Glossarium: Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958 [2 ed.] 9783428544868, 9783428144860

Das Tagebuch »Glossarium« enthält die Gedankenwelt von einem guten Jahrzehnt des späten Carl Schmitt. Schon die erste Au

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Glossarium: Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958 [2 ed.]
 9783428544868, 9783428144860

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C A R L SCH M I T T

Glossarium Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958

Erweiterte, berichtigte und kommentierte Neuausgabe Herausgegeben von

Gerd Giesler und Martin Tielke

Duncker & Humblot · Berlin

Carl Schmitt, Ex captivitate salus Erfahrungen der Zeit 1945/47 IV., erweiterte Aufl. 100 Seiten, Berlin 2015. ISBN 978-3-428-14809-7 Als Deutschland im Frühjahr 1945 besiegt worden war, haben nicht nur Russen sondern auch Amerikaner in dem von ihnen besetzten Gebiet Massen-Internierungen vorgenommen. Die Amerikaner nannten ihre Methode „automatischen Arrest“. Carl Schmitt, obwohl nicht zum Personenkreis der automatisch Arrestierten gehörend, war 1945/46 in einem solchen Lager, danach im März 1947 zwei Monate in dem Nürnberger Gefängnis des internationalen Gerichtshofes, als Zeuge und „möglicher Angeklagter“. Eine förmliche Anklage wurde nie gegen ihn erhoben. Schmitt befand sich gemeinsam mit vielen anderen in einer Situation der Diskriminierung, wie sie für ein Massenzeitalter typisch geworden ist. Seine Reaktion in diesen Jahren der Abgeschlossenheit war, eigene Positionen vor den letzten Fragestellungen zu klären. Carl Schmitt hat oft in Briefen und Widmungen seine Leser aufgefordert, das kleine Buch so zu lesen, als wäre es eine Reihe von Briefen, die an ihn persönlich gerichtet sind. Nur so sei die Art der Darlegung gerechtfertigt und verständlich als eine Mitteilung aus Grenzsituationen des Gefängnisses und des Lagers. Arnold Gehlen schrieb dem Verfasser im September 1950, dass er dieses Buch bewundere, denn „die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen kann nicht so geführt werden, dass man zugleich sein Alibi nachweist und sich innerhalb der Kategorien der Gegenseite bewegt. Ihr Buch hat dieses Niveau in produktiver Weise überstiegen“.

Über das Buch Das Tagebuch »Glossarium« enthält die Gedankenwelt von einem guten Jahrzehnt des späten Carl Schmitt. Schon die erste Ausgabe von 1991 erregte große Aufmerksamkeit, allerdings blieb sie wegen zahlreicher Fehler und falscher Übertragungen aus der Handschrift unbefriedigend; vor allem war sie ein Torso, da sie nur die ersten drei Teile enthielt und die beiden letzten unberücksichtigt ließ. Die neue Ausgabe ist nicht nur eine korrigierte zweite Auflage, sondern ein komplett aus der Handschrift neu hergestellter Text aller fünf Teile des »Glossariums«, der knapp und zurückhaltend kommentiert wird. Entstanden in einer Zeit, die ihn aus der Lebensbahn eines bürgerlichen Gelehrten warf, nahm Carl Schmitt mit den Ressentiments, aber auch mit der Tocquevilleschen Hellsichtigkeit des Besiegten die neue Lage wahr. Gegen die Interpretation der Sieger, die die Niederlage als Befreiung deuteten, sprach Schmitt von »falscher Befreiung« und meinte, dass zwar der Sieger die Geschichte schreibt, aber der Gescheiterte der Gescheitere ist.

CARL SCHMITT Glossarium Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958

CARL SCHMITT

Glossarium Aufzeichnungen aus den Jahren 1947 bis 1958 Erweiterte, berichtigte und kommentierte Neuausgabe Herausgegeben von Gerd Giesler und Martin Tielke

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage (Buch I–III) 1991 Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: BGZ Druckzentrum GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-14486-0 (Print) ISBN 978-3-428-54486-8 (E-Book) ISBN 978-3-428-84486-9 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Inhalt Einleitung

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Abgekürzt zitierte Literatur

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Glossarium Buch I (28. 8.1947 – 31. 12.1947) . Buch II (1.1. 1948 – 31. 5.1949) . Buch III (16. 6. 1949 – 14. 8.1951) Buch IV (20. 8. 1951 – 6.10. 1955) Buch V (14.10. 1955 – 31.12. 1958) Anhang zu Buch I – V . . . . . . Kommentar

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XI

1 55 187 245 323 381

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

Einleitung Das Denktagebuch, das Carl Schmitt unter dem Namen „Glossarium“ von 1947 bis 1958 führte, liegt in seinem im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, aufbewahrten Nachlass. Es besteht aus fünf Kladden, „Bücher“ genannt, die in schwarze Pappe und hellgraues Halbleinen eingebunden sind (RW 0265, Nr. 19607–19611); die Bücher II, III und V sind mit einem von Schmitt beschrifteten Titelschild beklebt. Die Bücher I–III haben das Format 17 × 21,5 cm, Buch IV 13,5 × 20,5 cm und Buch V 15 × 21 cm. Auf dem Leinenrücken ist ein großes „G“, die römische Bandzahl sowie der jeweilige Zeitraum vermerkt. Die Kladden dienten ursprünglich wohl als Haushaltsbücher von Schmitts Ehefrau Duška, wie aus sehr vereinzelten Einträgen von ihr zu ersehen ist. Das „Glossarium“ ist erstmals 1991 von Schmitts Schüler und Assistenten Eberhard von Medem im Verlag Duncker & Humblot veröffentlicht worden. Es erregte seinerzeit große Aufmerksamkeit, weil es die Gedankenwelt des späten Carl Schmitt in nuce enthält. Zudem sind diese Gedanken sozusagen unfrisiert, spontan und ins Unreine niedergeschrieben, formuliert mit allen Idiosynkrasien und Ressentiments des aus der akademischen Welt ausgeschlossenen, sich seiner Bedeutung gleichwohl bewussten Autors. Allerdings war der 1991 präsentierte Text nicht immer mit der nötigen Sorgfalt ediert und bot damit auch Fehlurteilen Vorschub; so beispielsweise bei dem Eintrag vom 25. September 1947, wo zwischen der Zitierung Peter F. Druckers und der eigenen Meinung Carl Schmitts nicht klar unterschieden ist. Bald auch wurden Unstimmigkeiten und Lesefehler des Herausgebers festgestellt; so hat allein der Schmitt-Forscher Piet Tommissen eine 20seitige CorrigendaListe vorgelegt. Vor allem aber blieb die Ausgabe unbefriedigend, weil sie lediglich die ersten drei Bücher umfasste, die beiden letzten dagegen unberücksichtigt ließ. Das begründet der Herausgeber Eberhard von Medem in seinem Vorwort damit, dass mit Buch IV die Qualität des „Glossariums“ schwächer werde. Daran ist nur soviel richtig, als die Dichte der Eintragungen nachlässt; ihr Charakter ändert sich damit jedoch nicht. Auch die Bücher IV und V sind Denktagebuch. Sie sind ein unlösbarer Bestandteil des „Glossariums“ und können nicht unter den Tisch fallen. Die hiermit vorgelegte Ausgabe ist daher nicht nur eine korrigierte zweite Auflage der Edition von 1991, sondern ein komplett aus der Handschrift neu hergestellter integraler Text aller fünf Bücher des „Glossariums“. Dabei werden die in den letzten beiden Büchern sich häufenden eingeklebten und mit handschriftlichen Kommentaren Schmitts versehenen Zeitungsausschnitte sämtlich mit abgebildet. Eberhard von Medem wollte vor allem einen flüssig lesbaren Text bieten, weshalb er nicht entzifferbare Stellen übersprang, Verworrenes glättete oder durch Konjekturen ersetzte, die als solche nicht kenntlich gemacht sind. Demgegenüber erhebt die vorliegende Ausgabe zwar nicht den Anspruch einer historisch-kritischen Edition, sie will aber den Text so genau und vollständig wie möglich wiedergeben. Schmitt schrieb einen geschliffenen Stil von

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geradezu literarischer Qualität, aber auch er musste an seinen Texten arbeiten, und es ist klar, dass das, was er „in Kladde“ schrieb, nicht das Imprimatur des Autors hatte und dementsprechend auch nicht die ästhetische und stilistische Qualität seiner gedruckten Bücher und Aufsätze. Hier wurde selbstverständlich nicht eingegriffen. Gelegentliche Ungeschliffenheiten und vereinzelte unvollständige oder anakoluthe Sätze sind so belassen, wie sie im Manuskript stehen. In die Kladde zu schreiben bedeutet auch, dass man sich nicht um Schönschrift bemüht. Das ist an der Handschrift des „Glossariums“ immer wieder zu sehen. Oft hat der Autor schnell etwas aufs Papier geworfen, und es genügte ihm, wenn er selbst es lesen konnte. Hinzu kommt, dass Schmitt verschiedene Schriften praktizierte. Neben der deutschen Kurrentschrift, die ihm von der Schule vertraut war und die er auch im „Glossarium“ ganz überwiegend gebraucht, findet sich die sehr gut lesbare, schwungvolle lateinische Schrift, wie sie auch in seinen Briefen begegnet. Aber auch die schwer entzifferbare Gabelsberger Stenographie kommt vor, wenn auch nur wenig. Das Manuskript ist zudem geprägt von Korrekturen, Überschreibungen, Einschüben und Marginalien am Rand ohne klare Zuordnung, auch Umstellungen im Text kommen vor. Schmitt schrieb gewöhnlich mit dunkelblauer Tinte, doch gibt es ebenso Einträge in hellerem Blau sowie mit Blei- oder Rötelstift, was auf unterschiedliche Entstehungszeiten hinweist. Wie seine Tagebücher, so nahm Carl Schmitt auch die Kladden des „Glossariums“ immer wieder zur Hand, löschte Text, überschrieb ihn oder fügte Ergänzungen hinzu. Die verschiedenen Zeitschichten dieser späteren Einschübe sind in aller Regel nicht genauer zu bestimmen. Diese Gestalt des Manuskripts hat zur Folge, dass der Text nicht durchweg sicher zu transkribieren ist. Nicht lesbare Stellen sind mit drei Punkten in Winkelklammern angedeutet, unsichere Lesarten und Konjekturen sind ebenfalls mit diesen Klammern kenntlich gemacht. Dagegen stehen gelegentliche Zusätze der Herausgeber in eckigen Klammern. Dieses Verfahren geht auf Kosten des Leseflusses, ist aber der Preis der Genauigkeit. Die stenographischen Stellen, die von Medem mit Hilfe seines Experten Heinrich Mauermann transkribiert hat, sind unbesehen übernommen. Diejenigen stenographischen Teile, die in der Medemschen Ausgabe übergangen sind (und das sind nicht wenige), hat Hans Gebhardt kurz vor seinem Tode noch transkribiert, soweit er das konnte. Die Zeichensetzung des Originals ist entsprechend dem Umstand, dass Schmitt ins Unreine schrieb, eigenwillig. Sehr häufig trennt der Autor Satzteile oder auch ganze Sätze durch ein Semikolon. Anführungszeichen sind zumeist überhaupt nicht gemacht, oder sie sind inkonsequent in der Weise, dass sie am Anfang stehen, nicht aber am Ende. Auch wechselt Schmitt zwischen deutschen und französischen Anführungszeichen. In unserer Ausgabe sind immer deutsche Anführungszeichen verwendet, und sie sind nur gelegentlich ergänzt, nämlich da, wo es (wie bei der oben genannten Zitierung Druckers) Missverständnisse geben könnte. Groß- und Kleinschreibung entspricht nicht immer heutigen Usancen. Hier sind die Eigenwilligkeiten Schmitts in aller Regel beibehalten. Ebenfalls beibehalten ist die Orthographie. Gelegentliche Fehlschreibungen sind jedoch stillschweigend korrigiert; vereinzelte altertümliche Formen („Huppe“ statt „Hupe“, „abluxen“ statt „abluchsen“, „allmählig“ statt „allmählich“) sind modernisiert. Abkürzungen werden, sofern nicht als allgemein verständlich vorauszusetzen, in eckigen Klammern aufgelöst. Die zahlreichen fremdsprachigen Passagen sind im Kommentaranhang übersetzt, jedoch nur da, wo es sich um alte Sprachen (Griechisch und Latein) handelt. Die Bücher der Bibel, die Schmitt unter-

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schiedlich schreibt, werden nach den Abkürzungen der Theologischen Realenzyklopädie zitiert. Dadurch dass Carl Schmitt sein „Glossarium“ immer wieder vorgenommen hat, ist das ganze Manuskript mit Querverweisungen am Rand versehen, die sich zum Ende hin häufen. Sie sind im gedruckten Text als Fußnoten wiedergegeben. Diese Verweisungen sind in der Regel mit Datumsangabe gemacht, zuweilen aber auch mit der Seitenangabe des Manuskripts. Da der Leser mit letzterer natürlich nichts anfangen kann, sind diese Seitenangaben in Datumsangaben bzw. in Angabe der Druckseite in eckigen Klammern umgeändert. Die Titelschilder und Vorsatzblätter der einzelnen Bände sind von Schmitt mit verschiedenen Titelformulierungen versehen, die sein Verständnis dieses Werkes ausdrücken und deshalb im Anhang abgebildet werden. Das „Glossarium“ hat sich für den Autor offenbar in einem status nascendi herausgebildet. Die Seiten 1 bis 9 des ersten Buches zeigen die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. Zunächst bloßes Literaturexzerpt, verdichtet sich der Text bald zum originären Gedanken. Erst mit Seite 10 soll nach dem Willen des Autors – so sein Vermerk auf dem Vorsatz – das „Glossarium“ beginnen. Auf Blatt 66 verso von Buch I (S. 386 im gedruckten Text) findet sich ein datierter Eintrag, der chronologisch vor den eigentlichen Textbeginn gehört und der in die Chronologie der Seiten 1 bis 9 eingeordnet ist. Dazu finden sich Notate auf den Vorsatzblättern aller fünf Bände. Alle diese Einträge sind in einem Anhang wiedergegeben. Im dritten Buch liegt nach Blatt 75 ein loser Zettel mit einer stenographischen Notiz, die schwer zu entziffern ist und hier unberücksichtigt bleibt. Aus der Tatsache, dass das „Glossarium“ im Unterschied zu allen von Schmitt lebenslang geführten Tagebüchern auffälligerweise in Langschrift notiert ist, hat von Medem den Schluss gezogen, dass Schmitt an eine Veröffentlichung dachte. Das scheint den Herausgebern dieser Ausgabe jedoch unwahrscheinlich, und zwar der skizzierten unfertigen Gestalt des Textes wegen. Der bewusste Stilist Carl Schmitt hätte ihn so sicher nicht zum Druck gegeben. Die langschriftliche Form deutet aber vielleicht darauf hin, dass der Autor seine Gedanken einem begrenzten Kreis von Angehörigen und engen Freunden zugänglich halten wollte. Die Frage des Kommentars war nicht einfach zu entscheiden. Einerseits ist der Text sehr komprimiert, voraussetzungsreich, gelegentlich hermetisch. Er enthält ständig Anspielungen auf zeithistorische, wissenschaftspolitische, biographische Zusammenhänge. Gern evoziert Schmitt mit einer Gedichtzeile Stimmungen, für die er, der mit sich selbst sprach, keine weiteren Worte verlieren musste, deren Bedeutung sich dem Außenstehenden aber nicht ohne weiteres erschließt. Damit verlangt das „Glossarium“ den Kommentar. Andererseits führen die Komplexität und der Reichtum des Textes schnell ins Uferlose. Die Herausgeber haben sich für eine knappe und zurückhaltende Kommentierung entschieden, die die im Internet heute für jedermann erreichbaren Informationen nicht umständlich ausbreitet und insbesondere auch auf jede Auseinandersetzung mit der kaum noch überschaubaren Sekundärliteratur zu Schmitt verzichtet. Carl Schmitt legte Wert auf die über das Inhaltsverzeichnis hinausgehende Erschließung seiner Bücher und war sich nicht zu schade, sie eigenhändig mit Sachregistern zu versehen. Auch für das „Glossarium“ hat er Ansätze zu einem Sachregister gemacht, die auf den Vorsatzblättern der Kladden notiert und im Anhang wiedergegeben sind. Diese Indizierung ist unvollständig und unsystematisch, zeigt aber das Bewusstsein des Autors von der Bedeu-

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tung seines Textes und den Willen, ihn inhaltlich zu erschließen; ein Vorhaben, das angesichts seiner Komplexität und seines oft aphoristischen oder abbreviatorischen Charakters nicht einfach ist. Die Herausgeber haben sich nach einiger Überlegung entschieden, auf ein Sachregister zu verzichten. Dagegen findet sich selbstverständlich ein Personenregister. Das „Glossarium“ als ein Kondensat Schmittschen Denkens ist in ständigem ausgesprochenem oder unausgesprochenem Bezug zum veröffentlichten wie unveröffentlichten Werk geschrieben. Dazu werden im Kommentaranhang Hinweise gegeben, die zu einer vertiefenden Lektüre führen mögen, die jedoch keineswegs erschöpfend sind. Das „Glossarium“ kann die Beschäftigung mit dem Werk Carl Schmitts nicht ersetzen, aber es kann ein Türöffner sein zu diesem Werk. Entstanden in einer Zeit, die ihn aus der Lebensbahn eines bürgerlichen Gelehrten warf, nahm Schmitt mit den Ressentiments und gleicherweise einer Tocquevilleschen Hellsichtigkeit des Besiegten die neue Lage wahr, die Henning Ritter in einem Geburtstagartikel für Wolfgang Schivelbusch in der FAZ vom 21. November 2011 charakterisiert hat: Dessen Buch Die Kultur der Niederlage „macht es auch verständlich, warum die Sieger nach dem Zweiten Weltkrieg die Nachkriegszeit der Besiegten nicht mehr deren Mythenschöpfung überließen, sondern die Kultur der Niederlage selbst organisierten. Die Kultur wurde zum Schlachtfeld, auf dem es noch einmal um Sieg oder Niederlage ging. Sie war für die Verarbeitung der Niederlage zu wichtig, um sie allein den Besiegten zu überlassen.“ Ohne die Hilfe engagierter Personen wäre diese Ausgabe nicht entstanden. Das gilt vor allem für Dietrich Nithack, der anhand der Originalmanuskripte die bisher unveröffentlichten Texte transkribiert hat. Hans Gebhardt hat bis zu seinem Ableben die in Gabelsberger Stenographie vorliegenden Textteile Schmitts übertragen, soweit das bei diesen zumeist nachträglich hinzugesetzten und flüchtig niedergeschriebenen Notizen möglich war. In bewährter Weise haben den Herausgebern Florian Meinel, Wolfgang Schuller und Wolfgang H. Spindler klärend zur Seite gestanden. Das gilt auch für Harald Bluhm, Peter Heyl, Wolfram Hogrebe, Ernst Hüsmert, Günter Maschke, Matthias Meusch, Andreas Raithel, Angela Reinthal und Christian Tilitzki. Die schon vor längerer Zeit dankenswerterweise von Günter Maschke und Piet Tommissen (†) gesammelten Korrekturen zur Erstauflage sind in der Neuausgabe berücksichtigt worden. Gedankt sei last but not least dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg für die Bereitstellung der Materialien, Florian Simon und Heike Frank für die verlegerische und drucktechnische Betreuung der Neuausgabe sowie Jürgen Becker als Verwalter des Schmitt-Nachlasses für die Erlaubnis, alle für die Edition wichtigen Materialien verwenden und abdrucken zu dürfen.

Abgekürzt zitierte Literatur Angriffskrieg:

Carl Schmitt, Das internationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und der Grundsatz „Nullum crimen, nulla poena sine lege“. Hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1994 (verfasst 1945)

BdP:

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, 13. Aufl., Berlin 2002 (zuerst 1928)

BW Blumenberg:

Hans Blumenberg/Carl Schmitt, Briefwechsel 1971–1978 und weitere Materialien. Hrsg. und mit einem Nachwort von Alexander Schmitz und Marcel Lepper, Frankfurt a. M. 2007

BW d’Ors:

Carl Schmitt/Alvaro d’Ors, Briefwechsel. Hrsg. von Montserrat Herrero, Berlin 2004

BW EJ:

Ernst Jünger/Carl Schmitt, Briefe 1930–1983. Hrsg., kommentiert und mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel, 2. Aufl., Stuttgart 2012

BW Feuchtwanger:

Carl Schmitt/Ludwig Feuchtwanger, Briefwechsel 1918–1935. Hrsg. von Rolf Rieß. Mit einem Vorwort von Edgar J. Feuchtwanger, Berlin 2007

BW Forsthoff:

Ernst Forsthoff/Carl Schmitt, Briefwechsel Ernst Forsthoff Carl Schmitt (1926– 1974). Hrsg. von Dorothea Mußgnug, Reinhard Mußgnug und Angela Reinthal, in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler und Jürgen Tröger, Berlin 2007

BW GJ:

Gretha Jünger/Carl Schmitt, Briefwechsel Gretha Jünger Carl Schmitt (1934– 1953). Hrsg. von Ingeborg Villinger und Alexander Jaser, Berlin 2007

BW Huber:

Carl Schmitt/Ernst Rudolf Huber, Briefwechsel 1926–1981. Mit ergänzenden Materialien. Hrsg. von Ewald Grothe, Berlin 2014

BW Mohler:

Carl Schmitt, Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler. Hrsg. von Armin Mohler in Zusammenarbeit mit Irmgard Huhn und Piet Tommissen, Berlin 1995

BW Smend:

Carl Schmitt/Rudolf Smend. „Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“. Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend. Mit ergänzenden Materialien hrsg. von Reinhard Mehring, Berlin 2010

BW Sombart:

Schmitt und Sombart. Der Briefwechsel von Carl Schmitt mit Nicolaus, Corina und Werner Sombart. Hrsg. von Martin Tielke in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin 2015

BW Taubes:

Jacob Taubes/Carl Schmitt, Briefwechsel mit Materialien. Hrsg. von Herbert Kopp-Oberstebrink, Thorsten Palzhoff, Martin Treml, München 2012

ECS:

Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus. Erfahrungen der Zeit 1945/47, Köln 1950

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FoP:

Carl Schmitt, Frieden oder Pazifismus. Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924-1978. Hrsg., mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günter Maschke, Berlin 2005

Gedichte:

Gerd Giesler/Ernst Hüsmert/Wolfgang H. Spindler, Gedichte für und von Carl Schmitt (Plettenberger Miniaturen, 4), Plettenberg 2011

Gespräch:

„Solange das Imperium da ist“. Carl Schmitt im Gespräch mit Klaus Figge und Dieter Groh 1971. Hrsg., kommentiert und eingeleitet von Frank Hertweck und Dimitrios Kisoudis, in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler. Mit einem Nachwort von Dieter Groh, Berlin 2010

Hobbes, M/B:

Thomas Hobbes, Vom Menschen/Vom Bürger. Eingeleitet und hrsg. von Günter Gawlick (Philosophische Bibliothek, 158), Hamburg 1959

Leviathan:

Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, 3. Aufl., Stuttgart 1995 (zuerst Hamburg 1938)

LuL:

Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, 6. Aufl., Berlin 1998 (zuerst München/ Leipzig 1932)

Mehring:

Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009

Nomos:

Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, 3. Aufl., Berlin 1988 (zuerst Köln 1950)

Pharsalia:

M. Annaeus Lucanus, De bello civili/Der Bürgerkrieg. Lateinisch/Deutsch. Übers. und hrsg. von Georg Luck, Stuttgart 2009

PR:

Carl Schmitt, Politische Romantik, 5. Aufl., unveränderter Nachdruck der 1925 erschienenen 2. Aufl., Berlin 1991

PuB:

Carl Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles 1923–1939, 3. Aufl., Berlin 1994 (zuerst Hamburg 1940)

RK:

Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Stuttgart 1984 (zuerst Hellerau 1923)

SGN:

Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916–1969. Hrsg., mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen von Günter Maschke, Berlin 1995

Tb 1912–15:

Carl Schmitt, Tagebücher Oktober 1912 bis Februar 1915. Hrsg. von Ernst Hüsmert, 2. korr. Aufl., Berlin 2005

Tb 1915:

Carl Schmitt, Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Hrsg. von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler, Berlin 2005

Tb 1921–24:

Carl Schmitt, Der Schatten Gottes. Introspektionen, Tagebücher und Briefe 1921 bis 1924. Hrsg. von Gerd Giesler, Ernst Hüsmert und Wolfgang H. Spindler, Berlin 2014

Tb 1930–34:

Carl Schmitt, Tagebücher 1930 bis 1934. Hrsg. von Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin 2010

VA:

Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 4. Aufl., Berlin 2003 (zuerst 1958)

XIII

van Laak:

Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993

VL:

Carl Schmitt, Verfassungslehre, 9. Aufl., Berlin 2003 (zuerst München 1928)

Weiß:

Konrad Weiß, Gedichte 1914–1939. Hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1961

Buch I 28. 8. 1947–31. 12. 1947

28. 8. 47 Nachts: die Edle Einfalt und stille Größe; ja Stille! Die Stille der Stillen im Lande! Pietistischhumanistische Stille. Ich frage mich: Stille gegenüber wem? Stille wird ein polemischer Begriff gegenüber barockem Lärm. Das ist das höchst Konkrete an dieser Stille und edlen Einfalt. Rousseau als Archäologe; Erwachen heiterer Gefühle bei der Ausgrabung Griechenlands. Was war denn diese angebliche trahison des clercs? Es gibt eine solche trahison; die clercs sind auf eine schändliche Weise verraten worden, schlimmer als der König Peter von Jugoslawien; verraten an das Geld und an die Masse, und als sie Schutz beim Staate suchten (das war ein verzeihlicher Irrtum, ein Irrtum, der bewies, daß sie noch historisches Wissen hatten), ja als sie das einzige Asyl suchten, da machte man ihnen das als trahison zum Vorwurf. Widerliche Betrüger; Asylzerstörer. Aber Gott verwandelt die Lüge im Munde des Lügners selbst und gibt ihr den Sinn des Wahren: trahison des clercs kann ja auch Verrat an den clercs heißen; der Genitiv „des clercs“ kann ein genitivus objectivus sein und da trifft er das Wesentliche: die Zerstörung der auctoritas spiritualis durch die beim Herrn der Welt untergekrochenen Geister. Rede von Enrico Corradini, Florenz, den 8. Februar 1925: représentant le f.[achisme] comme la revolution de l’État (sic) contre la prédominance des intérêts privés. Das ist also Sallust contra pecuniam zum Caesar fliehend, die Jungfrau zum Mädchenhändler, arme clercs; der Staat, zu dem Corradini flüchtete, wollte ein caesarisches Imperium sein. Der Klassizismus wurde gratis als Zugabe geliefert. Staat = Souveränität = Dezision = Beendigung des Bürgerkrieges innerhalb des (eben dadurch erst entstehenden) Staates. Weltherrschaft ebenfalls Beendigung des Bürgerkrieges? Nein, sondern Kombination von völkerrechtlichem Krieg und Bürgerkrieg. Tacitus Hist. I,2: bellum externum et civilia permixtum. Otto Brunner (Land und Herrschaft, 1939, S. 170): Auf dem Boden des mittelalterlichen Abendlandes waren souveräne Gewalten nicht vorhanden und nicht möglich. In der großen Auseinandersetzung des Investiturstreits verband sich die Kirche mit den lokalen Gewalten und schaffte so eine „Situation, in der Könige und Fürsten zwischen Kirche und lokalen Gewalten zu einer souveränen Stellung nicht vorzudringen vermögen.“ Zwischen Geist und Boden keine Souveränität! Oder sogar: Neben einer pot.[estas] spirit.[ualis] keine Souveränität. Verzweifelte Einheit, Einheit der Verzweiflung, diese rein dezisionistische Souveränität. Einheit nur im Notfall und nur im Ausnahmefall. Brunner sagt (unter Hinweis auf K. H. Ganahl, Studien zur Geschichte des kirchlichen Verfassungsrechts im 10. und 11. Jahrhundert, 1935, S. 7), „daß das Souveränitätsproblem zwischen Staat und Kirche jedenfalls vor dem Investiturstreit nicht aufgeworfen werden kann“. Weder der Kaiser noch der Fürst noch der Papst waren wirklich souverän. „Solange aber (auf dem Boden des mittelalterlichen Abendlandes) souveräne Gewalten nicht vorhanden waren, konnte eine Scheidung von Rechtsidee und positivem Recht nicht durchdringen“ (S. 170). (Also Wegfall der pot. spirit. – Souveränität – positive Legalität: vgl. Lamennais, oben S. 5: Wir sind immer noch vor 1848!!)

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Nachmittags: Tief betroffen von dem Aufsatz aus dem Mai 1932 „Eine neue politische Lehre“ von Willy Haas in der „Literarischen Welt“. Er nennt mich einen Nihilisten, die Freund-Feind-Definition versteckte und schlimmste Neutralisierung, leere Eierschale, weil sie von der einzigen konkreten Ursache der Feindschaft, nämlich der gegenwärtigen materiellen, also von Klassenfeindschaft gegen den Bourgeois abstrahiert, dadurch neutralisiert und also selber höchst politisch ist. Dabei unterstellt er fälschlich den Feind als etwas, was im „Vernichtungskrieg aus dieser Welt geschafft werden kann“. Wie merkwürdig. Weil ich mich hüte, mich mit seiner Feindschaft, der des marxistischen Bürgerkrieges, zu identifizieren, erklärt er mich und meine Theorie zum Feind. Wunderbare Bestätigung. Jeder gibt mir recht, sofern ich nur ihm mit seiner konkreten Freund-Feind-Unterscheidung recht gebe. Hätte ich gesagt: Der Jude ist der Feind, hätten mir die Nazis recht gegeben; hätte ich gesagt: Der Nazi ist der Feind, hätten mir die andern recht gegeben usw. Das sind dann aber noch die relativ Ehrlichen. Die Schlimmsten sind die, die leugnen, daß es überhaupt Feindschaft gebe und auf dieser Basis ihre Feindschaft bestätigen. Vieles hierzu zu sagen: die Habil.-Schrift des SS-Mannes Lemmel gegen mich: der Begriff „Rasse“ von Dorfkötern okkupiert und ihnen von ihren Feinden abandonniert usw. 28. 8. 47 abends 1 Jetzt hat mich der Anfang der Historien des Tacitus ergriffen. Ist das nur noch Rhetorik, wie Ortega mir sagte? Ist es nicht die Identität der Situation, also existenzielle Teilhabe, participatio an ein und derselben Ur- und Kernsituation unseres Äons? Der ère actiaque, wie Proudhon sie nennt, dem Ursprung unseres Äons? Jedes Wort dieses Tacitus-Kapitels ist erschöpfend aktuell: magna ingenia cessere; opus adgredior optimum casibus, atrox proeliis, discors seditionibus, ipsa etiam pace saevum. Jawohl, ipsa etiam pace saevum, bella civilia et externa plerumque permixta. Die Verbindung von Außenkrieg und Bürgerkrieg, das ist nicht Rhetorik, sondern die schauderhafte Wirklichkeit erkannt und ausgesprochen, die Ununterscheidbarkeit von Krieg und Frieden. 29. 8. 47 Die Ununterscheidbarkeit von Krieg und Frieden ist zugleich das fas nefasque mixtum; Verwandlung des Rechts in Legalität, d. h. das Recht seines Charakters der Reziprozität berauben (gleiche Chance ein Fall der Reziprozität) und der Illegalität in ein taktisches Manöver (erlaubte Kriegslisten, ruse de guerre des Bürgerkrieges). Schrieb an Hans Barion: Ihr Aufsatz2 zum 100jährigen Todestage Sohms (1941) beschäftigt mich aufs lebhafteste. Sie schlagen den Vorstoß des Juristen mit ungeheurer Wirkung zurück und stürzen den unbedachten Aggressor in die Abgründe seiner eigenen Problematik. Mit vollem Recht. Könnte er nun versuchen (nach schlimmen Mustern), sich an den siegreichen Theologen zu klammern, um wenigstens ein Stück von diesem mit hinabzureißen?3 Etwa so, daß er die ihm, als Juristen, so fatale, antithetische Begriffskette:

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Stenogr. Notiz nicht klar lesbar. Am Rand: „Deutsche Rechtswissenschaft, Jan. 1942“. Am Rand: „Sohm 21. 4. 48“.

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Pneuma – Tradition, Charisma – Amt, Dezision – Institution mit dem Mut der Verzweiflung weiterführt, und zwar über die Souveränität – Legalität zum Pouvoir constituant – Pouvoir constitué hinein (oder hinab) in den Abgrund der Metaphysik: Natura naturans – Natura naturata1 (vgl. S. 142 meiner Diktatur), in das unorganisierbar-Organisierende, die plenitudo potestatis immediatae in omnes et singulos? (Dann Frage nach Otto Brunner, Land und Herrschaft, und K. H. Ganahl). Soviel ich sehe, bleibt Luther selbst für seine eigene Legitimation noch tief in der Tradition, sogar in der Tradition des mittelalterlichen ius reformandi. Die Calviner dagegen kennen den a Deo excitatus, der sich durch Zeichen und Wunder legitimiert. (Dann Hinweis auf die Neuerscheinung auf dem sonst so stereotyp gewordenen Gebiet der Menschenrechte: das Recht auf den politischen Irrtum; das Recht auf den religiösen Irrtum ist die Grundlage des bisher modernen Verfassungsrechts geworden). 30. 8. 47 Die gegenwärtige Rechtsordnung „kennt Feindschaft nicht“ (Otto Brunner, Land und Herrschaft, S. 38); daher das Entsetzen über meine Definition des Politischen? „Dem Rechtshistoriker bereiten die Begriffe Feindschaft (Fehde) und Rache eine eigentümliche Schwierigkeit.“ „Er ist immer überzeugt, im Fehderecht und Racherecht entweder vorrechtlich-private Erscheinungen oder unvollkommene Ansätze zu modernen Entwicklungen zu sehen, besonders im mittelalterlichen Fehderecht.“ Der andere Grund der Feinschaft gegen die Feindschaft: H. Heller und Willy Haas: Unterschiebung des Vernichtungsgedankens. 31. 8. 47 Begegnung mit dem Berliner Vortrag von James Shotwell, März 1927 (nach Ernst Jäckh die „formale Einleitung“ der neuen Kriegsauffassung mit der Kriminalisierung des Angreifers). „Stehen wir vor einem Wendepunkt der Weltgeschichte?“ Von der repetitiven Weltauffassung zu Wissenschaft, Demokratie, Zielen, die früher durch den Krieg gerecht wurden, wir ergänzen: auf andere Weise gerecht. Sehr wichtig die industrielle Revolution; es kommt hier zur Wandlung statt Wiederholung.

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Am Rand nicht klar lesbare, teilw. stenogr. Notiz.

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Früher war die Welt „statisch“ und es gab Kriege, jetzt wird sie dynamisch und es soll Frieden geben; merkwürdig; die Wut und das schlechte Gewissen suchen einen Schuldigen und einen Sündenbock; und da werden sich Narren und Dummköpfe finden, die diesem Bedürfnis ins Messer laufen. Auch das gehört noch zur Dynamik des neuen Weltalters. Der Krieg ist nicht länger ultima ratio, er hat seine raison d’être verloren. „Diese neue dynamische Welt, Schöpfung menschlichen Geistes, hat dagegen (gegen den Vormarsch der Zerstörung durch den Krieg) kein anderes Verteidigungsmittel, um ihr kostbarstes Erbgut zu retten (was ist dieses kostbarste Erbgut?) als eben diese Technik, mit der sie sich zugleich stützt und gefährdet, weil jede ihrer Entdeckungen den Gegner zu einer gleichwertigen, ja furchtbareren, nötigt.“1 Das hat uns der Krieg 1914–18 offenbart. Er hat uns klar gemacht, daß das nicht zufällig, sondern typisch ist, und daß das um so mehr wird, je mehr die Zivilisation sich entwickelt. Was heißt denn das? Je furchtbarer die Waffen werden, um so weniger Achtung sie dem Gegner lassen. Das ist das Neue: um so intensiver wird der Gegner disqualifiziert. 1. 9. 47 Was folgt daraus? fragt J. Shotwell. Antwort: Weil der Krieg aufgehört hat, berechenbar zu sein (wie er es im statisch-repetitiven Weltalter war), gehört er nicht länger der Realpolitik an und [daher] müssen wir eine Realpolitik des Friedens (Völkerbund, internationale Justiz, Locarno) entwickeln.2 Ich meine: weil der Krieg aufgehört hat, berechenbar zu sein, braucht er nicht aufzuhören, zu sein. Er war immer ein Gottesurteil, also unberechenbar. Die Frage ist, ob die Feindschaft aufhört, und sie hat leider nicht aufgehört. Daß der Krieg nicht länger der Realpolitik angehört, könnte doch auch zur Folge haben, daß mit der Form und dem Inhalt der Kriege auch Sinn und Inhalt der Realpolitik sich ändert und diese Politik nicht mehr bloß eine „Kunst des Möglichen und Berechenbaren“ ist wie im 19. Jahrhundert. Es könnte sein, daß gerade aus dem Willen, kostbarstes Erbgut zu retten, gerade aus dem Bewußtsein des ungeheuerlichen Wendepunktes und des dynamischen Charakters der Gegenwart, gerade aus dem Bewußtsein der Unberechenbarkeit des Krieges eine neue Art Realpolitik entsteht, die jenes Bewußtsein in sich aufnimmt und die Bereitschaft zum Bestehen der Gefahr gegenüber einer gleichen Bereitschaft auf der Gegenseite nicht fürchtet, wenn sie sich im Besitz der richtigen Waffen weiß. 2. 9. 47 Diese Vorlesung von James Shotwell vom März 1927 ist für Deutschland eine der keimund schicksalsträchtigen Vorlesungen; eine Vorlesung auf dem neugegründeten CarnegieLehrstuhl der Hochschule für Politik. (Vergleich: Schellings Vorlesung vom Nov. 1841 in der Universität). Wer saß darin? M. J. Bonn. Nachforschen! (am 26. 9. 47 erschien dazu ein Aufsatz von M. J. Bonn, der gute, kluge Moritz!) Der Spiritus malignus, der magnus deceptor, von dem Descartes spricht, verfolgt auch mich. Seine große List ist die Erregung der Angst vor dem unausweichlichen Betrug aller

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Am Rand: „Dieser Satz enthüllt eigentlich alles, einer der unerschöpflichen Sätze.“ Am Rand: „vgl. 13. 6. 48, 9. 5. 50“.

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menschlichen Existenz. Der Dieb, der „haltet den Dieb!“ ruft, ist eine ziemlich harmlose Figur neben dem Betrüger, der uns einflüstert, daß wir doch so leicht zu betrügen sind. Descartes kannte diesen unheimlichsten aller Betrüger; er antwortete mit einem „Sum“; ach ja summ, summ, summ, Bienchen summ herum. Desc.[artes] kam [zu] diesem Bohrwurm noch mit einem „ergo“; rührend. Wir können ihm nicht mehr ergotierend entgehen; nicht einmal mehr betend, wie wir es von den Eltern gelernt haben; nur noch das Zeichen des Kreuzes. Dank dir, Annette. Wie großartig kann sie sein mit ihrem Castor-Pollux-Angebot an einen strebsamen Literaten; sie, die Penthesilea unter den lyrisch begabten Ladenschwengeln des Biedermeier; der frische Baum an dem Vergißmeinnicht-geschmückten Giftsumpf des deutschen Vormärz; sie, die sich so klein macht, als „Mütterchen“ eines Eingebildeten, die kluge, törichte Jungfrau, in deren hausbackener Solidität mehr Geist steckte als in dem Poesiebetrieb der Lenau-Zeit; es ist zu traurig und ist zu viel mit ihr. Du hättest Heinrich von Kleist begegnen müssen; vielleicht hätte er die Amazone eine Sekunde lang wachgerufen; du hättest ihn zerrissen, aber das wäre ein edleres Ende gewesen als der triste Selbstmord am Wannsee. Aber auch hier: weg mit jedem „wäre“ und „hätte“! Tout ce qui arrive est adorable. Die russischen Räume sind weit und groß; die geistigen Räume des Landes zwischen Mosel und Saale, zwischen Friesland und dem Breisgau sind aber weit tiefer und größer. Tausendmal habe ich gesagt: Man kann nichts vernichten; und Adam Müller hat gegen Fichte gesagt: Wer einen andern absolut verdammt, verdammt sich selbst zu einem ewigen Kampf. Vielleicht ist das aber gerade der Sinn des agonalen Glaubens. Shotwells Verständnislosigkeit für diesen Agonalismus (der eben nicht vernichten will); ––––– Unterscheidung von agonaler und ethisch-moralischer Feind-Auffassung, bei der die agonale unerwartet günstig (auch moralisch günstig) abschneidet. 3. 9. 47 An Gerhard Günther: Hier möchte ich mich von der Jagd erholen, deren Wild ich seit Jahren bin. Dreimal hat mich der Leviathan wieder ausgespien. Ich verstehe jetzt den Propheten Jonas, der sich weigerte, dem Gebot des Herrn zu folgen und nach Ninive zu gehen, um dort den Menschen zu predigen. Das möchte auch ich nicht tun, jetzt Buße predigen; ich möchte auch nicht nach Ninive gehn. Ergo: quiesco, exsul in (ipsa) patria mea. Über Bernanos: Ich halte ihn für äußerst gefährdet.1 Seine Worte auf dem Kongreß der Unesco in Genf, Ende 1946, haben etwas verzweifelt Herausforderndes. Was hat er auch da verloren? („Die meisten wahrhaft Armen sind nicht Volkskommissare geworden; sie wurden von den Ausbeutern des Volkes gehenkt, unter dem Applaus der Armen. So geschah es mit Jesus Christus, und ich hoffe, daß dies auch mich erwartet“).2 Die Ritter- und Bauernaufstände des späten Mittelalters, 14.–16. Jahrh., Übergangszeit: die neue staatliche Organisation war schon stark genug, um die alten Ordnungen und ihren Schutz (Grundherrschaft und Feudalrecht) zu unterdrücken und aufzulockern, und noch nicht stark genug, um selbst ihre Art Frieden zu sichern (Otto Brunner, Land u. Herrschaft,

1 Am Rand: „Nachträgliche Anmerkung (Nov. 47): zum Lachen; er ist Botschafter in Rom geworden.“ 2 Am Rand Steno-Gemisch, nicht ganz lesbar.

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S. 392). Wie heute also die Auflockerung der nationalstaatlichen Ordnung ohne eine klare Großraum- oder gar Weltorganisation; neue, nicht mehr territorial aufgeteilte, daher Feindschaften, verschmierte Räume und keim-gespaltene Pseudo-Fronten. Plötzlich wieder lebhafte Neugierde für den Zusammenhang Bruno Bauer – Nietzsche in ihrem gemeinsamen Gegensatz gegen D. F. Strauß; ist es die Straußsche Traditionshypothese, die Bauer und Nietzsche, die beiden evangelischen Ex-Theologen, erbittert? Der Begriff des Juden bei Hamann, Br. Bauer, Kierkegaard und Nietzsche. Entfesselung der Virulenz eines Begriffes durch Ent-theologisierung. 4. 9. 47 Der protestantische Ursprung: Charisma gegen Institution; Charisma verweltlicht zu Genie; das gibt den absoluten Führer; daran ist auch Max Weber hervorragend beteiligt; das alles war geistesgeschichtlich unabwendbar.1 Rührend demgegenüber der Schrei: Zurück zu Goethe, zurück zum Idealismus, zurück zu Nathan dem Weisen, jawohl zurück, zurück! Ich kann diesen Zurück-Idealisten nur mit dem Wort Castruccio Castracanis antworten: Jetzt, wo du herauskommst, brauchst du dich nicht zu schämen; du hättest dich schämen sollen, als du hinein gingest. „Stehen wir an einem Wendepunkt der Weltgeschichte?“ Mit dieser Frage überschreibt Shotwell seinen Berliner Vortrag vom März 1927.2 Antwort selbstverständlich: Ja! Denn sonst könnte man nicht so fragen. Also Wendepunkt (vom Statischen zum Dynamischen, vom Repetitiven zum Wandel, von der Naturgebundenheit zur Freiheit).3 Das Bewußtsein des Wendepunktes ist dabei das Wichtigste. Es zeigt, daß wir vor einer Alternative stehen: weiter auf dem Wege des Dynamischen oder Besinnung und Rückkehr? Weiter d. h. zur Totalität des Dynamischen, denn es ist der Punkt erreicht, daß diese dynamische Welt die alte restlos vernichten muß und die freie Schöpfermacht des Menschen die Natur total erfaßt, total d. h. auch die physische und psychische Natur des Menschen. Das ist das Problem der Totalität, der Zwang zur totalen Planung, diese totale Macht des Menschen, diese restlose Beseitigung der Naturschranke. Dieses Problem kommt zum Bewußtsein und die Verzweiflung der Deutschen zeigte sich darin, daß sie im Namen des Alten (Natürlichen) in die dreisteste Dynamik des Neuen hineingetaumelt sind.4 Immer wieder: das ist das Problem der Totalität, entstanden aus dem Bewußtsein dieses Wendepunktes. „Lasset uns den Menschen machen.“ Das müssen die dynamischen Schöpfer ihrer eigenen Welt jetzt ––––––– sagen; oder vielmehr, sie müssen es tun, wenn sie auch gegenüber diesen blutigen enfants terribles lieber darüber schweigen. Welche Verwirrung der Fronten! 5. 9. 47, Reise nach Dortmund, (6. 9. nach Menden) Also Annette (oder sagt man hier besser: die Droste) und Heinrich von Kleist, das wäre eine der Begegnungen, die deutsche Verhältnisse nicht erlauben. In Dortmund ein besonders

Am Rand: „vgl. 6. 6. 48“. Am Rand: „vgl. 31. 8. 47, 1. 9. 47“. 3 Am Rand: „Garantie der Freiheit von Not ist Garantie der Freiheit von Gott.“ 4 Am Rand in Steno: „Die einen schrecken entsetzt zurück, die anderen rufen: Jetzt erst beginnt die eigentliche, die wahre, die kosmische Columbusfahrt.“ 1 2

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freundlicher und kluger Schlag törichter und kluger Jungfrauen; beglückt von dieser Freundlichkeit in dieser zertrümmerten Großstadt. Davon hast du wohl nichts gesehen, Georges Bernanos, als du über die zerstörten deutschen Städte so erschrocken bist und anscheinend glaubtest, solche Städte seien das Ende der Welt? Mir wäre Genf und dein heutiges Publikum viel schauerlicher, und vor allem deine eigene Situation, es sei denn, daß du selber weißt, daß du in der Lage des von Kierkegaard geschilderten Clowns bist, des Clowns, der „Feuer“ schreit, weil es wirklich brennt, und dem das Publikum applaudiert, weil es dieses Geschrei für einen ausgezeichneten Witz hält. Aber das ist wohl die Situation jedes Intellektuellen und jedes Clerc; sogar seine Definition: Wer weiß und redet, statt zu schweigen; oder schreibt, statt zu schweigen; das schreibende Reden ist das schlimmste; die schwarze Tintenspur, vor der Annette solche Angst hatte, der „leise schleichend“ Tod und Leben folgt. (In Neuenrade: „Das geht Ost und West klar als Zeichen an“.)

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Sonntag, 7. 9. 47 Der Tod Pinders. Paul Adams kannte die Stelle aus dem Mendiant ingrat vom 22. Juni 1894: „je vous le dis de la part de Dieu.“ Fumet unterschlägt sie; ebenso die neue Ausgabe 1928. Tue ich recht, mich hier in einer bequemen Art Heimat zu verkriechen? Die Lektüre der Notizen von 1912–14 ergibt Staunen über die unendliche Unbeweglichkeit des Geschehens, die Unbeweglichkeit dessen, was man Zeit nennt; oder was dasselbe ist, die unendliche Langmut Gottes. Nichts von sog. Entwicklung, nichts Wesentliches von Education, nichts von Tempo oder Eile. Immer wieder bin ich von neuem erschrocken über die Feindschaft, die das bloße Aussprechen des Wortes und des Namens „Feind“ gegen mich entfesselt hat. Habe ich ein geheimes Convenu verletzt, vielleicht gar ein Arcanum dieses Zeitalters, ein Arcanum der Bosheit? Oder nur eine der harmlosen Lebenslügen, einen der jedem noch so simplen Saeculum unentbehrlichen lebensnotwendigen (ja: Lebens=Not-wendigen) Geheimverträge, ohne die schließlich auch ein Gangsterclub nicht fertig wird? Habe ich eine raison d’être und raison d’état verletzt, Geheimklauseln, stille Abmachungen? Was ist es also? Ich höre in der heutigen Epistel (15. Sonntag nach Pfingsten): Deine Feinde sind meine Feinde und die Dich schlagen, werde ich schlagen. Ich lese bei Claudel (Einl. zu Tardif de Moidrey): et la raison d’état, je vous prie! Tout le monde et un chacun a sa propre raison d’état. Auch in der Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Vokabeln und Begriffen.1 Oder war ich taktlos? Habe ich gegen den Satz verstoßen: Im Hause des Gehenkten spricht man nicht vom Strick? Oder: Unter Proskribierten spricht man nicht von der Liste, oder: In der Hölle darf man den Teufel nicht an die Wand malen? War der Feind schon abgeschoben in die Theologie? Kehrt er wieder in der Mythologie, die mit der Vermassung kommt und ihr zugeordnet ist? Also: Du bist auf Erden, um Gott zu erkennen. Aber Marx: Es handelt sich nicht darum zu erkennen, sondern zu verändern, d. h. zu beherrschen und dienstbar zu machen. Also du bist auf Erden, um Gott zu verändern, zu beherrschen, dir dienstbar zu machen.2 Darüber –––––––– hat sich keiner entsetzt, wohl aber über die Konstatierung, daß ein Unterschied zwischen 1 2

Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar.

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Freund und Feind ist und daß es so etwas wie Feindschaft immer noch gibt unter den Menschen. Das war ein roher Griff an den sensiblen Punkt. Der Teufel fuhr auf, als in dieser Weise auf seinen Busch geklopft wurde, und lehrte den naiven Busch-Klopfer Mores. Claudel (Einl. zum Ruth-Kommentar des Abbé Tardif de Moidrey, 1937): „L’Antéchrist, le Christ noir, l’ombre négative du Christ, a commencé sa carrière avec l’autre, et chaque rayon qui vient accroître la splendeur de l’un ajoute refus et contour au blasphème de l’autre … Le Christ [recte: chrétien] a toujours à se frayer sa route, son crucifix à la main, au milieu des replis et des mandibules des deux bêtes, celle de la terre, temporelle, et celle de ––––– la mer, spirituelle.“1 –––– Cor Jesu, saturatum opprobriis. 8. 9. 47 Annette, die klug-törichte Jungfrau. Beethoven, das ist also die französische Revolution, aber nicht nur Robespierre, sondern auch Rousseau: die Pastorale dazu; das erst macht ihn so erstaunlich total; erste und einzige „Landschaft“ im Sinne des säkularisierten Paradieses; noch ganz landschaftsgläubig; diese Rousseau-Wirkung der Pastorale ist noch wichtiger als Rousseaus Einwirkung auf Kant, Fichte, den jungen Hegel, Hölderlin und Schiller. 9. 9. 47 Wiederum erstaunt über meine gedankliche Verwandtschaft mit Hauriou: Qui dit cérémonie ou formalité, dit action, accomplie en un trait de temps (und verortet müßte man noch hinzufügen); la cérémonie est essentiellement actuelle (ich würde sagen präsent), une fois terminée on imagine malaisément des additions posthumes (Problem der Unwiderruflichkeit des Staatsaktes). Das ist auch die Einheit von Ort und Zeit und Handlung, insbesondere bei dem Juristen Corneille. Spiel: Act , oder: Hauriou: le territoire contribue –––– à fournir la notion de ce qui est public; oder Hauriou: la loi est une disposition par voie générale; oder die Erkenntnis der „obéissance préalable“; oder: über den imperativen Charakter des Gesetzes usw. usw. In diesem Manne erkenne ich meinen älteren Bruder, das Glück solcher Begegnungen und Erkennungen. Wie kann die Legalität als System bestehen, wenn niemand mehr an die Rationalität des Législateur zu glauben vermag; nicht einmal mehr an seinen guten Willen zur Unparteilichkeit? Zusammenhang von Legalität, Rationalität und (parteipolitischer) Neutralität (schon bei Bodin, Rep. p. 636 etc.) zu erkennen. 10. 9. 47 Aus dem Votum des Kardinals Passionei 1753 für Benedict XIV. in der Frage der Heiligsprechung des Kardinals Robert Bellarmin; betr. dessen Autobiographie „aus dem Glauben“ 1613, die Bellarmin als 71jähriger Mann auf Wunsch eines Freundes niedergeschrieben hat: Darf man sein eigenes Leben beschreiben? Darf man ein Tagebuch führen, das andere lesen sollen? Antwort: Ein Christ darf es nicht wegen der Pflicht zur humilitas; nur auf Befehl des kirchlichen Vorgesetzten oder des Beichtvaters; aus göttlichem Antrieb oder in der Notwendigkeit, sich selbst zu verteidigen. Augustinus hat in seinen Confessiones nur 1

Stenogr. Notiz am Rand: „fabelhaft, weil dialektisch sehr gesagt“.

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von belastenden Vorgängen erzählt. Auf diesen Einwand versuchten einige Verteidiger des Bellarmin dessen Selbstbiographie als bedeutungslos hinzustellen, als relatiuncula, scriptiuncula, breviculum, notila. Andere sagen: Es ist eine indifferente Handlung, sein eigenes Leben zu beschreiben; man kann es gerade aus humilitas tun. Pass.[ionei] antwortet: es ist wenigstens eine occasio proxima zur gefährlichsten Sünde, der Selbstliebe und des Hochmutes, die, als geistige Sünde, gefährlicher ist als die Concupiszenz. „Unsere Taten sind unsere geliebten Töchter, unsere allzu schönen Frauen, zu denen wir uns immer wieder hingezogen fühlen, über deren Schönheit wir selbstgefällig staunen wie Luzifer und unser Vater Adam.“ Sich mit seiner Selbstbiographie beschäftigen, das ist eine ebensolche Gelegenheit zur Sünde (occasio peccati) wie für einen jungen Mann der Umgang mit einer jungen hübschen und allzu liebenswürdigen Dame, mit der er aufs lebhafteste allein zu sein wünscht und mit der er sich ohne Zwang und in aller Vertraulichkeit unterhalten möchte.1 Wie schade, daß ich das Franz Blei nicht habe zeigen können. Aber vielleicht hat er es gekannt. 2 13. 9. 47 In Siedlinghausen: aquae et igni interdictus. 18. 9. 473 Gestern Entdeckung der Kirche in Plettenberg durch Paul Adams, der herrlichen Türmchen und Steine mit den Augen Knappe, Sehnsucht, den jungen Rikus zu holen und es ihm zu zeigen, den Giebeltyp von Affeln, die Hand der Mutter Gottes; alles kommt zu dir, was dir zukommt. Was dir zukommt, kommt auch zu dir, jedes Buch, jedes Stück Brot, jeder Apfel und jeder Mensch. Wehe dir, wenn etwas dir nicht Zukommendes zu dir kommt. Die Hand der Gottesgebärerin auf dem romanischen Tympanon an der Affelner Kirche, kommt sie mir zu? Die durch Clemens Möllenbrock maßvoll gemaßregelte Annette, der durch P.[ater] Westemeyer maßvoll gemaßregelte Donoso Cortés, ecco il risorgimento cattolico contemporaneo! Wer seid ihr, Maßträger, Maßstabträger, und was ist der Sinn Eures Tuns? Lese das Buch von Otto Veit: Die Flucht vor der Freiheit. Alles noch Kritik der Zeit, weit entfernt von Ewigkeit! Erinnerungen an Walther Rathenau und die Zeit von 1912/14; Parallel-Fall mit dieser „Flucht vor der Freiheit“? Sonderbare Gleichförmigkeit, Identität, Wiederholung. Wiederkunft des Gleichen auch zu dir selber als dem immer noch unverändert Gleichen; oder ist es nur eine Folge der Einlassung auf die Vergangenheit, die in diesem meinem Aufenthalt in Pl.[ettenberg] liegt? Leitmotiv: Unveränderlichkeit des Schicksals und des Charakters.4

Am Rand: „De Récalde, La Cause du Vénérable Bellarmin, Paris 1923“. Später hinzugefügter stenogr. Text (21/2 Zeilen) nicht lesbar. 3 Stenogr. am Rand: „Nach Besichtigung Siedlinghausen und dem Besuch von Paul Adams in Plettenberg“. Der folgende Absatz weitgehend in Steno. 4 Stenogr am Rand: „Goethe: Wir leben von der Vergangenheit, und die Vergangenheit frisst unser Volk.“ 1 2

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Das „paradiesische Kabinettchen der Innigkeit“ (von Karl Eschweiler hervorgezogene Formulierung Sailers) lockt mich sehr. Konrad Weiß (als Karl Caspar ihm vorwirft, du wärest subaltern): Ich bin so gern subaltern. Die materialistische Weltauffassung: die Welt als Bedürfnisanstalt. 19. 9. 47 Begriffliche Zusammenhänge: Absolutheit des Privateigentums = Gleichheit (nicht Abstufung) des Eigentums = allgemeine bürgerliche Gleichheit (gleiche Freiheit); wurde mir blitzartig klar, wollte es notieren, notierte aber in der Eile nur „ungeheure Erkenntnis“ und hatte vergessen, was denn nun diese Erkenntnis war, der Begleiteffekt der Wichtigkeit. 20. 9. 47 nach Finnentrop und zurück begleitet. Ivo de Vento (aus der Schule Josquin des Prés, 16. Jahrh.) spricht von den Riservata, musikalischen Figuren, die nur die Kenner bemerken und verstehen; (ebenso Adrian Petit Coclicus), darüber Kurt Hubers Dissertation. Alle Völkerrechtswissenschaft und alles Verfassungsrecht ist heute Riservat, tabu. Z. B. totaler Staat ist totale Verantwortlichkeit (in meinem Aufsatz über das Tabu) oder die Dialektik des Verhältnisses von Soldat und Bürger bei Totalisierung des Krieges. John Quincy Adams, in einer Mitteilung von Albert Gallatin: neutral ist eine Regierung, „die die Sache beider Parteien in einem Streitfall als gerecht anerkennt, das heißt jegliche –––––– ––––––– –––––– Erwägung des Gegenstandes des Streitfalls selbst vermeidet.“ (zitiert bei Thorsten V. Kali––––––––– ––––––––––– –––– jari, Europ. Revue 1935). Wesenszusammenhang von Monroe-Doktrin und diesem Neutralitätsbegriff. Torheit Hitlers: nicht nur mit dem diskriminierenden Krieg gegen den Osten zu beginnen, sondern vor allem auch der Selbstwiderspruch: Im Falle Locarno hatte er 1936 gesagt, daß ein Bündnis mit der Sowjetunion den Locarnovertrag sprengt; völlig richtig wegen der Sprengwirkung jeder Berührung mit der Sowjetunion. Wenn er nun aber 1941 über die Sowjetunion herfällt und sie mit Krieg überzieht, sollte das vielleicht keine Sprengwirkungen auf die ganze Welt haben? Wesenszusammenhang von Monroedoktrin und diesem Neutralitätsbegriff! 21. 9. 47 Wyndham Lewis, The Enemy (so nannte er seine Zeitschrift, die er seit 1927 herausgab), hat nicht die Feindschaft gegen sich hervorgerufen, die er hervorrief.1 Warum? Weil in England alles weniger ernst genommen wird, alles noch wattiert ist, auch die Unzufriedenheit mit dieser Wattiertheit. Er will nicht nur verstehen, er will bewußt und gerecht sein, nur um nicht in einen Mischmasch zu geraten. Unterschied gegen den Zeitgeist. Die heraklitische Ungerechtigkeit der Gegensätze. Begegnete W. L. durch einen Aufsatz von Hans Hennecke, Europ. Revue, März 1938; W. L. hat 1931 ein Buch über Hitler veröffentlicht (1932 bei R. Hobbing auf deutsch erschienen). Hier eine verwandte Seele? „Ich will nach bestem Willen umgestalten oder vernichten“, richte meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf Dinge, die für mich die meiste Bedeutung besitzen usw. Plastisch und statisch (in: Time and

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Am Rand: „I am the enemy you killed, my friend.“

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Western Man, 1928); Vorticism (von vortex, der Wandel?). Ed. Rosenbaum hat mich 1926 auf ihn hingewiesen und Rosenbaum tauchte inzwischen auch wieder auf, läßt nichts Gutes an mir, haß- und ressentiment-erfüllt, aber das ist ja gleich. I do not know that I did well, but I did honestly (Grey). Mein höchstpersönliches (durch eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse wohlerworbenes) Recht auf Riservata und Arcana; das ist mir weit wichtiger als ein Recht auf politischen Irrtum, und in dieser Hinsicht vergewaltigt zu werden, ist ein schlimmeres Unrecht als ein politischer Reinfall, d. h. in einer Wechsellage des Bürgerkriegs auf die besiegte Seite zu geraten. Mythisierung durch Vermassung am unmittelbarsten selbstverständlich bei einem Wort und Begriff wie „Feind“; phonetisch weit gefährlicher als enemy oder foe, weil es einen schneidenden Dezisionismus suggeriert. Deprimierend und beleidigend ist für mich jede schauspielerische Darstellung im Film. Ich soll mir etwas vorspielen lassen, was nicht gegenwärtig, sondern photographiert ist; ich habe es nicht mit anwesenden Menschen zu tun; das Spiel wird nicht produziert, sondern mechanisch reproduziert. Das letzte Marionettentheater ist mehr als der beste Film. Weder Präsenz noch Repräsentation, schauerlich, grausig, seelen-, augen- und ohrenzerstörend. Ohne Raum, sogar den Zuschauer aufhebend, der nicht einmal mehr sinnvoll applaudieren kann; die Höhlenbewohner des Kinos, Ausdruck ihres bereits unterirdischen Vegetierens. Raum = Präsenz. Das ist die Erwägung, aus der heraus es mir seit 10 Jahren nicht mehr möglich ist, ein Kino zu besuchen und einen Spielfilm zu sehen. Damit entferne ich mich von der Wirklichkeit meiner Zeit; verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum meine Gegenwart. Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum. 22. 9. 47 Der „Grund“ unseres Seins ist unser Körper in seinem komplizierten Funktionieren, wie der „Grund“ des Geigentones die Reibung und Schwingung von Schafs- oder Katzendarm, Roßhaarbogen und Fichten-, Ahorn- und Ebenholzkasten ist; oder der Grund ist eine Reizung wie eine Wunde. Der Pan versinkt, ich bin, mich hält ein Ton. Oder aber: der Pan erscheint und eine Dissonanz macht mich zu nichts. Einzig erbt ich den eigenen Leib. Lebend zehr ich ihn auf. 23. 9. 47 Stichworte für dich: Unwirklich (Frau K. Weiss), Wüstenfuchs (Podszus), Maniriert (Joh. P.[opitz]), Antik (Rud. Sm.[end]). Ich höre: Ambivalenz, Antinomie, Aporie und weiß schon, was das ist, denn ich höre zugleich: Sackgasse, Tritonus. Ich höre: Kritik und kritisch und weiß und höre: Krise, Krise. Ich höre: Urschleim und sehe das ganze 19. Jahrhundert von 1848 bis 1948. Es gibt ein Universum und ein Pluriversum, aber kein Duo-Ambiversum. Binarius numerus infamis; wer sagt: Ambivalenz, Antinomie, Aporie, sagt schon Kernspaltung, d. h. Bürgerkrieg, d. h. Freund und Feind. Ich habe immer nur als Jurist gesprochen und geschrieben und infolgedessen eigentlich auch nur zu Juristen und für Juristen. Mein Unglück war, daß die Juristen meiner Zeit zu

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positivistischen Gesetzeshandhabungstechnikern geworden waren, tief unwissend und ungebildet, bestenfalls Goetheaner und neutralisierte Humanitärs. So konnten sich die mithorchenden Nichtjuristen auf jedes Wort und jede Formulierung stürzen und mich als einen Wüstenfuchs zerreißen. 24. 9. 47 Der Begriffsrealismus als Voraussetzung der Jurisprudenz; Brief an Otto Veit. (In Wahrheit also Flucht vor der Freiheit in die Technik; vgl. 21. 4. 48). 25. 9. 47 Peter F. Drucker, The end of economic man (1939) „To the extent, that the problem of selfassertion and self justification becomes more and more urgent, totalitarianism must invent new personifications of new demons. In comparison with the Jews, even the communists are of doubtful value as demonic enemies.[“]1 Denn Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind. Es hat gar keinen Zweck, die Parole der Weisen von Zion als falsch zu beweisen. Der Zwang, einen totalen Feind zu finden, aber doch nur einen, nicht zwei: Ost und West zugleich, Russen und Angelsachsen, Kommunisten und Kapitalisten zugleich. 26. 9. 47 Ich habe damals, in den Jahren 1933–36, mir und der Würde meiner Gedanken weniger vergeben als Plato sich und seinen Gedanken durch seine sizilischen Reisen vergeben hat. Bernanos (Frankreich gegen die Roboter, 1947) über die Maschinenzivilisation „welche die selbstlose Arbeit des Gelehrten ausbeutet und heute weniger als je versucht ist, ihm auch nur den kleinsten Anteil an ihrer Lehrgewalt zu überantworten“. Problem des pouvoir spirituel; Situation: ubi nihil vales ibi nihil velis; ergo: isoliertes Individuum, retraite, der Weise den kecwrisménov, Heraklit sagt aber nicht: ou¬tópov. 27. 9. 47 Erinnerung an Fritz Eisler: Ich schrieb ihm Weihnachten 1913 aus Köln und er verstand es: die Zeit ist reif zur Diktatur. Identität unseres Raumes, bei Wechsel der Zeit; Gleichbleiben dieses Raumes seit 1907. Es gibt keine wesentlichen Änderungen oder Veränderungen, das ist alles nur Zeit und der mit ihr verbundene Schein; alles Wesentliche bleibt unveränderlich und unverändert und taucht in periodischen Intervallen immer wieder auf. Entwicklung, Fortschritt, Prozeß, alles nur Zeit-Illusionen, wechselndes Zeitkostüm (der Gottheit lebendiges Kleid? der toten Götter dürres Laubgeraschel). Zeit und Meer; Raum und Land liegt fertig da wie die Partitur einer Symphonie, die manchmal aufgeführt wird und dann jahrelang wieder nicht. So faß ich dich, du ewige Präsenz.

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Das Folgende in Steno und nicht vollständig lesbar.

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Zu Gerhard Nebel, Platon und die Polis (steht hoch über der Paideia von Werner Jaeger):

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1. Staat; er nennt die Polis einen Staat; aber der Staat ist in noch weit höherem (weil ––––– geschichtlich-dialektisch gesteigertem) Grade ein einmaliger, konkreter, zeitgebundener Typus, vom 16. zum 20. Jahrhundert des christlichen Äon zu datieren und an diese vier Jahrhunderte gebunden. Daher ist es auch sinnwidrig, von einem Staat des Mittelalters zu sprechen; der Staat [ist] aus Renaissance, Humanismus, Reformation und Gegenreformation hervorgegangen; er ist die Neutralisierung des konfessionellen Bürgerkrieges, also eine spezifische Leistung des occidentalen Rationalismus usw. Es ist so, als wollte man umgekehrt den Glauben an Zeus und die anderen Götter als „Staatsreligion“ bezeichnen. Der Staat ist wesentlich das Produkt eines religiösen Bürgerkrieges, und zwar dessen Überwindung durch Neutralisierung und Säkularisierung der konfessionellen Fronten, d. h. Enttheologisierung;1 (zu S. 13, 21, 31, 36, 39, 54), Konstituierung des Gegensatzes von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, Konstituierung der Trennung von Innen und Außen, alles dem Staat ebenso wesentlich wie der Polis wesensfremd. Ne simus faciles in verbis. Veritas est in verbo Dei. Enttheologisierung, d. h. Juridifizierung und Metaphysizierung, Philosophizierung, aber eben noch nicht Positivierung und Technisierung; Reich der objektiven Vernunft usw. Nicht einmal Rom war eine Polis (S. 22). Civitas + res publica ist etwas wesentlich anderes! Der römische hielt sich an den Fall und vermied das Gesetz im Sinne der regelung.2 2. Nomos – Gesetz: Verfassung; zu S. 16. Sehr schön S. 17: die Einmauerung der Seele in das Gefüge der Polis; Heraklit: Der Nomos ist ein Raum. (Den vier Verfassungseiden der deutschen Beamten stehen aber 12 solcher Eide des französischen Beamten von 1830 entgegen, und dazu die französische Antwort, die ein französischer Würdenträger damals gab, als man ihm sein Dutzend vorwarf: Eide sind dazu da, geschworen zu werden). S. 74: Der griechische Genius suchte nicht den Fall, sondern das Gesetz; das war aber kein Ermächtigungsgesetz. Lebenszeit erregt nicht die Unruhe, die Lebensraum erregt. Warum? In Lebenszeit liegt schon der Tod, als Grenze. Survivre, sagt auch Mme Gu.[yon]. Ich sehe nichts als Willen zum Überleben. Das also ist der Über-Mensch: der überleben Wollende; mehr bleibt nicht übrig. Wen überlebt er? Die Konkurrenten der Lebensbedrohung; die Mit-Bedrohten oder die Bedroher? Natürlich womöglich beides; eventuell aber nur die Mitbedrohten. Was über–––– lebt er: die Lebensbedrohung. Mehr wollen sie nicht: überleben. Alles das Bestätigungen des Bildes, das Hobbes ein für allemal gezeichnet und gemalt hat, um den Ansatz zur Konstruktion der pol. Einheit zu finden; Bestätigung aber auch des bösartigsten Biologismus. Der Weg des Geistes ist der Umweg (Hegel). Abstand, , Mittelbarkeit, Resultat jedes menschlichen Werkes. Mein Weg von Berlin über Nürnberg nach Plettenberg.

Am Rand: „pánta tolmhtéon (Theaetet) kalóv kíndunov!”. Am Rand: „Sokrates: vom Mythos zum Logos; der Staat: vom christlichen Glauben zur objektiven Vernunft“. 1 2

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28. 9. 47 Freiheit von Not, das wäre also Freiheit [von] Mangel, Freiheit von Christus. Festigkeit und Unveränderlichkeit der Arten: Festigkeit der sozialen Ordnung und Stände; grenzenlose Entwicklungsmöglichkeiten: Auflösung der Stände und allgemeine Vermassung. Der Darwinismus als wissenschaftlicher Mythos des 19. Jahrhunderts; daher mußten die Hitlerleute Darwinisten sein, trotz aller ihrer Adelsmythen und Elite-Programme. Primat der Geisteswissenschaften vor den Naturwissenschaften, daher denn auch (und erst dann) Möglichkeit eines pouvoir spirituel und Domestizierung der entfesselten Technik. Bei Otto Veit scheinen nur zwei Probleme zu fehlen: 1) Folgerichtigkeit des Herrn der Welt in Plan und Technik, Mythos und Masse (vgl. oben zu Shotwell); insbesondere Folgerichtigkeit der Planung einer Entmassung durch birth-control (the birth rate will decrease until the standard becomes maintenable). 2) Folgerichtigkeit der politischen Mythologie (der vom Herrn der Welt massenmythisch fabrizierte Feind); Selbstkorrektur der Industrialisierung. Freiheit wozu? Zur Schaffung des Paradieses! Natürlich nur für die Überlebenden! Ergo: Kampf um das Überleben umso heftiger je näher dieses Paradies. Auf, zum letzten Gefecht! 29. 9. 47 Entdeckte bei Donoso Cortés (in einem Brief von 1851 an die Königin-Mutter Maria-Cristina) den Satz: Seuls aujourd’hui les saints peuvent sauver les nations; das ist Kierkegaards Satz von den Märtyrern. Auch sie empor über die juristische, den Heraldo analog der Kierkegaards; oder wie er sich den „Feind des Publikums“ nennt auch seine Verzweiflung.1 J’attends le déluge et je me ris des sots. La distance est nécessaire pour la perspective. ( sehen wir aber mehr perspektivisch.) Je crois, relativement au droit, que le droit humain n’existe pas et qu’il n’y a d’autre droit que le droit divin. Gott ist die Konzedierung allen Rechts, der Mensch nur die Konzedierung aller Pflicht. (Brief an den Direktor des Heraldo, Paris, 15. 4. 1852). Entsetzlich traurig darüber, daß brave Menschen wie Westemeyer und Möllenbrock an dem Werk und den großen Kreaturierungen katholischer Christen so blind zensierend vorüber gehen; das hätten sie mit Kierkegaard nicht gewagt. Warum wagen sie es mit katholischen Autoren? Von Donoso geht unverändert die alte Kraft aus; er ist einer meiner Schutzengel. Seine Feinde, sagt Gott, sind meine Feinde. Erstaunlich (in dem Brief an den Direktor der Zeitung El Orden vom 10. 6. 1851 Paris): le Moi est satanique par sa nature, et insociable par son caractère. Dans l’enfer il n’y a pas d’autre pronom que moi.2 Das wäre eine schöne Illustration zu Stirners Einzigem und seinem Eigentum. Das wußte ich unbewußt schon im Jahre 1908, aber von 1905 bis 1907 war es verwirrt durch die Ich-Philosophie der deutschen Bildungstradition und durch Kluxens Renommistereien. So hat mir auch Stirner damals imponiert: als der Ich-Renom-

Dieser und der übernächste Satz in Steno und nicht klar lesbar. Am Rand, teilw. Steno: „ Pascals: Moi haïssable, Gegenstück: Ernst Jüngers Ich-Verpanzerung“. 1 2

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mist, der Ich-Knote, der Ich-konsequente Nihilist, den es in dieser handwerksburschenhaften Folgerichtigkeit wohl nur in der Luftleere des sich selbst setzenden und zersetzenden deutschen Idealismus und nur auf dem Boden der mißlungenen Ost-Germanisierung geben kann, und nur in der Zeit von 1840 bis 1848. Dahin gehört auch die im Grunde immer nur ironische Oper „Der Wildschütz“ von Lortzing (ironisch und witzig wie alles nur Restaurative, wie z. B. auch Rossinis Opern). Lortzing der Freund von Glaßbrenner. Berliner Witz, Einschuß von Sentimentalität, die ganze, sich selbst zersetzende Restauration, das Biedermeier als Gefühlsmaske vor dem Nihilismus. Der „Wildschütz“ von Lortzing ist ein ebenso deutliches Symptom und sogar Dokument für Berlin und Preußen, wie es Offenbachs Schöne Helena und Orpheus für Paris und Frankreich waren.1 30. 9. 47 Die Elite der Fahrer (der Chauffeure), der Kraftwagenfahrer; Fahrer, nicht Führer; Ernst Jüngers Arbeiter, Augen zu und Gas. Der Mann von der Straße ist heute der Chauffeur. Die anderen gehen auf den Bürgersteigen, soweit es solche noch gibt, als verkehrspolizeiliche Konzessionen. Der Mann von der Straße ist der Herr der Straße; das ist moderne Demokratie. 1. 10. 47 Immer wieder Donoso: Er sagt, daß er nicht polemisiert und nicht diskutiert. La parole est une semence, je la jette au vent, et laisse à Dieu le soin de la faire tomber sur la roche stérile ou sur la terre féconde. Oder: La liberté absente de la terre. Herrlich über das Mittelalter: être roi, ce n’était ni régner, ni gouverner, c’était purement et simplement recevoir des hommages (in England); die Krone: Symbol und Sinnbild der Nation. Erstaunlich: die letzten Reformen 1831 haben England einen kontinentalen Parlamentarismus gebracht: Dans le moment même où elle tenait pour certain qu’elle nous aurait conquis par ses institutions. Immer wieder: das harte und unabänderliche Schicksal seit 1789.2 Die USA-Verfassung ein Symbol aus der Zeit vor 1789; sonderbar. Das schreckliche, lähmende Gefühl der Nutz–––– losigkeit, Sinnwidrigkeit jeder menschlichen Bemühung, wobei die eifrige Aktivität ein Teil der Sinnwidrigkeit ist. Die Menschen würden diesen Mann wie einen gefährlichen Hund erschlagen, wenn sie begriffen, was er über sie denkt und sogar sagt und niederschreibt. Was zieht mich zu diesem verzweifelten Menschen? Was fesselt mich an ihn, an Kierkegaard, an Pascal, an den armen Bruno Bauer (inmitten des Geschiebes akademischen Betruges)? Hatte große Lust an der interessanten Aufgabe: das Bild des Frankreichs von 1848-51, das Donoso entwirft, mit dem von Karl Marx zu vergleichen. 2. 10. 47 Sehr frappiert durch H. Blühers „Erhebung“, besonders die Bemerkungen über den König. Aber es ist eine Absichtlichkeit im Ton, ein gewolltes, polemisch-protestantisches SichAbsetzen, sogar Renommisterei. Ganz anders Donosos verzweifelte ungewollte theologische Zuspitzungen; aber auch Donoso weiß noch, was eine Krone bedeutet; trotzdem

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Späterer Zusatz: „und Wilh. Busch“. Am Rand: „Der Zwang: la nation condamnée à perpétuité à la république (la France en 1851)“.

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ohne klare Unterscheidung von dynastischer Legitimität. Auch (Ausspruch eines Bayern, angesichts des ersten Urteils des neuen Bay. Verf. Gerichtshofes i. Sa.[chen] Haußleiter) die Formulierung: man habe „den legalen Weg juristischer Instinktlosigkeit“ beschritten. Nichts ist so rührend wie der Machiavellismus als Doktrin. Das, was als M.[achiavellismus] perhorresziert wird, müßte doch vor allem solche Doktrinen vermeiden. Jeder Mensch hält sich für unfehlbar und benimmt sich so, als wäre er es; aber die Lehre von der Unfehlbarkeit verkünden, erhebt die Angelegenheit auf eine andere Ebene. Sollte man meinen. pánta tolmhtéon; das ist platonisch; kalóv o™ kíndunov. Senecas: semper paret, semel iussit ist der an sein eigenes Gesetz gebundene Gesetzgeber; ihm mag zum Troste dienen, daß sein Gesetz oft klüger ist als er selbst. Carl Schmitt a¬nagkazómenov; der Mann der blinden Vorgebote. 3. 10. 47 Meine Sympathie für zwei hervorragende Kanonisten, Teodoro Andrés Marcos und Hans Barion, zeigt die ganze unglückliche Unvollendetheit meiner Lage zwischen den Theologen und den Juristen des weltlichen Rechts. Es gibt keine besseren Juristen als uns, aber wir werden zwischen Theologie und Technik zerrieben. Jene beiden Kanonisten sind Juristen der Theologie; ich bin ein Theologe der Jurisprudenz; das Ergebnis ist Erfolglosigkeit in einem Zeitalter massig Weltlichkeit, gußeiserner Begriffe und der delikat-vorsichtigsten potestas indirecta. Zeitbedingte Irrtümer Sohms: Gewohnheitsrecht dient dem Starken; Gesetzesrecht schützt den Schwachen; rührender rousseauistischer Glaube an den Gesetzgeber, den législateur; semel iussit, semper paret. Heute weiß jeder: der Starke macht das Gesetz als seine Waffe gegen etwaige Stärkeanwandlungen des Schwachen (und freier noch sind Quellen!). Heute ist: Gesetzesglaube = Instinktlosigkeit der zum Untergang verurteilten Lebewesen. Umgekehrt die Methode der Legalitätseide Hitlers: semel paret, semper iussit. Der Législateur und die Diktatur. Das Gesetz ist Diktat, dictamen erst rationis, dann voluntatis, dann concupiscentiae. Jedes Gesetz ist ein Diktat. Wie Hindemith: aus dem Stoff der tonalen Möglichkeiten, Melodien und Harmonien, so bilde ich aus dem Stoff der rechtlichen Ur-Institutionen meine Positionen und Begriffe; Unterschied nur: ich muß mir meinen Stoff erst formen; wir sind als Juristen noch nicht einmal bei den Mensuralnoten, viel weniger bei Partituren. Vielleicht ist das Staatsrecht der Stoff der Rechtswissenschaft, nicht das Gesetz! Gegenstand und Stoff.1 ––––– Wie kommt es, daß alle diese aufgeregten Detraktoren, wie Radbruch und Schwinge, nicht sehen, daß ihre Entrüstung über mich geistig identisch ist mit der Wut Hitlers über die entartete Kunst? Der Bruder Straubinger war nur zu unwissend, um mich zu bemerken. Deshalb konnte und durfte ich mich auch auf ihn einlassen. Also die deutschen Landesverfassungen von 1946/47 beruhen auf einem „Austausch geistiger Werte“ mit USA; fehlt nur noch das Kulturabkommen nach Art des deutschslowakischen Austausches. Worauf beruht denn meine „Verfassungslehre“ von 1928?

1 Dieser Satz überschreibt eine stenogr. Notiz, von der zu lesen ist: „ist nicht das Gesetz, sondern das Recht, alles andere ist der Systematik für pädagogische Zwecke.“

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Trost in dem Leiden der Annette. Ein Klemens Möllenbrock freilich stellt fest: mangelnde Jungfräulichkeit, fehlender ordo, ideologische Notausgänge etc. „Erlösende menschliche Befreiung ist ihr nie zuteil geworden“. Was ist denn das? Erlösende, menschliche Befreiung? Der Maßregler schließt: Die Droste ist in keinem Punkte zu einer „zeitüberlegenen“ Weltanschauung durchgedrungen. „Zeitüberlegen“ setzt er klugerweise in Anführungsstriche. Weltanschauung allerdings nicht. So „zeitüberlegen“ ist er selber wieder nicht. „Die Droste gehörte weder zu den Frommen, die die Erde nicht mehr sehen, noch war sie verpflichtend (sic) an das irdische Dasein gebunden.“ Hört den Herrn Direktor. Wie traurig ist das alles. Ich kann dir nur sagen „allein der Pilger wird sie segnen“, du gestrenger Klemens; vor dir aber werden wir uns alle verkriechen, wenn du mit deinem baculus erscheinst.1 Ich bin in der Lage des Ginés de Sepúlveda. Die andern sind schlauer. Geh doch dahin, wo du Anklang findest und horch auf den Anklang, statt dem inneren Zwang deines Denkens zu folgen. Ich war ein a¬nagkazómenov des Denkens, statt ein Horcher; Sepúlvedas Democrates alter, 1547 geschrieben, wurde erst 1892 gedruckt. Solange haben die Gutachter der so milden und toleranten Humanitären ihn mundtot machen können. 4. 10. 47 Also: Ich bin Ich, nur Ich allein; er müßte hinzufügen: und nur in diesem Augenblick, nur hic et nunc, ohne Garantie (das würde mich binden), freibleibend. Jawohl, das ist er: der freibleibende Freie. Ein fröhlich krähendes, keineswegs zähneknirschendes Ich, kommt sich gar nicht haïssable vor und würde sich höchstens geschmeichelt fühlen, wenn man es „satanisch“ nennt; ein Teufelskerl, unwiderleglich, wissen Sie, dämonisch, was man früher genial nannte; beides gleich dumme Begriffe. Willst Du ihn etwa um seine Unwiderleglichkeit beneiden? Oder um seine Unbeirrbarkeit, oder seine Unentwickeltheit? Was wird aus meinem großen Thema „Fr. de Vitoria und die Enttheologisierung des Völkerrechts?“ Kann meine Begegnung mit Don Teodoro Andrés bedeutungslos und fruchtlos gewesen sein? Bleib still; bleibe auch jetzt: ungewollt und nur getreu. Der große Ausblick auf eine marianische empresa, auf das größte geschichtliche Werk seit dem Mittelalter. Von meinen 3 Namen muß ich den dritten [recte: ersten], Konrad Weiß, wohl seinen besser privilegierten Personal-Besitzern abandonnieren; den zweiten, Bruno Bauer, den besser informierten Material-Besitzern; und den dritten, Vitoria, den besser situierten Traditional-Besitzern. So stehe ich da, geburthaft nackt und bloß, sehend und fühlend, daß das Sein meine ganze Habe ist. Sonntag 5. 10. 47, Plettenberg Nachsehen, was Klemens Mü. [Möllenbrock] von dem Dreifaltigkeitsgedicht der Annette sagt! Zitiert er den Vers (21. S[onn]t[a]g v.[or] Pf.[ingsten]): „Noch durfte meine Hand das Kreuz berühren“. Kein Licht hab ich; d. h. ich gehöre nicht in die Welt des deutschen Idealismus; nur eine Stimme.

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Am Rand: „Fortsetzung 5. 10. 47“.

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Freude an dem Anti-Lucretius des Kardinals Melchior de Polignac (gedruckt 1754); dort in der Praefatio auch schon das Distichon, das die Federn geliefert hat, mit denen später Franklin geschmückt wurde und das Epicur verherrlicht: Coeli tonitralia templa lacessens. Eripuit fulmenque Iovi Phoeboque sagittas. Im 2. und 3. Buch entzückende Hexameter über Atome, Unendlichkeit, darunter besonders schön zur ewigen Wiederkehr (S. 95/96): Nec iuvat innumeros alibi confingere mundos in quibus omnigenum scateat sine limite rerum Copia quae nostro parce conceditur orbi … Esse modum finemque atomis frenumque necesse est. Diesen letzten Vers will ich Heisenberg oder Pascual Jordan schreiben. 6. 10. 1947 Ich gehe in dieser Landschaft des Lenne-Tals umher. Wenn die Landschaft ein état d’âme ist, so gehe ich demnach in mir selbst spazieren; in meinen Jugenderinnerungen usw. Das ist offenbar noch gefährlicher als mit sich selbst zu konversieren; es ist eine occasio proxima zu allen Sünden des Subjektivismus, Egotismus und der Ich-Verpanzerung. Es ist ein selbstgeschaffenes Paradies, in dem ich sowohl die Rolle des Schöpfergottes wie auch die des Adam spiele. Der Gebildete geht in der Landschaft spazieren mit Dichter- und Philosophenzitaten, mit Erinnerungen an klassische oder romantische, impressionistische oder expressionistische Gemälde, kurzum wie in einer Bibliothek und in einer Galerie; er genießt seine Bildung, d. h. sein gesteigertes Selbst. Der Glaube an das Gesetz ist doch wohl Glaube an den Gesetzgeber; in Michelets Buch „Pologne et Russie“ (1852) ist er geradezu rührend: die Menschheit hat keinen Vater mehr als Quelle der Autorität; an seine Stelle (patriarchalisch) ist das Gesetz getreten. Daher ist die Krise der Legalität mehr als eine beliebige Schwierigkeit. Die geographische Grenze dieses neuen Glaubens nach Michelet: die Weichsel! Tief ergriffen von dem Nachwort Kütemeyers zu Kierkegaards „Begriff der Ironie“; er spricht wie Theodor Haecker in demselben vernichtend-polemischen Ton, der mich erschreckt, und bringt den armen Theodor Haecker in dessen eigenem Stil zur Strecke, weil H. Pseudonym K.’s als K. selbst zitiert. Sakrileg, Fälschung, die ganz Rabiaten unter sich. „Er wird seinem Schicksal nicht entgehen“; es hat den armen Haecker ja erreicht; seine „Satire und Polemik“ von 1926/27 muß heute von seinen Verehrern sorgfältig verschwiegen werden. Auf diesen wilden Reis ist Haeckers falscher Ruhm aufgepropft; aber er selber, Wilhelm der Vernichter des Vernichters? Mit seiner Wandlung? Der ganz und gar Einsame als Lic. träger Nr. 32. Bravo. Er wird seinem Schicksal nicht entgehen, er wird nicht!! Ne judicate, ne iudicemini. Dann noch ein schöner Ausdruck: aus verwehter Druckerschwärze. Das tritt mir jetzt entgegen; das wird einem in die Augen geworfen. Einladung von G. Nebel; erfreut, aber immer wieder: cache ta vie et répands ton esprit.

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Annette schreibt an Sprickmann (Cardauns, Briefe S. 9): Ihr liebes Bild „bleibt doch immer ein reiner, stiller Grund, auf dem ich malen kann, was ich will“. Das zitiert Klemens M.[öllenbrock] (S. 70) als Beispiel der Verwandlung des Gegenstandes in occasio; ist aber eben Grund; wie tiefsinnig, dieses Wort „Grund“ bei der Annette, und unromantisch; wie bei Konrad Weiß. 7. 10. 47 Tief erschrocken vor der wirklichen Ironie, die darin liegt, daß ein dickes Buch über den Begriff der Ironie in meinem Zimmer liegt. Die Ironie ist etwas so zerstörend Effektives, daß ihre bloße Nennung die Atmosphäre bestimmt.1 Vielleicht ist es mit jedem Begriff und jedem Worte so. Das ist Begriffs-Realismus. Tief erschrocken; tief betroffen. Opfer der Ironie der Weltgeschichte, des Schicksals, das ist doch nicht zu ertragen, nicht einmal als hypothetische Möglichkeit, nicht einmal als Gefahr oder Risiko. Gott ist leicht zu betrügen, aber er kann nicht betrügen. Er kann auch nicht ironisch werden. Das kann der Hegelsche Geist und das ist er eigentlich immer. Sollst du Betrug gewesen sein, du selig silberblauer Tag? Oder gar Ironie? Denn die Ironie, die der Starke mit dem Schwachen treibt, ist grauenhafteste Grausamkeit, Teufelei, Höllenspuk, Wahnsinn. Es hat tatsächlich etwas Tierisches, diese Selbstverständlichkeit, mit der Hegel sich mit dem Subjekt der „Ironie der Geschichte[“] identisch weiß; daß er keine Angst zeigt, wenn er von solchen Dingen spricht. Also auch Hegel zu dem Völkchen, das den Teufel nie spürt? Descartes’ tiefstes Motiv und letzter Motor war die Angst vor dem Spiritus malignus, den abgründigen Möglichkeiten eines ironischen Betruges. Ich habe eine Sünde zu beichten: Ende August 1946 habe ich in der Verzweiflung des Camp morgens, als die ersten Sonnenstrahlen auf meine Pritsche fielen, laut die Sonne angesprochen und ihr gesagt: du Betrügerin. Das war schrecklich, so wie der Ausspruch, den der Vater von Kierkegaard mit Bezug auf Gott getan hat. Seit dieser Zeit geht es mir äußerlich besser und haben die schlimmsten Mißhandlungen aufgehört. Ist das nun alles Betrug? Verzweifelte Verstrickung in das Labyrinth der Negativitäten. Tödlicher Rückschlag dieses häßlichen Wurfsteins auf einen selbst. Was bleibt übrig, wenn man sich einmal auf Ironie eingelassen hat? Ich stehe als Gespenst und schreie ohne Kehle. Dabei habe ich selbst praktisch mit intensivster Ironie gearbeitet, mit der ironischen Überlegenheit des Wissenden über den Papageno oder den Caliban, des Griechen über den Barbaren, gutmütig, in übertriebener Gutmütigkeit, zu viel verborgene Güte in ihnen erwartend.2 Dadurch habe ich ein Unrecht begangen, dessen sich auch Kierkegaard schuldig fühlte: den Caliban in eine Prüfung zu versetzen, die ihn noch tiefer in die Bosheit treiben mußte, sobald er meine Ironie fühlte, die seinen Haß entflammte, weil er meine Ironie der Sache anrechnete, die er durch mich vertreten sah, dem Katholizismus und dem Christentum. Die Unwiderleglichkeit Stirners liegt darin, daß ein einzelnes empirisches Ich folgerichtig die Waffe der Ironie zu handhaben weiß. In einem Zeitalter der Ich-Philosophie ist dieses Ich über jeden Angriff erhaben. Ego cogito, ergo ego sum; sum, sum, sum, Bienchen summ

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Am Rand in Steno: „Bücher der , Bücher der Freude “. Am Rand später notiert: „G. Nebel“.

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herum. Die unendliche Vieldeutigkeit des „Ich“ erlaubt ihm unendliche ironische Verstecke und Ausfälle. Ich bin ich, nur ich allein, und ich also definiere, interpretiere und illustriere Mich und dulde keine Interventionen Ich-fremder Größen. Ich bin bald das intelligible und bald das empirische Ich, wer will mir da hineinreden? Ich, der Knulch, bejahe mich als solchen, aber ironisch. Die dreisteste Beleidigung, die jemals Gott und den Menschen zugefügt worden ist und die alle Flüche der Synagoge rechtfertigt, liegt in dem „sive“ der Formel: Deus sive Natura. Das macht unser Stirner aber nicht; er sagt nicht: Ich bzw. Gott; oder er sagt es doch, aber knulchisch, nicht betrügerisch. 8. 10. 47 Ekelhafter Nachgeschmack dieser Africana von Th. Däubler; als wäre man in ein Tingeltangel geraten, geführt von einem 5-Groschen-d’Annunzio. Er gehört also doch zu dem schauerlichen Milieu, in dem ich von 1912 bis 1919 festsaß; auch für ihn war ich gut genug, eingebuttert zu werden. Kluxen hat ihn erkannt und gleich die Ähnlichkeit von Däublers Existenz mit der seiner afrikanischen Heldin festgestellt. Ich war zu naiv und „vom Lande“. Sonderbare Ablösung Däublers durch Haecker und Konrad Weiß; aber sie alle, Däubler, Haecker, Weiß waren Journalisten von Beruf. So sehen also die Figuren des heutigen pouvoir spirituel in concreto aus; Soziologie der Intelligenz im Zeitalter des Kapitalismus. Zweite Ernüchterung des gestrigen Tages: das Bild von G. Bernanos im Figaro Juli 1939. Er hat sich also auch fest-geschriftstellert. Auch ein sehr schöner Herr; äußerst seriös. Echtes Oberammergau im Hollywood der Coop. Int. Int. Vernichtendes Gefühl des Betrogenseins, nicht einmal mehr einer ironischen Selbsthilfe fähig. Besiegt? O nein, vernichtet und zertreten. Der Besiegte des gerechten Krieges der anderen. Schauerlich, die hurenhaften Lockpfeifen des Maritain im Humanisme intégral (1936): Les théologiens et les moralistes nous expliquent à quelles conditions les moyens charnels de guerre sont justes; ce n’est pas leur affaire d’ouvrir de nouvelles portes à la violence (mais, Mr. Maritain, c’est leur effet!); mais une fois les portes ouvertes, ils justifient ce qui peut l’être. Jawohl, so steht’s auf S. 262. Es ist anscheinend auch nicht ihre Sache, de fermer les portes à la violence; ils justifient ce qui peut l’être. Dazu eignet sich die Lehre vom gerechten Krieg ganz vorzüglich. Das hat sie gegenüber den weittragenden Arkebusen und Wurfgeschossen schon auf dem 2. Laterankonzil (1139) getan und tut sie heute noch gegenüber der Atombombe und den andern neuen Vernichtungsmitteln. Der gerechte Krieg, d. h. die Entrechtung des Kriegsgegners und die Selbst-Ermächtigung des gerechten Teiles; das bedeutet: Verwandlung des Staaten-Krieges (d. h. des völkerrechtlichen Krieges) in einen Krieg, der Kolonial- und Bürgerkrieg zu gleicher Zeit ist; das ist logisch und unwiderleglich: der Krieg wird ja Weltbürgerkrieg und hört auf, zwischenstaatlicher Krieg zu sein. (Ersticke vor dem Betrug der Weltbürgerkriegs-Ideologie; hört denn kein menschliches Ohr meine Stimme?) Armer justicier, der du bist. 9. 10. 47 Die armen Deutschen, das sind doch heute eigentlich die Orphelins du léviathan. Ich kann nur noch beten: Seigneur, délivrez-moi, brisez mes chaînes, reconduisez-moi chez mon père, dans ma patrie, dans ma maison, dans mon héritage et faites que ce qui m’appartient me soit rendu, pour que vous soyez glorifié dans votre justice.

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Wer um ein Gut der Welt die Sehnsucht sich verdarb … Wir werden als Deutsche beyond the line gestoßen; in ein perfektes Jenseits, aus der Welt gejagt, in die Friedlosigkeit, períyhma, die Enterbten des Leviathan, die Ausgespieenen des Leviathan. Wir, die wir die große Möglichkeit haben, aus dem relativen Jenseits, in das man uns hinein stößt, in das absolute Jenseits der Weltüberwindung vorzustoßen. 10. 10. 47 „Strenger als die Kunst“ sind „die Maße und Proportionen des konkreten Rechts“. Das zu dem Hölderlin-Zitat in den „Drei Arten“ (S. 17). Also, nimm dich in Acht. Wer seine Mission fälscht, ist eo ipso der Abgott der Zeit, und das in dem Maße, in dem er sie fälscht. Der Abgott der ganzen Welt, das erst ergibt den ––––– Sohn der Bosheit und den weltöffentlichen Triumph des mysterium iniquitatis. Du Ärmster, du wolltest diese Erz-Betrüger deinerseits „In die Wahrheit hinein betrügen“, kierkegaardisch. Dazu die ungeheuerlichen Dinge in Kierkegaards Beantwortung der Frage: Darf ein Mensch für die Wahrheit sich totschlagen lassen? Ende 1847 gleichzeitig mit dem Kommunistischen Manifest entstanden. Wer kann Märtyrer werden? Wer die Kraft hat, der Zeit die Leidenschaft zu geben, ihn totzuschlagen. Dort auch das Nähere über die Bußprediger unserer Zeit (wörtlich: „Der große Bußprediger sein, heißt totgeschlagen werden“), wovon Bernanos anscheinend etwas gefühlt hat, als er in Genf sprach, während Kierkegaard-Kenner es anscheinend nicht merken. Auf, Wilhelm Kütemeyer, fahr fort mit deinem Nachwort zum Begriff der Ironie! Fahr heute fort, 1947! Wenn du die 1800 Jahre streichst, kann es dir nicht schwer fallen, auch noch diese letzten 18 Jahre zu streichen, die seit jenem Nachwort verstrichen sind. Oder wollt Ihr der von Euch so verachteten Zeit das elende Schauspiel einer Rauferei zwischen Bußpredigern geben? Approbierte, konzessionierte, lizenzierte Bußprediger, das ist, kierkegaardisch gesehen, doch wohl noch ein Grad jämmerlicher als der approbierte kirchliche Kanzelredner.1 An Günther Krauss (der schrieb, daß er die Frauen Kleists nicht eigentlich marianisch nennen könne): Die Frauen Kleists sind zunächst einmal keine „Damen“ wie Goethes Iphigenie. Damit entfällt das Haupthindernis, Kleist zur jungfräulichen Mutter in Verbindung zu bringen. Maria ist die Frau unter den Frauen. Und ist denn die Jungfrau von Orléans etwa nicht kleistisch? Wenn man das Ecce ancilla richtig versteht, erscheint das ganze Problem anders, und das Ecce ancilla ist doch der Kern eines marianischen Geschichtsbildes. Shakespeare ist allerdings in keiner Weise marianisch. Aber die klug-törichte Jungfrau Annette gehört zu Kleist. Ist es nicht traurig, daß die beiden sich nicht begegnet sind, eine der Begegnungen freilich, die die deutschen Verhältnisse nicht erlauben? Was bedeutet es eigentlich, daß bei Sohm das Recht an die Vergangenheit gebunden ist? Ist das eine Verabsolutierung des nullum crimen oder was ist es? Bei Hobbes ist der Sinn (und der nominalistische Zusammenhang) ohne weiteres klar. Auch bei Sohm? Berechenbarkeit?

1 Am Rand in Steno: „Heute aber die Besatzungsmacht des Staat konzessioniert kierkegaardisch als daß er doch als der von keiner ver damaliger Professor.“

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(Die Freude an der Beschleunigung, Beschleuniger der Beschleuniger wider Willen; war es das, was mich trieb und trug und trog?) Rührender Irrtum Sohms: Das Gesetz schützt den Schwachen (während das Gewohnheitsrecht im Dienst des Starken stehen soll); sozialpolitische Illusion einer Zeit, in der das Gesetz als ein Mittel sozialer Gerechtigkeit betrachtet wird, also noch nicht reine Planung ist. Das Recht, sagt Sohm, hängt an der Form; ist aber Form nur vorher bestimmte? Starre, –––––– äußere Form? Geformt statt formend? Gewordene Form statt werdende Form? 11. 10. 47 Ist diese Rückkehr zum eigenen Körper, zum einzigen Eigentum bei mir individuelle Veranlagung, „antike“ Unfähigkeit zur modernen Auflösung in Kräfte, Wellen und Strahlungen, oder ist sie eine zeithafte Strömung, an der ich teilnehme? Ordnung und Ortung: Haus und Hof; Stadt und Land, Land und Meer; mein Leib, mein Kleid, mein Haus (mein Heim), mein Land. Oder die Sprache: reflexive Beziehungen sind in körperlicher Hinsicht nur leidend=schmerzlich denkbar: ich schlage mich, ich quäle mich, ich töte mich; dagegen: ich liebkose mich, ich streichle mich, ist komisch und albern oder horrend ; ich kann mich töten, das ist die einzig wesentliche, leibliche Ichmich-Beziehung; ich kann mich aber weder zeugen noch gebären. Hier müßte man für das Problem des Selbstmordes ansetzen.1 Man begeht Selbstmord nicht, weil man sich haßt oder weil man sich liebt. Mit solchen Erklärungen – mit Selbstliebe oder Selbsthaß – ist nichts beantwortet. Die Antwort kann nur in der unmittelbaren Symbolik der körperlichen Selbstmordhandlung liegen. Die leibliche Tötungshandlung gehört wesentlich dazu. Die Frage ist also nur: Ist diese Handlung einer Form und eines Ritus fähig? Selbstverständlich! Was hat das aber mit Bürgerkrieg zu tun? G. Krauss schrieb mir von dem Tode Othos (Tacitus Hist. II, 49); das ist Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg ist bellum mit beiderseits justa causa, aber beiderseits iniustus hostis? Das Recht, d. h. die Form des formgerechten Krieges heiligt den Kriegstod; wie weit hebt die Wirklichkeit des Bürgerkrieges oder Sozial-Krieges das Verbrechen des Selbstmordes auf? Der formgerechte Krieg rechtfertigt die Tötung; die Form, nicht die iusta causa. Sie fehlt beim Bürgerkrieg. Der Bürgerkrieg ist nicht einfach der formlose Krieg (er bedient sich ja im Gegenteil der Formen des Rechts und der Justiz), aber er ist die grauenhafteste Zerstörung der Form durch die Form. Wer am Bürgerkrieg teilzunehmen gezwungen ist, steht2 in einem Zwang zur Tötung, der durch keine formgerechte Ordnung gerechtfertigt wird. Indem er sich selber tötet, kommt er der Tötung durch den Gegner zuvor? Oder ist es der Gesamtzustand des Bürgerkrieges (die Selbstzerstörung, der Selbstmord des mákrov a¢njrwpov), der den Selbstmord des einzelnen Teilnehmers zwar nicht rechtfertigt, auch nicht entschuldigt, wohl aber absorbiert, und zwar durch die spezifische Wirkung der Situation? Wenn mein Name auf einer Proskriptionsliste steht, warum soll ich mich nicht töten dürfen? Ich töte mich ja nur, um dem Feind nicht den Triumph meiner Ermordung zu lassen. Nicht ich nehme mir das Leben – das nimmt mir der Feind. Ich bestimme nur den modus moriendi. Ich nehme mir meine menschliche Würde, die er mir nehmen wollte, und

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Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Im Orig. „besteht“.

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nehme meinem Feinde die Freude an meinem unwürdigen Tod. Das ist doch die Besonderheit dieser Art Selbsttötung im akuten Bürgerkrieg. Sie ist der letzte Ausdruck der freiheitlichen Selbstbestimmung des Menschen. Sie greift nicht in Gottes Herrschermacht ein, sondern in die menschenmörderischen Anmaßungen meiner Feinde. Sonntag 12. 10. 47 Im Raum des nicht formgerechten Krieges gelten andere Maße als die sonstigen. Das ist die absolute Ausnahmesituation des in die extremste Wehrlosigkeit hineingestoßenen Einzelnen, des outlaw, der sich seiner menschlichen Würde nicht berauben läßt, auch wenn man ihn wie ein Stück Vieh oder wie ein Ungeziefer behandelt.1 Aus der Eigenschaft des períyhma ergibt sich kein Selbstmord als Sakrament; nur aus der des kämpfenden Kriegers im Bürgerkrieg. Bürgerkrieg steht hier für den nicht-formgerechten Krieg. Nicht formgerecht ist der Krieg, bei dem ein Teil den anderen entrechtet. Bellum civile, bellum sociale, bellum internum. Jus se defendendi contra hostem deponere nemo potest (Lev. C. 14.) Man überlege doch, was es heißt: hors la loi! Soll man sich dem unterwerfen müssen?2 13. 10. 47 Umgang mit Hauriou (statt mit Bodinus und Hobbes). Die saubere, ordnende Klugheit dieser Begriffsbildung: Wesensschau, rein juristisch, die tieferen (Herkunfts-)Fragen an den Rand abdrängend, aber nicht positivistisch. Einer muß das Vorgebot wagen, obéissance préalable. Mein † an der Hohen Molmert: „Zur Gottheit sinnt man urverschwiegene Briefe, sie hält geheim, was du in Klippen kerbst. Ereigne dich, wo du dein Scheitern erbst.“ Orakelhaft numinose Aufrichtung durch diese Verse Däublers an seine Schwester Edith. Also der gute Hauriou mit seinen Balancen und equilibres, seinem Relationismus, vor allem von puissance und liberté, ist eben doch das, was wir in Deutschland nannten: liberalautoritärer Kompromiß, also national-liberal; aber sein Formensinn ist großartig und seine Fähigkeit zu unbefangener Kontemplation, zur juristischen Wesensschau, ist bezaubernd. Niemals macht er Form ohne Prinzip oder Prinzip ohne Form, wie der deutsche Nationalliberalismus. Man kann seine Bücher mit intensiver Betrachtung lesen, weil sie das Produkt intensiver Betrachtung sind. Das ist ein hoher Genuß.3 Diese Betrachtung vermag mich zu fesseln, auch wenn ich von Sorgen und sogar von Ängsten gequält bin. Die Linien des Gedankenganges sind so klar und sauber gezogen, daß sie einen mitziehen. Selbst während meine armen Ohren von dem Klaviergespiele unter mir beschmutzt und mißhandelt wer-

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Am Rand: „Bürgerkrieg wurde zum Tode, amor mortis Scaeva, 22. 8. 49“. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Über der Seite, aber offenbar hierauf bezogen: „(Dazu: Traum von Fritz Eisler, Genuß-Genosse)“.

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den, gelingt die Absorption durch solche präzisen Linien. Diese Art Sauberkeit ist ein Kriterium moralischer Qualitäten, die bei uns selten sind. Grauenhafte Einsamkeit eines solchen Juristen in Deutschland. Die Schwätzer aller Richtungen empfinden mich als Feind. 14. 10. 47 Du redest von Jenseits, Überwindung der bloß sinnlichen Natur, des bloß physischen Lebens, und jeder Atemzug straft dich Lügen, denn jeder Atemzug ist eine bedingungslose Unterwerfung unter das physische Dasein und seinen alles erfassenden, Geist, Seele und Leib beherrschenden Terror. Noch durfte meine Hand das † berühren; großer Trost. Benthams „Expectation“: Planmäßigkeit, berechenbare Planmäßigkeit als Existenz, Enttäuschung der darauf sich gründenden Erwartung als einzige Sünde.1 22. 10. 472 Coups d’état intellectuels nennt Paul Valéry die Philosophie des Descartes; glänzend; das trifft auch meine zu dezisionistische Art zu denken. Carpe diem; veniet hora, was sind das alles statisch-gemütliche Zeitmaße; heute leben wir nicht mehr in Tagen oder Stunden, sondern in Bruchteilen von Sekunden und Augenblickssplittern. Lauter Pakete, Atompakete, Aktienpakete, Machtklumpenpakete, früher als Hausmacht bei einer Familie, jetzt als Konzern und Verbandsmacht bei einer Gruppe (Elite, verschworene Gemeinschaft, coniuratio, Vortrupp, association politico-criminelle oder Genossenschaft). Der Gegensatz von Personal und Real als ein Urprinzip des Rechts und allen sozialen Lebens; das sind die „zwei Prinzipien“, deren Gegensatz das Urprinzip ist. Alle Besitzenden denken real (territorial, solange der Erdboden die wichtigste res ist), alle andern personal (Gemeinschaft als bloßer Menschen- nicht Sach-Verband); personale und reale Seite des Staates; die reale Seite ist die Raumseite; der Mensch im Raum; heute in einem ungeheuerlichen Wandel begriffen, weil der Raum ein Werk des Menschen zu werden scheint. Der juristische Begriffsrealismus; widerspruchsvolle Figur: der nominalistische Republikaner. Wenn nicht einmal mehr die res publica real gemeint ist, was ist dann überhaupt noch ein Republikaner? Römisch = Res. Respublica depopulata, aber noch schlimmer: Respublica ohne res; bloßer Bewußtseinszustand. 23. 10. 47, Elberfeld Im Sein des Parmenides ist keine Quantelung (sagte Gerhard Nebel); Gebet des Duns Scotus: in te est nulla quantitas. 27. 10. 47 Nach einer rein possessorischen Definition des Angreifers wird man in Zukunft nicht mehr sagen müssen: Angreifer ist, wer den ersten Schuß abgibt, sondern Angreifer ist, wer die erste Atombombe abwirft. Pflicht zum Abwarten des Abwerfens der ersten Atombombe; das ist die „juristische“ Lösung des Problems.

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Am Rand: „Kausalität=Berechenbarkeit=Wille zur Macht“. Am Rand: „16. 10. [47] – 21. 10. [47] , vgl. “.

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29. 10. 47 Entdeckte einen locus classicus der Soziologie der Elite als association politico-criminelle: die Préface zur Histoire des Treize von Balzac; alle Requisiten: Geheimbund, verschworene Gemeinschaft, Elite, Gefolgschaftstraum, Magie, Macht, alles das romantisiert.1 Warum soll das kein Wegbahner des H.[itler]-Regimes gewesen sein? Diese Romantisierung des Verbrechens! Für den Begriff des Politischen von Interesse: diese Treize waren assez profondément politiques pour dissimuler les liens sacrés qui les unissaient, assez forts pour se mettre au-dessus de toutes les lois (ergänze: et pour se servir en toute désinvolture, de tous moyens offerts par la légalité). Die Romantisierung (la sombre et mystérieuse poésie de cette histoire) ist ein wirksamer Faktor der Weiterentwicklung dieser Art von Elite (dazu H.[itler]: Mein Leben ist ein Roman). Besondere Literatur-Gattung, diese Art Préface. Aber darüber könnte nur derjenige etwas Brauchbares sagen, der nicht nur die Préface, sondern auch die bevorworteten Werke genau kennt. 30. 10. 47 Ist das noch politische Romantik? Bei den ersten Führern ja, z. B. bei Lassalle und Hitler. Bei den Massen wird es politischer Mythos. Diese Führer erleben nur den Roman. Der Ton, in dem Lassalle mit der Gräfin Hatzfeld umgeht und der Ton Hitlers gegenüber dem deutschen Volk sind beide wesensgleich. (Man vgl. nur den Briefwechsel vom Mai/Juni 1857!) Höre: „Explikationen fordern, wo ich so bestimmt die Notwendigkeit erkläre, ist ––– so schmachvoll, daß es mich als Schwäche anwidert, Ihnen noch zu schreiben“ (Brief –––––––––––– 2. 6. 1857). Wesensgleich ist auch das Deutsch und noch einiges andere, besonders die Schnellbildung. L’humanité a deux fléaux. Je les connais trop pour les aimer, je les connais trop pour les haïr. períyhma aus dem Ghetto und aus dem Asyl der Obdachlosen. Ob Eduard Rosenbaum ahnte, was er sagte, als er 1930 behauptete, Lassalle sei der erste Nationalsozialist gewesen? Die Bahn, die uns geführt Lassalle? Ein Aufsatz von Kautsky über dieses Thema kann einem den schönsten Herbsttag trüben. Im übrigen gehört das Thema in den Komplex: Genie im 19. Jahrhundert, Max Stirner, die Wilhelminiker, schließlich der Bruder Straubinger als Kultbild und der Nobel-Preis als Kult-mythen-Lorbeer. 31. 10. 47 Franz Kafka könnte einen Roman schreiben: Der Feind. Dann wäre sichtbar geworden, daß die Unbestimmtheit des Feindes die Angst hervorruft (es gibt keine andere Angst, und es ist das Wesen der Angst, einen unbestimmten Feind zu wittern); dagegen ist es Sache der Vernunft (und in diesem Sinne der hohen Politik), den Feind zu bestimmen (was immer zugleich Selbstbestimmung ist) und mit der Bestimmung hört die Angst auf und bleibt höchstens Furcht. Wie aber sollen wir etwas der Unbestimmtheit entreißen und der Bestimmtheit zuführen, wenn wir keine gemeinsamen Begriffe mehr haben? Zur Bürgerkriegslage gehört es, daß die Feinde keine gemeinsamen Begriffe mehr haben und jeder Begriff zu einem Übergriff ins feindliche Lager wird.

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Am Rand: „Goethes Idee der ‚kleinsten Schar‘; der Clan und das Totem“.

