 nicht systemimmanent gelöst werden 272 . Tillichs Beeinflussung der theologischen Antwort durch die existentielle Frage ist nicht nur eine Gefahr, der Tillich teilweise erliegt, die aber nicht aus der Methode der Korrelation folgt 273 , sondern ist in der ontologischen Voraussetzung der Methode der Korrelation begründet 274 , sie hat daher prinzipiellen Charakter. Geschieht die „materiale Entleerung theologischer Termini und Themata zugunsten ihrer erleichterten formalen Anwendbarkeit" 275 , so ist es gerade die Explikation des Inhaltes der Offenbarung als zeitlose Wahrheit, die die Methode der Korrelation ermöglicht als die Vermittlung von zeitloser Wahrheit und konkreter Situation 276 . Im folgenden gilt es daher, die Konsequenzen der Bestreitung der Prämissen der Methode der Korrelation für die apologetische Aufgabe der Theologie zu bedenken.

6.1 Die Sünde als strukturelle Verkehrung der Vernunft Trägt Hirschs Explikation des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins der gewißheitsbildenden Macht des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins keine Rechnung, so gilt es zu fragen, welche Möglichkeit Tillich der Vernunft zuschreibt. Tillich unterscheidet zwischen einer essentiellen Vollkommenheit der Vernunft und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung. Zunächst wird man Tillich darin zustimmen müssen, daß in der essentiellen Vollkommenheit der Schöpfung die Vernunft in jedem ihrer Akte und Prozesse auf ihre eigene Tiefe, den Grund der Wirklichkeit, hin transparent ist. In der essentiellen Vollkommenheit ist der Vernunft Gott als der schöpferische Grund der Wirklichkeit offenbar. Doch geht es bei unserer Frage nicht um die Potentialität der Vernunft unter den 271 272

273 274

275 276

Haigis, Im Horizont der Zeit, S. 175. Gegen Buchter, Die Kriterien der Theologie im Werk Paul Tillichs, S. 196. Daher betont Bayer zu Recht, d a ß Tillichs M e t h o d e der Korrelation „nicht formaler, sondern selbst schon inhaltlich theologischer, materialdogmatischer A r t " (ders., Theologie, S. 224) ist. Auch Fischer betont, d a ß die M e t h o d e der Korrelation kein „beliebiges methodisches Instrumentarium, sondern eine theologische Aussage" (ders., Die Christologie als Mitte des Systems, S. 224) ist (vgl. auch ders., Systematische Theologie, S. 156). Gegen Schepers, Schöpfung und allgemeine Sündhaftigkeit, S. 126. So zu Recht auch Ringleben, Paul Tillich's Theologie der M e t h o d e , bes. S. 263; Schmitz, Die apologetische Theologie Paul Tillichs, S. 2 7 1 f. Heigis, Im Horizont der Zeit, S. 176. So zu Recht auch Ringleben, Paul Tillich's Theologie der M e t h o d e , S. 262.

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Bedingungen der essentiellen Vollkommenheit. Die Frage nach der Potentialität der Vernunft ist ja die Frage nach der Potentialität der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung. Sünde ist aber die Entfernung der Schöpfung von ihrem Grund. Die Vernunft unter den Bedingungen der sündigen Entfremdung erkennt ja gerade Gott nicht mehr als den Grund der geschöpflichen Wirklichkeit an. Welche Möglichkeiten schreibt Tillich der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung zu? Nach Tillich ist es die Aufgabe der Vernunft (und zwar der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung), die Strukturen des Seins zu eruieren. Es zeigte sich bereits, daß Tillich mit der Unterscheidung zwischen universalem und konkretem Logos, zwischen dem Arbeitsgebiet der Theologie und der Philosophie (der Artikulation der menschlichen Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) unterscheidet: Ist der Gegenstand der philosophischen Explikation der universale Logos, so analysiert die Philosophie die Strukturen des Seins, während die Theologie, deren Gegenstand der konkrete Logos ist, den den Strukturen des Seins inhärierenden Sinn, die Tiefenstruktur des Seins, beschreibt. Bei Tillich ist somit die Existentialanalyse eine autonome philosophische Aufgabe 277 , insofern in der Philosophie die entfremdete Vernunft die Analyse der Strukturen des Seins vornimmt. Hier aber erheben sich Fragen: Nicht zu bestreiten ist, daß die ontologische Analyse des Seins ein wichtiger Bestandteil der Theologie und besonders der Apologetik ist278. Die Frage ist aber die, ob die Existentialanalyse eine autonom philosophische Aufgabe ist279 oder ob sie im Lichte des Glaubens vorzunehmen ist 280 . Man wird nach den Voraussetzungen für die Forderung, die Existentialanalyse als autonom philosophische Aufgabe zu begreifen, fragen müssen. Ist es nach Tillich die Aufgabe der Vernunft (und zwar der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung), die Strukturen des Seins zu eruieren, so ist damit vorausgesetzt, daß die Philosophie (als der Ort, an dem die entfremdete Vernunft eine Analyse der Strukturen des Seins unternimmt) eine solche Beschreibung der Strukturen des Seins liefert, die dem Grund des Seins nicht widerspricht. Ausgeschlossen ist somit, daß eine von der Offenbarung absehende Explikation der Strukturen des Seins diese Strukturen so beschreiben könnte, daß sie den in der Offenbarung erschlossenen Grund des 277 278

279

280

Vgl. a. a. O., S. 2 5 9 f ; Schmitz, Die apologetische T h e o l o g i e Paul Tillichs, S. 2 7 3 . So zu Recht Rein, Paul Tillich, bes. S. 189f; Wernsdörfer, Die entfremdete Welt, bes. S., 3 6 6 f f . Hierin scheinen Rein und Wernsdörfer Tillich vorbehaltlos z u z u s t i m m e n (vgl. Rein, Paul Tillich, S. 189f; Wernsdörfer, Die entfremdete Welt, S. 3 6 6 f f ) . Dafür plädiert bspw. Fischer, Die Christologie als Mitte des Systems, S. 2 2 6 .

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Seins als Grund der so beschriebenen Strukturen des Seins ausschließen. Hier nun wird man danach fragen müssen, auf Grund welcher Voraussetzung Tillich annehmen kann, daß die Vernunft eine solche Beschreibung der Strukturen des Seins liefert, die dem in der Offenbarung erschlossenen Grund des Seins nicht widerspricht. Es zeigte sich bereits, daß Tillich eine strukturelle Verkehrung der Vernunft nicht kennt: „Die in der menschlichen Endlichkeit enthaltene Frage ist schon ausgerichtet auf die Antwort: das Ewige. Die in der menschlichen Entfremdung enthaltene Frage ist schon ausgerichtet auf die Antwort: die Vergebung" 281 . Auch die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung ist nach Tillich auf den wahren Grund des Seins ausgerichtet, wenn sie ihn auch nur sehr schemenhaft erahnt, so daß er sich lediglich in Kultus und Mythos Ausdruck zu verschaffen vermag: Keinesfalls aber ist die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung in der Weise pervertiert, daß sie an die Stelle des wahren Grundes des Seins etwas anderes setzt und somit in einer falschen Ausrichtung existiert. Aus diesem Grunde läßt die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung bei ihrer Explikation der Strukturen des Seins die Stelle für den wahren Grund des Seins offen. Daß die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung bei ihrer Analyse der Strukturen des Seins die Strukturen des Seins so beschreibt, daß sie nicht offen sind für die christliche Auffassung vom Grund des Seins, ist für Tillich daher aus dem Grunde nicht vorstellbar, weil die Vernunft nicht strukturell verkehrt ist, sondern auch unter den Bedingungen der Entfremdung auf den wahren Grund des Seins ausgerichtet ist. Ist der wahre Grund des Seins der Vernunft schemenhaft gegenwärtig, so vermag sie ihn vielleicht nicht mehr denkerisch zu erfassen, sie läßt dann aber seine Stelle offen und vikariiert ihn nicht. Gesteht so Tillich im Unterschied zu Hirsch zwar ein, daß der Vernunft unter den Bedingungen der existentiellen Entfremdung ihre eigene Tiefe, der Grund des Seins, nicht mehr transparent ist, so bringt aber auch Tillich - wie Hirsch - keine strukturelle Verkehrung der Vernunft zur Geltung. Vielmehr ist die Vernunft ihrer eigenen Tiefe nicht mehr denkerisch gewahr, sie ist aber auf diese Tiefe bleibend ausgerichtet, so daß sie sich verdeckt in Kultus und Mythos Ausdruck verschafft und die Fragen der Vernunft unter den Bedingungen der existentiellen Entfremdung auf die (zwar nur noch verschwommen gegenwärtige) Tiefe der Vernunft, den Grund des Seins, bleibend zielen. Aufgrund ihrer bleibenden „Gerichtetheit" 282 auf den Grund des Seins kann so die Vernunft 281 282

ST II, S. 22. Ebd.

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auch unter den Bedingungen der Entfremdung eine Analyse der Strukturen des Seins vornehmen. Gerade weil die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung weiterhin auf den Grund der Strukturen des Seins ausgerichtet ist, kann sie die Strukturen des Seins beschreiben, so daß sich die Philosophie als Beschreibung der Strukturen des Seins und die Theologie als Beschreibung des Grundes der Strukturen des Seins nicht widersprechen; denn die Theologie beschreibt genau das, auf das auch die Philosophie ausgerichtet ist, es nur nicht mehr denkerisch fassen kann. Intendiert Tillich somit, die Vernunft nicht als strukturelle Verkehrung zu beschreiben, so faßt er sie als ein notwendiges Geschehen, als eine notwendige Verwirrung, die dadurch bedingt ist, daß die Vernunft ins Dasein tritt. Es zeigte sich, daß für Tillich die Entfremdung als ein notwendiges Geschehen und die Beschreibung der Entfremdung als bloße Sehschwäche der Vernunft sich gegenseitig bedingen; denn gerade weil die Entfremdung ein notwendiges Geschehen ist, kann sie nicht eine strukturelle Verkehrung sein, es sei denn man wolle - und dies will Tillich gerade nicht - die strukturelle Verkehrung als ein notwendiges Geschehen fassen. Diesem Verständnis der Entfremdung trägt Tillich in seiner Hamartiologie insofern Rechnung, als er den Sündenfall als ewiges Prinzip der sich aktualisierenden Schöpfung begreift. Weil die Entfremdung der Vernunft ein notwendiges Strukturprinzip der Vernunft selbst ist, nämlich die Form ihres Wirklichwerdens, kann sich die Vernunft auf dieses Strukturprinzip hin selbst vertiefen 283 . Als Prinzip der sich aktualisierenden Schöpfung stößt die Vernunft bei der Analyse der Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit auf dieses Prinzip ihres Wirklichwerdens. Gerade daher kann die durch den Existentialismus getätigte Beschreibung der Entfremdung ein „natürlicher Bundesgenosse des Christentums" 284 sein. Die Gefahr einer Übernahme einer durch den Existentialismus getätigten Explikation der Entfremdung sieht Tillich somit gerade deshalb nicht, weil auch innerhalb der Entfremdung die Entfremdung als solche erkannt wird. Gerade weil die sündhafte Entfremdung des Menschen nicht als kontingente Verkehrung der menschlichen Vernunft gedacht wird, sondern als notwendige Verdunklung hinsichtlich des Grundes des Seins, kann die Vernunft auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung sowohl die Strukturen des Sein als auch die Entfremdung von dem Grund des Seins beschreiben und nach dem Grund des Seins fragen. 283

284

So zu Recht auch Henel, Philosophie und Theologie im W e r k Paul Tillichs, S. 44. ST II, S. 33.

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Nun zeigte sich schon in der Auseinandersetzung mit Hirsch, daß die Sünde als Widerspruch des Menschen gegen Gott ernst zu nehmen ist. Anders als Tillich, der die Alternative von Glaube und Unglaube verabschiedet und nur noch vor Irrenden sprechen mag 285 , ist daher die Unterscheidung von Glaube und Unglaube als die Alternative des ontischexistentiellen Daseinsvollzuges schlechthin geltend zu machen. Die Rede von der bleibenden „Gerichtetheit" des Menschen ist somit durch die Unterscheidung zwischen der Gerichtetheit auf Gott im Glauben und der Gerichtetheit auf einen Abgott im Unglauben zu ersetzen. Als Widerspruch des Menschen gegen Gott kann daher die Sünde - dies gilt es gegen Tillich festzuhalten - nur als eine strukturelle Verkehrung der Vernunft zur Geltung gebracht werden. Die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung hält die Stelle des Grundes des Seins nicht offen, sondern bietet ein Glaubensurrogat. Wenn daher Track dazu mahnt ernstzunehmen, daß der entfremdete Mensch die Auslegung der Strukturen des geschöpflichen Daseins als Struktur der Gottbezogenheit verweigern kann 286 , so ist dem zuzustimmen: Aufgrund der strukturellen Verkehrung der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung, die anstelle des wahren Grundes des Seins einen Abgott setzt, ist damit zu rechnen, daß die Vernunft unter den Bedingungen Entfremdung gerade eine solche Explikation der Strukturen des Seins liefert, die nicht offen sind für die christliche Auffassung vom Grund des Seins. Als grundsätzlich falsche Gerichtetheit schließt die Sünde notwendig ihre eigene Verkennung ein; denn eine Erkenntnis der Sünde als Sünde, d. h. als Widerspruch gegen Gott den Schöpfer, erfordert ja geradezu, daß Gott als schöpferischer Grund des Seins erkannt wird. So zeigt sich die enge Zusammengehörigkeit der Ablehnung einer theologischen Übernahme philosophischen Analyse der Strukturen des Seins und der Ablehnung einer theologischen Übernahme der philosophischen Analyse der existentiellen Entfremdung des Seins: Besteht die Sünde gerade im Widerspruch des Menschen gegen Gott, d. h. gerade darin, daß der Mensch die Stelle Gottes mit einem Abgott besetzt hält, so vermag es die menschliche Vernunft gar nicht, die Strukturen des Seins von der existentiellen Entfremdung zu scheiden, sondern trägt die existentielle Entfremdung in die Strukturen des Seins ein; denn sie beschreibt die Strukturen des Seins und die Entfremdung von einer solchen Vorstellung vom Grund des Seins, die aus der Perspektive des Glaubens gerade als Sünde entlarvt wird. Vgl. ders., Kirchliche Apologetik, S. 3 5 ; vgl auch ders., W a s ist falsch in der d i a l e k t i s c h e n ' Theologie?, S. 2 5 6 ; 2 5 7 . 286 v g l . T r a c k , Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 4 0 4 . 285

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Wird so die Sünde als Widerspruch des Menschen gegen Gott gefaßt, so sind sowohl die Explikationen der Strukturen des Seins, die Ontologie, als auch die Explikationen der sündhaften Entfremdung eine genuin theologische Aufgabe. Aufgrund der strukturellen Verkehrung der Vernunft ist damit zu rechnen, daß die Fragen der menschlichen Vernunft nicht auf die Antwort zielen, die die Theologie als Explikation des Inhaltes des Glaubens zu bieten hat.

6.2 Die Erlösung als neues Handeln Gottes Es zeigte sich bereits, daß Tillich im Unterschied zu Hirsch zwar nicht behauptet, daß der Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins Erkenntnisgegenstand des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins ist, doch identifiziert auch Tillich den Inhalt der Offenbarung mit der der Vernunft ewig zugrundeliegenden Tiefe, der essentiellen Vollkommenheit. Im Unterschied zu Hirsch ist allerdings diese, der Vernunft ewig zugrundeliegende Tiefe unter den Bedingungen der Entfremdung keineswegs transparent. Erst die Offenbarung in Christus macht die der Vernunft immer schon (allerdings - unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung - verborgen) zugrunde liegende Tiefe der Vernunft offenbar. Einig - und dieser Punkt ist in diesem Zusammenhang entscheidend - ist sich Tillich mit Hirsch aber gerade darin, daß die Offenbarung eine der Vernunft ewig zugrunde liegende Wahrheit zum Gegenstand hat. So bringt die Offenbarung nach Tillich ans Licht, was sich in Mythos und Kultus immer schon verdeckt Ausdruck geschaffen hat, sie bringt ein ewiges Prinzip zu seiner Klarheit. Gerade aber hierin steckt das Problem der Korrelationsmethode: Weil der Inhalt der Offenbarung bei Tillich als ewiges Prinzip nicht als neues Handeln Gottes, als konkrete, besondere Geschichte, in der Gott sich bekannt macht, gefaßt werden kann 287 , können die theologischen Antworten nur ein verborgenes Prinzip der allgemeinen Vernunft artikulieren. Die Transposition des Gegenstandes des Glaubens, Gottes Versöhnungshandeln, von einem konkreten Handeln auf ein zeitloses Prinzip führt aber, wie sich bei Tillich - ebenfalls aber auch bei Hirsch und Schleiermacher - zeigte, notwendig zu einer Verkürzung des Inhaltes des Glaubens: Es zeigte sich, daß die Gottheit Christi zugunsten seiner Menschheit unterbelichtet wird und daß das Erlösungswerk nicht mehr als Tat des Menschen Jesus als des Christus zur Geltung gebracht zu werden vermag. Die christliche Frömmigkeit als Vertrauen auf die Tat 287

Vgl. a. a. O., S. 415.

336

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Jesu Christi wird zu einem Vertrauen auf ein ewiges Prinzip. Die hiermit verbundene Schwierigkeit der Verankerung der Sünde in Gottes schöpferische Intention zeigt sich so bei Tillich ebenso wie bei Hirsch und Schleiermacher. So ist der Forschung nicht verborgen geblieben, daß Tillich aufgrund seiner ontologischen Prämisse nicht in Rechnung zu stellen vermag, daß die Offenbarung Fragen aufreißt, die sich die allgemeine Vernunft niemals gestellt hat, die ihr nicht einmal dämmern 2 8 8 . Die Antworten, die die Theologie aufgrund der Offenbarung formuliert, können bei Tillich nur ein ewiges Prinzip der Vernunft artikulieren, keinesfalls ein neues Handeln Gottes. Gerade hiergegen erhebt aber Wolff Protest: „Der heimgekehrte Sohn ist nicht einfach wieder zu Hause. [...] Der Vater hat wider Erwarten und über alles Erwarten gehandelt" 2 8 9 . Von hier aus wird nun aber die Tiefenproblematik Tillichs deutlich: Gottes Handeln in Christus kann nicht einfach mit der der Vernunft immer schon zugrunde liegenden Tiefe identifiziert werden; als Tiefendimension der Vernunft muß der Gegenstand der Offenbarung der Vernunft immer schon - wenn auch verborgen - zugrunde liegen und in der geschöpflichen Wirklichkeit selbst eingegründet sein. Tillichs Transposition des geschichtlich-kontingenten Handelns Gottes auf ein geschichtslos-ewiges Prinzip läßt eine distinctio zwischen Schöpfung und Erlösung vermissen 290 : Die Erlösung ist in die Schöpfung selbst eingegründet, die Rechtfertigung ein Strukturmoment der Wirklichkeit selbst. Zeigte sich, daß die Kontingenz und der Schuldcharakter der Sünde einerseits sowie die Bindung der Rechtfertigung an das geschichtliche Geschehen der Kreuzigung Jesu von Nazareth andererseits eine Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung in der Art zu denken aufgibt, daß das Christusgeschehen als ein neues Wort Gottes gegenüber der Schöpfung zur Geltung zu bringen ist, daß es mithin verwehrt ist, die Erlösung oder Rechtfertigung als irgendwie der Schöpfung ewig zu Grunde liegend zu denken, so zeigt gerade Tillichs „geschichtsfremde Tendenz" 2 9 1 , die die Rechtfertigung der Schöpfung als ein (ewiges)

288

289

290

2,1

So u. a. a u c h Welker, Der V o r g a n g Autonomie, S. 1 7 8 ; Wolff, Paul Tillichs Christologie, Sp. 8 7 1 ; Ringleben, Paul Tillich's Theologie der M e t h o d e , S. 2 5 7 ; Schmitz, Die apologetische Theologie Paul Tillichs, S. 2 7 2 f ; Nörenberg, Analogia imaginis, S. 1 9 8 ; ähnlich: T r a c k , Der theologische Ansatz Paul Tillichs, S. 4 2 1 . Wolff, Paul Tillichs Christologie, Sp. 8 7 4 ; vgl. ebenso: Nörenberg, Analogia imaginis, S. 1 9 8 . So auch Bayer, Theologie, S. 2 2 2 f : „ M i t solchem Verstehenkönnen des begegnenden Kerygmas hebt sich alles Kontingente jedoch ins Allgemeine und Universale. Auf diese Weise werden die notwendig zu treffenden Unterscheidungen überspielt". W e n z , Subjekt und Sein, S. 2 7 4 .

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Strukturprinzip eingründet, daß er weder den kontingenten Charakter der Sünde noch auch die Bindung der Rechtfertigung und Erlösung an die Geschichte Jesu von Nazareth festzuhalten vermag. Die theologische Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung, die die Erlösung als ein der Schöpfung in keiner Weise zugrunde liegendes Geschehen, sondern als ein neues Handeln Gottes zu denken aufgibt, wird bei Tillich verabschiedet, die Konsequenzen in Kauf genommen. Gleichzeitig aber zeigte sich, daß das Ernstnehmen der Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung eine noetische Konsequenz besitzt: Wenn die Erlösung (in der Gestalt der Rechtfertigung) in keiner Weise der Schöpfung zugrunde liegt, so kann die Erkenntnis der Schöpfung, auch die vollkommenste Erkenntnis der Schöpfung (eine solche Erkenntnis, in der Gott als schöpferischer Grund erkannt und somit die Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit erfaßt wird) keine Erkenntnis der Versöhnung vermitteln. Kurz: Liegt der Schöpfung in keiner Weise die Erlösung zugrunde, kann die Schöpfung nicht auf die Erlösung hin vertieft werden. Tillichs Methode der Korrelation, die gerade aber zur entscheidenden Voraussetzung hat, daß die Rechtfertigung ein Strukturmoment der geschöpflichen Wirklichkeit selbst ist, also eine distinctio zwischen Schöpfung und Erlösung vermissen läßt, funktioniert somit nur deshalb, weil sie durch Nichtbeachtung dieser theologischen Fundamentalunterscheidung sich der Konsequenzen dieser Fundamentalunterscheidung zu erledigen vermag. Bringt eine sokratisch-mäeutische Frage zutage, „was der Fragende und Gefragte, der sich selbst als Frage Begegnende potentialiter, der Möglichkeit nach, immer schon in sich trägt" 292 , so kann die Erlösung bzw. die Rechtfertigung nicht sokratisch-mäeutisch erfragt werden, weil die Erlösung ein neues Handeln Gottes ist, das der Vernunft und der geschöpflichen Wirklichkeit nicht immer schon (als ewiges Prinzip) zugrunde liegt. Die Erfahrungen der Wirklichkeit können nicht auf den Inhalt der Offenbarung hin vertieft werden. Tillichs Identifikation der der Schöpfung zugrunde liegenden essentiellen Vollkommenheit der Schöpfung mit der Erlösung greift wesentlich zu kurz. Weder der kontingente Charakter der Sünde noch der kontingente Charakter der in Christus ergangenen Gnade erlauben es, die essentielle Vollkommenheit der Schöpfung mit der Erlösung zu identifizieren. Nicht zu bestreiten ist damit Jesus Christus als Exemplum: Christus ist auch die Offenbarung der ursprünglichen Bestimmung der Welt, d. h. in ihm ist auch die der Schöpfung zugrunde liegende essen-

292

Bayer, Theologie, S. 2 7 2 .

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tielle Vollkommenheit der Welt gegenüber ihrer sündhaften Entfremdung offenbar, doch blendet eine Identifikation der der Schöpfung zugrundeliegenden essentiellen Vollkommenheit der Schöpfung mit dem Christusgeschehen die sakramentale Bedeutung Christi zugunsten einer rein exemplarischen Bedeutung aus 293 . Als Sakrament, als Gottes geschichtliche Überwindung des kontingenten Bruches, liegt Christus der geschöpflichen Wirklichkeit nicht immer schon zugrunde, sondern ist an eine bestimmte Geschichte gebunden. Von daher gilt - und wird durch die Konzeption Tillichs nachdrücklich bestätigt - : Die sakramentale Bedeutung des Christusgeschehens verbietet es, das Christusgeschehen als Tiefe der geschöpflichen Wirklichkeit zu begreifen und so die allgemeinen Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit auf das Christusgeschehen hin zu vertiefen. Der Versuch, die allgemeinen Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit auf Christus hin zu vertiefen, führt zur Verabschiedung der sakramentalen Bedeutung Christi. Der Glaube sieht den Grund der Versöhnung und Erlösung in dem geschichtlichen Ereignis des Kreuzestodes Jesu begründet. Die Rechtfertigung und Versöhnung kann daher nicht von seinem Grund gelöst und auf ein zeitloses Prinzip hin transponiert werden. Als kontingentes, dem schöpferischen Wort gegenüber heteronomes Wort kann es nicht aus der allgemeinen Erfahrung der geschöpflichen Wirklichkeit herausexegetisiert werden. Gottes sakramentales Handeln in Christus kann daher nicht mäeutisch erfragt werden. Tillichs Methode der Korrelation muß zwangsläufig die Offenbarungsbotschaft eingrenzen 294 .

6.3 Die Eröffnung des Problemhorizontes Die beiden wesentlichen Prämissen der Methode der Korrelation - so zeigte sich - sind der Kritik zu unterziehen: sowohl Tillichs Verständnis der sündhaften Entfremdung des Menschen als auch Tillichs Verständnis des Gegenstandes des christlichen Glaubensbewußtseins. Zum einen ist die Sünde als strukturelle Verkehrung zu denken, d. h. in der sündhaften Entfremdung ist der Mensch von Gott als dem schöpferischen Grund der Wirklichkeit abgekehrt. So kann weder die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung Gottes schöpferisches

293

294

Die Folgen für die theologischen Gehalte sind bereits thematisch geworden: Weder kann die Gottheit Christi angemessen zur Sprache gebracht werden, noch kann die Rechtfertigung an die Person Christi gebunden werden, so daß sie bei Tillich ihren Grund verliert. Vgl. ebenso Schmitz, Die apologetische Theologie Paul Tillichs, S. 271.

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Handeln erkennen, noch ist sie in ihren Fragen ausgerichtet auf Gottes schöpferisches Handeln als Grund der geschöpflichen Wirklichkeit. Betrifft die Bestreitung dieser ersten Prämisse Tillichs Zur-SpracheBringen des schöpferischen Handelns Gottes, so die Bestreitung der zweiten Prämisse, Tillichs Eingründung der Rechtfertigung und Erlösung in Gottes schöpferisches Handeln, das Zur-Sprache-Bringen des erlösenden Handeln Gottes. Liegt Gottes schöpferisches Handeln der geschöpflichen Wirklichkeit als ihr Grund immer schon zugrunde, so kann dies von Gottes erlösendem Handeln gerade nicht behauptet werden. Gottes erlösendes Handeln ist nicht anders zu denken - gegenüber Gottes schöpferischem Handeln - als neues Handeln Gottes, das dem schöpferischen Handeln in keiner Weise zugrunde liegt oder aus ihm abgeleitet werden kann. Gottes erlösendes Handeln kann somit gerade nicht als Tiefendimension der Schöpfung zur Sprache gebracht werden, so daß man formulieren könnte: eine vollkommene - durch die Sünde nicht verstellte - Transparenz des schöpferischen Handelns bedeutet keine Transparenz des erlösenden Handelns. Gottes erlösendes Handeln ist gegenüber Gottes schöpferischem Handeln kontingent, weil es als Rechtfertigung des Sünders Antwort Gottes ist auf den kontingenten Widerspruch des Menschen gegen den schöpferischen Grund des Seins (in der Sünde). Nun aber zeigt sich ein doppelter Sachverhalt: Zum einen gründet Tillich die Sünde - als Prinzip der Verwirklichung der Schöpfung - in die Schöpfung selbst ein. Zum anderen ist sie als Prinzip der Verwirklichung der Schöpfung kein Widerspruch des Menschen gegen Gott, keine strukturelle Verkehrung. Zeigt sich in dieser Unterbestimmung der menschlichen Sünde eine große Parallelität zwischen Hirsch und Tillich, so auch gerade darin, daß sie beide den Widerspruch Gottes gegen den Menschen im Gesetz - der Antwort auf den Widerspruch des Menschen gegen Gott in der Sünde - nicht ernst nehmen: Gottes Schuld- und Todesurteil. 295 So wird allererst im Blick auf die Unterbestimmung des göttlichen Schuld- und Todesurteils Tillichs Unterbestimmung der Versöhnung deutlich, insofern Gottes erlösendes und versöhnendes Handeln als Überwindung seines Schuld- und Todesurteils im Gesetz zu explizieren ist.

29s

Wenn Schwöbel daher Tillichs Theologie vorwirft, Religion zu einem „Feld frei flottierender Unbedingtheitsansprüche und unbestimmter Transzendenzbezüge" (ders., Glaube und Kultur, S. 138f) zu machen, so kann diesem Urteil gerade aus dem Grunde nur nachdrücklich zugestimmt werden, weil zwischen dem transzendenten Grund des Schuld- und Todesurteils im Gesetz und dem transzendenten Grund des Freispruchs im Evangelium bei Tillich nicht unterschieden wird.

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Die Rechtfertigung wird bei Tillich aus der Proklamation des Opfertodes Christi herausgelöst und in ein ewig gültiges Prinzip übersetzt, gerade weil die Rechtfertigung als Gottes Überwindung seines Schuldund Todesurteils im Gesetz nicht zur Geltung gebracht wird. ,,[E]in direkter Zuspruch der Vergebung um Jesu Christi fremder Gerechtigkeit willen taucht nicht mehr auf" 296 , gerade weil die Schärfe des anklagenden und verdammenden Gesetzes verkannt ist. Die Unterscheidung zwischen einem Schuldspruch Gottes und einem Vergebungswort Gottes kommt daher schon im Ansatz nicht in den Blick. So macht denn auch Peters in seiner Untersuchung darauf aufmerksam, daß die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium in Tillichs gesamten Schrifttum an keiner einzigen Stelle ausdrücklich thematisch wird 297 , sondern die Dialektik zwischen Gottes richtendem Gesetz und seinem freisprechenden Evangelium in die Dynamik des Lebensprozesses eingegründet ist298. So wird die Realdialektik von Gesetz und Evangelium expliziert als ewiges Zusammenspiel von Struktur und Tiefe des Seins299, und damit transponiert „auf jenes gnadenhafte Aufleuchten der Tiefe der Vernunft mitten in der gesetzhaften Struktur des Seins" 300 . Gerade hierin aber hat Tillichs Unterbestimmung des Gegenstandes des Glaubens und des Charakters der christlichen Frömmigkeit ihre Ursache: Gottes Versöhnung wird nicht als durch die geschichtliche Person Jesu von Nazareth vollbrachte Überwindung des anklagenden und verdammenden Gesetzes verstanden, sondern als das der Vernunft ewig zugrunde liegende Paradox, daß der Lebenssinn, den der Zweifler sucht, die Voraussetzung des Zweifels ist. Die christliche Frömmigkeit wird bei Tillich nicht als das Fliehen von Gottes anklagendem und verdammendem Gesetz unter die bergende Macht des freisprechenden Evangeliums, sondern als absoluter Glaube, als das Bejahen des Bejahtseins ohne jemanden oder etwas, das uns bejaht, zur Sprache gebracht. Wird das Versöhnungshandeln Gottes aber als geschichtliches Handeln Gottes, das den kontingenten Widerspruch des Menschen gegen Gott in der Sünde sowie den Widerspruch Gottes gegen den ihm widersprechenden Menschen im Schuldspruch und Todesurteil des Gesetzes überwindet, verstanden, taucht - wie in der Auseinandersetzung mit Hirsch bereits festgestellt - das eigentliche Problem der apologetischen Bemühungen in seiner ganzen Schärfe allererst auf; denn die Frage, wie 296 297 298 299 300

Peters, Gesetz und Evangelium, S. 164. Vgl. a. a. O., S. 146, Anm. 1; Amelung, Die Gestalt der Liebe, S. 208. Vgl. auch Peters, Rechtfertigung, S. 126. Vgl. bes. ST I, S. 218. Peters, Gesetz und Evangelium, S. 164.

Die Methode der Korrelation (P. Tillich)

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die Verkündigung von Jesus als dem Christus mit den Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen ist, hat zu bedenken, daß in der gefallenen Welt Gottes Gesetz laut wird. Die gefallene Welt steht unter Gottes Gesetz. Die menschlichen Erfahrungen unter der Bedingung der sündhaften Entfremdung sind Erfahrungen der Begegnung mit Gottes Gesetz; nach dem kontingenten Einbruch der Sünde artikuliert sich die Vernunft im Horizont des Gesetzes Gottes301. Die Frage ist daher, was die Vernunft unter dem Gesetz zu leisten vermag, wie aus theologischer Perspektive die Erfahrungen des Menschen zu beurteilen sind - als Erfahrungen unter dem anklagenden und verurteilenden Gesetz. Hier gerade tauchen die Schwierigkeiten allererst auf, denen sich sowohl Hirsch als auch Tillich so großzügig entledigt haben. Zeigte sich bereits, daß der menschlichen Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung die Natur unleserlich geworden ist, daß unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung Gottes schöpferisches Handeln als der Grund der Wirklichkeit, d. h. die Welt als Schöpfung Gottes, verkannt wird, so gilt es zu bedenken, was es heißt, daß in der Schöpfung die Stimme des verurteilenden und anklagenden Gesetzes laut wird. Und zeigte sich, daß die Sünde als struktureller Widerspruch gegen Gott die Verkennung der Sünde als Sünde notwendig einschließt, so gilt es zu bedenken, was dies für die Erkenntnis des Gesetzes als Gesetz unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung bedeutet. Und schließlich gilt es allen Ernstes zu bedenken, was es für die Auseinandersetzung des Evangeliums mit den existentiellen Erfahrungen des Daseins bedeutet, daß die Erfahrungen des existentiellen Daseins Erfahrungen unter der Begegnung mit Gottes Gesetz sind, des Gesetzes, das dem Evangelium widerstreitet.

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Gerade hierin wurzelt - aus theologischer Perspektive geurteilt - Tillichs Verkürzung a u c h der existentiellen Frage. Bemerkt A d o r n o , Tillich sei „ein w a n delndes System von A n t e n n e n " (aus einem Interview, in: W e r k und W i r k e n Paul Tillich, S. 2 5 ) , so geht es uns nicht d a r u m zu kritisieren, daß Tillich einige Strömungen der Kultur nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt h a t , sich Tillichs M o d e r n i t ä t etwa nur in den „bürgerlichen G r e n z e n " (so Sandberger, Theologische Existenz angesichts der Grenze und auf der Grenze, S. 8 1 ) hält, die W e r k e der Objektkunst, des Surrealismus und des Dadaismus hingegen ausblendet (vgl. ebd.). Es geht in der theologischen Kritik an den existentiellen F r a g e n auch nicht d a r u m , d a ß Tillich „über die prinzipielle Fragmentarizität seiner Beobachtungen zu wenig reflektierte Rechenschaft abgelegt [ h a t ] " (Haigis, Im H o r i z o n t der Zeit, S. 1 7 4 ) . Vielmehr gilt zu unterstreichen, d a ß die existentielle Fragen aus theologischer Perspektive gerade deshalb als unterbestimmt erscheinen, weil sie nicht als Fragen unter dem Gesetz Gottes zur Sprache g e b r a c h t werden.

Β Das Modell der Diastase: Die Unmöglichkeit der Anknüpfung an die Erfahrungen des existentiellen Daseins (W. Eiert) 1. Die Absicht: Diastase statt Vermittlung - Die Entgegensetzung von menschlichem Selbstverständnis und dem Zeugnis von Christus Tillich intendiert, die Wahrheit des Evangeliums auf die Zeitsituation, in der die Botschaft vernommen wird, in der Weise zu beziehen, daß er zwischen den Fragen, die aus dem menschlichen Selbstverständnis erwachsen und den Antworten, die die Theologie aufgrund der Offenbarung besitzt, vermittelt. Für Tillich ist Theologie wesentlich apologetische Theologie. Zu Recht kann daher behauptet werden, daß der Gesichtspunkt der Apologetik in keinem großen systematischen Entwurf des 20. Jahrhunderts so bestimmend gewesen ist wie bei Tillich. Die Frage, ob Eiert als Apologet bezeichnet werden kann, ist dagegen schwierig. Zum einen wird betont, daß Eiert gar keine apologetischen Nebentendenzen verfolge 1 und daß keiner der Vermittlung so stark widersprochen habe wie Eiert 2 , auf der anderen Seite wird hervorgehoben, daß Eiert den Menschen der Gegenwart ansprechen will 3 . So fragt P. Brunner sogar: „[Ejine Summa theologica als Summa contra gentiles. Ob das gut geht? O b hier nicht weniger mehr gewesen wäre?" 4 Eiert kämpft einen leidenschaftlichen Kampf um die Wahrheit der evangelischen Botschaft 5 . „Wahrheit und Irrtum können keinen Frieden 1 2 3 4 5

So u. a. Fischer Systematische Theologie, S. 135. So u. a. Bayer, Theologie, S. 287f. Vgl. Brunner, Kritisches zu Elerts Dogmatik, S. 49f. A. a. O., S. 49. So urteilt Althaus, Werner Elerts theologisches W e r k , S. 401: „Wie Eiert als Theologe überhaupt eine kämpferische N a t u r war, so blitzen auch in seinen Büchern immer wieder polemische Lichter. W o er die Wahrheit, für die er eintritt, verkannt sieht, da k a n n er zornig Feuer geben und die W a f f e n des Sarkasmus und der Ironie gebrauchen". Dies bezeugen auf ihre Weise auch die Autobiographien von Thielicke, Z u Gast auf einem schönen Stern, 83ff; Trillhaas, Aufgehobene Vergangenheit, 86ff; von Loewenich, Erlebte Theologie, S. 120ff.

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miteinander schließen. Wo die Wahrheit auf dem Spiel steht, darf es auch keine Kompromisse geben" 6 . Diese Wahrheit - ohne Kompromisse! - zu bezeugen, war seine Forderung an die „Sprecher der Christenheit" 7 . Die unaufgebbare Aufgabe des Christen, die Wahrheit der evangelischen Botschaft in der Welt zu bezeugen, und speziell des christlichen Theologen, hierüber in systematischer Reflexion Rechenschaft zu geben, begründet für Eiert die Notwendigkeit, die konkrete Lebenswirklichkeit des Menschen, der Adressat des Evangeliums ist, zum Gegenstand theologischen Nachdenkens zu machen. Für die Bezeugung des Evangeliums in der Welt ist es für Eiert unerläßlich, „auf die Konkreta unserer menschlichen Existenz Bezug [zu] nehmen" 8 , an der Wirklichkeit des Menschen nicht vorüberzugehen, sondern sich die Fragen der Menschen „in der konkreten Dringlichkeit des natürlichen Lebens" 9 stellen zu lassen. In seinem Bemühen, die Wucht der Ereignisse theologisch zu durchdenken und den Erfahrungen des Daseins Raum innerhalb der theologischen Explikation zu gewähren, liegt die deutliche - schon herausgestrichene - Parallele zwischen Eiert und Tillich: gerade um die Botschaft des Evangeliums zu formulieren, will Eiert auch der Situation und den Erfahrungen der Adressaten Rechnung tragen. Das heißt für Eiert, daß er das Selbstverständnis des Menschen - außerhalb von Christus - einer ausführlichen Untersuchung unterzieht 10 . Doch - und hierin liegt die Besonderheit und der diastatische Charakter seiner Theologie wie auch sein Gegensatz zu Tillich - die Botschaft von Christus wird an diese Erfahrungen nicht in irgendeiner Weise „angeknüpft", hier wird in keiner Weise vermittelt, vielmehr wird die in Christus erschienene Wahrheit dem Selbstverständnis des Menschen schroff entgegengesetzt: „Dem menschlichen Selbstverständnis kann [...] das Zeugnis von Christo nur entgegengesetzt werden" 11 . „Alle apologetischen Künste" 12 der Vermittlung zwischen dem menschlichen Selbstverständnis und dem Zeugnis von Christus werden vehement abgelehnt. Elerts radikale Entgegensetzung steht so Tillichs Theologie der Vermittlung gegenüber 13 . 6

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" 12 13

Eiert, Der Ruf zur Einheit, Sp. 7 2 6 . - So erinnert Eiert immer wieder d a r a n , „ d a ß die Vorzeichen der Wahrheit, wie Kierkegaard sagte, polemisch sind" (ebd. Vgl. hierzu auch: Z u den W a f f e n , Sp. 525). Vgl. ders., Die Forderung unseres Zeitalters an die Sprecher der Christenheit, bes. Sp. 435. Ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 20. Ebd. Am ausführlichsten CG, S. 57ff. CG, S. 53. Ebd. Um einen glücklichen Ausdruck aufzugreifen: ,,[D]er KorrelationsmethodeTiWichs [entspricht] bei Eiert eine Konfrontationsmethode" (Bayer, Theologie, S. 298).

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Nun zeigte sich, daß Tillichs Methode der Korrelation notwendige theologische Grundentscheidungen außer Kraft setzt und wesentliche Aussagen des Glaubens nicht zur Geltung zu bringen vermag. Es zeigte sich, daß die Leistungen der Methode der Korrelation darum nicht in Anspruch genommen werden können, weil sie auf problematischen Voraussetzungen und daraus erwachsenden Verkürzungen beruhen. Bei Elerts Methode der diastatischen Entgegensetzung gilt es daher zunächst, die Voraussetzungen der Methode der Diastase namhaft zu machen. Es gilt aber gleichermaßen, die Durchführung der diastatischen Entgegensetzung zu bedenken und nach der Leistungskraft dieser Entgegensetzung zu fragen.

2. Die Voraussetzungen der Diastase 2.1 Wider der Verschmelzung mit dem allgemeinen Zeitbewußtsein Schon in seiner Theologiegeschichte des 19. Jahrhunderts „Der Kampf um das Christentum" gilt für Eiert unumstößlich, daß sich der christliche Glaube seine Gewißheit nicht „von den Naturwissenschaften und andern artfremden Instanzen garantieren [...] lassen [kann] und sie so der Wandelbarkeit vergänglicher Weltanschauungen [...] unterwerfen" 14 darf, daß sich die christliche Gewißheit vielmehr unabhängig von diesen Instanzen konstituieren muß 1 5 . Eiert fordert hiermit jedoch weder einen Rückzug aus der Kulturwelt, noch auch lehnt er jede Form der Synthese zwischen christlichem Glauben und allgemeiner Kultur ab. So kann Eiert beispielsweise den Versuch Stoeckers, „das im Marxismus steckende soziale Element zu versittlichen und ihn so für das Christentum assimilierbar zu machen" 1 6 , als ein „Beispiel berechtigter, ja notwendi-

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Eiert, Der K a m p f um das Christentum, S. 5 . Vgl. ebd. - So weist Eiert mit beeindruckender Kenntnis der neuzeitlichen Theologie- und Philosophiegeschichte nach, daß in der Geschichte der Christenheit immer dann, wenn der kulturellen und wissenschaftlichen Umwelt die Aufgabe zugewiesen wurde, die W a h r h e i t des christlichen Glaubens zu garantieren, m a n diesen in eine geradezu verhängnisvolle Abhängigkeit führte; denn mit dem Zugeständnis, die W a h r h e i t des christlichen Glaubens zu garantieren, ist immer zugleich die Möglichkeit verbunden (und indirekt zugestanden), diese zu bestreiten. Dies verdeutlicht Eiert an der Philosophie Hegels (vgl. Kampf, S. 2 1 3 1 ; 1 5 9 - 2 1 4 ) und an der Aufnahme dieser Philosophie bei Strauß und Feuerbach (vgl. K a m p f , S. 3 - 5 ; 1 7 1 - 1 7 5 ) . Vgl. hierzu ausführlich: R o t h , Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 1 4 , A n m . 5 3 . Eiert, Der K a m p f um das Christentum, S. 4 8 7 .

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ger Synthese" 17 bezeichnen. Im gegenwärtige Zeitalter jedoch sieht Eiert das allgemeine Denken einer solchen „Diffusion der Weltanschauung und der Lebensgestaltung"18 verfallen, daß eine solche Synthese nicht mehr herzustellen ist 19 . Daher ist das Gebot der Stunde: „Das Christentum aus den Verschlingungen mit einer untergehenden Kultur zu lösen, damit es nicht mit in den Strudel hinabgerissen werde" 20 . Doch gilt daran zu erinnern: ,,[E]ine zu allen Zeiten gültige Regel für das notwendige Verhalten des Christentums und besonders der Theologie gegenüber der Umwelt gibt es nicht. [...] Veränderungen im Verhalten des einen Kontrahenten bedingen mit Notwendigkeit auch Veränderungen im Verhalten des andern" 21 . Grundsätzlich ist es somit die jeweilige kulturelle Umwelt, die das Verhalten des Christentums gegenüber der kulturellen Umwelt bestimmt. Bestimmt so Eiert das Verhältnis des Christentums zu der kulturellen Umwelt keinesfalls statisch, ist es vielmehr die jeweilige Gestalt und Prägung der kulturellen Umwelt, die das Verhältnis des Christentums zu ihr bestimmt, so darf nicht übersehen werden, daß Eiert auf einer tieferen Ebene eine radikale Diastase verlangt - unabhängig von der Gestalt und Prägung der jeweiligen kulturellen Umwelt: ,,[A]uch die engste Assoziation mit solchen Kulturträgern darf die Christenheit nicht dazu verführen, die eigene Gewißheit durch jene garantieren zu lassen oder in der freudigen Erregung über eine solche Synthese ihre transzendenten Motive und Ziele zu vergessen"22. Welche Gestalt und Prägung die jeweilige kulturelle Umgebung auch immer besitzen mag, in der Frage nach der Konstitution der christlichen Gewißheit ist eine radikale Diastase von der Umwelt gefordert. In der Frage nach der Garantie der Wahrheit des christlichen Anspruches können die kulturellen und wissenschaftlichen Träger der jeweiligen Zeit dem Christentum - so freundlich sie ihm gegenüberstehen mögen - keine Unterstützung leisten23. Gerade weil sich die christliche

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Ebd. Ausführlicher geht Eiert a. a. O . , S. 4 1 7 f f , auf Stoecker ein. A. a. O., S. 4 8 9 . Vgl. ebd. - „ N e u e Versuche müssen daran scheitern, daß es eine einheitliche Kultur, wie sie noch die ,Modern-Positiven' voraussetzen zu können glaubten, in der Gegenwart nicht mehr gibt" (ebd.). Ebd. - „Je stärker das Christentum seine Distanz von dieser versinkenden Kultur betont, desto geringer die Gefahr, d a ß es mit versinkt" (a. a. O . , S. 7). A. a. O., S. 4 8 5 ; vgl. auch a. a. O . , S. 3f. A. a. O., S. 4 8 5 . Dieses grundsätzliche Nein Elerts in der Frage nach der Konstitution der christlichen Gewißheit scheinen in ihrer Darstellung des ersten großen Werkes Elerts zu verkennen: Peters, Unter Gottes Heimsuchung, S. 2 5 8 f ; ders., W e r n e r Eiert, S. 4 5 4 ; Althaus, W e r n e r Elerts theologisches W e r k , S. 4 0 1 f f ; Meier, Kulturkrise und

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G e w i ß h e i t u n a b h ä n g i g v o n der jeweiligen k u l t u r e l l e n U m w e l t k o n s t i t u iert, k a n n sie selbständig ihr V e r h ä l t n i s zu der jeweiligen kulturellen U m w e l t bestimmen. U n d n u r weil sich die christliche G e w i ß h e i t u n a b hängig v o n der jeweiligen kulturellen U m w e l t k o n s t i t u i e r t , k a n n sie sich a u c h aus d e m Strudel einer untergehenden K u l t u r lösen. N u r a u f g r u n d seiner U n a b h ä n g i g k e i t in der G e w i ß h e i t s b i l d u n g ist das C h r i s t e n t u m nicht genötigt, A p o l o g e t i k in d e m Sinne zu betreiben, d a ß es durch R e d u k t i o n und R e s t r i k t i o n seinen Inhalt d e m allgemeinen D e n k e n a n p a ß t , u m so eine Bestätigung zu erlangen 2 4 . Ist der G l a u b e somit u n a b h ä n g i g v o n d e m r a t i o n a l e n D i s k u r s in der K u l t u r u n d den W i s s e n s c h a f t e n , so h a t die T h e o l o g i e u m g e k e h r t n u n a u c h „keine V e r a n l a s s u n g [...] [die N a t u r f o r schung] zu gängeln o d e r zu behindern" 2 5 . W e i l die christliche G e w i ß h e i t v o n wissenschaftlichen und k u l t u r e l l e n F a k t o r e n u n a b h ä n g i g ist, k ö n n e n diese sie selbstverständlich auch nicht g e f ä h r d e n . Dies w i r k t sich n a c h Eiert in den lutherischen Gebieten in „ v o l l e r Forschungs- und L e h r f r e i heit der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n " 2 6 aus.

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Syntheseproblem, S. 298ff. Sie sehen die Diastase ausschließlich als eine Forderung für die Gegenwart und die Zukunft, die in der Diffusion der gegenwärtigen Weltanschauung begründet ist. Dies ist nur insoweit richtig, als nicht verkannt werden darf, daß auf einer tieferen Ebene, der Frage nach der Konstitution der christlichen Gewißheit, eine grundsätzliche Diastase - unabhängig von der jeweiligen Prägung der kulturellen Umwelt - gefordert ist (vgl. hierzu ausführlich: Roth, Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 14, Anm. 54f). Schon in seinem ein Jahr früher erschienenen Aufsatz „Reduktion und Restriktion in der Dogmatik" (1919) weist Eiert darauf hin, daß dem Versuch, durch Reduktion (= Abstoßen anstößiger Glaubensaussagen) und Restriktion (= Abschwächung anstößiger Glaubensaussagen) „dem Verlangen nach einer Synthese zwischen dem Christentum und dem modernen Geiste" (a. a. O., S. 421) Rechnung zu tragen, „ein apologetischer Erfolg" (ebd.) nicht beschieden war. „Eher das Gegenteil ist der Fall. Die Verachtung ist um so größer geworden" (a. a. O., S. 422). Eiert betrachtet diesen Weg als einen Zersetzungsprozeß. Der „zersetzende Faktor" (a. a. O., S. 423) muß ausgeschaltet werden, so daß „sich die Dogmatik grundsätzlich an der gläubigen Gemeinde orientiert statt an den außerchristlichen Elementen der Zeit" (a. a. O., S. 424). Daher muß das Verhältnis zwischen Christentum und allgemeinem Geistesleben genau umgekehrt sein, als es sich in den Restruktions- und Restriktionsversuchen darstellt. Nicht das allgemeine Geistesleben soll auf das Christentum Einfluß nehmen und Richter über die akzeptablen oder nicht mehr akzeptablen Glaubensinhalte sein, sondern der christliche Glaube hat Einfluß zu nehmen auf das Geistesleben. „Die Gründe für Veränderungen an der überlieferten Lehre, die der Dogmatiker vorzunehmen hat, müssen dementsprechend innerhalb, nicht außerhalb des Christentums liegen" (ebd.). Die Blickrichtung des Theologen muß somit nach Eiert von dem christliche Glauben aus auf das allgemeine Geistesleben gehen, nicht umgekehrt. M L I, S. 366. In der Quelle hervorgehoben. Ebd. In der Quelle hervorgehoben.

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Steht daher fest, daß sich die christliche Gewißheit unabhängig von ihrer jeweiligen kulturellen Umwelt konstituieren muß, so ist die Frage, wie dies zu geschehen hat. Den entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einer solchen Unabhängigkeit des christlichen Glaubens von den wissenschaftlichen und kulturellen Faktoren der Zeit sieht Eiert gerade durch Schleiermacher vollzogen, dem aber - und hierin erblickt Eiert die Tragik der Theologie des 19. und 2 0 . Jahrhunderts 27 - in diesem Punkt neben der biblizistischen Theologie nur die Erlanger Erfahrungstheologie gefolgt ist. Schleiermachers bleibendes Verdienst erblickt Eiert in dem Versuch, den christlichen Glauben „ganz auf sich selbst zu stellen" 2 8 . Diese Autonomie wird gerade dadurch erreicht, daß die Gewißheit um die Wahrheit des Anspruches des christlichen Glaubens allein auf die subjektive Erfahrung des Christen gegründet wird 29 . Eiert übernimmt von Schleiermacher die Einsicht, daß es sich bei dem christlichen Glauben um den „Tatbestand eines eigentümlichen Erlebnisses" 30 handelt. Der Glaube wurzelt nach Eiert „in einem Erleben", das „zunächst Sache des Gefühls ist" 3 1 . So kennzeichnen die Ausdrücke „Erleben" und „Fühlen" das „pathetische" Verständnis des Christentums, beides sind „Ausdrücke für ein ungewolltes und unreflektiertes Innewerden. Sie tragen beide das Merkmal der Unmittelbarkeit an sich" 3 2 . 3 3 Theologie gestaltet

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Vgl. bes. ders., Der Kampf um das Christentum, S. 5; 2 9 2 f ; 4 9 7 . A. a. O., S. 4 . So gilt Schleiermacher Eiert geradezu als „Schutzpatron aller religiösen Autonomiebestrebungen bis zur Gegenwart" (a. a. O . , S. 3 7 ) . So würdigt Eiert, daß Schleiermacher deutlich mache, daß die „Kräftigung des Gottesbewußtseins" nicht durch Unterstützung oder Bekräftigung der jeweiligen kulturellen Umwelt geschehe: Vielmehr hebe Schleiermacher hervor, daß der Glaubende „in der Kräftigung des Gottesbewußtseins unmittelbar die Wirkung des Erlösers [erlebe], ein Affiziertwerden des Bewußtseins, das ihm wie alle Tatsachen des Bewußtseins unmittelbar, d. h. ohne weitere Reflexion, gewiß ist und doch auch die Gewißheit um einen das Bewußtsein transzendierenden Faktor einschließt" (a. a. O., S. 61). A. a. O., S. 2 8 9 . Eiert, Dogma, Ethos, Pathos, S. 8. - Gerade diese Schrift - deren Bedeutung auch bei Bayer erkannt ist (vgl. ders., Theologie, S. 2 8 5 f f ) - dokumentiert Elerts N ä h e zu Schleiermacher in besonderer Weise. Eiert, Dogma, Ethos, Pathos, S. 15. - „Pathos ist Gefühl, Affekt und steht deshalb in klarem Gegensatz zur Erkenntnis, zum Wissen, zum D o g m a " (A. a. O . , S. 17). Das christliche Erleben wird durch die Kunde des Evangeliums verursacht. Die Heilstatsachen nehmen das Gefühl des Menschen in Anspruch und erzeugen so eine Reaktion. Diese Reaktion zeigt sich in einem Affekt, einem religiösen Erlebnis (vgl. a. a. O., S. 33). „Gemeint ist damit eben die persönliche Betroffenheit, die nicht durch den Intellekt produziert oder durch den Willen hervorgebracht, sondern empfangen und erlitten wird" (Meister, Ein Zeuge von Gottes

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sich daher nach Eiert - so in seiner Auseinandersetzung mit der Mystik Jakob Böhmes - als „Theorie vom [eigenen] religiösen Erleben" 34 . Gründet aber der christliche Glaube in einem eigentümlichen Erlebnis, so bedarf der Glaube keines rationalen Beweises 35 : Verlangt der Glaube zwar auch die Reflexion (will er nicht seine Sprachfähigkeit aufgeben), so konstituiert doch die Reflexion den Glauben nicht. Vielmehr ist der Glaubende in seiner theoretischen Reflexion von der christlichen Gewißheit bereits getragen. Hat in Tillichs Methode der Korrelation der Inhalt der Offenbarung sich vor den Fragen der kulturellen Umwelt zu legitimieren, so zeigte sich bereits, daß Tillich gezwungen ist, sowohl Verkürzungen hinsichtlich der Offenbarung, als auch Verkürzungen hinsichtlich der Fragen vorzunehmen. Eiert schließt dies von vornherein aus: Weder hat sich der Inhalt des Glaubens vor der jeweiligen kulturellen Umwelt zu legitimieren, noch braucht die Theologie die jeweilige Umwelt zu „gängeln" (s.o.). In der Frage nach der Konstitution der christlichen Gewißheit fordert Eiert eine radikale Diastase von der kulturellen Umwelt. Theologie gestaltet sich als „Theorie vom [eigenen] religiösen Erleben" (s.o.). Aber auch Tillich kann den Glauben als einen „Zustand des Ergriffenseins" 36 beschreiben und ihn gegen eine intellektuallistische Verengung in Schutz nehmen 37 . Kann Tillich ebenfalls wie Eiert dem pathetischen Moment des Glaubens Rechnung tragen, so stellt sich die Frage, was die Tiefenursache für Elerts Bestimmung des diastatischen Verhältnisses von Glaube und kultureller Umwelt hinsichtlich der Frage nach der Konstitution des Glaubens ist. Es kann keinesfalls daran liegen, daß Elerts Theologie Theorie des religiösen Erlebens ist. Die Tiefenursache für Elerts Forderung der grundsätzlichen Diastase des Glaubens von der kulturellen Umwelt hinsichtlich der Frage nach der Konstitution des Glaubens - und gleichzeitig die Tiefenursache für Tillichs Korrelation von beiden - ist die unterschiedliche Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Erlösung. Tillich lehnt eine Diastase zwischen dem christlichen Glauben und dem Bestehenden ab, weil jeder Mensch im Besitz der Wahrheit ist. Der Inhalt der Offenbarung wird bei Tillich zur Tiefendimension der Wirklichkeit. Völlig anders ist der Sach-

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Gericht und Gnade, S. 37). So formuliert Langemeyer zu Recht: „In seinem ursprünglichen Verhältnis zu Gott denkt der Mensch nicht, er handelt nicht, sondern er erlebt den alles durchwaltenden Gott" (ders., Gesetz und Evangelium, S. 44f). Eiert, Die voluntaristische Mystik Jacob Böhmes, S. 129; vgl. a. a. Ο., S. 135. Vgl. ders., Der Kampf um das Christentum, S. 62. Tillich, Mut zum Sein, S. 126. Vgl. Teil 2: Kap. II.A.3.3.

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verhalt bei Eiert: „Alle Naturerkenntnis als solche liegt in den Grenzen der ,Welt'. Sie kann die Offenbarung, von der der Glaube lebt, weder erzeugen noch ersetzen und nicht einmal postulieren. Sie kann sie aber auch nicht gefährden" 3 8 . Der christliche Glaube ist keine Vertiefung der Wahrnehmung der Schöpfung, sondern eine eigenständige Erfahrung der Gnade. Als Erfahrung der Gnadenordnung ist der Glaube von der Wahrnehmung der Schöpfungsordnung unterschieden. ,,[D]as können wir doch und müssen wir Kinder der lutherischen Reformation doch wieder lernen, daß Schöpfungsordnung und Gnadenordnung Gottes zweierlei ist" 39 . Ist bei Tillich die Erlösung bzw. die Rechtfertigung ontologisiert und in die Schöpfung eingegründet, so ist die Erfahrung der Erlösung bzw. Rechtfertigung eine Tiefenerfahrung der Schöpfungserfahrung. Bei Eiert hingegen sind Rechtfertigung bzw. Erlösung und Schöpfung, Erlösungserfahrung und Schöpfungserfahrung kategorial unterschieden. Der christliche Glaube und seine wissenschaftliche Reflexion - die Theologie - gründet sich auf eine von der Schöpfungserfahrung kategorial unterschiedene Erfahrung. Mit seiner Forderung der radikalen Diastase zwischen Glaube und kultureller Umwelt nimmt Eiert die Konsequenz der notwendigen Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung ernst: Wird Gottes schöpferisches Wort von seinem die gefallene Welt erlösenden und versöhnenden Wort in der Weise unterschieden, daß Gottes versöhnendes und erlösendes Wort als ein wirklich neues Wort gegenüber seinem schöpferischen Wort zur Geltung kommt, und heißt dies, daß das versöhnende Wort dem schöpferischen (ursprünglichen) Wort in keiner Weise schon zugrunde liegt, so folgt daraus, daß die Erkenntnis des schöpferischen Wortes in keiner Weise eine Erkenntnis des versöhnendes Wortes vermitteln kann 4 0 . Kurz: Liegt der Schöpfung in keiner Weise die Erlösung zugrunde, so kann die Schöpfung nicht auf die Erlösung hin vertieft werden. Die Vernunft bleibt innerhalb der Grenzen der Schöpfungsordnung, „sie bleibt in den Grenzen der ,Welt"' 41 . Es zeigte sich, daß Tillichs Methode der Korrelation nur funktioniert, weil sie durch Nichtbeachtung der notwendigen theologischen Fundamentalunterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung sich der Konsequenzen dieser Fundamentalunterscheidung zu entledigen vermag. Indem Eiert zwischen Schöpfung und Erlösung als zwei nicht aufeinander abbildbaren oder reduzierbaren Ordnungen unterscheidet, trägt er auch der Konsequenz dieser Fundamentalunter38 39 40 41

M L I, S. 3 6 6 . Eiert, Der Kampf um das Christentum, S., 4 8 9 . Vgl. Teil 1: Kap. ILA. M L I, S. 3 6 6 .

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Scheidung Rechnung: Die Erkenntnis der Schöpfung kann nicht auf die Erlösung hin vertieft werden. Die Schöpfung trägt keinerlei Erkenntnis

über die Versöhnung in sich.

Elerts kategoriale Unterscheidung zwischen Schöpfungsordnung und Gnadenordnung begründet für ihn die Unmöglichkeit, die Gnadenerfahrung als Tiefendimension der Schöpfungserfahrung zu fassen. Ist es so ausgeschlossen, daß in der Wahrnehmung der Schöpfung Gottes Gnadenhandeln wahrgenommen wird, so stellt sich die Frage nach dem Inhalt der Erfahrung mit der Schöpfung Gottes. Wir wenden uns daher im folgenden Elerts Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu.

2 . 2 Der Widerstreit: Gesetz und Evangelium Der Kern der Unterscheidung Elerts von Gesetz und Evangelium besteht in Elerts Offenbarungsbegriff. Eiert weist darauf hin, daß im Neuen Testament niemals die Rede davon ist, „daß sich Gott selbst geoffenbart habe, offenbare oder offenbaren werde" 4 2 . Es gibt keine Offenbarung „an und für sich" 4 3 . Vielmehr ereignet sich Gottes Offenbarung nur in der Zwiespältigkeit von Gesetz und Evangelium 44 , so daß man von einer doppelten Offenbarung Gottes sprechen muß. Redet das Gesetz, so schweigt das Evangelium; „redet das Evangelium, so muß das Gesetz verstummen" 4 5 . In der Offenbarung des Gesetzes Gottes und seiner Offenbarung des Evangeliums werden nach Eiert zwei unterschiedliche Inhalte offenbart: Gottes Zorn und Gottes Gnade 4 6 . Dem korrelieren bei Eiert „in der anthropologischen Dimension" 4 7 das Offenbarwerden der Sünde und das Offenbarwerden des Glaubens des Menschen. Wird im Evangelium von Jesus Christus die Gnade Gottes offenbar, so ist im Gesetz Gottes Zorn über die Sünde der Menschen vernehmbar 4 8 . Ist die Gnade Gottes nur in der apostolischen Verkündigung der Person Jesu von Nazareth vernehmbar (das Evangelium wird von Eiert als Bericht charakterisiert 49 und zwar als „der Bericht von Christo" 5 0 ),

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C G , S. 134f. In der Quelle hervorgehoben. C G , S. 1 4 3 . Vgl. ebd. Gnade, S. 1 3 2 . Vgl. C G , S. 1 3 9 f ; 143. Pöhlmann, Abriß der Dogmatik, S. 4 8 . - Vgl. ebd. auch das Schaubild des Elertschen Offenbarungsbegriffes. C G , S. 1 3 9 . Vgl. C G , S. 115ff. C G , S. 1 1 7 . In der Quelle hervorgeoben.

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so ist Gottes Zorn für den Menschen in der Gesamtwirklichkeit der Welt zu vernehmen; denn als Gesetz gilt für Eiert nicht nur das auf dem Sinai erlassene Gesetz des Alten Testamentes, sondern er weitet - und hier beansprucht er, in der Tradition der paulinischen Theologie zu stehen - den Gesetzesbegriff aus. So wird der Zorn Gottes neben dem geschriebenen (also dem auf dem Sinai erlassenen) Gesetz noch an den Werken der Schöpfung (hierfür beansprucht Eiert Rom. 1, 20) und an dem jedem Menschen in das Gewissen geschriebenen Gesetz (hierfür beruft sich Eiert auf Rom 2, 12ff) erkennbar 5 1 . Damit wird das Gesetz Gottes bei Eiert universal ausgeweitet auf die gesamte Lebenswirklichkeit des Menschen. Wird im Evangelium die Gnade Gottes laut, so im Gesetz der Zorn Gottes: Zwar übernimmt Eiert aus der lutherischen Tradition die Unterscheidung zwischen zwei Aufgaben des Gesetzes, des usus elenchticus (oder theologicus legis), in dem das Gesetz dem Menschen seine Schuld angesichts des göttlichen Sollens offenbart und ihm hierfür das Gericht ankündigt 52 , und des usus politicus, in dem das Gesetz den sündigen Menschen in der Schöpfung hält, indem es die Sünde soweit eindämmt, daß es nicht zur Zerstörung der Schöpfung kommt 5 3 , doch besteht nach Eiert die eigentliche Aufgabe des Gesetzes in seiner Anklage und Zornesoffenbarung (usus elenchticus als usus proprius legis): Das Gesetz führt den Menschen zur Erkenntnis seiner Sünden, klagt ihn dieser an und kündigt ihm Gottes Vergeltung hierfür an. Keinesfalls darf daher der im Gesetz „ausgesprochene Vergeltungsgedanke ausgebrochen werden" 5 4 . Wird somit von Eiert das Gesetz Gottes auf die gesamte Lebenswirklichkeit des (gefallenen) Menschen ausgeweitet und kann daher auch der unversöhnte Mensch in der Wirklichkeit der Welt Gottes Gesetz vernehmen, so bedeutet dies: In der Wirklichkeit der Welt kann auch der unversöhnte Mensch Gottes Zorn vernehmen. So gilt nach Eiert: „[GJerade das natürliche' Menschentum wird von Offenbarung betroffen, nämlich von der Offenbarung des Zornes Gottes" 5 5 . Das Gesetz wird von Eiert somit zugespitzt auf die Todesdrohung, die über den Menschen verhängt wurde 56 .

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Vgl. u. a. CG, S. 131 f; 1 3 9 ; ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 12f; 15f. Vgl. Gnade, S. 1 4 3 ; 160f. Gnade, S. 1 4 3 . Gnade, S. 1 6 8 . CG, S. 147. Vgl. CG, S. 131.

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So hat Gott in Gesetz und Evangelium „zwei abgrundtief verschiedene Worte" 5 7 gesprochen, die nicht vordergründig zum Ausgleich gebracht werden können. Jeder Versuch, die Differenz zwischen Gesetz und Evangelium (womöglich unter dem Oberbegriff der Offenbarung)58 einzuebnen, wird von Eiert heftig bekämpft59: Der Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium läßt sich nicht vorschnell harmonisieren: Im Gesetz wird uns der Zorn Gottes kund, weil es uns unsere Schuld offenbart, die in unserem Nichterfüllen des Willens Gottes besteht; im Evangelium erfahren wir die bedingungslose Vergebung der Sünde60. Gottes Zuspruch und Verheißung der Gnade kann daher nach Eiert nur gegen den Schuldspruch und die Verurteilung des Gesetzes geglaubt werden. Der Widerstreit zwischen beiden kann nicht ausgeglichen werden. Auch der versöhnte Mensch kann sich nur gegen das Vernehmen der Anklage des Gesetzes, die ihm häufig Anlaß zu tiefster Anfechtung ist, dem Evangelium Gottes in die Arme werfen. Eine Harmonie zwischen beiden bleibt ausgeschlossen. „Entweder ist das Gesetz oder das Evangelium das Ende 57 58 59

60

Joest, Dogmatik II, S. 500. Vgl. CG, S. 133ff. In der Einebnung des Gegensatzes von Gesetz und Evangelium erblickt Eiert den Grundirrtum der Barthschen Theologie (vgl. Gnade, S. 134ff). Elerts Kritik richtet sich vor allem gegen Barths Schrift „Evangelium und Gesetz". Vgl. hierzu ausführlicher: Roth, Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 45f, Anm. 219. Vgl. CG, S. 120ff; 151ff. - Von hieraus ist Elerts Ablehnung des tertius usus legis eine zwingende Konsequenz seiner Gesetzesinterpretation (vgl. hierzu ausführlich: CE, S. 389ff). Die Frage nach dem tertius usus legis wird von Eiert nicht in dem grundsätzlichen Sinne verstanden, ob das Gesetz für den Christen noch eine (welche auch immer!) Bedeutung hat, sondern in dem speziellen Sinne, ob das Gesetz von seiner Anklagefunktion befreit gedacht werden kann und für den Christen folglich nur noch als eine bloße Lebensregel in Geltung bleibt. Die Funktion des Gesetzes auf die bloße Lebensregel zu reduzieren, widerspricht aber der dargelegten Gesetzesauffassung Elerts. Eiert sieht die eigentliche Funktion des Gesetzes darin, den Sünder seiner Schuld zu überführen. Die eigentliche Funktion des Gesetzes ist die Anklage des Menschen. Daher kann es auch von seiner Anklagefunktion niemals befreit werden: Lex semper accusans (vgl. Gnade, S. 136ff.). Aus diesem Grunde darf man nach Eiert „nicht das göttliche Gesetz zur Lebensregel verharmlosen" (CE, S. 7), es kann nämlich „nicht unterweisen, ohne [gleichzeitig] anzuklagen" (Langemeyer, Gesetz und Evangelium, S. 329). Auch für den Christen, der weiterhin Sünder ist (simul iustus et peccator), bleibt das Gesetz Anklage, es vollzieht auch an den Christen seinen usus elenchticus legis, um ihn an sein Sündersein zu erinnern (vgl. bes. CE, S. 387). Gerade so - in der unablässigen Anklage - treibt das Gesetz zu Christus (usus elenchticus als usus paedagogicus) (vgl. Gnade, S. 160f). Daher dient das Gesetz „niemals nur zu unserer bloßen Information, sondern es spricht stets auch Gottes Urteil über uns aus, das, gemessen am Gesetz, immer Verurteilung ist" (Gnade, S. 166f).

Das Modell der Diastase

353

der Wege Gottes mit den Menschen, aber nicht beide. Sie sind widereinander wie Tod und Leben. Wir glauben das Zweite" 61 . Unterscheidet Eiert auch zwischen einer Offenbarung des Gesetzes und der Offenbarung des Evangeliums in Jesus Christus, so darf nicht übersehen werden, daß für Eiert der „absolut feste[] Punkt" 6 2 der theologischen Reflexion, „die unverrückbare Mitte" 6 3 , die „Person Jesu Christi" 64 ist. Dies gilt auch für Elerts Lehre von der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich die wahre Sicht des Gesetzes 65 . Eiert unterscheidet so zwischen einer ratio cognoscendi (Gesetzeserkenntnis) und einer ratio essendi (Gesetz als Todesverhängnis, dem der natürliche Mensch begegnet) 66 . Aus theologischer Perspektive begegnet dem Menschen in der Wirklichkeit der Welt als Gottes gefallene Schöpfung das Gesetz Gottes, d. h. hier wird die Schuldanklage und das Todesurteil Gottes laut. Doch erschließt sich das Gesetz Gottes als Gesetz Gottes erst aus der Perspektive des Evangeliums. Erst von hier aus zeigt sich, daß das Todesverhängnis, unter dem alle Menschen stehen, von Gott selbst verhängt ist. Erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich, daß diese Todesordnung Gottes Gesetz ist, daß hier Gottes Schuldanklage und Todesurteil laut wird. Als Seinsordnung ist das Gesetz „ein Verhängnis, dem keiner entrinnen kann, weder der Wissende noch der Unwissende" 67 . Aber erst aus der Perspektive des Evangeliums wird dieses Verhängnis als Gottes Gesetz erkannt, als Gottes Todesurteil aufgrund der menschlichen Schuld. Erst in Christus wird der Schleier des Gesetzes hinweg gezogen, erst „dann wird offenbar, daß die Macht, die uns bindet, die uns das Sollen wie das Müssen auferlegt, Gott selbst ist. [...] Nunmehr ist hinzuzufügen, daß damit auf unserer Seite offenbar wird, daß unser Widerstehen, unsere sich selbst behauptende Subjektivität Widerstand, Widerspruch gegen Gott ist" 68 . Wenn Eiert daher die Lage des natürlichen Menschen reflektiert, so „handelt [es] sich dabei immer nur um seine Lage unter dem Gesetz, in der er sich tatsächlich befindet, ob er es weiß oder nicht" 69 . 61 62 63 64 65 66

67 68 69

Gnade, S. 169. CG, S. 51. Ebd. Ebd. Vgl. bes. CG, S. 34ff. Vgl. CE, S. 36f - Dies hat zu Recht betont: Krötke, Das Problem Gesetz u n d Evangelium bei Werner Eiert und Paul Althaus, S. 9f. CG, S. 131. CG, S. 152. CE, S. 36.

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Zwischen Diastase und Korrelation

Eiert lehrt so, die gefallene Schöpfung als Geseizeswirklichkeit zu verstehen. Aus der Perspektive des Evangeliums zeigt sich, daß die Wirklichkeit des Menschen unter das Verhängnis des Gesetzes gestellt ist. Die Lage des natürlichen Menschen zeigt sich als Lage unter dem Gesetz. Insofern Eiert in der Begegnung mit dem göttlichen Gesetz das entscheidende Charakteristikum der (gefallenen) menschlichen Wirklichkeit erblickt, kann zu Recht gesagt werden, daß Elerts Gesetzesbegriff eine „wirklichkeitsintegrative Funktion" 70 besitzt. Die Erfahrungen der Wirklichkeit sind als Erfahrungen der gefallenen Schöpfung Geseizeserfahrungen, d. h. Erfahrungen, die aus der Begegnung mit dem göttlichen Gesetz als einem universellen Todesverhängnis erwachsen71. Doch widerstrebt das in der gefallenen Welt laut werdende Todesurteil des Gesetzes der Gnadenzusage des Evangeliums. Der unaufhebbare Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis des natürlichen Menschen und der Botschaft von Jesus als Gottes reiner Gnadenzusage ist daher begründet in der Dialektik von Gesetz und Evangelium. Im folgenden gilt es vor allem nach der Bedeutung der Unterscheidung hinsichtlich des Gesetzes zwischen der ratio essendi (Gesetz als Todesverhängnis) und der ratio cognoscendi (Gesetzeserkenntnis) zu fragen.

3. Der Mensch unter der Verborgenheit Gottes Während der Mensch nur in der Verkündigung von Jesus Christus von der Gnade Gottes erfährt, bezeugt ihm die gefallene Schöpfung Gottes Gesetz und damit die Schuld des Menschen und den göttlichen Zorn. Das menschliche Selbstverständnis - abgesehen von der Offenbarung in Christus, d. h. das Selbstverständnis des natürlichen Menschen - ist daher ein Verständnis, welches aus der Begegnung mit dem göttlichen Gesetz gewonnen wird72. Die Erfahrungen sind Erfahrungen des Gesetzes, die entfremdete Vernunft artikuliert sich im Horizont des Gesetzes. Anders als Tillich, dessen Methode der Korrelation der notwendigen Fundamentalunterscheidung von Gesetz und Evangelium keine Rechnung trägt, zieht Eiert die notwendige Konsequenz dieser Fundamentalunterscheidung: Aus der theologischen Perspektive wird in der Wirklichkeit der Welt, die als gefallene Schöpfung erkannt wird, das Gesetzesurteil laut. Die Frage nach der Vernunft unter den Bedingungen der Entfrem-

70 71 72

Meier, Kulturkrise und Syntheseproblem, S. 3 0 4 f . Vgl. C G , S. 1 4 3 f f . M L I, 4 4 f f .

Das Modell der Diastase

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dung ist daher die Frage nach der Potentialität der Vernunft unter den Bedingungen des Gesetzes. Hieraus zieht Eiert die Konsequenz: Der

Mensch erfährt in der gefallenen er erfährt sein Todesurteil.

Welt das Gesetz Gottes, d. h. für Eiert:

Bei Eiert ist mit der Entgegensetzung von Evangelium und dem aus der Begegnung mit dem Gesetz Gottes gewonnenen menschlichen Selbstverständnis keine Ablehnung einer theologischen Reflexion des menschlichen Selbstverständnisses verbunden, vielmehr wird das Selbstverständnis des natürlichen Menschen einer ausführlichen Untersuchung unterzogen. Wir setzen zunächst bei der Analyse des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen an, wie es Eiert in seiner Schrift „Morphologie des Luthertums" entwickelt hat, bevor wir uns Elerts Analyse des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen innerhalb seiner Dogmatik zuwenden.

3.1 Urgrauen Unter dem Terminus „ U r e r l e b n i s " 7 l bringt Eiert die Gotteserfahrung des natürlichen Menschen in der Wirklichkeit der Welt zur Sprache; denn ,,[d]as Urerlebnis will als Verhältnis des natürlichen Menschen' zu Gott verstanden sein" 7 4 . Der Mensch - so Eiert - muß eine Erfahrung machen, die aller Verständlichkeit des Sollens und damit des von der Vernunft bezeugten Gottes spottet und nur als ein Grauen beschrieben werden kann; dieses Grauen ist „die radikalste Konfrontation, die es mit Gott überhaupt geben kann" 7 5 : „Aber über all dieser Vernünftigkeit der Welt und Verständlichkeit des Sollens fährt der Mensch plötzlich zusammen. Ihn packt das Grauen. Wovor? Mit einem Grauen fängt vielleicht jede Religion an. Aber hier ist es nicht ein bloßes Gefühl weltlichen Unbehagens, das Gefühl für die Unheimlichkeit, Rätselhaftigkeit, Irrationalität der Umwelt. Auch nicht die bloße Furcht vor der eigenen Unzulänglichkeit, vor Altern und Sterbenmüssen. Und auch nicht nur das Gefühl vom Unendlichen erdrückt zu werden. Es ist vielmehr das Grauen, das einer empfindet, wenn ihn in der Nacht plötzlich zwei dämonische Augen anstarren, die ihn zur Unbeweglichkeit lähmen und mit der Gewißheit erfüllen: es sind die Augen dessen, der dich in dieser Stunde töten wird. In diesem Augenblick ist der ganze Plunder der Religionsphilosophie,

73 74 75

Vgl. M L I, S. 15ff. M L I, S. 2 5 (in der Quelle hervorgehoben). Beyschlag, Werner Eiert in memoriam, S. 9.

356

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die Gott definiert als τό όν, als ens infinitum, als actus purus, sind die ganzen Schutzmittel und Heiligtümer der Kirche gegen Sündenstrafe, gegen zeitliches und ewiges Verderben - ist alles dies verflogen und vergessen. Gott ist plötzlich aus einem Gegenstand des Nachdenkens, aus einem Paragraphen der Dogmatik zu einer Person geworden, die mich persönlich anruft. Und sie ruft mich an, um mir zu sagen, daß meine Zeit abgelaufen ist. Denn vor diesem Blick erstarrt jede Bitte um Aufschub. Der Wille zum Leben, zu diesem Leben, das man bisher führte, stirbt. Die Zeit steht still" 76 . Das Urgrauen des Menschen vor Gott ist nach Eiert in der „furchtbaren Entdeckung" begründet, daß Gott den Menschen für etwas verantwortlich macht, was dieser gar nicht zu leisten vermag; denn zur Erfüllung fehlt dem Menschen der freie Wille 77 . So ist Gott es selbst, der den Menschen an der Erfüllung seines Willens hindert 78 . Das Urgrauen des Menschen vor Gott besteht in der Erfahrung - ohne etwas dafür zu können - in einen Schicksals- und Schuldzusammenhang hineingeboren zu sein und dafür noch verantwortlich gemacht zu werden. Neben der inhaltlichen Beschreibung des Urerlebnisses, auf die noch zurückzukommen sein wird, stellt sich vor allem die Frage, in welcher Weise Eiert mit dem „Urerlebnis" die Wirklichkeitserfahrung des unversöhnten Menschen beschreiben will. Konkret gefragt: Erschließt sich im „Urerlebnis" dem Menschen Gottes Schuldspruch und sein Todesurteil? Nun weist Eiert darauf hin, daß er mit dem Urerlebnis Luthers keineswegs ein privates Erlebnis zu einer Allgemeingültigkeit aufgebläht hat 79 . Für Eiert ist die Allgemeingültigkeit des Urerlebnisses schlichtweg entscheidend, soll das Urerlebnis die Gotteserfahrung des unversöhnten

76 77 78

79

ML I, S. 18. Vgl. ML I, S. 18f. Vgl. ML I, S. 19. - „Er stellt Forderungen an den Menschen und wirkt doch in ihm das Gegenteil. Wie zum Hohn macht er ihn gleichwohl für die Nichterfüllung verantwortlich. Der Mensch soll das Gute tun, aber er muß das Böse tun. Wir verstehen, warum Luther graut" (ebd.). Oder in noch drastischeren Worten: „Dieser Gott, der uns verantwortlich macht für Forderungen, die wir nicht erfüllen können, der uns Fragen stellt, die wir nicht beantworten können, der uns schuf für das Gute und uns doch keine andre Wahl läßt, als das Böse zu tun - das ist der Deus absconditus. Es ist der Gott der absoluten Prädestination. Es ist der Gott, der Pharaos Herz verstockt, der Esau haßt, ehe er geboren war, der Töpfer, der Gefäße formt, vor denen einem ekelt - und der dann doch diese unglücklichen Kreaturen in grausamer Selbstherrlichkeit andonnert: Tua culpa!" (ebd.). So zu Recht auch Moustakas, Paradoxie in Werner Elerts Grundbestimmung der Dogmatik, S. 268.

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357

(und damit des „natürlichen") Menschen schlechthin sein. Als „unverdächtige[n] Zeuge[n] für die Allgemeingültigkeit des Urerlebnisses" 80 führt Eiert Schopenhauer an 81 . Schopenhauer - so Eiert - kann den Gedanken nicht aushalten, daß er Gott auf der einen Seite dafür danken soll, daß er ihn geschaffen hat und auf der anderen Seite die Schuld für ein Versagen bei sich suchen soll 82 . „Was Schopenhauer hier als mögliche Vorstellung ablehnt, das gibt die entscheidenden Faktoren an, aus denen sich das Urerlebnis bei Luther zusammensetzt" 83 . Während aber Schopenhauer diesen Gedanken ablehnt, weil er ihn nicht aushalten kann, wird Luther durch das Nichtaushaltenkönnen in die Verzweiflung getrieben. So ist Eiert „mit Luther davon überzeugt, daß das natürliche Denken und Erleben des Menschen, wenn es wirklich zu Ende gedacht und erlebt wird, wenigstens in Trostlosigkeit enden muß, und daß demnach ein Optimismus, der nicht im Evangelium begründet ist, auf Selbsttäuschung beruht" 84 . Wenn der natürliche Mensch seine Situation wirklich zu Ende denkt und erlebt, muß er zumindest in Trostlosigkeit enden. Die Erkenntnis des natürlichen Menschen kann nur zum Zweifel an Gott führen. Es ist vor allem wieder die menschliche Erkenntnis der Begrenztheit seines Lebens 85 , die nach Eiert jeden Versuch, aus der Wirklichkeit der Welt den Inhalt des Evangeliums zu deduzieren und wenigstens eine Ahnung von der Gnade Gottes zu gewinnen, zunichte macht. „Alle empirischen Beweise für sein Wohlwollen werden hinfällig angesichts der Erkenntnis, daß er den ewigen Tod über uns verhängt hat. [...] Nicht Wohlwollen sondern Zorn hält Gott für uns bereit, und die Frage nach seiner Wahrhaftigkeit muß - ohne Christus - im Zweifel endigen" 86 . Von hier aus ist deutlich: Nicht das Todesurteil und der Schuldspruch Gottes, aber das Resultat dessen, die Todverfallenheit geschöpflicher Existenz, ist allgemein zu erfahren. Die Beschreibung des Urerlebnisses - die Todverfallenheit als Gottes Schuldspruch über den Menschen - stellt die Radikalisierung der existentiellen Erfahrung des Daseins des natürlichen Menschen aus der Perspektive des Evangeliums dar.

80 81 82 83 84 85 86

M L I, S. 4 4 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. M L I, S. 4 3 (In der Quelle hervorgehoben). Vgl. hierzu auch M L I, S. 41f. M L I, S. 4 8 . - Vgl. hierzu auch Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei Werner Eiert und Paul Althaus, S. 12.

358

Zwischen Diastase und Korrelation 3.2 Das Selbstverständnis des Menschen unter der Verborgenheit Gottes

Auch im Blick auf Elerts Dogmatik zeigt sich, daß mit der Entgegensetzung von dem Evangelium und dem in der Begegnung mit dem Gesetz Gottes gewonnenen menschlichen Selbstverständnis keine Ablehnung einer theologischen Reflexion des menschlichen Selbstverständnisses verbunden ist, sondern das Selbstverständnis des natürlichen Menschen einer ausführlichen Untersuchung unterzogen wird. Dabei werden von Eiert - wenn auch verstreut und durchaus nicht in notwendiger Klarheit - Erläuterungen vorgenommen: Zum einen erläutert Eiert den Grund für seine ausführliche Reflexion des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen: Eiert will so dem Sachverhalt Rechnung tragen, daß die Gottesbegegnung in Christus nicht in einem luftleeren Raum geschieht 87 . Gott begegnet keinem Abstraktum, sondern einem geschichtlichen Menschen, einem Menschen in raum-zeitlichen Bezügen88. Der Mensch befindet sich an einem geschichtlichen Ort zu einer bestimmten Zeit, wenn ihm Gott begegnet 89 . Um die Gottesbegegnung mit Christus zu ergründen, beabsichtigt Eiert daher zunächst den Menschen „ohne diese Begegnung ins Auge zu fassen" 90 . Indem Eiert das Selbstverständnis des Menschen ohne Christus thematisch macht und zum Ausgangspunkt seiner Betrachtung erhebt, beabsichtigt er in einzig angemessener Form auf die Behauptung zu antworten, daß Christus für den modernen Menschen keine Gottesbegegnung mehr bringe 91 . Dies aber geschieht, indem der Mensch „ohne Christus" auf seine Rechtfertigungspflicht vor Gott angesprochen wird 92 . In der Analyse der menschlichen Selbstverständnisse will Eiert zeigen, daß es kein menschliches Selbstverständnis gibt, „mit dessen Hilfe man sich der Rechtfertigungspflicht vor Gott entziehen kann" 9 3 . Dem Schuldspruch des göttlichen Gesetzes kann sich keiner entziehen. Zum anderen gibt Eiert Rechenschaft darüber, daß sich erst aus der Perspektive des Evangeliums das Gesetz als solches erschließt 94 . „Wird 87 88 89 90 91 92 93 94

Vgl. C G , S. 52f. CG, S. 52. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. CG, S. 53. Ebd. Vgl. hierzu CG, S. 150. - Leider läßt Eiert es vermissen, im Rahmen seiner Analyse des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen diesen Sachverhalt zu erläutern.

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an Gott offenbar, daß er der Gesetzgeber ist, so an uns, daß wir die Gesetzesempfänger sind. Wird an Gott offenbar, daß er Gericht hält, so an uns, daß wir die Gerichteten sind. Wird so vom Selbstverständnis des Menschen, d. h. von der Art, wie wir unser eigenes Leben führen, der Schleier hinweggezogen, dann wird offenbar, daß die Macht, die uns bindet, die uns das Sollen wie das Müssen auferlegt, Gott selbst ist. [...] Nunmehr ist hinzuzufügen, daß damit auf unserer Seite offenbar wird, daß unser Widerstehen, unsere sich selbst behauptende Subjektivität Widerstand, Widerspruch gegen Gott ist" 95 . Damit zeigt sich ein doppelter Sachverhalt: Aus theologischer Perspektive begegnet dem Menschen in der Wirklichkeit der Welt als Gottes gefallene Schöpfung das Gesetz Gottes, d. h. hier wird die Schuldanklage und das Todesurteil Gottes laut. Doch erschließt sich das Gesetz erst aus der Perspektive des Evangeliums als Gesetz. Erst von hier aus zeigt sich, daß das Todesverhängnis, unter dem alle Menschen stehen, von Gott selbst verhängt ist. Die Todesordnung, die das Gesetz Gottes ist, ist für alle Menschen erfahrbar, aber erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich, daß diese Todesordnung Gottes Gesetz ist, daß hier Gottes Schuldanklage und Todesurteil laut wird. Von hier aus wird deutlich - Eiert läßt es aber vermissen, hierüber zu reflektieren - was es heißt, in der Analyse der menschlichen Selbstverständnisse zu zeigen, daß es kein menschliches Selbstverständnis gibt, „mit dessen Hilfe man sich der Rechtfertigungspflicht vor Gott entziehen kann" 9 6 . Es kann nicht heißen, daß es Zweck der Analyse des menschlichen Selbstverständnisses ist, allgemein einsichtig zu machen, daß der Mensch sich vor Gott zu rechtfertigen hat. Erst aus der Perspektive des Evangeliums entschlüsselt sich die Begegnung mit dem Gesetz als eine eben solche. Erst aus dem Blickwinkel des Evangeliums zeigt sich, mit wem der Mensch es zu tun hat: mit Gott. Die Analyse des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen ist daher in keinem Falle in dem Sinne apologetisch motiviert, als wolle er den Menschen an Punkte führen, „an denen er eher bereit sei, sein Ohr dem Evangelium zu öffnen" 97 , vielmehr will Eiert in seiner Glaubenslehre als „Sprecher der Christenheit" erweisen, daß es aus der Perspektive des Glaubens keine Möglichkeit gibt, sich der Rechtfertigungspflicht vor Gott zu entziehen. Keineswegs versucht Eiert daher das Selbst- und Weltverständnis des natürlichen Menschen auf die Einsicht in die Rechtfertigungspflicht vor Gott zu „heben". 95 96 97

C G , S. 1 5 2 . C G , S. 5 3 . So die irrige Vermutung bei P. Brunner, Kritisches zu Elerts D o g m a t i k , S. 5 0 .

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Wird so die Wirklichkeit als gefallene Schöpfung von Eiert als Gesetzeswirklichkeit zu verstehen gelehrt, als Ort, an dem der Mensch dem Gesetz Gottes begegnet, ist zu differenzieren zwischen der Begegnung mit Gottes Gesetz und der Erkenntnis dieser Begegnung als Begegnung mit Gottes Gesetz, konkret: es ist zu differenzieren zwischen der Begegnung der Todesverfallenheit des Daseins und der Erkenntnis, daß es Gott ist, der den Tod als Strafe der menschlichen Schuld verhängt hat. Die Analyse des Selbstverständnisses des Menschen unter der Verborgenheit Gottes agiert noch nicht mit dem Begriff Gesetz; erst in einem zweiten Schritt werden die Erfahrungen der Welt als Erfahrungen des Gesetzes „identifiziert"98 und vertieft". In seiner Analyse des „Selbstverständnisses des Menschen unter der Verborgenheit Gottes" intendiert Eiert aufzuweisen, daß jedes menschliche Selbst- und Wirklichkeitsverständnis in letzter Konsequenz vor dem Todesverhängnis der Welt kapitulieren muß. Die unterschiedlichen optimistischen Verständnisse des natürlichen Menschen von seinem In-der-Welt-Sein und die damit zusammenhängenden unterschiedlichen Haltungen gegenüber der Wirklichkeit müssen daher nach Eiert entlarvt werden. Es muß gezeigt werden, daß diese Selbst- und Weltverständnisse von der tatsächlichen Wirklichkeit die Augen verschließen100: der Todesverfallenheit des Daseins. So unterscheidet Eiert zum einen zwischen einer fragenden Hal101 102 tung und einer ethischen Haltung , die der unversöhnte Mensch einnehmen kann. Zum anderen weist Eiert auf das Phänomen des SchicksalsWi als dem entscheidenden Charakteristikum der Wirklichkeit hin. Innerhalb der Untersuchung der verschiedenen Stellungen des natürlichen Menschen zur Wirklichkeit der Welt (fragende Haltung, ethische Haltung) einerseits und der Darlegung des für ihn entscheidenden Charakters der Wirklichkeit als Schicksal andererseits versucht Eiert aufzuzeigen, wie der unversöhnte Mensch die Wirklichkeit auffassen muß, wenn er seine Augen nicht vor der Wirklichkeit der Welt verschließt, sondern bereit ist, konsequent seine Situation zu durchdenken. So besteht zum einen grundsätzlich die Möglichkeit, in der fragenden Haltung zu verharren. Das uns feindlich gegenüberstehende Schicksal104

98 99

100 101 102 103 104

Sparn, Werner Eiert, S. 1 7 7 . So zu Recht auch Eyjolfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, S. 86ff. Vgl. ebenso Hauber, Die Lehre vom Zorn Gottes nach Werner Eiert, S. 1 2 6 . Vgl. C G , S. 59ff. Vgl. C G , S. 74ff. Vgl. C G , S. 89ff. Vgl. C G , S. 6 3 . - Vgl. Duensing, Gesetz als Gericht, S. 4 4 .