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3. 11. 47 Irrtum von F. A. Kramer (Vor den Ruinen Deutschlands, Koblenz August 1945), ReckMalleczewen etc.: Tantulus homo, tantus peccator! Je nichtiger dieser Bruder Straubinger, umso erstaunlicher, nämlich umso reiner seine Funktion als leerer Lautverstärker, als bloßer Schallwerfer und umso unheimlicher der Kraft-Strom, der ihn trägt und die Wörter, die laut brüllt. Je mehr er ein bloßer Schwamm war, der sich mit einer Substanz vollsog, umso merkwürdiger diese Substanz, und je mehr individual-psychologisch die Erklärung, umso mehr Selbst-Enthüllung des Erklärenden selbst, welche SelbstEnthüllung dann schließlich uninteressant wird. Die Vernichter des Nichtigen vernichtigen nur sich selbst. Saugkraft des Nichts; abyssus vocat abyssum; jeder klassifiziert sich durch seinen Feind, durch das, was er als Feind anerkennt. Das gilt für den Bruder Straubinger, wie auch für diejenigen, die ihn zum einzigen Feind erklären und ihn durch Kollektivverantwortlichkeit am Leben erhalten. 4. 11. 47 Jetzt wage ich kaum noch einen Atemzug, um die geheimnisvoll lenkende Hand nicht abzulenken. 5. 11. 47 Jetzt täuscht mich keine Lebenslüge. Das Wort Lebenslüge ging (geistesgeschichtlich) der Lebensphilosophie unmittelbar parallel und wurde schließlich erschlagen im Lärm des Lebensglaubens. „Der Ozean ist frei und freier noch sind Quellen.“1 Warten wir, ob eine springt! Im übrigen ist die Freiheit des Ozeans heute eine unsaubere Redensart. Im Jahre 1926 hat man den Entwurf einer Konvention „sur les questions rélatives à la pollution des eaux navigables par le pétrole“ versucht (Gilbert Gidel, Le droit international public de la Mer, t. I, 1932, S. 480). Und dann die Konventionen zur Rettung des Wals! Nun steht also der große Leviathan bereits unter Naturschutz, und das soll dann noch ein freier Ozean sein, in dem er schwimmt. Es gibt keine Bewegung ohne leeren Raum. Es gibt auch kein Recht ohne freien Raum. Jede regelhafte Erfassung und Hegung eines Raumes erfordert einen draußen, außerhalb des Rechts verbleibenden freien Raum.2 Wie entsetzlich ist eine Welt, in der es kein Ausland mehr gibt, und nur noch ein Inland; keinen Weg ins Freie; keinen Spielraum freien Kräftemessens und freier Krafterprobung. One World. 7. 11. 47 Die Religion der Wartenden: auf den noch nicht gekommenen Messias, auf den gekommenen, aber doch noch einmal wiederkommenden Messias, auf den Tröster und den Heiligen Geist, auf die klassenlose Gesellschaft und das ewige Reich. Die Trinität als Ausdruck dieses Wartens. Was Bruno Bauer die Verjudung nennt, ist die Etablierung des Wartezustandes,

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Am Rand: „Diesen Satz Stödter geschrieben“. Stenogr. Notiz am Rand: „Freiheit ist Bewegungsfreiheit, eine andere gibt es nicht.“

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der für unabsehbare Dauer eingerichtete, immer komfortabler werdende Wartesaal. Sic exspectatur iudicium! Es will sich der Wanderer zu Wartenden legen, kurz warten. Der Deutung Nacht = N + 8 entspricht NORD = N + ORT; wiederum Identität von Ordnung und Ortung (an Herbert Nette geschrieben 7. 11. 47). metabolä, tropä, forá (Politikos, cap. 13 f). génov o¬lígon ti perileípetai; padämata pollà kaì qaumastá; in einer solchen metabolä also sitzen wir heute; zyklisch gedacht; Weltzeitalter der Umkehr- und Gegen-Bewegung; die en¬ antía. 9. 11. 47 Eindruck von der Lektüre Arthur Koestlers, der Rede Baumgartners usw.: Alles arbeitet heute an einer nachträglichen Realisierung der Voraussetzungen des wilden Protestes: Volk ohne Raum? Jawohl, heute 1947; die feste Gemeinschaft? Jawohl, heute der höchst realen kollektiven Schuld, das sind die gegenseitig sich Sinn-gebenden Anti-Frontisten. Wer heute Unrecht tut, kann sicher sein, daß das Unrecht von morgen ihn rechtfertigen wird. Vorgriff auf solche Justifikationen: Wage kühn, hier vorzugreifen. Zusammenhang der Ex post Kriminalisierungen mit solchen Ex post Justifizierungen, qui accuse s’excuse. Bei Hermann Hefele findet sich das Antithesenpaar (eingebettet in ein ganzes in tausenden von Überschneidungen sich verwirrendes Antithesen-Labyrinth): von der Moralität zur Legalität (= von der Subjektivität des Gewissens zur Objektivität des Gemeinschaftswillens); das soll: Guelfismus (gegen Ghibellinismus), Klassik (gegen Romantik), römisch (gegen germanisch), Staat (gegen Reich) sein. Heute sagt ein bayer. Parlamentarier: Instinktlosigkeit der Legalität. Ich habe nochmals die Vorrede zum 1. Band des Kirchenrechts von Sohm (aus dem Jahre 1892) gelesen. Sohm sagt dort scheinbar sehr klar: „Die rein juristische Behandlung hat bloß (!) formalen Wert. Das Recht nimmt seinen Inhalt nicht aus sich selbst, es empfängt ihn von den anderen Mächten, auf dem Gebiet des Kirchenrechts von den geistlichen Mächten des menschlichen Lebens.“1 Diese generelle, neutralisierende Fassung hat etwas Beunruhigendes. Läuft die ganze Frage auf einen allgemeinen Gegensatz von „bloßer Form“ und (mehr als bloßem) Inhalt hinaus? Dann wäre es doch nicht das so quälend spezifische Problem des Kirchen-Rechts. Und wer sind diese „geistlichen (nicht: geistigen) Mächte“? Empfängt das Kirchenrecht seinen Inhalt von einer potestas spiritualis? Das wäre doch fast hyper-katholisch. Kurz, der Stachel ist noch immer fühlbar. Fr. Baco warnt (De seditionibus et turbis, Cap. XV der Sermones fideles, 1644) die Fürsten, sich mit einer Partei zu verbinden,2 warnendes Beispiel: der Beitritt Heinrichs III. zur Liga, die sich dann später gegen ihn wandte. Die Auctoritas principis wird sozusagen accessoria; ähnlich Bodinus. Erschrak vor der beziehungslosen Anmaßung, mit der Kelsen meine Lehre vom neutralen Hüter der Verfassung kritisiert und als unwissenschaftlich zu diffamieren versucht hat.

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Am Rand: „9. 12. 47 Barion geschrieben“. Am Rand: „wichtig für Hobbes“.

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10. 11. 47 Zu Sohm: Das Wesen der Kunst hängt doch ebenfalls an der Form. Warum kann man also –––––– nicht sagen: Das Wesen der Kunst steht mit dem Wesen der Kirche in Widerspruch? Steht es mit dem Wesen des Geistes im Widerspruch, daß es Partituren und aufgeschriebene Gedichte gibt? Feste Intervalle und sichere Linien? 12. 11. 47 Zu Hobbes: Die anscheinend außerordentlich aufschlußreichen Bemerkungen von Rudolf Kassner (April 1942, Europ. Revue): [1.] Hobbes ist der eigentliche Philosoph des Barock: die Herausstellung einer Fassade, die ––––––– sich vor dem Neuen, dem Faustischen, spreizt; Trennung von Herrschaft und Macht (Ludwig XIII. – Richelieu; Kaiser – Wallenstein). Die Hobbesische Trennung von Außen und Innen, mit stärkster Betonung des Außen, das hat allerdings etwas von der Herausstellung der Fassade. 2. Die Beziehung zum Tod: Desire of power, that ceaseth only in death. Immer die Angst vor dem Tod; selbst der Leviathan ist ein sterblicher Gott, Deus mortalis. Ganz richtig sagt Kassner: „Hobbes’ Anschauung, die Macht betreffend, ist weder die der griechischen Sophisten, noch die eines Machiavelli, auch nicht die des Goetheschen Mephisto, die alle zusammen bei Macht weder an den Tod noch an die Sünde denken und im Realen (? sic!) bleiben.“ Mit diesem ceaseth in death „wird etwas locker im Zusammenhang von Sein und Macht“. Hobbes schaudert nicht vor dem Tod; aber er sieht ihn. Er sucht Schutz bei der –––––– Macht; aber nur Schutz vor dem Tod durch andere Menschen; die Macht darf nicht eigenmächtig töten. Das ist das Entscheidende. Wir armen Metaboliker! Jeder Dummkopf kann sich damit wichtig machen, daß er uns für Diaboliker erklärt. Das Leben ist die Fassade vor dem Tod; (barock). Der Leviathan selbst ist eine Fassade; die Herrschaftsfassade vor der Macht; jener geheimnisvolle Vorhang auf dem Titelbild des Leviathan; aber nicht „bloße“ Fassade; nicht bloßer Schein oder Erscheinung; Prestige, Gloire, Ehre, Repräsentation, Allmacht, aber eben doch wieder nur äußerliche Allmacht. Damals, im Barock, verstand sich die Überlegenheit des Innern über das Äußere noch nicht von selbst, wie heute. Die ganze Psychologie und Soziologie der Entlarvungen war ein Abbau der Barock-Fassade und Freilegung des reinen Machtkernes. Republik = verta = Freilegung der Kraft (virtus). So zeigt sich: Hobbes ist der einzige ganz radikale und ganz folgerichtige Theoretiker des Rechts- und Sicherheitsstaates; das Bild des Leviathan ist für ihn eine Barock-Fassade. Dahinter steckt das Sicherheitsbedürfnis rivalisierender Mächte und schließlich rivalisierender Individuen. Denn das Individuum ist als solches gezwungen, sich zu setzen, sich auseinanderzusetzen, zu behaupten, Macht-Politik zu treiben. Der Behemoth ist merkwürdigerweise nicht als Fassade geeignet wie der Leviathan. Wie ist das zu erklären? Ist das Landtier zu solide? Sehr wichtige Frage! Die Fassade ist nämlich falsch.1

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Am Rand: „Fortsetzung 15. 11. 47“.

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13. 11. 47 An Ernst Jünger: Sonderbar, daß Ihnen Elisabeth Langgässer jetzt begegnet. In ihrem Buch „Das unauslöschliche Siegel“ läßt sie Donoso Cortés reden. Ich kann nicht weiterlesen, solange ich nicht weiß, was sie mit ihm treibt. Wenn Sie die zentrale Stelle in ihrem Roman gelesen haben, lesen Sie bitte auch meine Aufsätze über Donoso, beide (sie sind in den ‚Positionen und Begriffen‘ abgedruckt); an der Stelle S. 83 Zeile 6 von unten heißt es bei Donoso übrigens noch: Dann kann der russische Soldat in Europa spazieren gehen, l’arme au bras, Gewehr im Arm, was zur Anschaulichkeit der Bilder gehört. Denn was Tocqueville für Europa hinsichtlich Amerikas vorausgesehen hat, das sieht Donoso hinsichtlich Rußlands. Hier möchte ich Ihnen einmal die Originalstellen zeigen. Ich scheue mich nicht, heute, als 60jähriger Mann, nach allen Erfahrungen mit Menschen und Büchern, mit Reden und Situationen, in aller Ruhe zu behaupten, daß die große Rede Donosos über die Diktatur vom 4. Januar 1849 die großartigste Rede der Weltliteratur ist, wobei ich weder für Perikles und Demosthenes noch für Cicero oder Mirabeau oder Burke eine Ausnahme mache. Aber das ist ein unermeßliches Thema, und ich erwähne das alles nur, weil Ihre Erwähnung des Romans von Elisabeth Langgässer bei mir einen äußerst sensiblen Punkt getroffen hat. (In demselben Brief: Fr. G. Jünger soll unter dem Eindruck von Hindemiths Ton-Satzlehre eine Poetik schreiben.) Indirekter (daher sicherer und tieferer) Einfluß Kierkegaards auf Léon Bloy, auf dem Weg über Dänemark, ähnlich wie der Bruno Bauers auf Nietzsche. Freude ist Beschleunigung des Blutkreislaufs, sagt Hobbes. Das sind die „as many pulsations as possible“ von Walter Pater (1868). 15. 11. 47 Die Herrlichkeit des Diesseits ist von menschlichen Leiden und Qualen ganz unabhängig. Eine einzige Sekunde bewußter Lust oder lustvoller Bewußtheit wiegt Jahre schauerlichster Qualen auf; ebenso wie umgekehrt eine einzige Sekunde des Schmerzes und der Angst Jahre ungetrübter Wonnen zunichte macht. Das gleicht sich beides restlos aus. Mit solchen Argumenten ist nichts zu beweisen und noch weniger zu entscheiden. So kann der russische Nihilist mit seinem Hinweis auf ein gequältes, armes Kind das ganze Diesseits entwerten, und umgekehrt wieder aufwerten mit dem Glücksgefühl eines Kindes. Wo also liegt die Entscheidung? Das Barock (Hobbes) hat noch eine substanzielle Öffentlichkeit (Spinoza ist nicht Barock); demnach hat das Barock noch Legitimität und nicht nur Legalität; Herrschaft und nicht nur Macht.1 Der Kaiser siegt über Wallenstein, die Stuarts über Cromwell, Ludwig XIII. braucht Richelieu nicht zu fürchten. Erst die Zerstörung der dynastischen Legitimität seit Louis Philipp macht die Bahn frei für die bloße Macht. Napoleon I. versucht noch Legitimität und ist insofern noch Barock. Napoleon III. ist bloßer Histrione, lebt von der Frucht vergangener Zeiten, mit Operettenbegleitung. Die Trennung von régner et gouverner ist schon eine Keimspaltung, aus der die bloße Macht und Legalität hervorgeht. Die demokratische Legitimität der amerikanischen Verfassung wird durch den Marxismus zerstört. Das Recht wird nicht Macht, sondern etwas viel Gefährlicheres: positivistische

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Am Rand: „Spinoza unkritisch, Hobbes nicht: Die Legitimitätsfassade steckt in der Legalität.“

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Legalität. Was bedeutet das Vernunftrecht in diesem Prozeß von der barocken Legitimität zur positivistischen Legalität? Das Vernunftrecht des Hobbes kennt nur noch Legalität; alles andere ist schon bloße Fassade, vor allem das Bild des Leviathan. 16. 11. 47 Von der Schuld des Andern leben ist die niedrigste Art, auf Kosten des Andern zu leben. Von Buß- und Wehrgeldern leben, die schmutzigste Art, Beute zu machen. Aber so haben sie stets gelebt. Von Konfiskationen des Vermögens Geächteter und hors la loi gesetzter Feinde. Die Beute des Bürgerkrieges, der Beutebegriff, der dem Bürgerkrieg zugeordnet ist; die Beutemacher des Bürgerkriegs; der Entschädigungsanspruch des Siegers. Im Bürgerkrieg gibt es keinen Triumph; es galt schon als anstößig, daß beim Triumph Caesars im September des J.[ahres] 46 der Selbstmord des Cato im Bilde vorgeführt wurde (Ed. Meyer, S. 38), obwohl der Triumph nicht als ein Triumph über besiegte Bürger, sondern als der vierfache Sieg über Gallien, Ägypten, Pontus und Numidien gefeiert wurde. Zu James Burnhams Managerial revolution: Das sind unsere Entdeckungen aus der Zeit vor 20–30 Jahren. Um so besser. Übrigens eine Frage: Wenn die Freiheit an der Tatsache der Opposition hängt, wer organisiert die Opposition (wenn alles organisiert wird und selbst das Nicht-Organisierte zum bloßen Naturschutzpark wird)? Also wer organisiert die Opposition? Diese frei sich selbst? Dann hat die machthabende Elite sie nicht mehr in der Hand. Oder soll gar der Machthaber seine eigene Opposition organisieren (wie unter Kemal Pascha)? Dann ist das Ganze ein abgekartetes Spiel. Das Entscheidende bleibt doch, daß der Zwang zur bewußten Organisation, Bürokratisierung und Planung total wird. Das ist auch der Ausgangspunkt von Burnham. Das ist das Aktuelle, Zeit- und Wirklichkeitsgemäße, das Illusionslose. Warum biegt er nun plötzlich aber in diesen widerspruchsvollen Oppositions-Optimismus? Wie klein, wie minimal ist der Spielraum einer solchen Opposition bei totaler Planung! Das ist immer noch die Oppositions-Idee der Raumvorstellungen eines maritimen Imperiums, dessen machthabende Schicht den Reichtum der Erde unter sich verteilen kann, mit freiem Ozean! Wenn es ernst wird und um das nackte Leben geht, hören solche Spiele auf. Das erstaunlichste Beispiel einer historischen Dialektik haben die heutigen Hegelianer nicht gesehen, obwohl sie es vor Augen haben: in einem Imperium, das auf der Segelschifffahrt beruht (wesentlich ohne Maschine), entsteht die Maschine und die industrielle Revolution. Die Ich-Philosophie ist ein ungeheuerlicher Hebel, um die Welt aus den Angeln zu heben. Wenn Ich das transzendentale Bewußtsein bin (und Ich muß es doch sein, sonst könnte Ich Mich nicht einmal als solches negieren), warum soll Ich nicht selber das Ens Perfectissimum sein? Warum soll Ich nicht alle Argumente des ontologischen Gottesbeweises auf Mich beziehen. Der ontologische Gottesbeweis beweist dann eben, daß Ich Gott bin. Die Herrlichkeit des Diesseits ist leicht zu argumentieren (oben am 15. 11. 47; unten 21. 11. 47). 17. 11. 47 Einzig erbt ich den eigenen Leib; Einzig besitze ich diesen einzigen unnennbaren, sofort verlorenen Augenblick. Max Stirner, S. 244: „Zum Schluß muß Ich nun noch die halbe Ausdrucksweise zurücknehmen, von der Ich nur solange Gebrauch machen wollte, als ich

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noch in den Eingeweiden des Rechts wühlte, das Wort wenigstens bestehen ließ. Es verliert aber in der Tat mit dem Begriff auch das Wort seinen Sinn. Recht kann nur von einem Geist erteilt werden, von Gott, der Menschheit oder der Gottheit. Ich fordere kein Recht, darum brauche ich keines anzuerkennen. Mit dem absoluten Recht vergeht das Recht selbst, wird die Herrschaft des Rechtsbegriffs getilgt. Ich bin nur mächtig; bin ich mächtig, so bin ich schon von selbst ermächtigt. Recht ist ein Sparren, erteilt von einem Spuk. Macht, das bin ich selbst; Recht ist eine Gnadengabe des Richters. Macht und Gewalt existieren nur in Mir, dem Mächtigen und Gewaltigen“. Das und nichts anderes ist die Herrlichkeit des Diesseits. Hobbes würde sagen: Solange einer Ehre bei den Menschen findet, wie der berühmte Rilke, wird er trotz aller körperlichen Leiden das Diesseits herrlich finden. Aber wartet ab, wie es ihm vorkommt, wenn er entehrt und entrechtet ist. Sobald es uns gelingt, die kontemplative Position zu beziehen, müssen wir die Welt nicht nur erträglich, sondern sogar herrlich finden. Das gibt es, das Ens perfectissimum, die beste aller Welten. Schön zu sehen und schrecklich zu sein. Wer aber die Welt nicht betrachten, sondern ändern will, muß sie änderungsbedürftig finden. Mir ekelt vor diesem Pathos moralischer Entrüstung, das dann entsteht, wenn einer die Welt neu schaffen will, um seinen Willen zur Macht auszutoben und seine Feinde zu vernichten. 18. 11. 47 Werner Kaegi „Probleme des Rechtsstaates“ (Universitas, August 1947) meint, die Abschaffung des Widerstandsrechts, die Renommierleistung des modernen Staates, sei heute wieder im Schatten des Leviathan aufgehoben und das Problem des Widerstandes habe sich wohl noch nie so dringlich gestellt. „Das Absinken des Pegels des Rechtsstaates bewirkt ein Steigen des Pegels des Widerstandsrechtes; das Versagen des intrakonstitutionellen Widerstandes ruft den extrakonstitutionellen“. Jawohl. But his Lordship I believe did write this more valiantly than he would have acted it. Vgl. Hobbes in der Antwort an den Bischof Bramhall (S. 436, 454, Ausg. 1750). Where was his Lordship when he wrote this? In Deutschland 1938 oder in der Schweiz 1948? Also das Problem Legalität und Legitimität. Hat er „im Schatten des Leviathan“ das Problem der Legalität überhaupt begriffen? War er schon einmal in der Situation des Widerstandes und gegen wen? Und was hat er da in concreto gedacht und getan? Und ist er sich einmal bewußt geworden, welche Verantwortung er übernimmt, wenn er die Menschen ermuntert, Widerstand zu leisten, ohne sie schützen zu können? Ernst Jünger: Das positive Gegenstück des Mitleides ist der Schutz. Das gilt noch stärker, unmittelbarer und sogar absolut für das Widerstandsrecht. Sie gewähren ein Recht, das sich der andere selber holen und erkämpfen soll. Dann überlassen Sie ihm bitte auch die Entscheidung darüber, ob und wann und wie er es ausübt. Diese „Rechtsdenker“, die von dem ewigen Zusammenhang von Schutz und Gehorsam, Verfolgung und Widerstand abstrahieren. Man kann dem vieldeutigen Wort „Rechtsstaat“ einen präzisen Sinn geben, indem man formuliert: Der Rechtsstaat ist ein Gemeinwesen, das anstelle des Widerstandsrechtes einen legalen Instanzenweg gibt. Es handelt sich um die Beseitigung von Widerstand, d. h. konkret gesprochen: Fehde und Revolution; moderner: Sabotage, Hochverrat, Landesverrat, Einvernehmen mit dem Feinde. Fordern Sie also zunächst einmal die Beseitigung dieser strafgesetzlichen Bestimmungen. Das wäre Abrüstung! Der Rechtsstaat beseitigt den innerstaatlichen Feindbegriff. Das hat nur dann einen Sinn,

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wenn die Feindschaft wirklich aufhört (Hinweis auf Otto Brunner). Wird dieser Zusammenhang von Rechtsstaat und Aufhören des Bürgerkrieges vergessen oder verschwiegen, so beschwört man alle Gefahren des „vormodernen“ Lebens herbei, Gefahren, denen heute nicht viele Menschen gewachsen sind und die allermeisten nicht einmal gewachsen sein wollen. Da sollte man keine allgemeinen Theorien vom wiedererstandenen Widerstandsrecht proklamieren. Typisch für Schweizer und andere, die fern vom Schuß ethische und juristische Postulate angeben. 19. 11. 47 Vor Gott ist alles Künftige schon gewesen und was uns als Gegenwart trifft, ist wie der Lichtstrahl eines entfernten Sternes, der längst vergangen ist, ist wie Licht, das weitereilt, obwohl die Lichtquelle erloschen ist. So besteht die Gerechtigkeit der göttlichen Weltordnung darin, daß sie das, was wir als unsere Gegenwart empfinden, ignoriert. Als Gott zuließ, daß hunderttausende von Juden getötet wurden, sah er gleichzeitig schon die Rache, die sie an Deutschland nahmen; und was er heute mit den Rächern und Vergeltern sieht, werden die Menschen in einer unerwartet anderen Gegenwart erleben. Die Mechanik des Umschlags von Tag und Nacht, hell und dunkel, fest und flüssig etc. ist am abstraktesten in dem Gegensatz von Gestern und Morgen: unveränderlich fest und bestens geschlossen (die Vergangenheit), voll, unendlich unbestimmt, sogar leer die Zukunft. Diese Mechanik ist so dumm mechanisch, daß sie unrichtig sein muß. Was folgt daraus? Die Zukunft ist nicht offen und die Vergangenheit nicht geschlossen; die Vergangenheit ist nicht voll und die Zukunft nicht leer.1 Zu Barions Brief v. 11. Nov. 47: Anläßlich Sohms These: Das Recht bezieht sich auf die Vergangenheit, nicht auf die Gegenwart und bindet an die Vergangenheit; das Recht ist weltliche, von Menschen für Menschen gemachte (also nominalistisch vereinbarte) Setzung; vorherbestimmte Setzung, etwas Vorgegebenes. Das ist alles schon rechtsstaatlich, anteceding law, regula. Das ist aber doch nur die eine Möglichkeit (die ich die „normativistische“ nannte). Das in der Entscheidung gewonnene, dezisionistische Recht entsteht erst im Augenblick der Entscheidung, und das Recht jeder konkreten Ordnung ist dauernde Gegenwart. Die Bindung an die Vergangenheit gilt also nur für die regula. Ist denn die lutherische Bindung an die Schrift (Das Wort sie sollen lassen stahn!) keine Bindung an die Vergangenheit? Enger und starrer als die regula fidei des katholischen Dogmas? Ist jede Dogmatisierung Verrechtlichung? 20. 11. 47 Je reiner und absoluter die Kontemplation, um so mehr wird für den Kontemplativen diese Welt die beste aller Welten (das ist der Sinn des von Kloster-Mönchen gefundenen und von Nicht-Mönchen nicht mehr begriffenen ontologischen Gottesbeweises); denn rein und absolut sein bedeutet vor allem ungestört kontemplieren; und je stärker und absoluter die

Am Rande: „Am 27. 11. 47 traf ich einige Äußerungen Fr. v. Baaders darüber, daß alles zeitlich nur Vergangene ebenso gut, nur entfernt von mir, noch ist, als das Künftige, entfernt von mir, schon ist. Das Tier ist ‚ganz in die Zeit versenkt‘ und nimmt das nicht wahr; ‚Zeitwahrnehmung kann also nur der Mensch in seinem damaligen Amphibienleben haben, noch mehr der Satan unter ihm.‘“ 1

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Aktivität, um so veränderungsbedürftiger, d. h. schlechter wird diese Welt. In der Utopie hört die Aktivität auf. Aber die Erfindung von Utopien ist Ausfluß der Aktivität. Optimismus gegenüber der Zukunft, Pessimismus gegenüber der Vergangenheit. Die reine Kontemplation ist keines Menschen, wäre Gottes Sache. Aber wer auf die Kontemplation seine konkrete menschliche Existenz gründet, wird gottähnlich und findet die Welt gut. Mensch, wogegen du polemisierst, in das wirst du verwandelt werden. Volk, das sind die Geduldigen, die ganz Geduldigen, die nicht einmal dann aufmucken, wenn man sie in ihrem eigenen Namen ausbeutet. In den Augen des Kontemplativen ist der Aktivist ein wildes Tier. In den Augen des Aktivisten ist der Kontemplative ein raffinierter sozialer Schädling, reaktionärer Müßiggänger und Saboteur, und der Gott des Kontemplativen ist ein Produkt epikureischer Langeweile, schlimmstenfalls ein Stichwort der fünften Kolonne, bestenfalls Ausrede für Sitzengebliebene. 21. 11. 47 Über Utopie an Frl. Marie Stewens: (Hinweis auf „Staatsromane“, Robert Mohl und Kleinwächter, Ernst Bloch; Anl. der Aufsatz von André Maurois über James Burnham, Managerial revolution 1941, aus der Revue de Paris; deutsch in der Neuen Zeitung vom 1. August 1947). Was ist das Spezifische der Utopie (gegenüber allen möglichen Arten von Idealkonstruktionen, Wunschträumen und phantastischen Programmen)? Es liegt darin, daß Thomas Morus, der das Wort Utopia erfunden hat, in der großen Raumrevolution seines Zeitalters stand und von dort den Absprung in den Nicht-Raum, den U-Topos fand, dessen ein Grieche der Antike gar nicht fähig gewesen wäre. Das Absehen vom topos ist das Erstaunliche bei Morus. Aber das ist nur das erste, oberflächlich Negative der Sache. Das Tiefere ist: Dieses Absehen von Raum und Ort, diese Ent-Ortung, ist ein Abstrahieren von dem (für einen antiken Menschen ewigen) Zusammenhang von Ortung und Ordnung. Jede Ordnung ist konkret geortetes Recht. Recht ist Recht nur am rechten Ort, diesseits der „Linie“! Davon wird bei Morus bewußt abgesehen. Auf den Ort und den Raum kommt es nicht mehr an. Dieser ist nicht mehr von Gott oder der Natur gegeben, sondern zufällig, willkürlich, vom Menschen frei gewählt, sogar gemacht, von Menschen für Menschen gemacht, auf applanierter Ebene errichtet, so daß es überhaupt nicht mehr auf „Ortungen“ ankommt. Ich sehe also in der Utopie nicht eine beliebige Phantastik oder Idealkonstruktion, sondern ein auf der Voraussetzung der Raumaufhebung und Entortung, auf der Nicht-mehr-Raumgebundenheit menschlichen Zusammenlebens errichtetes Gedankensystem. Es ist, mit andern Worten, das „Zurückweichen der Naturschranke“, das den Menschen zum Herrn der Natur macht. Der Mensch schafft sich nach rationalen Gesichtspunkten seine eigene Welt.1 Mit steigender Technik steigt daher die Utopie in diesem Sinne in immer kühnere Dimensionen. Sie stößt schließlich auf die letzte Naturschranke, die Natur des Menschen selbst, und erdenkt ein aus planmäßig genormten Menschen zusammengesetztes Gemeinwesen. Das ist die Folgerichtigkeit von Brave new world, dessen große Bedeutung auf dieser von Menschen planmäßig veränderten Natur des Menschen beruht. Achten Sie einmal auf diesen Gesichtspunkt: Verhältnis der Utopie zur Natur des Menschen (Erziehung, Züchtung,

1 Am Rand: „Es gibt nur utopischen Sozialismus (jeder andere ist National-Sozialismus); die Wissenschaftlichkeit des Sozialismus ist gerade das Utopische.“

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schließlich Fabrikation des Homunculus). Bei Morus noch eine klassisch-humanistische Annahme; bei Defoe (Robinson) bereits die Konstruktion aus dem isolierten Individuum; bei Swift schon eine phantastische Veränderung des Menschen selbst (Riesen, Zwerge, Pferde); bei Aldous Huxley planvolle wissenschaftliche Fabrikation genormter Menschen. Es ist, mit anderen Worten, die totale Planung, die auch die natürlichen Gegebenheiten der menschlichen Physis und Psyche in ihre Ent-Ortungen einbezieht. Utopie heißt also: folgerichtige Entortung in dem totalsten, auch den Ort des Menschen in der bisher gegebenen Natur aufhebenden Sinne der Aufhebung des Zusammenhanges von Ordnung und Ortung. Platos Politeia ist eine Utopie, soweit jede Idee eine Entortung gegenüber der Wirklichkeit bedeutet. Pierre Linn hat schon 1938 den totalitären Staat als den konsequenten Idealstaat enthüllt, der platonisch (statt aristotelisch-thomistisch) folgerichtig ist, wenn einmal der Unterschied von Idee und Wirklichkeit zugunsten der Idee realisiert wird. Aber Platon denkt noch nicht exakt wissenschaftlich; auch noch nicht global; er denkt noch topisch; aber sein Idealismus eröffnet die Bahn für eine Utopie. Immer ist es die ungeheuerliche, erdrückende, praktisch und theoretisch überwältigend folgerichtige Neue Welt von Aldous Huxley, die heute den Begriff der Utopie und zugleich den der Neuen Welt bestimmt. Thomas Morus bringt die Ent-Ortung, bei Beginn der geographischen Raumrevolution; Huxley die Ent-Menschung, bei Beginn der technischen Raumrevolution. Denn wir treten erst ein in das Zeitalter der Technik. Morus kommt aus dem England, das die neue Welt des Meeres zu erobern sich anschickt; Huxley aus dem Punkt des modernen, industriell-technischen Ansatzes zu einer neuen Welt, deren Abenteuerlichkeit größer, grauenhafter sein wird als die der alten adventurers der Piratenzeit des 16. und 17. Jahrhunderts. (Dann noch Frage nach dem Wort: Corny.) 22. 11. 47 Also dir, mein lieber Max, geht nichts über Dich. Genau genommen verträgt dein Satz „Mir geht nichts über Mich“ nicht einmal die Übersetzung in diese Du- oder Anrede-Form. Das Ich verbittet sich solche Anreden, die es nur in seiner Einzigkeit gefährden. Also immerhin: herrliche Solidarität. Wir können zu Millionen im Sprechchor rufen: Mir geht nichts über Mich, und: Ich bin Ich. Du kannst das vielleicht von dir sagen und Millionen, die deinen Sprechchor mitbrüllen, können es ebenfalls. Ich leider kann von mir nur sagen, daß ich nicht weiß, ob Ich Ich bin und ob Mir nichts über Mich geht. Ich weiß nicht, wie es sich mit diesem meinem Ich verhält, ob es ein Fixstern oder ein Sumpflicht oder beides ist. Bist du ein Einziges Ich oder bist du Tausend und Zahllose in deinem Ich? Ich weiß das alles nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin. Wenn du es weißt, wer du bist, umso besser. Bediene dich deines Wissens. Du sagst: Lebend verzehre ich mich. Auch ich verzehre mich. Das sowieso. Mein Körper verzehrt mich und ich verzehre meinen Körper. Ich weiß nicht, wer wen verzehrt. Du jubilierst von deinem Ich; warum zeigst du nur die euphorisch-hochgemute Seite? Dein Ich hat gewiß auch noch andere Seiten, du fröhlicher Euphorion deiner Selbst. Jedenfalls, guter Freund, allmählich kenne ich dich und will dich in deiner Lebensmahlzeit nicht länger unterbrechen. Das Beachtliche an Max Stirner ist nicht diese Philosophie, sondern die Verzweiflung seines Kampfes mit dem Schwindel und den Gespenstern seiner Zeit; die Ehrlichkeit des Ich-Bankerotteurs, der nicht andere zur Befreiung aufruft, um sich an ihre Spitze zu stellen,

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der sich keinem Religionsersatz anheimgibt und dessen ganze Kraft nur die Schwäche aller anderen ist. Typische Überlegenheit des Bruder Straubinger (zu dem Stirner gehört, als Knote, als Renommist, als Pennalist), solange dieser Bruder kein Führer sein will, sondern ein Trommler. Volk, das sind die Unmächtigen. 23. 11. 47 Die Totalität der Mobilmachung besteht darin, daß auch der unbewegliche Beweger der aristotelischen Philosophie in Bewegung geraten ist und sich mobilisiert hat. Dann hört die alte Trennung von (unbewegter) Kontemplation und (bewegter) Aktivität auf; dann bewegt sich auch der Betrachter, und dann kann er nicht mehr mit früherer Sicherheit das ens perfectissimum erkennen und beweisen. Dann sind wir alle aktivistische Betrachter und betrachtende Aktivisten. Höchstens wäre noch denkbar, daß wir auf diese Weise eines Tages selber das ens perfectissimum bewirken. Dann gilt: Wer nicht unterwegs ist, erfährt nichts. 24. 11. 47 Das Miserable an Machiavell ist die Halbheit, die darin besteht, von der Macht überhaupt zu sprechen, sie zum Gegenstand des Geredes zu machen. Die Macht ist und bleibt Geheimnis. Die öffentliche Macht ist das undurchdringlichste Geheimnis. Wer Macht hat, weiß das, und wer Macht haben will, sollte es wissen. Ein konsequenter Machiavellist spricht wie ein Tolstoianer. Eine Philosophie des Willens zur Macht aber ist der Gipfel miserabelster1 Geschmacklosigkeit und existenzieller Dummheit. Zu Otto Veits Bemühungen um das „Naturrecht“ (vgl. die Antithesen-Kette S. 395/6, Heft 3 des Merkur, Gegensatz: positives Recht); ich halte solche Begriffe für rechtshistorische, wenn nicht anachronistische Repristinationen hilflos philosophierender Juristen; der zeitgemäße Begriff und Distinktion ist Legalität und Legitimität. Das war schon Donoso Cortés bewußt; gleich im ersten Teil der großen Diktatur-Rede vom 4. Januar 1849 wendet er sich gegen den Politiker Cortina, der aus dem unbedingten Festhalten an der Legalität ein Prinzip machte; die Diktatur ist für Cortés nicht mehr legal aber legitim; die Zeit der bedingungslosen Legalität ist für ihn vorbei. Die praktische Frage ist nur, ob die Diktatur von oben oder von unten (heute sagt man: von rechts oder von links) gemacht wird; also die Frage der Legitimität der Diktatur: Cuando la legalidad basta para salvar a la sociedad, la legalidad cuando no basta la dictadura; und wie von selbst ergibt sich für ihn schon in dieser Rede von 1849 als der andere Begriff: die Legitimität: la dictadura es un gobierno legitimo como qualquier otro gobierno. Dafür, daß es sich heute um diesen Gegensatz von Legalität und Legitimität handelt, liegt ein philosophisch sehr bedeutendes, in mehr als nur einer Hinsicht sogar klassisches Dokument vor: Der Aufsatz „Legalität und Illegalität“ von Georg Lukács vom Juli 1920, der von Lukács als ein Kapitel in sein Buch „Geschichte und Klassenbewußtsein“ (Malik-Verlag Berlin 1923, S. 261–275) aufgenommen worden ist. Lukács sagt hier (in Übereinstimmung mit Lenins Schrift über den Radikalismus als Kinderkrankheit der Revolution), daß dem „Gesetz als Gesetz“ von den prinzipiell Illegalen eine überkommene, romantische Bedeu-

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Gestrichen, unleserliches Wort darüber geschrieben.

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tung zugeschrieben wird, der klassenbewußte Proletarier die Frage der Legalität oder der Illegalität als eine bloß taktische, mit der Lage der Sache schnell wechselnde Frage betrachten muß, und daß die Frage in aller „Unbefangenheit“ nach „momentanen Nützlichkeitsgründen“ (von Lukács selbst gesperrt) zu beantworten ist. Auch Lukács kommt zu der Antithese „Legalität – Legitimität“. Der revolutionäre Kampf des Proletariats ist „legitim“. Am Schluß heißt es wörtlich: „Das Proletariat von Mittel- und Westeuropa hat noch einen schweren Weg vor sich. Um sich zum Bewußtsein seiner geschichtlichen Berufenheit, zu der Legitimität seiner Herrschaft durchzuringen, muß es vorerst den bloß taktischen Charakter von Legalität und Illegalität begreifen lernen und sowohl legalen Kretinismus wie Romantik der Illegalität von sich ablegen.“ An der Aktualität der Unterscheidung von Legalität und Legitimität ist also nicht zu zweifeln; auch nicht an der Wohlbegründetheit meines Buchtitels „Legalität und Legitimität“ von 1932. Es ist aber auch kein Zweifel daran, daß diejenigen, die sich so dialektisch klar sind über Legalität und Illegalität, in diesem Punkt, nämlich angesichts einer gegen sie selbst praktizierten Illegalität, keinen Spaß verstehen werden, wenn es sich um die Illegalität gegenüber legaler u[nd] d. h. wechselnde < …> . In der sonst so vollständigen Ketten-Reihe von Antithesen, die Otto Veit im Anschluß an die Antithese von Naturrecht und positives Recht aufstellt, kommt diese Antithese nicht vor. Warum nicht? Weil die Distinktion Naturrecht – positives Recht überholt ist; es handelt sich nicht mehr um „Natur“ (das ergäbe heute bestenfalls ein biologisches Recht, von dem wir ja alle genug haben); es handelt sich um die Geschichte, sei es die Heilsgeschichte, sei es die von Menschen gemachte, immer bewußter, immer planvoller, mit steigender Intensität des geschichtlichen Bewußtseins (und der totalen Planung) gemachte Geschichte, die in einer bewußten und totalen Planung kommender Dinge verläuft. 25. 11. 47 Morgens um 1/2 4 Uhr Begegnung mit dem Brief, den Popitz mir am 1. November 1930 zum „Begriff des Politischen“ geschrieben hat; glücklich über die unmittelbare Gegenwart seiner Stimme, seines Blickes und seiner Gesten und über das Glück dieser Freundschaft. Das Schönste an Popitz war seine Fähigkeit zur Freundschaft. Ich bin ihm ein Zeugnis schuldig. Wie soll ich es geben, solange man mich totschweigt? Still. Das Zeugnis ist schon gegeben. Erliege nicht dem Betrug des Lebens, das sich einbildet, dem Toten überlegen zu sein, dem Toten, das heißt nichts andres als dem für uns Abwesenden, dem Anderweitigen, dem Jenseitigen. Es ist jämmerlich, wenn die im Moment Anwesenden mit gönnerhafter Gebärde den im Moment Abwesenden ein Almosen geben wollen. Das zeigt doch nur, daß sie keines Jenseits mehr fähig sind, termitisiert, biologisiert, positiviert und anmaßende Mehlwürmer. Sei mir also nicht böse, lieber Popitz. Ich bin in meine Heimat zurückgekehrt, Du mußtest mit Preußen und dem Staat zusammen sterben. Il n’y a plus de Prusse. Ich gehe aus der Geschichte in meine Substanz ein. Donoso Cortés, zu Tischleder gegerbt (von Dietmar Westemeyer) und zum Roman-Putz verschnitten (von Elisabeth Langgässer). Armer Donoso! Inzwischen gelingt dem Bruder Straubinger posthum sein erstaunlichster Schwindel: Er wird zum Träger aller Ideen gemacht, deren er sich zu seinem Betrug bedient hat. Das ist die Folge der blinden Rachsucht wuterfüllt zurückkehrender Emigranten. Dem Bruder Straubinger gelingt es sogar, seinen Namen mit dem Richard Wagners, seine Untat mit der modernsten Musik zu verbin-

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den und als Held in Wahnfried einzugehen. Unabsehbare Folgen; eine geistesgeschichtliche Peripetie von unglaublicher Wirkung; wenn in Zukunft jeder, der sich von der Musik des Tristan ergreifen läßt, gezwungen sein wird, an H.[itler] zu denken und dessen Bild mit dieser Musik zu verbinden. Also war er doch der folgerichtige Schluß des 19. Jahrhunderts! Die Legalität ist für den echten Bürokraten die Grundlage einer bis zur Askese getriebenen Enthaltung von eigenen „Wert“-Haltungen und „Wert“-Urteilen; analog (vielleicht sogar oft identisch) mit der (von Max Weber geforderten) asketischen Enthaltung des wissenschaftlichen Gelehrten; Positivistische Askese mit Innerlichkeits-Vorbehalten; Werturteil eo ipso unsachlich, unwissenschaftlich; jedenfalls schärfste Trennung von Sollen [und] Sein; mit Recht.1 In Deutschland hat bisher jeder Anlauf zur Einheit in Partikularismus, Sezession, Separatismus und itio in partes geendet: Rezeption (des römischen Rechts), Reformation, Bauernkrieg, Nationalismus und Sozialismus, bis die 4-Teilung von außen durch den ganz fanatischen Anlauf zur Einheit fällig wurde. 26. 11. 47 In dieser Bewegung haben höchst subtile, höchst theologische Differenzierungen des Geistes ihren Acheron gefunden. In jeder Bewegung? Bestimmt in diesem Dank an die Empfindlichkeit von Langbehn, den vielen Äußerungen von Jakob Burckhardt aus den 80er Jahren, und an Bruno Bauer und Johann G. Hamann? Jede noch so subtile Regung des Abstandes findet ihren Acheron. Nimm Dich also in acht. Es ist die überaus reale Wahrheit von Aussprüchen des Herrn wie Mt 5,28 und 44. Darauf beruht das ungeheuerliche Mißverhältnis von Gedanke und Realisierung eines Gedankens, von mikrophysikalischem Laut-Erreger und makrophysikalischer Lautverstärkung. Immer schaltet sich in die „Ausführung“ etwas Wildfremdes ein, eine „Masse“. Vielleicht an Otto Veit: Ich habe Ihren Aufsatz über „Die geistesgeschichtliche Situation des Naturrechts“ gelesen. Sie selbst haben mich auf den Aufsatz hingewiesen, und so darf ich Ihnen ein Wort dazu sagen. Nach Ihrem Brief muß ich es. Nicht um durch plötzliche Änderung die Blickrichtung der Köpfe zu verdrehen, sondern [um] diesen Versuch einer Encadrierung des Problems [zu bewundern]. Ich bin sicher, daß Sie mich in Hinsicht auf das Naturrecht als einen einigermaßen informierten Kritiker, in Hinsicht von Fragen der geistesgeschichtlichen Situation als einen durch manchen Schaden klug gewordenen Experten, und in Hinsicht der subjektiven Beziehung zum Autor als einen aufgeschlossenen, sowohl von persönlichem Respekt wie von intellektueller Neugierde erfüllten Hörer und Leser gelten lassen werden. Sonst dürfte ich mich nicht äußern und möchte es auch nicht. Ich bewundere die enzyklopädische Vollständigkeit, mit der ein uferloses Problem in einer Kettenreihe von Antithesen encadriert ist. Wer diese Reihe in jedem einzelnen ihrer Glieder versteht – es sind bestimmt nicht viele –, wird meine Bewunderung teilen. Trotzdem fehlt eine Antithese, und zwar, wie ich glaube, gerade diejenige, die das Thema vor der

1 Am Rand: „vgl. 2. 8. 47; Politik als Beruf, S. 28: ‚eine im höchsten Sinne sittliche Disziplin‘, daß der Beamte auch einem ihm falsch erscheinenden Befehl gehorcht.“

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Gefahr einer zu sehr rechtshistorischen Bemühung bewahrt, das ist die Antithese von Legalität und Legitimität, d. h. die aktuelle Erscheinungsform des Problems von Gehorsam und Widerstand unter dem Gesichtspunkt und den Begriffen des Rechts.1 27. 11. 47 (An H. P. Ipsen:) Ich bin jetzt dreimal vom Leviathan wieder ausgespien worden, also eine Art Jonas. Jetzt verstehe ich die unüberwindliche Abneigung, die dieser biblische Prophet gegen den Auftrag Gottes hatte, Buße zu predigen, und erinnere mich statt dessen lieber meiner Beobachtungen im Bauche des Fisches. Dazu gehört natürlich auch die Frage, die dort stets gestellt wurde, wenn die Vernehmung sich in eine Art wissenschaftlichen Gespräches verwandelte: Wie war das alles nur möglich? Auf diese Frage habe ich stets erwidert: Der Schlüssel zur Beantwortung Ihrer Frage liegt in dem Begriff der Legalität (der russische Major verstand die Antwort). Carl Tobias, gutes Pseudonym, Urpositionen aufgrund der Grundbefindlichkeiten. 28. 11. 47 Das Schicksal der Technik (d. h. der Menschen, die sich der Technik anheimgeben) ergibt sich daraus, daß durch die Technik wohl alles Waffe wird, dann aber aufhört, Waffe zu sein und sich zum reinen Vernichtungs[mittel] entwickelt, nicht mehr ein Mittel des Kräftemessens wie die Waffe es ist, sondern ein Mittel der Vernichtung des Vernichtenswerten. Coniuratio im Gegensatz zu andern sakralen Schwurverfahren (qui rem publicam salvam esse velit me sequatur); Schwur-Ritual, velut initiatis militibus, Livius 10, 38.2; darüber Franz Altheim (Lex sacrata, Welt als Geschichte 6, S. 420 usw.); also: coniuratio = offener Bürgerkrieg? Im Kern die engere Schwur-Bruderschaft, die Eidgenossen.2 Prognosen Max Webers.

––––––––––––––––––––– 1. Amerika – Rußland, Brief Nov. 1918, Ges. Schriften, 1921, S. 493.3 2. Vor uns liegt eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte. „Wenn diese Nacht langsam weichen wird, wer wird dann von denen noch leben, deren Lenz jetzt scheinbar so üppig blüht?“ Politik als Beruf, S. 66 (Vortrag Winter 1918/19).4 3. „Nun wird – wenn die Ermattungsepoche vorbei sein wird – der Frieden diskreditiert ––––––– sein, nicht der Krieg: eine Folge der absoluten Ethik.“ (ebd. S. 57). 4. „Wer nach der Ethik des Evangeliums handeln will, rede vor allem nicht von Revolution. Denn jene Ethik will doch wohl nicht lehren, daß gerade der Bürgerkrieg der einzig legitime Krieg ist“ (ebd. S. 57). Natürlich: wenn der Krieg nicht mehr legal ist und die legalen Kriege aufhören, dann beginnen die legitimen Kriege!

Am Rand: „vgl. 19. 1. 48, Winckelmann“. Am Rand: „Der Aufruhr wird zur Bürgerkriegsabwehr, die Aufrührer werden regierungsfähig, Plutarch, Galba cap. 29.“ 3 Am Rand: „Prognose Burckhardts, Brief an Preen vom 26. 4. 1872“. 4 Am Rand: „(KDF alles)“. 1 2

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29. 11. 47 Wie konnte ich mich auch nur eine Sekunde ärgern über die menschliche Subalternität von Hans Barth und seinen Aufsatz über den Leviathan? Zu dem Schatten, den der Name des Leviathan wirft und der auf mein Büchlein fällt, gehört auch dieser rührende Finsterling. Auch er trägt seinen kleinen Verdunklungsapparat mit großem Eifer herbei, so, wie das alte Weib sein Stück Holz zum Scheiterhaufen des Johann Hus. Also auch hier gegenüber der NZZtg: O sancta simplicitas! Bleiben wir jedoch auch hier menschlich. Berauben wir das alte Weiblein nicht seines inneren Haltes und den Herrn Barth nicht seiner moralischen Basis. Lassen wir ihm die Folie, die er an uns Deutschen findet. Sag nichts gegen die Schweizer! Wie unerträglich war mir der veredelt-gerechte Kammacher-Ton, in dem ein Fritz Ernst über seinen Landsmann, den Staatsrat und Historiker Johannes Müller, sprach (Corona VII, 1937), und doch stand in dieser Abhandlung der wundervolle Satz (zu dem Konflikt Johannes von Müllers mit Jérôme, im Mai 1809): „Nun weiß im Voraus niemand, was er zu tragen fähig, was zu ertragen willens sei. Die Entscheidung darüber ist Geheimnis des unberechenbaren Augenblicks.“ Woher weiß ein Schweizer solche richtigen Dinge, und warum läßt er sie nicht für uns gelten? Oder ist diese Art Edelmut und Wissen nur schweizerische Binnen-Ethik und gilt sie nicht für Deutsche? 30. 11. 47 Ich hätte (unter dem Eindruck des Briefes von Barion vom 11. Nov.) große Lust, eine Fortsetzung von B.[enito] C.[ereno] auf anderer Ebene zu schreiben: B. C. vor Gericht. Vielleicht wäre das in der Stimmung noch zu kombinieren mit Elementen aus Franz Kafkas Roman „Der Prozeß“. Sollte B. C. so enden, in einem Kafka’schen Prozeß? Grauenhaft.1 B. C. unter der Anklage der Piraterie vor einem Gericht, das keine Erörterung über seine „Grundlagen“ zuläßt. Wird er auf diesen Begriffsteppich treten? Wird er schweigen? Problem aller politischen Prozesse? Vor einem Admiralitäts-Gericht (hat er Chancen); vor einem Sondergericht zur Bekämpfung des spanischen Imperialismus (hätte er keine Chancen). 1. 12. 47 Herrlich die Glosse von Aldous Huxley (Time must have a stop) zu den Versen des sterbenden Hotspur (Heinrich IV. 1. Teil, Akt 5): But thought’s the slave of life, and life time’s fool, And time, that takes survey of all the world, Must have a stop. Das Denken ist ein Knecht des Lebens; aber diese Lebensphilosophie ist nur der erste Satz: es geht weiter: Das Leben selbst ist ein Narr der Zeit; und die Zeit hat einmal ein Ende. Warum soll ich mich dem Trost solcher Verse und der Patinir-blauen Milde dieses Advent-Abends nicht überlassen? Ich bin doch kein Besitzer von Besitztümern dieses Lebens, dessen Knecht mein Denken wäre. Ich habe keinen Besitz, ich habe nur einen

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Am Rand: „an Barion 31. 11. 47“.

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Bereich; soweit mein Auge und mein Gedanke reicht. Die anderen haben so den Bereich der Hände, der manus. Nur die Dunkelheit . Erkannte mich selbst und meine Art zu denken in jedem Satz von Aldous Huxley wieder. Was bedeutet diese Kommunikation? Jedenfalls mehr als ein Briefwechsel. Versuche nur nicht, dein Denken in Besitz zu verwandeln. 2. 12. 47 Der Geburtstag von Popitz; dieser preußische Beamte hatte etwas von Thomas Morus, den gleichfalls die humanistische Begabung für Freundschaft auszeichnete. Popitz hätte keine Utopie schreiben können, vielleicht aber hätte er sie erfinden können. Morus hat das Genre „Utopie“ erfunden; er selbst hätte deshalb später keine Utopien mehr schreiben können. Der Erfinder kann sich selbst nicht nachahmen. Machiavelli hätte nie ein Machiavellist sein können. Die Thomas Morus-Typen schreiben heute keine Utopien mehr. Was hat Popitz erfunden? Kein neues Genre, denn er war kein Literat. Aber er hat etwas von der humanistischen Heiligkeit des Thomas Morus; er drängte sich nicht zum Martyrium, gab nach, solange es ging, und blieb heiteren Gemütes, als der Tod unvermeidlich wurde. A propos des Aufsatz-Titels von Annie Kraus fällt mir ein, daß ein Bekannter von ihr, Herr Dr. R., im April, während ich noch gefangen saß, in Berlin erschienen ist und kein gutes Haar an mir gelassen hat. Aber Sie wissen ja (Paul Adams), daß ich noch nie ein Spaßverderber war und so wollen wir ihn im Genuß seiner Genugtuungen nicht weiter beirren.1 Ein echter Brahmane hat Mitleid mit dem Tiger, der ihn frißt, und ein echter Soziologe Verständnis oder vielmehr „Verstehen“ für die Proskriptionslisten, auf denen sein Name steht. Dazu kommt noch, daß ich bei Baader gerade lese: daß man jedem Menschen beweisen kann, daß sein höchster Genuß, auch der schlimmste, doch nur Gebetserhörung ist. Es wachsen uns merkwürdige Schutzmasken von Innen für einen ungestörten Advent. 3. 12. 47 Heute weiß jeder Physiker (was früher nur den guten Erkenntnistheoretikern klar genug war), daß das beobachtete Objekt sich eben durch die Beobachtung verändert. Wenn das nun schon für eine naturwissenschaftlich exakte Beobachtung gilt, wieviel mehr gilt es dann für die Art von Beobachtungen, denen ein Prozeßgericht den Sachverhalt eines Prozeßverfahrens unterwirft, durch Zeugenvernehmungen, Parteiaussagen, offene oder unausgesprochene Präsumtionen und durch die vorausgesetzten „Grundlagen“ des Prozesses, über die keine Diskussion erlaubt wird. Die Veränderung des Objektes, die Verstellungen der Perspektiven durch die Formen des Prozesses sind dann doch geradezu ungeheuerlich. In abnormen Zeiten und für abnorme Sachverhalte kann das Ergebnis nur eine Fälschung sein. Das wird am schlimmsten, wenn die Amnestie nicht rechtzeitig eingetreten ist. Minima non curat praetor, Maxima non curat praetor; nicht zu klein und nicht zu groß, und vor allem: nicht zu hoch und nicht zu tief, nicht zu nah und nicht zu fern. Auch hier in allem die „Mitte“. Recht ist nur am rechten Ort.

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Am Rand: „an Paul Adams 2. 12. 47“.

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Warum sind die classes moyennes die eigentliche soziologische Heimat der Juristen? Was ist die soziologische Heimat der Theologen der Scholastik? Und was bedeutete infolgedessen die Enttheologisierung der Rechtswissenschaft, insbesondere des Völkerrechts? 4. 12. 47 Fortwährend neues Aufwühlen des Mülleimers. Deutsche Pedanterie als Hindernis jeder vernünftigen Amnestie. Es interessiert im Grunde weder den Sieger noch den Besiegten, sondern jenen unbeteiligt-beteiligten Dritten, der seine ganz persönliche Rache genießen will. Laß ihn genießen. 5. 12. 47 Die Amnestie gehört auch zu den Urpositionen dessen, was man Recht nennen kann. Die Auflösung und Aufhebung der Dinglichkeit ist zugleich die Aufhebung des Gesetzten und des Gesetzes (das ist dasselbe) und die Verwandlung der Welt in reine Tat (erstaunliche Genialität Fichtes); alle sind sie Genies; der Genie-Begriff das große Unheil; besonders deutlich – am genialsten über das Geniale – Kierkegaard-Haufniensis, über den Begriff der Angst, S. 97–100. Auch Richard Wagners Genialität; die reine Tat. O Gott, alle diese genialen Urpfaffen des nur noch handelnden, nichts als tätigen Ur-Ich.1 Die „Urpositionen“ enthalten das Wesen der endlichen Dinge (!) in ewiger Weise; sie bilden den idealen Stoff, aus dem Gott die Welt schuf; so nach Böhme, Fichte usw. (Zeller, S. 727). Bei der Kriminalisierung Mißverhältnis der legalen Bestimmung des Sachverhaltes (Tatbestandes): „Angriffskrieg“ ist also die Voraussetzung der Unbestimmtheit der Rechtsfolgen. „Ächtung“ des „Krieges“ ersetzt den Atavismus des Krieges durch den Atavismus der Ächtung! 6. 12. 47 An R. Stoedter: Sie sagen, daß die Mühlen der Zeit langsamer mahlen als nach dem Ersten Weltkrieg. Das trifft in mancher Hinsicht zu; aber in mancher anderen Hinsicht mahlen sie heute um ebenso viel schneller, wie der 2. Weltkrieg tiefer, totaler und globaler war als der erste und wie z. B. die (ohne rückwirkende Kraft ausgestattete) Prohibition des Alkohols sich weniger verwirrend auswirkte und schneller von selber korrigierte als die (mit Rückwirkung ausgestattete) Abolition des Krieges. Ein weiterer zuverlässiger Gradmesser ist der Tiefgang der Diskriminierungen aus Kriminalisierungen. 7. 12. 47 Der Wille zu, das Recht auf und die Akademie für – das sind die drei Symbole der verkehrten Welt, die in sich gespalten und unsicher ist.

1 Am Rand: „Der kategorische Imperativ ist in der Tat das Gesetz um des Gesetzes willen. Judentum post Chr. n.“

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8. 12. 47 Ruhm gibt es nicht mehr, dafür aber um so mehr Ruhm-Verteilung und Ruhm-Verteilung mit täglich neuen und täglich desavouierten Sonderzuteilungen. Es gibt Nobel-Preise aller Art. Wie infantil beglückt gibt sich der sonst so kritische André Gide, wenn er den Nobelpreis erhält; wie ein Schulknabe. Dann doch lieber noch Drieu la Rochelle. Der eine Schlüsselbegriff: die Legalität; der andere: das Genie; beides zusammen ergibt die volle Antwort. Dazu das wichtigste über den Geniebegriff bei Kierkegaard (Begriff der Angst). Bezaubert von der Überlegenheit des französischen esprit: Rivarol sagt: Une armée dont on se sert pour asservir est déjà asservie elle-même, et le marteau reçoit autant de coups que l’enclume. Dies gegenüber der Hammer-Amboß-Ideologie des Willens zur Macht! 9. 12. 47 Immer wieder der Deus Absconditus (dessen Gegenbegriff keineswegs ein Deus Publicus wäre). Quelle unabsehbarer Betrugsmöglichkeiten. Quälende Ungewißheit. Das und nichts anderes ist auch der Ansatzpunkt von Descartes’ Frage; wer schützt mich vor dem spiritus malignus? Et potens! Unübersetzbarkeit der Träume, Unaussprechlichkeit der Träume. Du analysierst bei jeder Traumanalyse die Worte, die der Träumende gebraucht, statt der Träume selbst; die Sprache, die er sich von seinem Traum macht. Daher die Unübersetzbarkeit in fremde Sprachen. Übersetze deinen Traum: Cogito ergo sum – sum, sum, sum, Bienchen summ herum. 10. 12. 47 Bedürfnis nach Inzitamenten ist Bedürfnis nach gesteigerter Spannung und Entspannung, beschleunigte Bewegung; immer wieder: der beschleunigte Blutkreislauf Hobbes’, d. h. Bewegung. Wer Bewegung sagt, meint gesteigerte, beschleunigte Bewegung. Die normale Bewegung ist, wie die normale Spannung, Ruhe. Gerhard Nebels Aufsatz „Von Inseln, Flüssen und Bergen“ gelesen; das ist also von 1941, gleichzeitig mit meinem „Land und Meer“; warum macht mich das so traurig? Weil er jung ist und ich alt? Ist mein Büchlein nicht ebenso schön, ebenso originell? Aber mir geschieht immer nur Unrecht; ich bin hors la loi und vogelfrei. Törichter Affekt. 11. 12. 47 Der Gegensatz von Sein und Sollen ist doch schon Diktatur; intellektuelle Instinktlosigkeit Kelsens. Du kannst nicht, aber du sollst! Deshalb ist seine demokratische Weltanschauung einfach postiche. O Glück der Mücke, die noch immer hüpft – soll das nicht komisch sein? An Barion: Stichworte: 1. Machiavellist, 2. Bumerang von 47 auf 37: Wir sprechen als unendlich erfahrener Theoretiker, Diagnostiker und Begriffs-Ballistiker in genere, aber ich weiß wohl, daß nur wenige Richter, nur wenige Ankläger und nur wenige Objekte dieses ad consequentias producere jeder Position tatächlich zu realisieren vermögen. Immerhin wollen wir auch in eigener Sache vor uns selbst auf der vollen Höhe unseres theoretischen Niveaus bleiben. Zu Ebelings These, daß das Wesen der Kirchengeschichte zu dem Wesen der Kirche in Widerspruch steht: Lauter, ich will nicht sagen, Lügen, aber lauter Inkompatibilitäten. Das

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Ende aller dieser Inkompatibilitäten ist, daß das Wesen der Kirche überhaupt das „Ganz Andere“ ist und mit allem Wesen, das die Menschen treiben, in Widerspruch steht, ja völlig zusammenhanglos wird. Die völlig absolute Inkompatibilität des Ur-Christentums mit aller Welt und (was Kierkegaard sehr stark betont hat) mit allem Menschlichen, das „Unmenschliche“, wie K. sagt, des Christentums. Aber ich möchte zu meinem Argument noch sagen: die Lutheraner binden doch an das Schrift-Wort. B. erwidert, das sei keine Bindung an die –––––– Vergangenheit, weil das Verständnis des Wortes [in] jedem Augenblick frei ist; so gilt das auch vom fixierten Wort des Gesetzgebers, zumal wenn (was gerade Sohm gesagt hat) das Gesetz klüger ist als der Gesetzgeber. 13. 12. 47 Vor über zehn Jahren begegnete mir der Satz: Ils ont outragé l’esprit; noch heute tröstet er mich. 14. 12. 47 Die Schöpfung aus dem Nichts ist die reine, durch keine Beimischung von Materie getrübte Schöpfung. Alle anderen Schöpfungen sind durch den Werkstoff, das Schöpfungsmaterial mitbestimmt. Was aber ist das Nichts? Darüber kann man nun nichts sagen. Für die meisten ist das Nichts in Wirklichkeit nur das Unbegrenzte. Dann heißt Schöpfung: Grenzen setzen und Formen geben: das Weltbild des Töpfers. Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum. Time must have a stop. Weg mit den 1.800, meinetwegen auch 18.000 Jahren! Schluß mit der Utopie! Aldous Huxley schließt die Epoche der Utopie ab, Thomas Morus hat sie eröffnet.1 Er kann jetzt heilig gesprochen werden, während Huxley (A nation2) can only be condemned out of her 3 own mouth. 15. 12. 47 Deus sive Natura, Natura sive Genius (Genie = Natur, romantisch); welch ein Panoptikum!4 16. 12. 47 Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum. Aber kaum habe ich das gesagt, so ertönt Radio-Klaviergeklimper von nebenan und belehrt mich darüber, daß ein von fremden Tonwellen durchzogener Raum als eigener Raum zerstört ist. Die unhörbaren Wellen, die meinen Raum durchkreisen, sind mir zwar nicht als gehört bewußt, wohl aber unhörbar bewußt. Es ist, als ginge ich in einem Hagel von unsichtbaren Geschossen und empfinde das als Ruhe und als meinen Raum. Unser Bewußsein ist auf solches Wissen nicht eingerichtet. Auf das neue Bewußtsein aber können wir uns nicht einrichten, ohne uns selbst zu zerstören. Der alte Huxley hatte schon die Phantasie, daß eine intelligence suffisante aurait pu prédire par exemple l’état de la faune de la Grande Bretagne en 1868, wenn sie nur die

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Am Rand: „an M. Stewens 14. 12. 47“. Überschrieben: „people“. Überschrieben: „its“. Späterer Zusatz: „vgl. 19. 1. 48“.

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vapeur cosmique kannte, in der die heutige Welt potentiell ruht, ebenso wie man die Atmung an einem kalten Wintertag hätte voraussagen können (Bergson, Élan vital, S. 41); Dans une pareille doctrine, on parle encore du temps, on prononce le mot, mais on ne pense guère à la chose. (El. vit., p. 42). Er sieht die Vernichtung der Zeit. Der außerordentlich klare, lebendige und kompakte Stil der Darstellung ist bei Gerhard Nebel vielleicht mitverursacht durch seine Tätigkeit und Erfahrungen in der Schule als Lehrer vor intelligenten jungen Menschen; ähnlich wie das bei ungewöhnlichen Stilisten wie Bergson (im Élan vital) und Oswald Spengler offensichtlich zutrifft. Successio als spezifischer Zeit-Vorgang ist auch nur Veränderung der räumlichen Gegenwart; Auswechslung des Rauminhalts; successio imperii: Identität des Raumes, auch bei Ortswechsel (Byzanz nach Rom; das 1., 2. und 3. Rom), Verlegbarkeit des Raumes. Der Raum ist ein Ereignis, und nur Ereignisse schaffen Raum; Raum ist Eigentum und Dauer. „Einzig erbt’ ich den eignen Leib“ bedeutet: ich habe keinen Raum; ich lebe im leeren (oder freien) Raum. Leerer Raum und freier Raum ist dasselbe; es gibt keinen leeren, es gibt aber auch keinen vollen Raum.1 17. 12. 47 Wie Karl Marx sagt: Die Emanzipation der J.[uden] hat sich in der Weise vollzogen, daß die Christen Juden geworden sind, so in gleicher Weise haben sich die Assimilanten vom Schlage Kurt Hillers nicht nur die Emanzipation, sondern auch die Assimilation gedacht. Schließlich soll das ganze Dorf mauscheln. 2 Also von den Doktrinen von Marx und Freud bleibt eine Methode übrig und eine Technik der Tatsachenbeobachtung; die „Weltanschauung“ fällt ab. Was aber war die „Weltanschauung?“ Nichts als die Verallgemeinerungen, Aufbauschungen, Dämonisierungen und Feind-Konstruktionen, die sich aus den Aufstiegszielen und Aufstiegssituationen einer bestimmten soziologischen Schicht und Elite ergaben (das Kontor von G. & K. erschien mir wie Kafkas Schloß). Wie kommt es, daß die einfachen Sakramentalien, wie das Zeichen des Kreuzes, das Läuten der Glocken, mir wesentlicher scheinen als die offiziellen Sakramente? Sind jene noch nicht so eingefangen oder nicht so einfangbar, okkupierbar durch und für eine hierarchische Herrschaft? Ist das das Volks-Christentum neben dem Kirchen-Christentum? 18. 12. 47 Sehr deutlich: die Reinheit von Bruno Bauers Urchristentum, die Reinheit von Kierkegaards Existenzialität, alles das wird in seiner Reinheit bedroht durch eine bestimmte Art von Feind, spezifisch: die feinste3 Abweichung von der reinsten4 Reinheit ist schlimmer, gefährlicher, feindlicher als der offene, brutale, klotzige Gegner; Mikrophysik des Politischen. (Wut des Th. Hobbes auf die Kleriker und Professoren, Kämpfer des ismus). Spezifische Feinde dieser Art: Professoren, J.[ournalisten], Geistliche, Pfaffen, tödlicher Haß

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Am Rand: „Kontinuität der Verortungen“. Stenogr. nicht gelesen. Darüber geschrieben: „subtilste“. Darüber geschrieben: „sublimsten“.

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von 1 Kierkegaard auch: auf die Journalisten. Intellektuelle gegeneinander; Soziologie des Intellektuellen als des „gefährlichsten“ Feindes. Je subtiler eine Idee, um so katastrophaler ihre Exekution. Les idées aussi les plus sublimes sont toujours exécutées par des bêtes féroces. Le peuple, das sind (nach Rivarol) diejenigen, die au début de la vie sind; die unbeschriebenen Blätter. Demokratie: Verweis an das unbeschriebene Blatt; den Mann auf der Straße. Journalist: das schreibend – sich beschreibende Blatt. Dietrich Reinking, Völkerrechtsjurist, lutherisch kaisertreu (1590–1664) wurde 1645 in Stade von den Schweden verhaftet und 4 Monate in strenger Gefangenschaft gehalten (Arthur Wegner, Gesch. des Völkerrechts, 1936, S. 192). 19. 12. 47 An Gerhard Günther zu der Frage nach dämonologischer Literatur: ich war einige Male in meinem Leben auf einer ähnlichen Suche und bin steckengeblieben. Bei Baader findet man einige frappierende Stellen, aber es ist nicht möglich, nachzustoßen. Das liegt vielleicht in der Natur der Sache. Saint-Martin habe ich nicht. Wüst und abstoßend ist die Literatur der niederen Magie. Mich selber beschäftigt in dieser Hinsicht weit mehr die hintergründige Dämonie der vordergründig höchst salon- und kathederfähigen Begriffe der Geistesgeschichte, insbesondere der Genie-Begriff. Hier ist auch die Verbindung mit den Vorgängen der Zeit von 1925–45 unmittelbar evident. Im übrigen kann ich nur sagen, daß nach meinem Wissen René Guénon heute der am besten informierte Autor ist. Zu katécwn: Ich glaube an den katécwn; er ist für mich die einzige Möglichkeit, als Christ Geschichte zu verstehen und sinnvoll zu finden. Die paulinische Geheimlehre ist nicht mehr und ebenso viel geheim wie jede christliche Existenz. Wer nicht selber in concreto etwas vom katécwn weiß, kann die Stelle nicht deuten. Zu Adso kommt Haimo von Halberstadt (Migne X. 117, col. 779), als die Quelle von Adso und viel deutlicher als dieser. Die Theologen von heute wissen es nicht mehr und wollen es im Grunde auch nicht wissen. Ich wollte eigentlich von Ihnen wissen: Wer ist heute der katécwn? Man kann doch nicht Churchill oder John Foster Dulles dafür halten. Die Frage ist wichtiger als die nach dem Jüngerschen Oberförster. Man muß für jede Epoche der letzten 1948 Jahre den katécwn nennen können. Der Platz war niemals unbesetzt, sonst wären wir nicht mehr vorhanden. Jeder große Kaiser des christlichen Mittelalters hat sich mit vollem Glauben und Bewußtsein für den Katechon gehalten, und er war es auch. Es ist gar nicht möglich, eine Geschichte des Mittelalters zu schreiben, ohne dieses zentrale Faktum zu sehen und zu verstehen. Es gibt zeitweise, vorübergehende, splitterhaft fragmentarische Inhaber dieser Aufgabe. Ich bin sicher, daß wir uns sogar über viele konkrete Namen bis auf den heutigen Tag verständigen können, sobald nur einmal der Begriff klar genug ist. Donoso Cortés ist theologisch daran gescheitert, daß ihm dieser Begriff unbekannt geblieben ist. 20. 12. 47 Wahn, überall Wahn, das ist ja noch harmlos im Vergleich zu: Betrug, überall Betrug! oder: Schwindel. Wenn alle andern Betrüger erkannt sind, und der Mensch sich in seiner Einsamkeit auf sich selbst angewiesen und an sich selbst verwiesen sieht, dann beginnt das Stadium

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Im Orig.: „für“.

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des schlimmsten Betruges, des Selbstbetruges. Dort befindet sich gegenwärtig die von Descartes eröffnete Epoche. Es war ein spiritus malignus, dessen abgründigen Betrug Descartes für möglich hielt; vor dieser Möglichkeit hat ihn geschaudert; vor ihr fand er Rettung in seinem cogito; bei sich selbst. Gut. Heute schaudert uns vor diesem unsern Selbst. Ich gewinne meinen Raum. Ist das auch nicht geprahlt? Fremde Tonwellen durchsausen ungehört, aber doch wirklich meinen Raum. Daß ich sie nicht höre, macht meine RaumLage nicht besser. Es ist, als würden unsichtbare Kugeln um mich herumgeschossen, die mich nicht treffen. Kann ich hier sagen: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß? Ich weiß es ja, leider. Es ist ein Bewußtsein davon da. Ich bin nicht mehr in der Lage des römischen dominus und pater familias. Sollen wir dieses Bewußtsein des von fremden Dingen erfüllten Raumes einfach abstoßen? Ins Glück der Mücke hüpfen? An Frau Winckelmann: Ich habe mich in Max Webers Legitimitätsbegriff vertieft (bin freilich im Augenblick etwas enttäuscht) und bin sicher, daß das große Problem heute nicht mehr unter der Antithese positives Recht – Naturrecht (das gibt nur Rechts-Historie), sondern unter der seit 1848 viel aktuelleren: Legalität – Legitimität behandelt werden sollte. Die fabelhafte Prognose des Briefes an Friedrich Crusius vom 24. 11. 1918 (Ges. Pol. Schriften, 1921, S. 482–484) wird Herrn Winckelmann nicht entgangen sein. Hier auch das Zitat: Der Ozean ist frei und freier noch sind Quellen. 21. 12. 47 Gequält von dem Vexierbild des Unsichtbaren, Unhörbaren, nicht einmal Fühl- und Bemerkbaren und doch Konstruierbar-Gewußt-Wirklichen. Sehnsucht nach Gewißheit. Die Qual der Annette: die Trennung von Wissen und Glauben; das ist – wie Lorenz von Stein erkennt – die Trennung von Besitzenden und Besitzlosen: jene wissen, diese glauben. Menschen, die dieser Trennung unterworfen werden, ohne sie für sich zu vollziehen (d. h. die kein Klassenbewußtsein haben und es auch nicht haben wollen), reiben sich auf in dem ihnen aufgezwungenen, unvermeidlichen, unentrinnbaren Zwiespalt. Ist es das? Es steht jedenfalls damit in Zusammenhang. Besitzlos Wissender! Das Grundübel nach Marx, Ursache aller „Selbstentfremdung“, ist die Arbeitsteilung. Der Sozialismus hebt sie nicht auf; er organisiert nur die Geteilten zu einer sozialen Einheit der Verteilung. Das ist noch viel schauerlicher. Wer schützt uns dann vor den Verteilern? Fand einen Weggenossen für meinen Feldzug gegen das Gesetz: le Père dom Deschamps, ein Zeitgenosse von Rousseau und Diderot: Le vrai système ou le mot de l’énigme (1939 zuerst veröffentlicht von Jean Thomas und Franco Venturi durch die Société des textes français modernes); vom état des lois zum état des moeurs. Utopie, Anarchie, Gemeinschaft, Kollektivität, Bedürfnislosigkeit; alles versteht sich von selbst, sobald nur erst dieses eine letzte Hindernis beseitigt ist, das Gesetz (an Frl. M. Stewens geschickt; zugleich den Namen von Claude-Nicolas Ledoux mitgeteilt, von Ledoux zu Le Corbusier).1

Am Rand und auf der gegenüberliegenden Seite, teilw. in Steno: „ Laberthonnière, ein athéisme éclairé schafft le paradis sur terre, ‚seul endroit où il peut être‘. Dieser Père scheint besser denken zu können als Rousseau mit seiner volonté générale. Sonderbarer Widerspruch: der als Prosekutor des Gesetzes.“ 1

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Ich denke immer noch nach über Utopie; sie ist für mich Planung. Vom 5. Jahresplan zum 50.000. Jahresplan; Zeit ist ja nur Geld und spielt keine Rolle in einem inflationistischen Äon. Was verbindet mich mit Erich Voegelin? Er hat die zentrale Bedeutung Goethes erkannt und zwar kritisch erkannt; wenn ein Unheil eingetreten ist, so kann es geistesgeschichtlich nur auf den Goethe-Kult zurückgeführt werden. Vor allem ist der spezifisch neudeutsche Rassebegriff nur aus dem Goethe-Kult erklärlich. Alles weitere ergibt sich durch die Vermassung von selbst, wenn einer „wagt, sich zu erdreisten“ und die bêtes féroces, die im Hintergrund jedes Kultes lauern, einmal entfesselt werden.1 Bei Schiller ist die Wendung zu Goethe bereits vollzogen (9. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen), der vollkommene Mensch war Goethe (Voegelin, S. 140). Carus: Goethes „Wohlgeborenheit“ des genialen und dämonischen Menschen (Wir werden es bei der 2. Jahrhundertfeier 1949 ja sehen!) liefert die Rassentheorie: Kommerell, Der Dichter als Führer, 1928 (über die Führerrolle Goethes). Goethe hat auch keinen neben sich geduldet, der diesem Kulte sich entzog; so sind Hölderlin, Kleist, sogar Schubert von ihm erledigt worden. Goethe war eben ein so großer Dichter, der größte Dichter, daß er Kultstifter werden mußte. Diese Notwendigkeit hat er aber ins individualistisch-Gebildete abgebogen; und alle folgen ihm auch darin nach; Endergebnis: das schöne Tier und das Erscheinungsbild der 19362 in Deutschland zur Macht kommenden bewußten „Elite“; das Ende eines Weges, zu dessen wesentlichen Bereitern ein ehrlicher Engländer, H. St. Chamberlain, und ein ehrlicher Jude, Otto Weininger, gehören. 22. 12. 47 An Gerhard Nebel: Oft hatte ich den Eindruck einer Theogonie, Theogonie ab ovo sozusagen. Daß wir am Anfang eines theogonischen Zeitalters stehen, ist keine Frage. Darum ist ja auch die Erwartung Ihrer Prometheus-Arbeit so groß. Ich bleibe auch demgegenüber in meiner Kontemplation des christlichen Epimetheus: So wird der Sinn, je mehr er sich selber sucht, Aus dunkler Haft die Seele geführt zur Welt. Vollbringe was du mußt! Es ist schon Immer vollbracht und du tust nur Antwort. (Alkäisch). Gilles meinte 1942: Nicht mehr Prometheus, dessen Herrschaft zu Ende ist, sondern eine reine Urmelodie; Orpheus. Wirklich, wir leben in der Theogonie, wenn wir den Begriff des Nihilismus akzeptieren und nicht bei ihm stehenbleiben wollen. Däublers Werk, gleichfalls eine Theogonie. Die positivistische Wissenschaft: eine besonders dreiste Theogonie des „Machen wir selbst“. Es

Am Rand: „Nur an einer Stelle blitzt etwas auf, das den wesentlichen Punkt treffen könnte: S. 189: ‚Man stelle sich die Wirkung eines solchen Buches auf preußisch-protestantische Geister vor.‘ (Äußerung von Graetz zu den Schriften von Mendelssohn).“ 2 Wohl „1933“ gemeint. 1

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kommt darauf an, die Welt zu verändern, wiederum Theogoniker. Immer eben endet diese neue Theogonie mit einer neuen Elite. Bleiben wir besser bei den alten Eliten, die wir schon kennen! Freilich, diese geschmackvollen Herren bedürfen selber des Schutzes.1 23. 12. 47 „Erst indem eine Majorität mit der ganzen Wucht ihrer eigenen verdrängten Aggression eine Minorität belud, durfte sie sich selbst aggressionsfrei, also gut und gerecht wähnen. Erst damit schuf sie sich selbst das gute Gewissen und gewann die moralische Übermacht, der sich die Teile der Gesellschaft, die auf dem Stande primitiver, unverdrängter Aggression steckengeblieben waren, nicht mehr zu entziehen vermochten.“ So Paul Reiwald: Eroberung des Friedens. Psychologische Grundlagen der neuen Gesellschaft, Zürich, New York (Europa Verlag) 1944, S. 99/100; von Hans Wehberg in dem Aufsatz „Die friedlichen und die aggressiven Staaten. Das Problem eines internationalen Strafrechts“ (Die Friedenswarte, 1944, S. 25) zitiert.2 Reiwald: Feind Nr. 1 der Menschheit sind die Spannungszustände der Massensituationen (nicht nur rechtliche oder politische Streitigkeiten); sie können nur gezähmt, nicht ausgerottet werden. Die Aggression wird gegen den Verbrecher losgelassen, um sie auf ein anderes Ziel zu richten; Verbrecher sind diejenigen, die überhaupt keine oder nur eine geringe Verdrängung zustande gebracht haben. Ausgangspunkt also: Der Mensch ist von Natur aggressiv; erst recht das Kollektiv, der große Mensch, der makróv a¢nqrwpov. Zum Naturrecht: jeder noch so flüchtigen und beiläufigen, erst recht aber jeder eingehenden und vertieften Erörterung des Naturrechts sehe ich an, ob der Autor Hegels Aufsatz über die „Wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts“ (1802/03) kennt oder nicht. Kennt er ihn nicht, so empfehle ich ihm die Lektüre, es sei denn, daß die Erörterung den Autor als Hegel-unfähig erkennen läßt. In diesem leider häufigsten Fall stelle ich ab. Warum ist dieser junge Hegel von 1802 so überwältigend groß? Und warum der alte (z. B. des Aufsatzes über Hamanns Schriften von 1828) so eng und ungerecht in seiner Rechthaberei? Die Parallele zu Goethe ist hier offensichtlich; natürlich hat der alte Goethe seine Rolle als Kultbild geschmackvoller, mit wirksameren Kultmitteln und deshalb auch erfolgreicher gespielt als der alte Hegel. Sonderbar, wie mich vor einigen Wochen der Gedanke des Deus absconditus quälte (vgl. 6. 12. 47). Heute schreibt Bilfinger (unter dem 18. 12.) „Der Deus absconditus hat den eisernen Vorhang heruntergelassen. Beiläufig: Deus absconditus beschäftigt mich sehr, ich habe auch Literatur darüber, wohl zusammenhängend mit persischen religiösen Gedanken; aber die Weihnachtsbotschaft, unsere Lieder und Beethoven und alles: Wer kann uns das rauben?“ So schreibt er. Und während mich diese Mischung mit Bildungskomfort noch stört, spiele ich selber hier die Meistersinger und bin der schlimmsten Bildungssünden bloß.

Am Rand: „ Eine bedeutende Emanation der theogonischen Kräfte, die heute mächtig rumoren.“ 2 Am Rand: „Die Täuschung des Br.[uder] Straubinger: Die Majorität in Deutschland hielt er für die Basis der Majorität in der Welt.“ 1

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„Mentimur regnare Iovem“ fand ich bei Lukan (Buch VII).1 Ebenda: „Mortalia nulli sunt curata deo.“ Oder: Germania tellus, Quam sub perpetuis tenuerunt fata Tyrannis. Ex populis, qui regna ferunt, sors ultima nostra est, Quos servire pudet. Sunt nobis nulla profecto Numina; cum caeco rapiantur secula casu. Mentimur regnare Iovem.2 Reditura numquam libertas? Das ist die ergreifende Klage des Zusammenbruchs; aus dieser Tiefe des Nihilismus erhebt sich das Christentum. 24. 12. 47 Immer noch bei der Lukan-Stelle VII 440–460. Was bedeutet: Bella pares superis facient civilia divos (ich dachte einen Augenblick: divis). Hans [recte: Paul] Reiwald: Der Mensch ist von Natur aggressiv. Reiwald entdeckt, daß die Verteidigung der beste Angriff ist. Erst dadurch erreicht die Dialektik des Krieges ihre eigentliche Intensität. Daß der Angriff die beste Verteidigung ist, wirkt jetzt unsublimiert naiv. Sich verteidigen, d. h. dagegen den Angriff dem Gegner zuspielen, das ist rational und zivilisiert. Diese Dialektik der psychologischen Verdrängungen ergibt die hohe Logik des hohen Imperialismus. Hans [recte: Paul] Reiwald: Je disziplinierter das Individuum, um so stärker die Aggressivität des Kollektivs (weil nämlich das Individuum in der Lage ist, seine individuelle Aggressivität ersatzweise als Mitglied einer Masse zu befriedigen); also „der große Mensch“, das Kollektiv, der Staat, ist auch der große Aggressive. Das Sammelbecken alles Irrationalen. Nach innen rational, nach außen umso irrationaler. Dazu mein Leviathan, S. 75, über die Beziehungen zwischen den Kollektiven. Unvermeidliche Mechanik dieser Verteilung von Rationalisierung des Individuums. Das Metrum gehört zur Magie. Es muß aber zwischen dem Metrum und dem gedanklich-gegenständlichen Sinn ein gewisser Spielraum bleiben; banal gesprochen: zwischen Form und Inhalt gibt es noch einen leeren Raum. In diesem Intervall, das leer bleibt, schwingt das Numinose. An Goethes Mondgedicht sehr schön zu demonstrieren; bei Däubler zu viel Klang-Geräusche der Worte und Wortballungen. Das Numinose im Gedicht ist nicht der Klang, sondern schwingt im Leeren; es ist selber nicht das Leere, to kenón; es bewegt sich im Leeren. Alles bewegt sich im Leeren; das Leere ist die Bedingung der Bewegung; aber das Numinose ist dem Leeren spezifisch zugeordnet; je leerer, um so reiner das Gefäß. Das Metrum ist das leere Gefäß nicht für den Inhalt, sondern für die magische Schwingung.

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Am Rand: „Stichwort für Sartre: Mehr weiß er in dieser Frage auch nicht zu sagen.“ Am Rand: „Das ist: Wer Gott sagt, will betrügen.“

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25. 12. 47 An H. Bung: die Verwechslungen mit meinem Tübinger Namensvetter: Ich bin mir noch nicht darüber klar, ob diese Verwechslungen meinem Hochziel einer perfekten obscurité und Effacierung nützlich oder schädlich sind. Ich könnte mir aber – durch Reiwald belehrt – wohl denken, daß sie etwas Ablenkendes, die unmittelbarste, atavistische Art von Aggressivität Entwaffnendes haben (dann Nachfrage nach dem Aufsatz von Wehberg, mit der Auseinandersetzung mit C. S.). Sie dürfen sich überhaupt meine Lage nicht so vorstellen, als wühlte ich in verwester Druckerschwärze. Wenn mir auch viel davon ins Gesicht geblasen wird, so habe ich mich doch in meinen Gedanken nicht rückwärts drehen lassen. Das meiste, was heute gedacht wird, haben wir schon vorausgedacht, soweit es neu und interessant ist; was – epimetheisch – nachdenkenswert ist, haben wir nachgedacht. 27. 12. 47 An Frau Jünger: Frau Schmitt ist es tatsächlich gelungen, hier eine Wohnung einzurichten. Die Fische von Gilles, der Leviathan von Nay, der herrliche Diamant von Nay, alles umgibt mich wieder. Wie in einem sich fortwährend von selbst wieder zusammensetzenden U-Boot mache ich meine submarine, subterrane, sublunare Fahrt durch Feuer und Wasser. Dreimal hat mich der Leviathan verschlungen und wieder aus sich herausgeworfen. Jetzt verstehe ich die 3 Kapitel des Buches „Jonas“. Merkwürdig dagegen, wie mir von allen Seiten theogonische Schriften zufließen. G. Nebel, die griechischen Götter von Fr.[iedrich] G.[eorg] J.[ünger], Däublers Hymnen an Italien und die Attischen Sonette. Ich schaue auf einen herrlichen Berg, hinter dem sich eine andere Landschaft verbirgt als die des Lennetals, in dem ich wohne. Der Fluß vor meinem Fenster ist im Winter großartig, wie neu entstanden, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft, heraklitische Gegenwart. Ich lese Troeltsch, Soziallehren (1912), insbesondere den Satz (S. 173): „Die christliche Theorie des Naturrechts, in der sich das reine Naturrecht des Urstandes, das ganz entgegengesetzte relative Naturrecht des Sündenstandes, das oft die größten Greuel einschließende positive Recht, und die (trotz allem Naturrecht wahre Güte erst von sich aus mitteilende) theokratische Obergewalt beständig stoßen, ist als wissenschaftliche Theorie kläglich und konfus, aber als praktische Lehre von der höchsten kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung, das eigentliche Kulturdogma der Kirche, und als solches mindestens (!) so wichtig wie das Trinitätsdogma oder andere Hauptdogmen.“ Dieser Troeltsch hätte mich verstanden, wie ich ihn verstehe. Wie einsam bin ich also! Non intelligor ulli. Armer Donoso; der seiner politischen Theorie adäquate theologische Begriff wäre nur der katécwn gewesen; statt dessen gerät er in dieses Labyrinth der Lehre vom absoluten und relativen Naturrecht! Es gibt eine sehr einfache soziologische Erklärung für die Aussichtslosigkeit der Klage des Charles Péguy, daß er bei Katholiken keinen Erfolg habe. Vielleicht war der Jesuitenorden der katécwn. Aber seit 1814? Restaurierter Katechon? 28. 12. 47 Erquickend, Hobbes über die Rechtslage des Gefangenen zu lesen: Im Naturzustand gibt es keine bindenden Verträge; es sind wirklich die Elemente des Rechts; kein anderer hat sie so elementar richtig dargelegt. Die Macht an sich ist böse, sagt der hochgebildete Schwyzer; ich kann dazu nur sagen: und die Ohnmacht ist boshaft und bösartig an sich.

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29. 12. 47 „Der Sieger darf nicht“ (unter dem Vorwande, daß der Friedensvertrag noch nicht geschlossen sei) „das besiegte Land als besetztes Gebiet beherrschen“, sagt Franz W. Jerusalem in den Frankfurter Heften, Dezember 1947, S. 1260.1 Er hat also die Lehre vom diskriminierenden Kriegsbegriff immer noch nicht verstanden. Der gerechte Krieg ist ein bellum , die Lehre vom gerechten Krieg hebt den Unterschied von Feind und Verbrecher auf. Der Sieger im gerechten Krieg macht sich zum Richter über einen Verbrecher; und je nach dem Maß des Verbrechens darf der Richter den Verbrecher hängen, lebenslänglich einsperren, einem Regime der Hungerkur und Zwangserziehung unterziehen oder was er sonst für gerecht hält. Unbegreifliche Naivität dieser Juristen, die noch nicht sehen wollen, daß die Wurzel aller dieser Problematik in der Lehre vom gerechten Krieg liegt. „Der Sieger darf nicht“; rührend; wie jener Serenissimus gegenüber den Proletariern von 1848: Aber das dürfen sie nicht. Nur daß es diesesmal der Unter-Proletarier ist, was einen Über-Machthaber über das belehrt, was man darf.2 Ich soll über katholische Fragen als Laie, als Nicht-Theologe mitreden? Um belehrt zu werden, wie Donoso Cortés? Ubi nihil vales, ibi nihil velis. Ich, als Jurist, d. h. enttheologisierter Wissenschaftler ersten Grades? Armer Donoso! Fließen (des Flusses und der Zeit) Heraklitisch-Vergehen; nicht so sehr Werden, Entstehen, als Vergehen; Gehen ist Vergehen, weggehen; also die Gegenwart ist schon Vergangenheit; aber von Zukunft ist nicht die Rede. So mußte Hegels Philosophie eine historische Weltbetrachtung werden. Scheinbare Paradoxie, daß die fortwährende Bewegung (= Revolution) so reaktionär wird. Immer wieder dieselbe „Paradoxie“, d. h. Identität der Gegensätze. 30. 12. 47 Existenzialismus ohne Christentum: Das ist wirklich eine Hamlet-Aufführung ohne den Prinzen von Dänemark. Demgegenüber befinden sich die Marxisten in einer großen Überlegenheit. 31. 12. 47 Der Ton macht nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache; nur die Engel singen und nur Gott spricht; seit Beethoven steht für uns im Anfang der Ton, nicht mehr das Wort (an Nette: Verherrlichung der Sprecherrasse); Instrumentalmusik als Lösung der Schwierigkeit, dass nicht sündige Menschen sondern nur Engel singen; jetzt singen die Geigen, die Flöten und die Hörner.

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Stenogr. Notiz am Rand nicht klar lesbar. Am Rand: „Der Sieger darf nicht, aber der Bücherschreiber darf bestimmen, was der Sieger darf.“

Buch II 1. 1. 1948–31. 5. 1949

1. 1. 48 O brave new world, that has such people in’t (Tempest V,1). Ein schöner Spruch für den Silvesterabend 1947. O wonder. How many goodly creatures are there here. Das ist eine rührende Bestätigung des vergangenen Jahres mit tausend Fäden nach allen Richtungen in einem unendlich bunten Gewebe. Enthebung aus der verzweifelten Ironie des Buchtitels von Aldous Huxley. Kein schlechter Anfang. Omine auctus. How beauteous mankind is! Indes, o weh, mich plagt ein hohler Zahn, Orakel einer Unterwelt. Über J. K. (an G. von Schmoller): Er ist kein Jurist, sondern ein Logizist, der sich zufällig mit juristischen Problemen abgibt und sie spielend meistert, schulmeistert, weil er unter ihrer spezifischen Problematik nicht im geringsten leidet. Er ist existenziell kein Jurist, und so billig es heute ist, ein Modewort wie „existenziell“ zu kritisieren, so wollen wir doch nicht vergessen, was mit dem Wort „existenziell“ gemeint war, als es selber noch existenzielle Kraft hatte. Die eigentlichen Proben stehen uns noch bevor. Dann wird der Schaum von substanzfremdem Scharfsinn von selbst vergehen. Der Logizist als Theologe! Kann er natürlich auch. Die „positiven“ Wissenschaften waren bisher Theologie und Rechtswissenschaft; sie hatten ein positiv Gegebenes, nämlich eine schriftlich fixierte Offenbarung. Ungeheuerliche Verwirrung, als von Menschen für Menschen gesetzte Satzung das Wesen des Positivismus ausmachen sollte, als die angeblich voraussetzungslosen exakten Naturwissenschaften den Positivismus in Anspruch nahmen. Die Jurisprudenz teilt dann das Schicksal der Theologie. Jetzt öffnet sich für sie der Abgrund des Dilemmas: Theologie oder Technik. 2. 1. 48 Gesteigerte Sensibilität bedeutet gesteigerte Feindschaft und ungeheuerliche Feindmöglichkeiten. Kierkegaards sehr echte Feindschaft gegen die Journalisten. Es hat noch niemand darüber nachgedacht, welches unendliche Sensorium und gleichzeitig welche gesteigerte Sensibilität für die Tonseite des Wortes und der Sprache mit der reinen Instrumentalmusik entstehen muß. Die Überdosierung des an sich notwendigen Fremdzusatzes in Deutschland; schließlich das große Erbrechen nach über hundert Jahren Überreizungen des Reinheitspostulats. You can’t go home again!? Du kannst nicht in den Mutterleib zurück! Mein jetziger Aufenthalt in Plettenberg: ein abgeschossener Pfeil kehrt zur Sehne zurück und scheint darum zu bitten, nochmals abgeschossen zu werden. Die etwas naive Voraussetzung ist dabei, daß die Sehne noch straff und stark ist wie vor 50 Jahren; an einen Schützen wird merkwürdigerweise nicht gedacht. 5. 1. 48 Gute Aussichten für neue Kriminalisierungen (Abschaffung der Feindschaft durch Abschaffung der Unterscheidung von Feind und Verbrecher). Samuel Butler Erewhon (1872, Ch. XI über Some Erewhonian Trials): Misfortune is considered more or less criminal, but

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it admits of classification, and a court is assigned to each of the main heads under which it can be supposed to fall.1 Der Richter sagt dann: It is not my business to justify the law. Von kranken Eltern geboren zu werden, ist ein ganz besonderes Verbrechen bei den Erewhonianern. Die Civitas Dei des Augustinus ist bestimmt keine Utopie. Warum nicht? Das entschiedene Jenseits schließt die Utopie aus. Also Diesseits-Charakter der Utopie? Wo bleibt ihr satirischer Charakter? Ironie nur gegenüber der zu widerlegenden Gegenwart, nicht gegenüber dem Ideal-Zustand. Rational=aktivistisch. Pan-Interventionismus; Pan-Kriminalisierung; Feind und Verbrecher, Schädling und Verbrecher, moralische Desavouierung und Verbrechen, alles wird Verbrechen, mit rückwirkender Kraft. Was man selber nicht „deklinieren“ kann, was aber wie ein Epikursches Atom sich von selbst dekliniert, das sieht man als Verbrechen an. Was Euch nicht angehört, dürft Ihr nicht leiden; erklärt es also zum kriminellen Verbrechen und rottet es aus! Sichert Euch rechtzeitig die Position des Anklägers! 6. 1. 48 An R. Smend: die Jahreszahl 1948 wird Anlaß zu vielen Rückblicken und Anknüpfungen geben. Der Boden des deutschen Idealismus hatte es anscheinend in sich und das Geröll des skeptischen Bruches mit ihm scheint sich in ein Feld vieldeutig rumorender theogonischer2 Ansätze zu verwandeln.3 (Formulierung von Smend in dem Aufsatz: Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtslehre des 19. Jahrhunderts, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Januar 1939, S. 39). Aber Sie kennen ja Ihren Weg und ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie sich auch im kommenden Jahr durch schöne Erfolge und gute Früchte für Ihre entsagungsreiche Arbeit belohnt fühlen mögen. 7. 1. 48 Das unausgesprochene, ungeschriebene, sogar ungedachte Akkompagnement von Gefühlen, Stimmungen, Situationen, Umgebung, alles das hängt an dem scheinbar verselbständigten Wort und im Satz, im Ductus der rein geistigen und rein seelischen Handschrift, und verändert das Intervall der Töne für immer und alle Zeiten; so, wie die Harmonisierung etwa der Stelle im Preislied „Sei Euch vertraut“ den bloßen Dreiklang-Schritt der Melodie verändert. Nicht nur der Ton macht die Musik, sondern die Tonfolge und verschiedene Ton-Gleichzeitigkeit, der Wechsel der Harmonien und Tonarten! Die Antwort meines Jugendfreundes Kluxen auf meinen Brief vom 29. 12.: erster Eindruck: infantil, unverändert puerile Anmaßung und Herrschsucht; Mitleid mit dem armen Fritz Brust, der als „unwandelbar“ abgestoßen wird, unter Ablehnung des Gedankens, die Straßburger Zeit zu kontinuifizieren. Selbstgefälligkeit des Eingeweihten, dem es gelungen ist, sich aus einer Katastrophe zu retten. Fehlt nur die Schweiz (die Berge). Dann: der sich wandelnde, unaufhörlich weiterwandernde alte Freund; Gefühl der alten Bindung, die in

Am Rand: „better dead than dying“. Darunter geschrieben: „theomachitisch“. 3 Am Rand: „ 13. 7. 48. Der adäquate Dichter ist nicht Rilke, sondern Theodor Däubler. (An Frau Winckelmann, 27. 2. 48), vgl. 30. 4. 48.“ 1 2

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einer solchen Freundschaft liegt; Respekt vor jedem Andern und auch vor seinem Wandern. Schließlich: Du Ich fange nicht gern davon an. darin ist von „Raum“ die Rede, insofern ist es eine erste Antwort auf Deine Idee . Ich fühlte mich getrieben, ihm „Land und Meer“ zu schicken und dazu zu schreiben: als Empfangsbestätigung; es ist beiliegend ein Versuch, mein Kind in die Weltgeschichte einzuführen. Du bist natürlich nicht der Adressat dieses opusculum. Du brauchst Dich also keinen Augenblick in Deiner Arbeit unterbrechen zu lassen; ich wollte nur, gutmütig wie Du mich kennst, und als der am wenigsten rechthaberische Mensch der Welt, Dir die Möglichkeit geben, ad libitum mitzuhören, falls Du magst. Also herzlichen Dank! Stets Dein C. S. Schickte ihm 10.1. 48 Land u. Meer mit der Widmung kaì h™ jálassa ou¬k e¢stin e¢ti. Wollte als Widmung hineinschreiben: Durch dieses alles bin ich hindurchgegangen, und dieses alles ist durch mich hindurchgegangen. Endlich: Sors de l’enfance. Warte, alles kommt auf dich zu. Auch dieses wird durch dich hindurchgehen. Es könnte sein, daß er immer noch der alte Ich-verrückte Gott- und Fetisch-Sucher ist, der nur das Recht sucht, den gesuchten Gott verächtlich in die Ecke zu werfen.1 8. 1. 48 (An H. Barion:) Es dient der Verständigung und dem Gespräch, wenn wir einige gemeinsame Figuren und Modell-Situationen haben, auf die wir Bezug nehmen können, wie z. B. Benito Cereno, oder den Un-Helden von Kafkas „Prozeß“. Es hat mir gut getan und mich gestärkt, daß Sie den Kafka nur von der satirischen (nicht, wie er gemeint ist, von der tragisch-stöhnenden) Seite her nehmen. Das ist ein Zeichen Ihrer ungebrochenen Gesundheit. Vielleicht liegt es auch daran, daß sie noch nicht tief genug in den säkularisierten Justizbetrieb hineingeschaut haben. Ich bin in dieser Hinsicht etwas belastet. Mir hat als jungem Referendar, 1912, ein berühmter Anwalt eines Nachts, im Zustande vollkommener Aufrichtigkeit, als letzten Ausdruck seiner intimsten Wünsche und seines Begriffes vom „Rechtsstaat“ das Arcanum seiner Existenz enthüllt mit dem Satze: Es dürfte keine letzte Instanz geben. (Zu W. Webers Gutachten:) Gerade das, was meine Bewunderung erregt, nämlich die exakte, sachliche Darlegung, wirkt auf den typischen Ausschuß-Mann gegenteilig. Das Maß logischer und sachlicher Stringenz, das dieser uns richtende Typus verträgt, ist klein und muß sorgfältig dosiert werden. Es bedarf einiger Herz-Töne. An der Dissertation Joseph Kaisers habe ich gesehen, wie automatisch die Antithese Staat-Kirche funktioniert, so daß jeder, der nicht Kirche (Nicht-Kurie) ist, sich sofort auf die Seite des Staates, und zwar des totalitären Staates, gestellt sieht (während das eigentliche Problem die totalitäre Partei ist). Es ist schwer, dieses Problem marxistisch nicht geschulten Menschen klar zu machen. Der totalitäre Staat ist eine ebenso unvermeidliche wie rationalisierbare Sache; das Problem ist die totalitäre Partei. Man sollte glauben, daß man das in Deutschland allmählich begriffen habe. Aber so schnell können sich richtige Erkenntnisse nicht durchsetzen, am wenigsten bei Amtsträgern staatlicher Institutionen.2 Am Rand: „Aber das versteht er gar nicht, weil er es auch nicht wissen will!!“ Stenogr. Notiz am Rand: „Totalität notwendig Totalität regiert sich aus der Notwendigkeit einer Zusammenfassung der aufgezählten Gesellschaft. Totalität der . Die Totalität bei der Elite.“ 1 2

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9. 1. 48 Identität (von Zeit und Raum im Augenblick der konkreten Verortung = Gegenwart = totale Präsenz). Politische Restaurationen sind nicht weniger Utopien wie 10–100 Jahrespläne. Es sind künstliche Re-Präsentmachungen, Ver-Gegen-Wärtigungen, Repräsentifikationen, Rekontinuifizierungen. Die glänzende und wohlgelungene Repräsentation großen Stils geht hart an solchen Repräsentifizierungen vorbei. 10. 1. 48 Jetzt also kommen die Menschen mit den „gußeisernen Begriffen“ (Dostojewski); aber das Gußeisen löst sich schon auf. Denn: 11. 1. 48 Die Zersetzungsprodukte der Philosophie des deutschen Idealismus sind am Werk. Theogonie des Gerölls. Wenn ich heute Max Planck oder Heisenberg oder gar C. F. von Weizsäcker philosophieren höre, so höre ich nur einen Nachhall von G. F. Knapp oder Heinrich Rickert. Evangelisches Pfarrhaus.1 Die Quantenphysik ist primär Metaphysik; sie ist nicht nur aus dem Geist, sondern noch mehr aus den Begriffen des Neu-Kantianismus geboren. Antwort an Pierre Linn (auf seinen Brief vom 24. Dezember): Vous parlez de „vagabondage“ et me dites que vous „détestez ce style“. Vous parlez de Georges B.[ernanos] et je p[artage] votre opinion. J’ai un peu l’impression que cela me regarde aussi moi-même personellement. Je le crois bien, Monsieur Linn, je le sais trop bien pour essayer des apologies ou des subterfuges pareilles. Dans une époque d’analyse fr.[anche] et . Seulement il s’agit ici, surt.[out] dans mon cas personnel, d’un problème de situation. Le phénomène, le problème et même la notion de „vagabondage“ subissent des transformations „existentielles“, surtout sur un sol où les forces et tendances opposées du monde se donnent un rendez-vous tumultueux. Dans un pays ou des mouvements contraires de l’Ouest et de l’Est se choquent et se pénètrent, dans une région qui chaque jour se change de plus en plus dans un „Niemandsland“ (c’est-à-dire: nihilisme simple et pur), et en même temps, dans un „Jedermannsland“ (c’est-à-dire: complexité de forces théogoniques, mises en liberté depuis 1840 par la décomposition de protestantisme et de la philosophie de l’idéalisme).2 J’ai réflèchi beaucoup sur ce que [vous] avez dit en 1936 sur l’état idéaliste.3 Les confirmations que j’en ai approuvées sont frappantes. Le missing link dans la chaîne logique et systématique sont les noms de plan est la notion de l’Utopie. Et bien alors: Brave New world! Votre conversation avec moi n’est pas celle de Boethius avec le roi wisigothe Théoderic; elle me paraît plutôt celle d’un sénateur en Aquitanie avec Saint-Séverin, le Saint du 8. janvier, qui en 500 vivait en Noricum.4 La parallèle historique est conforme avec la parallèle que vous construisez avec les temps de Charlemagne. Les différences dont vous parlez ne sont que des semblants. Abstraction faite de 200 ans (1713–1914) l’Europe chrétienne a été

1 Am Rand: „Ich glaube an die Kausalität des Protestantismus. Aber der Eifer, mit dem er herrscht, ist mir verdächtig.“ 2 Am Rand: „Dans un temps et dans un pays nihiliste?“. 3 Darüber: „ actuelle du droit public.“ 4 Am Rand: „tout indique un dans mons cas individuel.“

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toujours une chose pitoyable, envahie de touts les côtés; Ch.[rétienté] aussi n’était qu’un intervalle éphémère. Nous sommes toujours – comme en 500 ou 800 – dans le „aion“ chrétien, toujours en agonie, et tout évènement essentiel n’est (avec beaucoup de et de mo à m) qu’une affaire du „Kat-échon“, c’est-à-dire de „celui qui tient“, qui tenet nunc (2. ep. de Saint-Paul aux Théssaloniques, 2. chap. vers 7). Vous connaissez ma théorie du katécwn, elle date de 1932. Je crois qu’il y a en chaque [siècle] un porteur concret de cette force „tenante“ et qu’il s’agit de le trouver. Je me garderai d’en parler aux théologiens, car je connais le sort déplorable du grand et pauvre Donoso Cortés. Il s’agit d’une présence totale cachée sous les voiles de l’histoire. Permettez-moi1 encore un mot personnel sur mon „vagabondage“. Je me vois maintenant en Westphalie, dans la maison paternelle, où j’ai assisté en 1937 à la fête des noces d’or de mes parents. Je dors dans la chambre où mon père a dormi, où il est mort en novembre 1945, ayant 92 ans. Je vois par ma fenêtre le cimetière catholique, où gisent mes parents et où, depuis 20 ans, est réservée une tombe pour ma femme et moi. Je fais les promenades que j’ai fait[es] depuis plus de 50 ans. La situation économique a changé, il est vrai, nous sommes „démontés“ et Mme. Schmitt est enfoncée dans les tribulations de la recherche du pain quotidien. Tout [de] même: c’est une certaine continuité spatiale et même stabilitas loci pour un temps de cataclysme et tremblements de terre et nihilisme général! Quant à l’existentialisme, je trouve votre diagnose absolument juste et même (excusez) très existentialiste en elle-même. L’existentialisme de Heidegger avec toutes ses dérivations est profondément athéiste. Néanmoins c’est Kierkegaard, un chrétien véritable authentique, un père de l’église invisible, qui reste le père et le grand-maître et la source authentique de tout existentialisme; et l’existentialisme de Kierkegaard est encore plus profondément chrétien que celui de H.[eidegger] est athéiste. L’existentialisme athée me semble un attentat très chrétien contre le christianisme. Seul les marxistes s’en aperçoivent et s’en alarment. Un existentialisme sans Kierkegaard le chrétien n’est plus qu’une représentation du „Hamlet“ sans le prince de Danemark. Avez vous lu: Begriff der A[ngst] 1844 (!) et: Krankheit z. Tode 1849 (!). Vous avez la bonté de me demander si j’ai quelques intérêts pour des livres. Mon intérêt est très grand. Je cherche par exemple (à cause du titre) La présence totale de Lavelle (paru en 1930?), puis: James Burnham, Managerial Revolution (s’il n’est pas trop ce que nous avons déjà découvert en 1920–30); encore: tout livre ou brochure de R. Capitant (après 1938). Les énonciations [de] Bernanos ne m’intéressent plus. (Mme Schmitt demande, si la lettre de août 1947 pour Mme Linn est arrivée et un petit cadeau de septembre – petite dentelle de Vénise ). 12. 1. 48 Was? Walt Whitman? Wir im Europa des 20. Jahrh[underts] kennen noch ganz andere Prahler als die -Typen des 19. Jahrhunderts. Ich habe den Escaveçaden des Schicksals getrotzt. Ich habe dem Freitod durch Henkershand ins Auge gesehen. Dreimal saß ich im Bauche des Fisches, ich habe die Niederlagen des Bürgerkrieges gekostet, Inflationen und Deflationen, Revolutionen und Restaurationen, Regimewechsel und Rohrbrüche, Wäh-

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Dieser und der folgende Absatz sind lt. Randbemerkung im Brief weggelassen.

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rungsreform, Bombenangriffe, Vernehmungen, Lager und Stacheldraht, Hunger und Kälte, zerlumpte Kleider und gräßliche Bunker. Ich war1 diskriminiert, diffamiert und demontiert. Terror von unten und Terror von oben, Terror auf der Erde und Terror aus der Luft, Terror legal und illegal, Terror von Nazis und . Brauner, roter und gescheckter Terror. Durch alles das bin ich hindurchgegangen, und alles das ist durch mich hindurchgegangen. (So singt oder vielmehr prahlt der Walt Whitman des 20. Jahrhunderts). Aber zu der Überlegenheit dieser Gegenwart gehört ja auch, daß solche Prahlereien aufhören. Fehlt nur noch der Rilkesche Schluß:2 O Glück der Mücke, die noch innen hüpft! O Wolle jedes Wurms . Inzwischen begegnet mir öfters ein väterlicher Lehrer meines Bruders Thomas Hobbes, der hintergründige Francis Bacon. Seine Sermones fideles (in der Leidener Ausgabe 1644) sind jetzt mein Andachtsbuch; hier sind die politisch-philosophischen Grund-Aperçus von Hobbes: de invidia (C. IX) und de ira (LV) sind die Quelle der Konkurrenz-Psychologie; und: die Atheisten als ruhigere Staatsbürger. Der Schluß: die Schlauheit der vielen Künste des Fuchses ist nichts gegen die Kraft des Einen Löwen; die Fabel vom Fuchs und dem Löwen; Nam potenti et fido amico plus praesidii habet, quam artes et astutiae complurimae etc. Das gefällt mir gut: Hobbes als Schüler Bacons.3 13. 1. 48 Begegnung mit der großen Art des deutschen Idealismus: Hegel, Encyclp. § 248. Immer wieder die überragende Position Samuel Butlers; wie soll man die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts schreiben, ohne ihn zu kennen? Wie konnte Ernst Jünger den „Arbeiter“ schreiben ohne ihn zu kennen? Die überlegenste Behandlung des Themas: Technik und Technokratie. Ironie und Satire als Elemente der Magie? Die Ironie ist todernst; nicht die der großen Engländer. The servant glides by imperceptible approaches into the master. Is not machinery linked with animal life in an infinite variety of ways? Gehört zum Lev.[iathan] als große Maschine. 15. 1. 48 Besuch von Günther Krauss. Homo homini homunculus. Homunculus homunculo Deus etc. Die Reihe dieser Variationen werden wir noch bis zur Hefe auskosten müssen, bis sich dieser heutige Humanismus selbst ad absurdum und ad Acheronta geführt haben wird. Keinen Kniefall vor diesem herzlosen Gott des globalen Betruges. Der kleine Mensch, der parvus Homo, wird noch kleiner; er wird Homunculus; der große Mensch, der magnus Homo, wird noch größer, er wird Übermensch, das ist Deus. Homo Homini Homo, das ist der Nullpunkt der reinen Indifferenz.4 In ihm kann sich die Relation keine Sekunde lang praktisch halten. Sie teilt sich sofort wieder, um Spannung zu gewinnen, in polare Gegensätze, in positiv und negativ geladene Elektronen. Der eine steigt, der andere fällt; illum opportet crescere, istum autem minui. Der Magnus homo „reicht an

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Überschrieben: „bin“. Der Satz überschrieben: „Aber deshalb preise ich noch lange nicht das:“. Späterer Zusatz: „vgl. 8. 3. 48“. Am Rand: „vgl. 15. 5. 48, 18. 8. 48, 30. 9. 48“.

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die Gottheit an“. Er wird ein Fabrikant. Der parvus homo wird „tierischer als ein Tier“; er wird ein Fabrikat. Der Lupus ist doch wirklich noch eine sehr humane Kategorie, er ist noch Kreatur im Vergleich zu den Fabrikaten der brave new world! Selbst der Werwolf. Die eigentlichen Steigerungen in der Richtung des Guten wie des Bösen entstehen erst mit der Intervention des Geistes. Das ungeheuerlichste Dokument der Abgründigkeit des deutschen Idealismus: „Wenn aber die geistige Zufälligkeit, die Willkür, bis zum Bösen fortgeht, so ist dies selbst noch ein ––––––– –––––– unendlich Höheres als (alle Natur, höher als) das gesetzmäßige Wandeln der Gestirne oder die Unschuld der Pflanze; denn was sich so verirrt, ist noch Geist.“ (Hegel, Encycl. § 248). Das ist doch hinreißend. Die böseste, niedrigste Bosheit des menschlichen Geistes ist mehr als der gestirnte Himmel und die schönste Blume. Denn was sich so verirrt, ist doch noch Geist. Welch ein großes Wort zu dieser Situation von uns Deutschen 1944! Die unmittelbar folgende Generation gab die Antwort: Max Stirner. Wahrlich, die neuen Zersetzungsprodukte dieser Philosophie werden stärker sein als alle Restaurationen der alten Kirchen. Sie werden theurgische Kräfte entfesseln, vor denen unseren armseligen Rechtbehaltern von rechts und links schaudern wird und allen Nutznießern der Riesenblamage des deutschen Volkes. Statt des renouveau catholique, der in die Jahre 1910–1933 fällt und von den offiziellen Stellen nicht bemerkt wurde, werden wir jetzt einen phantastischen retour offensif der mythisch, d. h. in Wirklichkeit theurgisch aufgerüsteten Philosophie des deutschen Idealismus erleben; insbesondere Hegels, der aufhören wird, theoretisch ein Museumsstück der Kathederphilosophie und praktisch eine Monopolwaffe des Moskauer Marxismus zu sein. 16. 1. 48 Wenn Heidegger mit seinen Re-Ontologisierungen solche Breiten-Wirkungen sogar in der Gallia docens hervorrufen kann, was wird dann erst die Tiefen=Wirkung von Konrad Weiß’ „Christlichem Epimetheus“ in Deutschland sein! Werner Blischke sollte den Namen des I. K. ermitteln, der in Nr. 4 des Kurier (vom 6. 1. 48) einen Aufsatz über Sartre geschrieben hat („Die Sehnsucht nach der Unschuld“); um den immanenten Existenzialismus des Aufsatzes zu verifizieren. Aber der Autor war nicht zu ermitteln. Umso besser. Alfred Döblin definiert die Utopie: „Es ist ein menschlicher Plan, die Geschichte zu unterbrechen, um aus der Geschichte herauszuspringen und zu einer stabilen Vollkommenheit zu gelangen.“ Das ist aufschlußreich für das Verständnis von Marx, dessen „Wissenschaftlichkeit“ den Anspruch bedeutet, die Welt zu verändern, ohne aus der Geschichte herauszuspringen.1 Die Maschine ist das der Utopie zugeordnete Werkzeug, die Waffe der Planverwirklichung. Die Maschine unterscheidet sich vom Werkzeug dadurch, daß sie in sich selbst den das Werkzeug handhabenden Menschen, den Handwerker, transzendiert. Darin, in dieser Transzendenz, liegt schon die Utopie.2 Sie entthront und entortet den Menschen. Das ist der tiefere Sinn von Adolf Casparys Buch „Die Maschinen-Utopie“, 1930, das sich gegen die Illusion richtet, die Maschine könnte das Problem der Massierung lösen.

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Am Rand: „an Frl. Stewens“. Am Rand: „Was bleibt der Technik übrig als die Utopie?“.