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ist zwar die der Lebendigkeit des Menschen widerstrebende Macht 105 , doch kann der Mensch versuchen, sein Leben zu bestreiten, indem er sich aus allem heraus hält 106 . Die fragende Haltung besteht daher „in der Selbsterziehung zum Überhören von Dingen, Menschen, Ereignissen, die uns angehen" 107 . Der Mensch versucht dem Kampf mit seinem Schicksal auszuweichen, indem er die Angriffe des Schicksals nicht an sich herankommen läßt. In einer distanzierten Haltung versucht er von dem Anderen, das nicht er selbst ist, Abstand zu wahren; er hält sich aus allem heraus, d. h. er läßt sich nicht existentiell betreffen. Allerdings ist die fragende Haltung letztlich als Flucht vor der Wirklichkeit zu bezeichnen, versucht der Mensch doch durch diese Haltung mit dem Schicksal, welches ihm als das Andere feindlich gegenübersteht, jede wirkliche Berührung zu vermeiden. Diese Taktik kann jedoch in der Konsequenz der Gedanken Elerts letztlich nicht zum Erfolg führen: Die feindliche Macht des Schicksals wird nämlich auch von dem Menschen, der sein ganzes Leben lang versucht, eine Berührung mit dem Schicksal zu vermeiden, Besitz ergreifen und seine Existenz vernichten. Durch die Taktik des Heraushaltens läßt sich nach Eiert daher der feindliche Charakter der Wirklichkeit nicht beseitigen108. Daneben besteht für den Menschen noch die Möglichkeit, die ethische Haltung gegenüber der Wirklichkeit der Welt einzunehmen. Die Voraussetzung für diese Haltung ist nach Eiert das ,,[t]ätige Leben" 1 0 9 , es ist das Gegenteil des Sichheraushaltens, es ist gekennzeichnet nicht durch die Abstandshaltung, sondern durch das tätige Eingreifen 110 . Das 105

Hier knüpft Eiert an den entscheidenden Gedanken seines Kurzdogmatik und ethik „Die Lehre des Luthertums im Abriß" an: Geht Eiert in seiner „Lehre des Luthertums im A b r i ß " von dem Gedanken des „Freiheitsstreben^] alles Lebendigen" (Peters, Art. Werner Eiert, S. 4 9 4 ) aus, ist der Mensch mithin ausgezeichnet durch einen hemmungslosen Freiheitswillen, der der „Urausdruck der Lebendigkeit" (Eiert, Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 3. In der Quelle in Großbuchstaben.) ist, so stößt ,,[u]nser Freiheitswille [...] beständig auf äußere und innere Widerstände" (a. a. O., S. 4), so daß unsere Freiheit als beständig gehemmt erfahren wird (vgl. hierzu ausführlich O w e n , Der Mensch zwischen Zorn und Gnade, S. 94f). Die unsere Freiheit hemmenden Faktoren faßt Eiert in dem Begriff „Schicksal" zusammen: Das Schicksal wird von dem Menschen als eine „Hemmung der Freiheit empfunden" (ders., Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 4). Doch ist es nichts weniger als die „Hoheit und Freiheit des lebendigen Gottes" (a. a. O., S. 8), die dem Menschen im Schicksal begegnet (vgl. hierzu auch S p a m , „Die Religion aber ist L e b e n " , S. 33ff).

106

Vgl. bes. C G , S. 6 4 . Ebd. Vgl. CG, S. 6 7 ; 7 3 ; 1 0 8 . C G , S. 74ff. Vgl. C G , S. 7 5 .

107 108 109 no

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Schicksal tritt uns als das Andere auch in dem Anderen gegenüber111. Aus der Tatsache des gegenseitigen „Aufeinander-Angewiesensein[s]" m erwächst die ethische Forderung des ,,Füreinander-Dasein[s]" 113 . So eröffnet uns das Schicksal die „Möglichkeit des ethischen Lebens" 114 . Doch verkennt auch diese Lebenshaltung nach Eiert den feindlichen Charakter des Schicksals: Das Schicksal ist das uns gegenüberstehende Andere, das, „wonach wir nicht gefragt werden" 115 . Unsere ganze ethische Existenz spielt sich „in einem Käfig ab, in den wir ungefragt versetzt wurden" 116 . Unsere Geburt und unser Tod sind als Anfang und Ende unserer ethischen Existenz unserer Bestimmung entzogen. Aber auch die Spanne zwischen Geburt und Tod ist verfügt. Besonders durch die „Nichtumkehrbarkeit der Zeit" 1 1 7 ist unser Leben „gerichtet" 118 : Wir können die Zeit nicht umkehren, sondern unser ganzes Leben ist auf den Tod hin gerichtet. Doch auch in Gesundheit oder Krankheit, Besitz oder Armut, positiven Eigenschaften oder negativen, ja auch in der eventuellen Begegnung mit dem Du eines anderen, tritt uns das Schicksal als das Andere gegenüber. Diese Dinge, die uns ungefragt gegeben oder vorenthalten werden, machen entscheidend unseren Lebensgehalt aus. Sie sind somit als „Voraussetzung unserer ethischen Existenz" 119 zu beurteilen. Dies alles erscheint als Beweis gegen die Freiheit zur Selbstbestimmung des Menschen; denn wir erkennen, daß wir zugleich unter Zwang und unter Anordnung gestellt sind. Soll es nun möglich sein, durch die ethische Haltung mit der Wirklichkeit der Welt versöhnt zu werden, so muß es nach Eiert ein Folgeverhältnis zwischen dem Ethos und den uns ungefragt zugeteilten Dingen des Schicksals geben120. Doch dies Folgeverhältnis besteht nach Eiert nicht, „ein Vollzug unseres Schicksals nach ethischer Ordnung [ist] nicht erkennbar" 121 . Vielmehr werden wir „für einen Existenzgehalt verantwortlich gemacht, nach dem wir gar nicht gefragt werden. [...] Ich bin schuldlos an meiner Existenz, weil mir alles aufgezwungen wird. Und ich bin doch schuldig, weil ich es bin, der allem das Ich-Vorzeichen gibt 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121

Vgl. CG, S. 79ff. CG, S. 82. Vgl. ebd. Ebd. CG, S. 89. - Vgl. CG, S. 89ff. CG, S. 90. CG, S. 91. Ebd. CG, S. 93. Vgl. CG, S. 102ff. CG, S. 108.

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und der damit für die eigene Existenz verantwortlich zeichnet" 122 . Auch der ethisch agierende Mensch scheitert letztlich an der Unversöhntheit mit dem Schicksal. Aus seiner Untersuchung der beiden wichtigsten Formen des modernen menschlichen Selbstverständnisses (fragende Haltung, ethische Haltung) und des entscheidenden Elementes der Wirklichkeit, des Schicksals, welches uns als schlechthin anderes, über das wir nicht verfügen können, gegenübersteht und uns in eine Verschuldung zwingt, für die wir auch noch verantwortlich gemacht werden, zieht Eiert zwei Folgerungen: „Erstens, daß es jedes mögliche menschliche Selbstverständnis immer nur mit dem verborgenen Gott zu tun hat. Und zweitens, daß man diesen verborgenen Gott nicht lieben kann" 123 . Was dem Menschen hier noch übrig bleibt, ist Haß, Empörung, Hohn und Trotz gegen das Schicksal. „Es ist die Verachtung der eigenen Existenz und die letzte Absage an den Schöpfer" 124 . Gilt es zu unterscheiden zwischen dem Verhängnis des Gesetzes und der daraus resultierenden Todesordnung und der Erkenntnis des Gesetzes als Gottes Gesetz, d. h. als Gottes Schuldspruch und Todesurteil, so zieht Eiert in seinem ersten - soeben dargelegten - Gedankengang aus seiner Einsicht in die Wirklichkeit der Welt als Gottes gefallener Schöpfung, die als solche Gesetzesordnung ist, folgende Konsequenz: Der natürliche Mensch muß sein Selbst- und Wirklichkeitsverständnis gewinnen im Horizont der zur Todesordnung depravierten Schöpfung. Ein im Horizont der zur Todesordnung depravierten Schöpfung gewonnenes Selbst- und Wirklichkeitsverständnis muß nach Eiert konsequenterweise an der Feindlichkeit des Schicksals verzweifeln. Wird daher im Horizont der zur Todesordnung depravierten Schöpfung nach Gott gefragt, so muß diese Frage in der Verzweiflung enden. Eiert versucht aufzuzeigen, daß die natürlichen Selbst- und Wirklichkeitsverständnisse, die nicht an der Feindlichkeit des Schicksals, an der Todverfallenheit des Daseins, verzweifeln, sich über den Charakter des Schicksals hinweg täuschen. Er versucht daher zu zeigen, daß hier sublime Versuche vorliegen, vor der Todfeindschaft des Schicksals die Augen zu verschließen. Diese Todfeindschaft des Schicksals versucht Eiert einzuschärfen, um zu zeigen, daß

122 123 124

Ebd. C G , S. 1 0 9 . Ebd. (Hervorhebung in der Quelle). - So formuliert Duensing zu Recht: „ W i e das Urerlebnis des Luthertums endet nach Elerts Sicht auch das natürliche Selbstverständnis v o r dem verborgenem Gott, den m a n nicht lieben kann - mit W o r t e n der M o r p h o l o g i e : v o r dem ,Deus absconditus, vor dem einem nur grauen k a n n ' " (ders., Gesetz als Gericht, S. 4 6 ) .

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jeder Versuch, in Harmonie mit dem Schicksal zu leben - sei es durch ein Heraushalten aus dem Dasein oder durch eine moralische Bewältigung des Daseins - nicht gelingen kann. Der natürliche Mensch, der sein Dasein im Horizont der Todesordnung des Gesetzes fristet, muß, wenn er seine Lage konsequent durchdenkt, entdecken, daß er sich mit dem ihm feindlich gegenüberstehenden Schicksal nicht versöhnen kann. Er muß an seinem Dasein, das unweigerlich auf den Tod gerichtet ist, verzweifeln. Er muß entdecken, daß am Ende seines Lebens - ob er nun versucht, sich aus allem heraus zu halten und sich nicht existentiell betreffen zu lassen (fragende Haltung) oder ob er versucht, durch eine ethische Haltung sein Leben zu meistern - das ihm feindlich gesinnte Schicksal über ihn siegen wird. Das Evangelium kann dem menschlichen Selbstverständnis nur „unvermittelt entgegengesetzt werden" 1 2 5 . Die Erkenntnis des natürlichen Menschen führt zum Zweifel an Gott, der Glaube muß daher zum Bruch mit der natürlichen Erkenntnis führen 1 2 6 . Daher m u ß sich der Glaube an die Christusoffenbarung „gegen den natürlichen Menschen, auch gegen sein natürliches Erkennen durchsetzen" 1 2 7 .

3.3 Der bleibende Kampf H a t Eiert in seiner Analyse des natürlichen Selbstverständnisses gezeigt, daß das Selbstverständnis des natürlichen Menschen aufgrund der Erfahrungen der Todesordnung der Wirklichkeit nur in der Verzweiflung enden kann, so werden in einem zweiten Schritt diese Erfahrungen als Erfahrungen mit Gottes Gesetz identifiziert 128 . Damit werden nun aber die Erfahrungen des natürlichen Menschen in keiner Weise entschärft. „Alle irdische Ordnung, auch alle physische und ethische Lebensordnung ist, weil wir dadurch auch immer zeitlich gefesselt sind, Todesordnung. [...] Damit ist aus dem Tatbestand unserer natürlichen Existenz der gleiche Punkt erreicht, auf den die neutestamentliche Lehre vom Gesetz Gottes führt [...]. Das Gesetz Gottes ist ein Verhängnis, dem wir nicht nur ungefragt verfallen sind, sondern das uns selbst dann gilt, wenn wir jedenfalls das geschriebene Gottesgesetz gar nicht kennen oder wenn wir uns diesem zu entziehen versuchen. Es ist eben die Todesordnung, die uns in unserer natürlichen Existenz unzweifelhaft gilt und die, weil ihre

125 126 127 128

CG, ML ML Vgl.

S. 53. I, S. 45f. I, S. 52. CG, bes. S. 150.

Das Modell der Diastase

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Geltung nicht zu bezweifeln ist, auch φανερός ist. Jenes Selbstverständnis des Menschen hat praktisch für uns die gleiche Wirkung wie das geschriebene Gottesgesetz für die, welche es kennen. [...] Beides macht unser Verfallensein an den Tod offenbar. [...] Alle natürliche Gotteserkenntnis kommt demnach zu keinem andern Ergebnis als die durch das Gesetz erzeugte: daß Gott seinen Zorn offenbart über alles gottlose und ungerechte Menschentum" 129 . Ist somit aus der Perspektive des Evangeliums das Gesetz eine Todesordnung, die gilt, so wird die Geltung des Gesetzes durch das natürliche Selbstverständnis und seiner Erfahrung der Wirklichkeit als Todesordnung bestätigt130. Umgekehrt gilt aber auch: Aus theologischer Perspektive wird die Erfahrung der Wirklichkeit als Todesordnung bestätigt. Darüber hinaus wird die Erfahrung des Schicksals nicht nur bestätigt, sondern auch radikalisiert·. Es ist Gott selbst, der dieses Todesurteil verhängt hat. „Das Offenbarwerden des Menschen besteht also nicht darin, daß uns damit ein neuer Tatbestand suggeriert wird. Es wird vielmehr von dem Tatbestand unseres Lebens, der uns allen bekannt ist, der Schleier entfernt. Unser gesamtes Leben ist Widerspruch gegen Gott. Es ist Leben von Sündern" 131 . Das Gesetz macht somit offenbar, daß die Todesordnung eine Todesordnung Gottes ist, daß wir von Gott selbst verurteilt sind132. Und zugleich macht es den Grund für Gottes Todesurteil offenbar: unsere Schuld133. Somit gilt: Das Gesetz Gottes ist eine Todesordnung, die gilt, doch erst in der Offenbarung des Evangeliums erschließt sie sich als Gesetz Gottes, d. h. als Gottes Todesurteil aufgrund der menschlichen Schuld. Kann somit das natürliche Verständnis des Menschen mit der Todesordnung des Gesetzes konfrontiert werden, weil sie ein Verhängnis ist, das gilt, d. h. kann gezeigt werden, daß jedes menschliche Selbstverständnis in der Verzweiflung enden muß, wenn es vor der Todesordnung des Schicksals nicht die Augen verschließt, so ergibt sich aus der Offenbarung keine wie auch immer geartete Beschwichtigung, sondern eine ungeheuerliche Radikalisierung: Gott selbst hat die Todesordnung aufgrund der menschlichen Sünde verhängt. Eiert unternimmt denn auch zwei Schritte, das Selbstverständnis des Menschen zu radikalisieren: Er konfrontiert das menschliche Selbstverständnis zunächst mit der geltenden Todesordnung, um im Anschluß hieran diese Todes-

129 130

131 132 133

C G , S. 1 4 8 f . ,,[D]ie Tatsache, daß keiner dem T o d e entrinnt, beweist deutlicher als alles andre, daß sich an uns allen [ . . . ] die Drohung des Gesetzes erfüllt" ( C G , S. 1 5 1 ) . C G , S. 1 5 3 . Vgl. ebd. Vgl. ebd.

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Zwischen Diastase und Korrelation

Ordnung in Beziehung zu Gott zu setzen, indem er die Todesordnung als Gesetz Gottes interpretiert. Dies läßt sich sehr gut an Elerts Auseinandersetzung mit Oswald Spenglers Werk „Der Untergang des Abendlandes" verdeutlichen. Gerade weil Spengler „wie ein Kind vor den großen Irrationalitäten des Daseins" steht, mutet sein Werk - so Eiert - dem Christen „wie Heimatluft" 134 an. Zunächst versucht Eiert, Spengler zu verstehen: Jede der acht Kulturen, die es nach Spengler gebe und deren Entwicklung im Lebensrhytmus von Blüte, Reife und Verfall verlaufe, bilde eine organische Einheit. Spengler könne daher sogar von der Seele einer Kultur sprechen, die sich im Laufe ihrer Geschichte in verschiedenen Formen (ζ. B. Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft) entfalte. Diese verschiedenen Formen - so Eiert - werden als äußerer Ausdruck, als Erscheinung, von der Seele der Kultur hervorgebracht. „Folglich kann es auch keine einheitliche Weltgeschichte mit durchgehender zentraler Tendenz geben, weil alles, was man sonst als Träger dieser Tendenz angesehen hat, immer wieder neu anfangen muß, so oft eine neue Kultur, das heißt, ein neues Seelentum aus einem uns unbekannten Urgründe emporsteigt" 135 . Man könne daher nach Spengler höchstens von dem Sinn einer einzelnen Kultur und ihrer Entwicklung sprechen, niemals aber von einem Sinn „bei der Menschheitsgeschichte im ganzen, weil die Menschheit als solche für Spengler keine organische Einheit ist" 136 . Als Beispiel hierfür führe Spengler den Untergang der mexikanischen Kultur an. „Wenn irgendwo auf Erden, so wurde hier gezeigt, daß es keinen Sinn in der Menschengeschichte, daß es nur eine tiefe Bedeutung in den Lebensläufen der einzelnen Kulturen gibt. Ihre Beziehungen untereinander sind ohne Bedeutung und zufällig. Der Zufall war hier so grauenhaft banal, so geradezu lächerlich, daß er in der elendesten Posse nicht angebracht werden dürfte" 1 3 7 . Von hier aus nun sei es Spengler nicht möglich, einen Sinn der gesamten Weltgeschichte zu erkennen. An dieser Stelle setzt aber nun Elerts Kritik an Spengler ein: Sieht Spengler die Tragik der Gesamtgeschichte und spricht daher der Gesamt-

134 135 136 137

Eiert, Der „Untergang des Abendlandes", Sp. 6f. A. a. O., Sp. 7. A. a. O., Sp. 21. A. a. O., Sp. 21f. Eiert zitiert hier Spengler, Der Untergang des Abendlandes II, S. 51. Vgl. auch Eiert, Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 131: „Der optimistische Glaube an einen immanenten Sinn der Geistesgeschichte scheitert, sobald m a n hierunter wirklich die konkrete Geschichte des menschlichen Geistes nicht die Konstruktion einer Geschichte, wie sie hätte sein sollen, versteht. Es genügt auf den Untergang des alten Mexikos hinzuweisen".

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geschichte ein gemeinsames Schicksal ab, so kritisiert Eiert, daß der Schicksalsbegriff Spenglers „nicht das Moment des Tragischen kennt" 1 3 8 . Die Geschichte verläuft nach Eiert nicht deshalb tragisch, weil sie keinen Sinn und kein Gesamtschicksal hat, sondern es ist der Sinn der Geschichte, tragisch zu verlaufen; das Wesen des menschlichen Schicksals ist seine Tragikl Ist so der Geschichtsbegriff Spenglers durch die Konfrontation mit Elerts Verständnis des Schicksals als Todesordnung radikalisiert worden, so wird durch die theologische Deutung diese Radikalität nicht beschwichtigt, sondern im Gegenteil aufs Höchste verstärkt. H a t Spengler zwar „die nicht zu bestreitende Tatsache der Kulturuntergänge in Rechnung [ge]stellt[]" 139 und „die alte Einsicht erneuert, daß alle Geschichte Kampf ist" 140 , so wird diese Erkenntnis durch Eiert fast bis zur Unerträglichkeit radikalisiert: Erscheint die Geschichte bei Spengler als Kampf zwischen Völkern und Rassen, so zeigt sich aus der Perspektive der Offenbarung, daß hier der Kampf zwischen Gott und Mensch ausgetragen wird. „Geschichte ist der Vollzug des Willenswiderstreites zwischen Gott und den Menschen" 1 4 1 . Auf zweifache Weise ist so Spengler radikalisiert worden: Z u m einen konfrontiert Eiert den Schicksalsbegriff Spenglers mit der Todesordnung des Schicksals und zeichnet so in den Schicksalsbegriff Spenglers „das Moment des Tragischen" ein. Dieser Gedanke wird zum anderen aber noch gesteigert, insofern sich in der Offenbarung Gott selbst als Urheber dieses Schicksals erschließt. Das Schicksal erscheint als Kampf zwischen Mensch und Gott 142 ! Die „zynische Skepsis" 143 seiner Zeit versucht Eiert daher keineswegs zu verharmlosen oder zu beschwichtigen, sondern er bricht die zynische Skepsis seiner Zeit durch „gewaltsame Radikalisierung" 144 auf, indem er

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Ders., Der „Untergang des Abendlandes", Sp. 22. CG, S. 277. Ebd. CG, S. 279. In der Quelle hervorgehoben. Von hier aus zeigt es sich als eine Verkürzung des Sachverhaltes, wenn Meier urteilt, Eiert entnehme aus der Geschichtsanalyse Spenglers Deutekategorien für den Zustand der Gegenwartskultur (vgl. ders., Kulturkrise und Syntheseproblem, S. 298f). Es geht nicht bloß um eine Analyse unserer Kultur, sondern um eine Analyse des Schicksals überhaupt! Zwar erkennt demgegenüber Duensing richtig, daß Spenglers Verzicht auf Sinngebung der Geschichte für Eiert bedeutsam geworden ist (vgl. ders., Gesetz als Gericht. S. 24ff), doch erkennt Duensing nicht die Radikalisierung des Schicksalsbegriffes Spenglers durch Eiert. Die Radikalisierung Spenglers durch Eiert wird ebenfalls verkannt von Slenczka, Selbstkonstitution und Gotteserfahrung, S. 44ff. Peters, Unter Gottes Heimsuchung, S. 261. In der Quelle hervorgehoben. Ebd. In der Quelle teilweise hervorgehoben.

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Zwischen Diastase und Korrelation

sie mit der Einsicht in das Wesen des Schicksals als Todesordnung konfrontiert und als von Gott verhängte Todesordnung deutet 145 . Gilt 146 , daß die Erkenntnis des natürlichen Menschen - das Gewahrwerden des Schicksals als eines Todesverhängnisses - zum Zweifel an Gott führen muß, daß sich die Christusoffenbarung „gegen den natürlichen Menschen, auch gegen sein natürliches Erkennen durchsetzen" 147 muß, so löst die theologische Deutung des natürlichen Menschseins und der Todesordnung als Gottes aufgrund der menschlichen Schuld verhängten Strafe diesen Widerspruch nicht auf, sondern verschärft ihn. Erfährt der natürliche Mensch in der Wirklichkeit der Welt die Absurdität des Daseins, der die Botschaft des Evangeliums nur diametral entgegengesetzt werden kann, so löst sich die Spannung zwischen Existenzerfahrung und Christuserfahrung für den Glaubenden nicht auf. In diesem Sinne gibt es durch Christus keine „Berichtigung" 148 . Auch der Glaubende steht noch unter der Macht des Schicksals, auch seine Erfahrungen des geschöpflichen Daseins bezeugen ihm Gottes Zorn. In den Worten Elerts: „Die Welt bleibt ein Jammertal" 1 4 9 . Alle „transsubjektiven Hemmungen unsrer Freiheit, die wir vor der Versöhnung und Rechtfertigung als tragische Faktoren unsres Ethos empfanden, bleiben, die zeitliche, nationale, gesellschaftliche Bedingtheit unsrer Existenz, der Charakter unsrer Individualität, die Schicksalsschläge, der Tod" 1 5 0 . Auch der Glaubende erfährt die „Schlechtigkeit, Friedlosigkeit" 151 und den „Verfall" 1 5 2 der Welt. So bleibt auch für den Glaubenden seine Existenzerfahrung ein Widerspruch gegen Gottes im Evangelium von Jesus Christus verkündete Gnade. Der bleibende Widerspruch von Existenzerfahrung und

145

N a c h Duensing werden die natürlichen Selbstverständnisse ,,,ausgepreßt' letztlich auf den entscheidenden Inhalt des Urerlebnisses hin" (ders., Gesetz als Gericht, S. 4 6 ) . Angesichts der Unterscheidung zwischen der Konfrontation des natürlichen Selbstverständnisses mit dem Wesen des Schicksals als Todesordnung und der Interpretation der Todesordnung als Gottes Todesurteil wegen der menschlichen Schuld, erweist sich Duensings Interpretation als zu eindimensional.

146

Vgl. Kap. 3 . 2 . M L I, S. 5 2 . M L I, S. 3 6 1 . - Beide Sachverhalte gelten: „Es gilt die Todesdrohung. Es gilt die Lebensverheißung" ( M L I, S. 3 6 2 ) Diese inhaltlich völlig differierenden Sachverhalte kann Eiert geradezu als das „Geltende" zusammenfassen, eben weil sie, obwohl sich widersprechen, beide gelten (vgl. M L I, S. 3 6 3 ) . Ders., Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 7 3 . A. a. O., S. 1 3 5 . C E , S. 4 1 3 . Ebd.

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149 150 151 152

Das Modell der Diastase

369

Christuserfahrung erfährt seine Begründung gerade in Elerts Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium. Gesetz und Evangelium, Gottes Zorn und Gottes Gnade, lassen sich nicht miteinander vermitteln. „Gesetz und Evangelium [...] widersprechen einander in sachlichem und bleibendem Widerstreit" 153 .

4. Jenseits von Dualismus und Apologetik 4.1 Diastase, nicht Dualismus! Sind Gesetz und Evangelium „widereinander wie Tod und Leben" 154 , so bedeutet dieser ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" 155 für Eiert den „Verzicht auf einen spekulativen Ausgleich zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes" 156 . Verzichtet wird damit auf jede Spekulation über „Gott an sich" jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium; denn es ist „unmöglich, von dem Offenbarsein Gottes die Vorstellung ,Gott an sich' denkend abzuspalten. Das wäre nur statthaft, wenn das Offenbarsein Gottes gegenständlich ,vorhanden' wäre, bei dem sich das wahrnehmende Subjekt die eigene Beurteilung vorbehalten könnte. In Wirklichkeit ist Gott nur in seinem Gesetz und in seinem Evangelium offenbar, d. h. so, daß der Mensch auf Tod und Leben davon betroffen wird" 157 . Bayer ist in seiner Elertinterpretation mit Nachdruck darin zuzustimmen, daß Eiert hier zwei theologischen Theorien entscheidend widerspricht, die heute weithin selbstverständlich sind: „a. Da wir mit Gott durch Tod und Auferstehung Jesu Christi versöhnt sind, sind wir keine Feinde Gottes mehr. Was Paulus sagt, sei heilsgeschichtlich zu verstehen: Die Feindschaft des Menschen mit Gott sei eine vergangene Sache, keine Sache der Gegenwart. b. Zwar waren, vor dem Christusereignis, alle Menschen Gott feind: in ihrem Widerspruch gegen Gott, in ihrer Sünde. Aber diese Feindschaft galt nur von Seiten des Menschen aus, nicht aber von seiten Gottes aus. Zeigt sich Gott zornig, so tut er nur so. Denn seinem Wesen nach ist er ja Liebe. Deshalb muß das, was der Mensch als Gottes Zorn erfährt,

153 1,4 155 156 157

CG, S. 460. Gnade, S. 169. CG, S. 231. ML I, S. 187. CG, S. 226; vgl. auch CG, S. 231 f.

370

Z w i s c h e n Diastase und Korrelation

eine Gestalt seiner Liebe sein und theologisch auch so verstanden werden" 158 . Der Sachverhalt jedoch, daß Gesetz und Evangelium sich in sachlichem und bleibendem Widerstreit widersprechen, darf nicht so verstanden werden, als seien nach Eiert beide Offenbarungen gleichwertige Offenbarungen des Wesens Gottes 159 . Gottes Zorn ist vom Standpunkt des christlichen Glaubens aus als seine Verhüllung und gerade nicht als seine Offenbarung zu verstehen160. Nur ohne Kenntnis des Evangeliums ist der Zorn Gottes, der in der Wirklichkeit der Welt vernehmbar ist, als eine Offenbarung Gottes zu (miß)verstehen. Für den, der die gnädige Zuwendung erfahren hat, ist der Zorn Gottes kein zweiter Wesenszug Gottes. „In der Sicht des Evangeliums ist diese Offenbarung ein Akt Gottes, bei dem er sein ,Angesicht im Augenblick des Zorns verbirgt', also seine Verhüllung" 161 . Der Zorn Gottes ist somit die Verbergung des wahren Wesens Gottes. In seinem Zorn verhüllt Gott sein wahres Wesen, aber dennoch ist es Gott selbst der hier als der sein wahres Wesen verhüllende handelt. Hier bleibt Eiert stehen. Weder wird der Zorn monistisch als Element seiner Liebe verstanden, noch werden Zorn und Gnade auf zwei göttliche Prinzipien zugeführt oder als zwei gleichwertige Wesenszüge Gottes begriffen (Dualismus). Gottes Zorn ist sein opus alienum, seine Gnade sein opus proprium 162 . Der Zorn Gottes treibt zu Christus, er steht in Diensten des Evangeliums (usus paedagogicus legis). In Christus ist der Widerstreit von Gesetz und Evangelium zum Austragen gekommen 163 . „Aber für den Glaubenden gibt es kein Überwundenhaben, sondern nur ein aktuelles Überwinden, weil die Realität des Zornes Gottes, die sich in der Todesordnung ausspricht, nicht hinweggedacht werden kann. Es muß gegen sie geglaubt werden, nicht wie gegen eine falsche Vorstellung, sondern gegen die Dunkelheit des Deus absconditus, die durch das Sterben in uns und um uns als schauerliche Wirklichkeit bezeugt wird" 164 . Der Glaube bleibt eine Fluchtbewegung,

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Bayer, Theologie, S. 3 0 1 . So u. a. Pöhlmann, Rechtfertigung, S. 58f; Duensing, Gesetz als Gericht, S. 4 6 ; vgl. dagegen zu Recht Eyjölfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, S. 2 2 3 f . „[W]as ohne das Evangelium über Gott offenbar ist, erscheint in seinem Licht als Verhüllung" (CG, S. 1 4 8 ; vgl. auch CG, S. 1 3 9 ; ders., Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 11). Ebd. Vgl. M L I, S. 1 8 8 . Vgl. CG, S. 2 3 l f ; 4 6 0 . - „Die Todesordnung hat sich an ihm erfüllt und erschöpft" (ebd.). CG, S. 2 3 2 .

D a s M o d e l l der Diastase

371

hin zu Gottes Gnade in Christus; denn ist Gottes wahres Wesen seine Liebe und steht der Zorn im Dienst der göttlichen Liebe (usus paedagogicus legis), überwindet Gott in Christus seinen Zorn, so bleibt der Zorn Gottes mit seiner Liebe nicht verrechenbar. Gottes Zorn ist nicht eindimensional als Element der göttlichen Liebe zu begreifen; das Stehen unter dem göttlichen Zorn ist keinesfalls gleichbedeutend mit dem Stehen unter der göttlichen Liebe. Bleibt Eiert aber auch bei dieser letztlichen Unauflöslichkeit stehen, so ist hiermit doch keine letzte Ungewißheit an die Stelle der christlichen Gewißheit gesetzt. Gerade weil der Glaubende um Gottes wahres Wesen, seine Liebe, gewiß ist, können ihn die Erfahrungen des Zornes Gottes nicht mehr ängstigen 165 , vielmehr ist er sich gewiß, daß was immer ihm widerfährt, ihm zum besten dienen muß 166 ; denn der Gott, der dem Christen in der Wirklichkeit des Lebens entgegentritt, ist schließlich kein anderer als der, der sich ihm in der in Christus offenbaren Gnade zugesagt hat 167 . Gegen den Augenschein ist sich der Glaubende gewiß, daß der Versöhnergott nur Gutes geschaffen haben kann 168 . Für den Glaubenden ist die Welt nicht mehr „Ausdruck der Feindlichkeit Gottes" 169 . So beurteilt der Glaubende die Hemmungen seines Lebens, die auch er weiterhin in der Wirklichkeit erfährt, „nicht mehr als tragische, sondern als teleologische Faktoren des von Gott entworfenen Planes unseres Lebens" 170 . Das Urteil des Christen über die Welt bleibt „ein Glaubensurteil im strengeren Sinne" 171 . Der Glaube bleibt eine

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171

Vgl. ML I, S. 394. Eiert, Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 73. „Ist Gott mir gnädig, so ist er's überhaupt, wo immer ich es mit ihm zu tun habe, also auch in der Natur" (a. a. O., S. 173. Hervorhebung durch M.R.). Vgl. ebenso Langemeyer, Gesetz und Evangelium, S. 356. Eiert, Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 73. A. a. O., S. 135. - Hier urteilt Eiert freilich anders als in seiner philosophischen Promotionsschrift aus dem Jahre 1910 „Rudolph Rocholls Philosophie der Geschichte" und seiner theologischen Dissertation aus dem Jahre 1911 „Prolegomena der Geschichtsphilosophie. Studien zur Grundlegung der Apologetik": In diesen Schriften geht Eiert davon aus, daß mit Hilfe des inkarnierten Logos die innere Logik der Geschichte zu finden und ihr innerer Sinn erhellt werden kann (vgl. ders., Rudolph Rocholls Philosophie der Geschichte, S. 136). So ist es die Aufgabe der Apologetik „die große Synthese von Empirischen und Überempirischem zu vollziehen" (ders., Prolegomena der Geschichtsphilosophie, S. 104; vgl. hierzu auch Hauber, Werner Eiert, S. 120; Meier, Kulturkrise und Syntheseproblem, S. 296; Kaufmann, Werner Eiert als Kirchenhistoriker, S. 199f; Roth, Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 58ff). CG, S. 250.

372

Zwischen Diastase und Korrelation

Fluchtbewegung, insofern der Glaubende gegen die bedrängenden Erfahrungen des Daseins immer wieder zu Gottes eindeutigem Wort in Christus fliehen muß. Daher ist für Eiert der Glaube an Gott als den Schöpfer der Welt nur vom Evangelium aus möglich; aus dem Gesetz hingegen kann kein angemessenes Verständnis von Gott als dem Schöpfer gewonnen werden 172 . Zwar ist auch aus dem Gesetz Gottes seine Macht über alle Dinge zu erkennen, doch dies ist „noch nicht dasselbe wie sein Schöpferverhältnis zu ihnen. Allein das Evangelium verkündigt auch den, der den gegenwärtigen Kosmos nicht nur beherrscht, sondern auch begrenzt, der da, wo dieser Kosmos stirbt, ein neues Leben aufrichtet, der also über diesen Kosmos vollkommen frei verfügt - ohne daß ihm eine andere Macht in den Arm fallen könnte" 1 7 3 . Nur aus dem Vernehmen des Freispruches Gottes in der Botschaft von Jesus Christus gewinnt der Mensch „die rechte Beziehung zum Schöpfergott" 174 . Wäre daher die Verurteilung der Welt, die der Mensch in der Wirklichkeit der Welt vernehmen kann, „die einzige Beurteilung ,dieser' Welt im Neuen Testament, so wäre höchst fraglich, ob die Kirche noch das Recht hätte, Gott als ihren Schöpfer zu verkündigen" 175 . Die Sendung Christi offenbart Gottes Liebe zum Kosmos: „Es ist ein unveräußerlicher Satz des Evangeliums, daß das Motiv Gottes zur Sendung seines Sohnes seine Liebe zum Kosmos war. Christus kam nicht, um den Kosmos zu richten, sondern damit der Kosmos durch ihn gerettet werde" 176 . Daher soll der Glaubende auch ein „Auge [...] haben für Gottes Hand in seiner Schöpfung" 1 7 7 . Durch die Gewißheit um die Barmherzigkeit Gottes „erhält die Schönheit der irdischen Welt für das reine Auge des Glaubens neue Leuchtkraft" 1 7 8 .

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Vgl. CG, S. 248f. CG, S. 252. Langemeyer, Gesetz und Evangelium, S. 355. CG, S. 248. CG, S. 249. - Gegen Link ist festzuhalten, daß für Eiert angemessene Aussagen über die Schöpfung gerade nicht über die „Empirie der geschöpflichen Wirklichkeit" (ders., Schöpfung, S. 220; vgl. auch a. a. O., bes., 187ff) zustande kommen, sondern aus der Perspektive des Evangeliums. CE, S. 418. - „Wir müssen sehen, was wir an seiner Schöpfung verdorben haben. Aber wir sollen auch sehen, was Gott selbst daran schön und herrlich gemacht hat" (ebd.). CE, S. 415. - Auf den für die protestantische Theologie nicht selbstverständlichen Sachverhalt, von der Schönheit der Schöpfung zu sprechen, macht zu Recht auch Zeindler aufmerksam (vgl. ders., Gott und das Schöne, S. 143ff).

Das Modell der Diastase

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4.2 Diastase, nicht Apologetik! Als „Sprecher der Christenheit", der einen leidenschaftlichen Kampf kämpft für die Wahrheit der evangelischen Botschaft, ist es für Eiert unerläßlich, „auf die Konkreta unserer menschlichen Existenz Bezug [zu] nehmen" 179 und sich die Fragen der Menschen „in der konkreten Dringlichkeit des natürlichen Lebens" 180 stellen zu lassen, kurz: Es ist Elerts dringliches Anliegen, nicht „so reden zu müssen, ,als ob nichts vorgefallen wäre'" 1 8 1 . Die Erfahrungen des existentiellen Daseins werden - um mit Beyschlag zu sprechen - nicht „dem atheistischen Niemandsland überlassen" 182 ; Elerts Grundunterscheidung von Gesetz und Evangelium besitzt eine ausgesprochen „wirklichkeitsintegrative Funktion" 183 . Ist Eiert gerade darum bemüht, die existentiellen Erfahrungen des Daseins in seine theologische Reflexion einzubeziehen, so ist seine Dogmatik auch geöffnet für das externe Forum. Dogmatik darf nicht zum „Selbstgespräch der Theologie" 184 werden. „In Wirklichkeit hat sie aber im Ganzen wie an allen einzelnen Punkten nicht den Theologen vom Fach, sondern den Menschen anzusprechen, der von N a t u r ein Mensch ohne Glauben ist" 185 . Diese Aufgabe, „mit dem Gegenwartsmenschen [zu] verhandeln" 186 , kann der Dogmatik nicht abgenommen und an einen besonderen Arbeitszweig der Theologie delegiert werden 187 . Insofern die Dogmatik selbst das externe Forum anzusprechen hat, ist die Dogmatik für Eiert „apologetische Dogmatik". Apologetik jedoch verstanden als „methodologische Überleitung" 188 von der existentiellen Erfahrung des Daseins und dem im Horizont dieser Erfahrung gewonnenen Selbst- und Weltverständnis des Menschen zu Gottes erlösendem Handeln in Christus, wird von Eiert vehement abgelehnt. Liegt Gottes erlösendes Handeln seinem schöpferischen Handeln keineswegs zugrunde, sondern ist an die geschichtlich-kontingente Person Jesu von Nazareth gebunden 189 , so kann Gottes erlösendes Handeln in keinem Fall durch eine - wie auch immer geartete - Vertiefung der 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189

Eiert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 20. Ebd. Ders., Vordringliche Fragen an die Theologie, S. 5. Beyschlag, Werner Eiert in memoriam, S. 17. Maier, Kulturkrise und Syntheseproblem, S. 304f. CG, S. 34. Ebd. Ders., Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 139. Vgl. CG, S. 34. CG, S. 53. Vgl. hierzu besonders CG, S. 156ff.

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Zwischen Diastase und Korrelation

Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit ermittelt werden. Die Erlösung ist ausschließlich in der Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth und seinem Tod am Kreuz zu erfahren, sie ist kein irreduzibles Strukturmoment alles Erfahrbaren innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit. Zum anderen lehrt Eiert die geschöpfliche Wirklichkeit als gefallene Schöpfung zu verstehen, d. h. für Eiert als Gesetzeswirklichkeit. So ist das entscheidende Charakteristikum der geschöpflichen Wirklichkeit als gefallene Schöpfung die Begegnung mit Gottes Gesetz. In Gottes Gesetz wird aber der Schuldspruch Gottes und das Todesurteil laut. Hat Gott in Gesetz und Evangelium zwei abgrundtief verschiedene Worte gesprochen, die nicht miteinander harmonisiert und zu einem Ausgleich gebracht werden können, so widerstreben die Erfahrungen, die aus der Begegnung mit Gottes Gesetz erwachsen, den Erfahrungen mit der Begegnung Gottes im Evangelium. Es sind so die Spannungen innerhalb des Wortes Gottes selbst, die Eiert dazu veranlassen, auf jede Überleitung von dem Selbstverständnis des natürlichen Menschen auf das Evangelium zu verzichten190. Das Selbstverständnis des Menschen kann wohl auf die Begegnung mit dem Gesetz Gottes hin vertieft werden - aber als solches kann ihm das Evangelium nur entgegengesetzt werden191. Somit gilt für Eiert: Nicht das Evangelium, sondern das Gesetz Gottes ist die Tiefendimension der allgemein-menschlichen Erfahrungen. Gottes Gesetz - nicht das Evangelium - ist das irreduzible Strukturmoment alles Erfahrbaren. Doch unternimmt Eiert es keineswegs, das Gesetz Gottes als Gesetz Gottes einsichtig zu machen, das heißt, die existentiellen Erfahrungen des Daseins werden nicht auf die Einsicht in Gottes Gesetz als Gottes Gesetz hin vertieft. Eiert intendiert keine Apologetik des Gesetzes, er intendiert keineswegs, Gottes Schuldspruch und Gottes Todesurteil aus den existentiellen Erfahrungen des Daseins heraus zu exegesieren. Vielmehr versucht er nur das Verhängnis, das das Gesetz darstellt, die Todverfallenheit des Daseins, einzuschärfen und damit die verzweifelte Lage des menschlichen Daseins als ein dem Tod verfallenes Dasein einsichtig zu machen. Erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich diese Lage als Gottes Gesetz, konkret: die Todverfallenheit des Daseins erschließt sich als Gottes Todesurteil aufgrund der menschlichen Schuld.

190

191

Dies erkennt zu Recht auch M o u s t a k a s , P a r a d o x i e in W e r n e r Elerts Grundbestimmung der Dogmatik, bes. S. 3 0 1 . Die Behauptung Slenczkas, in der D o g m a t i k Elerts sei „die Erfahrung Gottes e x t r a Christum die Bedingung der Möglichkeit dafür, überhaupt erst G o t t in Christus identifizieren zu k ö n n e n " (ders., Selbstkonstitution und Gotteserfahrung, S. 3 3 6 ) , verkehrt die Intention Elerts geradezu in ihr Gegenteil.

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Will Eiert mit dem „Gegenwartsmenschen verhandeln" 192 und heißt dies für ihn, auf die Konkreta der menschlichen Existenz Bezug zu nehmen, ist aber Gottes Offenbarung als Gesetz und Evangelium in sich zwiespältig und wird die Erfahrung des unversöhnten Menschen als Erfahrung mit der Begegnung des Gesetzes Gottes verstanden, so gilt: a.) Der Begegnung mit dem Gesetz Gottes kann das Evangelium nur unvermittelt entgegengesetzt werden. b.) Das Selbstverständnis des natürlichen Menschen kann nur mit der Todesordnung des menschlichen Schicksals konfrontiert werden - das menschliche Schicksal ist als Todesordnung zu entlarven, an der der Mensch nur verzweifeln kann. c.) Selbst die Tatsache, daß der Mensch es in seiner Todesordnung mit Gott selbst zu tun hat, erschließt sich erst aus der Perspektive des Evangeliums und ist durchaus nicht durch eine Vertiefung der existentiellen Erfahrungen des Menschen zu erreichen, die bei dem Gewahrwerden der Todesordnung stehen bleiben muß. Von hier aus fragt sich, was Elerts Integration überhaupt zu leisten vermag. Konkret gefragt: Will Eiert - in bewußter Opposition zu Barth - die existentiellen Erfahrungen des Daseins in die Theologie integrieren und seine Dogmatik auch für das externe Forum öffnen, werden die Erfahrungen des Daseins aber nur als solche gedeutet, denen das Evangelium entgegengesetzt werden muß, so fragt sich, was Eiert gegenüber Barth zu leisten vermag, für den Gott das totaliter aliter gegenüber dem menschlichen Verstehen ist? Der harte Widerspruch Barths wird bei Eiert ja keinesfalls abgemildert - ganz im Gegenteil. Aber anders als bei Barth bemüht sich Eiert, den harten Widerspruch verständlich zu machen 193 . Ist aus theologischer Perspektive das Gesetz Gottes ein universelles Verhängnis, dem keiner entrinnen kann, so zeigt Eiert, daß diese Todesordnung universell gilt. Zum anderen ist damit deutlich, daß aus theologischer Perspektive auch die existentiellen Erfahrungen des Daseins gedeutet zu werden vermögen. Eine Apologetik jedoch ist so nicht möglich: Die existentiellen Erfahrungen des Daseins werden weder auf das Evangelium noch auch auf Gottes Schuldspruch und Gottes Todesurteil vertieft, sondern bleiben stehen bei der Todverfallenheit des menschlichen Schicksals, das in die Verzweiflung treibt. Will man von einer Apologetik Elerts sprechen, so besteht sie darin, dem Menschen seine verzweifelte Lage einsichtig zu

192 1,3

Eiert, Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 139. Diese Bemühung Elerts hat zu Recht erkannt Bayer, Theologie, S. 302ff, bes.

304f.

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machen. Von hier aus stellt sich die Frage, ob eine theologische Reflexion, die die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ernst nimmt, nichts anderes zu tun vermag. Elerts scharf pointierte Lehre von dem Widerspruch von Gesetz und Evangelium, macht deutlich, daß eine Apologetik nicht betrieben werden kann, indem eine - wie auch immer geartete - Überleitung von Gesetz und Evangelium versucht wird. Daher stellt sich die Frage, ob Elerts Gesetzesverständnis zu eindimensional ist, die Folgerungen mithin von einer fragwürdigen Bestimmung von Gesetz und Evangelium vorgenommen werden.

5. Elerts Gesetzesverständnis Die Kritik an Eiert hat sich vornehmlich an Elerts Gesetzesverständnis entzündet 1 9 4 . Dabei ist „auffällig, wie einheitlich die Kritik an Eiert ist. Der Vorwurf einer einseitigen Betonung der Judikatur des Gesetzes auf Kosten der anderen Funktionen des Gesetzes ist durchgehend" 1 9 5 . Für die Frage nun nach dem Charakter der Begegnung mit dem göttlichen Gesetz kann sich unsere Fragestellung auf das Verhältnis von usus politicus legis und usus elenchticus legis konzentrieren. Zu Recht wird bemerkt, daß Elerts Lehre vom Gesetz einseitig vom usus elenchticus ausgeht, er im Gesetz fast ausschließlich die Judikatur erblickt 1 9 6 : Der usus politicus, Gottes erhaltendes Wirken, tritt ganz in den Dienst des usus theologicus, wird gleichsam von ihm aufgesogen. Kennt Eiert nicht auch Erfahrungen des Guten und Schönen in der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit oder zumindest eine Erfahrung des „Gehaltenseins" in der Schöpfung, die freudige Erfahrung des Gewährtseins des eigenen Lebens - eine Erfahrung mithin, die nicht immer schon eine Erfahrung

194

195 196

Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung der Diskussion um Eiert bei Eyjolfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, S. 36ff. A. a. O., S. 4 2 . So Bayer, Theologie, S. 3 0 6 ; Roth, Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 55ff. - Eyjolfsson hingegen verwirft diese Kritik an Elerts Gesetzesverständnis gänzlich (vgl. ders., Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, S. 42f). Er sieht in der Ordnungstheologie Elerts den usus primus legis ausführlich zur Geltung gebracht. Doch überspielt Eyjolfsson dabei, daß Eiert die Schöpfungsordnungen häufig gerade nicht als usus primus legis entfaltet. Eiert ist vielmehr daran gelegen zu zeigen, daß die sichernde Funktion des Gesetzes (usus politicus) durch das Gesetz als Todesgesetz immer schon in Frage gestellt ist (vgl. Gnade, S. 142).

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der Todverfallenheit des Daseins ist? Wir stehen hiermit vor den Frage nach Gottes schöpferischem und (als solchem) erhaltenden Handeln. Die Frage nach dem usus politicus legis ist die Frage nach dem schöpferischen (und als solchem erhaltenden) Handeln Gottes in der gefallenen Welt. Nun zeigte es sich bereits, daß es nicht empfehlenswert ist, Gottes schöpferische (und als solche erhaltende) Gegenwart in den Gesetzesbegriff zu integrieren; das Gesetz ist vielmehr - im paulinischen Sinne - auf seine Funktion als Schuldaufweis und Anklage zu beschränken. Die Frage nach dem usus politicus legis ist daher zu transformieren in die Frage nach dem schöpferischen (und als solchem erhaltenden) Handeln Gottes in der gefallenen Welt. In der gefallenen Welt ist Gott gegenwärtig als der der Welt Dasein gewährende und der die Sünde verdammende. Damit gilt aber beides: Als der der Welt Dasein gewährende ist er immer auch gegenwärtig als der die Sünde verdammende, als der die Sünde verdammende ist er immer nur gegenwärtig als der der Welt Dasein gewährende. Nimmt Eiert - und diese Frage steckt hinter der Frage nach dem usus politicus legis - die schöpferisch-erhaltende Dimension der Weltgegenwart Gottes nicht ernst?

5.1 Die Beurteilung der geschöpflichen Wirklichkeit im Horizont des Gesetzes Nun zeigte sich, daß Eiert das Selbst- und Weltverständnis des Menschen konfrontiert mit der Todverfallenheit des Daseins, der Feindlichkeit des Schicksals. Macht Eiert hier - so könnte man fragen - nicht einseitig die Erfahrungen des anklagenden und verurteilenden Gesetzes thematisch, nicht aber die Erfahrung des „Gehaltenseins" in der Schöpfung? Erlebt der (unversöhnte) Mensch nicht gerade in der Erfahrung, in der Schöpfung gehalten zu sein, Gutes und Schönes, mit Bayer gefragt: Erlebt der Mensch im schöpferischen Bewahrtwerden nicht etwas, das „auch Nichtchristen im Dank wahrzunehmen vermögen" 1 9 7 ? Nun darf nicht verkannt werden, daß auch Eiert dem durch die Sünde entfremdeten - und unter dem Schuldspruch und Todesurteil des Gesetzes stehenden - Menschen zugestehen kann, Gutes und Schönes zu erfahren; auch das Schicksal hat ein freundliches Gesicht 1 9 8 . In Anbetracht aber des göttlichen Todesurteils, unseres Sterbenmüssens, erscheint alles Gute und Schöne, was der Mensch erlebt, wie eine Nichtigkeit. Angesichts des unabwendbaren Todes des Menschen und damit 197 198

Bayer, Theologie, S. 3 0 8 . C G , S. 8 3 .

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der völligen Vernichtung seiner Existenz wird alles, was er in der Wirklichkeit an Gutem und Schönem tatsächlich erfahren hat, in ein anderes Licht getaucht und erhält somit ein negatives Vorzeichen. „Das Schöne, das der Mensch erlebt, ist zu vergleichen mit dem Schönen, das ein zum Todeverurteilter auf dem Weg zum Richtplatz erlebt. Auch er kann auf dem Weg zum Richtplatz viel Schönes erleben, ζ. B. die Schönheit der Natur. Das alles wirkt bei seinem Gang wie ein Hohn auf sein Sterbenmüssen" 199 . Die Radikalität des Gesetzes verbietet für Eiert jedes optimistische Verständnis der geschöpflichen Wirklichkeit, das unter der Todesordnung des Gesetzes Gottes steht. Gerade aufgrund der Radikalität des Gesetzes beruht nach Eiert „ein Optimismus, der nicht im Evangelium begründet ist, auf Selbsttäuschung" 200 . Gerade daher versucht Eiert in seiner Dogmatik den Menschen mit der Todverfallenheit des Daseins zu konfrontieren. O b Eiert das schöpferische und erhaltende Handeln Gottes zugunsten des verurteilenden und anklagenden Gesetzes unterbelichtet, wird noch zu klären sein (vgl. Kap. 5.2 und Kap. 6). Die Gesamtlage des Menschen unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung (in der Sprache Elerts: des Menschen unter der Verborgenheit Gottes) ist - so jedoch Eiert zu Recht - entscheidend bestimmt durch das anklagende und verurteilende Gesetz. Die gefallene geschöpfliche Wirklichkeit bietet nicht nur kein Heil, sondern stellt den Menschen auch unter Gottes den Sünder verklagendes und verurteilendes Gericht.

5.2 Unterbelichtung des schöpferischen Handelns Gottes als Möglichkeitsbedingung für Gesetz und Evangelium Problematisch ist nicht Elerts Verständnis der Beurteilung der geschöpflichen Wirklichkeit unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung und damit unter den Bedingungen des Gesetzes, sondern Elerts Explikation des schöpferischen Handelns Gottes. Es fällt durchaus auf, daß Eiert in seiner Dogmatik der Reflexion über Gottes schöpferisches Tun wenig Raum gibt 201 . Zum anderen - und dieser Punkt hängt mit dem ersten eng zusammen - ist zu bemerken, daß Eiert das Verhältnis zwischen Schöpfung und Gesetz nirgends ausführlicher thematisiert. Beide Auffälligkeiten gilt es im folgenden zu entfalten und aufeinander zu beziehen. 199 200 201

Langemeyer, Gesetz und Evangelium, S. 349. ML I, S. 104. Im engeren Sinne nur CG, S. 253-257.

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Sowohl die Verkündigung des Gesetzes als auch die des Evangeliums enthält nach Eiert das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer aller Dinge 2 0 2 . Gott ist nach Eiert zwar auch der Urheber des Gesetzes 203 , doch ist ein angemessener Glaube an Gott als den Schöpfer der Welt nur vom Evangelium aus möglich; die Erkenntnis des Gesetzes ermöglicht kein angemessenes Verständnis von Gott als dem Schöpfer der Welt 2 0 4 . In der Begegnung mit dem göttlichen Gesetz wird die Todverfallenheit des Daseins, das Gericht über die Welt, offenbar: Die Welt ist „so verloren, [...] wie einer, der den Kopf hinhalten muß, wenn das Richtschwert fällt" 2 0 5 . Wäre daher das im Gesetz laut werdende Todesurteil das einzige Urteil Gottes über die Welt, so wäre nach dem Recht zu fragen, Gott als den Schöpfer zu verkündigen 206 . „Allein das Evangelium verkündigt auch den, der den gegenwärtigen Kosmos nicht nur beherrscht, sondern auch begrenzt, der da, wo dieser Kosmos stirbt, ein neues Leben aufrichtet, der also über diesen Kosmos vollkommen frei verfügt - ohne daß ihm eine andere Macht in den Arm fallen könnte" 2 0 7 . Zum einen ist deutlich, daß Eiert zwischen einem aus der Perspektive des Evangeliums und einem aus der Perspektive des Gesetzes gewonnenen Verständnis der Welt unterscheidet 208 . „Der Mensch" - so Eyjolfsson zu Recht - „kann sich nicht als wäre er ein Unbeteiligter - von der Welt trennen und ein objektives Urteil über sie fällen" 2 0 9 , er kann es deshalb nicht - so ist hinzuzufügen weil er entweder unter dem Gesetz oder dem Evangelium steht 2 1 0 . Doch nicht darin steckt das Problem, daß nach Eiert unterschieden werden muß zwischen einer Beurteilung der geschöpflichen Wirklichkeit aus der Perspektive des Gesetzes und einer Beurteilung aus der Perspektive des Evangeliums - diesem wurde vielmehr nachdrücklich zugestimmt (vgl. 5.1) - , sondern darin, daß für Eiert der schöpferische Akt Gottes selbst jedes Eigengewicht verliert, er ist zumindest stark unterbelichtet 211 . Es scheint fast so, als ob Eiert einen schöpferischen Akt Gottes, der nicht Gabe des 202 203 204 205 206 207 208

209 210

211

Vgl. CG, S. 2 5 2 . Vgl. ebd. Vgl. CG, S. 2 4 8 f . CG, S. 2 4 8 . Vgl. ebd. CG, S. 2 5 2 . So zu Recht auch Eyjolfsson, Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts, S. 29ff, bes. 2 3 0 f . A. a. O., S. 2 3 1 . Gerade aus diesen Grund ist für Eiert die Frage, ob die geschaffene Welt Gott als ihren Schöpfer offenbart „ganz unwichtig" (CG, S. 2 5 2 ) . Als Gesetzeswirklichkeit kann die Schöpfung Gott nur als schöpferischen Urheber des Gesetzes kennen. Dies hat Eyjolfsson in seiner Arbeit „Rechtfertigung und Schöpfung in der Theologie Werner Elerts" leider nicht bemerkt und problematisiert.

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Gesetzes oder des Evangeliums ist, nicht kennt. Gottes Schöpfung scheint bei Eiert aufzugehen in Gottes Urheberschaft von Gesetz und Evangelium. Daher ist es etwas völlig anderes, wenn aus dem Gesetz Gottes ein Verständnis des schöpferischen Aktes Gottes gewonnen wird, oder wenn aus Gottes Evangelium ein Verständnis seines schöpferischen Aktes gewonnen wird. Das Verständnis Gottes als Geber entscheidet sich nach Eiert daran, ob seine Geberschaft von der Gabe des Gesetzes oder der des Evangeliums beurteilt wird. Die Konsequenz dieses Sachverhaltes ist, daß Gottes schöpferisches Wort keine Eigenständigkeit besitzt. Die entscheidende Frage, ob das Gesetz seinen Ursprung dem schöpferischen Akt Gottes verdankt oder ob es Gottes Gabe für die gefallene Schöpfung ist, wird von Eiert daher nirgendwo reflektiert. Bei Eiert rücken zwar Schöpfung und Gabe des Gesetzes eng zusammen 212 , aber auch Schöpfung und Versöhnung rücken merkwürdig eng zusammen: Ist Gottes schöpferisches Handeln nur vom Evangelium aus erkennbar, weil nur hier Gott erkannt wird als der, „der da, wo dieser Kosmos stirbt, ein neues Leben aufrichtet" 213 , weil er nur hier auch als der erkennbar ist, der zugleich der Erlöser ist214, so scheint die Versöhnung wesentliches Element des schöpferischen Aktes Gottes zu sein, ohne den dieser nicht adäquat verstanden werden kann. In beiden Fällen tritt eine eigenständige Reflexion des schöpferischen Handelns Gottes zurück als eines Handeln, das a.) noch nicht Erlösung und b.) noch nicht Schaffung der Gesetzeswirklichkeit ist. Ad a) Gehört die Versöhnung wesentlich zum Verständnis der Schöpfung, weil hier Gott als der erscheint, der den Kosmos nicht nur beherrscht und begrenzt, sondern auch in der Versöhnung Leben neu gewährt, so ist im Ansatz eine Reflexion beiseite geschoben, die Gottes schöpferisches Handeln bedenkt, das noch nicht sein versöhnendes Handeln ist. Ad b) Eiert läßt es vermissen, zwischen Gottes schöpferischem Handeln, das die Welt ins Dasein ruft und dauerhaft erhält, und seinem gesetzgebenden Handeln, das die gefallene Welt unter das Todesurteil des Gesetzes stellt, zu unterscheiden. Durch Gottes schöpferisches Handeln ist der Mensch nach Eiert hineingestellt in die Gesetzeswirklichkeit, die zugleich Todesordnung ist. Die Beschreibung des Gesetzes als schöpferische Ordnung Gottes geht aber immer sofort über zum Gesetz als

212

213 2,4

Vgl. bes. M L I, S. 32; CE, S. 74ff. - „ D u r c h die Schöpfung, ist er in diese Welt hineingeschaffen, durch den N o m o s wird er in ihr festgehalten" (CE, S. 77). CG, S. 252. Vgl. CG, S. 250.

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Todesordnung 215 . Das „natürliche Gesetz, das unser irdisches Leben sichert, [versichert uns] auch der Unentrinnbarkeit des Sterbenmüssens. Es ist also auch Todesgesetz, mithin nicht nur Sicherung, sondern auch Bedrohung" 2 1 6 . Gottes schöpferisches Wort wird daher bei Eiert gerade deshalb unterbelichtet, weil Eiert immer schon bei Gottes Urteil über den Menschen ist. Hat Eiert zwar in seiner Ethik Das christliche Ethos den Schöpfungsordnungen Gottes eine ausführliche Reflexion gewidmet 2 1 7 , so fällt Elerts mangelnde Reflexion des schöpferischen Wortes besonders in seiner Anthropologie auf: Elerts Dogmatik besitzt keine wirkliche Anthropologie, keine Explikation der den Menschen zum Menschen machenden ontologischen Strukturen. Der Mensch wird entweder hinsichtlich des Urteils des Gesetzes oder hinsichtlich des Urteils des Evangeliums betrachtet. Die sich dem schöpferischen Akt Gottes verdankende Struktur humaner Personalität wird nicht bedacht. Der Mensch erscheint entweder als der unter dem Fluch des Gesetzes stehende Sünder oder als der durch das Evangelium Freigesprochene; es findet sich aber keine Reflexion über die Struktur humaner Personalität, die sowohl den Menschen als Sünder als auch den Menschen als Gerechtfertigten als Menschen auszeichnet. Es wird noch zu fragen sein, welcher Möglichkeiten sich Eiert damit beraubt hat, eine eigenständige Reflexion des schöpferischen Handelns zu unterlassen und statt dessen die Welt nur aus dem Blickwinkel des Gesetzes oder des Evangeliums zu betrachten.

5.3 Das Verhältnis zwischen dem anklagenden und verurteilenden Gesetz und der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes Eine Kritik an Eiert ist ferner dahingehend zu machen, daß er nicht zwischen der Erfahrung des Gesetzes und der Erfahrung der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes unterscheidet. Es gilt nämlich gegen Eiert mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß sich die Unterscheidung zwischen deus absconditus und deus revelatus nicht mit der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium deckt 218 . Eiert identifiziert die Wirkweise des Gesetzes „mit jener schrecklichen Verborgenheit [...], die nicht nur jenseits des Evangeliums, sondern auch jenseits des Gesetzes liegt" 2 1 9 . Die Erfahrungen der Irrationalitäten des Daseins, 215

217 2,8 219

Vgl. bes. CE, S. 75ff. Gnade, S. 142. Vgl. CE, S. 11 Iff. Vgl. Teil 1: Kap. II.C. Bayer, Theologie, S. 3 0 8 .

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konkret: der Erfahrungen von sinnlosem Leid und brutaler Gewalt, sind etwas anderes als die Erfahrungen des göttlichen Zorns angesichts des menschlichen Gefordertseins. Die Erfahrung der schrecklichen Verborgenheit Gottes muß von der Erfahrung menschlicher Schuld angesichts göttlichen Sollens unterschieden werden. Zwar gilt auch von dem Gesetz, daß es nicht mit Gottes Evangelium identifiziert werden darf, daß Gottes Gesetz als opus alienum von Gottes opus proprium zu unterscheiden ist (und nicht als Teil des opus propriums begriffen werden darf!), doch tritt dieses Werk in Diensten des Evangeliums. Gottes Evangelium geschieht nicht anders als durch das Todesurteil des Gesetzes hindurch. So wird von Eiert ebenfalls zu Recht hervorgehoben, daß das Evangelium die Geltung des Gesetzes bestätigt, indem das Evangelium das Gesetz überwindet. ,,[D]as Evangelium gilt uns, oder jetzt deutlicher: es nötigt uns zum Glauben, weil uns das Gesetz Gottes gilt. Erst so wird die Paradoxie ganz fühlbar: gerade das Evangelium bestätigt die Geltung des Gesetzes - desselben Gesetzes, dessen Geltung vom Evangelium aufgehoben wird" 220 . Gott bestätigt so in der Überwindung des Gesetzes dessen Geltung. Gerade aber bei Gottes verborgenem Handeln ist dies auch aus theologischer Perspektive nicht zu behaupten. Anders als das Gesetz erlaubt Gottes verborgenes Handeln keinen Rückschluß auf Gott selbst221. Gerade im Blick auf Elerts Ausführungen zum „Urgrauen" in der Morphologie des Luthertums gilt gegen Eiert zu betonen: Das Grauen vor Gott, der mich in einen Schuldzusammenhang stellt und mich für diese Schuld verantwortlich macht, ist die Erfahrung der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes, die in keinem Verhältnis zu Gottes Offenbarung im Evangelium steht. Der entscheidende Mangel des Gesetzesverständnisses Elerts liegt darin, Gottes gesetzgebendes Handeln und sein verborgenes Handeln miteinander identifiziert zu haben und Gottes gesetzgebendes Handeln von dem verborgenen Handeln Gottes nicht angemessen unterschieden zu haben. Anders als Eiert dies tut, ist streng zu unterscheiden zwischen Gottes verborgenem Handeln und Gottes gesetzgebendem Handeln. Die Erfahrung der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes darf nicht in die Erfahrung des Gesetzes eingetragen werden, weil sonst das Gesetz selbst verdunkelt wird. Indem Eiert aber nicht zwischen Gottes Begegnung in der schrecklichen Verborgenheit, die gerade keinen Rückschluß auf Gott selbst zuläßt, und Gottes Begegnung in dem den sündigen Menschen anklagenden und verurteilenden Gesetz, dem zwar vom Evangelium widersprochen wird 220 221

CG, S. 1 4 0 . Vgl. hierzu Teil 1: Kap. II.C.

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aber gerade so, daß seine Geltung bejaht wird, unterscheidet, und somit zwei wohl zu unterscheidende Gegenstände der Theologie zusammenfaßt 222 , droht die Eigenart des Gesetzes, seine Beziehung auf die menschliche Sünde, unterbelichtet zu werden.

6. Fazit Die Auseinandersetzung mit Tillichs Methode der Korrelation zeigte: Wird das Versöhnungshandeln Gottes als geschichtliches Handeln Gottes, das den kontingenten Widerspruch des Menschen gegen Gott in der Sünde sowie den Widerspruch Gottes gegen den Menschen im Schuldspruch und Todesurteil des Gesetzes überwindet, verstanden, taucht das eigentliche Problem der apologetischen Bemühungen - dem sich Tillichs Methode der Korrelation schon im Ansatz entledigte - in seiner ganzen Schärfe allererst auf; denn die Frage, wie die Verkündigung von Jesus als dem Christus auf die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit zu beziehen ist, hat zu bedenken, daß in der gefallenen Welt Gottes Gesetz laut wird. Von hier aus zeigte sich erst das eigentliche Problemfeld, das es zu bedenken gilt. Diesem Problemfeld hat sich Eiert in aller radikalen Konsequenz gestellt, indem er die Schöpfungswirklichkeit als gefallene Schöpfung zu verstehen lehrt, in der das Gesetzesurteil laut wird. Die Frage nach der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung ist daher die Frage nach der Potentialität der Vernunft unter den Bedingungen des Gesetzes. Die Frage nach dem Inhalt der Erfahrungen mit der Schöpfung Gottes wird so von Eiert zugespitzt auf die Frage nach dem Inhalt der Erfahrungen mit der gefallenen Welt, die gerade durch Gottes Schuldspruch und Todesurteil im Gesetz ausgezeichnet ist. In der Schöpfung wird somit gerade die Stimme des verurteilenden und anklagenden Gesetzes laut. Galt es gegen Tillich zu behaupten, daß Gottes erlösendes Handeln keinesfalls die Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit ist, so macht Eiert deutlich: Die Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit als gefallene Schöpfung ist das Gesetz Gottes! Die existentiellen Erfahrungen des Menschen sind daher aus theologischer Perspektive zu beurteilen als Erfahrungen der Begegnung mit dem Gesetz Gottes. Damit aber gerade zeigt sich für die apologetische Bezeugung des Wortes Gottes das eigentliche Problem: Zum einen erinnert Eiert daran, daß Gott in Gesetz und Evangelium zwei abgrundtief verschiedene Worte gesprochen hat, die nicht mitein111

So zu Recht Bayer, Theologie, S. 3 0 9 .

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ander harmonisiert werden können. Es sind so die Spannungen innerhalb des Wortes Gottes selbst, die Eiert dazu veranlassen, auf jede Überleitung von dem Selbstverständnis des natürlichen Menschen zum Evangelium zu verzichten. Gerade durch seine - in dem zwiespältigen Selbstzeugnis Gottes begründete - kategorische Ablehnung bedenkt Eiert, was es für die Auseinandersetzung des Evangeliums mit den existentiellen Erfahrungen des Daseins bedeutet, daß die Erfahrungen des existentiellen Daseins Erfahrungen mit der Begegnung mit Gottes Gesetz sind, des Gesetzes, das dem Evangelium widerstreitet wie der Tod dem Leben. Zeigte sich in der Auseinandersetzung mit Tillich, daß die Sünde als struktureller Widerspruch gegen Gott die Verkennung der Sünde als Sünde notwendig einschließt, so bedenkt Eiert auch, was dies für die Erkenntnis des Gesetzes als Gesetz unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung bedeutet: Das Gesetz Gottes wird unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung gerade als Gesetz Gottes verkannt, erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich das Gesetz Gottes als eben solches. Aus diesem Grunde unternimmt es Eiert keineswegs, das Gesetz Gottes als Gesetz Gottes allgemein einsichtig zu machen; denn es gilt zu unterscheiden zwischen dem Verhängnis des Gesetzes (das Gesetz als geltende Struktur der - gefallenen - geschöpflichen Wirklichkeit) und der daraus resultierenden Todesordnung und der Erkenntnis des Gesetzes als Gottes Gesetz. So intendiert Eiert, die durch das Gesetz bestimmte Struktur der Wirklichkeit, die Todverfallenheit des Daseins, dem natürlichen Verstehen einzuschärfen und damit das menschliche Daseins als ein dem Tode verfallenes Dasein einsichtig zu machen. Selbst die Tatsache, daß der Mensch es in der Todesordnung der Wirklichkeit mit Gott selbst zu tun hat, erschließt sich nach Eiert erst aus der Perspektive des Evangeliums und ist durchaus nicht durch eine Vertiefung der existentiellen Erfahrungen des Menschen zu erreichen, die bei dem Gewahrwerden der Todesordnung stehen bleiben muß. So werden die existentiellen Erfahrungen des Daseins weder auf das Evangelium vertieft (da es den existentiellen Erfahrungen des Daseins nicht zugrunde liegt), noch auf das Gesetz (da unter den Bedingungen der Entfremdung das Gesetz Gottes gerade als Gesetz Gottes verkannt wird), sondern auf die Todverfallenheit des Daseins (als einem universellen Verhängnis, dem keiner entrinnen kann). Eine - wie auch immer geartete - Überleitung zwischen den existentiellen Erfahrungen des Menschen und der Botschaft von Jesus als dem Christus ist somit strikt abgelehnt. Darf die Dogmatik nach Eiert nicht zum „Selbstgespräch der Theologie" 223 werden, sondern ist sie zu öffnen für das externe Forum, so ist 223

CG, S. 34.

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bei Eiert diese selbst gestellte Aufgabe, „mit dem Gegenwartsmenschen [zu] verhandeln" 224 , eingeschränkt auf den Versuch, den Gegenwartsmenschen auf seine verzweifelte Lage hinzuweisen, indem das menschliche Leben als ein Leben zum Tode aufzuzeigen versucht wird. N u n ist hiermit aber weniger geleistet, als es auf den ersten Blick den Anschein hat: Nicht nur ist jeder Überleitung von den existentiellen Erfahrungen unter der Verborgenheit Gottes mit dem Evangelium bei Eiert entschieden widersprochen (sie treten sich als Erfahrung des Todes und als Erfahrung der Überwindung des Todesurteils durch Gott diastatisch gegenüber), sondern auch die Todesordnung der Wirklichkeit wird bei Eiert in keiner Weise mit den Aussagen des Glaubens vermittelt. Der christliche Glaube begreift den ewigen Tod als Konsequenz der menschlichen Sünde, nicht als unbegreifliches Fatum der geschöpflichen Wirklichkeit. Wird im Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen lediglich die Todverfallenheit des menschlichen Daseins demonstriert, so ist in apologetischer Hinsicht fast gar nichts geleistet; denn der Tod wird nicht in Beziehung gesetzt zu den Inhalten des Glaubens, die ja gerade artikuliert werden sollen. So gilt festzustellen: Wird der Tod nicht in Beziehung gebracht zur menschlichen Sünde, bleibt er stumm. Mehr als ein Verstummen angesichts des Todes vermag Eiert nicht zu leisten. Aus der Perspektive des Glaubens ist die Todesordnung keine der Schöpfung selbst inhärierende Struktur, sondern Element des gesetzgebenden Handelns Gottes. (Damit ist keine Entscheidung in der alten Frage präjudiziert, ob der kreatürliche Tod Element von Gottes ursprünglicher Schöpfung ist. Gemeint ist der ewige Tod, d. h. die ewige Scheidung von Gott, die nur als Verdammnis zur Sprache gebracht werden kann. Er ist der Sünde Sold.) Der ewige Tod ist somit kein unabänderliches Fatum der geschöpflichen Wirklichkeit, sondern er hat eine Ursache: die menschliche Sünde! Dies gilt es gerade gegen das Verkennen des ewigen Todes aus der Perspektive des Unglaubens zu betonen. Nun ist diese Reduktion des Gesetzes auf die Todverfallenheit des Daseins bei Eiert keineswegs durch den Versuch bedingt, die Strukturen des Gesetzes im Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen einsichtig zu machen. Vielmehr zeigte sich, daß diese Reduktion bei Eiert prinzipiellen Charakter hat. Sie resultiert aus Elerts binären Bestimmung des Handelns Gottes, die eine Unterscheidung zwischen Schöpfung und Gesetz ebenso vermissen läßt wie eine Unterscheidung zwischen Gottes Gegenwart im Gesetz und seiner schlechthin verborgenen Gegenwart: Es zeigte sich bereits (vgl. Kap. 5.2), daß Eiert das schöpferische Handeln Gottes unterbelichtet und nicht in seiner Eigenständigkeit ent224

Ders., Die Lehre des Luthertums im Abriß, S. 139.

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faltet. Es wird somit nicht deutlich, ob Eiert einen Akt Gottes kennt, der nicht Gabe des Gesetzes oder des Evangeliums ist. So läßt Eiert es durchgängig vermissen, zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem gesetzgebenden Handeln zu unterscheiden. Ferner zeigte sich (vgl. Kap. 5.3), daß Eiert nicht zu unterscheiden vermag zwischen der menschlichen Erfahrung des Gesetzes Gottes und der Erfahrung der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes; vielmehr werden die Erfahrungen der schlechthinnigen Verborgenheit Gottes bei Eiert als Erfahrungen des Gesetzes beschrieben. Zeigte sich aber ebenfalls, daß im Unterschied zu Gottes Gesetz, das als Widerspruch Gottes gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) zu verstehen ist, Gottes schlechthin verborgene Gegenwart gerade keinen Rückschluß auf Gott selbst zu geben vermag, so zieht Eiert, indem er Gottes verborgene Gegenwart mit Gottes Gegenwart in seinem Gesetz identifiziert, das Gesetz in das Dunkel der verborgenen Gegenwart Gottes. Daher ist es zwangsläufig, daß die Eigenart des Gesetzes, seine Beziehung auf die menschliche Sünde, durch die Identifikation mit der Verborgenheit Gottes verdunkelt zu werden droht 225 . Die Konsequenz dieser mangelnden Unterscheidung besteht somit gerade darin, daß Gottes Gesetz bei Eiert als tragisches Moment der Wirklichkeit selbst erscheint. Von daher wird man in prinzipieller Hinsicht von Eiert eine angemessene Unterscheidung zwischen Schöpfung und Gesetz ebenso fordern müssen wie eine angemes-

225

Der Gedanke der Schicksalhaftigkeit des Gesetzes droht bei Eiert immer wieder den Z u s a m m e n h a n g von Schuld und Gesetz zu verdrängen. Hier zeigt sich die Konsequenz der Genese des Elertschen Gesetzesbegriffs: So bringt Eiert in seinem frühen W e r k „Die Lehre des Luthertums im Abriß", das ganz von dem Gedanken des menschlichen Schicksals getragen und bestimmt ist (und in dem der Terminus „Gesetz" nur eine untergeordnete Rolle spielt), den aus der Tradition stammenden Gedanken der menschlichen Schuld nicht harmonisch unter (ähnlich O w e n , Der Mensch zwischen Z o r n und Gnade, S. 116; Duensing, Gesetz als Gericht, S. 56; vgl. auch Roth, Zwischen Erlösungshoffnung und Schicksalserfahrung, S. 84, Anm. 387). Auch im Blick auf Elerts ausgereifte Dogmatik „Der christliche G l a u b e " wird m a n zwar urteilen müssen, d a ß Eiert den Gedanken von Schicksal und Schuld zu einer Einheit zu bringen versucht, indem er von einer schicksalhaften Schuldverfallenheit spricht (Gott stellt den Menschen in einen Schuldzusammenhang!), doch wird das Schicksalhafte der Schuld stärker herausgestrichen als die konkrete Schuld des Menschen (vgl. ebenso Peters, Unter Gottes Heimsuchung, S. 262; 289; ders. Rechtfertigung, S. 176ff, bes. 182). Eiert bleibt vornehmlich an der schicksalhaften Tragik des menschlichen Daseins orientiert, nicht an der menschlichen Schuld. Das Gesetz wird so in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der schicksalhaften Tragik menschlichen Daseins betrachtet, nicht unter dem Gesichtspunkt menschlicher Schuld und Sündhaftigkeit.

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sene Unterscheidung zwischen Gottes Gegenwart im Gesetz und seiner schlechthin verborgenen Gegenwart: Es ist zu unterscheiden zwischen Gottes Dasein gewährendem Handeln und seinem den kontingenten Widerspruch des Menschen gegen ihn widersprechenden Handeln. Es ist ferner zu unterscheiden zwischen Gottes den kontingenten Widerspruch des Menschen gegen ihn widersprechendem Handeln und seiner schlechthinnig verborgenen Gegenwart, die keinen Rückschluß auf Gott selbst erlaubt und daher die absolute Grenze der theologischen Reflexion darstellt. Ist in prinzipieller Hinsicht zu urteilen, daß Eiert die Rede vom Gesetz verfälscht, wenn er es als unabänderliches Fatum erscheinen läßt, so trägt er diese Verfälschung auch in sein Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen hinein. Damit beraubt sich Eiert aber auch der Möglichkeiten des Gesprächs mit dem Gegenwartsmenschen. Zu Recht erkennt Eiert - und hierin ist seine bleibende Bedeutsamkeit begründet - , daß die geschöpfliche Wirklichkeit durch Gottes Gesetz ausgezeichnet ist, aber er vernachlässigt die Einsicht, daß die geschöpfliche Wirklichkeit nicht nur durch das Gesetz, sondern auch durch Gottes Dasein gewährende Gegenwart ausgezeichnet ist, die zwar nicht identisch ist mit Gottes versöhnendem Liebeshandeln in Christus, aber doch die Möglichkeitsbedingung für dieses Handeln ist. Und Eiert vernachlässigt die Einsicht, daß Gottes Gesetz gerade solchen Formen des Daseins widerspricht, die - aus der Perspektive des Evangeliums - als Sünde entlarvt werden.

C Die Methode der Anknüpfung (P. Althaus) 1. Althaus, der Apologet - die Methode der „Anknüpfung" Obwohl Althaus den Terminus „Apologetik" äußerst sparsam verwendet, kann doch das leitende Interesse seiner Dogmatik als ein apologetisches bezeichnet werden. Auch Althaus' theologische Reflexion intendiert, den Inhalt der christlichen Botschaft nicht bezugslos zu derjenigen Wirklichkeit zu artikulieren, in der die Botschaft von Christus vernommen wird1. Die apologetische Intention der Althausschen Dogmatik artikuliert sich in der Frage nach einem „Anknüpfungspunkt", d. h. in der Frage, wo die Explikation der evangelischen Botschaft von Gottes Heilshandeln in Jesus Christus an die allgemeine Erfahrung anzuknüpfen vermag. Althaus ist somit „Apologet" 2 als „Anknüpfungstheologe" 3 . Die Anknüpfung ist bei Althaus eine der Korrelationsmethode Tillichs vergleichbare theologische Methode 4 . Intendiert Tillich, einen verborgen präsenten Bezug zur Transzendenz in den existentiellen Erfahrungen des Daseins freizulegen, versucht Eiert die existentiellen Erfahrungen des Menschen als Erfahrungen der Begegnung mit dem Gesetz Gottes zu verstehen, so gibt es auch für Althaus „grundsätzlich kein Menschsein in der bloßen Profanität" 5 . Der Mensch ist nicht nur in Christus auf Gott bezogen 6 , vielmehr weist Gottes erlösende Begegnung in Christus zurück auf eine vorhergehende Begegnung zwischen Gott und Mensch, von welcher der Mensch „immer schon herkommt und bestimmt ist" 7 : die Uroffenbarung. Das Evangelium beansprucht daher keineswegs das Verhältnis Gottes zum Men-

1

2 3 4 5

6 7

Zu Recht spricht daher Lohff von Althaus' Interesse an der Lebensbezogenheit der Dogmatik (vgl. ders., Paul Althaus, S. 70ff). Doerne, Zur Dogmatik von Paul Althaus, S. 4 5 0 . Pöhlmann, Das Problem der Uroffenbarung bei Althaus, S. 2 5 5 . So zu Recht Pöhlmann a. a. O . S. 2 5 5 . Beyschlag, Die Erlanger Theologie, S. 1 9 1 ; ähnlich auch Baur, Vermittlung in unversöhnten Zeiten, S. 185. Vgl. C h W I, S. 4 5 . Ebd.

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sehen allererst zu begründen, vielmehr will es ein schon bestehendes Verhältnis heilen8. Das Evangelium „setzt [...] eine ursprüngliche Selbstbezeugung Gottes an den Menschen und die dadurch begründete Geschichte voraus" 9 . So unterscheidet Althaus „von der Heils-Offenbarung Gottes in Jesus Christus seine ursprüngliche Selbstbezeugung oder Ur-Offenbarung oder Grund-Offenbarung^. Die Uroffenbarung redet „von dem stets gegenwärtigen wesentlichen Ursprung des Menschen als Menschen, der Geschichte als Geschichte" 11 . An diese Uroffenbarung Gottes, von welcher der Mensch „immer schon herkommt und bestimmt ist" 12 , will Althaus anknüpfen. Damit beabsichtigt Althaus, gleichsam den Mittelweg zu gehen zwischen der Elertschen Diastase und der Tillichschen Methode der Korrelation, indem er sowohl die diastatische Entgegensetzung des Evangeliums gegen die existentiellen Erfahrungen des Daseins bestreitet als auch die der Tillichschen Korrelationsmethode implizit zugrundeliegende idealistische Identitätsprämisse, die die Wahrheit des Evangeliums als ewige Wahrheit, d. h. als der geschöpflichen Wirklichkeit immer schon verborgen gegenwärtige Wahrheit, begreift, ablehnt. Althaus kann so von seinem Anliegen durchaus als Theologe der „echten ,Mitte'" 13 begriffen werde; denn einerseits intendiert Althaus, die - besonders von Eiert namhaft gemachten - lutherischen Anliegen von der Radikalität der Sünde14 und der Kontingenz des Heilshandelns Gottes zur Sprache zu bringen, ohne wie Eiert auf einen Anknüpfungspunkt zu verzichten, andererseits beabsichtigt Althaus, das berechtigte Anliegen der Theologie Tillichs aufzunehmen, ohne wie Tillich die Apologetik als Mäeutik zu betreiben. Das Evangelium soll weder der existentiellen Erfahrung des Daseins diastatisch entgegengesetzt werden, noch soll das Evangelium als Tiefendimension existentieller Erfahrungen aus diesen herausexegesiert werden, vielmehr soll die Wahrheit des Evangeliums an die existentielle Erfahrung des Daseins anknüpfen, indem von der Uroffenbarung zum Evangelium von Jesus Christus übergeleitet wird.

8 9 10 11 12 13 14

Vgl. ebd. Ebd. C h W I, S. 5 1 . GD, S. 19. ChW I, S. 4 5 . Doerne, Zur Dogmatik von Paul Althaus, S. 4 5 1 . Vgl. hierzu Althaus, Zur Lehre von der Sünde, S. 5Iff.

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Zwischen Diastase und Korrelation

2. Die Voraussetzungen der Methode der Anknüpfung 2.1 Gottes Handeln in Christus als Skandalon gegen die idealistische Idee aller Zeiten - Abwehr der Mäeutik Tillichs Methode der Korrelation wird durch die Prämisse von der letzten Einheit von Offenbarung und Vernunft ermöglicht: der Inhalt der Offenbarung liegt der Vernunft immer schon als ihre Tiefe zugrunde, so daß die Vernunft auf den Inhalt des Evangeliums hin vertieft werden kann. Unter dieser Voraussetzung jedoch vermag Tillich die Geschichtlichkeit des Handelns Gottes nicht mehr in den Blick zu bekommen. Sowohl der Einbruch der Sünde als auch das Geschehen der Gnade können nicht mehr als kontingente Ereignisse gefaßt werden, sondern müssen als ewige Prinzipien ontologisiert werden: die Sünde als Prinzip der Aktualisierung der Schöpfung, die Erlösung als Prinzip des letzten Sinnes. Sünde und Heilshandeln Gottes sind überzeitliche Akte, die in der Schöpfung selbst eingegründet sind. Im Unterschied zu dieser Entgeschichtlichung des Glaubens ist Althaus darum bemüht, Sünde und Gottes Gnadenhandeln nicht als ewige Prinzipien in die Schöpfung selbst einzugründen, sondern sowohl den kontingenten Charakter der Sünde als auch Gottes kontingentes Handeln in Christus in ihrer Konsequenz ernst zu nehmen. Statt Gottes Handeln in eine „Epochenlosigkeit" 1 5 aufzulösen und die christliche "Wahrheit als ewiges Prinzip zu ontologisieren, besteht Althaus sowohl auf den kontingent-geschichtlichen Charakter des Gotteshandelns in Christus als auch auf der Kontingenz der Sünde: Gerade weil Althaus den kontingent-geschichtlichen Charakter des Christusgeschehens ernst nehmen will, ist es ihm verwehrt, die Christusoffenbarung - so wie die idealistische Interpretation - als neue Gottes idee zur Sprache zu bringen. Jesus Christus bringt keine allgemeine - ewig geltende und (verborgen) präsente - Wahrheit zum Ausdruck, sondern eine neue Tat Gottes 1 6 . Wird die Christusoffenbarung in idealistischer Weise als Offenbarung einer neuen Gottesidee interpretiert, die zwar verborgen ist, aber immer schon gültig, dann - so Althaus - kann der Person Jesu nur noch die Bedeutung zugemessen werden, entweder diese Idee erstmals in die Geschichte eingeführt zu haben, oder sie in seinem Leben zur vollkommenen Darstellung gebracht zu haben 1 7 . Letztlich verkennt diese Vorstellung nach Althaus jedoch, daß die vergebende Liebe Gottes keine 15 16 17

G u G , S. 2 5 (in Auseinandersetzung mit Barth). Vgl. C h W I, S. 5 4 . Vgl. C h W I, S. 1 3 8 .

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Idee ist, die aus der verborgenen Tiefe des menschlichen Bewußtseins ans Licht gestellt werden muß, sondern eine konkret-geschichtliche Tat Gottes, die als solche durch Gedanken unverfügbar ist 18 . Jesus ist nicht Symbol der Wahrheit, sondern er selbst ist die Wahrheit, nämlich die „Wirklichkeit der Liebes-Tat Gottes" 1 9 . Als Liebestat Gottes ist Christus in seiner sakramentalen Bedeutung ernst zu nehmen und nicht zugunsten einer rein exemplarischen Bedeutung zu verkürzen: Christi Tod am Kreuz ist eine einmalige und entscheidende Tat Gottes 20 . In Jesus Christus wird nicht eine ewige Wahrheit über die Beziehung zwischen Gott und Mensch offenbar als ,,erinnerbare[] Idee der ursprünglichen Einheit von Gott und Mensch" 2 1 , vielmehr ist der Tod Jesu die Setzung eines neuen Gottesverhältnisses22. Anders als Tillich hält Althaus daher daran fest, daß man „die Versöhnung von dem ,einmal' seines Todesopfers" 23 nicht lösen kann. Gerade so - als einmalige und entscheidende Tat Gottes - ist das Evangelium aber als ein „Skandalon für das idealistische Denken aller Zeiten" 24 aufzufassen. „Die Orthodoxie hat gegen den Idealismus insofern recht, als das Wort Gottes, weil es Vergebungswort ist, ein fremdes', kontingentes, in diesem Sinne heteronomes ist, das aller Tiefe unserer Geistigkeit und der darin gegebenen Gottbezogenheit gegenüber Transzendenz hat" 2 5 . Ist Gottes Wort in Christus ein kontingentes, ein heteronomes Wort, kann es nicht aus der allgemeinen Erfahrung der geschöpflichen Wirklichkeit herausexegesiert werden. „Das Evangelium verkündet nicht einen Gedanken der Liebe Gottes, sondern bezeugt ihre handelnde Gegenwart in Jesus Christus" 26 . In Hinsicht auf Gottes kontingentes Handeln in Christus ist der christlichen Botschaft somit nach Althaus der Charakter des Kerygmas zueigen: Die Wahrheit von Gottes Handeln in Christus ist als kontingent-transzendentes Geschehen nicht innerhalb der Erfahrungen des geschöpflichen Daseins zu erfahren,

18 19 20 21 22

23

24 25

26

Vgl. G D , S. 5 1 . G D , S. 5 0 . Vgl. C h W I, S. 126. G D , S. 5 0 . Vgl. C h W I, S. 124; vgl. bes. ders., Der Wahrheitsgehalt der Religionen und das Evangelium, S. 68. Ders., Missions- und Religionsgeschichte, S. 1 7 4 . - Gerade in der Einmaligkeit der Geschichte Jesu ist nach Althaus die Intoleranz des Christentums begründet (vgl. ebd.). C h W I, S. 124. G D , S. 5 9 . - Zu Althaus' Verständnis der Paradoxie des Christusgeschehens vgl. auch Schröer, Die Denkform der Paradoxie als theologisches Problem, S. 172ff. Althaus, Missions- und Religionsgeschichte, S. 2 0 3 .

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sondern als Kunde von einem geschichtlich-kontingenten Geschehen muß man sich Gottes neues Handeln in Christus gesagt sein lassen. Das Evangelium redet von einer Tat Gottes, die man sich bezeugen lassen muß 2 7 . Die theologische Artikulation des Gotteswortes in Christus kann sich in dieser Hinsicht nicht als Mäeutik gestalten. Die Uroffenbarung, von welcher der Mensch „immer schon herkommt und bestimmt ist" (s.o.), ist keine Offenbarung der versöhnenden Tat Gottes, das Evangelium kann daher nicht mäeutisch erfragt werden.

2 . 2 Gottes Zorn als Erweis seiner Gnade - Abwehr der Diastase Für Eiert - so zeigte sich - gibt es keine Uberleitung zwischen den existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen und dem Evangelium. „Dem menschlichen Selbstverständnis kann alsdann das Zeugnis von Christo nur unvermittelt entgegengesetzt werden" 2 8 . Hat Gott in Gesetz und Evangelium zwei abgrundtief verschiedene Worte gesprochen, die nicht miteinander harmonisiert und zu einem Ausgleich gebracht werden können, so widerstreben die Erfahrungen, die aus der Begegnung mit Gottes Gesetz erwachsen, den Erfahrungen mit der Begegnung Gottes im Evangelium. Der Verzicht auf eine Überleitung von den existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen und seinem daraus gewonnenen Selbstverständnis ist für Eiert begründet in der Spannung innerhalb des Wortes Gottes selbst! Zwar können die aus der Begegnung mit dem Gesetz Gottes gewonnenen Erfahrungen des Menschen aus der Perspektive des Glaubens vertieft werden, das heißt aber für Eiert, daß die Erfahrungen der Begegnungen mit dem Gesetz Gottes als Erfahrungen mit der Begegnung des Gesetzes Gottes entlarvt werden, so daß durch diese Vertiefung der Widerspruch nur um so größer wird. Der ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" 2 9 führt für Eiert zu dem „Verzicht auf einen spekulativen Ausgleich zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes" 3 0 . Verzichtet wird damit auf jede Spekulation über „Gott an sich" jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Gottes Zorn und seine Liebe bleiben nicht verrechenbar und so bleiben auch die existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen als Erfahrungen des Zorns Gottes und die Erfahrung des Gnadenhandelns Gottes nicht verrechenbar.

27 28 29 30

Vgl. CG, CG, ML

ChW I, S. 73. S. 53. S. 231. I, S. 187.

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Ist so der ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" für Elerts diastatische Entgegensetzung konstitutiv, so wird gerade dieser Einsicht von Althaus widersprochen. Gottes Wesen ist die Liebe: „In diesem einen Wort dürfen wir im Glauben an Jesus Christus den ganzen Gehalt des Wesens Gottes zusammenfassen" 3 1 . Als die Liebe stiftet Gott die Gemeinschaft mit den Menschen, als Liebe gewährt er den Menschen seine Güte in Gaben, Gütern und Kräften 3 2 . „Die Göttlichkeit der Liebe Gottes besteht darin, d a ß sie gemäß der Freiheit Gottes rein in sich selbst begründet ist, originale, ursprüngliche, sich ganz frei schenkende Liebe" 3 3 . Dies bedeutet für Althaus dreierlei: Z u m einen bedarf Gott der Gemeinschaft mit den Menschen nicht. Er bedarf der Liebe zu uns nicht, um Gott zu sein, sondern er liebt uns, weil er es in Freiheit will. Z u m andern schuldet Gott uns keine Liebe. Und schließlich ist Gottes Liebe nicht durch unsere „Liebens-würdigkeit" 3 4 begründet. Dieser Charakter der Liebe Gottes wird von Althaus durch den Begriff der Gnade ausgedrückt 3 5 . „Gottes Liebe ist wesentlich Gnade" 3 6 . Von der Gnade und Liebe ist aber nicht erst bei Gottes Erlösungswerk zu sprechen, bei Gottes Liebe zu den Sündern, sondern schon bei der Liebe und Gnade des Schöpfers 37 . Schon der Mensch als Mensch lebt ganz und gar von der Gnade und Liebe Gottes 38 . „Gnade ist das Wesen der Liebe Gottes nicht erst, wo sie es mit Sündern zu tun hat, sondern immer und überall. [...] Die Gnade ist nicht erst Gottes Antwort auf die Sünde, sondern schon sein erstes Wort, daß allem Sündigen voraufgeht, von dem wir im Sündigen abfallen" 3 9 . Ist es Gottes Wesen zu lieben, so besteht seine Gerechtigkeit darin, d a ß er liebt 40 . Bedeuten daher Gottes Gerechtigkeit und Liebe „nahezu das gleiche" 41 , so möchte Althaus doch zwei Punkte festhalten: „1. Gott erweist sich darin als gerecht, daß er gnädig ist. 2. Gott ist gnädig in der Weise, daß er gerecht bleibt, d. h. sich selbst behauptet" 4 2 . Bringt der erste Satz zum Ausdruck, daß Gottes Erbarmen

31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

C h W II, S. 2 0 . Vgl. C h W I, S. 2 6 . C h W II, S. 2 2 . Ebd. (Hervorhebung in Quelle). Vgl. C h W II, S. 2 3 . Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. C h W II, S. 2 5 . G D , S. 130; vgl. auch C h W II, S. 2 6 . C h W II, S. 2 5 f .