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Für Marx ist die Maschine das Mittel, die Welt zu verändern, ohne aus der Geschichte herauszuspringen.1 Was bedeutet Apk 21,12: neue Erde; ohne Meer? Eine Utopie? Was bedeutet die Vernichtung der Insel Helgoland 1947/48? Ein Stück Land wird dem Meer gleich gemacht, ins Meer versenkt; die Bevölkerung als Flüchtlinge evakuiert. Erstmalig in der Geschichte. U-topie; Verwandlung einer sehr starken Ortung ins Nichts. Vernichtung. 17. 1. 48 Eine Vorladung; seit acht Monaten die erste; Nervosität des gejagten Wildes, wenn ein Schuß fällt. Die objektiven Mächte, die mir gestern noch so interessant und rechtswissenschaftlicher Konstruktionen würdig erschienen, zeigen sich jetzt als herzlose Feinde. Fortwährender Wechsel von subjektiv und objektiv. Die Herolde der Subjektivität betrügen sich gegenseitig; ob es nun Max Stirner oder James Joyce ist. Aber objektive Größe, das bedeutet doch schon in sich selbst: armes, betrogenes und geplündertes Subjekt! Schein-Objektivität der Landschaft; ein politischer Machtkomplex ist viel objektiver, aber dann schließlich doch auch nur ein état d’âme. Denn Heldenleben à la Richard Strauß (mit des Helden Gefährtin womöglich noch als Finale à la Bruder Straubinger), das alles ist töricht geworden und trüber Schaum. Dann noch eher das Glück der Mücke à la Rossini; Glück der Mücke; Tiere des Waldes und Blumen des Feldes; Leben und Schaffen aus der unmittelbaren Materie; selig beschleunigter Blutkreislauf und das unproblematische Leben selbst; Beseitigung der Natur-Schranke zum Zweck des ungehinderten unmittelbaren Zugangs zur natürlichen Natur. Deus sive natura. Aufgehen in der Natur; Beseitigung jedes Abstandes, d. h. jeder Perspektive; die nicht-perspektivische Formgebung; nicht einmal Gebung: Form-Entfaltung; ja (höchst paradox) Form-Entfesselung; Theismus; Transzendenz, sogar Intelligenz: das ist ja alles noch Abstand, Perspektive, Problematik, Abfall von der reinen Immanenz des unmittelbar natürlichen unverstellten Diesseits und problemloser Leibhaftigkeit. Also: nieder mit dem Abstand! Reine Identität. Merkst Du nun, auf welcher Seite die Logik der reinen Demokratie liegt und wer die Absolution des Weltgeistes für alle, auch die unmenschlichsten Greuel finden wird?3 Jetzt sind wir Deutsche alles: Das perissón, wie die Pythagoräer es nannten (der über das Gleichgewicht hinausgehende Überschuß, störend und fruchtbar), perissón und períyhma und zugleich das a¢topon, der Punkt und Augenblick des Übergangs von einem Gegensatz zum andern, aber selber keines von beiden, der Punkt der metabolä, das an dem Verschiedenen partizipierende, aber doch selbständige énántion; der Augenblick, in dem weder gesondert noch gemischt wird (ou¢te diakrínetai ou¢te sunkrínetai), wie es in Platos Parmenides heißt. Ich bin das a¢topon gegen die Utopie!! Nicht-Raum – Un-Raum? Der Raum, den ich gewinne, ist das a¢topon!!

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Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Im Orig.: „Ap 22,1“. Späterer Zusatz: „solange das demokratisch zugehen soll?“.

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18. 1. 48 An H. P. Ipsen: Ich habe, von der intellektuellen Seite her die Sauberkeit und Exaktheit, von der moralischen Seite die Geduld und Selbstbeherrschung bewundert, mit der Sie ein systematisch durchdachtes Gebäude juristischer Darlegung in vollem Bewßtsein über einem klaffenden Abgrund errichtet haben. Der klaffende Abgrund ist natürlich die offen bleibende Frage, wessen Autorität die deutschen Gerichte und Behörden heute denn eigentlich ausüben. Der Begriff der Subjugation, den Sie mit guter Überlegung nicht hervortreten lassen, dient als juristisches Vehikel eines Zwischen-Zustandes, dessen Kern-Unrecht mir darin zu liegen scheint, daß der ewige, auch im Hobbesischen Naturzustande gültige Zusammenhang von Schutz und Gehorsam zerrissen ist und der Subjugierte, trotz seines Gehorsams, ins Elend gestoßen wird. 19. 1. 48 An H. Winckelmann: Ich möchte Ihnen gleich mit surrealistischer Offenheit sagen, daß das Wort – und nun erst der Begriff – „Gesetz“ mir in allem – begrifflich, gedanklich, assoziativ-psychologisch und, last not least, auch phonetisch – Schauder und Entsetzen einjagt, das Entsetzen nämlich über die Orgien des Setzens und den Terror der „Setzung von Setzungen“, in die wir seit 1848 hineingeraten sind wie in den Maelstrom. Ich bin bereit, Ihnen stundenlange Belege und Beweise vorzutragen und zu unterbreiten: historische, sprachund wortgeschichtliche, begrifflich-systematische, verfassungsrechtliche und naturrechtliche. Alles positiv Ponierte und Posierte wird heute von diesem Fluch getroffen, so, wie heute jeder „Wille zu“ irgendetwas in jeder Hinsicht erledigt und geistesgeschichtlich kondemniert ist. Aber trotzdem wird sich die positivistische Walpurgisnacht vorläufig noch steigern und werden wir den üblen Trank bis zur Hefe auskosten müssen. Darum stoppe ich mein Entsetzen und erhebe die Frage: halten Sie es für möglich, vom Richter her den Bankrott des Gesetzgebers zu sanieren? Wenigstens eine Art Zwangsvergleich zustande zu bringen? Mit Hilfe der in sich nur noch als Luxus eines alt-reichen Landes empfundenen englischen Methoden? Wollen Sie einen neuen Richterstand schaffen?1 Sie werden mir antworten, daß Sie eine methodologische Arbeit schreiben wollen und daß sich aus ehrlich geklärten Begriffen von selbst Auswirkungen ergeben, deren Stärke und Tempo wir vertrauensvoll den geheimnisvollen Mächten überlassen müssen „qui mutant corda hominum et gentium“. Gut. Ich würde dann (und habe es in meinen Vorträgen über die „heutige Lage der Europäischen Rechtswissenschaft“ getan) das „Gesetz“ in seiner ganzen konkreten Problematik, in seiner (verzeihen Sie das Modewort, aber es hat ursprünglich einen sehr echten Sinn gehabt) existenziellen Abgewirtschaftetheit, als Ausgangspunkt klarstellen. Das ist der Grund, aus dem ich lieber von der Distinktion „Legalität und Legitimität“ ausgehe, mir die vielen heute verwendeten sehr verschiedenen Arten von „Gesetzen“ erst einmal klarmache und mich dann frage: Ist die Justiz in concreto „legitimer“ als alle Legalität? Und wahrhaftig, Ihr Glaube beweist mir, daß sie es sein könnte. Von dort her erklärt sich auch meine Reserve gegenüber dem Wort und Begriff „Naturrecht“. Sie wollen in den Urwald dieser Schwierigkeiten zurückkehren. Video vestigia

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Stenogr. Notiz am Rand: „Und Sohm der Hauslehrer der Seminarlehrer“.

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ineuntium, non exeuntium! Vgl. Anlage (der Satz von Ernst Troeltsch). Seitdem die schauerliche Wendung gefallen ist: „Deus sive (!) Natura“ halte ich die babylonische Sprachverwirrung für unheilbar. Der normale Großstädter ist nach dem hinterlassenen Wort des armen Alfred Delp S. J. (am 2. Februar 1945 gemeinsam mit unserm Popitz gehenkt) nicht „gottlos“, sondern „gottunfähig“. So rutscht er von selbst in Ihr biologistisches Recht der Natur! Unwiderstehlich. Oh brave new world! (Dann über die Max-Weber-Ausgabe und die Klärung des Augiasstalles; der Ausspruch aus New York von dem „unausstehlichen“ Max Weber). Dieses als erste Antwort einer auch hinsichtlich Schreibmaschine und Papier auf den Status oder vielmehr den Situs eines Normalverbrauchers demontierten Monade. Morgens zu dem englischen Plan einer Vernichtung Helgolands: Hier gilt der Frevel unmittelbar den Elementen selbst. Sonst wurde das Land dem Meere abgerungen. Hier wird Land ins Meer hinabgestoßen; bewohntes Land, die Heimat von Menschen, heiliges Land wird freventlich vernichtet; als Land vernichtet; aus militärischen Gründen; grauenhaft. Sonst Städte dem Erdboden gleich gemacht. Wir schauderten im Kriege vor dem geplanten scelus infandum, Leningrad in den Sumpf zurückzustoßen; méchant et néfaste. „Alle Lust will Ewigkeit“. So? Die Lust will nichts. Sie ist totale Präsenz der Gegenwart und kennt und weiß und will nichts anderes. Sie will nichts als sich selbst, sich selbst gefallen. Sie will nicht Ewigkeit. Das sind Kitsch-Formulierungen von ExTheologen.1 „Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist“. Nicht ganz so; leider viel schlimmer. Im Deutschen wird die Höflichkeit zu schnell zur Ironie, zur groben Ironie. Es fehlt das sich selbst verstehende Spiel der Konvention. Das Hinterhältige einer von Theologen verdorbenen Handwerksburschensprache. Vorbehalt der Innerlichkeit. Seit 100 Jahren, seit dem Positivismus, ist sie boshaft; ihr wahrer Dichter ist Wilhelm Busch, der Humorist der Schadenfreude und des Neides. 22. 1. 1948 Als ich die Stelle über mich und meinen „Begriff des Politischen“ bei Edmund A. Walsh („Wahre anstatt falsche Geopolitik für Deutschland“, 1946) las, entfuhr mir das Wort Schafsnase. Das Wort wäre zu analysieren. So tief stecke ich in einer rein intellektualistischen Haltung. Selbst gegenüber einem, der schon den Strick schwingt, um ihn mir um den Hals zu legen.2 Erst nachträglich, hinterher, dachte ich daran, daß es sich bei dieser Stelle um eine auf Schafsnasen berechnete Niedertracht handelt, die ihrerseits wieder auf einen Schächer, den armen Gurian, zurückgeht, der sich seinerseits auf solche Weise für sein Schächertum zu rächen sucht und sich dazu eines Jesuiten bedient. Das ist die Verkettung der Ziele und Motive, die hier sichtbar wird. Solche Ketten und Gewebe erscheinen uns armen Menschen, wenn wir uns die „Zusammenhänge“ klarmachen wollen, mit denen Gottes Vorsehung „arbeitet“. Aber Gott arbeitet nicht; es arbeiten nur die Schächer, die

1 Stenogr. Notiz am Rand: „Sie will nichts als sich selbst, sich selbst gefallen, sie ist verlogenes Fühlen, sie ist verlogener Abgrund der totalen Präsenz.“ 2 Späterer Zusatz am Rand: „vgl. Günther Krauss“.

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Schurken und die Schafsnasen. So mögen sie denn weiter arbeiten. Gott hatte alles schon längst zum Guten gewendet, als [sie] losdrückten, um ihre Werkzeuge und Geschosse in Gang zu bringen. 23. 1. 48 Die Grenze hat etwas Magisches, Raum-Magisches (sagt R. Kassner); der Zeit entspricht nicht die Grenze, sondern die „Wende“; der Zeit ist nicht die Magie, sondern Freiheit zugeordnet; Wille, Vermittlung; Ton (statt Wort und Mythos); Kunst. Ich bemühe mich, mit knabenhaftem Ernst, als „antiker“ Mensch, um die Magie des Raumes. Ich will sie nicht fassen und noch weniger herstellen; aber ich will sie wissen und dadurch bewahren für andere; a sole retriever; antik. Ich sehe den letzten Raum, mein Grab; ich sehe es sich auflösen; meine Heimat, der Fluß, alles wird zerstört, aber ich halte daran fest. Ich gehe mit ihnen unter, und sie gehen mit mir unter. Das Arcanum meines Lebens. Das ist mein Eigentum. Ich nehme es mit ins Grab. Eigentum ist nur das, was man mit ins Grab nehmen kann. Heute also nichts mehr; nur der tote Leib, den man dann besser verbrennt. Die Pazifisten, die Fruchtabtreiber und die Leichenverbrenner triumphieren also.1 Kleist hat nach der Lektüre Kants einem Freunde gesagt: Jetzt gibt es nichts mehr, was man mit ins Grab nehmen kann. Hegel: Das heilige Grab ist leer; Irrtum der Kreuzzüge; so deuten sie (und Däubler) die Auferstehung des Fleisches. Einzig erbt ich den eigenen Leib. Wahrhaftig, das ist es. Däubler: die Dinglichkeit ist tot; das Wort erfüllt den Raum! Nein, der Ton erfüllt die Räume, hebt sie sogar auf. Das „Nordlicht“ Däublers ist nicht Wort, sondern Ton; es ist Tonalität. Mit jeder Zerstörung sind notwendigerweise so viele Restaurationsversuche verbunden, daß die Verwirrung fürchterlich ist. Typisch der Mülleimer jeder modernen Bewegung; alle Anti-Alkoholiker, Anti-Nikotiniker, Anti-Fleischesser, alle Bibelforscher laufen mit. Der Mitläufer ist natürlich der einzig wahre Schuldige. Das Kreuzzeichen bewirkt größere welturanische Strahlungen als alle Atombombenfabrikanten. Ich schlage ein Kreuzzeichen über den Wirrwarr meiner Affekte und Emotionen, und siehe da, Christus wandelt auf dem Meere. 24. 1. 48 Bei Annette ist das Kreuzzeichen nur die „Phosphorpflanze“, die Lebenspflanze; das ist eigentlich doch schlimm. Ihr intensiv naturwissenschaftlich determinierter Positivismus; ihr Tribut an ihre Zeit, mit weiblicher Demut und Ehrlichkeit hat sie ihn entrichtet; ebenso tief und ehrlich ist ihr Dienst im „Tempel“, wie sie es nennt. Warum sagt sie aber „Tempel“, wo sie doch ganz und gar nicht antik ist und gar nichts Humanistisch-Klassizistisches hat?2 30. 1. 48 Inzwischen ist ja selbst Max Stirner mit seinem Nihilismus zum bloßen Prahler geworden. Er hatte scheinbar so unwiderleglich recht. Was ist unmittelbarer, unveräußerlicher, unab-

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Am Rand: „vgl. 30. 1. 48; Grab vgl. 7. 4. 48 (Hic jacet)“. Stenogr. am Rand: „26./28. in Wuppertal “.

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streitbarer als mein Leib und mein Eigentum daran?1 Ihn nehme ihn doch mit ins Grab, nicht wahr? Armer Illusionist. Du nimmst ihn nicht mit ins Grab. Er kommt ins Krematorium. Vielleicht wird seine Asche in alle Winde zerstreut. Das ist von dem Bruder Straubinger mit schlechtem, aber von den Siegern Folgenden anscheinend mit gutem Gewissen praktiziert worden. Was ist hier schlimmer, das gute oder das schlechte Gewissen? Ein mit Hilfe der Justiz organisiertes gutes Gewissen ist das Schlimmste. Vorzüglich die Bemerkung von Christian Wolff: Die andern machten böse Dinge mit gutem Gewissen, wir gute mit bösem. Das ist der Sachverhalt, der innen und außen alle Dämonen des Rachebedürfnisses und alle Plünderer anzieht. Vis attractiva des bösen Gewissens; doppelt groß bei einem im Grunde dummen und armen Teufel, den die deutsche Bildung erst aufgerufen und dann im Stich gelassen hat. Dem guten Gewissen der ganz und gar Bösen erteilt der Weltgeist Absolution. Natürlich wird jeder, der die Möglichkeit hat, seine Macht dadurch zu legalisieren, daß er sie als Recht setzt, von dieser wunderbaren Möglichkeit Gebrauch machen. Er wird sich diesen juristischen Mehrwert nicht entgehen lassen. Darauf hat noch kein Machthaber verzichtet. Das gehört eben auch zum Gesamtphänomen des juristischen „Positivismus“ im Zeitalter der Legalität. 31. 1. 48 Ich nehme nichts mit ins Grab; denn die Gräber sind zerstört, auch wenn ich mein privates Grab noch erreiche. Eigentum ist heute nur, was man mit in den Tod nimmt. Deutschland – eingeklammert und ausgeklammert, in einer auseinanderklaffenden Welt. Zu Nebels Tyrannis und Freiheit: Nun schimpfen diese Intellektuellen auf das arme deutsche Volk und zählen seine Fehler und Schändlichkeiten auf. Modellbild: Luthers Beschimpfung der armen Bauern, auch der Wiedertäufer von 1535. Mitschuld der deutschen Bildung selbst, die nicht von diesem Schema loszukommen scheint; umgekehrter gleicher Fall: Goethes Heldengedicht auf den alten Blücher („bewußt und groß“!). 1. 2. 48 Mit den heute maßgebenden Maßen gemessen war Kierkegaard doch ein fürchterlicher Reaktionär und Volksfeind, der diskriminiert, diffamiert, demontiert und exterminiert werden müßte; von D.[onoso] C.[ortés] ganz zu schweigen. Mein Fehler war die Gutmütigkeit meiner Anpassungen, meine Unfähigkeit, die Menschen für so dumm und ordinär zu halten, wie sie es sind und mir täglich beweisen.2 2. 2. 48 Lehrreich (und notwendig) wäre ein soziologischer Vergleich der 1815 nach Frankreich zurückkehrenden mit den 1945 nach Deutschland zurückkehrenden Emigranten.3 Aber wahrscheinlich ist das schon als bloßes Aperçu lebensgefährlich und blasphemisch.

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Am Rand: „23. 1. 48“. Stenogr. Notiz am Rand: „Ist das die . Endlich; vgl. 10. 2. 48“. Am Rand: „Mme. de Staël“.

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„La Petite Cité“ (zum Unterschied von der Grande Cité), Cercle intérieur, nennt Aug. Cochin dieses spezifische Gebilde,1 für das ich den Namen suche: Elite, association politico-criminelle etc.; wichtig, daß er seine Anregungen bei Bryce und Ostrogorski gefunden hat, d. h. in der „Maschine“ einer „Partei“. O Roberto Michels, komm’ uns zu Hilfe! „Petite Cité“ ist nicht gut; herrlich dagegen die „matière votante“. Immer wieder betont A. Cochin die „sozialen Kräfte“; ces êtres inhumains, un Chalier, un Marat, un Carrier ne sont que les produits mécaniques du travail collectif; mit Anarchie (oder Nihilismus) ist nichts erklärt; das sind nur die faulenden Eingeweide, aus denen nach Aristoteles die Bienen entstehen. Mesurez-vous maintenant toute l’énormité de mon crime? Il est de ceux, qui ne se pardonnent pas: curiosité vis-à-vis des véritables motifs et des moteurs réels de l’indignation organisée. Aug. Cochin, Sociétés de pensée, S. 111: La thèse de la défense paraît avec la démocratie même. Immer: Utopie (der abstrakten pensée) gegen réalité. 3. 2. 48 In meinem Heiligen-Kalender stehen nicht nur J. Bodin und Th. Hobbes, sondern auch Donoso Cortés und Augustin Cochin, und alle Unzeitgemäßen, soweit sie ihre Unzeitgemäßheit nicht, wie Nietzsche, als Reklametrick benutzt haben, alle ehrlich Verzweifelten, soweit sie sich nicht, wie Kleist, durch Selbstmord selbst geholfen haben. Was tust Du also nun hier? Du hast Dich mit knabenhaftem Stolz in der großen Welt mit ganz Großen Feinden angelegt. Mit Ra. und großen Juden, und jetzt wirfst du dich weg an kleine Provinzbrüder, du Billig-Spieler, du mauerst und passest aus Trägheit und feiger Bequemlichkeit. You can’t go home.2 Die Genialität von Villiers de l’Isle-Adam; zu unseren neuen Mythenbildern gehört (neben Benito Cereno, dem Oberförster, wer noch?) vor allen andern „Le Convive des dernières fêtes“; Poe hat mythische Situationen (im Maelstrom, im Kerker der Inquisition), aber keine mythischen Figuren (der Ansatz bei Pym ist zu schwach), dieser Convive dagegen ist eine mythisch erhabene Figur. Annette hat überlieferten Bildern und Situationen mythische Symbolik eingehaucht („ein Helot, der knirschend schlang in Sklavennot den Wein so der Tyrann ihm bot“); sie blieb aber ungeschichtlich. Kleist hat den Bären im „Marionettentheater“ gefunden. Aber alles das (außer B. C. natürlich), wird überholt durch diesen „Convive“, den deutschen Baron, der – salonfähig bleibend – geisteskrank wird, weil er seine Blutgier nicht auf legale Weise in einem wichtigen Amt stillen kann, parce qu’il ne peut remplir légalement (l. von Villiers unterstrichen!) l’office, d. h. das Amt eines Henkers –––––––––– und Schinderknechts. Dieser Convive erscheint als „Baron Saturne“ in Paris zum Carneval auf dem Opernball und wird mit eingeladen. Alle diese Deutschen in Paris 1940–44 waren ja nur Convives des dernières fêtes. Vergleich mit dem Oberförster von 1939.

Am Rand: „Cité als Oberbegriff besser als Staat“. Stenogr. Notiz am Rand: „Du selbst im Ap[ril] 37. Mitleid mit dem . Das bist du selbst. Jahrestag der Ermordung Gustloffs, der Sieg Ludendorffs in der Seele des länder . (3. 2. 38; Led bei der Beisetzung!)“. 1 2

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7. 2. 48 Heutige Parallele mit der „Stille“ von 1938? 1 Sollte es wieder so kommen, daß wir in Deutschland jetzt auch die kommunistische Revolution, die 1918 fällig war, elend an fremder Hand und posthum vollziehen, daß wir nachexerzieren, wie wir die 1848 fällige bürgerliche Revolution in dem Zusammenbruch 1918/19 2 vollzogen haben? Oder werden wir sie ganz utopisch-romantisch posthum vollziehen im Rahmen ganz anderer Entwicklungen, so wie wir den Bauernkrieg von 1525 als Reichsnährstand von 1933, den 30-jährigen Sachsenaufstand gegen Karl den Großen als Nordische Gesellschaft in der Böttchergasse oder den Wiedertäuferskandal von 1534 als Verteidigung Berlins 1945 erlebten? Man müßte die Verwendung irrealer Bedingungssätze bei den verschiedenen Historikern sorgfältig und konkret untersuchen, dann käme man seltsamen Dingen auf die Spur. Ich mache den Anfang mit Gobineaus De l’inégalité: Wenn es um 300 v. Chr. im Occident neben den Römern eine starke Nation arischer Rasse gegeben hätte, hätten die Römer nicht hochkommen können (II,238). Oder auf der gleichen Seite: Die Römer hätten ihre Vorherrschaft nur dann verlieren können, wenn sie indische oder germanische Völker zu Nachbarn gehabt hätten, diese kamen aber erst im 5. Jahrhundert etc. Man wird ganz irr, wenn man solchen Irrealismen nachgeht. Warum sind das übrigens keine Utopien? Uchronien? Warum sind Uchronien lächerlicher als Utopien? 8. 2. 48 Die Angst ist die Möglichkeit der Freiheit; wer gelernt hat, sich recht zu ängsten, der hat das Höchste erlernt; die Wirklichkeit ist leichter als die Möglichkeit; wir dürfen die Möglichkeit, die uns lehren will, nicht betrügen, die Angst, die uns retten will, nicht unehrlich abweisen usw. Anläßlich eines nichtigen Anstoßes wieder gelesen. Angst vor dieser Angst.3 Das schmerztötende Mittel; sonderbares Wort; wo bleibt der Schmerz, der so getötet wird, fragt Martin Beheim-Schwarzbach mit Recht, wo bleiben alle diese Schmerzen, sie müssen doch irgendwo bleiben. Wo bleiben die Ängste, die beschrieben werden. Großes Interesse für diesen Martin Beheim-Schwarzbach; er ist reflektierter und weniger getrübt als Thomas Mann. 9. 2. 48 Die Diskussion mit Sartre (am 1. 2. 48 in Berlin): was er ist, ist dasselbe wie der einsame, kritische, atheistische Einzelgänger Bruno Bauer; dieser war mehr Geschichtskonstrukteur4 (alt-neu); die nötige „Staatskritik“ (auch innerhalb des sozialistischen Marxismus, d. h. am eigenen Staat, nicht am fremden, am Lizenz-Staat) hatte Bruno Bauer längst. Wer heute in Berlin auftritt, sollte nicht an den . Die Prognose und Meister dieser Sklave kann nur mit vielen Zulassungen, Lizenzen, Pässen, Approbationen und Bescheinigungen

Späterer Zusatz: „1912, 1938?“. Im Orig.: „1918/18“. 3 Am Rand: „Ist Utopie eine Möglichkeit? Das Sündhafte: Realisierung einer Unendlichkeit im Endlichen zwecks Beseitigung der Angst. Schon Hobbes: Erzeugung der Angst“. 4 Über „Geschichts“ geschrieben: „Epochen“. 1 2

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auftreten. Er wird sich hüten, davon sehr kritisch zu sprechen; trotzdem, das ist das Existenziell-Konkrete an der ganzen Diskussion. (Steiniger sieht, daß Sartre’s Fliegen 1944 in Frankreich gegen die Reue wirkten, 1948 in Deutschland daher gegen die Entnazifizierung: das nennt er ein Beispiel von „Dialektik“; es ist nur ein Situationswechsel bei gleichbleibendem Wortlaut und eine Probe auf den Sinn für Reziprozität.) Von oben diktierte Reue macht alle mitschuldig, sagt Sartre. Keiner ist frei, wenn nicht alle frei sind (Hegel). Wer erzieht die Kinder zur Freiheit? Der Christ oder der Atheist. Die Frage der Erziehung enthält schon die Grenze aller Freiheit. „Freiheit“ kann doch nicht das letzte Wort sein; libertas libertate perit; immer das gleiche: so wenig wie die Rasse oder die Reinheit. Und nun noch erst die „Erziehung zur Freiheit“; sieh dir diese Freiheitshelden vom Schlag Ilja Ehrenburgs doch nur einmal an; die Gehirnwäscher! 10. 2. 48 Was ist eine Utopie? Die Aufhebung der unendlichen Möglichkeiten des Menschen in einer endlichen Realisierung; erst nur gedacht, dann verwirklicht. Denn jeder Gedanke des Menschen geht in Erfüllung. Die Sünde der Utopie liegt darin, daß die Realisierung im Endlichen die Angst aufheben soll, die in der Möglichkeit des Unendlichen liegt; daß die endliche Realisierung uns von dem Stachel des Unendlichen erlösen, daß sie die Bienen Gottes, die uns belästigen, wie Ungeziefer töten soll. Die Utopie ist das in der fernen, aber doch erreichbaren Zukunft liegende Paradies. Die Fähigkeit, in die Ferne zu denken, wird immer geringer. Deshalb muß der Utopist des 19. Jahrhunderts von der Utopie zur positiven Wissenschaftlichkeit übergehen und behaupten, daß das Paradies morgen schon anbrechen kann, wenn wir nur schnell und radikal das letzte Hindernis – die Kapitalisten, die Juden, die Jesuiten oder Hitler – beseitigen und vernichten, restlos ausrotten. Leider bleiben immer einige Reste. „Pauca tamen suberunt priscae vestigia fraudis“, sodaß immer noch Ausreden bleiben und Zeit für die Konstruktion eines neuen letzten Feindes. „Erunt etiam altera bella.“ Aber das ist eine andere Frage. Das Thema „Utopie“ ist heute klar. Auch der utopische Charakter dieses ganzen Rationalismus, Aufklärung, Positivismus.1 Was will Hobbes: Öffentliche Ruhe und Sicherheit; doch er weiß noch: plena securitas in ––––– hac vita non expectanda; versuchen wir also das Mögliche; das sind die bescheidenen, noch nicht berauschten Utopisten. Sie glauben noch nicht an den globalen Weltfrieden. Das tut auch Thomas Morus nicht. Aber das Wesentliche, das Peccatum ist: Organisation zur Aufhebung der Angst; securité. Die einzigen, die um das Peccatum wußten und die Sünde erkannten, waren die Lutheraner. So sagt Christian David, der Erbauer des ersten Hauses der Herrnhuter Siedlung (um 1730): „Und so kämpfen wir gegen die Feinde als den Hochmut, Wollust, Sicherheit, Faulheit, Trägheit.“ Aber so dachten nur die Stillen im Lande. Die herrschende Tendenz war aktivistisch-utopistisch. Wenigstens ein Stück Sicherheit. Die Maschine ist nicht das Mittel des Glücks, sondern der Utopie. Aber bei Morus kommen doch noch keine Maschinen vor (wohl bei Campanella); das „Unwirkliche“, Irreale,

1 Am Rand, teilw. Steno: „Hobbes will unmittelbar praktisch sein. Keine Platonische Utopie oder Atlantis (Schluß des II. Buches des Leviathan Platon, lateinisch auch Utopie, Atlantis)“.

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sehr stark von den Franzosen gefühlt, Legalität, d. h. Staat und Maschine, sind die beiden Vehikel dieser Irrealität und in diesem Sinne des Utopischen. Die Utopie des Thomas Morus ist noch keine wissenschaftliche Utopie; sie ist eher eine Eutopie: „More’s gay genius“ war keiner Maschinen-Utopie fähig; und daß er der Historiker der großen Szene 4 in Richard III., Akt III [ist], die [die] der Maschine immanente totalitäre Planung gemeint haben soll, ist metaphysisch und schicksalhaft unwahrscheinlich. Was bedeutet es aber, daß er den Namen Utopie gefunden hat? Gehört es nicht zu den Peccatis des neutralisierenden Humanismus, wie Fr. de Vitorias Relecciones de Indis? Und Erasmus und der ganze Erasmismus? Ich müßte diese Zeit ausnützen, um mir über diese humanistischen Neutralisierungen noch viel klarer zu werden, Konrad Weiß „Das gegenwärtige Problem der Gotik“ (1927) wieder lesen, meinen Eifer für das Un-Buch Christoph Stedings besser analysieren, mir die letzten Wurzeln meines Vortrages in Barcelona vom Oktober 1929 zum Bewußtsein bringen. Dann erst wäre meine Vitoria-Interpretation reif. Was hält mich zurück? Wie habe ich es selbst (am 21. 7. 1914) gegenüber der klar durchbrechenden Erkenntnis des Betrogenseins formuliert und niedergeschrieben: „Das ist das Gefühl des Unabänderlichen. Es kommt, und wer klug ist, sagt nichts und wehrt sich nicht.“ „Wie willst Du Dich gegen den Tod wehren?“ So wörtlich vor über 33 Jahren. Immer wieder bin ich dem Betrug erlegen; immer wieder bin ich ihm entgangen. Immer wieder die Erkenntnis „bei der ich still halte, wie wenn ich einem Schicksal gegenüber stände, in das ich mich gefunden habe, wie ein Mensch, der am anderen Tag hingerichtet wird und gefaßt der schrecklichen Stunde entgegensieht, ohne eigentlich die Schrecklichkeit zu empfinden.“ So wörtlich am 21. Juli 1914 notiert. Das ist das Gefühl des Unabänderlichen; beides ein Teil des Todes, der ja auch das Unabänderliche ist, oder richtiger: ein Teil oder nur ein Ausdruck, ein Fall des Unabänderlichen. Las die Tagebuch-Notiz vom 12. Oktober 1913: „Sie können sich das leisten“, meinte der Geheimrat. Rührend das heute zu lesen. Es ist auch eine Formel für mein Leben. Ich konnte mir vieles leisten und habe mir vieles geleistet; se payer quelque chose, kann man es übersetzen, dann klingt es illusionsloser und läßt auch die Unkosten nicht ganz außer Betracht. 11. 2. 48 Meine Abneigung gegen Tagebücher und Tagebuchschreiber ist zu groß. Die meisten Tagebuchschreiber kommen mir vor wie Kinder, die an ihren Fingern saugen und an allem saugen, was sie in die Finger bekommen. Doch gibt es auch herrliche Tagebücher, wie die von Delacroix, und große Buchhalter des Absoluten, wie Léon Bloy. Aber die anderen, die belesenen und literarisch gebildeten Pepysse sind wirklich nur Säuglinge, auch wenn sie arge Selbstquäler sind und nicht, wie Samuel Pepys, Narzisse.1 Die Insel (bei Morus) ist der dialektische a¢topov zwischen festester Verortung und utopischer Entortung. An diesem unheimlichen Zwischen-Punkt steht der heilige Thomas Morus mit seiner Insel Utopia, die eben in Wahrheit eine Eutopie ist.2 Das ist wunderbar, und so ist er mit tiefstem geschichtlichen Recht heilig gesprochen, sagen wir vorsichtiger:

Am Rand: „Tagebuch vgl. 5. 4. 48“. Am Rand: „Sie ist noch kein vollendeter Betrug, dann wäre sie auch Aufhebung des Gegensatzes von Land und Meer.“ 1 2

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von den ungewollten Folgen seines Peccatum freigesprochen worden. Vitoria wird nicht heilig gesprochen werden, obwohl auch er ein solcher dialektischer a¢topov ist. 12. 2. 48 „Die Versuchung des Franciscus Vitoria“ bestand nicht darin, die offizielle Lehre (die es nicht gab) zu vertreten oder zu schweigen (wie Verdross das konstruiert, banal und der offiziellen Lehre des heutigen Nachkriegs sich unterwerfend), sondern die Versuchung lag in der neutralisierenden Humanisierung; eritis sicut Logos, sie lag im Erasmismus. Der heilige Geist ist kein Skeptikus. Morus war kein Kleriker, sondern ein bloßer Clerc, ein Schreiber, kein Priester. Das ist das Geheimnis seiner unhörbaren, sogar unfühlbaren großen Überlegenheit. „Der Edle bleibt in seinem Zimmer. Formt er seine Gedanken richtig, so braucht er sie nicht zu publizieren, er findet ein Echo aus einer Entfernung von über tausend Meilen“ (Konfuzius). Morus ist der geheimnisvolle Scrivener in Richard [III.,] III. Akt, 6. Szene; enter a scrivener, fast unmittelbar nach der fabelhaften Szene 4 desselben Aktes, die ja sicher auf Thomas Morus zurückgeht; besonders in der Schilderung der Wut des Tyrannen über die „ifs“. Heureka! Der große Clerc; auch Bodin war einer. Hobbes dagegen ein einsamer Wolf. 13. 2. 48 Was tue und treibe ich hier? Ich suche nicht die Zukunft (denn ich fühle die Ohnmacht meines inneren und äußeren Daseins. Ich bin diskriminiert, nach unten, aber infolge dessen auch nach oben.) Ich suche auch nicht die Vergangenheit (denn ich will nicht, über mich selbst reflektierend, mich selbst überleben. Was tue ich also? Ich tue nichts.) Ich suche das Accidens meiner eigenen Gegenwart in reiner Gedanklichkeit treu zu bestellen. (Schöne Fragebogen-Antwort an ein Arbeitsamt!).1 An Gerhard Nebel (als Dank für die Widmung von Tyrannis und Freiheit xífov e n¬ múrtou kladí). Der Schlußsatz von Bruno Bauers „Christus und die Caesaren“: „Das Schwert des Glaubens, mit dem die Apostelfürsten ihrer Gemeinde den Weg durch die Kaiserzeit Roms bahnten und dann gegen die Ansätze des Mittelalters zur Militärdiktatur bestanden, haben sie von den Stoikern geerbt, welche mit der Kraft des Gewissens und der Überzeugung sich den militärischen Triumphen der Makedonier und der Römer entgegen warfen. Dasselbe Schwert wird in der Hand der Nachfolger der Stoa blitzen, solange und so oft eine politische Gewalt im Zusammenbruch einer veralteten Weltordnung nur den Freibrief des Vorrechts und nicht das Werk einer allgemeinen Befreiung erblickt.“2 Ob der gute Nero-loge Gustav Würtenberg wohl Bruno Bauers „Christus und die Caesaren“ kennt? Erstaunlich ist, daß er das Buch von L. Klages über Alfred Schuler (1941) nicht kennt; das ist die Fundgrube für die eigentlich höchst aktuelle Dämonologie Nerons. W. ist kein Dämonologe; er ist ein schaudernder Ethiker, dessen ein gefährlicher, spezifischer Dämon, eben der diabolus ethicus, spottet.

1 Am Rand: „15. 2. 48 an Winckelmann, 24. 2. 48 Frau Jünger, 13. 4. 48 [Przywara] (beten Sie für mich), 2. 6. 48 E. R. Huber, 13. 6. 48 W. Weber“. 2 Stenogr. Notiz am Rand: „Hat Hoffnung auf Eindruck gemacht, nach so viel militärischen Siegen und Triumph mußte der siegen.“

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Höre, o Mensch, Pan ist erwacht! (Widmung des Nordlichts für Lothar Kreuz).1 Schrieb an Ernst Jünger (Dank für das Heftchen La salle d’attente): ich habe das undurchdringliche Gewebe von Menschen- und Bücherschicksalen bewundert. Ihr Name steht jetzt im Licht oder Schatten von La Salette, und Léon Bloy ist eine Art Pate und Nachbar von Ihnen geworden! Sehr merkwürdig. Nachricht vom Tode Stülpnagels: formation dépendante du genre de mort. Im gedruckten Text fehlt die wunderbare und nicht nur gedanklich wesentliche Reflexion: je cherchai alors à me souvenir des circonstances de ma mort. Sie hebt doch das Folgende über das bloß Träumende hinaus und gibt ihm die spirituelle Überwirklichkeit des ganzen Vorgangs. Aber der Herausgeber wird sich schon etwas dabei überlegt haben. Während ich las, dachte ich immer an Drieu 1.[a] R.[ochelle], den ich mit Bezug auf dieses Phosphorbad gern nach Villiers de l’Isle-A.[dam] gefragt hätte, nicht nach dem mondän-dekadent-romantisch-zeitgebundenen, sondern nach dem Initiierten und Okkultisten. Villiers hätte sicher auch bedauert, daß die grands guerriers im gedruckten Text fehlen; auch Léon Bloy, auch Drieu. 14. 2. 48 Man höre „Ich bestimme mich, indem ich mich mir selbst handelnd unterziehe und indem ich derart mich selbst bewirke, konstituiere ich eine Welt“ usw. Ich mich mir selbst. Hat uns nicht schon seit Jahrzehnten davor geekelt? Sind wir dem ehrlichen Privat-Imperialisten Fichte davon gelaufen, um diese dreisten Ich-Verrücktheiten von neuem mitzumachen? Aber weil es in Deutschland unter Siegerschutz steht, ist es hier erlaubt, und keiner wagt zu lachen. Ich mich mir selbst. Ein Buribunke, wie er im Buch des Existenzialismus steht. Aber er braucht nur französisch zu sprechen, und er hat alle Lizenzen. Ich mich mir selbst. Ich bin Ich, nur Ich allein, rief mein Namensvetter Carl Schmidt 1845. Das also steht heute unter Besatzungsschutz, wie seinerzeit 1939–45 das Römische Recht unter Achsenschutz. Eine unerwartete Ironisierung der Anklagerede des französischen Anklägers de Menthon in Nürnberg. Eine unerwartete Reaktualisierung Max Stirners, insbesondere seines Kapitels über das Verhalten des Ich zur Polizei. Auch Stirners „Ich“ lehnt es ab, ein Denkobjekt zu sein. 15. 2. 48 Carl Brinkmann fand es „wissenschaftlich unwürdig“, meinen Namen in einer Bibliographie nicht zu nennen. Ich schrieb ihm: Ich brauche mich nur der Situationen zu erinnern, in denen die einzelnen Sätze meiner Notiz über Tocqueville entstanden sind, um sofort zu schweigen, wenn das Stichwort von der Würde der Wissenschaft fällt, die an mir und in meiner Person mit Füßen getreten wird.2 Vorsicht, diese „Strahlungen“ könnten ja auch nur Selbstspiegelungen mit Hilfe eines kleinen Taschenspiegels sein. Was hatten bestimmte Autoren eigentlich gegen den „Raum“ und warum waren sie so für die „Zeit“. Hausenstein, E. R. Curtius und andere human-geschmackvolle Neutralisierer? 1 Am Rand: „vgl. aber: Alexandrinische Phantasie, 1. Flügel: Der Wasserunhold stirbt und Pan hört auf zu schmunzeln.“ 2 Späterer stenogr. Zusatz: „(Im gleichen Brief 13. 2. 48). Antwort von ihm vom 18. 2.: Er hat mich 33 nicht mehr Freund genannt, weil er mich bei einer .“

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Sie kennen noch Räusche aller Art, aber nicht mehr den Rausch der Kausalität und nicht den der Finalität; nicht mehr den Rausch des Abstrakten und nicht den des Konkreten. Gottfried Benn ist der authentische Deutsche in der Zeit von 1919 bis 1938, nicht die schwachen und ehrgeizigen Mitläufer. Wo bleibt der Durst, der gelöscht und der Hunger, der gestillt wird? (zu 8. 2. 48); wohin verlagert sich der Drang, die Energie, die in Durst und Hunger wirkt? 16. 2. 48 Das Geheimnis: „er“ war im Tiefsten folgsam, gehorsam; oboedientia fecit hinc imperantem; Assimilant der Bildung, deren Begriffe er radikaler nahm als seine Lehrer. Diese Art Effektivität machte ihn groß. Aber seine Lehrer ließen ihn im Stich. Er wollte ihr Vollstrecker sein, reine Exekution und rein exekutive Funktion, aber die Weisungen, die er von dort erhielt, waren unehrlich und voller Vorbehalte wie die Weisungen Luthers an die Bauern. So wurde er zum Gespensterpferd. Oboedientia fecit hinc Imperantem. Der Imperans ist nur ein Vollstrecker, der Diktator diktierte nur ihm gegebene Dicta. Überlegenheit der sogenannten Ideologen. Dialektik des Befehlens und des Gehorchens, unendlich feiner noch als in Hegels berühmter Stelle vom Herrn und dem Knecht, weil auf Sprechen und Hören abgestellt. Also der Mensch ist ein Wurf, ein Entwurf, ein project; ein Vor-Entwurf. Eigentlich ein planloser Plan ohne Plangeber; der Pan versinkt, der Plan tritt auf den Plan! Schönes Beispiel der immanenten Orakelhaftigkeit der deutschen Sprache. Das braucht man nur zu kultivieren und man ist ein berühmter Autor. 17. 2. 48 Morgens früh, um 6 Uhr, schenkte mir Peterheinrich Kirchhoff sein Reclam-Exemplar von Max Stirners „Einzigem und sein Eigentum“. Er ist also wieder bei mir, Max, der treue Strolch, Du kommst doch immer wieder, nachdem Du 1943/4 so traurig verloren gingest durch Josef Wagner. Was willst Du, was sinnst Du? Höre seinen ersten Satz, den ich wieder lese: „Die Eigenheit schließt jedes Eigene in sich und bringt wieder zu Ehren, was die christliche Sprache verunehrte“ (S. 201). Ich bin Ich; Ich bin kein Denkobjekt, sondern Ich; keine Idee und kein Begriff. Also Max kehrt zu mir zurück. Er gehört zu meiner Attendorner Gymnasiasten- [und] Plettenberger Jugendzeit. Willkommen kann ich ihm nicht gut sagen, aber ich empfinde es doch als erstaunliches Omen und Augurium, daß er wieder da ist. Für so anhänglich hätte ich den verschwiemelten Bruder nicht gehalten. Ja, Du bist es, Max. Erscheine Max, tritt auf im selbstbewußten Kreis! Entthronung des Vaters durch das positivistisch veränderte, nicht mehr trinitarische Kreuzzeichen von Auguste Comte, aber Beibehaltung des Kreuzzeichens. Was tritt an die Stelle des Vaters: die Ordnung, sagt Comte; la loi, sagt Michelet. Das Kreuzzeichen in einem andern Namen als dem von Vater, Sohn und Geist. Freud im Zuge dieser Entthronung des Vaters. 18. 2. 48 Die unerträglichen Wortsophismen des armen Karl Max; man müßte ihn einmal existenzialistisch operieren. Über 400 Seiten, das ist zuviel; schleppt zuviel Philosophen-Bohème-

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Stammtisch-Schaum mit sich herum; bleibt wirklich etwas im Kern, oder ist das alles nur Täuschung? Ein Kern? Das meiste ist halb geisteskranke Rabulisterei, durchbrochen von einzelnen Körnern echten Existentialismus’. 19. 2. 48 Manche Sätze des Einzigen bleiben; man kann sie aber nicht loslösen und isoliert aneinanderreihen; nicht einmal als eine Aphorismenkette. Was ist das? Analogie zu den UrSätzen Donosos? Von der Umschicht nicht ablösbar? Wichtiger die Bindung an das Feld der historischen Situation. (An Schelsky:) „Urpositionen“: sie kommen nicht bei dem Vater, sondern bei dem Sohn Fichte vor, in dessen Metaphysik, wo sie, wie Ed. Zeller feststellt, „in der Sache an Böhme erinnern, wie seine (Böhmes oder Fichtes?) Natur in Gott usw.“ Der wackere Zeller schwäbelt gern. Ich will die Biologie nicht so weit treiben, daß ich die Gedanken des Sohnes dem Vater importiere. Trotzdem frappiert mich Ihr Hinweis darauf, daß bei dem späten Vater Fichte (den der Sohn bewußt weiterführen möchte) die Setzung allein die Grundlage der Kontemplation bestimmt, was für mich, als einen christlichen Epimetheus, besonders auf–––––––––––––– schlußreich ist. Dann Hinweis auf G. Nebel, Von den Elementen (wir bedürfen heute in unserer Misere gelegentlich solcher Inzitamente). Was Ihren Aufsatz angeht, so steht mir natürlich quoad rem kein Urteil zu. Doch ist es mir vielleicht gestattet, mich daran zu erfreuen, nach langer Zeit dem Geist Joseph Schumpeters wieder zu begegnen und zu beobachten, daß seine Inzitament-Wirkung unvermindert anhält. Mein letztes Gespräch mit Schumpeter fand 1926/27 statt; am Schluß meines 1927 erschienenen „Begriffs des Politischen“ können Sie noch ein Beispiel jener Wirkung finden. Selbst in der mehrfachen Brechung (durch Übersetzung und Zitierung) erkenne ich immer noch seine Stimme. Es ist ein großes Vergnügen, mit ihm zu diskutieren. Das spürt man auch an Ihrem Aufsatz (in einem P. S. nach Sauermann gefragt). Ich höre (morgens um 6 Uhr im Dunkeln und im Halbschlaf) eine Fabriksirene und sehe dabei den weitgeöffneten Rachen eines großen Fisches. Dieser unmittelbaren Simultaneität eines akustischen Eindrucks mit einem visuellen Bild möchte ich nachgehen. Das wäre wahrscheinlich aufschlußreicher als die Erforschung der Radar-Probleme. Es wäre ein Blick in unser inneres Sensorium. Menschen, die statt der Kirchenglocken nur noch Fabriksirenen hören, sollen an den Gott glauben, der in Kirchen verehrt wird? Sie werden eher an einen sehr harten eisernen Moloch glauben und in dem Schmelzprozeß eines Feuerofens die Rettung suchen. Solange sie aber beides nebeneinander hören, Glocken und Heulsirenen, werden sie hilflos zerrissen und schwanken; sie können sich nicht entscheiden und werden Stahlglocken in ihre Kirchen hängen. 20. 2. 48 Bleibe doch bei Hobbes und gehe nicht zu Bacon über, selbst wenn dieser an den schönsten Shakespear’schen Stücken beteiligt sein sollte. (Ich las diese Nacht Ernst Lewalter, Bacon, 1939). Wie klein ist Bacons Ende, wie behaglich sein Leben! Nicht im Vergleich mit den Juristen des 19. Jahrhunderts, wohl aber mit Hobbes, dem einsamen Flüchtling ohne Amt und ohne soziale Position. Bacons Aufstieg und sein Sturz als Folge von Hofintrigen, die Niederlage auf dem Weg über ein kümmerliches Bestechungsverfahren, in dem er eine jämmerliche Rolle spielt und traurig zu Kreuze kriecht. Er ist arg saturiert in sozialem, ökono-

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mischem und geistigem Komfort, er hatte Schulden, aber er ist nie auf der Flucht. Seine Weisheit ist Hof-Weisheit klügster Art, aber nicht existenzielle Angst. Er gibt keine Signale für Flüchtlinge und Evakuierte. Seine Verzweiflung scheint mir nicht so tief zu sein wie die des Thomas Hobbes. Deren Tiefe möchte ich keineswegs überschätzen. Aber ich verstehe aus meiner eigenen Situation heraus die Tiefe des Hobbes; deshalb kann ich ihn bewundern und rühmen. Bei Bacon verliert sich alles in eine undurchdringliche Region, in die ich ihm nicht folgen kann; aber die Frage ist, ob es mehr als Hof-Arcana sind und seine Mysterien mehr als bloße Logen-Geheimnisse. Das Buch von Lewalter ist schlecht komponiert und steht seinem eigenen Licht (dem eines Mannes, der Sinn für Quellen hat) arg im Wege. Er will schriftstellerisch interessant sein und arrangiert den fabelhaften Stoff, statt ihn aus sich selbst heraus erscheinen und wirken zu lassen; er beleuchtet ihn mit Schein-Problemen wie „Shakespeare oder Bacon“, um den gebildeten Leser zu interessieren, und enttäuscht dadurch nur umso schlimmer.1 21. 2. 48 Herrliche Fahrt durch das Bergische Land, kostbarste Empfänglichkeit; auf Eindrücken und Erinnerungen dahingleitend, wie ein von schönstem Wind getriebenes Segelboot, zu den Küsten wunderbarer Begriffe und Formulierungen. „Definitionen finden ist ein Teil der Entdeckerarbeit“ sagt J. St. Mill. So kam ich wieder nach Düsseldorf (am 17. 2. 48) und meine Erinnerungen an die Jahre 1912–1914 waren nicht nur subjektive Gefühle, sondern Annäherungen an dort geortete objektive Kräfte, die mich damals erfaßten und die von sich aus bestimmten, welche Menschen mir begegneten und welche Ereignisse mir zustießen. Die Kräfte und Strahlungen sind auch unter den Ruinen noch da, sie hängen am Boden und sind ein Teil des Bodens, der mich erfaßt, indem ich ihn betrete. Hegel sagt (in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Ausgabe Glockner, S. 508/9): Gegen die Übermacht gepanzerter Ritter wurde ein technisches Mittel gefunden, das Schießpulver. „Die Menschheit bedurfte seiner und alsobald war es da.“ Siehst du. Woher kommt also nun die Atombombe? Die Menschheit bedurfte ihrer und alsobald war sie da. Hoffentlich auch das Gegenmittel! Und wenn nach Hegel die „höhere Tapferkeit“ darin besteht, daß beim Gebrauch der Schießgewehre „ins Allgemeine hinein geschossen“ wird, gegen den abstrakten Feind, nicht gegen besondere Personen, steigert sich etwa beim Abwurf einer Atombombe sowohl die Tapferkeit wie auch die Abstraktheit ins Transzendente? 2 Der sog. 2. Weltkrieg hat nicht am 1. Sept. 1939 begonnen. „Der ungeheuerliche Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929 bedeutete in Wirklichkeit für die kommende Weltwirtschaftskrise das Gleiche wie der Fenstersturz in Prag im Mai 1618 für den 30-jährigen Krieg. Aber die amtlichen Kreise Amerikas erwarteten schon 1930 wieder eine neue prosperity.“ So Ernst Trendelenburg. G. Ferrero hat den amerikanischen Optimismus als eine Säule der europäischen Zivilisation bezeichnet (neben der englischen Rechtlichkeit, der französischen Höflichkeit und dem deutschen Pflichtgefühl). Ruchloser Optimismus.

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Am Rand: „Vgl. 8. 3. 48, 11. 1. 48“. Notiz am Rand nicht lesbar.

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22. 2. 48 Es ist mit Händen zu greifen: der Übermensch, den man im 19. Jahrhundert meint, ist die Maschine, der motorisierte Apparat. Nur von ihr gilt praktisch-wirklich: supplet naturam. Angesichts dieses ungeheuren Faktums ist die Genialität des Thomas Hobbes erstaunlich. Heute, bei der Lektüre von Le Corps Politique (1653, Elzevir) cap. VIII, war ich wieder gerührt von seinem sauberen Individualismus und seinem konsequenten Sinn für Reziprozität. Wie nobel und anständig: C’est contre la loi de Nature que de vouloir presser les autres de prendre son avis ou conseil, si les autres le refusent … on peut avec raison tenir pour suspects semblables conseils. Dieses ganze Kapitel 4 ist ein Musterbeispiel der Identität von Naturrecht und Völkerrecht, für das Verhalten der Souveräne untereinander. Ein unerwünschter Rat ist hier eine Beleidigung und daher Unrecht. Es wäre eine Aufgabe für mich, den überaus taktvollen Individualismus des Hobbes mit dem (Spinozas und dem) Max Stirners zu vergleichen. Was hält den Thomas Hobbes so fest zusammen, während Stirner sich selbst in einem ironischen Ich-Renommieren zerredet, sodaß man sich ermüdet und gelangweilt abwendet? Dieser Stirner ist bestenfalls ulkig und knülchig, am Schluß peinliche Rhetorik („ich darf von mir sagen“!!), die Stimme ist ein pueriles Krähen. Ausgezeichnet die Bemerkung von Günther Krauss: daß in der Oraison funèbre de Louis de Bourbon der Boden des deutschen Reiches als frei okkupierbar erscheint. Wir werden heute geteilt, wie Polen geteilt wurde. Welch ein völkerrechtliches Thema, und da sollte ich nicht unter Depressionen leiden, wenn die Leute von mir Tips für Denkschriften im BuddeStil erwarten? Vielleicht ist es zweckmäßig, das Wort „Landnahme“ für freie Okkupationen vorzubehalten und für territoriale Veränderungen im gehegten Raum „Gebietswechsel“ zu sagen.1 23. 2. 48 Der geistesgeschichtliche Schlüssel liegt bei Rudolf Sohm (Below, Max Weber). Damit ist zugleich gesagt, daß die deutsche Universität immer noch evangelisch ist. Es scheint mir jetzt sehr wichtig, daß Rudolf Smend damals Korreferent für die Dissertation von Günther Krauss in Berlin 1934 war. Sowohl Smend wie Carl Brinkmann schrieben mir 1947/8 verzeihend-taktlos. Ich habe alle Freibriefe und Exemtscheine des Weltgeistes, und wer mir das nicht ohne weiteres zubilligt, kann nicht mein Freund sein. Mendelssohn-Aufführungen, Heine-Verehrung und Thomas Mann-Bewunderung: drei Kultformen der Subjugation; das wäre ein Thema für Theodor Haecker, den großen Polemiker, für den alten, d. h. jungen Theodor Haecker. 24. 2. 48 An Frau Jünger: Das Portrait von Niem.[öller], das Sie mir schickten, ist ein aufschlußreiches Dokument. Wie ich zufällig in einer Zeitung lese, ist ihm seine OdF-Karte entzogen worden, und zwar durch Herrn Dr. Epstein, den Vorsitzenden der OdF. Das ist eine nützliche Belehrung über die zugrundeliegenden Begriffe, insbesondere den des Opfers.

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Stenogr. Notiz am Rand nicht klar lesbar.

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Von Ihrem Berliner Freund N.[iekisch] fand ich einige Briefe, insbesondere einen vom 25. September 1933 über meinen „Begriff des Politischen“. Was er damals sagte, ist von dem, was er heute dazu sagt, so verschieden, daß es wie ein Bruch mit jeder Kontinuität des Denkens und des Wesens, ja, wie eine Geisteskrankheit wirkt. Denn Diskontinuität ist doch schließlich Geisteskrankheit, mag im übrigen die Wandlungsmöglichkeit noch so groß und das Fest der Metamorphosen noch so bachantisch-fantastisch sein. (Dasselbe Accidens, vgl. 13. 2. 48). 26. 2. 48 Die endgültige Absetzungserklärung an die Götter, der nicht siegreiche, aber jedem denkbaren Sieg überlegene Satz, den je ein Mensch als Mensch gesprochen hat, das stolzeste Wort aller menschlichen Sprachen, größer als jedes „Gott ist tot“, stammt von Lukan, dem Dichter des Bürgerkriegs und gilt den Besiegten des Bürgerkriegs: Causa victrix diis placuit sed victa Catoni. D. h., die Geschichte ist kein Gottesurteil mehr. Aufregend Vitorias 7 (sieben!) Rechtstitel der spanischen Eroberung Amerikas. Schon die Reihenfolge ist im Munde eines christlichen Mönches erstaunlich: jus commercii am Anfang; jus praedicandi (Propaganda), jus protegendi Christianos conversos, jus Christiani principis a Papa delegato et instituto, jus interventionis contra tyrannidem, jus liberae electionis, jus protectionis socios! Davon gehen die beiden ersten, Commerz und Propaganda, ineinander über und nehmen 9/10 der ganzen Argumentation in Anspruch! Am Schluß wird die spanische Regierung darüber beruhigt, daß sie keine finanziellen Verluste haben werde und daß der Imperialismus der Römer mit diesen christlichen Titeln ganz gut gefahren sei, daß ja eine facta conversio, das fait accompli einer begonnenen Christianisierung vorliegt und gerechte Kriege mühelos rechtfertigt. Der Schluß des Primus titulus (septima conclusio: Hispani quando et in quo casu possent saevire in barbaros tamquam in perfidos hostes) zeigt die ganze unheimliche Logik des gerechten Krieges, die Verwandlung des Feindes in einen verurteilten Verbrecher, vom iustus hostis zum perfidus hostis, der Sieger als iudex, die totale Entrechtung, und das alles 40 Jahre nach dem fait accompli der gewaltsamen Eroberung! Gut, daß dieser ganze Vitoria-Nimbus nicht von Karl Marx oder von Lenin analysiert worden ist. Das wäre sehr bitter geworden. Ich frage mich immer: was will er eigentlich? Er will offenbar nichts an dem politischen und ökonomischen Ergebnis der Conquista ändern. Was will er also? Er will die Argumentation in die Hand bekommen, um die geistige Führung zu behalten. 27. 2. 48 Um das Silete Theologi zu verstehen, muß man die große Disputation zwischen Las Casas und Sepúlveda in Valladolid (1550) kennen. Sie steht im Vorhof des zwischenstaatlichen Völkerrechts, der von Sepúlveda bis Bodinus reicht. Sehen wir ab von der Güte oder der Stichhaltigkeit der beiderseitigen Argumente und betrachten wir lieber die existenzielle Situation der argumentierenden Streitpartner. Dann sieht man: es war der erste große völkerrechtliche Disput zwischen einem Theologen und einem Nicht-Theologen. Der Theologe interessiert sich nicht für [die] außenpolitischen Folgen (und hat es deshalb leicht, radikale Gesinnungsethik zu treiben); er sieht nur die Beziehung Staat und Kirche, nicht Staat zu andern Staaten (und redet deshalb an seinem juristischen Gegner vorbei); der Nicht-Theologe sieht die spezifisch staatlich-politische Seite und die direkte Machtausübung. Aufregender Kampf um direkte oder indirekte Macht.

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(Heute möchte der Typ J.[ames] B.[rown] Sc.[ott] und Jackson die potestas indirecta beerben. Welch ein Erblasser, welch ein Erbe und welch ein Nachlaßgericht! Eher werden sie noch von der Kirche beerbt.) 28. 2. 48 Aber Sepúlveda ist noch nicht Jurist; er ist noch ein Humanist erasmischen Stils, wenn auch nicht erasmischer Pazifist. So argumentiert er gegen den Theologen literarisch-weltanschaulich-philosophisch-allgemein. Gegenüber dem Argument, daß die Indianer Menschen sind, macht er geltend, daß sie keine sind. Echt humanistisch. D. h. er macht sie zu Verbrechern und Unmenschen, statt als Jurist zu fragen, ob sie Feinde sind, und zwar Feinde auf gleicher Ebene, justi hostes, oder was sie sonst sein könnten, und wer darüber entscheidet. Er argumentiert ebenso unhistorisch wie Las Casas. Der Zusammenhang des Konkret-Historischen mit dem Juristischen wird erst Bodinus klar und kulminiert dort im Begriff der Souveränität. Bei Sepúlveda war das Silete Theologi noch nicht fällig. Er hatte wirklich noch nicht das Recht dazu. Öffentliches Recht kann nur historisches Recht sein. Unglück, daß Savigny Privatrechtler war; weiteres Unglück: daß der Öffentlich-Rechtliche Denker, Hegel, Philosoph war. So mußte in den Doppel-Antithesen von privatem und öffentlichem Recht und von Rechtswissenschaft und Philosophie alles schnell zerredet werden. Gegenüber Hegel war Savigny der Konkrete, d. h. Positive, d. h. Historische; aber schon ins rein Historische –––– abgedrängt. Gegenüber Savigny war Hegel der Öffentlich-Rechtliche, aber in die Philosophie abgedrängt, sodaß die weitere Führung in die Hände der Literaten geriet. Für mich als Juristen des j.[us] p.[ublicum] E.[uropaeum] sind Bodin und Hobbes ein besseres Gefährt und bessere Gefährten als die Polarität Savigny-Hegel. 1. 3. 48 Im parteipolitischen Deutschland wird (seit einigen Jahrzehnten) das Fest der Metamorphosen zu einem Fest der falschen Bärte. Die meisten halten es für eine Metamorphose, wenn sie einen falschen Bart ablegen. 2. 3. 48 Mein Stil beruht auf der inneren Ausgewachsenheit der einzelnen Sätze, Abschnitte usw., die man, ähnlich wie die Worte eines lateinischen Satzes, in weitem Umfang herausnehmen und umstellen kann. Übrigens ist das das Gegenteil von „Mosaik“; es ist nämlich BegriffsRealismus.1 Ich beobachte die Vorgänge in Prag wie ein Seismologe ein Erdbeben wahrnimmt. Das Ganze spielt sich so ab, daß der Modell-Charakter der deutschen Entwicklung 1929/33 offensichtlich wird. Mein Buch „Legalität und Legitimität“ ist das einzige wissenschaftlich adäquate Zeugnis dieses typischen Verlaufs. Jetzt gerät also Benesch in die Rolle Háchas und erlebt, wie einem dann zumute ist. Es sind noch viele analoge Rollenbesetzungs-Austausche fällig. Wie erklärt es sich, daß nicht eine soziologische oder massenpsychologische, auch keine ökonomische, sondern eine juristisch-verfassungsrechtliche Untersuchung wie

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Am Rand stenogr. Notiz: „vgl. 21. 2. 48, “.

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diese Schrift über Legalität und Legitimität den Modell-Charakter am realsten getroffen hat? Es erklärt sich daraus, daß ein richtig angewandter Begriffs-Realismus, wie er zur Wissenschaft des öffentlichen Rechts gehört, jeder anderen Art wissenschaftlicher Kontemplation überlegen ist. Maurice Hauriou ist für sein Zeitalter wichtiger als alle andern. Wer will mir meinen Stolz auf meinen Begriffs-Realismus verargen? Aber welche Tragik in der Situation der Tschechen, die sich mit solcher Bewußtheit unter der Führung von Masaryk und Benesch für den Westen entschieden hatten und nun über die von wechselnden Regimen unabhängige Aktualität des Großraumproblems belehrt werden! Wenn schon den kleinen Tschechen eine voreilige Option so schlecht bekommt, was würde dann uns Deutschen geschehen, wenn wir uns vorschnell zwischen Osten und Westen entscheiden wollten und einen falschen Dezisionismus trieben? 1 Widerstandsbewegungen gegen den Feind von gestern! Auf dieser Basis kann man neue Privilegien erschaffen und Unter-Privilegierung vornehmen genießen. Schöne Bewegungen gegen den Toten als Feind! Schöner Widerstand gegen einen nicht mehr kampffähigen Gegner, gegen einen Ohnmächtigen, auf dem man herumtreten kann! Gueydan: le maquis est une création posthume. „Ich möchte von Ihnen nur wissen, ob diese Schrift („Legalität und Legitimität“) als wissenschaftlich adäquates Bild einer Modell-Situation und Modell-Entwicklung an Diagnose und Prognose nicht mehr geleistet hat als alle die soziologischen, massenpsychologischen, philosophischen etc. Untersuchungen dieser interessanten Jahre, die alle Keime der folgenden Ereignisse in sich enthielten. Ich bin auf mein Fach, die Wissenschaft des j.[us] p.[ublicum] E.[uropaeum] sehr stolz und suche einen jungen Menschen, den ich zum gleichen Stolz erwecken möchte. Sie brauchen sich Ihres Faches nicht zu schämen.“2 5. 3. 48 Cuius regio eius justitia (auch im Sinne von Justiz); übrigens bedeutet der alte Satz: cuius regio eius religio doch nur das, was Hobbes sagt: nämlich cuius jurisdictio eius religio. Wundere dich also nicht über die Unterwürfigkeit der Justiz. Durch die Aufhebung der Unterscheidung von Feind und Verbrecher ist nicht nur das Recht, sondern auch die Justiz, als konkrete Ordnung, als Ordo, zerstört. E.[rich] K.[aufmann]: Sie machen immer noch Anti-Versailles und gewinnen diesen Kampf jetzt vielleicht so, wie der unbekannte Soldat des Ersten Weltkrieges den verlorenen Ersten Weltkrieg posthum gewonnen hat, während er den 2. verlor.3 Erstaunlich der Ausspruch des Grafen Yorck (an Dilthey), dem ich bei Heidegger (in Sein und Zeit) wieder begegnete: „Dem Naturwissenschaftler bleibt eben neben der Wissenschaft als eine Art von menschlichem Beruhigungsmittel nur der ästhetische Genuß“. Schlüssel zur wesentlich nur

1 Am Rand stenogr. Notiz: „An Veronica 16. 3. 48: Die Schrift ist ein Schlüssel zur Erkenntnis alles dessen, was seitdem 1929 (Börsensturz, der als der moderne Prager Fenstersturz von 1419 oder 1618 ein Zeitalter der Bürgerkriege einleitet) über uns hereingebrochen war und im Westen noch hereinbrechen wird.“ 2 Am Rand: „2. 3. 48 an Winckelmann, 7. 4. 48, A. Gehlen, vgl. 4. 4. 48, an Ehmke 1954, an Rumpf?, Stödter vgl. 5. 3. 48“. 3 Am Rand eine spätere stenogr. Notiz mit dem Datum „28. 5. 48“.

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ästhetischen Bildung des 19. Jahrhunderts und insbesondere zum Goethe-Kult in Deutschland. Ranke ist für Yorck ein großes Okular etc. Wie oft habe ich das alles gesehen und mich der Feindschaft ausgesetzt, die in Deutschland mit solchen Erkenntnissen verbunden ist. Zum Begriff der Utopie: Das, was Heidegger als das wesentlich räumliche In-Sein (in-der-Welt-sein) bezeichnet, ist in der Utopie nicht etwa verneint, sondern im Gegenteil zugunsten eines anderweitigen In-Seins noch besonders intensiv bejaht. Das ist die Lüge der Utopie, die heute an den Tag kommt. Man darf die Frage erheben, ob ein Mensch, der eine solche Utopie geschrieben hat, überhaupt ein Heiliger im christlichen Sinne sein kann. Diese Frage ist noch dringlicher als die (z. B. anläßlich der Heiligsprechung Roberto Bellarmins erhobene) Frage, ob jemand heilig gesprochen werden kann, der eine Autobiographie geschrieben hat. Kitschig-banal wird Heidegger, wenn er Worte wie „unheimlich“ ausquetscht (S. 188 von Sein und Zeit) und die „alltägliche Daseinsauslegung der Rede“ ihm als Beleg, ja sogar als ontologisch-existentiales Interpretationsmittel gut genug ist. Seine Kritik am „Man“ ist eine ganz gewöhnliche Zeit-Kritik; Polemik gegen das „laute Gerede der Verständigkeit des Man“. Es bleibt eben Polemik und bleibt auf der Ebene eines nicht einmal sehr tiefen Protestantismus und ethischer Charakterlichkeit. Sehr schön dagegen sind Sätze wie: „Schweigen ist eine wesenhafte Möglichkeit der Rede“ (zweimal S. 164, und S. 296); protestantischer Uraffekt auch in dem Abschnitt über „Zweideutigkeit“; aber alles das im Grunde nur ethisch-charakterlich, keineswegs ontisch oder auch nur ontologisch. Vielleicht an Rolf Stödter: Unter dem Eindruck der klar erkannten (und in L.[egalität] & L.[egitimität] S. 33 klar beschriebenen und dieser Tage in Prag sich von neuem präsentierenden) Modell-Situation: Im heraklitischen Fluß der Dinge soll die Jurisprudenz ihr Feld verlieren, meinte G. Jellinek, und Rolf Stödter schließt sich ihm ohne Vorbehalt an. Das ist doch nur positivistischer Illusionismus des status quo nunc. Es ist der Verzicht auf jeden Begriffs-Realismus, der doch das Wesen des juristischen Denkens ausmacht. In den Institutionen fangen sich die Modell-Wirklichkeiten, fangen sich auch die dialektischen Gegensätze zu dem, was Maurice Hauriou unter einem Gleichgewicht (équilibre) versteht, zu einem Schwebezustand. In der Bezugnahme auf den Tod Christi dagegen kommt es nicht zu Balancen, sondern zu konaturierten Angulationen; es entsteht z. B. eine Krone, d. h. eine dem Fluß der vordergründigen Zeit entzogene, andererseits aber auch nicht jenseitig-ewige Verknotung von Mann und Familie, mit Gefolgschaft und Boden. Das ist eine geschichtlich-kreaturierte Angulierung, keine Institution; Institution ist schon zu rational und der Übergang zur Konstitution. Ein Mensch, eine Familie (Rasse nannte man das seit wann?), ein Stück Erde, ein geschichtlicher Moment, ein Ereignis (z. B. die Schlacht auf dem Lechfelde), das wächst zu einer Verbindung zusammen, die als Krone erscheint und von einem Menschen getragen werden kann. La juridicidad es la lepra de los pueblos latinos (lese ich in den Aufsätzen von Pérez Bueno, 1921); er will Spanien modernisieren, ein spanisches Seitenstück zum französischen: la légalité tue. Immerhin, er sagt noch juridicidad, und nicht legalidad. 6. 3. 48 Raum ist Magie; Zeit ist Zauberei; Geschwindigkeit ist nichts als Hexerei; die Zeit fließt, der Raum steht oder liegt. Die Bewegung hebt den Raum auf, indem sie ihn zu leerem Gefäß ihres Vorgangs macht.

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7. 3. 48 O mors, ero mors tua; morsus tuus ero, inferne (aus den Laudes des Karsamstag); innocens Deus occisus. Das ist mein Christentum; meine Liebe zu den alten Kreuzigungsbildern; Holz des Kreuzes; die Karwoche. 8. 3. 48 Die geheimnisvolle Mythik Bacons: z. B. der Fisch Remora; die Erwähnung des Pan, der keine Ehe schließt und nur sein eigenes Echo heiratet; die idola specus usw. Das ist ein große[s] Thema, wichtig für Shakespeare und Hobbes, dem dieser mythische Sinn gänzlich zu fehlen scheint, der ihn aber wohl nur konsequent verdrängt hat, denn der Leviathan ist eben ein großes Mythisches Bild.1 Wie merkwürdig, daß Hobbes erst als reifer Mann in der Öffentlichkeit erscheint? Was ist in seiner Jugend in ihm vor sich gegangen? Bleiben wir aber bei Pan, der nur sein eigenes Echo heiraten kann. Das ist ein Symbol des zur Natur zurückkehrenden nachchristlichen Heidentums und des goethischen Humanismus, ja der ganz deutschen Bildung, soweit sie ästhetisch bestimmt ist. Alle Bemühungen dieser Ich-verpanzerten Genießer enden bei der Ehe mit ihrem eigenen Echo. Warum vergißt G. F. Jünger diesen Zug in seiner (übrigens ganz wundervollen) Schilderung des Pan? Warum vergißt er die Ehe des Pan mit seinem eigenen Echo? Ach, es ist ja alles nur Bildung und nicht panisches Entsetzen, was diese Pan-Entdecker treibt. Das Ich kann sich ebenfalls nur mit seinem eigenen Echo verheiraten und ist keiner andern Ehe fähig; auch keines andern Eigentums und keines eigenen Grabes.2 Beides, Ehe und Eigentum, sind ihm ja Phänomene des „Man“. Höre nun genau den Satz Martins des Heideggers: „Das Man-selbst sagt am lautesten und häufigsten Ich-Ich, weil es im Grunde nicht eigentlich es selbst ist und dem eigentlichen Seinkönnen ausweicht.“ (Sein und Zeit, –– S. 322). 9. 3. 48 Die herrlich verzweifelte Abstraktionskraft des Thomas Hobbes; seine verzweifelte vis superba formae des nominalistischen Begriffs; Begriffskraft vollkommenster Art; das sind die großen Juristen dieses Zeitalters; so, wie Kepler und Galilei seine großen Physiker sind. J. Vialatoux ist nur ein Apologet, der die andern in die Sackgasse einer Alternative hineintreibt und sich dann mit „Amour“ als den Sieger ausgibt. Dann doch schon lieber Hobbes. 10. 3. 48 W. Dilthey (Ges. Schr. II, S. 150): Bodins eigene Ansicht ist schon festzustellen. Meine auch. De nobis ipsis silemus, jurisconsulti. Utopie: das Marionettenparadies einer Mozartschen Komposition; Papagenos Glöckchenspiel und die tanzenden Mohren.3 Dilthey sagt (S. 323): „Von den im Leben wirksamen sozial-kirchlichen Träumen der Bauern, Spiritualisten, Wiedertäufer und Savonarolas (!) reicht ein Zusammenhang bis zu den Staatsromanen eines

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Am Rand: „vgl. 11. 1. 48, 20. 2. 48“. Am Rand: „Der Ort des Grabes ist die Geschichtlichkeit.“ Am Rand: „Utopie vgl. 22. 6. 51“.

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Thomas Morus und Campanellas.“ Das ist geistesgeschichtliche Geisterseherei.1 Ein Wort wie „Staatsromane“ kann man dem braven Robert Mohl durchgehen lassen, aber nicht Wilhelm Dilthey. Er mußte das Wesen2 des Romans und des Romanhaften genau bestimmen: Wanderung eines problematischen Individuums zu sich selbst (G. Lukács, Theorie d. Romans, S. 75), Ironie gegenüber der Realisierung des Idealen. Das Element der Ironie ist sehr stark in manchen Utopien,3 z. B. S. Butlers Erewhon; bei Campanella fehlt sie ganz; bei S. Butler ist sie stark biographisch und in dieser Hinsicht gleichfalls mehr Roman (Erewhon ein utopischer Roman, keine reine Utopie). Das spezifisch Utopische: die humorlose Planung. Ironie und Humor bei Morus, Butler, Huxley, sind englische Zutat, nicht Wesen der Ironie. Die Engländer sind als Individuen einer reinen, vorbehaltlosen Utopie nicht fähig, weil einer vorbehaltlosenen Hingabe an ein Gemeinwesen als solchem nicht fähig. Utopie ist ihnen ein Vehikel der Zeit-Kritik, der Ironie etc. Den französischen Utopisten ist es bitter ernst-polemisch. 11. 3. 48 Heute enthält der Selbstmord einen Verzicht auf das Grab; oder umgekehrt: eine Schlußfolgerung aus der Erkenntnis, daß uns das Grab genommen ist, daß wir [kein Grab] mehr haben. 12. 3. 48 Was ist ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“? Gibt es Verbrechen gegen die Liebe? Ein Mord ist [Verbrechen], Notzucht und etc.; was bleibt, wenn man alle diese abzieht, noch als reines Unmenschlichkeitsdelikt übrig? Verbrechen gegen Gott (die Menschheit oder das Grand ); Gottlosigkeit als Verbrechen; (schöner Hitlerismus). Struktur des möglichen Schutz- und Angriffobjekts eines solchen Verbrechens, das nicht durch eine tatbestandsmäßige Umschreibung, sondern ausschließlich durch allgemeine Scheußlichkeit gekennzeichnet ist. Verbrechen gegen das Anstandsgefühl, die Pietät sind im Vergleich dazu noch präzis bestimmt. Es hat mich angewidert, als ich gestern abend von Max Weber mit religionssoziologischen Materialhaufen und einigen inadäquat rohen Begriffen wie Appropriations-Chancen, Handwerksburschen-Intellektualismus etc. beworfen wurde. Wie traurig und häßlich, diese kochende Irrationalität, die sich in fortwährenden Krämpfen mit rationalen Feigenblättern zu umhüllen sucht. Die Wucht der ehrlichen Gelehrtenaskese ist ein ethisches Plus, aber doch noch keine wissenschaftliche Leistung. Das Wesen der Utopie ist humorlose Planung. Ortlos = humorlos. Thomas Morus: ein durch humanistische Bildung und englischen Humor gemilderter Architekt sozialrationalistischer Konstrukte. Humor ist das Nasse, das Maritime.

1 Stenogr. am Rand: „Vorsicht Staatsroman? Vielleicht ist der Staat ein Roman? Jeder Staat eine Utopie: die heutigen Verfassungen Staatsromane?“. 2 Am Rand: „Wesen: Sozialrationalistik; rationale Konstruktion eines vernünftigen Gemeinwesens, das ist Utopie.“ 3 Am Rand: „12. 3. 48 an Stewens“.

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Man muß alle Utopien daraufhin prüfen, wie sie die Gräber und Friedhöfe behandeln. Die meisten werden nicht davon sprechen. In einer echten Utopie sind nur Krematorien zulässig. Die Utopie höhlt den Himmel aus. 13. 3. 48 Die großen Ortungen oder Entortungen, die in Prag vor sich gehen. Das Ende des Sohnes Masaryks betrifft mich tief und ganz persönlich, dort an dem Punkt des Privaten, an dem sich der existenzielle Kontakt des großen Ganzen und des zur Disposition des Weltgeistes gestellten Einzelnen vollzieht. Mit dem Selbstmord Masaryks geht für Europa die Epoche der Optionsmöglichkeit zwischen Westen und Osten unter. Der Vater Masaryk war ein echter europäischer Katechon gewesen; der Katechon der westlichen Liberaldemokratie. Der alte Masaryk hat in erstaunlicher historischer Bewußtheit – mit unendlich mehr Bewußtsein als die damaligen deutschen Politiker, Philosophen oder Historiker aufzubringen vermochten – mit allergründlichster Überlegung für den Westen optiert. Er kannte Rußland und den Osten besser als die meisten damaligen Deutschen, Polen oder Serben; er liebte dieses Rußland, aber seine geistige Entscheidung ging zum Westen. Er hat sich mit einer Amerikanerin verheiratet, und diese Ehe war ein überpersönliches Symbol der Option für den Westen. Der Sohn aus dieser Ehe aber, der jetzt in Prag Selbstmord begangen hat, war der Bürge dieser Option für den Westen; mit Benesch, dem von Masaryk designierten Nachfolger. Jetzt also endet diese Epoche damit, daß der Sohn sich aus dem Fenster des Czernin-Palais herunterstürzt. Das ist mehr als die bisherigen Prager Fensterstürze der Neustädter1 Ratsherrn von 1419, der kaiserlichen Ratsherren vom Mai 1618; das ist der Selbstmord-Sturz der Tschechen, der den gestürzten Deutschen und den vielen Selbstmorden des April 1945 folgt. Welche Kriege werden durch diesen dritten Fenstersturz von Prag aus eingeleitet? Ich fühle, daß dieses einer der Augenblicke meines Lebens ist, in welchem das Persönlich-Private und das Umfassend-Allgemeine allen Geschehens zusammenfällt und der disponierende Schatten Gottes mein kleines Einzelleben streift.2 Ich muß das meiner Tochter sagen, um einen Zeugen zu haben, so wie die Eltern von Joseph de Maistre im Jahre 1772 ihrem spielenden Kinde sagten: Kind, es ist ein großes Unheil eingetreten, der Papst hat den Jesuitenorden aufgelöst. Wie fasse ich die Tiefe dieses Augenblicks? Wie lange bringe ich es zustande, mich in dieser Tiefe zu halten?3 14. 3. 48 Die Diskussion Grewe-Küster (Nürnberg als Rechtsfrage, Stuttgart 1947) habe ich schnell gelesen. Ich vermute, daß Grewe mein Gutachten vom Sommer 1945 kennt (über das inter-

Darunter geschrieben: „deutschen“. Am Rand: „Rohan “. 3 Stenogr. Notiz auf gegenüberliegender Seite aus Brief an die Tochter: „Mein liebes Kind! Ich schrieb Dir diesen Brief nur, um Dir etwas mitzuteilen, dessen besondere Folgen erst in späteren Jahren bewußt werden. Es braucht Dich nicht in Deinen Freuden und Leiden zu unterbrechen. Aber Du sollst es doch entgegennehmen. Der große und auch nicht unbedeutende Philosoph Joseph de Maistre hat es in seiner Jugend erfahren und niemals vergessen.“ 1 2

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nationalrechtliche Verbrechen des Angriffskrieges und den Satz: nullum crimen sine lege). So unsympathisch Küster manchmal wirkt, und so vorsichtig Grewe sich hält, es wird doch vieles sichtbar, nicht nur an eigentlich juristischen Fragen und Argumenten, sondern auch etwas noch unendlich Wichtigeres.1 Diese Diskussion ist nämlich ein Beleg dafür, daß wir in Deutschland im Kern und Mittelpunkt der modernen Problematik sitzen und alle diese fürchterliche Problematik in uns selbst und mit uns selbst ausmachen müssen, ohne Hilfe von Osten oder Westen. Wir müssen diesen ganzen ungeheuerlichen „Prozeß“ als eine intern deutsche und doch zugleich auch als eine Weltangelegenheit in uns selbst und mit uns selbst durchführen und geistig vollziehen. Beide Disputanten haben das Format und auch den Ansatz dazu. Das ist sehr bedeutend. Wir müssen den Feind in uns selbst erzeugen, um nicht im Leeren zu stehen; denn alle Argumente, die uns von außen kommen, sind für uns nicht bindend und nicht überzeugend, was gerade an Küsters Stil handgreiflich wird. Wir sind besiegt, zu Boden geworfen, subjugiert, gevierteilt und zertreten, aber wir sind in keiner wesentlichen Hinsicht vernichtet, auch nicht moralisch oder juristisch. Wir sind okkupiert, aber nicht erobert. Erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst. Wer im Westen oder Osten sollte uns also erobern können? Die militärischen, technisch-industriellen und ökonomischen Riesen, die uns am Boden halten und subjugieren, wollen uns nicht einmal kennen oder kennen lernen; sie werfen uns den Emigranten zum Fraße hin. Diese aber wollen uns ebenfalls nicht kennen lernen; sie wollen nur mit ihren Positionen der Zeit vor 20 Jahren recht behalten und ihre Entschädigungen einkassieren. 15. 3. 48 Im „Tu quoque“ enthüllt sich die trübe Art von Scharfsinn, die kennzeichnend für Typen wie diesen Küster ist, die fortwährende Vermischung dessen, was er fortwährend scharfsinnig zu unterscheiden vorgibt. Ein Unmensch hat natürlich nicht das Recht, einem andern Unmenschen vorzuwerfen, daß dieser ebenfalls ein Unmensch sei, wohl aber dürfen wir als Betrachter und Beurteiler feststellen, daß es nicht Recht wäre, wenn sich einer, der selber Unmenschlichkeiten begeht, zum Richter über einen anderen etabliert und ihn als Unmenschen zum Tode verurteilt. Indem ich (über die anerkannten Tatbestände von Mord, Raub und Vergewaltigung hinaus) von Unmenschlichkeiten spreche, begebe ich mich außerhalb der Sphäre des institutionellen Menschen-Rechts und des juristischen Positivismus; dann bewege ich mich im hobbesischen Naturzustande und das „Tu quoque“ eröffnet eben das justizförmige Stadium des bellum omnium contra omnes. Dann ist jeder nicht nur jedes andern Mörder, sondern auch Strafrichter; die Mörder der Einen sitzen über die Mörder der Andern zu Gericht und verbitten sich das „Tu quoque“. Der status naturae. 16. 3. 48 Zwei schöne, bestätigende Zitate kommen wie Boten herangeeilt: 1. Max Webers Diagnose und Prognose „Unter allen Umständen ist als Konsequenz der technischen und ökonomischen Entwicklung die zunehmende Wertung des jeweils gelten-

1

Am Rand: „an Grewe geschrieben 4. 4. 48“.

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den Rechts, als eines rationalen, daher jederzeit zweckrational umzuschaffenden, jeder inhaltlichen Heiligkeit entbehrenden, technischen Apparates sein (des Juristenstandes!) unvermeidliches Schicksal. Dieses Schicksal kann durch die aus allgemeinen Gründen vielfach zunehmende Fügsamkeit in das bestehende Recht zwar verschleiert, nicht aber wirklich von ihm abgewendet werden.“ (Wer, außer mir, hat vor 1933 davon gesprochen und versucht, etwas zu tun?) 2. Friedrich Engels (in der nachgelassenen Schrift „Gewalt und Ökonomie bei der Herstellung des deutschen Reiches“, geschrieben 1888): Bismarck hatte der deutschen Bourgeoisie „bewiesen, daß er besser wußte, was ihr frommte, als sie selbst“. Das ist mein geliebtes Bruno-Bauer-Zitat von 1849! Schrieb an Veronica ein P. S. über meine „Legalität und Legitimität“, vgl. 2. 3. 48. 17. 3. 48 Balzac: Die Kunst ein Opfer zu sein (von Günther Krauss zitiert). 18. 3. 48 Welle-Corpuscel, Repräsentation und Nominalismus erscheinen geistesgeschichtlich gleichzeitig und gehören anscheinend topisch-ondular zusammen. Die veritas in verbo (dicto) non in re. Präsenz und Begriffsrealismus; Nominalismus: nicht Präsenz, sondern im Bewußtsein Präsentmachen (Abwesendes oder besser: Nichtvorhandenes). Diktatur und Nominalismus: das dictamen; veritas in dictamine non in re (Sachzwang). Das Re in Repräsentare den (überkompensierende[n]) Verstärkungswillen, der das Gefühl der Nicht-Wirklichkeit begleitet. Es nicht etwa: Zurück, knüpft aber zunächst wohl an Restaurationstendenzen an. 19. 3. 48 Soziologie vom Standpunkt des Depossedierten: Die Antichambre bemächtigt sich des Salons; der Hauswart bemächtigt sich der Villa, und die bisherigen Insassen der Gefängnisse verwandeln sich in die neuen Machthaber; die Feinde siegen und erscheinen jetzt als Opfer mit Entschädigungsansprüchen und Märtyrerprämien. Umgekehrt die Soziologie vom Standpunkt des Arrivierten, aber dieser treibt meistens nicht Soziologie, die anscheinend doch „Oppositionswissenschaft“ ist; die in ihr vorausgesetzte intellektuelle Neugierde ist sehr verdächtig. Der Sieger verspürt keine intellektuelle Neugierde. 21. 3. 48 Der zweite Weltkrieg war von Deutschland aus gesehen nicht nur ein Zweifronten-Krieg, sondern auch ein zwei Kriegsarten kombinierender Krieg. H.[itler] hat zwei verschiedene Kriege zu führen versucht (tölpelhaft, das für durchführbar zu halten): einen nicht-diskriminierenden Krieg gegen den Westen und einen diskriminierenden gegen Rußland und die slawischen Völker.1 Infolgedessen ist die eigentliche Antwort vom Osten, von Rußland her gekommen. Herr des Nürnberger Prozesses war die Sowjet-Union, die

1

Am Rand: „während man den hilflosen Versuch machte, gegenüber dem Westen zu kapitulieren“.

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sich der amerikanischen moralischen Empörung bediente. Die Rolle, die Rußland im Nürnberger Prozeß spielte (ich spreche nur von dem als grundlegend gedachten großen Hauptprozeß vor dem I. A. Militärtribunal) wurde sinnfällig in der Art der Behandlung des Falles Katyn, in dem Schuß Rudenkos auf Hermann Göring und in manchen anderen Momenten des Prozesses. Die wirkliche Frage ist nur, ob Deutschland in den russischen oder den amerikanischen Großraum (Interventionsbereich) gehört. Auch die tschechische Frage betrifft das völkerrechtliche Großraumproblem, d. h. den Interventionsbereich. Im übrigen: ein leerer Magen hat keine Ohren. 22. 3. 48 Der große Cisneros gründete die Universität Alcalá (eröffnet 1510) ohne juristische Fakultät. Nam a civilibus et forensibus studiis adeo natura sua abhorrebat, ut multi serio affirmantem audiverint, quicquid illius disciplinae pectore concepisset, se si fieri posset libenter evomiturum. (Alvar Gómez de Castro, de rebus gestis a Francisco Ximenio Cisnerio, Alcalá 1569); über seinen mépris de la chicane Marcel Bataillon, Érasme et l’Espagne, 1937, S. 14). Die Universität hatte einen Lehrstuhl für nominalistische Philosophie; Duns Scotus war gleichberechtigt neben Thomas der klassische Theologe (im Gegensatz zu Salamanca). Die drei zum Reichtum führenden Laufbahnen des damaligen Spanien: iglesia, mar, casa real. 25. 3. 48 Ich bin jetzt mehr als Thomas Masaryk. 27. 3. 48 Fand eine Notiz vom 14. 12. 1913 (Düsseldorf): Sohm ist Marcionit. Ferner (aus Harnack, Dogmengeschichte, 4. Aufl. I, S. 651 Anm.): Basilius (Ep. 210 ad prim. Neocaes.) erklärt eine bedenkliche Stelle des Gregor. Thaumat. damit, daß er sagt: die Äußerung sei nicht dogmatikøv, sondern a¬gwnistikøv getan; und Hieronymus (ad Pammach ep. 48c, 13) verkündigt das Recht, gumnastikøv zu schreiben. 30. 3. 48 Was ist Hermann Kasacks „Stadt hinter dem Strom“? Ein Jenseits? Nein. Eine durch den Schock der bürgerlichen Daseins-Erschütterung, durch Sekuritäts-Verlust und die Entziehung der industriell-ökonomischen Basis bewirkte Entleerung des bisherigen Diesseits. Das ist noch lange keine Gewinnung des Jenseits; es ist nur der Schatten des bisherigen Diesseits. Auch Wilhelm Ahlmann erscheint bei Kasack nur als Puppe, nicht als seelisch-substanzhafte Gestalt, nicht einmal als Schatten seiner Seele. Tief enttäuscht von dem 2. Teil Kasack, S. 290 ff.; hier wird er ein Karikaturist (mit Lizenznummer).1 An Pascual Jordan: Ich beobachte: das schwache Individuum wird ganz stark, sobald es politische Macht erhält; es wird investiert. Der unverhältnismäßige MachtZuwachs, der mit jeder politischen Machtposition eintritt; die ungeheuerliche Steigerung

1

Am Rand: „vgl. 5. 4. 48“.

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des Wirkungs-Potentials, die mit der Entscheidung einer „objektiven Macht“ verbunden ist, was ist das? Es ist gänzlich „irrational“; phantastischer als alle sonst schon so phantastischen Unverhältnismäßigkeiten der Beziehungen mikrophysikalischer Steuerungen zu makrophysikalischen Grob- und Großwirkungen. Das ist „von Gott“, sagen die frommen Menschen; es sind göttliche Kräfte und Mächte, Throne und Herrschaften. Aber bald sieht man, daß die „Objektivität“ auch von andern als göttlichen Kräften erfüllt sein kann. Das ungeh[eure] Mißverhältnis zwischen der Herrschaft des Individuums und der objektiven Macht bleibt immer gleich. Wo sitzen die Manager, die Elite, die engste zentrale Machtgruppe etc. Gibt es dafür ein Bild aus der Physik oder muß man vermuten, daß all Ihre ganze heutige Physik nur ein exakt-experimentell aufmontierter Reflex der soziologischen Wirklichkeit ist, der uns heute in Begriffen wie Elite, engste zentrale Machtgruppe etc. zum existenziellen Bewußtsein kommt? 1. 4. 48 Die tiefste, tödlichste und geläufigste aller Sünden: Fortsetzung des Kampfes gegen den besiegten Feind; Kampf gegen den nicht mehr vorhandenen Feind von gestern, um sich dem wahren und präsenten Feind von heute nicht stellen zu müssen; diese häßlichste Form der Fortsetzung des Krieges, zugleich der gemeinsten Drückebergerei und des verlogensten Pazifismus. Auf den Verbrechen des Besiegten herumtreten, mit allen Lizenzen des jeweiligen Siegers. Der Sieger verschafft sich die Straflosigkeit für seine Verbrechen, indem er sich als Richter über die Verbrechen der Besiegten aufführt. 2. 4. 48 Schließlich machen sie dann auch Christus zum O.[pfer] d.[es] F.[aschismus] und tolerieren seinen Kult unter diesem Gesichtspunkt. Das ist die Freund-Feind-Unterscheidung. Wie rührend statisch-mechanisch ist das: dóv moi poû stå. Es handelt sich nicht mehr darum, die Welt aus den Angeln zu heben, sondern darum, sie zu „verändern“, d. h. zu infizieren. Das poû stå ist das Nichts, die Utopie. Las einige Notizen vom Frühjahr 1933. Konsequenz: Stare decisis. Eine Dunstwolke von Erinnerungen, eine Elektronenwelt numinoser Bedeutungen und Gefühle, eine Plejade von Signifikationen, eine Milchstraße symbolisch funkelnder Begriffe. An Heinrich Weinstock (mit einem Exemplar meines Vortrags vom Februar 1941): Die Einl. zu Thukyd.[ides] ist tatsächlich eine Historiographeia in nuce (Erinnerung an meine Tocqueville-Notiz, und an die Einleitung des Hobbes zur Thukyd.[ides]-Übersetzung); Hobbes mit seiner alles bezwingenden Sachlichkeit gehört zu dem ruhmvollen Chor. 3. 4. 48 (An Wilhelm Grewe: Zur Diskussion über Nürnberg als Rechtsfrage und Ihrem Begleitschreiben:) Ich habe Ihre Ausführungen mit aller Sorgfalt gelesen und die Überzeugung gewonnen, daß hier, weit über die sachverständig-treffende Argumentation hinaus, etwas noch unendlich Wichtigeres erkennbar wird: daß wir uns nämlich in Deutschland noch im Mittelpunkt des Denkens befinden und die fürchterlichste Problematik ohne jede Hilfe vom Westen oder vom Osten, von Rechts oder Links, in uns selber auszutragen haben. Wir vollziehen in uns selbst einen Prozeß, subjugiert, gevierteilt, zertreten und doch „in Nichts vernichtet“. Die geistige Leistung und der Stil Ihrer Argumentation zeigt mir,

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daß weder der Westen noch der Osten sich heute rühmen kann, sich und uns [und] die heutige Welt besser zu kennen, als wir sie und uns selbst kennen. In dieser Richtung liegt der Gesamteindruck, den ich bei der Lektüre Ihrer Darlegungen empfange. Ihre Darlegungen stehen freilich in dem Rahmen einer Diskussion und enthalten alle die Rücksichten, Einengungen, Vorbehalte, taktischen Vorteile und Nachteile und was sonst alles mit solchen Encadrierungen gegeben ist. Sie haben sich einen ziemlichen Spielraum Ihrer eigenen Gedankengänge zu verschaffen gewußt. Aber schließlich erscheint das Ganze doch als Diskussion, und es steht mir nicht zu (und auch nicht an), mich daran zu beteiligen. Gelegentliche Kuriositäten wie die unwillkürliche Erinnerung daran, daß die von Ihrem Diskussionspartner auf S. 73 herangezogene Stelle 2. Samuel, 12,5 bei Hobbes als Beispiel tyrannischen Tötungswillens und Verstoß gegen den Satz nulla poena sine lege herangezogen ist, nenne ich nicht Beteiligung an der Diskussion, von der ich also fern bleibe. Ich will deshalb nur zu dem, was Sie sagen, und nur zweierlei andeuten: Einmal finde ich Ihre Frage nach dem „Gerichtsherrn“ (S. 10) wesentlich, so daß man auf ihr auch in dieser Einleitung bestehen [kann].1 Es wäre aufschlußreich, die Frage nach dem oder den eigentlichen Herren dieses Verfahrens auch geschichtlich, soziologisch und psychologisch zu stellen, eine Frage, die sich ja schon in der Behandlung des Katyn-Falles aller Welt sinnfällig genug aufgedrängt hat, und die vielleicht auch das seltsame Faktum berührt, daß der angebliche Aggressor sich gerne einbildet, nach Westen noch einen Krieg alten Stils führen zu können, während er sich nach Osten einen diskriminierenden Krieg leisten zu können glaubte. Auch 2 Fronten sind 2 Arten Krieg. Und zweitens halte ich es für ein großes, entscheidendes methodisches Verdienst, daß Sie die Frage der Kriminalisierung des Angriffskrieges als solchen von der Frage der andern Verbrechen (Unmenschlichkeiten und Kriegsverbrechen) trennen und diese Trennung mit aller Bewußtheit klar und eindrucksvoll aussprechen und zum Grundsatz erheben (S. 99). Ohne das gibt es keine wissenschaftliche Erörterung des Prozesses als Ganzen und im Einzelnen, auch keine juristische Erfassung eines derartig neuen und schwierigen Delikts wie Angriffskrieg, mit allen den neuartigen Problemen der Präzisierung des Tatbestandes, des Täterkreises und des Verhältnisses der bisher rein gedachten Angriffsdefinitionen zum sachlichen Kriegsschuldproblem und der „justa causa belli“, von dem ganzen Problem des zu springen , das viel zu ist, als daß man es auf die Straße werfen dürfte. Das Problem der Neu-Kriminalisierungen und Poenalisierungen muß doch jeden denkenden Juristen plagen, der weiß, was es in der Bürgerkriegsrechtsgeschichte der Menschheit in dieser Hinsicht schon alles gegeben hat, von der „Häresie“ und der „Tyrannei“ (mit schönen Konnexdelikten wie Schmeichelei und Favoritismus) angefangen, neben den modernen Auflösungen des Strafrechts in Vernichtung der Schädlinge und Störenfriede, bis zu den biologistischen Kriminalisierungen der Krankheit in Samuel Butlers Erewhon, über die wir nach unseren Erfahrungen kaum noch zu lachen wagen. Die siegreichen Nordstaaten haben 1864 schauerliche Greueltaten begangen. Aber sie haben es doch anscheinend versäumt, die Sklavenhalter mit rückwirkender Kraft zu kriminellen Verbrechern zu stempeln. In künftigen Bürgerkriegen wird man das wahrscheinlich nicht versäumen.

1

Am Rand: „Dominus litis!!“

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Daß Sie dieses große Problem, die Kriminalisierung des Angriffskrieges als solchen, in aller Klarheit von den andern Arten von Verbrechen trennen, ist ein wesentliches Verdienst. Wie die Dinge liegen, gehört dazu ebensoviel Takt wie intellektueller und moralischer Mut. Ich sage Ihnen das ohne Bedenken in aller Offenheit, vor allem auch in der Erinnerung an unsern gemeinsamen Freund Wilhelm Ahlmann, obwohl ich mich, wie gesagt, an Ihrer Diskussion nicht beteiligen kann. So bestätige ich dankend den Empfang Ihrer Sendung und bin mit guten Wünschen für Sie und Ihre Arbeit Ihr [C. S.]1 [4. 4. 48] Am 4. 4. 48 wurde ich aus hilflosesten Despressionen tröstlich abgelenkt durch die Entdeckung einer erstaunlichen Formel, die Goethes (immer von neuem erstaunlicher) Sprachgenius (in einem Brief an Joh. H. Meyer, vom 6. 6. 1797) nur unauffällig, beiläufig und mühelos hinwarf: daß im „Wallenstein“ schließlich doch alles auf die Masse der Armee (sic!) ankommt, die nicht mehr bei Wallenstein bleibt „sobald er die Formel des Dienstes verändert“. Ich traute meinen Augen und Ohren nicht; etwas so Treffendes, weil nämlich gleichzeitig das Massengewicht wie das scheinbar nur formalistische Nichts Treffende, ist mir zu dem Thema Legitimität und Legalität noch nicht begegnet. Also: Die Formel des Dienstes verändert! (Übrigens herrlich über Exposition: die nicht nur das Faktum mitteilen, sondern auf die ganze Breite der Existenz und auf die Stimmung angelegt sein muß!) Es gibt eine Orchidee, die sich häßlich macht wie eine Schmeißfliege, um sich selbst und den Honig, den sie produziert, vor den wirklichen Fliegen zu retten. Hat es dir etwas genützt? Eigentlich ja. Was soll das Gerede? Keiner wird auf die Kriminalisierung des Feindes verzichten, wenn sie sich als wirksame Waffe darstellt. Das ist sie aber in den Händen des Westens nicht und

1 Zu diesem Brief an Grewe auf der gegenüberliegenden Seite eine Reihe von überwiegend stenographischen Notizen: „Hätte ich ihm, Gr.[ewe], gegenüber das Silete jcti [jurisconsulti] beachten sollen?; Und hat das Tabu die Grundlage des Prozesses erfolgreich durchbrochen?; A Nation can only be condemned out of her own mouth; Die Frage des Gerichtsherren drängt dazu 1) der Dualismus dieser Schl , 2) , denn es handelt sich doch um politische Verbrechen, und was in den Augen eines um seine Existenz kämpfenden ein politisches Verbrechen ist, muß nicht auch in den Augen eines kapitalistischen Staates ein solches sein; Nachtrag (22. 4. 48)[:] ad 1) 2 Arten Surrender; d. h. auch 2 Arten von herren und 2 Arten von ––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Verbrechen!!; –––––––––––– Anmerkung der R[egierun]g Dönitz, dadurch daß die u.[nconditional] surr.[ender] angenommen ––––––––––––––––––––––––––––––––– wurde, ; Wichtiger Punkt der rührende Versuch eines ‚‘ in Schleswig an die ! Und dann das surrender entgegengenommen, als gar nichts mehr zu übergeben war; ad 2) die beständig auf einer Umschau der beiden . Sie ist juristisch , sondern auch niederträchtig, so brutal, daß es sofort abstellt, wenn ich dies oder auch an seinem Zittern bemerke und gegenüber der Niedertracht einer Art von Terrorismus bleibt nur der Rückzug auf die Gegen.“

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kann sie gar nicht sein. Wenn dieser seine Atombomben so dilettantisch handhabt wie diese Waffe der Kriminalisierung des Aggressors, würden sie ihm eher aufs eigene Dach fallen, als daß sie den wirklichen Feind auch nur berührten. 5. 4. 481 An G. Nebel: Den Kasack (Stadt hinter dem Strom) kann ich nur bis zum II. Teil (Cap. XIII, S. 290) lesen; dann wird er plötzlich Karikatur und Anti-Literatur; schade. Der erste Teil führt Kubins Andere Seite und Kafkas Prozeß mit bestem Erfolg in die Gegenwart der Jahre 1943/44. Warum hören alle diese begabten Schriftsteller nicht auf Ernst Jüngers Warnung vor jedem polemischen Wort? Wenn die Polemik sich nicht mehr ganz direkt gegen einen total präsenten, einem direkt an der Gurgel sitzenden starken Feind richtet, wie bei Léon Bloy oder dem jungen Theodor Haecker, sondern gegen einen toten Feind, dann wird sie sofort schielend und von dem Leichengift des toten Feindes zerstört. Ich will später, wenn ich meinen Enttäuschungsschock überwunden habe, weiterlesen und hoffe, dann auch die Erscheinung Wilhelm Ahlmanns richtig beurteilen zu können. Léon Bloy’s Wirkung auf Ernst Jünger ist ein ganz außerordentliches Problem. Denn Jünger konnte sich dem „Paria“ Bloy mit seinem wilden Protestanten-, Preußen- und Deutschenhaß nur unter Überwindung heftigsten Abscheus nähern. Aber auch für den Typus des „Tagebuchs“ sind die Tagebücher von Léon Bloy prototypisch,2 ich könnte sogar sagen konstituierend, weil sie die romantisch-impressionistische Seelenwühlerei mit einem Schlag wie nichts hinter sich lassen, weil sie die Verwechslung von „Strahlungen“ und „Spiegelungen“ außer Zweifel stellen und dem sonst ins Leere zerflatternden Aphorismus eine Situation geben. Sein Geheimnis war die symbolische Exegese. Unerwartet und über alle denkbaren Berechnungen großartig ist es für mich, daß Ernst Jünger in dieser Hinsicht als der Erbe Léon Bloy’s erscheinen kann. Theodor Haecker hatte seine große Anwartschaft auf dieses große Erbe von Léon Bloy längst verloren. Die profiteurs de Léon Bloy aber wie Claudel oder gar Maritain haben das Erbe auf die Straße geworfen, haben [da]für den armen Sünderlohn ihres befriedigten Hasses gegen ein zertretenes Deutschland empfangen, ein Haß,3 dessen Niedrigkeit sie beide reif macht für die malédiction des heutigen pèlerin de l’Absolu. 6. 4. 48 An H. Barion (Hinweis auf W. Grewe, Diskussion über Nürnberg als Rechtsfrage): Ich bitte ihn, das zu lesen „damit Sie verstehen, warum mir daran liegt, daß mein Exposé über die Kriminalisierung des Angriffkriegs im Sommer 1945, vor der Erhebung der Anklage, fertig vorlag,4 als ein Dokument der Erwägungen, die damals bereits jeder sachverständige Jurist anstellen konnte und anstellen mußte, und die ein diskriminierter deutscher Jurist damals auch tatsächlich angestellt und niemandem, auch dem CIC [Civil Internment Camp] nicht, verschwiegen hat[“]. Das scheint mir wichtig zu sein. Des deutschen Namens wegen

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Am Rand: „vgl. 30. 4. 48“. Am Rand: „Tagebuch vgl. 11. 2. 48, 18. 4. 48“. Überschrieben: „Lohn“. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar.

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und für jeden wissenschaftlich denkenden Juristen der Welt, auch wegen der Ehre des Juristentums überhaupt. Diffamiert, diskriminiert, demontiert, contaminiert, underprivileged nach allen Seiten.1 7. 4. 48 Ich sage im Traum dem Engländer: Du bist frei? Du bist reif! Reifer noch als der Franzose! Reif für den Gnadenstoß wie der Zar Nicolaus von Rußland.2 Dein letzter Streich war die Annahme des unconditional surrender in Schleswig-Holstein, zu der du nicht befugt warst, weil nicht du, sondern die Russen und die Amerikaner das surrender bewirkt haben, nicht du, sondern die Russen und die Amerikaner Herren des Streites und des Streitobjekts waren. Trübheit dieser ganzen Auseinandersetzung, wenn ich an H. St. Chamberlain denke. Wunderbar das Shakespeare-Zitat, das Günther Krauss sich in seinem Tagebuch Captivitas notiert: „We know enough if we know we are the king’s subjects; if his cause be wrong, our obedience to the king wipes the crime of it out of us.“3 „Hic jacet“ is the finishing part of his history (Daniel Defoe). Gewiß, Hic jacet. Aber wo liegt denn Hitler? Wo liegen diejenigen, deren Asche die ahnungslose Rachsucht in alle Welt zerstreut hat, in unchristlichster Unkenntnis des Liedes: Die Asche will nicht lassen ab, sie stäubt in allen Landen? 4 Sollten sie, infolge der Dummheit ihrer Feinde, dem Grabe entgangen sein? Sehr schön die Frage von Günther Krauss: Im Namen des Christentums besiegt, fragen wir uns, wo dieses Christentum denn zu finden ist? 8. 4. 48 An Arnold Gehlen: Ich respektiere das gegebene Faktum der allgemeinen Angst vor einer „contagion de l’infortune“. Zu diesem Respekt gehören sogar eine Art nachträglichen Standes-Vergnügens und eine nützliche Folgerung aus meiner Períyhma-Existenz. (StandesVergnügen, denn Standes-Ehre steht mir nicht mehr zu). Auf die Frage nach den Geburtsdaten des Begriffes der Erworbenen Rechte: Im Ganzen beginnt das Ende der erworbenen Rechte selbstverständlich mit der Verwandlung des Rechts in positivistische Legalität. Erworben heißt dann légalement acquis, und ein Federstrich des Gesetzgebers verwandelt nicht nur ganze Bibliotheken in Makulatur, sondern auch ganze Paradiese wohlerworbener Rechte in Schutthaufen. Die modernen Juristen sprechen schon längst von situation établie oder dergleichen. Der Kern des Problems liegt in dem Verhältnis von Legalität und Legitimität. Hinweis auf meine Schrift von 19325 und die Frage vom 2. 3. 48 oben. 9. 4. 48 Arnold Toynbee (Int. Affairs, Nov. 47) versucht das Kunststück einer 3. Position, 3. Kraft, eines 3. Weges (zwischen der Alternative des kapitalistischen Amerika und des kommunistischen Rußland) ohne faschistisch zu werden; Westeuropa zu einem Faktor von eigener,

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Am Rand: „Darauf ist er in seiner Antwort überhaupt nicht eingegangen.“ Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Am Rand: „aus: Heinrich V. Act IV Sc. 1“. Am Rand: „vgl. 1. 5. 48 (Rede Cäsars)“. Im Orig.: „1939“.

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dritter Bedeutung zu machen, ohne Deutschland wieder zu Kräften kommen zu lassen.1 Europa darf nicht versuchen, wieder stark zu werden, damit Deutschland nicht wieder stark wird. Lieber zugrunde gehen, als Deutschland wieder hochkommen lassen. Das alles ist erasmistisch-friedlich-unausgesprochen in aller Deutlichkeit gesagt. Welch hochgebildetverbogener Geist! Im Dienste eines verbogenen Gemüts! Was er Westeuropa nennt (und wovon Deutschland ausgeschlossen ist), das ist ein Bürgertum in der sozialen Lage des deutschen Bürgertums von 1919; Zwischenstadium zwischen kapitalistischer Prosperität und der Verelendung der underprivileged der asiatischen Völker. Deutschland gehört völlig zu den underprivileged. Es bleibt ihm also, nach Toynbee, nur die Option für den russischen Kommunismus. Das ist der Spengler der Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges; analog wie Churchill zum Clémenceau des 2. Weltkriegs geworden ist; kein katécwn.2

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10. 4. 48 Also Claudel entdeckt, daß Deutschland ein Schutz und Schild Westeuropas gegen den östlichen Kommunismus ist (le Présent, 19. 3. 48); das hatten andere schon entdeckt, als es noch nicht so spät war. Wenn schon Luther in Wittenberg als das „sanftlebende Fleisch von Wittenberg“ tituliert werden konnte, wie muß man dann erst Herrn von Goethe in Weimar anreden? Hobbes used to say, that it was lawfull to make use of ill instruments to do ourselves good. If I were cast, says he, into a deep Pit, and the Devil should put down his cloven foot, I would take hold of it to be drawn out by it. (Biographische Einleitung zu der Ausgabe 1750).3 Immer noch Toynbee:4 So sind sie alle in derselben Schuld. Sie wollen das Wachstum des Nachbarn unterbinden: Erst Frankreich gegenüber dem biologisch stärkeren Deutschland, dann Deutschland gegenüber dem biologisch stärkeren Rußland, jetzt auch England gegenüber Deutschland und Rußland zugleich. Das ergibt doch schon fast mit mathematischer und physikalischer und jedenfalls mit moralischer und geschichtsphilosophischer Sicherheit ihrer aller Liquidierung durch Rußland. Die aktuellste Lektüre ist die einer Geschichte der Diadochenzeit, des beginnenden Hellenismus, z. B. die Biographie Demetrios Poliorketes bei Plutarch: wüste Immoralitäten und wilde Peripetien; wie das Leben Adolfs („mein Leben ist ein Roman“);5 interessanter als die Geschichte der Cäsaren, die auf einem bereits durchorganisierten Machtapparat sitzen; der phantastische Histrionismus, der Pluralismus solcher diadochischen Gebilde, die einer Einheit nicht mehr fähig sind, denn Einheit der Einheit wegen, das ist etwas für diejenigen, von den[en] Hegel sagt: der ungebildete Mensch denkt abstrakt, d. h. heute: global.

1 Am Rand: „Intermediate position, adaptation, practical question of circumstances etc. Erasmisen“. 2 Am Rand: „Fortsetzung 10. 4. 48“. 3 Am Rand: „8. 6. 48 an Günther Krauss: Das gefällt mir als Antwort an einen Hausgeistlichen sehr gut; ich nehme an, daß er das bei einem guten Essen und Trinken gesagt hat.“ 4 Am Rand: „15. 6. 48 an Walz, (an Jünger?), Ipsen?, Fortsetzung vom 9. 4. 48, auch an N. Bobbio“. 5 Am Rand: „vgl. 1. 5. 48 social sorcery“.