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und seine Erlösung keine Ausnahmen sind, „sondern [...] Betätigung seines Wesens" 43 , so der zweite Satz, daß Gott sich auch in seinem Erbarmen selbst behauptet 44 . Hiermit führt Althaus den Zorn Gottes als Ausdruck seiner Liebe ein: Gottes Liebe will nicht, daß der Mensch ihm widerstrebt 45 . Dem Gott widerstrebenden Willen widersteht Gottes Liebe, Gott will den der Liebe Gottes widerstrebenden Willen brechen 46 . Daher „muß die Liebe Zorn werden, Widerwillen, eben als Liebe" 47 . In dem Zorn erst zeigt sich die wahre Liebe Gottes; denn Gottes Liebe „wäre keine wirkliche Zuwendung zu uns, wenn sie uns mit unserem Eigenwillen gewähren ließe. So schließt die Liebe den Zorn, den Kampf mit dem Menschen ein. Tritt sie als Gnade und Barmherzigkeit in das Leben des Gott sich versagenden Menschen ein, so ist sie notwendig Gericht und Tod für ihn" 48 . Dies ist die Gerechtigkeit in seiner Liebe. Von hier aus kann Althaus dann auch von der „heiligen Liebe" Gottes sprechen 49 . Der Unterschied zwischen Althaus und Eiert ist fundamental: Führt der ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" Eiert zu einem „Verzicht auf einen spekulativen Ausgleich zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes", so wird bei Althaus der Zorn Gottes als Liebe Gottes interpretiert 50 , Gottes Liebe schließt seine Gerechtigkeit, verstanden als Selbstbehauptung, ein: Gottes Liebe ist heilige Liebe. Anders als bei Eiert werden Zorn und Gnade nicht in ihrer Widerständigkeit ausgehalten, vielmehr sind sie harmonisch als Ausdrucksformen der heiligen Liebe Gottes geeint 51 . Begründet für Eiert die Zweiheit des Wortes Gottes den Verzicht auf eine Überleitung von den existentiellen Erfahrungen des Menschen (als Gesetzeserfahrungen) zur Botschaft von Gottes Gnadenhandeln in Jesus Christus, so begründet für Althaus die Behauptung der Einheit des Wortes Gottes die Möglichkeit der Überleitung. Werden von Eiert die existentiellen Erfahrungen des Menschen auf die Begegnung mit dem Gesetz Gottes zugespitzt, das als solches dem Gnadenwort des Evangeli-

43 44 45 46 47 48 49 50

51

C h W II, S. 26. Vgl. C h W II, S. 29. Vgl. C h W II, S. 30. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. So zu Recht auch Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei Werner Eiert und Paul Althaus, S. 48. So k a n n Sparn das Bemühen, „Probleme zu glätten oder appellativ zu harmonisieren statt sie in ihrer Widerständigkeit auszuhalten" (ders., Paul Althaus, S. 3), als einen Grundzug der theologischen Reflexion Althaus' kennzeichnen.

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ums widerstrebt, so von Althaus auf die Uroffenbarung, in der - wie im Evangelium - Gottes gnädige Liebe laut wird. Der „Brückenschlag" 52 von der Uroffenbarung zur Botschaft von Jesus Christus ist so für Althaus begründet in dem einheitlichen Charakter des Wortes Gottes. Nun kennt aber auch Althaus einen Ort, an dem die Behauptung eines Gegensatzes von göttlichem Zorn und als Gnade verstandener Liebe Gottes berechtigt ist. Die Entgegensetzung von Zorn und Gnade wird bei Althaus von der Ebene der innergöttlichen Dialektik auf die Ebene der natürlich-menschlichen Erkenntnis im status corruptionis transponiert. Zwar erfährt der Mensch im Evangelium Gottes Zorn als das Mittel seiner Liebe 53 , doch erleben wir „die Gnade im Gericht als das nicht zu erwartende Wunder der Liebe Gottes, als schlechterdings nicht selbstverständliche Errettung aus dem Gerichte völliger Verstoßung" 54 . Nur in Christus können wir Gnade und Gericht in einem sehen, nur hier ist die „Einheit von Zorn und Gnade gegeben" 55 , außerhalb von Christus erscheint diese reale Einheit nicht. Die Entgegensetzung von Zorn und Gnade hat ihr Recht daher nur als „Ausdruck dessen, was das Gewissen erfährt"56. Elerts Realdialektik wird daher von Althaus zu einer Dialektik innerhalb der natürlich-menschlichen Erfahrung im status corruptionis abgeflacht: Was außerhalb des Evangeliums als Widerspruch erscheint und erfahren wird, erschließt sich aus der Perspektive des Evangeliums als Einheit. Es wird allerdings noch zu fragen sein 57 , welche Konsequenzen es für Althaus' Methode der Anknüpfung hat, daß er zwar - anders als Eiert - von der Einheit des Wortes Gottes für gläubiges Erkennen ausgeht, aber doch von einer Zweiheit in der existentiellen Erfahrung des natürlichen Menschen sprechen will. Zunächst ist jedoch noch auf einige monistische Tendenzen aufmerksam zu machen, denen Althaus stellenweise erliegt: Von der Gnade und Liebe ist - so zeigte sich bereits - nach Althaus nicht erst bei Gottes Erlösungswerk zu sprechen, bei Gottes Liebe zu den Sündern, sondern schon bei der Liebe und Gnade des Schöpfers; denn der Mensch lebt als Mensch schon ganz und gar von der Gnade und Liebe Gottes. „Gnade ist das Wesen der Liebe Gottes nicht erst, wo sie es mit Sündern zu tun hat, sondern immer und überall. [...] Die Gnade ist nicht erst Gottes Antwort auf die Sünde, sondern schon sein erstes Wort, daß allem 52 53 54 55 56 57

Baur, Vermittlung in unversöhnten Zeiten, S. 1 6 9 . Vgl. C h W II, S. 3 1 . Ebd. C h W II, S. 3 2 . Ebd. (Hervorhebung durch M R ) . Vgl. Kap. 5 . 2 . 2 .

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Sündigen voraufgeht, von dem wir im Sündigen abfallen" 58 . Gottes schöpferisches Wort und sein erlösendes Wort sind gleichermaßen Ausdruck der göttlichen Gnade. Von hier aus kann Althaus stellenweise dazu übergehen, die in Christus geschehene Rechtfertigung nicht nur mit dem Gnadenwort der Schöpfung zu parallelisieren - als zwei verschiedene Worte, die gleichermaßen Gottes gnädiger Liebe Ausdruck geben - , sondern sie zu identifizieren: Ist die schöpferische Gerechtigkeit Gottes nichts anderes als Gottes Liebe, so kann auch die Rechtfertigung nach Althaus - nicht rein hamartiozentrisch als durch die Sünde bedingt begriffen werden, vielmehr ist für Althaus - auch abgesehen von der Sünde - das sola fide „die einzig mögliche Ordnung zwischen Gott und Mensch" 5 9 . Daher ist die Rechtfertigung nicht nur hamartiozentrisch, sondern auch theozentrisch - als Ausdruck von Gottes Gottsein - zu begreifen. Die Rechtfertigung „ist nicht erst Gottes zweiter, durch den Fall bedingter, sondern sein ursprünglicher, erster Wille. Das Evangelium, die einzige Heilsmöglichkeit für die Sünder, setzt zugleich das ursprüngliche Verhältnis zwischen Gott und Mensch wieder in Kraft, von dem abgefallen zu sein die Grundsünde des Menschen ist. Insofern kommt das Evangelium nicht erst ,nach' dem Gesetz und ist auf dieses, es voraussetzend und zugleich durchbrechend, bezogen, sondern es hat seinen Ort ,vor' dem Gesetz. Nicht erst der Sünder, sondern schon der Mensch als solcher und ursprünglich lebt allein von der Gnade" 60 . Der Wille, Sünder anzunehmen ist ein urzeitlicher Wille. „Zwar erreicht er mich in der Zeit, tritt als Berufung in meine konkrete Geschichte ein und verwirklicht sich auf geschichtliche Weise. Aber er selbst ist von überzeitlicher Ursprünglichkeit, Gültigkeit, Festigkeit" 61 . Mit seiner Identifikation des schöpferischen Wortes und des erlösenden Wortes ist Althaus an die monistischen Konzeptionen herangerückt, besser gesagt: herangeschlittert. Die mit dieser Position verbundene Entgeschichtlichung des Handelns Gottes - in Althaus' eigener Terminologie: der „Epochenlosigkeit" des Handelns Gottes - erkennt er selbst: „Verliert die Geschichte nicht notwendig den Charakter eines wirklichen Geschehens zwischen Gott und Mensch, einer Entscheidung über Leben und Tod? [...] Wird Sünde und Gnade, Geschichte und geschichtliche Vermittlung des Heils nicht zuletzt bedeutungslos, zu Schatten und Schein, wenn durch alles hindurch doch die ewige Wahl Gottes sich durchsetzt?" 62 58 59 60 61 62

ChW ChW ChW ChW ChW

I, S. 23. II, S. 412. II, S. 413. II, S. 415. II, S. 417.

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Die mit der Übernahme der monistischen Konzeption verbundene Entgeschichtlichung des Handelns Gottes kann Althaus nicht abwehren. Er vermag nur darauf hinzuweisen, daß der Gedanke der Erwählung unmöglich die Geschichte entwirklichen kann, wenn wir der Erwählung durch die Geschichte gewiß werden 6 3 . Hat der Gedanke der ewigen Erwählung seinen Grund in Gottes geschichtlichem Handeln in Jesus Christus, kann er nach Althaus nicht entgeschichtlicht werden, ohne seinen Grund zu verlieren 64 . Althaus' Bemühen, das schöpferische W o r t Gottes und Gottes W o r t in Christus aneinanderzurücken, zeigt sich auch in dem Versuch, Christus als die Vollendung der Schöpfung verstehen zu lehren 6 5 . Nicht nur auf das Sündersein, sondern auch auf das Geschöpfsein des Menschen ist Christus bezogen 6 6 . Als Sünder wird der M e n s c h in Christus erlöst und versöhnt, als Geschöpf wird er in Christus vollendet 6 7 . So ist Gottes Handeln in Christus nicht nur Restitution des ursprünglichen Gottesverhältnisses, sondern Vollendung über sie hinaus 6 8 . Gottes Gabe in Christus ist somit auch als „zweiter Akt des Schaffens G o t t e s " 6 9 zur Sprache zu bringen. „Die Schöpfung soll nicht nur wiederhergestellt werden nach der Störung [!] durch den Fall, sondern sie spannt sich, auch abgesehen von der Sünde, von Anfang an auf den vollendenden Akt Gottes" 7 0 . Althaus will somit eine hamartiozentrische Lehre von der Menschwerdung Christi - eine Lehre die Gottes Handeln in Christus rein aus der sündhaften Existenz geschöpflichen Daseins heraus begreift - vermeiden 71 . Gleichzeitig scheut er jedoch die Konsequenz einer solchen Modifikation der Lehre der Menschwerdung Christi: Die supralapsarische Lehre von der Menschwerdung Christi wird von Althaus wie die hamartiologische Lehre abgewiesen 7 2 . 63 64 65 66 67

68

69 70 71 72

Vgl. ebd. Vgl. ChW II, S. 418. Vgl. ders., Die Gestalt der Welt und die Sünde, S. 57. Vgl. GD, S. 168. Vgl. ebd. - „[F]ür Paulus wies die Schöpfung des Menschen in Adam von vornherein über sich hinaus auf die Schöpfung des .zweiten Menschen', Christi" (GD, S. 168f). Vgl. GD, S. 169. - „Christi Werk bedeutet nicht nur Wiederherstellung' in den Urständ, sondern auch Vollendung der ursprünglichen Schöpfung des Menschen; nicht nur Erlösung von dem Fall, sondern auch Überhöhung des .ersten Menschen'" (ebd.). ChW I, S. 308. ChW I, S. 309. Vgl. GD, S. 169. Vgl. ebd. - So macht Althaus - um eine supralapsarische Lehre abzuweisen, gleichzeitig aber auch einer hamartiologischen Auffassung zu widerstreiten -

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So zeigt sich: Althaus intendiert zwar, von zwei Worten Gottes zu reden, die denselben Liebeswillen Gottes Ausdruck geben, doch vermag er es an vielen Stellen nicht, die monistische Identifikation des schöpferischen Wortes mit dem erlösenden Wort zu vermeiden.

Exkurs 3: Althaus' Modifikation der Lehre von Gesetz und Evangelium Hat Althaus Gottes Schöpfung wie auch seine Erlösung als Ausdruck der göttlichen Liebe zu verstehen gelehrt und darüber hinaus auch den Zorn Gottes als Ausdruck der göttlichen Liebe gefaßt (Christus wird sogar als Vollendung dieser schöpferischen Liebe begriffen), so expliziert er diese ontologischen Entscheidungen in seinem 1952 veröffentlichten Aufsatz „Zum Thema ,Gesetz und Evangelium'" anhand der Lehre von „Gesetz und Evangelium" und präzisiert sie zugleich (s. u.). Althaus ersetzt hierzu die zweigliedrige Formel „Gesetz und Evangelium" durch die dreigliedrige von „Gebot, Gesetz, Evangelium" 73 . Das Gebot steht nach Althaus am Anfang, d. h. im Ur-Stand 74 . „Es ist da als die andere Seite des Angebotes, mit dem die ewige Liebe Gottes dem Menschen ursprünglich begegnet" 75 . Sagt Gott in seinem Angebot der Liebe, daß er für mich mein Gott sein will, mich „zur Teilnahme an seinem Leben im Gegenüber zur Liebe" 76 bestimmt hat, so ist darin zugleich das Gebot enthalten, ihn meinen Gott sein zu lassen 77 . So gewinnt die Gabe notwendig zugleich die Gestalt des Gebotes 78 . Sie hat deshalb die Gestalt des Gebotes, weil sie ein Angebot Gottes ist, insofern Gott hier in einem von meinem unterschiedenen Willen an mich herantritt. Gottes Wille ist ein anderer als mein Eigenwille - nicht erst durch die sündige Verkehrung des menschlichen Willens, sondern schon ge-

73 74 75 76 77 78

Formulierungen, die doch eher in der Konsequenz einer supralapsarischen Lehre liegen: Gottes Ratschluß in Christus und sein Ratschluß der Schöpfung sind zwar nach Althaus zu scheiden (gegen eine supralapsarische Deutung), nicht aber zu trennen (gegen eine hamartiologische Deutung) (vgl. GD, S. 169). Daß sie nicht getrennt werden dürfen, bedeutet aber, daß sie untrennbar und gleichzeitig sind (vgl. ebd.). Vgl. GuG, S. 8. Vgl. GuG, S. 11. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. GuG, S. 11 f.

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genüber „unserem schöpfungsmäßigen kreatürlichen Wollen" 79 . „Nicht von einem Gegensatz ist die Rede, aber von einer Zweiheit: sie soll zur Einheit immer erst werden, diese ist nicht gegeben, sondern aufgegeben" 80 . Das Auseinandertreten von Sollen und Wollen ist nicht verursacht durch die Sündigkeit der Person, vielmehr ist es bereits begründet im Gegenüber von Schöpfer und Geschöpf 81 . Erst im Gehorsam geschieht die Identität des Willens 82 , d. h. erst in der gehorsamen Hingabe an den mir fremden Willen muß das Heil angeeignet werden 83 . Indem Althaus das Gebot als Ausdruck der göttlichen Liebe und Gnade zu verstehen lehrt, sind zwei entscheidende Konsequenzen gefallen: Z u m einen wird die göttliche Liebe verstanden als etwas, das dem Menschen - auch abgesehen von der Sünde - als ein ihm fremdes Sollen gegenübertritt, zum anderen legt Althaus die Grundzüge zu einer Anthropologie, in der der Mensch unter dem Aspekt des Gehorsams begriffen wird. Ist das Gebot supralapsarisch, so das Gesetz „infralapsarisch, als die Gestalt des göttlichen Willens an uns, die er um der Sünde willen annimmt" 8 4 . Weil das Gesetz seine Gestalt durch die Konfrontation mit der sündigen Existenz gewinnt, muß es die Gestalt des Verbots annehmen 85 . In seinem usus politicus schützt das Gesetz den Menschen 86 . So ist gerade in der Abwehrfunktion des Gesetzes auch der göttliche Liebeswille - wenn auch nur als verbum alienum - am Werk 87 . Doch auch mit seinem verbum alienum will Gott auf sein verbum proprium hinaus 88 . Gerade weil das Gesetz die gewandelte Gestalt des Liebesgebotes Gottes ist, vernimmt der Mensch im Gesetz auch die Stimme der göttlichen Liebe89. Paulus kann in einem Atemzug die Lust an Gottes Gebot bezeugen und doch seufzen 90 . Christus ist nun Ende des Gesetzes, nicht aber 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89

90

GuG, S. 31. GuG, S. 12. Vgl. GuG, S. 31. Vgl. GuG, S. 12. Vgl. ebd. GuG, S. 14. Vgl. GuG, S. 15. Vgl. GuG, S. 16. Vgl. ebd. Vgl. ebd. So zu Recht Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei W. Eiert und P. Althaus, S. 29. Vgl. GuG, S. 20. - Gerade hier liegt nach Althaus der Unterschied zu Luther: Paulus weiß von der Liebe und dem H a ß des Gesetzes, während Luther nur den Haß des Gesetzes kennt (vgl. GuG, S. 21). „Er kann Rom. 7,22, das Wort des Apostels von der Lust am Gesetze Gottes, nicht auf den Menschen ohne Christus, sondern nur auf den Wiedergeborenen beziehen" (ebd.; vgl. auch ders.,

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Ende des Gebotes 91 . Ist in Christo die verurteilende Stimme des Gesetzes am Ende (also die durch die Sünde bedingte Gestalt des Gebotes) 92 und auch der Mißbrauch des Gesetzes als iustificatrix offenbar 93 , so wird der Mensch in das bedingungslose Angebot der Liebe zurückgeführt 94 . Doch hat dieses Angebot der Liebe nun - durch die Sünde bedingt - die Gestalt des Vergebens angenommen 95 . Durch das Evangelium tritt wieder „das ursprüngliche Verhältnis, das Angebot der Liebe Gottes, das zugleich Aufruf, Angebot des Menschen ist" 96 , in Kraft. „Das Gesetz wird wieder zum Gebote" 97 . Althaus weist die Parallelisierung seiner Lehre von Gesetz und Gebot mit der Barthschen Verhältnisbestimmung von Evangelium und Gesetz, in der das Evangelium vor dem Gesetz loziert wird, mit aller Entschiedenheit zurück. Gegen Barth betont Althaus, daß das Evangelium nie vor dem Gesetz sein kann, die ursprüngliche Liebe kann nicht mit dem Evangelium identifiziert werden 98 . Vielmehr ist das Evangelium - als Vergebung - Gottes liebendes Handeln mit dem Sünder. „Am Anfang steht die Gnade des Urstandes, aber nicht das Evangelium" 99 . Hier hat Althaus stillschweigend eine Korrektur seiner Ausführungen in der „Christlichen Wahrheit" vorgenommen, in der das Evangelium nicht sachlich von der Ursprungsgnade differenziert wird (s.o.). Diese Korrektur ist aber klärender als die Behauptung einer Identität 100 , liegt Althaus doch daran, Gottes Heilshandeln als „Vehikel des unveränderlichen

91 92 93 94 95 96 97

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Paulus und Luther über den Menschen, S. 41ff, bes. 57. - Vgl. hierzu auch Graß, Paul Althaus, S. 331). Vgl. G u G , S. 21. Vgl. G u G , S. 21f. Vgl. G u G , S. 22. Vgl. ebd. Vgl. G u G , S. 23. Ebd. Ebd. - Wie auch im Ur-Stand das Angebot gleichzeitig den gebieterischen Willen Gottes enthält, so m u ß auch der Christ Gehorsam leisten (vgl. GuG, S. 30), d. h. seinen Willen mit dem göttlichen Willen einigen (vgl. G u G , S. 31). Gerade weil auch der Glaube immer den Imperativ enthält (vgl. G u G , S. 34), behält das Christenleben den Charakter des Gehorsams (vgl. G u G , S. 35). Wird der Mensch somit bei Althaus wesentlich unter der Perspektive des Gehorsams betrachtet, so wird auch der Glaube von Althaus wesentlich als Gehorsam bestimmt (so zu Recht auch Beyer, O f f e n b a r u n g und Geschichte, S. 107f). Vgl. G u G , S. 25. - Z u Recht erblickt auch Meiser hierin die Hauptkritik Althaus' an Barths Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium (vgl. ders., Paul Althaus als Neutestamentier, 212). GuG, S. 25. So zu Recht auch Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei W . Eiert und P. Althaus, S. 44.

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Liebeswillens Gottes" 101 begreifen zu lehren. Gegen Barth will Althaus nun entschieden zwischen einer ursprünglichen Gnade und dem Evangelium differenziert wissen - und zwar nicht nur terminologisch, sondern auch sachlich; denn die Unterschiede werden bei Barth - so Althaus - sowohl terminologisch als auch sachlich eingeebnet102. Barths Verständnis des göttlichen Handelns - so Althaus - ist beherrscht von einer „Epochenlosigkeit" 103 . So wird auch Barths bekannter Satz, daß das Gesetz nichts anderes ist als die Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade ist, von Althaus entschieden abgelehnt: Die notwendige Form des Evangelium ist der Indikativ104. Zwar ist nach Althaus im Indikativ des Evangeliums der Imperativ mitgesetzt, aber zum einen nicht in der Gestalt des Gesetzes, sondern in der des Gebotes, zum anderen ist auch der Imperativ „nicht die primäre Gestalt des Evangeliums" 105 . Obwohl Althaus darum bemüht ist, sich von der Barthschen Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium abzugrenzen und die Unterschiede zu Barth zu markieren, wird man doch urteilen müssen, daß die Verkürzungen der Barthschen Lehre von Gesetz und Gebot in gleicher Weise auch die Konzeption von Althaus betreffen: Betrachtet Barth das Gesetz als die notwendige Form des Evangeliums, so ist er gezwungen, das Wesen des göttlichen Gesetzes in der Forderung - nicht in der Anklage - zu sehen. Umgekehrt ist bei Barth Gottes Gnadenwort „nur zugleich forderndes, nicht aber nur schenkendes Wort" 1 0 6 . Die Barthsche Depotenzierung von Gesetz und Evangelium kann aber auch Althaus nicht vermeiden. Zwar will Althaus - anders als noch in seiner Dogmatik - Gottes Ursprungsgnade nicht mit dem Gnadenwort Gottes im Evangelium identifizieren107. Indem Althaus aber die Forderung (das Gebot) - wie auch Barth - als Element des Gnadenhandeln Gottes betrachtet - sowohl des ursprünglichen Gnadenhandelns als auch des Gnadenhandelns Gottes in Christus - , ist bei ihm wie bei Barth Gottes Gnadenwort „nur zugleich forderndes, nicht aber nur schenkendes

101 102 103 104 105 106 107

Ebd. Vgl. GuG, S. 2 5 . Ebd. Ebd.. Ebd. Bayer, Theologie, S. 3 5 9 . Zu Recht bemerkt daher Krötke, daß, während Althaus von einem „allgemeinen, dem Evangelium vorgegebenen Liebeswillen Gottes ausgeht" (ders., Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei W . Eiert und P. Althaus, S. 4 4 ) , Barth hingegen „nur den konkreten Liebeswillen Gottes, der in Jesus Christus offenbar ist" (ebd.), kennt. Allerdings verkennt Krötke, daß die Verhältnisbestimmung bei Althaus die gleichen Konsequenzen zeitigt wie die Barths!

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Wort" 1 0 8 . 1 0 9 Anders als Barth - und hierin liegt eine notwendige Korrektur einiger Aussagen aus seiner Dogmatik - identifiziert Althaus nicht das schöpferische Wort Gottes mit dem versöhnenden Wort Gottes. Doch gilt für Althaus - wie für Barth - daß er kein Wort Gottes kennt, das „kein Gnadenwort ist" 1 1 0 . Damit sind die Differenzen zu der Verhältnisbestimmung von Eiert deutlich markiert: Der Zorn des Gesetzes ist Ausdruck der göttlichen Liebe. So werden die Aussagen Elerts bei Althaus „abgeschliffen" 1 1 1 : Der Zorn ist nicht das mit der göttlichen Liebe nicht Harmonisierbare, sondern ist selbst Ausdruck der Liebe. Wie aber die Liebe zum Zorn gehört, so gehört auch der Zorn zur Liebe. Damit ist - im Vergleich zu Eiert - nicht nur der Zorn Gottes (als Element der Liebe) verharmlost, sondern auch die Liebe in das Dunkel des Zornes getaucht.

3. Anamnesis: Die Methode der Anknüpfung 3.1 Die Uroffenbarung Althaus unterscheidet „von der Heils-Offenbarung Gottes in Jesus Christus seine ursprüngliche Selbstbezeugung oder Ur-Offenbarung oder Grund-Offenbarung"112, die „von dem stets gegenwärtigen wesentlichen Ursprung des Menschen als Menschen, der Geschichte als Geschichte" 1 1 3 redet. An diese Uroffenbarung will Althaus anknüpfen. Die Methode der Anknüpfung ist nun für Althaus kein apologetischer Kunstgriff, vielmehr knüpft Gottes Selbstbezeugung in Christus selbst an eine vorausgehende Bezeugung Gottes an 1 1 4 . Der entscheidende theologische Grund für die Behauptung der Uroffenbarung liegt daher nach Althaus im Evangelium selber, nämlich in der „Rückbeziehung des Evangeliums auf die Ur-Offenbarung" 1 1 5 . Die Heilsoffenbarung Gottes in Christus setzt seine Uroffenbarung in dreifacher Weise voraus. 108 109

110

111 112 113 114 1,5

Bayer, Theologie, S. 3 5 9 . V o n hier aus ist es durchaus erklärbar, wie Berge dazu k o m m t , die Position von Althaus und Barth zu identifizieren (vgl. ders., Gesetz und Evangelium in der neueren Theologie, S. 15f). So formuliert Wingren in bezug auf Barth (vgl. ders., Evangelium und Gesetz, S. 2 6 9 ) . Peters, Gesetz und Evangelium, S. 2 0 2 (Hervorhebung in der Quelle). C h W I, S. 5 1 . G D , S. 1 9 . Vgl. G D , S. 1 7 . C h W I, S. 5 0 (Hervorhebung in der Quelle).

Die Methode der Anknüpfung (P. Althaus)

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Offenbart das Evangelium die Vergebung der Sünden, so offenbart es die Schuld des Menschen und Gottes Gericht 116 . „Von Schuld kann aber im Ernste nur da gesprochen werden, wo die Wirklichkeit Gottes, sein Angebot und sein Gebot dem Menschen zuvor kund geworden ist, so kund, daß der Mensch darum wissen müßte, daß es Schuld ist, wenn er tatsächlich nicht mehr darum weiß" 1 1 7 . Die Offenbarung der menschlichen Schuld setzt somit voraus, daß sich Gott gegenwärtig bezeugt 118 . „So schließt die Anrede der Menschen als sündig und schuldig die Anrede auf Gottes ursprüngliche Selbstbezeugung mit ein" 1 1 9 . Zweitens bestätigt die Christusoffenbarung die Wahrheit der Uroffenbarung 120 . Setzt die Offenbarung der menschlichen Schuld die ursprüngliche Selbstbezeugung Gottes voraus, um die der Mensch wissen müßte, so gilt nach Althaus im Blick auf die Schuld, von der das Neue Testament als Unglaube an das Evangelium spricht, „daß der Mensch, der Christus begegnet, weiß, nämlich wissen müßte, von Gott her wissen könnte, vor wem er steht, nämlich vor dem Worte Gottes, das ihn angeht und betrifft. [...] Weil jeder Mensch durch Gottes ursprüngliche Bekundung an seinen Geist und sein Gewissen um Gott weiß, kann er auch für Christus nicht blind sein. Er muß die Göttlichkeit seines Wortes erkennen, weil er Gottes Stimme schon einmal gehört hat" 1 2 1 . Althaus schlägt daher vor, von einem differenzierten Wirken des Geistes zu sprechen und eine „zweischichtige Lehre vom Geiste Gottes" 1 2 2 zu entfalten. Durch das „allgemeine Geisteswirken Gottes" 1 2 3 weiß jeder Mensch von Gott und wird an ihm schuldig, während der ,,Heilige[] Geiste Christi" 124 den Glauben an Christus schenkt 125 . Das Evangelium ist nach Althaus zwar eine neue Wahrheit, bezieht sie sich doch auf Gottes geschichtliches Handeln in Kreuz und Auferstehung, doch ist sie nicht fremd gegenüber der ursprünglichen Bezeugung Gottes, die dem Menschen schon kund geworden ist 126 . Weil Christus mit dieser Wahrheit in Einklang steht, kann er unser Gewissen überführen 127 . So be-

116 117 118 1,9 120 121 122 123 124 125 126 127

Vgl. C h W I, S. 5 1 . Ebd. Vgl. GD, S. 19. ChW I, S. 51. Vgl. ChW I, S. 5Iff. ChW I, S. 52. ChW I, S. 53. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChW I, S. 5 4 . Vgl. ChW I, S. 5 5 .

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währt sich die Christusoffenbarung an dem ursprünglichen Wissen des Menschen um Gott (an seinem Gewissen)128. Nur in dieser Beziehung auf die Uroffenbarung, in der das Gewissen begründet ist, wird das Evangelium als Wort Gottes erkannt 129 . Drittens bezieht sich das Evangelium auf die Uroffenbarung, indem es die Heilserwartung der Menschheit erfüllt130. Die Christusoffenbarung knüpft an Begrifflichkeiten der unterschiedlichen Religionen an. So kann Althaus formulieren: „An der Krippe, in welche die Verkündigung Jesus legt, hat nicht nur das Alte Testament gearbeitet, sondern auch außerbiblische Religion" 131 . In dieser positiven Beziehung liegt nach Althaus eine „Anerkennung von Wahrheitsgehalt" 132 . Zwar werden die Begriffe mit neuer Bedeutung gefüllt, doch darf man nach Althaus die Kontinuität nicht vergessen133. Die Heilsfrage wird zwar aus der Perspektive des Glaubens nicht nur aufgenommen, sondern auch umgebildet, so daß nicht die Frage als solche aufgenommen wird und in Christus ihre Antwort findet. „Eine Frage wird aufgenommen und umgebildet, beides von der Antwort in Jesus her. [...] [I]n dieser Frage ist die echte Frage gebrochen und verborgen da" 1 3 4 . Weil die Christusoffenbarung an die Uroffenbarung Gottes in der Schöpfung der Welt anknüpft, so setzt das Evidentwerden der Wahrheit Christi das Evidentsein der Uroffenbarung geradezu voraus135. Althaus folgert so eine Priorität des Schöpfungsglaubens: Der Schöpfungsglaube bereitet den Christusglauben vor: Gerade der um die schöpferische Bezogenheit auf ihn wissende Mensch soll auch Augen für Christus haben 136 . Die gesetzmäßige Ordnung der Natur, ihre Erkennbarkeit und Verfügbarkeit wird zum Erweis der Schöpfergüte Gottes 137 . Der Schöpfungsglaube wird somit bei Althaus geradezu zur conditio sine qua non des Christusglaubens. So behauptet Althaus, daß wir Christus gar nicht erkennen können, ohne ursprünglich auf Gott bezogen zu sein 138 . Ist diese Aussage noch so zu verstehen, daß Althaus hier

128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138

Vgl. GD, S. 2 1 . Vgl. ebd. Vgl. C h W I, S. 5 1 ; vgl. auch C h W I, S. 55ff. C h W I, S. 5 7 . Ebd. Vgl. C h W I, S. 5 9 . Ebd. Vgl. GD, S. 1 8 2 . Vgl. C h W I, S. 52. Vgl. C h W II, S. 71. Vgl. GD, S. 117.

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nur die ontologische Bezogenheit des Geschöpfes auf seinen Schöpfer postuliert, nicht aber die allgemeine Erkennbarkeit dieser Bezogenheit, so präzisiert Althaus doch sein Postulat dahingehend, daß uns Gott in seiner Existenz erschlossen sein muß, um zu Christus zu gelangen 1 3 9 . Nur in dieser Beziehung auf die Uroffenbarung, in der das Gewissen begründet ist, wird das Evangelium als W o r t Gottes erkannt 1 4 0 . Der Schöpfungsglaube kann nicht christologisch begründet werden 1 4 1 , vielmehr begründet der Glaube an die Schöpfung den Glauben an Christus. Wir kommen nicht von Jesus Christus her zum Glauben an Gott den Schöpfer, vielmehr „kommen [wir] vom Glauben an den Schöpfer her zu Jesus Christus" 1 4 2 . Das Erkennen Christi ist ein Wiedererkennen 1 4 3 : Der Mensch erkennt in Christus das Wort Gottes, welches er schon in der Uroffenbarung vernommen hat 1 4 4 . So ist daran zu erinnern, daß Althaus vorschlägt, von einem differenzierten Wirken des Geistes zu sprechen und eine „zweischichtige Lehre vom Geiste Gottes" 1 4 5 zu entfalten. Durch das „allgemeine Geisteswirken Gottes" weiß jeder Mensch von Gott, während der ,,Heilige[] Geiste Christi" den Glauben an Christus schenkt 1 4 6 . Weil Christus mit der in der Uroffenbarung vernommenen Wahrheit in Einklang steht, kann er unser Gewissen überführen 1 4 7 . So bewährt sich die Christusoffenbarung an dem ursprünglichen Wissen des Menschen um Gott 1 4 8 . Die Gotteserkenntnis des existentiell entfrem-

139 140 141 142 143 144

145 146 147 148

Vgl. ebd. Vgl. GD, S. 2 1 . Vgl. C h W II, S. 4 9 . C h W II, S. 5 0 . Vgl. GD, S. 1 1 7 . Vgl. C h W I, S. 5 2 ; vgl. auch K r ö t k e , Das Problem „Gesetz und E v a n g e l i u m " bei W . Eiert und P. Althaus, S. 1 9 . C h W I, S. 5 3 . Ebd. Vgl. C h W I, S. 5 5 . Vgl. GD, S. 2 1 ; vgl. auch W a l k e r , Z u r Frage der Uroffenbarung, S. 2 0 . - G e r a d e Althaus' Konstruktionsprinzip der Christologie, den historischen Jesus „ z u m Bezugspunkt christologischen D e n k e n s " ( R a t s c h o w , Jesus Christus, S. 8 3 ) zu machen, indem die christologische Explikation hinter die neutestamentlichen Zeugnisse auf den geschichtlichen Jesus zurückgeht (vgl. C h W II, S. 1 9 6 f . - So betont Althaus - in entschiedener Opposition zu dem Urteil Bultmanns - , d a ß in der heutigen theologischen F o r s c h u n g „ein breiter Konsens darüber [besteht], daß die Gestalt Jesu unverkennbar, unverwechselbar eigen innerhalb der Ü b e r lieferung sichtbar w i r d " (ders., Der gegenwärtige Stand der F r a g e n a c h dem historischen Jesus, 15).), um in der Rückfrage nach dem historischen Jesus den biblischen Christus, der Gegenstand des Glaubens ist (ders., Der historische Jesus und der biblische Christus, S. 1 6 6 ) , seinen Grund zu verleihen (vgl. G D , S. 1 8 2 ) ,

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deten Menschen wird zur „hermeneutischen Bedingung" 149 der gläubigen Annahme des Christusgeschehens: Der Mensch glaubt an Christus, weil er hier den sich in seinem Gewissen bezeugenden Gott wiedererkennt. Die Gotteserkenntnis ist somit Anamnesis 150 .

3.2 Die Methode der Mäeutik: confessio, appellatio Nun macht Althaus darauf aufmerksam, daß nur im Lichte der Christus-Offenbarung die Uroffenbarung recht erkannt werden kann 151 . Im Evangelium muß der Mensch zu der Wahrnehmung der wahren Uroffenbarung allererst bekehrt werden 152 . Von der theologischen Aufgabe in bezug auf die Uroffenbarung gilt: „Die Theologie hat von der Ur- oder Grundoffenbarung so zu lehren, daß sie auf die Wirklichkeit des Menschen und der Welt hinweist, durch die Gott sich ursprünglich bezeugt und das Verhältnis zum Menschen begründet" 1 5 3 . Die Christus-Offenbarung hat somit für das Wahrnehmen der Uroffenbarung Gottes entscheidende Bedeutung: Christus macht nicht nur Gottes neues Handeln kund, sondern stellt auch die Uroffenbarung in das rechte Licht 1 5 4 , die von den Menschen unter der Sünde verkannt und entstellt wird 155 und erst aus der Perspektive des Evangeliums klar und rein erkannt wird 156 . Die

149 150

erklärt sich aus dem Interesse der Uroffenbarungslehre (so völlig zu Recht Pöhlmann, Die Theologie von Paul Althaus, S. 2 2 4 ) : Bezeugt Jesus unser Wissen um die Uroffenbarung, erscheint sein Anspruch gerechtfertigt. So wird selbst die Paradoxie des Kreuzes bei Althaus in den Anspruch Jesu eingegründet (vgl. C h W II, S. 2 4 1 ) . „Er ist seinem Sterben entgegengegangen mit der Gewißheit und dem Willen, für die anderen zu sterben" (ebd.). M i t diesem Ansatz bei der Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth „ist nun doch das Gewicht des glaubenden Urteils mitgesetzt, das eine vorlaufende und vorläufige Erkenntnis Gottes einschließt, und darum Jesus in seiner Gottheit identifiziert" (Mildenberger, Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 2 0 . Jahrhundert, S. 2 2 1 ) . Walker, Zur Frage der Uroffenbarung, S. 3 4 . Auf den bei Althaus mit der Lehre von der Uroffenbarung verbundenen Gedanken der Anamnesis macht zu Recht aufmerksam: Gloege, Uroffenbarung, Sp.

1200.

151

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Vgl. G D , S. 17. - Vgl. auch, Gebhardt, Naturrecht und Schöpfungsordnungen als Möglichkeit zur Erfassung der Wirklichkeit in der gegenwärtigen theologischen Ethik, S. 7 8 . Vgl. G D , S. 3 0 . C h W I, S. 7 3 . Vgl. ebd. Vgl. G D , S. 2 3 . Vgl. ebd.

Die Methode der Anknüpfung (P. Althaus)

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Offenbarung des Evangeliums deckt damit „zuerst die von der Menschheit verkannte und zum Heidentum entstellte Ur-Offenbarung wieder in Reinheit auf. Das biblische Wort ist zu einem Teile nichts anderes als das Hinwegnehmen der Hülle des Heidentums von der Ur-Offenbarung" 157 . Gerade in der Herausstellung der ursprünglichen Bezeugung Gottes ist für Althaus die Autorität des Alten Testamentes begründet 1 5 8 . „Aber diese Selbsterschließung Gottes, die den Widerspruch des Menschtums gegen ihn enthüllt, ist zugleich der Eintritt vergebender und neugebärender Liebe in der Welt der Schuld und des Zornes: in dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, dem Sohne Gottes, richtet und überwindet Gottes Vergeben den Widerspruch für alle, die es im Glauben an Christus als Geschehen hinnehmen, d. h. für die Gemeinde, die nun im Glauben die Gerechtigkeit, den Heiligen Geist und damit die Gewißheit ewigen seligen Lebens mit Gott empfängt" 1 5 9 . H a t somit die Bibel in Hinsicht auf das die Sünde überwindende Heilshandeln Gottes in Christus den Charakter des Kerygmas, d. h. redet die Bibel hier von einer Tat Gottes, die man sich bezeugen lassen muß, die nur durch dieses Zeugnis erfahren werden kann 160 , so hat sie in Bezug auf die Uroffenbarung eine „mäeutische" 161 Aufgabe, sie stellt die ewige Wahrheit Gottes in aller Klarheit heraus. So legt Gottes Selbstbezeugung seine Uroffenbarung frei. Was aber von der Bibel und der christlichen Verkündigung einmal freigelegt wurde, „gilt fortan durch sich selbst und leuchtet in seinem eigenen Licht. Es ist nicht wesentlich gebunden an den Glauben an Jesus Christus, an das Evangelium" 162 . Die ursprüngliche Bezeugung Gottes aus der Perspektive des Evangeliums zu entfalten, bedeutet somit, das, was im Lichte des Evangeliums erkannt wird, zu entfalten als „das Licht Gottes, das in der Wirklichkeit unseres Lebens von jeher leuchtet" 163 . Die Theologie hat somit - aus der Perspektive des Glaubens - Hinweise auf die ursprüngliche Bezeugung Gottes an den Menschen (Uroffenbarung) zu geben 164 . „Die Selbst-

157 158

159 160 161 162 163 164

GD, S. 36. Das Alte Testament wird von Althaus als Zeugnis der Uroffenbarung begriffen (vgl. GD, S. 69ff). Als Zeugnis der Uroffenbarung besitzt das Alte Testament daher nach Althaus die Autorität der Uroffenbarung (vgl. ChW I, S. 118; 228) und als Uroffenbarung hat das Alte Testament auch bleibende Bedeutung (vgl. ChW I, S. 249). GD, S. 36. Vgl. ChW I, S. 73. Ebd. Ebd. GD, S. 23. Vgl. ChW I, S. 73.

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bezeugung Gottes geschieht entscheidend nicht durch theoretische Nötigung, sondern in unmittelbarem Innewerden, in lebendiger Erfahrung 165 an der Wirklichkeit unseres Lebens" . Dieser Hinweis aus der Perspektive des Evangelium hat den Charakter einer „confessio" und „appellatio", „der Anrede an den anderen auf jene Wirklichkeit, daß er auf die in ihr ergehende Selbstbezeugung Gottes sich besinne" 166 . Muß uns Gott in seiner Existenz erschlossen sein, damit das Evangelium als Wort Gottes erkannt wird, so daß, weil Christus mit der in der Uroffenbarung vernommenen Wahrheit in Einklang steht, der Mensch in Christus das Wort Gottes erkennt, welches er schon in der Uroffenbarung vernommen hat, so ist es die Aufgabe der theologischen Reflexion, allererst diese Uroffenbarung freizulegen. Damit die Gotteserkenntnis Anamnesis sein kann, muß zunächst auf das ursprüngliche Wissen von Gott hingewiesen werden. So gibt Althaus in seiner Uroffenbarungslehre Hinweise auf Gottes ursprüngliche Bezogenheit auf den Menschen: auf seine schöpferische Güte und seinen Zorn über die menschliche Schuld. Nun zeigt sich nach Althaus aus der Perspektive des Evangeliums, daß „auch in Gottes Nein zum Sünder [...] das ewige Ja seiner Liebe wirksam [ist]" 167 , so daß ,,[i]n dem furchtbaren Eifer des Richtens Gottes [...] sich nichts anderes als der heilige Eifer seiner Liebe [offenbart]" 1 6 8 . Im Lichte des Evangeliums stellt sich so das göttliche Gericht als Ausdruck seiner heiligen Liebe dar. Von hier aus zeigt sich, daß Gottes Widerstehen den Sinn der „Heimsuchung" hat, zum Ruf nach Umkehr 169 . Gott widersteht dem Bösen, indem er den Menschen straft170. Um den Menschen zurückzuführen, „entzieht Gott ihm Güter des Lebens und läßt ihn Leiden erfahren" 171 . „Gott nimmt Güter des Daseins, zerschlägt Pläne, läßt scheitern, macht arm, nimmt die Fruchtbarkeit des Lebens" 172 . Doch - so Althaus selbst - nur für den Glauben erschließt

165 166

167 168 169 170 171 172

C h W I, S. 7 5 . E b d . ; vgl. GD, S. 2 3 . - Diesen Hinweisen eigenet nach Althaus keine theoretische Allgemeingültigkeit: Die Bezeugung Gottes in der Wirklichkeit der W e l t kann nicht bewiesen werden, atheistische und nihilistische Deutungen sind nicht theoretisch zu widerlegen. D o c h ist damit die Uroffenbarung nicht obsolet (vgl. C h W I, S. 7 5 ) . C h W 1,11, S. 1 6 2 . Ebd. Vgl. C h W II, S. 1 6 2 f . Vgl. C h W II, S. 164ff. C h W II, S. 1 6 4 . C h W I, S. 1 7 3 .

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sich Gottes Sich-Entziehen als Zorn und allererst im Glauben schließt sich der Zorn Gottes als Ausdruck seiner Liebe. Wird aber erst im Evangelium Gottes Sich-Entziehen im Zorn Gottes als Ausdruck seiner Liebe verstanden, so kann außerhalb des Evangeliums das Sich-Entziehen Gottes nur als Verborgenheit Gottes verstanden werden. Damit trägt Althaus seiner Behauptung Rechnung, daß auf der Ebene der natürlich-menschlichen Erfahrungen Gottes Wort als eine Zweiheit erscheint: als Widerspruch zwischen Gottes Bezeugung und seinem SichEntziehen.

4. Confessio und appellatio der Güte und der Verborgenheit Gottes Die Hinweise auf die Selbstbezeugung Gottes in der Uroffenbarung werden von Althaus daher als ein Sich-Bezeugen und Sich-Entziehen zur Sprache gebracht. Dies weist Althaus in seiner Dogmatik an der Selbstbezeugung Gottes in der menschlichen Existenz, an seiner Selbstbezeugung im geschichtlichen Leben, an seiner Selbstbezeugung in der Wahrheitsbeziehung des Geistes und schließlich an der Selbstbezeugung Gottes in der Natur auf. So entfaltet Althaus zunächst Gottes Selbstbezeugung in der menschlichen Existenz 173 : Gott bezeugt sich in der Gewirktheit des geschöpflichen Daseins 174 , in unserer Lebendigkeit 175 und in seinem Anspruch an unser Gewissen 176 . Aber auch in unserem Entbehren bekundet sich die Wirklichkeit Gottes 177 . Gerade in der Erfahrung des Entbehrens, des Leidens und Verlangens transzendiert sich der Mensch auf Gott hin, erfährt er sich doch als „gerührt, gezogen von dem, der das ganze Leben, die volle Wahrheit, die ungebrochene Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Schönheit, Seligkeit ist und hat" 1 7 8 . Doch gleichzeitig bleibt Gott in der Selbstbezeugung der menschlichen Existenz verborgen; denn die menschliche Sehnsucht nach der vollen Wahrheit, der ungebrochenen Gerechtigkeit, der Schönheit und der Seligkeit sagt noch nichts über die Erfüllung der Sehnsucht aus 179 . Die Frage bleibt somit unentschieden, ob 173 174 175 176 177 178 179

Vgl. C h W Vgl. C h W Vgl. C h W Vgl. C h W Vgl. C h W C h W I, S. Vgl. C h W

I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. 84. I, S.

73ff. 77ff. 80. 80ff. 83. 85.

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unsere Sehnsucht Ausdruck einer berechtigten Hoffnung ist, oder ob sie Signum des hoffnungslosen Leidens ist 180 . Zweitens bezeugt sich Gott im geschichtlichen Leben 1 8 1 : wir erfahren uns als berufen 1 8 2 , spüren unsere Verantwortung und gleichzeitig die übermenschliche Führung 1 8 3 und schließlich vermögen wir, in den geschichtlichen Ordnungen das Ethos der Geschichte wahrzunehmen 1 8 4 . Doch auch im geschichtlichen Leben ist Gott noch der verborgene. „Die Selbstbezeugung Gottes in der Geschichte tut nicht Weniges von seinem Wesen kund, genug, um ihn fürchten, ihn anbeten, ihm danken zu lernen, genug, um an ihm schuldig zu werden" 1 8 5 . Drittens erweist sich Gott auch im theoretischen Denken 1 8 6 , in der Wissenschaft: Althaus will ausdrücklich nicht die alten Gottesbeweise repristinieren 187 , doch hat die Gewißheit um Gott auch rationale Gründe 1 8 8 . „Gott läßt sich nicht nur ,hören', sondern auch ,ersehen'" 1 8 9 . Viertens erweist sich Gott in der Wahrheitsbeziehung des Geistes 190 . Wenn wir Wahrheit denken, sind wir dabei getragen von der über uns stehenden Wahrheitsmacht 1 9 1 . In unseren Denkakten sind wir auf die unbedingte Wahrheit bezogen 1 9 2 . In der Frage nach der unbedingten Wahrheit und in der Bereitschaft, sich ihr zu beugen, ist der Mensch bereits von dem ergriffen, der der Herr der Wahrheit ist 193 . Gerade an diese Wahrheitsgewißheit knüpft das Evangelium an 1 9 4 . Doch verursacht auch die Bezogenheit des Menschen auf die unbedingte Wahrheit Leiden; denn der Wahrheit sind wir nur bruchstückhaft teilhaftig 195 . So ist in jedem einzelnen Denkakt der Person immer beides enthalten, Freude und Leid: Freude aufgrund unserer Fähigkeit, Wahrheit zu denken, Leiden aufgrund der Bruchstückhaftigkeit unserer Wahrheit 196 . 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196

Vgl. ebd. Vgl. ChW, S. 8 5ff. Vgl. ChW I, S. 86ff. Vgl. ChW I, S. 88f. Vgl. ChW I, S. 89f. ChW I, S. 90. Vgl. ChW I, S. 91 ff. Vgl. ChW I, S. 92. Vgl. ebd. ChW I, S. 94. Vgl. ChW I, S. 96ff. Vgl. ChW I, S. 96f. Vgl. ChW I, S. 96. Vgl. ChW I, S. 95. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChW I, S. 96.

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411

Auch im Leiden an der Bruchstückhaftigkeit der Wahrheit wird Gott erfahren 1 9 7 . Doch die Wahrheitsbeziehung des Menschen erweist Gott nicht nur in der Bezogenheit auf die unbedingte Wahrheit und in dem Leiden, dieser nur bruchstückhaft inne zu sein, sondern auch in der menschlichen Potentialität, einander zu verstehen 198 und die Wirklichkeit der Welt zu ergreifen 199 . Schließlich findet sich auch in der Natur die Selbstbezeugung Got200 tes . Zwar redet die Natur sehr wenig und allgemein von Gott, zu alledem noch mehrdeutig 201 , doch weist das „Geisthafte" der Natur auf Gott 2 0 2 , das vor allem in den Ordnungen der Natur zutage tritt 2 0 3 . „Die moderne Naturwissenschaft hat einen überwältigenden Eindruck von dieser Ordnung empfangen. Sie hat erkannt, daß die Naturvorgänge bei aller Unendlichkeit, Mannigfaltigkeit, Verwickeltheit des Geschehens durchgängig nach wenigen einfachen Sätzen sich vollziehen" 2 0 4 . Gerade die teleologische Ordnung der Natur weist auf ihren schöpferischen Grund 2 0 5 . Doch auch in der Natur ist Gott zugleich verborgen. Althaus verweist hier vor allem auf den „furchtbaren Mißklang des Daseinkampfes" 2 0 6 . „Denn sie gibt das einzelne Leben, für das sie so zweckmäßig sorgt, unerbittlich und grausam in den T o d " 2 0 7 . So kann der Mensch doch - auch durch die Erfahrung der Natur - in den Zweifel getrieben werden. Daher kann Gottes Selbstbezeugung in der Natur, ebensowenig wie seine Selbstbezeugung in der menschlichen Existenz oder der Geschichte, Gottes letztes Wort sein: All diese Erfahrungen vermögen den Menschen am Sinn des Lebens auch verzweifeln zu lassen 208 . ,,[A]ber sie kann manchem ein erstes werden, das ihn nun weiter nach Gott fragen, nach seiner Erkenntnis verlangen heißt" 2 0 9 .

197 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209

Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. ChW Vgl. ChW Vgl. ChW Vgl. C h W Vgl. ChW C h W I, S. Vgl. ChW C h W I, S. Ebd. Vgl. ChW Ebd.

I, S. I, S. I, S. I, S. I, S. 100. I, S. 107.

96ff. 99ff. 99. 100. lOOf. lOlf.

I, S. 107.

412

Zwischen Diastase und Korrelation

5. Die Methode der Anknüpfung und ihr Scheitern 5.1 Die Methode der Anknüpfung: Althaus zwischen Tillich und Eiert Wie Eiert und Tillich so intendiert auch Althaus, den Inhalt der christlichen Botschaft nicht bezugslos zu derjenigen Wirklichkeit zu artikulieren, in der die Botschaft von Christus vernommen wird. Althaus möchte einen „Anknüpfungspunkt" markieren, an dem die Botschaft von Jesus Christus an die existentiellen Erfahrungen des Menschen anzuknüpfen hat. Dabei ist die Methode der Anknüpfung für Althaus keine apologetische Methode, vielmehr knüpft Gottes Selbstbezeugung in Christus an eine vorausgehende Bezeugung an: die Uroffenbarung. Althaus' Methode der Anknüpfung an die Uroffenbarung kann als vermittelnde Position zwischen Tillichs Methode der Vertiefung und Elerts Methode der diastatischen Entgegensetzung verstanden werden. Althaus widerspricht sowohl den Voraussetzungen der Methode der Korrelation als auch den Voraussetzungen der Diastase. Es zeigte sich bereits: Tillichs Methode der Korrelation identifiziert den Inhalt der Offenbarung mit der der Vernunft ewig zugrundeliegenden Tiefe, so daß in der Christusoffenbarung das erschlossen wird, was der Vernunft immer schon zugrunde liegt, sich aber unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nur verdeckt in Kultus und Mythos Ausdruck verschafft. Sollen aber die Aussagen des christlichen Glaubens als ewige, der Vernunft - verborgen - zugrundeliegende Wahrheiten gefaßt werden, kann die - für den christlichen Glauben wesentliche - Geschichtlichkeit des Handelns Gottes nicht mehr erfaßt werden: Gottes rechtfertigendes Handeln in der geschichtlichen Person Jesus von Nazareth wird transponiert auf ein dem Sein selbst gegenwärtiges Prinzip. Gegen die Entgeschichtlichung der Versöhnung will Althaus an dem geschichtlichen Charakter der Versöhnung festhalten. Gottes vergebende Liebe ist keine ewige Wahrheit der verborgenen Tiefe des menschlichen Bewußtseins, sondern eine konkret-geschichtliche Tat Gottes. Gerade so - als einmalige und entscheidende Tat Gottes - ist das Evangelium nach Althaus als ein „Skandalon für das idealistische Denken aller Zeiten" aufzufassen. Als ein kontingentes Wort kann daher Gottes Wort in Christus nicht aus der existentiellen Erfahrung des Menschen herausexegesiert werden, vielmehr muß es im Kerygma bezeugt werden. Die Uroffenbarung beinhaltet keineswegs Gottes erlösendes Handeln in Christus, es kann daher nicht mäeutisch erfragt werden. Althaus' Methode der Anknüpfung an die Uroffenbarung widerspricht aber auch Elerts diastatischer Entgegensetzung des Evangeliums gegen die existentiellen Erfahrungen des Menschen. Geht Eiert in seiner

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Unterscheidung von Gesetz und Evangelium von einem ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" aus, so kann das Evangelium als Offenbarwerden der barmherzigen Liebe Gottes mit der Offenbarung des Zornes Gottes nicht harmonisiert werden. Werden die existentiellen Erfahrungen des (natürlichen) Menschen als Begegnung mit dem Gesetz Gottes interpretiert, so kann das Evangelium den existentiellen Erfahrungen - als Erfahrungen der Begegnung mit dem Gesetz Gottes - nur entgegengesetzt werden. Elerts Methode der Diastase ist somit in der Zwiespältigkeit des göttlichen Selbstzeugnisses begründet, das nicht zu einem harmonischen Ausgleich gebracht werden kann: So wie eine Überleitung von Gottes gesetzgebendem Wort zu seinem versöhnendem Wort nicht möglich ist, so ist auch die Überleitung von der existentiellen Erfahrungen des Menschen (als Erfahrung mit der Begegnung des göttlichen Gesetzes) zur Verkündigung des Evangeliums nicht möglich. Gerade aber an diesem - für Eiert entscheidenden - Punkt geht Althaus - ohne auf Eiert Bezug zu nehmen - entschieden einen anderen Weg. Althaus spricht nicht von zwei irreduziblen Widerfahrnissen Gottes in Zorn und Gnade, sondern von dem einheitlichen Charakter des Wortes Gottes als Wort der Liebe. Der Zorn Gottes über die menschliche Schuld wird als Ausdruck der heiligen Liebe Gottes verstanden. Gott erschließt sich so in seiner Uroffenbarung nicht anders als in seiner Christusoffenbarung: als die heilige Liebe. Der Mensch erkennt in Christus die gleiche Stimme Gottes wieder, die er zuvor schon einmal vernommen hat. Anders als Barth beabsichtigt Althaus aber nicht, Gottes ursprüngliches Gnadenwort mit seinem Gnadenwort in Christus zu identifizieren und nur von einem Wort Gottes zu reden. Gottes Ursprungsgnade ist nicht identisch mit Gottes Gnadenwort in Christus. Doch kennt auch Althaus kein Wort Gottes, das kein Gnadenwort ist. Zwar identifiziert Althaus nicht Gottes ursprüngliches Gnaden- bzw. Liebeswort mit seinem Gnaden- bzw. Liebeswort in Christus, so daß es nur ein Wort Gottes gibt (wie bei Barth), doch sind beide Worte Gottes gleichermaßen Ausdruck des Liebeswillens Gottes. Gott bezeugt sich in seinem ursprünglichen Wort nicht anders als in seinem Wort in Christus: als die Liebe und Gnade. Bezeugt die Uroffenbarung zwar Gottes schöpferische Liebe und seinen Zorn über die Sünde des Menschen, so erschließt sich doch aus der Perspektive des Evangeliums der Zorn als Ausdruck der göttlichen Liebe. Insofern widerstreiten bei Althaus Zorn und Gnade nicht, sondern die Uroffenbarung bezeugt die gleiche Liebe Gottes wie auch das Evangelium. Daher kann die im Evangelium erfahrene Liebe Gottes - als die Sünde vergebende Liebe - an den Erweis der göttlichen Liebe in der Uroffenbarung anknüpfen. Der Mensch erkennt in Christus das Wort Gottes wieder, welches er bereits in der Uroffen-

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barung vernommen hat. Die Christusoffenbarung bewährt sich an dem ursprünglichen Wissen des Menschen um Gott. Die Gotteserkenntnis ist somit Anamnesis. Daher ist es die Aufgabe der theologischen Verkündigung, Hinweise auf Gottes Uroffenbarung zu geben, damit der Mensch die hermeneutische Vorbedingung für den Glauben erhält. Erschließt sich jedoch erst aus dem Evangelium, daß Gottes Zorn Ausdruck seiner Liebe ist, wird mithin erst aus dem Evangelium die Einheit der Uroffenbarung erkannt, so können die Hinweise auf die Uroffenbarung nur Gottes schöpferische Liebe und das Sich-Entziehen der schöpferischen Güte zur Sprache bringen. Erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich Gottes-Sich-Entziehen als Element des Zorns Gottes über den Sünder und somit als Ausdruck der göttlichen Liebe. So knüpft die Bezeugung von der versöhnenden Liebe Gottes in Christus direkt nur an die Hinweise der schöpferischen Liebe Gottes an: Der Mensch erkennt die versöhnende Liebe als die gleiche Liebe Gottes, die ihm schon aus den Hinweisen der schöpferischen Liebe Gottes bekannt ist, während die Verkündigung hinsichtlich der Hinweise auf das SichEntziehen Gottes Aufklärung verschafft: der Mensch erkennt in Christus Gottes Sich-Entziehen als Ausdruck des göttlichen Zornes über die menschliche Sünde und lernt den Zorn Gottes als Ausdruck der Liebe Gottes kennen, die ihn als schöpferische Liebe ins Dasein gerufen und mit Gaben beschenkt und in Christus die Sünden vergeben hat. Wird bei Eiert die Erfahrung des Menschen auf die Begegnung mit dem Zorn Gottes zugespitzt, so gibt Althaus in weit stärkerem Maße als Eiert auch den Hinweisen auf die schöpferische Güte Gottes Raum, gerade hieran will Althaus ja die versöhnende Güte in Christus anknüpfen 210 . Endet Elerts Explikation der Erfahrung des existentiellen Menschen in der Todfeindschaft des uns gegenüberstehenden Schicksals, so bringt Althaus beide Erfahrungen zur Geltung: Gott „macht uns lebendig und tötet uns" 211 .

5.2 Das Scheitern der Methode der Anknüpfung N u n ist Althaus Methode der Anknüpfung sowohl durch eine Reihe von problematischen Voraussetzungen erkauft als auch durch einen großen

210

211

Entfaltet Althaus in seiner „ D o g m a t i k im G r u n d r i ß " Gottes Gnadenerweis und seinen Z o r n in unterschiedlichen Abschnitten (vgl. GD, S. 18ff: Die Uroffenb a r u n g einerseits und GD, S. 31: Die Wirklichkeit des Z o r n e s Gottes andererseits), so werden in der „Christlichen W a h r h e i t " beide M o m e n t e im Z u s a m m e n h a n g entfaltet (vgl. C h W I, S. 45ff). C h W I, S. 110.

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gedanklichen Mangel an Präzision gekennzeichnet 2 1 2 : So vermißt man, daß Althaus seine Verhältnisbestimmung von Gesetz und Evangelium in Beziehung setzt zu seiner Verhältnisbestimmung von Uroffenbarung und Heilsoffenbarung 2 1 3 . Gerade das Verhältnis von Uroffenbarung und Gesetz besitzt keine Eindeutigkeit. So umfaßt die Uroffenbarung doch nicht nur Gottes Gesetz, sondern auch sein schöpferisches Handeln. Ebenso vermißt man eine zusammenhängende Reflexion über die Möglichkeit und Wirklichkeit der Gotteserkenntnis in der Uroffenbarung 2 1 4 . Auch die Unterscheidung zwischen der Einheit der Uroffenbarung aus der Perspektive des Evangeliums und ihrer Zweiheit aus der Perspektive des natürlichen Menschseins und die damit verbundenen Probleme für die Methode der Anknüpfung werden nie zusammenhängend reflektiert. Schließlich ist auch an Althaus' theologische Unsicherheit zu erinnern, Gottes Gnadenwort des Evangeliums und sein schöpferisches Gnadenwort zu unterscheiden. Kann man auch über diese Ungereimtheiten - verärgert - hinwegsehen, so beruht Althaus' Methode der Anknüpfung auf problematischen Prämissen, die als Voraussetzungen der Methode der Anknüpfung prinzipiellen Charakter tragen (5.2.1). Darüber hinaus zeigt sich, daß selbst wenn man diese Prämissen teilen würde, Althaus' Methode der Anknüpfung scheitern muß (5.2.2). 5 . 2 . 1 Die problematischen Voraussetzungen Damit Althaus Gottes Wort in Christus an sein W o r t , das in der geschöpflichen Wirklichkeit erklingt, anknüpfen kann, d. h. damit sich die Erkenntnis Christi als Anamnesis gestalten kann, muß Althaus Gottes Wort in Christus, sein gesetzgebendes und sein schöpferisches Wort als unterschiedlichen Ausdruck des gleichen (Liebes)wortes Gottes fassen, das in unterschiedlichen Formen (nämlich schöpferisch, gesetzgebend und versöhnend) auftritt. Die sich als Anamnesis gestaltende Methode der Anknüpfung ist bestimmt durch den Gedanken der Einheit des Wortes Gottes. Damit überspielt Althaus die Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung (a), sowie die zwischen Gesetz und Evangelium

212

Z u Recht vermißt a u c h Baur die „Stimmigkeit der A r g u m e n t a t i o n von Althaus (vgl. ders., Vermittlung in unversöhnten Zeiten, S. 1 8 6 ) .

2U

Dies vermißt zu R e c h t auch Peters, Gesetz und Evangelium, S. 1 9 1 f. Diese mangelnde Reflexion zeigt sich auch in Althaus' Lehre von den Schöpfungsordnungen. Z w a r versucht Knitter aufzuweisen, d a ß die Irrungen Althaus' zu Beginn der nationalsozialistischen Ä r a nicht durch Althaus Lehre von den Schöpfungsordnungen verursacht werden, sondern durch sein ideologisches Erbe

214

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(b). Indem Althaus glaubt, Gottes schöpferisches Wort durch Hinweise freilegen zu können, verkennt Althaus den Charakter der Sünde (c). Ad a: Anders als Tillich will Althaus den geschichtlich-kontingenten Charakter des erlösenden Handelns Gottes wahren. In Christus erscheint keine ewige Idee, die als ewiges Prinzip der geschöpflichen Wirklichkeit immer schon zugrunde liegt, sondern eine neue Tat Gottes, die an die Geschichte des Lebens und Sterbens des Menschen Jesu von Nazareth gebunden ist. Althaus - dies gilt es entschieden festzuhalten verfällt so nicht in das epochelose Denken Barths und Tillichs. Doch unterscheidet Althaus Gottes schöpferisches Handeln ausschließlich der Form nach von seinem erlösenden Handeln. Nun zeigte sich aber, daß Schöpfung und Erlösung nicht nur hinsichtlich ihrer Form und ihres (durch die Sünde bedingten) zeitlichen Erscheinens zu unterscheiden sind, sondern auch hinsichtlich des ihnen zugrundeliegenden Wortes Gottes. Anders als die Erlösung ist die Schöpfung auch die Möglichkeitsbedingung für Sünde und Gesetz. Dann aber können Schöpfung und Erlösung nicht in der Weise parallelisiert werden, daß sie als je unterschiedlicher Ausdruck des gleichen (Liebes)wortes Gottes gefaßt werden. Wenn Gesetz und Evangelium unterschieden werden, dann ist auch die Schöpfung als Möglichkeitsbedingung von Gesetz und Evangelium von der Erlösung zu unterscheiden. Ad b: In diesem Punkte unterscheidet Althaus auch Gesetz und Evangelium konsequent ausschließlich hinsichtlich ihrer Form, als unterschiedlicher Ausdruck des Liebeswortes Gottes. Auch hier ist zu bedenken, daß Althaus nicht in das epochelose Denken Barths zurückfällt, der Gesetz und Evangelium identifiziert. Doch zeigte unsere Unterscheidung, daß Gesetz und Evangelium nicht nur hinsichtlich ihrer Form zu unterscheiden sind, sondern einen (für auch glaubendes Erkennen unaufhebbaren) Widerspruch im W o r t Gottes selbst markieren. Die Voraussetzung der Althausschen Methode der Anknüpfung besteht gerade darin, diese Unterscheidung zu überspielen und das Gesetz als (vgl. ders., Die Uroffenbarungslehre von Paul Althaus, bes. a. a. O., S. 1 6 1 ) , schließlich sei Althaus, indem er den sündhaften Charakter der Schöpfungsordnungen hervorhebt (vgl. a. a. O., S. 152), davor geschützt, die gegeben geschichtlichen Bindungen als Schöpfungsordnungen einfach hinzunehmen (vgl. a. a. O., S. 151). Doch darf nicht verkannt werden, daß zu diesen Irrungen in nicht unerheblichem Maße auch seine Unentschiedenheit hinsichtlich der Frage beiträgt, was aus der Schöpfung selbst abzulesen ist und was nur aus der Perspektive des Evangeliums erschlossen werden kann. Selbst sein bekannter Aufsatz aus dem Jahre 1 9 3 4 „Theologie der Ordnungen" läßt es hier an einer hinreichenden Deutlichkeit vermissen.

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Ausdruck des göttlichen Liebeswortes zu verstehen. (Aufmerksam gemacht werden muß darauf, daß Althaus auch nicht davor zurückschreckt, Erfahrungen der schrecklichen schlechthinnigen Verborgenheit Gottes als Gottes liebendes Strafen zu interpretieren. Die Erfahrung des nicht auf die persönliche Schuld des Menschen zurückzuführenden Leidens wird als Ausdruck des freien Zorneshandelns Gottes gewertet, des Zornes Gottes, der Ausdruck seiner Liebe ist215. Es ist deutlich, daß eine theologische Reflexion, die nicht in der Lage ist, Erfahrungen mit Gott zur Sprache zu bringen, die nicht auf Gottes Selbstbezeugung in Gesetz und Evangelium zurückgeführt werden können, zynisch zu werden droht. Besteht das Defizit Elerts darin, uns zuzumuten, die Erfahrungen der schrecklichen Verborgenheit Gottes als Ausdruck seines Zornes über die Sünde des Menschen zu sehen (d. h. Eiert trennt die Erfahrung der schrecklichen Verborgenheit Gottes nicht von der Erfahrungen des göttlichen Gesetzes) 216 , so mutet Althaus uns zu, die Erfahrung der schrecklichen Verborgenheit Gottes als Erweis seiner grenzenlosen heiligen Liebe zu deuten (d. h. Erfahrungen der schrecklichen Verborgenheit Gottes werden gedeutet als Erfahrungen der göttlichen Liebe). 217 Ad c: Nun geht auch Althaus nicht davon aus, daß Gottes schöpferisches Wort und sein Wort im Gesetz dem natürlichen Menschen immer schon erschlossen sind. Gerade weil Althaus davon ausgeht, daß die „Uroffenbarung" in der Sünde verstellt ist, versucht er Hinweise auf Gottes schöpferische und gesetzgebende Gegenwart zu geben. Damit verkennt aber Althaus den Widerspruch des Menschen gegen Gott (die Sünde) als einen solchen, der nur durch Gottes Wirken im Geist aufgehoben werden kann. Bei Althaus ist der Schöpfungsglaube die Voraussetzung des Christusglaubens, der Schöpfungsglauben begründet den Glauben an Christus; denn wir kommen nicht vom Glauben an Christus zum Glauben an Gott den Schöpfer, vielmehr „kommen [wir] vom Glauben an den Schöpfer her zu Jesus Christus" 218 . Mit dem Hinweis auf Gottes schöpferische Gegenwart will Althaus die hermeneutische Vorbedingung des Glaubens legen. Damit jedoch mutet er einer auf den Geist 215 216 217

218

Vgl. bes. C h W II, S. 162ff. Vgl. Teil 2: Kap. II.B.5.2. Gerade in den weitreichenden Konsequenzen, die A l t h a u s ' Lehre von der Uroffenbarung nach sich zieht, erweist sich das Urteil von Pöhlmann als unzutreffend, d a ß die U r o f f e n b a r u n g bei Althaus „weder als ein Zentralmotiv noch als Material- oder Formalprinzip rangiert" (ders., Das Problem der Uroffenbarung bei Paul Althaus, S. 251). C h W II, S. 50.

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Gottes rechnenden Theologie Unzumutbares zu. Besteht die Sünde gerade darin, daß der Mensch Gott als den schöpferischen Grund des Daseins nicht erkennt, so will Althaus mit Hinweisen Gott als schöpferischen Grund des Daseins zu erkennen geben. Mit anderen Worten: Ist der Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) ein solcher, der nach christlichem Verständnis durch das Wirken des Geistes aufgehoben werden kann, so fordert Althaus eine Aufgabe des Widerspruches als Vorbedingung für das Wirken des Geistes. Althaus übersieht, daß die Hinweise auf die Schönheit, Gerechtigkeit, die menschliche Gemeinschaft oder auch die Teleologie der Natur keinesfalls auch schon Hinweise auf Gott sind als den, der dies gewährt. Wie auch die Erfahrungen der Nichtigkeit und des Widerspruchs des Lebens keinesfalls Erfahrungen des Sich-Entziehens Gottes sind, sie sind keine Hinweise darauf, daß Gott es ist, der sich hier entzieht. So kann Althaus zwar auf die Not und die Würde des Daseins hinweisen, er kann aber nicht zeigen, daß Gott es ist, der die Würde des Daseins gewährt und daß Gott es ist, der durch sein Entziehen für die Not des Daseins verantwortlich ist. 5.2.2 Vergebliches Bemühen Das Entscheidende ist, daß Althaus' problematische Voraussetzungen, Gottes schöpferische Güte mit seiner erlösenden Liebe zu parallelisieren und den Zorn als Ausdruck der göttlichen Gnade zu interpretieren, in apologetischer Hinsicht, d. h. in dem Versuch der Anknüpfung, über Eiert gar nicht hinausführen. Zwar widerspricht Althaus einem realdialektischen Gegensatz von Zorn und Gnade, doch gilt auch für Althaus auf der Ebene des natürlich-menschlichen Erkennens ein Widerspruch. Auf dieser Ebene existiert eine Zweiheit von Gottes gütigem Sich-Bezeugen und seinem Sich-Entziehen. So muß die theologische Reflexion nach Althaus sowohl Hinweise auf Gottes gütiges Sich-Bezeugen als auch Hinweise auf sein Sich-Entziehen geben (eine Einheit ist nur für den Glaubenden in Christus erkennbar.) Daher wird der existentiell entfremdete Mensch von Althaus zwar auf Gottes gute Gaben hingewiesen, die in der Schöpfung, in seiner eigenen Lebendigkeit, der Führung, der geschöpflichen Ordnung und in der Teleologie der Natur zu erkennen sind. Gerade in der Würde des Daseins ist Gottes Schöpfergüte erfahrbar 219 . Gleichwohl wird der Mensch aber auch auf das SichEntziehen Gottes hingewiesen: So bezeugt sich Gott in Würde und Not

219

Vgl. ChW I, S. 108.

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des Daseins 220 , in dem „Widerspruch von Daseinswürde und Daseinsnot" 221 . „In der Begabung mit Leben und Kraft, in der Berufung zum Menschsein, in der Beziehung unseres Lebens auf Wahrheit, Gerechtigkeit, Gemeinschaft, Schönheit meinen wir, Gottes Freundlichkeit und Güte zu schmecken. In dem Versagen der Erfüllung dagegen, in der Nichtigkeit und dem Widerspruch unseres Lebens können wir nicht anders, als Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit Gottes gegen uns zu vermuten" 222 . So enden auch für Althaus die Hinweise auf Gottes ursprüngliche Bezogenheit letztlich in der Verborgenheit Gottes: Zwar kann der existentiell entfremdete Mensch auf die Existenz Gottes hingewiesen werden und diese erkennen 223 , doch muß er im Zweifel bleiben, „ob die Ur-Beziehung unseres Daseins auf Leben, Wahrheit, Gerechtigkeit, Gemeinschaft zur Erfüllung führt oder bleibende Qual bedeutet" 224 . So können auch die Hinweise nicht mehr als Zweifel wecken 225 . Den Hinweisen auf die Schöpfergüte Gottes werden von Althaus immer sofort Hinweise über seine Verborgenheit hinzugefügt. Eindeutige Hinweise auf die Schöpfergüte gibt es nicht, immer sind diese Hinweise eingetaucht in die Verborgenheit Gottes. So ist in gewisser Weise durchaus dem Urteil von Walker zuzustimmen: Indem Althaus die Lehre von der Uroffenbarung in die Verborgenheit Gottes münden läßt, ist Althaus Lehre von der Uroffenbarung ad absurdum geführt 226 . Die Lehre von der Uroffenbarung hält damit weniger als sie verspricht 227 . Am entscheidenden Punkt wird Gott immer wieder verkannt 228 . So fragt Walker überscharf: „Was soll also das Ganze?" 229 Zwar versucht Althaus, der Erfahrung der Daseinswürde in viel größerem Maße Raum zu geben, als dies bei Eiert der Fall ist230, doch läßt auch Althaus die 220 221 222 223

224 225 226 227 228 229 230

Vgl. ebd. C h W I, S. 110. Ebd. GD, S. 32. - In einem irgendwie gearteten - der W a h r n e h m u n g der U r o f f e n b a r u n g entstammenden ( C h W I, S. 169) - Wissen um Gott besteht daher das „Apriori aller Religionen" ( C h W I, S. 165). GD, S. 32. Ebd. - Vgl. hierzu auch Peters, Der Mensch, S. 151. Vgl. Walker, Z u r Frage nach der Uroffenbarung, S. 35ff, bes. 39. A. a. O., S. 35. Vgl. a. a. O., S. 41. A. a. O., S. 45. In diesem Sachverhalt hat die Kritik ihren Ort, die erkennt, d a ß Althaus' Uroffenbarungslehre dem Z o r n Gottes zu wenig R a u m gibt. So u. a. bei Walker, Z u r Frage der U r o f f e n b a r u n g , S. 46; Pöhlmann, Das Problem der U r o f f e n b a r u n g bei Paul Althaus, S. 254f; Gebhardt, Naturrecht und S c h ö p f u n g s o r d n u n g e n als Möglichkeit zur Erfassung der Wirklichkeit in der gegenwärtigen theologischen Ethik, S. 79; Peters, Der Mensch, S. 152; ders., Gesetz und Evangelium, S. 2 0 2 .

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Erfahrungen der Daseinswürde in die Erfahrungen der Daseinsnot münden. Althaus verkennt aber, daß die Erfahrung der Daseinsnot sich für keinen Moment abblenden läßt, so daß die Daseinswürde hell erstrahlt. Daseinswürde und Daseinsnot lassen sich nicht trennen, sondern die Würde des Daseins steht immer im Horizont der Daseinsnot. Dies hat Eiert deutlich erkannt. Resümiert Althaus, daß Gott tötet und lebendig macht, so zieht Eiert aus diesem Sachverhalt die ungleich radikalere Konsequenz: Angesichts des Todes sind alle Widerfahrungen des Guten und Schönen in einen dunklen Schatten getaucht 231 .

231

Diese ungleich stärkere Konsequenz bei Eiert im Vergleich zu Althaus scheinen zu verkennen u. a. Mildenberger, Die Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, S. 220; Krötke, Das Problem „Gesetz und Evangelium" bei W. Eiert und P. Althaus, S. 29.

D Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen 1. Zusammenfassung 1.1 Die Unmöglichkeit der Identifikation von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein (Hirsch) Unaufgebbar für die Theologie ist Hirschs Forderung, auf die existentiellen Erfahrungen und ihre Artikulation im allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein Bezug zu nehmen, da die Alternative im „Verzicht auf Anteilnahme am Gesamtleben" 1 besteht, in der ,,gbettoartige[n] Absonderung in einer für sich lebenden Sekte" 2 . Mit Hirschs Forderung ist jedoch keinerlei apologetisches Interesse verbunden; denn jedes apologetische Interesse übersieht nach Hirsch die inhaltliche Identität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein, präziser: Jede Form der Apologetik übersieht, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein auch die bestimmende Macht des christlichen Glaubensbewußtseins ist. Besitzt das christliche Glaubensbewußtsein den gleichen Inhalt wie das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein, so ist von Hirsch der diastatischen Auffassung hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und dem christlichen Glaubensbewußtseins (Eiert) ebenso widersprochen wie auch der Methode der Anknüpfung (Althaus); denn auch die Methode der Anknüpfung erkennt nicht an, daß das christliche Glaubensbewußtsein sich in keiner Weise vor dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein zu verteidigen hat, sondern das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein als bestimmende Macht anzuerkennen und sich unter dessen Bedingungen zu artikulieren hat. Aber auch Tillichs Methode der Korrelation wird entschieden von Hirsch widersprochen; denn jede Gegenüberstellung zwischen dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein und dem christlichen Glaubensbewußtsein ist bei Hirsch negiert: Das christliche Glaubensbewußtsein vermag das allgemein-menschliche Wahrheits-

1 2

ChR I, S. 2 1 . Ebd.

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bewußtsein darum auch nicht in irgendeiner Weise „aufzuklären", weil es - aufgrund seiner inhaltlichen Identität - in keiner Weise informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein ist. Gegen Hirsch war jedoch darauf hinzuweisen, daß Hirsch diese Einigung nur erreicht, weil er wesentliche Einsichten des Glaubens außer Kraft setzt und der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes keine Rechnung trägt: (a) Hirschs Behauptung der lebensanschaulichen Neutralität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins verkennt die gewißheitsbildende Kraft der Sünde. Indem Hirsch die Sünde nicht mehr als strukturelle Verkehrung des Menschen, sondern als Charakteristikum der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Kreatürlichkeit des Menschen zu Geltung bringt, gerät bei Hirsch die Sünde als Widerspruch des Menschen gegen Gott aus dem Blick. Das Junktim SündeUnglaube (faktischer Widerspruch gegen Gott) ist damit bei Hirsch zerbrochen; die Alternative Glaube-Unglaube bewegt sich nach Hirsch innerhalb der durch Schöpfung und Sünde gekennzeichneten kreatürlichen Existenz des Menschen. Insofern Glaube und Unglaube mögliche Formen des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins sind, wird diese Alternative keinesfalls durch Jesus als dem Christus eröffnet. Wird hingegen die Sünde als faktischer Widerspruch des Menschen gegen Gott und damit als Unglaube ernst genommen, so ist Hirschs Alternative zwischen religiöser Neutralität und christlicher Gewißheit durch die reformatorische Alternative von Unglaube und Glaube zu ersetzen. Die sündhafte Verkehrung besteht dann darin, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die Stelle der persönlichen Gewißheit gerade nicht offen läßt, sondern die Person einer der christlichen Gewißheit widersprechenden (irrigen) Gewißheit versichert. Dann ist aber gegen Hirsch festzuhalten: Das christliche Glaubensbewußtsein ist mindestens so informativ für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein, wie es gegenüber seiner sündhaften Verkennung den wahren Grund des Seins präsentiert und es ist insofern kritisch gegenüber dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein, als es die vorangehende (irrige) Gewißheit des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins durch die christliche Gewißheit ersetzt. (b) Um den Inhalt des christlichen Glaubensbewußtseins in das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein einzugründen, muß Hirsch aber nicht nur den Charakter der Sünde als Widerspruch gegen Gott preisgeben, sondern auch die geschichtliche Tat der Versöhnung auf eine ewig zeitlose Wahrheit transponieren. Damit ist aber notwendigerweise eine Entleerung des christlichen Glaubensbewußtseins verbunden, insofern

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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Hirsch Jesus Christus nicht mehr als Objekt des Glaubens zur Sprache zu bringen vermag, auf das der Glaube sein Vertrauen richten darf (weil Christus etwas für den Glaubenden vollbracht hat, was er nicht selbst zu vollbringen vermochte), sondern lediglich als das Subjekt des Glaubens. Ist aber (a) nur eine angemessene Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln fähig, Gottes erlösendes Handeln in seiner geschichtlichen Kontingenz ernst zu nehmen, und bedeutet dies, (b) daß aufgrund der geschichtlichen Kontingenz des Christusgeschehens dieses nicht dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein - als ewige Wahrheit - zugrunde liegt, so ist der eigentümliche Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins gegenüber dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein in der distinctio von Schöpfung und Erlösung begründet. Galt daher zu betonen, daß das christliche Glaubensbewußtsein für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein schon aus dem Grunde informativ ist, weil es gegenüber der sündhaften Verblendung die Schöpfung als Schöpfung Gottes zur Sprache bringt, so macht es gegenüber dem Erkennen der Schöpfung Gottes das Wissen um die Erlösung geltend. Gerade hierin - so zeigte sich - wurzelt der eigenständige Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins: Es eröffnet nicht nur den durch die Sünde verstellten Blick auf das schöpferische Handeln Gottes, sondern beinhaltet die Gewißheit um ein neues Handeln Gottes, das als solches nicht der Schöpfung (als ewiges Prinzip) zugrunde liegt, sondern an die Geschichte des Lebens und Sterbens Jesu von Nazareth gebunden ist. (c) Zeigte sich, daß Hirsch zum einen die Sünde nicht als Widerspruch des Menschen gegen Gott, sondern als Charakteristikum der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Kreatürlichkeit des Menschen zur Sprache bringt, zum anderen die Erlösung von der geschichtlichen Tat Jesu von Nazareth auf eine ewige Wahrheit transponiert, so bedingen sich beide Sachverhalte gegenseitig; denn weil Hirsch den Charakter der Sünde als Widerspruch gegen Gott verkennt, vermag er die Bedeutung des Gesetzes Gottes als Widerspruch Gottes gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott nicht zur Geltung zu bringen. Und weil Hirsch die Bedeutung des Gesetzes als Widerspruch Gottes gegen den Widerspruch des Menschen verkennt, verkennt er auch die Erlösung als Gottes in der Geschichte vollzogene reale Überwindung seines Widerspruchs (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) 3 .

J

Gerade weil Hirsch aber Christus nicht als Gottes Ü b e r w i n d u n g seines Widerspruches gegen den Widerspruch des Menschen begreift, k o m m t Christus nicht mehr als das O b j e k t zur Sprache, auf das der Glaube aus dem G r u n d sein

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Ist die Erlösung Gottes Überwindung seines Widerspruchs (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde), so will gerade dieser Widerspruch Gottes gegen den Menschen im Gesetz für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bedacht sein. Artikuliert sich somit das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein im Horizont des Gesetzes Gottes, so ist hiermit die Schwierigkeit hinsichtlich des Verhältnisses von dem allgemein-menschlichen und dem christlichen Glaubensbewußtsein allererst eröffnet, insofern zu fragen ist, was es für das Verhältnis zwischen dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein und dem christlichen Glaubensbewußtsein bedeutet, daß sich das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein im Horizont des Gesetzes artikuliert, dem das Evangelium widerstreitet. 1.2 Die Unmöglichkeit der Korrelation und der Anknüpfung 1.2.1 Die Parallelität zwischen der Behauptung der Identität von christlichem Glaubensbewußtsein und allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein (Hirsch) und der Methode der Korrelation (Tillich) Zeigte sich so, daß die Identifikation des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein und die damit verbundene Ablehnung jeder Form der Apologetik wesentliche Inhalte und Implikationen des christlichen Glaubensbewußtseins außer Acht läßt, so zeigt sich umgekehrt, daß Tillichs apologetische Methode der Korrelation ebenfalls nur auf Grund der mangelnden Unterscheidungen funktioniert, aus denen auch Hirschs Identifikation des Inhaltes des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein erfolgte. So werden bei Tillichs Methode der Korrelation die gleichen Inhalte und Implikationen des christlichen Glaubensbewußtseins (und damit der Vierfachheit des Handelns Gottes und der in ihr vorausgesetzten Unterscheidungen) vernachlässigt wie bei Hirsch: (a) Nach Hirsch dringt auch die natürliche Vernunft des Menschen zu Gottes vergebender Liebe durch, doch vermag die vergebende Liebe in der natürlichen Vernunft nur gedankliches Postulat zu sein und nicht zur religiösen Gewißheit zu werden (nicht der Inhalt der Erkenntnis ist nach Hirsch das Spezifikum des Glaubens, sondern seine Erkenntnis^?·?!). Im Unterschied zu Hirsch gesteht zwar Tillich ein, daß der Vernunft - unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung - ihre eigene Tiefe nicht Vertrauen richten darf, weil durch Christus etwas vollbracht ist, was der Glaubende selbst nicht zu vollbringen vermag.

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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mehr transparent ist, doch verschafft sich die Tiefe der Vernunft nach Tillich verdeckt in Kultus und Mythos Ausdruck. Wie Hirsch, so bringt auch Tillich die strukturelle Verkehrung der Vernunft nicht zur Geltung; vielmehr ist die Sünde nach Tillich ein notwendiges Geschehen, das durch das Wirklichwerden der Vernunft bedingt ist. Dabei zeigte sich gerade bei Tillich deutlich, wie die Auffassung der Sünde als ein notwendiges Geschehen und die Ablehnung der Auffassung der Sünde als strukturelle Verkehrung sich gegenseitig bedingen; denn - so Tillich gerade weil die Vernunft ein notwendiges Geschehen ist, kann sie keine strukturelle Verkehrung sein, es sei denn - und dies wird von Tillich vehement abgelehnt - , man wolle die strukturelle Verkehrung als ein notwendiges Geschehen fassen. Diesem Verständnis der sündhaften Entfremdung trägt Tillich in seiner Hamartiologie insofern Rechnung, als er die Sünde als ewiges Prinzip der sich aktualisierenden Schöpfung begreift. Ist die Vernunft auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nicht strukturell verkehrt, d. h. vermag sie die Tiefe des Seins zwar nicht mehr denkerisch zu erfassen, ist aber dennoch auf die Tiefe der Vernunft bleibend ausgerichtet, insofern diese sich in Kultus und Mythos versteckt Ausdruck verschafft, so hat dies Konsequenzen für Tillichs Auffassung der Leistungsfähigkeit der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung. (aa) Die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung vermag Fragen zu stellen, die auf die - ihr nur noch verschwommen gegenwärtige - Tiefe des Seins abzielen. (bb) Weil die Entfremdung der Vernunft ein notwendiges Strukturprinzip der Vernunft selbst ist, nämlich die Form ihres Wirklichwerdens, kann sich die Vernunft auf dieses Strukturprinzip selbst hin vertiefen: Als Prinzip der sich aktualisierenden Vernunft stößt die Vernunft bei der Analyse der Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit auf dieses Prinzip ihres Wirklichwerdens. (cc) Auch unter den Bedingungen der Entfremdung vermag die Vernunft eine Analyse des Seins vorzunehmen. Die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung kann gerade aus dem Grund die Strukturen des Seins beschreiben, weil sie auch um die Entfremdung von dem Grund des Seins weiß (und diese Entfremdung zu beschreiben vermag als „natürlicher Bundesgenosse des Christentums") und nach dem Grund des Seins fragen kann. Ist die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung des Grundes des Seins nicht mehr denkerisch gewahr, so hält sie doch seinen Platz offen. Daher stimmen die aus der Perspektive der sündhaften Entfremdung vorgenommene Explikation der Strukturen des Seins und die in der Offenbarung erkannte Tiefe des Seins zusammen.