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11. 4. 48 Ernst Jünger meint (anläßlich der Aggregierung Arnold Toynbees zum Großen amerikanischen Verteidigungsrat), daß die Geschichtsphilosophen heute wichtiger sind als die AtomPhysiker. Natürlich. Ich, der Diagnostiker des diskriminierenden Kriegsbegriffs und der Verwandlung des Staatenkrieges in den Bürgerkrieg, bin davon nicht überrascht. Spenglers Genialität wird einem durch den Vergleich mit Toynbee erst recht bewußt; aber Spengler spricht zuviel von Kretern, Hethitern und von Epochen, die er nicht selber erlebt, sondern nur nach Parallelen, Analogien und Homologien konstruiert hat.1 Sein welthistorischer Universalismus ist imperialistische Annexion der Vergangenheit, Ausgrabung als Triumph und Eroberung. Tocqueville ist bescheidener, reiner in der Kontemplation des eigenen Geschickes. Toynbee ist beides, englisch-überlegene Synthese, aber ohne echte Kraft und nur noch darauf bedacht, Deutschland nicht wieder hochkommen zu lassen. Diesen Historikertyp gibt es wohl erst seit Versailles 1919; Geschichtsphilosophen des Unterganges; nicht Sieger und nicht Besiegte; hier schreibt eine dritte Art von Beteiligten die Geschichte, und seine Konstruktion des Dritten zwischen Westen und Osten, eines unkräftigen, hinhaltenden Dritten, entspricht dieser Position des Dritten, der in der Mitte dazwischen sitzt, des schwächeren Dritten, des besiegten Siegers; sehr traurig und für uns (und mich persönlich) sehr gefährlich. Kein echter Erasmus, kein reiner Alexandriner, sondern eben aggregiert, nicht auf dem Kommandoschiff, sondern an dessen Remorque. Wo bleibt eigentlich Eugen Ott? Wäre es nicht Zeit, daß er erschiene? 2 (Zusatz 8. 9. 51: Nach der Lektüre des Spiegel über Erich [recte: Richard] Sorge: ogottogott). 12. 4. 48 Europa ein Gleichgewicht von Land und Meer, ozeanisch und kontinental, Häfen zugleich am Ozean und an Binnenmeeren; der Übergang vom Segelschiff zur Maschine war die Zerstörung dieses Gleichgewichts. Das Flugzeug ist dem Meer zugeordnet als Vehikel, kommt aber dem Raum des Landes zugute. Das unter den Voraussetzungen der Segelschiffahrt entstandene Prisenrecht der hohen See kann nicht [im] Zeitalter des Flugzeugs und der Radargeräte unverändert weitergelten. Das ist so, als wollte man Vorschriften für den Waffengebrauch, die für Pistolen gegeben sind, auf den Gebrauch von Atombomben anwenden. Rußland ist Land, aber die USA sind nicht Meer. Das Schiff England nicht an der Remorque eines Bergeschiffs, sondern im Kraftfeld eines Fernsteuerungsapparates. 13. 4. 48 An Ernst Jünger (bitte ihn, Grüße an E. Peterson in Rom zu bestellen): Sie schreiben von Arnold Toynbee und dem Verhältnis der Geschichtsphilosophen zu den Atom-Physikern. Natürlich, mit dem diskriminierenden („gerechten“) Krieg, d. h. mit der Verwandlung des Staatenkrieges in den Bürgerkrieg und der Erklärung des Feindes zum Verbrecher steigt die Bedeutung der Geschichtsphilosophen und Auguren. Die Unterminierung des Gegners durch Bürgerkrieg und die Erschütterung seiner geschichtsphilosophischen Selbstüberzeu-

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Am Rand: „Anfang an Blötz (wegen Spengler)“. Am Rand: „Nachricht von seiner Adresse, schrieb ihm, er antwortete aber nicht.“

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gung ist, im gleichen Verhältnis, die stärkere Waffe gegenüber der Atombombe.1 Ich las neulich die Diagnose, die Toynbee im November 1947 gegeben hat (ein in den Internat. Affairs veröffentlichter Vortrag). Er fragt nach der dritten Kraft zwischen Westen und Osten und lehnt es ab, daß Europa wieder stark wird, weil dadurch auch Deutschland wieder stark würde. „In an European Union excluding the USA and the Soviet-Union Germany must come to the top, sooner or later, by one means or another“ etc. Diese „German Crux“ ist für ihn „an unsurmountable obstacle to the construction of an European Third Power“.2 So sackt er lieber ab und sucht eine dritte Kraft ohne Kraft. Ich hatte 1938 eine sehr interessante Unterhaltung mit ihm; es fehlt ihm übrigens jeder Einschlag Spenglerscher Genialität.3 Zum Fall Dreyfus müssen Sie gelegentlich Léon Bloy, Méditations d’un Solitaire, 1916, p. 211, lesen (Il y a pour le diable des époques fastes); es geht mir mit diesem Fall wie Ihnen; bisher dachte ich, das läge an der juristischen Zuspitzung zu Verfahrensfragen eines Prozesses. Aber die Nürnberger Prozesse scheinen diese Art erregender Kraft nicht zu besitzen. 14. 4. 48 Georges de Lagarde, Recherches sur l’esprit politique de la Réforme (1926): billiger Ordnungsmann, der sich über die widerspruchsvollen Behauptungen der Reformatoren ärgert; juristischer Sinn; gut der Satz: La souveraineté de l’État est maintenant (nachdem das Christentum ganz innerlich geworden ist, die Kirche Staatskirche und Sohm recht behält) vraiment exclusive, vraiment „territoriale“ (S. 304). Territorial. Totalität des Temporären. Dieses auf die ganze Erde übertragen ergibt eine nicht nur verbreiterte, sondern durch den der Atombombe auch vertiefte Temporalität, Territorialität und Totalität. 15. 4. 48 Sohm II, 233. Aufzählung der Contaminierten zwecks Bestimmung des Kreises der nach dem Sieg zu diskriminierenden Personen: Noch im 3. Jahrhundert waren nicht nur Schauspieler, Wagenlenker, Gladiatoren, Jäger, Bildhauer (sofern sie Götterbilder anfertigten), Henker, Hurenwirte, Zauberer, sondern auch die Schullehrer (wegen ihrer Beschäftigung mit der heidnischen Literatur) und vor allem die Soldaten und die Träger obrigkeitlicher ––––––––– Strafgewalt von der Mitgliedschaft in der Christenheit (sic) ausgeschlossen. „Ein Kriegsmann konnte nicht zugleich ein Christ, eine obrigkeitliche Person (des heidnischen römischen Weltreichs) nicht zugleich Mitglied des Volkes Gottes sein.“ Man nehme eine weniger als 1 %ige Freiheit, rühre sie mit einer 40 %igen Behauptung sozialen Pflichtgefühls gut an, füge ein weniger als 9 %iges Christentum hinzu und vergesse nicht, den Rest der Ausnahme vor[zu]behaltenen, der alles dieses wieder aufhebt. Dann hat man das Holzpapier zu einer neudeutschen Verfassung verarbeitet.

Am Rand: „Dieser Satz auch an P. Jordan“. Am Rand in Rot das astrolog. Zeichen für Jupiter. 3 Am Rand: „an Jup geschrieben, ihm ‚‘ geschickt als Antwort Güllich, vgl. Rückseite [gemeint ist der eingeklebte Zeitungsausschnitt, s. S. 97]“. 1 2

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Zeitungsausschnitt aus FAZ v. 29. 9. 53 eingeklebt. Links: in rot astrologisches Zeichen für Jupiter. Auf und neben dem Ausschnitt: „Zu dem Buch von James P. Warburg, Germany, Key to Peace, [Cambridge] 1953“.

Rikus: Holz und Stein sind nicht Materie, sondern Atem der Schöpfung; der Plastiker arbeitet mit Ton und Lehm, willkürlich knetend, genial-spekulativ-willkürlich und phantastisch; der Bildhauer in Holz und Stein den Widerstand überwindend und benutzend. (Das ist aber kein formgerechtes Bild, nachdem vom Atem der Schöpfung die Rede war! Phrasen.) 17. 4. 48 Las in Ernst Jüngers „Strahlungen“ (deren Manuskript G. Nebel mir gestern in Wuppertal gab und das ich annahm, obwohl ich Bedenken hatte, es anders als aus Jüngers Händen anzunehmen). Die Eintragung vom 14. Dezember 1943 in Kirchhorst (zu meinem Brief

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über das Mißverhältnis von Schutz und Gehorsam bei Bombenangriffen): „C. S. ist unter allen Geistern, die ich kennenlernte, jener, der am besten definieren kann.“ Jawohl, aber meine Begriffe werden nicht von dem Gegensatz von Bild und Begriff betroffen, den Jünger sonst festhält. Ich weiß nicht, ob er als Naturwissenschaftler mich da voll versteht. Sehr schön Jüngers geschichtlich-konkrete Individualisierung meiner Situation: „als klassischer Rechtsdenker“ (das Wort Rechtsdenker finde ich nicht gut; klassischer adäquat gesagt) also: „ist er der Krone zugeordnet und seine Lage wird notwendig schief, wo eine Garnitur des Demos die andre ablöst“. (Sehr wichtig und richtig die Erwähnung der Krone und damit der Legitimität; eine richtige Intuition der Suggestionen, die ich Conde und Franco gab: machen sie eine Krone). „Bei der Heraufkunft illegitimer Mächte bleibt an der Stelle des ersten Kronjuristen ein Vacuum, und der Versuch, es auszufüllen, geht auf Kosten der Reputation. Das sind so Mißgeschicke des Berufs.“ Jawohl, und vielen Dank für die richtige Diagnose! 18. 4. 48 Im Übrigen stören mich persönlich viele Wortzusammensetzungen mit dem Genitiv des deutschen Wortes Recht; wie Rechtsdenken, Rechtsraub (4. 9. 43); man kann das Bindungs-s nicht weglassen und kann es eigentlich auch nicht stehen lassen. Interessante Doppelheit im Tagebuch Jüngers, die ihm selber vielleicht nicht bewußt ist. Einerseits: Stil ist Recht und Gerechtigkeit (17. 2. 42, ähnlich, implicite, am 16. 7. 43), und andererseits: nur naturwissenschaftlich geschulte Autoren schreiben einen guten Stil (etwa 1943/44). Bei der methodologischen Trennung von Natur- und Geisteswissenschaften ist das in der Tat eine Doppelheit und ein Symptom nicht zu Ende gedachter Anfänge. 1. Vorwegnahme der allzu nahe liegenden billigen Kritik an diesem Tagebuch: Es ist zuviel von privaten Dingen die Rede, zuviel Burgunder, zuviel Orchideen, zuviel Doktoressen, zu sybaritisch und auch zuviele Lagebesprechungen. Gefahr der Erwähnung sybaritischen Befindens und kleiner Begegnungen. Es schwimmt ein Schuß Pepysmus mit, zur persönlichen Freude oder zur Entrüstung des Lesers, je nach dem , mit dem dieser der Person Jüngers gegenüber steht. Wie kann man das Buch vor der billigen Art Kritik schützen? Oder ist es nicht vielmehr nützlich (wenn auch schmerzlich), die billige Bosheit sich ausspucken zu lassen? Ich höre schon die Schreier der roten Gashölle. 2. Ernsthaftere Kritik: Die Bedenken gegen manche fromme und christliche Stellen, insbesondere bei der Bibellektüre. Es ist schwer, hier den Stil zu finden und einen bestimmten (sei es äußerlichen Sakristei-, sei es innerlichen Herzenskabinett-) Geruch ganz zu vermeiden. Léon Bloy kommt einmal in diesen Geruch. Hier ist Jünger unerfahren, zu soldatischharmlos, ohne praktische Selbstkorrekturen der unsichtbaren, unschmeckbaren Giftgaswolken, die auf der einen Seite durch Heuchelei, Bigotterei, Bondieuserie, Sakristei- und Bibel-Routine, auf der anderen Seite durch Kritiker-Ironie, Parodie und Aufklärung mit allen Worten und Wendungen dieser Sphäre sich verbunden haben und die sich gegenseitig so unwiderstehlich durchdringen.1

1

Am Rand: „5. 4. 48“.

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19. 4. 48 3. Memoiren-Charakter dieser Tagebücher; Mémoires d’outre tombe; oder Mémoires de l’au-delà du déluge (futuristische Phonetik; phuturistische Fonetik); après nous le démontage. Optimismus am Schluß: wir sind noch einmal gut davongekommen? Immer wieder: die herrliche Auseinandersetzung eines Deutschen mit Léon Bloy; das allein würde dieses Tagebuch zum größten Dokument aktueller europäischer Geistigkeit erheben. 4. Diese Tagebücher sind keine Memoiren; sie sind nichts als Materia prima, Rohmaterialien eines Buches; buchhändlerisch-publizistische Verwertung des noch nicht Geformten! Photokopien der Palimpseste, statt echter Editionen. (wie ). 20. 4. 48 Die brennende Frage nach dem Sinn der modernen Technik und der Maschine kann nicht jeder stellen. Erste unumgänglichste Voraussetzung für jede Annäherung an den Kern ist die Fähigkeit, die allgemeine philosophische Dialektik des Herren-Diener (und ZweckMittel-)Problems zu unterscheiden von der mythisch-religiösen Bedeutung der Frage und die weitere Fähigkeit, beides zu sehen und zu verbinden.1 Dazu gehört eine starke BegriffsKraft, die ich bisher noch bei keinem gefunden habe, der sich in diesen gefährlichen KraftRaum hineinwagte. Bei Friedrich Georg Jünger sind Ansätze dazu, doch versagt ihm die Begriffskraft für die philosophische Dialektik der Sache, weil er sich lieber in die Mythik der Antike verliebt und ein Heide sein möchte. Deos naturales colere cupis, civiles cogeris. An Helmut Rumpf:2 Besten Dank für die Zusendung Ihres Aufsatzes, den ich mit großem intellektuellem Vergnügen gelesen habe. Er enthält starke Keime und seine Begriffsund Darstellungskraft ist erfrischend unmittelbar. Ich würde diese Kraft gern einmal in einer monographischen oder systematischen Arbeit bewährt sehen, die aus der Fülle des ––––––––––––––– Stoffes heraus entstanden ist, nicht nur in einem interessanten Zeitungsaufsatz über ein so ––––––––––––– –––– großes Thema wie „Freiheit“. Auf Ihren Brief vom 23. Februar habe ich Ihnen bisher noch keine Antwort gegeben. Ich will Ihnen in aller Offenheit sagen, warum. Sie teilen mir Ihre Konversion zur katholischen Kirche mit, und es geht nicht an, von einer solchen Mitteilung einfach stillschweigend Notiz zu nehmen. Es ist aber auch nicht leicht, etwas Meritorisches dazu zu sagen. Für mich ist der katholische Glaube die Religion meiner Väter. Ich bin Katholik nicht nur dem Bekenntnis, sondern auch der geschichtlichen Herkunft, wenn ich so sagen darf, der Rasse nach.3 Ich habe manchen Freund und Bekannten zum Katholizismus sich hinwenden und schließlich zu ihm übertreten sehen, von Theodor Haecker 1916 angefangen bis zu CampGenossen des Jahres 1946. Oft war mir dabei zu Mute (namentlich wenn ich ohne Willen zu der praktischen Conclusion beigetragen hatte) wie einem Bruder, der einen verschollenen Freund als Bräutigam seiner Schwester wiedersieht. Deshalb ist es mir, wie auch in andern Fällen der Konversion, unmöglich, zu einem solchen Vorgang andere als höchst private Bemerkungen zu machen. Soll ich nun in Ihrem Fall etwa eine konventionell-familiäre

Am Rand: „vgl. Antwort 23. 5. 48“. Am Rand: „Rumpf vgl. 23. 5. 48“. 3 Am Rand: „Ich hätte noch hinzufügen können: Deshalb ist es auch so leicht, gegen mich und gegen alles, was ich sage, den antirömischen Affekt zu mobilisieren.“ 1 2

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Glückwunsch-Phrase verwenden? Das ziemt sich am wenigsten für einen Juristen gegenüber einem Juristen. Noch weniger freilich dürfte ich versuchen, den Fall zu konstruieren und mich in die Unerfaßbarkeit solcher geheimnisvoll-individuellen Vorgänge einzumischen. Da wir nun aber, trotz des großen Altersunterschiedes, das gleiche, gefährliche Fach, die Wissenschaft des öffentlichen Rechts, teilen, darf ich vielleicht davon sprechen, in welcher Gedankenrichtung sich der Eindruck bewegt, den ich durch Ihren Brief empfing. Sie sind nun Katholik geworden, aber doch nicht Theologe. Soviel ich sehe, bleiben Sie Jurist. Darin liegt für einen Juristen, der wissenschaftlich seiner eigenen spezifischen Aufgabe bewußt werden möchte, eine schwerere Frage als es auf den ersten Blick scheint und auch als es nach den Worten Ihres Briefes der Fall ist. Als Juristen stehen wir heute zwischen Theologie und Technik in einer aufreibenden, ja, uns als Juristen vielleicht sogar aufhebenden Alternative. Natürlich können Sie sich einfach juristisch technisieren, und alle Schwierigkeiten sind gelöst. Aber Sie sind, ebenso wie die deutsche Universität im Ganzen, ebenso wie diese als Geist, protestantischer Herkunft, und was das in concreto bedeutet, sehen Sie an der Schlüsselfigur der Geistesgeschichte des letzten Jahrhunderts, an dem großen juristischen Gelehrten Rudolf Sohm und seiner unabsehbaren Wirkung auf Nicht-Juristen, auf Historiker (wie Georg von Below), Soziologen (wie Max Weber) usw. Vertiefen Sie sich also einmal in den (nachgelassenen) Band II des Kirchenrechts von Sohm, wenn Sie soviel Zeit haben. Aber vielleicht wollen Sie das gar nicht. Ihr Brief klingt an einigen Stellen sehr dezisionistisch. Gut. Auch dann möchte ich Ihnen sagen, daß wir als Juristen ein ganz spezifisches Depositum zu hüten haben, daß Maurice Hauriou,1 der diese Aufgabe für seine Zeit erfüllt hat, uns näher steht als neoscholastische Formeln früherer Jahrhunderte, daß die Fragestellung Legalität und Legitimität Wesentlicheres trifft als alle traditionellen Gemeinplätze einer Naturrechtslehre, für die dauernd gilt, was E. Troeltsch (Soziallehren, S. 173) dazu gesagt hat (Erinnerung an sein[en] Plan, über das Reich des Mittelalters nachzudenken). Ich breche lieber ab. Also vielen Dank für Ihre Zusendung und die Bitte um Weiteres, das Sie veröffentlichen. Ich bin mit aufrichtigen Grüßen und Wünschen Ihr C. S. Was war das am tiefsten Erniedrigende, das eigentlich Demütigende im Leiden des gekreuzigten Gottes? Die böseste Schändung? Simplement la Comparution devant le Juge. So antwortet Léon Bloy, und auch diese Antwort, die richtig ist, konnte nur in einem LegistenVolk und in einer Legisten-Sprache entstehen. 21. 4. 48 Dieser nachgelassene II. Band von Sohm’s Kirchenrecht hat es in sich. S. 303 rückwirkende Kraft politischer Absetzungen, das Totengericht gegen den Papst Formosus (897),2 das ist doch noch konsequenter und dem Ideal der Justizförmigkeit näher als Umbenennungen von Straßen und Plätzen, Auswechslungen der Pantheon-Gräber und sonstige ex-post Ent-

1 Am Rand: „Hier fehlt: Begriffsrealismus, als konstruktive Leistung, nicht als Programm und Schulformel!“ 2 Am Rand: „vgl. 29. 8. 47“. Darüber in Steno: „Der Papst Aenea Sylvio wollte sich selbst Formosus II. nennen, weil er so schön war! Tat es schließlich nicht, spielerische Tragik: Idee und Wirklichkeit, Gedanke und Tat.“

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hebungen aus Ämtern, Pöstchen und Gräbern. Durch die modernen Leichenverbrennungen werden solche Totengerichte freilich sehr erschwert. Wie rührend dieser Sohm sprechen kann. Er sagt z. B. (I, S. 456): „Was haben wir gesehen? Wir haben gesehen, wie das Kirchenrecht in der Kirche Christi aufgekommen und dadurch das ganze Wesen der Kirche ––––– verändert worden ist … das Reich des Wortes ward zu einem Reich des Rechts.“ Wie war das möglich? Das Bedürfnis nach äußerer, formaler Ordnung, nach Schutz, nach einem Bollwerk gegen feindliche Mächte. „Aber das Schutzmittel selber schloß eine Fälschung des christlichen Glaubens in sich.“1 Immer wieder: Das Problem des Titulus absolutus;2 die Entortung; erst seit 1179, Alexander III (S. 284 ff.), gilt die absolute Ordination; die altkatholische Ordination ist Kraft ihres Wesens Anstellung für ein konkretes Amt; sie darf nicht „absolut“ sein. Warum nicht? Lebenslängliche Bindung an diese Kirche? Ortung und Ordnung? Weil der Heilige dieser ––––– Kirche den Ordinandus wählt und „verordnet“; ordo, ordinatio, Verordnung. Annahme einer mystischen Ehe zwischen dem Geistlichen und dem Ortsheiligen (Hefele I, S. 419, Sohm, S. 301, Anm. 32). Das etatmäßige Amt beginnt erst im 4. Jahrh. mit der Diözesanverfassung. Idee der Verortung 1. Kirchengut als Anstalts- (nicht Korporations-)vermögen, Sohm I, S. 77, Rechtssubjekt ist das Gebäude als solches, aedes, domus etc. 2. Der Titulus (Sohm II, S. 284); in beiden Fällen der Ortsheilige! 3. Rom als ewiger Bischofssitz des Papstes (Verortung in Rom), oben S. 2, 13. 8. 47.3 Wie geradezu harmlos evangelisch-normal erscheint Hobbes im Rahmen der evangelischen Lehren von Staat und Recht. Wie brav ist sein Leviathan! Warum stürzt sich alles auf ihn? Nicht aber z. B. auf Marsilius von Padua oder auf Rudolf Sohm? Was hat Hobbes denn eigentlich gesagt und getan? Er hat mutig die Konsequenzen gezogen und zu einem System gefügt. Er war ein Denker, der die Gegebenheiten als solche hinnahm; aber er war kein enfant terrible wie Max Stirner, auch kein Opportunist und kein Lügner und kein Feigenblatt-Lieferant, aber auch kein Feigenblatt-Abreißer und „Enterer“. Ich bin immer von neuem ergriffen, wenn ich die nach allen Seiten hin zentrale Begriffskraft dieses Mannes bemerke. 22. 4. 48 Die Flucht vor der Freiheit ist in concreto nichts anderes als die Flucht in die Technik. Dies gelegentlich Otto Veit sagen. Der Weg in diese Freiheit wäre demnach der Weg aus der Technik. Wagt er das wirklich zu sagen und ein europäischer Ghandi zu werden? Oder S. Butlers Erewhon zu realisieren? Neues Heidentum: Man erdichtet Götter, Göttinnen, Parnasse und Elyseeische Gefilde, und muß wütend werden (auf wen, wird sich bald zeigen), wenn man darüber belehrt wird,

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Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Am Rand: „Die absolute Monarchie ist auch ein titulus absolutus.“ Siehe Anhang.

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daß das alles nicht Wirklichkeit ist. Deos naturales cogere cupis, civiles cogeris. Das ist närrisch und traurig, vor allem aber traurig. Warum sind wir mit diesem Dichtungstrieb ausgestattet? Schrieb an H. Barion: Ich las mit ungeheurer Spannung Sohms Kapitel über den Titulus (Kirchenrecht II, S. 284 ff., § 29); eine Fundgrube für das Problem der Nichtigkeitserklärungen, der Widerruflichkeit von Regierungs- und Unwiderruflichkeit von Verwaltungsakten, der Rückwirkung, der wohlerworbenen Rechte usw.1 Das Kirchenrecht (und seine Geschichte) erweist sich doch (für den Publizisten) als ergiebiger und an paradigmatischer Form- und Modellkraft reicher als die ganz privatisierte Wissenschaft des traditionellen Römischen Rechts.2 In jenem Kapitel Sohms finden sich auch lehrreiche Ausblicke auf moderne Probleme. Insbesondere wird man dem Verfahren gegen den toten Papst Formosus das Aktualitätsinteresse nicht absprechen können. Im Lichte dieses Prozesses erhalten manche Fragen der letzten Jahre die richtige Beleuchtung. Die heute üblich gewordene Verbrennung von Leichen politischer Feinde hat allerdings den Nachteil, daß Totengerichte von der Art des Formosus-Prozesses praktisch erschwert werden; für den jeweils Diskriminierten ist es natürlich ein kleiner Vorteil; doch betrifft das mehr die technischen Fragen und nicht die juristischen Prinzipien. An Pascual Jordan: Ihr Ansatz (Bild der neuen Physik, 1948, S. 91, deskriptive Wertlehre) scheint mir nicht glücklich. Schon das Wort „Wert“ zieht einen in die Philosophie des 19. Jahrhunderts hinein. Dabei haben doch die ganz gewöhnlichen Statistiker, Nationalökonomen (wie G. F. Knapp) und Juristen schon in den 80er Jahren das „statistische Gesetz“ (als Gegensatz des Naturgesetzes) entdeckt, das die Physiker jetzt bemerken. Mich fesselt etwas ganz anderes an Ihren Gedanken. Sie können kaum ahnen, in welchem Maße Ihr Bild von der mikrophysikalischen Steuerung und den makrophysikalischen Groß- und Grobwirkungen, wie sehr also dieses Bild die Wirklichkeit einer bestimmten politischen Relation wiedergibt, die zwischen den machtbesitzenden Individuen (der Elite, den Managern, der engsten Führungsgruppe, dem „Gang“, der sich unweigerlich bildet etc. – ich suche noch nach dem richtigen Wort) und der sozialen und politischen Macht selbst obwaltet.3 Der unverhältnismäßige Machtzuwachs, der den mit Macht „bekleideten“ Individuen zufließt, ist völlig irrational,4 so unbegreiflich, daß es noch das Einfachste ist, alle Macht „von Gott“ zu nennen. Dieselbe phantastische Unverhältnismäßigkeit obwaltet auch in allen Vorstellungen vom mákrov a¢nqrwpov.5 Haben Sie einmal in mein Buch über den Leviathan des Thomas Hobbes hineingeschaut? Hobbes mit seinem Leviathan = magnus homo = Übermensch (als Kollektiv oder objektive Macht), abgeleitet aus mechanischer Naturwissenschaftlichkeit, Hobbes also würde sich heute Ihrer Bilder vom Verhältnis mikro- und makrophysikalischer Vorgänge bedienen, um das Verhältnis von Mikro- und MakroAnthropos zu begreifen. Das ist sicher. Aber ich folgere daraus, daß Ihre Bilder in der glei-

Am Rand: „vielleicht an Ipsen“. Auf der Seite daneben in Steno: „Ein Beispiel für die Modellkraft dieses Kirchenrechts ist die Investitur. Vgl. Hauriou: Investitur durch den Staat mit nichtstaatlichen Aufgaben.“ 3 Am Rand: „mit den 3 Arten, S. 40 und dem Waschzettel Leviathan“. 4 Am Rand: „Disraelis und Hitlers social sorcery, vgl. 1. 5. 48“. 5 Auf der Seite daneben eine nicht lesbare stenogr. Notiz. 1 2

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chen Weise Entsprechungen einer sozialen, politischen und historischen Gegenwart sind, wie die Bilder des Hobbes der damaligen machina machinarum entsprachen. Ihre Makrophysik ist in Wahrheit der Makros Anthropos und Ihre Mikrophysik der Mikros Anthropos. Makrokosmos im Sinne der menschlichen Verhältnisse, nicht des physikalischen Weltkosmos. Ich weiß nicht, ob ich mich auch nur andeutungsweise verständlich machen kann. Diese Dinge sind ihrer Natur nach esoterisch. Aber mein Wunsch, mit Ihnen zu sprechen, ist zu groß. Die beil.[iegende] Abh.[andlung] (3 Arten) soll Sie nicht aufhalten; sie betrifft das, was ich hier im Auge habe, nur ganz gelegentlich. Wichtiger ist der Leviathan, ein berüchtigtes Buch, dessen bloße Nennung einen bei Vielen contaminiert, weshalb ich Sie eher davor warnen möchte. Mein Schauder vor diesen Bereichen ist tief. Vor 10 Jahren, als ich den Leviathan schrieb, wollte ich in meiner Angst den beil. Zettel „Vorsicht“ hineindrucken, als Waschzettel, was natürlich praktisch Unsinn gewesen wäre. Verstehen Sie mich nicht falsch, verehrter und lieber Herr Professor P. Jordan! Ernst Jünger meinte anläßlich der Aggregierung Arnold Toynbees (des Historikers) zum Großen Generalstab der USA: daß die Geschichtsphilosophen heute fast noch wichtiger sind als die Atom-Physiker. Natürlich, sie werden im gleichen Maße wichtiger als etc. wie der Bürgerkrieg und die moralische und historische Unterminierung des Gegners eine stärkere Waffe ist als die Atombombe, deren Physik oder Technik keine Antwort auf die Frage gibt, welchen Menschen man sie auf den Kopf werfen soll. War es recht, Ihnen so zu antworten? Ich wage es im Vertrauen auf die große Menschlichkeit, die ich in Ihren Schriften fühle und durch die Ihre große Wissenschaftlichkeit über alle Laboratoriums-Wahrheiten hinausgehoben wird. In aufrichtiger Verehrung und Dankbarkeit Ihr C. S. 23. 4. 48 Da veröffentlicht ein strebsamer, inzwischen zum Marxismus konvertierter Thoma-Schüler mit Andeutungen von antirömischem Affekt eine Schrift gegen „die Lehren des Herrn Prof. Carl Schmitt, Kronjurist der Gegenrevolution“ in einer Sammlung „Bausteine unseres neuen Weltbildes“. Er benutzt mich nach der Art mancher Barbaren, um einen unschuldigen Menschen in die Fundamente seines neuen Baues einzumauern. Neben der Rolle des Sündenbocks also noch diese andere Rolle des Menschenopfers für die Grundlegung neuer Weltbilder. Oder ist es nur die gute Seele, die auch ein Stückchen Holz zu dem Scheiterhaufen herbeiträgt, auf dem ich verbrannt werde, nachdem Radbruch, Röpke, Böhm und andere das Ihrige dazu getan haben? O sancta simplicitas! Homo homini Radbruch! 24. 4. 48 (An Justus Koch:) Nach dem Genfer Protokoll, dem Kellogg-Pakt in seinem ursprünglichen Sinn und dem ganzen Prae-Jacksonischen Kriegsverhütungsrecht ist „Angriff“ ein einfach bestimmbarer (im Idealfall sogar automatisch bestimmbarer), von allen Schwierigkeiten der sachlichen Kriegsschuldfrage und der justa causa belli abstrahierender, eng umschriebener Vorgang. Angreifer in diesem Sinne ist, wer zuerst die Grenze überschreitet, wer den ersten Schuß abgibt etc. Dabei ist juristisch der Gedanke des rein possessorischen Besitzschutzes maßgebend, der von allen petitorischen, meritorischen und ähnlichen, die

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causa belli betreffenden Argumentationen und Diskussionen losgelöst werden soll. Angriff bleibt also von justa causa belli unterscheidbar. Das ist für die Nürnberger Prozesse sehr wichtig, denn die Schuld des ersten Schusses ist offenbar eine andere als die des Krieges selbst. Täter, Teilnehmer, alles ändert sich.1 Jackson hat noch gelegentlich diese Abstraktion von der Kriegsschuld betont. In Wirklichkeit hat man, wie Sie wissen, alle Schleusen geöffnet. Wann und wieweit das wieder gutzumachen ist, weiß ich nicht. Das Wesentliche wäre, immer von Neuem zu betonen, daß die Frage der Kriminalisierung [und] Poenalisierung des Angriffs(krieges) mit andern Fragen (der Unmenschlichkeiten etc.) nicht vermengt werden darf. Ich habe das in meinem Exposé vom Sommer 1945 mit vielem Material gezeigt; damals mundtot gemacht; heute sehe ich zu meiner Freude, daß W. Grewe in der Diskussion „Nürnberg als Rechtsfrage“, S. 99, diesen wichtigen Gesichtspunkt strengster Unterscheidung ebenfalls betont. Jedenfalls kann es für einen Juristen nicht unmöglich sein, das Verbrechen des ersten Schusses von dem Verbrechen zu unterscheiden, das in der Schuld am Kriege oder gar in der bloßen Vorbereitung eines Krieges liegt; ebenso wie das Unrecht erkennbar ist, das in der fortwährenden Verquickung dieser beiden verschiedenen Verbrechen liegt, und das dann noch in die fortwährende Verquickung mit dem wiederum andersgearteten Verbrechen unmenschlicher Handlungen, atrocities etc. übergeht. Gegenüber der Sowjetunion sind solche noch am wenigsten bloße Subtilitäten. II. Zu Plünderung: Ist es nicht erstaunlich, daß die HKL [Haager Landkriegsordnung] von 1907 ohne Rücksicht auf den Wandel der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und technischen Verhältnisse zum Schaden und zu Lasten der Angeklagten unverändert weiter gelten soll, während auf der andern Seite gleichzeitig gerade die grundlegenden Begriffe dieser selben HKL (wie: nichtdiskriminierender Kriegsbegriff, Neutralität, staatliche Souveränität und „Staat“ als einziges Subjekt des Völkerrechts) zum Schaden und zu Lasten der Angeklagten völlig verändert und aufgehoben werden? Ist das folgerichtig und eine in sich selbst logisch faire Denkweise? (Dann: Rückkehr der Schweiz zur integralen Neutralität, 1938). Aber vielleicht ist das alles viel zu systematisch gedacht, um in einer impressionistisch reagierenden Atmosphäre vorgebracht werden zu können. III. Zur Bindung an die „determinations“ des 1. IMT[Internationale Military Tribunal]Urteils: Der Sinn ist klar: das Tabu der Grundlagen des 1. Prozesses zu wahren. In dem Maße, in welchem das 1. Urteil die Evidenz seiner Entscheidungsgründe verliert, erledigt sich das Tabu und diese „Bindung“ von selbst. (Dix nannte mein Exposé vom Sommer 1945 damals eine „völkerrechtliche Seminarübung“). 25. 4. 1948 Die Stelle, an der sich die ganze Folgerichtigkeit objektiver Machtverhältnisse mit den ganz subjektiven Meinungen eines mit Macht bekleideten Individuums verangulierte. (Stalin: Weltrevolution in Deutschland; Hitler: Überfall aufs verbündete Rußland).

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Am Rand: „vgl. an Grewe, 3. 4. 48“.

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26. 4. 48 Zu der Frage, ob man das Wort „Staat“ als überepochalen Allgemeinbegriff verwenden soll, schrieb mir Heinrich Weinstock, daß es richtig sei, gegen „die Verwandlung der Geschichte in einen Brei“ anzukämpfen. „Andererseits wird es Ihnen wohl nicht gelingen, die Vokabel ,Staat‘ als die nun einmal geläufige Bezeichnung für ‚politische Verbindung‘, welcher Struktur auch immer, abzuschaffen“.1 Dieses „Es wird Ihnen wohl nicht gelingen“ hat mich sehr getroffen. Ich fand es überheblich und irritierend. Es macht den Eindruck, als halte W. sich für befugt, das Anliegen der ganzen Streitfrage hoheitsvoll zu verachten. Er verkennt, daß man nicht auf das Wort Staat angewiesen ist, um die nötige Allgemeinbezeichnung zu haben. Ich habe doch nicht gesagt, daß verallgemeinernde und historisch-entortende Begriffsbildungen unmöglich oder allgemein unzulässig sind. Das wäre ja nur wieder eine neue, falsche Verallgemeinerung. Ich sage nur, daß solche möglichen, zulässigen und notwendigen Verallgemeinerungen ihre genaue Zeit haben und ein Wort nur für eine ganz bestimmte Epoche verallgemeinerungsfähig ist. Diese Epoche ist für das Wort „Staat“ abgelaufen. Worin bestand das Arcanum des Wortes Staat? In der Verbindung mit der Ratio; in der Ratio Status. Alle Qualitäten des unparteiischen Dritten, oder, hegelisch gesprochen, der objektiven Vernunft, die in dieser Epoche mit dem Staat geschichtlich verbunden waren, sind entfallen seitdem die Totalität des Staats zum Instrument der Totalität einer Partei werden konnte. Damit entfällt auch die logische Kapazität der Generalisierung ins Allgemeine. 27. 4. 48 Unendlich bedeutungsvoll Gregor der Große (von G. Krauss zitiert): Sciendum vero est: quia satanae voluntas semper iniqua est, sed numquam potestas injusta, quia a semetipso –––––––––––––––––––––––––– voluntatem habet, sed a Domino potestatem.2 Sogar die Macht Satans ist demnach als solche von Gott und nicht böse. Wie kam es zu der entgegengesetzten These Burckhardts? Der „Wille zur Macht“ wäre der gute Wille! Jawohl, wenn es göttliche Macht ist und der Wille sich unterordnet; es gibt nur einen bösen Willen: den Willen zur Ohnmacht, d. h. Verzicht auf Vollstreckung. Vollstrecken von dort her gesehen; Ethik des Vollstreckens. Die Heimat ist das Haus. Das Grab als Teil der Heimat. Was Peterson von den Kleidern sagt, gilt auch von der Landschaft, von dem Gewebe von Erinnerungen, psychischen Umhüllungen, institutionellen Investituren, Gefühlsbahnen und Reserven, die dort angehäuft sind. Daß Kempski es riskiert, Bruno Bauer zu zitieren (und das noch nach Barnikol), ist nur ein Zeichen allzuschnell-wissender Halb-Informiertheit. Es wird sich nichts an der Isoliertheit Bruno Bauers ändern. Seit 1840 hat der arme Bruno eine immer dicker werdende Schlammschicht schlecht geschriebener Aufsätze und Journalistik um sich, so daß der wesentliche Kern nicht nebenbei erkennbar ist.3 Bisher sind alle, die glaubten, sich zu ihm äußern zu können, in der Schlammschicht stecken geblieben. Bruno ist ein gut geschützter Partisan.

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Stenogr. Notiz am Rand: „als geläufiges Wort: warum nicht cité?“ Am Rand: „vgl. 23. 5. 48“. Am Rand: „vgl. 15. 5. 48“.

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1. Machtergreifung (unter Konstantin) mit guter Wahrung der esoterischen Substanz; schwierig nach der 2. Machtergreifung (seit Gregor VII.), immerhin: die Scholastik. Ganz anderes Problem heute: Rückzug aus den Resten der potestas in die reine auctoritas. Hart und schwierig, den Weg in die Krypta zurückzufinden.1 Die Captiva Captivitas von Günther Krauss ist voll schöner Formulierungen: „Tödlich wäre unsre Schuld für uns nur dann geworden, wenn wir gesiegt hätten“ (wenn die Atombombe bei uns gemacht und von uns geworfen worden wäre). Die Leiden der Gefangenschaft sind eben der sicherste Schutz vor Pepysmen. Jünger hat keinen Tag in der Gefangenschaft gesessen.2 28. 4. 48 Das Schicksal meiner kleinen Schrift „Der Begriff des Politischen“ ist schon bald ein Bestandteil dieses Begriffes selbst. Das ist das Höchste, was man zu ihrem Ruhme sagen kann; ein sicheres Symptom existentieller Echtheit.3 Die Abhandlung erblickt das Kriterium des Politischen in der Unterscheidung von Freund und Feind und siehe da: Diese Abhandlung erregt Freundschaft und Feindschaft und bewährt die Kraft, von sich aus nach Freund und Feind zu gruppieren, was ihr begegnet. Sie wird auch nicht viel studiert oder auch nur gelesen, sondern nur aufs heftigste als Kriterium benutzt. Das alles sind gute Anzeichen. Mittite me in mare, si propter me est orta illa tempestas! Das Schicksal des Jonas, auch in dieser Hinsicht und an diesem Punkte. Stieß auf den Ausspruch Hegels: „Die Menschheit bedurfte (damals für den Übergang vom Feudalismus zur absoluten Monarchie) des Schießpulvers und also bald war es da“. Setzte das an den Schluß eines Kapitels aus dem Nomos der Erde (über den modernen Vernichtungskrieg) und erhob die Frage: Wessen bedurfte die heutige Menschheit, als die modernen Vernichtungsmittel sich einstellten? 30. 4. 48 Fand bei E. Jünger (Abenteuerliches Herz) das Motto: [„]Die Beschäftigung des Deutschen zu dieser Zeit ist die, von allen Ecken der Welt Material herbeizuschleppen, um den Brand zu nähren, den er unter seinen Begriffen gestiftet hat. So ist es denn kein Wunder, daß alles, was brennbar ist, in vollen Flammen steht“. Vgl. meine Bemerkung gegenüber Smend vom 6. 1. 48. Der adäquate Dichter ist nicht Rilke, sondern Theodor Däubler. An E. Rothacker: Das Ausrufungszeichen hinter „sive“ in der dreisten Bi-Montage Deus sive Natura, ein Ausrufungszeichen, das mir geholfen hat, ganze Bibliotheken neoscholastischer Redensarten über das Naturrecht und ihre à deux mains zu erkennen. Für diese Art von Einwirkung bin ich sehr anfällig und ebenso dankbar. Dann das Gespräch mit Fr. Meinecke über die Fundgruben in den astrologischen Bemerkungen der Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts, vor allem [bei ]mein[em] Schicksalsbruder Jean Bodin. Aber die

Am Rand: „Das ‚Tausendjahr‘ der neuen Ewe (St. George) mit neuem Gott und neuem Reich“. Am Rand: „an Adams und Günther Krauss geschrieben“. 3 Am Rand: „an Adams und Günther Krauss geschrieben, am 15. 6. 48 an Hans Beym. Gandillac, Nic. Cusanus“. 1 2

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Geister der Meinecke-Zeit waren zu bange um die Reputation der Wissenschaftlichkeit, die schließlich doch positivistisch blieb, auch, und besonders, wenn sie sehr geisteswissenschaftlich auftraten. Neuerdings findet man beachtliche astrologische Intuitionen und Fruktifizierungen in Gerhard Nebels Reflexionen über die Elemente. Die kleine Schrift „Land und Meer“ sollte ein Schritt über das Mythologische hinaus ins Mythische selber sein.1 Deshalb ist z. B. die Stelle von den beiden Jägern (S. 23) ein wichtiges Korrektiv gegen die Oberflächlichkeit vieler Fragestellungen zu der uns sonst zerschneidenden Option zwischen Westen und Osten; die Frage, wer auf die Dauer der authentische Nachfolger des deutschen Ostsoldaten sein wird, ist noch nicht beantwortet. 1. 5. 48 Die dritte Bestätigung (1. Bestätigung: Rasse = Schlüssel usw., 2. Christentum = Judentum fürs Volk) meiner These vom Disraelitismus der rabiaten Deutschheit (Hitler als Disraelit).2 Our age is of infinite romance (Brief Disraelis an Mrs. Willyams of Torquai, 9. 12. 1862, in Frouds Biographie: How full of adventure is life! It is monotonous only to the monotonous. There may be no longer fiery dragons, magic rings, or fairy wands, to interfere in its course and to influence our career; but the relations of men are far more complicated and numerous than of Yove, and in the play of the passions, and in the devises of creative spirits, that have thus a proportionately greater sphere for their actions, there are spells of social sorcery more potent than all the negromancy of Merlin and Friar Bacon);3 das ist Hitlers: Mein Leben kommt mir vor wie ein Roman4 (= Subjektivismus, Immoralitäten und Peripetien). (1. Bestätigung: Rasse = Schlüssel etc., 2. Christentum [=] Juden[tum] fürs Volk). An Frau v. S.[chnitzler]: Sie wissen, wie tief die „Ungeduld der Gerechtigkeit“ mich plagt und welche unabsehbare Verantwortung daraus erwachsen muß.5 Ich kann es mir nicht mehr leicht machen und erschrecke täglich vor der Schwere der Erkenntnis, die ein überwältigender Satz von Saint Martin zum Ausdruck bringt: „Um sicher zu sein, daß man wiedergeboren ist, muß man alles um sich her wieder gebären“. Damals, im Sommer 1945, habe ich meine hilflos schwache Stimme erhoben und wurde sofort mundtot gemacht.6 Damals habe ich durch meine Darlegung über die völkerrechtliche Kriminalisierung des Feindes und über die Unterscheidung von Feind und Verbrecher die Ehre der europäischen Rechtswissenschaft gerettet. Ganz Deutschland nicht nur, ganz Europa war damals vor den Kopf geschlagen. Aber auch in Amerika fand sich keiner, der ein Wort der Ruhe und der Würde sprach. In diesem großen Reich wurde keine andere Stimme laut als die der Aufforderung zur Rache. Kein Jurist, kein Diplomat, kein Publizist fand die Worte eines überlegenen Siegers. Überall hörte man nur den Lärm von ira und iracundia. Soviel sonst an klassischen Sentenzen und Reminiszenzen in solchen geschicht-

Am Rand: „vielleicht an Speidel oder Grewe“. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. 3 Am Rand und auf gegenüberliegender Seite: „social sorcery vgl. an P. Jordan, 22. 4. 48. Die Makro-Welt des Sozialen. Es gibt auch mental sorcery, intellectual s., immaterial s., spiritual s.“ 4 Am Rand: „vgl. 10. 4. 48, Picaro“. 5 Stenogr. am Rand: „Tief und hart plagt mich die Ungeduld der Gerechtigkeit.“ 6 Stenogr. am Rand: „an Günther Krauß 3. 5. 48, E. R. Huber 18. 6. 48, Ipsen“. 1 2

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lichen Augenblicken zu Tage tritt, dieses Mal fehlte jede Überlegung und jede Überlegenheit. Es fehlte jede Sammlung, die stark genug gewesen wäre, die Gedanken der [von] Sallust geschriebenen Rede des jungen Cäsar ins Gedächtnis zurückzurufen, jene großen und stolzen Worte eines großen und stolzen Menschen, der selber als Sieger von Völkerkriegen und Bürgerkriegen bewiesen hat, daß er sich sowohl von Zorn und Rachsucht wie auch von falschem Mitleid frei zu bewahren wußte. Damals sagte Cäsar im Senat, als es sich um die Unschädlichmachung der gefangenen Verbrecher und Catilinarier handelte: Gerade gegenüber unerhörten Schandtaten (nefaria facinora) müsse man mehr daran denken, seine Würde zu bewahren als fragen, was man von Rechts wegen den gefangenen Verbrechern alles antun solle (magis quid se dignum foret, quam quid in illos iure fieri posset) oder gar sich über bisher geltendes Recht (die lex Porcia) hinwegzusetzen.1 Man hat sich davor [zu] hüten, mehr an jene Verbrechen als an die eigene Würde zu denken (ne plus apud vos valeat illorum scelus quam vostra dignitas), sonst fragt man mehr nach seiner eigenen Wut als nach seinem guten Ruf und Ansehen (ne magis irae vostrae quam famae consulatis); auch die Strafe muß die Würde bewahren, und man tut gut, sich an gesetzlich vorgesehene Strafen [zu] halten. Ein großer Machthaber darf nicht handeln wie ein in Wut geratener kleiner Mann, und was bei kleinen rachsüchtigen Menschen als Eifer und Zorn erscheine, das wirke bei einem Großen wie Überheblichkeit und Grausamkeit. Soll man neue Strafarten erfinden (genus poenae novum decernere)? Gerade in Zeiten des Bürgerkriegs wächst sich jeder Racheakt, auch wenn er zuerst vom Rechtsgefühl der Menschen applaudiert wird, zu einer grauenhaften Praxis aus. Das alles steht sehr klar in jener klassischen Rede. Ich bitte jeden, sie einmal bei Sallust (Catilinae conjuratio c. 51.) nachzulesen. Aber damals, im Sommer 1945, hätte man in Deutschland nicht einmal auf sie anspielen dürfen, ohne der herrschenden Rachsucht zu erliegen. Auch das gehört zur Ehre dieser meiner Darlegung vom August 1945. Ist es verwunderlich, daß ich von der Ungeduld der Gerechtigkeit geplagt werde, wenn ich mich daran erinnere[?] Aus Don Capiscos2 Hand-Orakel für massendemoskopische Situationen: 1. Wenn du in einen laut schreienden Sprechchor hineingerätst, musst du den Text mitschreien so laut du kannst; alles andere wäre dein sicherer häßlicher Tod, denn dein Gehör und Gehirn würden von Außen zerschmettert, wenn du dich nicht durch Mitschreien von Innen her wehrst; ich empfehle dir also nur [ein] rein physisches Abwehrmittel gegen die Methode der Vernichtung durch Schallwellen.3 2. Laß dich nicht von Leuten, die draußen in Sicherheit sitzen, zum Widerstand im Inneren aufputschen. Vergiß also nie den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam. 3. Geh in den Schutzraum, wenn die Signale dazu ertönen; mach Hände hoch, wenn der Befehl dazu ergeht. 4. Vergiß nie den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam. Vergiß aber auch nicht, daß der Zusammenhang von Schutz und Gehorsam heute nicht mehr gültig ist; der Schutzraum

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Stenogr. am Rand: „Diesen Hinweis auf Sallust an Günther Krauß geschrieben, 3. 5. 48“. Ursprünglich: „Gratians“. Am Rand: „vgl. 29. 6. 48, 22. 7. 48“.

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kann der Vergasungsraum sein. Erkenne also rechtzeitig alle diesbezüglichen Signale; das ist die Situation der heutigen Legalität. 5. Recht ist Recht nur am rechten Ort. Recht ist Recht nur zur rechten Zeit.1 Wer einige Jahre zu früh Recht hat, der hat eben Unrecht. Wer Licht auf eine Sache wirft, die versteckt bleiben soll, ist ein Verräter; wer die Revolution analysiert, ist ein Reaktionär. Wer aber die Revolutionäre analysiert, ist ein konterrevolutionäres Schwein. Das ist klar, mein guter Don Capisco. 6. Wenige verdienen es, daß man ihnen widerspricht. Gut. Noch weniger sind wert, daß man sich ihnen zum offenen Widerstand stellt. Am seltensten sind diejenigen, vor denen man auf jede Deckung verzichten kann. 7. Definition der Elite: Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt. Weitere Regel: 29. 6. 48. 4. 5. 48 Neue Freude an der bisherigen Arbeit zum „Nomos der Erde“. Wir haben in Deutschland mehr und tiefer gedacht als in andern Ländern. Mein eigener Beitrag zu diesem Denken wird mir jetzt wieder für einen Augenblick bewußt. Was ist das alles?2 Wehrlos reiche Frucht der Jahre, die noch in der Zukunft dämmert.3 Begreife den Machthaber, der nach dir greift; setze seinen Griffen keine Gegengriffe gleichen Niveaus entgegen; erprobe lieber an seinen [Bewegungen] deine Kraft zu Begriffen. Auch nach deinen Begriffen wird er greifen. Doch laß ihn nur greifen. Er wird sich in die Pfoten schneiden. 5. 5. 48 Schickte Ernst Jünger für seine „Sammlung letzter Worte“ den Zettel mit den letzten Worten Chopins: Comme cette terre m’étouffera je vous conjure de faire ouvrir mon corps ––––– pour que je ne sois pas enterré vif. Die Angst vor dem Lebendig-Begraben-Werden ist viel––––––– fach als Propaganda für Leichenverbrennung und Krematorien geschürt und benutzt worden.4 Ich möchte wissen, für welche Menschen und welche Situationen sie typisch ist. Fragen Sie doch mit Bezug auf Chopin einmal Ihre Frau. Die Musiker gehören ja nicht zu Ihrer Welt. Dann zu seinem Plan der „Inversion der Utopie“ auf S. Butlers „Erewhon“ aufmerksam gemacht.

Am Rand: „vgl. 3. 5. 48“. Stenogr. Notiz am Rand: „an Herbert Nette mit der Bitte um Abschicken an Scheffer mit ‚Land und Meer‘.“ 3 Am Rand: „Armer Jünger“. 4 Stenogr Notiz am Rand: „reif fürs Krematorium“. 1 2

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6. 5. 48 Was bleibt als das Spezifische übrig, wenn man von dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit die alten bekannten kriminellen Tatbestände Mord, Raub, Vergewaltigung etc. abzieht? Verbrechen, „die einen krassen Vernichtungswillen“ erkennen lassen, also Verbrechen, zu denen auf der subjektiven Seite noch etwas Besonderes, das Gegen-Menschliche nämlich, hinzu kommt. Was kommt hinzu? Kein Reatus, sondern nur ein Animus. Es sind Gesinnungs-Verbrechen von der negativen Seite. Sie mußten mit dialektischer Notwendigkeit kommen, nachdem aus Humanität die Gesinnungs-Verbrechen aus guter Gesinnung entdeckt worden waren. Mit anderen Worten: es sind die aus menschenfeindlicher Gesinnung entstandenen und von solcher Gesinnung zeugenden Taten, also: das, was der zum Feind der Menschheit Erklärte tut. Politisch im extremsten und intensivsten Sinne des Wortes. „Verbrechen gegen die Menschl.[ichkeit]“ ist nur die generellste aller Generalklauseln zur Vernichtung des Feindes. Mit dem Übergang von gemessenen zu ungemessenen Diensten begann die Versklavung der dienstpflichtigen, aber bisher freien Bauern. Mit dem Übergang von festen gesetzlichen Tatbeständen zu sog. Generalklauseln beginnt die Versklavung der staatsunterworfenen dienstpflichtigen, aber bisher freien Bevölkerung. Auch das gehört zum modernen Problem der Legalität. Legalität im Sinne vorherbestimmter fester Tatbestände und Legalität im Sinne von generellen, ungemessenen Ermächtigungen sind zwei verschiedene Begriffe. Mit dem Ungemessenen (also potentiell Totalen) wird es „Politisch“ im modernen Sinne; Wesen der Anklage und der kriminalisierten Tatbestände in politischen Prozessen! Die einzige interessante Frage betrifft die Situation: Sind wir überhaupt noch in der Lage, zu messen, Maße zu finden, die nicht die falsch gewordenen, alten Maße, sondern sach- und situationsgemäße Maße sind? Heureka, ich habe ihn gefunden, nämlich den Feind. Es ist nicht gut, daß der Mensch ohne Feind sei. Wehe dem, der ohne Feind ist, denn er wird Feind sein am jüngsten Tage. Er wäre also wieder da, so haßerfüllt, daß er nicht einmal eine von mir geprägte Formulierung vertragen kann, ohne einen Ausrottungsversuch zu machen. (Bericht Ipsens über die Hamburger Tagung der deutschen Rechtslehrer von Mitte April). Machiavelli sagt (Disc. II, 26): Weder Drohungen noch Beleidigungen entziehen dem Feind die Kraft. Dieses „Kraftentziehen“, darum handelt es sich. Das ist auch der Gesichtspunkt, unter dem man solche Beleidigungen perzipieren muß. Entzieht mir das Kraft? Nur soviel, als ich Zeit darauf verwende und daran denke. 7. 5. 48 Theodor Haecker sagte 1917, daß die alten mittelalterlichen Kathedralen nach ihrer eigenen Vernichtung schreien müssen, wenn sie von solchem Kultur- und Bildungsschleim ästhetischer Literaten eingespeichelt werden. Danach wären dann unsere alten deutschen Städte mit Recht zerstört worden. Aber gilt das nicht auch für jeden von uns, der sich von jenem Kulturschleim angespieen fühlt? Müßte nicht auch ich danach schreien, daß dieses Kulturbordell endlich vernichtet wird? Wir werden beim Wort genommen. Das ist das Zeitalter des Existenzialismus. Der Geist findet Vollstrecker und Durchführer, die selber geistlos das Geschäft der Abdeckerei und Applanierung besorgen, als Beschleuniger wider Willen aber ganz andere Dinge beschleunigen, als sie beschleunigen möchten.

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8. 5. 48 An einen Rechtslehrer:1 Den guten Hall, International Law, habe ich in der Ausgabe von Higgins (8. Aufl. Oxford 1924) wieder gelesen. Er ist alt und auch wohl altmodisch, aber eben dadurch überaus lehrreich und den Positivisten vom Schlage Strupp, Lauterpacht etc. überlegen. Seine Kritik an der Lehre, daß der Okkupant die Souveränität des okkupierten Landes ausübe, ist höchst beachtlich: Das würde den Okkupanten „enable to brand acts of resistance on the part of an invaded population with a stigma of criminality which is as useless as it is unjust“. Hall hat auch noch ein eigenes Kapitel mit der Überschrift: Postliminium. Das Ganze, aus dem Jahre 1924, ist ein gutes Beispiel dafür, daß die englischen Juristen auch hier den Bruch mit der vorpositivistischen Tradition, der sich in Deutschland so katastrophal ausgewirkt hat, nicht erlebt haben.2 Das ist mir schon vor Jahren bei der Lektüre Westlakes aufgefallen. Dann die Frage nach der Abgrenzung von Kriegsschauplatz und besetztem Gebiet, insbesondere autorité établie, Unterschied der Executive des Militärbefehlshabers in beiden Fällen und die Frage: ist diese Exekutive des M.[ilitär]b.[efehlshabers] im besetzten Gebiet in ihrer organisatorischen und inneren Struktur nicht von der Verfassungsstruktur des okkupierenden Staats abhängig? Die H.L.K. [Haager Landkriegsordnung] bleibt auch hier beim Standard von 1907; auch hinsichtlich des Verhältnisses von Militär und Zivil. (Ich bin Ihnen von Herzen dankbar schon für die Möglichkeit, mit Ihnen darüber sprechen und Ihnen von solchen Dingen erzählen zu können.) Oft plagt mich die „Ungeduld der Gerechtigkeit“, und es ist für mich eine unendlich wohltuende Gewißheit, daß Sie die Intention und den gedanklichen Impuls meiner Art, Rechtswissenschaft zu treiben, verstehen, wobei es nicht im Geringsten darauf ankommt, ob Sie den Thesen im Ergebnis zustimmen oder dissentieren.3 So ist Ihr Besuch in Plettenberg auch heute noch fruchtbar, und es könnte für mich keine größere Freude geben, als die weitere Gewißheit einer in dieser Hinsicht perfekten Reziprozität. Dann 21. 4. 48 und 1. 5. 48; Formosus, Titulus, Sallust. Belgien, das Sie ja kennengelernt haben, ist ein merkwürdiger Herd geworden, von dem die Zerstörung des klassischen Kriegsrechts seinen Anfang nahm.4 Die Neutralen wurden erst erfunden, um die Sicherheit zu garantieren, und Ent-Sicherung der Atombombe. Über den echten und großen Gelehrten Ernest Nys werden Sie im „Nomos“ einiges lesen. Aber lesen Sie auch die Anm. 39 in meinem „Diskrim.[inierenden] Kriegsbegriff“; und denken Sie an den Weihnachtshirtenbrief 1914 des Kardinals Mercier: legitime Obrigkeit ist und bleibt die Regierung des okkupierten Staates, nicht der Okkupant, was an sich richtig ist, hier aber diskriminierend gemeint war und diskriminierend wirkte, sodaß auch das wunderbare, klassisch ausgebildete Institut der occ.[upatio] bellica dadurch zerstört wurde.

Gestrichen: „An H. P. Ipsen“. Am Rand: „und daher auch die Hilflosig[keit] jetzigen Versuches, wieder naturrechtlich zu werden“. 3 Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. 4 Am Rand: „vgl. 31. 5. 48“. 1 2

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10. 5. 48 Stieß auf den Satz: L’initié tue l’initiateur und dachte an W. Fraengers Hochmeister der freien Brüder-Gemeinschaft, der von seinem Schüler Hieronymus Bosch überwunden1 wurde. Geheimnisvolle Grausamkeit dieser Mysterien-Welt.2 Der État d’esprit grausamer noch als der État de nature des Hobbes. Hier tötet der Sohn den Vater, das Junge tötet das Alte; Zeus tötet den Chronos; Chronos den Uranos. Der ewige, biologisch selbstverständliche Vorgang spiegelt sich in den Mysterien. Diese enthüllen, verhüllend, nur den Kern der Dinge. Dem gegenüber ist die Vater-Religion des Christentums die wahre Friedensreligion: Bleiben im Vaterhaus; Rückkehr des verlorenen Sohnes; Himmelfahrt Christi; Christus selbst ist der verlorene Sohn.3 Es ist aber nicht davon die Rede, daß der verlorene Sohn einige Kumpane seines Luderdaseins mit nach Hause nahm. Wie sollte nun der edle verlorene Sohn einen von uns mitnehmen zum Vater? Kehren wir also zur Natur zurück! Das bedeutet aber nichts anderes [als]: Töten wir unsere Väter, unsere Lehrer, unsere initiateurs, unsere Erzeuger, unsere Wohltäter. Aber zugleich: Hüten wir uns, selber Väter, Lehrer, initiateurs, Erzeuger und Wohltäter zu werden! Programm des Bakuninschen Anarchismus, kombiniert mit westlichem Individualismus. Prognose für den konsequenten Amerikanismus. Der wahre (das ist: der produktive) Deutsche ist dann immer noch eher Bakunist als Amerikanist. Laßt Euch darüber nicht täuschen. 15. 5. 48 Homo homini homo: das ist nichts als: auf der Stelle treten, und zwar auf dem Nullpunkt des rein polaren Begriffes, der sich sofort nach links und rechts, nach unten und oben spaltet; homo homini lupus oder deus.4 Die typische Neutralisierung auf dem toten Punkt besteht darin, die Aufspaltung vertagen und nicht mitmachen zu wollen, lieber auf der Stelle zu treten, auf des Messers Schneide, auf der Kante, haarscharf transzendental, zwischen transzendent und empirisch, unverbindlich, freibleibend nach allen Seiten, in der ungetrübten Reinheit des Begriffs, in der unberührten, d. h. unrealisierten Reinheit, die zum deutschen Idealismus gehört, von der reinen Vernunft bis zur reinen Unvernunft. Wie kam nun der Höllensturz in das ganz Unreine? Wir haben ihn erlebt und erkannt. Was ist seit 1918 in Deutschland geschehen? Aus dem Dunkel des sozialen, moralischen und intellektuellen Nichts, aus dem reinen Lumpenproletariat, aus dem Asyl der obdachlosen Nichtbildung stieg der unbekannte Soldat des 1. Weltkriegs, ein bisher völlig leeres Individuum auf und sog sich voll mit den Worten und Affekten des damaligen gebildeten Deutschland.5 Es wurde von H. St. Chamberlain in Wahnfried introduziert und induziert. Damit war es in den Bildungstempel zugelassen. Es machte Ernst mit tierischem Ernst. Womit machte es Ernst? Mit den Affekten und Formeln, die sich ihm boten. Begriffe wie Tat, Wille, Macht, Rasse, Genie, Führer, Charisma. Umgekehrt waren diese bisher ziemlich rein gedachten Affekte und Formeln überrascht und glücklich, ernst genommen zu werden.

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Darüber geschrieben: „absorbiert“. Am Rand: „11. 5. 48“. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Am Rand: „26. 5. [48], vgl. Randnotiz 27. 4. 48, 18. 8. 48“. Am Rand: „Fortsetzung 17. 5. 48, 4. 3. 49, 1. 5. 49, 19. 5. 49“.

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Nun hatte man den Ernstnehmer, den Ernstmacher, einen nichts als Realisator,1 dem man das Weitere überlassen wird, einen nichts als Durchführer und Vollstrecker; durch Durchheit wird Ich (Fichte); den reinen Vollstrecker der bisher so reinen Ideen, den reinen Schergen; den reinen Täter; die reine Funktion des Tuns; das Werk ohne Glauben.2 Dieses Individuum las ungeheuer viel, um zu tanken. In Mirko Jelusichs historischen Romanen lernte es, wie die großen Männer der Weltgeschichte reden („diese gehirnlosen Dummköpfe“ pflegt Julius Caesar bei Mirko J. zu sagen) und Völker vernichten. Also: die geistesgeschichtliche Formel dieser 12 Jahre, die große historische Oper der reinen (d. h. nichts als) Vollstreckung des reinen deutschen Genialismus. Ein von der Geschichte zur Tat Verurteilter, das große Thema Schillers und seines Begriffs der Tragik. Drei häßliche Stiche, giftig-gelblich, mit dieser hämischen Stimme: 1. Die Erwähnung Freislers (merkwürdig: ebenso von Carl Brinkmann und Helmut Rumpf, ecco, wo ist hier die gemeinsame Quelle?); 2. Ein Satz wie „Der Haß gegen mich findet sich nur bei Leuten, die mich nicht kennen, während der Haß gegen Sie gerade bei solchen besteht, die Sie kennen“; 3. Die Sache „Stahl“ hat Ihnen wohl sehr geschadet. Jawohl, du Pinke-Pinke-Idealist; sie hat mir sehr geschadet (merkwürdig auch hier die Informiertheit). Also: Erstens: Erkenne die Lage! Großartig Gottfried Benn, Der Ptolemäer: Man muß ehrlich sein auf jede Gefahr; à propos welche Gefahren haben diese Erdteile denn zu bieten, bürgerliche Gefahren, der Tod ist etwas zu Außermenschliches, um ihn als Gefahr zu degradieren. „Ich drehe eine Scheibe und werde gedreht, ich bin Ptolemäer“. Ich stöhne nicht wie Jeremias, nicht wie Paulus, ich tue, was mir erscheint; ich bin nicht geworfen, ich behänge mich allerdings auch nicht mit Weib und Kind und Sommerhäuschen. Erstens: Erkenne die Lage! Existenziell: das ist der Todesstoß für die Utopie. Die Existenzialisten: die neuen Hauptmänner von Köpenick. 16. 5. 48 Für das isolierte, um seine Selbstbehauptung bemühte Individuum, insbesondere für die großen Unzeitgemäßen (der Unzeit-Gemäßen), relativieren sich von selbst die objektiven Mächte, so daß man immer fragen muß, was jede dieser objektiven Größen (Staat, Kirche)

Darüber in Steno nicht lesbar. Auf gegenüberliegender Seite Notizen dazu, die in den laufenden Text nicht klar einzuordnen sind: – „Un grand peuple remué – ein in Bewegung geratenes Volk – ne peut faire que des exécutions (Rivarol, I, 24). Vollziehen, Vollzug: das Programm ist relativ unwichtig.“ – „Das Tausendjahr der neuen Ewe, mit neuem Gott und neuem Reich (Stefan George)“. – „Endlich ein Gott!“ – „Heil mir, daß ich Ergriffene sehe. (Rilke, August 1914, an seine [Lou Andreas-]S[alomé] gesandt).“ Dazu schwer lesbare stenogr. Notizen: – „Es waren weder Gewaltmenschen noch , sie wollten es nur besser haben, als das damalige Regime ihnen normalerweise zu bieten hatte. Insofern war sie auch . Nur ganz arme Teufel übernehmen so reine . Deshalb kann ein Filmregisseur die Mimen ohne weiteres so falsch, daß sie ja durch Falsches recht [richtig?] werden .“ 1 2

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im Augenblick mit Beziehung auf den Isolierten bedeutet. Wenn Bruno Bauer von der katholischen Kirche spricht, so meint er fortwährend Verschiedenes im Verhältnis zu sich. So schätzt Bruno Bauer die katholische Kirche um 1870 nicht nur als Gegengewicht gegen den kommenden Herrn der Welt, sondern sie ist ihm auch etwas anderes als 1843, wo sie für ihn noch das reinste Judentum war. So ist es auch mit dem preußischen Staat, mit dem Judentum usw. Was soll ein isolierter Einzelner auch anderes tun? Er springt von einer Eisscholle auf die andere. So war für Barbey d’Aurevilly, den großen Lehrer Léon Bloys, die katholische Kirche (nicht nur, aber auch) der hohe Balkon, von dem herunter er dem Pöbel seines Zeitalters auf den Kopf spucken konnte. Und nun erst Nietzsche mit seinen Verwendungen und Verwertungen aller Werte, mit seinen tausend Eskapaden und Schutzräumen. Das ist Existenzialismus als Existenzialismus. Sobald er auf Kathedern doziert wird, muß es ja komisch werden. Dann tritt ein verkrampfter, konvulsivischer Augenblick gegenseitiger Rachsucht ein: das leere Individuum rächt sich an den objektiven Mächten und benutzt sie als bloßes Machtmittel seines (leeren) Ich; und die objektiven Mächte rächen sich für diesen Mißbrauch an einem solchen Ichverrückten Individuum. 17. 5. 48 Die Idee bemächtigt sich eines Individuums und tritt dadurch immer als fremder Gast in die Erscheinung.1 Der fremde Gast warAdolf. Er war fremd bis zur Karikatur. Fremd gerade durch die aseptisch-leere Reinheit seiner Ideen von Führer, Charisma, Genie und Rasse. Er war ein voraussetzungsloser Vollstrecker. Die Masse der Gebildeten war ungebildet. Die wenigen Gebildeten standen noch bei Goethe und Carus. Sie hatten die Krisis von 1848 noch nicht erfahren. Bruno Bauer und Max Stirner galten als komische Knulche. Adolf dagegen, der geistig weniger war als Max, galt au[ch] Gebildeten wie Popitz als ein Genie. 2 So trat er denn in die Erscheinung. Existenzialismus bedeutet das adäquate Wort, also den Todesstoß auch für diesen Genialismus des deutschen 18. und 19. Jahrhunderts.3 Durch diesen geistesgeschichtlichen Schlüssel-Begriff des genialen Vollstreckers klären sich auch meine persönlichen Beziehungen zu Franz Kluxen (der mich in die durch und durch genialistische Geistigkeit des deutschen 19. Jahrhunderts, in R. Wagner und Otto Weininger, initiiert hat) und Hugo Ball, der unter dem deutschen Genialismus litt, ohne damit fertig zu werden. Ball flüchtete aus der Zeit in die Demut, nachdem er tief in jene Zeit hineingefallen war. Der Existenzialismus tötet den Roman? Denkste! Sartre schreibt lustig weiter. Der Existenzialismus tötet den Genialismus? Jawohl! Heidegger interpretiert Hölderlin. Der entscheidende Schritt um 1900 war der Übergang vom Goethischen zum Hölderlin’schen Genialismus. Bei ihm ist Heidegger verblieben. Welch ein Verrat an Kierkegaard, an Bruno Bauer, an dem um 1840 entdeckten, aber auch neu erkannten Christentum.

Am Rand: „vgl. 23. 6. 48, 26. 5., 30. 5., 2. 6., vgl. auch die Notiz Nov. 54, “. Stenogr. Einfügung am Rand nicht lesbar. 3 Auf der Seite daneben stenogr. Notiz: „Hadamovsky sagt: Die Propaganda fügt die Macht der Organisation zu der Schwäche [des Arguments]. (Hannah Arendt, Burden of our time, p. 352).“ 1 2

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18. 5. 48 „Jugend ohne Goethe“ (Max Kommerell), das war für uns seit 1910 in concreto Jugend mit Hölderlin, d. h. der Übergang vom optimistisch-irenisch-neutralisierenden Genialismus zum pessimistisch-aktiven-tragischen Genialismus. Es blieb aber im genialistischen Rahmen, ja, vertiefte ihn noch in unendliche Tiefen. Norbert von Hellingrath ist wichtiger als Stefan George und Rilke. 23. 5. 48 Nicht nur die Idee, auch die Macht tritt immer nur als fremder Gast in die Erscheinung. Die Macht ist ja, als geschichtliches Faktum analysiert, immer auch Ohnmacht, Zwang, Gefängnis; der irdisch Allmächtige wird der ganz losgelöste, also der ganz Ohnmächtige.1 Die Dialektik des Absolutismus und der Souveränität. Schließlich sitzt der absolute Souverän, von Vorzimmer und Kanzleichefs blockiert, in der eisigen Einsamkeit seiner Allmacht. Also das ist die Macht als Erscheinung. Wie ist das zu erklären? Wahrscheinlich nur so, daß die Idee, das Sein und die Macht Eins und Dasselbe sind. Darin, daß diese Einheit empirisch-posi[ti]vistisch mißverstanden wurde, liegt die Quelle aller Verirrungen und Entmenschlichungen. Damit ist der Zusammenhang mit der Notiz vom 27. 4. 48 gefunden. Heureka. Das Sein tritt nur als Nicht-Sein in die Erscheinung! Es tritt aus sich selbst heraus, wenn es sichtbar wird. Das Problem R. Sohms und der Sichtbarkeit (Öffentlichkeit) der Kirche. Die Antwort von Helmut Rumpf (auf meinen Brief vom 20. 4. 48),2 die neulich eintraf, ist ein Dokument des Willens zur geistigen Taubheit. Taubheit hält er für Dezisionismus. Er antwortet nicht einmal auf meinen Hinweis auf Rudolf Sohm, ein Hinweis, der seine eigene Existenz als wissenschaftlicher Jurist betrifft: Stattdessen erzählt er mir wichtig von dem Eindruck eines Greuelfilms. Also Dezisionismus auf dem Flugsand impressionistischer Erregungen.3 Von Rudolf Sohm spricht er nicht einmal.4 Er fühlt sich nicht einmal angeregt, in Sohms Kichenrecht zu lesen, wenn ich ihm, um ihn dazu anzuregen, einen eigenen Brief schreibe. Was will er also von mir? Überlassen wir ihn seinen weiteren Impressionen; an Greueln und Greueldokumenten wird es ja nicht fehlen. Heute ist er mir nur ein Anlaß, über die verschiedenen Arten der Taubmachung nachzudenken. Vermassung ist Verlust des geistigen Gehörs und der schöpferischen Sprache. Dafür erhält der Taube Fühler und Antennen zum Befehlsempfang und eventuell auch zur Befehlsweitergabe. Das braucht nicht schlimm zu sein, kann im individuellen Fall für ihn sogar eine Wohltat, ja, seine Rettung bedeuten, so, wie es für die Matrosen des Odysseus eine Rettung bedeutete, daß ihre Ohren mit Wachs verstopft wurden. Ich aber bin ein angebundener Odysseus. Begegnung mit Joachim Schoeps: Erst durch Cramer von Laue, dann jetzt durch den (mir als erster Sonntagsmorgengruß entgegenspringenden) Satz aus dem Blüherschen Streitgespräch um Israel 1933 (S. 50): „Und dies (daß die jüdische Auserwähltheit das Vorbild des mittelalterlichen Reiches war) ist auch der Grund, warum ein gläubiges Judentum kaiserlich

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Am Rand: „vgl. 3. 6. 48, 4. 6. 48“. Am Rand: „vgl. 20. 4. 48“. Darüber geschrieben: „Injektionen“. Am Rand: „Analoge Situation 30. 6. 55, als Hans Buchheim mich besuchte.“

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(nicht königlich) gestimmt ist!“ Nein, Joachim Schoeps, das ist nicht der Grund! Der Grund liegt in Joh 19,15. Und das christliche Reich der Kaiser des Mittelalters hatte seine Legitimation als ein katécwn nach 2 Thess 2,6–7. Tragik des j.[üdischen] Assimilantentums seit 1900: sie konnten, als Ganzes, den großen Schritt von Goethe zu Hölderlin nicht mitmachen, sondern blieben in der alten Bildung, mit der sie jetzt die neue kritisierten, aus einem aufreizend ahnungslosen Überlegenheitsgefühl heraus. Sie begriffen nicht den Schritt vom Begriff zur Gestalt und was im deutschen Geist damit gemeint war. Oder sie begriffen zuviel, wie Gundolf. Wenige kamen hier mit, d. h. sie kamen unter die Räder, wie Rosenzweig und J. Schoeps. Wir 1 Deutsche büßen inzwischen à conto Wiedergutmachung (der Deutsche hat inzwischen keine Zeit; er muß jetzt ). Zu Karl Schultes: Er weiß nicht, was er tut, wenn er aus dem trüben Zwielicht einer lizenzierten Öffentlichkeit in das ihm völlig verborgene Dunkel meines Schweigens hineinschießt. Ich gehöre nicht zu den Mücken, die es für ein Glück halten, in dem armen Licht einer solchen lizenzierten Öffentlichkeit herumzuschwirren. 24. 5. 48 An Gerhard Hess in Heidelberg: Ich lese seit einigen Monaten mit wachsendem Vergnügen und sogar Erstaunen den Anti-Lucretius des Cardinals Melchior de Polignac (in einer Ausgabe Paris 1754). Was das Erstaunen angeht, so betrifft es physikalische Probleme des Atoms, des leeren Raumes, der Materie und des Nichts.2 In dieser Hinsicht werde ich meine Eindrücke durch Pascual Jordan korrigieren und kontrollieren lassen. Hinsichtlich des Vergnügens brauche ich mich nicht zu fürchten, denn es sind entzückende Hexameter darin und Formulierungen, die später durch die Enzyklopädisten übernommen und berühmt gemacht wurden, z. B. Eripuit Fulmen Jovi. Aber als geistesgeschichtlich verantwortungsbewußter Invalide des Untergangs des Abendlandes interessiert auch (und vor allem sogar) die Stellung dieses Autors in der Zeit zwischen der ersten und der dritten cartesianischen Generation. Ich weiß nur, daß er um 1697 Gespräche mit Bayle hatte und möchte zu gern etwas mehr wissen. Ich wende mich an Sie, weil Ihr Gassendi in dem Werk auftaucht (Gassendo amatus surculus erroris) … .3 Vielleicht waren die Kardinäle des 17. und 18. Jahrhunderts doch etwas wissender als die arrivierten Sozial-Kapläne des 19. und 20.; Absinken in die Großbürokratie des Zölibats und die Generalvikare des scholastischen Funktionierens. Alles ein Eliten-Problem. Die Juden als Neben-christliche Elite; als mehr oder weniger getreue Platzhalter, wenn die christlichen Eliten ins Legalitäre absinken. Denn auf die Logik, Taktik und Praxis einer leer gewordenen Legalität verstehen sich die Juden auf jeden Fall besser als jedes christliche Volk, das nicht aufhören kann, gegen das Gesetz an die Liebe und das Charisma zu glauben. (Wie sollte der Bußgewinnler Hess das wissen?)4

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Dieser Satz (teilw. Steno) später hinzugefügt. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Stenogr. am Rand: „Auf diesen Brief habe ich keine Antwort erhalten.“ Dieser Satz später eingefügt. Am Rand: „manche helfende “.

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26. 5. 48 Lies irgendjemandem heute, 1948, folgende Sätze vor: „Er sprach viel von Rasse. Er besaß eine vehemente und ausgearbeitete Maschine für die Verbreitung von Prinzipien, die er nicht besaß.1 Was er seine Ideale nannte, war der Bodensatz eines Darwinismus, der nicht nur schon stinkend, sondern bereits giftig geworden war. Daß der Schwache in die Binsen gehen und daß jeder, den er nicht verstünde, ein solcher Schwacher sein müsse, das war die Philosophie, die er polternd sein Leben lang glaubte. Alle seine Ansichten von Religion waren die schalsten Ideen seiner Zeit. Er war ein bescheidener und ehrlicher Rezipient der überstudierten populären Wissenschaft seiner Zeit. Er verbreitete keine Ideen, die nicht irgendein Büroschreiber für ihn hätte verbreiten können. Aber eben weil er keine Ideen zu verbreiten hatte, rief er eine Menschenschlächterei hervor, verletzte er die Gerechtigkeit und ruinierte er ganze Staaten, um – diese Idee zu verbreiten.“2 Jeder wird das heute, 1948, sofort auf den armen Adolf Hitler beziehen und eine treffende Kennzeichnung darin finden. Aber es steht in einer von Franz Blei herausgegebenen Zeitschrift von 1913, der Lose Vogel, Verlag K. Wolff in Leipzig, S. 246, und bezieht sich auf Cecil Rhodes. 27. 5. 48 Sohn dieser Weihe, Du solltest erbeben! Horche und leide! (Th. Däubler, Am Meere). Der Wasserunhold stirbt und Pan hört auf zu schmunzeln (Weihnachtstriptychon). 29. 5. 48 Irgend ein Takt aus einem tieferen, verborgenen Rhythmus von Gerhard Nebels Vortrag (gestern Abend in Werdohl) hat seit gestern Abend nicht aufgehört, in mir zu klopfen. Er setzte während des Vortrages bei der Stelle und bei dem Wort „Erddurchwühler“ ein.3 Jetzt fließt er in das ganz überwältigende Tempo von Theodor Däublers „Äthiopischem Totentanz“. Ich bin sicher, daß große Aufschlüsse eintreten werden, wenn Gerhard Nebel uns diesen Totentanz einmal vorliest. (Mythologie des Zwerges). 30. 5. 48 Glück: Ging weg aus der Predigt. Mein Kind, ohne mich zu sehen, machte es wie ich und ging gleichfalls nach Hause, weil es ihm allzu geschmacklos wurde. Patri succedens. Wen Du nicht verlässest, Genius! ––– Der arme Konrad Weiß mit seinem Gedicht 1933. Hier bricht der verzweifelte Hohenstaufe aus Schwäbisch-Hall, der zertretene süddeutsche Bauer von 1525 los. Der geräderte

Am Rand: „2. 6. 48“. Am Rand: „Rassenideologen: außer Cecil Rhodes noch: Mahan, Lord Rosebery, Lord Milner, Jos. Chamberlain“. 3 Am Rand: „an Nebel geschrieben, 29. 5. 48“. 1 2

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westfälische Wiedertäufer von 1535 schlägt noch einmal um sich, der betrogene Bürger von 1813, der blamierte Demokrat von 1848, der unterlegene Schlachtensieger des ersten Weltkrieges, der um seinen Sold geprellte Landsknecht der Weltgeschichte, das arme, geplagte Fußvolk aller Macht- und Rechthaber, es bricht los und schlägt noch einmal wahnsinnig um sich, bevor es die Identität von Christentum und Judentum anerkennt und als Opfer versinkt.1 Wir waren alle noch ergriffen von dem Satz aus Ernst Jüngers „Strahlungen“, den Gerhard Nebel vorgestern Abend in Werdohl zitierte. Beim Tode seines Sohnes Ernst sagte Jünger: „Der gute Junge! Immer wollte er es seinem Vater gleich machen; nun hat er es besser gemacht.“ Das einfachste, tiefste und schönste Wort, das ein Vater in einer solchen Lage sprechen kann.2 Wie traurig, daß die Lektüre vieler Stellen aus diesen „Strahlungen“ für Gueydan eine große Enttäuschung bedeuten und ihm einen tiefen Schmerz bereiten muß. Welche Verwirrung der sogenannten Fronten!3 31. 5. 48 „Himmel und Erde werden vergehen“ – ist das nicht reinster Nihilismus? „Aber meine Worte werden nicht vergehen“ – ist das nicht reinster Existenzialismus? Immer wieder komme ich auf eine Theorie des italienischen Juristen Gabba zurück: Bei einer occ.[upatio] bell.[ica] ist die Bevölkerung des besetzten Gebietes (zum Unterschied von ihrem bisherigen Staat und von dem Okkupanten) eine eigene dritte Größe; sie kann nicht einfach Objekt sein, wenigstens nicht als zivilisierte Bevölkerung eines zivilisierten Landes. Eigentlich hatte Gabba Recht: Die Bevölkerung des besetzten Gebietes müßte als eigenes Rechtssubjekt konstruiert werden. Denn ihr Zusammenhang mit ihrer bisherigen Regierung (der Regierung des okkupieren Staates) ist prekär.4 Nach einer Debellatio des okkupierten Staates ist überhaupt keine derartige Beziehung mehr möglich. Die Bevölkerung des besetzten Gebietes soll nach der Lehre bekanntlich 2 Herren dienen: dem abwesenden alten in Loyalität und Treue, dem anwesenden neuen in legalem Gehorsam.5 Die Belgier spielten in dieser klassischen völkerrechtlichen Theorie der Okkupation eine so wichtige Rolle. Sie haben 1914–18 aus ihrer besonderen Situation die Bindung an die abwesende Regierung sehr stark als allgemeinen Grundsatz und allgemeines Recht betont. Die ganze Konstruktion einer Doppel-Beziehung wird aber völlig sinnlos, wenn die Staatsgewalt des okk.[upierten] Gebiets vernichtet oder ganz in den Händen des Okkupanten ist. Dann entfällt jede Möglichkeit zur Loyalität und zur Treue, es sei denn, daß man den Okkupanten als Sukzessor in das Recht auf Loyalität ansieht (wogegen Hall!), und es bleibt nur die reine Legalität – gegenüber den Maßnahmen der Besatzungsbehörde!

„und als Opfer versinkt“ später in Steno hinzugefügt. Am Rand eine weitere nicht lesbare StenoNotiz. 2 Nachträglich hinzugefügt: „Vielleicht ein bißchen zu schön“. 3 Später in Steno hinzugefügt: „Aber erst dadurch wird die Sache klar. George ist sein Freund, nicht Jünger.“ 4 Auf nebenstehender Seite schwer lesbarer stenogr. Zusatz. 5 Am Rand: „vgl. 8. 5. 48, wegen Gabba 8. 6. 48“. 1

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Es sollte dann aber selbstverständlich sein, daß die Bevölkerung nicht in einem völkerrechtlichen Nichts einfach verschwinden kann, wenn das Gebiet nicht annektiert wird. 1. 6. 48 Der Feind ist nicht das, was ausgeschieden wird; das Verhältnis von Freund und Feind ist nicht das von Speise und Kot, sondern viel eher das der Mischung und Begattung, die Hochzeitsnacht der Gegensätze; eine heraklitische Orgie. Auch im Bürgerkriege, solange der Krieg Bruderkrieg bleibt. Der Bürgerkrieg ist der große Mischkrieg. Der marxistische Klassenkampf ist kein Bürgerkrieg mehr. Grauenhafter Aspekt dieser Art von Feindschaft; das Gastmahl des Leviathan und schließlich Köppelsbleek, die Schinderkuhle. Der Besiegte wird auf den Mist, oder moderner: in den Mülleimer geworfen, er wird dem Abdecker übergeben. 2. 6. 48 Er wollte sich mit Gewalt in die weltbeherrschende Schicht und in ihr Arcanum eindrängen; er wollte es ihnen nicht entreißen, sondern nur daran beteiligt werden; er wollte aufgenommen werden in den feinen Club, endlich einmal ein ganz großer Herr sein, ein Lord.1 Jenes Arcanum aber lag tatsächlich in der Idee der Rasse. 3. 6. 48 Die Macht ist nicht etwas Böses, sondern etwas ganz Fremdes, dem machttragenden Menschen selber ebenso fremd wie dem machtunterworfenen. Daher die Intensität der Machtkämpfe zwischen Verwandten, zwischen Brüdern, zwischen Vater und Sohn.2 Ich denke an den Kampf Ottos des Großen mit seinen Brüdern, die totgeschlagen werden müssen, an die Ausrottungskriege der roten und der weißen Rose und ähnliches.3 Die Macht ist auch gegenüber dem machtbekleideten Individuum das ganz Andere. Sie ist und bleibt es natürlich auch gegenüber dem machtunterworfenen Menschen. (Hier berührt sie sich mit der Definition Gottes; sie ist eben von Gott). Hier steckt das große Problem: alle Macht geht von Gott oder vom Volke aus (vom Volke im Sinne der Identität von Macht und Ohnmacht, im Sinne der Legitimierung des Befehls durch den Gehorsam). 4. 6. 48 Habe ich denn das Recht, über die Macht zu sprechen? Das kann man wohl sagen. Ich habe alle Arten der Macht am eigenen Leibe erfahren. Ich habe im Bauch des Fisches gesessen; ich habe sie aus der Nähe und aus der Ferne beobachtet. Ich habe immer gute Beobachtungsplätze gesucht und gefunden, auf dem linken oder auf dem rechten Ohr des Leviathan, in seinem Rachen und auf seinem Schwanz. Und schließlich: Ich habe selber niemals Macht gesucht und niemals Macht besessen. Ich sitze auch nicht etwa fern vom Schuß in Sicherheit. Es liegt mir nicht, arme, gequälte Menschen zum Widerstand aufzufordern, während ich mich selber in angenehmster Deckung

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Am Rand: „15. 5., 17. 5., 26. 5., 2. 6“. Am Rand: „vgl. 23. 5. 48“. Am Rand: „Rührend Gerhard Ritter:“.

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befinde. Und wenn ich früher, vor 20 Jahren, öfter das Wort „existenziell“ gebrauchte, so geschah das eben existenziell und noch nicht existenzialistisch. Es war noch näher dem Zimmer Søren Kierkegaards als bei seinen heutigen Verwertern, näher bei Barbey und Villiers als bei den heutigen profiteurs de Léon Bloy. Erinnern wir uns noch jener kritischen Schulmeister, die uns Cicero und Seneca als Feiglinge, Schwächlinge, Opportunisten und bloße Rethoriker anschwärzten? Ein wohlgenährter, wohlsituierter, fest in der Wolle der Vorkriegsprosperität wattierter Professor fand Cicero und Seneca nicht heroisch genug. Seneca fand vielleicht noch etwas Gnade, aber auf Cicero hackten sie los, der große Theodor Mommsen an der Spitze. Exul in patria mea. Wenn man sich mit diesen kalifornischen Rundfunkhelden vergleicht, könnte man ja leicht ins Prahlen geraten. Ich könnte ja im Walt Whitman-Stil vgl.[:] Wer Recht sagt, will betrügen, wer Macht sagt, will enthüllen; der Mächtige spricht nicht von der Macht; denkt nicht über die Macht. 5. 6. 48 Das Wort ist jenseitige Zeichenschaft, ist phonetische Hieroglyphe, ist anteilhaftes Echo an urgründigen Welten; die Kreatur des Wortes bei Konrad Weiß, das Wort zum Unterschied von der neutralisierenden Sprache, wie Theodor Haecker sie spricht, das ist es. Das ist meine hoffnungslose Position innerhalb des neutralisierenden deutschen Katholizismus, dem das Objektive nur noch ein „bürgerlicher Erhaltungsbegriff“ ist. Auch Th. Haeckers Polemik gegen meinen Begriff des Politischen kam aus diesem Neutralismus. Wie einsam stehe ich da, mit dem armen Konrad Weiß. Haecker als Außenseiter triumphierte, selbst der Schwächling Maritain und seine haßerfüllte Raissa. „Jetzt stehst Du nackt, geburthaft nackt, in wüsten Weiten“. 6. 6. 48 Wessen bedurfte die Menschheit, als diese Vernichtungswaffen kamen? Damals der ratio, der Diktatur der Vernunft; heute eines pouvoir spirituel. Damals der Sprung in den Absolutismus; heute in einen um so viel absoluteren Absolutismus. Das wäre der Sprung ins Reich der Freiheit; natürlich nur für die Freien: (4. 9. 47 Shotwell). Der Sprung ins Phantastische, Utopistische, die brave New World Huxleys, oder der Kreuzweg des menschgewordenen Gottes. Die Antwort ist schon gegeben; es ist schon alles vollbracht und du tust nur Antwort. Sie bedarf eines Märtyrers, und nicht eines Napoléon. Der Märtyrer ist ebenso sehr Untermensch (vom herrschenden Typus her gesehen) wie Übermensch (in Wahrheit gesehen). Der Mangel, der kein Nullpunkt ist. Ungeheure Wirkung Napoléons. Macht: Das eigentliche Motiv des Willens zur Macht kann doch nur das Recht zum Verzicht auf die Macht sein. Wir suchen uns der Welt zu bemächtigen, um sie wegwerfen zu können. Jedes andere Motiv ist sinnlos oder komisch. Oder willst du dich etwa der Welt bemächtigen, um sie zu genießen? Na, dann Prosit, du armer Sybarit; die Welt wird dich schon bedienen. Avoir pour savoir. 8. 6. 48 Herrlich Gueydan: Le maquis est une création posthume. Oder: Les attaques de la presse sont un brevet d’honnêteté pour ses victimes. Die Presse verurteilt zum Tode und zur Schande, und die staatliche Justiz vollstreckt das Urteil.

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9. 6. 48 Wir sind ja längst im erfüllten Diesseits, das 18. Jahrhundert, Rousseau und Goethe, alles wunderbare Mythik des wirklichen Daseins. Dann aber drängen sich üble Typen an den schön gedeckten Tisch, und nun ist es zu Ende. Jetzt beginnt wieder das bessere Jenseits. Das ist alles. Die heutigen Praktiker des Mythos, wie Fr. G. Jünger, leben von den Resten und von allzu billigen Träumen. Die armseligen Teufel, die noch einmal Ernst machen wollten mit dem erfüllten Diesseits, sind von den erfahreneren Praktikern dieses Diesseits mit Recht gehängt und verbrannt worden. Das ist alles. Schon Nietzsche gehörte zu den Verspäteten. Der Wille zur Macht ist Wille zum erfüllten Diesseits. Richtig sagt Arnold Gehlen: Jeder Menschentypus kann seinem eigenen Ethos nur dann Genüge tun, wenn er herrscht; alles andere wird moralische Degeneration. Wille zur Macht ist Wille zur potestas directa. Wille zur potestas indirecta, zum bloßen Einfluß, was ist denn das? Wille zur potestas indirecta, steht das vielleicht moralisch höher als der Wille zur potestas directa? 10. 6. 48 An Hanns Winckelmann (mit der Antwort über die Staatssekretäre): zu dem Thema Legalität und Legitimität. Die Legalität wird etwas Selbständiges, Neues; ihre „wertrationale“ Fundierung wird uninteressant. Das Gesetz wird Plan und der Plan Gesetz. Ja, der Plan wird die Verfassung, und es zeigt sich sogar noch mehr: daß nämlich nicht etwa die Planenden herrschen, sondern die Herrschenden planen. Es gleitet nicht nur die Ratio aus dem „Wertrationalen“ ins „Zweckrationale“, sondern ratio bedeutet etwas völlig anderes, sobald sie vom Wert auf den Zweck übertragen wird. Vergessen Sie nicht: Eine ganze Generation hindurch wurde uns nicht nur von Technikern und Industriellen, sondern von bedeutenden Philosophen bewiesen und angepriesen, daß der große Fortschritt in der Funktionalisierung besteht, im Übergang von Substanz- zu Funktionsbegriffen.1 Erinnern Sie sich an das Buch von Ernst Cassirer „Substanzbegriff und Funktionsbegriff“ (1910)! Der Primitive denkt in Substanzen, der Zivilisierte in Funktionen! Und dann noch „ratio“! Eduard Heimann hat neulich im Mai in Berlin einen vom „Sozialistischen Jahrhundert“ im Hause des Wilmersdorfer Bezirksamts veranstalteten Vortrag gehalten mit der These: Da die Vernunft nur eine Wahrheit und nur eine Gerechtigkeit –––– –––– voraussetzt, muß die Spitze der rationalen Gesellschaft unfehlbar werden. Sic. Er sagt wörtlich: „Die Diktatur folgt aus der Vernunft“. Das hätte er schon 1921 in meinem Buch „Die Diktatur“ lesen können. Aber wehe den Diagnostikern! Die Wut auf Ernst Jüngers „Arbeiter“ und vielleicht noch mehr meinen „Begriff des Politischen“ ist die Wut des Kurhausdirektors auf den Arzt, der im Kurort einen Pestfall diagnostiziert. Ich habe alle Kurdirektoren zu Feinden, eine ebenso menschenfreundliche wie bösartige Gesellschaft. Ich störe das Vergnügen von tausend harmlosen Menschen; das Herzleiden einiger Fabrikanten hat sich verschlimmert, als ihnen das Gerücht von dem Pestfall zu Ohren kam. Die Diabetes einiger Bankiers wurde besorgniserregend. Die Blüte mit reizenden, langersehnten Rendezvous im kultiviertesten Marianne von Willemer-Stil ist ruchlos zertreten; also verantworte dich, du elender Verbrecher an menschlichem Glück.

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Stenogr. Notiz am Rand: „Der arme Adolf hat auch hier nur ernst gemacht.“

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Neuer krimineller Tatbestand: Wer menschliches Glücksgefühl auf eine herzlose1 Weise vernichtet, vergreift sich an den Grundlagen der sozialen Ordnung und wird als Feind der Menschheit geächtet. 11. 6. 48 Däublers zwei Brüder-Sonette (an R. Pannwitz und mich) vergebens zu enträtseln versucht. Herrlicher Flug und elender Sturz, beides direkt nebeneinander, besonders schlimm in der Iranischen Rhapsodie.2 Trotzdem: Däubler ist ein Meer mit Seetang, Plankton, Kraken, Heringszügen, Fischlaich, aber auch herrlichen Delphinen; der frühere Rilke ist daneben eine sauber geputzte Goldfischkugel; der duinesische ein Parkteich.3 Kelsens Raisonnement, um zu beweisen, daß Deutschland ein völkerrechtliches Nichts, aber wirklich nichts als Nichts ist und daß nur durch die Alliierten ex nihilio ein völlig anderes Deutschland geschaffen werden könnte, das nichts, aber auch nichts mit dem früheren zu tun hat – der Anblick dieses eifrigen Veranstalters von juristischen Vernichtungsmitteln erinnert mich an die kleinen Gehilfen in den Höllen des Hieronymus Bosch. Da wir aber noch ganz andre Vernichter, Ausrotter, Ausradierer und Zertreter erlebt und überlebt haben, wollen wir ihn sich selbst überlassen. Im 17. Jahrhundert hat Spinoza dem Vernichtungskampf der Spinnen und Fliegen mit großem Genuß zugesehen; das war seine einzige Erholung von seinem Denken. Sie als großer Ento[mo]loge würden heute ebenfalls geneigt sein, das kleine Schauspiel zu genießen. Mich macht es tief melancholisch, und ich sehe lieber weg.4 Entsetzen vor den Gesetzen; vor allem vor der Eigengesetzlichkeit der Gesetzlichkeit. P. Humbert Clérissac, Mystère de l’Eglise; die préface von Jacques Maritain ist mit selbstgefälligen Andeutungen durchspickt; Clérissac war in Maritains Hause Gast; Maritain hat ihm ein Jahr die Messe gedient etc. Sehr schön, entzückend Denis de Rougemont, La Part du Diable;5 sehr schön, viel zu schön und entzückend für das Thema; diese Art, über das Thema zu sprechen, ist dann doch wohl die aufs Äußerste getriebene, unüberbietbarste Durchtriebenheit. Der Prüfstein ist einfach: Riskiert er wirklich die Kollision mit dem ganz konkret erscheinenden Teufel von heute? Oder bleibt er bei der siegreichen Entlarvung des Teufels von gestern und begnügt er sich für heute mit einem allen gemeinen alten, und alles ist des Teufels? Das ist es. Er bleibt posthum; sein maquis est une création posthume, wie Gueydan (in seinen pensées d’un Dékan) sehr hübsch sagt. 12. 6. 48 Abends drückend. [astrologische Zeichen für Jupiter]

Darüber geschrieben: „bestialische“. Stenogr. am Rand: „Perseus besiegt seinen Feind Polydektes, indem er ihm das Medusenhaupt entgegenhält.“ 3 Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. 4 Teilw. stenogr.am Rand: „ ‚des Nichts-Gezirps Urdissonanz‘“. 5 Stenogr. am Rand: „Noch nicht an Jünger geschrieben. Vielleicht ver[führerisch]“. 1 2

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13. 6. 48 Da schreien sie alle, der bösartige Niekisch an der Spitze, daß Nietzsche den Hitler gezeugt habe. Besonders der Übermensch Nietzsches. Aber dieser Übermensch ist doch die selbstverständliche Konsequenz des Glaubens an den Menschen, der sein eigenes Schicksal schmiedet und sich selbst über sich hinaus steigert. Was sagt den[n] Shotwell anderes (vgl. 1. 9. 47)? Kann ein aktivistischer Atheist etwas anderes wollen als den Übermenschen? Leo Trotzki schrieb 1923 Aufsätze und hielt Vorträge (über Literatur und Revolution), in denen er sagte: „Es liegt in der Linie der Entwicklung, daß der Mensch das Dumpfe, das Elementare und Unbewußte verbannt, die Religion durch Wissenschaft ersetzt, das Unbewußte aus der Politik verbannt (durch Demokratie, Parlamentarismus „und schließlich durch die durchsichtig klare Rätediktatur“, sic). „Am schwersten aber hängt die blinde Elementargewalt über dem Wirtschaftlichen; aber sie wird durch die sozialistische Organisation vertrieben. Aber wir haben das alles doch nicht dazu getan, um dann vor den dumpfen Gesetzen der Vererbung auf dem Bauch zu rutschen und zu kapitulieren vor der blinden Geschlechtsauslese. Der Mensch wird auch hier rationalisieren und die dumpfe Todesfurcht bannen. Der Mensch wird alles durchsichtig klar machen und „einen höherstehenden gesellschaftlich-biologischen Typus oder, wenn man will, einen Übermenschen schaffen. Der menschliche Durchschnitt wird sich bis zum Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx erheben; über diesem Berggrat werden sich neue Gipfel erheben.“ So schließt Trotzki seinen Aufsatz über Revolutionskunst und sozialistische Kunst von 1923. Wie traurig dieser Optimismus! Wieviel mehr gefülltes Diesseits ist im Wagnerschen Pessimismus „Heil dir, prangende Erde!“. Nietzsche [war] also nicht nur das Vorfeld des Hitlerismus, sondern auch des Bolschewismus.1 14. 6. 48 Humanismus: Jugenderinnerungen der Latein-Zeit; in Europa erklärt sich das Bündnis von Kirche und Humanismus aus den gemeinsamen Jugend- und Kindheitserinnerungen der Vorkriegszeit vor 1914. Jetzt haben sie alle einen gemeinsamen Feind. Das Christentum, das bei Kierkegaard so intensiv tabula rasa zu machen wußte, so „unmenschlich“ erschien, profitiert jetzt bei Karl Barth, politisch von den Erinnerungen an die Predigten der wohlgenährten und konsolidierten Wahrheitszeugen des 19. Jahrhunderts. Völlig blinder Zufall und genaueste, detaillierteste Planung, beides sind Denk-Gegensätze, wie leer und voll; wir geraten hinein, sobald wir anfangen zu denken; aber die Menschen gruppieren sich nach Freund und Feind, indem sie sich solcher Denkschemata bedienen. 15. 6. 48 Viele spüren, daß der Teil Europas, der Deutschland darstellt, in einer fürchterlichen Dysthanasie zugrunde geht. Wenige wissen, daß die Euthanasie Frankreichs und Englands im Rahmen desselben Vorganges liegt. La France se meurt, ne troublez pas son agonie, sagte Renan vor 60 Jahren. Toynbee sagt im Grunde dasselbe von England. Die Deutschen

1 Über der Seite: „Hitler ist das Riesen-Alibi-Karnickel.“ Am Rand: „Bei Dostojewski sagt Kirilow: Ein Gott wird der Mensch sein und wird sich physisch verändern!“

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sehnen sich heute nach der Euthanasie und beneiden ihre westlichen Nachbarn um deren Schmerzlosigkeit der Agonie, Dysthanasie ist für den Diesseitstyp das große Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wer dagegen Völkern die Euthanasie verschafft, ist der Wohltäter der Menschheit. Hitlers Euthanasien waren Schwindel und deshalb Verbrechen. Aber sein letztes politisches Ziel war Anschluß an das britische Weltreich, Eintritt in die angesehene Firma, endlich ein großer Herr sein, also Beteiligung an der britischen Agonie und Euthanasie.1 An Hans Beyer, der über Gnade und Recht mit Bezug auf Nü.[rnberg] arbeiten will und meint, hier könnte durch „Gnade“ geheilt werden: Das Thema Gnade und Recht ist groß. Ich kann es nicht gut mit N. in Verbindung bringen, solange dessen rechtliche Problematik so ungeheuerlich ist. So lange betrifft N. das Thema „Gnade und Politik“, und das ist freilich ein Strukturwandel der Gnade und etwas anderes als die Gnade, die auf Recht bezogen werden kann. Dann Legalität und Begriff des Politischen, vgl. 28. 4. 48. 16. 6. 48 Ich aber bin kein Ptolemäer; ich drehe keine Scheibe und werde nicht gedreht. Ich bin kein unbewegter Beweger. An Herbert Nette (mit K. Weiß, Kreatur des Wortes): Immer noch beschäftigt mich Ihr Satz: daß wir uns der Sprache als eines Vehikels bedienen, wie die Neger Autofahren oder Radio hören. Dazu ließe sich ein Satz von Karl Marx variieren: Die Emanzipation der Neger hat sich in der Weise vollzogen, daß die Weißen Neger geworden sind. Große Stärkung wieder durch Konrad Weiß, Kreatur des Wortes: der babylonische Turm der neutralisierenden Spracheinheit. „Selbst die Sprachverwirrung ist heute besser als diese babylonische Einheit.“2 Der katécwn ist daran zu erkennen, daß er diese Welteinheit nicht erstrebt, sondern die Kaiserkrone niederlegt. Naiv die Vererblichung der Kaiserkrone; diese wird aber durch die Verbindung mit der Hausmacht-Praxis erblich, und das Haus nicht auch ein katécwn sein? Dann sagt Konrad Weiß zu Theodor Haeckers Sätzen von der Sprache (die doch etwas anderes ist als das Wort und eher zur Neutralisierung neigt): [„]Haeckers Denken gehört in die katholische Literaturbewegung; es ist nicht daraus entstanden, denn Haecker kam als Außenseiter; er hat den früheren Gegensatz zwischen ‚klassizistischer‘ Neutralisierung und einer ‚poetischen‘ Realisierung in dieser Bewegung nicht mitgemacht; aber nun ringt er (während sich die Bewegung vielfach – was man auch sonst von geistig-künstlerischen Entscheidungen der älteren Generation sagen kann – aus Unfruchtbarkeit in der kreatürlichen und geschichtlichen Erkenntnis vom Wort zur Sprache, von der Besonderung zur Allgemeinheit, von der neutralisierten Lebensform dann zur politischen Konfession wendet) nun ringt er mit um eine eigentliche katholische Verschärfung.“ Das ist das geheime Schlüsselwort meiner gesamten geistigen und publizistischen Existenz: das Ringen um die eigentlich katholische Verschärfung (gegen die Neutralisierer, die ästhetischen Schlaraffen, gegen Fruchtabtreiber, Leichenverbrenner und Pazifisten). Hier,

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Am Rand: „Toynbee, 11. 4. 48, 13. 4. 48, 29. 4. 49“. Am Rand: „d. h. doch: Anarchisches Chaos besser als nihilistische Zentralisierung und Satzung.“

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auf diesem Wege der katholischen Verschärfung, kam Theodor H.[aecker] mit mir nicht mehr mit; hier blieben sie alle von mir weg, selbst Hugo Ball. Es blieben mir nur Konrad Weiß und treue Freunde wie Paul Adams.1 17. 6. 48 Zu Güllich: erster Eindruck: die entfesselte Sprache, der äußerst vollmundig gemischte Wortschatz. Ist das pfälzerische rhetorische Leichtigkeit, oder ist es eine Auswirkung von Hitler und Hitlerjugend, die mit Worten zu manipulieren gelernt hat; zweiter Eindruck: das Bedürfnis, Heilbringer und Propheten zu finden und mit lauter Begeisterung gleich als solche zu begrüßen; so treibt er Marshall, Toynbee, W. Lippmann gleich zu Heilbringern auf. Dritter Eindruck: der junge Generalstabsoffizier; exakt, pointiert. Gefahr der Anschmeißerei; der Würdelosigkeit gegenüber Menschen, die nun einmal nicht von uns geliebt sein wollen. An Dr. Wilhelm Schmitz, der mir K. Schultes Schrift geschickt und mich auf die rühmende Besprechung dieser Schrift durch G. Radbruch, SDJZ, April 1948, aufmerksam gemacht hatte: Auch solche Giftmücken wie Schultes haben ihren Sinn oder wenigstens ihre Funktion. Bei Radbruch kommt vieles zusammen, nicht zuletzt ein in verschütteten Kellerlöchern seines Gemüts immer auch unbewußt rumorender antirömischer Affekt. Ein spätsozialdemokratisch, d. h. hilflos gewordener Holsteiner muß die unbefangene Freiheit eines Menschen katholischer Rasse für undurchsichtig, d. h. ihm nicht zugänglich halten und sie zu machiavellistischer Scheusäligkeit mythifizieren. Ich finde das rührend. Sein Landsmann Ferdinand Tönnies, ein Sozialdemokrat alten Schlages, ist ein anderes Format. 18. 6. 48 (An E. R. Huber:) Die Richtung, in der sich meine Gedanken nach der ersten Lektüre von „Idee und Realität der freideutschen Bg“ bewegen, läßt sich am besten mit dem Stichwort „pouvoir spirituel“ andeuten. Ich weiß, wie sehr Ihnen dieses Wort zum Ärgernis werden muß. Aber ich denke ja nicht an längst konstituierte Erscheinungsformen dieses pouvoir. Der ganze sog. Sozialismus des 19. Jahrhunderts ist in seinem Ursprung und Ansatz ein Versuch gewesen, endlich wieder einen p.[ouvoir] sp.[irituel] zu schaffen. Das erste große Dokument des Sozialismus ist nicht das Kommunistische Manifest von 1847, sondern Saint-Simons Nouveau Christianisme von 1825, das ex professo die Notwendigkeit und das Ziel eines neuen p. sp. proklamiert. R. Sohms nachgelassener Band II des Kirchenrechts ist eine Fundgrube für alle Probleme des Verfassungs- und des Verwaltungsrechts. (Dann noch ––– wie: 1. 5. 48, ich habe die Ehre gerettet). 19. 6. 48 Hobbes ist der erste Moderne, bei dem sich der Haß gegen die Ideologen zeigt; aber wundervoll: Haß auch gegen die Ideologen des Widerstandsrechts, die Widerstands-Ideologen, die uns damals wie heute tyrannisieren und fern vom Schuß zur Sabotage aufrufen und ex post zu Verbrechern erklären, weil wir uns nicht entschließen konnten, Saboteure zu werden. Hobbes nimmt sie im Falle des Christentums beim Wort: Verpflichtet für seinen

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Am Rand: „Dazu der Aufsatz von K. Weiß in den Schildgenossen, Herbst 1933“.

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christlichen Glauben zu sterben ist nur derjenige, der ihn predigt. Das ist gar nicht so weit ab von Kierkegaard; jedenfalls hätte Kierkegaard ihm lebhaft zugestimmt. Ein Bußprediger wie Jaspers, der nicht einmal verprügelt worden ist, verdient kein Interesse. 20. 6. 48 Je faisais ce que faisait la magistrature, die große Antwort von Robert Brasillach, das große Problem des Rechtes zum Nicht-Widerstand, des Nicht-Widerstandsrechts. Nicht-Widerstand ist von selbst collaboration. Der Prozeß R.[obert] B.[rasillach] wurde zum procès d’opinion (Jacques Isorni, Avocat à la Cour, hat „Le procès de Robert Brasillach“ 1947 bei Flammarion in Paris veröffentlicht; (p. 167 die Antwort, gegen die der Regierungskommissar M. Reboul nur zu sagen weiß: Il n’y a pas d’ordre légal und die Behörden haben ebenfalls Sabotage getrieben). Die alte, seit vierhundert Jahren gültige Lehre von NichtWiderstand zu vertreten, das wird zum crime intellectuel. Die Kriminalisierung des Angriffskrieges muß fortzeugend immer neue Kriminalisierungen gebären. Der Diabolus ethicus schürte den furor accusandi et persequendi. Ein schönes Dreigespräch zwischen Robert Brasillach, dem Vertreter der Anklage M. Reboul und dem Verteidiger Jacques Isorni; schließlich drücken sich Ankläger und Verurteilter die Hände. Aber erschossen wird doch. Ist das nun das allein Wichtige, daß Brasillach von den Geschworenen zum Tode verurteilt und daß das Urteil vollstreckt wurde? Nein. Das Wichtige ist, daß diese Diskussion veröffentlicht wurde. Bei uns wurde und wird man mundtot gemacht. Ich wäre gern gestorben, wenn meine Darlegung über die Kriminalisierung des Angriffskrieges vom August 1945 damals oder während der Prozesse hätte veröffentlicht werden können. Der geistige Kampf des französischen Republikaners mit dem Faschisten ist imposant; Hilflosigkeit, Embryonalität des besiegten Faschisten; er findet keinen Schutz, aber er findet noch ein öffentliches Verfahren. Ich glaube, daß die Stelle über die Republik als Hure bei den Geschworenen stimmungsmäßig den Ausschlag gegeben hat. In der Sache M. Reboul: le crime intellectuel: la trahison des clercs; vous déchiriez un souvenir de vousmêmes, le souvenir qui nous est commun, celui que nous avons tous, les intellectuels, celui de l’étudiant de vingt ans, qui, s’il est affamé de savoir, peut se rassasier en France parce que toutes les portes du savoir lui sont ouvertes et que la tyrannie n’en ferme aucune (p. 166). Es wäre lehrreich, diese Argumentationen und Gesichtspunkte auf Deutschland zu übertragen. Könnte es einer wagen, mir Analoges entgegen zu halten? Heute, die Lizenzträger von 1945 als die Helden des freien Wortes! Radbruch als Maquis. Größe des heutigen Deutschlands; redet über mundtot gemachte frühere Kollegen. 21. 6. 48 Ein häßlicher Stich, als Gerhard Nebel mir schrieb, er habe, mit Gebhard zusammen, vergeblich den Sinn der Cumäischen Sibylle von Konrad Weiß zu finden gesucht: „Ich kann mir nicht helfen, das ist ein Schwindler. Da lobe ich mir meinen Friedrich Georg“. Sic. Weiß bleibt der große Prüfstein. Entsetzliche Einsamkeit dieser Erkenntnis. Iskar kommt, mit Freundesblick. Lockend schwingt er seinen Strick. Folge mir, ich weiß das Loch, durch das Thomas Hobbes kroch.

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22. 6. 48 Ernst Jünger spricht öfters (in den Gärten und Straßen, in den Strahlungen z. B. 9. 12. 43) von der ordnenden Kraft meiner Gedanken und meiner Fähigkeit zu definieren. Viele haben diese Kraft bemerkt und auch davon gesprochen. Aber sie sahen mich nur in der Öffentlichkeit, in der Darbietung und Darstellung meines Faches und Berufes. Sie sahen nicht mein hartes, zerstörtes Privatleben, das ich jener Ordnungsaufgabe geopfert habe. Das hat der alte am Zehnhoff gesehen, der mir sagte: Ich habe in meinem langen Juristenleben keinen Menschen kennen gelernt, der mehr Ordnung in seinen Gedanken und Begriffen hatte als Sie, aber auch keinen, der mehr Unordnung und Durcheinander in seinem Privatleben gehabt hätte. Das sind aber erst die antithetisch-vordergründigen Aspekte. Noch etwas weiter zurück würde man wohl auf eine Wüste stoßen, aus der in der bisherigen Weltliteratur nur im Geistlichen Jahr der Annette ein Schrei ans Ohr der Menschen gedrungen ist. Die erste Voraussetzung für die Fähigkeit zu guten Definitionen ist eine seltene Fähigkeit: zur Ausgrenzung des Unbegrenzbaren. Das ist der sowohl praktisch wie dialektisch überaus schwierige Anfang. Mit ihm setzt jede bedeutende Definition ein. Diese Schwelle vermögen nur wenige zu überschreiten. Das Gehegte und Hegbare vom Ungehegten und einer Hegung nicht Zugänglichen unterscheiden; das ist die erste aller Unterscheidungen, so, wie für den Stoiker alle Tugend damit beginnt, den Bereich der eigenen Macht zu unterscheiden von dem, der unserer Macht entzogen ist. 23. 6. 48 Körper und Seele des Menschen sind wie ein Musikinstrument, auf dem unsichtbare Spieler in geheimnisvollem Spiel eine für uns, als Instrument selbst, oft lustvolle, oft sehr schmerzhafte Musik machen. Unser Schmerz oder unsere Lust hat aber mit der Melodie nichts zu tun. Schön. Dann kann man also die Menschen einteilen in solche, die Geigen und Streichinstrumente und andere, die Holz- oder Blechinstrumente oder Schlagzeug sind. Die Verbreitung der Vorliebe für Jazzmusik ist nur ein Symptom dafür, daß sich die Masse der Menschen als Schlaginstrument in den Händen grauenhafter Machthaber fühlt. Tatenarm und gedankenvoll; die dialektische Gegenprobe stimmt: Gedankenarm aber Tatenreich. Da ist mir Genovevas Schmerzenreich eigentlich noch lieber.1 24. 6. 48 Jede Macht-Theorie des Rechts löst die Macht in Kausalität auf? Gewiß, aber in Göttliche Macht als causa prima. Nur eine Macht gibt dem Recht die Weihe.2 Nur die Macht investiert das Recht, bekleidet das Recht! Das nackte Recht ist fürchterlicher als die nackte Macht. Das Recht als solches gegen die Macht als solche ist die große Umkehrung, die sich das 19. Jahrhundert geleistet hat, für den Besiegten, d. h. für Satan gegen Gott, Byronimus und Proudhonismus, Burckhardt. Kausalität ist eben Macht. Das wußte Hobbes. Die ganze Welt muß nach Einem einzigen Bild gedacht werden. Das Gesetz der Kausalität ist nur ein für mechanistische Experimente formuliertes Gesetz der Macht.

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Der letzte Satz später hinzugefügt. Am Rand: „vgl. 17. 5. 48“. Am Rand: „vgl. 27. 4. 48, 23. 5. 48, 5. 8. 48“.