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Ist bei Hirsch das Junktim Sünde-Unglaube (als Widerspruch gegen Gott) zerbrochen, so möchte Tillich die Alternative Glaube-Unglaube verabschieden und hinsichtlich der Menschen unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nur noch von Irrenden (nicht mehr von Ungläubigen) sprechen. War gegen Hirsch einzuwenden, daß, wenn die Sünde als Widerspruch gegen Gott ernst genommen wird, die Alternative zwischen religiöser Neutralität und christlicher Gewißheit durch die reformatorische Alternative von Unglaube und Glaube zu ersetzen ist, so daß die sündhafte Verkehrung gerade darin besteht, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein die Stelle der persönlichen Gewißheit nicht offen läßt, sondern die Person einer der christlichen Gewißheit widersprechenden (irrigen) Gewißheit versichert (s.o.), so ist in gleicher Weise im Blick auf Tillich zu formulieren: Als Widerspruch gegen Gott hält die sündhafte Entfremdung die Stelle des Grundes des Seins nicht offen, sondern bietet ein Glaubenssurrogat. Dann aber ist damit zu rechnen, daß die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung gerade eine solche Explikation der Strukturen des Seins liefert, die nicht offen ist für die christliche Anschauung vom Grund des Seins. Zeigte sich bei Tillich eine enge Zusammengehörigkeit zwischen (a) der Auffassung der Sünde als notwendiges Strukturprinzip der Vernunft und (b) der Ablehnung einer strukturellen Verkehrung der Vernunft und (c) damit der Auffassung des Vermögens der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung, sich auf das ihr inhärente Strukturprinzip zu vertiefen, so ist mit der Einsicht in die Kontingenz der Sünde und ihren Charakter als (struktureller) Widerspruch gegen Gott auch die Möglichkeit der Vernunft (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) bestritten, die Sünde selbst zu erfassen. Gerade hierin besteht die enge Zusammengehörigkeit zwischen unserer Ablehnung einer Übernahme der Analyse der Strukturen des Seins unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung und der Übernahme einer Analyse der Entfremdung unter den Bedingungen der Entfremdung selbst: Die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung beschreibt die Strukturen des Seins und die Entfremdung aus der Perspektive einer solchen Vorstellung vom Grund des Seins, die aus der Perspektive des Glaubens gerade als Sünde entlarvt wird. (b) Tillich teilt mit Hirsch auch die Auffassung, daß die christliche Offenbarung eine der Vernunft ewig zugrunde liegende Wahrheit zum Gegenstand hat: So bringt die Offenbarung ans Licht, was sich in Mythos und Kultus immer schon verdeckt Ausdruck verschafft, d. h. die Offenbarung bringt ein ewiges Prinzip zur Klarheit. Daß Tillich mit der Transposition des erlösenden Handelns Gottes von der Geschichte des Menschen Jesu von Nazareth auf ein ewig zeitloses Prinzip - wie auch Hirsch - Verkür-

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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zungen hinsichtlich der christlichen Anschauung von Sünde und Gnade anbringen muß, braucht hier nicht erneut aufgegriffen zu werden. Galt es gegen Hirsch zu betonen, daß der eigentümliche Gehalt des christlichen Glaubensbewußtseins gegenüber dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein in der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung begründet ist, so gilt es, gegen Tillich in gleicher Weise zu formulieren, daß die Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung auch die Methode der Korrelation verbietet, insofern diese Unterscheidung es verbietet, die Erlösung in die Schöpfung selbst einzugründen und die Rechtfertigung als (ewiges) Strukturmoment der Wirklichkeit zu begreifen. Da die Erlösung der Schöpfung in keiner Weise zugrunde liegt, kann auch die vollkommene Erkenntnis der Schöpfung (d. h. eine solche Erkenntnis, in der Gott als der schöpferische Grund erkannt und somit die Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit erfaßt wird) keine Erkenntnis der Erlösung und Versöhnung vermitteln. Tillichs Methode der Korrelation funktioniert daher nur aus dem Grunde, weil sie nicht nur der strukturellen Verkehrung der Vernunft keine Rechnung trägt, sondern auch - die distinctio zwischen Schöpfung und Erlösung und ihre Implikationen vernachlässigend - die Erlösung als Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit begreift. Damit ist - wie auch bei Hirsch Tillichs Kommunikation des schöpferischen Handelns wie auch seine Kommunikation des erlösenden Handelns bestritten. (c) Schließlich ist bei Tillich - wie auch bei Hirsch - festzustellen, daß der Widerspruch Gottes (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) für den Charakter der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nicht ausreichend bedacht wird. Und wie bei Hirsch so ergibt sich bei Tillich dieses Defizit aus seiner Bestimmung der Sünde und seiner Auffassung der Versöhnung: Wird die Bedeutung der Sünde als Widerspruch gegen Gott verkannt, so auch die Bedeutung des Gesetzes als Gottes Widerspruch gegen den Widerspruch des Menschen gegen ihn in der Sünde. Und gerade weil das Gesetz als Widerspruch Gottes gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott in der Sünde verkannt wird, wird auch verkannt, daß die Erlösung bzw. Versöhnung kein ewiges Prinzip ist, das der Schöpfung immer schon zugrunde liegt, sondern die durch Gott in der Geschichte des Menschen Jesu von Nazareth vollzogene Überwindung seines Widerspruchs (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) ist. Indem Tillich Gottes Widerspruch (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) nicht ausreichend für den Charakter der Vernunft (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) bedenkt, entledigt er sich -

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wie auch Hirsch - der entscheidenden Frage nach dem Charakter der Vernunft (unter den Bedingungen der Entfremdung) bzw. nach dem Charakter des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins und damit der entscheidenden Frage, in welcher Weise die Verkündigung von Jesus als dem Christus auf die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit und ihrer Artikulation in der Vernunft des Menschen Bezug nehmen kann: Was bedeutet es für die apologetische Bemühung, daß in der gefallenen Welt Gottes Gesetz laut wird, daß die menschlichen Erfahrungen (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) Erfahrungen der Begegnung mit Gottes Gesetz sind, daß mithin die Vernunft bzw. das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein im Horizont des Gesetzes sich artikuliert? Die aufgetretenen Parallelen zwischen Hirschs Behauptung der (inhaltlichen) Identität von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein (und der damit verbundenen Ablehnung jeder Form der Apologetik) und Tillichs (apologetisch motivierter) Methode der Korrelation fördert den - auf den ersten Blick - merkwürdigen Sachverhalt zutage, daß die mit der Behauptung der (inhaltlichen) Identität von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein verbundene Ablehnung der Apologetik die gleichen Inhalte und Implikationen des Glaubensbewußtseins (und damit der Vierfachheit des Handelns Gottes und der in ihr vorausgesetzten Unterscheidungen) vernachlässigt wie die apologetische Methode der Korrelation, anders: daß die Ablehnung jeder Form der Apologetik durch die Behauptung der (inhaltliche) Identität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein auf den gleichen (zu kritisierenden) Prämissen beruht wie die apologetische Methode der Korrelation. Dieser Sachverhalt mutet aber nur auf den ersten Blick merkwürdig an; denn auch Tillichs Methode der Korrelation beruht - wie sich ebenfalls herausstellte - auf einer letzten Identität der biblischen Religion mit der Vernunft. Es zeigte sich, daß diese Identität durch die Behauptung der Identität von universalem und offenbarem Logos bei Tillich ontologisch fundiert ist 4 . 4

Es scheint mir für die Tillichforschung nicht unerheblich zu sein, daß die Prämissen der Tillichschen Methode der Korrelation identisch sind mit den Prämissen der Hirschschen Behauptung der inhaltlichen Identität von allgemeinmenschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein, mit anderen Worten: daß die Methode der Korrelation auf den Prämissen beruht, die die (inhaltliche) Identität von allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein behaupten. Von hier aus scheint mir die Behauptung nachdrücklich bestätigt zu sein, daß Tillichs Methode der Korrelation von einer „Identitätsprämisse" (Bayer, Theologie, S. 2 3 8 ) getragen ist.

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1.2.2 Der entscheidende Widerspruch Elerts: Der realdialektische Gegensatz von Gesetz und Evangelium und seine Bedeutung für die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Erfahrung des natürlichen Menschen und dem Inhalt der Botschaft von Jesus als dem Christus Geeint ist Eiert mit Tillich und Hirsch in dem Anliegen, die konkrete Lebenswirklichkeit des Menschen zum Gegenstand des theologischen Nachdenkens zu machen. Einen „Verzicht auf Anteilnahme am Gesamtleben" (Hirsch) ist Eiert ebenfalls nicht bereit zu leisten; die „ghettoartige Absonderung in einer für sich lebenden Sekte" (Hirsch) kommt auch für Eiert nicht in Frage. Wie für Tillich ist es auch für Eiert unerläßlich, sich die Fragen der Menschen „in der konkreten Dringlichkeit des natürlichen Lebens" 5 stellen zu lassen. Damit die Dogmatik nicht zum „Selbstgespräch der Theologie" 6 wird, öffnet sie Eiert bewußt für das externe Forum: Die Dogmatik hat nicht nur den „Theologen von Fach, sondern den Menschen anzusprechen, der von Natur ein Mensch ohne Glaube ist" 7 . Nun zeigte sich bereits, daß sowohl die Behauptung der (inhaltlichen) Identität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein wie auch die auf dieser Identitätsprämisse letztlich beruhende Methode der Korrelation wesentliche Gehalte des christlichen Glaubensbewußtseins außer Acht lassen. Galt gegen Hirsch und Tillich gleichermaßen die strukturelle Verkehrung der Sünde wie die Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung zur Geltung zu bringen, so zeigte sich bei beiden gleichermaßen, daß sie die Bedeutung des Gesetzes für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bzw. für die Vernunft (unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung) nicht in ausreichendem Maße bedenken und sich so der entscheidenden Frage entledigen, was es für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein bedeutet, daß in der (gefallenen) Schöpfung das Gesetz Gottes laut wird, d. h. daß die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit Erfahrungen des Gesetzes Gottes sind, ferner daß das allgemeinmenschliche Wahrheitsbewußtsein bzw. die Vernunft (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) sich im Horizont des Gesetzes artikuliert. Was heißt es für die Erfahrungen der (gefallenen) Schöpfung und der Vernunft (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung), daß in der (gefallenen) Schöpfung die Stimme des verurteilenden und verklagenden Gesetzes laut wird? Anders gefragt: Was heißt es für

5 6 7

Eiert, Karl Barths Index der verbotenen Bücher, S. 20. C G , S. 34. Ebd.

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die Auseinandersetzung des Evangeliums mit den existentiellen Erfahrungen des Daseins, daß die Erfahrungen des existentiellen Daseins Erfahrungen der Begegnung mit Gottes Gesetz sind, des Gesetzes, das dem Evangelium widerstreitet? Das große Verdienst der theologischen Reflexionen Elerts besteht gerade darin, sich der Frage nach der Bedeutung des Gesetzes für den Charakter der existentiellen Erfahrungen des Daseins gestellt zu haben. Eiert lehrt die geschöpfliche Wirklichkeit als gefallene Schöpfung zu verstehen; die gefallene Schöpfung aber bezeugt dem Menschen Gottes Gesetz und damit den göttlichen Zorn und die Schuld des Menschen. Die Erfahrungen der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit sind Gesetzeserfahrungen; die entfremdete Vernunft artikuliert sich nach Eiert im Horizont des Gesetzes. Damit aber vollzieht Eiert eine entscheidende Korrektur hinsichtlich des Charakters der Erfahrungen der Wirklichkeit: Nicht das Evangelium, sondern das Gesetz ist die Tiefendimension der Wirklichkeitserfahrungen des natürlichen Menschen. Gottes Gesetz nicht das Evangelium - ist das irreduzible Strukturmoment des Erfahrbaren. In Gesetz und Evangelium hat Gott aber - so Elerts markante These - zwei abgrundtief verschiedene Worte gesprochen, die nicht miteinander harmonisiert und zu einem Ausgleich gebracht werden können. Sind aber (a) Gesetz und Evangelium „widereinander wie Tod und Leben" 8 , bedeutet (b) dieser ,,Zwiespalt[] im Selbstzeugnis Gottes" 9 für Eiert den „Verzicht auf einen spekulativen Ausgleich zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes" 10 , ist (c) Gottes Gnade (das Evangelium) nur in der apostolischen Verkündigung des Lebens und Sterbens der Person Jesu von Nazareth vernehmbar, (d) Gottes Zorn (in seinem Gesetz) jedoch in der Gesamtwirklichkeit der Welt, 50 ist es die Spannung innerhalb des Wortes Gottes selbst, die Eiert dazu veranlaßt, auf jede Überleitung von dem Selbstverständnis des natürlichen Menschen auf das Evangelium zu verzichten. Die Erfahrungen des natürlichen Menschen und sein von ihnen her gewonnenes Selbstverständnis sind aus der Perspektive des Evangeliums Erfahrungen mit Gottes Gesetz, das Selbstverständnis des natürlichen Menschen ist ein Selbstverständnis, das sich im Horizont der Erfahrungen des Gesetzes artikuliert. Dem Gesetz aber kann das Evangelium nur entgegengesetzt werden. Der Tillichschen Korrelationsmethode wird somit von Eiert in ihren drei neuralgischen Punkten entschieden widersprochen:

8 s 10

Gnade, S. 169. CG, S. 2 3 1 . ML, S. 187.

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(a) Tillichs Transformation des versöhnenden Handelns Gottes von der Geschichte des Lebens und Sterbens der Person Jesu von Nazareth auf ein ewiges Prinzip wird von Eiert entschieden widersprochen: Gottes versöhnendes und erlösendes Handeln ist der geschöpflichen Wirklichkeit nicht als ewiges Prinzip eingegründet, sondern hängt unaufgebbar an Gottes Handeln in der Geschichte des Menschen Jesu von Nazareth. Ist bei Tillich die Rechtfertigung und Versöhnung in die Schöpfung eingegründet als Tiefendimension der Schöpfung, so daß die Erlösungserfahrung zu einer Tiefendimension der Schöpfungserfahrung wird, so erinnert Eiert daran, daß „Schöpfungsordnung und Gnadenordnung Gottes zweierlei" 11 sind, die Erfahrungen in der geschöpflichen Wirklichkeit somit innerhalb der Grenzen der Schöpfungsordnung bleiben. Der apologetischen Bezeugung des Christentums im Sinne der Mäeutik ist so deutlich widersprochen. (b) Doch Eiert bleibt nicht bei dem „zweierlei" von Schöpfung und Erlösung stehen; denn es gilt zu bedenken, daß die Wirklichkeit als gefallene Schöpfung zur Sprache zu bringen ist, in der Gottes Gesetz laut wird. Ist bei Tillich die Radikalität der Sünde als Widerspruch gegen Gott verkannt, so auch die Radikalität des Gesetzes als Gottes Widerspruch gegen den Widerspruch des Menschen gegen ihn in der Sünde (und damit auch die Versöhnung als reale - in der Geschichte geschehene - Überwindung des Widerspruchs Gottes (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde)). So wird die Frage nach dem Inhalt der Erfahrungen der Schöpfung Gottes (unter der Voraussetzung, daß das Geschehen der Versöhnung diesen Erfahrungen keinesfalls zugrunde liegt) von Eiert zugespitzt auf die Frage nach dem Inhalt der Erfahrungen der gefallenen Schöpfung, die gerade durch Gottes Gesetz ausgezeichnet ist. So gilt nicht nur dem „zweierlei" von Schöpfungsordnung und Erlösungsordnung und der damit verbundene Konsequenz, daß, gerade weil die Erlösung keinesfalls die Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit ist, die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit innerhalb der Schöpfungsordnung bleiben und daher keine Erkenntnis des erlösenden Handeln Gottes vermitteln, Rechnung zu tragen, sondern auch die - nirgendwo geringer als im Selbstzeugnis Gottes selbst begründete - Widersprüchlichkeit der Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit zu dem Inhalt des Evangeliums, Gottes versöhnender und erlösender Liebe, zu konstatieren. Gerade weil der Widerspruch zwischen den existentiellen Erfahrungen des Daseins und der Verkündigung von Jesus Christus als der 11

Eiert, Der Kampf um das Christentum, S. 4 8 9 .

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Manifestation der göttlichen Liebe in der Überwindung des Widerspruchs Gottes (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen (in der Sünde) nirgendwo anders begründet ist als im Zwiespalt des göttlichen Selbstzeugnisses, dieser Zwiespalt im göttlichen Selbstzeugnis aber zum Verzicht auf einen spekulativen Ausgleich zwischen dem Zorn und der Barmherzigkeit Gottes führt, kann die Apologetik auch nicht darauf zielen, die Erfahrungen mit dem göttlichen Gesetz „aufzuklären", indem sie diese Erfahrungen als Erweise der göttlichen Gnade zu verstehen lehrt. Vielmehr wird aus der Perspektive des Evangeliums das Gesetz bestätigt und zwar in seiner dem Evangelium widerstrebenden Macht, die im Evangelium überwunden wird. Insofern gibt es im Evangelium keine „Berichtigung" 12 . So bleibt auch für den Glaubenden die Existenzerfahrung ein Widerspruch gegen Gottes im Evangelium von Jesus Christus erfahrene Gnade: „Gesetz und Evangelium [...] widersprechen einander in sachlichem und bleibendem Widerstreit" 13 . Gerade hierin liegt der schärfste Widerspruch gegen Hirschs Behauptung der Identität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein und der auf dieser Identitätsprämisse beruhenden Methode der Korrelation 14 . (c) Zeigte sich, daß Tillich die Sünde nicht in ihrer Radikalität als Widerspruch gegen Gott ernst nimmt und daher der sündigen Verblendung der Vernunft hinsichtlich des schöpferischen Handelns Gottes nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt, so fragt Eiert nach der Konsequenz der sündigen Verblendung des Menschen für die Erkennbarkeit der gefallenen Schöpfung, in der Gottes Gesetz laut wird. Erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich nach Eiert das

12 13 14

ML I, S. 361. CG, 460. So ist in bezug auf Hirsch zu formulieren: (a) Das christliche Glaubensbewußtsein ist insofern „informativ" für das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein, als es gegenüber einem Verkennen des schöpferischen Handelns Gottes die Einsicht in Gottes schöpferisches Handeln präsentiert. (b) Der eigenständige Gehalt des christlichen Wahrheitsbewußtseins wurzelt darin, daß es als Bewußtsein der Erlösung gegenüber einem Erkennen der Schöpfung (auch dem wahren Erkennen der Schöpfung) das Wissen um die Erlösung geltend macht. (c) Der bleibende Widerstreit zwischen dem christlichen Glaubensbewußtsein und dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein liegt aber darin, daß das allgemein-menschliche Wahrheitsbewußtsein Niederschlag des göttlichen Gesetzes ist, das dem Evangelium widerstreitet.

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Gesetz als Gesetz. Zwar begegnet der Mensch aus theologischer Perspektive geurteilt in der Wirklichkeit der Welt als Gottes gefallener Schöpfung dem Gesetz, doch erschließt sich das Gesetz erst aus der Perspektive des Evangeliums als Gesetz. Die Todesordnung, die das Gesetz Gottes ist, ist für alle Menschen erfahrbar - als Teil der geschöpflichen Wirklichkeit - , aber erst aus der Perspektive des Evangeliums erschließt sich, daß diese Todesordnung Gottes Gesetz ist, das hier Gottes Todesurteil laut wird. So lehrt Eiert hinsichtlich der theologischen Rede von Gottes Gesetz zu unterscheiden zwischen der ratio cognoscendi (Gesetzeserkenntnis) und der ratio essendi (Gesetz als Todesverhängnis, dem der natürliche Mensch begegnet). Eiert versucht keineswegs, in dem Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen das Gesetz als Gesetz Gottes einsichtig zu machen, d. h. Eiert versucht keinesfalls die existentiellen Erfahrungen des Daseins auf die Einsicht in Gottes Gesetz (als Gottes Gesetz) hin zu vertiefen, vielmehr intendiert Eiert in seiner Analyse des Menschen „unter der Verborgenheit Gottes", ausschließlich die Wirkung des Gesetzes einzuschärfen und damit die Lage des menschlichen Daseins als dem Tod verfallenes Daseins einsichtig zu machen. So werden die existentiellen Erfahrungen des Daseins weder auf das Evangelium vertieft (da es den existentiellen Erfahrungen des Daseins nicht zugrunde liegt), noch auf das Gesetz (da unter den Bedingungen der Entfremdung das Gesetz Gottes als Gesetz Gottes verkannt wird), sondern auf die Todverfallenheit des Daseins (als einem universellen Verhängnis der - gefallenen - geschöpflichen Wirklichkeit, dem keiner entrinnen kann, weder der Wissende noch der Unwissende). Aus diesem Grunde intendiert Eiert in seiner Analyse des „Selbstverständnisses des Menschen unter der Verborgenheit Gottes" den Aufweis, daß jedes natürlich-menschliche Selbst- und Weltverständnis in letzter Konsequenz vor dem Todesverhängnis des Daseins kapitulieren muß. Dies versucht Eiert gerade dadurch zu erreichen, daß er die unterschiedlichen optimistischen Formen des Selbstverständnisses des natürlichen Menschen entlarvt, indem er zeigt, daß diese vor der Faktizität der Wirklichkeit, der Todverfallenheit des Daseins, die Augen verschließen. Sind (a) die existentiellen Erfahrungen des Daseins als Erfahrungen mit der Ordnung des Gesetzes zu bestimmen, wird aber (b) erst aus der Perspektive des Glaubens das Gesetz als Gesetz Gottes erkannt, so ist es konsequent, daß nach Eiert die existentiellen Erfahrungen des Daseins aus der Perspektive des Evangeliums radikalisiert werden: Es ist Gott selbst, der (in seinem Gesetz) die Todesordnung verhängt hat. Nun ist in unserer Darstellung des Elertschen „Modells der Diastase" auch dieses nicht unwidersprochen geblieben. Hat Eiert gegenüber einer

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Gesetzesvergessenheit zu Recht die Faktizität des Gesetzes und ihre Konsequenzen für den Charakter der existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen eingeschärft und hieraus seine Folgerungen für die Bezugnahme der Verkündigung auf die existentiellen Erfahrungen des Daseins gezogen, so kann nicht übersehen werden, daß Elerts Interesse, die Wirklichkeit als Gesetzeswirklichkeit zur Sprache zu bringen, den Charakter der Wirklichkeit als Gottes (bleibende) Schöpfung vernachlässigt. Gott - so galt es gegen Eiert zu betonen - ist in der geschöpflichen Wirklichkeit nicht nur gegenwärtig als der die Sünde verdammende, sondern auch als der das Dasein gewährende. Ebenso zeigte sich, daß Eiert den Bezug des Gesetzes auf die menschliche Sünde als Schuld unterbelichtet und das Gesetz so als ein tragisches Element der geschöpflichen Wirklichkeit erscheinen läßt. Gegen Eiert galt es daher zu betonen, daß die durch das Gesetz bestimmte Struktur der Wirklichkeit eine solche ist, die bestimmten Formen des ontisch-existentiellen Daseins widerspricht. Hierauf wird im folgenden noch zurückzukommen sein. Elerts theologische Reflexionen bleiben aber ein bedeutender Beitrag zur Apologetik, weil sie nicht nur der Erörterung des realdialektischen Gegensatzes von Gesetz und Evangelium gebührend Raum geben, sondern auch die Konsequenzen dieser Unterscheidung für den Charakter der existentiellen Erfahrungen des natürlichen Menschen und für die Bezugnahme der apologetischen Verkündigung von Gottes Evangelium auf die existentiellen Erfahrungen bedenken. Die Frage, was es bedeutet, daß die Erfahrungen des existentiellen Daseins Erfahrungen des Gesetzes sind, das dem Evangelium widerstrebt, eröffnet die eigentliche Problematik jedes Versuches einer Apologetik. Die Apologetik kann sich nicht jenseits der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bewegen, sondern sie empfängt von dieser Unterscheidung die Aufgabe, die Form der Apologetik bestimmt sein zu lassen. 1.2.3 Der gescheiterte Versuch der Vermittlung (Althaus) Althaus' Methode der Anknüpfung ist zu begreifen als der Versuch, eine vermittelnde Position zwischen (a) der Methode der Korrelation Tillichs und (b) Elerts Methode der diastatischen Entgegensetzung einzunehmen. Ad a: Ist Tillichs Methode der Korrelation durch die Prämisse der letzten Einheit von Offenbarung und Vernunft ermöglicht, indem Gottes versöhnendes Handeln als ewiges Prinzip der Wirklichkeit gefaßt wird, so ist Althaus darum bemüht, den geschichtlich kontingenten Charakter der Versöhnung ernst zu nehmen: Jesus Christus - so Althaus - bringt keine allgemeine - ewig geltende - Wahrheit zum Ausdruck, sondern

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eine neue Tat Gottes. Jesus Christus ist nicht bloß Symbol der Wahrheit, sondern selbst die Wahrheit, nämlich die „Wirklichkeit der Liebes-Tat Gottes" 15 . Daher ist Jesus Christus in seiner sakramentalen Bedeutung ernst zu nehmen: Der Tod Jesu ist die Setzung eines neuen Gottesverhältnisses, so daß man „die Versöhnung von dem ,einmal' seines Todesopfers" 16 nicht lösen kann. Der christlichen Botschaft eignet deshalb in Hinsicht auf Gottes Handeln in Christus der Charakter des Kerygmas: Gottes versöhnendes Handeln ist nicht innerhalb der existentiellen Erfahrungen des geschöpflichen Daseins zu erfahren, sondern als Kunde von einem geschichtlich kontingenten Geschehen muß man sich Gottes neue Tat in Christus gesagt sein lassen. Wie Eiert so bringt auch Althaus (von gelegentlichen Verirrungen einmal abgesehen) die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und seinem erlösenden Handeln in der Frage nach der apologetischen Bezeugung des christlichen Glaubens zur Geltung: Die Erfahrungen des existentiellen Daseins bleiben innerhalb der Schöpfungsordnung, der die Erlösungsordnung in keiner Weise zugrunde liegt. Gottes versöhnendes Handeln kann daher nicht mäeutisch erfragt werden. So unterscheidet Althaus die Schöpfung von der Erlösung - verfällt somit weder in das epochelose Denken Barths noch in das Tillichs - , sieht aber ihre Unterschiedenheit ausschließlich in der Form; denn Althaus will von der Liebe und Gnade nicht erst bei Gottes Erlösungswerk sprechen, sondern auch von der Liebe und Gnade des Schöpfers. Damit parallelisiert Althaus die Schöpfungsgnade mit der versöhnenden Gnade Gottes am Kreuz als unterschiedliche Formen des einen Wortes Gottes. Diese Behauptung übersieht jedoch - so ist gegen Althaus zu betonen den unterschiedlichen Charakter von Schöpfung und Erlösung, der gerade darin besteht, daß - anders als die Erlösung - die Schöpfung die Möglichkeitsbedingung auch für die Sünde und das Gesetz ist. Gerade hierin - so zeigte sich - liegt der entscheidende Grund, nicht nur die zeitliche Unterschiedenheit von Schöpfung und Erlösung festzuhalten, der entscheidende Grund auch mithin dafür, die Erlösung (Gottes die Sünde überwindendes Handeln) nicht bloß von ihrer - eben durch die Sünde bedingten - Form her von der Schöpfung zu unterscheiden. Hat sich in unserer Untersuchung gezeigt, daß nicht nur eine zeitliche Unterschiedenheit von Schöpfung und Erlösung und eine Unterschiedenheit hinsichtlich der Form von Schöpfung und Erlösung festzuhalten ist, weil sich zeigte, daß die Schöpfung die Ermöglichung von Evangelium und Gesetz ist, ist hierbei der unaufhebbare Widerstreit zwischen Gesetz 15 16

GD, S. 50. Ders., Missions- und Religionsgeschichte, S. 174.

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und Evangelium vorausgesetzt, so ist es konsequent, daß Althaus' rein formale und zeitliche Unterscheidung von Schöpfung und Erlösung voraussetzen muß, daß auch Gesetz und Evangelium keinen unaufhebbaren Widerstreit für glaubendes Erkennen bilden 17 . Ad b: Ist Elerts diastatische Entgegensetzung der Botschaft von Gottes Gnade in Christus und der existentiellen Erfahrungen des Daseins nirgendwo anders als im „Zwiespalt im Selbstzeugnis Gottes" begründet, so wird gerade dieser Einsicht von Althaus widersprochen. Gottes Zorn (im Gesetz) über den Sünder wird nicht in seiner Widerständigkeit zu Gottes vergebender Liebe (im Evangelium) zu verstehen gelehrt, sondern als Ausdruck der Liebe Gottes gelehrt. Ist für Eiert der Verzicht auf eine Überleitung von den existentiellen Erfahrungen des Menschen zur Botschaft von Gottes Handeln in Jesus Christus in der Zweiheit des Wortes Gottes begründet, so begründet für Althaus gerade die Einheit des Wortes Gottes die Überleitung. Doch auch Althaus erkennt einen Ort, an dem die Unterscheidung zwischen Gottes Zorn und Gnade berechtigt ist. So wird nur in Christus Gottes Gnade und Gottes Zorn als ein Wort Gottes erkannt, d. h. nur der Glaubende vermag den Zorn als Ausdruck der göttlichen Gnade zu sehen, aber außerhalb des Glaubens erscheint diese Einheit nicht. Elerts Realdialektik wird so zu einer Dialektik innerhalb der natürlich-menschlichen Erfahrung abgeflacht. Was außerhalb des Vertrauens auf das Evangelium als Widerspruch erscheint und erfahren wird, erschließt sich erst aus der Perspektive des Glaubens als Einheit. Darin unterscheidet sich Althaus fundamental von Eiert, der von einem bleibenden Widerspruch ausgeht und aufgrund des „Zwiespaltes im göttlichen Selbstzeugnis" jede „Beschwichtigung" aus der Perspektive des Evangeliums ablehnt. Die Einheit des Wortes Gottes begründet für Althaus die Methode der „Anknüpfung" des Kerygmas von Gottes versöhnendem Handeln in Christus an die existentiellen Erfahrungen des Daseins; denn wird (a) nach Althaus in der geschöpflichen Wirklichkeit Gottes schöpferisches Handeln und Gottes gesetzgebendes Handeln offenbar (Uroffenbarung),

17

Damit macht gerade der Ansatz von Althaus, Schöpfung und Erlösung zwar nicht zu identifizieren und die Erlösung der Schöpfung zeitlich nachzuordnen, jedoch Schöpfung und Erlösung ausschließlich hinsichtlich ihrer (durch die Sünde bedingten) Form und zeitlichen Erscheinung zu unterscheiden, deutlich: Die zeitliche u n d formale Unterschiedenheit der Schöpfung von der Erlösung ergibt sich aus dem kontingenten Charakter der Sünde (und dem kontingentgeschichtlichen Charakter der Versöhnung). Die „inhaltliche" Unterschiedenheit ergibt sich allererst durch die (angemessene) Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.

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sind aber (b) Gottes schöpferisches Wort und sein gesetzgebendes Wort gleichermaßen Ausdruck des göttlichen (Liebes)wortes wie Gottes versöhnendes Wort in Christus (nur hinsichtlich ihrer Form und ihrer zeitlichen Erscheinung unterschieden), dann kann die im Evangelium bezeugte Liebe Gottes an die Erfahrungen des Erweises der göttlichen Liebe in der Schöpfung und dem Gesetz anknüpfen. Der Mensch erkennt in Christus das Wort Gottes, welches er - wenn auch in einer anderen Form - in der Uroffenbarung vernommen hat. Die Gotteserkenntnis ist somit Anamnesis. Weil die Christusoffenbarung an die Uroffenbarung anknüpft, folgert Althaus eine Priorität des Schöpfungsglaubens. Der Schöpfungsglaube kann nicht christologisch begründet werden, vielmehr begründet der Glaube an die Schöpfung den Glauben an Christus. Weil aber nach Althaus erst in Christus die Uroffenbarung richtig erkannt wird, muß der Mensch zur Wahrnehmung der Uroffenbarung allererst bekehrt werden. Damit die Gotteserkenntnis Anamnesis sein kann, muß^ zunächst auf das ursprüngliche Wissen von Gott hingewiesen werden. So gibt Althaus in seiner Uroffenbarungslehre Hinweise auf Gottes ursprüngliche Bezogenheit auf den Menschen. Soll der Mensch in Christus die Stimme Gottes wiedererkennen, auf die er in der Schöpfungsoffenbarung hingewiesen wurde, so ist es für Althaus unabdingbar, daß es eindeutige Hinweise auf Gottes schöpferische Güte gibt. Nun zeigte sich, daß Althaus' Methode der Anknüpfung zum einen problematische Voraussetzungen besitzt (a), zum anderen aber trotz dieser problematischen Voraussetzungen über Elerts Modell der Diastase nicht hinauskommt (b). Ad a: Die problematischen Voraussetzungen der Methode der Anknüpfung wurden schon namhaft gemacht: (aa) Gottes schöpferische Güte wird mit Gottes versöhnender Liebe parallelisiert, indem sie beide als Ausdruck des unveränderlichen Liebeswillens Gottes begriffen werden. (bb) Gottes Zorn (im Gesetz) wird als Ausdruck der im Evangelium erschienenen Liebe Gottes interpretiert. (cc) Weil nach Althaus unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung die Uroffenbarung (besonders die schöpferische Güte Gottes, an die Althaus anzuknüpfen intendiert) verstellt ist, gibt er Hinweise auf die Uroffenbarung aus der Perspektive des Evangeliums. So sollen zunächst Hinweise gegeben werden, die zum Glauben an Gott den Schöpfer führen, da die Erkenntnis Gottes als Schöpfer die hermeneutische Vorbedingung für die Annahme des Christusgeschehens ist, die sich als Anamnesis gestaltet. Damit zeigt Althaus aber eine problematische Unterbestimmung der Konsequenz der sündhaften Verblendung für das natür-

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lich-menschliche Erkennen. Besteht die Sünde gerade in einem solchen Widerspruch gegen Gott, der nur durch das Wirken des Geistes aufgehoben werden kann, so verlangt Althaus nichts Geringeres, als diesen Widerspruch gegen Gott aufzugeben als Vorbedingung des Glaubens. Ad b: Trotz dieser Voraussetzungen gelingt es Althaus aber nicht, über Elerts Modell der Diastase wirklich hinauszukommen: Zwar widerspricht Althaus einem realdialektischen Gegensatz, doch existiert dieser Gegensatz für Althaus auf der Ebene des natürlich-menschlichen Erkennens. So muß Althaus sowohl Hinweise auf Gottes gütiges Sich-Bezeugen (in der Schöpfung) geben als auch Hinweise auf Gottes Sich-Entziehen (im Gesetz). Daher bleiben die Hinweise von Althaus stehen vor dem „Widerspruch von Daseinswürde und Daseinsnot" 18 .

2. Folgerungen Die Analyse der Behauptung der (inhaltlichen) Identität des christlichen Glaubensbewußtseins mit dem allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtsein (bei einer ausschließlich formalen Unterscheidung, d. h. einer Unterscheidung ausschließlich hinsichtlich der Erkenntnisart, nicht des Erkenntnisinhaltes) (Hirsch) wie die Analyse der (apologetischen) Methode der Korrelation (Tillich) und der Methode der Anknüpfung (Althaus) hat gezeigt, daß diese Methoden der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes nicht in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Aber auch die Analyse der diastatischen Entgegensetzung (Eiert) - so zeigte sich - trägt der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Im folgenden gilt es, anhand der untersuchten Konzeptionen die Probleme der apologetischen Aufgabe herauszuarbeiten, die sich aus einer differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes ergeben. Es gilt, sowohl die Unterscheidungen herauszuarbeiten, die innerhalb der Apologetik nicht überspielt werden dürfen - die Unterscheidung zwischen Heilsgegenwart und Weltgegenwart Gottes (2.1) sowie die Unterscheidung zwischen der Weltgegenwart Gottes und dem natürlich-menschlichen Erkennen der Weltgegenwart Gottes (2.2) - , als auch zu zeigen, welche Aufgabe der Apologetik aufgrund dieser Unterscheidungen erwächst (2.3).

18

C h W I , S. 110.

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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2.1 Die Unterscheidung zwischen Weltgegenwart und Heilsgegenwart Gottes Welches Handeln - so ist im Interesse einer differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes zu fragen - , liegt der geschöpflichen Wirklichkeit überhaupt zugrunde? Gegen Konzeptionen, die die Versöhnung von Gottes geschichtlicher Tat in Jesus von Nazareth auf eine ewige Wahrheit transponieren (Hirsch/Tillich), die damit die Versöhnung als Tiefendimension der geschöpflichen Wirklichkeit begreifen (sei es eine - durch die Sünde - verdeckte Tiefendimension, die sich nur noch in Kultus und Mythos Ausdruck verschafft (Tillich), sei es eine transparente Tiefendimension, die allerdings zwar denkerisch gefaßt und postuliert, aber nicht zur persönlichen Gewißheit zu werden vermag (Hirsch)), leitet Althaus dazu an, zu unterscheiden zwischen den Handlungsweisen Gottes, die als Konstituens der geschöpflichen Wirklichkeit zugrunde liegen - und die daher Objekt der allgemein-menschlichen Erfahrung sein können - und der Handlungsweise Gottes, die gerade nicht der geschöpflichen Wirklichkeit (als Prinzip oder Tiefe) immer schon zugrunde liegt: Weil Gottes Wort in Christus ein kontingent-geschichtliches Geschehen ist, d. h. weil die Versöhnung an die konkrete Geschichte des Menschen Jesus von Nazareth gebunden ist, liegt die Versöhnung der geschöpflichen Wirklichkeit keineswegs als ewiges Prinzip oder Strukturelement zugrunde. Die in Christus vollbrachte Versöhnung ist keinesfalls Gegenstand der Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit (insofern es nicht durch den Geist erschlossene Erfahrungen der speziellen Geschichte und Tat Jesu Christi in der geschöpflichen Wirklichkeit sind), die Versöhnung kann daher nicht aus den allgemeinen Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit herausexegesiert werden. So kann nach Althaus Gottes versöhnendes Handeln keinesfalls mäeutisch erfragt werden, sondern muß als Kerygma verkündet werden: Ist die Versöhnung an eine konkrete Geschichte gebunden, dann ist sie nicht innerhalb der (allgemeinen) geschöpflichen Wirklichkeit zu erfahren, sondern kann nur als Kunde von einem besonderen geschichtlichen Ereignis verkündet werden. Damit ist die Versöhnung unterschieden von Gottes Schöpfung und seinem Gesetz, die Charakteristika der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit sind. Von daher unterscheidet Althaus zwischen zwei Funktionen der Christusoffenbarung: Insofern die Offenbarung in Christus sowohl Gottes Versöhnung erschließt als auch - als Voraussetzung des versöhnenden Handelns - Gottes schöpferisches und gesetzgebendes Handeln, erschließt sie sowohl etwas, was der geschöpflichen Wirklichkeit nicht (immer schon) zugrunde liegt, sondern in der Geschichte des

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Zwischen Diastase und Korrelation

Lebens und Sterbens Jesu von Nazareth allererst konstituiert wird (Versöhnung), als auch etwas, das der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit bereits zugrunde liegt (Gottes Schöpfung und sein Gesetz). Gegenstand der allgemeinen Erfahrungen innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit ist somit Gottes Gesetz und Gottes Schöpfung, nicht aber Gottes Versöhnung! Gottes Schöpfung und Gottes Gesetz, nicht aber die Versöhnung, sind die Tiefendimensionen der geschöpflichen Wirklichkeit. Die - in theologischer Perspektive - gestellte Frage nach den Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit kann nicht davon absehen, daß die geschöpfliche Wirklichkeit die gefallene Schöpfung ist, in der neben Gottes schöpferischem Wort als der Konstitutionsbedingung des Lebens auch Gottes Gesetz als Verurteilung der menschlichen Sünde laut wird: Die geschöpfliche Wirklichkeit als Gottes gefallene Schöpfung ernst zu nehmen, heißt sie als die von Gottes Gesetz umspannte Schöpfung ernst zu nehmen. Diese Einsicht gilt es gegen zwei Fronten zu betonen: Gegen ein Verkennen des den Sünder verklagenden und ihn dem Tod überantwortenden Gesetzes als Charakteristikum der geschöpflichen Wirklichkeit (Hirsch, Tillich) ist dies ebenso zu betonen wie gegen Eiert, der Gottes schöpferisches Handeln verdrängt, indem er die Erfahrungen des Daseins ausschließlich als Erfahrungen des göttlichen Gesetzes beschreibt. Damit - dies sei ausdrücklich betont - ist nichts über die natürliche Erkenntnis der geschöpflichen Wirklichkeit (als der von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung) behauptet, sondern ausschließlich - in ontologischer Hinsicht - behauptet, daß Schöpfung und Gesetz die Charakteristika der geschöpflichen Wirklichkeit, in die der natürliche Mensch hineingestellt ist, sind, daß sich das Erkennen des natürlichen Menschen damit - ob er es weiß oder nicht - innerhalb der von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung bewegt. Ob die natürliche Vernunft es durchschaut oder nicht, aus theologischer Perspektive geurteilt bewegt sie sich faktisch im Horizont des in der Schöpfung laut werdenden Gesetzes Gottes. Das Gesetz Gottes ist Gottes Schulderklärung und Todesurteil, das den Menschen trifft, sowohl, ob er darum nun weiß, daß hier Gottes Todesurteil laut wird oder nicht, als auch ob er überhaupt darum weiß, daß sein Dasein ein dem Tode verfallenes Dasein ist oder nicht; die Schöpfung Gottes ist Gottes Dasein gewährendes Handeln, sowohl, ob der Mensch nun weiß, daß er Gottes Dasein gewährendem Handeln sein Leben verdankt oder nicht, als auch, ob er überhaupt um die Dasein gewährende Struktur der geschöpflichen Wirklichkeit weiß oder nicht. Die differenzierte Bestimmung des Handelns Gottes impliziert so zunächst eine rein ontologische Behauptung, indem sie sowohl Gottes schöpferisches Handeln als auch sein gesetzgebendes Handeln als Cha-

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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rakteristika der Wirklichkeit erblickt. Freilich ist mit dieser Behauptung nicht behauptet, die geschöpfliche Wirklichkeit vollständig erfaßt zu haben; denn es ist a u c h u m Gottes verborgene G e g e n w a r t zu wissen und damit d a r u m zu wissen, d a ß a u c h aus der Perspektive des Glaubens Gottes W e l t g e g e n w a r t nicht nur durch die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischer G e g e n w a r t in der W e l t und Gottes gesetzgebender Gegenwart in der W e l t zu bestimmen ist. Ist Gottes W e l t g e g e n w a r t bestimmt durch sein schöpferisches und sein gesetzgebendes H a n d e l n , so hat dies zur Folge: (1) Die Versöhnung liegt der allgemeinen geschöpflichen Wirklichkeit nicht zugrunde. D a n n ist nicht nur der Behauptung der Einheit v o n allgemein-menschlichem Wahrheitsbewußtsein und christlichem Glaubensbewußtsein (Hirsch) und der auf dieser Identitätsprämisse beruhenden M e t h o d e der Korrelation (Tillich) zu widersprechen, sondern es ist grundsätzlich zu formulieren: W a s immer m a n über die natürliche T h e o logie zu sagen hat, fest steht: Eine theologia crucis naturalis kann es nicht geben (gegen B a r t h ) 1 9 . Vielmehr ist zu unterscheiden zwischen

19

Ich spreche hiermit den Problemhorizont an, der in Barths sog. „Lichterlehre" hervortritt (Vgl. KD IV/3, S. 40ff). Jesus Christus, als das eine Wort Gottes, ist für Barth der wahrhafte, einzige Zeuge, das eine und einzige Licht des Lebens: „Jesus Christus ist das Licht des Lebens. Heben wir dieses ,das' hervor, so sagen wir: er ist das eine, das einzige Licht des Lebens. Wir sagen damit positiv: er ist das Licht des Lebens in seiner Fülle, in vollkommener Genügsamkeit - und kritisch: es gibt kein Licht des Lebens außer und neben dem seinigen, außer und neben dem Licht, das Er ist" (KD IV/3, S. 95). Zu dem einen Wort Gottes in Christus gibt es keine Konkurrenz (vgl. KD IV/3, S. U l f ) , ebensowenig ist es mit anderen, von ihm unabhängigen Worten, zu kombinieren (vgl. KD IV/3, S. 112f). Doch betont Barth in diesem Zusammenhang: „Daß Jesus Christus das eine Wort Gottes ist, heißt nicht, daß es nicht - in der Bibel, in der Kirche und in der Welt - auch andere, in ihrer Weise auch bemerkenswerte Worte - andere, in ihrer Weise auch helle Lichter - andere, in ihrer Weise auch reale Offenbarungen gebe. Da sind ja eben die Propheten des Alten und die Apostel des Neuen Testaments. Da gibt es ja gewiß auch eine Prophetie und einen Apostolat der Kirche. Aber warum sollte es nicht auch weltliche Propheten und Apostel aller Art und aller Größenordnung geben können? [...] Und auch das folgt nicht aus unserem Satz, daß alle außerhalb des biblisch-kirchlichen Kreises gesprochenen Worte als solche wertlos oder gar als Worte unechter Prophetie nichtig und verkehrt, alle dort aufgehenden und scheinenden Lichter als solche Irrlichter, alle dort sich vollziehenden Offenbarungen als solche falsch sein müßten" (KD IV/3, S. 107f). „Darum und in diesem Sinne ist Jesus Christus das eine, das einzige Wort Gottes: nicht das einzige Wort, auch nicht das einzige gute Wort, aber das eine, einzige Wort, das, weil unmittelbar von Gott selbst gesprochen, so gut ist wie Gott selber und also Gottes eigene Autorität und Macht hat, zu hören ist, wie Gott selber: das Wort, das alle menschlichen Worte, auch die

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Zwischen Diastase u n d Korrelation

besten, nur eben direkt oder indirekt bezeugen, nicht aber wiederholen, nicht ersetzen, mit dem sie nicht konkurrieren können, so daß ihre eigene Güte und Autorität sich schlechterdings daran ermißt, ob und in welcher Treue sie die Zeugen dieses einen Wortes sind" (KD I V / 3 , S. 109). Damit will Barth die alte natürliche Theologie (oder besser, was er unter natürliche Theologie versteht) keinesfalls repristinieren. „Nach jenen formalen und abstrakten Mitteilungen über Gottes Existenz als höchstes Wesen und Schöpfer und Regierer aller Dinge und des Menschen Verantwortlichkeit ihm gegenüber, wie man sie auf den Wegen natürlicher Theologie' abseits von Schrift und Kirche gewinnen zu können meint, ist ja hier nicht gefragt, sondern nach solchen Bezeugungen der Selbstmitteilung des als Vater im Sohn durch den Heiligen Geist handelnden Gottes, die sich als solche durch ihre volle Übereinstimmung mit dem in der Schrift vorliegenden und von der Kirche aufgenommenen und weiterzugebenden Zeugnis erweisen, die sich also sachlich an diesem messen, mit ihm vergleichen lassen. Es geht um Worte, die wie die der Schrift und der Kirche als .Gleichnisse des Himmelreichs' anzusprechen sind" (KD I V / 3 , S. 131). Barth will „den sicheren Boden der Cbristologie nicht [verlassen]" (ebd.) und so rühmt er später im Blick auf seine Kritik an der - von ihm selbst gewitterten - natürlichen Theologie Brunners und seine eigenen Ausführungen in der „Lichterlehre" nicht ohne Stolz: „Später holte ich dann die theologia naturalis via Christologie wieder herein. Heute würde meine Kritik anders lauten: M a n muß es nur anders, eben christologisch sagen" (ders., Ein Gespräch mit der Brüdergemeine, S. 8). Von dem einen wahren Wort in Christus (nicht von einem anderen Reflexionspunkt aus) lassen sich auch andere Worte erkennen, dieses eine wahre Licht läßt auch andere Lichter erstrahlen. N u n ist sicherlich auffällig - Barth bemerkt es selbst - , daß „bei der ganzen Entfaltung des Problems dieser ,anderen Worte' kein einziges Beispiel angeführt [...] w u r d e " (KD I V / 3 , S. 152). Diesen auffälligen Sachverhalt begründet Barth in dem prinzipiellen Charakter seiner Überlegungen: „Was wir hier versuchten, war aber eine grundsätzliche Untersuchung der Frage, ob und inwiefern mit wahren Worten dieser Art theoretisch und praktisch zu rechnen sein möchte" (ebd.). Gerade in ihren prinzipiellen Erwägungen liegen auch die Schwierigkeiten der „Lichterlehre" Barths begründet. Der Gedankengang ist folgender: (1) Barth möchte Jesus Christus als ratio cognoscendi, als Erkenntnisprinzip, der theologischen Reflexion zu Geltung bringen. Die geschöpfliche Wirklichkeit ist von der in Jesus Christus geschehenen Versöhnung her zu interpretieren, nicht die Versöhnung von der geschöpflichen Wirklichkeit her. (2) Diese noedsche Intention wird von Barth in der Weise ontologisch fundiert, daß Jesus Christus als ratio essendi behauptet wird. Die geschichtliche Wirklichkeit wird in Jesus Christus allererst konstituiert. Jesus Christus ist daher sowohl in noetischer als auch ontologischer Hinsicht das eine W o r t Gottes, präziser: Weil Jesus Christus in ontologischer Hinsicht das eine Wort Gottes ist, deshalb ist er es auch in noetischer Hinsicht. (3) Ist Jesus Christus der Seinsgrund des menschlichen Seins, dann kann die geschöpfliche Wirklichkeit ausschließlich in der Erscheinung ihres Grundes erkannt werden. (4) Ist Jesus Christus aber die ratio essendi, der Seinsgrund der geschöpflichen Wirklichkeit, dann liegt Jesus Christus der geschöpflichen Wirklichkeit - als ihr Grund - zugrunde. Von dieser Prämisse aus ist Barths „Lichterlehre" allererst

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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Gottes Weltgegenwart und seiner Heilsgegenwart (gegen Herms) 20 . Angesichts der fundamentalen Unterscheidung zwischen Gottes Welt-

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möglich, sie gibt sich mit innerer Konsequenz (vgl. Punkt 1-3) aus seinem monistischen Ansatz. Gerade diese Prämisse gilt es aber entschieden zu bestreiten. Das Kreuz ist kein (verdecktes) Strukturprinzip der Wirklichkeit. Die geschöpfliche Wirklichkeit ist charakterisiert durch Schöpfung und Gesetz, nicht durch Gottes Gnadenwort in Jesus Christus. Demgegenüber - so Peters zu Recht in seiner Analyse der Bartschen Auslegung von Rom 1, 18-3, 20 (vgl. KD IV/1, S. 343ff) - gibt Barth der Erfahrung innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit „Anteil am Evangelium" (Peters, Gesetz und Evangelium, S. 134), indem er die „heilsgeschichtliche Dynamik auf das Evangelium hin ein[ebnet]" (a. a. O., S. 135). Von daher zeigt die „Lichterlehre" nicht „den Weg, auf dem es zu einer theologisch verantworteten Weltwahrnehmung kommen k a n n " (gegen Bubmann, Fundamentalethik als Theorie der Freiheit, S. 75). Der Weg zu einer theologisch verantworteten Weltwahrnehmung kann nur beschritten werden, wenn zwischen Weltgegenwart Gottes und Heilsgegenwart Gottes angemessen differenziert wird. Dann ist aber zur Geltung zu bringen, daß auch aus der Perspektive des Glaubens die Erfahrungen und Wahrnehmungen innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit nicht mit dem Gnadenhandeln Gottes in Christus identifiziert werden können. Aus diesem Grund ist auch Herms' Verständnis der im christlichen Glauben zu artikulierenden Erfahrung der Kritik zu unterziehen: „Theologie" - so Herms - „konstituiert sich im ganzen als eine Erfahrungswissenschaft" (ders., Theologie - eine Erfahrungswissenschaft, S. 25), sie findet „in der erfahrbaren Welt des geschichtlich gegenwärtigen Christentums ihren Gegenstand" (a. a. O., S. 72). Als Erfahrungswissenschaft ist die Theologie strukturgleich mit anderen Wissenschaften, sie hat aber einen „spezifischen, die individuelle Identität von Theologie im Kreise der Erfahrungswissenschaften sichernden Gegenstandsbereich, dessen theo-logische Qualität kategorial begründet ist" (a. a. O., S. 73). Die Bedingung für die Notwendigkeit der Theologie als einer irreduziblen erfahrungswissenschaftlichen Disziplin besteht nach Herms darin, „daß das Erfahrbare als solches derart verfaßt ist, daß als eines seiner irreduziblen Strukturmomente [...] die existenzmäßige Angewiesenheit auf Transzendenz [zählt]" (a. a. O., S. 75). „Der Nachweis jenes Strukturmomentes der ,Geschöpflichkeit' in der Verfassung des Erfahrbaren bloß als solchen, und nur er, ist der Nachweis der Notwendigkeit einer solchen theologischen Theorie" (ebd.). Theologie thematisiert „Erfahrungsmaterial unter dem Gesichtspunkt seiner Geschöpflichkeit" (a. a. O., S. 76). So gilt für Herms zusammenfassend: „Notwendig als eine selbständig szientifische Theorie ist Theologie unter der Bedingung, daß die irreduzible Eigenart dieser Erfahrungsbasis aufgrund ihrer Konstitution im Lichte der metaphysischen Notwendigkeit a) der Existenzabhängigkeit (,schlechthinnige Abhängigkeit' oder ,Geschöpflichkeit') des Erfahrbaren und b) seiner notwendigen Religiosität (= deutende Auseinandersetzung mit jenem Strukturmoment seiner Existenz) re vera besteht" (a. a. O., S. 79). Deutlich ist somit: Die Theologie erfährt ihre Begründung bei Herms durch den Sachverhalt, daß das Erfahrbare geschöpflich verfaßt ist und die geschöpfliche Verfassung des Erfahrbaren ihrer Deutung fähig ist. Aus dem Blick aber gerät, daß die Theologie nicht nur die geschöpfliche Verfassung des Erfahr-

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gegenwart und Gottes Heilsgegenwart greift auch die Konzeption der „Erfahrung mit der Erfahrung" entschieden zu kurz und erweist sich der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes gegenüber als wesentlich zu undifferenziert (gegen Jüngel) 2 1 . baren zu reflektieren hat, mithin Gottes schöpferische Bezogenheit auf die Dinge der Welt, sondern auch seine erlösende Bezogenheit auf die Welt in Jesus Christus. Wenn man diesen Einwand ernst nimmt, wird man schon die Grundentscheidung Herms' nicht mit tragen können; denn bei der erlösenden Beziehung handelt es sich keineswegs um ein irreduzibles Strukturmoment alles Erfahrbaren. Unsere Kritik an der Position Herms' läßt sich verdeutlichen anhand Herms' kritischer Auseinandersetzung mit der Position Hirschs (vgl. hierzu Teil 2: Kap. 1.6.2.). Hirschs Behauptung einer (inhaltlichen) Identität des allgemein-menschlichen Wahrheitsbewußtseins mit dem christlichen Glaubensbewußtsein hält Herms - völlig zu Recht - die Reizlosigkeit dieser Behauptung Hirschs entgegen. Wenn das christliche Wahrheitsbewußtsein nur redundant ist, keine Informationskraft besitzt, d. h. wenn es die vorhandenen Erkenntnisse nicht expandiert, sondern nur intensiviert, so fragt Herms: ,,[W]arum aber sollte dann überhaupt noch jemand hinhören, wenn es sich äußert?" (ders., Emanuel Hirsch - zu Unrecht vergessen?, S. 44). Steht Herms in der Hirschschen Tradition, indem er das christliche Glaubensbewußtsein als Gewißheit zu beschreiben anleitet, die das Sein des Menschen in der Welt prägt und bestimmt, so modifiziert Herms den Ansatz Hirschs insofern entscheidend, als er deutlich macht, „daß das Wirken des Geistes nicht als erstmalige Setzung von personaler Gewißheit gedacht werden darf" (ders., Luthers Auslegung des Dritten Artikels, S. 73). Zu Recht - so zeigte sich - ersetzt Herms daher die Hirschsche Alternative von lebensanschaulicher Neutralität und christlicher Gewißheit durch die reformatorische Alternative zwischen Unglaube und Glaube, d. h. wahrer und trügerischer Gewißheit. So korrigiert Herms Hirschs Unterbelichtung der sündhaften Verblendung. Dabei aber bleibt Herms stehen. Herms kritisiert nicht, daß Hirsch Gottes Gnadenhandeln in sein schöpferisches Handeln eingründet und so nicht kategorial zwischen dem Gegenstand der Welterfahrung und der Heilserfahrung unterscheidet. In dieser Hinsicht scheint Herms der - auf Schleiermacher zurückzuführenden - Tradition Hirschs verpflichtet zu sein. Der gleiche Einspruch, der gegen Barths Lichterlehre geltend gemacht wurde, ist auch gegen Jüngel geltend zu machen. Wie Barth bestreitet Jüngel den Erweis der Erfahrbarkeit Gottes durch die Selbst- und Welterfahrung remota fide: „Die Logik des Glaubens bestreitet, daß der Grund des Glaubens und die Gewißheit des Glaubensinhaltes remota fide erreichbar sind. Eine natürliche Theologie, die unter methodischer Beiseitestellung des Glaubens die Gewißheit des Glaubensinhaltes begründen zu müssen meint, käme, um mutatis mutandis ein Hegelsches Argument aufzunehmen, mit der Behauptung ,überein, daß wir nicht eher essen könnten, als bis wir uns die Kenntniß der chemischen, botanischen oder zoologischen Bestimmungen der Nahrungsmittel erworben, und wir mit der Verdauung warten müßten, bis wir das Studium der Anatomie und Physiologie absolvirt hätten. Wenn dem so wäre, würden diese Wissenschaften in ihrem Felde [...] freilich sehr an Nützlichkeit gewinnen, ja ihre Nützlichkeit wäre zur absoluten und allgemeinen Unentbehrlichkeit gesteigert; vielmehr aber würden sie alle,

Z u s a m m e n f a s s u n g , Fazit u n d Folgerungen

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statt unentbehrlich zu seyn, gar nicht existiren'" (ders., Das Dilemma der natürlichen Theologie und die Wahrheit ihres Problems, S. 174). So intendiert Jüngel nicht, durch die Welt- und Selbsterfahrung die Erfahrbarkeit Gottes zu erweisen, sondern umgekehrt, aufgrund der Offenbarung Gottes die menschliche Selbstund Welterfahrung in einem neuen Licht verstehbar werden zu lassen (vgl. a. a. O., S. 175). Von daher will Jüngel dem berechtigten Anliegen der natürlichen Theologie, den „Anspruch des höchst besonderen Ereignisses des Wortes Gottes auf Allgemeingültigkeit" (ders., Gott - um seiner selbst willen interessant, S. 194) zur Geltung zu bringen, mit seinem Programm der „Erfahrung mit der Erfahrung" (a. a. O., S. 176) Rechnung tragen. „Das unabweisbare Problem der natürlichen Theologie auf einem anderen Weg als dem der natürlichen Theologie wahrzunehmen bedeutet demnach, von dem Ereignis der Offenbarung her [...] eine neue Möglichkeit von Erfahrung freizulegen, durch die unsere Alltagserfahrungen einerseits kritisch befragbar, andererseits aber gerade dadurch besser auf die in ihnen vertretene, jedoch wegen der allzu großen Nähe in der Regel eben nicht wahrgenommene Wahrheit ansprechbar werden" (ebd.). Und - durchaus ähnlich wie Barth - formuliert Jüngel: „Im Lichte des Evangeliums leuchten mit den neuen auch die uralten, die ursprünglichen Entsprechungen der göttlichen Schöpfung wieder auf. [...] Der Gott entsprechende Mensch entdeckt auch innerhalb des Kosmos die Analogie als das schönste aller Bänder" (ders., Entsprechungen (Vorwort), S. 7). Das Programm der Erfahrung mit der Erfahrung Gottes erweist sich angesichts einer vierfachen Bestimmung des Handelns Gottes als nicht differenziert genug. Was heißt es, aufgrund der Offenbarung Gottes die menschliche Welt- und Selbsterfahrung in einem neuen Licht verstehbar werden zu lassen? Eine der vierfachen Bestimmung des Handelns Gottes Rechnung tragende Reflexion wird sich mit diesen Anweisungen nicht zufrieden geben können, sondern Fragen stellen müssen: Wird die geschöpfliche Wirklichkeit als vom Gesetz Gottes umspannte Schöpfung verstanden, der Gottes Gnadenhandeln in Christus nicht als Strukturmerkmal zugrunde liegt, so kann Erfahrung mit der Erfahrung keinesfalls so verstanden werden, daß die Erfahrung des Gnadenhandelns Gottes die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit als Erfahrungen des Gnadenhandelns Gottes zu verstehen lehrt. Was kann dann aber das Programm der Erfahrung mit der Erfahrung Gottes meinen? Wird in Gottes Gnadenhandeln allererst die Einsicht in die geschöpfliche Wirklichkeit als von Gottes Gesetz umspannte Schöpfung - gegen eine sündige Verblendung der Wahrheit der geschöpflichen Wirklichkeit - frei, meint dann das Programm der Erfahrung mit der Erfahrung, daß die im Gnadenhandeln Gottes eröffnete Einsicht in die geschöpfliche Wirklichkeit die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit als Erfahrungen der von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung zu verstehen lehrt? In diesem Falle bedürfte es aber einer genaueren Erläuterung der Unterscheidung zwischen Welterfahrung (als Erfahrung der von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung) und Heilserfahrung (als der Erfahrung des Gnadenhandelns Gottes). Nun zeigte sich bereits, daß Jüngel - wie Barth - Jesus Christus als Seinsgrund des geschöpflichen Seins begreift (vgl. hierzu die Ausführungen zu Jüngels Trinitätslehre (vgl. Exkurs 1: Kap. 3) und die Ausführungen zu Jüngels Bestimmung der Schöpfungsmittlerschaft Christi (Vgl. Exkurs 2: Kap. 2)). Liegt so auch bei Jüngel Gottes Gnadenhandeln der geschöpflichen Wirklichkeit - als ihr Grund - zugrunde, so verwundert es nicht, daß Jüngel Barths „Lichterlehre" in

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(2) Ist zwischen der Erfahrung der Weltgegenwart Gottes (als Erfahrung der von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung) und der Erfahrung der Heilsgegenwart Gottes (als Erfahrung von Gottes Versöhnung in der Geschichte des Lebens und Sterbens des Menschen Jesu von Nazareth) zu unterscheiden, so muß der Methode der Anknüpfung entschieden widersprochen werden (gegen Althaus); denn sie basiert auf der These, daß Gottes schöpferisches Handeln und Gottes gesetzgebendes Handeln in seinem versöhnenden Handeln wiedererkannt werden, so daß die Gotteserkenntnis Anamnesis ist. Gottes schöpferisches Wort und sein gesetzgebendes W o r t sind für Althaus nur der Form nach von Gottes versöhnendem W o r t unterschieden, sie geben der gleichen Liebesintention Gottes Ausdruck. Dies verkennt aber nicht nur die Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem Handeln und seinem gesetzgebenden Handeln, sondern auch den (für menschliches Erkennen) unaufhebbaren Widerstreit zwischen Gottes Gesetz und seinem Evangelium (s. o. 1.2.2). Z u m einen ist Gottes schöpferisches Handeln nicht nur hinsichtlich der F o r m und ihres zeitlichen Erscheinens von Gottes erlösendem und versöhnendem Handeln zu unterscheiden, sondern auch, weil Gottes schöpferisches Handeln die Möglichkeitsbedingung für Gottes Gesetz und Evangelium ist. Z u m anderen ist Gottes Z o r n im Gesetz nicht als Ausdruck seiner erlösenden und versöhnenden Liebe im Evangelium zu fassen.

- wenn auch veränderter Terminologie - aufgreift; sie ist die Konsequenz einer monistischen Theologie hinsichtlich der Frage nach dem Charakter der geschöpflichen Wirklichkeit und der aus ihr resultierenden Frage nach dem Objekt der Wirklichkeitserfahrungen. Stellt sich das Problem der natürlichen Theologie - so Jüngel zu Recht - „als Frage nach der Universalität der Offenbarung Gottes in Jesu Christus, mithin ein Spitzenproblem der Frage nach dem Geltungsbereich des Handelns und dem Wirkungsbereich des Seins Jesu Christi" (ders., Gelegentliche Thesen zum Problem der natürlichen Theologie, S. 198), so ist zu formulieren: Gottes erlösendes und versöhnendes Handeln liegt der geschöpflichen Wirklichkeit in keiner Weise immer schon zugrunde, so daß - auch nachträglich aus der Perspektive der Offenbarung in Christus - die Erfahrungen der geschöpflichen Wirklichkeit nicht als Erfahrungen der Gnade Gottes zu verstehen gelehrt werden können. - In meiner Kritik, daß die Rede von der „Erfahrung mit der Erfahrung" zu undifferenziert ist angesichts der vierfachen Bestimmung des Handelns Gottes, stimme ich nachdrücklich zu: Bayer, Theologie, S. 418ff. Die Frage nach dem Problem der natürlichen Theologie wird von Bayer im Zusammenhang des Problems von Bestimmtheit und Weite entfaltet (vgl. a. a. O., S. 511ff).Völlig zu Recht erkennt Bayer, daß der „diakritische Punkt in der Behandlung des Problems der natürlichen Theologie [...] die Frage nach der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bzw. nach der Einheit von Gesetz und Evangelium" (a. a. O., S. 517) ist.

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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(3) Verkannt werden darf aber auch nicht, daß Gottes Weltgegenwart nicht bezugslos zu seiner Heilsgegenwart steht (gegen Eiert). Es zeigte sich bereits, daß Eiert Gottes Weltgegenwart ausschließlich in seiner Gegenwart im Gesetz aufgehen läßt und damit Gottes schöpferische Gegenwart auszublenden droht. Gerade in seiner schöpferischen Gegenwart ist Gott aber auf seine Heilsgegenwart insofern bezogen, als seine schöpferische Gegenwart die Möglichkeitsbedingung für seine Heilsgegenwart ist. Dabei gilt es an entscheidender Stelle recht zu unterscheiden und nicht alles zu verderben, indem zuviel gesagt wird: (a) Gottes schöpferische Gegenwart, die Teil seiner Weltgegenwart ist, ist nicht zu identifizieren mit seiner Heilsgegenwart und sie ist mit ihr nicht zu parallelisieren (indem die schöpferische Gegenwart Gottes nur hinsichtlich ihrer - durch die Zeit bedingten - Form von seiner Heilsgegenwart unterschieden wird), vielmehr ist Gottes schöpferische Gegenwart ausschließlich als Möglichkeitsbedingung für Gottes Heilsgegenwart ernst zu nehmen. (b) Zu bedenken ist weiterhin, daß nicht nur Gottes schöpferische Gegenwart, sondern auch seine Gegenwart in dem den sündigen Menschen verklagenden und dem Tod überantwortenden Gesetz Element der Weltgegenwart Gottes ist. (c) Zu bedenken ist schließlich auch, daß eine differenzierte Bestimmung des Handelns Gottes um Gottes verborgene Gegenwart in der Welt weiß, hinsichtlich der die theologische Reflexion verstummen muß, weil sie die Grenze der theologischen Erkenntnis auf das deutlichste und schmerzhafteste - markiert.

2.2 Die Unterscheidung zwischen der Weltgegenwart Gottes und dem natürlichen Erkennen der Weltgegenwart Gottes Galt es festzuhalten, daß - aus theologischer Perspektive geurteilt - Gott in seinem schöpferischen Handeln und in seinem gesetzgebenden Handeln in der Welt gegenwärtig ist, daß somit Gottes gesetzgebendes und sein schöpferisches Handeln Objekte der Welterfahrung des natürlichen Menschen sind, so gilt es nun zu differenzieren zwischen der Erfahrung und der Deutung der Weltgegenwart Gottes. Damit ist dem Widerspruch des Menschen gegen Gott noch in einer anderen Weise Rechnung zu tragen, als die faktische Veränderung der Wirklichkeit als Schöpfung Gottes zu einer von Gottes Gesetz umspannten Schöpfung zur Geltung zu bringen. Zeigte sich, daß der Einspruch der Sünde zu einer faktischen Veränderung der Weltgegenwart Gottes führt, insofern Gott dem Widerspruch des Menschen gegen ihn in seinem, den ihm widersprechen-

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den Menschen verklagenden und dem Tod überantwortenden, Gesetz widerspricht und die Schöpfung zur gefallenen Schöpfung depraviert, in der Gott nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Geber des Gesetzes gegenwärtig ist, so gilt es nun, nach der Bedeutung des Widerspruchs des Menschen gegen Gott (in der Sünde) für die Erkenntnis der Weltgegenwart Gottes zu fragen. Dabei ist es aber entscheidend, die Differenz von Gottes Weltgegenwart und dem Erschlossensein der Weltgegenwart Gottes festzuhalten. Wie immer man über das Erschlossensein der Weltgegenwart urteilen mag, fest steht, daß Gott in der Welt als Schöpfer und Gesetzgeber gegenwärtig ist, ob dieser Sachverhalt dem Menschen erschlossen ist oder nicht. Der Widerspruch des Menschen gegen Gott hebt seine schöpferische Gegenwart nicht auf, auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung ist Gott Dasein gewährend gegenwärtig, aber er ist gleichzeitig als der gegenwärtig, der das von ihm (durch sein schöpferisches Handeln) gewährte menschliche Dasein durch das Gesetz, in dem er dem ihm widersprechenden Menschen widerspricht, verklagt und dem Tod überantwortet. Was bedeutet der Widerspruch des Menschen für das (natürlich-) menschliche Erkennen von Gott? (1) Setzen wir bei Tillichs Unterscheidung zwischen der essentiellen Vernunft und der Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung ein. In der essentiellen Vollkommenheit der Schöpfung ist die Vernunft - so Tillich - in jedem ihrer Akte und Prozesse auf ihre eigene Tiefe, den Grund der Wirklichkeit, hin transparent: Gottes schöpferisches Handeln ist in der essentiellen Vollkommenheit der Vernunft als der schöpferische Grund der Wirklichkeit offenbar. Ist die ursprüngliche Gottesbeziehung gerade durch die erkennende Bezogenheit des Menschen auf Gott ausgezeichnet, in der der Mensch auf Gott vertraut und als den anerkennt, der ihm sein Dasein gütig gewährt, so ist die Behauptung von Tillich mit Nachdruck zu unterstützen 22 . Die hier nun gestellte Frage ist aber nicht die Frage nach der Vernunft unter den Bedingungen der essentiellen Vollkommenheit, sondern die Frage nach der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung. Als der Gott in der Sünde widersprechende ist der Mensch gerade nicht erkennend und vertrauend auf Gott bezogen - der Widerspruch gegen Gott kann daher keinesfalls als bewußter Widerspruch gefaßt 22

So betont Bayer: „Wenn die Sünde nicht wäre Melanchtons Schilderung des locus amoenus von Gott gelehrte Theologen, die ihm lobend Geschöpfen samt der mitphilosophierenden sind" (ders., Theologie, S. 507).

[...], wären alle Menschen - nach der paradiesischen Universität antworten und mit allen anderen Engel Schüler des einen Lehrer

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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werden 23 . In der Sünde ist dem Menschen Gott als der Grund der Konstitution des Daseins nicht erschlossen, so daß er auch nicht das Objekt des menschlichen Vertrauens zu werden vermag 2 4 . Besitzt der Glaube als Gewißheit sowohl die Elemente des Vertrauens und des Erkennens 25 , so der Unglaube (als irrige Gewißheit) notwendig die Elemente von Verkennung und falschem Vertrauen. Als Widerspruch gegen Gott verkennt die Sünde gerade Gottes Weltgegenwart, die Sprache der Natur ist zerstört 26 . Um die Person zu der wahren Gewißheit zu befähigen, bedarf es des erschließenden und darum gewißheitsbildenden Wirken des Geistes Gottes. Daher gilt: (a) Das menschliche Wahrheitsbewußtsein hält nicht in weltanschaulicher Neutralität die Stelle der persönlichen Gewißheit offen, sondern bietet ein Glaubenssurrogat (gegen Hirsch) 2 7 . (b) Damit ist auch der Behauptung widersprochen, daß der Mensch den Grund der Konstitution des Daseins zwar nicht mehr denkerisch zu fassen vermag, aber bleibend auf ihn ausgerichtet ist, so daß er sich in Kultus und Mythos nur noch verdeckt Ausdruck verschafft (gegen Tillich). 23

Es ist das große Verdienst der Arbeit von Axt-Piscalar „Ohnmächtige Freiheit" die Sünde als „Negation der Verdanktheit unsere Selbsttätigkeit" deutlich von der Vorstellung einer bewußten Negation entbunden zu haben (vgl. Teil 1: Kap. I.A.2.1.3, Anm. 180): Besteht - so Axt-Piscalar - die Sünde gerade in der „Negation der Verdanktheit unserer Freiheit" (a. a. O . , S. 2 0 0 ) und wird diese Negation immer schon vollzogen (vgl. ebd.), dann ist deutlich, „daß der Vollzug von Selbsttätigkeit, in welchem wir uns immer schon vorfinden, faktisch und eo ipso den Grund ihrer selbst negiert und immer schon negiert hat" (a. a. O . , S. 2 0 1 ) . Zu Recht erinnert Axt-Piscalar auch an den erheblichen Mangel an phänomenologischer Beschreibungsrelevanz im Hinblick auf die Faktizität der Sünde, der mit der Vorstellung der Sünde als bewußter Negation verbunden ist (vgl. ebd.). In dieser Hinsicht stellt die Arbeit von Axt-Piscalar eine deutliche Präzisierung der Sündenlehre dar.

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Gerade hierin ist m. E. der Unterschied zwischen Sünde und Dämonie zu betrachten, insofern die Dämonie als bewußter Widerspruch gegen Gott zu fassen ist, d. h. als Gleichzeitigkeit von Erschlossenheit Gottes und Widerspruch gegen Gott. Dies habe ich versucht in meiner Arbeit „Der Mensch als Gewißheitswesen" zu zeigen (vgl. a. a. O . , S. 36ff; 4 2 f f meine Untersuchung von Stocks und Herms' Beschreibungen des Glaubens als Gewißheit). Die Sünde - so Bayer - korrumpiert die Sprache der Natur (vgl. ders., Schöpfung als Anrede, S. 19). Vgl. hierzu besonders die Ausführungen von Welker, Schöpfung und Wirklichkeit, S. 42ff, bes. 51 f. - Zu Recht macht Baur darauf aufmerksam, daß auch die Religionskritik selbst religiös ist, insofern sie anfällig ist für „Substitute der verbrannten Götter und die offensichtliche Tendenz zu neuen Zelebrationen" (ders., Die Unausweichlichkeit des Religiösen und die Unableitbarkeit des Evangeliums, S. 6 3 ) .

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Zwischen Diastase und Korrelation

(c) Widersprochen ist aber auch dem Versuch - aus der Perspektive des Glaubens - (einleuchtende) Hinweise darauf zu geben, daß Gott sich in der Schöpfung bezeugt (gegen Althaus). Ist die Sünde als ein solches Verkennen Gottes charakterisiert, daß nur durch das Wirken des Geistes aufgehoben und zur Einsicht geführt zu werden vermag, so kann es nicht Vorbedingung des Glaubens sein, den Widerspruch gegen Gott aufzugeben. (2) Als Verkennen Gottes und falsches Vertrauen, d. h. als irrige Gewißheit, schließt die Sünde ihr eigenes Verkennen als Widerspruch gegen Gott notwendig ein. Und sie schließt damit notwendig ein, daß Gottes Widerspruch (im Gesetz) gegen den Widerspruch des Menschen gegen Gott (in der Sünde) nicht als das erkannt wird, was er ist. Galt es zuvor zu betonen, d a ß die Sünde eine faktische Veränderung der Wirklichkeit und eine Veränderung der Weltgegenwart Gottes zur Konsequenz hat, insofern sie die Schöpfung zur gefallenen Schöpfung depraviert und Gott in der Schöpfung nicht mehr nur als gnädiger Gewährer des Daseins sondern auch als der den gefallenen Menschen anklagender und dem Tod überantwortender Gesetzgeber gegenwärtig ist, so ist diese faktische Veränderung der Wirklichkeit und der Weltgegenwart Gottes entscheidend für die Frage nach der natürlichen Erkenntnis der Wirklichkeit und Weltgegenwart Gottes; denn die Sünde ist sowohl ein Verkennen der schöpferischen Gegenwart Gottes als auch ein Verkennen der gesetzgebenden Gegenwart Gottes. (a) Unter den Bedingungen der Entfremdung wird Gottes schöpferische Weltgegenwart verkannt; die Wirklichkeit wird nicht mehr als Schöpfung Gottes erkannt 2 8 . Daher kann - um einen Begriff Bayers aufzugreifen - von der Welt nicht in „kosmos-frommer Naivität geredet werden" 2 9 . Die Welt als Schöpfung zu sehen, ist somit ein Glaubenssatz30, es ist kein Produkt der natürlich-menschlichen Erkenntnis als einer Erkenntnis unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung; mit den Worten Ebelings: Es handelt sich bei dem Schöpfungsglauben nicht „um ein fertiges Versatzstück, das als vorchristliches Residuum dem christlichen Glauben eingefügt wird und als eine schon mitgebrachte Minimalbasis dient" 3 1 . So zeigt gerade der Blick auf das Alte Testament: Der Schöpfungsglaube ist dem (alttestamentlichen) Heilsglauben

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Vgl. Gloege, Schöpfung, Sp. 1483. Bayer, Staunen, Seufzen, Schauen, S. 197. Vgl. u.a. Jorissen, Die Welt als Schöpfung, S. 205; Link, Die Schöpfung und die Lehre von der Schöpfung, S. 482. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens I, S. 2 6 5 .

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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nicht vorgeordnet, sondern - so lehrt von Rad - nachgeordnet 32 . Ist auch die „Credo-These" von Rads 33 widerlegt 34 , so bleibt doch diese Einsicht 32

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Von Rads Behauptung stützt sich auf drei nicht abweisbare Beobachtungen: (1) ,,[D]er altisraelitische Jahweglaube [hat sich] auf Grund bestimmter geschichtlicher Erfahrungen ausschließlich als Heilsglaube verstanden" (ders., Theologie des Alten Testaments I, S. 150). Das heißt: (2) Umfangreiche Aussagen von Jahwes Weltschöpfung finden sich erst in jüngeren Texten (vgl. a. a. O., S. 1 4 9 ) (3) In bezug auf die hymnischen Bezeugungen des Schöpfungsglaubens im Psalter und bei Deuterojesaja und dem priesterlichen Schöpfungsbericht zeigt von R a d , daß innerhalb des Jahweglaubens der Schöpfungsglaube zu keiner Selbständigkeit und Aktualität gekommen ist (vgl. bes. ders., Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, S. 146). Er ist durchweg bezogen und abhängig „von dem soteriologischen Glaubenskreis" (ebd.). Der auffällige Tatbestand, daß sich erst in späten Texten umfangreiche Aussagen zu Jahwes Weltschöpfung finden lassen, kann - so von Rad - nicht so erklärt werden, „daß Israel in der kanaanäischen Welt, deren religiöse Atmosphäre von Schöpfungsmythen geschwängert war, vorher keinen Anlaß gefunden haben sollte, die Schöpfung, also Himmel, Erde, Gestirne, das Meer, Pflanzen und Tiere, auf Jahwe zu beziehen" (ders., Theologie des Alten Testaments I, S. 149f). Vielmehr lag der Grund nach von Rad ausschließlich darin, „daß Israel verhältnismäßig lange gebraucht hat, den tatsächlich vorhandenen älteren Schöpfungsglauben mit der Überlieferung von dem eigentlichen, d. h. den geschichtlichen Heilstaten Jahwes, theologisch ins rechte Verhältnis zu bringen" (a. a. O., S. 150). So mußte „in Israel offenbar zunächst sehr viel anderes gesagt und, vom theologischen Standpunkt aus gesehen zentraleres gesagt und gefestigt werden [...], ehe die innere Freiheit zu Zeugnissen eines reinen Schöpfungsglaubens gegeben war; m. a. W . , [...] der Heilsglaube [mußte] absolut gesichert sein [...], so daß der Glaube, daß auch die Natur eine Offenbarung Gottes sei, keine Beeinträchtigung oder Entstellung, sondern zu einer wirklichen Bereicherung und Erweiterung des Heilsglaubens wurde" (ders., Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, S. 147). Die Einsicht, daß sich „der altisraelitische Jahweglaube auf Grund bestimmter geschichtlicher Erfahrungen ausschließlich als Heilsglaube verstanden h a t " (von Rad, Theologie des Alten Testaments I, S. 1 5 0 ) , bildet den Hintergrund für von Rads bekannte These, daß die Quellenschriften des Pentateuchs (bzw. H e x a teuchs) aus einem ursprünglichen Credo „herausgewachsenen heilsgeschichtlichen Entwürfe" (ders., Verheißenes Land und Jahwes Land im Hexateuch, S. 9 7 ) sind („Credo-These"). Von Rad hält gerade das „ C r e d o " Dtn 2 6 , 5ff für das „älteste, das uns erkennbar ist" (ders., Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs, S. 13), es enthält - so von Rad - alle „Anzeichen eines hohen Alters" (ders., Theologie des Alten Testaments I, S. 135). Weil sich nach von R a d der Pentateuch als Erweiterung und Entfaltung dieses Credos entwickelt hat (vgl. a. a. O., S. 135), gilt es „den Ausbau dieser kultischen Rezitation bis zu unserem Hexateuch [...] darzustellen" (ders., Das formgeschichtliche Problem des Hexateuchs, S. 16). In dieser Forderung nimmt von Rads Theologie des Alten Testaments ihren Ausgangspunkt. So hat sich in der Forschung gezeigt, daß Dtn 2 6 , 5 - 9 ein verhältnismäßig junger

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gültig 35 und hat zu Recht auch weiterhin Anerkennung gefunden 36 . Daß der Schöpfungsglaube Israel gar schon vorgegeben war 3 7 , wird man schon im Blick auf die genuinen Intentionen bspw. des Schöpfungsberichtes der Priesterschrift nicht allen Ernstes behaupten können 38 .

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T e x t ist, der auch deuteronomisch-deuteronomistische Ausdrücke aufweist (vgl. u. a. Rost, Das kleine geschichtliche Credo, S. 11 ff; Richter, Beobachtungen zur theologischen Systembildung in der at. Literatur anhand des „kleinen geschichtlichen C r e d o " , S. 175ff). D a ß die Widerlegung der „Credo-These" nicht von Rads Einsichten hinsichtlich des Verhältnisses von Schöpfungsglaube und Erlösungsglaube aufhebt, verkennt u.a. Petzold, V o m Schöpfer und von der Schöpfung reden, S. 4 8 . So hält Schmidt die entscheidenden Einsichten von Rads fest: „Obwohl Kosmogonien für die Religionen der altorientalischen Kulturländer grundlegende Bedeutung hatten, scheint Israel ursprünglich keine eigenständige Schöpfungsgeschichte besessen zu haben. Jedenfalls ist von einem Schöpfungs- oder besser Schöpferglauben im Kern der ältesten Überlieferung (Väterverheißung, Auszug aus Ägypten, Sinaioffenbarung) keine R e d e " (ders., Alttestamentlicher Glaube, S. 2 3 3 ) . So sind Schöpfungsaussagen in „vorexilischer Zeit relativ selten, finden sich erst in Texten, die der frühen Königszeit entstammen können [...] und häufen sich seit dem E x i l " (ebd.; vgl. ders., Schöpfung durch das Wort im Alten Testament, S.72). Aber auch im Blick auf das kanonisch gewordene Alte Testament spielen die Schöpfungsaussagen eine eher untergeordnete Rolle, sie finden sich außerhalb der Urgeschichte nur im Psalter, in jüngeren hymnischen Partien der Prophetenbücher, in der Weisheitsliteratur und in Deuterojesaja (vgl. ders., Alttestamentlicher Glaube, S. 2 3 3 ) . So folgert auch Schmidt: „Jahwe scheint [...] ursprünglich nicht als Schöpfer verehrt worden zu sein. Israel erfuhr seinen Gott zunächst als Retter in der Not. Als es lernte, Natur und Welt insgesamt als Werk Jahwes und die Menschheit als seine Geschöpfe zu verstehen, war von vornherein gewiß, daß der Schöpfer der Befreier und Erlöser ist" (a. a. O., S. 2 3 4 ) . So gründet Israel weder seinen Glauben auf die Schöpfung noch schließt es aus der Schöpfung auf das Heil: „Das Alte Testament blickt gleichsam von Erfahrungen in der Geschichte auf die Schöpfung zurück" (a. a. O., S. 2 3 4 ) . Wird das Bekenntnis zu Gott dem Schöpfer von der Heilserfahrung der Befreiung aus Ägypten als dem ,,primäre[n] Orientierungspunkt" (Zimmerli, Grundriß der alttestamentlichen Theologie, S. 2 5 ) , dem Credo des alttestamentlichen Glaubens, formuliert, so zieht Zimmerli die Parallele zum christlichen Glaubensbekenntnis: „So ist ja auch im christlichen Credo das einleitende ,Ich glaube an Gott, den Vater' des ersten Artikels, das dem Bekenntnis zum ,Schöpfer Himmels und der Erde' voransteht, ohne den zweiten Artikel nicht zu verstehen" (ebd.). So bspw. Westermann: „In einer gewaltigen Fülle und Vielfalt des Redens von Schöpfer und Schöpfung gibt es an keiner Stelle und zu keiner Zeit eine grundsätzliche, bewußte Bestreitung des Erschaffenseins von Welt und Menschheit [...]. Wir müssen dann annehmen, daß für die ganze alte Welt - einschließlich Israels - das Erschaffenseins von Welt und Mensch eine Voraussetzung oder ein immer schon vorgegebenes war, eine Voraussetzung, die durchaus jenseits der Alternative von Glaube und Nicht-Glauben stand" (ders., Genesis, S. 59). Dies lehrt Schmidts gründliche Untersuchung zu Gen 1 „Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift". Zum einen arbeitet Schmidt sowohl mythologische

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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(b) Unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung wird aber auch Gottes gesetzgebende Weltgegenwart verkannt, insofern das Gesetz nicht mehr als das erkannt wird, was es ist: Gottes Gesetz. Auf diesen Sachverhalt hat nachdrücklich Eiert aufmerksam gemacht. Erst (vgl. a. a. O., S. 21ff) als auch hymnische Traditionen (vgl. a. a. O., S. 32ff) heraus, in der auch der priesterliche Text steht. M i t der sumerischen (Gilgameschepos), der babylonischen (enuma elis), der ägyptischen (bspw. K o s m o g o nie von Hermopolis), der phönizisch-kanaanäischen (nach S a n c h u n j a t h o n ) und der griechischen (bspw. H o m e r / o r p h i s c h e Kosmogonien) Traditionen hat der priesterliche Text augenfällige Gemeinsamkeiten, die zwar nicht f ü r eine unmittelbare Abhängigkeit ausreichen, aber doch von einer Kenntnis zeugen (zu rechnen ist nach Schmidt wohl mit einer kanaanäischen Vermittlung) (vgl. a. a. O., bes. 31f): So hat Gen 1 mit dem gesamten Alten Orient wie die Vorstellung die Entstehung der Welt durch T r e n n u n g , so auch die Vorstellung gemein, d a ß die Welt zu Beginn nur Wasser w a r oder die Erde mit Wasser bedeckt ist (vgl. a. a. O., S. 29f). Aber auch die Vorstellung der anfänglichen Finsternis t a u c h t in den altorientalischen Traditionen bereits auf, sogar die Vorstellung von Wasser, Finsternis und H a u c h ist dem priesterlichen Schöpfungsbericht nicht genuin (vgl. a. a. O., S. 30f). Auch in den Aufzählungen der Schöpfungswerke hat der priesterliche Schöpfungsbericht Vorläufer in den hymnisch-weisheitlichen Traditionen Ägyptens und Babylons - ohne d a ß freilich eine Gen 1 näher entsprechende Abfolge belegt ist (vgl. a. a. O., bes. S. 36ff). Zeigt Schmidt im Vergleich mit der orientalischen Umwelt die Berührungen der priesterlichen Schöpfungserzählung, so ermittelt Schmidt nach einer gründlichen Analyse des Textes der priesterlichen Schöpfungserzählung (vgl. a. a. O., S. 48ff) jedoch nicht nur die der Priesterschrift (wohl im mündlicher Form) vorgegebene Tradition, s o n d e r n a u c h die Umgestaltungen, die der priesterliche Erzähler an diesem Text v o r g e n o m m e n hat (vgl. a. a. O., S. 160ff). Die Intention der Priesterschrift, die sie zur Umgestaltung des Textes geführt hat, bringt Schmidt in sieben Punkten pointiert zur Sprache: (1) Die Priesterschrift verwendet das W o r t um so göttliches Schaffen von menschlichem T u n zu unterscheiden (vgl. a. a. O., 164ff). Dieses Verb - so Schmidt - nennt zwar von sich aus keine creatio ex nihilo, aber bezeichnet d o c h denjenigen Sachverhalt, den die Rede von der creatio ex nihilo zum Ausdruck bringen will (vgl. a. a. O., S. 166): „das mühelose, völlig freie, u n g e b u n d e n d e Schaffen" (ebd), das Gottes Souveränität ausdrücken will (so wird nie ein Stoff erwähnt, aus dem Gott gebildet hätte). (2) Auffällig ist das die priesterliche Schöpfungserzählung beherrschende O r d n u n g s d e n k e n (vgl. a. a. O., S. 167): Gliederung und O r d n u n g treten als ein H a u p t a n l i e g e n der priesterlichen Schöpfungserzählung hervor: „Für die Priesterschrift ist Gott ganz betont nicht ein Gott der Unordnung, sondern ein Gott der O r d n u n g . W a s von Gott k o m m t , das ist geordnet" (a. a. O., S. 168). (3) Dem (ursprünglichen Tatbericht) stellt die Priesterschrift einen Wortbericht voran (vgl. a. a. O. S. 169ff). So versteht die priesterliche Schöpfungserzählung die ganze Welt vom W o r t Gottes her. „Die W o r t s c h ö p f u n g hebt Gottes M a c h t und Freiheit gegenüber der T r a d i t i o n stärker hervor, indem sie Gott und Welt in einem f ü r die Antike ungeheuren M a ß e unterscheidet. [...] Nicht mehr die Tat der H a n d verbindet Gott u n d Welt, sondern das W o r t steht zwischen Gott und Welt; es trennt, aber es verbindet auch beide. So stellt das W o r t die Welt ganz stark als das heraus, w a s sie ist: als

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aus der Perspektive des Evangeliums - so Eiert - erschließt sich das Gesetz als Gottes Gesetz, d. h. als Gottes den Sünder verklagendes und dem Tod überantwortendes Handeln. (3) Somit gilt es gleichzeitig Gottes Weltgegenwart (seine Dasein gewährende und den sündigen Menschen verklagende und ihn dem Tod überantwortende Gegenwart in der Welt), und die sündhafte Verkennung dieser Gegenwart festzuhalten. (a) Die Behauptung der Weltgegenwart Gottes impliziert keineswegs die Behauptung der Erschlossenheit der Weltgegenwart Gottes für den natürlichen Menschen. Vielmehr ist dem natürlichen Erkennen des Menschen die Weltgegenwart Gottes (aufgrund der sündhaften Verblendung) verschlossen. Gottes Schöpfung" (a. a. O., S. 173). (4) Der priesterliche Erzähler ist darum bemüht, mythische Aussagen zu unterdrücken (vgl. a. a. O., S. 177ff). Zu denken ist hier an die Entmythologisierung der Gestirne ebenso wie an die Verwendung mythischer Begriffe, die in der priesterlichen Schöpfungserzählung ihre mythische Bedeutung einbüßen (so wird der Name des Chaosdrachens zur Bezeichnung der Urflut). Der Mythos ist für die Priesterschrift gerade nicht die geeignete Ausdrucksform des Glaubens; denn - so Schmidt pointiert - ,,[d]er Mythos weiß zuviel" (a. a. O . , S. 180). (5) Damit hält sich die priesterliche Schöpfungserzählung an das der Beobachtung Zugängliche und stellt sich als naturkundliche Erkenntnis dar (vgl. a. a. O., S. 180ff). So gibt das Wort R~n „nichts mehr über das Wie der Weltentstehung an, sondern stellt nur noch das ,Daß' heraus: Gottes analogieloses W i r k e n " (a. a. O . , S. 1 8 1 f); denn es ist die Intention der priesterlichen Schöpfungserzählung das mythische Wissen auf das dem Glauben wesentliche D a ß zu beschränken, indem das Wie zu tilgen gesucht wird (vgl. a. a. O., S. 182). Freilich kommt es der priesterlichen Erzählung insofern auf das rechte Wie an, als sie Gottes Handeln als freies, analogieloses Tun schildert (vgl. a. a. O., S. 183). (6) Der priesterliche T e x t bezieht die (bei der Schöpfung gewordene) Natur in die Geschichte ein (vgl. a. a. O., S. 183ff). „Die Welt wird aus ihrem Werden, die Gegebenheiten der Natur aus einer Folge von Geschehnissen gesehen" (a. a. O., S. 187). (7) Auf unterschiedliche Weise betont die priesterliche Schöpfungserzählung die besondere Stellung des Menschen (vgl. a. a. O., S. 187ff). Angesichts der deutlichen Intentionen der priesterlichen Schöpfungserzählung und ihrer Umgestaltung der Tradition, wird man wohl kaum davon sprechen können, daß hier der Schöpfungsglaube vorgefunden sei. Vielmehr artikuliert Israel aus der Perspektive seines Glaubens, das angemessene Verständnis von Gott als dem Schöpfer. „Allen Überarbeitungen, Änderungen und Erweiterungen, geht es darum, für die Schöpfungsgeschichte die Israels Gottesverhältnis als dem Glauben an Jahwe entsprechende Form zu suchen, d. h. die rechte Weise zu finden, Gottes Schöpfung zu beschreiben. Die Interpretation ist getrieben von der Frage: Wie ist von Gott als Schöpfer dem Glauben gemäß zu reden?" (a. a. O., 179f). So zeigt sich, daß es bei Leibe nicht dasselbe ist, ob das babylonische Epos oder die Priesterschrift die Welt als Gottes Schöpfung anspricht (so zu Recht Link, Die Schöpfung und die Lehre von der Schöpfung, S. 4 9 3 f ) .

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(b) Die Behauptung, daß Gott durch den natürlichen Menschen innerhalb der geschöpflichen Wirklichkeit nicht erkannt wird, bedeutet nicht, daß Gott nicht (auch für den sündigen Menschen) in der Welt gegenwärtig ist. Gottes Gegenwart in seinem Dasein gewährenden und seinem den Sünder verklagenden und dem Tod überantwortenden Handeln ist unabhängig von dem Erschlossensein dieser Gegenwart. O b der Mensch darum weiß oder nicht, er bekommt von Gott (durch die Schöpfung) sein Dasein gewährt und er wird von Gott (im Gesetz) dem Tod überantwortet.