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Incidenter: (Der Haß, den Kaete E.[isler] gegen mich hegt und schürt, kann ja keine Grenze mehr kennen. Es ist der Haß der Jüdin gegen den Deutschen, gegen den römischen Katholiken, gegen den Bauernjungen, gegen das períyhma. Aber zu allen diesen objektiven Motiven kommt dann noch das allerprivateste, durch das die Hysterie perfekt werden muß: der Kampf um die Seele des Mannes, der Haß der Frau gegen den Freund des Mannes). Macht: der Atheismus des Lukan: Sunt nobis nulla profecto Numina (VII, 445), gegen die Götter; sed victa Catoni; der Sanctus Cato (VI, 311); die surdae aures Coelicolum; Mortalia nulli Sunt curata Deo; habemus vindictam, „quantam terris dare numina fas est[“]!! (VII, 455/6). Mentimur regnare Jovem! (VII, 447). „Lasterthat im Gewande des Rechts, wo mit siegenden Fäusten sich ein gewaltig Volk die Eingeweide durchwühlte“, so übersetzt der junge Hölderlin (Hellingr.[ath] Bd. VI, S. 120): jus que datum sceleri canimus, populumque potentem. In sua victrici conversum viscera dextra. Diese Übersetzung ist eine Kostümierung ins Barocke! Ein Rhetor wie Lukan wirkt daneben sehr sachlich; die dextra, der rechte Arm, wird zur Faust; das jus „dare“ zum Gewand; potens, mächtig, wird gewaltig; das scelus „Lasterthat“; jus und fas nicht unterschieden! Unterschied dieser wehenden Barock-Gewandung von der antik-rhetorischen Geste: diese geht nicht ins Unendliche, bleibt im Rahmen. Knirscht, aber ruft nicht nach einem Echo aus dem Unendlichen. 25. 6. 48 Ich aber will bei mir die Saat der Freiheit bauen. Mein einziger Genosse bleibt ein Dohlenschwarm. Ich mag sein Kommen und sein Immermehrverblauen. Gelt, Luftbettler, wir bleiben immer stark und arm. (II. 495) Gelt, Luftbettler! 26. 6. 48 Hoffnungslos der Fall der einzigen Söhne des Bourgeois, Vollmonaden, voller Maden, umhegt, wattiert; der Bauer hat nur ein Kind, der Bourgeois hat nur diesen einen Sohn. Fils de famille, hoffnungsloser Fall. Damit soll ich die Zeit vergeuden?1 Wiederbegegnung mit Theodor Däubler; erst jetzt entfaltet das Gespräch von 1912 seine ganze Fülle und Präsenz. Jamjam hiscit flammeus! 27. 6. 48 Nicolaus Sombarts Capriccio gelesen, erinnert mich an den jungen Walter Fuchs; es kommt nicht viel dabei heraus. Traurig der Gedanke, daß dieser Junge, den ich liebe, unter die Fruchtabtreiber gegangen ist; er hat einen herrlichen Keim echter wissenschaftlicher Intuition (die Existenz gegen den Apparat) literarisch abgetrieben, aus Ungeduld, Bequemlichkeit, Genußsucht, Eitelkeit und Darbietungsbedürfnis seiner knabenhaften Mysterien des Umgangs mit Mädchen.

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Stenogr am Rand: „der junge “.

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Hinter der oft so abstrakt und allgemein gestellten Frage, ob nur Staaten oder auch der Einzelne Subjekt des Völkerrechts ist, steckt die sehr konkrete, tiefere, unheimliche Frage, ob der Einzelne auch selbständig über Krieg und Frieden entscheiden soll, ob er ein eigenes jus ad bellum hat, d. h. das Recht und sogar die Pflicht zum Widerstand, jawohl, Rückkehr zum Privatkrieg. Da steht er nun mit seiner ehrenvollen Subjektivität hilflos zwischen den objektiven Mächten und wird von ihnen in Stücke gerissen. 28. 6. 48 An Gerhard Günther: Magie und Raum gehören zusammen, nicht Magie und Zeit. Ich, hier –––––– in Plettenberg, in den Bergen an der Lenne, verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum. Die Zeit fällt von mir ab, der Raum kommt auf mich zu und hält mich umfangen. Er hegt mich. Können Sie mich nicht als „Primitiven“ einmal hier vernehmen lassen und zum Objekt Ihres Forschungsinteresses am magischen Denken machen? Der Raum ist das Paradies; die Zeit ist die Hölle. Grenze ist Magie. Es gibt keinen leeren Raum, wohl aber eine leere Zeit. Recht ist Ordnung, d. h. Ortung, vgl. das Korollarium 1 zum Nomos der Erde. Die beiden Jäger auf S. 23 von Land und Meer sind mythisch, und nicht nur Mythologie. Soviel seit Jahren vom Mythos geredet wird, ich kenne nur einen, der ihn als Dichter verwirklicht, Theodor Däubler, bei dem die Zersetzung und Selbstzersetzung der großen Philosophie des deutschen Idealismus theogonische Umsetzungen entfesselt. Vor 32 Jahren habe ich über Däublers Nordlicht eine Broschüre veröffentlicht, die ich 1925 habe einstampfen lassen. Heute begegnet er mir mit großer Gewalt von Neuem, und in der Broschüre stehen ganz andere Dinge als ich damals dachte. Däubler ist übrigens der erste, der die Magie des Wortes „Raum“ verwertet, lange vor den Expressionisten und vor Rilke. Aber, jedoch und trotz alledem: die lieben Deutschen kenn ich schon etc.1 29. 6. 48 Weitere Regeln des Don Capisco: Hüte dich vor jedem Lautsprecher;2 hüte dich vor jedem Mikrophon, das deine Stimme in die falsche Öffentlichkeit trägt. Jeder Lautverstärker ist ein Sinnverfälscher. Die Weltöffentlichkeit, das ist Betrug der Welt. Was in der Welt ist, ist des Teufels. Das trifft heute ebenso wieder zu wie im Jahre 63, zur Zeit Neros, Senecas und des Apostels Paulus. Heute sind die schönen christlichen Kreaturierungen des Mittelalters restlos wieder beseitigt und assimiliert. Hüte dich aber auch vor dem falschen Echo, das in den Windungen der Katakombengewölbe entsteht. Gestern abend bin ich der Ungeduld der Gerechtigkeit fast erlegen, als ich wieder Fr. de Vitoria las, die 7 tituli idonei et non idonei,3 und den grauenhaften Mißbrauch seiner Lehre vom gerechten Krieg von neuem erkannte, besonders die 5 Dubia circa justitiam belli und die 9 Dubiosa quantum liceat in bello justo.4 Wer vom gerechten Krieg spricht und nicht zeigt, daß ihm diese ganzen Dubia und Dubiosa zum praktischen, moralischen und geschichtlichen Bewußtsein gekommen sind, hat keine Autorität mehr auf seiner Seite.

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Der letzte Satz später hinzugefügt. Am Rand: „vgl. 3. 5. 48, 22. 7. 48“. Gemeint wohl: „non idonei nec legitimi“. Am Rand: „vgl. 3. 8. 48“.

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Umso deutlicher wird der ideologische Betrug, der in der Ausnutzung und Verwertung aller dieser dubiosa liegt; in dem Kunstgriff, dessen sich auch Fr. de Vitoria schon bedient: omnia cedunt in favorem et jus justum bellum gerentium. Mit Hilfe dieses Satzes wird es auch nach dem sonst so vorsichtigen Fr. de Vitoria zulässig, die Kriegsbeute nicht auf die Reparations- und Requisitionsforderungen anzurechnen (si licite sunt capta, puto quod non sunt obnoxia restitutioni). So der große Theologe in De jure belli, 2. dubium quantum liceat in justo bello. Tantum licet in bello justo!! Vielleicht läßt sich mein peccatum mit Hilfe dieses Satzes feststellen und damit die Frage beantworten, die mich seit Jahren quält, die Frage nach der unerklärlichen Feindschaft, die alles was ich sage, hervorruft? Was habe ich also Schlimmes getan? J’ai montré la porte secrète de ce sanctuaire écarté où se jugent les perplexités de la justice et tous les problèmes, pour lesquels Thémis n’a pas de balance: car si on les montre, l’avide intérêt et tous les sophismes des passions forcent bientôt la porte et violent la conscience dans son dernier asile.1 Ich denke immer noch über Fr. de Vitoria nach, über seine 7 tituli non idonei und die 7 tituli idonei, über die 5 dubia circa justitiam belli und die 9 dubia „quantum liceat in bello justo“. Dann befällt mich tagelang die Ungeduld der Gerechtigkeit. Das ist die Form der Verzweiflung, die mein Beruf als Jurist mit sich bringt. Ich möchte aber nicht daran sterben, wie der arme Max Weber, den ich 1920 daran habe sterben sehen. Damals fand ich es sehr töricht, sich davon verzehren zu lassen und buchstäblich zu vergehen. Jetzt erfahre ich die inzwischen fällig gewordene Belehrung. An G. Krauss: Halten Sie es für ganz unmöglich, einem katholischen Moraltheologen Interesse für das Thema „Legalität“ beizubringen? Welcher Orden kommt denn dafür in Betracht? Wenn ich mir die Haltung und die Wirkung Vitorias überlege, muß ich vor den Dominikanern erschrecken. Ich fürchte jetzt, daß mein Kapitel über Vitoria im „Nomos“ viel zu schonend, rücksichtsvoll und fast verschleiernd ist, und dadurch seine Kraft verliert. Was dort sehr unauffällig über Nys, James Brown Scott (und damit über Jackson) gesagt ist, bedeutet doch in der Sache ebensoviel wie das, was Augustin Cochin, Valléry-Radot und der frühere, noch nicht erschlaffte Bernanos gesagt und getan haben. Aber wer hört das? Die Dominikaner betrachten Vitoria als Haus-Heiligen und Prestigeangelegenheit. Was soll man da als Laie tun? Ubi nihil vales, ibi nihil velis. Ich könnte an Vitoria zeigen – und zwar an seinen eigenen Worten, insbesondere den 5 Dubia circa bellum justum und den 9 Dubia „quantum liceat in bello justo“ –, daß der gerechte Krieg der totale Krieg ist, aber wen interessiert das? Habe ich Sie schon nach dem Buch von Höff[n]er über Vitoria gefragt, das den vertrauenerweckenden Titel trägt: Christentum und Menschenwürde? Ich kenne es noch nicht. Nach meinen bisherigen Erfahrungen ist neun Zehntel alles dessen, was heute über Vitoria geschrieben wird, ein unverschämter Schwindel, wissenschaftlich gesehen reiner Schund und nur elendestes Mitläufertum. Gerade in der Konjunktur, die James Brown Scott geschaffen hat. Es ist eine große Schande. Ich fürchte, selbst Gurian wäre zu intelligent, das mitzumachen. Umso eifriger unsere autochthonen Nutznießer der Psychose des Jahres 1945.

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Am Rand: „an Günther 30. 8. 48, an Forsthoff Juli 48“.

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Sie vergleichen meine Lage mit der des ausgepfiffenen Rossini. Das ist nicht richtig. Diffamierungen und Todesurteile erfolgen heute durch die Presse; die staatliche Justiz vollstreckt sie nur. Mein Bruder findet die Captiva Captivitas viel besser und lesenswerter als E. Jüngers „Strahlungen“, weil Jünger eben nicht in Gefangenschaft war. Der Pour le Mérite hat seine neuen Formen schon gefunden und Kierkegaard hat das alles schon 1848 deutlich genug ausgesprochen. 1. 7. 48 Ich habe seit 19361 Schweres erlebt und bin mehrmals von dem Leviathan verschlungen worden, der das Objekt meiner wissenschaftlichen Beobachtungen und Forschungen war und es dadurch noch mehr wurde. Die Jagd, deren Wild ich seit Jahren bin, hat mich etwas ermüdet.2 Doch bin ich noch im Stande, Recht und Unrecht zu unterscheiden, was meine Verfolger anscheinend nicht mehr können. Ich bin auch noch im Stande, meinen Jäger begrifflich zu klassifizieren. Der arge Betrug des ersten Eheversuchs; hat er eine Parallele mit der Selbsttäuschung, die in der Zusammenarbeit mit Frank enthalten war? Oder war der Betrug nur eine Begleiterscheinung eines geheimen Willens zur Selbsttäuschung? Zum Billig-Spielen? Zur Unfähigkeit, andere zu täuschen und zu enttäuschen? Zur Wehrlosigkeit gegen die Überrollung durch dreiste Inanspruchnahmen? War ich zu schwach, um den Mut zu haben, andere zu enttäuschen? Das falsche Mitleid mit dem durchschauten Betrüger? Das entsetzliche Mitleid mit dem erfolglosen Angebot? Warum tut mir der kleine Ladenbesitzer, der vergeblich auf den Kunden wartet, so entsetzlich leid, während mich der vergeblich um Ware bittende Kunde gleichgültig läßt, obwohl wir doch immer nur auf der Kundenseite waren? Kann das psychologischer Zufall sein, Nachwirkung des traurigen Blickes, den ich als Kind bei einem kleinen Kaufmann sah? Oder liegt es in der Erkenntnis, daß der Kaufmann dem Risiko, dem er vertraut hat, jetzt verfällt, das tiefe Gefühl dafür, daß er ein Opfer der Täuschungen des angeblich freien Marktes ist, daß Kaufen besser ist als Verkaufen, Geld (bis zur nächsten Währungsreform) besser als Ware? Alles das ist die Fülle der in solchen Affekten steckenden Einsichten, Erfahrungen, Diagnosen, Berechnungen und Prognosen. 2. 7. 48 Theodor Haecker, Der Buckel Kierkegaards, Geleitwort von Richard Seewald, Zürich, Thomas Verlag, Anno Domini MCMXLVII. Das also war des Pudels Kern! Kierkegaard hatte einen Buckel und Theodor Haeckers letztes Wort über Kierkegaard betrifft diesen Buckel und den Geist, den der Buckel sich gebaut hat. Dazu noch eine tapsige Einleitung des Herausgebers dieser Buckel-Schrift, Richard Seewald, eines schlechten pseudomodernen Malers, der Theodor Haeckers zerbrochene Nase neben jenen Kierkegaardschen Buckel stellt. Hier haben wir also endlich den Pfahl im Fleische dieser unerbittlichen Geister, dieser radikalen und anspruchsvollen Polemiker, das 100 Jahre lang erfolgreich verschwiegene Arcanum eines Extraordinariats, den geheimen Motor dieses Existenzialismus!

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Überschrieben: „1943“. Am Rand: „an den Golombek“.

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Das letzte Wort Theodor Haeckers betrifft den Buckel Kierkegaards! Si tacuisset, magnus Ironicus mansisset. (Aber ich bin gegen die Polemik schon so empfindlich geworden, daß für mich jedes o si tacuisset auf den zurückfällt, der es einem andern zuruft. Das war doch das Trübe an Kierkegaard, das fortwährend weiterredende Schweigen.) Theodor Haecker wollte mit seinem letzten Wort nur den nicht- oder noch-nicht-katholischen Kierkegaard treffen, den radikalen Polemiker, den Liebhaber des Absurden, den intoleranten Protestanten. Und Haecker meinte es so gut, machte es so taktvoll, hatte so recht mit seinen Einschränkungen der Beachtlichkeit des Buckels. Aber das hilft ihm nichts. Er hat den Buckel enthüllt, eine hamitische Tat an seinem erzürnten Vater. O si tacuisset. Ich kenne meine Zeit. Diese Nennung eines Pudendum zerstört den Mythos Kierkegaard, der schon so gut wie vollendet war. Ich kenne den Geist der Zeit. Haecker hat ihn mit besten Absichten aus Taktlosigkeit zum zweiten, schlimmeren Male seinem eigentlichen Feind, der Journaille ausgeliefert, diesmal nicht dem offenen Hohn und Spott, sondern dem sicheren Triumph nicht nur aller Psychoanalytiker, sondern aller Geist-Leib-Seele-Forscher, Nietzscheaner, aller Eugeniker, Biologen und Gestalt-Gläubigen, vor allem jener Menge der Gebildeten, die längst nicht mehr von der leiblichen Gestalt absehen können und die sogar, katholisch gesprochen, Recht haben. Denn der Buckel bewirkt doch wohl eine Irregularität ex defectu corporis propter deformitatem (Can. 984), wobei wir nicht streiten wollen, ob es ein gravior defectus war. „Nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehungen“ (Nietzsche); soll das heißen: wo Krematorien und Aschenurnen sind, gibt es keine? Verbrennung, Einäscherung, ist Vernichtung der Auferstehungsmöglichkeit. Hätte Nietzsche sich begraben1 lassen? „Für die Wiedergeburt ist das Rechtsprinzip des römisch-jüdischen Geistes ein größeres Hindernis als das Satanische“ (Walter Schubart, Dostojewski und Nietzsche, 1939); das wäre also der Feind; Bruno Bauer käme dem nahe. „Das Leben kräftigt sich aus dem Born des Bösen; lieber das Böse als das Bürgerliche, die Mitte“, das sagt Nietzsche und Schubart stimmt ihm zu im Namen Dostojewskis. „Aber in unsere Hand ist es nicht gegeben, was wir in unser Bewußtsein aufnehmen und was nicht“ (W. Schubart). 3. 7. 48 Für die vielen Tagebuch-Schreiber: Es schnurrt mein Tagebuch Am Bratenwender: Nichts schreibt sich leichter voll Als ein Kalender ([Goethe,] Sprüche in Reimen, Zahme Xenien IV). 4. 7. 48 Wer zuletzt lacht, lacht am besten, so sagte Churchill. Und wer zuletzt nicht zu weinen braucht, steht noch besser da. Wir brauchen nicht zu weinen, weil wir die Atombombe

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Wohl gemeint: „verbrennen“.

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nicht geworfen haben. Der arme Churchill hat sie nicht geworfen, aber er war auf dem ersten Sprung dazu.1 Hitler ist das grauenhafteste Ergebnis deutscher Anglophilie. Wer Gott sagt, will betrügen. Von Gott ist nämlich nichts zu sagen. Auch der Gottesleugner will von Gott sagen; auch er will betrügen. 5. 7. 48 Däubler ist mehr Sprache als Wort; Konrad Weiß ist nur Wort, kaum Sprache. Die Theologen suchen das Wort Gottes zu einer Dogmensprache zu machen. Sprache ist Rhythmus; Däubler vom Rhythmus getragen, nicht vom Ton gehalten; Rhythmisch und harmonische Akkorde. 7. 7. 48 Der Handgriff ist mir jetzt klar: volle Ausnutzung aller Neutralisierungen, verbunden mit der Besetzung des dezisionistischen Befehlspunktes. Also z. B.: Einführung des Glaubens der Gottgläubigkeit; das ist als ideologischer Inhalt das Neutralste und in sich selbst Entscheidungsloseste, was es heute in Europa nur geben kann; es kann sogar gegenüber der Alternative von Theismus und Atheismus im Grunde neutral und unverbindlich sein; schließlich sind sie alle, Christen, Juden, Pantheisten, Deisten, irgendwie gottgläubig. Jetzt aber kommt die dezisionistische Besetzung dieses Punktes: was gottgläubig ist, bestimme ich; ein frommer Jude ist plötzlich nicht mehr gottgläubig, obwohl er das Gottgläubigste ist, was man sich denken kann. Dann der Fragebogen: Sind Sie gottgläubig oder nicht usw. Das Schaltwerk des Terrors gerät in Bewegung. 8. 7. 482 Gesang des Sechzigjährigen. Ich habe die Eskavessaden des Schicksals erfahren, Siege und Niederlagen, Revolutionen und Restaurationen, Inflationen und Deflationen, Ausbombungen und Diffamierungen, Regimewechsel und Rohrbrüche, Hunger und Kälte, Lager und Einzelhaft. Durch alles das bin ich hindurchgegangen, Und alles ist durch mich hindurchgegangen. Ich kenne die vielen Arten des Terrors, Den Terror von oben und Terror von unten, Terror auf dem Land und Terror aus der Luft, Terror legal und außerlegal, Brauner, roter und gescheckter Terror, Und den schlimmsten, den keiner zu nennen wagt. Ich kenne sie alle und weiß ihren Handgriff.

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Dieser Satz nachträglich in Steno eingefügt. Am Rand: „vgl. 12. 1. 48, erster Keim“.

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Ich kenne die Sprechchöre der Macht und des Rechts, Die Lautverstärker und Sinnverfälscher der Regime, Die schwarzen Listen mit vielen Namen Und die Kartotheken der Verfolger. Was soll ich nun singen? Den Hymnus Placebo? Soll ich problemlos werden und Pflanzen und Tiere beneiden? Panisch erbeben im Kreis der Panisken? Im Glück der Mücke, die nach innen hüpft? Dreimal saß ich im Bauche des Fisches. Dem Freitod durch Henkershand sah ich ins Auge. Doch schützend umfing mich das Wort der sibyllinischen Dichter, Und rettend öffnet die Tore ein Heiliger mir aus dem Osten. Sohn dieser Weihe, Du sollst nicht erbeben! Horche und leide! 11. Juli 1948 C. S. 10. 7. 48 Der Tod von Georges Bernanos (am 5. Juli 1948). Als er in Genf aufgetreten war, wußte ich, daß das sein Ende bedeutete, und er war anständig genug, das Ende nicht mehr lange zu überleben.1 Schutz gegen eine totale Macht gibt es nur bei einer mindestens ebenso totalen GegenMacht; sonst nur in der Benutzung der inneren Brüchigkeit jeder Totalität durch das freie Individuum, also Sabotage. Ein herrliches Feld für den furchtlosen Dialektiker und für Partisanen des Weltgeistes wie Bruno Bauer, nicht für lizenzbedürftige Eunuchen. Ein wunderbares Thema: der Ansatz zum Absprung ei¬v a¢llo génov.2 14. 7. 48 Herbert Guthjahr saß auf dem Ehrenplatz des gefallenen deutschen Soldaten, dessen Ruhm und Ehre um so größer wird, je tiefer die Welt sich durch die Beschimpfung dieser Helden und Märtyrer selbst erniedrigt.3 Das Prinzip, keinen PG zum Professor zu ernennen, muß ewig gelten, denn das Interesse an der Fernhaltung tüchtiger Professoren wird ewig sein. Soviele Dummköpfe ich kennen gelernt habe, in Deutschland wenigstens war keiner unter ihnen, der nicht den Wunsch und den Ehrgeiz gehabt hätte, Professor zu werden.

Am Rand: „an Adams geschrieben“. Später erneut hinzugefügt: „Ei¬v a¢lla génov“. 3 Am Rand: „ 3 an Hannes Schneider mit dem Gesang des 60jährigen. Ebenso an Forsthoff.“ 1 2

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Prof. Trainin (Moskau) hat recht, wenn er sagt, daß meine völkerrechtliche Großraumtheorie in den Vereinigten Staaten übernommen worden ist (Moskauer Wissenschaftliche Akademie, Dez. 1947). Walter Lippmanns Atlantischer Großraum ist das beste Beispiel. Trainin ist der wahre Urheber der Verbrechenskonstruktionen des Londoner Statuts vom August 1945 und damit der Grundlage der Nürnberger Prozesse. Der wahre Gerichtsherr in Nürnberg war die Sowjet-Union. Die wahren Entnazifizierer waren Kommunisten; die anderen waren nur Mitläufer des Kommunismus. Ich sollte auf meine alten Tage diesseitig werden? Ich, der von Kindheit an ein UltraMontaner war? Nur sind diese Berge nicht mehr die Alpen, sondern der Himalaya. 16. 7. 48 Die schrecklichste Veränderung der Welt, die durch eine kopflose Machterweiterung bewirkt wird, liegt darin, daß Dinge sichtbar, hörbar, vernehmbar gemacht werden über das Maß unserer physisch gegebenen Sinne hinaus; vernehmbar und damit besitzbar. Der neue Eigentumsbegriff oder vielmehr: die Beherrschung von Funktionen. Cujus regio, ejus economia, jetzt: cujus economia,1 ejus regio. Das ist der neue Nomos der Erde; kein Nomos mehr. 17. 7. 48 From Status to Contract; From: cujus regio to: cujus economia = industria.2 Wieder: les problèmes pour lesquels Thémis n’a pas de balance, wieder la porte secrète zu diesen Problemen. Ich habe sie gezeigt, diese Probleme und diese porte secrète. Darin liegt vielleicht das Arcanum meiner Lebensarbeit und meines von ihr unabwendbaren persönlichen Schicksals.3 Das hätte mir 1921 ein erfahrener Lehrer der Rechtswissenschaft zurufen sollen, als mein Buch über die Diktatur erschien. Maurice Hauriou hätte es gekonnt. In Deutschland war keiner. Die einzigen, die die Kraft dazu gehabt hätten, Karl Binding und Max Weber, waren in ihre eigene Problematik zu tief verstrickt.4 Nun, es genügt, wenn ich es heute einigen sage (z. B. Forsthoff). 19. 7. 48 Was bedeutet denn: Collaborateur oder Collaborationist? Das Wort besagt doch nur: Mitarbeiter, und da wir alle Arbeiter geworden sind, müssen wir auch alle Mitarbeiter werden. Und da wir im Weizsäcker-Prozeß den politischen Widerstand durch Mitarbeit gefunden haben, so sind wir auch alle Widerstandskämpfer. Für den Arbeiter gibt es nur ein einziges Unglück, nur eine einzige Angst und Sorge: die Arbeitslosigkeit. Machen wir uns nichts vor: Jeder sieht sich heute restlos auf sich selber reduziert. Das ist die Stunde Max Stirners oder Kierkegaards oder Senecas, und für die Masse dieses auf sich

Darunter: „industria“. Darüber eine nicht lesbare stenogr. Notiz. 3 Am Rand: „20. 8. 48 Jünger“. 4 Der folgende stenogr. Satz nicht klar lesebar: „Auch ohne Erfahrung des Bürgerkrieges. Sie hatte nicht einmal 48 D.“ Am Rand: „Forsthoff “. 1 2

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zurück-geworfenen Wurfes sind dann die Cocktail-Mischer aktuell, wie Sartre, der aus Stirner, Heidegger und Maquis; Agnostizismus und solipsitische Angeberei. Litérature engagée ist heute jede, die nicht deutsches períyhma ist. Ich bin nicht Herr dessen, was in mein Bewußtsein dringt und nicht dessen, was mir unbewußt bleibt. Mein Bewußtsein steht nicht in meiner Macht. Ich kann deshalb auch nicht, wie der Stoiker es will, unterscheiden, was in meiner Macht steht und was nicht in meiner Macht steht, und auf Grund dieser Unterscheidung jenes beherrschen und dieses hinnehmen. Jede Macht ist transzendent; das Transzendente ist Macht; jeder Versuch, der Macht zu entgehen, wird ein Macht-Versuch; jede Bewegung, die auf Verhinderung oder Beschränkung der Macht gerichtet ist, wird zur Machtergreifung. Es hat keinen Sinn und ist sehr gefährlich, politischen Mythen entgegenzutreten. 20. 7. 48 Vgl. Henry Adams (The Education of Henry Adams, ch. IX, foes and friends, 1862): For if Mr. Lincoln1 was not what they said he was – what were they? Unterschied von Konrad Weiß und Theodor Däubler: Konrad Weiß: ihn hält ein Ton; er ist Wort; Theodor Däubler: ihn trägt ein Rhythmus; er ist Denken und Sprechen und kosmische Strahlung. 21. 7. 48 Sorge dich nicht: der Leviathan – lang sei sein Schatten –, also der Leviathan wird schon für mich sorgen. Schon hält er eine ehrenvolle Unterkunft in einem Stacheldraht-Prytaneum für mich bereit. Dort wird er mich auch „unterhalten“, mit Speisen und Getränken, die seiner würdig sind.2 Die wichtigste Voraussetzung, Ursache, Folge und Auswirkung der Hegung des Landkrieges war doch die Beschränkung des Feindbegriffes. Der wirschaftliche Konkurrent ist auch im Kriege nicht Feind. Das ist erstaunlich. Für den Seekrieg dagegen ist er Feind, und das bedeutet, daß er auch zwischen zwei Kriegen, also im Frieden, potenziell Feind ist. Damit ist der Friedenszustand zwischen zwei Landkriegen etwas wesentlich anderes als der zwischen zwei Seekriegen. 22. 7. 48 Welche „Linie“ steht hinter der Atombombe und den andern bakteriologischen, biologischen, geniciden und ähnlichen, hoch-wissenschaftlichen, hoch-fortschrittlichen und hochmodernen Mitteln eines im modernen Sinne gerechten Krieges? Keine Maginot-Linie, die noch etwas geradezu rührend terranes hatte. Keine globale Linie, im Sinne der Raya, Amity line oder Linie der Westlichen Hemisphäre, die noch oberflächenhaft global gedacht waren, sondern überhaupt keine Linie mehr, sondern ein Raum, der, um mit dem richtigen Inhalt erfüllt zu werden (cujus economia, ejus regio) zunächst einmal völlig leer, zur tabula rasa gemacht werden muß.

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Darunter: „Hitler“. Am Rand: „an Hans Schneider“.

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Don Capiscos Hand-Orakel:1 In Betracht kommt nur die Elite. Halte dich also stets zur jeweiligen Elite. Aber bedenke: 1. Die Elite von heute ist nicht die von gestern und noch weniger die von morgen oder gar übermorgen. 2. Elite sind diejenigen, die bei höchsten Einnahmen die niedrigsten Abgaben zahlen. 3. Elite sind diej.[enigen], die von andern die Ausfüllung von Fragebogen verlangen können. Elite sind diejenigen, die volle und reichliche Entschädigung für ihr Opfer verlangen können. 4. Elite sind diejenigen, die ihr Recht nicht bei den Gerichten suchen und die wegen ihres Unrechts die Gerichte nicht zu fürchten brauchen. 5. Elite sind diejenigen, die, soweit sie Pässe haben, diese nicht bei der Polizei abzuholen brauchen. 6. Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt. Elite sind diejenigen, die anklagen, ohne befürchten zu müssen, angeklagt zu werden. 7. Elite sind diejenigen, die sich das tu quoque verbitten dürfen. Hörst du in einer Massenversammlung einen Menschen unter allgemeinem Beifall ausrufen: Nicht Butter, sondern Kanonen!, so lache nicht, sondern treibe Soziologie im Stil Paretos und sage dir: Kanonen, das bedeutet soziologisch: Militär und Kriegsindustrie; jener Satz besagt also etwas soziologisch Einfaches und sehr Einleuchtendes: Du befindest dich in einem Lande, in dem nur noch Militärs und Kriegsindustrielle Butter zu essen haben. Hörst du: Nicht Gold, sondern Arbeit! So wisse: Du lebst in einem Lande, in dem man das Gold abliefern muß und seine Arbeit nicht in Gold bezahlt erhält. Hörst du in einer Versamml[ung]: Lastenausgleich, so wisse: es ist ein gutes Geschäft, als Opfer Anerkennung zu haben. 23. 7. 48 Ich lese bei Rilke: Aus deinen Händen tritt das Meteor und rast in seine Räume. Diese Art ––––– Kitsch gibt es nun bei Theodor Däubler nicht. Und die berühmte Stelle über das Christentum in dem Brief aus Cordoba (an die Fürstin vom 7. 12. 1912) ist pöbelhaft und ein plötzliches, fast obszönes Fallenlassen der milden Maske einer zarten Rasse.2 Das meiste, was ich seit Jahren gedacht, gesagt und zum Teil sogar geschrieben habe, ist nicht veröffentlicht. Es gleicht den Beethoven’schen Variationen über ein Thema von Diabelli, welche Variationen für kein bisher existierendes Instrument geschrieben sind. Dieses meine existenzielle Verwandtschaft mit Vilfredo Pareto. Der „Freitod durch Henkershand“ hat viele Bedeutungs-Sphären und -Phasen: 1. Exoterisch-banal: ein billiger Tod, gratis sozusagen, ohne besondere Unkosten für Arzt und Begräbnis appliziert, obwohl das nicht einmal immer stimmt; denn die Erben haften; doch ist das Vermögen heute ja meistens sowieso beschlagnahmt.

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Am Rand: „vgl. 3. 5. 48, 29. 6. 48“. Am Rand: „5 Gesänge 1914: ‚Endlich wie Gott!‘ und ‚Heil mir, daß ich Ergriffene sehe!‘“.

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2. Der Fall Göring. 3. Ein sublim-stoizistisches Experiment, den Henker als das frei akzeptierte Mittel der Selbsttötung zu behandeln. 4. Christlich: den Henker als willkommenen Boten wie eine Krankheit oder eine andere Todesursache betrachten. Nebel behauptete, die Formulierung käme bei Ernst Jünger vor. Dort habe ich sie nicht gefunden. Wohl aber vor Jahren bei einem Wiener Juristen, einem Freunde von Franz Blei. Die Prägung ist juristisch. 24. 7. 48 Als Antwort auf einen enttäuschenden Gratulationsbrief wurlten folgende Verse in meinem Untergehirn: Verweile nicht im Massengrab, Wirf diesen Irrtum von dir ab. Tiefere Einsichten arbeiten oft mit schlechten Reimen. 25. 7. 48 Mich hält ein reines Intervall. Machiavelli ist bei weitem nicht so machiavellistisch wie Fr. Bacon. Einen Ratschlag wie ihn Bacon z. B. in dem Essay de ira gegeben hat (cum subtristes homines sunt, aut aliquantulum morosi, tempus est iram incendendi) hat Machiavelli nicht gegeben. 26. 7. 48 Der Aufbrecher wird schnell zum Verbrecher, wenn die anderen nicht mitgehen und die Gefolgschaft verweigern, wird er zum Verbrecher und schließlich zum Gespensterpferd. Das kann ich von mir sagen: Der Todsünde des Sicherheitsgefühls bin ich nicht verfallen.1 Seit über vierzig Jahren lebe ich auf Abruf. Seitdem ich anfing, mir bewußt zu werden, seit meinen Sekundanerjahren, bin ich bereit, alles liegen zu lassen und dem Abruf zu folgen. Darum haben die Menschen mir nicht getraut. Infam: trahison des clercs, das ist nämlich die Einreihung der Clercs in bestimmte Fronten, statt der immer selbstverständlichen Solidarität der Clercs, die allen Fronten (und erst recht dem traurigen Schwindel der Unterscheidung von Rechts und Links) überlegen bleibt. Einreihung in die Links-Front; Absolution des Weltgeistes für alle Verbrechen, die auf der linken Seite geschehen und Mobilisierung des gerechten Krieges gegen Rechts. 27. 7. 48 Notizen zum Begriff des Politischen. Hobbes sagt: Quantum arma hominum (enses et sclopeti) superant arma brutorum (cornua, dentes, aculeos) tantum homo lupos, ursos,

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Stenogr. am Rand: „vielleicht dem ganzen Jubel?, vgl. 9. 8. 48“.

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serpentes, qui ultra famem rapaces non sunt, nec nisi lacessiti saeviunt, rapacitate et sevitia superat, etiam fame futura famelicus (De homine, bei Molesworth IV, p. 91). Der eine Teil dieser Aussage enthält die Berechnung einer sehr exakten Relation: Der Mensch ist um ebensoviel grausamer als ein Raubtier, wie die Waffen des Menschen stärker sind als die des Tieres; das gilt für Schwerter, aber es gilt noch weit mehr für die modernen Vernichtungswaffen. Denk einmal darüber nach, was das bedeutet. Ich werde mich hüten, mehr zu sagen. 30. 7. 481 Das Schicksal des Juristen und des Juristenstandes auf dem Kontinent: Seit der französischen Revolution 1789–1848 spaltet sich das Recht in Legalität und Legitimität auf; [es] 2 endet damit, daß der Jurist auf die bloße Legalität absinkt, das war „Positivismus“. Dieser Aufspaltung folgt seit 1848 eine Aufspaltung der Legitimität. Diese war zuerst, in der Restauration von 1815 bis 1830, als rein historische, dynastische und restaurative Legitimität aufgetreten. Ihr trat die neue revolutionäre Legitimität entgegen und hat schließlich gesiegt. Das Kriterium ist: das gute Gewissen mit Bezug auf Legalität und Illegalität. Das große Manifest dieses Sieges ist Lenins Schrift über Legalität und Illegalität als bloße Methoden (Der Radikalismus, die Kinderkrankheit der Revolution), die authentische Rechtsphilosophie (auf geschichtsphilosophischer Grundlage: G. Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, 1923). Jetzt gibt es nur noch eine revolutionäre Legitimität. Diese vermag jede Grausamkeit zu rechtfertigen, jedem Imperialismus den Charakter einer Befreiungsaktion, jeder Unmenschlichkeit den Charakter einer Maßnahme im Dienste einer höheren Menschlichkeit zu verleihen und für alles, für Kriege und Bürgerkriege, Liquidierung ganzer Schichten und Völker die Absolution des Weltgeistes zu garantieren. Diese Legitimität ist heute im Osten3 monopolisiert; der Westen hat noch nicht einmal die Aufspaltung von Legalität und Legitimität bemerkt. Die Angelsachsen und die katholische Kirche machen diese Unterscheidung noch nicht. 1. 8. 48 Romantik ist (nach den Brüdern Schlegel) Mittelalter; beides ist Mischung: des Romani––––––––– schen und Germanischen; beides ist identisch mit Europa. Nun, wenn es sich so verhält, dann ist die englische Sprache (und mit ihr der englische Geist) das Romantischste, das Mittelalterlichste und das Europäischste, was es in concreto gibt. Dann aber war der deutsche Anspruch seit Fichte ein Angriff auf dieses Europa. Er hatte nur das Ergebnis, dem Osten den Weg frei zu machen. Nicht Robespierre, sondern Metternich hat die monarchische Krone zerstört. Es gibt nur Selbstzerstörung, nur suicide. Restaurationen sind eine spezifische Methode zur Erledigung und Zerstörung des Restaurierten. Warum? Weil sie Selbstzerstörungen sind. Also nur keine Restaurationen! Weder der Kirche noch des Staates, weder der Monarchie noch der Demo-

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Am Rand: „Besuch von Armin Mohler“. Im Orig. „sie“. Darüber: „links“.

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kratie, weder von Thron noch von Altar, weder vergangener Formen der Freiheit noch vergangener Formen der Bindung und Autorität. Wir ordnens. Es zerfällt. Wir ordnens wieder und zerfallen selbst. (8. Duineser Elegie). Antwort an einen Deutschen, der sich über die NZZ [Neue Züricher Zeitung] ärgern wollte: Sollen wir uns vielleicht ärgern über die Vornehmheit der NZZ, über Werner Kaegis Aufforderung zum Widerstand oder über den feinen Monsieur Béguin? Sollen wir gar von Pharisäertum sprechen? 2. 8. 48 Nein! Erinnern wir uns lieber in aller Menschenfreundlichkeit der schönen Geschichte vom vornehmen Schweizer. Ein vornehmer Schweizer saß am Strande des schwäbischen Meeres. Da hörte man die Hilferufe eines Ertrinkenden, der jämmerlich schrie: Ich kann nicht schwimmen, ich kann nicht schwimmen! Der vornehme Schweizer sah indigniert weg und sagte: Ich kann auch nicht schwimmen, aber deswegen mache ich doch nicht ein solches Geschrei! Erschütternd: der junge Hellingrath entdeckte (um 1910) Hölderlin gegen Goethe; den –––––– heimlichen, d. h. den wahren, nicht-öffentlichen Deutschen. Ich entdeckte heute in Hegels R[echts]philosophie den § 247. Mich zieht es zu den Hoffnungslosen, den Scheiternden, den Verurteilten; ohne Hintergedanken marxistischer oder sonstiger Art, ohne revolutionäre Zweckgedanken, ohne die Welt verändern zu wollen. 3. 8. 48 Französisch: sécurité; deutsch (bisher): Gemütlichkeit. Die verinnerlichte, ins Interieur verlegte, zugleich aber doch säkularisierte Gnadengewißheit, das Ende von Furcht und Zittern bei einer guten Tasse Kaffee und einer Pfeife würzigen Tobaks. Wiedererscheinen gut verschleierter Wollust, nachdem Luther und die Herrnhuter so hart gegen die Sicherheit als die eigentliche Wollust getobt hatten. Wo ist nun deine Wollust? fragt der Prophet den aus seiner Sicherheit herausgeworfenen Jämmerling. Wo ist nun dein Zittern? frage ich diesen zum Milliardär gewordenen Quäker. Das Geburtsdatum des modernen gerechten Krieges und der Verbindung seiner Art von Gerechtigkeit mit den Vernichtungsmitteln,1 der Geburtsort des modernen Bethlehem, wo die Stahlgewitter präpariert werden, zugleich der Beginn der Epoche des Völkerrechts, die ihre 4jährige Epiphanie im Oktober 1945 in Nürnberg organisiert hat: 14. Dezember 1910 (wie taktvoll, daß er nicht datiert: 24. 12. 10): Brief von Mr. Andrew Carnegie an die Trustees der Carnegie-Dotation: Wörtlich: „Ich habe Ihnen als Treuhändern der CarnegieFriedens-Stiftung 10 Millionen Dollars in hypothekarisch gesicherten 5-prozentigen Bons zum Wert von 11.500.000 Dollars überwiesen. Sie werden das Einkommen dazu benutzen,

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Am Rand: „vgl. 21. 6. 48“.

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um den Krieg zu vernichten, diesen Schandfleck unserer Zivilisation. Wir fressen zwar unseresgleichen nicht mehr auf, wir martern nicht mehr die Gefangenen, wir plündern nicht mehr die Städte und vernichten nicht mehr ihre Einwohner, aber wir führen immer noch Krieg, wie die Barbaren. Nur bei wilden Tieren könnte man das im 20. Jahrhundert der christlichen Ära entschuldigen, denn der Krieg ist seinem Wesen nach verbrecherisch (la guerre est essentiellement criminelle, also nicht nur der Angriffskrieg!)“ Warum ist er essentiellement criminelle? Antwort: Weil er nicht dem Recht, sondern der Macht den Erfolg sichert. Es ist ein Verbrechen (schon wieder ein neues!), wenn ein Volk das schiedsgerichtliche Verfahren ablehnt. (Dort aber auch der Satz: Le juge qui siège dans une cause où il est intéressé est discrédité jusqu’à sa mort). Und der Generalsekretär dieser Foundation zur Kriminalisierung des Krieges war James Brown Scott! Also jedenfalls: Hier steht die Wiege des neuen Ruhmes von Fr. de Vitoria. Hier ist die Quelle der neuen, modernen Lehre vom gerechten Krieg, hier in den Stahlwerken von Bethlehem. Hier sangen nicht Hirten. Ich, in meiner Einsamkeit des Vorauseilenden, mache solche lebensgefährlichen Entdeckungen. Ich finde die Polarität von Übermensch und Unmensch und den modernen exterminierenden Feindbegriff bei Karl Marx 1844 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (die Kritik ist, gegenüber Deutschland „kein anatomisches Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will“; sic, wörtlich, der 26-jährige Karl Marx!). Also: Vernichtung des justus hostis von beiden Seiten, von Bethlehem wie von Moskau her; dazwischen ein deutscher Tölpel mit Injektionen vom Westen her, der glaubte, einen Zwei-Fronten- und einen Zwei-Arten-Krieg führen zu können, nämlich nach Westen einen nicht-diskriminierenden und nach Osten einen diskriminierenden Krieg. Übergang zum Meer als dem neuen Element: Hegel R[echts]phi[losophie] § 246.1 K. Marx, Rjazanov I, S. 131 Knotenpunkte in der Entwicklung der Philosophie: wenn einer zerrissenen Welt eine totale Philosophie entgegentritt, keine Verminderung der Ansprüche, sondern Übergang zu einem anderen Element, so wie Themistokles, als Athen verwüstet wurde, die Athener bewog, es vollends zu verlassen und zur See, auf einem anderen Elemente, ein neues Athen zu gründen. Ich war der einzige, der dieses für Deutschland und Europa gefordert hat: der Schluß von Land und Meer, Übergang zum Feuer? Oder zur Luft? (Schallwellen?) 5. 8. 48 In einem Propos d’Alain fand ich zitiert: der Raum ist das Bild unserer Macht, und die Zeit ist das Bild unserer Ohnmacht. Ob das mit der Zeit stimmt, lasse ich offen. Aber der Raum ist die Macht. Darum war die Wortbildung Großraum ohne weiteres eingängig, während man zwar von einer großen Zeit, aber nicht von einer Großzeit spricht. Das Wesen des Seins ist räumliches Sein, Ortung, Raum und Macht; es ist nicht zeitliches Aufeinander; es ist Präsenz, d. h. Raum. Die Undurchdringlichkeit der Körper war Raum und Macht. Eben das hört auf. Die grenzenlose Durchdringlichkeit der Wellen ist nicht mehr Macht, sondern Einfluß. Gott ist tot heißt: Der Raum ist tot, die Körperlichkeit ist tot (daher die bei aller

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Recte: § 247.

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Angst um ihr Leben unfaßbare Gleichgültigkeit der Massen gegen den physischen Tod und die Zerstörung ihres leiblichen Bildes); statt dessen Unterwerfung unter Kräfte. Der Raum ist präsente Macht, nicht Kraft. Die Zeit ist weder das eine noch das andere; Kräfte sind noch nicht geortete Mächte; Mächte sind geortete Kräfte. 6. 8. 48 Vergil, Horaz, alles littérature dirigée, alles engagée, sogar die Bucolica ein Hymnus auf Caesar. Was verlangen diejenigen von uns, die uns Verräter nennen? Die trahison des clercs als Stichwort eines prätendierten pouvoir spirituel. Hat noch keiner die Unverschämtheit solcher Stichworte bemerkt und den dreisten Anspruch auf das Monopol der Menschlichkeit,1 d. h. das Recht, den Gegner zum Unmenschen zu stempeln und zu entrechten? Wie ist es anders möglich, als daß „das Naturrecht“ nicht immer von Neuem eifrige Bekenner findet? 2 Das Naturrecht, d. h. einige Dutzend völlig entgegengesetzter Postulate, ein Haufen vager Generalklauseln, deren supponierte Begriffe – der Begriff der Natur und der des Rechts an der Spitze – unbestimmt bleiben und ein Bild von hundert verschiedenen Gesichtern mit hundert wächsernen Nasen bieten – das sollte nicht allgemeinen Beifall finden? 9. 8. 48 Wieder (wie vorige Woche, am 3. 8. 48) das Entsetzen vor Karl Marx (4. These über Feuerbach, Deutsche Ideologie, S. 534): die Selbstzerrissenheit, der Selbstwiderspruch der weltlichen Grundlage muß auch in sich selbst in seinem Widerspruch verstanden, also auch praktisch revolutioniert werden. „Also nachdem z.B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch und praktisch vernichtet werden“. Sic. Theoretisch und praktisch vernichtet werden.3 Er will verändern, d. h. also zunächst einmal vernichten, theoretisch und praktisch vernichten. Grauenhaft. Trost: Der Vernichter vernichtet nur sich selbst; das gilt vor allem für den Vernichter der Vernichter. Erkenne die Gesellschaft, in der du dich im Frühjahr 1933 befandest: Carl Eschweiler, Konrad Weiß (siehe Schildgenossen, Bd. 13, 1), Gottfried Benn, M. Heidegger, W. Ahlmann. Ein überschwenglicher Aufbruch! Oh, ihr armen Aufbrecher! Es wurde Eurem Feinde nicht schwer, Euch zu Verbrechern zu stempeln.4 10. 8. 48 Ein Knochenton klirrt in dem Kleid. (Das war mein Traum vom März 1918 in Planegg, von dem Skelett mit rosa Schleifchen.) 5 Merke, wem du dich entfremdest (hast du im Frühjahr 1933 etwas gemerkt?), fühle, wen –––––– ––––– du dir gewinnest (hast du dir im Frühjahr 1933 auch nur einen einzigen gewonnen?), du blindlings vorbietender Knabe? Kann ein in den zeugenden Streit sich werfender Mensch

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Am Rand: „“. Am Rand: „vgl. 25. 4. 49“. Am Rand: „vgl. 26. 7. 48“. Später hinzugefügt: „denn 26. 7. 48“. Stenogr. Zusatz nicht lesbar.

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auf dieses Merken und Fühlen achten? 1 Wie witternd animalisch ist das Merken, das dazu führt, sich vorsichtig abzusetzen; wie panisch-pflanzenhaft passiv ist dieses Fühlen, das dazu führt, sich vorsichtig anzuschließen. Es ist heliotropisch, geotropisch, hydrotropisch, aerotropisch, aber auch monarchotropisch, aristotropisch, kratotropisch zugleich; ein PanOrama und ein Pan-Tropama in Einem. 11. 8. 48 Der Positivist bleibt in der berechenbaren Mitte und vermeidet die Dialektik. Der Dialektiker strebt zum Rande der Begriffe, zu den Grenzen, zum Abgrund und treibt dadurch über die Grenzen hinaus in den Abgrund hinein und durch den Abgrund hindurch in eine neue Welt. Das Risiko des Abgrundes nimmt er in Kauf für die Prämie der Entdeckung einer neuen Welt. Das großartigste Bild, das ein menschlicher Geist von seiner eigenen menschlichen Großartigkeit erblicken kann, ist das geistesgeschichtliche Bild des Gegensatzes von Hegels Dialektik und Comtes Positivismus. Dieser ganz undialektische Positivismus hat im 19. Jahrhundert vorläufig gesiegt. Aber er ist selber wieder nur als dialektische Stufe zu begreifen und wird heute vom dialektischen Denken wieder aus seinen Angeln gehoben. Undialektisch ist der Positivismus Comtes, trotz seiner drei Stufen von Theologie, Metaphysik und Positivismus, weil er die beiden Vorstufen des Positivismus eben nur als bloße Vorstadien, nicht aber als erzeugende und gebärende Eltern seiner selbst betrachtet. Inzwischen trifft mich der Satz aus den Cahiers von Maurice Barrès: On n’aime rien tant que ceux que l’on a vus humiliés 2 (zitiert bei Duhourcau, La voix intérieure de Maurice Barrès d’après ses cahiers, 1929); über das Trauma des Anblicks der siegreichen Preußen in Charmes, im Winter 1870/71. Und nun erst wir!! Ich: 1945. Der um 1840 einsetzende Positivismus bedeutet: Übergang von dem dialektischen Denken zur Vernichtung. Bruno Bauer bleibt noch Dialektiker. Das beschimpft Marx als Theologie. Karl Marx ist kein Dialektiker, sondern ein Streicher und Vernichter (die Notizen vom 3. und 9. August), insofern ist er der wahre Positivist. 1840 vollzog sich der große Wandel: zum Positivismus, der, mit dialektischer Notwendigkeit, Negativismus d. h. Nihilismus ist. Bruno Bauer ist, trotz aller Sprünge der konvulsivischen Jahre 1840–48, stets Dialektiker geblieben. Darauf beruht seine heutige Aktualität. Wie sollte ich meinen Feind nicht lieben, da ich ihn doch selber erzeugt habe! Und da ich, bei einigem Bewußtsein, bald merken muß, daß er mich erzeugt, so lange ich ihn als Feind realisiere! Vernichtung des Feindes aber ist der Anspruch einer creatio ex nihilo, einer neuen Welt auf einer tabula rasa. Wer mich vernichten will, ist nicht mein Feind, sondern mein satanischer Verfolger. Die Frage, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll, ist nicht mehr politisch, sondern nur noch theologisch zu beantworten. Dialektische Theologie konkretester Art entsteht, wenn der Vernichter behauptet, nichts als den Vernichter vernichten zu wollen.

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Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar. Stenogr. am Rand: „Das ist wunderlich?“

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13. 8. 48 Das Niedagewesene? Das ist nicht viel. Das Nichtwiederholbare, das ist es. Das NichtReproduzierbare? Was uns keiner nachmacht? Nein! Jeder macht uns alles nach. Aber es soll uns keiner einholen oder gar: wiederholen. 14. 8. 48 Meine Unverwundbarkeit ist nicht in einer Hornhaut, sondern in meiner Nicht-Fixierbarkeit begründet; in meiner Nicht-Einholbarkeit. Der Feind, der auf mich schießt, trifft bestenfalls den Punkt, an dem ich eine Sekunde vorher gestanden habe. Der Verfolger, der mich festnehmen will, faßt und erfaßt höchstens meinen Kadaver, an dem er seinen Haß erproben mag, indem er ihn verbrennt und die Asche den Elementen übergibt. „Die Asche will nicht lassen ab, sie stäubt in allen Landen“. 15. 8. 48 Ich bin uneinholbar, weil ich in schnellster Fahrt, aber durchaus nicht auf der Flucht vor meinen Feinden bin. Wie sollten diese mich einholen können? Es versteht sich von selbst, nämlich vom Wesen der Feindschaft her: daß unerklärliche Feindschaften die aufschlußreichsten sind (und die erklärlichsten).1 Genitum, non factum; gegeben nicht gesetzt, wobei positum noch weniger ist als factum. Die heutigen Handhaber des legalitären Apparates sind nicht einmal Gesetzgeber, sondern Gesetz-Setzer im schlimmsten Sinne eines solchen schlimmen Wortes. 17. 8. 48 Freitod, Freizeit. Freizeitgestaltung durch Freitodgestaltung. Bund für freizeitgemäße Freitodgestaltung. Und noch viele andere aktuelle Erscheinungsformen der Freiheit. Bund der rein menschlichen Menschen zur sofortigen Vernichtung aller Un- und Über- und Untermenschen.2 Im Hintergrund jeder Neutralisierung steht doch ein unabwendbarer Dezisionismus; im Hintergrunde jedes Humanitarismus der Anspruch: Wer Mensch ist, bestimme ich. 18. 8. 48 L’homme passe infiniment l’homme. Wende diesen Satz einmal auf das törichte homo homini homo an, um dessen ganze Evasivität zu erkennen.3 Freiheit, Menschheit, das scheinen zwei Namen zu sein, unter denen sich spezifische Verbrechen begehen lassen. Die Stümperei Hitlers zeigt sich an diesem Punkt. Hitler hat große Verbrechen begangen, aber für die größten hat sich der Weltgeist doch andere Werkzeuge als diesen Hitler vorbehalten. Für die Atombombe und die Ex-post-Kriminalisierung des Angriffskrieges kommt Hitler schon nicht mehr in Betracht.

1 Am Rand: „Die Wut auf den Charakter , d. h. auf den, der dem Charaktermörder ein einfaches Ziel bietet!“ 2 Am Rand: „hohoho durch RoRoRo, 22. 9. 49“. 3 Am Rand: „vgl. 15. 5. 48“.

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Wie wäre es, wenn man in einer liberaldemokratischen Verfassung dem dort üblichen Satz „Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen“ den weiteren Satz hinzufügte: „Partei- und Fraktionszwang ist verfassungswidrig und ein Verbrechen am Volke“? Wie wäre es, wenn man ihn in die Verfassung eines Ein-Parteistaates hineinschriebe? Natürlich mit rückwirkender Kraft.1 20. 8. 48 „Der Abstand zwischen einem schöpferischen Geist und einem Virtuosen muß uns immer heilig bleiben“. Das schrieb Rudolf Pannwitz an Herbert Nette, als dieser Nietzsche und Ernst Jünger in einem Atem genannt hatte.2 Ich wandte den Satz sofort auf das Verhältnis von Theodor Däubler und R. M. Rilke an. Von Rilke meinte H. Nette, als er ein Bild von Däubler gesehen hatte, im Vergleich zu Däubler habe Rilke das Gesicht von einem Frettchen. Der ägyptische Kindermord, dem Moses entging, und der bethlehemitische Kindermord, dem Jesus Christus entging, bilden eine vollkommene Parallele. Für mich ist das ein Zeichen der Wahrheit. Für den kritischen Positivisten ein Beweis der Fälschung. Die Gerasener bitten Christus, daß er aus ihrem Lande gehen solle (Mt 8,34; Mk 5,17). Das ist dasselbe wie die Bitte des Großinquisitors an Christus, uns zu verlassen und nicht wiederzukommen. Ist diese Selbigkeit ein Zeichen der Wahrheit oder der Fälschung? Die ganze deutsche „Kritik“ tritt 1840 in ihr kritisches Stadium und schlägt um in einen blanken Positivismus. Bruno Bauer ist der Typus dieses Vorganges. Dieser Kritizismus ist im Kern das tiefe Gefühl des Betrogenseins. So entdeckt er überall Fälschungen; besonders im Johannes-Evangelium, beim „Vierten“. So wird ihm der Jude zum Ursymbol der Fälschung und des Betruges. Kern des ganzen metaphysisch-antimetaphysischen IdeologieVerdachtes. Eine spätere unwichtigere, aber symptomatische Erscheinungsform desselben Vorgangs: der sprachliche Purismus. Er entspringt der Angst und Furcht und Sorge um sich selbst, um das ureigene, allein wahre Sein, und besteht aus der Furcht, vom Fremden betrogen zu werden. Die Furcht, von anderen betrogen zu werden, wird zu einer Quelle des Selbstbetruges, Folge und Strafe der Ich-Verpanzerung. Großartige Erkenntnis: Eine Zeitlang leben die neuen Regime der Freiheit, vom alten Steuermann befreit, noch aus dem Vorrat, den die beseitigte Autorität angesammelt hat, Platon Politikos 273 c: cwrizómenov tou kubernätou. Das ist das kurze Freudenfest des reinen Liberalismus, der schnell vorübergehende Moment, den Röpke verewigen möchte. Also Berlin liegt in der Luftlinie zwischen New York und Moskau; auf dieser Luftlinie treffen sich dort der Westen und der Osten. Aber diese Linien ergeben keine Ortung und keine Ordnung, und das zu zeigen ist ja gerade der Sinn meines Nomos der Erde. An Ernst Jünger: Bei den Reflexionen, die der Schritt ins siebente Jahrzehnt des Lebens nahelegt, stieß ich auf die Stelle in dem Rivarol-Bändchen, das Sie mir vor 7 Jahren in Paris geschenkt haben (vgl. 17. 7. 48, Riv. II 66). Hier ist ein Arcanum meines Lebens berührt, und da Sie in Ihren „Strahlungen“ sehr viel Sinn und Gerechtigkeit für mich gezeigt haben, muß ich Ihnen heute nochmals dafür danken. Wären Sie mit am Tisch gesessen, hätte ich es

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Am Rand: „Niebel, Wilke am 18. 8. 48 geschr.“. Am Rand: „( 11. 6. 48)“.

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Ihnen näher dargelegt, als ich es heute schriftlich kann. Ich habe damals meinen Gästen den Gesang des Sechzigjährigen vorgelesen. Es wäre unrecht, wenn ich ihn Ihnen vorenthalten wollte. Aber solche unbedenklichen Subjektivitäten haben, neben dem Reiz der Offenheit gegen sich selbst und seine Freunde, auch den Nachteil der Dunkelheit und der Mißverständlichkeit für den Außenstehenden, der nicht alle Bezugnahmen kennt, wodurch der ungeheure Vorteil der schwebenden Intonation den Gesang im fremden Munde in eine Parodie verwandeln kann. So ist es ja mit allen esoterischen Dingen; und selbst das „Hoc est Corpus“ des christlichen Abendmahls wird dem Fremden zum „Hocus Pocus“. Dann über seinen herrlichen Satz: Der Stil beruht eben im tiefsten Grunde auf Gerechtigkeit, und den Becher mit der Inschrift „Auf Gerechtigkeit – allezeit“. Dieser Gerechtigkeit ist die positivistische Naturwissenschaft nicht fähig, wohl aber erfordert die Atombombe den gerechten Krieg. Solche Zusammenhänge beschäftigen mich sehr, und es plagt mich die Ungeduld der Gerechtigkeit. Über das gedruckte Exemplar der Schrift über den Frieden: Die Einleitung gefällt mir nicht; es ist nicht gerecht, Sie als einen Klienten von Ernst N.[iekisch] zu introduzieren, und wenn die heutige Öffentlichkeit für Sie keine andern Rechtstitel mehr kennt, so ist sie eben Ihrer nicht würdig und nicht gemäß. Es ist richtig, wenn Sie sagen, N. (Cellaris) hätte bedeutend für die deutsche Geschichte werden können. Das weiß ich wohl. Heute, wo Berlin das Modell der deutschen Gesamtsituation darstellt, reicht diese frühere Möglichkeit nicht mehr aus, und wer nichts mehr ist als ein alter Kämpfer und ein Opfer des Faschismus, kann Sie nicht legitimieren.1 Kniébolo war ein Verbrecher, aber weder der größte (für ––– die größeren Verbrechen wählt sich der Weltgeist andere Werkzeuge aus), noch der letzte; und man kann heute nicht mehr vom Kampf gegen den toten Kniébolo leben. Das gibt ihm nur überraschende Aufwertungen, die schließlich dazu führen, daß die Tristan-Aufführungen dieser letzten Monate (in London, Lissabon und Mailand) zu posthumen Triumphen Kniébolos werden. (Dann über Niebel, der statt Nebel kam). 23. 8. 48 Das Gesetz der großen Conquista einer Neuen Welt: Es muß ihr eine Reconquista vorausgehen. Ein Beispiel geschichtlicher Dialektik: Erst die Niederlage, dann der Sieg des Besiegten; das erst gibt den Schwung in die große Welt. Spanien 1492; Rußland 1942. Auch heute könnte nur der Besiegte diesen Sprung ins Neue tun. Nicht: England 1588; der Übergang ins neue Element; und von dort zum Industrialismus; dieser ist Meer und nicht mehr Land; das Einmalige, Phantastische, Utopische; soll es jetzt noch höher ins Utopische hineingehen? 25. 8. 48 Viele haben eine durchwachte Nacht erlebt; und haben das Gedicht „Durchwachte Nacht“ gelesen und auch wohl verstanden. Aber das „Geistliche Jahr“ der Annette ist ein durchwachtes Leben; und nicht viele haben ihr Leben durchwacht wie eine lange Nacht. Darum soll man sich nicht zu viele Hoffnungen auf den Erfolg eines solchen Gedichtbuches machen. 1 Stenogr. am Rand: „ein alter Kämpfer und ein nicht ganz einwandfreies Opfer des Faschismus, der sich durch Berufung auf seine eigene Vergangenheit als einwandfrei zu beweisen bemüht.“

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Es kann doch nicht zufällig sein, daß gerade Protagoras, der den Menschen für das Maß aller Dinge erklärt, das Recht des Stärkeren vertritt. Qui veut faire l’ange fait la bête. Das galt für ein Zeitalter, das noch an Engel glaubte. Heute gilt: Qui veut faire l’homme fait la bête. Der Feind als Richter in einem Kriegsschuldprozeß gegen den Besiegten. Er würde eine noch entsetzlichere Figur, wenn er gleichzeitig den Besiegten zum Schuldner erklärt und nun auch noch als Gläubiger den Richter in einem Schuldenprozeß gegen den Besiegten spielt, dessen „Grundlagen“, nämlich Schuld und Schulden, er selber statuiert hat und für unanfechtbar erklärt. D.[on] Cap.[isco]: Sieh Dir genau den Autor an, Der schön vom Schweigen reden kann. So lange er vom Schweigen spricht, Solange nämlich schweigt er nicht. Sie stehlen nicht nur Worte, Parolen, Devisen und Begriffe; sie stehlen auch Fahnen und Farben, Lieder und Sakramente, und stehlen schließlich noch die Kränze vom Grabe des besiegten Feindes. 31. 8. 48 Oft erdrückt mich die Einsamkeit des Wissens um ein scelus infandum.1 1. 9. 48 Naturrecht ist ein irreführend anachronistisches Wort im Zeitalter der Naturwissenschaften und der Herrschaft ihrer konkreten Ergebnisse.2 Nach der Entwicklung von Legalität und Legitimität aber hat das Recht heute nur noch in der Rechtswissenschaft ein Asyl, und nicht mehr im Gesetz. Es wird also nur so viel Recht geben, wie von der Rechtswissenschaft erkannt, erfaßt und zum Keimen gebracht wird. Die Rechtswissenschaft aber geht, wie in ähnlichen chaotischen Zeiten früherer Jahrhunderte, ihren eigenen Weg und findet ihre eigenen Träger. Das ist der große Ausleseprozeß, der sich heute vollzieht. Seien wir froh, daß wir durch die Rücksicht auf Menschen wie Radbruch nicht mehr behindert sind. (An G. Dahm:) Sie haben eine Aufgabe erhalten, die großartiger ist als alles, was Sie beim besten Willen früher hätten leisten können. Sie werden, als Lehrer der Strafrechtswissenschaft, in einen Prozeß ungeheuerlichster Kriminalisierungen hineingezogen, sogar ex-postKriminalisierungen, wie sie die Rechtsgeschichte bisher noch nicht gekannt hat. Sie brauchen z. B. nicht mehr zu tun, als die Cautio Criminalis des Fr. von Spee aus dem Jahre 1642 zu lesen, und darin das Wort „Hexe“ durch „Nazi“ ersetzen, um zahllose Antriebe zu finden, oder an Vehikel der Kriminalisierung wie „Piraterie“ oder „Conspiracy“ zu denken.3

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Am Rand: „an Gerhard Günther“. Stenogr. am Rand: „an Dahm “. Stenogr am Rand: „dann Frage nach Wagner , Walzer, Schwung, Umzüge“.

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Ich will die Kollegen nicht Revue passieren lassen. Ich spreche ja nur von dem erstaunlichen rechtsgeschichtlichen Moment, in dem sich Ihre Wissenschaft plötzlich „gestellt“ sieht. Don Capisco:1 Die Bewohner des Mars sind kriegerisch. Das besagt schon der Name. Daraus folgt, daß es dort letztlich Krieg gegen den Krieg führen. Fangen die Marsbewohner an ? Es hatte den Anschein, als dürften wir es hoffen. Denn zweifellos haben sie sich Deutschlands geworden, und zwar der Krieg Deutschlands Aber es haben sich dabei noch einige Komplikationen ergeben. Utopie auf dem Mars: Wie schön ist die Erde. Die Marsbewohner sind streitsüchtig und rechthaberisch. Es gibt aber auch dabei erfolg[reiche] pazifistische . Sie führen infolgedessen keine andern als gerechte Kriege. Deshalb wissen sie auch, was es heißt, im gerechten Krieg zu unterliegen. Sie haben das bei dem großen Völkerrechtslehrer Vitoria gelesen, dessen Name sie sehr anheimelt, da jede hoffen zu siegen. Vitoria ist ihr großer Autor. Bücher lesen sie nach, was im gerechten Krieg ist, quantum liceat in bello justo. Nun aber ist bezüglich Deutschlands eine Kontroverse unter den Gelehrten des Mars ausgebrochen. Man hat ein Exemplar der neuesten deutschen Verfassungen erhalten und malt sich aus, wie schön es auf der Erde im allgemeinen und in Deutschland im besonderen ist: Das Eigentum ist gewährleistet, jeder hat das Recht auf eine gesunde Wohnung, die Diktatur ist verboten.2 Die Pazifisten behaupten, die Erde sei überhaupt schon längst im Zustand des ewigen Friedens und Deutschland sei nur ein Normalfall des Zustandes der Erde. Die andern3 aber behaupten, Deutschland habe den gerechten Krieg gewonnen und befinde sich deshalb in dem paradiesischen Zustand, der sich in seinen Verfassungen spiegelt. 2. 9. 48 Versari in re illicita: Ein Kunsthändler wird als Schieber und Verbrecher entlarvt; der Unmensch soll sich sogar an kleinen Kindern vergriffen haben. In seinem Laden entdeckt man Bilder eines gewissen Rembrandt. Daraufhin setzt die zuständige Verfolgungsbehörde den Rembrandt auf die schwarze Liste und ordnet die sofortige Vernichtung aller Werke dieses üblen Komplizen an. 4. 9. 48 Die heutige Verfassung Deutschlands ist durch die Ex-post-Kriminalisierung des Angriffskrieges bestimmt. Die wahren Verfassungsgrundsätze des heutigen Deutschlands lauten: 1. Omnia cedent in favorem gerentibus bellum justum; 2. Versanti (oder versato) in re illicita omnia nocent. Victo bello justo omnia nocent. Bello justo victus versatur in re illicita, cui omnia nocent.

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Der folgende Absatz teilw. stenogr. und nicht klar lesbar. Stenogr. Notiz am Rand nicht klar lesbar. Darüber „Militärs“.

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5. 9. 48 Ich werde den „Nomos der Erde“ als einen Blütenzweig meiner Diskriminierung am Grabe des europäischen Völkerrechts niederlegen.1 8. 9. 48 „In Monarchia is qui latere vult, qualiscunque sit qui regnat, extra periculum est“. So Hobbes, De Cive, X § 7.2 „Minus saepe damnantur cives immerito, regnante uno homine, quam populo“. Ebd. Das sind ja Sätze, die einem Verfolgten von heute direkt ans Herz gehen. 14. 9. 48 In der traurigen Welt der totalen Planung entstehen neue Arten von Kollektiv-Affekten. Der schlimmste ist die leicht zu erregende Wut auf den Störer, das Planhindernis, den Saboteur. Der Saboteur ist nicht nur Friedensstörer, perturbateur, er ist ideologisch das letzte Hindernis des Paradieses; praktisch ist er ein Verkehrshindernis. Ist er verhältnismäßig klein, wird er überfahren wie ein Hund auf der Autobahn. Ist er ein größeres Hindernis, so wird er weggesprengt. Nobel-Dynamit und Nobel-Preis sind ja nur zwei Seiten derselben Tatsache, ebenso wie Atom-Bombe und gerechter Krieg. Der Konkurrenzaffekt, den Thomas Hobbes im Auge hat, ist harmlos im Vergleich zum Planungs-Willen des technisierten Geistes. Immer wieder die Hobbesische Unsicherheitsrelation. 16. 9. 48 Ne quid ex contagione incommodi accipiant; das steht in Caesars bell. Gall. (VI, 13) in dem Kapitel über den sozialen Boykott, den die Druiden verhängen können. Das Kapitel klingt so modern, daß man sich fragt: Ist es interpoliert? (Fälschungs- und Betrugskomplex des modernen Positivisten); oder war es damals ebenso wie heute und immer? (Nihil noviKomplex des Desillusionierten); der Geschichtsneid der neuen Völker und Schichten; die existenzielle Geschichte Amerikas beginnt 1775; die Sowjet-Rußlands 1917; die Rudolf Smends 1517 (mit den Hussiten als Vorspiel); die von Hannes Schneider beim großen Kurfürsten. Die großen Ja-Sager von 1933. Theologen wie Karl Eschweiler (welch eine geschichtliche Legitimation), Dichter wie Konrad Weiß und Gottfried Benn (welche Spannung der umfassendsten Polarität!), Philosophen wie Martin Heidegger (welch eine existenzielle Dokumentation für beide Teile!), und zu alledem das Gedicht „1933“ an der Spitze des Christlichen Epimetheus von Konrad Weiß!3 Die complexio oppositorum als Alterserscheinung; sie kann aber auch eine Jugendlichkeit sein. So komplex ist eben das Leben. Die ausgleichenden Kompromisse, die wohl ausbalancierten Formeln über die Erbsünde (die den Menschen nur verwundet, nicht tötet, wobei offen bleibt, ob die Wunde ein Streifschuß ist oder ein Gehirnschuß, jedenfalls muß

Am Rand: „an Walz, Ott “. Am Rand: „Gesagt also: Die Monarchie kann gar nicht so tot sein wie die Demokratie.“ 3 Am Rand: „,Heil mir, daß ich Ergriffene sehe‘! (Rilke, August 1914).“ Auf der Seite daneben: „Dazu der Aufsatz von Böckenf.[örde], Hochland, Feb. 1961 (‚Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933‘)“. 1 2

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er sich verbinden lassen); die Ausbalancierung von Subjekt und Objekt, das ergibt den Typ des Trimmer, aber noch lange keinen Don Capisco. Im Deutschen lügt man, wenn man anerkennt. Der deutsche Neid und sein Sohn, das deutsche Reinheitspostulat, machen eine ehrliche Anerke[nnung] unmöglich. Jede Anerkennung wird sofort ironisch. Wilhelm Busch ist der deutsche Nationaldichter. Die Bosheit des Handwerksburschen, der drei gerechten Kammacher; sie sind bewandert, selbst wenn sie ein Werk als „gelungen“ bezeichnen, so schwingt immer noch der HandwerksburschenJargon mit, für den „gelungen“ dasselbe bedeutet wie komisch und ulkig.1 Es sind noch viele Neue Welten zu entdecken, aber sie liegen nicht mehr auf der Oberfläche der heutigen Erde. 18. 9. 48 Schlecht ist die Kombination von Setzen und Geben in der Zusammen-Setzung: GesetzGeber. Erst setzt er, dann gibt er das von ihm uns Gesetzte. Die deutsche Sprache ist keine juristische Sprache. Die eigentliche, schrecklichste trahison des clercs besteht darin, daß gerade die Naturwissenschaften, die nach Saint-Simon, Comte, Taine und diesem ganzen den wahren pouvoir spirituel bedeuten, daß sie es waren, die die von ihnen entdeckten neuen Waffen (wie schließlich die Atombombe) den politischen Machthabern ausgeliefert haben. Scelus infandum. Und sie waren nicht etwa Faschisten, nein, sie waren Antifaschisten, militante, praktizierende, emigrierende Antifaschisten. Verstehst du jetzt endlich den Sinn jener antifaschistischen Parole von der „trahison de clercs“? Geschrieben an dem Morgen, an dem die Nachricht von der Ermordung des Grafen Bernadotte bekannt wurde. Zu Rudolf Sohm: Seine Antithese von Liebe und Recht, Geist und Welt, Charisma und Amt ist doch wohl nicht so rein lutherisch wie es scheint. Sie ist stark gereinigt, und zwar durch den Reinheitsbegriff der Philosophie des deutschen Idealismus: Idee und Wirklichkeit; die Verwirklichung der Idee ist Pflicht und Schuld zu gleicher Zeit. Sohm ist der Vater der Lehre vom charismatischen Führer; es handelt sich nicht um Max Weber; es handelt sich um Rudolf Sohm. Führer, Lenker, Steurer, Leiter, Diese Reihe geht noch weiter; Leiter, Führer, Lenker, Steurer, Diese Sache wird noch teurer. Steurer, Leiter, Führer, Lenker, Hier versagt der schärfste Denker, Lenker, Steurer, Leiter, Führer, Welche Hüter! Welche Schürer! Charisma auf jeden Fall.

1 Stenogr. am Rand: „Der Deutsche hat den Widerstand durch Mitarbeit erfunden; und die Mitarbeit und Widerstand .“

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21. 9. 48 Es stößt mich tiefer in die Depressionen der Machtlosigkeit, wenn ich in meiner Ohnmacht erkenne: Wer keine Macht hat, braucht viele Süßigkeiten. Dagegen umfängt mich schützend der Satz von der stärkenden Ohnmacht: Meine Ohnmacht ist ja nur Nicht-Beteiligtsein an der Machthaberei des Terrors; was unter dem Blickpunkt dieser Nicht-Beteiligung als Machtlosigkeit erscheint, ist vom Jenseits gesehen gegenmächtige Exemtion vom Terror der Diesseitigkeit, Vermehrung meines Rechts in der Geschichte. Michelet, la loi: The philosophers of France, in their eagerness to escape from what they deemed a superstition of the priests, flung themselves headlong into a superstition of the lawyers. (Sir Henry James Sumner Maine, Ancient Law, 1861, in dem Kapitel: Law of Nature). Sehr richtig, aber das ist doch keine Rechtsfrage der Priester. 23. 9. 48 Ich sterbe nicht, denn mein Feind lebt noch. Die einzige konkrete Kategorie des Existenzialismus habe ich gefunden: Freund und Feind. Mir kommen die Kyklen der Kykliker (wie F. G. Jünger) vor wie die ziemlich kleine Glasglocke, zu der sich einem der Horizont auf hoher See verengert, wenn man nur noch Wasser und keinen Strich Land mehr sieht.1 Die Verse F. G. Jüngers sind Sprache und nicht Wort. Wenn sie ganz einfach werden, werden sie doch nicht Element und nicht Sakrament; ihre Einfachheit bleibt in dem Bereich der „edlen Einfalt und stillen Größe“. Für Däubler wird die ganze Welt Strahlung, die Erde wird Nordlicht, das heißt kosmische Strahlung. Gedichte wie „Der Nachtwandler“ oder „Lauschender auf blauer Au“ dürfte man nicht aus diesem Zusammenhang isolieren. Man müßte sie mit dem Dutzend anderer Gedichte des „Flammenden Lavabaches“ lesen. Und aus Versuchen würden Wunderblumen schlagen. 28. 9. 48 Wir Deutsche werden seit 1945 erzogen, von vier großen Erziehern, die uns mächtig prügeln und zusetzen. Staunend betrachten wir diese Erziehungsberechtigten und ihre Erziehungsmethoden. Der Sieger des gerechten Krieges darf nach Vitoria die Kinder des Besiegten in die Sklaverei verkaufen. Wunderbar, das hat was, das war eine schöne Aufgabe; der Pflicht und bei Verletzung dieser Pflicht herrlich.2 Der Gegner einer Macht, die einen gerechten Krieg führt, ist deshalb eo ipso in gerechter Notwehr. Oder ist er vielleicht verpflichtet, den Krieg zu verlieren? Homo homini homo – na, ich danke; dann doch schon lieber mit ehrlichen Wölfen zu tun haben, als mit dieser Mischung von Fuchs und Marder.3 Flaubert (1853): Das 18. Jahrhundert hat die Seele verneint; die Arbeit des 19. Jahrhunderts wird es sein, den Menschen zu töten; jawohl, friedlich, in der Art und Weise der brave new world von Aldous Huxley, oder im gerechten Krieg mit Atombomben und Strahlen;

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Am Rand: „A. Mohler, 23. 9. 48“. Der stenogr. Satz ist nicht klar lesbar. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar.

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der bakteriologische Krieg ist immer ein gerechter Krieg. Sonst darf er nicht stattfinden, und wer ihn gewinnt, wird keinen am Leben lassen, der an seiner Gerechtigkeit zweifelt. Die Alternative war . Schöne Definition des Gesetzes bei dem jungen Hegel: Das Gesetz ist ein Fragment der menschlichen Natur. Vor dem Gesetz ist der Verbrecher nichts als der Verbrecher; aber das Gesetz ist eben nur ein Fragment der menschlichen Natur und trifft nur Fragmente. (Geist des Christentums, S. 288). 30. 9. 48 Es gibt einen geschichtlichen Beweis, ja noch mehr: ein vollgültiges, nach Inhalt und Form sogar endgültiges Paradigma für die Unentrinnbarkeit der Alternative: homo homini deus – h.[omo] h.[omini] lupus, und damit auch für die Unmöglichkeit, auf dem neutralen Nullpunkt des h.[omo] h.[omini] homo stehen zu bleiben: das Schicksal der römischen Caesaren. Seit Hadrian (nach Mommsen schon früher) steht der römische Senat vor der Alternative, den verstorbenen Caesar entweder zum Gott oder zum Feind (princeps hostis) zu erklären; tertium non datur. Sobald der Mensch sich zu steigern sucht – und das muß er, denn l’homme surpasse l’homme –, entsteht diese Alternative und öffnet sich dieser Abgrund. 3. 10. 48 Die Lauen Neutralisierten regen sich auf über Atheismus und Nihilismus und merken nicht, daß in einem (von ihnen sehr geschätzten und vielzitierten) Ausspruch Jakob Burckhardts unendlich mehr Atheismus und Nihilismus steckt als in Bakunins ganzem Werk. Ich meine den Ausspruch: Die Macht ist an sich böse. Wer weiß heute, daß dieser Satz dasselbe bedeutet wie: Gott ist tot. 5. 10. 48 Die Polemik Bernanos in „La France contre les Robots“ (1946) ist ganz altmodisch und wirkungslos. Es ist im Ductus das polemische Fauchen Theodor Haeckers in „Satire und Polemik“, das vor 30 Jahren noch Eindruck machte. In der Sache ist es Kritik des Zeitalters der Technik, die wir in Deutschland schon seit dem Anfang des Jahrhunderts durch Max Weber, Troeltsch, Rathenau kennen. Und schließlich entpuppt der Autor sich als braver Anti-Vichist, sodaß er der Lizenz durch das heutige Regime sicher ist. Er bespuckt den armen fanzösischen Gendarme von 1940, der sich völlig normal verhalten hat. Peinlich ist das, die aufgeregte Polemik eines Menschen, der rechtzeitig und in allem Komfort emigriert ist, der keinen Tag im Gefängnis gesessen und keinen Bombenangriff erlebt hat und nun zurückkommt, um uns Europäern die Maßstäbe über den Kopf zu hauen. 6. 10. 48 Die alten Gespenster, die nicht sterben können, verzeihen gerne, aber sie können nicht vergessen. Nicht sterben können, das heißt: nicht vergessen können. Unfähigkeit zur Amnestie. Sie wollen weiterleben, nicht einmal überleben. 7. 10. 48 Mit dem Christus des neugeborenen Menschen hat dieser Karl Barth doch wirklich nicht mehr zu tun als irgendein Papst oder meinetwegen auch die Päpstin Johanna.

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8. 10. 48 „Si j’avais la disgrâce d’être Allemand, j’avoue volontiers qu’à Munich, devant Daladier et Chamberlain, les deux Bigs de ce temps-là, j’aurais été tenté de me croire non seulement seigneur, mais Dieu“. Sic Georges Bernanos, in „La France contre les Robots“ (robot = machine!!), 1946, p. 173. 10. 10. 48 Wir armen Chaopoliten. Uns bleibt im Chaos nichts als die Unterscheidung der Geister. Wie sollte anders ein Kosmos entstehen? Unterscheidung der Geister, das ist aber schon Freund-Feind-Unterscheidung. Alles andere wäre Spaß. 16. 10. 48 Von Henri Murger zu Henry Miller. Henry Miller „Tropique du Cancer“, das ist Henri Murgers „Bohème“, statt der Elsässer sind es Amerikaner, und das ganze ist mit globalen Typen durchsetzt, in offenem Priapismus und offener Verzweifelung, die sich kein rosa Schleifchen1 mehr umbindet, sondern sich schamlos zu sich selber bekennt und daraus noch einen bestimmten geistigen Impuls zu ziehen weiß. La terre toute vacillante de crime et de détresse. L’homme a été trahi parce qu’il appelle la meilleure partie de sa nature, et c’est tout (p. 121). Das haben wir 1840 auch schon gehört, aber es wird erst jetzt, nach dem Zweiten Weltkrieg folgerichtig vollstreckt, und zwar global. Die Entwicklungslinie von 1848–1948 geht vom Proletariat zum períyhma. Das ist der ganze Fortschritt. Ich sagte: sie bindet sich kein Rosa Schleifchen mehr um. Das war verfrüht gesagt. In der zweiten Hälfte des Buches von H. Miller erscheint ein Hymnus auf die Humanität, und zwar als Hymnus auf die Kunst von Matisse, bei dem das Fleisch so schön atmet. Das ist eine große Erholung; von der variété de la pâture sexuelle zur varieté de la pâture culturelle et humanitaire. Die lähmende Legende: die weißen Götter, die vom Osten kommen. Salus ex Judaeis. Bes uswika: wortlos. Die Linie 1848–1948 ist die Entwicklung und Steigerung des Nichts und des Nihilismus. Soziologisch-konkret gesprochen: vom Proletariat zum Peripsema. Existenzialistisches Geflunker begleitet den Übertritt in die Schamlosigkeit des Nichts. Das christliche Peripsema scheint verbraucht zu sein. Wer hat gesagt: Der Deutsche wollte lieber ein Verbrecher als ein Bürger sein? Schön. Proletarier wollte er aber auch nicht sein. Da bekam er lieber einen Wutanfall und wurde Hitlerianer. Ich fürchte, er bekommt einen noch viel schlimmeren Wutanfall, wenn er den Begriff Peripsema realisiert. Dann erst wird man den Antichristen erleben. Im Vergleich zum Peripsema ist der Proletarier nur ein entwicklungsgeschichtlicher Streber. Der Feind ist das Nichts? Der Feind ist heute das Nicht-Nichts! Und das ist eben der Christ. [In] W. Grewes Publikationen (über Besatzungsrecht) bleibt das Grundfaktum ja immer die Situation: des Besiegten eines diskriminierenden Weltkrieges. Möge der glänzende Aufsatz von Herbert Krüger in der Gegenwart (Sept. 48) dazu beitragen, daß der Dritte Welt-

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Im Orig.: „Rosa schleifchen“. Am Rand: „vgl. unten“.

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krieg zu einem menschlichen Feindbegriff zurückkehrt. Aber die Furien des gerechten Krieges sind nun einmal entfesselt und lassen sich wohl nicht so leicht wieder zähmen. Bis dahin muß alles, was als „Recht“ konstruiert wird, in jus et favorem bellum justum gerentis ausschlagen, wie man das schon bei Vitoria nachlesen kann. Und unsere ganze Lage, Verfassung, Grundgesetz und Statut bleibt ein einziges, riesiges versari in re illicita. Jedoch: Endlich macht die Zeit den Saul Zur Verfolgung schwach und faul. In 4 Jahren Besatzung muß sich der animus hostilis etwas verbrauchen und das Provisorium nach irgendeiner Richtung etwas stabilisieren. Vielleicht erhält dann sogar das tu quoque gegenüber dem Erziehungsberechtigten einigen Spielraum. Jedenfalls ist die völkerrechtswissenschaftliche Leistung Grewes ganz außerordentlich.1 Er ist jetzt der erste deutsche Völkerrechtslehrer. Das ist nicht nur eine Leistung und eine Aufgabe, sondern auch eine Situation. Mögen ihm alle guten Genien darin beistehen. Nicht einmal einer klaren Raumordnung der Erde sind diese Sieger fähig. 18. 10. 48 Endlich wieder ein neuer Feind: Henry Miller hat ihn entdeckt und signalisiert; die Freunde der klassischen Bildung, die Liebhaber der Vergangenheit. Il y a quelque chose d’obscène dans cet amour du passé, sagt er. Quelque chose d’obscène dans tout ce raffut spirituel, qui permet à un crétin d’asperger d’eau bénite les grosses Berthas, les dreadnoughts et les explosifs. Jetzt kommt es (p. 303), das große Tötungspotential einer neuen Verfolgung: Tout homme qui a des classiques plein le bide est un ennemi de la race humaine! Ein Wort wie ennemi de la race humaine ist explosiver als jede Atombombe oder biologische Waffe, auch wenn es als Slogan gemeint ist. Es wird sich schon ein Ernstnehmer, ein Vollstrecker finden. De plus en plus le monde ressemble au rêve d’un entomologiste. Die Vereisung der Erde, pas cœur catholique; obscène charabia chrétien. Am Schluß heißt es (beim Anblick der ruhig fließenden Seine): les êtres humains font une faune et une flore étranges. Plus que tout autre chose ils ont besoin d’avoir de l’espace en suffisance – de l’espace encore plus que du temps. Also doch der Raum. Amerikanisch. Im Ganzen: faules Fleisch mit literarischer Desinvolture präpariert. Der Geist dient als Gewürz, damit man das stinkige Fleisch herunterschlingen kann. Das ergibt einen Blut- und Kot-Mythos, dessen Tötungspotential beachtlich ist. 21. 10. 48 „Angesichts des Trümmerfeldes“; so beginnt die bayerische Verfassung vom 26. Oktober 1946, um zu dokumentieren, daß auch den Bayern angesichts eines Trümmerfeldes nichts anderes eingefallen ist als billige verschimmelte Banalitäten aus der guten alten Zeit des Konstitutionalismus. Vielleicht ist auch das Verhältnis von Katze und Maus nur das Ergebnis eines langen Krieges und nur die Festlegung eines Kriegsausganges. Wie Heraklit sagt: Der Krieg macht

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Stenogr. Notiz am Rand nicht klar lesbar.

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die einen zu Freien, die andern zu Sklaven. So hat er einige [Menschen]wesen zu , andere zu Musen gemacht. Er enthüllt die Natur, die „fúsiv“ und legt sie zugleich fest. Das ist die Gerechtigkeit des Krieges; das ist das Naturrecht. Der Krieg zwischen Menschen hat seine Ehre, er ist nicht gerecht. Nur der Krieg zwischen Naturwesen ist gerecht. Er endet damit, daß sich die einen als Freie, die andern als Sklaven, die einen als Katzen, die anderen als Mäuse erweisen. Recht ist die endgültige Verteilung des Raumes. Recht ist primär Teilung und Verteilung, und zwar Teilung und Verteilung des Bodens. Recht ist die deutliche Verteilung von Freiheit und Unterwerfung. Wir Juristen sind ja nur Schreiber. Wir haben unmittelbar nicht Wort und nicht Bild, wir haben nur die Schrift. Wir können noch von Glück sagen, wenn wir selber als erste schreiben, z. B. das sogenannte Gewohnheitsrecht, und nicht gezwungen sind, ein bereits geschriebenes Gesetz zu umschreiben. 27. 10. 48 Zu dem Buch von Annie Kraus „Über die Dummheit“ (Carolus Verlag Knecht, Frankfurt): Man begegnet in dieser „Dummheit“ von Annie Kraus auf S. 38 meinem Namen. Carl mit C, Schmitt mit 2 t; Identität und Kontinuität nicht zu bestreiten, so daß die Empfehlung an die Prosecutors (auf S. 42: „mitverantwortlich“) konkret genug landet. Was man hier von Annie Kraus gedruckt liest – an ihren Rehaugen-Blick gerührt sich erinnernd –, habe ich aus dem Munde Kempners in gleicher Weise gehört. Aber mit Kempner bin ich ins Gespräch gekommen, während ich mich mit den vielen Worten über „Demut“ von A. K. nicht einlassen mag.1 Wir armen Gojim sind ja nun mal doof. Das steht jetzt für [die] nächsten tausend Jahre fest und ist von einem internationalen Militärtribunal rechtskräftig entschieden. Res judicata. Militärtribunale sind das höchste . Und soviel, Gertrud von Le Fort in Verehrung gewidmetes „Über die Dummheit“ zu lesen, tut mir von Annie Kraus wegen richtig weh. Sie tut wie ein kleiner Würgengel und gehört doch gar nicht in die Gesellschaft der Prosecutoren und Accusatoren, und wenn es an mir lag und ich dazu beigetragen habe, daß sie nun doch hineingeraten ist, so bereue ich das. Jetzt sehe ich sie also auf dem hohen Roß der christlichen Demut daher [kommen] ohne auch nur eine Zeile des Begriffs des Politischen ändern zu können. Denn ich bin immer noch nicht dahinter gekommen, ob es nun Feinde gibt oder nur Dummköpfe, und ich habe trotz des langjährigen Geredes von Existenz und Existenzialismus noch niemals eine andere existenzielle Kategorie wahrnehmen können als die Unterscheidung von Freund und Feind. Es könnte doch ein auffallendes Resultat dieses „Begriffs des Politischen“ sein, daß die Behandlung des Feindes als eines Verbrechers ebenso verbrecherisch werden kann, wie seine Behandlung als abgründiger Dummkopf dumm. Oder soll ich dafür verantwortlich gemacht werden, daß die Deutschen dazu neigen, der Unterscheidung von Freund und Feind ihre Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich zu unterschieben?

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Am Rand: „an Paul Adams, 27. 10. 48“.

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Schöne Widmung unter Deutschen: Con-versanti in re illicita Co-existentibus in re illicita. 5. 11. 48 Heute ist „Naturrecht“ nur noch das phosphoreszierende Verwesungsprodukt einer zweitausendjährigen Zerredung. Die bloße Möglichkeit einer Mitteilung, selbst wenn diese Möglichkeit völlig unbewußt bleibt, fälscht bereits das Ergebnis des Denkens. Was soll man von allem Geredeten oder gar Geschriebenen oder sogar gedruckten Zeug halten? Oder von den bereits bei ihrer Niederschrift zum Druck bestimmten Tagebüchern? Höhepunkt des Irrsinns: Gerechter Krieg und gleichzeitig ein liberum Veto der Großmächte im Weltsicherheitsrat! Welch eine Ordnung! Das freie Veto stellt doch die Großmacht über die Friedensordnung und macht sie –––– zur letzten Instanz in Fragen des Friedens und damit auch der Gerechtigkeit des Krieges. 7. 11. 48 Anthropologie seit Pascal: Also grandeur et misère, der Mensch ist ganz groß und ganz klein, sehr viel und sehr wenig; kurz: ein überlebensgroßer Zwergriese. Lage (Erkenne die Lage! Existenzialistischer Imperativ Nr. 1).1 1. Die europ. Rechtswissenschaft ist das letzte Asyl des Rechts. 2. Die europ. Rechtswissenschaft befindet sich im Exil. 3. Wir gehören zur Exilregierung. 11. 11. 48 Ganz in der Tiefe: Der entsetzliche Lebensdrang, der Terror der Triebe, der Zwang zum Leben (élan vital ist ein ruchloser Übermut), das ist der Leviathan. Julien Green hat ihn gut beschrieben. Hobbes und Rousseau suchen Schutz vor ihm, Hobbes in gesteigerter Problematik, Rousseau in der Entproblematisierung. Hobbes macht den Leviathan zu einer Maschine, Apparat und Kollektiv, und eröffnet damit das Zeitalter der Technik (Schutz und Sicherung in der Technik). Rousseau macht den Leviathan zum Kaninchen mit Gift im Schwanz, venerum in cauda. Was mich im Tiefsten beschäftigt, ist die Verwandlung des Raubtiers in eine Maschine; Zusammenhang von Technik und Leviathan, d. h. eines räuberischen Seetieres. Die Genialität Hegels zeigt sich darin, daß er den Zusammenhang von Meer und industrieller Technik gesehen hat (R[echts]phi[losophie] § 247). Aber die Genialität des Hobbes ist noch größer; sie zeigt sich darin, daß er das alles in seinem Leviathan [symbolisiert]. Sohn dieser Weihe, Sohn dieses Wissens, Sohn dieser Wandlung, immer Sohn. Wie schön. Es läßt sogar offen, ob ich der Sohn eines Vaters oder einer Mutter bin. Es ist aber wohl eher an den Vater gedacht als an eine Mutter. Aber das darf weder nach der Vaterseite noch

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Am Rand: „an Günther Krauss und Rolf Stödter“.

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nach der Mutterseite entschieden werden, am wenigsten darf es gynandrisch kombiniert werden. Es muß im Unausgesprochenen bleiben. Wissenschaftlich sagt man: Resultat. 15. 11. 48 Von der Präsenz zur Präsentation, von da zu Repräsentation. Warum gibt es keine Re-Präsenz? Sondern nur Repräsentation? Dafür aber haben wir Re-Education. Das sind alles verdächtige Re-volutionen. Künstliche Ursprünge, Fälschungen durch Echt-Machen, WiederGut-Machungen. Artifizielle Virginität. Repräsentifikation. 30. 11. 48 Das entfesselte Diesseits. Maschine: entfesselter Aktivismus des entfesselten Diesseits. 2. 12. 48 Man gibt Notopfermarken, also Steuermarken aus und verlangt, daß sie auf die zu befördernden Briefe geklebt werden. Man verweigert die postalische Beförderung der Briefe und anderer Postsendungen, wenn die Steuermarke fehlt. Die Post wird in eine Steuervollstreckungsbehörde verwandelt; das Postmonopol dient der Steuererhebung.1 Handgreiflicher détournement de pouvoir. Einfache Methode der Gehorsamserzwingung durch Ausschluß von den positiven Leistungen des Verwaltungsapparates. Warum soll man nicht auf dieselbe Weise den neuen Ministern das Geld für standesgemäße Wohnungen beschaffen? Hier ist ein schlimmes Einfallstor des totalen Verwaltungsstaates. The serpent, it is said, can cause its whole body to enter at the opening through which its head will pass: with regard to legal tyranny, it is against this subtle head that we should guard. So sprachen die Rechtsstaatler (Bentham) vor über 100 Jahren. Heute sind sie hilflos und instinktlos geworden. Les êtres destinés à périr sont d’accord avec leurs ennemis. Ihr trüber Intellekt vermag das Wesen eines Verwaltungsstaates nicht mehr zu erkennen. Würde ich aber diese einfachen Wahrheiten heute aussprechen, so würde eine Meute von Kollegen die Jagd auf mich von neuem eröffnen und schreien: Der charakterlose Schuft fällt den tapfer kämpfenden Berlinern in den Rücken. Also schweigen wir lieber. Christus starb den Tod des Entrechteten, den Sklaventod. Die Kreuzigung Christi war ein Vorgang hors la loi. Das Zusammenspiel von Juden und Heiden. Wer hat den Heiligen hors la loi gestellt?2 Pilatus war gegenüber Christus nicht als Richter tätig; er hat ihn nicht zum Tode verurteilt, sondern nur der Verwaltungsmaßnahme der Kreuzigung überlassen, auf Drängen der Juden.3 Ich sehe keinen Tenor eines Todesurteils im Text des Evangeliums. Rex Judaeorum ist kein Urteilstenor. Pilatus war kein Richter. Wie könnte ein Richter, der als solcher einen Gerechten zum Tode verurteilt, gleichzeitig von sich sagen: Ich bin unschuldig an diesem Tode eines von mir zum Tode verurteilten Menschen? Das wäre doch eine völlig sinn- und hilflose protestatio factis et actis contraria, die man bei einem gebildeten Römer dieser Zeit nicht annehmen kann. 1 Stenogr. am Rand: „an Barion, Hannes 7. 1. 49 bei Ostermann die Steuermarke erst die Freimarke“. 2 Stenogr. auf der Seite daneben: „Klar, das ganze Christentum war doch hors la loi, Überwindung des Gesetzes, Aufhebung des Gesetzes niemals Friede mit der Satzung.“ 3 Am Rand: „an Barion, 3. 12., an Peterson 21. 12. 48, “.

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4. 12. 48 Wie traurig und hoffnungslos: Ich sage „l’obscurité protège mieux que la loi“, und bestenfalls findet man das geistreich. Die Menschen denken in Begriffen, nicht in Situationen, und „Situation“ ist leider ein besonders interessanter Begriff.1 Daher die vielen Enttäuschungen gerade bei denjenigen, von denen man sich zunächst so gut verstanden fühlte. Wie soll ein Nicht-Diffamierter einen Diffamierten begreifen? Wohin führen die Begriffsstege, die den Abgrund zu überbrücken scheinen? Wir schleppen auf dieser schmalen Brücke nur das gestohlene Kalb, wie der Ritter Tondalus und begegnen uns schließlich nur selber auf dem dünnen Brett über dem Abgrund. Der Advent in den Lennebergen ist ungeheuerlich, totale Präsenz des reinen Wartens und Erwartens. 12. 12. 48 Da ist ein Thomist oder Neothomist des Jahres 1948, der eine „Entgeistigung“ der Welt befürchtet, wenn man nicht thomistisch bleibt. O Gott. Ich kenne die Vergeistigung, das Ende im Geist, im Nordlicht. Ich kenne die Rückkehr zu Blut und Boden, die schon Michelet gepredigt hat (Bible de l’humanité), kenne die Chthoniker und die Panisken. Sollte der heutige Thomismus sich als juste milieu zwischen Spiritualismus und Materialismus anbieten? Als goldene Mitte zwischen Blut und Gehirn? Der Yogi und der Kommissar? Nein, der Märtyrer und der Großinquisitor! 14. 12. 48 Meine Ablehnung des Positivismus kam mit dem Alter. Wäre es in der Jugend sinnvoller gewesen? Vergleiche damit die Ablehnung der „Positivität“ durch den jungen Hegel. Positivität = Gesetzlichkeit = Judentum = Despotie = Krampf des Sollens und der Norm.2 Hegel stellt dem positiven Christentum eine nicht-positive Religiosität polemisch entgegen. Das stellt Georg Lukács (Der junge Hegel, Zürich 1948, S. 46 f.) fest, ohne zu erwähnen, daß dieses positive Christentum bei dem jungen Hegel ausdrücklich Gesetzesreligion und Judentum bedeutet; der junge Hegel sucht die subjektive und doch öffentliche Religion. Hier zeigt er schon sein berühmtes Janus-Gesicht. Hegels Widerspruch als das tiefste Prinzip aller Dinge und ihrer Bewegungen; alles, das Leben, das Absolute ist Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung (Nohl, –––– S. 347/8). „Nicht das Eine oder das Andere hat Wahrheit, sondern ihre Bewegung.“ (Phänomenologie). Nicht die Identität der Gegensätze, sondern die Identität und die Nicht-Identität. Nicht das Aufgehobensein, sondern die fortwährende Aufhebung des Gegensatzes ist die Unendlichkeit. (Jenenser Logik). Das sind die Sätze, die Lenin gefallen haben. Also: Hegel sagte „Der große Staatsrechtslehrer sitzt in Paris“ (Brief an Niethammer vom 29. 8. 1807). Wo sitzt er heute? Heute sitzt der große Völkerrechtslehrer in Moskau. Er hat von dort die Nürnberger Prozesse instruiert.

1 2

Am Rand: „an Paul Adams“. Am Rand: „22. 2. 49, 27. 2. 49“.

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15. 12. 48 Gib deinen Feinden keine Möglichkeit, dich zu begreifen. Solange sie dir Unrecht tun, haben sie dich nicht begriffen. Das ist die große Genugtuung, die dem ungerecht Verfolgten zur kräftigen Nahrung wird. Sie, meine Feinde, sind ja gezwungen, mich zu verleumden. Was wären sie, wenn ich nicht das wäre, was sie von mir sagen? Sie ständen bloß in ihrer wahren Existenz. Vor dieser Enthüllung haben sie die große Angst, die sie zur Lüge zwingt. 16. 12. 48 Überwältigende Freude, bei Shakespeare die Verse zu lesen: For as thou urgest justice be assured Thou shalt have justice more than thou desirest. Und unmittelbar vorher noch die Zeichen esoterisch gewordenen christlichen Wissens, in der wunderbaren Unterscheidung von Fleisch (flesh) und Blut (Christian blood), von sarkischer und blühender Welt. Überwältigende Freude. Diese metaphysische Elementarität spielt mit dem Werkzeug überspitzter Juristik. O upright judge, o learned judge, a Daniel, a second Daniel! Dieser Shakespeare gehört wirklich auf die schwarze Liste und müßte in deutschen Schulen verboten werden. Bist du es, Schüttelspeer, der mir begegnet? Karteigenosse von der schwarzen Liste! Ave consilescens in arcano! Wir geben ihnen keine Möglichkeit, uns zu begreifen.1 18. 12. 48 Man muß ein Gedächtnis für langfristige Wirkungen haben. So war die Inquisition in Spanien eine nach 600 Jahren gegebene Antwort an die Urheber und Anstifter der sarrazenischen Invasion des 8. Jahrhunderts. Hier versagt der große Hegel; er meinte, was lange zurückliegt, sei deshalb nicht mehr wahr. „So ist Christus schon so lange für unsere Sünden gestorben, daß es bald nicht mehr wahr ist“ (Rosenkranz, S. 541). Verstehe die Angst Otto Weiningers vor einer solchen Redensart. Das ist der ungerechte Kammacher Hegel, den es leider auch gibt und der nun der Kronzeuge von Lukács werden soll (Lukács, S. 590). Es gibt in der ganzen Weltgeschichte nichts, was so frei von jedem Erlösungsbedürfnis wäre, so völlig immun gegen jede Anwandlung eines solchen Bedürfnisses wie Hegels Philosophie der Identität des Seins und des Nicht-Seins zu einer Verbindung, die nicht etwa nur Verbindung, complexio oder coincidentia oppositorum ist, sondern Verbindung der Verbindung und der Nicht-Verbindung, Identität der Identität und der Nicht-Identität, ewiger Prozeß, ewige Unruhe; wer das begreift, braucht keine Erlösung mehr. 20. 12. 48 Nachricht vom Tode des armen Gustav Adolf Walz. So treibt man deutsche Gelehrte in den Tod. Ecce quomodo moritur justus, et nemo considerat. Ich aber will seiner gedenken in einer christlichen consideratio.

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Am Rand: „dazu 11. Dez. 1950: Die Meute Korah verfolgt den armen Weber Max.“

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Der Spiel-Raum der Kausalität ist der Spiel-Raum unserer Freiheit. Es ist zugleich der Spiel-Raum der irrealen Bedingungssätze der Vergangenheit. Müßiges Spiel, die Freiheit berechnen zu wollen! Was der Freie mit seiner Freiheit anfangen wird, kann ich nicht vorher wissen, und ich kann ebensowenig nachher wissen, was er mit ihr angefangen hätte, wenn er anders gehandelt hätte. Der armselige Bereich aber jenes irrealen „wenn“ und „hätte“, das ist der Bereich unserer Freiheit, unserer Geschichtsschreibung und unserer Strafjustiz! Konrad Weiß: Ich muß den Weltsinn schüren (Hüter der Welt sind andere); Wie wird die Erde innerlich verkündet? Der Weg des Sagens trennt sich nicht vom Unheil. (Das Schicksal des christl. Epimetheus.) Ich will das Urteil. Mehr noch! Wenn nicht Liebe, ich will den klaren, reingeborenen Willen und dem Sinn, der groß gewesen, soll er Rechnung geben. Bestraft mit Bann, verfolgt in jedem Wort, bedroht zum Tode ist sein Los von Anfang und muß den Weg doch gehn und Drohung klären. Und dazu soll man sich als Deutscher die Banalitäten eines Spengler-Epigonen wie Toynbee anhören oder die noch trübere Toynbee-Begeisterung strebsamer deutscher Oberlehrer und Untertanen. 22. 12. 48 Die Lektüre des Jungen Hegel von Georg Lukács stellt vor eine große Aufgabe: den christlichen Epimetheus sichtbar zu machen, als von welchem der heraklitische Epimetheus Hegel nur ein Abfall ist. Freilich ist dieser Abfall immer noch tausendmal großartiger als der UNO-Toynbee und die Positivisten des Westens. Es ist natürlich keine Erklärung der Entstehung der Welt, von ihr zu sagen, daß sie aus dem Nichts geschaffen sei. Nichts, das heißt eben: Nichts, und wenn es etwas anderes heißen soll, so ist es nicht mehr Nichts, und das ganze wird ein Vexierspiel trügerischer Worte. „Schöpfung aus dem Nichts“, das hat keinen andern Sinn als die Herkunft der Welt aus Gott unbegreiflich zu machen und im Unbegreiflichen zu belassen. Unendliche Überlegenheit des Nihilismus über den Positivismus. Hegel ist Nihilist, und nicht Positivist. Das Nichts ist stärker als das Etwas. 24. 12. 48 Die Stiefellecker des Westens erklären die Stiefellecker des Ostens für Barbaren und Unmenschen. Wer den Lackstiefel leckt fühlt sich dem Filzstiefellecker zivilisatorisch überlegen. USW. Das Ganze nennt sich schamlos Befreiung. Caliban hat einen neuen Herrn und darf seinen getöteten früheren Herrn und alle Feinde seines jetzigen Herrn in voller Preßund Redefreiheit beschimpfen. Welch ein Fortschritt. 25. 12. 48 Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung, das ist es; Es ist nur sakral zu bewirken, oder magisch, sonst wird es klassizistisches Arrangement mit präparierten Maßschneidereien. Bei Shakespeare reißt nicht die Einheit, sondern das Tempo der Handlung Ort und Zeit absor-

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bierend in sich hinein; das hat schon etwas Utopisches. Die Trennung vom Terranen lockt die maritimen Helden in eine abenteuerliche Welt. Heil dem seltenen Abenteurer! Er stürzt nicht aus dem Raum in die Zeit, sondern in die Handlung, in die Aktion und das Drama, und schließlich in ein perfektes Jenseits. „Der Feind ist unsere eigne Frage als Gestalt. Und er wird uns, wir ihn zum selben Ende hetzen“ ([Däubler,] Sang an Palermo).1 Was bedeuten und woher stammen diese Verse? Intelligenzprüfungsfrage an jeden Leser meiner kleinen Schrift: Der Begriff des Politischen. Wer die Frage nicht aus eigenem Wissen2 beantworten kann, sollte sich hüten, über das schwierige Thema jener kleinen Schrift mitzureden. Wohlgemeinter Rat an Typen3 wie Kurt Hiller, Hans Barth und William Ebenstein.4 Der Spaten der Feinde ist unsere Frage als Gestalt.5 10. 1. 49 Der Feind gibt uns die Gesetze (Kommunistisches Manifest von 1847). Das staatliche Gesetz ist nur so lange Recht, als die selbständige Einzelheit des Individuums Wirklichkeit ist. Das ist eine „Verfassung mit Grundrechten des Einzelnen“. Eine Verfassung kann nicht zwei Arten von Grundrechten haben: individualistische und kollektivistische (Verbands-) Grundrechte. Wo findet der Einzelne heute Schutz? Bei seiner Partei und bei seinem Verband. Nicht beim Staat gegen die Partei oder gegen den Verband. Und wo findet der Arme Brot?6 14. 1. 49 Klages und die Folgen: Denken ist Nicht-Leben; Gegen-Leben; Lebensmord und Lebensfeindschaft. Also wieder ein neuer Feind der Menschheit. Das Feindschaftpotential des Denkens ist unendlich. Denn man kann nicht anders als in Gegensätzen denken. Le combat spirituel est plus brutal que la bataille des hommes. Natürlich. On se lasse de tout, excepté de penser. Schlimm genug. Schlagt sie tot, sie denken! Leider setzt auch diese hoffnungsvolle Parole ein Minimum von Denken voraus. Sonst könnte der Denker die Nicht-Denker ja leicht betrügen und zum Narren halten. Der Denker, der totgeschlagen wird, wäre nur der Andersdenkende, und der totschlagende Nichtdenker ebenso. Erst die restlose Vertierung und Verpflanzung würde

Am Rand: „Däubler denkt und definiert fortwährend.“ Darüber: „Geist“. 3 Darüber: „Figuren“. 4 Am Rand: „an Mohler 17. 1. 49“. 5 Der letzte Satz später in Steno hinzugefügt, darunter notiert: „Güllich 5. 4. 50 (nur den 1. Vers), Oberheid 24. 3. 50 (Widmung der Lage der Rechtswissenschaft, beide Verse), Huber?, Mohler; A. Weber, März 50?“. 6 Stenogr. Notiz am Rand: „und die geschädigt “. 1 2

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dem Denken ein Ende machen und das Paradies auf Erden herbeiführen. Oh, die Tiere des Waldes und die Blumen des Feldes!1 Wo sind sie noch? Im Zoologischen Garten, im Jardin des plantes, im Naturschutzpark. Das Denken stellt das Nicht-Denken unter Naturschutz; das Nicht-Denken das Denken unter Denkmalschutz stellen. Im 19. Jahrhundert hatte die historische Vergangenheit die Gegenwart unter Denkmalschutz zu stellen versucht. Traurig und der Feindschaft nicht mehr fähig: das Ende im Museum. Der Leviathan im Aquarium, der Behemoth im Zoo. Hilflosigkeit des Prinzips der gleichen Chance. Neutralität zwischen Rechts und Links, Parität gegenüber radikal entgegengesetzten Fronten; der gerechte Richter wird von beiden Parteien zerrissen. 15. 1. 49 Die undankbarste politische Rolle ist die des Hüters einer demokratischen Verfassung gegenüber undemokratischen Parteien, die mit demokratischen Mitteln arbeiten. Das war meine, Schleichers und auch Johannes Popitz’ Situation beim Preußenschlag vom 20. Juli 1932. Aber die volle Tragik des Ganzen haben nicht einmal General Schleicher und Joh. Popitz erlebt. Sie liegt darin, daß nach dem 20. Juli 1932 erst die Radikalen von Rechts mit demokratischen Methoden in Deutschland zur Macht kamen und jene Hüter der Verfassung mißhandelten und sie, soweit sie noch lebten, nach dem 20. Juli 1944 henkten. Dann aber, nach 12 Jahren, 1945, übernahmen die Radikalen von Links als Hauptsieger einer Weltkoalition die Führung im Kampf gegen jene Hüter von 1932. Jetzt wurden die Hüter der Weimarer Verfassung im Namen dieser Verfassung von Links her liquidiert. Doppelte Niederlage. Es war so, als würde Deutschland in den kommenden Jahren erst vom Westen und dann vom Osten her zu einer Einheit gezwungen. In Deutschland müssen heute die Ausgräber und Restaurateure der Weimarer Verfassung ihre einzigen loyalen Helfer, die Männer des 20. Juli 1932, verleugnen und verfolgen. Daran wird die ganze Restauration scheitern. Sie schreiben heute in ihre Verfassungen, was sich aus meiner Schrift „Legalität und Legitimität“ ergibt. Es wäre besser gewesen, sie hätten sie damals, im Sommer 1932, richtig gelesen und begriffen. Ich lese einen Autor, der eine angeblich rein wissenschaftliche Theorie entwickelt, etwa die Abstammung des Menschen vom Affen oder die psychoanalytische Erklärung der Träume und Neurosen. Ich sehe aber immer nur den Autor. Das Material ist mannigfaltig, vieldeutig, unabsehbar, niemals abgeschlossen, daher im Grunde völlig unkontrollierbar und jeder mythischen Gestaltung offen. Umso deutlicher und unwiderleglicher wird das Bild des Autors und seiner geschichtlichen Lage: Aus Darwins Entstehung der Arten ergibt sich nichts als ein Bild Darwins, seiner psychologischen Art und seiner soziologischen Situation. Aus allen Büchern und Schriften Sigmund Freuds dasselbe. In beiden Fällen ist die wissenschaftliche Evidenz nur der Reflex der Siegesgewißheit einer gegen eine absterbende Klasse aufstrebenden Schicht. Das vom Affen zum Menschen sich entwickelnde Tier, das ist der plébéjen qui arrive des 19. Jahrhunderts; das erlaubte die europäische Situation nach 1848 der ersten Generation, daher der Riesenerfolg der „Entstehung der Arten“ 1856. Und nun erst die Wiener Psychoanalyse seit etwa 1912! Eine bestimmte Schicht streift aus

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Am Rand: „Bachofen, 19. 2. 49“.

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früheren Situationen überkommene Hemmungen und Störungen ab und richtet sich auf ein größeres Sicherheitsgefühl ein. Auch das erlaubte die Situation nach 1848 der zweiten und dritten Generation. Ent-Ghettoisierungs-Riten. Der Mythos ist die Exegese des Symbols. Wo steckt hier das Symbol? 17. 1. 49 Eine Menschengestalt! Vergnügtes Schnurren des Gehirnes: Mensch, werde Funke! Erde, werde Strahlung! Glühwürmchen, glimmere! Geist, werde absolut! Welt, werde total! Absoluter Fürst, absoluter Ablativ, absoluter Narr. Totale Macht, totale Mondfinsternis, totalitärer und antitotalitärer Idiot. Deficiente vino el mundo no es fino. Im Wesen des Menschen soll die Feindschaft ausgeschlossen sein? Mensch, das soll bedeuten: Friede, Harmonie und Eintracht? Brüder sollen ewige Freunde sein? Und das sollen Christen oder Juden glauben? Dann dürfen sie nicht mehr glauben, daß sie die Nachkommen unseres Stammvaters Adam sind, des ersten Menschen. Adam hatte zwei Söhne, Kain und Abel. Schöner Ansatz einer allgemeinen Verbrüderung! 18. 1. 491 Wieder einer der großen Anrufe Däublers an mich: „Jetzt werden die Gesetze ur-durchschaut zerschellen“. Die ausladende Kraft solcher deutschen Alexandriner, der Rhythmus federt durch starke Wortzusammensetzungen, Wortballungen als mächtige Akkumulatoren für Geistes-Strahlungen. Gegenüber der Hinterlist der Existenz muß jede Form und jeder Ausdruck indirekt bleiben (Kierkegaard). Geheimnis der potestas indirecta, die indirekt wurde, als die irdische Macht direkt auftrat. Hinterlist der Macht? Hobbes meinte es direkt und ehrlich. 19. 1. 49 Wiederum: Man muß seinen Feinden unbegreiflich bleiben. Aber indem ich sie begreife, verwandle ich mich in sie; oder sie in mich? 22. 1. 49 Vortrefflich sagt Gottfried Benn: Ich bin nicht der Meinung, daß Altsein resignieren heißt. Altsein heißt: das Äußerste wagen dürfen. Richtig. Sehr gut. Dazu wäre höchstens noch zu bemerken: Ich habe nichts mehr zu verlieren als meinen Kadaver; den lasse ich aber nicht gern in den Händen meiner Feinde. 26. 1. 49 Wir sind die Unsichtbaren. Darin besteht unsere Unerfaßbarkeit und unsere Unorganisierbarkeit in einer Zeit totaler Organisation. Daher der Haß der Machthaber und der Anti-

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Über der Seite: „Ur-Durchschau“.

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Machthaber gegen uns. Das Geschrei über Sabotage und Verrat. Wir sind weder legal noch legitim noch der auf Machtergreifung sich präparierender État postiche. Unsere schlimmsten Verfolger sind die, die gleich über Verrat am Geist schreien, wenn man nicht zu ihrer Clique gehört und die eine Verfolgung organisieren, wenn man sie ignoriert. Wie harmlos waren die, die beim Aufbruch 1933 in Deutschland geistige Morgenluft witterten, im Vergleich zu denen, die 1945 an Deutschland geistig Rache nahmen, weil sie nichts gewittert und angeblich alles vorausgesehen haben. Wir sind die Unsichtbaren. Wenn die katholische Kirche uns zum Asyl wird, bewährt sie sich als Kirche, als die dialektische Synthese von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. 27. 1. 49 Ernst Jünger wird reifer und reifer. Jetzt ist er bald reif für den Nobél-Preis. Mit diesem Lorbeer geschmückt wird er dann Arm in Arm mit André Gide und T. S. Eliot im Jardin des Plantes promenieren. Und Ernst Robert Curtius wird einen Aufsatz über ihn schreiben, obwohl dieser berühmte Bonner Professor sonst doch grundsätzlich nur über Staatsangehörige von Siegerstaaten Aufsätze schreibt. Die neue Elite. An Frau Jünger: Ich habe bei Däubler-Verehrern eine Art Asyl gefunden. Aber ein Pfiff genügt, und es bedarf nur eines Lumpen, um mich daraus zu vertreiben. Das Chaos ist größer als der Kosmos. Der Kosmos ist Kleinraum, das Chaos Großraum. Das gehört zu dem Thema: Chaopoliten. Der Kosmos wird aus dem Chaos erschaffen. Verfassung der Chao-Politen, Art. 1: Alle Chao-Politen sind gleich. Art. 2: Quod licet Jovi non licet bovi; Art. 3: Die Freiheit ist unverletzlich. Ihr Inhalt ergibt sich aus den Befreiungsgesetzen. 29. 1. 49 Schelskys zweite Welt; von Menschen für Menschen geschaffene, nicht nur Werkzeug, sondern auch Werkstoffwelt. Die Technik ist das Kunststoff-Zeitalter. Schauerlichste aller Utopien. 13. 2. 49 Autorität und Asyl, beides einander zugeordnet. Das einzige Asyl, das einem Deutschen zuteil wurde, gewährte der Vatikan; warum will er zu internationalen Konferenzen eingeladen werden? Historia in nuce. Freund und Feind. Der Freund ist, wer mich bejaht und bestätigt. Feind ist, wer mich in Frage stellt (Nürnberg 1947). Wer kann mich denn in Frage stellen? Im Grunde doch nur ich mich selbst.1 Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt. Das bedeutet in concreto: Nur mein Bruder kann mich in Frage stellen; nur mein Bruder kann mein Feind sein. Adam und Eva hatten zwei Söhne: Kain und Abel.

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Am Rand: „(in Ohle)“. Darunter: „aus der Zelle“.

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15. 2. 49 Verzichten kann ich nur auf das, was ich habe. Jeder andere Verzicht wäre Hochstapelei und Betrug. Ich kann nicht auf das Geld der Amerikaner und nicht auf die Macht Stalins verzichten. Auf die Welt verzichten kann nur, wer sie hat; nur der Herr der Welt. Nur der Kaiser, der sie erobert hat. Das wußte der Ludus de Antichristo. Also müßtest du die Welt erst einmal erobern. Dann allerdings wird es ernst mit der Feindschaft. Nichts verzeiht der Herr der Welt weniger, als den Verzicht auf seine Welt. Er wird Dich auszurotten suchen. In diesem Punkt läßt er sich nicht betrügen. 19. 2. 49 Es gibt den Zustand eines hochzivilisierten, hochgebildeten aber rein physischen Behagens. Es ist nur eine Frage der Diät und der Körper-und Geistpflege, daß man dieses Paradies erreicht. Alles was man heute Zivilisation und Kultur nennt, zielt auf diesen Zustand hin. Intellektuelle, moralische und antimoralische, psychische und geistige Würzen gehören dazu. Dann schwebt der Blutkreislauf unseres Organismus im Einklang mit allen kosmischen Schwingungen; ein Gleichgewicht aller Kräfte, Ströme, Wellen und Strahlungen. „In dem Zauber dieser Paradiesesluft befriedigt sich jeder Anspruch an das Leben und jede Hoffnung auf das Jenseits“.1 Das ist die totale Präsenz des Diesseits, der präsente Gott, in dessen augenblicklicher Gegenwart sowohl die Vergangenheit wie die Zukunft erlischt, Reue und Sorge von selber aufhören und die Selbsterhaltung sich in ein seliges Dasein aufhebt. Ein kaum gegrüßt, verlorener, unsagbarer Augenblick, meinte Lenau. Aber in der ewigen Wiederkunft kehrt er ewig wieder, und mit den Mitteln unserer Wissenschaft werden wir ihm die Lenauische Romantik austreiben, die Sehnsucht in Wirklichkeit verwandeln und das größte Glück der größten Zahl organisieren. Das größte Glück der größten Zahl. Wer uns darin stört, ist ein Feind der Menschheit und ein Verbrecher. Kriminalisierung des Störers. 22. 2. 49 Die Justiz sieht sich heute zwischen Generalklauseln und (Zw[angs-])Maßnahmen von Generalen hilflos hin- und hergeworfen. Das ist nur eine Erscheinungsweise unserer geistesgeschichtlichen Zwischenlage zwischen Theologie und Technik. Ho Ho Ho durch Ro Ro Ro. Der neue Bund vgl. 17. 8. 48. Die großen Sätze Hegels, größer noch als Schillers Rhetorik: Encycl. § 248 (denn was sich so verirrt, ist noch Geist).2 Phänomenologie, S. 139/140: Der Wendepunkt, auf dem das Selbstbewußtsein aus dem farbigen Schein des sinnlichen Diesseits und aus der leeren Nacht des übersinnlichen Jenseits in den geistigen Tag der Gegenwart einschreitet; Frage: Was verstanden diese genialen Hauslehrer damals eigentlich unter Geist? En quelque façon nul; darüber schreibt H.-P. Ipsen in seinem Aufsatz „Deutsche Gerichtsbarkeit unter Bes.[atzungs]macht“ (Festschrift für Laun).3 Die Formel Montesquieus

Am Rand: „(Bachofen, S. 401)“. Am Rand: „vgl. 27. 2. 49“. 3 Am Rand: „an Ipsen, 20. 2. 49“. Darunter: „Auch die Rechtswissenschaft ist doch en quelque façon nul.“ 1 2

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ist hintergründig, ohne es zu wollen. Sie eröffnet die ungeheuerliche Dialektik von Macht und Ohnmacht, Sein und Nichts, Befehlen und Gehorchen, Herr und Knecht, eine Dialektik, die in Hegels Phänomenologie des Geistes (Teil B „Selbstbewußtsein“) entwickelt ist und praktisch schließlich in der Formel gipfelt, die man neulich im Weizsäcker-Prozeß gefunden hat: Widerstand durch Mitarbeit. Der „Appell an die Selbstbescheidung“ des Machthabers ist noch keine Institution; wird er es, so ist der Machthaber schon relativiert. In der Zwischenzeit bleibt praktisch nur die arme Hoffnung, daß eine Besatzung nach 4 Jahren Dauer keine Besatzung mehr ist, sondern etwas anderes, Besseres oder Schlimmeres, und psychologisch bleibt nur die rührende Erwartung, die ein Barockgedicht (Trostaria von J. Ch. Günther) so formuliert hat: Endlich, endlich kann1 der Neid, Endlich auch Herodes sterben, Endlich Davids Hirten-Kleid Seinen Saum in Purpur färben. Endlich macht die Zeit den Saul Zur Verfolgung schwach und faul. Ich sehe mit Entsetzen, daß der Gesichtspunkt des gerechten Krieges jede Hoffnung vernichtet, daß er jedes Argument – sei es das Verbot des venire contra factum proprium, sei es der Bezugnahme auf bestimmte oder allgemeine Sätze der L[and]K[riegs]O[rdnung] – sofort ausräumt und beim Sieger jede Anwandlung zu reziprokem Denken sofort erstickt. Deshalb bedaure ich es auch, daß Rolf Stödter dieses Thema in seinem sonst so gründlichen Buch (S. 107) sehr kurz abtut. C. M. O. van Nispen tot Sevenaer (Haag 1946) bestätigt meine Besorgnisse, während Barandons Hamburger Rundfunkvortrag (über die Bochumer Demontageprozesse vom Februar 1949) zeigt, daß auch ein alter, vorsichtiger Diplomat vor lauter Vorsicht taktlos werden kann. 24. 2. 49 Die Deutschen konnten bisher im allgemeinen nur Ich und Nicht-Ich, nicht aber Freund und Feind unterscheiden, was zur Folge hatte, daß sie jedes Nicht-Ich mit dem Feind verwechselten und dann, als sie den Unsinn erkannten, glaubten, ihn mit einem „Kuß der ganzen Welt“ wieder in Ordnung gebracht zu haben. Wie sollte da das köstliche Salz der Selbstironie gedeihen?2 (An Otto Veit, als Dank für die Zusendung der Ansprachen vom 29. Dez. 1948): Aber weder ist das Ich der Freund, noch das Nicht-Ich der Feind. Es handelt sich nicht um Erkenntnistheorie oder Metaphysik. Es handelt sich um Machtballungen, in denen man sich behaupten muß. Man, jawohl man, du trauriger Pedant, mit deiner billig-überheblichen, pseudophilosopischen Man-Kritik!

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Schmitt schreibt: „muß“. Stenogr. Notiz auf der Seite daneben nicht lesbar.

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25. 2. 49 Was braute sich 1900–1914 zusammen? Den Leib vergotten und den Gott verleiben! Ich seh in Dir den Gott, Den schaudernd ich erkannt, Dem meine Andacht gilt! Der schöne Leib und das gesunde Tier, der neue Gott, und das alles als Vordergrund der großen Maschine. Nietzsches Geist wurde Leibhaftigkeit, Inkarnation. Endlich ein Gott!, rief Rilke im August 1914! Ich möchte den Punkt bestimmen, an dem sich der Gesetzesbegriff des rechtswissenschaftlichen normativen und des naturwissenschaftlichen (kausalen) Denkens in der Tiefe wieder treffen, nachdem sie sich in Deutschland so scharf neukantisch getrennt hatten. Was bedeutete diese Trennung? Deutsche Evasionskunst, deutsche Doppelsinnigkeit. Das Gesetz, an das Rousseau und Michelet glaubten, ist solcher Trennungen nicht fähig. Welch eine Fälschung des Mythos vom Gesetz und vom Gesetzgeber. Der Legislateur ist ohnmächtig, en quelque façon nul;1 wie es heute nur noch die Wissenschaft sein kann. Wir alle sind en quelque façon nul. Nur die Wissenschaft ist heute noch der reinen Ohnmacht und damit der Reinheit fähig. Selbst Kurt Hillers Feind-Gezappel (in dem Aufsatz gegen Paetel in der Weltbühne vom 4. Okt. 1932) läßt ahnen, welcher wunderbaren Dialektik der Begriff „Feind“ fähig und bedürftig ist. Das Alter gewährt mir, als rührende Kompensation für körperliches und soziales Mißgeschick, die schönsten Kranichzüge nicht nur des Geistes, sondern auch der Phantasie.2 Leider unterschätzen gerade ehrliche und hilfsbereite Menschen das Maß und den Grad der außerlegalen Verfolgung, die von einigen älteren Kollegen gegen mich betrieben wird. Es wäre unrecht von mir, wenn ich solche Menschen, die mir helfen wollen, mit dem existenziellen Haß und Vernichtungstrieb jener Verfolger in Berühung brächte.3 27. 2. 49 „Jenes unmittelbare Gesetzgeben ist also der tyrannische Frevel, der die Willkür zum Gesetze macht und die Sittlichkeit zu einem Gehorsam gegen sie – gegen Gesetze, die nur ––– Gesetze, nicht zugleich Gebote sind“ (Hegel, Phänomenologie, S. 323). ––––––– „Das Gesetz hat als bestimmtes Gesetz einen zufälligen Inhalt.“ (Vgl. [Bemerkungen zu] Hegel [vom] 22. 2. 49, 14. 12. 48). Alles „doppelsinnig“ und doppelgesichtig. Das Doppelgesicht Hegels ist das authentisch deutsche Gesicht; seine Doppel-Sinnigkeit die deutsche Sinnigkeit. 1. 3. 49 „Die Männer der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt wollten ein Reich gründen, dessen Dasein mit einer europäischen Revolution gleichbedeutend war.“ Das ist ihnen nicht 1 2 3

Über der Seite: „ en quelque façon nul“. Am Rand: „an Mohler, 25. 2. 49“. Am Rand: „an H. Kutscher, 25. 2. 49“.

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gelungen. Stattdessen wurde ein anderes Reich gegründet, dessen Dasein mit einer Weltrevolution gleichbedeutend ist.1 Die armen Männchen in Bonn aber strengen sich an, ein Nicht-Reich [zu] gründen, dessen Dasein mit der Vermeidung jeder Änderung des status quo gleichbedeutend sein soll, d. h. also mit der Konservierung eines längst chaotisch gewordenen status quo, den Status zu nennen sich schon wie ein schlechter Witz anhört. Sie möchten alle bisherigen Möglichkeiten ex post nicht wahrhaben; désaveu; Bonn, das grosse désaveu. Ob es wohl einen Leser des Donoso-Aufsatzes gibt, der sich das alles klar macht oder der es auch nur dunkel ahnt? Oberheid, der den Aufsatz las, kann meine Sprache nicht verstehen; schlimmer noch, sobald er meine Sprache hört, kann er überhaupt nichts mehr verstehen. Wilhelm Schmitz müßte man den Aufsatz zu lesen geben. Trotzdem ist es gut, daß der Donoso-Aufsatz auf deutsch gedruckt vorliegt. Er mußte in dem Asyl, das sich bei den Dominikanern bot, deponiert werden. Es hat noch längst nicht jeder das Recht, mir ein Asyl anzubieten. Ein einziges wirkliches Asyl bedeutet heute mehr als viele geschriebene Verfassungen.2 3. 3. 49 Der Staat war ihnen der präsente Gott. Nämlich den Preußen. Sie haben eine anti-theologische französische Erfahrung theologisch Ernst genommen. Der Staat war das preußische Sakrament. Immer noch besser als Kino und Parteiversammlung, immer noch besser als eine Sitzung der Uno oder der Unesco. Davon wird niemand sagen, es sei der präsente Gott; das wäre noch nicht einmal ein fauler Witz. Aber das preußische Sakrament war auch noch besser als das humanitäre; um ebenso viel besser wie eine Tragödie von Kleist größer ist als eine von Goethe. Urdeutsche Erfindung: Widerstand durch Mitarbeit, von Arminius bis zu Weizsäcker, deutsche Treue, deutscher Wein, hegelische Doppelsinnigkeit und Dialektik. „Car la guerre suppose, dans ceux qui se la font, sinon une égalité de force, au moîns l’opinion de cette égalité; d’où naît le désir et l’espoir mutuel de se vaincre.“ Im Naturzustande kann jeder diese Hoffnung haben. So d’Alembert in der Analyse de l’Esprit des Loix, pour servir de suite à l’Éloge de M. de Montesquieu (Einleitung der 5bändigen Montesq.-Ausgabe, Paris Chez Jean-François Bastien, 1788). Heute ahnen sie nicht mehr, was sie tun, wenn sie sagen, der Kampf ist sinnlos geworden, weil die Waffen so ungleich geworden sind, und das soll die Ächtung des Krieges sein? (D’Alembert in dieser Analysis noch ganz im Gefolge von Thomas Hobbes; typisch für das 18. Jahrhundert). Sehr schön Montesquieu Esprit XII, cap. 5 (il faut être très-circonspect dans la poursuite de la magie et de l’hérésie; oder XII, 6: crime contre nature; ja: contre nature: la tyrannie peut abuser de l’horreur même que l’on en doit avoir[)]. Ich sehe: la tyrannie aime à abuser de cette horreur. Die moralische Entrüstung (oder Aufrüstung) ist nur noch ein Vorwand zur Enteignung und zur Beschaffung von Arbeitsplätzen und etatsmäßigen Beamtenstellen und zur Ausrottung des Feindes. Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist die Neuauflage dieses crime contre nature. Am Rand: „3. 3. an Günther Krauß“. Später in Steno am Rand hinzugesetzt: „Infolgedessen darf auch ich ein mir zu Recht angebotenes Asyl nicht ablehnen. An Günther Krauss und Joseph Kaiser, 3. 3. 49“. 1 2

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Welch eine Flut von Atavismen, diese Befreiung Deutschlands durch die Psychosen des Jahres 1945! 4. 3. 49 Vergiß nicht die auffällige Parallele von Außen und Innen in dem Gesamtverlauf der Entwicklung von 1919–1939: Außen: Der Weimarer (demokratischen) Regierung verweigerten Frankreich und England die kleinste Aufrüstung; Schleicher mußte vor Hitler das Feld räumen, als er versuchte, die Reichswehr von 100.000 auf 300.000 zu erhöhen; dann aber erlaubten dieselben Mächte Hitler die hemmungslose Bewaffnung der Jahre 1935 ff. Innen: der Reichstag seit 1925 gab der von seinem eigenen Vertrauen abhängigen Regierung keine Ermächtigung und ließ lieber den Reichspräsidenten Diktaturverordnungen (nach Art. 48) erlassen; dann aber gab derselbe Reichstag plötzlich Hitler die wahnsinnige Ermächtigung des Gesetzes vom 24. März 1933. Was bedeutet das? Hier liegt die einzig wichtige Fragestellung und der Ansatz zu einer ehrlichen Antwort.1 Es bedeutet viel, unter anderm auch, daß solche Figuren wie Hitler echte Vollstrecker sind, d.h. Einkassierer unbeglichener Forderungen; Entfesseler rückständiger Stauungen; Exekutoren fälliger Idealverwirklichungen. Man wird Euch beim Wort nehmen, ihr moralisch Entrüsteten. 6. 3. 49 Konstituiere überhaupt (zum ersten Male) die Rechtswissenschaft als geistige Instanz, gegenüber der bisherigen Rechtswissenschaft als Funktion politischer, sozialer oder ständischer Vorgänge und Interessen. Gerechtigkeit ist kein Beruf, kein Fach, keine Spezialität, keine Funktion. Justiz ist es. Justiz ist heute Streitentscheidung, d. h. öffentl. Sicherheit und Ordnung durch Polizei. Pflege der Gerechtigkeit als Beruf und Amt von Laien ist eine Lüge. Vieleicht ist ein Orden denkbar, dessen Mitglieder das Martyrium der Gerechtigkeit auf sich zu nehmen bereit sind. Das werden dann aber keine Juristen sein. 7. 3. 49 Was machst du eigentlich in Plettenberg? Ich befinde mich im von der Existenz zur Essenz. Ich de-existenzialisiere mich und mein Wesen. Ist das nicht löblich? Verdient das nicht eine höhere Art von Nobel-Preis? Mindestens eine Speisung im Prytaneum oder ein Care-Paket? Hobbes hat die Erfahrungen und Verifikationen hinter sich, die Erasmus noch vor sich hatte; Erasmus wußte noch nichts von Bartholomäusnächten, Pulververschwörungen und amity lines.2 8. 3. 49 Zurück zu Goethe? Da müßte man doch erst einmal den Raum Goethes wiederherstellen und die Wirklichkeit unseres heutigen Menschenraumes aufheben. Was war der wirkliche Raum Goethes? Sein existenzielles Weltbild? Die konkrete Antwort liegt in dem Vers:

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Am Rand: „vgl. 15. 5. 48“. Am Rand: „an P.[asserin] d’Entrèves, 6. 3. 49“.

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„Über meiner Mütze nur die Sterne“. Das ist das konkrete Raumgefühl des Menschen Goethe in seiner höchsten Steigerung. Was aber ist der wirkliche Menschenraum heute? Über unseren Mützen surren die Flugzeuge, manchmal feindliche, manchmal andere. Bewegung in Zeit und Raum: Bei der Bewegung im Raum fliegen nahe Dinge schnell vorbei, die fernen Dinge bewegen sich langsam und scheinen schließlich unbeweglich wie die Fixsterne. Bei der Bewegung in der Zeit erscheinen mir die gegenwärtigen Sekunden, Minuten, Tage lang, die entfernten dagegen fliegen schnell; das Jahr ist kurz, die Stunde lang. Gedacht werden will ich, der ich ganz Gedanke bin. 10. 3. 49 Den Gesang des Sechzigjährigen haben im Ganzen und im Einzelnen bisher nur Leute begriffen, die selber leibhaftig in der Zelle waren;1 insofern gehört er zu dem Thema „Der Mann in der Zelle“; auch die innere Zeit der Verse ist Zellen-Zeit (Gefängniszellen-, nicht Mönchszellen-Zeit). Wer den Zellenraum nicht körperlich kennt, mißversteht noch das Wort „Leistungsraum“. In der Bienenzelle sind wir heute alle; das nennen wir sogar Freiheit. Jeder fühlt sich entsetzt, wenn ihm der Arbeitsplatz genommen wird. Das Recht auf die Bienenzelle gilt als Grund- und Freiheits- und Menschenrecht. Die heutige Methode der literarisch-publizistischen Verwertung aller Einfälle, die Fruktifizierung des eigenen Briefwechsels, die Ökonomie der schon bei der Niederschrift zum Druck bestimmten Tagebücher, das zerstört alle guten Möglichkeiten eines Briefwechsels. Statt zu einem schriftlichen Gespräch kommt es nur zu einigen zufälligen und einseitigen, nach der Rotationspresse schielenden Notizen. Grauenhaft; Pepysm + opinionism. Ro-RoRo-Pepysm. Die entgegengesetzte andere Gefahr ist die Verwandlung des Gesprächs in eine Kausalitätsreihe, in welcher sich Frage und Antwort in Ursache und Wirkung umsetzen; dadurch hört jede Schwingung und jede Strahlung auf. 12. 3. 49 Ich bin der Bote in der Kette, Bote bin ich in der Kette. (Pro quo legatione fungor in catena, u¬pèr ou© presbeúw en¬ a™lúsei)2 (Schluß des Epheserbriefes, Eph 6,20). Ergo. 13. 3. 49 Jetzt ist der Brief von Gottfried Benn, der uns vor einigen Monaten im Manuskript so tief ergriffen hat, veröffentlicht (im Heft 12 des Merkur) und siehe da, diese lizenzierte Öffentlichkeit zerstört alles.3 Der Fragebogen ist keine Balkanidee, sondern eine bolsche[wistisch]-amerikanische Erfindung. Was ich im Manuskript des Benn’schen Briefes kaum bemerkt und gar nicht beachtet hatte, steht jetzt im unverändert gedruckten Brief plötzlich

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Am Rand in Steno: „an Nicolaus Sombart“. Am Rand in Steno: „an Hans Zehrer, 5. 4. 49“. Am Rand: „1. Beisp. Bernanos, 2. Beisp. G. Benn“.

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alles bestrahlend, alles ins wahre Licht setzend, alles beherrschend im Mittelpunkt: Mein Fragebogen ist in Ordnung. Brav, mein guter Benn, dein Fragebogen ist in Ordnung! Wahrscheinlich sogar der amerikanische Fragebogen mit seinen 143 Fragen, die mit ja oder nein zu beantworten sind. Das ist ja rührend. Wie oft haben wir gefragt: Wessen Fragebogen ist eigentlich heute in Ordnung? Antwort: der des Nihilisten Gottfried Benn! Endlich ein Fragebogen in Ordnung, sogar der Fragebogen eines deutschen Nihilisten, der seit über 30 Jahren Bücher publiziert! Das sind mir scheene Nihilisten! Oder sollten sie so überlegene Virtuosen der Legalität des Feindes sein? Sollten sie sich der vom Feind gesetzten Gesetzlichkeit mit solcher Kühnheit bedienen? So klingt es leider nicht. Nutzanwendung: Wer auf dieser Bühne tanzt, ist schon gerichtet, ausgerichtet und gerichtet, ganz gleichgültig, was er vorbringt. So, wie der arme Bernanos auf der Unesco-Bühne in Genf (auf seine NichtWahl). 14. 3. 49 Eine Luxemburger Zeitung (Journal d’Esch, vom 13. 12. 48) nennt die in Luxemburg angeklagten deutschen Richter „Produkte einer autoritären Kasernenkultur, die Herdenvieh und Kanonenfutter in Großraumpolitik züchten wollte, dabei die Hohlheit der führenden Persönlichkeiten und die Leere im geistigen Raum anfüllte mit dem hysterischen Gebrüll der Psychopathen und dem Gewaltkult, der von jeher den Schwächlingen die zackige Haltung gibt.“ Welch ein Echo auf Hitler! Pan vermählt sich mit seinem Echo. Horche und leide. Die Hysterie des Kleinraumes klingt ebenso schrill wie die Hybris des Großraums. Der Geist des Beschimpften zieht sofort in den Beschimpfer ein. Das ist die Fülle im geistigen Raum. Wie klappert die Mühle am rauschenden Bach! Echo des Echos. Keiner spricht mehr ein wahres Wort; Echo antwortet dem Echo. Was tue ich, wenn ich den Donoso-Aufsatz anonym veröffentliche? Tue ich mit meinem legitimen Kind, was Rousseau mit seinen illegitimen tat, als er die neugeborenen Kinder an der Tür des Findelhauses niederlegte? Keineswegs. Ich nehme dem Kind nur ein ostentatives Abzeichen vom Rock, um die Wut der Feinde nicht zu reizen. Ich nehme ihm das rote Kopftuch ab, weil wir in die Nähe erboster Stiere geraten sind. Ich verleugne dadurch nicht mein Kind und gebe es nicht preis. Ich verhalte mich nur, wie das der Lage entspricht, denn auch des guten Familienvaters erster Grundsatz ist: Erkenne die Lage! 15. 3. 49 Unbestechlich ist nicht viel, Unbetrüglich ist das Ziel. Wir stehen alle unter Ideologie-Verdacht; und die Verhänger dieses Verdachts haben heute ganze Besatzungsarmeen zu ihrer Verfügung. Das traurige Gespräch über Demokratie und Elite: ein Soziologensohn,1 ein Studienratssohn, ein Ex-Studienrat veranstalten eine schlechte Anfängerübung. Traurig.

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Am Rand: „N[icolaus] S[ombart]“.

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16. 3. 49 A[nti-]F[aschistischer] Opfer-Begriff: nicht so sehr Religionsersatz und Ersatz-Religion als vielmehr Ersatz-Moral, moralische Basis für Privilegierungen beim Schlangestehn und bei der Postenbesetzung, sittliche Rechtfertigung des Wegboxens von besser qualifizierten Mitbewerbern in der manipulierten Legalität. 18. 3. 49 Was ist von den Taten dieses Regimes übrig geblieben? Franco-Spanien. Ist das nichts? Genial die Bemerkung von Danzenbrinck: Alle drei Völker, die Griechen, die Römer und die Juden, haben ihren größten Mann getötet: Sokrates, Julius Cäsar und Jesus Christus. Aber die Größe und die moralische Überlegenheit der Römer zeigt sich darin, daß sie ihren Mann nicht justizförmig getötet haben. 22. 3. 49 The trend from unanimity to majority (Guggenheim, Völkerrecht, p. 222). Wer lacht da nicht? Hochdemokratisch. Und wer ist so eselhaft, daß er sich sagt: Was wir heute erleben, ist doch gerade der weitere Schritt: from (manipulated) majority to unanimity. 25. 3. 49 Alkoholverbot als Erscheinungsform der Feindschaft gegen das katholische Sakrament des Altares; Neutralisierung des Weines zum Alkohol, Kriminalisierung des Weintrinkers. 26. 3. 49 Was ist denn ein Prohibitionist? Ein Nicht-mehr-Europäer, der aus dem Gefühl heraus, daß er selber kein Recht mehr hat, Wein zu trinken, allen anderen das Weintrinken verbieten will, um das Sakrale zu vernichten. 31. 3. 49 Die Serien sich fortsetzenden Unrechts: Das Unrecht von Versailles steigert sich zum Unrecht Hitlers und dieses zum Unrecht von Jalta, Moskau und Nürnberg. Das Gesetz dieser sich steigernden Kettenreaktionen; Justizförmigkeit als Gipfel. 3. 4. 49 Gib Acht, Freund Barth, es kommt plötzlich das ganz Andere, und zwar ganz anders. Da wirst du dich wundern. Dann ist plötzlich das Diesseits das ganz Andere gegenüber dem Jenseits. Dann sprechen wir uns unter vier Augen und machen die Probe auf dein ganz Anderes, das du für dich gegen die Andern gepachtet zu haben glaubst. 4. 4. 49 Lies Hegels Phänomenologie des Geistes als ein hölderlinisches Buch und wünsche dir soviel Zeit, Anregung und verständige Hörer, um diesen wunderbaren Ausdruck Hölderlins als solchen wiederzugeben; zuerst sprachlich, dann gedanklich, in allen seinen großartigen Sätzen von der Präsenz, von dem einsamen Herrn der Welt, von der Lethe der Oberwelt, die in der Freisprechung (nicht von der Schuld, sondern) vom Verbrechen besteht. Das ist der Inhalt meines Tuns. Ich bin zu jeder andern Arbeit unfähig.

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Ich suche für mich und mein Volk die Freisprechung vom Verbrechen, und um mich konstruiert und organisiert alles nur neue Verbrechen und neue Kriminalisierungen. Was treibt mich trotz tödlichster Müdigkeit zu dieser Phänomenologie des Geistes? Wenn ich keiner Regung fähig bin, kann ich dieses angeblich schwierige Buch lesen und meinen zerschlagenen Geist daran erheben. Wer lenkt mich von allem andern ab, zu diesem Buche hin? Schuld hatten wir, weil wir handelten, von selbst, eo ipso. Aber wer machte uns zu Verbrechern? Diejenigen, die uns verurteilten aufgrund der von ihnen selbst geschaffenen Kriminalisierung des Angriffskrieges. Ein Richter, der auf Grund selbst geschaffener Kriminalisierung richtet, ist schon gerichtet. Er kann gar nicht freisprechen, selbst wenn er es versucht, er kann nur verurteilen. Er hat dadurch die wirklichen Verbrecher der Gerechtigkeit entzogen und hat diejenigen, die nur schuldig, aber keine Verbrecher waren, des LetheTrankes der Oberwelt beraubt. Er hat das Vergessen unmöglich gemacht, ohne das kein irdisches Leben möglich ist. Die Freisprechung vom Verbrechen, das ist es. Gleichgültig, ob diese Freisprechung die Verurteilung derjenigen bedeutet, die das neue Verbrechen erfunden haben. 10. 4. 49 Wahrhaftig, sie sitzen auf ihrer Gerechtigkeit wie auf einer Beute; ihre Gerechtigkeit ist nur ein Teil ihrer Beute; daher wachen sie darüber wie über einen Raub und erlauben keine sachliche Erörterung dieses Rechts; Rapinam arbitrantes justitiam (cf. Phil 2,6), und das mit Recht. Mit ihnen haben wir zu tun, wenn wir über den gerechten Krieg uns klar zu werden suchen. Die neue Lehre vom gerechten Krieg macht auch die Gerechtigkeit zur Beute und ist ebenso Raub. Dem großen Aufbruch zu Hölderlin entsprach kein Aufbruch zu dem wahren Hegel, der dasselbe ist wie Hölderlin, gleichen Geistes. Die philosophische Kraft war erloschen, nun werden sie Dichter. Ist das aber nicht viel mehr? Deutschland hat damals an Hegel etwas Wichtiges versäumt. Dieser ist nur im Leninismus und Mussolinismus historisch zum Zuge gekommen; die Deutschen wußten nichts mehr von ihm und hatten im 19. Jahrhundert für Schopenhauer optiert. Heute ist Hegel eine heilige Katze im Götzentempel der Fremden, und wer sollte es wagen, ihn der Macht dieser boshaften Priester wie Georg Lukács zu entreißen? Und wohin mit ihm, selbst wenn der heilige Raub gelingen sollte? Die deutschen Professoren werden dir das gerettete Bild aus den Händen reißen, um es auf ihrem Bilderspeicher unschädlich zu machen. Also bleibt es besser als heilige Katze unter den Götzendienern, bei denen es wirkt und nicht nur in einer intriganten Langeweile verschimmelt. 12. 4. 49 In Deutschland wirkt der Geist am stärksten und am unmittelbarsten. Daher zerspringen seine Gefäße: Hölderlin, Kleist, Grabbe, Nietzsche. Daher sind unsere großen, in Respektabilität alt gewordenen Genies suspekt: der alte Goethe und der alte Hegel. Beide wußten, was sie taten, als sie im Alter ihre Unvollendetheit nicht mehr zu zeigen wagten. Die Mönchsorden sind Wachen, die wir ausstellen. Wir dürfen sie nicht veranlassen mitzutrinken, wenn wir unsere Kultur- und Bildungsgelage feiern. Die Lust liegt in den Augen, nicht im Bauch.

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13. 4. 49 Der wissende, sich selbst wissende Geist; dagegen der (vgl. Hegel Ph. d. G., S. 263) pissende Leib; den Geist verleiben und den Leib vergeisten, Ausmalung der Fortsetzung wäre taktlos. In solchen Verfahren (wie der Entnazifizierung) macht jedes gute juristische Argument mich nur traurig. Denn es handelt sich hier nicht um Recht, noch um Vernunft, noch um Logik, und nicht eimal um Entnazifizierung. Es handelt sich um Freimachung von einträglichen Posten und um die Legalisierung unlauterster Konkurrenz.1 14. 4. 49 Aktuelles Pseudonym: Joseph von Arimathaea; bringt den Leichnam des Herrn in Sicherheit, aber vorsichtig und geheim, trotz behördlicher Genehmigung seitens der Besatzungsmacht: occultus propter metum J.[udaeorum]. Joh 19,38. 15. 4. 49 Ich stelle die ganze exakte Naturwissenschaft unter Ideologie-Verdacht. Für mich gibt es keinen gröberen Selbstbetrug als die Lehre von den Atomen (Atomkernen, Protonen, Neutronen etc.). 16. 4. 49 Ostersonntag Kaum hatte ich das geschrieben, da erschien Pascual Jordan, Physik im Fortschritt, sehr fortschrittlich. Er verlangt wie Einstein eine Weltregierung und macht sich lustig über die Angst vor der Technik. Ebenso prompt erschien Heinrich Triepels „Vom Stil im Recht“, um sich selber zu erledigen. Er will dem Recht „ästhetische Reize abgewinnen“. Das nennt er Stil im Recht. Nicht einmal eine Darlegung über den spezifischen Formbegriff im Recht. Hüte dich vor dem bitteren Trank der Genugtuung über ungerechte Verfolgung. Dieser Trank wird gebraut in der gerechten Kritik an solchen Versagern. Gerechtigkeit ist nicht nur Streit, es ist auch ein Stimulans zum Unrecht. Aber der Gekreuzigte überläßt mich mir selbst. 20. 4. 49 Guter Gerhard Nebel. Er entdeckt in Ernst Jüngers Wesen die Liebe. Das ist allerdings rührend. Guter Gerhard Nebel, das Gold, das deiner Liebe reiche Deutung an deinem Jünger-Bild verschwendet, ist eigener Reichtum, eigener Überfluß.2 Alle diese Methoden der ökonomischen Geschichtsauffassung, Psychoanalyse, soziologischen Entlarvung und des Ideologie-Verdachts, die Relativitätstheorie und die äußerste Abstraktheit, alle sind sie wirklich „Mittel der vollendeten Erfassung fremdartiger Wirklichkeiten“ (Formulierung von Pascual Jordan für die Abstraktheit der Relativitätstheorie).

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Am Rand: „an Barion, 13. 4. 49“. Am Rand: „an Tigges 24. 4.“.

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22. 4. 49 Anläßlich der Geburt der Tochter von Hans Fleig: Zu den drei Wünschen, die ich noch für mein diesseitiges Dasein hege, gehört der Wunsch, mit Hans Fleig in eine Diskussion über das filiaque statt des filioque zu geraten. Jedes Mädchen taucht aus dem Ozean der Möglichkeit auf wie eine neue Welt, eine wahre ánaduoménh, als Freundin, als Gattin, als Mutter oder Großmutter, Schwester und Cousine.1 Die Beziehung des Vaters zur Tochter ist aber die erstaunlichste, rätselhafteste, hilfloseste und schönste aller denkbaren menschlichen Beziehungen. Ein Sohn ist bestenfalls eine Doublette, ein omooúsiov oder omoioúsiov. Eine Tochter ist das ganz andere. Über und hinter allen Individual-Schicksalen steht diese sublimste und intensivste aller Bindungen.2 Wundervoll der Aufsatz von Hans Fleig in der „Tat“, 15. 4. 49, über das Thema: Demokratie und Finanz. Ich empfand das Berufsglück des Auguren, ein reines Glück mit reinem Lächeln. Finance, mot d’esclave. Tausend Fragen und Antworten geben sich ein Rendezvous, stellen sich dem Leser vor und ziehen sich sofort diskret zurück. So denke ich mir einen Vortrag von Descartes vor der Königin Christine. 23. 4. 49 Bilde Dir nicht ein, bei diesen demütig grienenden Intriganten Hilfe zu finden, wenn die Mörder Christi dich verfolgen, dieses Mal im Namen Christi und als Opfer von Christenverfolgungen sich ausgebend, um dreihundertprozentige Entschädungsansprüche einzukassieren.3 Menschlich gesprochen ist es schamlos, von einem Menschen das Maß an Demütigung, Selbstverneinung und Hoffnungslosigkeit zu verlangen, das in der Aufforderung zur Nachfolge des Gepfählten liegt. Ich bin jetzt einer der Gepfählten. Resultat dieser Karwoche: Der homo humanus muß in der Pfählung und in der Aufforderung sich pfählen zu lassen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein crime contre nature erblicken. Kommt noch. Hier sind noch viele fette Prosecutoren-Posten zu besetzen. Die Bitternis des Gepfähltwerdens ist heute vergessen und verloren. Nur in der Cumäischen Sibylle von Konrad Weiß ist sie noch vorhanden, in dem Gedicht „Vollbringung“. Ja, wo erhält der Schwache Brot? 24. 4. 49 Ich kenne den Psalm und lese in der Bibel: Der Herr ist mein Hirt, mir wird nichts mangeln. Ich kenne die moderne Philosophie und lese bei Heidegger: Der Mensch ist der Hirt (des Seins).4 Ich kenne aber auch die Mangelwirtschaft des Menschen und der Humanität; sie ist mir schon seit Jahren geläufig. Mir wird bei diesem neuen Hirten alles mangeln, selbst ein Stück Brot, wenn der Mensch mein Hirte sein wird. Ja, wo erhält der Schwache Brot? Lieber die Feindschaft Adolf Hitlers, als die Freundschaft dieser zurückkehrenden Emigranten und Humanitäre.

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Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbbar. Am Rand: „filiaque (Sophia), Lietzmann I, S. 100“. Stenogr. Ergänzung am Rand nicht lesbar. Am Rand: „Heidegger, vgl. 26. 4. 49“.

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Er EK=Sistiert, er west im Da; sein Sein ist Da-Sein. Er ist nicht mehr wie früher an sich und für sich und an und für sich, nein, er ist da. Da! Das ich mir Dadaismus. Das Recht wird Gesetz. Wird Drohung (Straf-Drohung). O du mein alter Kadaver, ich habe dich und deine Maße ausgemessen. Ich kenne deine Macht und deine Grenze. Du guter alter vertrauter Deus Venter. Schmerz und Lust. Wir kennen es seit 60 Jahren. Du bist kein Betrüger. Die Höheren, das sind die Betrüger; das Gehirn, das ist der Belüger. Haus, Hirt, Lichtung, das sind die Wesensworte dieses Heidegger. Das ist seine Echtheit, ein Klumpen Gold im Mülleimer der Polemik und ein Klumpen philosophische Butter in der Wortmelkerei der deutschen Sprache. 25. 4. 49 Haben sie immer noch nicht begriffen, daß ein Grundgesetz in sich selbst heute etwas viel Scheußlicheres ist als ein Organisations-Statut? Das Fremd-Wort ist das mildere, das EigenWort bezeichnet nur noch den Schund. Mit einem Fremd-Wort hüpft man über den Abgrund, mit einem Urwort wie „Grund“ hüpft man hinein. Jetzt wird es urdeutsch gründlich und gesetzlich, grundhaft und gesetzhaft. Jetzt gehen wir legal zu Grunde und führen unser Selbst im Munde. Armer, guter, braver Weizsäcker. Du botest den andern einen Landesverrat an, der dir schwerer wurde als einer anständigen Mutter aus guter Familie, die ein Selbstangebot macht, um ihre Tochter vor der Vergewaltigung zu retten. Jetzt wirst du, nachdem die Vergewaltigung vollzogen ist, vom Vergewaltiger wegen Kuppelei angeklagt und verurteilt. Armer, anständiger Weizsäcker! Von diesen Menschen zu Gefängnis verurteilt zu werden, ist noch nicht einmal eine Ehre. Dem Gotte gleichst du nicht; dem Wurme gleichst du, dem Wollust gegeben ward. Die Mächte dieser Welt und ihre Regime dienen dir dazu, dir ein Liter Schnaps zu besorgen. Was war denn eigentlich unanständiger: 1933 für Hitler einzutreten oder 1945 auf ihn zu spucken? Der Neurotiker hat Angst, seine Angst zu verlieren. Falsche Gegenwart, Angst, sich zu rühren, fixiert in dem Moment die Angst, entsetzliche Trägheit, status quo. Das Gesetz soll den Vater ablösen. So ist es gedacht. Unverschämtheit der obéissance préalable, wenn der Zusammenhang von protection und obéissance zerrissen ist. Der Gesetzespositivismus tötet seinen Vater und verspeist seine Kinder. Der Ordo dispensatorius erhebt die Einen (an sich alle Gleichen1) über die andern; quibusdam praelati videamur. Alios aliis dispensatio occulta postponit. So Gregor der Große, Moralia in Job 21,15. Diese Dispensatio occulta ist es, die mich interessiert und die ich fühle.2

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Darüber geschrieben: „sakra“. Am Rand: „6. 6. 48, 6. 8. 48, zitiert bei Troeltsch, p. 166“.

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Troeltsch p. 173:

Göttliche Macht Theokratie Norm Absolutes Naturrecht

Norm Relatives Naturrecht Kratokratie Irdische Macht Vierung

Vier Elemente, innig gesellt, Haben die Einheitskultur gestellt (nämlich die Einheitskultur der C. D.). Göttliche Macht und irdische Macht Wird durch Naturrecht zur Einheit gebracht; Freilich Naturrecht nur ganz relativ, Sonst geht Naturrecht absolut schief. Zwei Elemente sind positivistisches Recht (Ordnung). Zwei normativistisches Recht (Sollen). Dieses, meine Herren, ist der einzig wahre Relativismus, nämlich der eines relativen Naturrechts. Er ermöglicht es dem Christen, dieses Jammertal in Ordnung zu finden, die Sünde und den Sündenfall zu relativieren. Für diese Relativitätstheorie fehlt es nicht an praktischen Einsteinen. Demokratie ist Kratokratie. Homo homini homo. Problem der Justizförmigkeit gegenüber dem Feind. Feind = Naturzustand. Hobbes gibt die einfachste Antwort. Kants große Anmerkung über die Prozesse gegen abgesetzte Souveräne (Rechtslehre II, Allgemeine Anmerkung) ist eine der großen Fundgruben für das rechtsphilosophische Problem politischer Prozesse und der Lehre vom Tyrannenmord. Die geschichtlichen Beispiele sind der Prozeß Cromwells gegen Karl I. (1645) und der Prozeß der französischen Nationalversammlung gegen Ludwig XVI. (1792/3). Beide Prozesse werden auf gleicher Ebene behandelt, obwohl wir heute die historischen Verschiedenheiten deutlich erkennen. Die calvinischen Engländer brauchen ein förmliches Urteil, weil ihre Lehre vom Tyrannenmord ein solches verlangt (vgl. Troeltsch, Soziall.[ehren] S. 694). Die französischen Jakobiner dagegen prozessieren nach einem demokratischen Naturrecht und als Vertreter der souveränen Nation. Kant sagt: Die Benutzung der Prozeßform, förmliche Hinrichtung, die Tötung des politischen Feindes als Verfügung angemaßter Strafgerechtigkeit, das ist für ihn die eigentliche Sünde gegen die Idee des Rechts und ein crimen immortale, inexpiabile. Vielleicht denkt Kant im Grunde an den Naturzustand. Nach der Beseitigung des Souveräns steht dieser dem Volk im Naturzustande gegenüber, ein Feind dem andern. Die

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Anmaßung einer (dem status civilis zugeordneten) Strafgerechtigkeit und Strafgerichtsbarkeit gegenüber dem Feind ist in der Tat ein Verbrechen. Durch die Form des Rechts und des rechtlichen Verfahrens wird das Recht zur Beute des Siegers erniedrigt. Es ist die schamloseste Art des Raubes und der Plünderung. Der Feind wird nicht einmal mehr als Feind respektiert. Selbst das Recht des Krieges hört hier auf. Warum sollten die Russen, Polen, Tschechen und Serben an den Deutschen nicht ihre Rache nehmen? Sie haben es auf ihre Weise getan, aber im Naturzustand, und insoweit ist die ganze Angelegenheit ein denkbares Thema für eine Amnestie. Sollen und können aber auch feierliche Prozesse unter eine Amnestie fallen? Können justizförmige Morde vergessen werden? Sie müssen sogar vergessen werden, damit Justiz wieder möglich sein wird. Die Form ist das Wesen des Rechts. Ist nicht die Form das Wesen jeder Sache? Was ist sie also gesteigert im Recht? Sie ist das Recht selbst, seine Sichtbarkeit, seine Äußerlichkeit, seine Öffentlichkeit. Das höchst Formale ist die Substanz des Rechts, besser noch: seine Aktualität. Das Recht hat keine andere spezifische Substanz. Es gibt nur aktuelles Recht. Nur das ist mit „positivem“ Recht gemeint. Das Empörende an Hitlers Geheimbefehlen (sogar zur „Hinrichtung“) war der Mangel an Form, Sichtbarkeit und Öffentlichkeit: Wutausbrüche, hingeworfene Redensarten galten als „Verfügung“ einer Strafgerechtigkeit. Hier ist das Gegenbild des crimen immortale, von dem Kant spricht. Bei der Tötung des höchsten Machthabers scheint die Dialektik zu ihrem Gipfelpunkt gesteigert: Wer kann den höchsten Machthaber formal gültig erreichen? Fehlt nicht jeder Verschwörung die Sichtbarkeit, Öffentlichkeit? Die calvinistische Lösung: die magistrats inférieurs zu Trägern der Form des Widerstandes zu machen, ist offensichtlich unzulänglich, bestenfalls ein Notbehelf und ausschließlich situationsbestimmt durch die politische Verwendbarkeit dieser magistrats inférieurs im 16. und 17. Jahrhundert. So bleibt nur der a deo excitatus. Das war Stauffenberg nicht. Ek-sistenz, Dasein in der Lichtung, ekstatisches Innestehen in der Offenheit des Seins hat nur der höchste Machthaber. Wie willst Du ihn töten, ohne das Haus zu zerstören, in dem wir alle wohnen? Ohne die Lichtung zu trüben, in der wir eksistieren? Das kann nur der blinde Simson, und er kann es nicht justizförmig, sondern nur elementar, nachdem seine Haare wieder gewachsen sind. Er zerstört das ganze Haus und sich selbst. 26. 4. 49 Die Sprache ist das Haus des Seins. Ebenso das Recht, kraft der von Savigny erkannten Wesenseinheit von Recht und Sprache. Der verbrecherische Machthaber zerstört das Haus des Rechts von oben, aber der Mörder des Machthabers zerstört das Haus des Rechts in seiner Grundlage. Großartig ist an Heidegger die „Anfänglichkeit“ seiner Sprache. Deshalb entdeckt er immer wieder nur den Raum.1 Alles wird ihm Raum: Das Denken baut am Haus des Seins; die Sprache ist ein Haus; h®jov heißt Aufenthalt, Ort des Wohnens, also Raum. Ich verliere meine Zeit und gewinne meinen Raum. Es gibt übrigens keine bessere Übung für die Lektüre, und zwar für die kritische Lektüre Heideggers als die Lektüre von Konrad Weiß. Wichtiger als die Lektüre Hölderlins.

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Am Rand: „vgl. 24. 4. 49“.

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Das Recht der Heroen. „Im Staat kann es keine Heroen geben: Diese kommen nur im ungebildeten Zustande vor.“ Wer sagt das? Müßte da nicht jeder humanitäre Pazifist begeistert zustimmen? Das sagt Hegel, und zwar in voller systematischer Folgerichtigkeit seines Staatsbegriffs. Der vorstaatliche Zustand (mit Augiasstall und Prokrustesbetten) ist der Raum der Heroen. Er ist eben doch zivilisiert. Wer ist zivilisiert? Wer den Naturzustand als Kriegszustand dem „gebildeten“ Zustand entgegensetzt und den gebildeten Zustand vorzieht, für höher hält. Die Piraten beyond the line, das waren noch Heroen. Der Zusammenhang Hegels mit Hobbes ist handgreiflich. Also gehören zusammen: R[echts]phil.[osophie] § 93 Heroenrecht im Naturzustand (mit Zusatz: „in Güte läßt sich gegen die Gewalt der Natur wenig ausrichten“). § 247 (maritime Basis des Industrialismus und der bürgerlichen Gesellschaft). 27. 4. 49 Nicht nur: fame praesenti, sondern auch fame futura famelicus und nicht nur das, sondern sogar: Taedio futuro taediatus. 29. 4. 49 Von wem ist da die Rede? 1. Vgl. 26. 5. 48. 2. „La politique de l’impossible, la théorie de la folie furieuse, le culte de l’audace aveugle“. Von wem ist da die Rede? Tocqueville sagt: La Convention a créé la politique de l’impossible etc. (Mélanges, p. 189). Oder: 3. vainqueurs, ils traiteront les vaincus de conspirateurs et demanderont, qu’on punisse leurs complots. Von wem ist die Rede: G. Sorel, Réfl.[exions] s.[ur] 1.[a] v.[iolence], p. 255. Die Revolutionäre erklären ihre eigene Macht als legitim gegenüber der staatlichen Legalität. Aufsatz Arnold Toynbees vom April 1949 (über den Kommunismus als nützlichen catfish). Alles was er schreibt, jeder Satz und jeder Tonfall, jede Formulierung und jeder Ausblick trägt den fatal-faden süßlichen Beigeschmack der Euthanasie.1 Vor 70 Jahren tat Ernest Renan den ehrlichen Ausspruch: La France se meurt, ne troublez pas son agonie. Einer solchen Geradheit ist Toynbee nicht fähig. Trotzdem klingt dieses Ne troublez pas l’euthanasie durch, englisch-komfortabel verschleiert, und Ch.[urchill] erscheint als der Clemenceau des zweiten Weltkrieges. Um diese Euthanasie nicht zu stören, soll Deutschland in schauerlichster Dysthanasie zugrundegehen. 1. 5. 49 Dem Geisteswissenschaftler ist es nicht zweifelhaft, daß der Gegensatz von Corpuscularund Ondulartheorien und -phänomenen in der modernen Physik nichts ist als der Gegensatz von klassisch und romantisch mit allen seinen Nuancen und Erscheinungsformen, und noch weit tiefer [der] Gegensatz von Land und Meer (auf den Wellen ist alles Welle). Mit andern Worten: daß sich die gesamte moderne Physik noch vor der kategorialen Fragestel-

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Am Rand: „vgl. 15. 6. 48“.

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lung bewegt. Sie ist geistig naiv; hoffen wir, daß sie auch naiv gutmütig ist und ihre Atomkernbomben nicht uns, sondern anderen auf den Kopf wirft. Wahrlich, docui, sed frustra. Selbst mein 30 Jahre hindurch wiederholter Hinweis auf Hobbes war umsonst. Und wie ergreifend anständig ist dieser Thomas Hobbes! Alles hat er einfach und klar gesehen und ausgesprochen. Alle wiederholen ihn, ohne geistesgeschichtliches Bewußtsein. Ich lese Emery Reves, Anatomie des Friedens, 1945, amerikanisch aufgeblähter Kern hobbesischer Gedanken: kein Frieden zwischen Souveränen, erst die Einheit der Welt gibt den Weltfrieden. Einheit und Frieden durch Gesetz, nicht durch Verträge und Pakte. Paci non pactis sed poenis (legibus = legibus poenalibus) providendum (De cive, cap 6, 4). Wenn es aber amerikanisch oberflächlich gesagt wird, stimmen Albert Einstein, Thomas Mann und alle diese Pazi-Imperialisten laut schreiend zu. Sie wittern die ganze Welt als Beute. Wer ist so blöd und sieht nicht den Betrug? Und wer so kühn und sagt, daß er ihn sieht? Armer, guter Hobbes. La trahison des clercs, das erlebt in Wahrheit nur der katholische Laie, das haben Konrad Weiss und ich erlebt; es ist noch viel deprimierender als eine trahison, es ist Kindesaussetzung. Der christliche Epimetheus müßte auch gegenüber Bachofens Deutung richtig gestellt werden. Bachofen macht den Epimetheus zum dumpfen Hyliker, gegenüber dem männlich-feurig-solaren Prometheus. Wieso ist er dann der Bruder? Alle stehen auf der Seite des Prometheus. Neben diesem Helden Prometheus wird Epimetheus dann ein etwas vertrottelter Reaktionär. So bei Carl Spitteler. In Wahrheit sind die beiden Brüder, wie Kain und Abel. Dieser Abel verschwendet die Gaben an die Tiere, so daß für die Menschen nichts mehr übrig bleibt, womit er die „biologische Minderwertigkeit des Menschen“ verschuldet. Er öffnet in seiner vorbietenden Liebe die Büchse der Pandora; er fällt auf die von Hermes geschickte Betrügerin herein. Bei Schiller müssen wir die Begriffe des Tragischen suchen, die uns zu diesem Tätertum die Schlüssel geben. Jede Tat ist immer schon Verbrechen, Verrat an der Idee. Jeder Täter ist tragischer Verbrecher und sich im Grunde seiner selbst mystisch.1 Der falsche Demetrius als Urbild jedes Täters. Das „Scheinenmüssen des Handelnden“ (so sagt Max Kommerell zu Schillers Tätern), das „verhängte Leben“, die Aktivität des Scheines und die Figur (des Demetrius) als eines von der Geschichte zum Bösen Verurteilten. Der deutsche Bildungsgeist ist schwach und ein Verräter. Alle alten Generäle und Minister wurden zu Verrätern. Aber erst haben sie ihm begeistert zugejubelt, ebenso wie sie 1848 der Nationalversammlung in Frankfurt zujubelten, um sie dann in Stuttgart verenden zu lassen „wie eine Prostituierte in einer Schenke“. Er sollte der Sohn ihrer Rache für den verlorenen ersten Weltkrieg sein. Dieser Kaspar Hauser und Soldat inconnu wurde als falscher Demetrius von der Mutter Germania adoptiert, die sich 1933–1941 immer wieder sagte: Doch ist er auch nicht meines Herzens Sohn, Er soll der Sohn doch meiner Rache sein.

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Am Rand: „vgl. 15. 5. 48“.

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Aber die treulose Mutter Germania hielt ihre Rolle nicht durch, als sie sah, daß es zum Abgrund ging. Er aber riß das Haus mit sich ein. Treu bis zum Ende blieb ihm nur der linksrheinische Katholik Joseph Goebbels, ein Wallone. Dieses sind Materialien als unentbehrliche Voraussetzung zu jedem künftigen Versuch, der als eine Deutung des Phänomens der Jahre 1933–45 wird auftreten können. 2. 5. 49 Reine Dialektik dieser deutschen Reinheit. Der reine Täter ist das Unreinste, was man sich denken kann. Denn die Tat ist schon als Tat eine Verunreinigung des Gedankens.1 Der Täter ist schon als Täter auf eine geheimnisvolle Weise schuldig und unrein. Wird er nur nichts als Tat, reine Tat, so wird er um so unreiner, je reiner der Täter ist. So entdecken wir Schiller im Goethejahr 1949. 5. 5. 49 Dialektik des Opferbegriffs: Die Wehrlosen sind in solchem Grade die Opfer, daß sie heute nicht einmal mehr Opfer im Sinne des Entschädigungsrechts sind.Opfer im Sinne des heutigen Rechts sind Vorgänge, die einen Entschädigungs- oder Ausgleichsanspruch begründen. Es gehört aber zum Wesen des wahren Opfers, daß es ohne Entschädigung oder Ausgleich bleibt. Sonst ist es nur ein Geschäft, manchmal sogar ein sehr gutes. Wahre Opfer sind in Deutschland z. B. die Pgs [Parteigenossen mit einer Mitgliedsnummer] über zwei Millionen; sie sind die Opfer der Nazis wie die der Nazi-Verfolger, auf ihre Kosten werden die andern zu Opfern erhoben und privilegiert. 7. 5. 49 Dialektik der Demokratie: Die Begriffsprägung „diskriminierender Kriegsbegriff“ war echt dialektisch und deshalb sehr gut. Im Rahmen dieses Denksystems einem andern nachsagen, daß er diskriminiere, bedeutet nichts anderes, als ihn selber zu diskriminieren. Das demokratische Urverbrechen heißt: Diskriminierung. Natürlich kann kein demokratisches System diesem Sündenfall entgehen. Die Plattform der demokratischen Gleichheit ist nur das Absprungbrett für neue Ungleichheiten. Das ist die eigentliche Angst Tocquevilles. Die konsequente Gleichheit ist niemals wirklich und nur in einer einzigen flüchtigen Sekunde wahr: in dem Augenblick, in dem die alten Privilegierungen beseitigt und die neuen noch nicht offen konsolidiert sind, also in dem kaum faßbaren Moment des Umschlags von den alten zu den neuen Diskriminierungen, das märchenhafte Intervall, in dem weder die Nazis die Juden, noch die Juden die Nazis verfolgen. 9. 5. 49 Wieder die treffende Formulierung bei Schiller: Was er im Demetrius behanden will, ist „der Effekt des Glaubens an sich selbst und des Glaubens anderer“. Die Tat erst schafft den Charakter; die völkerweckende Kraft des großen Untergangs und andere Orakel des Kommerellschen Vortrages vom 9. November 1934.2

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Am Rand: „15. 5. 48“. Am Rand: „vgl. 15. 5. 48“.

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Dieser Vortrag und die Stelle in Erich Voegelins „Rassenidee in der Geistesgeschichte“, 1933, S. 140 ff., über den 9. Brief der ästhetischen Erziehung des Menschen. „Aus dem reinen Äther seiner dämonischen Natur“ rinnt nicht nur die Quelle der Schönheit, sondern auch das Recht zur Tat. Was ist Verbrechen: was im Verhältnis zur Kraft des Tuenden eine zu starke Geltung gegen sich aufruft, so Kommerell S. 16. 10. 5. 49 Vor 5 Jahren hörte ich in Portugal die Rede Churchills: The old flag flags. Jawohl, die alte Flagge weht. Das kam mir wilhelminisch vor. Damals erinnerte ich mich der Verse: Et le vent furibond de la concupiscence Fait claquer votre chair ainsi qu’un vieux drapeau. The old flag. Le vieux drapeau. Armer Churchill, mit „vent furibond de la concupiscence“ wäre dir wirklich zuviel Ehre angetan. Du kannst nichts mehr, als den armen Deutschen „unconditional surrender“ entgegenbrüllen, während Roosevelt und Stalin deine alte Flagge anblasen und aufblasen. 11. 5. 49 Ich bin doch noch für einige Zeit zerschmettert von dem Sussmännischen Requiem auf Däubler, von diesem skabrösen Machwerk weibischer Anmaßung, Einschaltung und Einnistung in das verfallende Haus eines medialen, in Sternenrythmen vibrierenden Geistes; besorgt von Jakob Hegner.1 Der edle Ritter von der traurigen Gestalt des imperialistischen Arbeiters, mit Pour le Mérite und Anwartschaft auf den Friedens-Nobel-Preis; Ecco 1949. 15. 5. 49 „In meinem Besitz“ Was, in wessen Besitz? Was? Eine Ansichtspostkarte aus dem Jahre 1933, durch die Heidegger den heutigen Machthabern zur Verfolgung preisgegeben werden soll. In wessen Besitz? Im Besitz eines Günther Anders. Wichtig genug, um das im Suhrkamp-Verlag zu veröffentlichen, 1949. Alles wird klar durch den Kafka-Aufsatz desselben Besitzers. Was ist denn das Nichts? Das vielzitierte Nichts? Es ist ein Abgrund. Klar, es ist ein Abgrund. Was ist denn ein Abgrund? Ein Abgrund ist etwas, das gähnt. Ergo: ein gähnendes Nichts. Gähnen, Abgrund, Langeweile.

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Stenogr. am Rand: „an Mohler 11. 5. 49“.

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17. 5. 49 Max Weber prägte seine hochwissenschaftlichen, soziologischen Begriffe noch fremdsprachig: Charisma, Traditional, rational usw. Martin Heidegger prägt sie deutsch-ursprünglich, anfang- und anfängerhaft. Jede Äußerung ist Ent-Äußerung. Das ist klar. Die Frage ist nur: Entäußerung wohin? –––––– Ins Fremde oder ins Selbst? Noch weiter nach Außen oder tiefer nach Innen. Der Asinus mysteria vehens: Verachtet mir diesen Esel nicht!1 Noch lange nicht jedes Vieh ist dieser Rolle fähig oder gar würdig. Moderne Juden sind keine Esel, Esel sind keine modernen Juden. Laß dir von einem guten, christlichen Maler einen Juden malen und daneben einen Esel, und meditiere über dieses Bild, meditiere einige Jahre. 18. 5. 49 Beachtliche Verlagerung: Êtes-vous heureux? Nous sommes puissants. Statt zu fragen: Habt Ihr auctoritas? Sie antworten: Wir haben potestas. Schande zu antworten: Wir haben potestas indirecta. Oder vielleicht Überlegenheit selbst über diese Schande?! 20. 5. 49 Stufe 1: Es gibt Menschen, die sich nicht schämen, den Nobelpreis angenommen zu haben. Noch tiefere Stufe 2: Es gibt Menschen, die sich nicht schämen, den von Hitler gegen den Nobelpreis gestifteten Nationalpreis angenommen zu haben; Allertiefste Stufe 3: Es gibt Menschen, die sich dafür entschädigen lassen, daß sie nicht von Hitler, sondern von Stalin einen Preis erhalten haben und die sich dafür als Kandidaten des Atlantik-Nobel-Preises anmelden und empfehlen. Wunder der D-Mark: Thomas Mann erscheint wieder in Deutschland! 21. 5. 49 Macht ist Sein; Sein ist Macht; das steckt hinter jedem Wort vom Sein. Ist die Macht also böse? Nein, nur die Macht des Bösen, d. h. des Andern ist böse. Die eigene Macht ist immer gut. Es gehört zum Wesen der wahren Macht, daß sie nur durch eigene Schuld verloren werden kann. Verlust einmal innegehabter Macht ist nur als Machtverzicht denkbar. Für die wahren Machthaber gibt es nur eine Form des Todes: den Selbstmord. Treffend die Verse von Max Kommerell: In vielen Toden Stirbt hier für eine Schuld: daß er Macht hatte –––– Und nicht zu halten wußte, aller Adel. Kommerell als bedeutendster Erbe Schillerschen Geistes und seiner durch bürgerliche Mythen verhüllten Größe.

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Stenogr. am Rand: „, Brief an Kemp 5. 49“.

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23. 5. 49 Wir haben unser dóv moi poû stå: Es ist unser Leid, unsere Nicht-Beteiligung an den Verbrechen und den Gegen-Verbrechen, unsere unbefleckte Einsamkeit, unsere Entrechtung durch eine das Recht zur Legalität fälschende Umwelt, unser hors-la-loi und hors-la-contamination. Wir haben unsern Flugplatz, wir Luftbettler, arm und stark. Ein Goethe-Vers zum Goethejahr: Wir haben nichts, womit wir das vergleichen. Vor allem diesen Vers vergleichen, der so peinlich gemacht ist. Der wichtigste Satz des Thomas Hobbes bleibt: Jesus is the Christ. Die Kraft eines solchen Satzes wirkt auch dann, wenn er im Begriffssystem des gedanklichen Aufbaues an den Rand, ja scheinbar sogar außerhalb des Begriffskreises geschoben wird. Diese Abschiebung ist ein der Verkultung Christi analoger Vorgang, wie ihn der Großinquisitor Dostojewskis vornimmt. Hobbes spricht aus und begründet wissenschaftlich, was Dostojewskis Großinquisitor tut: die Wirkung Christi im sozialen und politischen Bereich unschädlich machen; das Christentum ent-anarchisieren, ihm aber im Hintergrunde eine gewisse legitimierende Wirkung zu belassen und jedenfalls nicht darauf zu verzichten. Ein kluger Taktiker verzichtet auf nichts, es sei denn restlos unverwertbar. Soweit war es mit dem Christentum noch nicht. Wir können uns also fragen: Wer ist dem Großinquisitor Dostojewskis näher: die römische Kirche oder der Souverän des Thomas Hobbes? Reformation und Gegenreformation erweisen sich als richtungsverwandt. Nenne mir deinen Feind, und ich sage dir, wer du bist. Hobbes und die römische Kirche: Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt. Abstraktion von der Causa. Was bedeutet das? Den Jagdtrieb des Wolfes von seinem Hunger unterscheiden, abstrakter Jagdtrieb und abstrakter Hunger; den Trieb nach der Erkenntnis (das Suchen der Wahrheit) vom Trieb nach der Sättigung durch ein richtiges Ergebnis. Zwischen Stalin-Orgeln und den Phosphor-Bomben Blieb uns Deutschen nur die bange Wahl, Auf der Stirn der Opfer des Faschismus Leuchtet ihr verklärter Strahl. Nur absichtslose Hoffnungen vermögen das Erhoffte zu attrahieren.1 Im Deutschen kann man nicht einmal höflich „Danken“ ohne in Gefahr zu geraten, beleidigend zu „Danken“. Schlimm. Im Deutschen ist Höflichkeit = Verstellung. Wunderbar ist der reine Lyrismus Goethes. Aber wie traurig und deprimierend ist es, wenn ein Lyriker sich auf die öffentliche Bühne bringt, wenn er das problemlos Präsente zu dialektisch-dialogischer Repräsentation entäußert und uns für die Primadonnen-Probleme einer Tasso-Existenz dramatisch zu interessieren sucht.

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Am Rand: „an Fleig geschrieben 22. 5. 49“.

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26. 5. 49 1933–36 fühlte ich mich den die Macht ergreifenden, armen Schächern so unendlich überlegen, daß mein persönliches Problem schon damals mit der allgemeinen ontologischen Frage des Verhältnisses von Geist und Masse, Idee und Interesse identisch wurde. Die Idee hat sich in solchen Fällen noch immer blamiert, sagte Friedrich Engels, er schien diese Blamage zu fürchten und er suchte diese Blamage zu vermeiden. Ich habe sie nicht gefürchtet und nicht einmal bedacht. Deshalb kann sie mich heute nicht töten. Die allgemeine Sorge um die Humanität und das allgemeine Convenu „Humanismus“ erklärt sich wohl physiologisch, und zwar aus dem Gefühl, daß auch die menschliche Physis von der Technik und Naturwissenschaft tödlich bedroht ist. Es wird jetzt Ernst mit dem homme machine, mit Spritzen, Injektionen und Prothesen. Jetzt schreien sie verzweifelt: Humanität, d. h. Haltet den Dieb. Aber was kann uns dieser längst geschändete Begriff noch helfen? Nur noch Vorwände für moralische Entrüstung, Vorwände für die Konstruktion von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, also nur für neue Kriminalisierungen und neue hors-la-loi-Erklärungen des politischen Feindes. Das läßt sich ja beim besten Willen nicht abstreiten: das letzte Wort dieser hochedlen Prinzessin, dieser Inkarnation deutschen idealistischen Geistes im Tasso und deutschen Genialismus: ihr letztes Wort ist schließlich doch: Hinweg! (Tasso 5. Akt, Szene 1). Es ist das letzte Wort des deutschen Idealismus überhaupt. Kleist hat es erfahren und ging in den Tod, in die Wollust des Grabes, mit einem armen Weib. Die Dame aber verläßt die Bühne mit einem entschiedenen Hinweg! und erscheint nicht wieder. 31. 5. 49 Tiefsinn des Wortes: Qui n’a pas l’esprit de son âge, de son âge a tout le malheur; âge heißt hier: Alter, aber Lebensalter, Zeitalter und sogar Weltalter. Das alles wird im Französischen offen gelassen; wie schön! Woher die merkwürdige allgemeine Einigung auf das Wort: Humanismus? Es ist die Sorge um den letzten Rest der von der Technik noch nicht zerstörten und ersetzten Natur: die menschliche Physis, als letzter Rest; Angst davor, daß der Körper nun tatsächlich Maschine wird, Funktion; durch Drogen, Vitamine, Auswechslungen auswechselbar. Da schreien sie voll Angst: der Mensch! Aber dieser so beschworene Mensch ist längst verloren.

Buch III 16. 6. 1949–14. 8. 1951

16. 6. 49 Hobbes war der Typus der inneren Emigration. Alle Großen des 17. Jahrhunderts sind in die Esoterik emigriert. Er war also echt. Die klare Prägnanz der Sprache des Hobbes bestätigt seine Sprachphilosophie an ihm selbst: homo verbo fit potentior.1 Aber die Engländer haben den Hobbes abgelehnt und ausgestoßen. Die Israeliten nennt Hobbes eine gens prophetarum avida (De Cive, C III, cap. XVI, § 15, p. 312 der Elzevir-Ausgabe von 1647). Vor allem die klassische Stelle p. 343: non enim potest civis privatim determinare quis amicus, quis hostis publicus sit. Diese Stelle gehört an die Spitze jeder Untersuchung über die völkerrechts-unmittelbare Stellung des Individuums. 17. 6. 49 Die Zwillingsbrüderschaft von Pazifismus und Malthusianismus; die Einheitsfront der Fruchtabtreiber, Leichenverbrenner und Pazifisten, das Körpergefühl der Frauen der angelsächsischen Elite. Homer Lea, The Saxons Day, 1912. Großartiger Satz: Die Welt ist heute kleiner als der Turm von Babel; 1912 gesagt, lange vor Flugzeug und Radio! Homer Lea, ein Sturmvogel der Raumrevolution. Die Erde ist kleiner als der Turmbau von Babel; und die Sprachverwirrung in dieser Enge wirkt umso tödlicher. Amerika + Rußland; Kolonialkrieg + Bürgerkrieg. Das ist die Wirklichkeit der Wiedereinführung des gerechten Krieges. 18. 6. 49 Grundlinie des Denkens: Vom Chaos zum Kosmos; vom Naturzustand zum Staat; aber im Übergang stets der Gewaltmensch, der den Übergang bewirkt, Herkules, der die Monstren tötet und nun als letztes Monstrum übrig bleibt. So dieser „Staat“. Wenn die Bildung kommt, hören die Heroen auf, sagt Hegel. Uns ist diese Bildung fade geworden. Verdrießlich wird mir dieser Friede. Also rufen wir nach Heroen. Und sie kommen! Wie sie laufen und . Was war der Kern des zwischenstaatlichen jus publicum Europaeum? Die Überwindung des Bürgerkrieges und die Ausgrenzung des Kolonialkrieges! Was bedeutet die von Amerika und Rußland bewirkte Wiedereinführung des gerechten Krieges? Die Rückverwandlung des Staatenkrieges in Kolonial- und Bürgerkrieg! 23. 6. 49 Nur absichtslose Hoffnungen vermögen das Erhoffte zu attrahieren; absichtslos, d. h. von jeder Hoffnung absehend, sperans contra spem, eine nichts erwartende Hoffnung.2 Expectation keiner Rechtsquellen. Völkerrechtliche Anerkennung als Staat hieß früher (d. h. im jus publicum Europaeum): Anerkennung als justus hostis. Heute, nach der Einführung des

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Am Rand: „vgl. 23. 8. 49“. Stenogr. am Rand: „an Frau Jünger geschrieben“.

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gerechten Krieges, heißt es das nicht mehr. Es heißt also nichts mehr. Die Mexikaner haben Recht mit ihrer Estrada-Doktrin und ihrem Art. 9 der Bogotá-Charter vom Mai 1948! 25. 6. 49 Die deutsche Sprache ist voll von geheimnisvollen Zeugungen und Selbstbezeugungen. Ich stelle z. B. einen Sachverhalt fest, wenn ich : Heute werden die Mittel unmittelbar. Sie werden nicht etwa Selbstzweck, denn es gibt keine Zwecke mehr. Sie werden unmittelbar. Es gibt nur noch Triebe und Funktionen. Was sollen wir also tun? Von jeder Absicht absehen und uns dem Strom überlassen, wobei wir nicht einmal entscheiden, ob der Strom wie ein Fluß ähnlich dem Nil oder aber wie ein elektrischer Strom mit Wellen und Kraftlinien uns fortträgt. Das wechselnde Echo jedes deutschen Wortes. Ihm fehlt das Bild, es sucht das Bild, schwankt zwischen Bildern. 27. 6. 49 Kleist suchte die Wollust des Grabes, das Bett der Kaiserin. Sein Selbstmord war nicht heroisches Benehmen gegen seine Persönlichkeit (vgl. Hegel Zus.[atz] zu § 70 R[echts]phi[losophie]); der Protest gegen die politische Lage war nicht das Bestimmende, es sollte nicht höheres Recht sein. Es war nach dem Schluß der Penthesilea eigentlich nur folgerichtig, nur die Tat als reife Frucht vom Baum des sicher wissenden Gefühls. 28. 6. 49 Man sehe sich diese Porzellanmanufaktur-Welt des Goethischen Tasso oder seiner Iphigenie an! Das muß mit einem Hinweg! enden! Hier ist alles so unendlich fein und hochgebildet, daß man nur noch in Blankversen säuseln und nur noch Nektar und Ambrosia zu sich nehmen kann. Schließlich fällt das Genie aus der Rolle und bekommt das wohlverdiente klassische „Hinweg!“ zu hören.1 „Wir haben nichts, womit wir das vergleichen!“ Tatsächlich nicht. Schönes Thema zum Goethe-Jahr mit E. R. Curtius als Bildungsküster, der das humanistische Kultbild Goethe mit küsterlichem Eifer und zitatengeschmückter Schulmeisterei verteidigt. 30. 6. 49 Der Tod des Empedokles, heroischer Absturz in das innere Sonnenfeuer der Erde, und die Entfesselung der Atomenergie, d. h. das unumhüllte Sonnenfeuer, das ist beides dasselbe. Das ist die Licht- und Geist-Philosophie des deutschen Idealismus.2 In deren Namen führt die Welt gegen uns, die wir das Unheil ahnten, einen idiotischen moralisch-gerechten Krieg. Nietzsche 1870/71 wollte eine Tragödie „Empedokles“ schreiben.3 Empedokles, der durch alle Stufen: Religion, Kunst, Wissenschaft getrieben wird und die letzte auflösend gegen sich selbst richtet.

Am Rand: „Deutscher Widerstand! So rief die deutsche Bildung: Hinweg! als ein armer Teufel Ernst machte mit allen Bildungsbegriffen des letzten Jahrhunderts.“ 2 Am Rand: „Das ist der neue Kosmos.“ 3 Stenogr. am Rand: „ S. 431“. 1

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Ohne Blitz kein Licht, ohne Angst kein Blitz, ohne Finsternis keine Angst. Nur dem wird es enge und finster, der zur Weite und zum Licht bereits geboren ist; aber dem in der und zu der Finsternis geborenen Wurm ist wohl in ihr, und er weiß sie als solche nicht. Sic, Baader, den der Hochstapler Lüth mir entgegenzuhalten wagt. Baader natürlich hat es von Jakob Böhme. 2. 7. 49 Das Körper- und Geist-Gefühl des Gnostikers: Kristallinische Reinheit; der Schmutz des Blutes überwunden in reiner Strahlung; Unfruchtbarkeit; malthusianisch=pazifistisch. Birth-Control. Carrion-Comfort. Was wollen sie? Die Masse: gut leben und ihr Späßchen haben; to live and have a fun. Man wird Euch damit bedienen; mit Nahrung und Freizeitgestaltung, mit Kalorien und Kinos. Panem et circenses wäre zu substanziell für diese massa perditionis. Sie brauchen carrion-fun. 3. 7. 49 Der Angriff ist die beste Verteidigung. Aber noch viel mehr tritt bei der heutigen Ächtung des Aggressors das Umgekehrte ein: die Verteidigung ist der beste Angriff;1 er mobilisiert das Achtungssystem der Kollektivsicherheit: Jeder ist mit angegriffen und der gerecht-globale, global-gerechte Weltkrieg kann beginnen; rührend, das Friedenssicherung zu nennen. Das ist doch alles schon Orwells 1984. Jüngers Arbeiter ist Sprachstil, nicht Denkstil; naturwissenschaftliche, genauer: und insektenforscherische Beobachtung, keine Spur von Ontologie, entomologische Morphologie geschichtlicher Phänomene mit aphoristischen Ergebnissen. Was in der Sache ein hellseherischer Ansatz ist (z. B. schreibt er 1932: „Für Ahasver, der 1933 seine Wanderung von neuem beginnt, bietet die menschliche Gesellschaft und ihre Tätigkeit einen seltsamen Anblick dar.“), wird ein altmodischer Romananfang, könnte von Balzac sein; großer Reiz; wie lange noch? 4. 7. 49 Nennen Sie aber keinesfalls meinen Namen!2 Die Emigranten sind unberechenbar und meistens partiell gestört in moralischer Hinsicht. Sie sitzen auf ihrem Recht wie auf einer Beute und verteidigen es wie einen Raub. Sie sind durch Recht und Rechthaben und [ihre] noch 300prozentige Rechtsverwertung außer sich und außerhalb der menschlichen Maße geraten; sie führen den gerechten Krieg, das Schauerlichste, was menschliche Rechthaberei erfunden hat. Ihr Recht und ihre moralische Entrüstung verschließt ihnen die Rückkehr zu sich selbst und zur Vernunft. Ich weiß nicht, ob das auch für Karl Löwith gilt. Aber man muß heute mit solchen Möglichkeiten rechnen, und ich habe keine Lust, die Haßaffekte dieses Menschentypus zusätzlich zu meinen bereits überstandenen Verfolgungen auf meine

1 Am Rand stenogr.: „Mahan: Einen Krieg kann man nur als Angriffskrieg führen, gerecht-globale, global-gerechte. Dass eine Flotte nur Verteidigungszwecken dienen kann, nennt Mahan Gassenhauer.“ 2 Am Rand: „an Hans Paeschke, 4. 7. 49“.

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arme Person zu lenken. Mich erfüllt das taedium fugae, und was das Publizieren angeht, so halte ich mich an den antiken Satz: non possum scribere de eo qui potest proscibere. Was heißt denn das: die Juridifizierung, die Institutionalisierung des Christentums in der römischen Kirche? Es heißt doch nur: Verwirklichung. Denn was ist Recht? Die Antwort Hegels lautet: Recht ist Geist sich wirklich machend. Natur ist, was sie ist (Bemerkung zur Rechtsphilos.[ophie], § 29). Recht ist Dasein des freien Willens; es ist die Freiheit als Idee; der Geist selbst, nicht nur als Individuum;1 Indem sie nun die Verwirklichung (die Werke) ablehnen, bleiben sie rein. Die Tat selber ist schon ein Verbrechen; Untat. Das ergibt dann: Tragik. Die Römische Kirche ist historische Wirklichkeit; idealistisch gesehen eo ipso Untat. Sie ist der katécwn; das ist dann wohl der schlimmste Verbrecher. Idealistisch gesehen ist jede geschichtliche Tat eine Untat; idealistisch gesehen ist Recht = Unrecht = Setzung = Willkür. Das nennen sie dann Tragik! Sohms These gilt nicht nur für das Kirchenrecht. 7. 7. 49 Jesus Christus in Amerika. Richtigstellung von Joh 8,7–11. Er sprach zu den Pharisäern: Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Da sie aber das hörten, schrien sie laut: Das Tu quoque ist nach der Lehre unserer großen Prosecutoren2 unzulässig. Und steinigten das Weib und suchten auch den Herrn zu treffen. Er aber ging mitten durch sie hindurch. 8. 7. 49 Als mir von Georges Bernanos Le chemin de la Croix-des-Âmes (Gallimard, 1948) in die Hand fiel, war ich glücklich, ihm wiederzubegegnen und begierig zu erfahren, was er in den Jahren 1940–44 gedacht und gesagt hat, als wir im Rachen des Leviathans saßen. Ich las seine Auseinandersetzung vom April 1944, wo er einem Wiener Emigranten namens Karpfen begegnet, der sich jetzt Carpeau[x] nennt und der dem armen Bernanos einige Lektionen in der Humanität erteilt. Wie antwortet nun der alte Drumont-Biograph dem neuen Christen und Franzosen Carpeau[x]? Er antwortet unsicher und vorsichtig, mit Vorbehalten. Sichtbarlich hat er große Sorge, als Antisemit zu gelten. Da hat der Karpfen schon gewonnen und ist kein Karpfen mehr, sondern ein Hecht. Le génie juif, sagt B., est un génie de contradiction. S’il n’en était pas ainsi, voilà longtemps qu’on ne parlerait plus de race juive, et il ne serait pas plus question de restituer la Palestine aux Israélites que la Toscane aux Étrusques. Wie harmlos und altmodisch ist das angesichts des Faktums, daß der neue Messias, Isidore Isou, damals seine Agrégation d’un Nom und d’un Messie schon fertig hatte und Gallimard, der gemeinsame Verleger, sie schon druckte und publizierte, als der gute Bernanos noch lebte! Aber gut. Für Bernanos ist der Katholizismus eine Rasse. Was sagt er seinem neuen Rassegenossen Karpfen? Er sagt ihm: Du hast als Jude einen religiösen Pessimismus. Wir Franzosen trennen uns nicht von der Hoffnung; wir bleiben bei der espérance. Die Deut-

1 Am Rand: „Konrad Weiß würde sagen: Die um eine unbesetzbare Mitte des Inbildes in die Zeit angulativ sich einstückende Planschaft Gottes.“ 2 Ursprünglich: „des großen Prosecutors Jackson“.

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schen aber sind, wie die Juden, ebenfalls Pessimisten, metaphysische Pessimisten. Die Juden und Deutschen sind also Brüder. Ihr gegenseitiger Haß ist nur der Haß feindlicher Brüder. Le peuple juif et le peuple allemand restent liés par une mystérieuse affinité. (Sic. p. 420). Wie traurig ist diese Mischung von Nationalismus, Traditionalismus und politischer Theologie mit den Resten jenes fabelhaften Ansatzes von 1920 aus der Zeit der Freundschaft mit Valléry-Radot! Wie peinlich die vielen In-Direktheiten dieses Ur-Direkten. Was ist von dem tapferen, so ganz und gar direkten Bernanos geblieben, der uns 1930 so begeistert hat? Ein Emigrant und Journalist, der zwischen seiner alten Rolle und seinem neuen Publikum taumelt. Ein Emigrant, der zurückkehren möchte, aber genau weiß, daß man kein Fest feiert, um ihn zu Hause zu empfangen, sondern nur um ihn in eine der Bürgerkriegsfronten einzubuttern. Er hat das bittere Schicksal eines erfolgreichen, modernen Autors erfahren. Das heutige bürgerliche Publikum applaudiert gern kühnen Thesen. Die intellektuelle Neugierde läßt sich gern durch direkte Thesen reizen und spendet gern ein freibleibendes Lob. Der Autor soll etwas riskieren. Er soll es vor allem riskieren, etwas ehrlich auszusprechen, was das Publikum selber nicht ehrlich zu glauben vermag. Er wird dafür bezahlt und honoriert. Wenn er sich aber selbst mit seinem Erfolg allzu ernst nimmt, dann wird er mehr oder weniger höflich abserviert. In jedem Satz dieser Artikel des Chemin de la Croix-des-Âmes spürt man, was Bernanos fühlt. Er fühlt, daß er emigriert und abserviert ist. Qui quitte sa place la perd. Traurig, ihn dann 1947 noch in Genf in der alten Rolle auftreten zu sehen, während Isidore Isou ihn schon öffentlich ausgelacht und angespuckt hatte. Und traurig, sich als Deutscher sagen zu müssen, daß es gut war, alle diese Enunziationen des guten Bernanos während der Jahre 1940–44 nicht gehört zu haben. Bernanos spricht von der „front des cathédrales“. Nun, die französischen Kathedralen stehen noch, die deutschen sind zerstört. Das war die wirkliche „front des cathédrales“. Natürlich ist vieles sehr treffend: Ce n’est pas vrai que les peuples soient trompés. Ce n’est pas vrai que les loups, pour les séduire, se soient déguisés en moutons. Ils ont toujours agi en loups, parlé en loups. … La confiscation de la Tchécoslovaquie est un crime, mais Munich est un autre crime (Mars 1942, p. 212). Und Nürnberg? Hiroshima? Morgenthau? vielleicht im Herbst 38), armer Georges. Zu Isidore Isou: Sie reden zwar viel von Eliten, Doch ahnen die meisten es kaum, Es gibt nur noch Isra-Eliten Im großplanetarischen Raum. Un grand peuple remué ne fait que des exécutions (Rivarol). 9. 7. 49 Die Bewegung war ein Mischkrug. Ihr Sinn war Entmischung. Dazu ist es nicht gekommen, weil der begriffliche Ansatz zu kläglich war; er wurde schon durch die ungelöste Gemischtheit der Begriffe Rasse und Volk und Gemeinschaft völlig paralysiert. Rasse, das war nämlich angelsächsisch, Front gegen Osten; Volk war slawisch, Front gegen Westen; Reich war christlich-germanisch. Gemeint – im esoterischen Kern – war Rasse; Anbiederung an

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die Angelsachsen und Eintritt in die vornehme Weltfirma, erst als Prokurist, dann als Direktor. Nicht gewollt und nur getreu Mich kein Ding betrügt. Diese aber sind umgekehrt: nur gewollt und ungetreu; deshalb werden sie stets betrogen, und alle Dinge verbünden sich, um sie zu betrügen. Der Betrug, über den sie so laut schreien, der Verrat, den sie selbst provozieren, ist nur die unvermeidliche Antwort auf ihre Gewolltheit, ist nur das Echo auf ihre Unfähigkeit zur Treue. Bach ist musikalische Oratorie, Beethoven ethische Rede, Rossini das problemlose Sein, Glück des zwitschernden Vogels. Was aber ist Wagner, der große Magier des Tristan und der Meistersinger? Rossini konnte noch bei Rothschild Unterkunft finden, Wagner nicht mehr. 11. 7. 49 Wir wußten es längst: Wo soviel von Rasse gesprochen und das Rassenprinzip proklamiert wird, da ist in der Substanz nicht mehr viel Rasse vorhanden. Man spricht am meisten von dem, was einem fehlt. Das ist natürlich und selbstverständlich. Und nur in diesem Sinne sprechen wir heute von Mensch und Menschlichkeit, von Frieden, Freiheit und Humanität. Wenn ich nun heute nur den ersten Satz dieser einfachen Feststellung öffentlich ausspreche und nur vom Rassenschwindel spreche, so finde ich allen Beifall. Man ist sogar bereit, mir zu verzeihen. Ich erhalte Amnestie. Spreche ich aber auch die folgenden auf Menschheit [und] Humanität bezüglichen Sätze aus, so werde ich im Namen der Menschheit und der Humanität in ein Gefängnis geworfen. 12. 7. 49 Nürnberg, das war der große Kladderadatsch der Justiz. Dort saß nur ein einziger wissenschaftlicher Jurist, Donnedieu de Vabres. Das war die trahison des clercs. Aber geben wir nichts zurück, vor allem nicht diesen Begriff „Verräter“: daß die Existenz von russischen arrivierten Berufsrevolutionären und jüdischen Emigranten uns als Maßstab normalen deutschen Verhaltens oktroyiert wurde; und daß – jetzt erst kommen die clercs, denn bis dahin kann man eigentlich noch nicht von clercs in einem europäischen Sinne sprechen – der antifa-katholische Klerus sich anpaßt und sich in die Ideologie jenes völlig europa-fremden Typus einzuschalten sucht als das Lamm, das mit den Wölfen heulte. Diese Hirten sind keine Lämmer; sie müßten wissen, wie elend „verräterisch“, selbstmörderisch sie sich benehmen, wenn der Hirt mit den Wölfen mitheult. Radbruch und Jaspers waren 1945 die geisteswissenschaftlichen pin-ups des befreiten Deutschlands; sie waren sehr stolz auf ihren success. Heute empfinden sie es empört als Renazifizierung Deutschlands, daß sie langweilig geworden sind und abgehängt werden. Ehe sie damit einverstanden sind, als pin-up abgehängt zu werden, sollen lieber noch einige Deutsche aufgehängt werden. Zu jeder Denunziation entschlossen erklären sie, daß sie bis zum äußersten kämpfen werden. Das werden sie auch tun. Ihre Pension werden sie heute so wenig wie 1933 verlieren. Also Auf in den Kampf für Rede-Freiheit und Menschenrechte.

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13. 7. 49 Es handelt sich wirklich nicht um die Trahison des clercs. Wer sind denn diese clercs? Sind sie überhaupt eines Verrates fähig? Sie sind es nicht. Sieh dir vielmehr diesen Winston Churchill an, den biederen Whisky-Trinker. Er ist für die unconditional surrender verantwortlich. Das ist die trahison der alten Whisky-Trinker. Diese trahison werden wir armen Land-Europäer kaum überholen. 14. 7. 49 Ein Bürgerkrieg kann nur mit einer Amnestie enden, nicht mit Gerichtsurteilen einer politischen Justiz. Deren Unheil ist auch durch Begnadigungen nicht wieder gutzumachen. Hier gibt es nur, wie im letzten Buch der Odyssee, den Blitz des Zeus und dann Amnestie. Amnestie aber ist ein zweiseitiger, gegenseitiger Vorgang. Das ist etwas anderes als Gnade und Begnadigung. Man kann sie sich nur gegenseitig schwören. Das sind die Horkia der pacten u. a. am Schluß der Odyssee; Urfehde wird geschworen. 15. 7. 49 Da laufen sie herum und sprechen von Europa, in Frankreich und in Deutschland. In Frankreich hat André Gide die berühmte Antwort auf die Frage nach dem größten Dichter gegeben: Victor Hugo, hélas. In Deutschland würde es keiner begreifen, wenn ich antwortete: Der größte moderne deutsche Dichter ist Theodor Däubler, hélas. In Deutschland werden mir Georgeaner, Rilkeaner, sogar Wiechertjaken und Thomas Mann-Gepäckträger ins Gesicht springen und mir entgegenbrüllen: Trauriges Nazi-Schwein, laß dich erst mal entnazifizieren. Stolz, daß sie nicht Betroffene und nur Betreffende sind. Schande. 17. 7. 49 Das Geheimnis Goetheschen Ruhmes. Wofür wird er heute gefeiert? Ich weiß es. Er wird allgemein dafür gefeiert, daß er klug genug war, sein volles Herz zu wahren. Er ist rechtzeitig verstummt. Sagt es niemand als den Weisen. Niemand beichtet gern in Prosa; sagen wir es höchstens sub-rosa, wenn uns die Muse so willenlos zu Willen ist, wie sie es diesem großen Dichter war. Goethe lehnte 1794 Gagerns Aufruf „eines deutschen Edelmannes an seine Landsleute“ ab mit den Worten: „Leider muß man meistenteils verstummen, um nicht, wie Kassandra, für wahnsinnig gehalten zu werden, wenn man ausspricht, was schon vor der Tür ist.“ Er hat nicht nur geschwiegen, er ist auch verstummt. Er verbirgt irgendeine Verstümmelung, die wir alle verbergen. Es ist schon zuviel, soviel über das Verstummen zu sagen. Ce sont des problèmes pour lesquels Thémis n’a pas de balance. Im Goethe-Jahr 1949 entdecke ich Schiller; das Fragment des Demetrius. Und damit wären wir also wieder in Nürnberg. Viele vergleichen die Nürnberger Prozesse mit dem Dreyfus-Prozeß. So z. B. Maurice Bardèche, Nuremberg ou la terre promise, Paris 1948. Was ist die große Verschiedenheit der Nürnberger Problematik gegenüber derjenigen des Dreyfus-Prozesses? Im Dreyfus-Prozeß ging es nur um Tatsachen und Feststellungen tatsächlicher Art. Die moralische Bewertung und die Zuständigkeit des Gerichtes standen fest. In Nürnberg ging es um das Problem der Justiziabilität, um die „Grundlagen“. Il y a des problèmes pour lesquels Thémis n’a pas de balance. Nicht einmal um Rechts-

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fragen, sondern um die Grenzen dessen, was Menschen mit den Mitteln eines Prozesses als Recht behaupten dürfen. Maxima non curat praetor. Die Griechen haben Sokrates, die Juden haben Jesus Christus justizförmig getötet. Die Römer, das Volk des Rechts, haben ihren größten Mann, Julius Caesar, nicht justizförmig getötet. Das ist ihr Ruhm. Aber für den Vergleich mit solchen großen Namen wäre Nürnberg sowohl von der Richter- wie von der Ankläger- wie von der Angeklagten- wie auch von der Verteidiger-Seite viel zu klein. Lassen wir es also auf sich beruhen. Überlassen wir das Urteil über dieses Urteil der Zeit. Der Zeit, und nicht etwa der Nachwelt oder der Geschichte; nur der Zeit. Tempus docebit. 19. 7. 49 Titel: Material zur Lichtung eines juristischen Daseins und zur Sichtbarmachung einer rechtswissenschaftlichen Existenz. Keine Strahlungen; obwohl Materie nur verdickte Strahlung und Strahlung nur sublimierte Materie sein soll.1 Ich bin ein höflicher Mensch. Für mich ist Höflichkeit die erste Menschentugend. Ich spreche gerne an und lasse mich auch gerne ansprechen. Aber ich lebe in einem Volke, das lügt, wenn es höflich sein möchte, und das aus der Sprache ein Mittel der Verstrickung in seine monadische Stummheit gemacht hat. Tragisch. Im Deutschen lügt man, wenn man gesellig spricht, wenn man nicht mit sich selbst spricht, sondern einen andern anspricht. Ansprechen ist schon angeben. Unabsehbare Einsamkeit. Ich suche ein offenes, wenn nicht öffentliches Gespräch über die Möglichkeit, einen Bürgerkrieg zu beenden und finde nur Belaster und Entlaster, finde nur Menschen, die Material für Belastungen oder Entlastungen suchen, im Eifer der Verfolgung oder in der Angst [des] Verfolgtseins. Die Verfolgungspsychose, die sich seit über 4 Jahren legalisiert und institutionalisiert hat und deshalb kaum noch zu überwinden ist. 20. 7. 49 Bei der Lektüre des Bonner Grundgesetzes befällt mich die Heiterkeit eines allwissenden Greises. Ich erschrecke vor der Wucht, mit der Werner Weber das Opus kritisiert. Bella gerant alii. 22. 7. 49 Diese Art Machthaber erlebte ich 1933–1944 nicht mehr als ein Schicksal, sondern nur als eine über uns verhängte Plage. Erst nach 1945 wurde mir das Schicksal sichtbar, als sich die deutschen Widerständler dekouvrierten. Humanität, Bestialität. Wir sagen: der städtische Zentral-Viehhof und verschweigen den Schlachthof. Taktvoll. Aber das Schlachten versteht sich unter der Hand von selbst, und es wäre inhuman, ja bestialisch, das Wort Schlachten auszusprechen.

1 Stenogr. am Rand: „Strahlung sind wir also sowieso; das ist nichts Besonderes mehr, wenn auch nur versteckte Strahler.“

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23. 7. 49 In der amerikanisch-besatzungsdeutschen, auf Education ausgerichteten Zeitschrift Der Monat, Nr. 10 vom Juli 1949, teilt Prof. Robert M. W. Kempner einige Proben aus dem Tagebuch Alfred Rosenbergs mit, über den Kampf Hitlers gegen das Christentum. Was geht das denn die Juden an? Kempner sagt nicht, wie er an dieses Tagebuch gekommen ist. Es ist wohl ein Teil der Beute, auf der die gerechten Sieger sitzen, wie auf einem Raube. Und wir sollen uns davon beeindrucken lassen: 1. wie Rosenberg den Hitler sah, 2. wie Robert M. W. Kempner die beiden sah. Während es mir nach Art. 139 des Grundgesetzes des heutigen Regimes verboten ist, offen und öffentlich zu sagen, wie mir 1. Hitler, 2. Rosenberg, 3. Hitler im Verhältnis zu Rosenberg, 4. Kempner, 5. Kempner im Verhältnis zum Verhältnis Hitler-Rosenberg vorkommt. Inzwischen wollen wir feiern, Das „Hochland“ hoch in Bayern, Von Moskau fernbefruchtet. Ich stelle fest: Es gibt Menschen, die mir in feierlichen Gesetzen und sogar Grundgesetzen (Grund-Gesetzen) die Unantastbarkeit der menschlichen Würde garantieren und mir nicht einmal den Tod an Altersschwäche gönnen. Die mir Gewährhaft ins Gesicht spucken und mich nicht davor schützen, daß ich des elendesten, ganz konkreten Hungers sterbe. Soll man es für möglich halten? Laßt ihn sterben, wenn er es erfährt. Und laßt sie1 hochleben, die Grundgesetzler, die uns solche Produkte der verfassunggebenden Gewalt (Gewalt!) des deutschen Volkes mit Zustimmung der Besatzungsmacht , unter Vorbehalt des Art. 139. Sag nichts gegen die Fernbefruchtung. Indem du Kaffee trinkst, bist du schon fernbefruchtet. Verzeihung, ich bin es nicht. Denn wir haben Amerika entdeckt, und nicht Amerika uns, trotz allem kolonial-ethischen Vitoria-Klamauks; Klamaux. Ein graphologisch begabter Klages-Schüler sah heute (23. 7. 49) die Handschrift von Spranger und diagnostizierte: ein unfruchtbarer bösartiger Egoist, lächerlichstes Sinistro . Er sah die Handschrift von Smend: ein gefährlicher Intrigant. Er sah die Handschrift von Ernst Jünger und sagte: Dieser Mann hat ein starkes Faible für das schöne Geschlecht. 26. 7. 49 Es wird eine Zeit kommen, in der man die Frage erörtert: Warum wollte Donoso Cortés in den Jesuitenorden eintreten und nicht in den Dominikanerorden? Diese Frage ist jedenfalls wichtiger und interessanter als die Frage, ob Heidegger Atheist oder Gerhard Nebel ein Christ waren oder ob Ernst Jünger sich wirklich bekehrt hat oder nur so ein bißchen angibt und tut, als ob er (Buße) täte. Schade, diese Nobelpreis-Menschen (wahrhaftig Menschen im Sinne des homo homini homo) können einen Mitmenschen wie Knut Hamsun nicht einmal mehr alt werden lassen. Sie gönnen ihm nicht einmal das Recht auf den Tod an Altersschwäche. Der ältere Jahrgang

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Im Orig.: „ihn“.

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hat nämlich gewisse Vor-Leistungen und Vor-Teile. Die muß man ihm abjagen. Darüber sind die Jüngeren sich einig. Nur die Verräter am Geiste, die Meister der Ur-Konjunktur wie Thomas Mann, die ewigen Anwärter auf jede Goethe-, jede Stalin-, jede Nobel- und Antifa-Medaille, die werden umso stärker applaudiert. Trotzdem bin ich lieber Sündenbock als ein solcher Tugend- und Nobelpreisbock. Anwärter auf jeden Preis und um jeden Preis, sei es auch der Nobelpreis. O Ihr Dumm-Bewegten! Euch gab ich eine Chance. Ihr habt das benutzt, um mich in Eurer Schießbude aufzustellen. Jetzt kommt die Anti-Schießbude und ist stolz, in mir eine Schießbuden-Figur gefunden zu haben. Kreislauf der Antifon. 28. 7. 49 Maxime Leroy (in seiner Biographie des Grafen Saint Simon, Paris 1925): Entre deux simplifications religieuses et philosophiques – XVIII. Jahrhundert und Chateaubriands retour aux croyances traditionelles – versucht Saint Simon die wahre zeitgemäße Religion zu finden: de trouver dans la science les thèmes d’un nouvel enthousiasme religieux; eine religion laïque. In einer période violemment déicide en ses élites scientifiques soll le sublime scientifique den Menschen erheben; dieses sublime scientifique soll den Menschen am Himmel Newtons die ganz entscheidende Ordnungslehre geben, eine Lehre für die Schüler Cartesianischer Evidenz. Das ist 1925 geschrieben. Ahnungslos. Es lautet auf Französisch: Le sublime scientifique, en soulevant l’homme au-dessus de sa tâche, ne lui fera-t-il pas lire dans le ciel de Newton la plus décisive leçon d’ordre donnée à des élèves de l’évidence cartésienne? O Gott, von der Wissenschaft getöteter Gott! Der Mensch des Jahres 1950 fragt sich schaudernd: Welche Lehre lesen wir denn am Himmel der modernen Astrophysik? Das ist keine rechte leçon d’ordre mehr, das ist eher ein Manifest chaotischer Explosivität. 4. 8. 49 Sieh doch, die wunderbare Sonne! Die Sonne schützt mich nicht und hilft mir nicht. Bei solchem wunderbaren Sonnenschein hat mir ein amerikanischer Soldat einen Fußtritt in den Rücken versetzt. N. S.1 Es ist bestimmt mündelsicher, aber nicht pupillarisch sicher. Mündelsicher höchstens im Sinne der heute geltenden Ausführungsbestimmungen zum deutschen BGB. Angesichts des Herrn Friesenhahn: Es gibt ja nicht nur Menschenrechte, sondern auch Eselsrechte, unveräußerliche Eselsrechte. Ein Grundrecht jedes Esels ist z. B. das Recht auf einen toten Löwen, dem er nach Herzenslust Fußtritte versetzen kann. Dieses Recht ist in jeder echten Eselsverfassung gewährleistet, und die Behörden sorgen für eine gründliche Positivierung. Denn hier geht es um die Urtriebe des wahren Esels.2 Vergiß nicht die Zeit, in der du lebst. Täusche dich nicht. Erinnere dich von Zeit zu Zeit der Wirklichkeit, die dich umgibt und deren Träger Menschen sind, die [in] dem Ausdruck „Aufschwünge des Menschseins“ das adäquate Wort für ihre höchsten Augenblicke finden. Aufschwünge der Menschheit! Der Schrei nach dem gerechten Krieg dürfte einer dieser Aufschwünge sein. (Weiteres zur Lage: 13. 8. 49). Vermutlich Nicolaus Sombart. Stenogr. am Rand: „Kein Vierteljahr später erzählt mir Kirchheimer (23. 11.), daß Friesenhahn ihm sagte, er bringe es nicht über sich, einen Menschen wie mich zu besuchen.“ 1 2

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6. 8. 49 Wie unheimlich trifft die Definition der Religion, die Reinach, Durkheim und andere emanzipierte Juden gegeben haben, auf sie selber zu, fällt auf sie, die Emanzipierten, zurück. Religion ist für sie ein System von Skrupeln, von dem man sich freizumachen hat. Definition der arrivierenden Freigelassenen, die sich der Erinnerung des Ghettos zu entledigen suchen und dafür die heilige Katze der Wissenschaftlichkeit stehlen. Ebenso Marx und Freud.1 Nach der Lektüre von Rudolf Diels Lucifer ante Portas: In Deutschland wird man zum Sündenbock, wenn man normal ist und sich normal verhält. Besonders, wenn man eine normale Intelligenz hat. Diese Abnormität des Normalen ist tief in der deutschen Situation begründet. Deutschland, das Land ohne Normalität, daher voller Normen und Normativität. Hier liegt die Verwandtschaft mit den Juden der Zwischenzeit.2 12. 8. 49 Justus hostis vom 16.–19. Jahrhundert: Entdämonisierung, Renaissance. Der Leviathan sachlich und ohne Angst als großes Tier, wie er bei Shakespeare erscheint (Lev. p. 38, Anm. 1). Heutiges bellum justum, gerechter Krieg: Redämonisierung, Existenzialismus; Angst; der Leviathan droht uns zu verschlingen, der böse Feind. 13. 8. 49 Die konkrete deutsche Verfassung von 1949 beruht auf der Trennung von West und Ost: von Außen für die West-Hälfte der Marshall-Plan, für die Ost-Hälfte ein Stalin-Plan (ein Plan ist die Verfassung!); innere Verfassung: In der Westhälfte bestimmt der zurückgekehrte Emigrant, Morgenthau-Plan, was „Charakter“ ist und wer Charakter hat; im Osten bestimmt es Johannes R. Becher. Schule vgl. die Kominform. Mir schaudert vor dem Leichengift dieses nicht sterben wollenden Kadavers (Thomas Mann).3 Freizeitgestaltung? Leerzeitausfüllung; setzt Präparierung des Auszufüllenden in Schubfächer und Schubladen voraus; Typisierung und Standardisierung der Freizeitträger.4 14. 8. 49 Das deutsche Tu quoque bedeutet einen rührenden Appell;5 es ist 1. eine Berufung auf die Gleichheit vor dem Gesetz, weiter nichts; also von der Gesetzes-Gleichheit; aeque enim transgredientes aequaliter puniri jubet aequitas6 naturalis (Hobbes, De cive 13, 14); das ist die Berufung darauf, daß alles, was uns von jetzt ab heilig

Stenogr. am Rand: „und nun erst Freud, der Sprecher “. Am Rand: „vgl. Sündenbock, 26. 7. 49“. 3 Am Rand: „an Nette geschrieben“. 4 Stenogr. am Rand: „Mann schrieb mit der Schreibmaschine, Jünger schrieb mit der Schreibmaschine, er schrieb, , großer Reiz stehen ob Heidegger und Weiß“. 5 Am Rand: „vgl. 7. 7. 49“. 6 Im Orig.: „aequalitas“. 1 2

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sein soll, auch unseren Verfolgern heilig sei, aber offensichtlich bei unseren Verfolgern keine Rolle spielt; wie gesagt: rührend.1 2. eine Berufung auf ein Wort Christi; (vgl. 7. 7. 49). 17. 8. 49 Die Sprache ist das Haus des Seins. Mein lieber Freund und mein verehrter Feind, es handelt sich nicht mehr um das Haus. Es handelt sich um Rock und Hemd. Das Hemd ist mir näher als der Rock. Der Rock ist mir näher als das Haus. Der Überlebende, das ist der Über-Mensch. Ich erbte nicht Haus, nicht Rock, nicht Hemd. Einzig erbt ich den eigenen Leib. Das haben diese Erbhofberechtigten immer noch nicht begriffen; sie wollen immer noch ganze Höfe erben. Nichts ist vertauschbarer als Rechts und Links. Und gerade deshalb wird plötzlich und unerwartet Rechts und Links als absolutes Schibboleth die einen für alle Ewigkeit in den Himmel, die anderen für alle Ewigkeit in die Hölle verweisen. Da ist also nun ein mächtiges Reich in Amerika, das uns in Europa besetzt und beherrscht. Ich habe, als Angehöriger des besetzten, beherrschten und total besiegten Deutschland, mit der Macht dieses mächtigen amerikanischen Reiches zu tun gehabt. Ich bin verhaftet worden, man hat mir mein intimstes Eigentum, meine Bibliothek, weggenommen, man hat mich zu kriminellen Verbrechern in die Zelle gesteckt, kurz, ich bin in die Hände dieses mächtigen amerikanischen Reiches geraten. Ich war neugierig auf meine neuen Herren. Aber ich habe bis heute, 5 Jahre lang, noch niemals mit einem Amerikaner gesprochen. Ich habe weder mit Indianern, noch mit Puritanern, noch mit Mexikanern, noch mit Azteken oder Inkas zu tun bekommen, sondern nur mit deutschen Juden, mit Herrn Löwenstein, Flechtheim und ähnlichen, die mir durchaus nicht neu waren, sondern die ich schon lange gut kannte. Ein sonderbarer Herr der Welt, dieser arme neumodische Yankee mit seinen uralten Juden. Immer nur mit deutschen oder österreichischen Juden. Originelle Herren der Welt. Globale Ordnungsstifter à la Truman; Herr Roosevelt-Morgenthau-Löwenstein-Ebenstein. Mir ekelt vor einer von Menschen für Menschen gemachten Welt. 20. 8. 49 „Die Wissenschaft wird den Tod überwinden.“ Das war der Glaube Condorcets, unter Wissenschaft verstand er Naturwissenschaft (wir kennen sie ja, diese ), und unter Tod verstand er einen physischen Tod, den er überwand, d. h. .2 Hat dieser Glaube das Recht, dem Christentum Unmenschlichkeit vorzuwerfen? Grauenhaft. Nicht die Liebe, sondern die Wissenschaft. Die Experimentatoren wollen den Tod durch ihre Experimente überwinden. Dazu brauchen sie erst einmal Versuchsobjekte. Später folgt dann die Überwindung des Todes. Dann sind wir so lange tot, daß diese Überwindung uns nicht mehr interessiert. Toll, ein ganzes großes Volk wird in einen Prügelknaben für ein offensichtlich hysterisches Emigranten-Ethos verwandelt und läßt sich das schweifwedelnd gefallen. 1 Stenogr. am Rand: „Übrigens Protest gegen die Perversität, nach der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur von Deutschen begangen werden können.“ 2 Der stenogr. Satz ist nicht klar lesbar.

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Ich bin wirklich ein Hirte des Seins. Daß Ernst Jünger heute Léon Bloy in sich aufnehmen kann, ist z. B. eine Auswirkung meines Pastorentums. Daß Theodor Haecker zum Katholizismus übertrat, ist nicht ohne mich als Hüter geschehen. Ich bin ein Hirte des Seins. Ich trage auch das Hirten-Schicksal. Die Mörder suchen den Hirten zu töten. Was soll ich tun? Ich bleibe der Hirte. Ich werde zum Träger des Miorit¸a-Schicksals. Vielen Mördern bin ich entgangen. Immer war ich weiter als dort, wohin sie schossen. Im Augenblick ihrer Aktivität haben sie mich nicht einmal bemerkt. Gott hat mich unsichtbar, unscheinbar gemacht. Der Hirte des Seins ist unscheinbar. 21. 8. 49 Genocide, Völkermorde, rührender Begriff; ich habe ein Beispiel am eigenen Leibe erlebt: Ausrottung des preußisch-deutschen Beamtentums im Jahre 1945. Automatical . Man treibt sie in den Selbstmord. An mir aber begeht man das schamloseste Ideocidium. 22. 8. 49 In seiner Totenmaske lächelt jeder Mensch geheimnisvoll. Sein überlegenes Lächeln besagt: Ich bin jetzt außerhalb Eurer Schußweite. Eure Verfolgung erreicht mich nicht mehr. Hic et nunc kommt keiner von Euch an mich heran. Von Euch bin ich nicht mehr betroffen. Vorschlag neuer Kriminalisierungen aufgrund der Menschenrechte: Wer einen Menschen, den er öffentlich beschimpft, gleichzeitig für diese Öffentlichkeit mundtot macht; ferner: Wer einen Menschen, von dem er weiß, daß dieser sich in der Presse nicht zur Wehr setzen kann, in der Presse öffentlich angreift, verletzt das Menschenrecht der persönlichen Freiheit, verletzt das Anrecht der Rede- und Pressefreiheit, des due process of law der Gegenseitigkeit . Die Naivität anderer Kriminalisierungen erkennt man an ihren typischen Beispielen; so beim Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Aroneanu: Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ein von Deutschen begangenes Verbrechen) oder Genocide. Ausrottung des Preußentum ist erlaubt; die deutschen Beamten sind keine geschützte Gruppe etc. Automatische Arrestierung solcher Gruppen ist erlaubt und sogar ein gutes Werk der Menschlichkeit. Ideocide ist das an mir seit 20 Jahren versuchte Verbrechen. Darüber schweigen diese sonst so laut schreienden Kriminalisierer. Inzwischen wird die Figur des Scaeva, die Figur des Bürgerkriegssoldaten, entscheidend, allein entscheidend.1 Was ergibt sich aus Ernst Jüngers Strahlungen? Daß er den pour le mérite des Staatenkrieges trägt, aber nicht den des Bürgerkrieges, der keinen pour le mérite zu vergeben hat. Die Helden des 20. Juli 1944 waren keine Partisanen. Ernst Jünger ist kein Scaeva. Er trug die Schnalle zum Eisernen Kreuz. Was hebt ihn über die Biedenhörner? Sein Problembewußtsein? Er sagt von mir, S. 450: Kronjurist ohne Krone; ich erwidere ihm: Staatssoldat ohne Staat, oder, noch schlimmer, Staatssoldat in einem Einpartei-Staat. Wohin zieht er sich zurück? Zu den Gärtnern und Botanikern (S. 565)? Wohin ziehe ich mich zurück? Vergleiche meinen Vitoria-Aufsatz mit Ernst Jüngers Strahlungen! Die Frage ist nur: Wo sind denn heute die Scaevas? Ich hatte ja gedacht, Malraux gehöre dazu und hatte das Jünger gesagt: Malraux sei der Ernst Jünger des Bürgerkrieges, worauf Jünger mir etwas eifersüchtig erwiderte: den Posten habe er sich selber vorbehalten. Aber

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Am Rand: „vgl. 12. 10. 47“.

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den pour-le-mérite-Träger des Bürgerkrieges gibt es eben nicht. Den Bürgerkrieg entscheidet nur der Typ des Scaeva: minor vobis causae vestrae amor quam mihi mortis. Den amor mortis gab es nur in Spanien, und deshalb hat bisher nur Spanien den Bürgerkrieg bestanden. Amor mortis? Früher mal im Schützengraben. Heute in der Etappe Paris heißt es: „Ich nehme doch gern am Leben der Menschen teil“, Paris 10. 5. 1943, p. 328. Jünger ist Privatier, aber leider kein Privateer geworden. 23. 8. 49 Nos actes nous suivent, nos théories nous suivent, nos paroles nous suivent. Unsere Taten, unsere Theorien, unsere Worte folgen uns, sie verfolgen uns und rufen Verfolger auf. Deshalb werden wir nicht sterben, sondern wir bleiben lebendig. Non omnis moriar. Aber wir können uns die Formen und Modalitäten unseres Weiterlebens nicht selber aussuchen. Es gibt da große Überraschungen. So sehe ich mich im Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949 auf eine unerwartete Weise weiterleben. Inzwischen erwachen wir aus dem utopischen Feenland eines linien- und flächenhaften Zeitbegriffes. Wir erwachen aus Renaissance und Humanismus, erwachen aus den künstlichen Paradiesen des homo humanus und entdecken, daß wir nicht nackt sind, keine grie––––– chisch=reinen Menschen, keine klassischen Figuren, keine Paradiesesbewohner. Die Nacktheit des klassischen Menschen war ein metaphysischer Betrug; es war die Fiktion eines Menschheitsparadieses. Wir werden heute darüber belehrt, daß die Erde kein Paradies ist. Auch die Paradiese des relativen Naturrechts versinken. Wer ist der wahre Verbrecher, der wahre Urheber des Hitlerismus? Wer hat diese Figur erfunden? Wer hat die Greuel-Episode in die Welt gesetzt? Wem verdanken wir die 12 Millionen toten Juden? Ich kann es Euch sehr genau sagen: Hitler hat sich nicht selbst erfunden. Wir verdanken ihn dem echt demokratischen Gehirn, das die mythische Figur des unbekannten Soldaten des Ersten Weltkriegs ausgeheckt hat.1 Also nun auf, Ihr Prosecutoren! Auf, ihr Kriminalisierer und Konstrukteure von Menschlichkeitsverbrechen und Genocide! Auf, ihr Beseitiger des Satzes Nullum crimen sine lege! Hier sind große Prozesse zu führen, Schuldige zu entdecken, Fragen zu stellen, Vernehmungen vorzunehmen, Anklagen zu schmieden und Todesurteile zu ernten! Auf, auf, ihr Verfolger!! Zur Pax Romana gehört die Lingua Latina d. h., eine Sprache, deren Worte und Sätze ein Simul der Dinge und der rechten Ordnung sind.2 Die angelsächsische Sprache dagegen ist maritim-schwebend. Die Phonetik einer Sprache ist das Entscheidende. Warum sprechen die Engländer das Lateinische wie Englisch aus? Seit Heinrich VIII., also seit dem Beginn ihres Exodus auf das freie Meer.