2.3 Schöpfung und Gesetz als Gegenstand der menschlichen Erfahrung Das Problem der Erfahrbarkeit der Wirklichkeit ist aber durch die Unterscheidung zwischen Gottes Weltgegenwart unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung und der Verkennung der Weltgegenwart Gottes durch die sündige Verblendung noch nicht hinreichend gelöst. Es gilt hinsichtlich der natürlichen Deutung der Wirklichkeit und der Erfahrungen der Wirklichkeit zu fragen, was es bedeutet, daß (a) aus theologischer Perspektive geurteilt die Sünde eine solche Verblendung darstellt, daß unter ihrer Herrschaft Gott gerade nicht erschlossen werden kann und daß (b) aus theologischer Perspektive geurteilt die geschöpfliche Wirklichkeit eine solche ist, die durch Gottes Schöpfung und Gottes Gesetz bestimmt ist: Durch Gottes Schöpfung wird dem Menschen Dasein gewährt, durch Gottes Gesetz ist das sündige menschliche Dasein ein Sein zum Tode. Damit gilt: Mit Schöpfung und Gesetz spricht die Theologie bestehende Strukturen der Wirklichkeit an; als solche sind sie Gegenstand der natürlich-menschlichen Erfahrung. Somit ist zu unterscheiden zwischen den Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit und der Deutung des „Von-Gott-Seins" dieser Strukturen. Hinsichtlich der sündhaften Verblendung in bezug auf das Von-GottSein der Strukturen zeigte sich ein doppelter Sachverhalt: Z u m einen verbietet es die sündhafte Verblendung der Vernunft sowohl zu behaupten (gegen Hirsch), daß das Von-Gott-Sein dieser Strukturen der natürlichen Vernunft erschlossen ist (besteht die Sünde doch gerade darin, daß Gott als der gnädige Gewährer des Daseins nicht erschlossen ist), als auch zu behaupten (gegen Tillich), daß das Von-Gott-Sein dieser Strukturen zwar nicht mehr denkerisch gefaßt werden kann, sich aber in Kultus und Mythos verdeckt Ausdruck verschafft (will die Sünde als Widerspruch gegen Gott - als strukturelle Verkehrung - ernst genommen werden). Zum anderen zeigte sich auch (gegen Althaus), daß der Versuch, aus der Perspektive des Glaubens das Von-Gott-Sein der Struk-

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turen der geschöpflichen Wirklichkeit allererst freizulegen, indem aus der Perspektive des Glaubens Hinweise auf Gottes Gegenwart gegeben werden, aus eben dieser Perspektive des Glaubens ein ungangbarer Weg ist, da hier der strukturellen Verkehrung als einer solchen, die erst durch das Wirken des Geistes aufgehoben werden kann, keine Rechnung getragen wird. Besteht die Sünde gerade darin, daß Gott als der gnädige Gewährer des Dasein nicht mehr erkannt wird, so ist der Versuch, durch Hinweise auf die geschöpfliche Wirklichkeit Gott als Gewährer des Daseins zu erschließen, letzten Endes der Versuch, die Aufhebung der Sünde zur Vorbedingung des Glaubens zu machen. Wie sieht es aber - so gilt es nun zu fragen - mit der natürlichen Erkenntnis der Strukturen des Daseins aus? Und auch diese Frage ist zu differenzieren gemäß unserer Unterscheidung hinsichtlich der Frage nach der natürlichen Erkenntnis des „Von Gott-Seins" der Strukturen der Schöpfung: Sind der natürlich-menschlichen Erkenntnis die Strukturen des Daseins erschlossen? Können sie - falls sie nicht immer schon erschlossen sind - durch Hinweise aufgehellt werden? (1) Auch die Frage nach der sündhaften Verblendung der Strukturen des Daseins muß natürlich - der differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes Rechnung tragend - als Frage sowohl hinsichtlich der Schöpfung als auch hinsichtlich des Gesetzes als den beiden Charakteristika der geschöpflichen Wirklichkeit entfaltet werden (und - dem Wissen um die Grenze der theologischen Reflexion Rechnung tragend - kann diese Frage nicht hinsichtlich der Verborgenheit Gottes gestellt werden). (a) Die Frage nach der natürlichen Erkennbarkeit der Strukturen des Daseins wurde hinsichtlich der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Strukturen in der Theologie thematisch in der Frage nach der natürlichen Erkennbarkeit der Schöpfungsordnung Gottes. Von unseren bisherigen Überlegungen aus kann nur zugestimmt werden, wenn sowohl die geltenden Strukturen der Schöpfungsordnung herausgestellt werden als auch die Tatsache, daß Gottes Gegenwart in diesen Strukturen dem natürlich-menschlichen Erkennen nicht ohne weiteres erschlossen ist39. Die „Aporie einer Theologie der Ordnungen" hat gerade Honecker deutlich herausgearbeitet 40 : Zu Recht betont Honecker, daß es „Grundstrukturen" 4 1 gibt, die auch „vor und außerhalb der Heilsoffenbarung

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Diesen Sachverhalt hat zur Sprache gebracht Schöpfung - zwischen Ideologie und Weisheit, Vgl. Honecker, Einführung in die theologische blem der Eigengesetzlichkeit, S. 94ff. Ders., Einführung in die theologische Ethik, S.

Rosenau, Die O r d n u n g e n der S. 91 ff. Ethik, S. 2 9 I f f ; ders., Das Pro303.

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[bestehen]"42. Doch Honecker macht deutlich, daß, auch wenn aus theologischer Perspektive geurteilt menschliches Dasein sich in (sich Gottes schöpferischem Handeln verdankenden) Grundstrukturen abspielt, dem natürlichen Menschen sowohl verschlossen ist, daß es sich bei diesen Grundgegebenheiten um Ordnungen Gottes handelt 43 , als auch, welches die Ordnungen Gottes sind44. Auf den gleichen Sachverhalt führte uns die Frage nach der Berechtigung der Forderung Tillichs, die Philosophie habe die Strukturen des Seins zu ermitteln. Die Voraussetzung dieser Forderung - so zeigte sich - liegt in Tillichs Verständnis der sündhaften Entfremdung. Ist der Mensch auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung auf den Grund des Seins noch in der Weise bezogen, daß er zwar nicht mehr denkerisch gefaßt werden kann, sich aber dennoch in Mythos und Kultus (verdeckt) Ausdruck verschafft, so kann die Vernunft unter den Bedingungen der Entfremdung die Strukturen des Seins beschreiben, weil sie die Stelle für den wahren Grund des Seins offen läßt. So ist die Existentialanalyse bei Tillich in den Aufgabenbereich der Philosophie gestellt (die sich unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung artikuliert). Ebenfalls zeigte sich allerdings, daß, wenn man die Sünde als strukturellen Widerspruch gegen Gott ernst nimmt, d. h. ernst nimmt, daß der Mensch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung einem Glaubenssurrogat verfallen ist (d. h. wenn anders als bei Tillich die Differenz zwischen Unglaube und Glaube ernst genommen und nicht durch die Rede von Irrenden überspielt wird), damit zu rechnen ist, daß die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung gerade eine solche Explikation der Strukturen des Seins liefert, die nicht offen für die christliche Auffassung vom Grund des Seins ist. Aus diesem Grunde galt es, gegen Tillich zu fordern, daß die Existentialanalyse nicht an die Philosophie (als Artikulation der Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) abgetreten werden kann, sondern eine genuin theologische Aufgabe ist.

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Ebd. „Was offenbart die innerweltliche Ordnung als Gottes Ordnung? [...] [K]ann die gefallene Schöpfung Gottes Willen überhaupt offenbaren? Gibt es intakte, von der Sünde nicht erfaßte ,Inseln' der Schöpfung in einer im übrigen heillosen Welt?" (a. a. O., S. 296). „Welche Ordnungen sind überhaupt unveränderlich? Warum sind Ehe, Familie, Staat Ordnungen Gottes - warum nicht die Sklaverei? Gehört das Privateigentum dazu? (auch das Privateigentum an Produktionsmitteln?) Die Ordnungstheologie selbst enthält keine Kriterien dafür, welche Ordnungen, Strukturen Gottesordnungen sind und welche nicht" (a. a. O., S. 297).

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(b) Von der Verschlossenheit der natürlich-menschlichen Erkenntnis hinsichtlich des Gesetzes geht in besonders eindrücklicher Weise Eiert aus. Es zeigte sich bereits, daß nach Eiert erst aus der Perspektive des Glaubens erschlossen wird, daß es Gott selbst ist, der in seinem Gesetz den Menschen verklagt und ihn dem Tod über antwortet. Keinesfalls versucht Eiert daher - aus der Perspektive des Glaubens - Hinweise auf Gott als den Grund des Gesetzes zu geben. Elerts Darstellung des „Menschen unter der Verborgenheit Gottes" geht aber auch davon aus, daß dem Menschen unter der sündhaften Verblendung auch die Strukturen des Gesetzes, seine Todesordnung, verborgen bleiben können. Eiert unterscheidet zwischen einer fragenden Haltung und einer ethischen Haltung, die der „Mensch unter der Verborgenheit Gottes" einnehmen kann. Beide Haltungen sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie das geschöpfliche Dasein als ein Dasein zum Tode verkennen. (c) Galt es somit hinsichtlich des Von-Gott-Seins der Schöpfung und des Gesetzes zu behaupten, daß (a) das Von-Gott-Sein der natürlichen Vernunft keineswegs erschlossen ist als auch (b), daß auch aus theologischer Perspektive diese Verschlossenheit hinsichtlich des Von-GottSeins nicht aufgehoben werden kann, so zeigt sich, daß hinsichtlich der Strukturen des geschöpflichen Daseins unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung zu behaupten ist, daß sie der natürlichen Vernunft keineswegs selbstverständlich schon erschlossen sind. Es ist nicht selbstverständlich, daß die erhaltenden Strukturen und die Todesordnung als solche erkannt werden. Damit ist aber noch keine vollständige Parallelität zwischen der natürlichen Erkenntnis des „Von-Gott-Seins" der Strukturen der Wirklichkeit und der natürlichen Erkenntnis der Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit behauptet. Zeigte sich, daß unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung die Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit keineswegs bereits erschlossen sind, so gilt nun zu fragen, ob sie aus der Perspektive des Evangeliums allgemein-einsichtig erschlossen werden können. (2) Zur Beantwortung dieser Frage gilt es, an unsere Auseinandersetzung mit Althaus und Eiert zu erinnern. (a) Gerade Althaus' Methode der Anknüpfung ist von der Einsicht geleitet, daß Gottes Weltgegenwart zwar nicht dem natürlichen Erkennen immer schon erschlossen ist, aber diese Weltgegenwart dennoch aus der Perspektive des Glaubens - erschlossen werden kann. Das schon namhaft gemachte Problem bei Althaus besteht jedoch darin, aus der Perspektive des Glaubens nicht auf die Dasein gewährenden Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit hinzuweisen und sie zu erschließen (sie

Zusammenfassung, Fazit und Folgerungen

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werden vielmehr als allgemein-evident bei ihm vorausgesetzt), sondern Hinweise auf Gott selbst als den Gewährer des Lebens zu geben, zum anderen auf die Güte des Daseins hinzuweisen, so daß Gott als der gütige Geber erschlossen wird, um an diese Erkenntnis Gottes versöhnendes Handeln in Christus „anzuknüpfen". Althaus' Versuch, Hinweise auf Gott selbst zu geben, ist bereits mehrfach widersprochen worden. Aber auch der Hinweis auf die Güte des Daseins stellt sich von einer differenzierten Bestimmung des Handelns Gottes und ihrer Konsequenz für die Frage nach der Wirklichkeit des Menschen als verfehlt heraus; denn aus theologischer Perspektive geurteilt ist die Güte der geschöpflichen Wirklichkeit in Gottes Evangelium begründet, für den sündigen Menschen hält die geschöpfliche Wirklichkeit den Tod bereit. Es ist die Frage, welches Dasein durch die Strukturen des Schöpfung gewährt wird: ein Dasein, das Gottes Liebe in die Arme fällt oder ein Dasein, das dem Todesurteil im Gesetz entgegenläuft. Die Beurteilung der erhaltenden Strukturen der Schöpfung ist nicht zu lösen von dem, auf was hin die Schöpfung erhält: auf Gottes Gesetz oder Evangelium. Gerade aus der Perspektive des Glaubens zeigt sich, daß die Lage des Menschen unter den Bedingungen der Entfremdung keinesfalls als „gut" zu bezeichnen ist; denn sie steht im Horizont des Gesetzes. Es scheint mir daher fraglich, ob der natürliche Mensch auf die Güte des Daseins angesprochen werden sollte - schließt da nicht der Glaubende mit dem Unglaubenden einen schiedlich-friedlichen Pakt des Überhörens des Gesetzes? So bleibt die Frage virulent, ob aus der Perspektive des Glaubens die Strukturen des Gesetzes und die Strukturen der Schöpfung durch Hinweise für natürlich-menschliches Erkennen aufgehellt werden können. (b) Elerts Augenmerk liegt auf der Frage nach der Bedeutsamkeit des Gesetzes für die Wirklichkeit des Menschen und damit auch für das natürlich-menschliche Erkennen. Es zeigte sich bereits, daß gerade Eiert davon ausgeht, daß unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung die Strukturen des Gesetzes - obwohl sie das Leben bestimmende Strukturen sind - , verborgen bleiben können. In der „fragenden Haltung" und der „ethischen Haltung" erblickt Eiert den sublimen Versuch des sündhaften Menschen, vor der Faktizität des Daseins die Augen zu verschließen. Bei dieser Schilderung bleibt Eiert aber keinesfalls stehen. Vielmehr intendiert er die Todesordnung als Teil der geschöpflichen Wirklichkeit einzuschärfen, indem er aufweist, daß das menschliche Dasein ein dem Tode verfallenes Dasein und damit als ein solches Dasein zu betrachten ist, das dem Menschen Ursache zur Verzweiflung ist. Eiert versucht aufzuweisen, daß die natürlichen Selbst- und Weltverständnisse, die nicht vor der Feindlichkeit des Schicksals, vor der

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Todverfallenheit des Daseins die Augen verschließen, sich über den Charakter des Schicksals hinwegtäuschen. Somit behauptet Eiert ein zweifaches: zum einen, daß der natürliche Mensch sein Dasein im Horizont der Todesordnung des göttlichen Gesetzes fristet, zum anderen, daß er auf seine verzweifelte Lage hingewiesen werden kann. Dieser Versuch Elerts scheint unumgänglich: Wenn mit dem Gesetz ein bestimmter Teil der Wirklichkeit beschrieben wird, der in unverrückbarer Geltung steht (unabhängig von dem Erschlossensein dieser Struktur), dann ist dieser Teil der Wirklichkeit sicherlich verkennbar, aber der natürliche Mensch ist auf diese Struktur ansprechbar, weil sie seine Wirklichkeit bestimmt. Die Todesordnung bestimmt die existentiellen Erfahrungen des Menschen, auch wenn der Mensch diese Erfahrungen nicht begreift als Resultat dieser Konfrontation. Elerts Versuch, die Todesordnung des Daseins einzuschärfen, ist der Versuch, die existentiellen Erfahrungen des Daseins zu erhellen, indem er sie zu deuten anleitet: als erwachsen aus der Konfrontation des Menschen mit der Todesordnung des Daseins. (c) Nun hat Eiert - so unser Hauptkritikpunkt - die auf Gottes schöpferischer Gegenwart beruhenden Dasein-gewährenden-Strukturen der Wirklichkeit unterbelichtet. Doch Elerts Einsicht in bezug auf die (auf Gottes gesetzgebendem Handeln beruhende) Todesordnung der Wirklichkeit gilt es in gleicher Weise anzuwenden auf die (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende) Dasein-gewährende-Struktur der Wirklichkeit; denn auch sie ist ein Teil der geschöpflichen Wirklichkeit. Für sie gilt das gleiche wie für die (auf Gottes gesetzgebendem Handeln beruhende) Todesordnung: Wenn - aus theologischer Perspektive - mit der Dasein-gewährenden-Struktur ein bestimmter Teil der Wirklichkeit beschrieben wird, der in unverrückbarer Geltung steht (unabhängig von dem Erschlossensein dieser Struktur), dann ist dieser Teil der Wirklichkeit sicherlich verkennbar, aber der natürliche Mensch ist auf diese Struktur ansprechbar, weil sie seine Wirklichkeit bestimmt. Auch diese Struktur bestimmt die existentiellen Erfahrungen des Menschen. Daher gilt es auch hier die existentiellen Erfahrungen durch Hinweise auf die Daseins-gewährende-Struktur der Wirklichkeit zu deuten. (3) Damit ergibt sich ein differenzierter Sachverhalt für die Frage nach der natürlichen Erkenntnis der Weltgegenwart Gottes: Ist (a) zu unterscheiden zwischen den (auf Gottes Handeln beruhenden) Strukturen der Wirklichkeit und dem „Von-Gott-Sein" dieser Strukturen, auf der anderen Seite (b) zwischen der Frage nach dem Erschlossensein dieser Strukturen für natürlich-menschliches Erkennen und dem Versuch, diese dem natürlich-menschlichen Erkennen zu erschließen, so gilt: Das „Von-

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Gott-Sein" dieser Strukturen ist dem sündigen Erkennen weder erschlossen noch zu erschließen. Die Strukturen selbst sind dem sündigen Erkennen zwar nicht immer schon erschlossen, wohl kann aber der Versuch gemacht werden, diese Strukturen zu erschließen. Sind sie Strukturen des Daseins, so bestimmen und prägen sie die existentiellen Erfahrungen des Menschen. Das bedeutet dann aber zweierlei: zum einen, daß ihre gelungene Artikulation die existentiellen Erfahrungen des Daseins zu deuten hilft, zum anderen aber, daß gerade dadurch, daß ihre erhellende Kraft für die Deutung der existentiellen Erfahrungen des Daseins deutlich wird, sie als Strukturen des Daseins erschlossen werden. Die Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit werden dann aber gerade so erschlossen, daß gezeigt wird, daß mit ihrer Hilfe die existentiellen Erfahrungen des Daseins gedeutet zu werden vermögen. Die Frage, ob die Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit aus der Perspektive des Glaubens für allgemein-menschliches Erkennen erschlossen werden können, kehrt sich somit um zur Aufgabe der theologischen Explikation. Es gilt - aus der Perspektive des Glaubens - die Strukturen der Wirklichkeit in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene der Wirklichkeit zu deuten helfen. Damit wird aber auch die Aufgabe der Apologetik in einer besonderen Weise definiert: Es geht um die Frage, was die im christlichen Glauben implizierte Sicht der Wirklichkeit für die Deutung der existentiellen Erfahrungen zu leisten vermag. Es geht somit gerade darum, diese Leistungskraft zu erweisen.

2.4 Problemhorizont Abschließend sei der Problemhorizont markiert, der den Gang der folgenden Untersuchung begründet und bestimmt. (1) Zeigte sich, daß die Frage, ob die Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit aus der Perspektive des Glaubens für allgemein-menschliches Erkennen erschlossen werden können, sich umkehrt zur Aufgabe der theologischen Explikation, die Strukturen der Wirklichkeit in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene der Wirklichkeit zu deuten helfen, so ergibt sich - hinsichtlich der Schöpfung und des Gesetzes als den Strukturen der Wirklichkeit - aus dem bisher Dargelegten eine doppelte Frage: (a) Wie sind aus theologischer Perspektive Dasein-gewährende-Strukturen inhaltlich zu beschreiben (und zu erschließen)? Zeigte sich, daß die Explikation der Strukturen des Daseins als theologische Aufgabe ernst

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zu nehmen ist, so gilt es zu fragen, welche Einsichten aus der Perspektive des Evangeliums zur Geltung zu bringen sind. (b) Galt gegen Eiert einzuwenden, daß im Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen die Todesordnung, die das Gesetz darstellt als ein Verhängnis, dem keiner entrinnen kann, nicht als ein tragisches Element der Wirklichkeit zur Sprache gebracht werden kann, sondern gerade als die Negation der Sünde, so ist nach der Konsequenz dieses Sachverhaltes zu fragen. (2) Ist es (a) der Theologie zur Aufgabe gemacht, die Strukturen des Daseins in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene zu deuten verhelfen, ist (b) die Weltgegenwart Gottes entscheidend von seiner Heilsgegenwart unterschieden worden, so gilt zu fragen, ob Gottes versöhnendes Handeln in Christus aus der Apologetik zu verabschieden ist. (3) Zeigte sich, daß (a) die theologische Reflexion auch um ihre Grenze wissen muß, die in der Verborgenheit Gottes begründet ist, daß (b) die Verborgenheit Gottes aber Teil seiner Weltgegenwart ist, droht dann nicht die theologische Reflexion, der es zur Aufgabe gemacht ist, die Strukturen der Wirklichkeit in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene zu deuten helfen, an entscheidender Stelle zu verstummen? Wird nicht dann alles, was sie positiv zu sagen versucht, von diesem Schweigen umfangen? (4) Zeigte sich, daß es eine bisher offene Frage ist, wie aus theologischer Perspektive die Dasein-gewährenden-Strukturen zu beschreiben (und zu erschließen) sind, so wenden wir uns im folgenden der Konzeption Emil Brunners zu. Gerade Brunner ist um eine Verifikation der geschöpflichen Strukturen des Daseins bemüht. Dabei gilt es, die Tragfähigkeit seines Versuches zu überprüfen, diese Verifikation auf dem Felde der Anthropologie zu vollziehen.

III Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie Vorbemerkung Mit einer bis heute reichenden Wirkung hat Brunner in seiner Auseinandersetzung mit Barth die apologetische Fragestellung als „andere Aufgabe der Theologie" der Theologie zur Aufgabe gemacht. Wir werden zunächst (A) Brunners apologetisch-eristische Methode und ihre Voraussetzungen darstellen und in einem zweiten Schritt kritisch diskutieren. Im Anschluß hieran (B) werden wir das Programm Brunners einer weitreichenden Neuformulierung unterziehen. Abschließend (C) werden wir einen Ausblick wagen, der die bisherigen Ergebnisse integriert.

Α Apologetik als Eristik (Ε. Brunner) 1. Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie In seiner Züricher Antrittsrede aus dem Jahre 1925 bringt Brunner seinen offenbarungstheologischen Standpunkt schon im Titel seines Vortrages emphatisch zum Ausdruck: Gottes Offenbarung in Christus ist „Grund und Gegenstand der Theologie". Behauptet der christliche Glaube, daß in Jesus Christus Gott selbst in die Weltordnung heilend eingegriffen hat 1 , so redet Gott nur in diesem geschichtlich kontingenten Ereignis eindeutig zur Welt 2 . „Dies, dieses Unerhörte, dieses Exklusive, dieses Wunder meint der Christ, wenn er von Offenbarung spricht" 3 . Offenbarung bezeichnet somit immer etwas einmaliges 4 . Daher kann sich Brunner an den Impetus des Barthschen Römerbriefes anlehnen 5 und formulieren: „Gott ist Gott und die Welt ist Welt. Gott ist allein Gott, und der Mensch ist durchaus und in keiner Beziehung auch Gott. Zwischen beiden gibt es keine stetigen Übergänge. Die Grenze ist keine fließende, sondern eine absolute, eherne Schranke. Gott ist der Schöpfer und alles sonst ist bloßes Geschöpf" 6 . Der Unterschied zwischen Gottes Offenbarung und der vernünftig menschlichen Potentialität ist somit bei Brunner - gerade in diesem Punkt hat er sich als Weggefährte Barths begriffen! - kategorial. Gottes Offenbarung entstammt nicht dem Bereich des Natürlichen und des Denknotwendigen, sondern sie ist ein Wunder 7 und als solches auch Widerspruch zu dem Denknotwendigen des Natürlichen 8 . Ist die Offenbarung in dieser Weise Grund und Gegenstand der theologischen Reflexion, so steht die Theologie nach Brunner ganz im Dienst der Kirche, die durch Gottes Offenbarung in Christus begründet ist. In

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Vgl. Brunner, Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie, S. 107. Vgl. a. a. O., S. 108. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 112. Barth, Der Römerbrief, S. XX. Brunner, Die Offenbarung als Grund und Gegenstand der Theologie, S. 112f. Vgl. a. a. O., S. 115. Vgl. a. a. O., S. 121.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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Gottes Offenbarung in Christus wird „nicht bloß etwas zu erkennen gegeben, sondern eine neue Tatsache geschaffen, eine neue Menschheit begründet, und diese neue Menschheit ist die Ekklesia" 9 . Als einer im Dienst der Kirche stehenden Disziplin sind der Theologie zwei Aufgaben gestellt: „eine nach innen, auf die Kirche selbst gerichtete und eine nach außen, der ungläubigen und zweifelnden Welt zugewandte" 1 0 . Sowohl die nach innen gerichtete Aufgabe der Theologie, die Dogmatik, als auch die nach außen gerichtete Aufgabe der Theologie geschehen im Interesse der Kirche; das Interesse der Kirche begründet das „Doppelthema" 1 1 der theologischen Wissenschaft 12 . Beide Aufgaben der theologischen Reflexion sind im folgenden zu explizieren.

1.1 Die Dogmatik als erste Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche Im Interesse der Verkündigung des Wortes Gottes ist die „erste Aufgabe der Theologie" 1 3 die „dogmatische" 1 4 . Die dogmatische Aufgabe der Theologie ist eine „nach innen, auf die Kirche selbst gerichtete" 15 Aufgabe, sie ist nach Brunner die „grundlegende" 1 6 Aufgabe. „Die Selbstbesinnung der christlichen Gemeinde über Grund, Sinn und Inhalt der ihr gegebenen und aufgetragenen Botschaft ist das, was man von alters her Dogmatik nennt" 1 7 . So leistet die Theologie in der Dogmatik für die Kirche die zusammenhängende Darstellung der die Kirche konstituierenden christlichen Botschaft. Die Nötigung zur dogmatischen Reflexion ist somit eine solche, die sich nur innerhalb der Kirche selbst ergibt 18 . Damit ist - so Brunner - die Kirche „vor der Dogmatik nicht nur geschichtlich, sondern auch sachlich" 19 . Ist die Kirche als Trägerin der Offenbarung der 9 10

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D III, S. 39. D I, S. 7. - Beide Intentionen sind für die „Lebensarbeit Brunners" leitend geworden (vgl. Der Auftrag der Kirche an die m o d e r n e Welt. Festgabe für Emil Brunner, S. 7). Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 353. So erkennt Leipold zu Recht in dem Gesichtspunkt der Verkündigung „den eigentlichen Ursprung und das Kriterium der Fragestellung Brunners" (ders., Missionarische Theologie, S. 286). Brunner, Die andere Aufgabe der Theologie, S. 171. A. a. O., S. 176. D I, S. 7. Ebd. Ebd. Vgl. D I, S. 13. Ebd.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Dogmatik sachlich und geschichtlich vorgeordnet, indem die Dogmatik das die Kirche begründende Geschehen zum Grund und zum Gegenstand ihrer Explikation macht, so setzt die Dogmatik „den Glauben und die Glaubensgemeinschaft nicht nur als Tatsache, sondern als Möglichkeit ihrer selbst voraus" 2 0 . Als zusammenhängende Explikation der die Kirche tragenden Botschaft kann die Dogmatik selbst nicht die Frage nach der Notwendigkeit der Kirche stellen, ergibt sich doch die Notwendigkeit der Dogmatik durch die Existenz der Kirche und der christlichen Lehre 21 . Wohl aber kann die Kirche nach der Notwendigkeit fragen, den sie tragenden Grund in dogmatischer Weise darzustellen 22 . Wird die Dogmatik als zusammenhängende Explikation des Inhaltes des Glaubens begriffen, so gilt ihr Interesse „ganz ausschließlich dem Lehrzweck, das heißt aber dem richtigen Denken. [...] Sie ist darum sozusagen die logische Funktion der Kirche mit allen Vorzügen und Nachteilen dieser Spezialisierung" 2i . Hat so nach Brunner die Dogmatik Gottes Offenbarung in Jesus Christus im Zusammenhang darzustellen 24 , so kann sie dies Ereignis nicht isoliert begreifen, sondern muß auch zur Sprache bringen, auf was dieses Ereignis sich bezieht 25 . Gottes Handeln in Jesus Christus bezieht sich auf die Sünde des Menschen 26 . Die Sünde als durch den Menschen verantworteter Bruch der Gottesbeziehung setzt nun aber zweierlei nach Brunner notwendig voraus: Zum einen setzt die Sünde als gebrochene Gottesbeziehung eine ursprüngliche Gottesbeziehung voraus, die in der Sünde gebrochen ist27. Zum anderen setzt die Sünde als ein durch den Menschen verantworteter Bruch der Gottesbeziehung ein Wissen um die ursprüngliche Gottesbeziehung voraus, nur durch diese ursprüngliche Gottesoffenbarung ist der Mensch für seine Sünde verantwortlich zu machen 28 . „Ohne ein Wissen um Gottes Willen gibt es keine Sünde; denn Sünde heißt das Sichwegwenden von Gott. Wie könnte man sich von Gott wegwenden, wenn man nicht zuerst vor ihm stünde" 29 . Somit ist in dem Christusgeschehen als Uberwindung der Sünde, d. h. des durch den Menschen verantworteten Bruches der Gottesbeziehung, zweierlei impli20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

Ebd. Vgl. D I, S. Vgl. D I, S. D I , S. 88. Vgl. D I, S. Vgl. D I, S. Vgl. D I, S. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd.

14. 13. 25. 26. 27.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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ziert: eine ursprüngliche - durch die Sünde gebrochene - Gottesbeziehung und ein Wissen darum. „Wer ,Sünder' sagt, sagt Ur-Offenbarung; wer Uroffenbarung leugnet, leugnet auch die Sünde" 3 0 . Ist die ursprüngliche Beziehung Gottes auf den Menschen die ontologische Voraussetzung der Bezogenheit Gottes auf den Menschen in Christus, ist es aber gerade die Offenbarung des Christusgeschehens, die es notwendig macht, eine ontologische Priorität der ursprünglichen Bezogenheit Gottes zu denken, so ergibt sich für Brunner ein doppelter Sachverhalt: Setzt die geschichtliche Offenbarung Gottes in Christus die Sünde voraus, so ist zum einen die Christusoffenbarung nur verständlich, insofern sie sowohl die ontologische Priorität einer ihr vorangehenden Gottesbeziehung impliziert, da die Sünde als deren Bruch zu begreifen ist, als auch ein Wissen um diese ursprüngliche Gottesbeziehung („Uroffenbarung"), da die Sünde dem Verantwortungsbereich des Menschen zugerechnet werden muß; zum anderen aber ist diese „Uroffenbarung" der Christusoffenbarung noetisch nachgeordnet, insofern erst die Offenbarung in Christus die ontologische Priorität der ursprünglichen Bezogenheit Gottes ins Rechte Licht stellt 31 . „Es ist [...] wichtig: zu wissen, daß Gott sich schon von Anfang an in seiner Schöpfung geoffenbart hat, daß wir das aber erst und einzig durch seine Offenbarung in Jesus Christus recht zu erkennen vermögen" 3 2 . Mit der in Christus offenbaren ursprünglichen Bezogenheit Gottes auf den Menschen, die auch die Dogmatik thematisch zu machen hat, um das Christusgeschehen zu artikulieren, ist die zweite Aufgabe der Theologie verbunden: Ist es die Intention der Dogmatik die christliche Botschaft im Zusammenhang darzustellen, so kann diese „erste und wesentliche" 3 3 Aufgabe der Theologie nur gelingen, wenn ihr eine zweite Aufgabe zur Seite gestellt wird, die gerade der Tatsache Rechnung trägt, daß in Christus eine ursprüngliche Bezogenheit Gottes auf den Menschen vorausgesetzt wird, die durch die Sünde gebrochen ist. Mit andern Worten: Gottes Handeln in Christus trifft auf den sündigen Menschen, auf einen Menschen mithin, der verantwortlich die ursprüngliche Bezogenheit Gottes auf ihn gebrochen hat; sie trifft somit auf Menschen, „die bereits irgendwie Stellung bezogen, die sich den Sinn ihrer Existenz auf ihre eigene Weise schon so oder so zu Rechtgelegt haben" 3 4 . So formuliert Brunner programmatisch: „Das Wort Gottes kann nicht einen leeren

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Ebd. Vgl. D I, S. 2 8 . D I, S. 31; vgl. auch: ders., M i W , S. 6 8 . Ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 1 7 1 . Ebd.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

R a u m füllen, sondern es begehrt Einlaß in einem Haus, das schon besetzt ist" 3 5 .

1.2 Die Eristik als andere Aufgabe der Theologie im Dienst der Kirche Daher ist mit der (dogmatischen) Explikation des Gehaltes der christlichen Offenbarung nach Brunner die Aufgabe einer christlichen Lehre von der Offenbarung noch nicht erfüllt; 3 6 denn die dogmatische Aufgabe der Theologie macht eine zweite Aufgabe erforderlich: die polemische 3 7 , die Brunner als Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben widersprechenden Existenzdeutungen 3 8 und damit als Auseinandersetzung mit der durch die Sünde verblendeten Vernunft 3 9 begreift. Beschäftigt sich die Dogmatik somit mit innerhalb des Glaubens liegenden Fragen 4 0 , so beschäftigt sich die „andere" Aufgabe der Theologie mit den „außerhalb der glaubenden Gemeinde sich stellenden F r a g e n " 4 1 , mit den „der kirchlichen Botschaft entgegengesetzten Lehren und Ideologien der jeweiligen G e g e n w a r t " 4 2 . Ein Verzicht auf eine solche Auseinandersetzung setzt die Theologie der Gefahr aus, „allmählich einem geistigen Chinesentum zu verfallen" 4 3 . 4 4 Nur in der gedanklichen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Existenzverständnissen der Zeit kann die biblische Botschaft nach Brunner kommuniziert werden 4 5 . Diese Auseinandersetzung mit der verblendeten - d. h. dem W o r t Gottes widerstrebenden - Vernunft fordert eine doppelte Aufgabe: Z u m einen gilt es, die dem W o r t Gottes widerstrebende Vernunft niederzuringen, zum anderen die auch in der verblendeten Vernunft heimlich verborgene Gotteswahrheit zu befreien 4 6 . Gera-

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45 46

Ebd. Vgl. ders., Offenbarung und Vernunft, S. 24. Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 172. Vgl. a. a. O, S. 180; ders., Offenbarung und Vernunft, S. 24. Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 172. Vgl. D I, S. 19f. D I, S. 16. D I, S. 105. Brunner, Der Mittler, S. 6, Anm.l. Mit anderen Worten: Ist die dogmatische Aufgabe der Theologie von der Frage nach dem Gegenstand der Offenbarung geleitet, so ist die Frage der anderen Aufgabe der Theologie (der Eristik) „die Frage nach dem Menseben als dem Empfänger der Offenbarung" (Roessler, Person und Glaube, S. 23). Vgl. D I, S. 94. Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 173f; vgl. auch Leipold, Missionarische Theologie, S. 126.

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de aufgrund dieser doppelten Aufgabe wählt Brunner für die „andere" Aufgabe der Theologie die Bezeichnung „Eristik" (= Auseinandersetzung) statt der üblicheren Bezeichnung „Polemik" oder „Apologetik". Der Bezeichnung „Eristik" ist der Bezeichnung „Polemik" nach Brunner gerade aus dem Grund Vorzug zu geben, weil es sich bei dieser zweiten Aufgabe um eine Doppelaufgabe handelt, die die Polemik übergreift 47 . Ist der Mensch zum einen auf Gott bezogen, ist aber zum anderen sein Wissen um Gott verzerrt, so ist die biblische Botschaft zur Sprache zu bringen als Angriff und Erfüllung 48 . Ist Brunners „Eristik" somit eine bestimmte apologetische Konzeption, so ist dem Begriff der „Eristik" dem der „Apologetik" nach Brunner aus dem Grunde Vorzug zu geben, weil die Bezeichnung „Apologetik" mit einem bestimmten apologetischen Programm verbunden ist: mit der ängstlichen Defensive vor dem Forum der Vernunft 49 , ja sogar mit dem Versuch eines Vernunftsbeweises des Glaubens 50 . Hatte Brunner so zunächst den Begriff Apologetik gänzlich abgelehnt, weil er ihn selbst mit der Methode, den Glauben vernünftig zu beweisen, identifizierte 51 , so unterscheidet Brunner später in seiner Dogmatik eine rechte von einer falschen Apologetik 52 und kann den Begriff insofern positiv gebrauchen, als er seine eigene Methode „Apologetik oder Eristik" 53 nennt oder sogar von einer ,,eristisch-apologetische[n]" Methode spricht 54 . Wie die Dogmatik, so steht auch die Eristik nach Brunner im Dienst der Kirche, nämlich im Dienst ihrer Aufgabe der Predigt und Verkündigung. „Man hat endlich wieder erkannt, daß die Verkündigung der Wahrheit allein nicht genügt, daß auch die Aufdeckung der Unwahrheit unumgängliches Gebot der Stunde ist" 5 5 . Die christliche Verkündigung ist voller „eristisch-apologetischer Elemente" 56 , ist sie doch „Angriff auf das Selbst-

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" 56

Vgl. ders., Die andere A u f g a b e der T h e o l o g i e , S. 176. Vgl. a. a. O . , S. 183. - „Sie [die Eristik] ist Angriff auf seine Illusionen, d. h. auf jenes Seinsverständnis, wie es nur d e m nichtexistentiellen D e n k e n g e n ü g e n k a n n . Sie ist aber auch Erfüllung des Wahrheitsmomentes, d a s auch in dieser nichtexistentiellen Seinsdeutung noch vorhanden ist, aber, weil nur H a l b w a h r h e i t , nie zur Vollendung k o m m e n k a n n " (a. a. O . , S. 183). Vgl. a. a. O . , S. 173. Vgl. I, S. 105. - Vgl. hierzu auch Leipold, M i s s i o n a r i s c h e T h e o l o g i e , S. 1 3 2 f f ; Roessler, Person und G l a u b e , S. 3 0 f . Vgl. u. a. Brunner, Die andere A u f g a b e der Theologie, S. 1 7 3 . Vgl. bes. D I, S. 105. Vgl. ebd. Vgl. hierzu u. a. D I, S. 1 0 6 . Ebd. Ebd.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Verständnis des ungläubigen, natürlichen' Menschen" 5 7 . Dieser Angriff geschieht in der Eristik in reflektierter Form 5 8 . „Was aber die Predigt im existentiellen Akt des Ansprechens tut: das Wort Gottes so verkündigen, daß der Widerstand der Vernunft zusammenbricht und das Herz sich ergibt unter der Wahrheit des Wortes, das muß auch die Theologie tun, freilich nicht in der Form der Predigt, sondern der Reflexion" 5 9 . Die beiden Funktionen der Theologie, die dogmatische und die eristisch-apologetische, die in der Theologie getrennt vollzogen werden, sind in der Predigt eine Einheit 60 . Sowohl die dogmatische Funktion als Klärung der christlichen Botschaft als auch die eristische Funktion der Theologie als Verteidigung der christlichen Botschaft dienen nach Brunner dem Missionsbefehl der Kirche. Gegen die Behauptung, der Missionsbefehl sei für den sündigen Menschen unausführbar, die Verkündigung ergebnislos, betont Brunner, daß die Bibel uns nicht dazu anleitet, „über die Ergebnislosigkeit unseres Handelns, das im Auftrag Gottes geschieht, zu reflektieren, sondern im Gegenteil, zum Vertrauen darauf, daß ein Handeln [...] von Gottes Segen begleitet und niemals ergebnislos sein werde" 6 1 . Hatte Brunner noch 1937 die Intention, das Wort Gottes an den Menschen, der nichts davon versteht, in zwei Stufen zu explizieren, indem zunächst das Verständnis des „modernen Menschen" entwickelt wird, um im Anschluß daran das Wort Gottes zu entfalten 62 , so stellt Brunner später fest, daß „die Auseinandersetzung mit dem nichtchristlichen Denken nicht die Basis und nicht der Ausgangspunkt für die Dogmatik selbst sein kann" 6 3 . Die Apologetik soll nun weder als Grundlegung der Dogmatik fungieren, noch sollen beide Aufgaben irgendwie identifiziert werden 6 4 . Dogmatik und Eristik bzw. Apologetik werden als getrennte theologische Disziplinen gefaßt. So betreibt Brunner in seiner Dogmatik auch keine Apologetik 6 5 . Damit jedoch hat Brunner kein bezugsloses Nebeneinander von Dogmatik und Eristik das Wort geredet, 57 58 59 60 61

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Ebd. Vgl. ebd. Ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 175. Vgl. a . a . O . , S.186. Ders., Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 548. Vgl. u. a. ders., Das Wort Gottes und der moderne Mensch, S. 12f. D I, S. 107. - Wenn Leipold daher behauptet, bei Brunner werde die Eristik mit dem identifiziert, „was in der Theologie als Prolegomena, als Grundlegung zur Sprache kommt" (ders., Missionarische Theologie, S. 147f; vgl. auch a. a. O., S. 133, Anm. 65), so gilt dies doch nur für die Frühphase bei Brunner. Vgl. D I, S. 107. Vgl. D I, S. 13ff.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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vielmehr zeigte sich bereits, daß beide eng aufeinander bezogen sind. Die Aufgabe der Eristik ergibt sich ja allererst aus der dogmatischen Explikation des Christusgeschehens. Setzt die geschichtliche Offenbarung in Christus eine ursprüngliche - durch die Sünde zerstörte - Beziehung Gottes auf den Menschen voraus, so kann das Christusgeschehen dogmatisch gar nicht verständlich expliziert werden ohne diesen Bruch. Gerade hier aber setzt die eristische Aufgabe ein, indem sie sich mit dem - aus der sündhaften Verblendung des Menschen resultierenden - Selbstverständnis auseinandersetzt. Die dogmatische Explikation bildet somit den Hintergrund für Brunners apologetische Methode 6 6 . Gerade in der Auseinandersetzung mit Barth wird sich zeigen, daß die Auseinandersetzung um Brunners Eristik sich als Streit um die dogmatischen Voraussetzungen gestaltet. Wir werden daher im folgenden Kapitel zunächst Brunners dogmatische Explikation des ursprünglichen Gottesverhältnisses, der sündigen Verblendung und der Überwindung der Sünde in Gottes Handeln in Christus untersuchen.

2. Die dogmatischen Voraussetzungen Ist Gottes Bezogenheit in Christus eine Bezogenheit auf den sündigen Menschen als Heilung eines gebrochenen Gottesverhältnisses, so setzt wie sich bereits zeigte - für Brunner dieses heilende Verhältnis Gottes ein ursprüngliches Verhältnis ontologisch voraus, das in der Sünde gebrochen wird. Gleichzeitig muß es ein Wissen um das ursprüngliche Gottesverhältnis (Uroffenbarung) geben, weil sonst die Sünde nicht in der Verantwortlichkeit des Menschen steht. Brunner spricht zwar davon, daß das Wissen um das ursprüngliche Gottesverhältnis der Christusoffenbarung noetisch nachgeordnet ist, insofern sich das ursprüngliche Gottesverhältnis erst aus der Christusoffenbarung (als Offenbarung der Heilung des ursprünglichen Gottesverhältnisses) als eben dessen ontologische Voraussetzung erschließt, deutet aber gleichzeitig an, daß der Bruch des Gottesverhältnisses nur dann als Sünde (und das heißt für Brunner als Verantwortlichkeit) gefaßt werden kann, wenn zugleich ein „Wissen" um dieses ursprüngliche Gottesverhältnis - eben als Uroffen-

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Von daher ist der Frage von Leipold, „ob die sogenannte ,andere' Aufgabe überhaupt eine andere Aufgabe sein kann! O b sie nicht streng in ihrer inneren Einheit mit der ersten Aufgabe gesehen werden muß" (ders., Missionarische Theologie, S. 150), in Brunners dogmatischer Konzeption durchaus Rechnung getragen.

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barung - gegeben ist 67 . Es bedarf folglich einer Klärung des Verhältnisses von der ursprünglichen Bezogenheit Gottes auf den Menschen und des Wissens um diese ursprüngliche Bezogenheit. 2 . 1 Das ursprüngliche Gottesverhältnis Ist in der Offenbarung Gottes in Christus sowohl eine ursprünglich schöpferische Bezogenheit Gottes 6 8 auf den Menschen impliziert als auch ein Wissen um diese Bezogenheit, so unterscheidet Brunner bezüglich dieses Wissens noch einmal zwischen der Behauptung der Möglichkeit eines solchen Wissens und der Behauptung der Faktizität eines solchen Wissens: Die Verantwortlichkeit des Menschen für die Sünde, d. h. für den Bruch des ursprünglichen Gottesverhältnisses wurzelt nach Brunner in der Möglichkeit, Gott zu erkennen, so daß die Leugnung einer solchen Möglichkeit auf die Leugnung der Verantwortlichkeit des Menschen hinausliefe 69 . ,,[W]as wäre das für ein Schöpfer, der nicht seinem Geschöpf den Stempel seines Geistes aufdrückte" 7 0 . Mit der Behauptung der Möglichkeit der Erkenntnis der ursprünglichen Bezogenheit Gottes auf den Menschen ist aber nicht die Behauptung der Faktizität einer solchen Erkenntnis impliziert; denn - so Brunner - zwischen der Schöpfungsoffenbarung (als der Offenbarung der ursprünglich schöpferischen Bezogenheit Gottes auf den Menschen) und dem natürlichen Menschen steht die Sünde 71 . Während die Schrift die Schöpfungsoffenbarung fordert, weil gerade in der Möglichkeit, Gott zu erkennen die Verantwortung des Menschen wurzelt und somit eine Leugnung der Schöpfungsoffenbarung auf eine Leugnung der Verantwortlichkeit des Menschen herausläuft 72 , betont Brunner ebenso stark, daß die Sünde den Blick des Menschen derart getrübt hat, daß er die Schöpfungsoffenbarung gerade nicht zu sehen vermag 7 3 . 67

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Wenn Salakka bei Brunner mit dem Schöpfungsgedanken unmittelbar die Schöpfungsoffenbarung verbunden sieht (vgl. ders., Person und Offenbarung in der Theologie Emil Brunners während der Jahre 1 9 1 4 - 1 9 3 7 , S. 146), so verdeckt er, daß dies bei Brunner über die Verantwortlichkeit des Menschen läuft. Auf Brunners problematische Beschreibung des ursprünglichen Gottesverhältnisses wird noch zurückzukommen sein (vgl. Teil 2; Kap. III.A.4.2.1.2). Vgl. Brunner, Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 5 4 3 . D I, S. 1 3 7 . Vgl. ebd. Vgl. ders., Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 5 4 3 . Vgl. ebd. - Daher ist zwischen der Behauptung einer Schöpfungsoffenbarung und der natürlichen Theologie zu unterscheiden; denn die Frage „ob der natürliche

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Somit ist nach Brunner zu unterscheiden, zwischen der - auch durch die Sünde nicht zerstörten - Schöpfungsoffenbarung auf der einen Seite und der durch die Sünde vereitelten tatsächlichen Gotteserkenntnis74. Es gibt somit nicht nur eine ursprünglich schöpferische Bezogenheit Gottes auf den Menschen, sondern auch ein ursprüngliches Wissen um diese Bezogenheit (Uroffenbarung) - ist doch ,,[i]n jeder Schöpfung [...] der Geist ihres Schöpfers irgendwie erkennbar" 75 - , doch ist dieses Wissen, das der Mensch qua seiner schöpferischen Bezogenheit auf Gott haben könnte, durch die Sünde derart getrübt, daß der Mensch blind für diese ursprüngliche Bezogenheit ist. Die Erkennbarkeit der schöpferischen Bezogenheit Gottes ist durch die Sünde nicht zerstört, sondern der Mensch ist blind für das, was doch sichtbar vor Augen steht76. Gerade hierin besteht nach Brunner die Unentschuldbarkeit des Menschen77, weil er, obwohl Gott sich deutlich manifestiert, Gott nicht erkennen will78. So ist von der Möglichkeit der Erkennbarkeit des schöpferischen Handelns Gottes das faktische Erkennen desselben zu unterscheiden79. Damit hält Brunner die noetische Priorität der Christusoffenbarung vor der Schöp-

74

75 76 77 78 79

Mensch', das heißt der von der geschichtlichen Offenbarung noch nicht berührte Mensch, in der Lage sei, diese göttliche Schöpfungsoffenbarung auch als solche, ihrem Wesen und Sinn gemäß, zu erkennen" (D I, S. 1 3 7 ) , wird von Brunner negiert: So behauptet Brunner zwar die ursprüngliche Bezogenheit Gottes auf den Menschen als eine ontologische Kategorie (Schöpfungsoffenbarung), bestreitet aber - aufgrund der sündigen Verblendung - , daß der natürliche Mensch diese Offenbarung zu erkennen vermag (natürliche Theologie): „Es ist also einerseits die Realität der Schöpfungsoffenbarung anzuerkennen, andererseits aber die Möglichkeit einer - richtigen, gültigen - natürlichen Gotteserkenntnis zu bestreiten" (ebd.). Daher ist Leipolds Urteil zuzustimmen: „Die Anerkennung einer Schöpfungsoffenbarung bedeutet noch nicht die Anerkennung einer theologia naturalis. Und die Ablehnung einer theologia naturalis setzt keineswegs auch die Ablehnung einer Schöpfungsoffenbarung voraus" (ders., Missionarische Theologie, S. 2 8 2 ) . Vgl. Brunner, Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 5 4 4 . Ders., Natur und Gnade, S. 3 4 1 . Vgl. a. a. O . , S. 3 4 2 . Vgl. auch Pohl, Das Problem des Naturrechts bei Emil Brunner, S. 6 4 . Vgl. Brunner, Natur und Gnade, S. 3 4 2 . Vgl. a. a. O., S. 3 4 3 . - So betont zu Recht Pohl, Das Problem des Naturrechts bei Emil Brunner, S. 6 4 : „Das Fehlerhafte an der natürlichen Offenbarung ist nicht auf objektiver Ebene zu suchen [...], sondern es liegt in der subjektiven menschlichen Auffassung von Offenbarung". Wenn Pohl allerdings die Behauptung aufstellt, die natürliche Offenbarung enthalte nach Brunner alles, was für die Erlösung notwendig ist (vgl. ebd.), so verkennt er die bei Brunner intendierte kategoriale Unterscheidung zwischen der Schöpfungsoffenbarung und der Heilsoffenbarung. Vgl. hierzu auch Leipold, Missionarische Theologie, S. 2 3 I f f .

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

fungsoffenbarung fest: Erst in Christus ist die Schöpfungsoffenbarung rein erkannt 80 . Hält Brunner so die noetische Priorität der Christusoffenbarung vor der Schöpfungsoffenbarung fest, so weicht er sie in seinen Formulierungen doch insoweit auf, als er davon spricht, daß in der Christusoffenbarung die Schöpfungsoffenbarung erst „in ihrer ganzen Größe" 8 1 bzw. „recht" 82 und ,,gültig[]" 83 erkannt wird. So gilt: Wird auch in der Offenbarung der Heilung des ursprünglichen Gottesverhältnisses das ursprüngliche Gottesverhältnis erst erkannt, so besteht zuvor nicht nur die - durch die Sünde verdorbene - Möglichkeit der Erkennbarkeit dieses ursprünglichen Gottesverhältnisses, sondern das ursprünglich schöpferische Verhältnis Gottes zum Menschen wird zuvor schon „irgendwie" erkannt, wenn auch nicht „rein" und „richtig". Zu fragen bleibt daher, welche Bedeutung Brunner neben der durch die Sünde verlorenen „Faktizität" der Erkenntnis Gottes auch der immer noch bestehenden Möglichkeit dieser Erkenntnis Gottes zumißt. Deutlich ist, daß der Begriff Schöpfungsoffenbarung bei Brunner in erster Linie den Sachverhalt zum Ausdruck bringen soll, daß in der Welt als Gottes Schöpfung Gottes schöpferisches Handeln abgebildet ist. Damit ist Gottes schöpferisches Handeln von seinem Heilshandeln unterschieden; denn Gottes Heilshandeln ist nach Brunner kein Element der Schöpfungsoffenbarung 84 . Ist Gottes schöpferisches Handeln in der Welt abgebildet, so nicht sein erlösendes Handeln, seine vergebende Barmherzigkeit 85 . Damit hält Brunner gegenüber Konzeptionen, die Gottes Versöhnung in Christus zum Strukturmoment der geschöpflichen Wirklichkeit erheben, fest, daß Gottes versöhnendes Handeln der geschöpflichen Wirklichkeit keinesfalls zugrunde liegt und unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung nicht nur faktisch verkannt wird, sondern nicht erkennbar ist. Gleichzeitig ist jedoch gegen die Verkennung und Unterbelichtung des schöpferischen Handelns Gottes die Eigenständigkeit des schöpferischen Handelns Gottes gewahrt. Brunner behauptet daher positiv ein dreifaches: Erstens impliziert die Christusoffenbarung als Offenbarung der Heilung des gebrochenen Gottesverhältnisses die ontologische Priorität einer ursprünglich schöpferischen Bezogenheit Gottes auf den Menschen. Zweitens muß diese schöpferische Bezogenheit Gottes auf den Menschen dem Menschen offenbar sein (Uroffenbarung bzw.

80 81 82 83 84 85

Vgl. Brunner, Natur und Gnade, S. 344. Ebd. A. a. O., S. 347. D I, S. 137. Vgl. ders., Natur und Gnade, S. 343. Vgl. a. a. O., S. 355.

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Schöpfungsoffenbarung), soll die Sünde in der Verantwortlichkeit des Menschen liegen. Drittens aber trübt die Sünde den Blick des Menschen in der Weise, daß er die Schöpfungsoffenbarung, die er qua seiner Geschöpflichkeit, d. h. qua Gottes ursprünglich-schöpferischer Bezogenheit auf ihn, sehen könnte, gerade nicht zu sehen vermag. Brunner unterscheidet somit zwischen Gottes Schöpfung, die zwar unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung als Schöpfung Gottes verkannt wird, die aber als Strukturprinzip der menschlichen Wirklichkeit Gegenstand der menschlichen Erfahrung ist (wenn auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung diese Erfahrungen mit der Schöpfung Gottes nicht als eben solche gedeutet werden) und Gottes Handeln in Christus, das, gerade weil es kein Strukturprinzip der geschöpflichen Wirklichkeit ist, nicht Gegenstand der allgemein-menschlichen Erfahrung ist 86 .

2 . 2 Sündige Verblendung des ursprünglichen Gottesverhältnisses Ausgegangen werden muß von dem schon explizierten Gedanken Brunners: Weil Gott auf den Menschen in einer schöpferischen (Dasein gewährenden) Weise bezogen ist, steht auch der natürliche Mensch in einer (ursprünglichen) Gottesbeziehung. Diese ursprüngliche Gottesbeziehung ist auch in der Schöpfung abgebildet und daher für den Menschen dort ablesbar (Uroffenbarung bzw. Schöpfungsoffenbarung). Durch die Sünde jedoch ist diese faktisch bestehende Uroffenbarung verdunkelt, sie ist zur bloßen Möglichkeit des Menschen geworden. Weil Gott in einem ursprünglichen Verhältnis zum Menschen steht, ist auch der natürliche Mensch „nicht ohne ein Wissen von G o t t " 8 7 , und doch weiß er nichts Richtiges von ihm 8 8 . Weil jedoch die Sünde das Wissen des Menschen um

86

Die in diesem Zusammenhang auffällige Ausblendung des göttlichen Gesetzes wird noch zu erörtern sein. Wird bei Eiert die (gefallene) geschöpfliche Wirklichkeit einseitig von Gottes Gesetz her begriffen und droht hier die schöpferische (Dasein gewährende) Gegenwart Gottes aus dem Blick zu geraten, so wird bei Brunner zwar dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß in der gefallenen Schöpfung Gott als schöpferischer Grund der Wirklichkeit verkannt ist, aber das Gesetz Gottes als Element der gefallenen geschöpflichen Wirklichkeit wird bei Brunner außer Betracht gelassen, d. h. es wird nicht zur Geltung gebracht, daß die Sünde nicht nur Widerspruch des Menschen gegen Gott ist, sondern im Gesetz auch Gott dem Widerspruch des Menschen gegen ihn (in der Sünde) widerspricht.

87

D I, S. 125. Vgl. ders., Unser Glaube, S. 8.

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seine ursprüngliche Bezogenheit auf Gott verdunkelt hat, ist eben dieses Wissenkönnen nicht hinreichend, um die sündige Verblendung aufzuheben 89 . „Es reicht gerade dazu hin, den Menschen unentschuldbar' zu machen, nicht aber dazu, ihn zur Ehrung Gottes und zur Gemeinschaft mit Gott zu bringen. Dieses natürliche Wissen um Gott wird im sündigen Menschen notwendig zum Götterwahn, oder - was wiederum grundsätzlich dasselbe ist - zur abstrakten Gottidee" 90 . Impliziert die Christusoffenbarung als Offenbarung der Heilung des gebrochenen Gottesverhältnisses die ontologische Priorität eines ursprünglichen - durch die Sünde gebrochenen - Gottesverhältnisses, in dem Gott der Kreatur den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat, und ist dieses ursprüngliche Gottesverhältnis als Implikat der Christusoffenbarung dieser noetisch nachgeordet, so plädiert Brunner konsequenterweise für eine biblische analogia entis 91 . Die biblische analogia entis ist die „Lehre, daß Gott, der Schöpfer, der Kreatur den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat" 9 2 , dies aber erst aus der Perspektive der Christusoffenbarung erkennbar ist 93 . Das ontologische Prinzip der analogia entis kann daher nicht außerhalb der Offenbarung als solches identifiziert werden 94 . Für die durch die Sünde getrübte menschliche Vernunft ist die analogia entis keine Erkenntnismöglichkeit. Doch besteht diese analogia faktisch - und zwar aufgrund der Schöpfung 95 . Die geschaffenen Dinge tragen den Stempel Gottes 96 . So kann Brunner - anders als Barth 97 - in der analogia entis nichts spezifisch katholisches erblicken 98 . Bei aller Unähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf 99 ist „die Natur als Werk des Schöpfers, der sich in ihr verherrlichen und mitteilen will, nicht ohne Ähnlichkeit mit dem göttlichen Sein" 100 . „Was immer der Schöpfer schafft, das trägt den Stempel seines Schöpfergeistes an sich, das ist darum in irgendeinem M a ß und Sinn ,ähnlich', Gleichnis, Analogie" 101 . Weil Gott den Men89 90 91 92 93 94 95 96 97

98 99 100 101

Vgl. D I, S. 125. Ebd. Vgl.D I, S. 179. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ders., Vernunft und O f f e n b a r u n g , S. 96. Vgl. a. a. O., S. 96f. Vgl. a. a. O., S. 97. Vgl. KD 1/1, S. VIII. So bezeichnet Barth die analogia entis als das „Kardinaldogma des römischen Katholizismus" (KD I I / 1 , S. 174). Vgl. Brunner, N a t u r und G n a d e , S. 371. Vgl. D I, S. 180f. D II, S. 32. D II, S. 33.

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sehen nach seinem Bilde geschaffen hat, können wir von Gott nicht anders Reden, als in menschlichen Bildern102. Gerade in zwei Begriffen sieht Brunner die Analogie zum Ausdruck gebracht: „Im Begriff des Wortes und dem der Person. Daß der Mensch reden kann, ist dem ähnlich, daß Gott redet; daß der Mensch Person ist, ist eine Analogie zum Personsein Gottes" 103 . Gerade durch die Ähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf ist nach Brunner überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, die Offenbarung verstehend zu empfangen und von ihr in menschlichen Worten Zeugnis ablegen zu können 104 . So ist Gottes Offenbarung in Christus der Erkenntnisgrund für die in der Schöpfung abgezeichnete Ähnlichkeit zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf, nicht aber der Erkenntnisgegenstand, d. h. der Glaube ist nicht selbst die Analogie 105 . Aus diesem Grund wehrt sich Brunner gegen eine Transposition der analogia entis hin auf die analogia fidei 106 . Ist bei Barth die Analogie zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht schon durch die Schöpfung gesetzt, sondern erst durch Christus im Glauben konstituiert, so stimmt Brunner der analogia fidei zu, daß der Glaube an Christus der Erkenntnisgrund der Ähnlichkeit ist, er sieht aber in Barths Konzeption verkannt, daß die Analogie in der Schöpfung selbst liegt, nicht im Glauben 107 . „Die Analogien bestehen also nicht durch die fides, aber sie sind nur der fides richtig sichtbar. Darum kann die analogia entis nicht durch die fides ersetzt werden, sondern kommt [...] erst durch die fides zur Erkenntnis" 108 . So erblickt schon Brunner den Kategorienfehler Barths in der „Nichtunterscheidung von Erkenntnisgrund und Realgrund" 109 , mithin in der Verwechslung von ratio cognoscendi und ratio essendi. Damit erkennt Brunner, daß Barths Lehre die ontologische Struktur des Gott-Welt-Verhältnisses selbst trifft, nicht bloß die Zugänglichkeit dieser Struktur für die natürliche Erkenntnis problematisiert; denn - so Brunner - Barth intendiere nicht nur, den Glauben als Erkenntnisgrund der analogia entis zu betonen, sondern den Glauben auch zum Seinsgrund der analogia entis zu machen. Demgegenüber insistiert Brunner darauf, daß aufgrund der ontologischen Struktur des Seins, d. h. aufgrund der Tatsache, daß Gott in seinem schöpferischen Handeln der

102 103 104 105 106 107 108 109

Vgl. ders., Natur und Gnade, S. 3 7 1 . D II, S. 33. Vgl. D I, S. 18Of. Vgl. D I, S. 179. Vgl. D I, S. 180. Vgl. ebd. Ders., Offenbarung und Vernunft, S. 9 7 . Ebd.

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Kreatur den Stempel seines Wesens aufgedrückt hat, trotz aller Unähnlichkeit eine Analogie des Seins, nicht bloß eine Analogie des Glaubens besteht. Weil aber - so Brunner - gerade diese seinsmäßige Ähnlichkeit durch die sündige Verblendung des Menschen verdunkelt ist, kann sie zwar erst im Glauben erkannt werden, wird aber hier keinesfalls erst konstituiert. Gerade daher plädiert Brunner für eine biblische analogia entis, eine Lehre mithin, die gerade der seinsmäßigen Ähnlichkeit Rechnung trägt, ohne die noetische Funktion des Christusgeschehens für diese seinsmäßige Ähnlichkeit zu verkennen.

2.3 Die Überwindung der Sünde Die ursprüngliche Gemeinschaft mit Gott - so stellt Brunner fest - ist durch die Sünde zerstört 110 . „Die Trennung von Gott kann nur beseitigt werden, und sie muß beseitigt werden, wenn es denn eine Wiederherstellung der Gemeinschaft geben soll" 111 . Nur durch einen Eingriff in die menschliche Situation, eine Neusetzung der Beziehung zu Gott kann die Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt werden 1 1 2 . Das Christusgeschehen ist daher nach Brunner als dieser Eingriff durch Gott in die menschliche Situation zur Sprache zu bringen 113 ; nicht anders als durch die Sendung seines Sohnes will Gott die Gemeinschaft des Menschen mit sich wiederherstellen 114 . Als kontingent-geschichtliches Geschehen - als Eingriff Gottes in die Welt - liegt es „außerhalb der menschlichen Möglichkeiten" 115 ; das Geschehen am Kreuz ist mithin „der höchste Ausdruck der Nichtselbstverständlichkeit der Vergebung" 116 . Gerade indem Gott selbst im Kreuz stirbt, erweist Gott seine Gerechtigkeit, das Urteil über die Sünde wird vollstreckt, aber so, daß Christus die verdiente Strafe des sündigen Menschen trägt 117 . Gottes Zorn als Reaktion auf den sündigen Menschen ist zwar nicht Gottes Wesen, aber doch eine Wirklichkeit für den sündigen Menschen, „die nur durch das wirkliche Geschehen des Kreuzestodes und des Glaubens an ihn beseitigt werden kann" 1 1 8 . Diese Zorneswirklichkeit kann nur durch Gott selbst beseitigt 110 111 112 113 114 115 116 117 1,8

Vgl. D II, S. 310. D II, S. 311. Vgl. D II, S. 311. Vgl. D II, S. 314. Vgl. D III, S. 39. Ebd. Ebd. Vgl. D II, S. 315. D II, S. 317.

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w e r d e n " 1 1 9 . Im K r e u z e s t o d J e s u v o n N a z a r e t h als der V e r s ö h n u n g ist diese Beseitigung g e s c h e h e n 1 2 0 . Allerdings - so betont B r u n n e r - ist die V e r s ö h n u n g im K r e u z e s t o d J e s u erst g e s c h e h e n 1 2 1 , diese „ T a t s a c h e ges c h a f f e n " 1 2 2 . D a s K r e u z ist s o m i t nicht bloß ein „gleichnishafter H i n w e i s a u f die göttliche V e r s ö h n u n g " 1 2 3 , vielmehr ist das K r e u z selbst die V e r s ö h n u n g , im K r e u z v o n G o l g a t h a ist die V e r s ö h n u n g R e a l i t ä t . In noetischer H i n s i c h t gilt n a c h B r u n n e r , d a ß der G l a u b e a n die W e l t als Schöpfung G o t t e s erst a u s d e m G l a u b e n a n den V e r s ö h n e r e n t s t e h t , d. h. der Glaube a n das ursprüngliche Verhältnis G o t t e s z u m M e n s c h e n entsteht erst aus d e m G l a u b e n a n die Heilung des B r u c h e s des ursprünglic h e n Verhältnisses G o t t e s z u m M e n s c h e n 1 2 4 . Gegen einen t h e o l o g i s c h e n Kategorienfehler, der Jesus Christus z u m Seinsgrund des m e n s c h l i c h e n Seins m a c h t , b e t o n t B r u n n e r - wie sich bereits zeigte - d a ß Jesus C h r i s t u s z w a r als r a t i o c o g n o s c e n d i nicht aber als r a t i o essendi zur S p r a c h e zu bringen ist 1 2 5 . Z w a r ist er der E r k e n n t n i s g r u n d allen E r k e n n e n s -

119 120 121 122 123 124

125

auch

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. D II, S. 357. D III, S. 39. D II, S. 358. Vgl. D II, S. 18f. Ziel der Schöpfung der Welt ist Gottes Liebe; denn ,,[a]ls der heilige Gott will er sich in seiner Schöpfung verherrlichen; als der liebende Gott will er sich selbst anderen geben" (D II, S. 23). Gott will sich somit so verherrlichen, „daß das, was er gibt, in Freiheit empfangen und ihm zurückgegeben wird: seine Liebe" (D II, S. 24). In der Offenbarung der Liebe Gottes in Christus wird somit der Grund und das Ziel der Schöpfung offenbar (vgl. ebd.). So ist nur von der Offenbarung Gottes in Christus als der Offenbarung des Grundes und des Ziels der Welt überhaupt die Schöpfung Gottes wahrhaft zu begreifen (vgl. D II, S. 25). Indem Brunner zwar die vergebende Liebe als höchsten Ausdruck der Gottheit Gottes (Heiligkeit), die sich dem Geschaffenen gegenüber als Gerechtigkeit geltend macht, faßt, aber Gottes Gottheit nicht mit seiner vergebenden Liebe identifiziert, intendiert er den Nachweis zu liefern, daß Jesus Christus als höchster Ausdruck der Gottheit Gottes nicht der Seinsgrund allen Seins ist (es gibt ein in der Heiligkeit begründetes Wirken Gottes, das - obschon in Diensten, so doch außerhalb der vergebenden Liebe Gottes in Christus geschieht). Indem Brunner den in Gottes Gottheit begründeten Zorn als bleibende Wirklichkeit neben seiner Liebe in Christus denken kann, beabsichtigt Brunner, die wahre Entscheidung des Glaubens und damit die Verantwortung des Menschen nicht zu überspielen (vgl. D I, S. 341f). Gegen Barths Behauptung, daß Jesus Christus der Erwählende und der Erwählte ist, hält Brunner daher daran fest, daß das Subjekt der Erwählung Gott, Jesus Christus hingegen der Mittler der Erwählung ist (vgl. D I, S. 319). „In ihm, durch ihn, aber nicht von ihm sind wir erwählt, wie die Welt durch ihn, in ihm und zu ihm hin erschaffen ist, aber nicht von ihm" (ebd.). Brunner erinnert daran, daß unter der Bedingung, daß Jesus Christus zum Objekt wie zum Subjekt

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des wahren Erkennens der Welt als Gottes Schöpfung - , aber er ist nicht der Seinsgrund allen Seins 126 . Zwischen dem Erkenntnisweg und dem Seinsweg ist somit nach Brunner streng zu unterscheiden 127 . Brunner erkennt, daß die Erhebung Jesu Christi zur ratio essendi, zum Seinsgrund allen Seins, aus der Fleischwerdung notwendig eine ewige Wahrheit machen würde, mithin den geschichtlichen Charakter der Fleischwerdung aufzuheben droht 128 . „Der Mensch gewordene Gottesohn steht nicht am Anfang aller Dinge, sondern im Mittelpunkt der Geschichte als der, durch den alle Geschichte in ein ante und ein post Christum natum geteilt wird" 1 2 9 . Lehrt man - so Brunner - wie Barth die ewige Präexistenz des Gottmenschen, „so ist die Inkarnation kein Ereignis mehr" 1 3 0 . Die Unterscheidung von ratio essendi und ratio cognoscendi will Brunner auch in der trinitarischen Verhältnisbestimmung wahren: Jesus Christus ist die ratio cognoscendi, er offenbart sich und den Vater 1 3 1 . So haben wir zwar nur durch Sohn den Vater 1 3 2 , aber der offenbarende Sohn ist vom offenbarten Vater zu unterscheiden 133 . So ist der Vater im Sohn als der offenbart, der er wirklich ist, nämlich als die Liebe 134 . Und doch gibt es auch ein „,fremdes Werk' Gottes" 1 3 5 , es gibt somit Werke Gottes, die nicht Werke des Sohnes sind 136 . „Gott ist also auch da, wo Jesus der Erwählung gemacht wird, das Gericht abgetan ist und eine Entscheidung überflüssig wird (vgl. ebd.). „Der Sohn bedeutet in sich selbst die Erwählung; wo der Sohn ist, da ist die Erwählung; aber wo der Sohn nicht ist, da ist auch nicht die Erwählung" (D I, S. 3 2 0 ) . „Es ist derselbe irrige Christomonismus, dem wir schon in der Trinitätslehre begegneten; die schlechthinnige Ineinssetzung von Gott und Christus, durch die der Sohn aus dem Schöpfungsmittler zum Schöpfer wird, führt mit Notwendigkeit zu der These, daß der Sohn das Subjekt der ewigen Erwählung sei und damit zur Beseitigung des Gedankens vom Gericht und der Möglichkeit des Verlorengehens" (ebd.). So hält Brunner gegen die Ausführungen Barths fest: Sind alle durch Jesus Christus errettet (vgl. D I, S. 3 5 4 ) , so bekommt der Glaube einen untergeordneten Rang (vgl. D I, S. 3 5 5 f ) , und die eigentliche Entscheidung findet im Objektiven, nicht im Subjektiven statt (vgl. D I, S. 3 5 6 ) . 126 127 128 129 130

131 132 133 134 135 136

Vgl. D II, S. 2 5 8 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. D II, S. 2 5 7 . D I, S. 3 5 3 . - Der präexistente Gottessohn ist daher nach Brunner nicht der menschgewordene Jesus Christus (so auch Schild, Die Christologie Emil Brunners, S. 2 9 4 ) . Vgl. D I, S. 1 1 3 . Vgl. D I, S. 2 2 1 . Vgl. D I, S. 2 2 6 . Vgl. D I, S. 2 3 2 . D I, S. 2 3 4 . Vgl. D I, S. 2 3 6 ; 2 3 8 . - „Es gibt einen doppelten Bereich Gottes, den Bereich, wo Gott so ist, wie er sich in Jesus Christus offenbart, als Heil, als Licht und Leben;

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Christus mit seinem Licht und Leben nicht ist, in der Finsternis, als der zornige" 1 3 7 . G o t t allein wird der Schöpfer genannt, niemals wird der Sohn oder Jesus Christus im N e u e n T e s t a m e n t der Schöpfer g e n a n n t 1 3 8 . Als verborgener G o t t ist G o t t ein anderer als der, der sich in Jesus Christus offenbart hat 1 3 9 . „ D a s ist jener deus nudus, der sich nicht in der Gestalt des M e n s c h e n s o h n e s verhüllt, die erschreckende M a j e s t ä t , die ,aller Kreatur unleidlich' i s t " 1 4 0 . D u r c h seine trinitarische Verhältnisbestimmung will Brunner so gew a h r t wissen, daß der m e n s c h g e w o r d e n e Gottessohn nicht die r a t i o essendi, der Seinsgrund allen Seins ist, es somit ein W i r k e n Gottes außerhalb des Christusgeschehens gibt, d. h. W e r k e des V a t e r s , die nicht mit seinem W i r k e n in Jesus Christus identifiziert werden k ö n n e n . Brunner zeigt so in seinem Gottesverständnis, w a r u m der G o t t m e n s c h Jesus Christus nicht als die ratio essendi zur Sprache g e b r a c h t w e r d e n kann: Gottes W e s e n ist seine Gottheit (Heiligkeit) und seine Liebe. Z w a r findet Gottes Gottheit (Heiligkeit) 1 4 1 , die sich dem Geschaffenen gegenüber als

137 138 139 140 141

und der Bereich, wo er nicht so ist, wie er sich in Jesus Christus offenbart, nämlich als die Zornesglut, die verdirbt, vernichtet und in der Finsternis wirkt. Diese Bereiche sind Wirklichkeit; die eine ist die Wirklichkeit in Christus, in die wir hineingestellt werden durch das rettende Wort und den rettenden Glauben; die andere ist die Wirklichkeit außerhalb Christus, die Welt des Unheils, der Finsternis, aus der wir durch Christus gerettet werden, sofern wir glauben" (D I, S. 234f). D I, S. 236. Vgl. ebd. Vgl. D I, S. 237. Ebd. Brunner intendiert den Aufweis, daß zum einen sowohl Gottes „fremdes" Werk, sein Zorn, als auch seine vergebende Liebe in Christus in Gottes Gottheit (Heiligkeit) begründet sind, aber so, daß gerade die vergebende Liebe der höchste Ausdruck der Gottheit Gottes ist, ohne mit dieser identifiziert werden zu können (vgl. D I, S. 160ff; 186ff). „Heiligkeit ist die Wesenart Gottes, das, was sie von allem anderen unterscheidet, die Wesenstranszendenz Gottes, das ,Ganz Andere'" (D I, S. 161). Gottes Heiligkeit bringt somit in positiver Hinsicht die Einzigkeit Gottes zum Ausdruck, in negativer Hinsicht den Widerspruch Gottes gegen die Verkennung seiner Einzigkeit (vgl. D I, S. 163). Damit ist sowohl die Ehre Gottes als auch sein Zorn in der Heiligkeit Gottes begründet (vgl. ebd.). Gott ist somit der „unbedingt bekümmerte Gott, dem es nicht gleichgültig ist, ob das Geschöpf den Willen des Schöpfers oder seinen eigenen Willen tue, ob in der Welt die Lüge oder seine Wahrheit gelte, ob neben ihm andere Götter verehrt und anderen Herrn Gehorsam geleistet werde. Es kommt ihm darauf an, it matters - wie der Engländer sagen würde. Und zwar kommtes es ihm darauf an, daß er als der zur Geltung komme, der er ist, als der heilige, als der, der allein der ganz Andere ist" (D I, S. 164). Will Gott somit seine Ehre, so ist damit sein Zorn als „Zorn des Heiligen über das Nichtgelten des Heiligen" (ebd.) unauflösbar verbunden. Gottes Heiligkeit kann sich somit nach Brunner sowohl in seinem Zorn als auch in seiner Liebe auswirken, aber nicht so, daß sowohl Gottes Zorn als auch seine

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Gerechtigkeit geltend macht 142 , seinen höchsten Ausdruck in seiner (vergebenden) Liebe, doch dürfen beide nicht miteinander identifiziert

142

Liebe in gleicher Weise das Wesen Gottes beschreiben (vgl. D I, S. 171ff). In Christus zeigt sich Gott als der, der er ist, als - und hier nimmt Brunner eine Bezeichnung Luthers auf - „ein Abgrund ewiger Liebe" (D I, S. 172; vgl. WA 36, 426). ,,[D]as Werk der schenkenden Gnade ist Gottes ,eigenes Werk', sein opus proprium" (ebd.; vgl. WA 5, 63f). Indem Gott in Christus den Glauben schafft, bekommt er seine Ehre (vgl. D I, S. 172). „Hier ist also Heiligkeit und Liebe Gottes eins" (ebd.). Die Liebe vollendet die Heiligkeit (vgl. D I, S. 194). Um dies jedoch vollziehen zu können, muß Gott den alten Adam töten (vgl. D I, S. 172f). „So muß Gott, um sein eigenes Werk zu tun, ein fremdes Werk, ein opus alienum tun" (D I, S. 173). Dies wird ihm aufgenötigt durch den sündigen Widerstand des Menschen (vgl. ebd.). „Weil Gott sich selbst, seine Liebe, unendlich ernst nimmt und eben darin auch den Menschen unendlich ernst nimmt, kann er nicht anders als zürnen, obschon er eigentlich' nur Liebe ist. Der Zorn ist nichts anderes als die Folge der unendlich-ernsten Liebe Gottes" (D I, S. 173f). Aber außerhalb des Glaubens bleibt Gott der zornige (vgl. D I, S. 178). Die Gottesprädikation der „Heiligkeit" dient bei Brunner dem Anliegen, Gottes Zorn und Gottes Gnade als Ausdruck der göttlichen Heiligkeit zur Geltung zu bringen. Nun ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Gottes Zorn wie auch seine Gnade als Ausdruck der Heiligkeit Gottes, d. h. seiner Gottheit, zur Sprache zu bringen, sollen Zorn und Gnade als Gottes Zorn und Gnade gedacht werden. Doch kann und darf die Prädikation der Heiligkeit nicht dazu führen, die Spannung zwischen Gottes Zorn und Gnade unter der Hand wieder wieder einzuebnen und die Irreduzibilität aufzuheben. Dies geschieht bei Brunner aber gerade dann, wenn er den Zorn als „Folge der unendlich-ernsten Liebe Gottes" bezeichnet, die „nicht anders als zürnen" kann, weil sie den Menschen „unendlich ernst nimmt". In diesem Punkt loziert Brunner den Zorn Gottes in der Liebe und hebt ihre Spannung und Widersprüchlichkeit auf, insofern der Zorn ein Element der (heiligen, unendlich-ernsten) Liebe Gottes wird. Die Irreduzibilität von Gottes Zorn und Gnade wird so überspielt, indem sie auf eine höhere Einheit hin transponiert wird (vgl. hierzu Teil 1: Kap. II.B.8.3). Die Gerechtigkeit - so Brunner - bezeichnet „nichts anderes als die Heiligkeit Gottes, wie sie sich dem Geschaffenen gegenüber [...] geltend macht. Das Wesen Gottes, daß er der Heilige ist, manifestiert sich seinem Geschöpf gegenüber als die göttliche Eigenschaft Gerechtigkeit" (D I, S. 285). Sind Gottes Gericht und Zorn Konsequenzen der Heiligkeit Gottes, so sind sie gleichermaßen Ausdruck seiner Gerechtigkeit (vgl. ebd.). Dieser Aspekt des göttlichen Willens, der durch den Begriff der Gerechtigkeit fixiert ist, ist - so Brunner - innerhalb der Gotteslehre das rationale Element. Ist zum einen die Liebe etwas anderes als die Heiligkeit Gottes, obwohl sich die Heiligkeit gerade in der Liebe erfüllt (vgl. D I, S. 287), so findet „die göttliche Gerechtigkeit in der Begnadigung des Sünders [...] ihre paradoxe Erfüllung" (ebd.). „Von dem allgemeinen, rationalen Begriff der Gerechtigkeit, wie er in den Begriffen, Gesetz, Gericht, Strafe, [...] zum Ausdruck kommt, ist diese Erfüllung nicht zu verstehen, sie wird als schlechtweg unverständlich beurteilt" (ebd.). Gesetz und Gericht zielen darauf ab, daß Gott zu seinem Recht kommt, gerade aber indem Gott gnädig die Schuld vergibt, tritt sein Herrenrecht auf das deutlichste hervor (vgl. ebd.). „Wie Gottes heiliger Wille sich

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werden. Gottes Gottheit erweist sich auch außerhalb seiner vergebenden Liebe. Aber - und hier zeigt Brunner die enge Zusammengehörigkeit auch der Erweis der Gottheit Gottes außerhalb der vergebenden Liebe steht in Diensten der vergebenden Liebe. Die vergebende Liebe, der menschgewordene Gottessohn Jesus Christus, ist das Ziel der Schöpfung 143 . Diese Vollendung geschieht „im Sohn der Liebe, im Reiche Gottes, in der Liebesgemeinschaft zwischen Kreatur und Schöpfer" 144 . Doch „nicht alles im natürlichen Geschehen ist auf dieses Ziel gerichtet" 1 4 5 . Gerade daher ist es notwendig zu differenzieren zwischen den Werken, die der Vater außerhalb des Sohnes tut und den Werken, die er

darin erfüllt, daß er die sündige Kreatur durch seine erbarmende Liebe errettet, neu schafft und heiligt, so erfüllt sich sein gerechter Wille darin, daß er sein höchstes Recht, sein Begnadigungsrecht, ausübt. Gott kommt zu seinem Recht, indem er durch seine Vergebung, durch die Versöhnung, den Widerspenstigen umstimmt, seinen Widerstand bricht und die Liebe, die das Gesetz vergeblich fordert, den Lieblosen schenkt. Das ist das biblische Zeugnis von der Gerechtigkeit Gottes, und dieses Zeugnis gipfelt in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders durch Jesus Christus" (D I, S. 2 8 8 ) . Gott schenkt die Liebe, die er von den Lieblosen fordert (vgl. ebd.). Wie aber auch Gottes Heiligkeit nicht mit der erbarmenden Liebe, in der sie sich aufs höchste erfüllt, identifiziert werden darf, sondern neben ihr bleibt, so ist auch die gerechte Strafe durch die vergebende Liebe nicht einfach abgetan (vgl. ebd.). Gott übt Vergebung, indem er zugleich die Gültigkeit von Gesetz und Gericht bestätigt (vgl. ebd.). M i t anderen Worten: In Gottes Gerechtigkeit ist die rationale Gerechtigkeit mit enthalten: Gottes T a t in Jesus Christus ist Bestätigung des gerechten Gericht Gottes. „Er selbst, der zu uns kommende Gott, .bezahlt die Schuld', die wir nicht bezahlen können, so daß beides in einem offenbar wird, wie sehr Gott der Gerechte und wie er der Erbarmer ist. ,Die Schuld bezahlt der Herre, der gerechte, für seine Knechte"'(ebd.). Bezeichnet der Begriff der Gerechtigkeit nach Brunner „nichts anderes als die Heiligkeit Gottes, wie sie sich dem Geschaffenen gegenüber [...] geltend m a c h t " (s. o. Anm. 1 4 1 ) , so kehren in Brunners Explikation der „Gerechtigkeit" die gleichen Schwierigkeiten wieder wie in seiner Explikation der „Heiligkeit" Gottes. Zeigte sich hier, daß Brunner die Irreduzibilität von Gottes Zorn und Gnade zu überspielen droht, indem er sie auf die höhere Einheit der Heiligkeit transponiert, und wurde daher gegen Brunner geltend gemacht, daß die Prädikation der „Heiligkeit" Gottes nicht dazu führen darf, die (für menschliches Erkennen) irreduzible Spannung von Gottes Zorn und Gnade zum Ausgleich zu bringen, so gilt es, das Gleiche gegen Brunners Explikation der Gerechtigkeit geltend zu machen: Die Tatsache, daß Gott in dem Kreuzigungsgeschehen das Gesetz und Gericht bestätigt, darf nicht dazu führen, die Spannung von Gesetz und Gnade einzuebnen. D a ß in der Versöhnung Gottes die „rationale" Gerechtigkeit mit enthalten ist, kann nicht dazu fungieren, die Spannung zwischen den Forderungen und der Anklage des Gesetzes und dem Freispruch der Gnade zu nivellieren. 143 144 145

Vgl. D I, S. 2 3 7 . Ebd. Ebd.

484

Apologetik a u f dem Gebiet der A n t h r o p o l o g i e

im Sohn tut 1 4 6 . „Denn die Schrift spricht nie von einem Zornwirken Christi, sondern nur vom Zorne Gottes" 1 4 7 . Nun zeigt sich, daß Brunners distinctiones hinsichtlich des unterschiedlichen Wirkens Gottes eine Beziehung auf Gottes schöpferisches Wirken bzw. sein gesetzgebendes Wirken vermissen lassen. Gerade das schöpferische Wirken Gottes wird nicht an der trinitarischen Verhältnisbestimmung orientiert. Nicht jedes Handeln Gottes außerhalb des Handelns Gottes in Christus ist ein Zorneshandeln Gottes (im Gesetz). Zeigen sich so viele Ungenauigkeiten bei Brunners Explikation, so ist das Augenmerk gerade auf die Ungenauigkeit zu richten, die Brunners leitende Intention, seinen Einspruch gegen die Ontologie Barths, zu unterminieren droht: Problematischerweise bezeichnet Brunner die vergebende Liebe als Ziel der Schöpfung. Nun zeigte bereits unsere Erörterung der Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung, daß Gottes vergebendes Handeln in Christus nicht Ziel seines schöpferischen Handelns sein kann; denn wird Gottes vergebendes Handeln als Ziel seines schöpferischen Handelns begriffen, ist in höchstem M a ß e die Kontingenz von Sünde und Gnade in Frage gestellt. Ebenfalls zeigte sich, daß Brunner mit aller Entschiedenheit der christomonistischen Konzeption Barths widerspricht, die Jesus Christus zum Seinsprinzip des menschlichen Seins macht. Dieser Widerspruch Brunners gegen Barths Ontologie droht aber zu verwischen, wenn Brunner betont, daß die vergebende Liebe Ziel der kreatorischen Aktivität Gottes ist. So ist nach Brunner in Jesus Christus nicht nur der Weltplan Gottes geoffenbart, sondern in ihm ist auch das Ziel der Menschheitsgeschichte begründet 148 . Die ganze Geschichte - so Brunner - zielt auf Jesus Christus hin, sie wird von Christus her begriffen als Vorbereitung auf Jesus Christus 149 . Die im Gottmensch Jesu erlöste Menschheit ist das Ziel der Weltschöpfung 1 5 0 . Wird so von Brunner immer wieder Jesus Christus bzw. die vergebende Gnade als Ziel der Schöpfung Gottes begriffen, so läuft dies seiner Intention entgegen, Jesus Christus als ratio essendi zu bestreiten; denn wird das Ziel der Weltschöpfung in der erlösten Menschheit erblickt, ist die Versöhnung zur ratio essendi mutiert. In eben diese Schwierigkeiten bringt sich Brunner auch, wenn er nicht konsequent genug den Gedanken verabschiedet, Jesus Christus sei der ewige Ratschluß Gottes. So glaubt Brunner den geschichtlich kontingenten Charakter der Fleischwerdung

146 147 148 149 150

Vgl. D Ebd. Vgl. D Vgl. D Vgl. D

I, S. 2 3 8 . II, S. 2 1 5 . II, S. 2 5 5 . III, S. 4 8 2 .

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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des Gottessohns aufrecht erhalten zu können, indem er zwar zugesteht, daß der Mensch gewordene Gottessohn „von Ewigkeit in Gottes Ratschluß beschlossen, aber [ . . . ] - erst - in der Fülle der Zeiten Wirklichkeit geworden [ist]" 151 . Im ewigen Logos sind nach Brunner Weltschöpfung und Überwindung der Sünde verknüpft, insofern die Welt für und durch den Logos des Schöpfer- und Erlösergottes ist 152 . Unproblematisch ist dieser Gedanke insofern, als Brunner im Logos Schöpfung und Erlösung verknüpft sieht, in diesem Zusammenhang jedoch nicht von dem inkarnierten Logos spricht. Von daher kann Brunner auch zu Recht mit der Aussage der Schöpfungsmittlerschaft des Logos seine noetische Aussage unterstützen, daß die Offenbarung des fleischgewordenen Logos im Erlösungsgeschehen auch die Erkenntnis der Schöpfung vermittelt153. Weil - so Brunner daher - sich die Erkenntnis der Schöpfung erst aus der Erkenntnis der Erwählung ergibt, ist die „Schöpfung [...] der Erwählung untergeordnet, nicht gleich- oder gar übergeordnet. Der Weg der Erkenntnis geht von der geschichtlichen Offenbarung zur ewigen Erwählung und durch sie erst zur Schöpfung" 154 . „Ziehmt" es sich für den Glauben, sich an die ewige Erwählung zu halten, so ist das Postulat einer ewigen Erwählung das letzte, was der Glaube noch erreicht 155 . Schwierig ist aber Brunners Rede von dem ewigen Schöpfungs- und Erlösungsratschluß, der in Jesus Christus als dem inkarnierten Logos geoffenbart ist 156 . Und so kann Brunner - entgegen seiner eigentlichen Intention (der Bestreitung der christomonistischen Ontologie Barths) - dann auch behaupten, daß in Jesus Christus Gott die Schöpfung entworfen 157 hat, und damit ganz nebenbei doch den fleischgewordenen Logos zur ratio essendi mutieren lassen. Brunners Intention jedoch - dies gilt es für den folgenden Gedankengang hervorzuheben - ist deutlich: Brunner unterscheidet zwischen einem Erkenntnisprinzip des Seins und dem Seinsprinzip des Seins und versucht so, gerade die ursprüngliche schöpferische Gottesbeziehung herauszuarbeiten, die in der Überwindung der Sünde zwar erkannt, hier aber keinesfalls erst konstituiert, vielmehr als bestehend vorausgesetzt wird. 151 152 153 154 155

156 157

D II, S. 2 5 8 . Vgl. D III, S. 4 8 2 . Vgl. bes. D I, S. 3 1 4 . D I, S. 3 1 3 . Vgl. D I, S. 3 1 6 . - „ W i r d dieser Hintergrund zum V o r d e r g r u n d , so ist es fast unvermeidlich, d a ß der Glaubensgedanke zur Spekulation über das entartet, w a s uns zu hoch ist, und dann Scheinerkenntnisse gefährlichster Art h e r v o r b r i n g t " (D I, S. 3 1 7 ) . Vgl. D III, S. 4 8 2 . Vgl. D I, S. 3 1 3 .

486

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

3. Brunners theologische Anthropologie und ihre apologetische Verifikation 3.1 Die Anthropologie als Ort der Auseinandersetzung zwischen der Offenbarung und der (verblendeten) Vernunft Obwohl Gott in einer ursprünglich schöpferischen (d. h. Dasein gewährenden) Weise auf den Menschen bezogen ist und sich in dieser Bezogenheit auch kund tut, indem er sich in seinem schöpferischen Wirken in der Welt abbildet und somit sein schöpferisches Wirken offenbar macht, vermag der Mensch - aufgrund der sündigen Verblendung seiner Vernunft - Gott in seinem schöpferischen Wirken, auf das er doch qua seines Geschöpflichkeit ontologisch bezogen ist, nicht zu erkennen. Die Erkenntnis des ursprünglichen Handelns Gottes ist somit zur bloßen Möglichkeit geworden. Nun kann aber nach Brunner keinesfalls behauptet werden, daß die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung zu überhaupt keiner (wahren) Erkenntnis fähig ist. Im folgenden gilt es daher noch einmal genauer nach der sündigen Verblendung zu fragen, d. h. es ist die Frage nach der - auch in der Sünde verbliebenen - Erkenntnisfähigkeit zu stellen. Die durch die Sünde bewirkte Verdunklung der Erkenntnis kann nach Brunner sowohl überschätzt als auch unterschätzt werden 1 5 8 . So bezeichnet Brunner die Behauptung, der sündige Mensch könne als solcher überhaupt nichts mehr erkennen, als unberechtigten Pessimismus 159 , das Ablehnen jeglicher Begrenzung der Vernunft durch die Sünde hingegen als übertriebenen Optimismus 1 6 0 . Welt und Vernunft als Instrument zur Welterkenntnis haben in Gottes schöpferischem Handeln ihren Ursprung und sind aufeinander hingeordnet 161 ; als gegründet im schöpferischen Akt Gottes und begrenzt durch den Einbruch der Sünde ist die Vernunft ambivalent: Sie ist ernst zu nehmen in ihrer Fähigkeit als auch in ihrer - durch die Sünde verursachten - Schranke und Grenze 1 6 2 . Es fragt sich daher, was auch die sündige Vernunft zu erkennen vermag, und wo ihre Begrenzung liegt, d. h. ist die Vernunft das Instrument zur Welterkenntnis, so fragt sich, in welcher Hinsicht die Vernunft unter der sündigen Ver-

158 159 160 161 162

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

D II, ebd. D II, D II, D II,

S. 3 8 . S. 4 2 f . S. 4 1 . S. 4 2 f .

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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blendung zur Welterkenntnis taugt, und an welchem Punkt sich die sündige Verblendung auf die Welterkenntnis negativ auswirkt. Für die Beantwortung dieser Frage unterscheidet Brunner die Wahrnehmung der Welt als das von Gott Geschaffene und die Erkenntnis der Welt als das von Gott Geschaffene 163 . Als das Existierende ist die Welt durch die Vernunft in ihrem inneren Zusammenhang zu erkennen. „Die Sünde hindert den Menschen nicht, Dinge der Welt, Naturgesetze, Naturtatsachen und den Menschen in seinen natürlichen, geschichtlichen und kulturellen Manifestationen zu erkennen, beziehungsweise zu verstehen" 164 . Die Welt „als das von Gott Geschaffene [ist] das Feld legitimer natürlicher Erkenntnis" 165 . An der „Oberflächendimension" 166 des Weltwissens, der Ebene des Erkennens, Analysierens und Begreifens der inneren Struktur des geschöpflich Existierenden ist somit eine Erkenntnis der Welt möglich 167 . Die sündige Verblendung der Vernunft wirkt sich aber gerade darin aus, daß das Existierende nicht mehr als in Gottes schöpferischem Handeln gegründet erkannt wird: Die Welt wird nicht mehr als das von Gott Geschaffene erkannt 168 . Damit ist die „Tiefendimension des Weltwissens, wo es um Ursprung und Ziel geht" 1 6 9 , verkannt. Die sündige Verblendung der Vernunft wirkt sich daher nach Brunner gerade darin aus, daß das geschöpflich Existierende nicht mehr als durch Gott gegründet und als durch ihn bestimmt wahrgenommen wird. Besitzt die humane Vernunft die Fähigkeit, die inneren Strukturen des Existierenden zu erkennen, zu analysieren und zu begreifen, so vermag die Vernunft unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung das Gegründetsein der Welt in Gott nicht mehr zu erkennen 170 . Je mehr es daher um die Stellung des Geschaffenen zu Gott und seine Bestimmtheit durch Gott geht, desto stärker ist die sündige Verblendung der Vernunft wirksam, desto mehr bedarf es hier der Erleuchtung durch Offenbarung. Je weniger der Gegenstand der Erkenntnis die Gottesbeziehung betrifft, desto weniger wirkt sich die sündige Verblendung der Vernunft aus 171 , desto 163 164 165 166 167 168 165 170

171

Vgl. D II, S. 40. D II, S. 38. D II, S. 40. D I, S. 76 Vgl. ebd. Vgl. D II, S. 38ff. D I, S. 76. So kann Brunner formulieren, daß nicht der Besitz des Geistes entscheidend ist, sondern der gottgemäße oder der gottwidrige Gebrauch des Geistes (vgl. MiW, S. 337), d. h. nicht der jedem Menschen qua seines Menschseins zukommende Besitz des Geistes ist entscheidend, sondern das Worumwillen der Geist gebraucht wird (vgl. MiW, S. 355). Vgl. D II, S. 38.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

weniger hat darum die Offenbarung in Christus erleuchtende Kraft. „Darum sind die Mathematik und die Naturwissenschaften von diesem negativen Faktor viel weniger betroffen als die Geisteswissenschaften, und diese weniger als die Ethik und gar als die Theologie" 1 7 2 . Aus diesem Grund hat die christliche Theologie diesen Erkenntnissen auch nicht zu widersprechen, sondern sie zu integrieren 173 . Somit gilt gerade der „unkritisch-orthodoxen Theologie" gegenüber festzuhalten, „daß nicht, was Gott dem natürlichen Erkennen des Menschen eingeräumt hat, einer falschverstandenen biblischen Offenbarungsautorität unterworfen werde" 1 7 4 . Aus diesem Grund gibt es nach Brunner keine christliche Mathematik, keine christliche Physik, Chemie, Zoologie oder Anatomie 1 7 5 . In diesen, das Existierende in seiner inneren Struktur betrachtenden Wissenschaften ist daher „die Autonomie [...] auch vom christlichen Glauben aus gesehen eine annähernd vollständige" 1 7 6 . Das ändert sich aber, je mehr es sich um die Gottesbeziehung des Geschaffenen handelt 1 7 7 . „Je mehr wir es mit der personalen Totalität des Menschen zu tun haben, desto geringer wird vom christlichen Glauben aus die Autonomie der emipirisch-rationalen Betrachtung, desto bedeutsamer und bestimmender der Anspruch der christlichen Erkenntnis" 1 7 8 . Die sündige Verblendung der menschlichen Vernunft wirkt sich um so stärker aus, wo wir es mit dem Personkern des Menschen, seiner Beziehung zu Gott, zu tun haben 1 7 9 . 1 8 0 172 173 174 175 176 177 178 179 180

Ebd. Vgl. D I, S. 76. D II, S. 4 3 . Vgl. MiW, S. 4 9 . MiW, S. 5 0 . Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. In der Differenz von Glaube und Vernunft tritt die Differenz von Personbegegnung und unpersönlicher Sachwahrheit gegenüber (vgl. auch Roessler, Person und Glaube, bes. S. 29ff). Zwar ist der Glaube zunächst ein Erkenntnisakt, ist er doch mit 2. Kor 4, 6 die „Erleuchtung der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes" (Brunner, Offenbarung und Vernunft, S. 4 7 ) , doch ist dieser Erkenntnisakt zugleich ein „Anerkennungs- und Gehorsamsakt" (ebd.; vgl. hierzu auch Roessler, Person und Glaube, S. 120ff). So wird der Glaube bei Brunner beschrieben als „Selbsthingabe", als „freiwillige Unterwerfung" (ders., Offenbarung und Vernunft, S. 47), die zugleich Vertrauen in sich einschließt (vgl. a. a. O., S. 48). Gegen das katholische Verständnis des Glaubens, das Brunner als Glaube an eine göttlich offenbarte Lehre und als Bibelglaube beschreibt (vgl. a. a. O., S. 50), betont Brunner, daß der Glaube ganz und gar ein Personverhältnis ist (vgl. a. a. O., S. 4 9 ) . „Das Analogon zum echten biblischen Glauben ist nicht das Hinnehmen der Aussage eines zuverlässigen Gewährsmannes, sondern das Vertrauensverhält-

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Diese graduellen Differenzierungen Brunners machen deutlich, daß Brunners Unterscheidung zwischen einer Oberflächendimension des Weltwissens und einer Tiefendimension des Weltwissens nicht mit Tillichs Unterscheidung zwischen der Explikation der Strukturen des Seins (durch die Vernunft in der Philosophie) und der Explikation des Grundes des Seins (durch den Glauben in der Theologie) verwechselt werden darf. Entschieden betont Brunner - in seiner Auseinandersetzung mit Bultmann 1 8 1 - , daß es keine neutralen Strukturen des Daseins gibt, die Explikation der Strukturen des Daseins daher nicht der Philosophie überlassen werden können. Brunner schärft ein, daß es entscheidend ist, aus welcher Perspektive die Strukturen des Daseins ermittelt werden. In den Bereich der Autonomie der Vernunft will Brunner nur diejenige Explikation von Seiendem stellen, die von der Frage nach dem Grund des Seins weitgehend unabhängig ist. J e - mehr - müßte man im Sinne Brunners formulieren - die Explikation der Strukturen des Seins von der Frage nach dem Grund des Seins abhängt, desto weniger gibt es eine neutrale Explikation der Strukturen des Seins. Die sündige Verblendung der Vernunft wirkt sich daher - s. o. - am stärksten da aus, wo wir es mit dem Personkern des Menschen, der „personalen Totalität des M e n s c h e n " 1 8 2 , seiner Beziehung zu Gott, zu tun haben. So kann Brunner formulieren: „[D]ie Vernunft ist tauglicher, die Welt zu erkennen, als den Menschen; sie ist tauglicher, den Menschen nis zum anderen Menschen selbst, das zwischenmenschliche Personverhältnis" (a. a. O., S. 52). So wird von Brunner auch die christliche Wahrheit wesentlich als „Personbegegnung" (a. a. O., S. 4 0 3 ) verstanden. Die als Begegnung verstandene christliche Wahrheit wird bei Brunner so „zum personalistischen Verständnis der Gottesbeziehung" (Beintker, Emil Brunner, S. 2 3 9 ) : „Diese Wahrheit kann nicht in einem Akt der objektiven Wahrheitserkenntnis angeeignet werden, sondern nur in einem Akt der personalen Hingabe und Entscheidung" (Brunner, Offenbarung und Vernunft, S. 4 0 3 ) . In dem naturwissenschaftlichen Welterkennen hingegen entsteht keine wirkliche Begegnung; denn das erkennende Ich ist den Objekten der Erkenntnis unendlich überlegen (vgl. D III, S. 2 9 8 ) . Die personale Hingabe, die den Glauben ausmacht, negiert aber nicht die Erkenntnisse der Naturwissenschaft, die gerade das Unpersönliche zum Gegenstand haben (vgl. ders., Offenbarung und Vernunft, S. 4 0 4 ) , vielmehr verhalten sich beide Wahrheiten so wie sich die beiden Seinsstufen verhalten: ,,[D]ie obere schließt die untere ein, aber nicht umgekehrt. Die personale Offenbarungswahrheit, Glaube und Liebe, schließt die unpersönlich-dingliche und die unpersönlich-abstrakte Wahrheit in sich, aber nicht umgekehrt" (a. a. O., S. 4 0 5 ) . Die christliche Wahrheit ist daher nach Brunner nicht als ein Feind der Vernunft zu begreifen, sondern als Feind der sich gegen die Wahrheit verschließenden Vernunft (vgl. a. a. O., S. 2 9 7 ) . 181 182

Vgl. Teil 2: Kap. III.A.4.1.2. M i W , S. 51.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

nach seiner leiblichen als nach seiner geistigen Beschaffenheit zu erkennen, sie ist, losgelöst von Gottes Wort, untauglich, das wahre Menschsein zu erkennen, weil dieses ohne die Erkenntnis des wahren Gottseins nicht möglich ist" 1 8 3 . Der größte Dissens zwischen der sündigen Verblendung der Vernunft und der Offenbarung besteht daher in der Lehre vom Menschen 184 . Hat Brunner so in der Dogmatik den Ort loziert, an dem der Dissens zwischen der Vernunft unter den Bedingungen der Sünde und der Offenbarung am größten ist, so ist damit gleichzeitig der Ort markiert, an dem die Eristik einzusetzen hat. Wir werden uns daher im folgenden der Anthropologie Brunners zuwenden (3.2), um in einem zweiten Schritt Brunners Versuch ihrer apologetischen Verifizierung darzustellen (3.3). 3.2 Die Lehre vom Menschen Die Pointe der anthropologischen Reflexion Brunners besteht darin, den Menschen als durch Gottes schöpferisches Wort gegründet verstehen zu lehren 185 , Gottes schöpferisches Handeln mithin als „Seinsgrund des Menschseins" 1 8 6 zu begreifen. Die theologische Anthropologie ist somit nach Brunner von der Überzeugung getragen, daß der Mensch sein wahres Sein angemessen nicht aus sich selber, sondern nur aus Gott zu verstehen vermag 187 . Gerade in Christus erkennt das humane Subjekt, daß Gott der Schöpfer, es selbst hingegen sein Geschöpf ist 188 . Das Menschsein des Menschen ist begründet in dem schaffenden und anredenden Wort des Schöpfers 189 . Das Gottesverhältnis wird damit von Brunner zum Menschsein des Menschen erhoben: das „Sein im Wort Gottes" 1 9 0 . 183

184 185

186 187

188 189

190

Ders., Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 542. Vgl. D II, S. 45. Vgl. MiW, S. 60. - Schon in seinem Habilitationsvortrag zeigt sich Brunners Versuch, den Menschen als in Gott gegründet zu begreifen (vgl. Die Grenzen der Humanität, bes. S. 267f). MiW, S. 61. Vgl. MiW, S. 52f. - Dies erkennt auch Gestrich: Nach Brunner ist das „Menschsein des Menschen nicht unabhängig vom Gottesverhältnis definierbar und realisierbar. Er bekämpft ein natürlich-philosophisches Verständnis des Menschen ,ohne Gott', also die Meinung, eine theologisch ,neutrale Humanität' dürfe ,als die eigentliche Natur des Menschen' gelten" (ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 177). Vgl. D II, S. 65. Vgl. ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 254. Ebd.

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Der Begriff der imago dei soll den Sachverhalt zum Ausdruck bringen, daß der Mensch seiner Konstitution nach auf Gott bezogen ist 191 . Ist der Mensch gegründet in Gottes Wort, so unterscheidet Brunner aber zwei Sachverhalte: die durch Gottes schöpferisches Handeln gegebene formalontologische Struktur geschöpflicher Personalität und die Bestimmung dieser formal-ontologischen Struktur, d. h. die dieser formal-ontologischen Struktur angemessene ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens. Der Begriff der imago dei bringt bei Brunner somit zwei Sachverhalte zum Ausdruck: die unverlierbare Personstruktur und die rechtbeschaffene Persönlichkeit, d. h. diejenige ontisch-existentielle Verwirklichung der Person, die der Bestimmung des Menschen gemäß ist192. Um aber die Differenz zwischen der ontologischen Personstruktur und der ontisch-existentiellen Verwirklichung des Personseins, die der Bestimmung der Person gemäß ist, nicht einzuebnen, d. h. um die Unterscheidung zwischen dem Personsein des Menschen und seiner rechtbeschaffenen Persönlichkeit aufrechtzuerhalten, unterscheidet Brunner begrifflich zwischen der formalen und der materialen imago 193 . Formale imago ist das Humanum, „d. h. dasjenige, was den Menschen, ob er nun Sünder sei oder nicht, vor der gesamten übrigen Kreatur auszeichnet" 194 . Anders gewendet: Der Begriff formale imago „bezeichnet das Menschliche als menschliches, die unverlierbare Struktur des Menschseins, die also durch den Gegensatz Schöpfungsursprung-Sünde nicht betroffen ist" 195 . „Diese formale Wesensstruktur ist unverlierbar. Sie ist mit dem Menschsein identisch, und zwar mit dem Menschsein, daß alle Menschen gleichermaßen kennzeichnet und nur dort aufhört, wo das Menschsein aufhört - also an den Grenzen der Idiotie oder des Wahnsinns" 196 . Die Bezeichnung „formal" bringt somit eine ontologische Struktur zum Ausdruck, d. h. das Formal-Strukturelle ist bei Brunner etwas, „das unverlierbar, konstitutiv zum Menschsein gehört und darum von dem Gegensatz Schöpfung-Sünde bzw. Sünde-Gnade oder Sünde-Gehorsam nicht betroffen ist" 197 . Demgegenüber bringt der Begriff der materialen imago dei die Bestimmung der Person zum Ausdruck 198 , die iustitia ,91 192

193 194 195 196 197

198

Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 1 8 0 . Vgl. ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 2 5 4 . Vgl. ders., Natur und Gnade, S. 3 5 0 . A. a. O., S. 3 4 0 . Ders., Das Ebenbild Gottes in der Lehre der Bibel und der Kirche, S. 5 3 0 . D II, S. 69. Leipold, Missionarische Theologie, S. 1 9 4 ; vgl. ebenso auch Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 3 6 3 . Vgl. D I, S. 7 3 .

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

originalis199. Kurz: Bringt der Begriff der formalen imago dei das Personsein zum Ausdruck, die (ontologische) Wesensstruktur des Menschen, d. h. dasjenige was den Menschen zum Menschen macht, die Humanität im Gegensatz etwa zur Animalität, so bringt der Begriff materiale imago dei das ontisch-existentielle Dasein der rechtbeschaffenen Person zum Ausdruck. Besteht die Sünde darin, daß die Person ihrer Bestimmung widerspricht, nicht jedoch ihr Menschsein verliert, sondern gerade als Mensch Sünder ist, so ist es nach Brunner die materiale imago dei, die der Bestimmung der Person gemäße ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz, die durch die Sünde verloren ist 200 . So unterscheidet Brunner kategorial: „[Fjormal ist die imago auch nicht im geringsten angetastet [...]. Material ist die imago völlig verloren, der Mensch ist durch und durch Sünder, und an ihm ist nichts, was nicht von der Sünde befleckt wäre" 2 0 1 . So gilt: Dieses „quid des Person-seins ist durch die Sünde negiert, während das quod des Person-seins, das Humanum überhaupt, auch das des Sünders, ausmacht" 202 . Brunner bietet durch die kategoriale distinctio zwischen der formalen imago dei und der materialen imago dei eine differenzierte Antwort auf die Zentralfrage hinsichtlich der theologischen Lehre von der imago dei, d. h. auf die Frage, ob die imago dei auch nach dem Fall noch besteht203. Besteht das Schicksal des Theologumenons der Gottebenbildlichkeit gerade darin, zwei unterschiedliche Sachverhalte zu bezeichnen, nämlich sowohl das den Menschen als Menschen auszeichnende Humanum als auch die Bestimmung des Menschen, seine Rechtbeschaffenheit204, so begreift sich die unterschiedliche Beantwortung der Frage nach dem Bestehen der imago nach dem Fall (bzw. unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) nicht zuletzt aus dieser vernachlässigten Klärung heraus 205 . Wurde die Ebenbildlichkeit - wie bei Luther - in der Rechtbeschaffenheit des Menschen erblickt, so konnte von einem Verlust der Ebenbildlichkeit gesprochen werden206, ohne daß damit behauptet werden sollte, daß das Humanum des Menschen, d. h. dasjenige, was den Menschen zum Menschen macht, verlorengeht. Die Gleichsetzung von iustitia originalis und 199 200 201 202 203

204

205 206

Ders., Natur und Gnade, S. 3 4 1 . Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Trillhaas erkennt diese Frage zu Recht als Zentralfrage im Zusammenhang der Gottebenbildlichkeit (vgl. ders., Dogmatik, S. 2 0 6 ) . Auf diesen Sachverhalt mit allem Nachdruck hingewiesen zu haben, ist ein Verdienst von Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 92ff, bes. S. 93. Vgl. zum folgenden Roth, Der Mensch als Gewißheitswesen, S. 171f. Belege hierfür bei Althaus, Die christliche Wahrheit II, S. 93ff.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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imago dei - so bemerkt Trillhaas scharfsinnig - konnte jedoch dazu führen, daß die „Kontinuität des Menschen" 2 0 7 aus dem Blick geriet. Die theologische Reflexion schien an der Entfaltung dieser Kontinuität des Menschen, an der den Menschen als Menschen konstituierenden ontologisch formalen Struktur, kein Interesse zu haben: So ist bspw. für Barth die Tatsache, daß „der Mensch der Mensch und keine Katze ist" 2 0 8 der theologischen Entfaltung nicht mehr würdig, dieser Sachverhalt ist für ihn vielmehr „belanglos" 209 geworden. Gerade aber hierin erblickte Brunner den Bruch mit der reformatorischen Tradition und ihrer Intention: „Trotz ihrem Kampf mit dem Humanismus ihrer Zeit waren sie ,humanistisch' genug zu wissen, daß der Unterschied zwischen Mensch und Katze keine Banalität und keine profane Tatsache, sondern ein Sachverhalt von höchstem theologischen Belang ist" 2 1 0 . Mit Hilfe seiner begrifflichen Unterscheidung zwischen der materialen und der formalen imago dei gelingt es Brunner zum einen, die Kontinuität des Menschen, seine formal-ontologische Personstruktur, zu berücksichtigen, zum anderen aber auch, der Diskontinuität hinsichtlich der ontisch-existentiellen Verwirklichung der humanen Existenz Rechnung zu tragen. Auch in seiner anthropologischen Reflexion trägt Brunner der noetischen Priorität der Christusoffenbarung Rechnung, der Tatsache mithin, daß der Glaube an die Welt als Schöpfung Gottes erst aus dem Glauben an den Versöhner entsteht, d. h. - wie wir bereits festgestellt haben - , daß der Glaube an das ursprüngliche Verhältnis Gottes zum Menschen erst aus dem Glauben an die Heilung des Bruches dieses ursprünglichen Verhältnisses entsteht 211 . In Gottes Handeln in Christus ist nach Brunner das Ziel seines schöpferischen Handelns offenbar: die Liebe; denn „[a]ls der heilige Gott will er sich in seiner Schöpfung verherrlichen; als der liebende Gott will er sich selbst anderen geben" 212 . Indem Gott sich in Jesus Christus als die heilige Liebe offenbart, ist damit zugleich der Grund der Schöpfung des Menschen offenbar 213 . „Er ist der, der in mir eine freie Antwort auf seine Liebe haben will, eine Antwort, die ihm seine Liebe zurückgibt, ein lebendiges Echo, einen lebendigen Widerschein" 214 . So gilt in bezug auf Gottes schöpferisches Handeln am Menschen: „Gott der

207 208

209 210 211 2,2 213

214

Trillhaas, D o g m a t i k , 2 1 0 . Barth, Nein, S. 2 2 5 .

A. a. O., S. 227.

M i W , S. 8 5 . Vgl. D II, S. 1 8 f . D II, S. 2 4 . Vgl. D II, S. 6 7 .

Ebd.

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sich selbst verherrlichen und sich selbst mitteilen will, will den Menschen als eine Kreatur, die seinem Liebesruf in dankbarer Gegenliebe antwortet. Darum will er den Menschen als ein freies Wesen" 2 1 5 . Damit ist bei Brunner sowohl die formal-ontologische Struktur des Menschen als auch die der Bestimmung des Menschen gemäße ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz in der Intention der kreatorischen Aktivität des Gottes begründet, der die heilige Liebe ist. Weil Gott die Liebe ist und seine Liebe mitteilen will, will er den Mensch als Liebenden; denn „Liebe kann sich nur mitteilen, wo sie in Liebe aufgenommen wird" 2 1 6 . In dem Willen, sich als Liebe zu verherrlichen, bestimmt Gott den Menschen daher dazu, seiner Liebe in Gegenliebe zu antworten; die (materiale) Bestimmung des Menschen ist somit das „Sein-in-der-Liebe" 217 . Diese der göttlichen Bestimmung gemäße ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz setzt aber eine formal-ontologische Struktur, eine ontologische Prädisposition, voraus als die ontologische Möglichkeitsbedingung für die ontisch-existentielle Verwirklichung des humanen Seins als „Sein-in-der-Liebe". Das „Sein-für-die-Liebe" 218 ist - nach Brunner die formal-ontologische Möglichkeitsbedingung für das „Sein-in-der-Lieb e " , der Mensch ist ein „Lieben-Könnender" 2 1 9 . Im folgenden gilt es daher zunächst nach der ontologische Struktur des Menschen, seinem „Sein-für-die-Liebe" genauer zu fragen. 3.2.1 Die formale imago: Die formal-ontologische Struktur des Menschen (das „Sein-für-die-Liebe") Weil Gott die Liebe ist und diese Liebe mitteilen will, eine Mitteilung der Liebe aber nur geschehen kann, wo die Liebe in Liebe aufgenommen wird, hat Gott den Menschen zur Liebe bestimmt. Gerade weil Gott den Menschen zum „Sein-in-der-Liebe" bestimmt hat, hat Gott den Menschen als Lieben-Könnenden geschaffen. Dies bedeutet für Brunner, daß Gott den Menschen als ein „freies Wesen" geschaffen hat; denn „Gott will eine Kreatur, die nicht nur, wie die anderen Kreaturen als bloßes Objekt seines Willens, gleichsam als Reflektor seiner Schöpferherrlichkeit, seine Herrlichkeit wiederstrahlt. Er will aktives und spontanes Reflektieren'; er, der durch das Wort schafft, der als Geist in Freiheit schafft, will einen ,Reflex', der mehr als Reflex, der Antwort auf sein Wort, der freie

215 2,6

Ebd. Ebd.

217

D II, S. 7 6 .

218 219

Ebd. D II, S. 7 7 .

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geistige Tat ist, eine ,Ent-sprechung' zu seinem Sprechen" 220 . Nur ein freies Wesen ist somit für Brunner ein zur Liebe befähigtes Wesen, weil Liebe eine freie Antwort ist 221 . „Darum ist die kreatürliche Existenz des Menschen in ihrem Kern: Freiheit, Ichheit, Selbstheit. Nur ein Ich kann dem Du antworten, nur ein sich selbst bestimmendes Ich kann in Freiheit Gott antworten. Ein Automat antwortet nicht; ein Tier kann im Unterschied zum Automaten wohl reagieren, aber nicht antworten" 222 . Die Freiheit gehört somit „zur ursprünglichen schöpfungsmäßigen Konstitution des Menschen" 223 . Doch ist diese freie Selbstbestimmung geschöpflicher Personalität - im Unterschied zur Personalität Gottes - eine gebundene Freiheit 224 . Anders als die Freiheit Gottes ist die Freiheit des Menschen nicht selbstsetzend, sondern gesetzt, „sie ist nicht a se, sondern a Deo" 2 2 5 . Gott will die Freiheit des Menschen, um Gottes Liebesruf in Liebe zu entsprechen, Gott will sie als (ontologische) Möglichkeitsbedingung, einer ontisch-existentiellen Verwirklichung der menschlichen Existenz als einer Existenz in der Liebe 226 . So ist, weil die Freiheit des Menschen der göttlichen Zwecksetzung dient, die menschliche Freiheit eine gebundene Freiheit 227 , eine bedingte Freiheit im Gegensatz zur absoluten Freiheit Gottes 228 . Die menschliche Freiheit ist eine „Freiheit in der Abhängigkeit" 229 . Gebunden ist die ontologische Freiheit humanen Personseins damit nach Brunner aus dem Grunde, weil sie mit einer konkreten Bestimmung verbunden ist, nämlich der Gottes Ruf zu antworten. Aus diesem Grunde wird die gebundene Freiheit von Brunner als Verantwortlichkeit interpretiert230. Das Sein des Menschen ist daher verantwortliches Sein1M. Die Freiheit des Menschen ist eingegrenzt durch die Verantwortlichkeit: „der Ruf zur Verantwortung ist ein eindeutiger Ruf zur Liebe"232. Das der Mensch als Freiheitswesen geschaffen ist, meint eine „Freiheit-in-Verantwortung" 233 , die „Freiheit-in-und-zur-Liebe" 234 . 220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 2,0 231 232 233 234

D II, S. 6 7 . Vgl. auch Volken, Der Glaube bei Emil Brunner, S. 1 2 . D II, S. 67. D II, S. 6 8 . Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. D II, S. 6 8 . Vgl. M i W , S. 2 6 6 . M i W , S. 6 6 . Vgl. D II, S. 6 8 . Vgl. M i W , S. 87; vgl. auch ders., Natur und Gnade, S. 3 4 0 . M i W , S. 2 6 8 . M i W , S. 2 6 5 (in der Quelle hervorgehoben). Ebd.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Brunner intendiert mit seiner Bestimmung der ontologischen Struktur des humanen Personseins (formale imago) als Verantwortlichkeit die ontologische Struktur der Person nicht substanzhaft, sondern relational zu fassen 235 . Brunner beabsichtigt mit dem relationalen Verständnis der ontologischen Struktur gerade das Mißverständnis der katholischen Tradition zu vermeiden, die formale imago dei als eine dem Menschen inhärente Substanz zu fassen, so daß der Mensch die formale imago „in sich selbst" 236 hat. Daher besteht - nach Brunner - der Fehler der katholischen Tradition darin, sowohl das Wesen des Menschen als auch die Bestimmung des Menschen darin zu erblicken, „Anteil" an Gott zu haben 237 . Demgegenüber beabsichtigt Brunner „Struktur und Relation in eins zu setzen" 238 , um das Verhältnis des humanen Seins zum göttlichen Sein nicht substanzhaft als Anteilhabe zu bestimmen, sondern relational als ein Verhältnis. Die formal-ontologische Struktur des Menschen ist somit nach Brunner eine Relation 239 : verantwortliches Sein. Die Freiheit des Menschen ist begrenzt durch das göttliche Sollen240; gebunden an die göttliche Bestimmung des „Seins-in-der-Liebe" hat sich der Mensch daher Gott zu ver-iantworten. Kurz: Die menschliche Freiheit ist eine durch die Verantwortlichkeit begrenzte Freiheit 241 . Um die formal-ontologische Struktur der Person als Relation zu fassen, benutzt Brunner so die göttliche Bestimmung der menschlichen Existenz als Qualifikation der existential-ontologischen Struktur: Die menschliche Freiheit ist eine gebundene, weil sie dem Ruf Gottes zu antworten hat. Von diesem Gedanken aus versucht Brunner, den Verlust der materialen Bestimmung der Person bei gleichzeitiger Kontinuität des Personseins aufrechtzuerhalten: So kann der Mensch zwar seiner Bestimmung widersprechen, nicht aber seiner ontologischen Struktur, d. h. der Mensch kann zwar seine Verantwortlichkeit vor Gott leugnen, seine Freiheit zur „Liebe-in-Gott" mißbrauchen, aber er kann nicht die Struktur des Verantwortlichseins aufheben. „Die Verantwortlichkeit ist die dem Menschen unabänderlich gegebene Seins struktur"242. Eine christliche Anthropologie, d. h. eine aus

235 236 237 238 239 240 241

242

So explizit D II, S. 71 f. D II, S. 72 (in der Quelle hervorgehoben). Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ders., Freiheit als Verantwortlichkeit, S. 341f. Vgl. a. a. O., S. 345. - Es ist daher zu unterscheiden zwischen der absoluten Freiheit Gottes und der durch das göttliche Sollen begrenzten menschlichen Freiheit (vgl. a. a. O., S. 343). D II, S. 68.

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der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Christus erwachsene Lehre vom Menschen, hat daher nach Brunner gerade das verantwortliche Sein als unverlierbare Personstruktur, als die ontologische Möglichkeitsbedingung eine humane - im Gegensatz zu einer animalen - Existenz zu verwirklichen, zur Sprache zu bringen 243 : Durch die von Gott geschaffene Freiheit muß sich der Mensch entscheiden, im Ja oder Nein zu Gottes Liebe 244 . Ist der Mensch - aufgrund seiner existential-ontologischen Struktur wesenhaft auf Gott bezogen, so bleibt die Dimension des Absoluten nicht unbesetzt245. Gerade aus diesem Grund, differieren die unterschiedlichen Verständnisse vom Menschen nach Brunner auch nicht in der Frage, ob der Mensch sich für ein Absolutes setzt oder nicht, sondern hinsichtlich der Frage welches Absolute sich der Mensch setzt. Der Mensch lebt in der Alternative von Gott oder Abgott 246 . So ist die humanitas „auch im formalsten Sinne [...] nie ohne Beziehung zur Gotteserkenntnis und zur Bestimmtheit für Gott. Der Mensch ist als humanus ein solcher, daß er ,muß einen Gott haben', entweder den echten Gott oder einen falschen.' Es gibt keine Abgötterei ohne Gottesbewußtsein" 247 . Dem Menschen ist somit niemals Neutralität zueigen, er steht immer in der Gottesbeziehung, entweder als ein auf den wahren Gott ausgerichteter oder auf einen Götzen ausgerichteter248. Die Humanität des Menschen ist somit „nichts anderes als das unverlierbare Stehen unter dem Wort Gottes, entweder als Nein- oder Ja-Sager. Der Mensch steht nie außerhalb des Anspruchs, also außerhalb des Wortes Gottes; aber er steht zu ihm entweder richtig oder verkehrt. Gott zugewandt oder Gott abgewandt, immer aber in der Verantwortlichkeit, die die Substanz seiner Humanität ist" 2 4 9 . Gehört nun die Verantwortlichkeit unabänderlich zum Menschsein des Menschen, so fügt Brunner im gleichen Zusammenhang hinzu, daß dem Menschen auch eine natürliche Gotteserkenntnis nicht abzuspre-

243 244 245 246 247

Vgl. M i W , S. 3 8 . Vgl. M i W , S. 2 6 8 . Vgl. M i W , S. 2 5 . Vgl. ebd. Ders., Die Frage nach dem „ A n k n ü p f u n g s p u n k t " als Problem der Theologie, S. 2 5 7 . Mit Verweis auf Luther W A 4 7 , 3 5 7 f .

248

Vgl. ebd. - Gerade aus diesem Grunde trifft das Evangelium nach Brunner nie auf einen „ n e u t r a l e n " Menschen, sondern auf Menschen, die bereits „Stellung bezog e n " (ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 1 7 1 ) haben. „Das W o r t Gottes kann nicht einen leeren R a u m füllen, sondern es begehrt Einlaß in einem H a u s , das schon besetzt ist" (ebd).

249

Ders., Die Frage nach dem „ A n k n ü p f u n g s p u n k t " als Problem der Theologie, S. 2 5 7 .

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chen ist 250 . So besteht doch nicht nur in formaler, sondern auch in materialer Hinsicht eine Kontinuität, die aber - so fügt Brunner sofort hinzu - immer zugleich Gegensatz bedeutet 251 . Die natürliche Gotteserkenntnis ist ihrem wahren Sinne nach „Erkenntnis des zornigen Gottes, des Deus nudus; sie ist darum eine verzweifelte Erkenntnis" 2 5 2 . „Um dieser Richtung willen ist die Buße, die Schulderkenntnis, die Erkenntnis des Nichtrechtseins, der Gottbedürftigkeit, der Armut, - der Anknüpfungspunkt für den Glauben, für das Wort. Sie ist die Offenheit für Gott"253. 3.2.2 Die ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz in Entsprechung und im Widerspruch zu ihrer Bestimmung Ist nach Brunner (a) die Intention der göttlichen kreatorischen Aktivität eine ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz in der Liebe, setzt aber (b) die Fähigkeit zur Liebe die Freiheit des Menschen voraus, so fordert die Bestimmung des menschlichen Lebens gerade eine solche ontologische Struktur der Person als Möglichkeitsbedingung für eine gerade dieser Bestimmung gemäßen Realisierung des menschlichen Lebens, die auch ihre Nicht-Realisierung, ihren Widerspruch, ermöglicht. So gilt es zu fragen, ob dies durch Brunners Ontologie der Person zu gelingen vermag. Wir werden uns im folgenden zunächst Brunners Explikation der der Bestimmung der Person gemäßen (3.2.2.1) und der der Bestimmung der Person widersprechenden Verwirklichung des Daseins (3.2.2.2) zuwenden, um schließlich nach Brunners Verständnis der in Christus gewährten Ermöglichung zur Entsprechung der humanen Bestimmung (3.2.2.3) zu fragen. 3.2.2.1 Materiale imago: Die der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der h u m a n e n Existenz (das „Sein-in-der-Liebe") Ist die Verantwortlichkeit vor Gott die formal-ontologische Struktur geschöpflicher Personalität, so besteht die Bestimmung dieser Verantwortlichkeit in der Antwort des Menschen auf Gottes Liebe in der Liebe 254 . „Das Sein zur Liebe ist nicht ein Attribut des Menschseins neben anderen, sondern es ist das Menschsein selbst. Der Mensch ist gerade 250 251 252 253

254

Vgl. ebd. Vgl. ebd. A. a. O., S. 2 5 9 . Brunner, Der Mittler, S. 480. - „ D a r u m ist das Schuldbewußtsein der Ansatzp u n k t für die O f f e n b a r u n g " (a. a. O., S. 458). Vgl. M i W , S. 64.

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soviel Mensch, als er in der Liebe ist. Der Grad seiner Entfremdung von der Liebe ist der Grad seiner Unmenschlichkeit" 255 . Der Mensch hat seinen Grund in dem „schenkend-anrufenden Wort Gottes" 256 und das heißt somit zum einen in der Struktur der Verantwortlichkeit, zum anderen auch in der sich dem Menschen ursprünglich mitteilenden Liebe Gottes, in dem geschenkten Leben in Gottes Liebe 257 . Das rechtbeschaffene Sein, d. h. die der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens, ist das Sein in der Liebe 258 . Das Sein in Gottes Liebe ist die der Bestimmung der ontologischen Verantwortung entsprechende ontische Verwirklichung, es ist ,,erfüllt-verantwortliche[s] Sein". Es entstammt der schenkenden Liebe Gottes und besteht in nichts anderem als dem Wiederlieben 259 . 3.2.2.2 Die der Bestimmung der Person widersprechende ontischexistentielle Verwirklichung der humanen Existenz (Sünde) Besteht das Personsein des Menschen in der (ontologischen) Struktur der Verantwortlichkeit, die der Bestimmung des Menschen gemäße ontischexistentielle Verwirklichung der humanen Existenz in dem Verantwortlichsein vor Gott, d. h. nach Brunner in der Liebe als Antwort auf Gottes Liebe, so sieht Brunner die Sünde gerade in dem Bruch dieser intakten Gottesbeziehung 260 , des „Sein[s]-in-Gott" 261 . Statt wahrhaft auf Gott bezogen zu sein, ist die Beziehung des Menschen auf Gott verkehrt 262 . Auch in der Sünde besitzt der Mensch weiterhin seine ihn als Menschen auszeichnende Seinsstruktur: Der Mensch ist ausgezeichnet durch seine besondere Bezogenheit auf Gott, die Verantwortung heißt 263 . Die Verantwortlichkeit als formal-ontologische Struktur der geschöpflichen Personalität bleibt als das Humanum des Menschen erhalten; auch der sündige Mensch bleibt Geschöpf Gottes 264 ; der Mensch wird nicht zum Tier, sondern bleibt humanus 265 . In der formalen Struktur des Menschen 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264 265

M i W , S. 63. M i W , S. 92. Vgl. M i W , S. 94. Vgl. M i W , S. 95. Vgl. M i W , S. 94. Vgl. D II, S. 102. D II, S. 122. Vgl. D II, S. 1 3 0 . Vgl. M i W , S. 1 2 6 . Vgl. M i W , S. 4 7 3 . Vgl. M i W , S. 2 3 0 ; ders., Z u m Problem der „natürlichen T h e o l o g i e " u n d der „Anknüpfungspunkt", S. 5 4 5 .

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als solcher, die unverlierbar ist, ist eine Beziehung auf Gott enthalten, ist doch der Mensch gegründet in Gottes schöpferischem Handeln 266 . Doch ist die Rechtbeschaffenheit der Person, d. h. die der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens, verloren: Der Mensch verliert sein „Sein-in-der-Liebe-Gottes", den Gebalt der Humanität 267 , doch verliert auch der nicht in der Liebe Gottes lebende Mensch nicht die Struktur seines Menschseins 268 . „Es bleibt ihm von der ursprünglichen Humanität nur das Formale: das schöpferische Vermögen kraft der Erkenntnis der Idee, das Selbstbewußtsein und die Selbstbestimmung als unverlierbare Kennzeichen des Menschseins" 269 . Die ontologische Struktur geschöpflicher Personalität und die ihrer Bestimmung gemäße Realisation sind in der Sünde nicht mehr geeint, die Verantwortlichkeit (als formal-ontologische Struktur geschöpflicher Personalität) und die Liebe (als die der Bestimmung des Menschen entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung des Lebens) treten auseinander270. Ist die Verantwortung die formale Struktur, die sich auch in der Sünde durchhält, so ist diese Verantwortung nun negativ bestimmt: Statt - wie es seine Bestimmung war - Gottes Anspruch zu bejahen, verweigert sich der sündige Mensch dem Anspruch Gottes 271 . Weil der Mensch sowohl Geschöpf Gottes ist als auch ein durch die Sünde verkehrtes Geschöpf, ist die menschliche Existenz eine Existenz im Widerspruch 272 . „Das Menschliche als Form, als Struktur - nämlich als verantwortliches Sein - ist geblieben, das Menschliche als Inhalt, nämlich als Sein in Liebe, ist verloren. Der Mensch hört nicht auf ,vor Gott' zu sein: aber er ist jetzt verkehrt vor Gott und darum auch Gott verkehrt vor ihm" 273 . Die Person wird zur unpersönlichen Person, ihr ermangelt das personhafte Personsein274. Wird von Brunner die formal-ontologische Struktur des Menschen als Freiheit - und zwar (im Unterschied zur göttlichen Freiheit) als eine gebundene Freiheit - expliziert, die Gebundenheit der humanen Freiheit gerade in der Tatsache erblickt, daß die menschliche Freiheit im Horizont der göttlichen Zwecksetzung zu erblicken ist, so argumentiert 266 267 268 269 270 271 272 273 274

Vgl. a. a. O . , S. 5 4 6 Vgl. M i W , S. 2 3 0 . Vgl. M i W , S. 9 6 . M i W , S. 2 3 0 f . Vgl. M i W , S. 2 3 1 . Vgl. M i W , S. 126f. Vgl. M i W , S. 1 6 4 . Vgl. M i W , S. 1 6 6 . Vgl. M i W , S. 4 7 4 .

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Brunner nun in zwei Richtungen: Zum einen beabsichtigt Brunner, die Freiheit als Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität in der Weise festzuhalten, daß sie nicht durch die menschliche Sünde verlorengeht, zum anderen möchte Brunner aber erweisen, daß durch den Verlust der Rechtbeschaffenheit die Freiheit um ihre gottgewollte Bestimmung gebracht ist: So meint Brunner zum einen, im Interesse des freien Willens sich gegen die Bestimmung des freien Willens bei den Reformatoren entscheiden zu müssen. „Wohl ist, ,wer Sünde tut, der Sünde Knecht', aber er tut Sünde nie anders als in eigener Entscheidung" 275 . Man muß - so Brunner - anders als die Reformatoren durchaus von einem freien Willen sprechen276. Auch der sündige Mensch hat einen freien Willen 277 , auch der sündige Mensch ist Subjekt, nicht Objekt 278 . Gerade daher kann Erwählung nur bedeuten, daß Gottes Liebeswort den Menschen aus Ewigkeit erreicht 279 , weil sonst die Freiheit und Verantwortlichkeit der Person geleugnet wird 280 . Die Unfreiheit wird von Brunner somit zur Sprache gebracht als Kennzeichen des falschen Gebrauchs der Freiheit. Sie besteht nach Brunner gerade darin, daß der Mensch nicht mehr für, sondern gegen Gott lebt und sich so von der Quelle des Lebens entfernt hat 281 . „Der Sünder soll das Gute tun! Der Gottlose, der Gottesfeind soll Gott lieben! Das kann er nicht" 282 . So hat der Mensch die eigentliche Freiheit verloren 283 . Auch als Sünder vermag der Mensch noch sich zu entscheiden, ohne durch Entscheidung kommt er nicht zum Glauben 284 . Aber er ist unfrei, weil er sich gegen die Quelle der Freiheit entscheidet285. So wird die Unfreiheit, das servum arbitrium, zum Kennzeichen sündhafter Existenz286. Zwar hat auch der sündige Mensch noch Freiheit - auch er ist 275 276 277 278 279 280 281 282 283 284 285

286

MiW, S. 2 7 1 . Vgl. MiW, S. 2 7 2 . Vgl. MiW, S. 2 7 3 . Vgl. D I, S. 3 2 2 . Vgl. D I, S. 3 2 3 . Vgl. D I, S. 3 3 9 . Vgl. MiW, S. 2 7 4 . MiW, S. 2 7 4 (in der Quelle teilweise hervorgehoben). Vgl. MiW, S. 2 7 6 . Vgl. MiW, S. 2 7 9 . Ebd. - Die Unfreiheit hat ihren Grund nach Brunner gerade darin, daß die Urentscheidung des Menschen „der konstante Faktor in allen seinen weiteren Entscheidungen" (MiW, S. 3 0 6 ) ist. Die empirische Entscheidung ist damit eingegrenzt durch die „bereits gefallene negative Entscheidung" (MiW, S. 3 1 4 ) . Der Sünder hat nur noch die Möglichkeit in dem Raum zu entscheiden, „der durch Schöpfung und Ursünde abgegrenzt ist" (MiW, S. 3 1 5 ) . Vgl. D II, S. 134ff.

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noch ein kulturschaffendes Wesen - aber er ist unfrei, eine „wahrhaft gottgefällige Kultur zu schaffen" 2 8 7 . ,,[K]ein Mensch ist ohne Verantwortlichkeit und also ohne ein gewisses M a ß von Freiheit, nämlich ohne jenes M a ß , ohne das das Menschsein aufhören würde" 2 8 8 . Die Freiheit, die der Mensch verliert, ist seine Freiheit, eine der Bestimmung gemäße Existenz zu vollziehen 289 . H a t Brunner die Struktur der Verantwortlichkeit als formal-ontologische Struktur geschöpflicher Personalität zu explizieren versucht, so gehört aber nicht ausschließlich diese Struktur zum Konstituum geschöpflicher Personalität, sondern auch das Gewissen als das „Bewußtsein der Verantwortlichkeit" 2 9 0 . So kann Brunner formulieren: „Nicht nur haben alle Menschen die Verantwortlichkeit, sondern auch ein Bewußtsein davon" 2 9 1 . In einem anderen Zusammenhang betont Brunner: „Was von jedem denkenden Menschen erwartet werden kann, ist, daß er versteht, daß und warum die Freiheit eine begründete und darum eine durch die Verantwortlichkeit begrenzte ist" 292 . Und noch weitergehend ist der Mensch in dem Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit auch ein irgendwie um Gott wissendes Wesen 293 . „Die Sünde macht aus dem Menschen nicht einfach den Un-menschen, sondern eben den sündigen Menschen. Sie ist wohl Verdunklung, Verzerrung, Verderbung des Gottesbildes, aber nicht seine Austilgung" 2 9 4 . Das im Sünder gebliebene Gottesbewußtsein darf daher keinesfalls als nicht vorhanden oder als nicht bedeutend beurteilt werden 295 ; nur weil der Mensch irgendwie schon um Gott weiß, kann er nach ihm fragen 296 . So gibt es doch auch im materiellen Wissen bei Brunner ein „Miteinander von Wahrheitsmomenten und Verkehrungen"197. 3.2.3 Die in Christus ermöglichte Entsprechung zur Bestimmung geschöpflicher Personalität In der intakten Gottesbeziehung, die durch die Sünde gebrochen ist, antwortet der Mensch auf die Liebe Gottes mit der Liebe. Die Heils287 288 289 290 291 292 293 294 295 296 297

D II, S. 136. D II, S. 137. Vgl. D II, S. 134. Ders., Natur und Gnade, S. 342. Ebd. Ders., Freiheit als Verantwortlichkeit, S 347. Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 180. A. a. O., S. 181. Vgl. a. a. O., S. 190. Vgl. ders., Unser Glaube, S. 6. Roessler, Person und Glaube, S. 53.

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geschichte ist nach Brunner das „Rückgängigmachen des Bruches, der zerstörten Gottesgemeinschaft" 2 9 8 . Im Glauben realisiert sich die ursprüngliche Bestimmung als „Leben-von-Gott-her" 2 9 9 . Erkennt der Glaube dieses Rückgängigmachen als ein Geschenk Gottes 3 0 0 , so stellt sich nach Brunner die Frage, ob hier das Subjekt ausgeschaltet wird 3 0 1 . Hat Brunner gezeigt, daß in der Sünde der Mensch die Freiheit verliert, eine der Bestimmung gemäße Existenz zu vollziehen, so versucht er nun im Zusammenhang der Frage nach dem Verhältnis des Gnadenhandelns Gottes und der geschöpflichen Freiheit aufzuweisen, daß die in der Wesensverfassung des Menschen liegende Freiheit durch den Geist gerade ihrer Bestimmung entgegengebracht wird 3 0 2 : Der Mensch hat ein verantwortliches Sein 3 0 3 , ,,[a]ls der vom Sohn aus der Sünde Befreite ist er ,wahrhaft frei'" 3 0 4 . „Seine Selbständigkeit ist nicht eine Freiheit neben oder gegenüber Gott, sondern in Gott; es ist die Freiheit, sich selbst als der von Gott in Liebe Geschaffene zu erkennen und als der von Gottes Willen Bewegte zu handeln. Diese Freiheit ist nicht Selbständigkeit, sondern Gott-ständigkeit" 3 0 5 . Aus diesem Grunde wird - so Brunner - durch das Wirken des Heiligen Geistes der Mensch als freies Subjekt nicht ausgeschaltet, sondern er wird erst wahrhaft frei gemacht, weil er „aus dem Sein-im-Widerspruch zum Sein-in-der-Wahrheit befreit" 3 0 6 wird. „Vom Geist Gottes getrieben werden ist keine Besessenheit, sondern im

298 299

300 301 302 303 304 305 306

D III, S. 2 1 . M i W , S. 5 0 8 . - Die von Volk vorgenommene katholische Kritik an Brunner sieht die Problematik Brunners gerade darin, daß die Gnade zur Befähigung zu der zur Bestimmung des Menschen gehörenden Sittlichkeit wird (vgl. ders., Emil Brunners Lehre von der Sünde, bes. 2 6 6 f f ) : Die Gnade werde in diesem Verständnis aber auf das Niveau der Sittlichkeit gesenkt, „wenn Sittlichkeit und Gnade so in eins getan werden sollen, d a ß schon zu jeder Wahrhaftigkeit die G n a d e im höchsten Sinn g e h ö r t " (a. a. O . , S. 2 2 9 ) . Gegen Brunners - der protestantischen Tradition verpflichtetes - Modell m a c h t Volk daher das katholische Denkmodell der durch die Gnade ermöglichten wberethischen Leistung stark: „ A u c h n a c h unserer Auffassung kann der M e n s c h ohne Gnade nicht tun, w a s er soll, jedoch weil er in der Gnade über das Sittliche als eigenes Können hinaus beansprucht ist. Er ist aber auch durch die ihm zu eigen gegebene Gnade instand gesetzt, der überethischen Beanspruchung durch G o t t zu entsprechen. Bei der Leugnung erhöhender Gnade ist aber das Sittliche selbst, das .Halten der G e b o t e ' ohne G n a d e überhaupt unmöglich" (ebd.). Vgl. D III, S. 2 4 . Vgl. D III, S. 2 7 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. D III, S. 2 7 f . D III, S. 2 8 .

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Gegenteil die Befreiung aus der Besessenheit, aus der Fremdherrschaft des Bösen" 3 0 7 . Nicht die Freiheit des Menschen wird durch das Wirken des heiligen Geistes zunichte, sondern die falsche Freiheit 3 0 8 . So ergibt sich ein neues Verständnis der Freiheit. Sieht der natürliche Mensch seine Freiheit in der Unabhängigkeit, so besteht für den Glaubenden die Freiheit in der vollkommenen Abhängigkeit von Gott 3 0 9 . Um die dem Menschen als Menschen zukommende (und daher unverlierbare) Freiheit zu betonen, wird von Brunner der im Glauben liegende Anspruch an den Menschen hervorgehoben. Gerade so intendiert Brunner, auch der Aktivität des Menschen Rechnung zu tragen. So betont Brunner, daß mit dem Glauben als Geschenk die Gehorsamsforderung unmittelbar verbunden ist; denn „mit dem Indikativ der Gnade - du bist es, wenn du es nur glaubst - [ist] immer zugleich der Imperativ der Nachfolge - sei es! - gegeben" 3 1 0 . Gerade das Zusammen von Zuspruch und Anspruch gilt es nach Brunner zu betonen, während die Reformatoren das zweite vernachlässigt haben, den Römerbrief somit mit Kapitel 11 enden ließen 3 1 1 . „Der Empfang der Gnade aber darf nicht, wie es die orthodoxe Lehre des Luthertums auffaßt, als ein Geschehen gedacht werden, bei dem der Mensch rein passiv als behandeltes Objekt (truncus et lapis), nicht aber als Subjekt zugegen wäre, sondern er ist der Akt der Identifikation mit dem Gekreuzigten in der Erkenntnis seiner Identifikation mit uns, den Sündern" 3 1 2 . „Wohl ist die Umwandlung durch Christus, das neue Leben, Gottes Tat allein. Aber in diese seine Tat ist unser Mittun einbezogen" 3 1 3 . In der Wandlung des heiligen Geistes ist das menschliche „Selbstdabeisein und Selbstmittun" 3 1 4 eingeschlossen. 315

307 308 309 310 3,1 312

313 314 315

Ebd. Vgl. D III, S. 29. Vgl. D III, S. 323. D III, S. 334. Vgl. D III, S. 335. D III, S. 322; vgl. auch Volk, Emil Brunners Lehre von der Gottebenbildlichkeit, S. 195. D III, S. 335. D III, S. 236. Hat Brunner die ontologische Struktur des Menschen als Relation gefaßt (vgl. D II, S. 72f), so begreift er das Offenbarungsgeschehen als relationales Geschehen, als Begegnung: Die Existenzumwandlung im Glauben geschieht durch geschichtliche Begegnung - existenzumwandelndes Geschehen kann sich nach Brunner nur auf der Ebene von Geschichte ereignen (vgl. D III, S. 169). Die Aufnahme der biblischen Wahrheit wird von Brunner so als Personbegegnung von dem „erkenntnismäßigen Erfassen eines Sachverhaltes" (ders., Wahrheit als Begegnung, S. 57) unterschieden. Die Verwendung des - im Bereich des erkenntnismäßigen Erfassen eines Sachverhaltes gehörenden - Subjekt-Objekt Schemas ist nach

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3.3 Das Programm der Eristik In der Offenbarung Gottes - so zeigte sich bereits - ist für Brunner sowohl die dogmatische als auch die eristische Aufgabe der Theologie begründet. Entwickelt die Dogmatik aus Gottes Offenbarung in Christus die Deutung der geschöpflichen Existenz, indem sie die geschöpfliche Existenz zu verstehen lehrt als gegründet in einem ursprünglich-schöpferischen Handeln Gottes, gestört durch den Einbruch der Sünde und im Glauben - geheilt durch Gottes Heilshandeln in Christus, so ist es die Aufgabe der Eristik diese Existenzdeutung zu bewähren; 3 1 6 denn die Kommunikation der christlichen Deutung geschöpflicher Existenz kann nur gelingen in der gedanklichen Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Existenzdeutungen der Zeit. Hat Brunner die Vernunft in der sündigen Verblendung zu verstehen gelehrt, indem er zum einen die auch in der Sünde bleibende Potentialität der Vernunft zum andern die durch die Sünde bedingte Begrenzung der Vernunft aufzeigt, so ist die Auseinandersetzung mit den Existenzverständnissen unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung auf zwei Weisen zu führen: Zum einen ist die dem Wort Gottes widerstrebende Vernunft niederzuringen, zum anderen die auch in der verblendeten Vernunft heimlich verborgene Gotteswahrheit zu befreien 3 1 7 . Ist der Mensch zum einen auf Gott bezogen, ist aber zum anderen sein Wissen um Gott verzerrt, so ist die biblische Botschaft zur Sprache zu bringen als Erfüllung und Angriff auf die Vernunft 3 1 8 . Brunner daher im Bereich des Glaubens ein „unheilvolles Mißverständnis" (a. a. O., S. 14), ,,[d]as biblische Wahrheitsverständnis kann durch den ObjektSubjekt-Gegensatz nicht erfaßt werden, sondern wird durch ihn verfälscht" (ebd. in der Quelle hervorgehoben). So gilt für Brunner: „Die Wirklichkeit beginnt da, wo ich in meinem denkenden und träumenden Alleinsein durch ein Außer-mir, durch ein Nicht-ich ,gestört' werde, wo meine Gedanken an einen Widerstand anrennen" (D III, S. 169). Dies vermag ein Es, die Natur, nicht zu erreichen, „[vielmehr ist es das selbstredende und selbstwollende Außer-mir, das Du, das mich wirklich ,stört' und so meine Selbstherrlichkeit in Frage stellt"(D III, S. 169f). „Nur da, wo ein menschliches Du - ein geschichtliches Ich - mit dem Anspruch des göttlichen Herren-Ich begegnet, kann die Selbstherrlichkeit des Menschen ,wirklich' gebrochen werden, nur da geschieht die Umwandlung aus der Selbstherrlichkeit in die Gehörigkeit. Und eben dieses wirkliche Geschehen ist in der Bibel mit dem W o r t ,Glaube' gemeint" (D III, S. 170). Im dem im Anspruch geforderten Für-Gott-Sein liegt so nach Brunner zugleich der Zuspruch des Fürmich-Seins Gottes. 316

317 318

Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 1 8 0 ; ders., Offenbarung und Vernunft, S. 2 4 . Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 173f. Vgl. a. a. O., S. 183.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

3.3.1 Der O r t der Eristik: Die Auseinandersetzung zwischen der sündigen Vernunft und dem Glauben auf dem Boden der Anthropologie Der größte Dissenz zwischen der sündigen Verblendung der Vernunft und der Offenbarung besteht nach Brunner nirgendwo anders als in der Lehre vom Menschen 319 ; denn - wie bereits festgestellt - wirkt sich nach Brunner die sündige Verblendung der menschlichen Vernunft gerade dort am stärksten aus, wo es sich um das personale Gottesverhältnis handelt 320 . Hat Brunner so in der Dogmatik den Ort loziert, an dem der Dissens zwischen der Vernunft unter den Bedingungen der Sünde und der Offenbarung am größten ist, so ist damit gleichzeitig der Ort markiert, an dem die Eristik einzusetzen hat: Als Auseinandersetzung um die angemessene Deutung der humanen Existenz ist der Ort der Eristik die Anthropologie 321 . So erhebt nach Brunner der christliche Glaube den Anspruch, die Seinsweise des Menschen angemessen zu deuten 322 . Der Glaube beinhaltet somit eine neue - weil aus einer neuen Perspektive gewonnene Deutung des menschlichen Selbstverständnisses 323 . Diese Deutung aber gerät in Konflikt mit anderen Deutungen des existentiellen Seins. „Je näher ein Seinsbereich dem Personenzentrum ist, desto bedeutsamer wird die Korrektur sein, die unser natürliches Erkennen vom Glauben her bekommt. Es gibt keine christliche Anatomie, wohl aber eine spezifisch christliche Lehre von der Vernunft in ihrer Beziehung zum Wahren und zum Guten" 3 2 4 . So ist die Lehre vom Menschen der Gegenstand, in dem die christliche Theologie mit dem allgemeinen Wahrheitsbewußtsein ins Gespräch tritt. Es wurde bereits in der Erörterung über die Potentialität der - durch die Sünde verblendeten - menschlichen Vernunft deutlich: „[NJirgens wie bei der Selbsterkenntnis [ist] die Sünde erkenntnisverdunkelnd und -verhindernd wirksam, [...] der Mensch [will], ehe er vom Licht der Offenbarung aufgedeckt wird, sich gerade nicht [...] aufdecken lassen, sondern sich Bilder von sich selbst machfen], die ihn entweder naturalistisch entschuldigen oder idealistisch schönfärben" 325 . Daher ist die Anthropologie, die Explikation des Verständnisses des Menschen, der Ort des Streites zwischen dem christlichen Glauben und 319 320 321 322

323 324 325

Vgl. D II, S. 45. Vgl. MiW, S. 256. Vgl. ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 176. Vgl. ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 240. Vgl. a. a. O., S. 241. Ebd. D II, S. 58.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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dem nichtchristlichen Denken 3 2 6 . „Es ist die Aufgabe einer echt christlichen ,Eristik', diese Auseinandersetzung weiterzuführen. Sie tut damit in theoretischer Weise das, was jede rechte Predigt in praktischer Zuwendung zum einzelnen Hörer tut: Sie zeigt dem Menschen, der nicht umhin kann, sich selbst verstehen zu wollen, daß er sich wahrhaftig, realistisch, ohne Vergewaltigung der Wirklichkeit nur verstehen kann, wenn er sich vom Glauben an den in Christus offenbaren Schöpfer versteht" 3 2 7 . Die Eristik hat somit die Aufgabe, die aus der Perspektive des christlichen Glaubens gewonnene Deutung der humanen Existenz als die dem menschlichen Wesen angemessene Deutung zu bewahrheiten, indem sie aufweist, „daß der Mensch sich nur im Glauben richtig verstehen kann und daß er nur durch das Wort Gottes das bekommt, was er heimlich sucht: daß er nur im christlichen Glauben werden kann, wozu er bestimmt ist und was er selbst in verkehrter Weise zu werden sucht" 3 2 8 . Besteht die Pointe der theologischen Anthropologie Brunners gerade darin, den Menschen durch seine Gottesbeziehung konstituiert zu sehen, so muß die theologische Anthropologie notwendig polemisch zu denjenigen Deutungen humanen Seins begriffen werden, die den Menschen in Absehung seiner ihn doch konstituierenden Gottesbeziehung zu verstehen versuchen 329 . So intendiert die theologische Anthropologie Brunners, den M e n schen unter dem Gesichtspunkt Schöpfung und Sünde verstehen zu lehren 3 3 0 . Daher ist für Brunner die christliche Lehre vom Menschen eine „dreifache" 3 3 1 : „Lehre vom Ursprung, Lehre vom Gegensatz und Lehre von der Wirklichkeit des Menschen als Leben im Widerspruch von Ursprung und Gegensatz" 3 3 2 . Der Widerspruch des Menschen wird somit von Brunner verstanden als Widerspruch zwischen dem Menschen als Ebenbild Gottes und der sündhaften Verkehrung der Gottebenbild326 327 328

329

330 331 332

Vgl. D II, S. 85f. D II, S. 86. Ders., Die andere Aufgabe der Theologie, S. 1 7 7 . - Besteht die Pointe der Brunnerschen Anthropologie gerade darin, den Menschen als im schöpferischen Akt Gottes gegründet zu verstehen, so zeigt die auf dem Gebiet der Anthropologie geführte Eristik, „dass der Mensch nie von seinem Gottes-Verhältnis losgekommt [ist], sondern dass er fortgesetzt darin lebt" (Salakka, Person und Offenbarung in der Theologie Emil Brunners während der Jahre 1 9 1 4 - 1 9 3 7 , S. 187), d. h. daß der Mensch sich nur „in seiner Bezogenheit zu Gott richtig verstehen kann" (Roessler, Person und Glaube, S. 3 1 ) . So Brunner schon programatisch in seinem Vorwort zu „Der Mensch im Widerspruch", S. VII. Vgl. ders., Das Gebot und die Ordnungen, S. 4 8 . MiW, S. 7 2 (in der Quelle teilweise hervorgehoben). Ebd.

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lichkeit 333 . Von daher fordert Brunner, daß der Nachweis der Deutung des Menschen aus der Perspektive des Glaubens zu zeigen hat, daß gerade diese Sicht des Menschen der Realität entspricht, „jede andre Sicht das Bild des wirklichen Menschen irgendwie verzerrt und verdeckt" 334 . Es muß dem Menschen somit aufgewiesen werden, was er zuvor nur dunkel ahnte und wie sehr er früher im Dunkeln tappte 335 . Der christliche Glaube behauptet, die der faktischen Existenz des Menschen angemessene Deutung des Menschen zu bieten 336 , indem sie den Menschen als sündiges Geschöpf Gottes zu verstehen lehrt, d. h. seine Sünde „zur Anschauung" bringt 337 . Brunners anthropologische Eristik beansprucht somit, die aus der Perspektive des Glaubens gewonnene Deutung des Menschen zu bewahrheiten, indem er aufweist, daß gerade die christliche Lehre vom Menschen die Erfahrungen und Phänomene des Menschen zu deuten und daher zu verstehen vermag. Beansprucht das christliche Verständnis des Menschen das wahre Verständnis des Menschen zum Ausdruck zu bringen und ist diese Wahrheit zu erweisen, indem aufgewiesen wird, daß gerade die christliche Deutung des Menschseins die Erfahrungen und Phänomene des Menschen zu deuten vermag, so darf nach Brunner das christliche Verständnis des Menschen (als Deutungsmuster der menschlichen Erfahrungen) selbstverständlich nicht mit den menschlichen Erfahrungen in Widerspruch leben338. „Die christliche Lehre vom Menschen behauptet, daß sie, obwohl sie den Menschen von den keiner Erfahrung zugänglichen Wahrheiten der Offenbarung her versteht, damit in keiner Weise dem, was man erfahrungsmäßig vom Menschen wissen kann, widerspreche, sondern im Gegenteil dieses erfahrungsmäßige Wissen erst in seinen rechten Zusammenhang einordne. Alle ihre Sätze müssen - das verlangt sie selbst - sofern sie überhaupt ins Erfahrbare hineinreichen, dem natürlichen' Erfahrungswissen vom Menschen entsprechen und es in sich aufnehmen. Die christliche Erkenntnis schließt, in diesem wie in allen Punkten, das ,natürliche Wissen', das heißt das, was der Mensch auch ohne Glauben durch Beobachtung und Denken wissen kann, in sich" 339 . So intendiert die Eristik - auf dem Felde der Anthropologie - das christliche Verständnis des Menschen zu bewahrheiten, indem sie aufweist, daß gerade das

333 3,4 335 336 337 338 339

Vgl. M i W , S. 5 0 0 . M i W , S. 4 9 9 . Vgl. M i W , Vgl. M i W , Ders., Die Vgl. M i W , Ebd.

S. 7 2 . S. 1 0 5 . andere Aufgabe der Theologie, S. 1 7 9 . S. 4 9 .

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christliche Verständnis des Menschen die menschlichen Erfahrungen zu beleuchten und zu deuten vermag - und dies heißt für Brunner: Die Sünde des Menschen wird zur Anschauung gebracht, indem sie als solche zu verstehen gelehrt wird. 3.3.2 Die Methode der Eristik: Der Anknüpfungspunkt Die „zweite" Frage der Theologie neben der dogmatischen Frage, die Gegenstand der Eristik (Streit zwischen der sündigen Vernunft und der Offenbarung auf dem Boden der Anthropologie) ist, wird von Brunner als Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" entfaltet 340 , als „die Frage nach der Beziehung zwischen dem ,natürlichen Menschen' und dem Worte Gottes" 341 . Die Frage nach dem Anknüpfungspunkt ist somit eine anthropologische Frage 342 . Nun bringt Brunner bekanntermaßen in seinem Aufsatz „Natur und Gnade" aus dem Jahre 1934 pointiert zum Ausdruck, daß die Anknüpfung in der formal-ontologischen Struktur geschöpflicher Personalität zu erblicken ist, in der formalen imago dei 343 , die „vom Gegensatz GlaubeUnglaube unberührt [ist]" 344 . Hier lenkt Brunner zurück auf seine in der Anthropologie getroffenen Unterscheidung zwischen der formalen und der materialen imago, zwischen den formal-ontologischen Möglichkeitsbedingungen, eine humane Existenz (formale imago) zu verwirklichen, und der der Bestimmung der Person gemäßen ontisch-existentiellen Verwirklichung der humanen Existenz (materiale imago). „Ebenso wie wir [...] sagten, daß es material keine imago dei mehr gibt, während sie formal unversehrt ist, ebenso müssen wir sagen, daß es material keinen Anknüpfungspunkt gibt, während er formal unbedingte Voraussetzung ist" 345 . Unter dem Anknüpfungspunkt versteht Brunner die Personstruktur (persona-quid), die Gott in Anspruch nimmt, um den Glauben zu schenken 346 . Brunner macht „die äußere Gegenwart und das äußere Gehör, das logisch-grammatikalische Verstehen, unser vernünftiges Personsein, 540

341 342 343 344

345

346

Vgl. ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 239. A. a. O., S. 240. Vgl. ebd. Vgl. ders., Natur und Gnade, S. 349. Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 363. Brunner, Natur und Gnade, S. 349. - „Das Wort Gottes schafft nicht erst die Wortmächtigkeit des Menschen. Die hat er nie verloren, sie ist die Voraussetzung für das Hören-Können des Gotteswortes" (ebd.). Vgl. ders., Zum Problem der „natürlichen Theologie" und der „Anknüpfungspunkt", S. 549.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

vor allem dessen Zentrum, das Wissen um Verantwortlichkeit" 3 4 7 namhaft. „Der Mensch wird vom Gotteswort nicht als tabula rasa vorausgesetzt oder zur tabula rasa gemacht" 3 4 8 . Der Mensch ist vielmehr verantwortliches Subjekt des Glauben 3 4 9 . Brunner betont somit, daß der Glaube den Menschen als in höchstem Maße aktiv voraussetzt 3 5 0 . „Die actio Gottes vollzieht sich unter Beanspruchung der höchsten Aktivität des Menschen, die freilich ihrem Sinne nach (nicht ihrer psychologischen Form nach) passio ist: sich hingeben, alles hingeben, sich in den T o d geben, von sich gänzlich absehen und allein auf Gottes Wort hören usw" 3 5 1 . Die Struktur des Menschseins, das Sein in Entscheidung (verantwortliches Sein), wird von der Bibel vorausgesetzt 352 . „Diese Struktur wird von der Bibel nie als verloren angesehen [...], vielmehr wird sie als auch im Akt des Glaubens wirksam vorausgesetzt und als solche gleichnishaft (kommen, verkaufen, anziehen) und begrifflich aufgezeigt" 3 5 3 . Gerade diese Personstruktur ist der Anknüpfungspunkt 3 5 4 . „Genauer ist das Personmachende dieser Personstruktur, die Verantwortlichkeit [...] der Anknüpfungspunkt im engeren Sinne, und darum vollzieht sich der Akt der Anknüpfung des Predigers oder Seelsorgers im Aufsuchen des Punktes, wo der Hörer im Sinn der Verantwortlichkeit oder gewissenmäßig ,anzutreffen' ist" 3 5 5 . Wahrend somit die formale Personalität, das verantwortliche Sein, vorausgesetzt wird, wird an die materiale Bestimmtheit des Menschen nicht angeknüpft, sie wird vielmehr verneint 356 . Die responsorische Aktualität - als das auch in der Sünde verbleibende Wesen des Menschen - wird in Anspruch genommen 3 5 7 , und dies bedeutet nichts anderes, als daß Gott das Subjektsein des Menschen beachtet 358 . Als Anknüpfungspunkt betrachtet Brunner daher die humanitas, die Wortmächtigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen 3 5 9 . So könnte thetisch formuliert werden: Material gibt es keine Anknüpfung, nur formal. 347 348 349 350 351 352 353 354 355 356 357 358 359

Ebd. A. a. O., S. 550. Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., S. 551. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 552. Vgl. a. a. O., S. 552f. Vgl. a. a. O., S. 553. Ders.. Brunner, Natur und Gnade, S. 348.

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Nun ist der bisherigen Forschung das Problem von Brunners distinctio zwischen formaler und materialer imago hinsichtlich der Frage nach dem Anknüpfungspunkt nicht verborgen geblieben: Der Anknüpfungspunkt der Theologie scheint - bei genauerem Hinsehen - nicht nur in der formalen, sondern auch in der materialen imago dei zu liegen, obwohl Brunner in seinen prinzipiellen Erwägungen eine Anknüpfung am Materialen verwehrt 360 . Doch umfaßt bei Brunner der Anknüpfungspunkt nicht nur das humanum „im engeren Sinne", sondern auch die „natürlichen Gotteserkenntnis" 361 . Nicht nur die formale Struktur der Bezogenheit auf Gott ist der Anknüpfungspunkt, sondern auch das (materiale) Bewußtsein um Gott 362 . Ist im Gewissen sowohl die formale Struktur (Verantwortlichkeit) als auch der materiale Inhalt (Bewußtsein um die Verantwortlichkeit) enthalten, so kann Brunner formulieren: „Ein Mensch ohne Gewissen ist nicht vom Ruf ,Tut Buße und glaubt an das Evangelium!' zu treffen" 363 . Ist das Wissen um Gott bei dem natürlichen Menschen noch so verzerrt, so ist darin doch auch Wahres enthalten, an das das Evangelium anknüpfen kann 364 . Dies zeigt sich gerade darin, daß das Evangelium Begriffe benutzen kann, die vom „heidnisch-religiösen Bewußtsein geschaffen" 365 sind. Das Christuswort der Apostel bedient sich der menschlichen Sprache und Begriffe 366 , so daß gerade dieses inhaltliche Vorverständnis zur Möglichkeit der Anknüpfung wird 367 . Das in der menschlichen Natur enthaltene Wissen um Gott wird zur Voraussetzung der Methode der Anknüpfung 3 6 8 . Neben der Dialektik zwischen

360

361 362

363 364 365 366

367 368

„Eben dies, daß Brunner hier die ,Ansprechbarkeit' als Verstehensvoraussetzung in dieser Weise ausdehnt auf das wirkliche ,Wissen' um Gott und damit über die rein formale Ansprechbarkeit hinausgeht, hat zu Mißverständnissen und anscheinend unüberwindlichen Verstehensschwierigkeiten geführt, zumal er selbst diesen Vorgang nicht in seinem prinzipiellen Unterschied und in seinem prinzipiellen Zusammenhang mit dem ontologisch-strukturcllen Begriff der formalen Voraussetzung klärt" (Leipold, Missionarische Theologie, S. 205). Brunner, Natur und Gnade, S. 349. Vgl. ebd. - Gerade weil bei Brunner nun doch das, was der natürliche Mensch materialiter von Gott weiß, zum Anknüpfungspunkt mutiert, steht Brunners Lehre nach Gestrich noch unter der „theistischen Prämisse" (ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 362). Brunner, Natur und Gnade, S. 349. Vgl. a. a. O., S. 349f. A. a. O., S. 350. Vgl. ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 241 f. Vgl. a. a. O., S. 242. Vgl. vor allem a. a. O., S. 250. - Leipold ist im Blick auf den Textbefund nicht nur der Meinung, daß man „weder Brunner noch dem fraglichen Sachverhalt der

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formaler und materialer imago entwirft Brunner innerhalb des materialen Wissens um Gott eine zweite Dialektik 369 : Die Dialektik zwischen der Kontinuität und der Diskontinuität des Wissens um Gott. So vertritt Brunner - unter Hinweis auf Luther - die Meinung, daß sich jeder Mensch „irgendwie durch göttliches Gesetz in seiner Existenz bestimmt Anknüpfung gerecht [wird], wenn man lediglich den formalen, nicht aber den materialen Aspekt gelten läßt" (ders., Missionarische Theologie, S. 206), sondern er betrachtet diese Verschiebung der Anknüpfung von der formalen zur materialen imago dei bei Brunner als notwendige Konsequenz; denn für das Problem der Anknüpfung - so Leipold - erweisen sich die Aussagen der formalen Personalität als „wenig hilfreich" (a. a. O., S. 174), mit dem Hinweis auf die formale imago dei sei an sich daher noch wenig geleistet (vgl. a. a. O., S. 207). „Die Gottbezogenheit äußert sich eben als (richtige oder verkehrte) Gottesbeziehung, und diese konkrete Ausprägung des Wissens um Gott gehört mit zu dem, woraufhin der Mensch in der Verkündigung angesprochen wird" (a. a. O., S. 203). Zwar beruhe - so Leipold - das von der Verkündigung vorausgesetzte und in Anspruch genommene Vorverständnis „auf einer formalen Wortmächtigkeit und Verantwortlichkeit, aber es begegnet ja hier jeweils als ein ganz bestimmtes Worthaben, als ein bestimmtes Selbst-, Welt- und Gottesverständnis, und eben in dieser Bestimmtheit als Wissen oder Nichtwissen, in der Beziehung dieses Wissens zum Inhalt des verkündigten Wortes, steckt das Problem. Also nicht darin, daß man mit dem Menschen überhaupt reden kann, sondern darin, daß man mit ihm wirklich von Gott reden kann. Darum geht es, wenn nach der rechten oder falschen Anknüpfung gefragt wird, d. h. wenn die Verkündigung verständliche Rede sein soll" (a. a. O., S. 208). Gerade daher finde die entscheidende Anknüpfung im Bereich des Materialen statt (vgl. ebd.). Zwar - so Leipold - behaupte Brunner, daß es material keine Anknüpfung gebe (vgl. ebd.), doch „faktisch geht es hierbei [...] um einen Vorgang, der sich insbesondere auf die materiale Personalität bezieht, d. h. auf das natürliche Vorverständnis, auf das Gewissen, auf das irgendwie um Gott, um die Sünde, um die Erlösung wissende Selbstverständnis" (a. a. O., S. 208f). Die Dialektik der Anknüpfung läßt sich - so Leipold - daher nicht, wie Brunner es wohl wolle, auf den Unterschied zwischen einem Formalen und einem Materialen beziehen; denn im Bereich des Materialen selbst findet eine dialektische Anknüpfung statt (vgl. a. a. O., S. 210). „Es ist nicht eine formale (ontologische) Voraussetzung, sondern aktuelles Wissen. Und darum wird dieses Wissen noch nicht mit erfaßt, wenn Brunner in seinem Anknüpfungsaufsatz definiert, ,daß die Kontinuität immer nur das formale Daß, die Diskontinuität aber immer das inhaltliche Was betrifft'" (ebd.). Zur Auseinandersetzung mit Leipolds These vgl. Teil 2: Kap. III.A.4.2. 369

Roessler zeigt gar eine dreifach gestaffelte dialektische Beziehung bei Brunner auf (vgl. ders., Person und Glaube, bes. S. 51ff): Nicht nur zwischen der formalen imago und der materialen imago dei - so Roessler - gibt es eine Dialektik bei Brunner, sondern der Bereich der materialen Vernunft ist selbst dialektisch verfaßt, herrscht hier doch ein „Miteinander von Wahrheitsmomenten und Verkehrungen" (a. a. O., S. 53). Diesen beiden Dialektiken ist nach Roessler die Dialektik zwischen der Wahrheit als Begegnung und der Objektwahrheit vorgeordnet, insofern sich die Dialektik zwischen der formalen und der materialen Anknüp-

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und gebunden"370 weiß. So wird gerade das Gewissen der Person zum Ort der dialektischen Anknüpfung; denn gerade in der Gebundenheit an das Gewissen findet sowohl die Anknüpfung als auch der Widerstand statt371. In seinem Gewissen ist der Mensch sich seiner Schuld gewahr, gerade hierauf zielt das Wort, und doch ist der Glaube die Überwindung dieses ,,böse[n] Gewissens"372. Der Glaube knüpft somit an das menschliche Schuld-, Sünden- und Verlorenheitsbewußtsein des natürlichen Menschen an, indem er es unerhört radikalisiert und doch im Versöhnungswort Gottes aufhebt373. „Der Mensch muß an sich verzweifeln, um wirklich glauben zu können [...] aber diese Verzweiflung reift erst zum Aufbrechen unter der gnädig öffnenden Wirkung des göttlichen Wortes" 374 . Die Verkündigung des Evangeliums geschieht in „bestimmter Kontinuität mit dem allgemeinmenschlichen und insbesondere einem vorausgesetzten allgemein-religiösen Vorverständnis"375, sie geschieht gleichzeitig „in der völligen Brechung dieser Kontinuität"376, indem diefung im Bereich der Objektwahrheit abspielt. Roesslers Schaubild (vgl. a. a. O., S. 54) verdeutlicht seine Auffassung der dreifach gestaffelten dialektischen Beziehung: ^/Wahrheit als Begegnung Offenbarung: (1. Dialektik) / f o r m a l e Vernunft Objektwahrheit^ (2. Dialektik) s Wahrheitsmoment ^ materiale Vernunft^ (3. Dialektik) ^Verkehrung So können nach Roessler bei Brunner auf drei Ebenen Aussagen einander entgegengesetzt werden: I.

die Offenbarungswahrheit der Vernunftswahrheit überhaupt, II. das formale Denkvermögen den materialen Vernunftsgehalten oder III. das Wahrheitsmoment der Verkehrung in der Erkenntnis (vgl. a. a. O., S. 54).

370

371 372 373 374 375 376

Von daher fordert Roessler zur Klärung des Ortes der Anknüpfung eine „saubere Trennung zwischen der Anknüpfung an die personal-humanen Voraussetzungen oder Verwirklichungsbedingungen des Glaubens (formal) und der Anknüpfung an ein sog. Vorverständnis des Glaubens (material)" (a. a. Ο., S. 113). Diese Verschiebung der Dialektik nimmt auf seine Weise auch wahr Pohl, Das Problem des Naturrechts bei Emil Brunner, S. 74f. Brunner, Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 251. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. a. a. O., S. 2 5 2 . A. a. O., S. 2 5 3 . A. a. O., S. 2 4 4 . Ebd.

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ses allgemein-menschliche und allgemein-religiöse Vorverständnis „in der schärfsten Weise negiert wird" 377 . So ist nun aber genauer nach dem zu fragen, was der Mensch von sich aus mitbringt und was auch im Glauben erhalten bleibt 378 . Brunner gibt hier eine dreifache Antwort: Zum einen ist die menschliche Vernunft die formale Voraussetzung des Wortempfangs 379 . Der Mensch ist des Wortes fähig. Diese Wortmächtigkeit des Menschen bezeichnet Brunner als die formale Personalität, das persona-quod. ,,[D]as Überhaupt-vernehmenKönnen ist der Anknüpfungspunkt für das Vernehmen der Christusbotschaft" 3 8 0 . Zum andern ist aber auch ein Wissen des Menschen die Voraussetzung: Der Mensch weiß „Sich-in-einer-Welt-seiend", und er weiß um die Welt 381 . „Nur der Mensch, der die Welt irgendwie erfahren hat, kann glauben" 382 . Zum dritten weist Brunner als Konstante auch auf den materialen Kern der Person, „das Selbstverständnis als Person in seiner Korrelation zur Gotteserkenntnis" 383 . Das in der menschlichen Natur enthaltene Wissen um Gott ist die Voraussetzung der natürlichen Gotteserkenntnis 384 . Dabei aber ist jede inhaltliche Kontinuität zu bestreiten 385 . Gerade hierbei beabsichtigt Brunner die Einsichten Luthers aufzunehmen: „Der Mensch weiß sich, auch als natürlicher, irgendwie durch göttliches Gesetz in seiner Existenz bestimmt und gebunden" 386 . Neben der Vernunft und dem Wissen des Menschen ist somit das Gewissen der Person die dritte Größe 387 . „Die Gebundenheit an das Gewissen ist der Ort, wo einerseits die entscheidende Anknüpfung, anderseits der entscheidende Gegensatz stattfindet. Der Mensch ohne Gewissen könnte - so hören wir von Luther - von keinem Evangelium getroffen werden; das Gewissen - und das heißt immer das böse Gewissen - ist das unheim-

377 378 379 380 381 382

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Ebd. Vgl. a. a. O., S. 2 4 8 . Vgl. a. a. O., S. 2 4 9 . Ebd. Ebd. Ebd. - „Dasjenige Von-sich-selbst-Wissen des Menschen, das der Mensch als nichtgläubiger haben kann und das als solches ins gläubige Wissen aufgenommen wird, ist der Anknüpfungspunkt sowohl in theologisch-theoretischer wie in kirchlich-praktischer Hinsicht" (ders., Theologie und Ontologie - oder die Theologie am Scheideweg, S. 2 2 9 ) . Ders., Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 2 5 0 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. A. a. O., S. 2 5 1 . Vgl. ebd.

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liehe wider ihn selbst sich aufdrängende negative Fazit seines Selbstverständnisses, insofern also der Mittelpunkt der Person nach ihrem Inhalt, der persona-quid, verstanden, und auf diesen Mittelpunkt zielt das Wort Gottes. Zugleich aber findet der Glaube nicht anders statt als in einer Überwindung, gleichsam einer Niederringung dieser Macht durch das Versöhnungswort Gottes" 388 . Der Glaube knüpft somit an das menschliche Schuld-Sünde und Verlorenheitsbewußtseins des natürlichen Menschen an, indem er es unerhört radikalisiert und doch im Versöhnungswort Gottes aufhebt 3 8 9 . 3.3.3 Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms Nachdem sowohl die dogmatischen Voraussetzungen des apologetischen Programms Brunners, der Eristik, dargelegt wurden als auch das Programm selbst vorgestellt wurde, gilt es abschließend, einen Blick auf die Durchführung dieses Programms zu werfen. 3.3.3.1 Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms in „Das Gebot und die Ordnungen" Bevor Brunner in seiner Anthropologie „Der Mensch im Widerspruch" sein apologetisch-eristisches Programm entfaltet, nähert er sich in seiner Ethik „Das Gebot und die Ordnungen" dieser Problemstellung, indem er die natürliche Sittlichkeit zu deuten unternimmt. So wird ein Teil der eristischen Anthropologie hier vorweggenommen; denn die Darstellung der natürlichen Sittlichkeit ist derjenige Teil der theologischen Anthropologie, „in dem das natürliche Verständnis des Guten als ein Teil des natürlichen Seins überhaupt vom Glauben aus verstanden wird" 3 9 0 . Die spezifische Auseinandersetzung zwischen der christlichen und der „natürlichen" Erkenntnis des Guten ist Teil der Eristik 391 , der anthropologischen Eristik. Das natürliche Sein des Menschen - so wurde bereits dargelegt - ist aus der Perspektive des Glaubens zu verstehen unter dem Gesichtspunkt der Schöpfung und der Sünde 392 . Schöpfungsmäßig ist der Mensch nach 388 389 3,0

391 392

Ebd. Vgl. a. a. O., S. 252. Ders., Das Gebot und die O r d n u n g e n , S. 48; vgl. auch D II, S. 57. - Die enge Zusammengehörigkeit der ethischen und der anthropologischen Frage ergibt sich für Brunner schon aus der Tatsache, d a ß das G r u n d p h ä n o m e n der Sittlichkeit die Verantwortlichkeit ist (vgl. ders., Die Alternative zum Nihilismus der Gegenwart, S. 279). Vgl. ders., Das Gebot und die O r d n u n g e n , S. 48. Vgl. ebd.

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dem Bild Gottes geschaffen 393 , durch die Sünde ist er von Gott abgefallen 394 . Die Folge ist die gottwidrige Selbständigkeit der Vernunft und damit die vernunftswidrige Gottesbeziehung 395 . So macht sich der Mensch - statt der Welt gegenüber - Gott gegenüber selbständig, indem er die Welt zum Gott macht 396 . Weil der sündige Mensch durch die Verkehrung von Schöpfer und Schöpfung (d. h. durch die Setzung des Geschaffenen zum Höchsten) nicht den wahren Gott, sondern den Abgott kennt, hat er das Bedürfnis nach Befreiung von ihm 397 . Das natürliche Wissen des Menschen ist so nach Brunner zum einen ein Wissen um die heilige Bindung, zum anderen ist es - als Versklavung unter die kreatürlichen Mächte - ein entstelltes Wissen 398 . Genau in diesem Sachverhalt ist die Zweideutigkeit der natürlichen Sittlichkeit begründet 399 , die Zerrissenheit in einzelne Fragmente und ihre Isolierung 400 . Den christlichen Glauben intendiert Brunner zur Sprache zu bringen als die Aufhebung dieses Widerspruchs des menschlichen Daseins und die wahrhafte Begründung des Guten 401 . Die Schöpfungs- und Erhaltungsordnungen, die Gegenstand des vernünftigen Erkennens sind 402 , werden aus der Perspektive des Glaubens gerade in ihrem Sinn erkannt, der Liebe403. Schon in seiner Ethik nimmt Brunner einen Teil der Durchführung seines eristischen Programms vorweg: Brunner will aufweisen, daß der Widerspruch des Menschen im Bereich der Sittlichkeit gerade dann angemessen verstanden werden kann, wenn er als Spur des Widerspruchs zwischen Schöpfung und Sünde erklärt wird. 3.3.3.2 Die Durchführung des apologetisch-eristischen Programms in „Der Mensch im Widerspruch" Gerade in seiner Anthropologie - nicht in seiner Dogmatik! - entfaltet Brunner seine Eristik 404 , indem er aufzuweisen versucht, daß die aus der Perspektive des Glaubens entfaltete Deutung des humanen Seins die 393 394 395 396 397 398 399 400 401 402 403 404

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd. a. a. a. a. ebd. ebd. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. a. u. a.

O., S. 48f. O., S. 49.

O., S. 49f. O., S. 50. 0 . , S. 53. O., S. 54ff. O., bes. S. 204. O., S. 201. Graß, Art. Emil Brunner, Sp. 1448; ders., Emil Brunner, S. 358.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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menschliche Existenz angemessen zu deuten vermag. Wie schon in „Das Gebot und die Ordnungen" versucht Brunner auch in seiner Anthropologie „Der Mensch im Widerspruch" den Widerspruch zwischen dem Menschen als Ebenbild Gottes und der sündhaften Verkehrung der Gottebenbildlichkeit als Ursache für das existentielle Sein zu verstehen 4 0 5 . So intendiert Brunner den Nachweis, daß die Phänomene des existentiellen Daseins gerade durch die theologische Lehre vom Menschen (d. h. durch die Lehre des sich im Widerspruch zwischen der Gottebenbildlichkeit und der Sünde befindenden Menschen) angemessen gedeutet zu werden vermögen. Der Widerspruch des Menschen zwischen seiner ontologischen Möglichkeit und seiner ontisch-existentiellen Abkehr von Gott zeigt sich - so Brunner - in bestimmten existentiellen Phänomenen, wenn auch die Ursache dieser Phänomene, der Widerspruch zwischen der von Gott geschaffenen Möglichkeitsbedingung und der ontisch-existentiellen Abkehr, selbst nicht erscheint, sondern verborgen ist 4 0 6 . So manifestiert sich die Gottebenbildlichkeit des Menschen in seiner formalen Struktur: Er ist geistiges Subjekt 4 0 7 , er strebt nach der Wahrheit 4 0 8 , er ist ein sprachfähiges Wesen 4 0 9 , er strebt nach Gemeinschaft 4 1 0 und er besitzt ein religiöses Bewußtsein 4 1 1 , eine Moralität 4 1 2 . Und doch zeigt sich im Riß der Sünde, daß der Mensch als das erkennende Wesen an der Erkenntnis zweifelt 413 , als das Gemeinschaftssuchende- und bildende Wesen zwischen Kollektivismus und Individualismus hin- und her irrt 4 1 4 . Diesen Riß sieht der Mensch wohl, aber er schaut nicht auf seinen tiefen Grund 4 1 5 . Der Mensch ist im Einzelnen hin- und hergetrieben in der Angst 4 1 6 , der Sorge 4 1 7 , der Sehnsucht 4 1 8 , dem Zweifel 4 1 9 , der Verzweiflung 4 2 0 und im

405 406 407 408

409 410 411 412 413 414 4,5 416 417 418 419 420

Vgl. M i W , S. 5 0 0 . Vgl. M i W , S. 1 6 9 . Vgl. M i W , S. 1 7 0 . Vgl. ebd. - „Weil der M e n s c h im W o r t Gottes geschaffen ist, d a r u m k o m m t er auch als Sünder von der Idee Gottes nicht los" ( M i W , S. 1 7 1 ) . Vgl. M i W , S. 1 7 3 . Vgl. M i W , S. 1 7 4 . Vgl. ebd. Vgl. ebd. Vgl. M i W , S. 1 7 9 . Vgl. M i W , S. 1 8 1 . Vgl. M i W , S. 1 9 3 . Vgl. M i W , S. 1 9 4 . Vgl. ebd. Vgl. M i W , S. 1 9 6 . Vgl. M i W , S. 1 9 8 . Vgl. M i W , S. 1 9 9 .

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

bösen Gewissen 421 . So wird der Widerspruch gerade in den „subjektivseelischen Phänomenen" 422 manifest. Die Entscheidung - so betont Brunner-, ob die christliche Deutung der menschlichen Existenz angemessen ist, „fällt in der Erfahrung" 423 . Die eigene Wirklichkeit muß mit dem Prädikat „Sünder-sein" zur Deckung gebracht werden 424 . „Das Wort Gottes stellt nicht an der Erfahrung der Wirklichkeit vorbei an mich Ansprüche, sondern es läßt mich meine Wirklichkeit überhaupt erst sehen, so sehen, daß ich weiß, daß ich jetzt meine Wirklichkeit sehe" 425 . In diesem Sinne bleibt das „erfahrungskritische Postulat" 426 in Geltung. „So hoch auch die Verheißung des Gotteswortes über alles hinausgeht, was erfahren wird, so kann es zum Glauben an diese Erfahrung nur kommen, in der, durch dieses Wort geschehenen, Selbstentdeckung des wirklichen Ich"427. So gilt für Brunner: „ [M]an wird sich schon der Mühe unterziehen müssen, von der Erfahrung her die christliche Lehre zu widerlegen"419. In den Phänomenen des existentiellen Daseins tritt der Widerspruch des Menschen zwischen seiner formal-ontologischen Struktur und seiner Bestimmung zu tage. Die Aufgabe der Eristik besteht daher gerade darin, den diesen Phänomenen zugrunde liegenden Widerspruch zu bewahrheiten, indem gezeigt wird, daß die Phänomene existentiellen Daseins gerade durch diesen Widerspruch als dessen Spuren in der Existenz des Menschen angemessen gedeutet zu werden vermögen. Gehört es zur sündigen Verblendung des Menschen, daß er die „Spuren der grandeur und der misere" 429 falsch deutet und unter Ausblendung eines Teilaspektes entweder zu einem zynisch-pessimistischen oder zu einem idealisierend-optimistischen Verständnis des humanen Seins gelangt, so gehört auch dieser Kampf „zwischen Materialismus und Idealismus, zwischen Zynismus und Utopie" 430 mit zu dem Phänomen des Widerspruchs und auch ihn gilt es als Phänomen des Widerspruchs zu deuten. „Da diese Phänomene nicht anders als durch den Widerspruch von grandeur et misere zu erfassen sind, ist diese christliche Psychologie eine Art,Beweis der christlichen Wahrheit' und darum das wichtigste Mittel einer christlichen Apologie, als was sie denn auch von Pascal konzipiert und von 421 422 423 424

Vgl. M i W , S. 2 0 1 . D II, S. 1 3 9 . M i W , S. 2 0 5 . Vgl. M i W , S. 2 0 6 .

425

Ebd.

426

M i W , S. 2 0 7 .

427 428 429 430

Ebd.

M i W , S. 2 0 9 . D II, S. 138f. D II, S. 1 3 9 .

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Kierkegaard weiterentwickelt wurde" 4 3 1 . Gerade das Phänomen des Menschen als eines „ver-zwei-felten" 432 ist aus der Perspektive des Glaubens als im Widerspruch des Menschen wurzelnd zu deuten. Die Eristik auf dem Boden der Anthropologie ist somit nicht als Beweis des Glaubens zu verstehen, sondern als „hinweisende^ Unterredung" 4 3 3 . Diese Theorie des humanen Seins hat zwar keine beweisende Kraft, aber doch einen hinweisenden Charakter, weil die aus dem Glauben entwickelte Deutung des humanen Seins das existentielle Sein des Menschen in einem neuen Licht erscheinen läßt und verstehbar macht.

4 . Kritische Würdigung des Programms der Eristik 4.1 Eristik als Streit um die rechtmäßige Ontologie der Person Die Auseinandersetzung mit der verblendeten Vernunft intendiert Brunner als Auseinandersetzung um die Schöpfung Gottes auf dem Felde der Anthropologie zu führen, d. h. als Auseinandersetzung um das rechtmäßige Verständnis der Ontologie der Person. 4 . 1 . 1 Brunners Einspruch gegen Barth: Die Unterscheidung zwischen Seins- und Erkenntnisprinzip Hatte Brunner schon in den zwanziger Jahren versucht, die christliche Wahrheit gerade als „Sprung" zu begreifen 434 , und war es seine - mit Barth gemeinsame - Intention, zum biblisch-reformatorischen Glauben zurückzulenken 435 , indem er wie Barth das solus Christus gegen jedes „und" in der Theologie zur Geltung zu bringen intendierte 436 , so begreift 431 4,2 433 434 435

436

Ebd. D II, S. 1 6 9 . Ders., Natur und Gnade, S. 3 7 4 . Vgl. ders., Erlebnis, Erkenntnis und Glaube, S. 1 0 0 . So erkennt auch Gestrich: „Die Bemühung Barths, zu einer Theologie des Wortes Gottes zurückzufinden, in der Gottes Offenbarung in Christus im Mittelpunkt stehen sollte, betrachtete Brunner immer als bahnbrechend und vorbildlich" (ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 2 0 7 ; vgl. auch a. a. O . , S. 16). Vgl. Brunner, Die Mystik und das Wort, bes. 3 9 0 f . So hat Brunner gerade lobend an Barth hervorgehoben, daß hier zum Zentralgedanken, der ,,göttliche[n] O b jektivität gegenüber subjektiven Gefühlen" (ders., ,Der Römerbrief' von Karl Barth, S. 86), zurückgelenkt wird. - So betont Leipold zu Recht: „Darin lag zweifellos die Bedeutung des Barthschen Kommentars für Brunner, daß er ihm die Jenseitigkeit des Glaubens als die theologische Grundkategorie zum Bewußtsein brachte" (ders., Missionarische Theologie, S. 34).