1 Am Rand: „Veit Valentin hat recht: Im NS klingt noch einmal die ganze deutsche Geschichte auf. Er ist die Summe der deutschen Vergangenheit, Riesenrülpser eines ganzen verpfuschten Jahrtausends.“ 2 Am Rand: „vgl. 16. 6. 49“.

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Die schwebend-maritime Sprache ist keiner Weltherrschaft fähig. Das gibt keine Pax, sondern nur Beseitigung des Staaten=Krieges und seine Verwandlung in den Weltbürgerkrieg.1 26. 8. 49 Eine gute Nebenwirkung der Exkommunikation des Kommunismus vom Juli 1949: Befreiung von dem fürchterlichen Cauchemaritain. Sie schmieden die Ketten einer unentrinnbaren Kausalität und möchten die Herren des Gefängnisses werden, das auf diese Weise entsteht. Einige Clercs aber erhalten die Lizenz, an den Ketten zu rütteln, um das Geräusch einer freiheitlichen Bewegung hervorzurufen. Das posthume Wenn und Hätte dieses Systems ist der Spielraum ihrer Freiheit. Die Basis strafrechtlicher Verantwortung und posthumer historischer Prognosen. Die Front der Fruchtabtreiber steht bereit, mich abzuwürgen! Wie nennt man solche Verse mit 7 Hebungen? 27. 8. 49 Entsetzlicher Aspekt der ewigen Wiederkunft: ewige Wiederkunft der Eliten in der ewigen Zirkulation der Eliten. Ewige Wiederkehr des Herrn Hausenstein! Was ist europäischer Rationalismus? Es gibt viele Definitionen. Ganz große Definition: Europäischer Rationalismus ist Immunität gegen die Rauschgifte des Feindes. 28. 8. 49 Von dorther ist das infandum scelus zu ermessen, das in den zwei Sätzen liegt: 1. Religion ist Opium fürs Volk und 2. Christentum ist Judentum fürs Volk. Diese beiden Sätze stammen aus der Zeit vor 1848; ihr Echo brauchte fast ein Jahrhundert. 1. 9. 49 Statt Dezision könnte ich ja auch Prägung sagen: Münzen, Hostien werden geprägt. Gemünztes Geld ist mehr als Arbeit. Aber sie verstehen mich doch nicht. Rathenau und Goebbels sind sich einig: Wenn das und das geschähe (z. B. Wilhelm II. oder die Russen durch das Brandenburger Tor in Berlin als die Sieger einzögen), dann „hätte die Weltgeschichte ihren Sinn verloren“. Ihr guten Leute! Die Weltgeschichte hat

1 Auf nebenstehender Seite eine später hinzugefügte stenogr. Notiz: „Allmählich dämmert mir die reale Linie meiner Ver zu K. Weiß: Er taumelt zwischen Bild und Wort, Wort und Bild; er ist als Dichter auf das deutsche Wesen angewiesen. Und dies ist nicht Bild, es ist Echo, wechselndes Echo, freudig numinöses Summen. Echo Höderlins beginnt wieder wie numinöses Summen; wir dachten wir hätten an eine Festigkeit erreicht, klassisch. Aber es ist nicht wahr. Gott ist elementar – Quatsch. Es gibt auch andere Möglichkeit. Hölderlin . Jünger ist dezisionistisch. Befehl. Aber er weiß nicht weiter. Er kann sich nicht entscheiden, römisch-katholisch zu werden. Da empören sich seine väterlichen Sinne. Konrad Weiß ist der alte Auswuchs dieser offenen Wunde, Wunde, die deutsch spricht, deutsches Recht und der deutschen Geschichte, die bewußt, viele . Die englische Sprache dasselbe.“

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schon öfters ihren Sinn verloren; sie verliert ihn ununterbrochen, nämlich den Sinn, den Ihr ihr gebt und unterstellt.1 Daß dieser Hans Peters ein solches Subjekt war, das haben wir bis 1945 tatsächlich nicht gewußt; wahrscheinlich hat er selbst es auch noch nicht gewußt; denn damals trug er noch die deutsche Hitleruniform. 4. 9. 49 Wollen Sie mir vielleicht mit dem „gestirnten Himmel über mir“ imponieren? Das war nicht einmal Fichterisch möglich. Ich schnupfe eure Sterne! Eine Bewußtseinsprise! Gesundheit! Im übrigen hat die moderne Astrophysik Euren ganzen Sternenhimmel in ein explosives Gemisch von Wasserstoff und Helium verwandelt.2 16. 9. 49 Exul in patria sua, das ist (komparatistisch) mehr als Privilegiert in patria sua. Ich höre eine vaterländische . Das ist der Unterschied von Ernst Jünger und mir. Er lebt noch vom Pour le Mérite;3 er lebt vom Verdienst, vom opus operatum. Mein opus operatum ist mir als Habe verloren, in die Zeit miteingegoren. 9. 49 Früher wurde man in seinem Zimmer von Wanzen belästigt; heute wird man vom Radio belästigt; Geschmackssache; Frage nur: was die Substanz eines Hirten des Seins ärger zerstört; was ist die tiefere Entfremdung, Enthebung! An den drei Geheimnissen scheitert unser Feind immer von Neuem: an der Menschwerdung des Sohnes, an der Geburt aus der Jungfrau, an der Auferstehung des Fleisches. Von diesen drei Geheimnissen enthält nur das zweite den Ansatz zur Geschichte, durch die jungfräuliche Zustimmung zum Willen des Herrn. 21. 9. 49 Feindschaft entsteht von selbst ununterbrochen. Entsteht, wechselt und vergeht. Schlimm wird es erst, wenn die Menschen sich in der Feindschaft niederlassen, sich in ihr etablieren und sie institutionalisieren. Am schlimmsten aber, wenn sie sich durch den Kampf in neue Feindschaften hineintreiben lassen, d. h. wenn nicht der Krieg aus der Feindschaft, sondern die Feindschaft aus dem Krieg entsteht. Das aber – Entstehen der neuen [Feindschaft] – ist typisch für den Rückfall in die Lehre vom gerechten Krieg. Omnis actio humana specificatur ex objecto. D. h., der Sinn des gerechten Krieges liegt in der Beute. Das ist das Objekt. Was kann Beute sein? Menschen, Land und Macht. Die drei sog. Staatselemente – Volk, Gebiet, Staatsgewalt – sind also in verschiedener Weise das 1 Stenogr. am Rand: „ Und ich schämte mich, sie zu sprechen. Wenn ich diesen Krieg nicht gewinne, hat die Weltgeschichte ihren Sinn verloren; wenn mir diese Spekulation fehlschlägt, gibt es keinen Gott. Wenn ein krankes Kind nicht gesund wird, gibt es keinen Gott darüber. Quatsch – und ich schäme mich zu sagen: Wir sind Vorsehung und Weltgeist.“ 2 Am Rand: „Über meiner Mütze kein Gestirn? Kondensstreifen der feindlichen Flieger.“ 3 Am Rand: „vgl. 17. 1. 50. Inzwischen hat er sich selbst den Pour le Mérite für den Kampf gegen Hitler verliehen; vgl. 5. 2. 50.“

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Objekt und Ziel des Krieges. In der mittelalterlichen Theorie bedeutet gerechter Krieg: das Gute Recht des Siegers, den Untertanen des Gegners zum Sklaven zu machen und ihm sein Land zu nehmen; heute, bei höheren zentralisierteren Organisationsformen der Massenbeherrschung bedeutet es vor allem: die Verfassung und das Regime des Besiegten zu bestimmen. Die Humanisierung des Krieges ist, wie die Humanität selbst, zweischneidig und doppelpolig. Am positiven Pol ist sie Hegung und Milderung des Kriegs; am negativen Pol [ist] sie Entmenschung des Feindes als äußerste Erscheinungsform des Vernichtungskrieges. Humanisierung des Krieges bedeutet vor allem Entgöttlichung, Reduzierung auf eine rein menschliche Beziehung, unter Verzicht auf alle Balancen und Enthebungen und auf alle Hemmungen und Rücksichten, die sich aus transzendenten Kräften und Mächten ergeben. Auf der Basis der reinen Humanität, des bloßen homo homini homo, hat die Humanisierung des Krieges keine lange Dauer. Der Mensch wird vielmehr zum Wesen aller Wesen; er wird Gott und Tier, und der Feind muß dann einfach als Tier behandelt werden, weil man ihn nicht vergöttlichen kann. 23. 9. 49 Die Massenaktion gegen den Feind kann nur mit groben und tödlichen Kennzeichnungen arbeiten. Immer ist ein Schibboleth dabei. Menschen mit einem Kreuz als Abzeichen töten Menschen, die einen Halbmond als Abzeichen tragen. Menschen, die einen weißen Stern als Abzeichen tragen, töten diejenigen, die einen roten Stern tragen. Sehr einfach. In der sizilianischen Vesper wurde jeder totgeschlagen, der das Wort Ciceri nicht italienisch aussprechen konnte. Wer konnte da lange fragen? Das Recht auf Gehör war gewahrt. Exakter noch, als man es wünschen könnte. Gott wird die Seinen schon erkennen. Du brauchst ja nur das richtige Zeichen zu tragen. Es werden heute viele neue Verbrechen erfunden, mit Tatbeständen [wie] Angriffskriege, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genocidia; Verbrechen neuer Art. Kommt man mit den alten Tatbeständen – Mord, Raub, Vergewaltigung, Plünderung usw. – nicht mehr aus? Ist die Menschheit so kriminalistisch geworden, daß die Kriminalisierer recht haben, die jedem Kenner der Rechtsgeschichte verdächtig sein müßten. Montesquieu hat schon davor gewarnt. Im 19. Jahrhundert hat Samuel Butler (Erewhon) uns einige Möglichkeiten gezeigt und avisiert, was hier noch alles denkbar ist. Sollen wir uns nun in diese neueste Beschäftigung einschalten und ebenfalls Kriminalisierern helfen? Lassen wir das. Hoffen wir vor allem, daß nicht eines Tages diese modernen Kriminalisierer selber kriminalisiert werden. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Das vergessen diese Kriminalisierer stets; wir aber wollen es nicht vergessen.1 24. 9. 49 Trotz aller unserer Sündenfälle bleiben wir armen Juristen in einer Verbindung mit der Sprache. Die Sprache ist das Haus des Seins, und die Juristensprache der letzten 100 Jahre

1 Stenogr. am Rand: „Gestern war Hans Berger bei mir und wird diesen Gedanken propagieren. 26. 3. 56 .“

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ist genauso scheußlich wie die Architektur der letzten 100 Jahre. Savigny war der letzte. Sohms Sprache ist noch ehrlich. Und dennoch und trotz alledem: Die eigentlichen Greuel werden wohl noch erst kommen, wenn die Philosophen sich an uns anhängen und unsere Redensarten interpretieren und exegesieren und unsere Worte ausmelken. Heidegger ist kein Hirte des Seins, sondern ein Melker. Er melkt die deutsche Sprache. Ich höre schon Heidegger, wie er uns den Tief- und Seinssinn der Redensart erklärt: Stelle anheim! Da kommen die historisch-revolutionär geladenen fundamentalen Negationen. Da kommen die Reinen, die Freien, da kommen die Geusen und die Proletarier. Aber was ist das alles im Vergleich zu den Laien, die sich gegen die Kleriker empören. Wir leben in Wahrheit immer noch in diesem Aufstand der Laien. Cela recommencera toujours et cela rest[er]a toujours la même chose. Wiederum werden wir, vom unbesitzbaren Inbild getragen, in neuen Welten landen und die dortigen Bürgerkriege werden uns die Conquista leicht machen. Jeder Eroberer, der mit neuen Mitteln – Pferd und Eisen – heute auf der Erde landete, brauchte nur die Russen gegen die Amerikaner und den Westen gegen den Osten auszuspielen: Der Planet ist reif, und seine heutigen Herrscher sind reif wie die Azteken und Inkas reif waren. Dazu braucht es keine wüsten Götter; T braucht sie nicht, es genügen Pferd und Eisen und die Konsequenz unserer eigenen Geschichtsphilosophie. Parallelen: 1. Wir würden einen bisher nicht geahnten Mond entdecken; scheußlich. 2. Wir würden von einem bisher ungeahnten Mond entdeckt; so würde sich unser Bürgertum anpassen, und man hätte uns schnell besiegt. Das Recht ist unendlich mehr als die Moral. Das sollte uns selbstverständlich sein. Statt dessen spricht Jellinek von einem „Minimum“, ein[em] ethischen sogar. 25. 9. 49 An uns ist es jetzt, dafür zu sorgen, daß die Rechtswissenschaft nicht mit dem Mythos vom Legislateur zusammen eines gemeinsamen Todes stirbt.1 Der katécwn, das ist der Mangel, das ist Hunger, Not und Ohnmacht. Das sind diejenigen, die nicht regieren, das ist Volk, alles andere ist Masse und Objekt der Planung. Wunderbare Kraft der nicht-oppositionellen Negation, Sozialer Rechtsstaat, . Schlägt der Machthaber dich auf die linke Wange, so reiche ihm auch die rechte dar; aber die Stiefel brauchst du ihm deshalb noch nicht zu lecken, trotz aller Vermutung der Legalität und aller obéissance préalable. 26. 9. 49 Struktur der Argumentation Nietzsches: Wenn es eine Erlösung gäbe, wäre sie längst da. Wenn es ein Ziel der Entwicklung gäbe, hätten wir es längst erreicht. Wenn es ein Ende gäbe, wäre es längst da.2 Wenn es einen Gott gäbe, ertrüge ich es nicht, kein Gott zu sein.

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Am Rand: „an Grote, 23. 9. 49“. Am Rand: „ewige Wiederkunft“.

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Argumentation der Ungeduld, des die Geduld Verlierens. Was bedeutet das eigentlich? Anspruch auf absolute Präsenz; Behauptung einer vorhandenen und erreichten Präsenz? Unfähigkeit zu warten; Wille zum Sofort! Alle Lust will sofortige Ewigkeit, d. h. sie schmeckt nach mehr.1 Es stellt sich heraus, daß ich der Einzige bin, der im Wirbel der Metamorphosen sich selbst und seinen Freunden treu geblieben ist; der es verstanden hat, treu zu bleiben. Ich habe mich nicht vereinnahmen lassen. Das nennen dann die Rechthaber, denen es nicht gelungen ist, mich zu unterwerfen: charakterlos.2 1. 10. 49 Warum lassen Sie sich nicht entnazifizieren? Erstens: Weil ich mich nicht gern vereinnahmen lasse. Und zweitens: Weil Widerstand durch Mitarbeit eine Nazi-Methode, aber nicht nach meinem Geschmack ist. Zur Revolution der Manager gehört in erster Linie, daß die Manager eine Geschichtsphilosophie der Revolution der Manager managen; daran aber wird die Revolution der Manager scheitern. Es gibt Menschen, die auf diese Welt verzichten, ohne sie zu besitzen oder jemals besessen zu haben oder sogar ohne Aussicht zu haben, sie jemals zu besitzen. Was wollen diese Verzichter eigentlich? Sie möchten, daß die wirklichen Besitzer verzichten und den Besitz aufgeben. Das gibt dann herrenlosen Besitz und risikolose Beute. Zu meiner Art Ehrlichkeit gehört es, daß ich auf nichts verzichte, was ich nicht wirklich habe. Du könntest aber auf die Möglichkeit oder Chance des Habens verzichten? Dann verzichte ich auf etwas, das ich nicht kenne. Wer die Welt nicht gehabt hat, kann sie nicht kennen. Auf das, was man nicht kennt, sollte man ehrlicherweise nicht verzichten. Wichtig für Hobbes und die Zeit Cromwells: die bewußte Preisgabe der katécwn-Tradition des Römischen Reiches (übrigens auch bei Vitoria nichts mehr davon!!). Kein 3. Rom (wie in Moskau)! Keine Succession mehr: doch, in Frankreich bis Napoleon I. Kaisertum, Cäsarismus. Jedenfalls ist für Hobbes die Römische Kirche das Gespenst, das auf dem Grabe des Imperium Romanum sitzt. Kritik des Imp. Rom. bei Bacon und Hobbes: Es war gar nicht universal, war kein Orbis. Homo homini homo, das bedeutet: Das letzte Hindernis der Menschwerdung des Menschen ist der Mensch selbst. Er ist es wirklich. Rotten wir ihn also aus, dieses letzte Hindernis! Lenins Ideal war die elektrifizierte Erde. Unsere Überlegenheit über Lenin und den Leninismus beruht darauf, daß 1. wir wirklich keine Ideale haben (er behauptete nämlich, er selber hätte keine und das sei seine Überlegenheit). –––– – 2. Wenn wir Ideale hätten, unser Ideal eher eine entelektrifizierte Erde wäre als eine elektrifizierte. Denn wir lieben unsere Erde.

Am Rand: „Leben. Verweile doch, du bist so schön“. Am Rand: „Joh 6,66 [recte: 6,68] numquid et vos vultis abire? Das lag mit heute Nacht auf der Zunge.“ 1 2

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Wenn einer eine Niederlage erleidet, so sieht man nicht ganz, wie schwach er ist; man sieht, wie stark der andere ist. Aber wenn einer siegt und dann ohnmächtig zusammenbricht, so sieht man, wie schwach er ist und warum und wie stark der andere war, er, der ihn narrte, auf solche Weise zu siegen, ihn narrte, zerschmettert zu werden, wie keine Niederlage ihn zerschmettern konnte. (Kierkegaard, Begriff des Auserwählten, S. 295). Ecco. Frankreich und England! Nicht humanitas, sondern humilitas. 2. 10. 49 Regnare enim dicitur non qui agendo, sed qui loquendo, id est praeceptis et minis regit. Daher ist – proprie et accurate loquendo – Gottesherrschaft kein regnare. Verstehe jetzt Caesars zäsarischen Witz über Sulla: Dieser war zu ungebildet, um ein Dictator zu sein. Wer nicht sprechen kann, kann auch nicht befehlen; die Welt lebt von Rheema; rheemasin peithomenoi, en panti rhemati. Das Beste in der Welt ist ein Befehl und kein Gesetz; der Befehl ist direkte Sprache; das Gesetz generell, d. h. indirekt. 5. 10. 49 Schön und tröstlich ist es, heute Kierkegaard zu lesen und unsere heutigen KierkegaardProfessoren, Theologen wie Philosophen, andächtig zu betrachten. Die starken Bußprediger des Jahres 1945, die so leidenschaftlich auf uns losschlugen, machten es uns zum Vorwurf, daß wir uns für das Recht und die Wahrheit nicht haben totschlagen lassen, wozu wir doch eigentlich verpflichtet gewesen wären. Aber ich habe nichts davon bemerkt, daß einer dieser Bußprediger damals die Schrift Kierkegaards zitiert hätte, die sich ausdrücklich unter der Überschrift „Darf ein Mensch für die Wahrheit sich totschlagen lassen?“, mit solchen Fragen befaßt und zu dem Ergebnis kommt: Er darf es nicht. Ich will nun aber hier nicht von diesem schwierigen Problem in der Sache sprechen. Das Problem in der Sache ist wirklich nicht leicht, am wenigsten in einem modern organisierten, gut funktionierenden Staat. Der große Philosoph des modernen Staates, Thomas Hobbes, meinte: Nur derjenige sei verpflichtet, Märtyrer zu werden, der andere zum Widerstand aufruft und das Martyrium predigt. Kierkegaard aber ist ebenso deutlich und ebenso sachlich. Er kennt die modernen Bußprediger ganz genau. Er sagt, diese Bußprediger wollen nicht selber totgeschlagen werden. Sie wollen den Lehrer spielen, der den Schüler schlägt. Ein wahrer Bußprediger sein, sagt Kierkegaard, bedeutet aber nicht, auf andere losschlagen, sondern es bedeutet vor allem, selber geschlagen zu werden oder jedenfalls so zu schlagen, daß man selber wieder geschlagen wird, also gegen den siegreichen Feind der Wahrheit von heute und nicht gegen die Besiegten predigen. Ob einer ein wahrer Bußprediger ist, dafür gibt es nur einen wahren Prüfstein. „Je mehr Prügel der Bußprediger bekommt, desto tüchtiger ist er“. So spricht Kierkegaard. Unsere Bußprediger von 1945 haben aber keine Prügel bekommen, sondern Care-Pakete, Goethe-Preise und Einladungen zu Vorträgen in dem besser verpflegten Ausland. Die wunderbare Abhandlung Kierkegaards stammt aus dem Jahre 1847. Sie ist von Theodor Haecker 1916, während des Ersten Weltkrieges, übersetzt worden. Die zitierte Stelle findet man auf S. 303 der Übersetzung. Haecker hat auch ein Nachwort dazu geschrieben, in welchem er voraussagt, daß es den christlichen Kirchen nichts ausmacht, sich auch mit der Demokratie zu verbinden.

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6. 10. 49 In diesem ganzen riesigen Komplex des Streites um Recht und Unrecht der Nürnberger Prozesse kann ich warten und die eifrigen Tagesredner sich ausleben lassen. Ich bin alt und krank. Aber den Bogen des Philoktet besitze ich.1 9. 10. 49 Heideggereien: Zeit zeitigt Zeitung. Zeitung zeitigt Zeit. Der Mensch ist der Hirte des Seins. Hirtenknabe, Hirtenknabe. Dir auch singt man dort einmal. In Christ und Welt ist eine schöne Glosse von mir abgedruckt, mit Einschaltung einer Reklame für Nivea-Creme. Das ist gut so. In der Zarenzeit hüllten die russischen Nihilisten ihre Bomben in Blumenbuketts ein. Warum soll ich nicht meine analogen Anliegen mit Nivea-Reclame umrahmen? Oder umgekehrt als Umrahmung von Nivea-Creme auftreten, um die Verfolger nicht zu reizen? 10. 10. 49 Weltkrieg eins und Weltkrieg zwei, Aller guten Dinge sind drei. Der Mensch plant seine Weltgeschichte, Das werden scheußliche Gerichte. Schließlich werden es nur Gerüchte, Die ich mir dann als Mythen züchte. Gott aber führt den Menschen ad absurdum, Des Menschen Plan ist schließlich nichts als nur dumm. So dumm bist nur du! So fehlt höchstens der nur da, Deus sive Natura, Deus Spinozisticus sive Spinozistica Natura. Ah, che ! 2 11. 10. 49 Je mehr der Mensch in Plänen macht, So mehr sein Plan zusammenkracht. Und Gottes Plan, der dann erscheint, Führt ad absurdum Freund und Feind. 1 2

Stenogr. am Rand: „U = flach, sagte ich Schmoller 7. 10.“ Drei Zeilen Stenographie nicht klar lesbar.

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Das Wort „Anschluß“ gehörte bereits in das Vokabularium der technisierten Politik. Es neutralisiert alle juristischen Vorstellungen und ist nicht besser als das Wort „Gleichschaltung“. Ist Christinform viel schlimmer als christlicher Sozialismus? 27. 10. 49 Ein armer Asylschänder namens von der Heydte läuft in der großen Weltdiskussion über Vitoria mit wie ein asinus mysterio vehens in der Prozession. Mit solchen Nutznießern der Psychosen von 1945 soll man nicht diskutieren.1 Das Gefühl der Sicherheit, das ihn vor einem politisch-polizeilich wehrlos Gemachten und Diskriminierten überkommt, verleiht ihm Mut zu taktlosen Beleidigungen und dumm-dreister Angeberei, schwellt seine Ritterkreuz betresste Brust. Doch halt! Nimm dich in Acht! Man klassifiziert sich durch seinen Feind. 1. 11. 49 Hüte dich vor jeder polemischen Anwandlung! Wie schwach und peinlich wirkt der Vers des sonst so gedanklichen Friedrich Ernst Peters: Sie sagen Geist und meinen ein Gespenst. Die Zeit der Kritik der Zeit ist vorbei. Wie schön und beglückend sind dagegen wohlgelungene, geglückte Reime!2 Auf Geschrei reimt überraschend: Schalmei; auf Reim zu meiner schönsten Entspannung: Heim. Der Reim ist das große Kriterium. Der atheistische Existenzialismus tötet den Reim. Aber auch Tragismus und Reim sind inkompatibel. So lange noch ein einziger Reim wirklich wird, ist das Chaos noch nicht da und hat der Nihilismus noch nicht gesiegt. Sobald ein echter Reim erklingt, die Seele aus dem Chaos springt. Der Reim läßt sich nicht isolieren; es ist alles Begegnung, Echo und Gegen-Echo der Worte, alles höchste Freiheit und Ordnung. 3. 11. 49 Es gibt in der Geistesgeschichte nicht nur Säkularisierungen, sondern auch Theologisierungen. So ist Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“ eine Theologisierung des Beyond the line. Sie gibt dem Faktum der Freundschaftslinie eine Strahlung, die eine reiche Erkenntnisbeute möglich macht, nachdem das bloße Faktum genügend faktische Beute eingebracht hat. Gedanken und Überzeugungen werden auf doppelte Weise zerstört: erstens kritisch durch dialektische Verneinungen, zweitens unkritisch durch apologetische Bejahungen. Das letzte ist der sicherste Weg der Zerstörung. 6. 11. 49 Columbus kam nach Amerika ohne Papiere und ohne das Einreisevisum der Azteken oder Indianer. Entdeckungen finden ohne das Visum der Entdeckten statt. Das gehört sogar zum Begriff der Entdeckung. 1 2

Am Rand: „an Günther Krauss, Klaus Mehnert, Zehrer, Nebel, (Welty, ). Sie haben reagiert.“ Am Rand: „Reim vgl. 20. 12. 49, 4. 7. 51“.

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E.[rnst] J.[ünger] hatte für meine Lage als Outlaw weder Gefühl noch Verstand, noch einen Blick. Entsetzliche Sparsamkeit der ihre Einfälle restlos verwertenden Vollmonade. Weder ein Fenster noch eine Tür zum Mitmenschen. Die kümmerliche Stimme Ernst Jüngers. Diesen armseligen Kehlkopf möchte ich nicht sehn, sagte Peterheinrich [Kirchhoff]. Die ärmste, engste Stimme, die ich in meinem Leben gehört habe. Der Mensch in der Verteidigung ist bösartiger als der Mensch im Angriff. In der Verteidigung nämlich fühlt er sich im Recht. Das macht ihn böse und gibt ihm das gute Gewissen, den besiegten Feind zu bestrafen oder gar zu erziehen, d. h. ihm eine andere Seele einzuimpfen. 7. 11. 49 Wie groß war der Reichtum unserer Einfälle, die Fülle unserer Aperçus, die Verschwendung unserer Gespräche! Ich freue mich meiner Verschwendung, wenn ich diese heutigen Allesverwerter sehe, diese filzigen Kleinkapitalisten, diese Geizkragen ihrer Einfälle, diese Dosierer ihrer Bonmots. Ich bin der einzige, der diesen geputzten Sparsinn zu beurteilen vermag. [später gestrichen:] und Paul Adams ist der Einzige, dem ich das mitteilen könnte. 13. 11. 49 Das Ghetto des Mittelalters beruhte nicht auf Bazillophobie. Die existenzialistische Existenz ––––– des Herrn Jaspers dagegen beruht auf Bazillophobie. Unterschied. Bürgerlich bin ich tot. Nun beginnt der Parsentanz auf meinem Grabe. Aber das ist ja noch ganz harmlos. Gräber gibt es gar nicht mehr; wir werden verbrannt, und unsere Asche wird in die Lüfte zerstreut. Die Asche will nicht lassen ab, sie stäubt in allen Landen. 15. 11. 49 Wer Generalklauseln aufstellt und mit vernebelten Begriffen arbeitet, muß das Heft fest in der Hand haben. Sonst schlägt die Unbestimmtheit fürchterlich auf ihn zurück.1 Ernst Jünger ist eine Primadonna geworden, eine Vollmonade, an deren Fassade Léon Bloy wie ein blindes Fenster hängt.2 Wenn nun ein solcher ich-verpanzerter Block einen kleinen Schimmer nicht rein solipsistischen Interesses (für Bernanos) zeigt, bin ich gerührt und leihe ihm ein mir nicht gehörendes Buch über Bernanos. Ich klopfe an und – höre! – ein Glockenton schlägt an und öffnet eine Tür in andere Welten. So wird mir aufgetan. 16. 11. 49 E.[rnst] J.[ünger] erscheint mir heute als sein eigener Vater (der er in den Strahlungen in Paris geworden ist); als Strandgut des Wilhelminismus; ebenso wie Thomas Mann. Was man für Restauration hält, ist gerettetes Strandgut, mehr nicht. Wer rettet? Wer plündert? Gott segne unseren Strand, beten die Verfolgten von gestern und Verfolger von heute. Unbestimmte Begriffe handhaben, in der Schwebe bleiben, Alternativen, die von außen kommen, sich entziehen, das kann nur der entweder ganz offen Starke oder der ganz hinter-

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Am Rand: „vgl. 16. 11. 49, an Stödter“. Am Rand: „an Paul Adams und Walter Warnach“.

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gründig Starke. Deutschland will die Lage zwischen Ost und West für sich selber unbestimmt lassen.1 Ein Wort wie Großraum ist zu deutlich. Man sagt besser Entwicklungsraum. In einer Zeit absichtlicher und planmäßiger Verwischungen, in der bewußten Verwechslung aller Begriffe, ist es Torheit, präzis definierte Worte zu gebrauchen.2 Dasselbe gilt von der Bestimmung des Politischen, in dessen Kern die Freund-Feind-Unterscheidung steckt. Alle Mächte sind sich einig, den Entdecker solcher Worte und Begriffe zu verfolgen. Geheimnis der Feindschaft gegen den Entdecker. Die zu Entdeckenden verlangen, daß ich mir von ihnen vorher das Einreisevisum erteilen lasse. Aber das geht doch nicht gut. Columbus hatte ja auch kein Visum von den Azteken oder Inkas. So schlagen sie mich einfach tot. Miorit¸a-Schicksal des guten Lammes wie des guten Hirten. Der Mensch ist der Hirte des Seins. Miorit¸a-Denken. Die Menschen vertragen nicht, daß einer sie erkennt oder gar entdeckt. Keiner läßt sich gern begreifen. Deshalb sieht er in dem, der ihn begriffen hat, einen Feind. Jeder, auch der gerechte Schieber, ist überzeugt, daß man ihn lieben und bewundern muß, je näher man ihn kennt und je mehr man ihn verstanden hat. Was folgt denn aus allen diesen unbestreitbaren Wahrheiten und handgreiflichen Wirklichkeiten? Es folgt daraus, daß Don Capisco alle Chancen hat, zum hostis generis humani erklärt zu werden. 25. 11. 49 Je vis dans un exile effroyable, exul in patria mea. Les Allemands sont un peuple de métaphysiciens et de techniciens, mais ni de juristes ni de moralistes. En lisant quelques extraits d’un livre de Amédée Ponceau (Timoléon, Réflexions sur la Tyrannie) je me sens touché aux larmes. Une telle voix comme celle de Ponceau serait impossible en Allemagne. C’est pour moi une consolation presque miraculeuse de l’entendre du côté de la France.3 Es ist mit Ernst Jünger wie mit vielen berühmten Figuren, die auf der Bühne der literarischen oder künstlerischen Öffentlichkeit stehen. Sie konzentrieren alle ihre Kräfte auf ihr öffentliches Auftreten, das nennen sie: auf ihre Arbeit. Sie sammeln sich für die Momente ihres öffentlichen Berufes, auch wenn das die Momente am Schreibtisch sind.4 Sie vergeuden sich nicht im Privaten, in keinem Gespräch und keiner nicht unmittelbar verwertbaren Unterhaltung. Sie treiben eine wohlbegründete Ökonomie ihrer Kräfte und Strahlungen und lassen nichts verkommen. Sie sind Verwerter alles Irgendwie Verwertbaren, ohne sich zu entäußern. Infolgedessen liegt ihre Präsenz restlos in ihrem öffentlichen Werk. Ihre Existenz geht in Öffentlichkeit restlos auf. Man soll sie auf der Bühne sehn oder ihre Bücher lesen. Es hat wenig Sinn, außerhalb dieses Rahmens mit ihnen zu tun zu haben. Man wird von ihnen „behandelt“ und nach den Methoden der Verwertung des Irgendwie-Verwertbaren erfaßt und eingesetzt. Man erhält als Bonbon einen längst gedruckten Satz gereicht. Sie sind abwesend, wenn sie nicht vor ihrem Publikum auftreten oder für ihr Publikum arbeiten. Wahrhaftig, echte Arbeiter des publizistischen Betriebes, nichts als

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Am Rand: „vgl. 15. 11“. Am Rand: „Die Dezision unterwandern!“. Am Rand: „an P. Linn, 25. 11. 49, an Maiwald, März 50; an Mme. P.[onceau], April 50“. Am Rand: „vgl. 7. 11. 49 “.

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Arbeiter. Der Rest ist nicht einmal Schweigen, sondern Null. Bei dieser restlosen Verwertung des Irgendwie-Verwertbaren bleibt überhaupt kein Rest. Da setzt einer sich die Nebelkappe einer halb-mythologischen Verschleierung auf, weicht in vielsagende Landschaften und Räume aus, malt Böcklin-Landschaften historisch-politisch, spricht nicht mehr von Juden, sondern von Parsen, obwohl jeder sieht, daß es sich um ihn und die Juden usw. handelt, nicht mehr von Nazis, sondern vom Demos und vom Landvogt, nicht mehr von der SS, sondern von Mauretaniern, nicht mehr von sich selbst, sondern vom Kommandanten Lucius. So kann er von sich und seiner Zeit sprechen und alle Reizmittel eines Schlüsselromans zur Anwendung bringen und hat schließlich doch nichts Vergleichendes gesagt. Es ist alles wunderbar freibleibend und der eifrige Leser, der nun wissen möchte, was der Autor über die Juden oder die Nazis denkt, bleibt ebenso gefoppt wie der Autor freibleibt. Eine sehr praktische, in Zeiten schnell wechselnder Fronten überaus empfehlenswerte Methode der Deckung durch Verschlüsselung. Man redet sehr weise und sehr viel und redet sich doch nicht fest; man sagt soviel, daß ein dickes Buch entsteht und hat schließlich doch nichts Gefährliches gesagt, sondern nur pseudo-mythologische Kulissen gemalt.1 Aber wahrscheinlich ist das doch die richtige Methode, in einem Lizenzstaat über aktuelle Dinge zu publizieren. Non possum directe scribere de eo qui potest directe proscribere. Die heutige Weltdiskussion über Vitoria und das Recht der spanischen Conquista ist die traurige Begleitmusik zum Untergang der glorreichen europäischen Übersee-Imperien, zur Verwandlung Indiens und Indonesiens in souveräne Staaten und gleichberechtigte Mitglieder der UNO. 26. 11. 49 Das Exposé des R. P. Bruckberger vom 5. Okt. 1949 aus El Abid par Géryville (Sud Oranais) „La troisième guerre mondiale est une guerre de religion“. Le récent décret du SaintOffice contre le communisme et ses divers partis militants est l’acte officiel de déclaration de cette guerre. Foi contre Foi, Église contre Église, religion universelle contre religion universelle. Kommunistisches Manifest contra Syllabus; „Le premier acte d’une guerre est de définir l’ennemi.“ Le monde moderne a commencé avec les Jacobins. J’attends les Cosaques et le Saint Esprit, écrivait Léon Bloy. Quod custodit Christus non tollit Gothus, écrivait St. Augustin au moment de l’invasion des Barbares. A Yalta et à Potsdam les Anglo-Saxons ont fait une politique de Troisième Force, l’inconscience poussée jusqu’à léthargie, congénitale à toute Troisième Force, mentalité de la zone No No. Pour avoir étudié pendant plus de vingt ans la philosophie et la théologie, l’histoire de l’Église et des nations, les documents pontificaux, pour avoir lu et relu Bernanos, Péguy et Drumont, je crois savoir ce que je dis. 635 übergab der vornehmste Christ von Damaskus den Mohammedanern die Schlüssel von Damaskus; Moi, je préfère Charles Martel. Die Katholiken sind die Anarchisten und Nihilisten der kommunistischen Ordnung. Die neue Chevalerie. Er meint, die Russen würden das Schisma in dem Augenblick ablegen, in dem sie den Kommunismus ausspucken. Der gesamte Begriff des Rüstzeugs dieses Kampfes liegt seit über 20 Jahren vor; das weiß er nicht. Ich möchte ihm sagen: períyhma; aber hat es

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Stenogr. am Rand: „Geht er einen konformen Weg oder tut er es nicht? Er weicht aus.“

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Zweck, daß ein Laie den Mund auftut! Laicus taceat in Ecclesia nisi clamat acclamationes praescriptas. Antwort: Silete theologi extra ecclesiam! 30. 11. 49 Preußen also ist vernichtet, ausgelöscht, ausgerottet. Les États s’en vont. Les Conseillers de l’État restent. Staaten vergehen, Staatsräte bestehen. 3. 12. 49 Dabitur donum fortitudinis. Das sind alles Dona, sagte P. Franziskus Stratmann sehr schön; vor allem die Tapferkeit. Dann denkt man an den Ernst Jünger des Ersten Weltkrieges. 4. 12. 49 Schreibe in dein Buch, in dein elendes Buch: Schreibe: Das ist die Schande! Sie wissen ja gar nicht mehr, was die Schande ist. Es gibt keinen Anhaltspunkt (Anhaltspunkt!!) mehr; kein dóv moi poû stå; nichts, um diese unermeßliche Schande zu messen. Und morgen, meine Herren, werden wir die Welt erschaffen! Sagte Fichte, der Philosoph . Ich erwidere ihm: Und heute und morgen und in Ewigkeit, sehr geehrter Herr Fichte, wir wollen lieber darauf verzichten, Ihre Welt erschaffen zu sehen. Aber siehst du –––– ––––– denn nicht die Erschaffer der neuen Welt? 6. 12. 49 Es gibt Verbrechen gegen und Verbrechen für die Menschlichkeit. Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden von Deutschen begangen. Die Verbrechen für die Menschlichkeit werden an Deutschen begangen. Das ist der ganze Unterschied, und das wäre zu der Abhandlung eines Eugène Aroneanu Le Crime contre l’Humanité, Nouvelle Revue de Droit International Privé, 1946, zu sagen, der definiert: Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind solche Verbrechen, die von Deutschen begangen werden. Zu dem Thema: Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Sieh dir diesen Monsieur Aroneanu1 einmal genau an. Seine Definition: Verbrechen gegen die Menschlichkeit können nur von Deutschen begangen [werden]. Nous ne comparons pas les victimes, nous ne comparons que les juges (P.[ater] Laberthonnière).

Zeitungsausschnitt eingeklebt. „The Times Weekly, 15. 2. 50“.

1

Im Orig.: „Aronescu“.

Links:

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Im totalen Staat wird Gleichberechtigung zur Gleichbelastung. Klar. Aber diese Belastung trifft nicht die Elite. Die Elite ißt Butter und schießt mit Kanonen. Die Elite proklamiert, daß die Arbeit und nicht das Gold die Werte schafft. Das bedeutet: Die Arbeitslöhne werden nicht in Gold, sondern in selbstgefertigten Bezugsscheinen bezahlt.1 Im totalen Staat ist die Gleichbelastung nur ein formales Durchgangsstadium. Eigentlich ist sie nur ein Durchgangsmoment in der dialektischen Selbstaufhebung der Demokratie. Das unmittelbar folgende, in jenem Durchgangsstadium bereits enthaltene folgende Stadium sind die scharfen Über- und Unterprivilegierungen. Diese ergeben sich von selbst mit der Vernichtung der früheren besiegten Elite und mit den Präventivmaßnahmen gegen Ansätze und Neubildungen von Eliten. Wie nun, wenn Hitler nur ein Echo war? Ein Widerhall oder ein Nachhall? Wenn alles, was er tat, nur Antwort und noch weniger, nur Rückschlag war? Was dann, Ihr Kriminalisierer? Wenn er nicht etwa nur Folge und Ergebnis, sondern nur das unmittelbare Echo war? 8. 12. 49 Was bist du eigentlich? Der eingebildete Ich-Priester wird auf diese Frage antworten: Ich bin nicht was, sondern ich bin wer! Aber bleiben wir sachlich und bescheiden, wie es armen Menschen ziemt. Also nochmals: Was bist du eigentlich? Ich bin ein katholischer Laie deutscher Volks- und Staatszugehörigkeit! Was willst du damit sagen? Damit habe ich gesagt, daß es für mich besser ist zu schweigen. Von rechts und links, von oben und unten; von allen objektiven Mächten geistlicher und weltlicher Art wird mir der Mund gestopft. 10. 12. 49 Wenn das Wort „Menschheit“ fällt, entsichern die Eliten ihre Bomben und sehen sich die Massen nach einem bombensicheren Unterstand um. 13. 12. 49 An Pierre Linn: Il y a des rumeurs grotesques sur ma personne. Je suis devenu un mythe, il est vrai. Vous (Pierre Linn) devriez savoir que je suis catholique de race et cela veut dire que je serais ridicule, insignifiant, nul et non-existant au moment de quitter l’Église. Ce que vous appelez: „Manieur d’idées“ n’est autre chose que la désinvolture d’une race spirituelle. Je n’ai pas changé, il est vrai. Ma liberté vis-à-vis des idées est sans bornes parce que je reste en contact avec mon centre inoccupable qui n’est pas une „idée“ mais un événement historique: l’incarnation du Fils de Dieu. Pour moi le christianisme n’est pas, en premier lieu, une doctrine, ni une morale, ni même (excusez) une religion; il est un événement historique. Summa contra Gentiles III 93[:] Cum infidelibus nec nomina debemus habere communia, ne ex consortio nominum possit sumi erroris occasio (zit. in Privilege and Liberty). Betrifft das Wort: Fatum; ein Christ soll es lieber nicht gebrauchen. Malheureusement la liberté de penser et de parler qui en Europe a été presque réelle dans les années 1925/32, ne se trouve pas parmi les choses restaurées dans cette période de restauration qui était fällig (échéante) après une deuxième guerre mondiale.2 1 2

Stenogr. am Rand: „an Günther Krauß 6. 12. 49“. Am Rand: „an Pierre Linn, 13. 12. 49“.

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20. 12. 49 Mitleid beruht auf Identifikation; daraus machen die Mystiker des Mitleids, Rousseau und Schopenhauer, eine magische Identität. Aber das Mitleid, dessen man sich bewußt ist, kann nur Selbstbemitleidung sein und ist deshalb nur Selbstbetrug. Immer wieder setzt Jüngers Verwertungsmethode in Erstaunen. Die Nachwelt und der Nachruhm werden mit einkalkuliert. Tagebücher, die für bisherige Begriffe nur der Nachwelt zugänglich sein konnten, werden zu Lebzeiten aller Beteiligten literarisch vom Autor selbst verwertet, als normale Buchpublikationen. Der Roman Heliopolis erscheint gleich in einem Heliopolis-Verlag. Ein Buchtitel wird gleich zur Verlagsfirma erhoben. Das ist so, als hätte Hölderlin den Hyperion gleich im Hyperion-Verlag erscheinen lassen. Immer wird das künftige literarische Schicksal sozusagen gleich diskontiert. Es wäre zu harmlos zu sagen: Faust wäre dann im Faust-Verlag erschienen; Schillers Räuber im Räuber-Verlag; Freytags Soll und Haben im Soll-und-Haben-Verlag und Dostojewskis Idiot im IdiotenVerlag. Nein, es ist etwas anderes; es ist die stillschweigende Prätention des HyperionVerlags.1 Über Victor Hugo sagt Ernest Hello: Les rimes se présentent en foule, comme des esclaves trop heureuses que le maître leur fasse l’honneur de les employer!2 Elles accourent; elles se donnent; elles se livrent; elles se prodiguent avec amour! Non! Vous ne savez pas ce que c’est que l’amour, si vous n’avez pas étudié l’amour de la rime pour Victor Hugo!3 La rime enivre cet homme qu’elle adore. Elle transforme sa vie. Elle en fait une fête perpétuelle, … elle en fait un conte de Mille et une Nuit. Elle change en or tout ce qu’elle voit. Elle remplit la nature d’émerveillements4 … Cette baguette magique etc (p. 76). La rime et V.[ictor] H.[ugo] sont inséparables. Il n’existe que par5 elle. … Désarmé d’elle, V. H. n’existe plus. C’est qu’il est peintre par-dessus tout. Et la rime, dans le vers, c’est la couleur dans la peinture. Es ist die Phantasie, die reicher ist als die . Wichtig im Zeitalter der entfesselten Farbe! Däubler entfesselt Reime analog entfesselter Farben. O Mensch, Du Beute. Jawohl, es handelt sich um Beute. Und was reimt sich auf Beute? Heute! Leute! Meute! Bedeute!

Expressiones

22. 12. 49 Sobald ich die Planung erkenne und durchschaue, bin ich in der Lage, mich ihr zu entziehen. Der Plan muß also geheim bleiben. Undurchdringlich wie die Vorsehung, wie Gottes Ratschluß. Der Planer ist der irdische Gott. Der irdische Gott ist nicht tot. Wo es nur noch den irdischen Gott gibt, muß man Atheist werden. Aber der irdische Gott paßt gut auf.

Stenogr. am Rand: „Frau Jünger versicherte mir, daß Ernst Jünger selber nichts davon wußte. Es war die Idee des Herrn Ziemann, 7. 1. 50.“ 2 Am Rand: „Reim vgl. 1. 11. 49“. 3 Am Rand: „vgl. Kemp ebd.!“. 4 Im Orig.: „de merveillements“. 5 Im Orig.: „pour“. 1

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Zum Wesen des Plans gehört das Geheimnis. Wenn ich den Plan durchschaue, kann ich mich ihm entziehen. Gottes Vorsehung muß unerforschlich bleiben. Die Vorsehung-spielenden Menschen müssen die Rolle Gottes auch in Hinsicht der Unerforschlichkeit ihrer Ratschlüsse spielen. Die Nachwelt also soll richten. Wer ist das, die Nachwelt? Jaspers und Curtius sind mit Bezug auf Goethe Nachwelt! Was folgt daraus? Daraus folgt, daß wir von der Nachwelt nicht mehr wissen als vom Leben nach dem Tod. 24. 12. 49 Das Hamburger Urteil gegen den deutschen General Manstein als Geschenk zum 70. Geburtstag Stalins. Auf einer silbernen Schüssel die Knochen des pommerschen Grenadiers.1 Schändlich ist das alles, schändlich, und einer Vorsehung unwürdig. Auch deine andere Vorsehung, du dummer Roosevelt-Morgenthau (Stalins Überlegenheit liegt darin, daß er gegenüber dieser Morgenthau-Planung in der Defensive ist, während Hitler hofft, noch auf die andere Seite zu gelangen).2 27. 12. 49 Was ist der Mensch? Ein Blutkreislauf, Mit einem armen Irrlicht drauf. 28. 12. 49 Warum ist Rossini soviel süßer als Mozart? Das ist die geheimnisvolle Süßigkeit der Restaurationen, der Reprisen, Wiederkehren und Rondis. Ist es das Glück der ewigen Wiederkehr? Die Bestätigung des Zyklischen? Der Gegenwart im fortwährenden Kreislauf von Vergangenheit und Zukunft? Was ist gegenüber diesem Augenblick das Ganz Andere? Es ist zugleich das ganz Unmenschliche. Aber dialektisch kann das ganz Menschliche nur das ganz Unmenschliche sein. Kyklismus ist heute leider nur Restauration. Das Gegenstück zu Ernst Jüngers Tagebuch- und Briefverwertung findet man in T. E. Lawrence. Für Lawrence bringt der Gedanke, daß ein Brief von einem nach dem Tode veröffentlicht werden könnte, über das Briefschreiben einen neuen Terror. „Es gibt einen amerikanischen Händler, der 20 Pfund für meine Briefe bezahlt. Würden Sie einen einzigen Brief schreiben, wenn Ihnen das passierte?“ Und mit diesem T. E. Lawrence stellt Ernst Jünger sich in eine Reihe. Ernst Jünger, der Brief- und Traum- und Tagebuch-Verwerter! Die heute Verfolgten werden in 5 Stufen eingruppiert. Versuchen wir einmal die Verfolger in 5 Stufen einzugruppieren: 1. Diejenigen, die im besiegten Regime wirklich etwas mit abbekommen haben. 2. Diejenigen, die im besiegten Regime beinahe etwas mit abbekommen hätten. 3. Die unter Weiterbezahlung des halben Gehalts Verfolgten. 4. Die unter Weiterbezahlung des ganzen Gehalts Verfolgten.

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Am Rand: „vgl. [9. 1. 50]“. Am Rand: „Auschwitz Antwort auf M.-Plan“.

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5. Diejenigen, die gut verdient, aber nur Angst gehabt haben, ohne daß ihnen etwas geschehen ist. 29. 12. 49 Die Deutschen haben Tüchtigkeit, oft auch Geist und sogar Genie, aber sie haben fast niemals Takt. Trotz ihrer hypertrophierten Musikalität. Ihr Mangel an Takt verbindet sie mit den Juden, indem er sie gleichzeitig feindlich von ihnen trennt. Tatsächlich: Es sind in der industriell entwickelten Gesellschaft unendlich mehr Menschen, die die untergehende als solche, die die aufgehende Sonne anbeten. Es gibt nämlich mehr Menschen, die spät, als solche, die früh aufstehen. Und solche, die früh aufstehen, das sind heute solche, die gleich zur Arbeit gefahren werden. Il s’en faut bien que l’innocence trouve autant de protection que le crime. Herrlich, Reflexion Nr. 488 de La Rochefoucauld. Vor allem wird der Eifer für die Unschuld niemals den Eifer der Kriminalisierer erreichen. Die ganz jungen, geschichtslosen Völker und das ganz alte, geschichtsüberladene Volk der Juden treffen sich in diesem Punkt, im Eifer der Kriminalisierung. Le soleil ni la mort (ne se peuvent regarder fixement. La Rochefoucauld, Nr. 26). Großartig. Die Sonne ist ja der Tod. Leben gibt es nur auf der Erde. Die Sonne ist ein chaotisches Gemisch fortwährender Explosionen. Moderner Scheinwerfer. 30. 12. 49 Was bedeuten Redensarten wie: Dann (nämlich wenn es anders kommt als ich mir denke) hätte die Weltgeschichte ihren Sinn verloren? Oder noch dreister: Das und das (was mir horrend erscheint) ist der Vorsehung unwürdig. Das heißt nichts anderes als: Wir setzen Gott ab. Eine solche Position gegen Gott und die Götter ist keine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Die große historische Parallele zum 19./20. Jahrhundert, das 1. Jahrhundert, kennt sie schon. Der Satz: Causa victrix diis placuit ist ganz atheistisch gemeint, von unten nach oben, und spielt den Menschen gegen den grausamen, d. h. unmenschlichen Gott aus. Lukans Pharsalia, das Epos des Bürgerkrieges, ist voll von solchen atheistischen Manifestationen. Gott ist nicht tot, sondern etwas viel schlimmeres. Gott ist auf der Seite der Sieger. Gott schaltet sich gleich und wird immer gleichgeschaltet. Der Mensch als der Besiegte ist der Bessere. Weitere Beispiele aus den Pharsalia VIII, 484 ff. (die Rede des Pothinus) oder VII, 440 ff. und die fabelhafte Figur des Bürgerkriegssoldaten Scaeva, vgl. 22. 8. 49. Ernst Jünger scheitert an der Figur des Scaeva. 31. 12. 49 Eigentlich sind wir nicht Chaopoliten, sondern Chao-Hopliten. Zum Chaos gehört nicht der Polit, sondern der Partisane, der Freibeuter, der Buccaneer und der Privateer. Entwicklung vom 17. zum 20. Jahrhundert: vom Flibustier zum Partisanen. 9. 1. 50 Ihnen als einem alten, erfahrenen, 62jährigen Manne lege ich die Frage vor: Was ist das Unglaublichste, das Unwahrscheinlichste, das Sie in Ihrem langen, ereignisreichen Leben erlebt haben? Antwort: Notiz vom 20. 8. 49.

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Meine tria mirabilia:1 1. daß die Franzosen Chemie besser verstehen als die Deutschen; 2. die Soziologie aus ihrer -Wissenschaft zu einem Ausdruck und konform und der Gleichschaltung; well adjust man. Infandum Scelus: Buch VIII der Pharsalia; Mortisque peribunt Argumenta tuae (Vers 868/9). Manstein wird von dem Gericht in Hamburg zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, so, wie Pompejus von jenem griechischen Potentaten geköpft wird. Der Ausdruck Infandum Scelus steht in der Inhaltsangabe von Buch VIII meiner Ausgabe der Pharsalia von Cortius, Leipzig 1726, p. 231. 10. 1. 50 Smend schrieb mir in seinem Geburtstagsbrief vom Juli vorigen Jahres von der Abwärtskurve, die nach dem 60. Lebensjahr eintritt. Aber es kommt doch nur darauf an, seinen Stil zu finden, wobei ich unter Stil etwas anderes verstehe als Heinrich Triepel in seinem letzten Buch. Es kommt doch nur darauf an, den esprit de son âge zu finden, den eigenen Lebens-, Zeit- und Welt- und Altersstil. Und das haben Sie doch wohl sicher getan.2 An Ernst Jünger: Allerbesten Dank für die freundlichen Grüße, die Ihre Frau überbrachte samt der Flasche schönen Burgunders und der wohltuenden Widmung, die Sie darauf geschrieben haben! Es war ein wundervoller Besuch und ein Glück, endlich einmal wieder ein Gespräch zu führen, das dieses Namens würdig war und in dem eine lange Trennungszeit versank.3 Dadurch ist natürlich auch wieder der Wunsch entstanden, mit Ihnen zu sprechen und den merkwürdigen Moment ins Auge zu fassen, der durch das Erscheinen und die erste Wirkung von Heliopolis eingetreten ist. Wir hatten ein sehr heftiges Nachtgespräch, bei dem für mich die Figur der Parsin zum ärgsten Stein des Anstoßes wurde, während Frau Jünger gerade diese Figur in der rührendsten Weise zu verteidigen suchte. Ich trank dabei soviel Wein, daß ich gar nicht bemerkte, wie sehr das alles Ihre Frau anstrengen und angreifen mußte, bis mir Frau Schmitt deshalb Vorwürfe machte, die ich jetzt auch selber gegen mich erhebe. Freilich kam das alles bei mir aus lange zurückgehaltenen Strömen und ließ sich im Grunde nicht ändern. Ich hoffe nur, daß Ihre Frau es überstanden und daß sie sich inzwischen davon erholt hat. Wir haben sie gestern nach Altena gebracht, von wo sie zunächst nach Hamm weiterfuhr. In Ihrem letzten Brief (vom 28. 11. 49) erteilen Sie mir eine „freundschaftliche Warnung“, die sich aber mehr auf taktische Dinge bezieht. Wir sind beide so alt und beide in solchen Situationen, daß wir uns über taktische Fragen eigentlich nur im Geplauder unterhalten

1 2 3

Das Folgende stenogr. Am Rand: „an Smend zum 68. Geburtstag am 10. 1. 50“. Am Rand: „vgl. 5. 2. 50“.

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dürften. Dahinter aber liegt die Sache selbst, über die wir einmal miteinander sprechen müssen. Ich las die Rezension, die Karl Korn in der Fr.[ankfurter] Allg.[emeinen] Z[ei]t[un]g über Heliopolis veröffentlicht hat. Korn schätze ich als einen klugen und ehrlichen Mann. Über den Respekt, den man aus der Besprechung heraushört, habe ich mich gefreut. Aber bei dem Wort „privat“ bin ich beinahe erstarrt. Es fließt scheinbar beiläufig ein, wirkt aber ungewollt wie ein Pfiff, der alles zerstört. Dieses „Privat“ ist ein böses Stichwort. Ich verstehe etwas davon. Es hat mich tief beunruhigt, zumal ich kurz vorher von einem Westfalen die Bemerkung gehört hatte: Ernst Jünger ist längst privat geworden und flößt nicht einmal mehr Mißtrauen ein, außer der Art von Mißtrauen, die Herrn de Mendelssohn beseelt. Ich bin in diesen Dinger älter und wahrscheinlich auch erfahrener als Sie und habe den Wunsch, daß wir einmal Zeit und Ruhe zu einem intensiven Gespräch unter uns fänden, sei es ein Morgen- oder ein Nachtgespräch, so wie öfters in den 30iger Jahren in Berlin. Ihr Vergleich mit den blumengeschmückten Panzerschiffen ist nicht zutreffend für unsere Situation. Jeder von uns beiden hat einen Namen und eine Sache, echten Ruhm und ein Gesicht, und jeder von uns beiden kann alles das verlieren. Ich mache meinen Fall auf meine Weise ab und ziehe Sie nicht hinein. Ihr Fall liegt aber ganz anders, einfacher und doch so, daß Sie schlimmer gefährdet sind als ich mit all der Meute hinter mir. Meine Befürchtung und Erregung kommt aus Tiefen und Bezirken, die jüngeren Menschen völlig unbekannt und unzugänglich sind. Sie müssen mir das Recht des älteren Weggenossen zugestehen und dürfen diesen Brief also nicht zu eilig lesen, lieber E. J. Sie müssen wissen, daß ich unverändert Ihr Anhänger bin. Ich grüße sie in der unveränderten Gesinnung und alten Anhänglichkeit an Sie und Ihre Sache und bleibe stets ihr C. S. 12. 1. 50 Die lieben Deutschen (kenne ich schon). „Dann beseitigen sie“. Lies lieber die Pharsalia des Lucan. Superos quid quaerimus ultra? (IX, 579). Weder die Juristen noch die Theologen scheinen begriffen zu haben, daß alle wesentlichen und aktuellen Fragen inzwischen geschichtsphilosophische Fragen geworden sind; einige Soziologen möchten das ausnutzen. Schämst du dich nicht? Du schreibst nette Briefe an frühere Kollegen, die dich mit Füßen treten, indem sie dir ein Almosen in Aussicht stellen, um sich selbst ihre Humanität zu beweisen! Ich schreibe solche Briefe aber tatsächlich nur aus Höflichkeit. Meine unbeirrbare Höflichkeit ist mir zum Verderben geworden. Man darf mir nicht einmal vorwerfen, daß ich zu billig gespielt habe. Denn ich wußte, um was es ging. Ich konnte nicht aufhören, höflich zu sein, während um mich herum erst die Nazis und dann die Entnazifizierer ihre Fußplattler-Tänze aufführten. Es gibt Menschen, die nicht aufhören können, legal zu sein oder an das zu glauben. Ich gehöre zu denen, die nicht aufhören können, höflich zu sein. Aber du mußt doch selber zugeben, daß das irgendwie Schwäche ist, mit deiner Höflichkeit. Was willst du denn mit deiner Höflichkeit, wenn Russen und Yankees ihre Atombomben schmeißen, Morgenthau seinen Morgenthau-Plan ausheckt und hunderttausend Japaner in Hiroshima noch verrecken müssen, nachdem der Zweite Weltkrieg schon lange zu Ende ist. Was willst du armer Mann, mit deiner Höflichkeit? Du bist ganz altmodisch, vor-industriell, unsozial, undemokratisch, sozusagen nicht-integrierbar, un-europäisch? Salus ex Judaeis? Perditio ex Judaeis? Erst einmal Schluß mit diesen vordringlichen Judaeis! Als wir in uns uneins wurden, haben die Juden sich subintroduziert. Solange das nicht

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begriffen ist, gibt es kein Heil. Der von der (damals wohl noch intakten) Synagoge mit Pfründen [versehene] Benedikt (ausgerechnet) Spinoza war der erste, der sich subintroduzierte. Heute erleben diese Subintroduzierten eine Restauration mit kolossalen Entschädigungsansprüchen und Rückzahlungen. Aber die Subintroduzierten sind trotzdem noch schlimmer als die zurückkehrenden Emigranten, die ihre Rache genießen. Sie sollten sich was schämen, Den Dollar anzunehmen. 16. 1. 50 Alle Zeit ist Zwischenzeit, jedes Regnum ist Interregnum; Meaning-time ist Mean-time etc. 17. 1. 50 Die Sorge um Ernst Jünger: Jetzt verliert er doch noch den Pour le Mérite. Man kann nicht immer nur von opus operatum leben.1 Er konstruiert sich sein Leben als gefährlich. Das lassen sich die andern, die wirklich in Gefahr waren, nicht gefallen und diejenigen, die heute gefährlich leben, noch weniger. Auf diese Weise gerät er in den Streit um die Frage, wer am meisten gefährdet war oder ist. Wie traurig. 26. 1. 50 (in Köln) Tröstliches Vorbild: Scipio Afrikanus gegenüber den Vorwürfen der Petilier. Begib dich vom Forum zum Kapitol und laß es darauf ankommen, wieviele dir dabei folgen! Wir (? Ich nicht!). Also die Menschen schaffen sich jetzt eine eigene, künstliche Welt, die Welt der Technik. Das ist ein gefährliches Abenteuer. Aber soll das ein Grund sein, auf die Schaffung dieser Welt zu verzichten? Gott hat doch auch die Welt geschaffen, und sie ist ihm durch den Abfall der Engel und des Menschen entglitten, verderbt und verwundet. Warum sollen die Menschen es nicht auch darauf ankommen lassen, daß ihnen ihre neue Welt entgleitet? Die neue Neue Welt2 ist also mitten unter uns; sie ist in unseren Händen; sie ist in Arbeit; sie hat kein abgegrenztes Stück Erde als Verortung eines Heiligtums; sie ist bodenmäßig an Rohstofflagern interessiert, nur an der Ausbeutung, nicht an der Pflege. Wo steht diese Neue Welt? Sie nimmt den bisherigen Eigentümern den Boden unter den Füßen weg. Sie behandelt die Erdoberfläche wie der Schiffer das Meer, nicht wie der Landtreter die Erde. Sie ist nicht nomadenhaft, sondern maritimen Charakters.3 Die moderne Industrie ist die Fortsetzung des Überberganges vom Land zur See.4 Daher zuerst in England entstanden. Immer wieder der erstaunliche § 247 in Hegels R[echts]phi[losophie]. ––––– Gibt es eine Dialektik der Aufeinanderfolge der Elemente? Das hängt davon ab, in welchem Grade es gelingt, den Begriff des Elementes historisch zu fassen und in Bewegung zu

Am Rand: „vgl. 16. 9. 49“. Am Rand: „Land und Meer“. 3 Am Rand: „Irrtum, die Pferde- und Dromedar-Nomaden den sog. Schiffsnomaden gleichzustellen!“. 4 Am Rand: „Das Auslandskapital war ein Teil unseres Raumes!!“. 1 2

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bringen.1 Dann allerdings ist die Reihenfolge: Land, Wasser, Luft, Feuer. In diesem Kreislauf bewegt sich dann die geschichtliche Entwicklung. Wir müssen die historische Dialektik bei diesen Elementen ansetzen und nicht, wie Hegel in seinen Vorlesungen, bei dem geschriebenen Material historischen Wissens, auch nicht bei dem ökonomischen Materialismus, der nur die zeitgebundene Richtigkeit der Selbstzerstörung des 19. Jahrhunderts hat und selber ein ideologischer Überbau über die industrielle Revolution [des] 18./19. Jahrhunderts ist. 4. 2. 50 Favor victoris. Was nützt heute eine klare, zwingende, völkerrechtliche Argumentation zugunsten Deutschlands? Sie stößt immer auf die Folgen des diskriminierenden Kriegsbegriffes, der den Gegnern Deutschlands das gute Gewissen zur Entrechtung des Besiegten gibt, der – wie jeder Tag von neuem zeigt – einen Friedensvertrag innerlich unmöglich macht und nur noch Straf-, Entschädigungs- und Erziehungsmaßnahmen übrig läßt.2 Alle Bemühungen um eine „Normalisierung“ der Beziehungen zu Deutschland, insbesondere auch der Besatzungsmächte zur deutschen Staatsgewalt, stoßen auf diesen Urgrund aller völkerrechtlichen Unmöglichkeiten. Der diskriminierende Kriegsbegriff erlaubt keine Normalisierung des Diskriminierten.3 Was soll man als Deutscher demgegenüber tun? Es sind folgende Möglichkeiten gegeben: 1. Frontale Bekämpfung der Idee des gerechten Krieges; offener Nachweis ihrer geschichtlichen, juristischen, moralischen Verkehrtheit; ihres Charakters als Instrument des Bürgerkriegs usw. Hoffnungslos? 2. Positivistisch-geduldige Aushöhlung; Normalisierung unter der Hand; Sabotage durch Mitarbeit an der Entwicklung der Grundlagen der Nürnberger Urteile; Bewußt und planmäßig den Wurm im faulen Holze spielen; Porzia-Methode des Beim-Wort-Nehmens. 3. Eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten mit verteilten Rollen. Wie stolz, wie imposant-arrogant klang uns damals das: Wer sich selber kommentiert, geht unter sein Niveau. Sehr gut. Aber was tut denn nun einer, der sich selber nicht nur kommentiert (das wäre vielen sogar nützlich), sondern sich selber kopiert, sich selber selbstgefällig imitiert und sich selber zur Manier wird? Wohin geht denn ein Heraklitianer, der dreimal durch denselben Fluß gehen möchte? Ein Nihilist? Ein 18jähriger Primaner sagte dazu: Das soll ein Nihilist sein, der von sich selbst so überzeugt und überzogen ist wie E.[rnst] J.[ünger]? 5. 2. 50 Die beiden Briefe Jüngers (10. und 16. Januar 1950) habe ich genau gelesen. Capisco. Er sagt wörtlich „Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie

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Am Rand: „Der Lebensraum des Schweizers ist die Welt.“ Am Rand: „an , 4. 2. 50“. Stenogr. am Rand: „Ritualmord? Im Ritualmord nützt es nichts, daß es der Schelm ist .“

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heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich.“ Gut. Capisco et obmutesco. So spricht ein Überlebender zu einem Überlebenden! (vgl. 9. 9. 58). Er stellt zwei irreale Conditionalsätze auf. Er sagt: Der Überlebende hat Unrecht, denn ich wäre vielleicht nicht mehr am Leben; vorher aber sagt er: Er selbst (obwohl doch schließlich auch überlebend) wäre gewiß nicht mehr am Leben (weder phy––––– –––––– sisch noch psychisch), wenn er mir gefolgt wäre. Ist das nicht die Rabulistik eines Ich-ver–––––– rückten Rechthabers? Nachwirkung seines Mescalin-Experimentes? 1 La guerre sainte, la guerre à la fois diabolique et divine (Ch. Journet, L’Église du Verbe Incarné, 1943, p. 360 ff.: Überschrift: La guerre sainte et la croisade); Abschnitt: La Chrétienté sacrale. Cum armis Jherusalem peregrinati sunt; stützt sich auf Carl Erdmann, Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935. Innerhalb des problematischen Begriffes „Heiliger Krieg“ unterscheidet J.[ournet], indem er bei den Kreuzzügen zwischen la part du pouvoir canonique des clercs et celle de leurs pouvoirs non canoniques unterscheidet! Il apparaîtra alors que les „guerres saintes“ sont liées à l’existence ou aux survivances d’une chrétienté de type sacral. Sic. p. 362. Der Krieg stammt wie der Tod aus der Sünde; per peccatum mors, Röm 5,12.2 In den ––––––––––– Responsa Nikolaus I. (866) an die Bulgaren heißt es: Bellorum quippe ac proeliorum certamina, nec non omnium jurgiorum initia, diabolicae fraude sunt artis profecto reperta, nur im Notfall ist der Krieg zulässig (P.[atrologiae] L.[atinae] CXIX, col. 998, n. 46). Trotzdem nennt ihn Jos.[eph] d.[e] M.[aistre] nicht mit Unrecht „göttlich“ (7. Entretien des S.[oirées] d.[e] St. P.[etersbourg]), weil er unmöglich menschlich erklärt werden kann: „il n’y a pas moyen d’expliquer comment elle (la guerre) est possible humainement“; sic. J. d. M.: also châtiment divin; divine au sens où l’enfer est divin; der Deus indignatus verhängt ihn (De Civitate Dei, I cap. 9). Am Anfang des Krieges immer die Sünde. Aber gerecht ist der Krieg, wenn er occasioniert, nicht inspiriert ist (sic 363), eine harte Notwendigkeit; ist der Gedanke eines gerechten Krieges nicht noch trauriger? Fragt der Hl. Augustinus, De Civ. D. 19 c. 7 (dieses Kapitel 7 ist ganz wundervoll und wichtiger als die meisten Bücher über den gerechten Krieg; 19 c. 8 auch die Unterscheidung Freund und Feind!). Dann Thomas II–II q. 40 a 1 et 3. Après avoir lu cette description de la guerre juste (sagt Journet), on se demande sans doute combien de guerres ont été entièrement justes. On les ––––––––––– complerait, je pense, sur les doigts de la main. Sehr gut. Hier taucht ein neuer Begriff verheerend auf: der 100prozentig gerechte Krieg! J.[ournet] verweist auf Gustave Thibon, Etudes carmélitaines, 1939, p. 63/67: gerecht nur, wenn der Christ vor der Wahl steht: entre la guerre et le reniement de son essence d’homme, sic. (Sehen diese Guten und Gerechten denn nicht, daß sie den Krieg zum Vernichtungskrieg machen?!). Der ideologische Krieg ist ein Idol-Krieg, sehr gut. Der Christ muß sich hier vorsehen, daß er keinem Betrug zum Opfer fällt – et ce ne sera pas chose facile, et seuls les saints en seront pleinement capables!! Sic. G. Thibon, dem Journet zustimmt (p. 364

Stenogr. am Rand: „Ich bin sicher, daß meine (Absicht) den Entschluß gegeben hat, sich abzusetzen. An Ernst Jünger 5. 2. 50, in alter Freundschaft, C. S.“. 2 Stenogr. am Rand: „Nein, der Krieg ist doch gar nicht der Tod, der Krieg ist doch der Vater aller Dinge.“ 1

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Anm.). Der Christ muß das „Paradox“ realisieren: innerlich Liebe und Verzicht auf jedes Urteil (la justice chrétienne qui ne juge personne!! Sic) „en faisant les gestes de la haine“. Sehr kompliziert und innerlich paradox. Schließlich können das nur die Heiligen. Die kluniazensischen Reformatoren haben die Idee der christlichen Ritterschaft verbreitet (lancé); die germanische Idee des Kampfes „transfiguriert“. Unterschied von gerechten und heiligen Kriegen p. 365. Heilig wird der gerechte Krieg noch nicht dadurch, daß der Papst die gerechte Sache anerkennt (Wilhelm der Eroberer 1066); collaboration, approbation, consécration genügt noch nicht, wenn die Sache profane Interessen betrifft; auch nicht, im régime sacral, Verbrechen wie Häresie. Allerdings konnte man die von der Kirche ermutigten und approbierten Kriege zur Verteidigung des Glaubens gerechte Kriege nennen. „Mais nous préférons réserver ce nom, s’il faut l’employer (!), pour les guerres dont le pape prendra lui-même la responsabilité et dont nous allons parler“ (p. 367). Also heilige Kriege (p. 367): –––––––––––––––––– Antwort (mit H. Pissard, La guerre sainte en pays chrétien, Paris 1912): Les guerres saintes sont les guerres justes (!) que l’Église non seulement encourage, mais encore récompense par ses faveurs spirituelles. Wir sagen aber nicht, daß sie von der Kirche unternommen oder dirigiert werden, d. h. sie entspringen nicht dem pouvoir canonique; elles sont entreprises et dirigées par le pouvoir extra-canonique du pape, agissant comme chef de l’État pontifical ou comme tuteur de la chrétienté. Sic. p. 369. Der reine heilige Krieg, d. h. aufgrund kanonischer Befugnisse vom Papst geführte Krieg, ––––– ist (nach Journet) unmöglich. Er hat auch niemals stattgefunden, auch nicht gegen die Albigenser 1208–14; anders Pissard, der als ehrlicher Mensch behauptet, der Krieg sei nur die folgerichtige Steigerung von Interdikt, Freierklärung der Vasallen und ihre exposition en proi, pour exécuter les sentences canoniques contre les hérétiques trop puissants, quand le suzerain (nicht der Souverain!!) ne peut ou ne veut pas prêter l’appui de son (!) glaive. Sic Journet p. 369 Anm. L’Église comme telle ne fait pas la guerre. Niemand macht comme tel Krieg. Scheußlich, dieses comme tel, das erinnert zu sehr an: Die Partei als solche steht auf dem Boden des positiven Christentums. Die große Hintertür. Carl Erdmann behauptet, Augustinus habe die Unterdrückung der Donatisten durch den Kaiser Honorius zum Rang des heiligen Krieges erhoben (a.a.O. p. 7), dessen Urheber Gott selbst war und die Soldaten die Ministri Gottes. Aber Augustinus protestiert immer dagegen, daß die Häretiker mit dem Tode bestraft werden. Er fürchtet, das Blut der Häretiker werde auf die Kirche zurückfallen!! ––––– Batiffol, Le Catholicisme de St. Augustin, p. 334/5. Sieh an. Gustav Schnürer, L’Église et la civilisation du moyen age, Paris (Jahreszahl gibt er nicht an) I p. 115, sagt: les empereurs ne sévissaient pas contre les hérétiques en qualité de mandataire de l’Église mais en leur (der Kaiser!) puissance souveraine. Sic. Comme tel. En qualité de. Das ist also alles schon l’ordre sacral du moyen age. Hérésie ist un crime de droit commun. Anders St. Gregor: il exhorte Gennadius, den Exarchen von Afrika, à résister avec force pour le bien du peuple chrétien; ecclesiastica proelia sicut bellatores Domini fortiter dimicatis!! C’est déjà, si l’on veut (!!), une guerre sainte (p. 373), appel au glaive du sang pour défendre les chrétiens contre les entreprises des hérétiques. Mais (was denkst du, was jetzt kommt?) mais Gennadius n’est pas aux ordre de Grégoire. L’expédition est entreprise au nom du pouvoir séculier. Le pape n’essaie pas d’en tirer à lui la responsabilité. So dumm ist

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er nicht. Ni Responsabilité ni Risque übernimmt er. Das übernimmt der biedere Gennadius. Schändlich, dieser Journet, p. 373. Der Papst excitiert nur zum Kriege. Il (Grégoire) intervient pour exciter (sic!!) l’exarque à défendre l’Église. S’il parle de guerres „ecclésiastiques“ et de „guerriers de Seigneur“ ce ne peut être en sens strict. Da wird es also „indirect“. Alles Epistola St. Gregor. P.[atrologiae] L.[atinae] LXXVII, col. 528/9.

Zeitungsausschnitt aus „Die Zeit“ vom 9. 2.1950 eingeklebt. Darüber: „Illustration zum Gerechten Krieg. Die Zeit; jawohl Die Zeit.“

Carl Erdmann spricht vom „Gregorianischen Missionskrieg“ (weiteres Beispiel: Erlembald, der erste vom Papst Gregor VII. beauftragte Ritter, militärischer Führer der Patarener in Mailand, Journet, p. 376). Das findet Journet nicht richtig. Même en régime sacral (wie es im christlichen Mittelalter bestand) handelten die von der Kirche beauftragten Krieger und Verteidiger des Glaubens en chrétiens, mais non pas en tant que chrétiens (sic p. 374 Anm. 2). Auch Erdmann sagt (p. 8): Gerecht war der Krieg gegen die Heiden nur, wenn die Heiden Angreifer und unversöhnliche Verfolger des christlichen Glaubens wurden (wichtig: hostis perpetuus; kommt leider bei Journet nicht vor!). Wichtig Journet S. 377 Anm.: Un religieux qui, en cas d’injuste aggression, ne se défend pas, agit en tant que chrétien, en tant que religieux. S’il se défend, il agit en chrétien sans doute, mais en tant que homme: ainsi firent les jésuites qui, le 24 juin 1621, défendirent Macao contre les Hollandais; cf. Joseph Duhr, S. J., Un jésuite en Chine, Adam Schall, astronome et conseiller impérial (1592–1666), Bruxelles 1936, p. 34.

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8. 2. 50 Wenn mir nichts bleibt als die Alternative zwischen einem besiegten Teufel und einem siegreichen Teufel, so entscheide ich mich für den Besiegten. Unwiderstehlich zieht es mich zu den Besiegten. Mir schaudert und ekelt, wenn ich die Triumphgesänge der siegreichen Gerechten höre und im Buch der Weisheit lese (5,4–5) 1: „Die Bösen werden staunen über das unerwartete Glück der Gerechten“. Ich bin lieber bei den besiegten Bösen als bei den siegreichen Gerechten. Da ich sie beide, die Sieger wie die Besiegten, als gleich böse kenne, liegt der Fall noch viel klarer. Die viehischen Greuel der Besiegten und die viehische Rache für diese Greuel, das gleicht sich wirklich aus. Bleibt das Unglück dieser armseligen Besiegten und das Glück dieser triumphierenden Sieger. Der Fall liegt klar. Heidegger besteht die Probe des Comeback mit dem Prädikat: vollbefriedigend nach beiden Seiten; Gottfried Benn ganz großartig; Ernst Jünger fällt elend durch.2 Warten wir ab, wie ich abschneide. (Du bist überhaupt keines comeback fähig, weil du ewig im Wandel bist, niemals durch denselben Fluß gehst). Also schließlich kulminiert das alles in en que (chrétien) und en tant que (chrétien); und comme tel! Komm Tell! Enque – entantque: Damit wollt Ihr die Sache retten!? 17. 3. 50 Was ist es denn eigentlich, was wir jetzt erfahren? Die Deserteure erklären die Frontkämpfer zu Feiglingen. Die Emigranten erklären die Nicht-Emigranten zu Landesfeinden. Wir erfahren also, daß die Davon-Läufer die Vorläufer zu Mitläufern erklären. (Der arme Orwell hat noch gar nicht begriffen, daß er mit seinem 1984 ein Nachläufer von 1894 ist!) Die Davon-Läufer erklären die Standhalter zu Mitläufern. 21. 3. 50 Was war denn eigentlich im Gange, in diesen Jahren seit 1933? Es war der Versuch einer Liquidierung des Bürgerkrieges auf der Ebene einer totalen Technizität. Er scheiterte an der deutschen Bildung; an dem Junctim von Unbildung und Technizität. Bei Sartre, L’Être et le Néant, p. 704/6, steht eine zeitgemäße Loch- und Anus-Philosophie, zeitgemäß nach Inhalt und Form, Gedanke und Sprache. Was soll man dazu sagen? Nicht anzuraten ist jeder Fraß denen, die träumen.3 Schwer ist der Tod. Ins Loch hinein. Immerhin findet sich dort auch eine kleine Anmerkung (S. 705): il faudrait noter aussi l’importance de la tendance inverse, la tendance à percer des trous, qui demanderait à elle seule une analyse existentielle. Jawohl. Bravo! Schlag ihm ein Loch in seinen Schädel! Das ist die Gegenbewegung gegen die Tendenz, ihm einen Fußtritt in sein schmutziges A-Loch zu geben. P. 466: C’est se faire muqueuse pure. Nicht anzuraten ist jeder Fraß denen, die träumen.

Gemeint ist Weish 5,2. Am Rand: „dazu Anm. vom 20. Sept. 1952 [recte: 14. 8. 52!], vgl. die heutige Lage; die elenden –– –– Gedichte des armen Benn! Godenholm!!“. 3 Stenogr. am Rand: „dieser Vers an Armin Mohler, 22. 9. 50“. 1 2

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Das deutsche Gesicht. Wie soll denn das Gesicht eines Volkes aussehen, zu dessen Idealtyp der Rache nehmende Emigrant erhoben ist? Sie treten auf Deutschland herum und wundern sich, daß sein Gesicht grauenhaft aussieht.1 23. 3. 50 Etwas gefällt mir an Sartre: die Momente, in denen er epigrammatisch wird, im Stil und auf dem Niveau der Moralisten. Er ist gar kein Ontologe wie Heidegger. Aber ein Moralist. Die Analyse des désir als Fleischeslust ist modernster Moralistenstil, gipfelnd in dem Satz: C’est se faire muqueuse pure (p. 466). Schlechter Positivismus ist le fait de la mort; entzückend moralistisch die Argumentation gegen den Selbstmord. Gut ist alles was mir hilft, mich in dem Raum des unverstellten Harrens zu halten, alles das ist gut, mag es sich nun als ein Wort des Heraklit, als ein Satz Hegels, als ein Motiv aus Wagners Tristan oder als eine Strophe von Konrad Weiß ereignen. Sohn dieser Weihe, du bist dir enteignet, horche und leide. 24. 3. 50 Rousseau spricht von dem Pfahl, mit dem der erste Eigentümer sein Grundstück abgrenzte. Dieser Pfahl war das erste Symbol. Man hätte ihn ausreißen müssen mit dem Ruf: Hütet Euch vor diesem Betrüger! Es gibt aber heute noch ganz andere solcher Symbole, mit denen sich ein Zeitalter der Unfreiheit eröffnet und die man am besten gleich ausreißt. Die blaue Steuermarke als Briefmarke ist ein solches Symbol. 28. 3. 50 Das Geld verstellt die Welt, macht jedes Ding zu Ware. 1. 4. 50 Heideggereien: Indem ich „publiziere“, d. h. indem ich meine Gedanken setzen und drucken lasse, bin ich schon verstellt, entstellt, bestellt und angestellt, engagé. 12. 4. 50 Das Zurückweichen der Naturschranke (folgte dem Zurückweichen der alten Grenzen des orbis antiquus) enthält zugleich ein Vorrücken der Sozialschranken. Schafft die Technik freien Raum? Ach herrjeh, man sieht es kaum. Jedes Gemeinwesen, insbesondere jede Demokratie hat ihren „unterirdischen“ Teil; heute sind es die Millionen Diskriminierten; die Verdammung in diesen unterirdischen Teil ist umso endgültiger und ewiger, je mehr sie im Namen der Menschheit und der Menschenrechte geschieht, zur Sicherung des wahren Friedens.

1

Stenogr am Rand: „1933–45: der deutsche Blick und die jüdische Rundschau“.

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1926 schrieb und veröffentlichte ich: daß man jeder Arbeit über Verfassungsfragen ansieht, ob der Autor die Schrift des jungen Hegel kennt. 25 Jahre später sehe ich, wie kindlich dieser Appell an die Bildung deutscher Rechtslehrer war. Ich schreibe das heute unter der Wirkung einer nochmaligen Lektüre der Wiss. Behandlungsarten des Naturrechts. Zu denken, daß ich 1931 ein Buch „Der Hüter der Verfassung“ mit einem langen Hinweis auf Hegel veröffentlichte – wie naiv! Daß heute immer noch über Naturrecht geredet wird, von Menschen, die nicht einmal diesen Aufsatz Hegels kennen! Von Rechtsstaat reden, ohne die Stelle über den sich emporrichtenden Erdengeist zu kennen.

Ausschnitt aus einer englischsprachigen Zeitung v. 12. 4. 1950 eingeklebt, der einen ‚High flying suit‘ zeigt. Darüber: „Ach, zu des Geistes Flügeln wird kein Körperlicher sich gesellen. Le voilà, den Gesellen!“

21. 4. 50 Wichtiges aktuelles Thema: ein soziologisches, geistesgeschichtliches und sonstiges Problem: eingehender Vergleich der Nutznießer des Aufbruchs von 1933 mit den Nutznießern des Zusammenbruchs von 1945. 28. 4. 50 Nach der Unterdrückung des Bar Kochba-Aufstandes 135 n. Chr. hörte der offene Widerstand auf. Es bleiben nur noch die eschatologische und messianische Hoffnung en veilleuse; l’autorité stable, reconnue par Rome, du patriarche remplace l’éphémère pouvoir insurrectionnel du Fils de l’Étoile, et, dans Israël assagi et résigné, s’instaure le règne exclusif de la

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Loi. Sic: Marcel Simon, Verus Israel (étude sur les relations entre Chrétiens et Juifs dans l’empire Romain, 135–425), Paris (Boccard, rue de Medicis, Paris). 1948, p. 13. Das ist es: le règne exclusif de la Loi. 2. 5. 50 Der genaue Titel des Buches [von] Karl Binding und Alfred Hoche heißt tatsächlich „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ (Leipzig 1920 bei Fel. Meiner). Jedes Wort dieses Titels ist totalitär, Orwell hätte damals schon merken müssen, wo wir leben und er selber auch: Freigabe der Vernichtung! Lebensunwertes Leben.

––––– ––––

3. 5. 50 Zu Heft 4 (April) 1950 des Hochland: Im sogenannten Hochland wird es immer schwüler, Man paart dort Konrad Weiß mit Else Lasker-Schüler.1 4. 5. 50 Hans Schneider gebeten, bei Hans Welzel nach der genauen Angabe der Kant-Stelle vom Ketzerrichter zu fragen (S. 19 von Welzels Schrift vom irrenden Gewissen). Sieht Welzel denn wirklich nicht, daß an dieser Stelle plötzlich eine echte Feinderklärung das moralisierende Gewebe zerreißt?2 5. 5. 50 In Bertolt Brechts Dreigroschenroman (deutsch bei Desch, München 1946? S. 296) belehrt der Führer der Verbrecherorganisation, Macheath, seine Leute: Man muß legal arbeiten; das ist ebenso guter Sport. Die ganze Rede, die er bei dieser Gelegenheit hält, ist eine ungeheuerliche, unheimliche Illustration zu meiner These von der Unterscheidung Legalität und Legitimität. Wer es jetzt noch nicht versteht und jetzt noch mit Naturrecht kommt, gehört zu den êtres destinés à périr. „Die grobe Gewalt hat ausgespielt. Man schickt keine Mörder mehr aus, wenn man den Gerichtsvollzieher schicken kann.“ Legal ist es friedlicher und mit geringeren Spesen eine größere Beute zu machen etc. Mit Verbrechen arbeiten ist eine überwundene Arbeitsstufe, mittelalterlich, altmodisch. 10. 5. 50 Sollten es die Esel der heutigen Restauration wirklich erreichen, daß Hitler auf künstlerischem Gebiet mit Richard Wagner, auf geisteswissenschaftlichem mit mir identifiziert wird, dann stehen allerdings noch ganz andere, weit erstaunlichere Comebacks bevor als die harmlosen, die wir bisher erlebt haben und die Gesinnungstüchtigkeit der Entnazifizierten sich träumen läßt.

1 Am Rand: „an Paul Adams, 3. 5.; Veronica, 4. 5.; Barion 5. 5.; Postkarte Mohler, 11. 5. 50; Weinreich, 20. 5. 50; H. Bung, 22. 5. 50; Vorwerk, 22. 5. 50; Beste 25. 6. 50; Warnach, 6. 7. 50“. 2 Stenogr. am Rand: „4. 5. 50 Hans Schneider geschrieben. Ich bin auf die Antwort gespannt.“

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13. 5. 50 Lektüre Ponceau; la mauvaise foi anticommuniste; gibt es denn keine: antinaziste? Ist hier die große, absolute Abnormität, die einzige unverzeihbare bei sonst totaler Verzeihung, das einzige übrig bleibende Verbrechen beim (unvermeidlichen) Abbau der gewaltigen Kriminalisierung? Der gute Glaube tut es nicht allein. Es muß auch etwas Grütze dabei sein. 19. 5. 50 Immer siehst du dich auf Worte angewiesen; Alle Macht ist Befehl, Aller Befehl ist Wort; eingesperrt in unserm Mensch-Sein sind wir eingesperrt im Wort; wir haben kein anderes Vehikel als das Wort. Und Gott hat kein anderes Asyl. Fand eine Notiz vom 24. 8. 1915 (München): Die Befreiung des Dichters ist nur soziologisch: er spricht von sich und findet Menschen, die ihn hören [und] verstehen. Das ist je nachdem göttlich oder Kanaille. 21. 5. 50 Dem Ultraschall entspricht kein Ultra-Wort; Der Ultra-Mensch pflanzt sich ins Leere fort. 23. 5. 50 Die europäische Rechtswissenschaft? Wo ist sie und wer ist sie? Und hat sie Ehre noch so ist’s von mir (Empedokles).1 Schreib nur nicht diesem Dr. Lewald, dem edelfeinen Abwürger. Non decet scribere ei qui vult proscribere. Die Vanini-Ode Hölderlins, mit dem Schluß: … und deine Feinde Kehrten, wie du, in den alten Frieden. (Die heilige Natur vergißt der Menschen Thun.) Man muß legal arbeiten (S. 296), das Recht bestimmen können, um seine Mörder auszuschicken. Dazu bedarf es keiner Rechtsbeugung, es genügt die Rechtsanwendung. 28. 5. 50 G.[ünther] K.[rauß] meint, er selber als Kronjurist der Krone von Kastilien habe um 1530 weder die kaiserliche noch die päpstliche Verleihung als Argument vertreten können. Es

1

Am Rand: „vgl. 30. 9. 50 (an Schelsky)“.

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gebe wohl keine andere Rechtfertigung als die aristotelisch-sepulvedistische Möglichkeit. Das bedeutet, daß Papst und Kirche ihre treuesten und gläubigsten Beschützer im Stich gelassen haben. Vielleicht müssen sie das. Darin läge eine besondere Art von „Tragik“, mit welchem Kitsch-Wort doch eigentlich etwas sehr Trauriges gesagt wäre.1 Wenn ich den schönen, gläubigen Brief von Alvaro d’Ors an P.[ater] Welty lese (vom Mai 50), tut es mir fast leid um diese Art ehrlichen Interesses an einem Deutschland, das in Wirklichkeit Herrn Hausenstein als ersten Nachkriegsrepräsentanten nach Paris schickt und einen taktlosen Schauerkerl wie Erich Kaufmann zum völkerrechtlichen spiritus-rector erhebt. An Tüngel (Pfingstsonntag): Sie sagen in Ihrem Aufsatz „Das neue Biedermeier“ (25. 5. 50), das Problem, wie sich die Demokratie gegen ihre eigenen Prinzipien schützen kann, sei „bisher noch nicht durchdacht worden“. Der Exaktheit halber darf ich mitteilen, daß eben dieses Problem in einer 1932 (bei Duncker & Humblot) erschienenen größeren Abhandlung unter dem Titel „Legalität und Legitimität“ gründlich durchdacht worden ist. Es ist nicht meine Schuld, daß damals, 1932, gerade Demokraten sich dieser Schrift und ihren Warnungen aufs heftigste widersetzten. Damals freilich haben sich auch die maßgebenden Staatsrechtslehrer dieser Schrift unter Warnungen heftigst widersetzt. Einige Stellen, z. B. auf S. 33 oder auf S. 96 würden Ihnen wahrscheinlich auch in der Formulierung Freude machen. Wenn ich heute als demontierter alter Mann Ihnen gegenüber diese Schrift nochmals erwähne, so gerate ich etwas in die Lage, in der nach einer alten Erzählung die Sybille gegenüber jenem römischen König stand. Das dürfen Sie aber nicht mißdeuten. Ich kann mir nicht denken, daß Sie es einem alten Experten der Verf.-Lehre verargen, wenn er unter dem großen Eindruck Ihres Aufsatzes in eine 40jährige Berufsgewohnheit zurückfällt und den Versuch macht, angesichts der Erörterung eines sehr schwierigen Problems auf eine echte Quelle aufmerksam zu machen. Ihr sehr ergebener C. S. 29. 5. 50 Wenn der Feind zum Richter wird, dann wird der Richter zum Feind. Die deutsche Sprache hat kein eigenes Wort für Person und keins für Rechtssubjekt und keins für Familie; sie kann nur Ich sagen, das Ich. Überlege einmal, wie schwer es ist, in einer solchen Sprache juristisch zu denken. Die deutsche Sprache hat auch kein eigenes Wort für Familie; sie kennt nur die Sippe. Subjekt = Träger? 2 Die Kriminalisierung des Aggressor ist die Legitimierung des Status quo. Wie ungeheuerlich dumm müssen die Anti-Aggressoren sein, daß die Revolutionäre es sich leisten können, diese Kriminalisierung mitzumachen.3 Wer wen sieht, d. h. heutzutage: wer wen vor die Linse bekommt, das ist doch wohl reine Situationsfrage. Wer wen sieht, bestimme ich. 31. 5. 50 Marx (und Lukács) sprechen von der Verdinglichung; sie meinen die Verwandlung von Mensch und Ding in Ware. Für das Ding ist diese Verwandlung gerade eine Entdinglichung. 1 2 3

Stenogr. am Rand: „an Günther Krauß, 28. 5. 50“. Am Rand: „vgl. 12. 6. 50“. Am Rand: „vgl. Shotwell, 1. 9. 47“.

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Aber Marx hat Sinn für das Ding. Er sagt (in der Kritik an Max Stirner): „Das Privateigentum entfremdet nicht nur die Individualität der Menschen, sondern auch die der Dinge. Der Grund und Boden hat nichts mit der Grundrente, die Maschine nichts mit dem Profit zu tun.“1 Richtig. Sie haben auch nichts mit Macht zu tun. Aber wenn sie nun in das Netz der sozialen Verhältnisse geraten? Bewohnter Grund und Boden ist unmittelbarer Machtmittel als eine Atombombe. Oder Kapital, I. Kap. Anm. 33: Die Geschichte des Grundeigentums bildet die Geheimgeschichte der römischen Republik. Wieso Geheim? 3. 6. 50 Im übrigen ist die Frage, wer legitimiert ist, mich aus dem Reich des deutschen Geistes zu verbannen, durch diesen Artikel (von Dr. Lewald in der NJW) in erfreulicher Weise geklärt.2 Abgesehen von diesem positiven Resultat ist der Artikel nur noch ein kulturgeschichtliches Dokument, das in dieselbe Kategorie gehört wie die Jurisprudenz zur Hexenverfolgung, und das mich veranlaßt hat, mit großem Gewinn wieder einmal in der Cautio Criminalis des Grafen Spee von 1631 zu lesen. Wer von mir, dem Autor der Politischen Theologie, in einer juristischen Zeitschrift behauptet, ich hätte den „Antichrist vergöttert“, hat sich selbst in jene kulturgeschichtliche Kategorie eingestuft. Ich habe niemals jemand oder etwas vergöttert, höchstens, eine Zeitlang, meine Frau Duschka und die hatte es verdient!3 7. 6. 50 Paradigmata im Weltformat. Groß-Fälle der Ethik? Jünger Heliopolis, In der Kriegsschule. Das Brett des Karneades. Der Selbstmord der französischen Flotte in Toulon, November 1942. Mortisque peribunt Argumenta tuae

(oben, 9. 1. 50)

Unter dem 28 novembre 1942 beschäftigt sich André Gide in seinem Journal mit der Selbstversenkung der französischen Flotte in Toulon. Klassisches Beispiel eines Selbstmordes angesichts einer innerlich unmöglichen, aber durch die Situation aufgezwungenen Option und Alternative. Weder Osten noch Westen, weder Deutschland noch England waren der französischen Flotte möglich. Ist das nicht die heutige Gesamtlage Deutschlands? Und müßten wir nicht Selbstmord begehen, wenn das Beispiel Toulon für uns maßgebend wäre? Gide sagt von dieser Entscheidung der französischen Offiziere (lieber ihre Schiffe zu versenken, als entweder den Engländern oder den Deutschen zu dienen): c’était mettre le point d’honneur plus haut que les intérêts même de la patrie … il y a là, malgré tout, une préférence de soi à la cause, qui laisse la conscience mal à l’aise (welch eine Kitsch-Phrase bei diesem anspruchsvollen Stilisten, der sonst die grands auteurs auf solche schwachen Stellen scharf zensiert!). On admire, sagt er, mais l’on ne saurait approuver. Dans l’impasse

1 2 3

Am Rand: „vgl. Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, S. 104“. Am Rand: „an Winckelmann, 2. 6. 50“. Stenogr. am Rand: „ an Fleig, 31. 5.; an Winckelmann, 2. 6.“

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atroce, où ils s’étaient mis, ils n’avaient plus le choix qu’entre le suicide et la servitude. Aucune échappatoire possible; aucun moyen de s’en tirer: du moment que notre flotte n’avait pas aussitôt opté pour la dissidence, elle devenait inutile ou déshonorée. La soumission aux conditions de l’armistice équivalait à un sabordage à retardement. Aux côtés des Anglais, cette flotte eut peut rendre de très grands services (d. h. sie hätten auf der Seite des Siegers gestanden; schäme dich solcher ex-post-Moral, du alter Mann!): elle ne sert plus que comme un exemple des méfaits de l’obéissance, dès que la conscience personnelle n’acquiesce plus aux ordres reçus. Jeder Satz dieser Argumentation müßte analysiert werden; das wäre wichtig genug, denn die Lage Deutschlands, ja Europas ist heute dieselbe; hier liegt das wahre moralische Problem, das der Alternative Ost-West zugrundeliegt. Was Gide sagt, ist rückwärtsgekehrte Prophezeiung, Standpunkt des Siegers; Verzicht auf die eigene französische Existenz. Der Selbstmord ist in solcher Situation die Rettung; freiwilliger Untergang statt den Siegern zu dienen, mit denen man sich nicht identifizieren kann. Gide argumentiert in der naivsten Weise als Historiker ohne Dialektik; perspektivisch-moralisch; auf den Schienen der Moral, mit dem guten Gewissen des Siegers. Wenn man bei André Gide liest: Hitler ist aus Versailles entstanden, so fragt man sich: Was wird dann aus Jalta und Potsdam entstehen? Versailles verhält [sich] zu Jalta und Potsdam wie Wilhelm II. zu Hitler! 8. 6. 50 Das argumentum Schleiermacher-Hegels ad canem sagt (und soll ein Argument sein): Ich würde meinen Hund nicht so behandeln, wie ich mich seit Jahren von Gott behandelt fühle. Du bist eben kein Hund, möchtest aber einer sein.1 12. 6. 50 Wie nun, wenn einer sagt: Der Sozialismus hat theoretisch soviel und praktisch sowenig mit Arbeit zu tun wie die Christlichen Kirchen mit der Armut? Oder dem wahren Christentum? Gesetz der Verwertung asketischer Ideale oder geschichtsphilosophischer Theorien; Nutznießer des Kampfes gegen die Nutznießer. Die deutsche Sprache hat kein eigenes Wort für Person und auch keins für Rechtssubjekt.2 Sie kennt nur das Ich. Gut. Auch die rabiatesten Verdeutscher haben bisher kein deutsches Wort dafür gefunden. Die deutsche Sprache kennt nur das Ich. Aber siehe da: Schon naht die Technik mit einem unerwarteten ganz andern, und zwar sehr deutschen Wort: Träger! Das ist es: ein Rechtsträger, ein Amtsträger, der Eigentumsträger (das ist die Zerstörung des persönlichen Eigentums), Pflichtträger. –––––––––––– Jawohl, da beginnt die social sorcery, beim Anknipsen des elektrischen Lichts, da beginnt die Gottwerdung des Menschen, das fiat lux, das Millionen Priester hundert Millionenmal praktizieren; und da wundern sich über den Adolf.

1 2

Am Rand: „siehe 10. 10. 49“. Am Rand: „vgl. 29. 5. 50“.

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15. 6. 50 Im Paradiese sind die Menschen nackt. Warum? Weil sie da keinen Feind haben. Die NacktPhotographie eines feindlichen Führers ist heute eine Waffe, genauer (da es seit der Aufhebung der Unterscheidung von Feind und Verbrecher Waffen nicht mehr gibt) ein Vernichtungsmittel zur Bereinigung des Schädlings, des letzten Hindernisses des Weltglückes. Mit Mühe und Umständen, von intellektueller Neugierde geplagt, habe ich mir das Buch von Ernst Bloch „Freiheit und Ordnung“ verschafft. Ich hatte mich seines „Geistes der Utopie“ erinnert. Welche Enttäuschung. Nicht einmal mit Huxleys „Brave new world“ von 1932 setzt er sich auseinander. Furchtbar die Verdummung dieser Emigranten, auf die immer noch ihre Kennzeichnung durch Madame de Staël von 1815 zutrifft: Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen. Die französischen Aristokraten von 1815 kamen immerhin in ihr Land zurück. Aber diese armen Juden!! Die nicht Zionisten sein wollen! 22. 6. 50 Schlimmer als die Kriminellen sind die Kriminalisierer!1 23. 6. 50 Bravo Sartre! So steht es im Journal des guten André Gide, Januar 1948. C’est l’antisémite qui crée le juif. Das findet Gide juste et important. Sieh dir darauf hin die Juden und die armseligen Antisemiten an. Aber dann kommt es. Les juifs sont les plus doux des hommes.2 Bravo Sartre, sagt Gide dazu. Sieh dir nur den süßen Henry Morgenthau an und den Erich Kaufmann. Reiner Zufall, daß wir noch leben. Aber wir wären tout doucement umgelegt worden. Bravo Sartre. Je me sens de tout cœur avec vous. Das sagt André Gide, Januar 1948. Immerhin, er fügt hinzu: Mais il y a tout de même une question juive, angoissante, obsédante, et qui n’est pas près d’être résolue. Nun, mein lieber André Gide, was hättest du im Fragebogen oder, von Herrn Ebenstein interrogiert, geantwortet, wenn er dich gefragt hätte: Wie stehen Sie zur Judenfrage? Alter André Gide, du hast niemals einem dieser süßen Interrogator[en] gegenüber gesessen. 5. 7. 50 Gott ist das ganz Andere? Das verkünden Theologen. Na ja, Theologen christlicher Kirchen. Staatsbeamtete Opfer des Faschismus, Überprivilegierte und potenzielle Nobelpreisträger. Gott das ganz Andere? Gott ist das ganz Identische; Gott ist Ich. Das Mißverhältnis des typischen Justizpraktikers zur Rechtswissenschaft ist viel größer als das des typischen Kassenarztes zur medizinischen Wissenschaft.3 23. 7. 50 Das juristische Monstrositäten-Kabinett: 1. [Das] Neueste K[ontroll]R[ats]G[esetz] Nr. 10 gilt nur für Hitler-Anhänger in der Nazizeit. „Das KRG 10 bietet also den ungewohnten Anblick einer Strafvorschrift, 1 2 3

Stenogr. am Rand: „an Winckelmann, 27. 7. 50; an Günther Krauss “. Am Rand: „cf. il est si doux, Pariser Tagebuch v. E. Jünger“. Stenogr. am Rand: „an Karl Lohmann, 21. 7. 50“.

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die noch nicht galt, als sie übertreten werden konnte, und die nicht mehr übertreten werden kann, seitdem sie gilt“ (Paul Bockelmann, Z.[eitschrift für die] ges.[amte] Strar[echts]w.[issenschaft] LXIII (1950) Heft 1, S. 14). 2. Entn.[azifizierungs]ges.[etz] Unbegrenzte Revisibilität; die reformatio in peius in Permanenz erklärt. 26. 7. 50 Es war ein Postminister, der 1792 die Flucht des Königs von Frankreich verhinderte und den weiteren Verlauf der europäischen Geschichte bestimmte. Was folgt daraus? Daraus folgt, daß die Könige sich mit den Postministern gut stellen müssen, um die Monarchie zu retten; oder auch mit ihren Chauffeuren und Technikern. Problem von Herr und Knecht, gemäß Hegels Phänomenologie (notiert am Tage der Rückkehr König Leopolds nach Belgien). 27. 7. 50 Werde Ent-Entisierer! Ent-Anti-tisierer! Das große Ent-Antitisierungs-Programm! Mit unbegrenzten Vollmachten. 1. 8. 50 Wie stolz schrieb ich damals: Willkommen gut und bös! Und siehe da, es kam bös! Wirklich bös. Da sagte ich nicht mehr willkommen! Da sagte ich: Verdammte Schweinebande. 8. 8. 50 Homo homini Radbruch. We don’t kill them, we drive them to suicide. Das ist die Formel für den Ritualmord des streng humanitären Ritus. Man tötet nicht; man treibt den anderen zum Selbstmord, tout doucement. 11. 8. 50 Wie lange hält er wohl noch stand, der gekreuzigte Jude? Ich habe mich auf seine Seite gestellt und bin dafür geschändet worden von seinen angeblichen Priestern und Gläubigen. Keiner schützt mich. Aber das ist nur folgerichtig.1 Wie lange hält er dem noch stand? Ich halte stand, er aber nicht; er denkt nicht daran, standzuhalten, er genießt die Trümpfe des Anti-Faschismus! Laß ihn genießen. Ohne mich. Immer wieder bin ich dem Betrug erlegen; immer wieder bin ich ihm entgangen. Empfehlenswertes Dissertationsthema für strebsame junge deutsche Studenten und Studentinnen der westdeutschen Bundesrepublik des Jahres 1950: Carlo Schmid et les beaux arts. 16. 8. 50 De Maistre meinte, es könnte einem anständigen Menschen nichts Schlimmeres widerfahren, als daß er in die Lage käme, über den Mörder seines Sohnes zu Gericht zu sitzen. Sehr schön, sehr delikat, aber eines heutigen Humanitärs unwürdig. Die heutigen drängen

1

Stenogr Notiz am Rand nicht klar lesbar.

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sich dahin, zu Gericht zu sitzen; die Opfer stürzen sich als Ankläger, Richter und vor allem als Vollstrecker auf ihre Opfer als Habebald und Eilebeute. Es lohnt sich, Opfer zu sein. Nichts macht sich besser bezahlt.

Zeitungsausschnitt v. 3. 8. 50 eingeklebt mit Karikatur zum Koreakrieg, darunter notiert: „Erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst.“

29. 8. 50 Ernst Jünger und Monsieur Quine: Dieser hat etwas vom Entomologiste (p. 242 des Romans von Bernanos); seine Liebe zu den Menschen ist die Liebe des Käfersammlers zu seinen Käfern, prise infaillible qui n’offense pas le patient, le laisse intact et pourtant à notre entière merci etc.1 Aber Ernst Jünger fehlt die curiosité dévorante des Mr. Quine. Dafür hat er das zweite Gesicht. Mein Nomos der Erde kommt im rechten geschichtlichen Augenblick. Die Zeit kommt (sagte Nietzsche 1881/2), wo der Kampf um die Erdherrschaft geführt wird; er wird im Namen philosophischer Grundlehren geführt werden (XII, 441); d. h. ein ideologischer Kampf um die Einheit. Der Kellog-Pakt schafft freie Bahn; der Krieg als Mittel der rationalen Politik ist geächtet, condemniert; der Krieg als Mittel der globalen Erdherrschaft ist der gerechte Krieg. Die Welt wird zum Gegenstand, sagt Martin Heidegger. Heidegger Holzwege S. 205 (Über Nihilismus): Die Oberflächlichen und Geistreichen bleiben gedankenlos solange sie es unterlassen – was unterlassen? Wir sind ja alle so gespannt. Also: Solange sie es unterlassen (höre genau zu:) „an die Ortschaft des Wesens des ––––––––– Menschen zu denken und sie in der Wahrheit des Seins zu erfahren.“ Die Ortschaft. Er

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Am Rand: „vgl. 4. 10. 50“.

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hütet sich, einen Ort zu nennen. Er sagt nicht Rom und sagt nicht Moskau, er sagt nicht Genf und sagt nicht Prag, sagt auch nicht Lake Success. Ich aber spreche wie ein Kind die Namen aus und werde dadurch zum prädestinierten Schlachtopfer des Ritualmordes, wie Kafkas Angeklagter im Prozeß. Ich lebe nur noch davon, daß die Lemuren, die mich verfolgen, keiner Riten und deshalb auch keines Ritualmordes mehr fähig sind. Das ist meine Rettung. 1. 9. 50 In jede Erörterung der Phonetik des Wortes „Raum“ gehört der (auch im Rahmen Nietzschescher Sätze) phonetisch erstaunliche Satz Nietzsches: Mit festen Schultern steht der Raum gestemmt gegen das Nichts. Wo Raum ist, da ist Sein (Kröner, Bd. 7 II, S. 58, Nr. 128).1 Vorher: Blicke in die Welt, als ob die Zeit weg sei: und dir wird alles Krumme ––––––––––– gerade werden (Nr. 127). Ob Heidegger das einmal zitiert hat? 13. 9. 50 Sollte jedes Gesetz ex post sein? Eigentlich selbstverständlich. Quid igitur lex? Propter transgressiones posita est. Tí ou®n o™ nómov; tøn parabásewn cárin prosetéjh. Pros-etethe, –––– –– d. h. ex post? Es gibt Übersetzungen (z. B. im Schott), die im Deutschen sagen: nachträglich aufgestellt. Gal 3,19. 30. 9. 50 Zwischen Theologie und Technik – das ist doch genau der Ort der Metaphysik.2 Das liegt doch schon im Drei-Stadien-Gesetz von Auguste Comte. Die Rechtswissenschaft, von der ich am Schluß der „Lage der Europ.[äischen] R.[echtswissenschaft]“ spreche, ist natürlich nicht Herr Erich Kaufmann oder die Fachgruppe R.[echt] der Notgemeinschaft [der] Deutschen Wissenschaft. Meine Rechtswissenschaft ist im Exil. Ich gebe Schelsky recht: nur Institutionen können sie tragen.3 Doch gibt es gewisse Traditionskompagnien. Rome n’est plus dans Rome, elle est toute ou je suis. Vielleicht entweicht gegenüber Ex Captivitate [Salus] jeder durch seine Spezial-Tür und läßt mich auf kalte Weise totschweigen. Aber Sie werden verstehen, daß ein solcher Notschrei, ein solcher letzter (oder erster?) Appell an das „Gehör“ trotzdem notwendig war; sonst hätte sich der deutsche Geist mit seiner Schändung einverstanden erklärt. Das Ärgernis muß kommen; wahrscheinlich kommt es am giftigsten vom deutschen Schweigen. Wie soll man das tiefenpsychologisch erklären?4 S. Freud, Bd. XVI der Ges.[ammelten] Werke, über Moses und die Gründung der mosaischen Religion; ein soziologischer Film voll atemloser Spannung; schwer zu sagen, was soziologisch spannender ist: dieser Moses, diese Jahwe-Religion, diese Mythik des Vaterfraßes, diese Deutung des Christentums oder dieser Autor selbst. Am Rand: „vgl. 6. 7. 51, 20. 7. 51“. Am Rand: „vgl. 4. 10. 50“. 3 Stenogr. am Rand: „an Schelsky, 30. 9. 50; vgl. 23. 5. 50 denn ich gehe nicht in die Öffentlichkeit.“ 4 Stenogr. am Rand: „Der deutsche Schutz: 29. 11. 64 wieder gelesen! Glanzvoller Engel du! Wenn ich den “. 1 2

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Herrlich, was Schelsky über die totale Schule sagt. Hoffentlich sieht [die] Anti-Strophe: Töte mit C. S. 4. 10. 50 Zwischen Theologie und Technik, das bedeutet zwischen zwei totalitären Bereichen.1 Die Theologie ist notwendig totalitär von der Substanz, vom Resultat. Die Technik ist totalitär von der Methode, Funktion her. Das Ergebnis ist immer Totalität.2 Dazwischen steht die Rechtswissenschaft des occidentalen Rationalismus; sie ist nicht totalitär, sondern ad alterum; ihre Institution ist der Staat, der öffentliches und privates Recht unterscheidet; sie wahrt das Recht, das Recht ist ad alterum. Audiatur et altera pars. Das kennt weder die Theologie noch die Technik. Für die Theologen ist altera pars der Feind, der , für ist er nicht vorhanden. Verblüffend Jürgen Rausch (Merkur, Okt. 1950) über Ernst Jüngers innere Spannung, und seine distanzierende Optik, die das, was sie sieht, nicht erkennt, d. h. anerkennt, sondern trifft. Das ist es. Jünger ist Entomologe oder nicht einmal: er ist Käfersammler. Er sammelt Käfer und letzte Worte: Insekten und Sterbende. 22. 10. 50 Sollen wir nun rufen: Kriminalisiert die Kriminalisierer? Das sei ferne. Auch die entsetzlichsten Rechthaber sind noch Menschen. Selbst die drei gerechten Kammacher sind schließlich doch noch unsere Brüder. So wollen wir sie leben lassen, und wenn wir sie alle töten, so würden wir alle ihre Stelle einnehmen. 10. 11. 50 Es ist schon ein Schritt zur besseren Einsicht, we[nn] der Kaspar Hauser-Mythos durch A. Mitscherlich (Der Monat, Heft 25, Okt. 50) als der Komplex moderner Verlassenheit dem Ödipus-Komplex entgegengestellt wird. „Ich möchte sagen: Der Mensch unserer Zeit erleidet in hohem Maße ein Lebensschickal, das mit dem Kaspar Hausers sich deckt.“ Keine Fürsorge oder Hygiene kann uns darüber täuschen, „daß der Komplex des modernen Massenmenschen ein Komplex im Stile Kaspar Hausers ist.“ So habe ich es in der Zelle empfunden, und Nürnberg war für mich nicht die Stadt Dürers oder Hans Sachsens, nicht die Stadt der Meistersinger, an die Parteitage gar nicht zu denken, sondern die Stadt, in der Kaspar Hauser erschienen ist. An diesen Mythos haben die Mythen- und Anti-MythenFabrikanten des 20. Jahrhunderts nicht gedacht. Ich aber habe ihn in der Zelle entdeckt und in vielen Briefen mitgeteilt. Aber wie verdächtig: Auch Schopenhauer kam sich als Kaspar Hauser vor. Jedes unterdrückte Genie ist ein Kaspar Hauser. In den Parerga und Paralipomena (I, S. 162 bei Reclam, am Schluß der Bemerkungen über meine eigene Philosophie) spricht Sch.[openhauer] von sich und seiner Philosophie, die von dem offiziellen Staatsphilosoph Hegel beiseite gedrängt war. „Demgemäß nun also wurde ich die eiserne Maske, oder, wie der edle Dorguth sagt, der Kaspar Hauser der Philosophieprofessoren: abgesperrt von Luft und

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Am Rand: „vgl. 30. 9. 50“. Stenogr. am Rand: „Totaler Substanzialismus und totaler Funktionalismus“.