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Brunner sein Plädoyer für die eristische Theologie ganz und gar nicht als eine Aufgabe dieses gemeinsamen Ansatzes, sondern als eine Weiterentwicklung, die der ersten (wichtigsten) Aufgabe eine zweite hinzufügt. Bekanntlich hat Barth Brunners Eristik nicht als Weiterentwicklung seines Ansatzes begriffen, sondern als Abkehr von den gemeinsamen Grundlagen 4 3 7 : Brunner - so Barth - ist zu der Vermittlungstheologie zurückgekehrt, „die sich als Ursache des gegenwärtigen Unglücks der evangelischen Kirche Deutschlands erwiesen hat" 4 3 8 . Auch Brunner wird nun der Theologie des „unds" beschuldigt 439 , der natürlichen Theologie 440 , seine Eristik ist, als „die Möglichkeit einer Verhandlung mit dem ,Ungläubigen' auf dessen Boden" 4 4 1 , für Barth die „ausgeschlossene, die unmögliche Möglichkeit" 4 4 2 . N u n wird sich zwar zeigen (s.u. Kap. 4.2), daß Barth die Probleme des eristischen Programms Brunners wohl gespürt hat, dies aber - und gerade dies gilt es in diesem Abschnitt zu erörtern - nicht anders als im Horizont einer grundsätzlichen Verkennung des Anliegens von Brunner. Barth verkennt Brunners dogmatische Voraussetzung, die Differenzierung zwischen einer noetischen und einer ontologischen Kategorie: Ist für Brunner die Christusoffenbarung in noetischer Hinsicht das erste, so doch nicht in ontologischer Hinsicht; denn gilt in noetischer Hinsicht, d a ß Gottes Offenbarung in Christus als die Offenbarung der Heilung des Bruches des ursprünglichen Gottesverhältnisses der Grund aller theologischen Erkenntnis ist, so setzt doch Gottes Handeln in Christus ein diesem ontologisch vorgeordnetes, ursprüngliches Handeln Gottes voraus, das aber erst in Gottes Handeln in Christus erkannt werden kann, diesem somit - obwohl ontologisch vorgeordnet - noetisch nachgeordnet ist. Lehrt Brunner zwischen Erkenntnisgrund und Seinsgrund zu unterscheiden 443 , so erhebt er konsequenterweise entschieden Einspruch gegen den Kategorienfehler Barths, Gottes Gnadenhandeln seinem schöpferischen Handeln ontologisch vorzuordnen 4 4 4 : Barths Fehler 445 besteht da437 438 439 440 441 442 443 444

445

Vgl. Barth, Abschied, S. 33. Ders., Nein!, S. 212f. Vgl. ders., Das erste Gebot als theologisches Axiom, S. 138; 141f. Vgl. ders., Nein!, S. 216. Ders., Fides quarens intellectum, S. 72. Ebd. Vgl. D II, S. 258. So zeigt sich, daß der Unterschied zwischen Barth und Brunner nicht nur in unterschiedlichen Konsequenzen einer gemeinsamen Grundlage bestand, sondern ihre Ursache schon in Differenzen in der Grundlage selbst hatte. So zu Recht auch Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 161. Brunner vermutet, daß Barths Defizit letzten Endes darin besteht, Schöpfung und

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her nach Brunner in der „Nichtunterscheidung von Erkenntnisgrund und Realgrund" 446 . Weil Barth jedoch gerade nicht wahrgenommen hat, daß Brunner die Identifikation von Erkenntnisgrund und Realgrund bewußt zu zerbrechen intendiert, hat Barth es nicht vermocht, das entscheidende Problem, die Verhältnisbestimmung von Erkenntnisgrund und Realgrund, genauer zu reflektieren. Gerade in diesen höchst unterschiedlichen dogmatischen Voraussetzungen hätte der Streit zugespitzt werden müssen. Bei Brunner tritt die Frage nach der Notwendigkeit der apologetischen Bemühungen gerade dadurch zutage, daß er die ontologische Prämisse Barths zerbricht: Kennt Barth ausschließlich Gottes Handeln in Christus und weiß er daher von keinem Handeln Gottes außerhalb dieses Gnadenhandelns, so sind für Barth in der Beschreibung der geschichtlichen Verwirklichung dieser Gnade sämtliche Handlungen Gottes umfangen; die Beschreibung des Christusgeschehens kann daher geschehen, als ob nichts vorgefallen wäre, gerade weil sie alles, was vorgefallen ist, bereits umgreift 447 . Ist aber Gottes Gnadenhandeln in Christo ein kontingentes unableitbares Geschehen, so ist für Barth die apologetische Aufgabe obsolet. Nun - und hieran gilt es mit aller Entschiedenheit zu erinnern - wird der apologetische Horizont für Brunner nicht dadurch

446

447

Erlösung gleichzusetzen (vgl. ders., Der neue Barth, S. 1 0 0 ) , freilich ohne seiner eigenen Interpretation - aufgrund ihrer Tragweite - recht glauben zu können (so zu Recht Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 2 2 3 ) . Brunner ist daher weniger diesem grundlegenden Kategorienfehler nachgegangen, als seine Konsequenzen immer wieder zu bemerken (vgl. u. a. D I, S. 3 2 0 ; 3 4 5 ; 1 7 9 f ; D II, S. 2 5 8 ) . Ders., Vernunft und Offenbarung, S. 9 7 . Die Transposition des Menschen Jesus von Nazareth zum Seinsgrund des menschlichen Seins ist daher für Brunner unverständlich, denn nach Barth folge so ,,[d]ie Geschichte der menschlichen Existenz [...] auf die Geschichte des Menschen Jesus" (ders., Der neue Barth, S. 98). Brunner gesteht aber ein, daß er nicht weiß, „was es heißen soll: jeder Mensch - also auch der, der tausend Jahre vor Jesus lebte - ,hat sein Sein in der Jesusgeschichte'" (ebd.). Brunner macht so auf die Frage aufmerksam, wie das personale Menschsein des Menschen, welches als ontologische Möglichkeitsbedingung für den Vollzug der geschichtlichen Existenz doch ontologische Priorität vor der Geschichte beanspruchen muß, in einer Gemeinschaft erblickt werden kann, die erst im Laufe der menschlichen Geschichte konstituiert ist und in die der Mensch erst im existentiellen Vollzug berufen werden muß (vgl. hierzu auch Leipold, Missionarische Theologie, S. 2 5 6 . Anm. 99). In diesem Sinne urteilt Gestrich, daß Barth von seiner Erwählungslehre und von der in ihr enthaltenen Konsequenz her, daß Jesus Christus nicht nur die ratio cognoscendi, sondern auch die ratio essendi des menschlichen Seins ist (vgl. ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 2 2 2 ) , „das Hauptanliegen der zeitgenössischen theologia naturalis, die Möglichkeit des Redens von Gott unter der Bedingung des Atheismus als einer Massenerscheinung zu sichern, überholen" (a. a. O., S. 2 1 1 ) wollte.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

eröffnet, daß er etwa die Kontingenz des Christusgeschehens bestreitet, sondern gerade dadurch, daß er, indem er die monistische Grundvoraussetzung Barths zerbricht, dem Sachverhalt Rechnung zu tragen vermag, daß es Handlungen Gottes gibt, die gerade nicht mit dem Gnadenhandeln Gottes identifiziert werden können und für die daher gerade nicht das gilt, was für Gottes Gnadenhandeln in Christus gilt. Liegt Gottes versöhnendes Handeln der menschlichen Wirklichkeit nicht als Strukturprinzip zugrunde, so gilt dies nach Brunner doch gerade nicht für Gottes schöpferisches Handeln, das auch der gefallenen geschöpflichen Wirklichkeit (als ihr Grund!) bleibend zugrunde liegt, wenn dieser Grund auch in der sündhaften Verblendung verkannt wird. So besteht nach Brunner hinsichtlich des schöpferischen Wortes Gottes die Möglichkeit der Gotteserkenntnis, wenn auch die Faktizität der Gotteserkenntnis durch die sündhafte Verblendung verloren ist. 4.1.2 Brunners Einspruch gegen Bultmann: Widerspruch gegen eine Übernahme der philosophischen Ontologie Aus der Beobachtung, daß „die Theologie Aussagen macht, die die Philosophie auch macht, bzw. daß die Philosophie schon gesagt hat, was die Theologie auch zu sagen hat" 448 („in der Philosophie scheinen gewisse Aussagen der Theologie präformiert zu sein" 449 ), sieht Bultmann eine Klärung des Verhältnisses von theologischen und philosophischen Aussagen für dringend erforderlich 450 . Bultmann intendiert nun, den Anspruch der Philosophie, „das Dasein als solches zu verstehen" 451 , d. h. „vom Dasein schlechthin" 452 zu handeln, ernst zu nehmen. Aufgabe der Philosophie ist daher die Daseinsstrukturen zu ermitteln, die als solche auch der gläubigen Existenz zugrunde liegen453. Schließlich - so argumentiert Bultmann - verändert der Glaube nicht die ontologische Struktur der Person 454 . So gilt für Bultmann: „Es kann also nach protestantischer Auffassung, ,nach welcher der Mensch nicht durch die Caritas infusa einen übernatürlichen habitus erhalten hat' [...], keine Ontologie des gläubigen Daseins geben" 455 . Für Bultmann ist dabei die von Martin 448 449 450 451 452 453 454 455

Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie", S. 306. A. a. O., S. 308. Vgl. a. a. O., S. 306. A. a. O., S. 308. Ebd., S. 308; vgl. hierzu auch Jüngel, Glauben und Verstehen, 26ff. Vgl. Bultmann, Das Problem der „natürlichen Theologie", S. 308. Vgl. a. a. O., S. 308f. Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 369 mit Verweis auf Bultmann, Die Geschichtlichkeit des Daseins und der Glaube, S. 76, Anm. 5.

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Heidegger (besonders in seinem epochemachenden Werk „Sein und Zeit") vorgenommene existentiale Analyse des Daseins maßgebend nicht zuletzt für sein als Existentialinterpretation zu verstehendes Entmythologisierungsprogramm 456 . Die von Heidegger eruierten Existentiale werden von Bultmann als Verstehensmittel herangezogen 457 . Gerade die menschliche Grundverfassung, an der der Glaube interessiert ist, ist - so Bultmann - bei Heidegger heraus gearbeitet 458 . So sollte man „darüber erschrecken, daß die Philosophie von sich aus schon sieht, was die Theologie sagt" 459 . Damit ist die Ontologie, die Analyse der existentialen Strukturen des Seins in den Aufgabenbereich der Philosophie gestellt, die Philosophie hat die „Grundverfassung des Daseins" 460 zu beschreiben, die Theologie hat - will sie bei ihrer Sache bleiben und nicht in das Gebiet der Philosophie eingreifen - weder Ergänzungen noch Korrekturen auf dem Gebiet der existentialen Analytik anzubringen: „Offenbar kann man auch nicht sagen, daß die philosophische Analyse durch die theologische ergänzt und damit korrigiert werden müßte. Die philosophische Analyse verträgt ihrer Art nach solche Ergänzungen nicht, sondern beansprucht, das Dasein als ganzes im Blick zu haben, und ihr Blick kann nur als ganzes richtig oder unrichtig sein. Sowenig die Theologie sie im Einzelnen korrigieren kann [...], sowenig kann sie sie ergänzen. Sie würde sich damit auf die gleiche Ebene mit der Philosophie begeben und selbst Philosophie werden. Sie kann die philosophische Analyse nur übernehmen oder verwerfen bzw. ignorieren" 461 . Bultmann sieht wohl die Frage, ob die Philosophie als Beschreibung der Grundverfassung des Daseins gerade nicht diejenige Grundverfassung des Daseins thematisch macht, auf die es der Theologie ankommt 4 6 2 , doch sie wird von Bultmann ent456

457

458 459

460 4il 462

Vgl. u. a. Bultmann, Das Problem der Hermeneutik, S. 226f; ders., Z u r Frage einer philosophischen Theologie, S. 104ff; ders., Jesus Christus u n d die M y t h o logie, 162f; 183. So ist u. a. an das Existential des „Vorhandenseins" zu erinnern (vgl. u. a. ders., Das christliche Gebot der Nächstenliebe, S. 231; ders., Die Christologie des Neuen Testaments, S. 245). Vgl. ders., Das Befremdliche des christlichen Glaubens, S. 2 1 2 . Ders., Neues Testament und Mythologie, S. 42. So zeigt Bultmann immer wieder die Eignung der von Heidegger eruierten existentialen Strukturen des Daseins f ü r die Interpretation der biblischen - vornehmlich paulinisch und johanneischen Theologie (vgl. u. a. ders., Die Bedeutung der dialektischen Theologie' f ü r die neutestamentliche Wissenschaft, S. 129f; ders., Die Eschatologie des J o h a n n e s Evangeliums, S. 136). Ders., Das Problem der „natürlichen Theologie", S. 309. Ebd. Vgl. ebd.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

schieden bejaht: Die durch die Philosophie aufgewiesenen formalontologischen Strukturen des Daseins sind - so Bultmann - die ontologische Prädisposition jeder ontisch-existentiellen Verwirklichung des Daseins 463 . ,,[S]ie gelten auch für das Dasein, an das sich die Verkündigung wendet, für das ungläubige Dasein wie für das gläubige, das nur in ständiger Überwindung des Unglaubens glaubt" 464 . Mit dem Aufweis der existentialen Strukturen humanen Seins fällt damit der Philosophie die Aufgabe zu, die ontologische Möglichkeitsbedingung „für die Bewegung des Glaubens" 465 zu eruieren. Schon in der Auseinandersetzung mit Tillich haben wir die theologische Übernahme der philosophischen Explikation der Strukturen des Seins problematisiert; Brunner macht gegen Bultmanns Übernahme der formalen Strukturen des Daseins aus dem Bereich der Philosophie die gleichen Argumente geltend, indem er einwendet, daß es kein vorgläubiges Daseinsverständnis, sondern nur ein ungläubiges Daseinsverständnis gibt, d. h. ein dem christlichen Glauben widersprechendes Verständnis formaler Strukturen des Daseins 466 . Von daher - so Brunner - sei es mehr als fraglich, ob es sich bei den Heideggerschen Bestimmungen der formalen Strukturen des Daseins um „unschuldige Bestimmungen" 467 handelt. Brunner fordert daher, die Lehre von den formalen Strukturen des Daseins nicht der Philosophie zu überlassen 468 , sondern diese Lehre als eine theologische zu konzipieren 469 . „Als Gläubiger nimmt man sein natürliches Seinsverständnis nicht einfach auf, wie B[ultmann] das Heideggersche aufnehmen will, sondern man stellt sich dafür unter das Gericht, weil in ihm Schöpfung und Sünde, Schöpfungswissen und sündige Verdunklung, vermischt sind" 470 . Um der Sünde willen ist daher die philosophische Daseinsanalyse - die bewußt nicht die Perspektive des

463 464 465 466

467 468 469

470

Vgl. a. a. O., S. 312. Ebd. A. a. O., S. 308. Vgl. Brunner, Theologie und Ontologie - oder die Theologie am Scheideweg, S. 2 3 0 . Daher urteilt Gestrich zu Recht: „Der augenfälligste Unterschied zwischen Bultmann und Brunners Behandlung der Anknüpfungsthematik liegt darin, d a ß Bultmann die formale Daseinsanalyse des frühen Heideggers für die Ausarbeitung des Vorverständnisses übernehmen konnte, während Brunner dies aus prinzipiellen Erwägungen heraus nicht t a t " (ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 363). Brunner, Theologie und Ontologie - oder die Theologie am Scheideweg, S. 231. Vgl. auch Leipold, Missionarische Theologie, S. 172. Vgl. Brunner, Theologie und Ontologie - oder die Theologie am Scheideweg, S. 2 3 4 . A. a. O., S. 236f.

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Glaubens einnimmt - „in einer ganz bestimmten Weise inhaltlich gefüllt, nämlich: ideologisch verzerrt" 4 7 1 . Aus diesem Grunde verfehlt die Philosophie die allgemeine ontologische Struktur humanen Seins 472 . Die formal-ontologischen Strukturen des Daseins werden aus der Perspektive des christlichen Glaubens anders gedacht als ohne diese Perspektive 473 . So gibt es keine neutrale Explikation des Seins, 474 ,,[j]eder Seinsbegriff verrät schon seinen metaphysischen oder seinen Glaubenshintergrund" 475 . So hat gerade die theologische Anthropologie die formalen Strukturen des Personsein selbständig - in Eigenverantwortung - zu verstehen 476 . „Mögen doch die Ansprüche der Philosophie sein, welche sie wollen - so ist doch vom Glauben aus niemals auf eine eigene Ontologie Verzicht zu leisten" 477 . So geschieht die richtige Ontologie vom Glauben her 4 7 8 . Es gibt keine „neutrale Ontologie des Seins oder des Daseins" 4 7 9 . So muß die Theologie „jedes ,falsche' Verständnis der formalen Strukturen des Daseins destruieren" und die formalen Strukturen des Daseins allererst vom Glauben aus „freilegen" 480 , um so vom Glauben aus die formalen ontologischen Strukturen des Daseins als ontologische Möglichkeitsbedingung des Glaubens und des Unglaubens zu explizieren 481 . Gerade 471

472 473

474 475 476

477 478 479 480

481

Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 365. Vgl. auch a. a. O., S. 366. Vgl. Brunner, Philosophische und theologische Anthropologie, S. 5 5 5 . - „Das Denken vom Sein des Seienden ist grundsätzlich anders, je nachdem der Schöpfungsgedanke dahinter steckt oder nicht" (ebd). Vgl. ders., Philosophische und theologische Anthropologie, S. 5 5 5 . Ebd. Vgl. ders., Theologie und Ontologie - oder die Theologie am Scheideweg, S. 237f; ders., Philosophische und theologische Anthropologie, S. 555. Brunner, Philosophische und theologische Anthropologie, S. 554. Vgl. a. a. O., S. 557. Ebd. Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 366. Diesem Sachverhalt gegenüber mutet Gestrichs Kritik an Brunner merkwürdig an: „Wenn die Theologie auf ihre besondere Weise die formalen ontologischen Strukturen des Daseins ausarbeitet, dann sind diese nicht etwa speziell im Sinn gläubiger Existenz verstanden [...]. Diese Begriffe beschreiben [...], wie die Wirklichkeit des Daseins, sei es gläubig oder ungläubig, ,wirklich' ist. Mit anderen Worten: Sie beschreiben die für alle menschliche Existenz geltenden formalen Strukturen zwar ideologiefrei, aber noch nicht gläubig. Und an dieser Stelle ist Brunners Lehre vom Anknüpfungspunkt eben nicht klar. Hier hat auch die Kritik immer eingesetzt. Es ist, wenigstens unter dem dogmatischen Aspekt, gar nicht einzusehen, wie diese mittlere, ideologiefreie ontologische Ebene zwischen dem ,alten' Sein unter der Sünde und dem .neuen' Sein unter der Gnade erreicht werden, ja, was sie sachlich überhaupt bedeuten kann" (a. a. O., S. 368). Zum

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weil für Brunner die Alternative zwischen Glaube und Unglaube konstitutiv ist, gibt es für ihn keine neutrale Explikation der Strukturen des Seins, sondern nur eine solche Explikation, die aus dem H o r i z o n t des Glaubens oder dem des Unglaubens geschieht. 4 . 1 . 3 D e r Streit um die O n t o l o g i e auf d e m Felde der A n t h r o p o l o g i e Barths V e r s u c h , seine erkenntnistheoretische Intention, Jesus Christus z u m Erkenntnisprinzip des Seins zu m a c h e n , ontologisch zu fundieren, indem er Jesus Christus zum Seinsprinzip des Seins erhebt, galt es bereits zu problematisieren: Ist (a) die in Jesus Christus erschienene Gnade für Barth „das den Widerspruch zwischen G o t t und dem Widergöttlichen überwindende Sein und Verhalten G o t t e s " , wird aber (b) die Gnade als ontologisches Prinzip „notwendigerweise der Ursprung dieses W i d e r spruchs zwischen Gott und dem W i d e r g ö t t l i c h e n " , so erweist sich das ontologische Prinzip Barths „als ein in sich widersprüchliches (und in diesem Sinne dialektisches) Prinzip, und die Widersprüche der Barthschen O n t o l o g i e h a b e n d e m e n t s p r e c h e n d prinzipiellen C h a r a k t e r " 4 8 2 . Als Versöhnungsgeschichte Gottes, als N e g a t i o n des Negativen (der Sünde),

einen ist gegen Gestrich festzustellen, daß Brunners Explikation der formalontologischen Strukturen als ontologische Möglichkeitsbedingung für den Glauben - wie auch seine Negation - aus der Perspektive des Glaubens geschieht. Damit ist zwar - so Gestrich zu Recht - das Formale, das Menschsein des Menschen, bezeichnet, das „vom Gegensatz Glaube-Unglaube unberührt [ist]" (a. a. O., S, 363), dies bedeutet aber doch keineswegs, daß Brunners Explikation selbst „vom Glauben unberührt" ist. Vielmehr fordert gerade die Einsicht des Glaubens, die den Menschen als Menschen auszeichnende Offenheit für Gottes Gnadenhandeln in der Weise zu explizieren, daß sowohl der Glaube als auch der Nicht-Glaube als mögliche ontisch-existentielle Daseinsformen unter den Bedingungen der existential-ontologischen Struktur humanen Seins verstehbar werden. Brunners Explikation einer so verstandenen, für beide ontisch-existentiellen Daseinsformen offenen, existential-ontologischen Struktur humanen Seins geschieht damit im Interesse und aus der Perspektive des Glaubens! Ist es doch gerade der Glaube, der Gottes schöpferische Bezogenheit auf den Menschen erkennbar macht und zwar als Ermöglichungsgrund für die göttliche Gnade und den menschlichen Glauben, nicht aber - soll zwischen einer schöpferischen und einer erlösenden Bezogenheit Gottes auf den Menschen unterschieden werden als diese Gnade selbst. Ideologiefrei ist die Explikation der formal-ontologischen Strukturen des humanen Seins bei Brunner daher insofern, als sie nicht aus einer, dem christlichen Glauben fremden - oder sogar feindlich gesinnten - Ideologie oder Weltanschauung übernommen wird. Ideologiefrei kann aber Brunners Explikation des existentialen Seins nicht genannt werden, wenn damit eine - zwischen allen Weltanschauungen stehende „mittlere" Position gemeint ist, vielmehr geschieht sie aus der Perspektive der christlichen Weltanschauung. 482

Härle, Sein und Gnade, S. 323f. Vgl. hierzu Teil 1: Kap. I.B.3

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

527

kann Gottes Wort in Christus mit dem ursprünglich schöpferischen Wort nicht identisch sein. Brunners Widerspruch gegen Barth hat somit seinen Ort gerade in Barths aporetischer Voraussetzung, insofern Brunner der Erhebung der in Jesus Christus erschienenen Gnade zum Seinsprinzip des Seins widerspricht. Mit der Bestreitung der theologischen Ontologie Barths intendiert Brunner aber keineswegs eine Bestreitung einer theologischen Ontologie überhaupt 483 , insofern Brunner ja an der christologischen Begründung der ontologischen Aussagen entschieden festhält. Indem Brunner die Gleichung zwischen ratio essendi und ratio cognoscendi zerbricht, beansprucht er aus der Perspektive des Christusgeschehens Gottes das Sein konstituierende Handeln, das im Christusgeschehen zwar vorausgesetzt ist, mit ihm aber keinesfalls identifiziert werden darf, zu erkennen. Damit - so zeigte sich - ist im Unterschied zu Barth für Brunner die apologetische Aufgabe allererst eröffnet: Gottes schöpferisches Handeln ist nicht mit Gottes geschichtlich kontingentem Handeln in Jesus Christus zu identifizieren, sondern liegt auch der gefallenen geschöpflichen Wirklichkeit bleibend zugrunde. Die in der Eristik geführte Auseinandersetzung wird daher gerade als Auseinandersetzung um die angemessene Weltdeutung geführt; gegen eine atheistische Deutung der Welt intendiert Brunner gerade die Welt als Schöpfung des Schöpfers zu deuten. Es ist somit die Schöpfung selbst, die Gegenstand der eristischen Auseinandersetzung der Offenbarung mit der verblendeten Vernunft ist. Dabei nun verlegt Brunner die apologetische Auseinandersetzung um die Welt als die Schöpfung Gottes gerade auf das Gebiet der Anthropologie: Der Streit um die Ontologie wird als Streit um die „Ontologie der Person" geführt. Gottes der Welt Dasein gewährendes Handeln wird betrachtet anhand von Gottes den Menschen Dasein gewährendem Handeln. Intendiert die theologische Apologetik nach Brunner gerade Gottes schöpferisches Handeln zu bewahrheiten, so soll dies geschehen, indem Gottes den Menschen als Menschen konstituierendes Handeln verifiziert wird. Im folgenden gilt es gerade die Schwachpunkte der anthropologischen Reflexion und die damit verbundenen Schwierigkeiten hinsichtlich der apologetischen Bewahrheitung der im Glauben implizierten Anthropologie aufzuzeigen.

483

Vgl. hierzu die in Teil 1: Kap. I.B.3, Anm. 170 dargelegten unterschiedlichen Konsequenzen, die Stock u n d Härle aus Barths aporetisch zu beurteilender Ontologie der G n a d e ziehen.

528

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie 4.2 Kritische Auseinandersetzung

Zeigte sich nun zwar, daß Barth das Anliegen Brunners verkannt hat, so sind ihm doch - und gerade deshalb kann an Barths Kritik an Brunner nicht vorübergegangen werden - die entscheidenden Widersprüche Brunners nicht verborgen geblieben. Es ist daher lohnend, die Anfragen an Brunner im Anschluß an Barths Kritik an Brunner zu formulieren, um so einerseits die von Barth zu Recht erkannten Unstimmigkeiten zu lozieren als auch Barths Schlußfolgerungen zu kritisieren. 4.2.1 Die Frage nach dem Ort der Anknüpfung 4.2.1.1 Die Frage Barths: formale oder materiale Anknüpfung? Brunner intendiert in seiner Anthropologie zwischen der formalen imago und der materialen imago, der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und der iustitia originalis (der Rechtbeschaffenheit der Person), zu unterscheiden. Ist durch den Einbruch der Sünde die materiale imago verloren, so ist die formale imago, das den Menschen zum Menschen machende Humanum, nicht tangiert. Mit der formalen imago intendiert Brunner somit die „Ontologie der Person" freizulegen. Daher urteilt Brunner hinsichtlich der Frage nach der Anknüpfung: „Ebenso wie wir [...] sagten, daß es material keine imago dei mehr gibt, während sie formal unversehrt ist, ebenso müssen wir sagen, daß es material keinen Anknüpfungspunkt gibt, während er formal unbedingt Voraussetzung ist" 484 . Unter dem Anknüpfungspunkt versteht Brunner somit die Personstruktur, die auch unter den Bedingungen der Sünde erhalten bleibt und die von Gott gerade in Anspruch genommen wird, um den Glauben zu schenken. Die formale imago wird von Brunner zugespitzt auf die Wortmächtigkeit des Menschen (der Mensch ist das Wesen, das sprechen und verstehen kann) und seine Verantwortlichkeit (der Mensch hat ein Gewissen). Nun haben wir bereits festgestellt, daß Brunner zwar intendiert - und gerade in seiner in dieser Hinsicht bekanntesten Schrift „Natur und Gnade" emphatisch betont - , die Anknüpfung als eine Anknüpfung an der formalen imago zu gestalten, doch verweist Brunner immer wieder auch auf „materiales" Wissen der Person, um diejenige Konstante namhaft zu machen, an die die Christusbotschaft anknüpfen kann: Das in der menschlichen Natur enthaltene Wissen um Gott wird (unter der Hand) zur Vor-

484

Brunner, N a t u r und Gnade, S. 3 4 9 .

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

529

aussetzung der Methode der Anknüpfung 4 8 5 . Diese Schwäche Brunners ist auch Barth nicht verborgen geblieben 486 . Daher fragt Barth, inwiefern Brunner nicht doch am Materialen statt am Formalen - wie Brunner selbst vorgibt - anknüpft. „Hat Brunner zu dem, was er zuvor als ,Offenbarungsmächtigkeit' des Menschen bezeichnet hatte, zu jenem (wie es so ausdrücklich versichert wurde!) rein,Formalen' nun nicht tatsächlich schon etwas höchst ,Materiales' hinzugefügt: eine vom Menschen faktisch bewiesene Fähigkeit zu einer - sei es nun unvollkommenen aber immerhin realen und damit für sein Heil sicher nicht irrelevanten Erkenntnis des wahren Gottes?" 4 8 7 So verweist Barth darauf, daß Brunner in der Frage nach dem Anknüpfungspunkt bei dem Formalen keinesfalls stehen bleibt 488 . Bei Brunner werde der Mensch „in seinem Verhältnis zu Gott auch ,material' aufs Erstaunlichste bereichert und ausgeschmückt" 4 8 9 . „Ja, ,der notwendige, unerläßliche Anknüpfungspunkt' der noch [...] auf die ,formale imago dei' definiert war, ist [...] sozusagen auf offener Bühne geworden: ,das, was der natürliche Mensch von Gott, vom Gesetz und seiner Gottgehörigkeit weiß'" 4 9 0 . Damit ist - so Barth durchaus zu Recht - ein irgendwie geartetes materiales Kennen des wahren Gottes zur Voraussetzung geworden 491 . Versteht Brunner unter der formalen imago die personalen Möglichkeitsbedingungen des Glaubens, so ist von diesen personalen Möglichkeitsbedingungen des Glaubens das materiale Vorverständnis der Person nicht hinreichend unterschieden 492 ; vielmehr wird ein materiales Vorverständnis von Brunner in die formalen Möglichkeitsbedingungen eingetragen. Weil der Mensch das verantwortliche Wesen ist, intendiert

485

So vor allem in Brunners A u f s a t z „ D i e andere A u f g a b e der T h e o l o g i e " a u s d e m J a h r e 1 9 2 9 . Brunner erblickt den A n k n ü p f u n g s p u n k t der christlichen B o t s c h a f t in der menschlichen Frage nach G o t t (vgl. a. a. O . , S. 178); denn ,,[d]as E v a n g e lium wendet sich nicht an einen M e n s c h e n , der von G o t t ü b e r h a u p t nichts weiß und h a t " (ebd.). G e r a d e in der F r a g e nach G o t t unterscheidet sich der M e n s c h v o m Tier, s o daß die Frage nach G o t t für Brunner in diesem A u f s a t z g e r a d e z u identisch ist mit der H u m a n i t ä t des M e n s c h e n (vgl. a. a. O . , S. 179). Diese F r a g e nach Gott hat nach Brunner ihre U r s a c h e in der T a t s a c h e , d a ß auch der .natürliche' M e n s c h Anteil hat an der Gotteswahrheit: „ N u r weil wir in G o t t sind und u m G o t t wissen, können wir nach ihm f r a g e n " (a. a. O . , S. 180).

486

So auch u. a. S a l a k k a , Person und O f f e n b a r u n g in der T h e o l o g i e Emil Brunners während der J a h r e 1 9 1 4 - 1 9 3 7 , S. 1 5 9 . Vgl. Barth, N e i n ! , S. 2 2 1 . Vgl. a. a. O . , S. 2 2 6 . A. a. O., S. 2 2 6 f . A. a. O., S. 2 2 7 . Vgl. a. a. O . , S. 2 3 0 . Vgl. ebenso Roessler, Person und G l a u b e , S. 1 1 3 .

487 488 489 490 491 492

530

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Brunner an das Gewissen der Person anzuknüpfen. Indem Brunner so an das menschliche Schuld- und Verlorenheitsbewußtsein anknüpfen will, bleibt er dem materialen Wissen des Menschen verpflichtet. 4.2.1.2 Die Methode der A n k n ü p f u n g Mit Brunners mangelnder Unterscheidung zwischen den personalen Möglichkeitsbedingungen für Glaube (und Unglaube) und dem Vorverständnis des Glaubens ist auch eine große Ungenauigkeit hinsichtlich der Frage nach der Methode der Anknüpfung verbunden. Wenn Brunner in seiner Schrift „Natur und Gnade" von einer Anknüpfung an die formal-ontologischen Strukturen humaner Personalität spricht, so fragt sich, wie eine „Anknüpfung" an formal-ontologische Strukturen als Möglichkeitsbedingungen für den Glauben (wie den Unglauben) auszusehen hat, konkret: Wie will man an formal-ontologische Strukturen „anknüpfen"? So wird vorgeschlagen, Brunner hätte besser daran getan, statt von Anknüpfung von Beanspruchnahme oder Inanspruchnahme zu sprechen 493 . Aber auch mit der neuen Terminologie ist das Problem nicht verabschiedet; denn - so stellt sich die gleiche Frage nun in neuer Terminologie - wie sieht eine Inanspruchnahme von formal-ontologischen Strukturen aus? Gerade weil man an formal-ontologische Strukturen nicht anknüpfen könne, betrachtet Leipold den Versuch der Anknüpfung an die formale imago als „wenig hilfreich" 494 , mit dem Hinweis auf die formale imago sei wenig geleistet. „Die Gottbezogenheit äußert sich eben als (richtige oder verkehrte) Gottesbeziebung, und diese konkrete Ausprägung des Wissens um Gott gehört mit zu dem, woraufhin der Mensch in der Verkündigung angesprochen wird" 4 9 5 . Gerade daher findet - so Leipold - die entscheidende Anknüpfung im Bereich des Materialen statt, die Anknüpfung muß sich „auf das irgendwie um Gott, um die Sünde, um die Erlösung wissende Selbstverständnis" 496 beziehen. Es zeigte sich bereits, daß bei Brunner diese Verschiebung von der formalen imago zum materialen Wissen in der Tat zu konstatieren ist - Barth somit durchaus Richtiges gesehen hat. Gerade wenn Brunner an das menschliche Schuldund Verlorenheitsbewußtsein sowie an das hierin beinhaltete Wissen um Gott anzuknüpfen intendiert, bedeutet „Anknüpfung", das menschliche Wissen um Gott zum entscheidenden Anknüpfungspunkt zu erheben. Diese mangelnde Differenzierung zwischen der (auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung bestehenden) Schöpfung Gottes 493 494 495 496

So Roessler, a. a. O., S. 107. Leipold, Missionarische Theologie, S. 174 (vgl. zu Leipold oben Anm. 393). A. a. O., S. 203. A. a. O., S. 208f.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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und dem (unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung verlorenen) Erschlossensein der Schöpfung als Schöpfung zeigt sich schon in Brunners disjunkter Verwendungsweise des Begriffs des „ursprünglichen Gottesverhältnisses". Mit dem ursprünglichen Gottesverhältnis meint Brunner die schöpferische Bezogenheit Gottes auf den Menschen, die auch in der gefallenen Welt offenbar ist (Schöpfungsoffenbarung), wenn sie auch unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung der Vernunft faktisch verkannt wird. Problematischerweise kann Brunner aber auch von dem Bruch des ursprünglichen Gottesverhältnisses sprechen; die in Christus geschehene Versöhnung wird als Heilung dieses Bruches von Brunner zur Sprache gebracht 4 9 7 . Die jeweilige Bedeutung der Verwendungsweise des Begriffs ist deutlich: Bedeutet „ursprüngliche Gottesbeziehung" dann, wenn Brunner von der - auch in der Sünde - unauflöslichen ursprünglichen Gottesbeziehung spricht, Gottes schöpferisches Verhältnis zum Menschen, so bedeutet der Terminus ursprüngliche Gottesbeziehung im Zusammenhang der Rede von dem Bruch der ursprünglichen Gottesbeziehung die Anerkennung des schöpferischen Verhältnisses Gottes zur Welt durch den Menschen (iustitia originalis). Damit verwischt Brunner die Differenz zwischen Gottes schöpferischem Handeln und dem Erschlossensein des schöpferischen Handelns für den Menschen bzw. zwischen dem Nichterschlossensein des schöpferischen Handelns Gottes unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung. Die Konsequenzen dieses Defizits zeigen sich in der mangelnden Unterscheidung zwischen der (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden) formal-ontologischen Struktur und dem Erschlossensein dieser Struktur (dem materialen Wissen); denn so wie der Terminus „ursprüngliche Gottesbeziehung" sowohl Gottes kreatorische Aktivität bezeichnen kann als auch das Erschlossensein dieser kreatorischen Aktivität, so ist in dem Ausdruck der formalen imago nicht nur die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende Struktur humaner Personalität gemeint, sondern immer auch das „irgendwie" geartete Wissen um diese Struktur. Damit hält Brunner gerade die Differenz zwischen der auch in der Sünde bestehenden - und daher Gegenstand der Wahrnehmung des Menschen seienden - Schöpfung und dem Nichterschlossensein der Schöpfung als Schöpfung unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nicht wach. Hat Brunner in seinen Überlegungen hinsichtlich einer im Glauben implizierten Ontologie gerade betont, daß Gottes Schöpfung nicht mit

497

Vgl. Teil 2 : K a p . I I I . A . 2 . 1 ; K a p . I I I . A . 2 . 3 .

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

532

der Erlösung identifiziert werden darf, so ist hierdurch für Brunner zu Recht das Feld der Apologetik eröffnet, insofern anders als das geschichtlich-kontingente Geschehen der Versöhnung, die Schöpfung als konstitutiver Teil der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit Gegenstand der Erfahrung auch des sündigen Menschen ist 498 . So zeigte sich bereits, daß aus theologischer Perspektive geurteilt die geschöpfliche Wirklichkeit als eine solche zur Sprache zu bringen ist, die bestimmt ist durch Gottes Schöpfung (freilich auch - dies bringt Brunner nicht zur Sprache - durch Gottes Gesetz!). Mit der Schöpfung - so zeigte sich - werden bestehende Strukturen der Wirklichkeit angesprochen, als solche sind sie Gegenstand der menschlichen Erfahrung 4 9 9 . Gleichzeitig galt es jedoch zu betonen, daß die Dasein gewährenden Strukturen als solche keineswegs selbstverständlich immer schon erschlossen sind 500 . Dieser Gesichtspunkt wird von Brunner vernachlässigt. Anders als Brunner dies tut, ist zwischen der auch in der Sünde erhalten gebliebenen Struktur der Schöpfung und dem Wissen um diese Struktur zu unterscheiden. Gerade dieser Unterscheidung trägt Brunner insofern keine Rechnung, als er das materiale Wissen in die formal-ontologische Struktur einträgt. Es ist die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die auch unter den Bedingungen der Sünde erhalten bleibt, nicht das „irgendwie" geartete Erschlossensein dieser Struktur. Anders: Die formal-ontologische Struktur humaner Personalität ist eine solche, die gerade auch unter den Bedingungen ihrer sündhaften Verkennung besteht. Gerade in der Durchführung seines apologetisch-eristischen Programms schlägt sich Brunners mangelnde Unterscheidung nieder. Brunner intendiert, die menschlichen Erfahrungen und Phänomene durch das christliche Verständnis des Menschen, als einem Wesen im Widerspruch zwischen Schöpfung und Sünde, zu erhellen. Behauptet Brunner gerade in der Auseinandersetzung mit Bultmann, daß eine Ontologie der Person aus der Perspektive des Glaubens zu entwickeln sei, so fällt auf, daß Brunner die von ihm dargestellte Ontologie als allgemein einsichtig bereits voraussetzt. Sie scheint dem „materialen Wissen" des Menschen immer schon präsent zu sein. So braucht Brunner sowohl an die Struktur humaner Personalität als auch an die Folgen des sündigen Widerspruches nur zu erinnern, der Aufgabe, sie aufzuweisen, entledigt sich Brunner größtenteils 501 . Indem er aber das Wissen um die Strukturen immer schon vorauszusetzen scheint, nimmt er gerade nicht ernst, daß unter den 498 499 500 501

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Teil Teil Teil Teil

2: 2: 2: 2:

Kap. Kap. Kap. Kap.

II.D.2.1. II.D.2.3. II.D.2.3. III.A..3.3.3.1; K a p . III.A.3.3.3.2.

Apologetik als Eristik (E. Brunner)

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Bedingungen der sündhaften Entfremdung zwar die - auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende - formal-ontologische Struktur humaner Personalität erhalten bleibt, nicht aber das Wissen um diese Struktur. Gerade hiervon geht aber auch sein Einspruch gegen Bultmanns Übernahme der philosophischen Explikation der formal-ontologischen Struktur aus. 4.2.1.3 Die Verschiebung von der formalen Struktur zum materialen Wissen als logische Konsequenz? Hat Barth die Verschiebung der Anknüpfung von der formalen Struktur zum materialen Wissen konstatiert und gerade hierin seinen Widerspruch gegen jede Form der Anknüpfung bestätigt gefunden, so ist hier der gleiche Sachverhalt negativ beurteilt, der bei Leipold seine Zustimmung erfahren hat (s.o.): die Verschiebung der Anknüpfung von der formalen Struktur zum materialen Wissen als notwendige Konsequenz des Versuchs von Anknüpfung überhaupt. Zeigte sich in der Auseinandersetzung mit Brunner, daß dieser, gerade weil er nicht in ausreichendem Maße zu unterscheiden anleitet zwischen der Schöpfung und dem Erschlossensein der Schöpfung als Schöpfung, dem Sachverhalt nicht Rechnung trägt, daß unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung zwar die Struktur der Schöpfung (anthropologisch gewendet: die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende formal-ontologische Struktur humaner Personalität) erhalten bleibt, in keiner Weise aber ein „irgendwie" geartetes Erschlossensein dieser Struktur, so kann an das materiale Wissen der Person in keiner Weise angeknüpft werden. Insofern kann nur an die formal-ontologische Struktur angeknüpft werden, die gerade als eine solche zu beschreiben ist, daß ihr das eigene Erschlossensein nicht notwendig inhäriert. Gerade an diesem Punkt hat aber Leipold seine Zweifel angemeldet: Wie soll an eine formal-ontologische Struktur angeknüpft werden (s.o.)? Kann - so muß im Sinne Leipolds gefragt werden - nicht immer nur an materiales Wissen angeknüpft werden? Nun verfolgt Brunner gerade in seiner Anthropologie eine Intention, die in diesem Zusammenhang durchaus weiterführend ist (und sich mit unseren Ergebnissen deckt) und die gerade auch bei der Reformulierung des Programms Brunners aufzugreifen sein wird: Brunner intendiert, die existentiellen Erfahrungen und Phänomene des menschlichen Daseins durch die christliche Lehre vom Menschen zu beleuchten. N u n zeigte sich zwar bereits, daß Brunner auch in seiner Anthropologie die Eristik wieder einengt und zuspitzt auf das materiale Wissen der Person. Aber gerade indem Brunner die Aufgabe der Eristik als Versuch der erhellenden Deutung der menschlichen Erfahrung erblickt, ist der Weg sichtbar

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

geworden, gerade nicht bei dem materialen Wissen der Person einzusetzen. Die in der Gestalt der Anthropologie auftretende Eristik versucht nicht nur die im Glauben implizierte Sicht des Menschen zu entfalten, sondern sie versucht diese Sicht des Menschen zu bewahrheiten, indem sie zeigt, daß die existentiellen Erfahrungen des Menschen durch die christliche Sicht des Menschen gedeutet zu werden vermögen, d. h. die Eristik versucht durch ihre Deutung der menschlichen Erfahrung die erhellende Kraft des im christlichen Glauben implizierten Verständnisses des Menschen zu erweisen. Wenn Brunner daher in seiner Anthropologie betont, die Frage, ob die christliche Deutung der menschlichen Existenz die angemessene Deutung der menschlichen Existenz ist, „in der Erfahrung [fällt]" 502 , so ist dem nachdrücklich zuzustimmen; denn es gilt gerade, den Nachweis zu führen, daß die christliche Deutung der menschlichen Existenz den menschlichen Erfahrungen gegenüber angemessen ist, d. h. in der Lage ist, die menschlichen Erfahrungen zu erhellen. In diesem Sinne kann auch dem ,,erfahrungskritische[m] Postulat" 5 0 3 Brunners nur nachdrücklich zugestimmt werden. Behauptet Brunner, daß man sich schon der Mühe unterziehen muß, „von der Erfahrung her die christliche Lehre zu widerlegen" 504 , so ist damit gerade zum Ausdruck gebracht, daß die Bestreitung der christlichen Sicht vom Wesen des Menschen zu zeigen hat, daß die christliche Sicht vom Wesen des Menschen gerade nicht in der Lage ist, die menschlichen Erfahrungen so zu deuten, daß sie erhellt und verstehbar werden. Eine so verstandene eristische Anthropologie wird dann nicht versuchen, menschliche Deutungen von Erfahrungen als materiales Wissen des Menschen „irgendwie" aufzunehmen, sondern sie wird aus der christlichen Sicht des Menschen Erfahrungen allererst freilegen und deuten. 4.2.2 Die Frage nach der Struktur der formalen imago 4.2.2.1 Die Frage Barths: Bestimmung oder Struktur? Durchaus bedeutsam ist eine weitere Anfrage, die Barth an Brunner richtet: So fragt Barth, ob die formal-ontologische Kategorie immer auch bereits eine bestimmte material-ontische Verwirklichung einschließe oder nicht 505 . „Ist die Bestimmung des Menschen als Gottes Geschöpf eindeutig und ausschließlich seine Bestimmung zur positiven Teilnahme an der mit seiner Erschaffung anhebenden Geschichte des Gnadenbundes zwi502 503 504 505

MiW, S. 205. MiW, S. 207. MiW, S. 209. So bes. KD III/2, S. 154.

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sehen Gott und ihm, oder kann sie daneben nun doch auch seine Bestimmung sein, sich diesem Bund zu entziehen? Ist die Sünde eine in des Menschen Geschöpflichkeit nun doch auch vorgesehene, in seinem menschlichen Sein und Wesen nun doch auch enthaltene Möglichkeit?" 506 . Zum einen - so Barth - lege Brunners Formulierung, daß der Mensch „im Worte Gottes" ist, nahe, daß Brunner „das Sein und Wesen des Menschen als ein im Verhältnis zu Gott positiv bestimmtes und gefülltes versteht, daß er den Begriff der menschlichen Freiheit, Vernünftigkeit, Verantwortlichkeit, Personhaftigkeit, Geschichtlichkeit und Entscheidungsfähigkeit von aller Verwirrung durch die Vorstellung einer damit gegebenen Neutralität frei halten, daß er den Menschen als Gottes Geschöpf eindeutig als den Menschen im Bunde mit Gott beschreiben müßte, daß er also die Möglichkeit der Sünde auf keinen Fall zu den dem Menschen in und mit seiner Geschöpflichkeit gegebenen Möglichkeit rechnen könnte" 507 . Auf der anderen Seite aber gehe Brunner auch in eine andere Richtung 508 : „Es bedeutet das Sein des Menschen im Worte Gottes und also in Jesus Christus nach Brunner nun doch nicht das, daß er als geschöpfliche Entsprechung Gottes [...] eine und nur eine Möglichkeit und Richtung, und neben ihr keine andere hat. [...] Daß er verantwortlich ist, hängt nach Brunner nicht daran, daß er Gott die seinem Wort entsprechende Antwort gibt, so daß er, wenn er das nicht täte, unverantwortlich handeln würde. Daß es auch Unfreiheit, [/«Vernunft und Unverantwortlichkeit und also einen Abfall von Gott nicht nur, sondern auch vom menschlichen Sein und Wesen und eben so und damit - als Möglichkeit nicht, sondern als Unmöglichkeit - Sünde gibt, das scheint bei Brunner in der dem Menschen mit seiner Erschaffung gegebenen Vernünftigkeit und Verantwortlichkeit vorgesehen, eine Möglichkeit zu sein und also irgendwie doch im Worte Gottes, in welchem er ja ist, seinen Grund zu haben. Personhaftigkeit besteht bei ihm nicht nur darin, daß der Mensch mit Gott als der eigentlichen und ursprünglichen Person in einer positiven Beziehung steht, als Person vor jener Person bestehen kann, sondern Personhaftigkeit schließt in sich, daß diese Beziehung auch eine ganz andere, eine negative sein könnte" 5 0 9 . Nun wollen wir zunächst Barths Wertung hinten anstellen. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist, daß Barths Verstehensschwierigkeit auf einen entscheidenden Sachverhalt bei Brunner aufmerksam macht: Brunner gelingt es nicht angemessen zu unterscheiden, zwischen der formal-ontologischen 506

K D I I I / 2 , S. 1 5 5 .

507

Ebd. Vgl. ebd. K D I I I / 2 , S. 1 5 5 f .

508 509

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Struktur humaner Personalität und der (der Bestimmung der Person gemäßen) material-ontischen Verwirklichung einer humanen Existenz. 4.2.2.2 Gebundene Freiheit bzw. verantwortliches Sein als Beschreibung einer formal-ontologischen Kategorie? Brunner begründet das Menschsein des Menschen im schaffenden und anredenden Wort Gottes; menschliches Sein ist somit „Sein im Wort Gottes" 510 . Das Humanum des Menschen, das Strukturmerkmal menschlicher Personalität und damit die Gottebenbildlichkeit des Menschen, besteht daher nach Brunner darin, daß der Mensch seiner Konstitution nach auf Gott bezogen ist. Nun fällt schon hier eine erhebliche Schwierigkeit auf: Wenn Brunner das Humanum des Menschen darin erblickt, daß der Mensch sein Dasein dem schöpferischen Handeln Gottes verdankt, dann hat er schon im Ansatz die Beschreibung der Struktur der Schöpfung (in bezug auf den Menschen: die Beschreibung der durch Gottes schöpferisches Wort den Menschen als Menschen konstituierenden formal-ontologischen Struktur) einfach ersetzt durch den Hinweis auf den Grund der Schöpfung (d. h. die Beschreibung der formalontologischen Struktur durch den Hinweis auf ihren schöpferischen Ursprung). Eine Beschreibung der formal-ontologischen Strukturen als Möglichkeitsbedingung für ein menschliches Leben, sowohl ein der menschlichen Bestimmung entsprechendes Leben (im Glauben) als auch ein der menschlichen Bestimmung widersprechendes Leben (in der Sünde), droht so schon im Ansatz aus dem Blick zu geraten. Nun soll hier ja keinesfalls bestritten werden, daß die formal-ontologische Struktur humaner Personalität ihren Grund in Gottes schöpferischem Wort hat, schließlich ist die formal-ontologische Struktur humaner Personalität gerade Teil des schöpferischen Handelns Gottes, doch ist die Tatsache, daß sich die formal-ontologische Struktur humaner Personalität Gottes schöpferischem Wirken verdankt keinesfalls schon die hinreichende (wenn auch eine notwendige) Bestimmung; denn auch die Animalität, ja auch das vegetative Feld, verdankt sich aus der Perspektive des Glaubens dem schöpferischen Wort Gottes. Nun ist Brunner ja keinesfalls bei dieser Beschreibung stehen geblieben. Gerade weil - so Brunner - Gott die Antwort des Menschen verlangt, hat er ihn als ein verantwortliches Wesen, d. h. ein Wesen geschaffen, daß sich seinem Ruf zu verantworten hat. Will Gott die freie Antwort des Menschen auf seinen Ruf, so ist die Freiheit des Menschen eine 510

Brunner, Die Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" als Problem der Theologie, S. 254.

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gebundene Freiheit, weil sie an die Bestimmung gebunden ist, Gott zu antworten. Fällt hier sofort auf, daß Brunner die formal-ontologische Struktur humaner Personalität definiert durch die der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens, so ist es doch - wie sich bereits zeigte - Brunners ausdrückliches Anliegen, zu differenzieren zwischen der Bestimmung der Person (iustitia originalis), die Brunner als materiale imago bezeichnet, und seiner unverlierbaren Personstruktur, der formalen imago. So ist nach Brunner der Mensch verantwortliches Sein, auch wenn er dieser Verantwortung nicht entspricht. Mit anderen Wortes: Der Mensch bleibt (auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung) unter Gottes Anspruch. Mit der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität versucht Brunner das Kontinuum des Menschen zu ermitteln, das dem Menschen auch in der Sünde verbleibt. Insofern der Mensch auch als Sünder Mensch bleibt, ist so die formal-ontologische Struktur humaner Personalität das den Menschen zum Menschen machende. Als die den Menschen zum Menschen, sei er Sünder oder Rechtbeschaffener, machende Struktur ist die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende) ontologische Möglichkeitsbedingung für die gläubige wie die ungläubige Existenz. Das Defizit der Brunnerschen Beschreibung der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität besteht gerade darin, diese nicht als Möglichkeitsbedingung menschlichen Lebens überhaupt ausarbeiten zu können. Der Grund hierfür liegt gerade darin, daß Brunner gar keine formal-anthropologische Struktur humaner Personalität ausarbeitet, sondern das Humanum ausschließlich in der Bestimmung der Person erblickt. Nun wird man sicherlich nicht die Bestimmung der Person von der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität lösen können; denn die formal-ontologische Struktur humaner Personalität ist ja gerade die Möglichkeitsbedingung für eine der Bestimmung der Person entsprechende ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens. Doch die formalontologische Struktur humaner Personalität ist auch die Möglichkeitsbedingung für eine der Bestimmung der Person widersprechende (d. h. sündhafte) ontisch-existentielle Verwirklichung humanen Lebens. Gerade dies gelingt aber Brunner nicht aufzuweisen, wenn er die formalontologische Struktur nur darin erblickt, daß der Mensch unter Gottes Verantwortung steht, statt sie als Möglichkeitsbedingung für menschliches Dasein (sei es gläubiges, sei es ein ungläubiges Dasein) einsichtig zu machen. So muß man Brunner fragen: Inwiefern ist die menschliche Sünde gerade möglich aufgrund der von Brunner eruierten formal-anthropologischen Struktur humaner Personalität? Konkret gefragt: Inwiefern widerspricht der Mensch Gott gerade aufgrund seiner Struktur der

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Verantwortlichkeit? Schon an diesen Fragen wird deutlich, daß es Brunner in keiner Weise gelungen ist, eine formal-ontologische Struktur humaner Personalität auszuarbeiten, die als Möglichkeitsbedingung für humanes Existieren einsichtig ist. Wird die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als verantwortliches Sein, d. h. als ein Sein beschrieben, das sich Gott zu verantworten hat, so ist diese Aufgabe gerade deshalb nicht gelöst, weil mit dieser Bestimmung menschlichen Lebens nur der erste Schritt getätigt ist. Eine Explikation der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität muß nach derjenigen ontologischen Beschaffenheit der menschlichen Natur fragen, die dem Mensch ein seiner Bestimmung entsprechendes Leben ermöglicht als auch ihm ermöglicht, seiner Bestimmung zu widersprechen. Gerade aber weil Brunner nicht hinreichend genau zwischen einer formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und einer der Bestimmung des Menschen entsprechenden ontischexistentiellen Verwirklichung humanen Lebens unterscheidet, gelingt es ihm nicht, eine solche Struktur genauer auszuarbeiten. So droht bei Brunner immer wieder die Unterscheidung zwischen formal-ontologischer Struktur und der Bestimmung der Person zu verwischen, so daß nicht mehr deutlich wird, daß das Humanum des Menschen in der Sünde erhalten bleibt. Dies zeigt sich bei Brunner gerade in seiner unsicheren Terminologie: So kann Brunner nicht nur von einer Verkehrung des Menschsein des Menschen sprechen511, sondern auch behaupten, daß erst ein der Bestimmung des Menschen entsprechendes Leben den Menschen menschlich macht 512 . Am deutlichsten zutage jedoch tritt die terminologische Unbestimmtheit, wenn Brunner selbst den Personenbegriff, der doch gerade die unverlierbare Struktur des Menschen (formale imago Dei/das Humanum) zum Ausdruck bringen soll, dieser nicht vorbehält, so daß das Personsein bei Brunner zu dem wird, was dem Menschen aufgegeben ist 513 . Statt zwischen dem Personsein des Menschen als der formal-ontologischen Personstruktur und der ontischexistentiellen Verwirklichung des menschlichen Lebens aufgrund des 511

512 513

Vgl. ders., Die Frage nach dem „ A n k n ü p f u n g s p u n k t " als Problem der Theologie, S. 2 5 4 . Vgl. M i W , S. 3 3 7 . Vgl. ders., Persönlichkeit und Person, S. 2 7 2 . - So unterscheidet Brunner in seinem gleichnamigen Aufsatz zwischen „Persönlichkeit und P e r s o n " : Die Frage nach der Persönlichkeit als der intellektuellen und kulturellen Kompetenz (vgl. a. a. O . , S. 2 7 1 ) bzw. als einer „ästhetischen Angelegenheit" (a. a. O . , S. 2 7 2 ) wird unterschieden von der Frage nach der Person als der Frage nach der Bestimmung des Menschen (vgl. ebd.). Das Personsein des Menschen bezeichnet bei Brunner nun die Bestimmung des Menschen, d. h. die Rechtbeschaffenheit der Person.

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unverlierbaren - Personseins des Menschen zu unterscheiden, kommt Brunner dazu, zwischen einer „in einem gewissen, formalen und vorläufigen Sinn Person" 514 und der ,,persönliche[n] Person" 515 (der ,,[w]ahrhafte[n] Person" 516 ) zu unterscheiden. So wird bei Brunner der Mensch, der seiner Bestimmung, d. h. dem „In-der-Liebe-Sein" widerspricht, „unpersönlich" 517 , nur da wo „die Liebe waltet, [...] da ist personhaftes [...] Sein" 518 . Die Unterscheidung zwischen einer Person „in einem gewissen Sinn" und einer wahrhaften Person, oder gar zwischen wahrhafter Person und unpersönlicher Person ist aber äußerst mißlich: Eignet dem Menschen aufgrund seines Menschseins ein Personsein, so kann er gar nicht unpersönlich werden, er braucht daher auch nicht erst „persönlich" oder gar menschlich zu werden. In Interesse der klaren Unterscheidung zwischen ontologischer Struktur und ontisch-existentieller Verwirklichung ist daher eine größere terminologische Präzision zu fordern, die nicht für die zu unterscheidenden Sachverhalte gleiche Termini benutzt und so die distinctio zwischen ontologischer Struktur und ontischexistentieller Bestimmung verwischt. So zeigt sich schon durch Brunners Terminologie, daß seine Methode, die formal-ontologische Struktur humanen Personseins durch die material-ontische Bestimmung zu definieren, immer wieder vor der Gefahr steht, die Bestimmung der Person in die Struktur des Personseins einzutragen, so daß mit dem Verlust der Bestimmung der Person das Personsein selbst in Frage gestellt ist. Aus der nicht hinreichenden Unterscheidung zwischen der formalontologischen Struktur humaner Personalität und der der Bestimmung der Person entsprechenden ontisch-existentiellen Verwirklichung humanen Lebens erklärt sich auch die große Ungenauigkeit hinsichtlich der Frage nach dem Widerspruch des menschlichen Daseins. So entfaltet Brunner den Widerspruch des menschlichen Daseins in seiner Anthropologie als Widerspruch zwischen der Gottebenbildlichkeit des Menschen und der Sünde 519 . Nun läßt der Terminus „Gottebenbildlichkeit" nach Brunner aber doch zwei verschiedene Deutungen zu: Gottebenbildlichkeit meint sowohl die materiale imago, die als iustitia originalis die Bestimmung des Menschen beschreibt, als auch die formale imago, die als formal-ontologische Struktur das Humanum des Menschen zum Aus-

514 5,5 516 517 518

519

Ebd. Ebd. Ebd. A. a. O., S. 273. Ebd. - So wird der Mensch erst in der Liebe „wahrhaft personhafte Person" (ebd.). Vgl. Teil 2: Kap. III.A.3.3.3.2.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

druck bringt. Problematisch jedoch ist, daß Brunner den Widerspruch menschlichen Daseins gerade als Widerspruch zwischen Schöpfung und Sünde, d. h. zwischen formal-ontologischer Struktur humaner Personalität und der Bestimmung der Person erblickt. Gerade an diesem Punkt wird Brunners Defizit schmerzhaft spürbar, nicht hinreichend zwischen der formal-ontologischen Struktur und der Bestimmung des Menschen unterschieden und die Bestimmung des Menschen in die formal-ontologische Struktur humaner Personalität eingetragen zu haben. Der Widerspruch menschlichen Daseins kann ja gerade nicht verstanden werden als Widerspruch zu der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden formal-ontologischen Struktur humaner Personalität; denn die formalontologische Struktur ist ja gerade auch die Möglichkeitsbedingung für die ungläubige Existenz. Die Sünde widerspricht somit wohl der Bestimmung des Menschen, nicht aber seiner Personstruktur! Gerade in diesem Punkt ist auch das Problem der Eristik Brunners begründet: Weil es Brunner nicht gelingt, eine formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung menschlichen Lebens überhaupt zu eruieren, kann es ihm auch in apologetischer Hinsicht nicht gelingen, diese Struktur als Möglichkeitsbedingung menschlichen Lebens zu bewahrheiten. Brunners Behauptung der bleibenden Verantwortlichkeit läßt nicht begreifen, inwiefern aufgrund dieser Struktur menschliches Leben ermöglicht ist. Damit bietet diese Behauptung aber auch keine erhellende Kraft für die Erfahrungen menschlichen Lebens. Desweiteren ist der Widerspruch des Menschen bei Brunner als Widerspruch zur formal-ontologischen Struktur des Menschen gefaßt und damit die formal-ontologische Struktur nicht als Möglichkeitsbedingung auch des der Bestimmung des Menschen widersprechenden Lebens zur Geltung gebracht. 4.2.2.3 Ablehnung der Bewertung Barths Es zeigte sich, daß Barths Verstehensschwierigkeit hinsichtlich Brunners Intention unter anderem begründet ist in Brunners Unvermögen, angemessen zwischen einer formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und einer der Bestimmung der Person entsprechenden ontisch-existentiellen Verwirklichung humanen Lebens zu differenzieren. Brunner hat in diesem Punkt erhebliche Unklarheiten in Kauf genommen. Nun entscheidet Barth aber in die entgegengesetzte Richtung: „Der Mensch scheint bei Brunner frei, sein Sein und Wesen entweder in der Treue oder in der Untreue gegen Gott zu realisieren, entweder Gott oder auch sich selbst oder den Teufel zu seinem Herrn zu erwählen, seine Geschöpflichkeit und also sein Sein im Worte Gottes entweder zu bestä-

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tigen oder auch zu verleugnen" 520 . Von seiner eigenen Ontologie her muß Barth Brunner der Kritik unterziehen: Obwohl - so Barth - der Mensch doch sein Sein und Wesen in Jesus Christus habe, versuche Brunner den Freiheitsbegriff in Neutralität zu interpretieren521, während doch - wenn das Menschsein des Menschen durch Jesus Christus konstituiert sei - der Mensch nur Jesus Christus entsprechen könne 522 . Wenn aber wir aber so Barth - nach Brunner „das menschliche Sein und Wesen als ein Können zur Rechten und zur Linken zu verstehen haben, dann wird es undurchsichtig, inwiefern dieses Menschen Sein und Wesen gerade im Worte Gottes sein, leben und bestehen soll, weil solche Neutralität, wenn dies sein Seinsgrund ist, nun doch wohl unmöglich sein müßte" 5 2 3 . Brunner scheine - so Barth - die dem Menschen qua seines Menschseins aneignende Verantwortlichkeit so zu explizieren, als ob dem Menschen der Weg zur Rechten und zur Linken gleich offen stünde 524 . Gegen Brunner fordert Barth, daß Jesus Christus nicht nur als der Erkenntnisgrund, sondern auch als der Seinsgrund des menschlichen Seins aufgefaßt werden müsse 525 . „Das Wort als des Menschen Seinsgrund ist dann offenbar doch nur der allgemeine Logos, der zwar in Jesus Christus seinen Offenbarer hat, während er an sich mit der in diesem Namen zusammengefaßten und bezeichneten Geschichte nichts zu tun hätte. [...] [D]as ewige Wort und der im Fleisch sich offenbarende Sohn Gottes [scheinen] doch noch zweierlei zu sein" 526 . Barths Enttäuschung liegt gerade darin, daß Brunner Jesus Christus gerade nicht zum Seinsgrund des menschlichen Seins macht, sondern differenziert zwischen einem schöpferischen Wort und dem Wort der Versöhnung: „Das Wort Gottes ist dann doch nur das Wort eines vom Herrn des Bundes wohl zu unterscheidenden Schöpfers und nur von ihm als solchem ist es dann auch seinsmäßig gültig, daß der Mensch in ihm seine Wirklichkeit hat" 5 2 7 . Haben wir die Schwäche Brunners gerade darin erblickt, seiner Intention, zwischen Gottes schöpferischem Wort und seinem versöhnenden Wort zu unterscheiden, d. h. zu differenzieren zwischen der in Gottes schöpferischem Wort begründeten formalontologischen Struktur humaner Personalität und der in seinem erlösenden Handeln begründeten Ermöglichung zu einer Verwirklichung der 520 521 522 523 524 525 526 527

K D III/2, S. 156. Vgl. ebd. Vgl. K D III/2, S. 156f. K D III/2, S. 157. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd. Ebd.

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material-ontischen Bestimmung humaner Personalität, nicht gerecht zu werden, weil er die formal-ontologische Struktur durch die materialontische Bestimmung definiert, so sieht Barth den Sachverhalt genau entgegengesetzt: Wie selbstverständlich erblickt er die Intention einer theologischen Anthropologie darin, Jesus Christus zum Seinsgrund des menschlichen Seins zu erheben, Gottes erlösendes Handeln mithin mit seinem schöpferischen zu identifizieren, und sieht in der Durchführung der theologischen Anthropologie Brunners diese - von ihm unterstellte Intention nicht gewährleistet, obwohl er durchaus positive Ansätze erblickt. Das Kuriosum besteht nun - um dies noch einmal deutlich herauszustellen - darin, daß Barth die positiven Ansätze gerade in der defizitären Durchführung der Brunnerschen Intention erblickt. Von daher ist - s. o. - gerade entgegengesetzt zu Barth zu urteilen: Brunner gelingt es nicht, ein solches Verständnis der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität zu entfalten, das als Möglichkeitsbedingung für das ungläubige wie das gläubige Dasein zu fungieren vermag. 4.2.3 Die Frage nach der sola gratia 4.2.3.1 Die Frage Barths: die formal-ontologische Struktur humaner Personalität versus sola gratia? Nun zeigte sich bereits, daß Barth an der Weiterentwicklung seines Ansatzes in der von Brunner intendierten Weise in keinerlei Hinsicht interessiert war. Die - so das bekannte Diktum Barths - Dogmatik „ist nicht am Aufweis eines Anknüpfungspunktes der göttlichen Botschaft an den Menschen, sie ist schlechterdings an der ergangenen und vernommenen göttlichen Offenbarung selbst interessiert. Auch ihre Erkenntnisfrage kann nicht lauten: wie ist die menschliche Erkenntnis der Offenbarung möglich? (als wenn es problematisch wäre, ob Offenbarung erkannt wird! als ob von einer Untersuchung der menschlichen Erkenntnis die Einsicht in die Möglichkeit der Erkenntnis göttlicher Offenbarung möglich wäre!), sondern: welches ist die wirkliche menschliche Erkenntnis der göttlichen Offenbarung? (unter der Voraussetzung, daß die Offenbarung selbst und von sich aus den nötigen Anknüpfungspunkt im Menschen schafft)" 528 . Eine gewollte - bewußt intendierte - Apologetik kann und darf es daher nach Barth nicht geben529. So formuliert Barth gegen Brunner: „Geht es in der Theologie und im menschlichen Leben überhaupt um Gott, sein Wort, seine Taten und seine Herrschaft, dann ist die 528 529

K D 1 / 1 , S. 2 7 f . Vgl. K D 1 / 1 , S. 2 9 .

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Frage nach Sprache und Form gewiß so wichtig wie die unbestreitbare Tatsache, daß wir selbst es sind, die uns mit dieser Sache so oder so beschäftigt finden, dann kann sie aber doch nicht anders aufgeworfen und beantwortet werden denn als aufgehobene und immer wieder aufzuhebende Randfrage, dann kann sie doch als Sorge nicht anders existieren, denn als auf Gott geworfene Sorge" 5 3 0 . Weiter: „Ist er [= der Mensch] und ist also das Wie nicht wirklich wohl aufgehoben in dem allein entscheidenden Was: daß Christus für ihn gestorben und auferstanden ist? Täten Theologie und Kirche ihm damit nicht Unehre an, daß sie ihn statt darauf, daß er angesprochen ist, auf seine Ansprechbarkeit ansprechen würden?" 5 3 1 . Mit diesen Worten macht Barth den Grund seiner Ablehnung deutlich: Eine dem Menschen qua seines Menschseins eignende Offenheit für Gott will Barth aus dem Grunde nicht reflektiert wissen, um Gottes alleiniges Handeln zu wahren 5 3 2 . „Gibt es dennoch eine Begegnung und Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, dann muß durch Gott selbst eine Voraussetzung geschaffen sein, die mit dem Vorhandensein dieses Formalen von ferne nicht (auch nicht,irgendwie', auch nicht,einigermaßen'!) gegeben ist" 5 3 3 . Barth weigert sich somit, der ontologischen Möglichkeitsbedingung des Menschen für die Begegnung Gottes in Christus nachzugehen, weil er vermutet, daß durch das Zugeständnis einer solchen ontologischen Prädisposition nun dem Menschen selbst die Fähigkeit zugeschrieben werden muß, Gott zu begegnen. Nun zeigte sich, daß in dieser - von Barth abgelehnten - Weise die Explikation der Offenheit des Menschen für Gott von Brunner nicht intendiert ist. Vielmehr geht es Brunner darum zu zeigen, daß der Mensch nicht allererst durch die Begegnung in Christus zum Menschen wird. Gerade aber wenn der Gedanke ernst genommen wird, daß Gott durch seine Begegnung in Christus weder den Menschen erst schafft, noch aber sein Menschsein negiert, muß die formal-ontologische Struktur des Menschen als eine solche aufgefaßt werden, die offen ist für die Begegnung des Menschen mit Gott in Christus, es muß mithin unterschieden werden zwischen der in Gottes schöpferischem Handeln begründeten existential-ontologischen Struktur und der in seinem erlösenden Handeln geschenkten Bestimmung des Menschen. Nun ist zwar bereits erwähnt, daß dieses Interesse Brunners Barth aufgrund seiner eigenen defizitären Unterscheidung zwischen Gottes schöpferischem und er530 531 532 533

Ders., Nein!, S. 253f. A. a. O., S. 257. Vgl. a. a. O., S. 226. Ebd.

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lösendem Handeln verborgen geblieben ist. Zeigt sich jedoch Barths große Sorge gerade darin, daß das theologische Interesse an einer existential-ontologischen Struktur die alleinige actio Gottes zu tangieren droht, so ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, daß Brunner diesem Verdacht selbst insofern Vorschub geleistet hat, als er nicht zu verstehen gelehrt hat, aus welchem Grund die Explikation der formal-ontologischen Struktur als Möglichkeitsbedingung für den Glauben der alleinigen actio Gottes nicht widerspricht. Vielmehr spricht Brunner in problematischer Weise von einem „Mitwirken" des Menschen. Wenn Barth daher behauptet, ,,[d]er heilige Geist [...] bedarf keines anderen Anknüpfungspunktes als dessen, den er selber setzt" 534 , oder apodiktisch festhält, die ontologische Möglichkeitsbedingung des Menschen für Gott sei vernichtet, der Mensch besitze kein Vermögen mehr für Gott 5 3 5 , ja, daß der Mensch erst „durch das Wort Gottes für das Wort Gottes geschaffen" 536 wird, so sind diese Sätze nicht zuletzt aus dem Grunde entschieden abzulehnen, weil in ihnen nicht mehr zur Geltung kommt, daß Gottes Heilswirken das Menschsein des Menschen nicht außer Kraft setzt und Gottes Heilswirken keinesfalls den Menschen allererst schöpferisch ins Dasein ruft. Gilt es aber gerade - mit Barth - entschieden festzuhalten, daß die Gabe des Glaubens alleiniges Werk Gottes ist, so kann die formal-ontologische Struktur humaner Personalität (als Prädisposition für den Glauben) nur so expliziert werden, daß diese der alleinigen actio Gottes im Geschehen des Glaubens nicht widerspricht. Im folgenden gilt es aufzuzeigen, daß Brunners Explikation der formal-ontologischen Struktur dies gerade nicht zu leisten im Stande ist und er so gegen Barth nicht zu zeigen vermag, daß die ontologische Prädisposition des Menschen für Gott keine solche ist, die der alleinigen actio Gottes widerspricht. 4.2.3.2 Das Verständnis der gebundenen Freiheit bei Brunner als Widerspruch zur reformatorischen Gnadenlehre Weil die menschliche Freiheit begrenzt ist durch das göttliche Sollen, ist sie nach Brunner gebunden an das göttliche Sollen. Die menschliche Freiheit ist eine gebundene Freiheit, weil der Mensch sich dem Ruf Gottes zu verantworten hat. Es zeigte sich bereits, daß Brunner die Bestimmung der menschlichen Existenz als Qualifikation der formal-ontologischen Struktur geschöpflicher Personalität benutzt. Auf die gerade mit diesem Sachverhalt verbundenen Probleme bezüglich der Aufgabe, die formal-

534 535 536

A. a. O . , S. 2 5 2 ; vgl. K D 1 / 1 , S. 2 5 1 . Vgl. K D 1 / 1 , S. 2 5 1 f. K D , 1 / 1 , S. 2 5 1 .

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ontologische Struktur als (ontologische) Möglichkeitsbedingung sowohl für die gläubige als auch für die ungläubige Existenz aufzufassen, braucht an dieser Stelle nicht eingegangen werden, wenn sie auch für die in diesem Zusammenhang entscheidende Frage nach Brunners Verständnis der menschlichen Freiheit den Hintergrund bildet. Es zeigte sich ebenfalls bereits, daß Brunner sich darum bemüht, die menschliche Freiheit als Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität gerade dadurch zur Geltung zu bringen, daß er die Freiheit als das (auch in der Sünde) unverlierbare Wesensmerkmal des Menschen bestimmt 5 3 7 . Aus diesem Grunde entscheidet sich Brunner gegen die Bestimmung des freien Willens, wie sie in der reformatorischen Lehrbildung anzutreffen ist. Anders als die Reformatoren - so Brunner - muß man von einem freien Willen des Menschen sprechen. Weil auch der sündige Mensch Subjekt ist - und nicht zum Objekt degradiert wird - , muß man auch bei dem sündigen Menschen von einem freien Willen sprechen 5 3 8 . Schließlich wurde auch bereits darauf hingewiesen, daß Brunner den im Glauben liegenden Anspruch des Menschen hervorhebt, um die Freiheit des Menschen und seine Aktivität im Glauben hervorzuheben 5 3 9 . „Der Empfang der Gnade aber darf nicht, wie es die orthodoxe Lehre des Luthertums auffaßt, als ein Geschehen gedacht werden, bei dem der Mensch rein passiv als behandeltes Objekt (truncus et lapis), nicht aber als Subjekt zugegen wäre, sondern er ist der Akt der Identifikation mit dem Gekreuzigten in der Erkenntnis seiner Identifikation mit uns, den Sündern" 5 4 0 . So ist der Glaube zwar Gottes Werk allein, aber der Mensch ist in dieses Werk durch sein „Selbstdabeisein und Selbstmittun" 5 4 1 eingeschlossen. „Gebundene Freiheit" meint somit bei Brunner, daß die menschliche Freiheit unter einer Bestimmung steht. Damit bringt Brunner aber lediglich den Sachverhalt zum Ausdruck, daß nicht jede Form des Gebrauchs der Freiheit der göttlichen Bestimmung gleichermaßen angemessen ist. Es gilt somit nach Brunner, einen wahren von einem falschen Gebrauch der Freiheit zu unterscheiden. Dies hat auch Erasmus in keinem Falle bestritten! Durch Brunners unheilvolle Vermischung von formal-ontologischer Struktur und material-ontischer Bestimmung ist es Brunner aber in keiner Weise gelungen, die Gebundenheit als Qualifikation in

537 538 539 540

541

Vgl. Teil 2 : K a p . I I I . A . 3 . 2 . 1 . Vgl. Teil 2 : K a p . I I I . A . 3 . 2 . 2 . 2 . Vgl. Teil 2 : K a p . I I I . A . 3 . 2 . 2 . 3 . D III, S. 3 2 2 ; vgl. hierzu a u c h V o l k , Emil B r u n n e r s L e h r e von der G o t t e b e n bildlichkeit, S. 1 9 5 . D III, S. 2 3 6 .

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formal-ontologischer Hinsicht zu etablieren; denn in formal-ontologischer Hinsicht zeichnet sich der Mensch nach Brunner ausschließlich durch Freiheit aus. Die Problematik zeigt sich aber gerade darin, daß Brunner von einem Mitwirken des Menschen spricht - der Mensch wirkt beim Glauben mit qua seiner ihn als humane Person auszeichnenden Freiheit. Brunners merkwürdige Windung, daß der Glaube zwar Gottes Werk allein ist, der Mensch aber in seinem Mitdabeisein und Mittun hierin einbezogen ist, macht deutlich, daß Brunners Verständnis der formalontologische Struktur humaner Personalität in keiner Weise geeignet ist, der reformatorischen Einsicht in den biblischen Sachverhalt Rechnung zu tragen, daß es gerade kein cooperari zwischen Gott und Mensch hinsichtlich des Glaubens gibt, vielmehr steht seine Anthropologie der menschlichen Freiheit in scharfer Opposition zu der in der biblisch/ reformatorischen Gnadenlehre behaupteten Unfreiheit des Menschen! Soll dem für reformatorisches Verständnis unaufgebbaren Sachverhalt Rechnung getragen werden, daß der Glaube allein Gottes Werk ist - in keinerlei Hinsicht aber Leistung des Menschen - , so hat die theologische Anthropologie - will sie nicht in Widerspruch zu Aussagen der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre stehen - das der reformatorischen Gnadenlehre zugrundeliegende Verständnis humaner Personalität zu entwickeln: Behauptet die reformatorische Gnadenlehre, daß der Geist dem Menschen in Passivität die Wahrheit des Kreuzes erschließt, so ist die theologische Anthropologie vor die Aufgabe gestellt zu zeigen, daß das Wirken des Geistes der geschöpflichen Personalität des Menschen nicht widerspricht, sondern unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität geschieht, d. h. nichts anderes, als daß die theologische Anthropologie zur Geltung bringen muß, daß die Person „offen [...] für das Geschehen der Selbstmitteilung Gottes" 5 4 2 ist. Will daher die theologische Anthropologie zur Geltung bringen, daß die soteriologische Aussage, daß der Mensch in Passivität seiner Bestimmung entgegengebracht wird, der Wesensverfassung des Menschen nicht widerspricht, muß sie zeigen, daß die Passivität in der Wesensverfassung des Menschen liegt, d. h. die Passivität muß als Strukturmerkmal humaner Personalität begriffen werden. Gerade aufgrund seiner Passivität ist der Mensch „offen" für Gottes Gnadenhandeln an ihm; der Mensch ist aufgrund seiner Passivität offen dafür, daß der Geist ihm in Passivität die Wahrheit des Kreuzes erschließt. Nur wenn die Passivität als Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität begriffen wird, ist die Einsicht zur Geltung zu bringen, daß das Wirken des Geistes am Menschen der geschöpflichen

542

Stock, Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, S. 3 2 .

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Personalität nicht widerspricht, sondern unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität geschieht. Anders als Brunner dies tut, muß gezeigt werden, daß die in der biblisch/reformatorischen Soteriologie vorausgesetzte Unfreiheit der ontologischen Struktur des Menschen gerade deshalb nicht widerspricht, weil die Unfreiheit ein Strukturmerkmal geschöpflichen Personseins ist. Wird die dem humanen Personsein eignende Unfreiheit des Menschen - wie dies bei Brunner geschieht - lediglich als die Forderung expliziert, der Bestimmung zu entsprechen 543 , so ist damit nur zum Ausdruck gebracht, daß die humane Freiheit im Horizont ihrer Bestimmung gesehen werden muß, nicht aber ist - wie bei der Explikation der Unfreiheit als Strukturmerkmal humaner Personalität - zum Ausdruck gebracht, daß die Entscheidung zwischen einem der Bestimmung der Person entsprechenden und einem ihrer Bestimmung widersprechenden Leben nicht im freien Willen der Person wurzelt. Barths Veto gegen die Explikation formal-ontologischer Strukturen humaner Personalität ist darin begründet, daß er schon durch den Versuch dieser Explikation die göttliche actio unterbelichtet sieht zugunsten der menschlichen Freiheit. Indem Brunner gerade nicht die Unfreiheit als Kennzeichen der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität zu verstehen lehrt, vielmehr die Freiheit des Menschen, bestätigt er Barths Verdacht und rückt damit jede Bemühung um eine Explikation der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität in ein ungünstiges Licht. Von hier aus wird man gegen Barth festhalten müssen, daß gerade weil durch die Gabe des Geistes der Mensch nicht allererst geschaffen wird, vielmehr das Geschöpf Gottes mit Gott versöhnt wird, das Wirken des Geistes Gottes der formal-ontologischen Struktur geschöpflicher Personalität nicht widerspricht, sondern entspricht. Das Wirken des Geistes geschieht unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität; die in Gottes schöpferischem Wort begründete geschöpfliche Personalität ist somit die Möglichkeitsbedingung für den Empfang des Heiligen Geistes. Soll jedoch die biblisch/reformatorische Einsicht innerhalb der Soteriologie (das alleinige Wirken des Geistes) nicht in Widerspruch zur Anthropologie stehen, so ist gegen Brunner mit Entschiedenheit daran festzuhalten, daß nur wenn die Unfreiheit als Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität zu verstehen gelehrt wird, die geschöpfliche Personalität als Möglichkeitsbedingung für das Wirken des Geistes Gottes zur Geltung gebracht werden kann.

543

Vgl. Teil 2: K a p . III.A.3.2.1.

Β Reformulierung des Konzeptes Brunners 1. Zusammenfassung der Problemlage und die sich von hier aus stellende Aufgabe der Reformulierung des Konzeptes Brunners Brunner rückt das ursprünglich-schöpferische Handeln Gottes in. den Mittelpunkt seines apologetischen Interesses. Als das auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung des Menschen bestehende Handeln Gottes liegt Gottes schöpferisches Handeln der geschöpflichen Wirklichkeit als Strukturprinzip zugrunde. Als das der Schöpfung - auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung - zugrunde liegende Strukturprinzip ist das schöpferische Handeln Gottes auch unter den Bedingungen sündhafter Entfremdung erkennbar, wenn es auch faktisch in der Sünde verkannt wird. Damit unterscheidet Brunner zwischen Gottes Schöpfung, die als Strukturprinzip der menschlichen Wirklichkeit Gegenstand der allgemein-menschlichen (natürlichen) Erfahrung ist (wenn auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung diese Erfahrungen mit der Schöpfung Gottes nicht als eben solche gedeutet werden), und Gottes Handeln in Christus, das gerade weil es kein Strukturprinzip der geschöpflichen Wirklichkeit ist, nicht Gegenstand der allgemeinmenschlichen (natürlichen) Erfahrung ist. Von diesem Interesse aus versteht sich Brunners Einspruch gegen Barth: Gegen Barth bringt Brunner deshalb die Unterscheidung zwischen dem schöpferischen Handeln Gottes als dem Seinsgrund des menschlichen Seins zur Geltung und dem erlösenden Handeln Gottes in Christus als der Heilung und Überwindung des kontingenten Widerspruches des Menschen gegen Gott. Gerade weil - anders als Gottes versöhnendes Handeln - Gottes schöpferisches Handeln der Wirklichkeit selbst (als ihr Grund!) zugrunde liegt, besteht für Gottes schöpferisches Handeln die Möglichkeit, dem natürlich-menschlichen Erkennen erschlossen zu werden. Damit trägt Brunner der bereits namhaft gemachten Unterscheidung zwischen der Heilsgegenwart und der Weltgegenwart Gottes Rechnung, wenn auch mit einer grundsätzlichen Unterbestimmung der Weltgegenwart Gottes. Gottes Handeln im Gesetz wird von Brunner in diesem Zusammenhang zugunsten einer einseitigen Betonung der schöpferischen Gegenwart Gottes vernachlässigt; die Apologetik wird von

Reformulierung des Konzeptes Brunners

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Brunner daher konsequenter Weise auf die Verifikation der schöpferischen Gegenwart Gottes eingeschränkt. Die Verifikation der Schöpfung als Schöpfung Gottes versucht Brunner auf dem Felde der Anthropologie zu führen, weil gerade hier die sündhafte Verkennung der Schöpfung am größten ist. So legt Brunner in der Anthropologie gerade auf die Unterscheidung zwischen der formalontologischen Struktur humaner Personalität und der material-ontischen Verwirklichung der humanen Personalität entscheidendes Gewicht; denn als Teil des schöpferischen Handelns Gottes (und damit als Teil der Schöpfung!) ist gerade die formal-ontologische Struktur humaner Personalität („formale imago") Gegenstand der apologetisch-eristischen Verifikation. Neben Brunners grundsätzlicher Unterbestimmung des Handelns Gottes, die das Gesetz Gottes als Charakteristikum der gefallenen geschöpflichen Wirklichkeit unterbelichtet, zeigt Brunner auch erhebliche Defizite in seiner Ausarbeitung der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Struktur der Schöpfung (anthropologisch gewendet: der auf Gottes kreatorischer Aktivität beruhenden formal-ontologischen Struktur humaner Personalität). Obwohl Brunner an der Unterscheidung zwischen der der gefallenen Wirklichkeit zugrunde liegenden und daher dort erfahrbaren Struktur der Schöpfung und der sündhaften Verkennung, d. h. der sündhaft-verkehrten Deutung der Erfahrung der Schöpfung, erhebliches Gewicht legt, verwischt Brunner die Unterscheidung zwischen einer Struktur der Schöpfung und der Erschlossenheit dieser Struktur (anthropologisch gewendet: zwischen der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und dem Erschlossensein dieser Struktur, d. h. der „formalen imago" und dem „materialen Wissen") 1 . Daneben zeigte sich, daß es Brunner nicht gelingt, eine formalontologische Struktur humaner Personalität herauszuarbeiten als M ö g lichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes wie ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben. Weder arbeitet Brunner heraus, inwiefern die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die Möglichkeitsbedingung für menschliches Leben überhaupt ist, noch zeigt er, inwiefern die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die Möglichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes wie ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben ist 2 . Es zeigte sich, daß Brunner, weil er die formalontologische Struktur humaner Personalität ausschließlich durch die Bestimmung der Person definiert, nicht deutlich zu machen vermag, inwiefern auch ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben 1 2

Vgl. Teil 2 : Kap. I I I . A . 4 . 2 . 1 . Vgl. Teil 2 : Kap. I I I . A . 4 . 2 . 2 .

550

Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

durch die formal-ontologische Struktur humaner Personalität ermöglicht wird. So zeigte sich, daß - ganz entgegen der Absicht Brunners - der Mensch durch den Verlust seiner „materialen imago" auch seine „formale imago" zu verlieren droht 3 . Schließlich zeigte sich, daß es Brunner nicht gelingt, die formalontologische Struktur humaner Personalität zu beschreiben als Möglichkeitsbedingung für Gottes (alleiniges) Wirken bei dem Empfang des Glaubens. So besteht ein unaufhebbarer Widerspruch zwischen dem in der reformatorischen Gnadenlehre behaupteten alleinigen Wirken Gottes und Brunners Anthropologie, in der der Mensch als Freiheitswesen bestimmt wird und ein „Mitwirken" bei dem Empfang des Glaubens zugesprochen bekommt. Von hier aus ergeben sich die Forderungen zur Reformulierung des Konzeptes Brunners: Verkennt Brunner in seiner Intention, gerade dasjenige zum Bezugspunkt der apologetisch-eristischen Verifikation zu machen, was der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit zugrunde liegt, Gottes Gesetz als Strukturmoment der gefallenen geschöpflichen Wirklichkeit, so wird die folgende Reformulierung daher - in Anlehnung an Brunner - sich auf die Frage nach der Verifikation der - auf Gottes schöpferischen Handeln beruhenden - Strukturen der Wirklichkeit konzentrieren - im Unterschied zu Brunner wohl wissend, daß hiermit nur ein Teil der Verifikation desjenigen geleistet ist, was der geschöpflichen Wirklichkeit zugrunde liegt. So gilt es gerade die Defizite Brunners hinsichtlich seiner Verifikation der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Strukturen der Wirklichkeit zu beheben: Zum einen gilt es, zwischen den auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Strukturen der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit und ihrer Erschlossenheit zu unterscheiden, d. h. ernstzunehmen, daß das Erschlossensein der Strukturen der Wirklichkeit diesen nicht inhäriert. Damit ist die Aufgabe gegeben, die Methode der Apologetik präziser zu formulieren, als Brunner dies getan hat (Kap. 2) 4 . Zum anderen gilt es, Gottes schöpferisches Handeln so zu beschreiben, daß zum einen deutlich wird, inwiefern die Schöpfung die Möglichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes wie ein ihr widersprechendes Leben ist (Kap. 3.1) 5 , zum anderen deutlich wird, inwiefern die Schöpfung die Möglichkeitsbedingung für Gottes alleinige Wirksamkeit im Gnadenhandeln in Christus ist (Kap. 3.2) 6 . 3 4 5 6

Vgl. Teil 2 : K a p . I I I . A . 4 . 2 . 3 . W i r nehmen damit Bezug auf unsere Kritik: Teil 2 : Kap. I I I . A . 4 . 2 . 1 . Wir nehmen damit Bezug auf unsere Kritik: Teil 2 : K a p . I I I . A . 4 . 2 . 2 . Wir nehmen damit Bezug auf unsere Kritik: Teil 2 : Kap. I I I . A . 4 . 2 . 3 .

Reformulierung des Konzeptes Brunners

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2. Apologetik als Deutung von Erfahrung Besteht Brunners Intention gerade darin, zwischen der „materialen imago" und der „formalen imago", d. h. der „iustitia originalis" als der Rechtbeschaffenheit der Person und der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität als der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden und (daher) auch unter den Bedingungen der Sünde bestehen bleibenden (unverlierbaren) Personstruktur zu differenzieren und die Apologetik daher als Anknüpfung an die formale imago zu gestalten, so zeigte sich, daß Brunner doch immer wieder auch auf „materiales" Wissen der Person verweist, um diejenige Konstante namhaft zu machen, an die die Christusbotschaft anknüpfen kann. Barths Frage, inwiefern Brunner nun doch am Materialen statt am Formalen anknüpft, weist daher zu Recht auf die große Schwierigkeit der Brunnerschen Konzeption hin, die es zu klären gilt 7 . Um Brunners apologetisch-eristisches Programm zu reformulieren, gilt es zunächst, Brunners Intention deutlich hervorzuheben, um von hier aus seinen Ansatz zu modifizieren: Brunner intendiert mit der formalontologischen Struktur humaner Personalität (der „formalen imago") gerade dasjenige am Menschen namhaft zu machen, was auf Gottes schöpferischem Handeln beruht und daher auch in der Sünde erthalten bleibt und - als Strukturmerkmal humaner Personalität - die Prädisposition des Menschen für den Empfang der Gnade ist. Ist die formalanthropologische Struktur ein Teil der Schöpfung Gottes, so gilt es zurückzulenken zu Brunners Ausführungen über die Schöpfung und ihre Erschlossenheit als Schöpfung Gottes 8 : Zum einen betont Brunner, daß auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung die Welt Gottes Schöpfung ist (anthropologisch gewendet: auch unter den Bedingungen sündhafter Entfremdung bleibt der Mensch Person, d. h. ihm eignet auch weiterhin die formal-ontologische Struktur humaner Personalität). Von daher fordert Brunner die Möglichkeit der Erkenntnis der Schöpfung auch unter den Bedingungen der Sünde, wenn er auch die sündhafte Verblendung des Menschen als eine solche faßt, in der die Schöpfung faktisch verkannt wird. Obwohl der Mensch so um die Schöpfung Gottes

7

8

Daher betont Roessler zu Recht: „Eine saubere T r e n n u n g zwischen der A n k n ü p f u n g an die p e r s o n a l - h u m a n e n Voraussetzungen oder Verwirklichungsbedingungen des Glaubens (formal) und der A n k n ü p f u n g an ein sog. Vorverständnis des Glaubens (material) scheint uns aber eine unerläßliche Vorbedingung f ü r die Klärung des gesamten, reichlich verwickelten Fragenkreises zu sein" (ders., Person und Glaube, S. 113). Vgl. Teil 2: Kap. III.A.2.1.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

wissen könnte, wird sie in der sündhaften Verblendung faktisch verkannt. Dies gilt es auch für die formal-ontologische Struktur humaner Personalität (als einem Teil der Schöpfung Gottes) ernst zu nehmen: Obwohl sie auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung bestehen, kann nicht ohne weiteres mit ihrem Erschlossensein für natürlich-menschliche Erkenntnis gerechnet werden. Unter dieser Voraussetzung aber kann die formal-ontologische Struktur humaner Personalität nicht ihr eigenes Erschlossensein notwendig einschließen. Dies hat Brunner insofern auch erkannt, als er in Opposition zu Bultmanns Forderung einer „neutralen" Explikation der Ontologie der Person eine aus der Perspektive des Glaubens vorgenommene Explikation fordert 9 . Mit Brunners Forderung, die Ontologie der Person aus der Perspektive des Glaubens zu explizieren, ist so gerade dem Sachverhalt Rechnung getragen, daß damit zu rechnen ist, daß unter den Bedingungen der sündhaften Verblendung gerade die - auch in der sündhaften Entfremdung tatsächlich bestehende - formal-ontologische Struktur humaner Personalität in einer dem Glauben widersprechenden Weise gedeutet wird. Wenn aber die formal-ontologische Struktur eine solche ist, der ihr eigenes Erschlossensein nicht inhärent ist, so kann nicht an ein „irgendwie" geartetes Erschlossensein angeknüpft werden, d. h. an ein „irgendwie" geartetes „materiales" Wissen. Zeigte sich, daß Brunner in der Durchführung seines Programmes immer wieder an materiales Wissen der Person anknüpft, gerade dies aber - aufgrund seiner ursprünglichen Intention - unmöglich ist, so ist zu fragen, inwiefern unter diesen Bedingungen eine Anknüpfung sich gestalten soll. Wie kann eine Anknüpfung an die formal-ontologische Struktur humaner Personalität aussehen, die gerade nicht an das „irgendwie" geartete „materiale" Wissen um diese Struktur anknüpft? Es zeigte sich bereits, daß die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende Struktur der Wirklichkeit dem natürlich-menschlichen (d. h. sündhaften) Erkennen nicht immer schon erschlossen ist (so daß nicht einfach an ein materiales Wissen „angeknüpft" werden kann), daß aber der Versuch unternommen werden kann, diese dem natürlich-menschlichen Erkennen zu erschließen. Damit zeigte sich, daß die Frage, ob die Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit dem allgemein-menschlichen Erkennen erschlossen werden können, sich umgekehrt zur Aufgabe der theologischen Explikation, die - im Glauben implizierten - Strukturen der Wirklichkeit in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene zu deuten helfen. Wird diese

9

Vgl. Teil 2: Kap. III.A.4.1.2.

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Aufgabe auf dem Felde der Anthropologie wahrgenommen, so heißt dies, die im christlichen Glauben implizierte Sicht geschöpflicher Personalität in einer solchen Weise zur Sprache zu bringen, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene des menschlichen Lebens zu deuten hilft 1 0 . Zeigte sich daher, daß die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden Strukturen der Wirklichkeit nicht immer schon erschlossen sind, es vielmehr die Aufgabe der theologischen Apologetik ist, diese zu erschließen, so zeigte sich ferner, daß dies nicht für das „Von-Gott-sein" dieser Strukturen gilt, das dem natürlich-menschlichen Erkennen weder erschlossen ist (gerade hierin besteht die Sünde!) noch durch die Apologetik erschlossen werden kann (soll die Fähigkeit zur Aufhebung der sündigen Verblendung nicht von dem Wirken des Geistes Gottes auf die menschliche Potentialität transponiert werden). Daher ist der Versuch abzuweisen, es zur Aufgabe der apologetischen Verifikation zu machen zu erschließen, daß die humane Personalität in Gottes schöpferischem Handeln gegründet ist. Bei Brunner zeigt sich hingegen der gleiche Fehler, der in unserer Auseinandersetzung mit der Althausschen Lehre von der „Uroffenbarung" deutlich wurde: Daß der Mensch ein „geistiges Subjekt" ist, das er als ein „schaffender" lebt, daß er Sprache besitzt und zur Gemeinschaft fähig ist, aber auch daß er ein moralisch-religiöses Bewußtsein hat, weist keinesfalls logisch auf Gott als den Geber dieser Gaben 1 1 . Das „Von-Gott-Sein" dieser Gaben ist - so galt es gegen Althaus zu betonen - ein Glaubensurteil im strengeren Sinne. Nimmt man diesen Einwand ernst, so wird damit zugleich die Einsicht Brunners gewahrt, daß die Apologetik nur einen hinweisenden, keinen beweisenden Charakter hat. Indem die Apologetik die formal-ontologische Struktur humaner Personalität, die die „Offenheit" des Menschen für Gott aufweist, zeigt, vermag sie nur die Denkmöglichkeit des Glaubens, nicht aber seine Denknotwendigkeit zu zeigen. Ihre hinweisende Kraft aber liegt gerade darin, daß sie auch die Perspektive zur Sprache bringt, aus der das Bild des Menschen gewonnen wird, das in der Lage ist, die existentiellen Erfahrungen angemessen zu deuten: der christliche Glaube 1 2 . 10

11 12

Ähnlich argumentiert auch Gestrich: „Es geht jedenfalls nicht mehr darum, ob es Phänomene im natürlich-weltlichen Bereich gibt, die der christlichen Botschaft entgegenkommen, sondern darum, ob die christliche Botschaft etwas zu sagen hat, das den Problemen unserer Welt hilfreich entgegenkommt" (vgl. ders., Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 167). Vgl. Teil 2: Kap. II.D.2.3. Von daher ist dem Einwand Gestrichs gegen Brunner teilweise zuzustimmen. Brunner-so Gestrich-"mute[t] derTheologie Unmögliches zu" (a. a. 0 . , S . 381). Zum einen ist „nicht einzusehen, wie ein Mensch je von einer ideologisch verzerrten Sicht des Daseins durch Eristik befreit werden könnte ohne daß diese Befrei-

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3. Die im Glauben implizierte Sicht der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und ihre apologetisch-eristische Verifikation Ist es die Aufgabe der auf dem Felde der Anthropologie vollzogenen Apologetik, die im christlichem Glauben implizierte Sicht der formalontologischen Strukturen humaner Personalität zu verifizieren, so gilt es hinsichtlich dieser Sicht der formal-ontologischen Strukturen humaner Personalität gegen Brunner ein zweifaches zur Geltung zu bringen: Zum einen ist zur Geltung zu bringen, daß die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die Möglichkeitsbedingung sowohl für ein der Bestimmung der Person entsprechendes wie ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben ist (3.1). Zum anderen gilt es, die Einsicht der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre in die alleinige Wirksamkeit Gottes im Glaubensgeschehen innerhalb der theologischen Anthropologie zur Geltung zu bringen (3.2).

3.1 Die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für ein der Bestimmung der Person entsprechendes und ein der Bestimmung der Person widersprechendes Leben Brunner erkennt zu Recht, daß die formal-ontologische Struktur humaner Personalität („formale imago") sowohl die gläubige als auch die ungläubige Existenz auszeichnet, weil sie das Humanum des Menschen ist. Das Defizit der Anthropologie Brunners beruht gerade darauf, die formal-ontologische Struktur humaner Personalität nicht in hinreichender Genauigkeit als Teil des schöpferischen Handelns Gottes entfaltet zu haben und so gerade nicht zur Geltung gebracht zu haben, inwiefern die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die Möglichkeitsbedingung für menschliches Leben überhaupt ist. Zeigte unsere Erörterung des schöpferischen Handelns Gottes, daß dieses die Möglichkeitsbedingung für Gottes Gnadengabe in Christus wie auch für den Einbruch der Sünde ist 13 , so gilt es ernst zu nehmen, daß die formal-ontologische

13

ung schon das Geschenk des Glaubens selbst, vielmehr eben doch erst der Ank n ü p f u n g s p u n k t für den Glauben w ä r e " (a. a. O., S. 368), zum anderen k a n n die Theologie selbst dann, wenn sie Einigkeit über das Selbst- und Wirklichkeitsverständnis der Person erzielt, „dem Sünder doch nicht den Glauben einsichtig m a c h e n " (a. a. O., S. 349). Damit erkennt auch Gestrich die problematischen Punkte bei Brunner: Brunner nimmt nicht ernst, was ein Glaubensurteil im engeren Sinne ist u n d verliert damit aus dem Blick, was Geschenk des Glaubens ist. Vgl. Teil 1: Kap. ILA.

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Struktur humaner Personalität als (Teil der) Schöpfung Gottes die Möglichkeitsbedingung sowohl für die der Bestimmung der Person entsprechende als auch der der Bestimmung der Person widersprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz ist. Ist der Mensch das Wesen zwischen Gott und Abgott, so ist es dem Menschen durch seine formal-ontologische Struktur ermöglicht, sowohl eine auf Gott als auch eine auf einen Abgott gerichtete Existenz zu vollziehen. Diesem Sachverhalt hat vor allem Herms Rechnung zu tragen versucht, dessen Einsichten daher zur Reformulierung des Anliegens Brunners aufgegriffen werden können 14 . So bestimmt Herms die ontologischformale Struktur des Subjektes als die Möglichkeitsbedingung einer ontisch-existentiellen Verwirklichung der humanen Existenz in der Alternative von Gott und Abgott. Der Mensch lebt in der Alternative, von dem Vertrauen auf den wahren Gott oder einen Abgott bestimmt zu sein. „Die Wirkungsfähigkeit aller übrigen Inhalte theologischer Anthropologie variiert mit der Konkretheit, in der die in der Natur des Menschen gelegten Bedingungen der Möglichkeit, Heil zu verfehlen und zu gewinnen, in den Begriff vom Menschen aufgenommen werden" 1 5 . Diesem Sachverhalt versucht Herms Rechnung zu tragen, indem er den Menschen als das Wesen beschreibt, das durch eine bestimmte inhaltliche Prägung der Selbstgewißheit konstituiert ist, d. h. durch eine „Gewißheit hinsichtlich dessen [...], was der Endzweck der menschlichen Existenz ist, was also die ewige Bestimmung des Menschen in Wahrheit ist. Diese Gewißheit über den Endzweck und die eigentliche Bestimmung des Menschen hat formal immer den Charakter der zwingenden Evidenz des Wahrseins einer bestimmten Darstellung der menschlichen Bestimmung" 1 6 . Gerade indem Herms mit der den Menschen als Menschen konstituierenden Lebensgewißheit eine Einsicht in die Konstitutionsweise der personalen Struktur als solcher bietet, indem er gerade diejenigen Strukturmerkmale des humanen Subjektes freilegt, die dem Menschen als Menschen zukommen, gelingt es ihm, zwischen der ontologisch (formalen) Struktur des Menschen (geschöpfliche Personalität) und der der Bestimmung entsprechenden ontisch-existentiellen Verwirklichung der humanen Existenz („Rechtbeschaffenheit") zu differenzieren; denn die Bestimmung der Person liegt in einer bestimmten inhaltlichen Prägung der sie als Person konstituierenden Lebensgewißheit. Erschließt Gott im Geist die wahre (d. h. die der Bestimmung der Person entspre14 15

16

Vgl. hierzu R o t h , Der Mensch als Gewißheitswesen, S. 36ff. Herms, Die Funktion der Realitätsauffassung in der Psychologie Sigmund Freuds, S. 200. Ders., Luther und Freud, S. l l O f .

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chende) Lebensgewißheit 17 , so besteht die Sünde gerade darin, daß der Mensch einer falschen Gewißheit versichert ist18. Zeichnet somit die formal-ontologische Struktur der Lebensgewißheit bzw. Selbstgewißheit die humane Person als humane Person aus, so kann die humane Personalität in der Alternative verwirklicht werden, „liebend auf den ,wahren einigen Gott' bezogen zu sein oder auf einen Götzen" 19 . Der Mensch ist somit das Wesen zwischen Gott und Abgott, weil er aufgrund seiner ihn zum Menschen machenden geschöpflichen Struktur seine Existenz zu verwirklichen hat in der grundsätzlichen Alternative zwischen der wahren Gewißheit und der trügerischen Gewißheit 20 . Indem Herms die Gewißheitsstruktur als formal-ontologische Struktur humaner Personalität freilegt, gelingt es ihm im Unterschied zu Brunner, die Möglichkeitsbedingung einer humanen Existenz sowohl in der Entsprechung als auch im Widerspruch zu Gottes Bestimmung aufzuzeigen und damit die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende Struktur des Menschen als Möglichkeitsbedingung jeder Form menschlichen Daseins freizulegen. Gerade mit einem solchen Verständnis der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität läßt sich aber auch die eristische Aufgabe in Angriff nehmen: die Deutung der existentiellen Erfahrungen durch die christliche Lehre vom Menschen. Zeigte sich (vgl. Teil 2: Kap. II.D.2.3), daß es die Aufgabe der eristischen Anthropologie ist, die existentiellen Erfahrungen des Menschen durch die christliche Sicht des Menschen zu deuten und dadurch gerade die erhellende Kraft der im Glauben implizierten Sicht des Menschen zu erweisen, so bedeutet dies zu erweisen, daß jedes menschliche Leben bestimmt ist durch eine Lebensgewißheit. D. h., ist die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die Struktur des „Ausgerichtetsein-auf", so gilt es gerade, allererst den Nachweis zu führen, daß menschliches Leben ein „AufEtwas-gerichtetes-Leben" ist.

3.2 Die Passivität als Strukturmerkmal humaner Personalität Soll nach Brunner die formal-ontologische Struktur die Möglichkeitsbedingung auch für Gottes Gnadenhandeln am Menschen sein, so erhebt Barth aus dem Grunde leidenschaftlichen Protest, weil er durch eine dem 17

18

" 20

Vgl. ders., Luthers Auslegung des dritten Artikels, S. 73ff; ders., O f f e n b a r u n g und Wahrheit, S. 286; ders., Die eschatologische Existenz des neuen Menschen, S. 313. Vgl. bes. ders., Luthers Auslegung des dritten Artikels, S. 70. Ebd. Vgl. ders., Luther und Freud, S. 115.

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Menschen qua seines Menschseins eignende „Offenheit" für Gott Gottes alleiniges Handeln in dem Rechtfertigungsgeschehen bestritten sieht. Durch das Zugeständnis einer ontologischen Prädisposition des Menschen sieht Barth dem Menschen die Fähigkeit zugeschrieben, Gott zu begegnen. Gegen Barths Kritik an Brunner galt es festzustellen, daß es Brunner darum gar nicht geht, er vielmehr nur zu zeigen intendiert, daß der Mensch nicht allererst durch die Begegnung mit Christus zum Menschen wird. Und gerade hierin war Brunner zuzustimmen: Wenn der Gedanke ernst genommen wird, daß Gott durch seine Begegnung in Christus weder den Menschen erst schafft, noch aber sein Menschsein negiert, muß die formal-ontologische Struktur des Menschen als eine solche aufgefasst werden, die offen ist für die Begegnung des Menschen mit Gott in Christus. Ist Brunners Anliegen daher positiv zuzustimmen, so kann doch seine Durchführung nicht akzeptiert werden. Brunner bestimmt den Menschen als ein Freiheitswesen mit der Fähigkeit zum Mitwirken beim Zustandekommen des Glaubens und trägt dem Sachverhalt keine Rechnung, daß eine der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre verpflichtete Explikation der formal-ontologischen Struktur die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für die alleinige Aktivität Gottes zur Geltung zu bringen hat, d. h. als Möglichkeitsbedingung dafür, daß der Geist Gottes dem Menschen in Passivität die Wahrheit des Kreuzes erschließt. Von daher ergab sich die Forderung, daß sowohl der Gedanke ernst genommen werden muß, daß weder in Jesus Christus das Menschsein des Menschen konstituiert wird, noch daß es hierdurch aufgehoben wird, die formal-ontologische Struktur des Menschen mithin eine solche ist, die offen ist für die Begegnung des Menschen mit Gott in Christus, als auch dem Sachverhalt der Gnadenlehre Rechnung getragen werden muß, daß die Begegnung Gottes in Jesus Christus eine actio Gottes ist, bei der sich der Mensch passiv verhält. Dann aber - so zeigte sich - muß die formal-ontologische Struktur nicht nur als eine solche expliziert werden, die der Christusbegegnung vorher ist und durch sie nicht negiert wird, sondern auch als eine solche, die offen ist für Gottes actio und die menschliche Passivität. Brunners Bestimmung der menschlichen Freiheit - so zeigte sich macht deutlich, daß seine Explikation der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität in keiner Weise geeignet ist, der reformatorischen Einsicht in den biblischen Sachverhalt Rechnung zu tragen, daß es gerade kein cooperari zwischen Gott und Mensch hinsichtlich des Glaubens gibt, vielmehr steht seine Anthropologie der menschlichen Freiheit in scharfer Opposition zu der in der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre behaupteten Unfreiheit des Menschen! Daher war festzuhalten, daß

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der Aussage der reformatorischen Gnadenlehre, daß der Geist dem Menschen in Passivität die Wahrheit des Kreuzes erschließt, in der Anthropologie nicht anders als so Rechnung getragen werden kann, daß die Offenheit der Person für Gottes Gnadenhandeln gezeigt wird. Behauptet die reformatorische Gnadenlehre, daß der Geist dem Menschen in Passivität die Wahrheit des Kreuzes erschließt, so ist die theologische Anthropologie vor die Aufgabe gestellt, zur Geltung zu bringen ist, daß das Wirken des Geistes der geschöpflichen Personalität des Menschen nicht widerspricht, sondern unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität geschieht. Damit ergab sich folgende Forderung: Hat die theologische Anthropologie zur Geltung zu bringen, daß die Person „offen [...] für das Geschehen der Selbstmitteilung Gottes" 21 (in seinem Geist) 22 ist (insofern hat sie in der Tat von einer „Offenheit" des Menschen für Gott zu sprechen), geschieht aber Gottes Selbstmitteilung nicht anders als in alleiniger actio Gottes und einer Passivität des Menschen, dann muß die theologische Anthropologie zeigen, daß die Passivität in der Wesensverfassung des Menschen liegt, d. h die Passivität muß als Strukturmerkmal humaner Personalität begriffen werden 23 . Die Offenheit des 21 22

23

Stock, Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, S. 32. W e n n Gestrich daher die Differenz zwischen Barth und Brunner dahingehend formuliert, d a ß Barth (in KD 1 / 1 , S. 251) mit dem „ A n k n ü p f u n g s p u n k t " im Unterschied zu Brunner das Wirken des Geistes Gottes bezeichnet (vgl. Gestrich, Neuzeitliches Denken und die Spaltung der dialektischen Theologie, S. 284), so darf nicht übersehen werden, d a ß eine theologische Reflexion, die den Gedanken ernst nehmen will, daß das Wirken des Geistes dem Personsein des Menschen nicht widerspricht, sondern unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität geschieht, eine Offenheit der Person für das Wirken des Geistes zu beschreiben versuchen m u ß . Z u Recht betont Volk in Z u s t i m m u n g zu Brunner, d a ß der handelnde Gott den Menschen in Anspruch nimmt, da der Mensch - so Volk - nicht nur truncus et lapis sei (vgl. ders., Emil Brunners Lehre von der Sünde, S. 195). Entschieden zu problematisieren ist jedoch, d a ß Volk aus dieser Einsicht heraus meint, sich gegen die biblisch/reformatorische Einsicht gegen das alleinige Wirken Gottes beim Empfang des Glaubens wenden zu müssen: „Das darin gegebene Vermögen des Menschen ist im Glauben nicht völlig passiv, wie die Konkordienformel will, der Mensch ist nie, auch im Glauben nicht truncus et lapis, sondern gerade hier aufs höchste beansprucht, da jeder Akt der Person einen neuen Inhalt verleiht, ist er Totalakt wie nur der Urakt. Hier bleibt Brunner durch sein stetes Bewußtsein der Verantwortlichkeit davor bewahrt, den Menschen zu erniedrigen, um Gott zu e r h ö h e n " (ebd.). Volk verkennt, d a ß das Strukturmerkmal humaner Personalität, das auch das Wirken des Geistes keinesfalls außer Kraft setzt, sondern unter dessen Bedingungen der Geist wirkt, mithin die „ O f f e n h e i t " des Menschen vor Gott, nicht in der Fähigkeit des cooperari des Menschen bestehen kann. Vielmehr ist die Passivität als Strukturmerkmal humaner Personalität ernst zu nehmen, um so zu zeigen, d a ß die passive Erschließung der W a h r h e i t des Kreuzesgeschehens

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Menschen für Gottes Gnadenhandeln ist so begründet in der als Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität begriffenen Passivität. Diesem Sachverhalt hat vor allem Stock Rechnung getragen, dessen Einsichten helfen, den in Brunners Konzeption unüberwindlichen Hiatus zwischen der Anthropologie und den Aussagen der reformatorischen Gnadenlehre zu überwinden 24 . Um dem in der reformatorischen Gnadenlehre implizierten Verständnis humaner Personalität Rechnung zu tragen, intendiert Stock, die Passivität zum Strukturmerkmal geschöpflicher Personalität zu erheben und den Menschen so als „ abhängige [s] Freiheitswesen" 2 5 zu bestimmen, der Mensch ist „abhängig und selbstbestimmt zugleich" 26 . Wie Herms so bestimmt auch Stock die formal-ontologische Struktur des humanen Subjektes als die Möglichkeitsbedingung einer ontisch-existentiellen Verwirklichung der humanen Existenz in der Alternative von Gott und Abgott und trägt damit Luthers Einsicht in die exzentrische Struktur 27 humaner Personalität als „ausgerichtetes Dasein" Rechnung: „Daß der Mensch vermöge seiner Verfassung [...] auf etwas ihn Erfüllendes und Befriedigendes aus ist - das läßt sich [...] in Erinnerung an Luthers Anthropologie als die exzentrische Struktur des Personseins charakterisieren" 28 . So leitet auch Stock dazu an, die den Menschen als Menschen konstituierende Lebensgewißheit als formalontologische Struktur humaner Personalität zu unterscheiden von der je individuell ontisch-existentiellen Prägung der Lebensgewißheit 29 .

24 25 26 27

28 29

unter den Bedingungen geschöpflicher Personalität geschieht. Im Anschluß an die Begrifflichkeit Volks formuliert: Die alleinige actio Gottes bei dem Empfang des Glaubens zu betonen, bedeutet nicht zu behaupten, daß das dem Menschen qua seines Geschöpfseins gegebene Vermögen im Glauben nicht völlig passiv ist, sondern es heißt zu behaupten, daß das dem Menschen qua seines Geschöpfseins gegebene Vermögen die Passivität ist. Vgl. zum folgenden Roth, Der Mensch als Gewißheitswesen, S. 4 2 f f Stock, Die Achtung des Tieres und die Selbstachtung des Menschen, S. 8 1 2 . Ebd. Luthers Verständnis der exzentrischen Struktur humaner Personalität haben herausgearbeitet: Joest, Ontologie der Person bei Luther, bes. 2 3 3 ; Metzger, Gelebter Glaube, S. 80ff. Stock, Die Kirche in der Gesellschaft, S. 4 5 2 . Das humane Subjekt - so Stock - kann in der Welt überhaupt nur interagieren, insofern es seine Handlungsvollzüge an einer „besonderen Auslegung des universellen Guten" (ders., Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, S. 70) orientiert und damit von einer ,,handlungsleitende[n] Gewißheit" (ders., Ist das Bildungsziel der Verantwortung in einer pluralen Gesellschaft legitim?, S. 7) bestimmt ist. Damit leitet Stock dazu an, die handlungsleitende Gewißheit als formal-ontologische Struktur humaner Personalität zu unterscheiden von ihrer je individuellen Bestimmtheit, d. h. der inhaltlichen Prägung der handlungsleitenden Gewißheit, die der Bestimmung der Person entsprechen oder ihr widersprechen kann (vgl. ders., Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, bes. S. 89).

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Hat Stock so der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für eine der Bestimmung der Person entsprechende wie eine der Bestimmung der Person widersprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz Rechnung getragen, so holt er die aus der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre sich ergebende Forderung, die Passivität als Strukturmerkmal humaner Personalität zu bestimmen, ein, indem er die affektive Verfaßtheit als Ort der die Person prägenden handlungsleitenden Gewißheit fokussiert. Die die Person tragende und ihre Identität entscheidend prägende Lebensgewißheit unterliegt nicht der Entschlußkraft ihres (freien) Willens, sondern ist „als eine unwillkürliche Bereitschaft in der Tiefe des Selbstgefühls der Person verwurzelt"30. Der Mensch wird „unwillkürlich, nämlich in der Tiefe des Gemüts und des affektiven Lebens, von der Güte eines bestimmten Zieles ergriffen und erfüllt" 31 . Wird so die das Personsein des Menschen konstituierende lebensbestimmende Gewißheit wesentlich als durch eine (affektive) Erfahrung gewirkte verstanden, so besteht die Aufgabe der aus der Perspektive des Glaubens entfalteten Anthropologie gerade in der Explikation der affektiven Strukturen der geschöpflichen Personalität. Gerade in seiner „Grundlegung der protestantischen Tugendlehre" beabsichtigt Stock, der Passivität des Menschen in der Weise Rechnung zu tragen, daß er „die dem Glauben eigentümliche Sicht des Affektiven" 32 expliziert und so „mit der geschöpflichen Verfassung der Emotion als eines unveräußerlichen Strukturmoments menschlichen Lebens radikal ernst macht" 33 . Aufgabe der aus der Perspektive des christlichen Glaubens entfalteten Anthropologie ist es daher nach Stock, einen Beitrag zu liefern zur Beschreibung der eigentümlichen Passivität des humanen Subjektes, welche für die lebensbestimmende Gewißheit als Konstituens geschöpflicher Personalität vorauszusetzen ist34. Die affektive Verfaßtheit geschöpflicher Personalität lehrt Stock begreifen, indem er die Erlebnisstruktur genauer expliziert: Das affektive Erleben wird als szenisches Erleben interpretiert35 und als bildhaftes

30 31 32 33 34 35

A. a. O., S. 1 3 4 . Ders., Die Konstitutionsbedingungen der Religionspädagogik, S. 41. Ders., Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, S. 2 7 . Ebd. Vgl. a. a. O., S. 3 2 . „Im Moment des Fühlens bestimmt uns [...] die Bewandtnis, die eine Szene für uns selbst hat. Diese Bewandtnis einer Szene für uns selbst ist uns im Gefühl erschlossen, und die besonderen und einzelnen Gefühle sind das verschieden intensive und verschieden differenzierte Inne-Sein oder Vertraut-Sein mit dieser uns selbst betreffenden Bewandtnis" (a. a. O., S. 4 3 ) . So werden durch das bedeutsame Erleben der Person Gefühle evoziert (a. a. O., S. 4 6 ) .

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Erleben entfaltet 36 : [D]ie genauere Betrachtung der Erlebnisgegenwart vermag zu zeigen: die Erinnerung an wirkliche Szenen hält nicht nur mit einer gewissen Unschärfe oder auch interessierter Verzerrung das symbolisierende oder organisierende Handeln in einem gegebenen Zeitpunkt als solches - und zwar in bildhafter Weise! - fest. In ihr ist vielmehr mit erstaunlicher Prägnanz der ,Eindruck' aufbewahrt, den eine wirkliche Szene auf uns gemacht hat. Indem die Erinnerung die Bewandtnis einer Szene festhält, bewahrt sie das Empfinden auf, das der Eindruck einer Szene in uns hervorgerufen hat: ja nähere Beobachtung kann lehren, daß [...] ein Totaleindruck eine bestimmte Art der Empfindung hervorhebt und der affektiven Erfahrung einer Person ihr unableitbares, ihr unplanbares Gepräge verleiht" 37 . Indem Stock die den Menschen konstituierende und seine Identität prägende Lebensgewißheit auf das bildhafte Erschlossenwerden der Wahrheit zurückführt und damit im affektiven Erleben der Person verankert, gelingt ihm der Aufweis, daß die menschliche Aktivität in der Passivität der Person verwurzelt ist38. So liegt nach Stock das fühlende Inder-Welt-Sein der reflexiven Selbstbestimmung zugrunde39, so daß er einen Begriff humaner Personalität entwickelt, „der das menschliche Leben kategorial als Einheit von Erleben und Handeln, von BestimmtWerden und freier Selbstbestimmung zu deuten erlaubt" 40 . Damit zeigt Stock, daß unsere aktiv-freien Handlungen (seien sie symbolisierender oder organisierender Natur) bestimmt werden durch eine der menschlichen Personstruktur eigentümliche Passivität, die Stock als ,,emotive[] Tiefenschicht unseres Selbst" 41 zu verstehen lehrt. So trägt Stock sowohl der Forderung Rechnung, die formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für eine der Bestimmung der Person widersprechende wie eine der Bestimmung der Person entspre-

36

37 38 39 40 41

Erleben wird von Stock als bildhaftes Erleben bestimmt und als Erleben eines inneren Bildes näher präzisiert (vgl. a. a. O., S. 95ff). Der Gegenstand der Gewißheit ist dem Selbstgefühl bildhaft gegenwärtig (vgl. a. a. O., S. 97). Stock weist so darauf hin, daß die bedeutsamen Eindrücke des szenischen Erlebens sich in der Form innerer Bilder zeigen (vgl. a. a. O., S. 98). „In der Anschauung dieses inneren Bildes ist die komplexe Bedeutung der Szene, die es repräsentiert, für das Erleben erschlossen" (a. a. O., S. 103). Insofern Stock den Wahrheitsbesitz als Gegenwart eines inneren Bildes im Selbstgefühl der Person beschreibt (a. a. Ο., S. 118), zeigt er, daß die Wahrheit selbst bildhaft erschlossen ist. Vgl. a. a. O., S. 39f. Vgl. bes. a. a. O., S. 5 5 . Vgl. a. a. O., S. 1 3 8 ; vgl. auch ders., Die Liebe und ihr Zeichen, S. 73ff. Ders., Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, S. 160f. Ders., Die Achtung des Tieres und die Selbstachtung des Menschen, S. 8 1 2 .

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chende ontische-existentielle Verwirklichung der menschlichen Existenz zu formulieren, indem er das Angelegtsein auf eine existenzbestimmende handlungsleitende Gewißheit als die (unverlierbare) Struktur humaner Personalität begreift, die als solche die Möglichkeitsbedingung für eine der Bestimmung der Person widersprechende (trügerische) Gewißheit wie für die der Bestimmung der Person entsprechende (wahre) Gewißheit ist, als auch der Aussage der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre, daß der Mensch in reiner Passivität durch Gottes alleinige actio seiner Bestimmung entgegengebracht wird. Und damit trägt er der Aufgabe der theologischen Anthropologie, die Passivität als Strukturmoment humaner Personalität zu begreifen, Rechnung, indem er zeigt, daß die existenzbestimmende handlungsleitende Gewißheit eine affektiv erlebte Gewißheit ist, insofern sie auf einer affektiven Erfahrung beruht und in der emotiven Tiefenschicht der Person wurzelt. Somit ist das Personzentrum - der Ort der den Menschen prägenden Lebensgewißheit - affektiv verfaßt. Die menschliche Aktivität wurzelt in fundamentaler Passivität, die aktiv freien Handlungen der Person werden bestimmt durch die je individuelle Lebensgewißheit der Person, die im Gefühl der Person, d. h. in der Passivität der Person, verwurzelt ist. Ist so die Person aufgrund ihrer personalen Verfaßtheit darauf angewiesen, daß ihr das Objekt ihres vorreflexiven Intendierens, ihrer existenzbestimmenden Gewißheit, in einer affektiven Erfahrung erschlossen wird, d. h. ist die Person somit aufgrund ihrer personalen Verfaßtheit - offen, in Passivität einer Gewißheit versichert zu werden, so vermag die theologische Anthropologie zu zeigen, warum die Person offen ist für das alleinige Gnadenhandeln Gottes. Gottes Aktivität hat ihren Ort in der Passivität des Menschen, d. h. Gottes Aktivität hat ihren Ort in der Prägung der die Person konstituierenden sittlichen Gewißheit, insofern der Geist Gottes in einer affektiven Erfahrung die Wahrheit des Kreuzes erschließt. Gerade hierin liegt auch eine Aufgabe der apologetisch-eristischen Verifikation des im christlichen Glauben implizierten Bildes des Menschen: Die Erfahrungen und Phänomene des Daseins gilt es zu erhellen, indem auf die Passivität menschlichen Seins aufmerksam gemacht wird. Es gilt somit nicht nur zu zeigen, daß jedes menschliche Leben bestimmt ist von einer bestimmten Prägung der handlungsleitenden Gewißheit, sondern daß alle menschlichen Handlungsvollzüge, seien sie symbolisierender oder organisierender Natur, Ausdruck einer Lebensgewißheit sind, die die Person sich nicht freiwillentlich erschlossen hat, sondern die sie einer affektiven Erfahrung verdankt.

Reformulierung des Konzeptes Brunners

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4. Problemhorizont Die Auseinandersetzung mit Brunner hat einerseits weiterführende Ergebisse zutage gefördert, andererseits aber auch offene Probleme nicht zu lösen vermocht 42 : (1) Vor allem zwei Ergebnisse unserer Auseinandersetzung mit Brunner gilt es festzuhalten: (a) Brunners Vorschlag, die Apologetik als Verteidigung der christlichen Deutung des Daseins auf dem Felde der Anthropologie zu vollziehen, weil die Auseinandersetzungen mit den dem christlichen Glauben widersprechenden Deutungen des Daseins sich gerade an der Frage nach dem Wesen des Menschen entzünden. (b) Lautete unsere Frage, wie aus theologischer Perspektive die Strukturen des Daseins zu beschreiben sind, so haben wir in der Auseinandersetzung mit Brunner eine dem Glauben angemessene Beschreibung der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden - Strukturen des Daseins (auf dem Gebiet der Anthropologie) zu unternehmen versucht. (2) Offen hingegen bleiben unsere Fragen hinsichtlich des Gesetzes und des Versöhnungshandeln Gottes. (a) Das Gesetz als Charakteristikum der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit wird in Brunners apologetischem Programm ausgeblendet. Unsere Frage, wie das Gesetz anders als ein tragisches Element der Wirklichkeit zur Sprache gebracht werden kann (gegen Eiert), indem es nämlich als Negation der Sünde verstanden wird, bleibt somit durch Brunner unbeantwortet. Es gilt daher zu fragen, ob Brunners Einsicht, die Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie zu vollziehen, in dieser Frage weiterhilft. (b) Unsere Frage, ob Gottes versöhnendes Handeln in Christus aus der Apologetik zu verabschieden ist, wird von Brunner dahingehend negativ beantwortet, daß er das versöhnende Handeln Gottes nicht als Teil der theologischen Anthropologie versteht (s.u. Teil 2: Kap. III.C.3.1). Kann dies aber so behauptet werden, wenn die formal-ontologische Struktur gerade als Möglichkeitsbedingung für Gottes Gnadenwirken am Menschen verstanden wird? (c) Schließlich blieb auch die Frage unbeantwortet, ob die theologische Apologetik angesichts der Verborgenheit Gottes in einer solchen Weise verstummen muß, daß alles, was sie positv zu sagen versuchte, von diesem Schweigen umfangen ist?

42

Ich greife hier zurück auf den Problemhorizont von Teil 2: Kap. II.D.2.4.

C Fazit und Ausblick: Apologetik auf dem Felde der Anthropologie? 0. Vorbemerkung Darf das apologetische Verfahren nicht auf Prämissen beruhen, die dem Selbstzeugnis des Glaubens widersprechen, positiv ausgedrückt: muß das apologetische Verfahren dem Selbstzeugnis des Glaubens entsprechen, so zeigte sich, daß sich aus einer differenzierten - den theologischen Fundamentalunterscheidungen Rechnung tragenden - Bestimmung des Handelns Gottes für das apologetische Verfahren die Konsequenz ergibt, die Unterscheidung zwischen Gottes Heilsgegenwart und seiner Weltgegenwart 1 und die Unterscheidung zwischen Gottes Weltgegenwart und dem natürlichen Erkennen der Weltgegenwart Gottes 2 ebenso ernst zu nehmen wie die Einsicht, daß Gottes Schöpfung und Gesetz Strukturen der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit bezeichnen und daher Gegenstand der menschlichen Welterfahrung sind 3 . Von hier aus zeigte sich, daß die Aufgabe der theologischen Apologetik darin besteht, die Strukturen der Wirklichkeit in einer solchen Weise zu explizieren, daß sie die existentiellen Erfahrungen und Phänomene der Wirklichkeit zu deuten helfen 4 . Die die theologische Apologetik kennzeichnende Fragestellung ist daher, was die im christlichen Glauben implizierte Sicht der Wirklichkeit für die Deutung der existentiellen Erfahrungen zu leisten vermag und zwar diejenige Deutung der Wirklichkeit, die die Wirklichkeit durch Gottes schöpferisches und sein gesetzgebendes Handeln gekennzeichnet sieht.

1. Apologetik auf dem Boden der Anthropologie (0) Als Ort der Apologetik empfiehlt Brunner die Anthropologie, so daß die Aufgabe der Apologetik, die existentiellen Erfahrungen und Phäno1 2 3 4

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Teil Teil Teil Teil

2: 2: 2: 2:

Kap. Kap. Kap. Kap.

II.D.2.1. II.D.2.2. II.D.2.3. II.D.2.3.

Fazit und Ausblick

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mene der Wirklichkeit zu deuten, auf dem Boden der Anthropologie zu vollziehen ist. Diese Ortsanweisung der Apologetik ist tragfähig: (1) Gerade Pannenberg hat die Notwendigkeit, die Apologetik auf den Boden der Anthropologie zu vollziehen, aufgezeigt: Die Theologie verlangt nach Pannenberg aus dem Grunde nach der Anthropologie, da die neuzeitliche Theologiegeschichte gerade dadurch gekennzeichnet ist, „daß die Grundlegung der Theologie immer stärker auf das Verständnis des Menschen verlagert worden ist" 5 . Dieser, in der Neuzeit stattfindenden, „Anthropologisierung der Gottesidee" 6 entspricht nach Pannenberg die Bestreitung des Gottglaubens insofern, als auch sie auf dem Boden der Anthropologie vollzogen wird 7 . Es bedarf daher nach Pannenberg der Auseinandersetzung mit der atheistischen Religionskritik auf dem Felde der Anthropologie 8 , so d a ß die Verteidigung der Wahrheit des christlichen Glaubens sich „auf dem Boden der Deutung des Menschseins" 9 vollziehen muß: Durch die „Anthropologisierung der Gottesidee und die entsprechende anthropologische Konzentration ihrer atheistischen Bestreitung" 1 0 , stellt sich für Pannenberg die Anthropologie daher dar als „Kampfplatz, auf dem die Theologie die Gültigkeit ihrer universalen Ansprüche darlegen muß" 1 1 . (2) Dabei hat gerade Bultmann gezeigt, daß die Anthropologie die dem christlichen Glauben angemessene Form darstellt, den Glauben zur Sprache zu bringen. So gilt nach Bultmann gerade für die paulinische Theologie, daß sie „kein spekulatives System" 12 ist, da sie „[nicht] von Gott [...] in seinem Wesen an sich [handelt], sondern nur so, wie er für den Menschen, seine Verantwortung und sein Heil, bedeutsam ist. Entsprechend handelt sie nicht von der Welt und vom Menschen, wie sie an sich sind, sondern sie sieht Welt und Mensch stets in der Beziehung zu Gott. Jeder Satz über Gott ist zugleich ein Satz über den Menschen und um-

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6 7

8 9 10 11 12

Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, S. 11; vgl. ders., Wissenschaftstheorie und Theologie, S. 303f. Ders., Anthropologie und Gottesfrage, S.20. Vgl. ders., Anthropologie in theologischer Perspektive; ders., Anthropologie und Gottesfrage, S. 15ff. So erinnert Pannenberg daran, daß der moderne Atheismus seit Feuerbach insofern anthropologisch argumentiere, als er behaupte, daß der Gottesgedanke kein notwendig zum wachen Vollzug menschlicher Existenz gehöriger Gedanke sei (vgl. a. a. O., S. 16). Vgl. a. a. O., 16. Ders., Anthropologie in theologischer Perspektive, S. 15. Ders., Anthropologie und Gottesfrage, S. 20. Schwöbel, Pannenberg, S. 247. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 191.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

gekehrt. [...] Da das Verhältnis Gottes zu Welt und Mensch von Paulus aber nicht als die Relation kosmischer Größen gesehen wird, die in dem Spiel eines ewig gleichen Rhythmus schwingenden kosmischen Geschehens besteht, sondern als hergestellt durch das Handeln Gottes in der Geschichte und durch die Reaktion des Menschen auf Gottes Tun, so redet jeder Satz über Gott von dem, was er am Menschen tut und vom Menschen fordert, und entsprechend umgekehrt jeder Satz über den Menschen von Gottes Tat und Forderung bzw. von dem Menschen, wie er durch die göttliche Tat und Forderung und sein Verhalten zu ihnen qualifiziert ist" 1 3 . Bringt so die Schöpfung Gottes Dasein gewährendes Handeln (sowohl sündiges - unter dem Gesetz Gottes stehendes - Dasein als auch ein gerechtfertigtes - unter dem Freispruch des Evangelium stehendes Dasein) am Menschen zum Ausdruck, so das Gesetz das den sündigen Menschen verurteilende Handeln, Gottes erlösendes Handeln hingegen den Freispruch des sündigen Menschen. (3) Hat die Apologetik sich auf dem Boden der Anthropologie zu vollziehen, so haben wir ihre Aufgabe darin bestimmt zu zeigen, daß das christliche Verständnis vom Menschen Phänomene und Erfahrungen menschlichen Lebens und Interagierens zu deuten hilft. Der geeignete Rahmen der theologischen Apologetik ist der gesamtgesellschaftliche Diskurs über das wünschenswerte und zu beklagende Handeln der Glieder der Gesellschaft. Gegen die vorherrschende, jedoch oberflächliche und darum nicht aussichtsreiche, Tendenz, den Diskurs über das sittliche Handeln auf der Ebene moralischer Appelle und bloßer Feststellungen, was wünschenswert ist und was nicht, zu führen, hat die theologische Apologetik den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über das wünschenswerte und zu beklagende Handeln der Glieder der Gesellschaft in die richtige Bahn zu leiten, indem sie die öffentliche Diskussion dazu anregt, sich über die Konstitution der sittlichen Handlungsfähigkeit der Person auszutauschen 14 . Der Ort, die Konstitution der Handlungsfähigkeit des Menschen zu erörtern, ist die Anthropologie, die „Conditio humana" (H. Plessner). Daher ist allererst das Forum zu schaffen, in dem über die Konstitution sittlicher Handlungsfähigkeit diskutiert wird, indem über die individuell verschiedenen Auffassungen vom Wesen des

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A. a. O . , S. 1 9 1 f . Keinesfalls kann es Aufgabe der theologischen Apologetik sein, sich in die Bekundung der moralischen Betroffenheit einzureihen - den moralischen Appell etwa mit den Hinweisen auf die Bergpredigt oder - ebenfalls zur Zeit en vogue - auf das Heiligkeitsgesetz einen religiösen Status zu verleihen.

Fazit und Ausblick

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Menschen (in produktivem Sinne) gestritten wird. In einem solchen Forum ist überhaupt erst die Gelegenheit geboten, die christliche Sicht des Menschen darzulegen und ihre erhellende Bedeutung für Erfahrungen und Phänomene menschlichen Interagierens zu entfalten. (4) Ist die die theologische Apologetik kennzeichnende Fragestellung, was die im christlichen Glauben implizierte Sicht der Wirklichkeit für die Deutung der existentiellen Erfahrungen zu leisten vermag und zwar diejenige Deutung der Wirklichkeit, die die Wirklichkeit durch Gottes schöpferisches und sein gesetzgebendes Handeln gekennzeichnet sieht, so gilt es zu fragen, was dies für eine sich auf dem Boden der Anthropologie vollziehende Apologetik für Konsequenzen hat. Dies gilt es im folgenden in Auseinandersetzung mit Brunner zu fragen. Unsere bisherigen Ergebnisse gilt es dabei zu integrieren.

2. Apologetik als Erweis der erhellenden Kraft des christlichen Glaubens In unserer Auseinandersetzung mit Brunner haben wir zunächst die auch für eine sich auf dem Gebiet der Anthropologie vollziehende Apologetik geltende - Aufgabe der theologischen Apologetik bestätigt, die allgemein-menschlichen (natürlichen) Erfahrungen und Phänomene des existentiellen Daseins zu deuten. Daneben haben wir auch die Grundlinien einer Plausibilisierung der (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden) Strukturen des Daseins auf dem Gebiet der Anthropologie zu entwickeln versucht 15 . Im folgenden gilt es nicht nur dies Ergebnis darzustellen (2.1), sondern es bleibt auch (ausblickartig) zu fragen, inwiefern der Vollzug der Apologetik auf dem Felde der Anthropologie in der Frage weiterhilft, das Gesetz zur Sprache zu bringen (2.2). Desweiteren gilt zu fragen, ob Gottes erlösendes Handeln kein Teil der apologetischen Aufgabe ist, insofern die Apologetik gerade versucht, die allgemein-menschlichen Erfahrungen und Phänomene existentiellen Daseins zu deuten. Und schließlich - mit der letzten Frage zusammenhängend: Vermag die theologische Apologetik vor den existentiellen Erfahrungen und Phänomenen der Verborgenheit Gottes nur zu verstummen (2.3)?

15

Vgl. Teil 2: Kap. III.B.3.1; Kap. III.B.3.2.

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie 2.1 Die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende formal-ontologische Struktur humaner Personalität

(0) In Auseinandersetzung mit Brunners Bestimmung der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität haben wir den Menschen als ein Wesen bestimmt, das durch eine (bestimmte inhaltliche Prägung der) Selbstgewißheit konsituiert ist, die sich einer affektiven und daher unverfügbaren Erfahrung verdankt, so daß die Plausibilisierung des im christlichen Glauben implizierten Verständnisses humaner Personalität gerade zeigen muß, daß jedwedes menschliches Leben bestimmt ist von einer bestimmten Prägung der handlungsleitenden Gewißheit und daß alle menschlichen Lebensvollzüge, seien sie symbolisierender oder organisierender Natur, Ausdruck einer solchen Lebensgewißheit sind, zu der die Person sich nicht freiwillentlich entschlossen hat, sondern die sie einer affektiven Erfahrung verdankt. Damit ist ein wesentlicher Gegenstand der Apologetik der Aufweis, daß es für den Menschen wesentlich ist, d. h. zur Verfassung seiner personalen Existenz gehört, „daß alle denkbaren bestimmten Gestalten seines jeweiligen individuellen Personseins ihren konkreten Charakter gewinnen durch seine grundlegende Gewißheitserfahrung" 16 . (1) Aufgabe der Apologetik ist es daher gerade zu erweisen, daß das menschliche Leben und Handeln im Horizont einer den Menschen tragenden Gewißheit geschieht, d. h. geprägt ist von einer je individuellen Bestimmung des Lebenssinnes, insofern die einzelnen Handlungsvollzüge der Person koordiniert werden durch das, was der Person als schlechthinniges Gutes gewiß ist (mit anderen Worten: durch die inhaltliche Prägung ihrer Lebensgewißheit). Die theologische Apologetik hat je unterschiedliche Lebensführung und je unterschiedliches Handeln verständlich zu machen, indem sie sie zu verstehen lehrt als Ausdruck einer je individuellen Lebensgewißheit. Somit ist es der theologischen Apologetik zur Aufgabe gemacht, die exzentrische Struktur humaner Personalität zu erweisen, d. h. den Nachweis zu führen, daß menschliches Leben ein „Auf-Etwas-gerichtetes-Leben" ist. Zeigte sich, daß die theologische Apologetik als Aufgabe zu begreifen ist, existentielle Erfahrungen und Phänomene verstehen zu helfen, indem sie diese zu deuten anleitet, so gilt es zu zeigen, daß die existentiellen Erfahrungen und Phänomene des menschlichen Lebens gerade dann angemessen gedeutet werden können, wenn sie als Ausdruck einer je individuellen Lebensgewißheit begriffen werden. 16

H e r m s , Luthers Auslegung des dritten Artikels, S. 66.

Fazit und Ausblick

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Darin liegt m. E. auch die Bedeutung der theologischen Apologetik für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs über das wünschenswerte und beklagenswerte Handeln der Glieder der Gesellschaft: Die theologische Apologetik hat diesen Diskurs nicht nur dazu anzuleiten, im Rahmen anthropologischer Orientierung sich als Diskussion über die Konstitution der sittlichen Handlungsfähigkeiten zu gestalten, sondern sie hat durch ihre Sicht vom Menschen zu zeigen, daß die einzelnen Handlungen Ausdruck einer je individuellen Prägung der Lebensgewißheit sind und deshalb die Diskussion als Diskussion über die jeweilig vorherrschende Lebensgewißheit zu gestalten ist 17 . Dann aber muß sie zeigen, daß der gesamtgesellschaftliche Diskurs, insofern er sich auf der Ebene bloßer moralischer Apelle bewegt, zu kurz greift. (2) Zum anderen ist gerade zu zeigen, daß die jeweilige Gewißheit nicht in die freiwillige Wahl des Menschen gestellt ist, sondern Ausdruck einer affektiven - und daher unverfügbaren - Erfahrung ist. Daß die jeweilige Gestalt der Gewißheit Ausdruck des vorwillentlichen Intendierens der Person ist, tritt gerade in dem Sachverhalt zutage, daß der Person die sie tragende und ihre Handlungsvollzüge koordinierende Gewißheit in den meisten Fällen gar nicht bewußt ist. Diese Bewußtmachung ist Teil der apologetischen Aufgabe, d. h. Aufgabe der theologischen Apologetik ist es, die unterschiedlichen Formen der Gewißheiten sprachlich zu artikulieren als das, was sie sind: vorwillentliche - und daher häufig unbewußte - Motivationen des sittlichen Handelns. Gerade hier liegt somit eine Aufgabe der Apologetik, die auch seelsorgerliche Tragweite besitzt: die verschiedenen Handlungen der Person verstehbar zu machen, indem die diese Handlungen koordinierende Gewißheit freigelegt wird. (3) Zeigte sich, daß die Explikation der Ontologie der Person eine genuin theologische Aufgabe ist, so ist damit keinesfalls einer Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaften gewehrt. Zu denken sei etwa an eine Auseinandersetzung mit Viktor E. Frankls Theorie der Sinnbedürftigkeit 17

Anders als Herms, der die Apologetik nur dort möglich sieht, „ w o das Bedürfnis und der Wille zur sprachlichen Kommunikation von Lebenssinn herrschen" (ders., Mit dem Rücken an der Wand?, S. 491), gilt es zu betonen, daß der Nachweis des Angelegtseins der Person auf eine handlungsleitende Gewißheit bereits eine apologetische Aufgabe ist. Die theologische Apologetik hat daher auch nicht auf die „Gelegenheiten und Situationen" zu warten, in denen die sprachliche Kommunikation von Lebenssinn herrschen (so Herms, a. a. O, S. 493), sondern sie hat dieses Diskussionsforum zu eröffnen, indem sie gerade ihre Sicht der personalen Existenz namhaft macht, die den Menschen als ein auf Lebensgewißheit angelegtes Wesen versteht. Dies gilt es gegenüber anderen Sichtweisen der personalen Existenz allererst zu bewähren.

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Apologetik auf dem Gebiet der A n t h r o p o l o g i e

des Menschen 1 8 oder an eine Diskussion mit Sigmund Freuds Theorie des Unbewußten 1 9 im Zusammenhang der Explikation der Passivität menschlichen Daseins. Entscheidend aber ist, daß es dabei nicht darum gehen kann, philosophische oder psychoanalytisch motivierte Theorien einfach zu integrieren. Vielmehr ist die christliche Sicht humaner Personalität mit den anderen Sichtweisen in ein kontroverses Gespräch zu bringen. Die theologische Apologetik kann aber ihre Sichtweise humaner Personalität nicht einfach anderen Sichtweisen entgegensetzen, sondern sie hat zu zeigen, daß ihre Sichtweise die den menschlichen Erfahrungen und Phänomenen angemessene Sicht ist, d. h. eine solche Sicht, die die menschlichen Erfahrungen und Phänomene zu deuten erlaubt. (4) Nun ist vorausgesetzt, daß es nicht Ziel der theologischen Apologetik sein kann zu zeigen, daß die formal-ontologische Struktur humaner Personalität in Gottes schöpferischem Handeln gründet. Doch darf nicht übersehen werden, daß die theologische Apologetik in ihrem Versuch, ihr Verständnis der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität zu plausibilisieren, die Perspektive nicht verschweigt, aus der diese Sicht des Menschen entstammt.

2 . 2 Die Konfrontation des sündigen Menschen mit Gottes Gesetz (0) Welche Hilfe bietet die Ortsanweisung der Apologetik in der Anthropologie hinsichtlich der Frage nach dem apologetisch motivierten ZurSprache-Bringen des Gesetzes? (1) Den (sündigen) Widerspruch des Menschen bestimmt Brunner als Widerspruch gegen die formal-ontologische Struktur des Menschen. Damit allerdings - so zeigte sich - ist die formal-ontologische Struktur bei Brunner nicht als Möglichkeitsbedingung auch des der Bestimmung des Menschen widersprechenden Lebens (Sünde) zur Geltung gebracht. Gerade weil Brunner den sündigen Widerspruch des Menschen nicht zu fassen mag als einen Widerspruch unter den Bedingungen humaner Personalität, verkennt Brunner, daß die Bewahrheitung des Sünderseins des Menschen nicht zu erreichen ist durch die Bewahrheitung der formal-

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Eine kritische Auseinandersetzung mit der Existenzanalyse und Personstheorie Viktor E. Frankls habe ich versucht in: „Bundesgenosse" des christlichen Glaubens? Das Anliegen der theologischen Auseinandersetzung mit Freuds Theorie des Unbewußten habe ich zu zeigen versucht in: Oskar Pfister - der Beginn einer problematischen Freud-Rezeption innerhalb der Theologie, S. 40ff.

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ontologischen Struktur humaner Personalität - ist diese doch gerade die Möglichkeitsbedingung auch für die sündige Existenz! Widersprochen wird der sündigen Existenz somit nicht durch die formal-ontologische Struktur geschöpflicher Personalität, sondern durch das Gesetz Gottes, insofern das Gesetz Gottes gegenüber der Verfehlung der menschlichen Bestimmung Gottes Anspruch auf den Menschen aufrecht erhält, indem Gott im Gesetz den Widerspruch des Menschen gegen ihn in der Sünde verklagt und verurteilt und den sündigen Menschen dem Tod überantwortet. Damit verkennt Brunner die zu unterscheidenden Aufgabenbereiche der Apologetik: die Bewahrheitung der auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden formal-ontologischen Struktur geschöpflicher Personalität im Unterschied zur Bewahrheitung der natürlichen Existenz des Menschen als einer unter den Bedingungen der humanen Personalität möglichen, der Bestimmung der Person widersprechenden und daher von Gott im Gesetz widersprochenen und verurteilten Existenz. Ist menschliches Leben durch die auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende formal-ontologische Struktur humaner Personalität ermöglicht und daher von Gottes schöpferischem Handeln her zu verstehen, so ist die menschliche Existenz unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung nur zu begreifen als eine Existenz, die sich in der Gesetzeswirklichkeit vollzieht, insofern Gott dem Widerspruch zu ihm in der Sünde in seinem Gesetz widerspricht. (2) Diesem Sachverhalt hat vor allem Eiert Rechnung getragen: Die Gesamtlage des Menschen unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung (in der Sprache Elerts: des Menschen unter der Verborgenheit Gottes), ist entscheidend bestimmt durch das anklagende und verurteilende Gesetz! Elerts apologetische Bemühungen - so zeigte sich - sind daher darauf gerichtet, den Menschen mit der Todesordnung des Daseins zu konfrontieren, d. h. Eiert bemüht sich, die existentiellen Erfahrungen mit der Todesordnung des Gesetzes freizulegen, indem er gerade den sublimen Versuch des Menschen zu entlarven unternimmt, der Begegnung mit dem todbringenden Schicksal zu entfliehen. Nun zeigten sich aber sowohl gegen Elerts Verständnis des Gesetzes als auch gegen seine Bemühungen, die Todesordnung des Gesetzes einsichtig zu machen, zwei eng miteinander zusammenhängende Einwände: Zum einen scheint Eiert bei seinem Versuch, das Gesetz als entscheidendes Charakteristikum der geschöpflichen Wirklichkeit zur Sprache zu bringen, der Welt als Schöpfung Gottes nicht in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen. Gegen Eiert galt es zu betonen, daß das Gesetz zwar ein entscheidendes Charakteristikum der geschöpflichen Wirklichkeit ist, daß aber zur Geltung zu bringen ist, daß das Gesetz im Raum der

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

Schöpfung Gottes erklingt. Von daher wurde betont, daß es entschieden zu problematisieren ist, daß Eiert zwischen der Schöpfung und dem Gesetz nicht angemessen differenziert, zwischen Gottes Schöpfung, die zwar das Gesetz ermöglicht, aber mit ihm nicht zu identifizieren ist. Zum anderen blendet Eiert im Gespräch mit dem Gegenwartsmenschen jeden Bezug des Todes und der Verzweiflung auf die menschliche Sünde aus. Gerade damit aber - so erkannten wir - ist die Pointe des christlichen Verständnisses des den Menschen dem (ewigen) Tod überantwortenden Gesetzes in keiner Weise zur Geltung gebracht: der - im Gesetz enthaltene - T o d als das Urteil über die menschliche Sünde. Aus der Perspektive des Glaubens ist die Todesordnung des Gesetzes keine der Schöpfung selbst inhärente Struktur, kein unabänderliches in die Schöpfung selbst eingegründetes Fatum, sondern hat ihre Ursache in der menschlichen Sünde! So zeigte sich in der Auseinandersetzung mit Eiert ein doppelter Sachverhalt: Die Rede vom Gesetz Gottes verlangt die Unterscheidung zwischen den Strukturen der Schöpfung und der menschlichen Sünde als Ursache für das anklagende und verurteilende Gesetz. Ist so gegen Brunner zu betonen, daß die sündhafte Existenz menschlichen Daseins nicht zu artikulieren ist ohne Bezug auf das Gesetz Gottes, so muß gegen Eiert betont werden, daß das Gesetz Gottes nicht zu artikulieren ist ohne Bezug auf die sündhafte Existenz. Gerade dies schärft auch die Ortsbestimmung der Apologetik auf dem Boden der Anthropologie ein, insofern dem Gesetz in anthropologischer Dimension die Sünde korreliert. (3) Zeigte sich, daß die (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhende) formal-ontologische Struktur humaner Personalität als Möglichkeitsbedingung für jede Gestalt menschlichen Lebens zur Sprache zu bringen ist, so ist die sündhafte Existenz als eine solche Gestalt des menschlichen Lebens zur Darstellung zu bringen, die an der (im Gesetz Gottes begründeten) Todverfallenheit des Daseins scheitert 20 . Haben wir die Aufgabe der Apologetik darin ermittelt, die Phänomene und Erfahrungen menschlichen Lebens zu deuten, so heißt dies nicht nur, das „Ausgerichtet-SeinAuf" des Menschen (die Exzentrizität der Person) und die fundamentale Passivität des Menschen zu erschließen (indem gerade gezeigt wird, daß diese Sicht der formal-ontologischen Struktur humaner Personalität die Phänomene und Erfahrungen menschlichen Lebens zu deuten hilft), sondern auch, Phänomene und Erfahrungen des menschlichen Lebens und

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Dies habe ich - in freilich stark vereinfachender und thetischer Weise - in Auseinandersetzung mit Woody Allens Verständnis des Daseins zu zeigen versucht in: Woody Allen - unter dem Gesetz Gottes?

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Interagierens zu deuten als Ausdruck des Scheiterns an einer geschöpflichen Wirklichkeit, die den Tod für den Menschen bereit hält. Anders ausgedrückt: Es ist nicht nur zu zeigen, daß menschliches Leben angewiesen ist auf eine existenzbestimmende Gewißheit, sondern auch, daß die faktischen (natürlichen) Lebensgewißheiten an der Todverfallenheit des Daseins scheitern und gerade dieses Scheitern in existentiellen Phänomenen und Erfahrungen des Daseins hervortritt. (4) Aufgabe der Apologetik ist es somit, auch existentielle Erfahrungen und Phänomene zu deuten als Ausdruck des Scheiterns der unterschiedlichen (natürlichen) Lebensgewißheiten an der Faktizität des Daseins und sie dadurch verstehbar zu machen. Die destruierenden Kräfte im menschlichen Leben gilt es zu deuten als Auswirkungen der Tatsache, daß die unterschiedlichen Objekte des natürlichen Vertrauens der Macht des Todes nicht standzuhalten vermögen. Die Apologetik hat somit eine genaue Erörterung dieser unterschiedlichen Ausdrucksformen des menschlichen Scheiterns zu leisten und sie als ebensolche verstehbar zu machen. So drückt sich bspw. das Gewahrwerden des unvermeidlichen Endes und Abbruchs des existentiellen Daseins aus in einer dämonischen Lebensangst. Gerade in den zwischenmenschlichen Mechanismen der Unterwerfung anderer wirkt sich diese Lebensangst aus, in dem Versuch, die eigene Lebensangst durch Übertragung zu kompensieren. Aber auch in den Versuchen der Anpassung und eigenen Unterwerfung zeigen sich sublime Versuche, die eigene Angst zu überwinden. Schließlich auch in dem Versuch, sich durch das existentielle Dasein nicht betreffen zu lassen. Gerade diese Mechanismen gilt es zu deuten als Auswirkungen der menschlichen Angst, die eine Erscheinungsweise des Scheiterns der natürlichen Lebensgewißheit an der Faktizität (der Todverfallenheit) des Daseins ist, insofern diese an der Radikalität des Todes zerbricht, weil sie keine Hoffnung über den Tod hinaus zu geben vermag. Dieses Scheitern kann aber auch als Selbstverachtung und Scham in Erscheinung treten, insofern die unterschiedlichen Formen der natürlichen Lebensgewißheit, insofern sie auf die eigene Macht, die eigenen Leistungen und die eigene Schönheit vertrauen, gerade angesichts des Todes zerbrechen und so zur Verachtung des eigenen Selbst führen. Auch diese Selbstverachtung und Scham wirken sich in destruierender Weise auf das menschliche Zusammenleben aus, insofern die eigene Selbstverachtung in sublimen Versuchen kompensiert wird, den anderen zur eigenen Erhöhung herabzusetzen und zu degradieren. Auch diese Mechanismen gilt es zu deuten als Auswirkungen der menschlichen Selbstverachtung, die eine Erscheinungsweise des Scheiterns an der Faktizität des Daseins ist.

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Die Aufgabe der theologischen Apologetik besteht daher gerade darin, die unterschiedlichen Erscheinungsweisen des menschlichen Scheiterns der (natürlichen) Lebensgewißheit an der Faktizität des Daseins zu erörtern und die destruierenden Kräfte als Ausdrucksformen dieser Erscheinungsweisen des Scheiterns zu deuten und damit verstehbar zu machen als das, was sie sind. Es gilt zu zeigen, daß die unterschiedlichen Formen der Lebensgewißheit an der Faktizität der geschöpflichen Wirklichkeit scheitern, weil sie gerade keine Hoffnung über den Tod hinaus zu gewähren vermögen: Die unterschiedlichen Erscheinungsweisen dieses Scheiterns gilt es namhaft zu machen und die destruierenden Kräfte im menschlichen Leben und Interagieren als Auswirkungen dieser Erscheinungsweisen des Scheiterns zu deuten und verstehbar zu machen. (5) Tillichs bekanntes Diktum, daß jede ernsthafte Auseinandersetzung „mit der Situation des Menschen und seiner Welt in der Entfremdung" als Beschreibung des alten Äons ein „natürlicher Bundesgenosse des Christentums" 2 1 ist, ist daher modifiziert aufzunehmen, insofern die theologische Apologetik die Aufgabe hat, die hier beschriebenen Erfahrungen und Phänomene des existentiellen Daseins zu deuten. Sie erweist ihre Kraft gerade darin, daß sie eine solche Deutung der existentiellen Phänomene und Erfahrungen des Daseins anbietet, die - besser als andere (säkulare) Deutungen - die Erfahrungen und Phänomene verstehbar macht. Sie hat damit nicht einfach von der Angst, der menschlichen Scham und der Selbstverachtung zu sprechen, sondern sie hat diese zu erschließen, indem sie deren Auswirkungen als eben deren Auswirkungen und diese selbst als verschiedene Erscheinungsweisen des Scheiterns der Lebensgewißheit an der Faktizität des Daseins zu deuten anleitet.

2.3 Verzicht auf eine Bewahrheitung des Christusgeschehens? (0) Haben wir die Aufgabe der Apologetik - in einer Unterscheidung zwischen Welterfahrung und Heilserfahrung - darin bestimmt die (allgemeinen) Erfahrungen und Phänomene der geschöpflichen Wirklichkeit zu deuten (d. h. die Erfahrungen mit Gottes Gesetz und Gottes Schöpfung als Gegenstand der allgemein-menschlichen Wirklichkeitserfahrung), so fragt sich, ob hiermit die Heilserfahrung aus der Apologetik gänzlich ausgeklammert ist. Dies gilt auch für eine sich auf dem Boden der Anthropologie vollziehende Apologetik, insofern die Erfahrung des Gerechtfertigtseins keine allgemein-menschliche Erfahrung ist, die es zu deuten

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ST II, S. 33.

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gilt. Konkret formuliert: Hat die theologische Apologetik nur die Aufgabe, das Angelegtsein des menschlichen Existierens auf eine existenzbestimmende Gewißheit darzulegen und die Brüchigkeit der unterschiedlichen säkularen Gewißheiten darzulegen, indem sie auf die destruierenden Kräfte als deren Auswirkung verweist, oder hat sie auch ein Angebot zu unterbreiten, diese destruierenden Kräfte zu überwinden, indem sie die christliche Gewißheit darlegt als eine solche Form der Gewißheit, die Hoffnung über den Tod hinaus bereitet und daher die destruierenden Kräfte zu überwinden vermag? (1) Gegenstand der apologetisch-eristischen Verifikation ist nach Brunner gerade das schöpferisch-erhaltende Handeln Gottes, das auch der sündhaft entfremdeten Welt - als Strukturprinzip der Schöpfung - zugrunde liegt, somit auch unter den Bedingungen der sündhaften Entfremdung erkennbar ist, wenn es auch faktisch verkannt wird. Darin - so zeigte sich - unterscheidet sich nach Brunner gerade Gottes schöpferisches Handeln von seinem Heilshandeln in Christus, das als ein geschichtlichkontingentes Ereignis gerade kein allgemeines Strukturprinzip der geschöpflichen Wirklichkeit und daher nicht Gegenstand der allgemeinmenschlichen (natürlichen) Erfahrung ist. Das Christusgeschehen selbst ist daher bei Brunner von der apologetisch eristischen Verifikation ausgeschlossen. Dies wird besonders deutlich in Brunners Ausführung seines apologetischen Programms in seiner Anthropologie „Der Mensch im Widerspruch". Thema des Buches - so Brunner - ist „der wirkliche Mensch, und das heißt der Mensch im Widerspruch von Schöpfung und Sünde" 22 . Zwar - so gesteht Brunner ein - ist vom Menschen „noch vieles zu sagen: von der Versöhnung, von der Wiederherstellung, von der Vollendung" 2 3 , doch ist das „nicht mehr Lehre vom Menschen, sondern Lehre von Jesus Christus und seinem versöhnenden und erlösenden Werk" 2 4 . Lediglich im Abschluß handelt Brunner hiervon und zwar aus folgendem Grunde: „Die Erkenntnis des wirklichen Menschen ist, als Glaubenserkenntnis, keine objektive, neutrale, keine, die uns ein für sich selbst sprechendes Bild liefert, sondern sie ist eine im höchstem Maße subjektive, das heißt eine solche, die nur in der Existenzentscheidung des Glaubens selbst zu gewinnen ist. [...] Man darf also diese Erkenntnis nicht aus dem Zusammenhang, in dem allein sie zu gewinnen ist, herausnehmen" 2 5 . So wird

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M i W , S. 4 9 9 . M i W , S. 5 0 0 . Ebd. M i W , S. 5 0 0 f .

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

abschließend von Brunner die Perspektive dargelegt, aus der sein Bild vom Menschen stammt. (2) Nun ist Brunner in seiner strikten Unterscheidung zwischen Schöpfung und Erlösung - abgesehen von seiner Vernachlässigung, dem Gesetz als Charakteristikum der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit ausreichend Rechnung zu tragen (s.o.) - und der damit verbundenen Einsicht, daß das Christusgeschehen gerade nicht als ein (ontologisches) Strukturprinzip der allgemeinen Wirklichkeit zugrunde liegt, zuzustimmen. Zuzustimmen ist Brunner auch darin, das der - durch Christus gewirkte - Zustand des Gerechtfertigtseins kein Objekt der allgemeinmenschlichen Erfahrung ist, das es bloß zu deuten gilt. (3) Abzulehnen ist aber in jedem Fall Brunners Ausklammerung des Christusgeschehens und der Rechtfertigung aus der theologischen Anthropologie, insofern die theologische Anthropologie nicht nur die formal-ontologische Struktur humaner Personalität und die der Bestimmung der Person widersprechende ontisch-existentielle Verwirklichung der humanen Existenz zu beschreiben hat, sondern auch die durch Christus ermöglichte und durch den Geist gewirkte neue Existenz des Menschen. Aufgabe der theologischen Anthropologie ist es, ein solches Verständnis der formal-ontologischen Strukturen humaner Personalität zu gewinnen, das zu zeigen erlaubt, daß die formal-ontologische Struktur humaner Personalität die (ontologische) Möglichkeitsbedingung sowohl für eine gläubige als auch für eine ungläubige ontisch-existentielle Verwirklichung humaner Existenz ist. Damit aber ist der Glaube an Jesus als den Christus in die theologische Anthropologie zu integrieren als die gottgewollte Existenzweise - im Unterschied zu einer Gott widersprechenden (d. h. sündigen) Existenzweise. (4) Diese Einholung der neuen Existenz in die theologische Anthropologie ist aber auch nicht ohne Bedeutung für die Apologetik; denn indem die theologische Anthropologie ein solches Verständnis der formalontologischen Strukturen humaner Personalität bewahrheitet, das die „Offenheit" des Menschen für Gott zu denken erlaubt, erweist sie auch die Existenzform des Glaubens und die in der theologischen Anthropologie behaupteten Bedingungen für das Zustandekommen des Glaubens als denkmöglich. Sie kann zeigen, daß das in der biblisch/reformatorischen Gnadenlehre behauptete Wirken des Geistes der (apologetisch plausibel gemachten) formal-ontologischen Struktur geschöpflicher Personalität nicht widerspricht, weil es zur Wesensverfassung der personalen Existenz gehört, daß die (die Person auszeichnende und prägende) Gewißheit ihren konkreten Charakter gewinnt durch eine grundlegende

Fazit und Ausblick

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Gewißheitserfahrung. Gerade indem die theologische Anthropologie zeigt, daß die Person aufgrund ihrer personalen Verfaßtheit darauf angewiesen ist, daß ihr das Objekt ihres vorreflexiven Intendierens, ihrer existenzbestimmenden Gewißheit, in einer affektiven Erfahrung erschlossen wird, d. h. daß die Person - aufgrund ihrer personalen Verfaßtheit - offen dafür ist, in Passivität einer Gewißheit versichert zu werden, wird ersichtlich, daß die Person offen ist für das alleinige Gnadenhandeln Gottes, insofern sie offen dafür ist, daß ihr der Geist Gottes in einer affektiven Erfahrung die Wahrheit des Kreuzes erschließt. Die Plausibilisierung der formal-ontologischen Strukturen humaner Personalität erweist die gläubige Existenz und die Behauptung ihres Zustandekommens als denkmöglich. (5) Damit ist die eingangs gestellte Frage jedoch wieder aufzugreifen, sie ist keinesfalls schon hinreichend beantwortet: Ist innerhalb der theologischen Apologetik neben der Aufgabe, das Angelegtsein menschlichen Existierens auf eine existenzbestimmende Gewißheit und der Aufgabe, die Brüchigkeit der unterschiedlichen säkularen Gewißheiten darzulegen, indem deren destruierenden Auswirkungen aufgewiesen werden, auch der Versuch zu unternehmen, nicht nur zu zeigen, daß die christliche Gewißheit im Rahmen des fundamentaltheologischen Sachverhalts, daß es notwendig zur personalen Existenz gehört, auf eine existenzbestimmende Gewißheit angelegt zu sein, denkmöglich ist, sondern auch die christliche Gewißheit als Angebot zu unterbreiten, diese destruierenden Kräfte zu überwinden, indem die christliche Gewißheit dargelegt wird als eine solche Form der Gewißheit, die Hoffnung über den T o d hinaus bereitet und daher die destruierenden Kräfte zu überwinden vermag? Zu berücksichtigen ist dabei jedoch auf jeden Fall, daß hier eine andere Methode vorliegt als die, die existentiellen Erfahrungen und Phänomene des natürlich menschlichen Daseins zu deuten; denn anders als die Erfahrung der (auf Gottes schöpferischem Handeln beruhenden) formal-ontologischen Struktur humaner Personalität und der (durch Gottes Gesetz bewirkten) Erfahrung der Auswirkungen menschlichen Scheiterns, liegt die Glaubensgewißheit eben gerade nicht innerhalb der Erfahrungswelt des natürlichen Menschen, sie bezieht sich vielmehr auf das geschichtliche Geschehen des Handelns Gottes in dem Leben und Sterben des Menschen Jesu von Nazareth und bedarf der Erschließung durch das Wirken des Geistes. Gilt von Gottes Schöpfung ebenso wie von Gottes Gesetz, daß es sich hier um Strukturen der geschöpflichen Wirklichkeit handelt, deren Geltung unabhängig davon sind, ob sie erkannt oder verkannt werden, so gilt dies ja gerade nicht für das Christus-

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Apologetik auf dem Gebiet der Anthropologie

geschehen: Die Geltung des Christusgeschehens ist an sein Erschlossensein gebunden, das sich der - unverfügbaren - Wirkung des Geistes Gottes verdankt. Durch diese Einsicht ist die theologische Apologetik aber keineswegs der Aufgabe entledigt, die christliche Gewißheit zur Sprache zu bringen; vielmehr hat die theologische Apologetik gerade die Praxisrelevanz der christlichen Glaubensgewißheit dazulegen 26 . Es sind plausible Gründe dafür anzugeben, warum gerade die christliche Gewißheit die destruierenden Kräfte zu überwinden vermag, indem gezeigt wird, daß sie gerade die Ursache der destruierenden Kräfte überwindet, weil sie den Menschen nicht an der Faktizität der (gefallenen) geschöpflichen Wirklichkeit scheitern läßt, sondern dieser Wirklichkeit standzuhalten vermag, insofern sie Hoffnung über den Tod hinaus bietet. Es ist zu zeigen, inwiefern diese Hoffnung die dämonische Angst des Menschen und die Selbstverachtung und Scham 27 überwindet und daher die Person zu einem gelungenen Leben befähigt 28 . Gerade der therapeutische Gehalt des Glaubens ist darzulegen, insofern der Glaube die Angst, die Selbstverachtung und Scham therapiert, indem er zur Hoffnung und Selbstannahme befähigt. In diesem Zusammenhang ist es m. E. unentbehrlich, gerade die Freude und Lust als Charakteristikum des Wesens des Glaubens zur Sprache zu bringen. Der eindrücklichste Beleg für die befreiende Kraft des Glaubens - so gilt es, im Umkehrschluß des bekannten Diktums von Nietzsche zu formulieren - liegt in dem Lebenszeugnis des Glaubenden. Ist das Gerechtfertigtsein kein Gegenstand der natürlichen Erfahrung, so kann doch der gerechtfertigte Mensch Gegenstand der natürlichen Erfahrung sein. Im Idealfall kann sich daher Apologetik gestalten als Deutung der beschwingenden Lust und Freude, die im Lebenszeugnis der Glaubenden hervortritt, indem sie als Auswirkungen eben einer solchen Gewißheit zu verstehen gelehrt wird, die zu der Freude und Lust 29 befähigt.

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Hierin erblickt Herms die eigentliche Aufgabe der Apologetik (vgl. ders., Mit dem Rücken an der Wand?, S. 506ff). Den christlichen Glauben als Überwindung der Selbstverachtung und der tief wurzelnden menschlichen Scham habe ich zu zeigen versucht in: H o m o incurvatus in se ipsum. Dies hat auf seine Weise Stock getan (vgl. ders., Grundlegung der protestantischen Tugendlehre). So versucht Stock darzulegen, inwiefern gerade der christliche Glaube und die ihm eigene Freude und Lust zu einem Tun dessen befähigt, was sein soll. Die Freude und Lust als Charakteristika des Glaubens habe ich zu zeigen versucht in: Fundamentaltheologie als Schönheitslehre?, S. 18ff.

Reformulierung des Konzeptes Brunners

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(6) Die existentiellen Erfahrungen der Verborgenheit Gottes - so zeigte sich - können aus theologischer Perspektive überhaupt nicht gedeutet werden. Darum aber braucht die Explikation der christlichen Gewißheit vor diesen Erfahrungen nicht zu verstummen. Vielmehr hat die theologische Apologetik die christliche Gewißheit als eine solche Kraft zur Sprache zu bringen, die den Erfahrungen der Verborgenheit Gottes aus dem Grunde standzuhalten vermag, weil sie den Glaubenden befähigt, den Anfechtungen, die ihm gerade die verborgene Gegenwart Gottes bereitet, zum Trotz an Gottes Zusage in Christus festzuhalten, weil ihm damit der Ort eröffnet ist, zu dem er fliehen darf als Quelle der Zuversicht. Gerade im Gebet flieht der Glaubende zu Gottes Zusage in Christus. Damit ist auch der Horizont markiert, innerhalb dessen die theologische Apologetik zu vollziehen ist. Aufgabe der theologischen Apologetik ist es, das Angewiesensein der personalen Existenz auf eine existenzbestimmende Gewißheit zu erweisen und die destruierenden Kräfte im zwischenmenschlichen Zusammenleben auf ihre Ursache, der Brüchigkeit der unterschiedlichen natürlichen Gewißheiten, zurückzuführen. Teil der apologetischen Aufgabe ist es auch, die christliche Gewißheit als eine tragfähige Gewißheit zu explizieren, indem sie den therapeutischen Gehalt des Glaubens namhaft macht. Doch die theologische Apologetik hat damit nur die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung für den Glauben geschaffen. Damit die christliche Gewißheit nicht nur als denkmöglich erkannt wird und ihr therapeutischer Gehalt anerkannt wird, sondern zur persönlichen Gewißheit wird, bedarf es des - unverfügbaren - Wirkens des Geistes. Daher ist die theologische Apologetik getragen von dem Gebet: „Komm heiliger Geist, erfüll' die Herzen deiner Gläubigen und entzünd' in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe."

Anhang

Abkürzungsverzeichnis CE CG

ChR I ChR II ChW I ChW II D I D II D III

GD GlL

Gnade GuG

Eiert, W.: Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik, Tübingen 1949 Eiert, W.: Der christliche Glaube. Grundlinien der lutherischen Dogmatik. Mit einem Geleitwort von Wolfgang Trillhaas, 6. Aufl. Erlangen 1988 Hirsch, E.: Christliche Rechenschaft 1. Band. Bearbeitet von H . Gerdes, Berlin/Schleswig-Holstein 1978 Hirsch, E.: Christliche Rechenschaft 2. Band. Bearbeitet von H. Gerdes, Berlin/Schlesweig Holstein 1978 Althaus, P.: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Bd. 1, Gütersloh 1947 Althaus, P.: Die christliche Wahrheit. Lehrbuch der Dogmatik. Bd. 2, Gütersloh 1948 Brunner, E.: Dogmatik Bd. I: Die christliche Lehre von Gott, 4. Aufl. Zürich 1972 Brunner, E.: Dogmatik Bd. II: Die christliche Lehre von der Schöpfung und der Erlösung, 3. Aufl. Zürich 1972 Brunner, E.: Dogmatik Bd. III: Die christliche Lehre von der Kirche vom Glauben und von der Vollendung, 2. Aufl. Zürich 1964 Althaus, P.: Grundriß der Dogmatik, 5. ergänzte Aufl. Gütersloh 1959 Schleiermacher, F.: Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt Bd. 1, neu hg. u. mit Einl., Erläut. und Register versehen v. M. Redeker, 7. Aufl. Berlin 1960; Schleiermacher, F.: Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt Bd. 2, neu hg. u. mit Einl., Erläut. und Register versehen v. M. Redeker, 7. Aufl. Berlin 1960 Eiert, W.: Zwischen Gnade und Ungnade. Abwandlungen des Themas Gesetz und Evangelium, München 1948 Althaus, P.: Gebot und Gesetz. Z u m Thema „Gesetz und Evangelium", Gütersloh 1952

584 MiW ML I

ST I ST II ST III WuG

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Register Albrecht, Chr. 11 Althaus, P. 4; 28; 29; 32; 75; 194f; 238; 283; 342; 345; 353; 357; 388-421; 434-439; 446; 450; 455; 458f; 492; 553 Amelung, E. 3 4 0 Amir, J. 177 Axt- Piscalar, Chr. 12; 14f; 26; 28; 30, 32-34; 36f; 86; 4 4 9 Aulen, G 61 Bader, C. 3 0 7 Bader, G. 24; 35f Bandt, A. 208; 2 2 0 Balthasar, H. U. von 380 Barth, H . - M . 164 Barth, K. 1-3; 9; 52; 60; 62-96; 98-102; 105; 112; 122; 125; 130; 1 3 5 ; 1 4 6 148; 154; 159f; 162-164; 166-168; 193-195; 2 0 2 ; 212; 216; 219-224; 238; 240; 2 8 1 ; 283f; 286; 328; 375; 390; 400-402; 413; 441-445; 463f; 471; 476f; 480; 493; 521; 526-530; 533-535; 540-544; 547f; 5 5 6 - 5 5 8 Barth, U. 253; 259; 2 7 8 Bastian, H.-D. 67f Bauckham, R. 128-133 Baur, J. 139; 388; 395; 415; 4 4 9 Bayer, O. 34; 57; 62; 64; 66f; 75; 80f; 91; 95; 138-141; 145; 155; 195f; 207-211; 215; 225-230; 234; 236; 290; 309f; 319; 322; 326; 330; 336f; 342f; 347; 369; 370; 375-377; 381; 383; 4 0 l f ; 428; 446; 4 4 8 - 4 5 0 Becker, J. 153 Beintker, H. 4 8 9 Beißer, F. 19f; 23; 35-37; 54; 56-61; 83 Berge, W . 4 0 2 Berkouwer, G. C. 75

Beyer, A. 4 0 0 Beyschlag, K. 213; 286f; 355; 373; 3 8 8 Birkner, H.-J. 10; 49; 2 5 1 Böbel, F. 242; 246; 250; 252; 2 6 6 - 2 7 2 ; 281 Bodenstein, W . 277f Boecker, H.-J. 182 B o m k a m m , G. 175f; 184; 186; 203f Braun, H . 152 Breuning, W . 110 Brunner, E. 3f; 77f; 89; 238; 462-558; 563f; 567; 570-572; 575f Brunner, P. 342; 3 5 9 B u b m a n n , P. 4 4 3 Buchen, J. 3 2 9 Buff, W . 2 4 0 Bultmann, R. 56; 153; 167; 202; 277f; 5 2 2 - 5 2 4 ; 532; 5 6 5 Busch. E. 2 8 3 Conzelmann, H . 151 Crüsemann, F. 178f; 182; 193 C u r r a n , T h . C. 60 Dalferth, I. U. 110; 115; 120-125; 128 Davies, W . 178; 180 Dembowski, H . 130f; 136 Deuser, H . 114f; 120 Dibelius, M . 176 Dilthey, W . 8f Doerne, M . 2; 388f Duensing, F. 360; 363; 367f; 370; 386 Ebeling, G. 15; 19; 50f; 89; 93; 101; 109; 138; 158; 202; 204; 207; 218; 220; 2 2 2 ; 4 5 0 Eckert, E. 15 Eckstein, H.-J. 161f; 164f; 167f; 180; 182-185; 197 Ehrlicher, E. L. 176

616

Register

Eichholz, G. 186 Eiert, W . 2; 4; 12; 103f; 108; 189; 198f; 205; 212f; 238; 283-287; 342-389; 392; 394f; 399-402; 405; 412-414; 4 1 7 - 4 2 1 ; 429-436; 438; 440; 447; 453f; 458-460; 462; 475; 563; 571f Elliger, W. 182 Ernst, N. 309 Eyjolfsson, S. A. 360; 370; 376; 3 7 9 Eymann, H. S. 2 9 0 Fähler, J. 2 8 4 Fischer, H. 238; 292; 330f; 342 Flückiger, F. 10; 17; 21f; 41; 45; 47; 54; 56-58; 61; 202; 2 1 6 Frey, Chr. 283f Fritzsche, H. G. 149f Gebhardt, R. 406; 4 1 9 Geiger, Μ . 269; 272f Genest, Μ . 67f Gerdes, Η. 40; 45; 49; 51; 53; 2 4 0 Gese, Η. 150; 185; 189 Gestrich, Chr. 3; 178-180; 465; 490f; 509; 511; 519-526; 553f; 558 Giesecke, F. 203 Gilg, A. 108 Gloege, G. 75; 406; 4 5 0 Gollwitzer, Η. 66; 162 Graß, Η. 4 0 0 ; 5 1 6 Gräßer, Ε. 15If Gutbrod, W . 186 Haendler, K. 90; 158 Hahn, F. 2 0 2 Haigis, P. 330; 3 4 1 Härle, W . 63; 67; 69; 73-79; 81f; 84; 86-89; 100; 102; 105; 115-120; 209; 213; 284; 526f Hauber, R. 360; 3 7 1 Hegermann, Η. 150; 151 Heidegger, Μ . 523 Henel, I. C. 304; 307; 309f; 329; 333 Hentschel, M . 243; 251f; 263; 269; 275f Hermann, R. 34 Herms, Ε. 1; 3; 242; 248; 269; 271276; 443f; 449; 555f; 559; 568f; 578

Hirsch, Ε. 1; 4; 51; 238; 240-283; 289; 332; 3 3 4 - 3 3 6 ; 3 3 9 - 3 4 1 ; 4 2 1 - 4 2 9 ; 432; 438f; 440f; 444; 449; 455 Hofius, O. 153; 161; 165; 189 Honecker, M . 456f Huber, M . 47; 55f Hübner, Η. 180 Iwand, Η. J. 91; 93 Jacobs, L. 177 Jepsen, A. 176 Joest, W . 29; 93; 108; 141f; 162-164; 197; 352; 559 Jonas, L. 8f Jorissen, H. 99; 4 5 0 Josuttis, M . 2 0 1 Jüngel, E. 79; 111; 123-128; 130f; 133; 135; 147f; 154; 156; 166;212f; 215f; 219; 222; 228; 444-446; 522 Kähler, Μ . 10; 36f; 45 Kantzenbach, F. W . 8 Käsemann, Ε. 203f Kasper, W . 136f Kattenbusch, F. 58-60 Kaufmann, Τ. 371 Kelly, J. N. D. 108 Kinder, E. 47; 49; 90; 130; 158 Klappert, Β. 66; 93f; 163f Klein, J. 58 Klimek, N. 127 Knitter, P. 415 Köckert, Μ . 182 Köpf, U. 2 5 1 Kottje. R. 108 Kraus, H.-J. 174; 185; 193 Krause, B. 75; 86-88 Kreck, W . 66; 73; 75; 162 Kriegstein, M . von 290; 326 Krötke, W . 86; 88; 353; 357; 394; 399401; 405; 4 2 0 Kühn, U. 319 Kühr, F. 202 Küng, H. 131 Kuss, O. 202-205 Lange, D. 10; 40; 44; 52 Langemeyer, L. 348; 352; 371 f; 378

Register Leipold, Η. 465; 468-471; 473; 491; 51 If; 519; 521; 524; 530; 533 Limbeck, M . 177; 184 Lindemann, A. 151f Link, Chr. 145; 156; 372; 450; 454 Lochmann, J. Μ . 130f; 136 Loewenich, W . von 342 Lohff, W . 388 Lohfink, N. 173 Lohse, E. 151; 176 Lüdemann, G. 2 7 8 Luther, M . 6; 34f; 49-51; 53; 57; 62; 66f; 93f; 109; 138; 140; 158; 164; 196f; 214; 218; 220-222; 225; 229; 235; 273f; 356f; 399f; 492; 497; 512; 514; 555f; 5 5 9 Lüthi, Κ. 86; 87 Lütz, D. 62 Luz, U. 176 M a n n , U. 300 Markschies, Chr. 110 Maurer, Ε. 116; 141 Meier, Κ. 345; 354; 367; 371 Meier-Dörken, Chr. 59 Meiser, M . 4 0 0 Meister, J. 10; 3 4 7 Melzer, F. 46f; 52 Metzger, G. 5 5 9 Michel, O. 2 0 3 Migliore, D. L. 130 Mildenberger, F. 43; 109; 145; 154; 406; 420 Miskotte, Η. H. 130f Modin, B. 136 Moeller, B. 109 Moltmann, J. 123f; 128-137 Moustakas, U. 356; 374 Müller, A. 2 8 7 Müller, H.-M. 68; 241; 254; Mundle, W. 203 Mußner, F. 202 Nörenberg, K.-D. 311; 319; 327f; 336 Noth, M . 170-173; 181; 183; 185; 193 Offermann, D. l l f ; 16f; 21f Osten-Sachen, P. von der 186

617

Ott, Η. 1 Owen, J. M . 361; 3 8 6 Pannenberg, W . 2; 41; 78; 112; 565 Peters, A. 160; 222; 225; 322f; 340; 345; 361; 367; 386; 402; 415; 4 1 9 ; 443 Petzold, M . 4 5 2 Pfamatter, J. 152 Pohl, I. H. 4 7 3 ; 513 Pöhlmann, H. G. 75; 79; 166; 201; 350; 370; 388; 406; 417; 4 1 9 Quandt, E. 75; 85 Quapp, Ε. H. U. 8f Rad, G. von 174f; 181; 185; 193; 4 5 1 Rahner, K. 109f; 116 Ratschow, C. Η 74; 149; 150; 2 4 2 ; 318; 4 0 5 Rein, Chr. 299; 303; 323; 331 Rhine, Μ . 2 9 0 Richter, W . 4 5 2 Ricoeur, P. 129; 131 Ringleben, J. 268; 330; 336 Ritsehl, A. 36; 208 Ritter, Α. M . 108 Roessler, R. 468f; 488; 502; 507; 512f; 529f; 5 5 1 Röhls, J. 14f Rosenau, H. 110; 4 5 6 Rössler, A. 2 8 6 Rössler, D. 65 Rost, L. 4 5 2 Roth, M . 7; 49; 57; 344; 346; 352; 371; 376; 386; 492; 555; 559; 570; 572; 578 Salakka, Y. 472; 507; 529 Sandberger, J. V. 3 4 1 Schäfer, P. 177 Scheel, H. 4 2 Scheffczky, L. 108 Scheliha, A. von 241f Schepers, G. 316; 329f Schild, S. 4 8 0 Schleiermacher, D. F. E. 2; 7-65; 67; 69; 70; 76; 77; 82-86; 88-90; 96; 98; 99; 101; 208; 216-219; 224; 2 3 1 - 2 3 3 ;

618

Register

281; 283; 319; 320; 335; 336; 347; 444 Schlink, Ε. 91; 166 S c h m i d H . J. 176 Schmidt, W. H. 10; 47; 174f; 181-183; 187; 190-192; 452-454 Schmitz, J. 328; 330f; 336; 338 Schneider-Flume, G. 240f; 312 Schoberth, W. 150; 153; 155f Scholz, Η. 43 Schräge, W. 1; 152; 186 Schröer, Η. 391 Schüssler, W. 287 Schütte, H . W . 208; 241 Schwanz, P. 310 Schweizer, E. 152 Schwöbel, Chr. 110; 115; 117; 139; 339;565 Seeberg, R. 19; 47 Seibert, C. G. 37; 47; 48 Seigfried, A. 308; 309 Seils, M. 309 Slenczka, N. 285; 367; 374 Slenczka, R. 41 Smend, R. 176; 182 Spam, W. 360f; 394 Spengler, O. 254; 260; 366f Steffen, B. 123 Stemberger, G. 177 Stephan, H. 10; 46f; 54 Stock, K. 88f; 105; 156; 527; 546; 558561; 578 Strauß, D. F. 10; 344 Stuhlmacher, P. 135; 203 Subilia, V. 49 Tamura, N. 325 Thielicke, H. 329; 342 Tillich, P. 4; 238; 283-343; 348f; 354; 383f; 38-391; 412; 416; 424-429; 4 3 l f ; 438-441; 448f; 455; 457; 524

Track, J. 77f; 295; 301; 316; 324; 328; 334;336 Trillhaas, W. 3; 43; 48; 50f; 67f; 144; 199; 284; 342; 492; 493 Ullmann, K. 43 Ulrich, Th. 302; 325 Usarski, F. 2 Volk, H. 503f; 540; 558f Volken, L. 495 Wagner, F. 182 Wagner, V. 15; 112-115 Walker, R. 204; 405f; 419 Weber, O. 49; 87; 195 Webster, J. B. 123 Wehr, P. 286 Welker, M. 136; 188f; 192; 336; 449 Wellhausen, J. 169-173; 180 Wenz, G. 9; 41; 43; 46; 112; 128f; 319; 323f; 327; 329; 336 Wernsdörfer, Th. 331 Westermann, C. 172-174; 180; 452 Weymann, V. 40 Wieland, W. 105 Wilckens, U. 203; 204 Wingren, G. 81; 90; 107; 144f; 165f; 402 Wintzer, F. 43; 67; 214 Wittschier, St.-U. 311 Wolf, W. 159; 162; 164 Wolff, Η. W. 174 Wolff, Ο. 336 Wolter, Μ. 151 Wrzecionko, P. 318 Würthwein, Ε. 175 Zahrnt, Η. 309 Zeindler, Μ. 372 Zimmerli, W. 174; 181 f; 190f; 452