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Licht, damit mich keiner sähe und meine angeborenen Ansprüche nicht zur Geltung gelangen könnten.“ Dazu die Anmerkung: „Jetzt aber ist der von den Philosophieprofessoren todtgeschwiegene Mann wieder auferstanden, zur großen Bestürzung“ etc. Das Kaspar-Hauser-Gedicht von Verlaine (von St. George und R. Dehmel übersetzt). In Wahrheit ist Jesus Christus, der gemordete Menschensohn, der von den Arbeitern getötete Erbe, der wahre Kaspar Hauser. Fortsetzung 28. 2. 51 (S. 84) unten. Die Juden kann man nur ignorieren; das aber (den Juden nicht ignorieren, geht unter sein Niveau als Christ).1 Die Kleriker haben uns den Wein entzogen. Der Wein, das ist die Unterscheidung der Geister, die sie sich selber vorbehalten. Aber heute sehen wir, daß sie gar nicht imstande sind, die Geister zu unterscheiden. Heute laufen sie dem Amerikanismus nach. 27. 2. 51 Traumworte und -sätze: Der Tod ist der Nichtsnutz unserer Erfahrungen. Er macht sie nichts nutz. Er ist aber auch selber nichts nutz. Denn er ist keine verwertbare Erfahrung. Oder: Evangelischer Sicherheitsdienst. Analysieren Sie das einmal phonetisch! 28. 2. 51 Oft befällt mich eine Lähmung, die mich am Schreiben hindert.2 Die Lähmung erklärt sich aus plötzlichen Einsichten in meine wahre Situation, der gegenüber Trost ein absurdes Wort ist. Achselzuckend, schnell beiseite schauend, vielleicht sogar ein beleidigendes Almosen anbietend, sehen die Menschen einem Ritualmord zu. Für Kafkas Roman „Der Prozeß“ zeigen sie viel literarisches Interesse, an den unerhörten Prozessen und Prozeduren der heutigen Wirklichkeit gehen sie lieber vorbei. Der Mord an Christus war ein Ritualmord. Im Mittelpunkt des christlichen Glaubens steht der Glaube daran, daß unser Äon durch einen Ritualmord eröffnet ist. Trost ist ein absurdes Wort, bis der Tröster kommt. Der Kaspar Hauser-Mythos ist der Mythos eines Ritualmordes. Der Sohn wird rituell geschlachtet (wie Isaak); der Vater wird einfach erschlagen. Darin liegt der wesentliche Unterschied von Ödipus-Mythos und Kaspar Hauser-Mythos. Anfang des Christentums: Ap.[ostel]gesch.[ichte] Kap. 7 (Stephanus): Ihr habt den Erben ermordet. 1. 3. 51 Arbeiter ist, wer das Recht auf einen von der zuständigen Organisation zuzuweisenden Arbeitsplatz hat; Arbeit und Arbeitsrecht, das ist es. Das neue Recht der Massen-Diskriminierung. Jeder sollte sich schämen, der vom Arbeiter geschwärmt hat und 1945 erkennen mußte, um was es sich in Wirklichkeit handelt. Wer heute arbeitslos ist, ist der Arbeit näher als dieser gesetzlich privilegierte Arbeitsplatzinhaber mit seinem Arbeitsschutz und Arbeitsrecht. Darüber hätte Jünger ein Buch schreiben sollen, statt über Lucius und seine hochgebildete Parsin. Vieles kann man mir nachsagen. Man kann mich als Kronjuristen beschimpfen. Aber

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Stenogr notiert. Am Rand: „an Frau Jünger, Fortsetzung vom 10. 11. 50“.

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auf den Mythos von der Arbeit bin ich nicht hereingefallen. Ein Buch „Der Arbeiter“ habe ich nicht geschrieben und einen renten- und versorgungssüchtigen Angestellten für einen „imperialen Typ“ zu halten, das habe ich auch nicht gemacht. 4. 3. 51 Also was bleibt? Es bleibt: Freund und Feind. Es bleibt ihre Unterscheidung. Distinguo ergo sum. 6. 3. 51 Entzückend die Widerlegung des „Bedürfnisses“ als Trieb der Macht, bei Aristoteles, l II, c. V (S. 33 Stahr) „Man wird nicht Tyrann, damit man nicht friere, turannoûsin ou¬c iÇna mæ r™igøsin.“ Hobbes: Wenn ich keine Macht habe, werde ich verschlungen. Aber es gibt doch schon die Sage: Sie hungern, wenn sie nicht die Macht haben. 7. 4. 51 Die Leviathan-300-Jahr-Feier in Frankfurt, mit Alfred Andersch, Nicolaus Sombart, Anima, Hannes und Freda Winckelmann, Hausenstein. Andersch betonte und beteuerte seine Überzeugung von der Willensfreiheit des Menschen. Ich sagte ihm: Sie geraten in die Schablonen und Sackgassen der Schulphilosophie, wenn Sie von Willensfreiheit sprechen. Sie meinen etwas ganz anderes als Determinismus oder Indeterminismus. Sie meinen etwas, was jeder anständige Mensch tut, was Sie und ich immer getan haben, als wir uns verliebten, als wir uns politisch begeisterten, als wir uns ins Zeug warfen. Das war in Wahrheit nicht Willensfreiheit; es war blindes Vorgebot. Das ist das Wort und damit auch die Sache und die Situation: das blinde Vorgebot. 22. 4. 51 Wichtiger noch als die Fragebogen-Fragen sind die großen Kern-Fragen, vor die man (d. h. Roosevelt und Stalin als eine koalierte Einheit!!) den Deutschen 1945 gestellt hat.1 Beantworten Sie also z. B. die Frage: Halten Sie Thomas oder Heinrich Mann für den größten deutschen Dichter? Halten Sie Heinrich Heine oder Zuckmayer für den echten Wortführer Ihrer Generation? Halten Sie Robert Kempner oder Erich Kaufmann für die wahren Repräsentanten deutschen Rechtsempfindens? Auf alle solche Fragen antworte ich mit einem entschiedenen: Ohne mich! 14. 6. 51 Die monarchisch-dynastische Legitimität endet in familienrechtlichen Streitigkeiten, Erbfolgekriegen und Stammbaumschikanen. Die demokratische L.[egitimität] endet in den Gemeinheiten wahlgesetzlicher Kunstgriffe und in der Streitigkeit einer Verhältniswahl, Wahlkreiseinteilung und Berechnung der okkulten Größe „Mehrheit“. Was ist schlimmer? Offenbar das letzte.

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Stenogr. am Rand: „ Anti-Hitler (10. 12. 60!)“.

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15. 6. 51 Was ist denn heute die Bevölkerung einer modernen Großstadt? Haec omnis, quam cernis, inops inhumataque turba est. Aen.[eis], VI. 325. Wirklich, inops inhumataque turba. Sie werden nicht mehr begraben; ihre Leichen werden verbrannt; eine Zeitlang glaubten sie, daß sie sich freiwillig verbrennen „lassen“. Das war das schnell vorübergehende Zwischenstadium einer liberalen Illusion. Inops inhumataque turba; das ist eine Definition der Masse. Die Vermassung beginnt mit der Abschaffung der Beerdigung. Sacramentum Regis: meine drei Feinde. Etenim sacramentum regis abscondere bonum est. Tob 12,7. 16. 6. 51 Schon wollte ich mich ärgern, weil ich von der großen akademischen Ehrung las, die von der Universität Maryland (!) Cloy und Heuss und Friesenhahn pari passu zuteil geworden ist. Da fiel mir Hobbes, De Cive, cap. X, p. 177 der Ausgabe von 1648 in die Hände: Sententiam eius quem contemnimus nostrae praelatam videre; sapientiam nostram in conspectu nostro negligi; incerto certamine inanis gloriae, certissimas suscipere inimicitias; (hoc enim declinari non potest, sive vicerimus, sive vincamur;) odisse et odio esse ob dissimilitudinem opinionum; concilia et vota nostra ubi non est opus, sine fructu omnibus patefacere; rem domesticam negligere – das sind Übel; nicht aber: vom Mitreden ausgeschlossen zu sein. O Weisheit, du redest wie der alte Hobbes! Du setzest den Katalog des HamletMonologs fort (Die Schmach, …). 22. 6. 51 Du brauchst ja nur die Ohren aufzutun, brauchst nur zu hören. Ich höre z. B. das Wort „Staatsroman“ für Utopie. Robert Mohl hat es gefunden.1 Wie aufschlußreich! Die Staatsräson ist nur die eine Seite des Staates. Der Staatsroman ist die andere. Der Staat wird das Reich des reinen Romans. Die geschriebenen Verfassungen von heute sind solche Staatsromane. Sie beginnen mit dem Satz: Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Schöner Anfang eines Romans. Lassen wir ihn lieber ungeschrieben. Er bekäme sowieso nicht den Nobelpreis. 24. 6. 51 Erinnere mich der schönen Gespräche mit Tierno und Truyol über den toten Punkt, der in jeder gegenseitigen Beziehung eintreten muß, ohne das blinde Vorgebot und die blinde Vorleistung. Der tote Punkt wird nach Hobbes (De Cive, cap. II, § 18) sola fide überwunden. Da haben wir die sola fides in der Rechtslehre! Ich behaupte, sie wird nur durch das blinde Vorgebot überwunden; das ist die menschliche Freiheit. „Ubi vero creditur“ wächst der contractus aus pactum. II § 9. Kredit ist das Wesen des pactum. Infolgedessen ist

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Am Rand: „vgl. 10. 3. 48“.

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die Grundlage des Staatsrechts die Kredit-Situation, d. h. der Friede; der Satz pacta sunt servanda ist erst der zweite Satz des Rechts und keine Grundlage. Grundlage ist der Friede, –––––– d. h. eine Situation. Recht durch Frieden ist sinnvoll und anständig; Friede durch Recht ist imperialistischer Herrschaftsanspruch. 2. 7. 51 Zwischen Euch und uns liegen auf beiden Seiten zu viele entweihte Leichname, zu viele geschändete Leichen. Die Verbrennung der Nürnberger Gehenkten hat diesen Zustand noch verschlimmert. Jetzt kann man sie nicht einmal mehr nachträglich begraben. 4. 7. 51 Der Reim ist für den Vers, was die Farbe für die Malerei ist; das sagt Ernest Hello. Der Mensch sieht nicht das Licht, sondern die Farbe.1 Mißverhältnis der deutschen Klassiker zur Farbe und zur Malerei. Heute erleben wir die Farbe als Element, die entfesselte Farbe, deren Raumkraft stärker ist als die Raumillusion jeder Linear-Perspektive. Wir erleben Paul Klee als eine neue Welt. Gut. Wenn dem nun so ist, dann werden wir auch den Reim als eigenes Element verstehen. Den entfesselten Reim, dessen erster Ausbruch im ersten Weltkrieg erfolgte, jawohl, erfolgte, August Stramm. 6. 7. 51 Zwei Bemerkungen zu dem Wort Raum: 1. Der herrliche Nietzsche-Satz: Mit festen Schultern steht der Raum gegen das Nichts. Wo Raum ist, ist Sein.2 Daher also der Haß gegen das Wort Raum, der sich bei Leuten wie Hausenstein und Max Picard äußert. 2. Raum ist dasselbe Wort wie Rom. Daher also der Haß gegen das Wort Raum, dieser Haß ist nur ein umgelagerter, unanalysierter antirömischer Affekt. 13. 7. 51 Die Neigung zum Betrogenwerden muß wohl sehr tief in mir stecken, als Erbteil proletarisch-christlichen Wesens oder irgendeiner sonstigen Herkunft. Jedenfalls waren meine ersten Lebenserfahrungen Betrugserlebnisse, und meine letzten sind es anscheinend auch. Zu meiner letzten Betrugserfahrung gehört, daß ich als 60jähriger Mann auf einen Caliban hereingefallen bin, weil er Parmenides zitieren konnte. Als ob Caliban, der seinen Herrn so oft wechselt, nicht auch sein Vokabularium wechseln könnte. Die Calibans können heute lesen und schreiben; das ist sehr wichtig. Sie können sich der Philosophen und der Dichter bemächtigen, als wäre die Geistesgeschichte ein Bordell und die Literaturgeschichte eine Kaschemme. Da treten sie mit dem Schlagring auf und imponieren den dazugehörigen Damen.

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Am Rand: „vgl. 20. 12. 49“. Am Rand: „vgl. 1. 9. 50“.

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14. 7. 51 Gottfried Benn ist ein Selbst-Tätowierer (wie übrigens viele intellektuelle Deutsche protestantischer Herkunft). Er tätowiert nihilistische Schauerlichkeiten auf seine brave, pietistische Haut. So macht er sich unkenntlich. Das gibt dann die Wirkung, verbunden mit der Methode chaotischer Aufzählung hochmoderner, historischer, medizinischer, naturwissenschaftlicher und asphodelisch-pyramidonisch-hochmondäner Wortkleckse; gibt oft auch gute, verblüffend gute Reime.1 Aber der pietistische Kern der Sache wird durch seine Blankverse entlarvt. Im Untergrund der fünffüßigen Jamben von Gottfried Benn lauert immer der Rhythmus: Stell auf den Tisch die duftenden Reseden. Natürlich werden die Reseden zu Orchideen, und der Tisch mondänisiert sich auch à la Berlin Ku-damm. Und doch schimmert stets der Gottlieb durch. Ich sage also: Ein bis zur Unkenntlichkeit tätowierter Pietist. Komm in die Bar mit grüner Orchidee, Den ganzen Friedrich Nietzsche bring herbei, Und tritt den Bürger feste auf die Zehe, Wie einst Franz Blei. 19. 7. 51 Don Carlos von Friedrich Schiller, Genialität eines schwäbischen Provinzlers, der keine Sekunde seines Lebens Macht hatte und daher die Macht für böse erklärt, solange er (und seinesgleichen) sie noch nicht besaß.2 Der so tut, als hoffe er, die Inhaber der Macht durch idealistische Redensarten zu bewegen, ihm (und seinesgleichen) die Macht zu übergeben, weil er doch so unglaublich gut und menschlich ist.3 Der aber dann doch wieder genial genug ist, um zu sehen, daß es sich um den Zugang zum König handelt. In diesem ganzen Drama Don Carlos (der arme Don Carlos selbst ist nur ein in das Spiel eingesetzter unreifer Jüngling) handelt es sich nur um den Kampf der Berater und Vorzimmer des Königs. Zwischen dem Beichtvater und Alba auf der einen Seite, dem Marquis Posa auf der anderen, spielt sich der Kampf ab. Moment der Peripetie: Der Marquis wird fortan unangemeldet vorgelassen. Da sagt Domingo: Unsere Zeit ist zu Ende.4 Jetzt erst erkenne ich die Größe Loerkes (dank dem Wilhelm Lehmanns, ihn bei der Schönheitskonkurrenz zu ): Wenn du Antwort gäbest, wäre es Trug.5 20. 7. 51 Termiten mit Raum-Neurose, sagt sachverständig Gottfried Benn. Er scheint das für vernichtend zu halten. Die Sache liegt aber anders. Solange die Termiten nämlich noch Raum-

Auf der Seite daneben: „der myrmidonisch-pyramidonische Benn“. Am Rand: „vgl. 23. 7. 51“. 3 Am Rand: „Damit der Dichter (das ist er) mit dem König (das sind die Machthaber) gehe.“ 4 Am Rand etwas andere Formulierung: „Höhepunkt: der Marquis wird künftig unangemeldet vorgelassen. Daraufhin der Beichtvater: Unsere Zeit ist vorbei!!! Und Carlos: Das ist wirklich viel!“ 5 Stenogr. am Rand: „Daß es sich um Loerke handelt, sagte mir auch Julius Bab.“ 1 2

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Neurosen haben, solange haben sie auch noch das Gefühl und die Angst vor der Verwandlung in Termiten.1 Erst die Termiten ohne Raumneurose sind reine Termiten und Insekten –––– –– geworden. Und die Methoden der Neurosen-Therapie haben ja den Sinn, diese Termitisierung zu vollenden. Schiller, der geniale Verbrecher (oder Nihilist): Wenn ich nicht wirke mehr, bin ich vernichtet. Wie fürchterlich! Der herrschsüchtige Tyrann sagte nur: Wenn ich nicht Herrscher bin, bin ich hungrig. Er hatte nur Hunger und das ist noch menschlich. „In meines Nichts durchbohrendem Gefühle“ ist auch ein solcher verräterischer Satz. 23. 7. 51 Wie raffiniert, wie durchtrieben sind diese Idealisten à la Friedrich von Schiller! Man braucht sich nur den Don Carlos anzusehen, um das zu begreifen.2 Dieser idealistische Jüngling Don Carlos, der der Prinzessin Eboli das kompromittierende Billet des Königs an diese Prinzessin abluchst, dieser Marquis Posa, der so unverschämt intrigiert, konspiriert und die Rebellen unterstützt, das sind die Idealisten des deutschen Idealismus. Kein Wunder, daß ihre Tragik darin besteht, Täter werden zu müssen, in einer Welt, in der jede Tat ein Verrat an der Idee, jede Verwirklichung eine Verwirkung und jeder Täter ein Untäter ist. 5. 8. 51 Soll ich mit der Parabola 25 des Francis Bacon schließen? Die Parabel lautet: Fons turbatus pede & vena corrupta est iustus cadens coram impio. Ich bin in der Lage des iustus cadens coram impio. Ich bin die Quelle, in die ein Schuft hineingetreten hat. Die Explicatio, die Bacon zu dieser Parabel gibt, ist besonders aktuell; er sagt: Die Quelle ist vergiftet, wenn das Unrecht justizförmig geschieht. Postquam enim Tribunal (Nürnberg) cesserit in partes injustitiae, status rerum vertitur tanquam in latrocinium publicum: fitque plane ut homo homini sit lupus. Die Quelle ist zertreten, wenn einem Rechtslehrer von der Gesamtheit der andern Rechtslehrer seines Landes Unrecht geschieht. Es wäre fürchterlich, wenn die Verfolger des Normalen Deutschen es soweit trieben, daß wir schließlich etwas Analoges rufen, wie die in Georg Büchners „Dantons Tod“, als sie angesichts eines bestimmten Typus der Verfolger Vive le Roi schrieen. Ich habe in meinem Leben nichts anderes getan, als wohlüberlegte, wohldurchdachte, uneigennützige und wohlwollende Warnungen auszusprechen. Aber immer haben die Gewarnten das als lästige Störung empfunden und schließlich haben sie mich zur Strecke gebracht. 14. 8. 51 Mit jedem neugeborenen Kind wird eine neue Welt geboren. Um Gottes Willen, dann ist ja jedes neugeborene Kind ein Aggressor! Ist es auch, und darum haben die Herodesse recht und organisieren den Frieden. Und so schließt denn dieses Buch mit dem schönen Worte: Frieden!

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Am Rand: „vgl. 6. 7. 51, 1. 9. 50“. Am Rand: „vgl. 19. 7. 51“.

Buch IV 20. 8. 1951– 6. 10. 1955

20. 8. 51 R. G. Collingwood, An Autobiography 1939 (Oxford, U. P., auch: Penguin book A. 136, New York Harmondsworth 1944) gest.: 1943 (geb. etwa 1888) Vater: Freund und Anhänger Ruskins 1942: The New Leviathan, Oxf. Clar. Press. ––– –– 1940: Fascism and Nazism in Philosophy vol. 15. 1941: The three Laws of Politics, L. T. Hobhouse, Mem. Lect. n. 11, Oxford U. P. Question and Answer-Logik. Erfahrung lehrt mich sehr bald, daß man überhaupt nichts anderes herausfand als die Antwort auf eine Frage: alles (Philosophie ist Geschichte), alles historical inquiry; the conception of eternal problems disappeared entirely. Widerspruch zwischen zwei Aussagen nur dann, wenn sie eine Antwort auf dieselbe Frage sind!! Event wird durch process ersetzt. Geschichtswissenschaft ist Selbsterkenntnis der an der der Bekennende gegenwärtig beteiligt war (schon seit 1920). Prozess, Situation, Situationsgemäß! (Autobiography, S. 103). (Der Waldbewohner sieht den Tiger, der Tourist nur Gras und Bäume.) Gloves-off–––––––––– Mensch, der seinen Talar als Verkleidung empfindet. J. B. Bury hat 1916 ein Buch veröffentlicht: Cleopatra’s Nose. Ford: history is bunk. Bosanquet: History is the doubtful story of successive events. 20. 8. 51 Unser Nomos: das sind unsere bebauten Felder; unsere Fabriken und Betriebe, unsere Manager, Techniker und Arbeiter, unser Nomos: das ist die Schönheit unserer Frauen und Kinder; das ist unser Stück Erde; das ist der von uns erfüllte Raum! 24. 8. 51 Fand in einem Gedichtbuch folgende Verse mit dem Datum 14. Oktober 1944 angestrichen (also Berlin, aus der Zeit, da Jessen und Popitz zu[m] Tode verurteilt sind): Ich bin in die Feindschaft der Feinde gestellt… Was kann mir widerfahren, aus allen bösen Scharen, Da ich dich darf bewahren Du alter Flammensinn. Der Schluß ist schlecht. Schöner und besser wäre vielleicht: Da ich dich darf bewahren Du treues Licht der Welt.

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Zeitungsausschnitt aus FAZ vom 20. 8. 51 eingeklebt, Rezension von: B. Brecht, Versuche, durch Karl Korn, darüber: „Nur in der Freund-Feind-Situation hat der V.[erfremdungs]-Effekt einen Sinn. Er wahrt die Klarheit der Unterscheidung. Er verhindert die Verschmelzung. Der V-Effekt beruht auf dem Affekt der Freund-Feind-Unterscheidung. Verfremdung heißt in Wirklichkeit: Verfehmung!“

26. 8. 51 Und dann der Verlag Mohr in Tübingen! Das ist ja kein ehrlicher Mohr mehr. Es ist ein Mal-Mann, der sich als solcher schon verschiedene Male gleichgeschaltet hat und der mich infolgedessen heute – 1951 – auf die Straße setzt. Laß ihn nur sich gleichschalten. 29. 8. 51 Über die nicht begrabenen Leichen, über die entsetzliche Vergiftung der Atmosphäre durch Zerstreuung der Asche in die Luft. Die große Stelle bei Hegel von den Gemeinwesen (nicht: Staaten!), die sich feindlich aufmachen, gegen das Gemeinwesen, das die unbewußte Wurzel der Kraft, das göttliche Gesetz verletzt und die Leiche nicht begraben hat.1 Der nicht1

Am Rand: „Hegel, Phänomenologie S. 356“.

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begrabene Tote, dessen Recht gekränkt ist, findet Werkzeuge seiner Rache, welche von gleicher Wirklichkeit und Gewalt sind mit der Macht, die ihn verletzt hat. Durch das Begräbnis wird die Leiche an das flammatorische Individuum zurückgegeben und dadurch in die bewußtlose Allgemeinheit erhoben. Wenn der Leichnam über der Erde bleibt, so fressen ihn Hunde oder Vögel; oder die Asche zerstreut sich in der Luft und vergiftet die Luft, die wir atmen. Jetzt machen sich andere Gemeinwesen auf: Chinesen, Inder, Nicht-Europäer. Die Asche will nicht lassen ab, sie stäubt in allen Landen! Dazu kam die verweste Druckerschwärze abgestandener Ideologien. Auch sie stäubt in allen Landen. Hier im Sauerland atmen die Berge durch Kiemen; dafür ist dieses Land stumm; dazu sehen die Berge aus wie Schildkröten. Die Seele atmet durch Kiemen.

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Zeitungsausschnitt aus FAZ vom 28. 2. 1953 eingeklebt, darüber: „Fortsetzung 1953“.

Zeitungsausschnitt eingeklebt, daneben notiert: „Christ und Welt, 25. August 1951. Der Zugang zur Machtspitze“. Rechts: „Rührendes Beispiel für das Problem des Zugangs zur Macht-Spitze; Wie mag es da erst bei Stalin zugehen? Der Flaschenhals“. Darunter: „Fortsetzung FAZ 28. 2. 53: Problem des Zugangs zum Machthaber. (Das halten diese Freiheitshelden jahrelang aus!)“

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Zeitungsausschnitt mit Zitat von Werner Heisenberg eingeklebt. Darüber: „Was ist der ? Verbrecher oder Geisteskranker? Irgendwie hängt diese Festst[ellung] davon ab, was wir mit ihm tun?“

31. 8. 51 Le secret de l’église catholique, vgl.: 1. Villiers de l’Isle-Adam: c’est qu’il n’y a pas de purgatoire; 2. Ich: c’est qu’il n’y a pas de pouvoir indirecte. 3. 9. 51 Diogenes (der Gottessohn) wird von den siegreichen Eroberern der Stadt Korinth als Collaborateur und Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt, weil er während der Belagerung der Stadt, als alle eifrig an der Verteidigung arbeiteten, seine leere Tonne eifrig hin und her gerollt hat, um nicht müßig zu sein, wenn alle arbeiten. Herrliche Dialektik: Ein Dualismus ist doch nur deshalb möglich, weil die beiden Partner der Zweiheit sich im Grunde über etwas einig sind; deshalb müßte der Dualismus in die Einheit münden, wenn es auf der Erde wirklich nichts anderes gäbe als diese geistige Einheit, die in diesem Gegensatz den eisernen Vorhang braucht.1 Aber die zugrundeliegende Einheit erschöpft nicht die Einheit der Welt. Es wäre entsetzlich, es wäre ein Unheil, [ein] Schaudern, es wäre das Ende des Geistes, des Lebens und der Seele zugleich, wenn die zugrundeliegende Einheit dieser beiden Parteien zu einer wirklichen Einheit führte.

1

Am Rand: „geistige Einheit der ideologische Glaube einer und derselben Geschichtsphilosophie“.

252

6. 9. 51 E sind zwei in demselben ideologischen Element einander gegenüberstehende Gegensätze; das gemeinsame ideelle Element ist das Geheimnis dieser Zweiheit; sobald es erkannt ist, fällt die Zweiheit auseinander; der Gegensatz der Wirtschaftssysteme ist nur eine antithetische Entfaltung in der Anwendung des zugrundeliegenden gemeinsamen Gedankens, nämlich einer Geschichtsphilosophie. Daraus folgt, daß keiner dieser beiden Partner des heutigen Weltdualismus die Welt-Einheit herstellen wird. Für drei Dinge danke ich Gott: Erstens, daß ich ein Mensch bin und kein Tier. Zweitens, daß ich ein Mann bin und keine Frau.1 Drittens, daß ich preußischer Staatsrat bin und kein Nobelpreisträger.2 7. 9. 51 Die Unesco fragt mich: Warum ist der Begriff der Demokratie heute so vergiftet? Ich antworte: Ohne Geleitbrief und Sicherungen ich solche Fragen nicht. Fragen Sie lieber: Warum sind alle Begriffe heute so vergiftet: Friede, Menschheit? 1. Wie sollen denn die Worte die Identität ihres Sinnes bewahren; die Menschen, die sie gebrauchen, in deren Mund diese Worte leben? Wie sollen diese Worte die Identität ihres Sinnes behalten, wenn die Menschen in schauerlichen Massenprozeduren gezwungen werden, sich zu entidentifizieren?3 2. Dann vielleicht kommen Sie der Antwort näher: Weil die ganze Atmosphäre vergiftet ist. Aber wodurch? Weil zu viele Leichen geschändet, verbrannt worden sind und ihre Asche in die Luft geflogen ist; weil die Luft voll ist von der Asche geschändeter Leichen, denen man die ehrliche Beerdigung verweigert hat. Fortsetzung vgl. 29. 8. 51. 8. 9. 51 Im Hause des Henkers spricht man nicht vom Strick; aber umso mehr von Recht und Gerechtigkeit. Was steht uns noch alles bevor? Alles was wir mit frecher Dummheit selber verlangt und herausgefordert haben! Demnach steht uns z. B. noch bevor Erstens: der unbekannte Soldat des Zweiten Weltkrieges, ein Typ wie Herr Andersch. Zu Hannah Arendt: Es gibt nichts Verloreneres als den europäischen Juden außerhalb des Ghettos. In seiner Angst nennt er seinen Mangel an verecundia: Wissenschaftlichkeit. Armer, verlorener Emancipado. Wie reizend: Gedichte eines polnischen Juden, Mietau und Leipzig 1772, besprochen von Goethe (Hesse 30, S. 25): [„]Es ist recht löblich, ein polnischer Jude zu sein, der Handelschaft entsagen, sich den Musen weihen, Deutsch lernen, Liederchen ründen; wenn man aber in allem zusammen nicht mehr leistet, als ein christlicher Etudiant en belles lettres auch, so ist es, deucht uns, übel getan, mit seiner Judenschaft ein Aufsehen [zu] machen… und das alles so ohne Gefühl von weiblichem Wert …“ (sic). Goethe gehört vor die Spruchkammer; Verbrechen gegen die Menschlichkeit; 1 2 3

Gestrichen: „…ein Christ bin und kein Heide oder Jude“. Gestrichen: „oder etwas dergleichen“. Am Rand. „vgl. Moore“.

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Christliche Theologie (Bibel-Exegese und Moral): Christus, der Herr und Heiland, sagt: sorget Euch nicht um den kommenden Tag! Was heißt: Sorgen? Sorgen heißt Pläne machen. Sehr gut; aber was heißt: Tag? Tag heißt bekanntlich: 1000 Jahre sind ihm wie ein Tag. Was bedeutet also das Sorge-Verbot Christi? Es bedeutet: Macht keine Tausendjahres-Pläne; begnügt Euch mit Neunhundertneunzig-Jahresplänen! Das ist Bibel-Exegese. Verstehst du jetzt Bruno Bauer? Und Disraeli? Christentum ist Judentum fürs Volk. Die Emanzipation der Juden hat sich in der Weise vollzogen, daß die Christen Juden geworden sind.1 Und Kierkegaard? Ist ein großartiger Fall für sich. Dagegen die Kierkegaard-Professoren in Basel: Karl Barth und Jaspers oder wie sie heißen, verdienen nicht, Hegel – weder dem alten, noch gar dem jungen Hegel – die Schuhriemen zu lösen. Pietät, ein im Deutschen bis jetzt jungfräulich keusches Wort – sagt Goethe 1824 (Hesse 31, S. 37). Aber es bedurfte nur eines Fr. J. Stahl-Jolson, und schon – 1840 – war es nicht mehr jungfräulich. 9. 9. 51 In eine Geschichte des Verhältnisses der Theologen zu den Juristen gehört auch das verächtliche Wort, das die römischen Kardinäle für die Arbeit der Juristen gefunden haben: sbirreria. Gerade die juristische Tätigkeit der großen völkerrechtlichen Probleme (Krieg und Frieden, hohe Diplomatie) belegte sie mit diesem spanischen Wort. Darüber hat sich Baco de Verulam besonders geärgert (De laude, N. LI, der Sermones, 1644, p. 246); und aus seinen sonst so weisen Sätzen flammt hier plötzlich ein Schlaglicht abgründiger Feindschaft auf. 10. 9. 51 Otto Weininger behauptet, Schiller habe die Tragödie „vollkommen ruiniert“ (darüber müßte man einmal mit Weininger unter 4 Augen reden); er findet Schiller „gänzlich seicht und ametaphysisch“. Ametaphysisch wie jeder starke Verbrecher Moralist und dadurch ametaphysisch ist. 11. 9. 51 Der Besiegte schreibt die Geschichte; der Gescheiterte ist der Gescheitere. 12. 9. 51 Entwurf eines Projekts:2 Ich habe beschlossen, Sammler zu werden. Ich sammle zwei Arten von Objekten, beide von konkurrenzloser Orginalität, sodaß Rivalen nicht zu befürchten sind. Ich sammle 1. irreale Bedingungssätze bei Historikern; 2. aparte Reime bei Lyrikern.

Am Rand: „Thomas Mann sagt: Das Christentum die schönste Blüte des Judentums“. Darüber geschrieben: „Entwurf eines Aufrufs an alle Leser historischer und lyrischer Gedichte“. 1 2

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Beispiel zu 1. Wenn die Religionsgesetze der römischen Kaiser Konstantin und Theodosius nicht ergangen wären, würde die römisch-griechische Religion noch bis heute leben. (Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen, Kröner, S. 57). Beispiel zu 2. Blinder Bissen wölbt sich ohne Gröbe Doch, genährt mit nichts wie die Amöbe Ließ ich, auch wenn ich ihn näher höbe … usw.; es folgt auch ein Reim: verschöbe (jenen Abstand dauern wie vorhin; und das Einzige, das mich selbst verschöbe usw.) R. M. Rilke, Späte Gedichte 1934, Vasen-Bild. Ich bitte die geneigten1 Leser historischer Werke oder lyrischer Gedichte mir die Stücke, die ihnen bei ihrer Lektüre begegnen, mitzuteilen. Historiker und Lyriker der letzten 50 Jahre werden bevorzugt behandelt. 14. 9. 51 Ihre Humanität: Einfacher Syllogismus. Jeder Mensch ist mir ungemein sympathisch… Jeder! Ausnahmslos! Welche Humanität! Was folgt daraus? Denk einmal einen Augenblick nach. Streng dein Köpfchen an. Daraus folgt etwas ebenso Einfaches wie : Wer mir nicht ungemein sympathisch ist, der ist kein Mensch. Ob Unmensch oder Unter-Mensch ist eine zweite Frage. Das ist doch ein ganz perfekter, humanitärer Syllogismus: Jeder Mensch ist gut und edel: Carl Schmitt ist nicht gut und edel; also ist Carl Schmitt kein Mensch. Dieses, meine Herren, ist die Quintessenz des heutigen Humanismus; mehr nicht. Es handelt sich also um Diskriminierung und Kriminalisierung. 17. 9. 51 Also Eduard Spranger hat am 12. September in Bonn die Festrede zur Feier des Bonner Grundgesetzes gehalten. Das ist alles stilgerecht. Eduard Spranger ist der Theodor Heuß der Pädagogik, und Theodor Heuß der Eduard Spranger der Politik. Alles dieses findet sich, findet sich und kündet sich.2 Die herrlichen Sätze der Phänomenologie des Geistes: 1. Das Selbst ist sich nur als aufgehobenes wirklich. 2. Das Selbstbewußtsein ist Rückkehr aus dem Anderssein (S. ). 3. Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewußtsein (S. 138).3 Der Herrlichkeit dieser Philosophie des Selbst entspricht wahrscheinlich doch nur die Welt des Jus publicum Europaeum. Nur das souveräne, von andern Souveränen anerkannte und sie anerkennende Selbst des Staates entspricht in jedem Satz und jedem Wort dieser Phänomenologie des Geistes. Dieses Buch ist so existenziell wie irgendetwas

Am Rand: „wohlgesinnten“. Am Rand: „vgl. 1. 6. 55“. 3 Am Rand: „Der Sohn kehrt zum Vater zurück. Hegel der einzige lebendige Theologe der Trinität.“ 1 2

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von Kierkegaard; es hat weniger System wie Kierkegaards Werk, das doch trotz aller Proteste Kierkegaards gegen die Professoren, von einem besonders üblen Professoren-Typ von scheußlichen Schulmeistern und Pfaffen wie Jaspers und Barth unmittelbar verwertet werden konnte. Solche Typen hat Hegel nicht gezeugt. Nur hat Kierkegaard den isolierten Einzelnen zum souveränen Selbst gemacht, sodaß er den ganz andern, ganz fremden Gott brauchte und aus der Menschwerdung des Gottessohnes ein verkrampftes, polemisch-wildes, rabiates Paradox machen mußte, dem keine Gegenwart mehr entspricht. Kierkegaard ist nur die andere Seite Max Stirners. 17./18. 9. 51 Phantasie: drei oder fünf Nomotheten; sie ziehen die Grenzen der Großräume; sie teilen die Erde und lassen die Machthaber losen. Warum geht das nicht? Weil die Teilung durch das Los eine Eroberung voraussetzt; das Los entscheidet bei der Beute, insbesonders bei der Kriegsbeute. Die Erde ist nicht die Beute der Menschheit als Ganze? Das ius soli steht entgegen; Wer hütet die Hüter? Wer prüft unsre Prüfer? Und vor allem: Wer richtet diese Richter? Die Beziehungslosigkeit des Eroberers und die Bindung des Bebauers! Aber wenn die ganze Erde von den Technokraten erobert ist, dann geht das! Dann können sie losen! 19. 9. 51 Die Subjekt-Objekt-Walze rollt, Gesollt, gekonnt; gekonnt, gesollt, Du kannst, du darfst, Der Wagen rollt, Du darfst, du kannst, Der Moloch klopft sich auf den Wanst, Und spricht: du darfst, dieweil du kannst. Die Philosophie des Sub-Ob, vielmehr Ob-Sub. 24. 9. 51 „Sie sollen nur höhnen, wenn sie uns dafür ihr Mitleid erlassen.“ (Walter Warnach). 25. 9. 51 Wieder kommt ein Grundgefühl meiner Seele zu Tage: der amor amaritudinis; er ist bitterer1, stärker und tiefer als der amor fati. 26. 9. 51 Schaum (die Schaum-Geborene). Sperma (der in den Schaum fallende Same). Peripsema, Períyhma, Anti-sperma;2 Das ist der Christ; das wußte ich nicht. Er stellt sich als Zölibatär

1 2

Gestrichen: „schöner“. Am Rand: „Abschaum, Anti-Sperma“.

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vor mich hin und hat doch einen Vater und eine Mutter, ist Schaum-Sperma geboren und vor allem die Congrua. Die Congrua ist das Weib, das er über alles liebt. 27. 9. 51 Ich habe Feinde, also bin ich. Wenn einer sagt: ich denke, also bin ich, dann muß man ihm Berlinisch erwidern: denkste! Im übrigen frage man ihn: was denken Sie denn eigentlich? –––– Viele denken sich . Oder meinen Sie vielleicht ein reines, inhaltloses Denken an sich? Denken, daß Sie nur das Denken zu denken brauchen, um zu sein? Dann denken Sie nur ruhig weiter, dann denken Sie, daß Herr Spranger oder Herr . Dann können Sie ganz unbesorgt schlafen; in dieser Art des Denkens wird Sie niemand stören. Denken Sie also ja weiter und träumen Sie süß! 5. 10. 51 Motto für den Kampf mit den potestates indirectae und das Verhalten gegenüber dem Terror, den keiner zu nennen wagt: Ne rien blâmer de ce qu’ils font, ne rien croire de ce qu’ils disent. Dieses aufschlußreiche Motto fand ich bei Montlosier in einer Schrift des Jahres 1826 (p. 65); bezieht sich auf die Macht der Priester in der Restaurationszeit und das Verhalten, das viele angesichts dieser Art Macht empfehlen. Es läßt sich ohne weiteres auf neuere Situationen übertragen. Offenbar Modell-Situat[ion] gegenüber Restauration und Remigration. Ebenda (p. 99): Quelque crime toujours précède au plus grand crime. 7. 10. 51 Amnestie, Vergessen, gut. Machen wir einen Strich unter dieVergangenheit, einen energischen Schlußstrich. Gut. Aber schon beginnt der neue Streit. Wo, an welchem Punkt soll der Schlußstrich gemacht werden? Der Krieg zwischen Katholiken und Protestanten hat mehrere Jahrhunderte gedauert. Im Jahre 1630 hätte er zu Ende sein können, wenn man sich darüber hätte einigen können, ob 1618 oder 1621 oder 1625 das Jahr des Schlußstriches und der Restitutionen sein soll. Damit begann der zweite Teil des Dreißigjährigen [Krieges]. Und was soll heute das Stichjahr sein? Die Sieger des J[ahres] 1945 sagen: 1933; die Sieger von 1933 sagen 1945 usw. Damit beginnt dann für Deutschland der zweite Teil des Zweiten Weltkrieges. Der Machtlose denkt anders als der Mächtige; er denkt auch gefährlich, wenn der Mächtige ihm Zeit zum Denken läßt. Besser ist es, wenn der Mächtige dem Machtlosen einige Süßigkeiten hinwirft. Schokolade ist besser als Brot. Wer keine Macht hat, braucht viele Süßigkeiten. Wer sagt das? Das sagt Max Nettlau. Wer ist das? Ein Anarchist; Bakunin-Biograph. Soziologische Fragen: Ist Hegel, damals Professor an der Universität Berlin, jemals vom König empfangen worden? Kommt wohl nicht in Frage. War er bei einem Hoffest eingeladen? Vielleicht als Rektor der Universität? Und wäre er nach Paris gegangen, wenn Napoleon 1808 ihn (statt Goethe) eingeladen hätte? Schön Heidegger über das Denken: „Das Wort des Denkers hat keine Autorität. Das Wort der Denker kennt keine Autoren. Das Wort des Denkens ist ohne Glanz und Reiz. Das Wort des Denkens ruht in der Ernüchterung zu dem, was er sagt.“ Das ist mein Professoren-Schicksal. Denken ist ein undankbares Tun; undenkbar undankbar.

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Zeitungsausschnitt aus der FAZ vom 21. 8. 1950 eingeklebt. Darüber: „9. 10. 51“. Links daneben: „Character assassination as one oft the fine arts. Master of this art: Ebenstein & Löwenstein, Kaufmann & Radbruch. Der innere Feind! Wer soll sich da noch auskennen? Er sagt nicht Feind; er sagt agression. Was ist ? Gustav Radbruch, William Ebenstein und die Meute, die ihnen , alles Beispiele der caracter assassination; seelische Unzucht. Wesentlich: die Überzeugung, Recht zu haben.“ Rechts daneben: „Wagt er es nicht, ihn zu nennen? Das ist der Terror, den keiner zu nennen wagt!“

Tatenarm und gedankenreich; das mußte umschlagen, und so erschien denn wirklich ein Tatenreich, nämlich: Adolf Tatenreich, und machte Deutschland zum Schmerzenreich. Und als Gedankenarm und Tatenarm und ex Theodor Heuss.1

1

Der letzte Satz ist später hinzugefügt und schwierig zu lesen.

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Zwei Zeitungsausschnitte aus: [Die Zeit] vom 27. 9. 1951 und [FAZ] vom 15. 10. 1951 eingeklebt. Darüber: „11. 10. 51“. Randglossen zum ersten: „Zu Hans Peters, Präsident der Görres-Gesellschaft, CDU-Abgeordneter; beantragt Mitgliedschaft des Steiniger zur Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer; macht seine eigene Rückversicherungspolitik; vertritt den Rechtsstaat.“

(Lyrisch-nihilistischer) Gottfried. Gleitend auf schwülen Daktylen Mischt hier ein Kosmopolit Hochpietistisches Fühlen In sein exotisches Lied Grell mexikanische Gamben Tätowieren die Haut, Während in Blankversenjamben Still ein Vergißmeinnicht blaut.

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15. 10. 51 „Wir kommen zu unserm Verhalten mehr gegen uns als aus uns.“ Das Motto meiner geschichtlichen Existenz. Die meisten meiner Verfolger aber kommen zu ihrem Verhalten nicht einmal aus sich; sondern sie sind ganz und gar außer sich. Ludwig Raiser, Professor in Göttingen (früher Reichsuniversität Straßburg, jetzt aber Göttingen) richtet sich auf gegen mich: moralisch überlebensgroß, jeder Zoll eine Göttinger Sieben.1 Schwül-daktyles Fragment: Gott geht auf äußersten Touren – ≈ – ≈≈ – – ≈≈ – die Tonsuren. Also endgültig: Wer bist Du? Ich bin nicht endgültig. Aber weil ich so gut definiere, muß ich auch einmal eine Sammlung von Selbstdefinitionen anlegen und den zahlreichen Fremddefinitionen entgegenstellen. Antworten auf die Frage: Wer bist du? Tu quis es? Das bin ich meinen Verfolgern schuldig. Das ist Pflicht im Zeitalter des Fragebogens, das können alle gerechten Kammacher von mir verlangen. Also: 1

Am Rand: „Göttinger Sieben vgl. 11. 6. 55“.

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1. Ich bin die eine Schwalbe Die keinen Sommer macht, usw. Ich bin der Anderthalbe Den jedes Kind verlacht. 2. Ich suche das Accidens meiner eigenen Gegenwart in reiner Gedanklichkeit zu bestellen. 3. Ich bin die Exil-Regierung der europäischen Rechtswissenschaft (Okt. 1950). 4. C. S. der a¬nagkazómenov. 5. Ich bin der Mann des blinden Vorgebots.1 6. Ich bin ein Körnchen Salz der Erde. 7. Ich bin der Nicht-Entnazifizierte Nicht-Nazi; der Nicht Nazi und Nicht-Entnazifizierbare, hier wird’s Ereignis (Rud. Fischer). 8. Don Capisco (et obmutesco). 9. Namensvetter von Carlo Schmid (Monte Carlo),2 Kronjurist (E. Jünger); von dort ist es nicht weit zum Proteus3 (dann Berater) und zum Chamäleon; das die Farbe wechselt, nicht um sich, sondern die andern zu . Capisco et obmutesco 10. Sünden, Sündenbock, Wüstenfuchs. 11. Anachoret, aber kein Utopiker! Und kein Uchronist.4 12. 16. 6. 53 13. Geistiger Schwarzarbeiter. 17. 10. 51 Anachronist, Anachoret, Anakoluth. Heute klagen die Deutschen über den Kunstraub, den die Russen und andere Sieger an Deutschland begehen, und dabei ahnen diese Deutschen nicht, welchen geistigen Verzicht sie seit 100 Jahren vollzogen haben, als sie Hegel den Russen abandonnierten, und den sie heute sogar den Franzosen überlassen. Heute beklagen sich die Deutschen über den Kunstraub, den die Russen und andere Sieger an Deutschland begehen, und ahnen nicht, daß sie mit ihrem Verzicht auf Hegel diese Auswirkung ihres Verzichts im Voraus ermächtigt haben.5 21. 10. 51 Der Leib ist der äußere Ausdruck, die sichtbare Tätigkeit des Selbst; vgl. Phänom.[enologie] d.[es] G.[eistes], S. 233, (245/6). Äußeres, Sichtbarkeit, Tätigkeit – immer das gleiche: Sichtbarkeit ist Tat und Geschichte; Tat ist Verrat, Tat ist Untat; Verwirklichung ist Verwirkung.6 Tat – Abfall von der Idee, von der Reinheit – Untat – Schuld – Verbrechen; das sagt ja auch Sohm, der ganz Edle: es gibt kein Kirchenrecht, sondern nur Liebesgemeinschaft. Am Rand: „25. 9. 47“. Am Rand: „ Monte Carlo“. 3 Darunter geschrieben: „Gegenteil“. 4 Hier rot umkreist astrologisches Zeichen für Jupiter. Am Rand: „8) 23. 10. 51; 9) 20. 1. 52, 13. 9. 52, 15. 9. 55; 10) 21. 9. 52; 11) 12. 12. 52“. 5 Am Rand: „an Armin Mohler, 17. 10. 51, an V. Leemans“. 6 Auf der Seite daneben: „Glaube oder Werke, Werke zum Glaube vom Glauben. Tat wird Verrat, Verrat wird Tat.“ 1 2

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Zeitungsausschnitt aus [FAZ] vom 5. 11. 1951 eingeklebt. Darauf, über der Überschrift: „ Klar!!“. Darüber und rechts daneben: „Ist Eigentum Diebstahl? Ist Widerstand Landesverrat? Ist Landesverrat Widerderstand? Ist Besteuerung Bestrafung? (Süßstoffsteuer Bestrafung des SchokoladeEssens). Ist Selbsthilfe Verbrechen? Ist Verbrechen Selbsthilfe? Psychoanalytisch: Ist Selbstrasieren Päderastie? Ist Biertrinken Onanie? Ist Naseputzen Sadismus? Ist Selbstrasieren Narzißmus? Ist Selbstrasieren Schwarzarbeit? (Eingabe des National-Verbandes der Friseure).“ Links: „Alle Arbeit des Geistes ist gute Schwarzarbeit. So heißt es in einer Veröffentlichung der Wirtschafts- und Politischen Gesellschaft von 1947 (Frankfurt), vgl. S. 73.“

Wieso gibt es dann überhaupt ein Recht? Sagen wir also nicht zugleich: es gibt kein Recht, es gibt nur Liebe und Gesetz. Sehen Sie sich diese Liebesbotschafter einmal genauer an. 23. 10. 51 The caracter assassination as one of the fine arts: Ebenstein und Löwenstein, Erich Kaufmann und Gustav Radbruch, Rosenbaum, Leibholz, alle diese character assassins als magister jener fine art. Die Massenpsychologie hat ihre Vokabeln, die schnell wechseln und immer mehr nach unten! Heute sagt man nicht mehr Freund und Feind, sondern defendant und aggressor. Wer das für einen Fortschritt oder eine Besserung erklärt, ist ein Betrüger. Ich bin die Sehne, die der Weltgeist spannt und von der er seine Pfeile schießt. Jetzt werde ich alt, und die Sehne wird schwächer. Die Sehne wird schwächer, aber die Sehnsucht wird stärker.

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Zeitungsausschnitt „Außenpolitik im Glashaus. Hallstein und Carlo Schmid in der Paulskirche“ aus FAZ vom 1951 eingeklebt. Darüber: „Wald oder Glashaus oder Politik nobel geboten. Vgl. Rückseite“. Links: „Nobel-Politik wird nur innerhalb des Blocks geboten, vgl. S. 25v, d. h. Einheit Europas auf Kosten Deutschlands, d. h. Friede der Welt auf Kosten Deutschlands, d. h. Deutschland das Opfertier“. In der Mitte links: „1951, Nobelpreislied. Die Politik wenigstens nobel geboten, also auch im Waldgang Ernst Jüngers. Deutschland ist der höhere Dritte.“ In der Mitte rechts: „Wieso denn?, der große Künstler Hallstein, one of the fine Arts“. Rechts: „kein Sprung ins Reich der Freiheit, sondern ein Schritt zur europäischen Einheit, d. h. zur Opferung Deutschlands auf dem Altar der europäischen Einheit. in Bonn wird Politik weniger ‚nobel geboten‘. Politik des kleinen Moritz nobel geboten. Wie lange mögen sie nun noch diskutieren? Bis 1952 oder gar 1954?“.

25. 10. 51 Früher, im 19. Jahrhundert, ersetzte die Anglophilie das politische Denken; aber das war wenigsten noch Philie; heute, seit 1945, ersetzt der Antifaschismus das politische Denken, und das ist eben Anti, nämlich gegen alles was nicht für Moskau ist.1 Shakespeares Hamlet ist James I; das ist keine Frage mehr.2 Das hat Lilian Winstanley bewiesen. Shakespeare war aktueller und konkreter im damaligen London verortet als Bert 1 2

Am Rand: „an Mohler 12. 11, 12. 11, an K. Korn“. Oben am Rand: „an M. F.“

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Zeitungsausschnitt aus: [FAZ] vom 6. 11. 1951 eingeklebt. Darauf über der Überschrift: „Noblesse nur innerhalb des Blocks.“ Rechts unten: „Hier wäre eine Analyse des falschen Mitleids am Platze. Sage mir, mit wem und in welcher Situation du Mitleid hast, und ich sage dir, wer du bist!“.

Brecht im heutigen Moskau. Shakespeare war kein Literat und auch kein Dramenschreiber wie Schiller oder gar Hebbel. Er war ein popular dramatist with intense appeal. Deutschland ist Hamlet: der tote Vater katholisch. Eine katholische Mutter, aber der Sohn selber ist protestantisch und hat in Wittenberg studiert;1 der ermordete Vater sitzt im katholischen Fegefeuer, spukt noch als Geist herum und ruft zur Rache auf, gegen den Erbmörder. Der Sohn philosophiert, weil er sich nicht zurecht findet. Aber sein Sohn Karl wird von dem Volke hingerichtet. Philosophie und Theologie werden überrollt von sehr primitiven Iron-Siders (Essex-Teil, 4/5 Akt). Statt aber Fortinbras erschien Cromwell. Sie ahnten nicht, welchem Maße in Deutschland ein weißer Rabe , ein weißer Rabe, der infolgedessen auf keiner schwarzen Liste fehlt. 1

Stenogr. Notiz am Rand nicht klar lesbar.

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Zeitungsausschnitt aus: FAZ vom 6. 11. 1951 eingeklebt. Darüber: „FAZ, 6. Nov. Anderer Selbstmord: Forrestal, Nov. 1949, vgl. Tagebuch 5. 11. 51“. Links: „Zu Riesenerfolgen wurde verholfen. Die legale Regierung und das Prinzip des Nichts oder Nicht-Nicht-Intervention im Völkerrecht“. Mitte: „für liberal getarnte märchenhaft auch in Deutschland 1945 ff.“. Rechts: „Now is the time for all good men to come to the aid of their country, Stand.[ard]-Übungssatz für Stenotypistinnen. (Brief an den Spiegel, Nr. 45).“

7. 11. 51 Im Hause des Gehenkten spricht man nicht vom Strick. Das ist sympathisch. Aber im Hause des Henkers spricht man umso mehr von Recht und Gerechtigkeit. Das ist grauenhaft. 8. 11. 51 Er vergaß die wahren Werte, Weil er diese nicht verehrte Bog er in die ganz verkehrte Ganz verkehrte Richtung ein. Rührende Wert-Poesie; hat große Aussicht auf Erfolg. Reihenfolge der Reime: verzehrte, belehrte, versehrte.

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Die heutigen Nutznießer: sie leben von der Hoffnung auf Zechprellerei. Diese wird ihnen wahrscheinlich sogar gelingen. Volk sind dann diejenigen, die die Zeche bezahlen müssen – neuen Betrügern bezahlen müssen. Das ist die Zirkulation der Eliten und die Identität des Volkes. 13. 11. 51 Ich denke, also habe ich Feinde; Ich habe Feinde, also bin ich. Das ist die Quintessenz der Geschichtlichkeit und aller Philosophie, die Geschichtsphilosophie ist. Es ist die Quintessenz alles dessen, was sich über Denken und Sein überhaupt denken läßt; es ist das konkrete Denken schlechthin. Der Ungebildete Mensch aber denkt abstrakt. 28. 11. 51 Mahnung an die Amerikaner bezüglich der Lehre vom gerechten Krieg und vom justus hostis, Mahnung aber auch an alle Totschweiger und Beseitiger: Vom privilegium ignorantiae kann man nicht ewig leben! Mir scheint, daß Emmanuel Hirsch meine Erklärung des Unterschiedes von Hobbes und Spinoza übernommen hat (Geschichte der neueren evangelischen Theologie 1949, Bd. I, S. 46–49 („vollständige Verschiebung des ethischen Sinns“; Spinozas Lehre ist „die Lehre

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Zwei Zeitungsausschnitte vom 27. 11. 51 eingeklebt. Rechts neben dem zweiten: „Katholizismus: Rivale des Judentums. Daher dieser fanatische Anti-Faschismus.“ Darunter: „ Rest. Board v. Herford!“

eines Abseitsstehenden, der nicht durch die Bande des Gefühls und der Geschichte mit ––––––––––––––– einem Gemeinwesen verbunden ist …“, S. 48.)1 hat mir Smend 1938 gleich geschrie–– – ben! Ich habe also die Katze aus dem Sack gelassen und muß jetzt dafür büßen. Umso stärker stehen meine Sätze auf S. 86 meines Leviathan! Es ist für mich eine große Stärkung, sie heute, nach der Lektüre von Emmanuel Hirsch, nach 13 Jahren, von neuem zu lesen. Es ist für einen von seinen früheren Kollegen verfolgten und mißhandelten alten deutschen Professor tröstlich, bei Bakunin (in seiner Confession) zu lesen: il n’y a rien de plus borné, de plus méprisable, de plus ridicule que le professeur allemand.

1

Stenogr. am Rand: „ S. 179 Hirsch I, s. S. 260/71“.

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Zeitungsausschnitt vom 16. 11. 51 eingeklebt. Darüber: „16. 11. 51. Optierst du für den Schlips-Händler Tr.[uman] oder den Bankräuber St[alin]?“

29. 11. 51 O Du weiser, wissender Thomas Hobbes! Populus Romanus victam Pompejo duce Judaeam rexit. Regiminis ergo Judaeorum forma sub populo Romano quo nomine appelabitur? Democratia non erat, neque Aristocratia, quia non regebatur a Coetu hominum Judaeorum. Es war also Monarchie (= Diktatur) des römischen Volkes über das jüdische Volk! Deutschlands Verfassung 1951.1 22. 12. 51 Die Priester haben dem Volk den Kelch entzogen; d. h. sie haben das Sakrament von Brot und Wein zerstört; schrecklich. Aber die Prohibition in Amerika 1919 war doch noch viel 1

Am Rand: „an Schu, an Günther Krauss“.

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schlimmer, obwohl sie dasselbe war. Sie war dasselbe im Massenstil. Man (d. h. die führende Schicht) entzieht der Masse ihr Rauschgift, weil man (d. h. die führende Schicht) den Rausch nicht mehr beherrscht). Schauerliche Übereinstimmung von Rom und Genf/Washington. Ceterum censeo Romam esse liberandam (a Romanitate). Der gute Cato sagt delendam statt liberandam: vorchristliche Dummheit. Erster Satz des Jahres 1952: „This fright (before a species of men whom human pride and the sense of human dignity could not allow them to accept as fellow-men) this fright of something like oneself that still under no circumstances ought to be like ourself remained at the basis of slavery and (ecco, darum handelt es sich!) because the basis for a race society ––– (nämlich der Buren in Südafrika).“ Hannah Arendt, The Burden of our time, London 1951, p. 192. So nämlich sah 1848 der damalige gebildete Europäer (Br. Bauer) den damals –– emanzipierten (!) Ghetto-Juden. Heine als deutscher Dichter (der Mörike qua deutsch besiegte!) etc. 12. 1. 52 J. von Kürenberg, War alles falsch? Biographie Wilhelms II, Bonn 1951, S. 220: „Wenn sich ––––– Eulenburg Harden gegenüber konzilianter oder so brutal wie Holstein oder so schlau wie Bülow verhalten hätte, dann wäre dieses ‚Präludium‘ (der erste gegen Eulenburg gerichtete –––– Artikel Hardens in der Zukunft) ohne die nachfolgende Tragödie geblieben. Aber Eulenburg fühlte sich so von Harden angewidert, daß er es ablehnte, mit ihm zu verhandeln oder –––––––––– auf Kompromisse einzugehen.“ Jetzt verstehe ich mein 1937 plötzlich erwachendes Interesse an der Eulenburg-Affaire; hier ist ein Parallelfall; ich habe das Smend auch damals gesagt. Ich fühlte mich von E. Kaufmann zu sehr angewidert. (Andere Parallele: Kortner – W. Krauss). 20. 1. 52 Antwort auf die Frage: Definition des „Namens“: Wer bist du? „Ein Professor, der übrigens Staatsrat war, ich glaube er hieß Schmidt!“1 Fritsch in seiner Tagebuchnotiz 1. 2. 38, zitiert bei Friedr. Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler, 1949, S. 70/71; und bei Herm. Foertsch, Schuld und Verhängnis, 1951, S. 147 mit Anm. 67. „Der mit 2 ‚t‘ geschriebene Namensvetter des (Parlamentarischen Rats) Herrn Kollegen Carlo Schmid.“ (Süsterhenn im Parl. Rat, 2. Sitzung, 8. 9. 1948, S. 25). 3. 2. 52 Sie sollte sich was schämen Den Dollar anzunehmen. Den Rubel anzunehmen, das ist etwas anderes. Wir sollen uns entnazifizieren, entbonapartisieren, ent=beschneiden, ent=baptisieren, entklerikalisieren, entbismarckisieren. Jedes Äffchen fand noch eine , an noch etwas zu ent=enten war. Und jeder, an dem überhaupt noch etwas zu ent=enten war, war verloren; der mußte daran glauben, an die totale Ent=Entung. Hitler 1

Am Rand: „vgl. [15. 10. 51, 28. 11. 51, 13. 9. 52]“.

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Zeitungsausschnitt aus: FAZ v. 28. 11. 1951. Darüber: „Wunderbar, da ist sie. Das Freistilringen oder der große Schuldige, den wir brauchen.“ Rechts: „Einer vergeht sich! Das ist die Kriminalisierung der Aggression. Jawohl, Herta, das ist es!“.

wollte die Juden ausrotten; schlimm genug; aber er kam nicht auf die Idee, sie zu entjuden. Die Emanzipat[ion] der Juden aber hat sich bekanntlich in der Weise vollzogen, daß die Christen Juden geworden sind. Dieser Satz von Karl Marx ist der wichtigste Ausspruch des 19. Jahrhunderts. Der Blasius-Segen ist wichtiger als der ganze Herder-Verlag; und wichtiger als die ganze Lehre vom Naturrecht, von Vitoria bis zu dem Anti=Vit.[oria]-Helden Frhr. von der Heydte. 5. 2. 52 G. Nebel: ein Caliban, der Griechisch kann; ihm wird alles zum Schlagring. Handel früher (unter Wilhelm II): Rembrandt-Expertisen; Handel heute (unter ): UranExpertisen, d. h. von der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft. Handel heute: was im Grundgesetz steht, erfragen Sie bei den Herren Drath & Leibholz. Der arme Kriesenhahn darf ein bißchen mit krähen, aber was ist er neben einem british subjekt oder einem Citizen USA. Neben dem fühlt er sich wohl und besser, neben einem deutschen wie C. S. fühlt er sich –––– ungemütlich.

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1. 3. 52 Art. 1: quod licet Jovi, non licet bovi. (Ich bin der Jovi, du bist der bovi); Art. 2: Quod licet contra bovem, non licet contra Jovem. Was gegen den Deutschen erlaubt ist, sogar Recht und Pflicht ist, das gilt noch lange nicht gegen Koreaner. Der Deutsche ist der ewige Bovi. 6. 3. 52 Bring es dir doch zum Bewußtsein: auch der Kaspar-Hauser-Mythos führt schließlich nur zu neuen Kriminalisierungen. Wir sind unter Mördern. Ich bin unter die Mörder geraten, (und Kaufmann, Smend haben mich töten wollen; Miorit¸a-Schicksal).

Zeitungsausschnitt aus: Die Zeit v. 28. 2. 1952.

8. 3. 52 Für unsern animus procreandi, d. h. für unsern großen Kampf gegen die pseudo-puritanische birth-control, brauchen wir keine zölibatäre Bürokratie, keine General-Vikariate, und vor allem: keine Görres-Gesellschaft, mitsamt ihrem glorreichen Görres-ähnlichen Präsidenten Hans Peters, Studienleiter der NS-Verwaltungsakademie und Schwörer teils religiöser (auf Adolf), teils nicht-religiöser Eide (auf Adenauer). Definition C. S. ein Mann, der niemals Entschädigungsansprüche erhoben hat.1

1

Am Rand: „vgl. 15. 10. 51“.

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9. 3. 52 Am 22. Februar ist Serge Maiwald gestorben. Er war ein junger Mann von großer Treue, umfassender Begabung und unendlichem Fleiß, ganz einsam und verschlossen und von einem Schicksal umwittert. In einem russischen Interniertenlager ist er während des ersten Weltkriegs 1917 zur Welt gekommen. Die Mutter, eine Russin, war als Frau eines Deutschen dort interniert worden. Dort hat ihn der erste Lichtstrahl dieses Lebens getroffen. Am Tage vor meiner Ausbombung in Dahlem, am 22. August 1943, erschien er auf geheimnisvolle Weise bei mir, als quäle ihn ein gemeinsames Schicksal, von dem man nicht sprechen kann. In den letzten Jahren trug er sich mit Plänen, aus Deutschland wegzugehen in die große Welt, aus dem Neid in die Freiheit. Auf einem Spaziergang erlitt er den Schwächeanfall, mit dem sein Tod begann. Ein geheimnisvolles Ende. Er war ein Kaspar Hauser, und das Kaspar Hauser Schicksal hat ihn erreicht. 20. 3. 52 Und jetzt, meine Herrschaften, jetzt kommt der große Moment, wo (ja, wo!!) Sie denken ––– vielleicht wo der Frosch ins Wasser springt; Aber nein; das ist überholt, veraltet, das ist –––––––––––––––– reaktionär. Nein, meine verehrten Damen und Herren, es kommt der ganz andere grosse Moment, wo, wo (ja wo)! der Affe die Brille aufsetzt!! Wo der Affe die Lupe vor die Nase ––– ––––––––––– nimmt, und derjenige, der unter der Lupe liegt, vom Affen eingestuft wird. Und wer hat ––––– diesem Affen die Brille geliefert?? Das waren die moderne[n] Naturwissenschaft[en], das waren die Nobél-Preis-Präger 1. Träger Fragebogen-Erfinder; angelsächsisch 2. Preis; Miching Mallecho; 3. Nobél. 23. 3. 52 Keine Zunge der Welt kann die ganze Verachtung aussprechen, keine Feder der Welt, keine Schreibmaschine der Welt kann den Ekel zu Papier bringen, der mich befällt, wenn ich das Wort „Nobélpreisträger“ höre. Das schlechte Gewissen des armen Nobel, eines verzweifelten, einsamen Erfinders von Explosiv- und Ekrasit=Stoffen, dieses ehrlich schlechte Gewissen, institutionell ausstaffiert zu Pfründen und Spenden für Leute wie Thomas Mann und Hermann Hesse, d. h. Plüschmöbelfabrikate der Heimarbeitindustrie. 2. 4. 52 Es handelt sich um die Vermehrung der Natur durch die Geschichte; Auf einmal stellt man mir ein Bein: Durch die Naturgeschichte. Auf einmal wird der Affe Mensch, Das ist doch viel Geschichte Und ziemlich viel Dramatik. Der Hering steigt empor und treibt Psychosomatik.

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8. 4. 52 Politische Theologie: Der Satz: Die Macht ist böse, und der andere Satz: Gott ist tot, erscheinen geschichtlich beide zu gleicher Zeit (Nietzsche-Burckhardt); sie bedeuten inhaltlich beide dasselbe; Gott ist tot; kein Wunder, daß die Macht böse ist; die Macht ist nur deshalb böse, weil Gott tot ist. Was bleibt der armen Macht denn anderes übrig, als böse zu werden? Kann man es der Macht denn verargen, daß sie nun böse wird? Der Kölner Dom sind lauter hohle Zähne. (Was reimt sich da auf Zähne? Unglücks-Strähne? Zusammenbruchs-Hyäne?) Der Feind hat ihn (den Kölner Dom) verschont. Und das hat sich (für ihn, den Feind) gelohnt. Die wunderbaren Autobahnen; Flugzeuge. Sie kreisen wie die Sterne. Was folgt daraus? Daraus folgt nichts zugunsten dieser Auto- und Flugzeugbahnen. Daraus folgt nur, daß die Sternenbahnen problematisch werden, weil ich mich frage, ob in diesen herrlichen Vehikeln vielleicht nicht doch dasselbe Gesindel sitzt wie in unseren Autos und Flugzeugen. Und der Geist, der sie erfand und baute, derselbe Mensch [ist] wie unser Mensch. Irrationaler1 Bedingungssatz: Hätten sie alle wie ich gestimmt, so wäre niemals ein Unglück geschehen. Auf welche Frage antwortet der Satz: Du Erde warst auch diese Nacht beständig?2 11. 4. 52 Wir brauchen es nur zu verdeutschen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch! Was heißt das? Das heißt: Nachwuchs aller Länder, vereinigt Euch! Gegen die Verhinderung der Überbevölkerung. Und siehe da, der Nachwuchs! Da kann Foreign Office, Quai d’Orsay, AA einfach nicht mit. Da schreien sie : Zivilisation. (Schreien die anderen noch viel lauter:) Menschlichkeit (na hören sie mal). Aber Nachwuchs schreit kein einziger. Verweile doch, du bist so schön; – einerseits. Mach, daß du wegkommst, – andererseits. Du bist versorgt, (versargt); du bist sogar versichert: Du? Ich? Jawohl: Du! Du bist versichert! Ihr versichert mich. Ihr. Nun, eine ganze Schar von Versicherern; ganze Organisationen, Kassen, Paläste, die versichern mich. (Vorerst, natürlich, versichern sie sich). Also gut (ich will doch keinen Streit anfangen); ich bin versichert. Was heißt das: Das heißt zunächst mal: Du bezahlst; also: ich bezahle Beiträge, Prämien, Entschädigungen lweg; ich bezahle; und die Versicherer leben davon, daß ich bezahle. Das ist die Versicherung. Die

Gemeint wohl: „irrealer“. Dazu stenogr. Anm.: „Das ist ja schon Faschismus: Das ist ja direkt Revolution; Stil: überhaupt noch vom Erde oder Welt. Schluß meines Duisburger Vortrags 21. 4. 52“. 1 2

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Zeitungsausschnitt aus: Gegenwart vom 5. 10. 1955 eingeklebt. Darüber: „Ei, ei. was hör ich?“.

Versicherung versichert in erster Linie den Versicherer. Klar, sonst käme sie ja gar nicht zustande. Social Sorcery Die erste Versuchung: Sprich daß diese Steine Brot werden. D. h. verwandle unorganische Materie in organische; d. h. tue das, was die Wurzel der Pflanze vollbringt; d. h. tue ein Wunder. Das Wunder wird vollbracht durch: social sorcery, einer bringt Steine und kann davon leben, social sorcery. Erstes Wunder; Wirtschaftswunder – Sozialwunder.

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27. 4. 52 Wunderbare Stelle bei Buffon (Hist. Nat.) (von Rousseau im Discours sur l’inégalité zitiert): Die Pflanze lebt mehr von der Luft und vom Wasser als von der Erde; aber sterbend und verwesend gibt sie alles der Erde; sie gibt der Erde mehr, als sie von ihr genommen hat. Anders das Tier und der Mensch.

Zeitungsausschnitt aus FAZ vom 25. 4. 1952 eingeklebt. Darüber: „vgl. S. 94 [= S. 306] und S. 120 [= S. 320], vgl. 21. 7. 56 (V S. 67), vgl. S. 74 [= S. 293 ff.]. Links: „25. 4. 52 Encyclica 1939: renegatur et rejiciatur Norma. Norma, Norma du entschwandest! Die congrua als Basis normativistischer Situations=Überlegenheit und Situationslosigkeit. vgl. die Zwischenrufe von Herman Heller im PreußenReich Prozeß Oktober 1932 in Leipzig und dieselben Zwischenrufe von Adolf Arndt im Verfassungsausschuß Bonn, Oktober 1952.“ Rechts: „vgl. S. 74 [= S. 293 ff.], vgl. S. 94 [= S. 306], vgl. den CDUAbgeordneten Nellen im Bonner Bundestag, am 6. 7. 56 über Kriegsdienstverweigerung (12. 7. 56). Achten sie also einmal genauer auf diese ewigen Begriffe und ihre ‚Absichtlichkeit‘!! Darunter: „Der Tatbestand gelte! Der Sachverhalt gelte nicht?“.

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27. 4. 52 Quel spectacle pour un Caraïbe, que les travaux pénibles et enviés d’un Ministre Européen! (Discours sur l’inégalité, gegen Schluß). Quel spectacle pour un Caraïbe, que la blague d’un tel sophiste! (am 1. 5. 52 Hans P. Ipsen in Hamburg in das ihm geschenkte Exemplar des Discours geschrieben). 3. 5. 52 Paul Adams schrieb zu dem Brief (vom Feb. 52) des Rabbiners Jacob Taubes aus Jerusalem (der mitgeteilt hatte, daß jüdische Soldaten meine Verfassungslehre vom Scopus-Berg geholt haben, auf Anordnung des Justizministers des Staates Israel): „Der Brief des Rabbiners ist erstaunlich. Die Teoria de la Constitucion als eine Art Bundeslade, geschützt von Soldaten, aus dem arabischen Teil, vom Scopusberge nach Israel getragen, ist eine Sache. Das ist mehr als ein Heideggerscher Holzweg.“ 14. 5. 52 Entsetzlich, wie die grammatische Unterscheidung plötzlich eine existenzielle d. h. politisch-geschichtliche Unterscheidung wird. Es handelt sich um den Unterschied vom Aktivum und Passivum, von Subjekt und Objekt des Völkerrechts. Die Frage ist klar gestellt: Wer verteilt und was wird verteilt. Deutschland wird verteilt. Europa wird geteilt, die Erde –––– ––– wird geteilt. Aber von wem? Seht Euch diese Verteiler einmal näher an! Der Kaufmann verwandelt sich in einen Verteiler. Ecco. 17. 5. 52 Geschichtsphilosophisches Gespräch: Hans Zehrer: Alles Unheil kommt von der Renaissance. – Woher kommt denn die Renaissance? Don Capisco:1 Aus dem Versuch, sie zu verhindern. Schöne Generalklausel für Don Capisco. 18. 5. 52 Die Posaunisten Ernst Jüngers sind die Buccinatores des Baco de Verulam (De vana Gloria, p. 248). Dieses ganze Kapitel des Baco ist ein Exempel ärgsten Machiavellismus. Wenn es dann soweit ist, daß sich die Bosheit unter der Hand von selbst versteht, dann erschallt der Ruf: Nieder mit Machiavell. Cromwell war Anti-Machiavellist und Friedrich der Große ebenfalls. Dazwischen befindet sich ein kurzer Übergangsmoment: Machiavelli, thou art an Ass (1640). Zum Jahre 1945: Mt 27,26–31. Dio Chrysostomos: Christus starb als ein Haman! Das Purimfest ist die Fortsetzung der babylonischen Sacaea: ein Gott wird gehenkt. Aber hütet Euch: der gehenkte Verbrecher kehrt als ein Gott zurück. Davor schützt Euch keine weiße Maus. Brief Dr. Kleines, Redaktion der Juristenzeitung, an Piet Tommissen (15. 3. 1952): Es ist das beste, ihn (Carl Schmitt) totzuschweigen. Wie reizend: Ein Regenwurm beschließt, die Lurche totzuschweigen.

1

Gestrichen: „Ich“.

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23. 5. 52 Schiller wäre ganz bestimmt Nobél-Preisträger geworden. Schiller war zum Nobél-Preis geradezu prädestiniert.1 Shakespeare auf keinen Fall. Das soll keine Aufwertung von Thomas Mann oder Hermann Hesse bedeuten. . 24. 5. 52 Dr. Kleine und Dr. Klug beschließen, mich totzuschweigen. Zwei Molche möchten einen Singvogel totschweigen.2 Der Regenwurm beschließt, Die Lerche totzuschweigen, Weil es ihn so verdrießt Dies in den Himmel steigen.3 Der Mann, der es erfunden hat, Bier zu brauen, oder Schnaps zu brennen, oder Wein zu keltern, hätte niemals ein[en] Nobél-Preis bekommen; Schiller dagegen, Schiller hätte ihn bekommen. Das wollen wir uns für das kommende Schiller-Jahr 1959 merken. Dem Umschlingen der Millionen Folgen die Explosionen. 11. 6. 52 Der menschliche Hunger ist unersättlich. Der Mensch leidet nämlich auch an künftigem Hunger (dieser Mensch ist fame futura famelicus); dadurch also, durch seine Unersättlichkeit, durch eine in die Zukunft hinein berechnende Vorsorge für den künftigen Hunger unterscheidet sich menschlicher Hunger von tierischem Hunger; der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch seine Unersättlichkeit. Der Wille zur Macht ist nur eine Erscheinungsform dieser spezifisch menschlichen Unersättlichkeit. Das hat Hobbes erkannt und seinem Denken zugrundegelegt, und dadurch ist er ein tieferer und gründlicherer Denker als Nietzsche. Soll die Welt zugrunde gehen! Pereat Mundus; das ist doch wohl auch eine Erscheinungsform des Nihilismus. Nun gut. Dieses Pereat ist fast immer verbunden mit einer scheinbar auch nihilistischen Forderung der Gerechtigkeit. Fiat Justitia Pereat Mundus. Da haben wir es. Jeder Beamte, dessen Gehalt gekürzt wird; jeder Arbeiter, dessen Lohn nicht erhöht wird; jeder Emigrant, dessen Rachegelüste noch nicht gesättigt und jeder Widerständler, dessen Entschädigungsansprüche noch nicht anerkannt sind, alle schreien: Recht und Gerechtigkeit, pereat mundus. Recht und Gerechtigkeit aber heißt hier und heute tatsächlich: pereat mundus.

1 2 3

Am Rand: „vgl. 24. 5. 52“. Am Rand: „Antwort vgl. 18. 6. 52“. Stenogr. am Rand: „ Klug und Kleine, Klein K[lug]“.

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Zeitungsausschnitt vom 2. 6. 1952 eingeklebt. Darüber: „2. Juni 1952.“ Links teilw. in Steno: „Am gleichen Tag Recht anfahren, ebenso oben Curtius. Vergleiche den preußischen p.[our] l.[e] mérite! 1954: einige Zeit später: der Frauen, der die Arme schlag haben und nicht mehr sprechen können.“.

12. 6. 52 Von Gott wissen sie – die Sieger des Jahres 1945 – nicht mehr zu sagen als daß er das Ganz Andere ist. Nun, ich bin in meinem Leben nichts anderem als dem Ganz Anderen begegnet. Jeder Freund, jede Frau war das Ganz Andere. Und ich habe sie tatsächlich angebetet. Aber deshalb waren sie doch wohl noch nicht Gott, nach der Definition des großen Antifa-Theo-

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logen Karl Barth. Wenn Gott nichts anderes ist als das Ganz Andere der Anti-Faschisten, dann ist es ein Beweis für seine Existenz, daß er heute, 1952, tot ist. Alle diese Techniker sagen einem: Die Technik kann auch dem Guten dienen. Gut. Zeigen Sie mir bitte diesen Guten. Ist es Hitler, Roosevelt, Stalin oder wer? Oder kommt er noch, der Gute? Und wenn er der Gute ist, dann ist er eben totalitärer Diktator; der Gute. Oder meinen Sie vielleicht das Gute? Wer ist denn dieses das? Zeigen Sie mir bitte dieses ––– ––– Gute ohne den Guten! 13. 6. 52 Parfois le trompé trompe mieux, parfois le vaincu vainc mieux. Der Raum des kleinen Mikroanthropoiden Menschen ist [der] Makroanthropos, der große Mensch. Das extra=uterine Kleinkind das ist der mikróv a¢njrwpov; umhüllt vom mákrov a¢njrwpov. 14. 6. 52 Da will sich einer sichern, Da kann ich nur noch kichern. Ein Reim, der das Zeitalter der Sekurität (einschließlich aller Baseler Versicherungen) ad absurdum führt. 16. 6. 52 Was willst Du denn eigentlich? Was ich will? Verderben will ich die Verderber dieser Erde! 18. 6. 52 Antwort an Klug und Klein und Klein und Klug:1 Ihr habt den Raum der recht ist, kleine Dinger Figuren seid ihr ohne Licht und Schatten und braucht nichts weiter nötig als Gesetze. (Konradin, 3. Handlung, 2. Auftritt) 3. 7. 52 Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen; das wird man doch wohl noch zitieren dürfen; das erlaubt einem sogar die Befreiungszensur von 1945. Ecco. Oder vielmehr Ergo: Das sanfte Ruhekissen wird ein dicker Bauch. Ein Deus Venter. Sieh da. Ecco. Oder vielmehr: Ergo! Der dicke Bauch des Jahres 1952 ist ein sanftes Ruhekissen. Wer das leugnet, leugnet die Demokratie; leugnet das Bonner Grundgesetz; leugnet die Menschheit und untergräbt die leerlaufenden Heiligtümer der Zivilisation. Wenn schon Napoleon der Königin Luise erlaubt hat, auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen auszuruhen, dann bitte ich Sie, mir zu erlauben, auf meinem Opus operatum auszuruhen, das sich aus der Bibliographie des Herrn Piet Tommissen überzeugend ergibt.

1

Am Rand: „vgl. 24. 5. 52“.

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Liebend gern würde ich Mohammedaner, wenn ich diese sogenannten Christen sehe. Wenn ich von Eduard Spranger vor die Fragebogen-Antwort gestellt werde: Sind Sie ein Christ?, und ich sehe, daß Spranger in der konkreten Situation sich selber mit Christ identifiziert, so kann ich nur antworten: nein! Aber welches Unrecht gegen mich selbst liegt in diesem Nein. Trotzdem nehme ich dieses Unrecht gern auf mich, um nicht mit Eduard Spranger in derselben Kategorie zu figurieren, um mich nicht mit seiner Identifikation zu identifizieren. 4. 7. 52 Das Problem der Fragestellung: Ich frage dich: Bist du ein anständiger Mensch, oder bist du ein Nobelpreisträger!? Ich frage dich! Millionen antworten nein! Die Masse antwortet ––––– erleichtert nein! Gott sei Dank! Sie sind gerettet!! Bist Du Napoleon oder eine Laus?

Zeitungsausschnitt vom 15. 7. 1952. Rechts: „nicht dementiert!! 14. 7. 52“. Darunter: „So hat Eisenhower im Sommer 1960 die vom Selbstmord usw.“.

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Zwei Zeitungsausschnitte eingeklebt. Auf dem ersten: „Sonntagsblatt, 24. 10. 1952“.

Philosophen der Sprache. Arzt und Mediziner, Künstler, Lit[eraten,] Artist[en] vergleichen Brille mit Pince-nez und Prince-né und folgern daraus die größere Echtheit der deutschen gegenüber der französischen Sprache! 13. 7. 52 Wer Gott sagt, will betrügen (Proudhon). Warum ist das wahr? Weil er nicht Gott meint, sondern den Menschen; weil ihm (Proudhon 1840) Gott ein Geschöpf des Menschen ist. Erst seit Feuerbach ist der Satz Proudhons möglich; der von Menschen gemachte Gott war nämlich wirklich der Deus mortalis; er war 1840 in Frankreich schon tot. Die Revolution hatte ihn getötet.

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Großartig, was Günther Krauss (8. Kapitel, der kommerzielle Titel bei Vitoria) zu dem Satz homo homini homo sagt: „Der Satz h. h. h. leugnet den Satz: homo homini lupus: Er leugnet eine reale menschliche Möglichkeit und einen großen Teil der menschlichen Wirklichkeit. Dieser Satz will ein letztes Wort sein, ist aber noch nicht einmal ein erstes Wort. Er klingt sehr abschließend und erledigend, hat aber in Wahrheit nicht nur keinen Anfang, sondern den richtigen Anfang sogar unmöglich gemacht. Der Satz homo ho. homo ist eher sogar noch zu optimistisch. Die großen Kriege der Menschen werden nicht gegen Wölfe sondern gegen Menschen geführt.“ Sehr schön. Diese Tautologien beziehen sich alle auf den Krieg und lassen sich auf den Satz reduzieren: à la guerre comme à la guerre. Mehr bedeutet auch homo homini homo nicht.

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14. 7. 52 Wenn, wie Karl Marx schon 1840 sagt, die Emanzipation der Juden sich in der Weise vollzogen hat, daß die Christen Juden geworden sind, dann muß es doch für die Juden ein Vergnügen sein, zu irgendeiner der christlichen Kirchen überzutreten und sich begeistert zu ihr zu bekennen. Gott wurde Mensch; die Christen wurden Juden. 20. 7. 52 Wie’s Gescherr, So der Herr! Kein Wunder, daß das Gescherr dir eine Bombe unter den Sitzplatz legt. 24. 7. 52 Ein ungeheuerlicher Kriminalisierer war Léon Bloy: fabelhaft ist seine Kriminalisierung des Automobilismus.1 Sämtliche Autofahrer sind für ihn Massenmörder, assassins collectifs; jeder eifrige Automobilist ein Mörder, der mit Überlegung mordet, assassin avéc préméditation. Car le riche ne s’amuse, ne jouit vraiment que lorsqu’il écrase. (Quatre ans Cochons sur Marne II, 1903 (!) p. 135 ff.). Aber auch die Beschwichtigungspolitik Leos XIII. war für ihn ein Verbrechen (un crime col, beim Tode Leos XIII., p. 157). Ferner: die Demokratie und das allgemeine Wahlrecht, le suffrage universel est un mal absolu, un déguisement exécrable de l’anarchie de l’enfer (Quatre ans Cochons I, 1901). Problem der Fragestellung: les pauvres n’ont jamais le choix (nicht einmal der Fragestellung!). Léon Bloy, Mendiant Ingrat I, Notiz vom Mai 1893: Discours de Zola aux étudiants. A conserver. Cet idiot remplace Dieu par le travail!

––––––

1

Am Rand: „vgl. 14. [recte: 13.] 9. 52“.

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28. 7. 52 Armer Christ, versteck dich! Versteck dich vor dem Verfolgungs- und Entschädigungseifer Karl Thiemes und Romano Guardinis! Versteck dich vor dem Terror des herrschenden sensus carnis und vor seiner Angst vor dem physischen Tode, den er als das absolute tremendum ansieht (statt Gottes Zorn[)]. Versteck dich und nimm als Lektüre die Civitas Dei, Buch I cap. XI mit! Ausspruch Duškas: der Grandseigneur von Pasel; dazu Jup: Man kennt auch im Andern nur sich selbst. Richtig: aber wenn du in eine fremde Umgebung kämest, würdest du eine Situation und einen Typ so sicher und konkret bestimmen können? Salus ex oriente. 29. 7. 52 Demokratie d. h. jeder hat jede Chance; was ist denn die Chance? Die Chance ist: Jeder ––– kann jeden in Frage stellen, d. h. jeder kann jeden töten. Der letzte Würmeling hat die Chance, ein Gesetzgeber zu sein und nützt sie aus; wahrhaftig; er nützt sie aus um einen Konkurrenten zu vernichten. Der Würmeling hat Angst vor einem Kber. Takt geht vor Recht; Taktstaat gegen Rechtsstaat: Taktstock geht vor Rechtsstaat; Stock gegen Staat.

–––––

30. 7. [52] Jehovah, dir sprech ich auf ewig Hohn, ich bin der König von Iserlohn. Stattdessen dichtet dieser Heinrich, ich bin der König von Babylon. Armer Leidensgenosse von heute, 1952, lies lieber, Nasses Brot S. 137, über diese komischen Heinrichs, Heinrich Maria Heine = Mann! My tables! Schreibtafel her! Damit eröffnet der arme Jakob das Zeitalter des Tagebuchs, des Pepysm, einige Jahrhunderte der Geschriebenheit, der Sonder=Wahrheit, des schriftlich Fixierbaren, des Jagdopfers, des Pepysmus, des Historismus, des Jüngerismus, der gedruckten Strahlungen. 5. 8. 52 Gerechter Feind – wie soll es das noch geben? Es gibt ja nur noch gerechte Kammacher. Gerechte Spranger und gerechte Nobelpreisträger, oder pour le mérite-Träger. Die Lust ist nicht das letzte Wort, sie ist ein fremder Bote, sie kommt von einem fernen Ort, in einem seltnen Boote. Sie nimmt mich auf in ihr Gefährt sie hüllt mich ein in ihren Trost. Ein Caliban, der Griechisch kann. Und seinem Maul vertraut, und den, der sich nicht wehren kann, stracks in die Fresse haut.

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10. 8. 52 Gute Verdeutschung des Wortes Radio: Schalljauchenspritze. Sagen Sie also nichts gegen Verdeutschungen. Man kann damit die Sache klären und die Situation sichtbar machen. 14. 8. 52 Dem armseligen Remigranten=Begriff des Come-back haben sich unterworfen: Heidegger, Gottfried Benn und leider auch Ernst Jünger. Welche Armut! Für mich gibt es schon deshalb kein Comeback, weil ich nicht zweimal durch denselben Fluß gehe, und erst recht nicht zweimal durch dieselbe Jauche. Aber es gibt etwas anderes: es gibt die vertiefte Einsicht in den Gegensatz von Freund und Feind, und es gibt das siebente Konsulat des alten Marius. 11. 9. 52 Die erschöpfte Zeit, il tempo esaurito; die erschöpfte Tonalität; der erschöpfte Rechtsweg und dazu dann der arme erschöpfte Mensch, der alle diese Erschöpftheiten aushalten soll. 13. 9. 52. Kriminalisierungen; Beispiele:1 1. Léon Bloy, der automobilisme, 1903 (oben S. 55 [= S. 282]).2 2. St. Just am 13. 11. 1792 Das Königtum ist ein crime éternel envers la nature (vgl. Notiz zu Hobbes).3 3. A. Koestler, Darkness at noon. Rubaschoff: Niemals hat die Geschichte wenigen Menschen so große Möglichkeiten geboten, die Zukunft zu gestalten; deshalb müssen alle falschen Ideen, die in die Tat umgesetzt werden, als ein Verbrechen gegen künftige Generationen bestraft werden; und zwar mit dem Tode. Fortsetzung 14. 9. 52.4 Selbstdefinition (Antwort auf die Frage: Wer bist du): Der Vater der berüchtigten FreundFeind-Theorie. Vergiß nicht, daß du katholisch bist und zwar katholischer Laie, d. h. Kanonenfutter einer zölibatären Bürokratie d. h. der ecclesia non militans sed intrigans.5 4. Kriminalisierungen:6 J’appelle crime l’opposition (des royalistes) à Rome, et tout ce qu’ils font pour précipiter l’Eglise dans le schism, sic Lamennais, lettre à Denis Benoit d’Azy, 27. 7. 1827 (vgl. Michel Mourre, Lam[ennais], p. 184). (Dieser Laden ist ja gar keines Schismas mehr fähig.) 5. Seit über 100 Jahren leisten sich die Fortschrittsgläubigen die unverschämtesten Kriminalisierungen; sie erklären jeden Gegner zum Reaktionär, Saboteur und Feind der Menschheit. Wie wäre es, wenn das, was sie von der Menschheit noch übriggelassen haben, endlich einAm Rand: „Neue Delikte: Nicht der Automobilismus, sondern der Alkoholismus, vgl. [24. 7. 52]“. Am Rand: „vgl. 14. 9. 52“, wohl gemeint: 24. 7. 52. 3 Am Rand: „20. 1. 52“. 4 Am Rand: „24. 7. 52, 23. 9. 49, Kierkegaard etwa?“. 5 Am Rand: „Wer bist du?, vgl. 20. 1. 52, 5. 11. 52“. Auf der Seite daneben: „He was a man who noticed such things.“ 6 Am Rand: „14. 9. 52“. 1 2

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mal den Spieß umdrehte und diese entsetzlichen Henkersknechte des Fortschritts kriminalisiert? Léon Bloy hat das zuerst getan, 1903.1 15. 9. 52 Du weiß nicht, was du tust, wenn du eine Zwiebel issest oder ein Schnitzel oder irgendetwas, und du willst über Kausalität reden und 5-Jahrespläne machen? Jene, die zölibatären Bürokratien, beanspruchen indirekte Gewalt und lassen uns im übrigen in dem allerdirektesten Dreck sitzen.2 Wie deutlich wird diese Dialektik: Indem ich mich gegen eine bestimmte Gefahr versichere, lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Gefahr, der ich zu entgehen suche, attrahiere ich die Gefahr. Ich organisiere diese Gefahr, indem ich die Furcht vor ihr organisiere, indem ich bei öffentlichen Instituten spare, gebe ich 1. meine Ersparnisse aus der Hand; 2. lenke ich die Aufmerksamkeit auf meine Ersparnisse; 3. mache ich sie für den Zugriff ohne weiteres greifbar. 17. 9. 52 Der Erdball selbst wird jeden Menschen und jede menschliche Organisation zerschmettern, der ihn zu heben und zu tragen sucht. Für die politische Einheit der Welt gibt es keinen Atlas. Kriminalisierung3 3. Die amerikanischen Wolkenkratzer sind „Ekelhafte Monstrositäten; Verbrechen aller Verbrechen, für die es keine Entschuldigung gibt“, so der amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright (heute 83 Jahre); vgl. Der Spiegel, 38/52 (17. 9. 52). 4. Bacon: finale Betrachtung in kausale einmischen ist ein Verbrechen. Volk ohne Raum Volk ohne Mich. 18. 9. 52 Auch der Gegensatz von Corpuscular- und Wellen-Theorie ist nur der Gegensatz von Land und Meer. Die Einzige Frage ist, ob dieser Gegensatz heute überholt ist durch die Hereinnahme der beiden anderen Elemente: Luft und Feuer. 21. 9. 52 Eine Notiz aus dem Sommer 1914 fiel mir wieder in die Hände: Meister Eckhart sagt in seiner Predigt vom Sohn (zu 1. Joh 4,9): Man muß sich aller Person entschlagen. Das hat

Am Rand: „Fortsetzung 17. 9. 52. Kierkegaard ; Baco ([= 5. 8. 53]); vgl. 24. 7. 52, vgl. 2. 2. 48 Cochin mesurai l’enormité de mon crime.“ 2 Auf den Seite daneben: „Corneille, Le Cid Act II, Scène 7: Don Fernand Don Sanche, taisez-vous, et soyez averti Qu’on se rend criminel à prendre son parti.“ 3 Am Rand: „vgl. 20. 1. 52“. 1

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auch Christus getan. O Gott ja, aber der Herr Guardini noch lange nicht; im Gegenteil; dieser macht sich sogar eine personalistische Doktrin zurecht; Guardini ist eine Person, Gott ist keine. Sind Sie Antisemit? Bei Gott nicht! Sind Sie Jude? Beileibe nicht! Was sind Sie dann? Ich bin der Nicht-zu-Verwechselnde, der seinen Namen mit zwei t schreibt. Weitere Definitionen vgl. 15. 10. 51 etc. 29. 9. 52 Drei Sätze sind für das 19. Jahrhundert entscheidend: alle drei besagen dasselbe (Ende des sterblichen Gottes): 1. Wer Gott sagt, will betrügen (Proudhon). 2. Eigentum ist Diebstahl. 3. Die Macht ist an sich böse.1 Man kann diese drei Sätze vertauschen, umstellen, die Begriffe Gott, Macht und Eigentum permutieren; in alledem zeigt sich, das[s] es sich immer um denselben, tiefen Vorgang handelt. Man kann sie benutzen, um die alte Macht, den alten Gott, das alte Eigentum zu verteidigen etc.2 30. 9. [52] Zu Godenholm: Warum wollen sie nun alle Heilpraktiker werden? 5. 10. 52 Symbole für die Lage der Intelligenz: 1. bei Hobbes[:] De cive, X § 3 annot. Prometheus, dessen Leber von Geiern gefressen wird (das schlechte Gewissen, die immer subversiven Intellektuellen); 2. bei H. Melville: Benito Cèreno; Hier ist die Ereignung der großen Enteignung; das große Ereignis enteignet die Eigner und eignet die Eigentlichkeit seines eigenen Seins. Ecco. 6. 10. 52 Gneis: Gott kann, wenn er will, aus diesen Steinen Kinder Abrahams erwecken; Gott kann aber auch, wenn er will, SS-Leute aus ihnen erwecken. Das haben wir leider erlebt. 28. 10. 52 Autorisiert, nicht motorisiert; Motorisiert, nicht autorisiert. Antrieb, nicht Anruf.

1 Am Rand links: „Dazu kommt 4) Es gibt einen leeren Raum, es gibt keinen horror vacui.“ Rechts stenogr.: „Wenn ich sage, Gott ist oder es gibt einen leeren Raum in Deutschland. Zukunft.“ 2 Stenogr. am Rand: „Wer einen dieser Sätze spricht, ist schon verloren.“

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5. 11. 52 Ich: Ein deutscher Rechtslehrer, sieben Jahre lang ohne jedes Verfahren, ohne auch nur den [eines Verfahrens], aus Amt und Brot gesetzt.1 Ein auf die Straße geworfener,

deutscher Rechtslehrer; Ich bin eine lehrreiche Illustration zu der Prognose Schillers aus dem Jahr 1795 (Siebenter Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen): „Man wird in andern Weltteilen in dem Neger die Menschheit ehren und in Europa sie in dem Denker schänden.“ In mir hat man sie geschändet.2 Mein Schicksal und das Schicksal meiner Bücher und Formulierungen bietet ferner eine lehrreiche Illustration zu dem Fünf-Stadien-Gesetz der deutschen Geistesgeschichte, das Goethe im August 1816 formuliert hat, vgl. oben.3 „Ohne die Schuld seiner Zeitgenossen geteilt zu haben, teilt er mit edler Resignation ihre Strafen.“4 Das also bin ich, und wenn Herr Ernst Friesenhahn mich in die linke (Arsch-) Backe tritt, so reiche ich ihm auch die rechte dar. 12. 11. 52 Erstens: Nehmen! Aus einem Gedicht von Fontane: „Wo liegt Paris?“ Paris liegt hier! „Den Finger drauf! Das nehmen wir.“

–––––––

Zur Etymologie des Nomos. Und was rät uns Stendhal? Der von allen so verehrte große Stendhal??? Er rät uns: Prends la! 15. 11. 52 Ich fand Trost und Rettung – Trost und Rettung vor dem gottverfluchten Schwindelgerede vom Verlust der Mitte – in folgenden Versen von Konrad Weiß: Du bist bestellt in Kraft der Mitte Niemals und immer befällt dich Echo –––––––– (Ged. II 161, Tantalus). Wahrscheinlich verwechseln jene Redner den Verlust der Mitte mit dem Verlust der Mittel; d. h. die Mittel sind ihnen die Mitte, die sie meinen. Dann braucht man ihnen ja nur die Mittel (z. B. die Professur oder die Pfründe oder die congrua) zu nehmen, und sie klagen über den Verlust der Mitte. Laß sie klagen.

Auf der Seite daneben: „Ich glaube er hieß Schmitt.“ Am Rand: „Wer bist du? 20. 1. 52, 13. 9. 52, 11. 12. 52“. 3 Spätere Formulierung: „Ich bin eine lehrreiche Illustration zu dem von Goethe formulierten DreiStadien-Gesetz des deutschen Geistes.“ 4 Am Rand: „(Schiller, 9. Brief über die ästhetische Erziehung d. Menschen)“. 1 2

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Gegenseitigkeit der Amnestie: Exchange forgiveness with me, noble Hamlet!, sagt der sterbende Laertes dem sterbenden Hamlet (V 2). Übersetzt bei Schlegel: Laß uns Vergebung wechseln, edler Hamlet! 16. 11. 52 Conscientia vulnerata vulnere crescit (Tertullian); nomen vulneratum, a wounded name, sagt Hamlet (V 2), shall live behind me. (a scandal heißt es im Quarto von 1603!!), verletzter Name, übersetzt Schlegel (schlecht). [„]Und diese Deutschen sind wie eine Wunde der Christenzeit und schließen sie noch auf und gehen durch Geschichte in den Sinn und sind dem Sinn wie einem Fluche gut[“]; sagt der Papst Clemens (Konrad Weiß, Konradin S. 106). Plötzlich verabsolutieren sie alle das Licht, das Licht, la lumière, les lumières sogar, den Fortschritt, le progrès, etcetera (darf man in Gegenwart des linksrheinischen Merkur nicht laut sagen), also das Licht, les lumières, selbst Herr (M.) Ernst Robert Curtius wagt nicht zu sagen, was das eigentlich ist; er sagt nur mutig und herrisch (nach 1945) Antifaschismus. Candidates à la civilisation française. 22. 11. 52 Nobelpreisgekröntes Christentum, nobelpreisgekrönter Katholizismus:

Zeitungsausschnitt. Darauf notiert: „18. 11. 52. Lass ihn verdienen.“ Darunter: „Das nächste Jahr ist Romano Guardini fällig! Inzwischen flieht die Scham des Christen zu den Heiden.“

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23. 11. 52 Antwort: Was tust du? Ich tue was ich will und halte was mich trifft, bis was ich nicht will tut mit mir ein Sinn wie Schrift. ––––– Ich warte wo ich bin und klammere das Wort, bis mich ein Wort verklammernd trägt wie Samen fort. (Konrad Weiß, Largiris)1 25. 11. 52 Merkt es Euch für das kommende Schiller-Jahr 1959: Wenn Schiller anfängt zu dichten, fängt er an zu lügen; Wenn Goethe anfängt zu dichten, hört er auf zu lügen. Merkt es Euch für die kommende Bundes-Republik-Politik (blik-tik): Der dreieinhalb Milliarden Böhm, der ist den Juden angenehm. 11. 12. 52 Wieder eine Selbstdefinititon (im Gespräch mit Michael Thomas, in Düsseldorf, Breidenbacher Hof, Palette, morgens 2 Uhr): Lilian Winstanley bewundert die deutsche Objektivität, weil ich ihr Hamlet-Buch aus der Vergessenheit gezogen und wieder zu Ehren gebracht habe; sie rühmt die deutschen Gelehrten und ahnt nicht, daß ich in Deutschland ein weißer Rabe bin, der auf allen schwarzen Listen steht. 12. 12. [52] Alle Definitionen sind Verfremdungs-Manöver. Sehr gut. Selbstdefinitionen wären also Selbstverfremdungsmanöver. Die2 ihre Fremdheit Aufforderung zum Staat, Aufforderung zur Staatsverfremdung. Demgegenüber handelt es sich darum, sich selbst zu definieren ohne sich selbst zu verfremden. Geben Sie acht! Dass ihr alle einmal die . 14. 12. 52 Die Kleriker haben den Laien den Kelch entzogen. Dafür haben sie ihnen den Beichtspiegel, d. h. den ganz totalitären Fragebogen gegeben. Kein Wunder, daß die armen Laien sich in Rationalisten, Positivisten, Nihilisten und Schlimmeres verwandelten. Meine Herren Kleriker! Geben Sie reumütig den Laien den Kelch zurück! Wir geben Ihnen dafür den totalen Fragebogen zurück.

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Am Rand: „vgl. 20. 1. 52, 5. 11. 52, 13. 9. 52 etc.“. Dieser und folgender stenogr. Satz nicht klar lesbar.

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7. 1. 53 Welcher Faust-Kommentator oder Faust-Interpret hat eigentlich schon entdeckt, daß der Vers: Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren etwas zu tun hat mit der Annäherung von Mimus und Sacerdos, die der hl. Augustinus, De Civitate Dei VI, 5–7, gegenüber Marcus Varro und seinen 3 Arten der Theologie vornimmt?! Wer hält mich, wenn ich müde bin, Wer schützt mich, wenn ich schlafe? Zu dem Thema Abstrakt – Konkret: 1. Hegel 1820: Der ungebildete Mensch denkt abstrakt. 2. J. P. Sartre, Dez 1952 (Friedenskongreß in Wien). Das Abstrakte trennt. Das Konkrete eint. Das Konkrete ist die Summe der Bindungen, die die Menschen eingehen. 1. 2. 53 Eine wichtige Parallele zu meinem juristischen Denken von der Ausnahmesituation her und eine Illustration zu meinem Schicksal: Keynes, der von einer außergewöhnlichen Situation her, von Mangel an Nachfrage, die Nationalökonomie konstruiert, mit dem Ausgeben anfängt, statt mit dem Sparen und Produzieren. Ihm macht Röpke den aufschlußreichen Vorwurf: Hätte Keynes sich damit begnügt, das Defizit an wirksamer Nachfrage als die Ursache der Massenarbeitslosigkeit durch eine Politik des Ausgebens zu beseitigen, so hätte er nichts anderes als wir alle getan, die wir damals zu einer solchen mit dem Ausgeben beginnenden Politik geraten haben. Er hätte sich dann nur einen bescheidenen Platz in der Walhalla der Wissenschaft erworben. (sic, wörtlich, Röpke; merkst du was, du guter Leser?), aber niemand hätte ihm dann nachsagen können, daß sein Wirken mehr Schaden als Nutzen gestiftet habe. Der springende Punkt ist aber, daß er sich nicht damit beschieden hat, in einer außerordentlichen Lage nach außerordentlichen Mitteln zu rufen. Er ist weit darüber hinaus gegangen. Er hat zusammen mit der Methode auch die damit gewonnene Diagnose einer außergewöhnlichen Lage und die daraus abgeleitete Therapie zu einer allgemeinen Lehre von einem allzeit lauernden „Nachfragedefizit“ und zu einer Wirtschaftspolitik erweitert, die dauernd auf dem Sprunge sein muß, diese Lücke zu schließen um ihre „Vollbeschäftigung“ zu sichern. Erst damit hat er eine wahre Revolution des wirtschaftlichen Denkens ausgelöst (sic Röpke, Universitas, Dez. 1952, S. 1289). Der Vorwurf gegen mich: aus der Erkenntnis einer Notlage die allgemeine Theorie des Dezisionismus und der Diktatur entwickelt zu haben. Aber das ist denn doch nur die Frage, ob die Notlage als etwas schnell Vorübergehendes oder als vorläufig dauernd diagnostiziert wird. Bei uns dauert sie doch seit 1919 bis heute in wachsender Schärfe an! (Wo aber ist bei mir die Parallele mit dem Kreislaufdenken von Keynes?) Deutung der Ausnahme-Situation des

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1. Nachkriegs, und Weiterführung im 2. Nachkrieg führt zu der Vorbereitung auf den dritten. 5. 2. 53 So findet sich der Verfassungsgerichtshof in einem traurigen Dilemma: entweder allen wich–––––––– tigen Entscheidungen auszuweichen und damit seine eigene Existenzberechtigung in Frage zu stellen, oder aber zu einer Brutstätte apokrypher Souveränitätsakte zu werden. (Zusatz ––––– März 54: er hat sich für das letzte entschieden).1

Zeitungsausschnitt. Darauf: „Phraseologie als Blockbildung macht rechten Flügel gegen die Zweifel des linken Flügels.“ Darüber: „7. 2. 53. Martin Buber (Neue Zeitung) 7. 2. 53“. Rechts daneben bzw. darunter: „geortet; hier ist es erlaubt; sonst – bei mir – findet Herr Pringsheim es unzulässig. Dazu Guido Vernani von Rimini (Anfang des 14. Jahrh.): Ego autem credo, quod gens Judaeorum et ratione situs terrae … et ra–––––––––––––––––– tione religionis magis debebat de jure principari gentibus quam Romani.“

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Am Rand: „vgl. Forsthoff, W. Weber, 5. 2. 53“.

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15. 2. 53 Was ist das tiefste Anliegen Max Stirners? Er will unbefangen werden. Er fühlt sich tief in der Befangenheit und möchte davon frei sein. Befangenheit, das ist Entfremdung. Mit Recht. Denn mit befangen – mit gehangen. Aber angesichts des Piraterie-Strafrechts nützt ihm das auch wieder nichts; hier gilt: mitgefangen, wenn auch noch so unbefangen. 17. 2. 53 Ich – 1953 in Deutschland – weiß von meiner Situation weniger, als der mexikanische Jüngling, den die mexikanischen Priester im Jahr 1500 erst fütterten und dann schlachteten, von seiner Situation wußte.1 Entbinden Sie mich also bitte von weiteren Fragestellungen und Fragebogungen. Inzwischen aber der Heilige Vater in Rom interessiert sich nicht für mich, und nicht für den wackeren Slowaken Tiso, sondern für den ungetauften Atomspion Julius Rosenberg und schickt Telegramm nach Washington. Das ist die Religion der Humanität.

1 Auf der Seite daneben: „Nachträgliche Notiz: Damals, 17. 2. 53, ahnte ich noch nicht die Ende desselben Jahres (17. 12. 53) vollzogene Schändung meines Namens (Notiz von 1977!).“

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BlankVers (d. h. Melodie H.[orst] W.[essel] Lied): Mach Dir nichts vor, der letzte Christ war Hegel; der letzte Katechon. Die Achse ist und bleibt der Gottessohn; Nimm dich in Acht, der Teufel merkt es sich schon. Doch mit Christus der Teufel Kegel.

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18. 2. 53 Wenn es mir besonders gut zu gehen scheint sage ich mir: Ich weiß von meiner Situation nicht mehr wie der mexikanische Jüngling, den die Priester erst fütterten und dann schlachteten, von seiner Situation wußte. 19. 2. 53 „Im heutigen Deutschland ist der geistige Arbeiter zum Schwarzarbeiter geworden.“ Sic, die Frankfurter Wirtschaftspolitische Gesellschaft von 1947 im Jahre 1952 S. …1 Wie schön, wie wahr, welch echter Arbeiter im Sinn Ernst Jüngers! Singen wir also; stimmen wir unser neues Lied an: „Die Schwarzarbeit ist meine Freude! Da steig ich in früher Stund In den finstersten Gang in der Weite. Grüß dich Deutschland aus unterstem Grund!“ 1

Am Rand: „vgl. 23(v.), 24“ [s. Zeitungsausschnitt].



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Zeitungsausschnitt. Darüber: „Situationsethik, vgl. S. 54 [= Zeitungsausschnitt S. 279]“. Darunter: „Error in persona“. Am Rand: „vgl. S. 44 [= Zeitungsausschnitt S. 274]. Problem des Error in persona als Nichtigkeitsgrund.“

22. 3. 53 Die unsichtbare Ordnung ist stärker und tiefer als die sichtbare. Das sagt Heraklit und trifft damit den Anspruch der sichtbaren Kirche. Und diese selbe sichtbare Kirche bezeichnet die von ihr beanspruchte Macht als indirekte Macht, als potestas indirecta. Originell: sichtbar und zugleich indirekt; die indirekte Sichtbarkeit und die sichtbare Indirektheit. Le secret de l’église catholique – c’est qu’il n’y a pas de pouvoir indirect. Läßt sich dieses Nebeneinander von Sichtbarkeit und Indirektheit noch mit der Klammer der Complexio oppositorum zusammenhalten? 10. 4. 53 Ihr habt das Wort verraten, Ihr habt die Schrift verraten, Ihr habt den Wein verraten (indem Ihr den Laien den Kelch entzoget), und Ihr wundert Euch, daß alles das jetzt unter der Fahne: Demokratie Euch an die Gurgel faßt?

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Luther, Hamann, Bruno Bauer; Machten Euren Wein so sauer. 20. 5. 53 Was ist denn eigentlich Nihilismus? Wenn ein Mensch mit einer Geschwindigkeit von mehr als 40 km in der Stunde fährt, meine Herrn, das ist Nihilismus. Eine höchst unscholastische Antwort. Eine – in den Augen der Betrüger – nihilistische Antwort. 21. 5. 53 Le conseil de Jean Bodin: de ne jamais braver la fureure populaire ( p. XIX). 10. 6. 53 Was ist Recht? (Was ist Gott? Heute ist beides dasselbe): etwas das gilt und mit Erfolg (mit Gehorsamserzwingungschance) geltend gemacht d. h. zwangsweise vollstreckt wird. Was ist also ein Jurist? Ein Geltendmacher von Beruf. Ein geltendmacherischer Beruf. Die Geltendmacher sind schlimmer als die Geldmacher. Gelt?! Positivistisch: d. h. mit berechenbar klar umgrenzter Norm geht das noch, aber wehe, wenn die naturrechtliche Unterwanderung

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Zeitungsausschnitte mit Berichten zum Sterben Stalins. Darüber: „Der Tod des Machthabers; Zeitungen vom 5. März 1953.“ Darunter: „März 1954, ein Jahr später: der schwererkrankte Heilige Vater leidet an Schluck-Auf. Sommer 1954 läßt er sich Niehans’sche Frischzellen einsetzen um etwas länger zu leben.“ Auf der Seite links daneben: „Dazu die Rede Chrustschows auf dem XX. Parteitag der KPS, Februar 1956 und die Entstalinisierung Frühjahr. 1956!! Die Enthüllung der vollständigen Rede Anfang Juni 1956 Und wann folgt die Ent-Rooseveltisierung? Und die Ent-Lincolnisierung? Und die Ent-Calvinisierung? Und der Tod des Papstes 1958 mit Galeazzi-Lisi. Triumph der Medizin. Dank Frischzellen-Niehans hat der dann die Ent-Stalinisierung noch erlebt. Wohl ein Wunder durch Gottes Fügung und .“

beginnt und Generalklauseln geltend gemacht werden! Was aber bin ich: ich bin ein Überlebender. Ich bin weder geltendmacherisch normativiert, noch naturrechtlich unterwandert. Ich bin weder ein Voll- noch ein Leerstrecker. 17. 7. 53 Ich bin in keiner Versicherung, ich würde es als eine Beleidigung des großen Totalversicherers „Sozialstaat“ ansehen, wenn ich mir noch weitere Versicherung erlauben würde. Ich bin legal d. h. ich habe keinen Eid geschworen. Aber jeder status quo will Ewigkeit und lässt sich ewige Treue schwören. Eben dadurch entwertet er den Eid zur bloßen Legalität. Dann

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Zeitungsausschnitt aus Sonntagsbatt v. 19. 7. 53. Darüber: „Sympathisches Frauen-Gedicht à la Gertrud Lefort und Claudel.“ Darauf: „Sonntagsbatt 19. 7. 53“.

kommen schließlich, unter entsetzlichen Martern und Verfolgungen, die freien Eide, die conjurationen, und die neuen Männer, die wieder Eid= und Gott= und Macht=fähig sind. 21. 7. 53 Jetzt bin ich alt; jetzt habe ich die Altersgrenze überschritten; mit [der] üblichen Abschiedsmusik: muß i fort und du mein Schatz bleibst hier; hier, das heißt: auf der andern Seite der Altersgrenze. Also jetzt bin ich alt. Und wer begegnet mir jenseits der Linie? Der Mensch und die Demokratie. Na, das ist ja wirklich das Gegenteil eines Paradieses. Der homo homini Radbruch. Der absolute Mensch (nicht einmal aufgeklärter Absolutismus) begegnet mir in Gestalt eines jüdischen Remigranten, der 1945 nach Deutschland zurückkehrte und seine Rache einkassierte. Ecco. Der absolute Humanitär, der Homo homini Radbruch, homo homini Leibholz. Wieso ist denn nun eigentlich die Macht in sich böse? Die Macht Gottes ist doch wohl in sich gut. In sich und An sich gut. Dieser arme Basler Jacob aber erlebte die Macht von Men-

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schen, und fand sie „an sich böse“.1 Armer Jakob Burckhardt! Wir wollen hoffen, daß du, wäre die Macht unglücklicherweise in deine Hände gefallen, die Macht nicht abgelehnt, also für möglicherweise gut gehalten hättest. Die Macht Gottes ist gut. Die Macht des Teufels ist böse. Und die Macht, die einem solchen Menschen in die Hände fällt, was ist die denn? Gut, böse neutral? Direkt oder indirekt? Wenn sie in die Hände eines Schweizers fällt ist sie natürlich neutral d. h. indirekt. Und wenn sie in die Hände eines Morgenthau=Juden von 1948 fällt, dann genade uns Gott; dann erscheint sie als Macht des Büttels, der mich mit gutem Gewissen schindet, während sein Brotgeber Friedens-Nobelpreise einkassiert. Und jetzt endlich kommt die große Front; jetzt kommen die Antis, die eine FreundFeind-Unterscheidung als faschistisch ablehnen, also die Antis: Die Anti-Faschisten, die Anti-Alkoholiker, die Anti-Semiten, gegen die Weintrinker, gegen die Vaterlandsverteidiger; gegen die Nicht=Emigranten. Der Song des Ganz Ganz Armen Deutschen: Ich bin kein Emigrant, Ich bin kein Widerstand, Ich habe keine Chance mehr, Ich werde Fremdenlegionär. 27. 7. 53 (An Friedhelm Kemp anläßlich von Simone Weil): wieviel Traurigkeit nistet doch in den christlichen Vornamen der Nicht-Getauften!2 Homo homini Deus Homo homini Lupus, beides mögliche Wirklichkeit und wirkliche Möglichkeit. Aber Homo homini Homo das ist die „Falle der Fallen“, um das Wort der Simone Weil richtig zu stellen. (Hinweis auf Gueydans Aufsatz). Ergo: Homo homini Radbruch.

Stenogr. auf der Seite daneben: „Weil sie so restituierter “. Am Rand: „an Epting, W. Warnach 15. 9. Ein Name wie Theodor Adorno! Christenname Theodor!“ 1 2

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5. 8. 53 Befrage die Orakel deiner Sinne! Das ist ein Rat und selber ein Orakel; und stammt nicht etwa von Nietzsche, sondern von Francis Bacon. Deute die Orakel deiner Sinne; Bacon nannte sich den Priester und Deuter dieser Orakel (antistites religiosus et oraculorum sensus non imperitus interpres). De augm. scient. (VII). Aber Bacon ist auch schon ein Kriminalisierer, er sagt: Plato habe ein Verbrechen begangen, indem er die natürliche Philosophie mit finalen Ursachen und mit Theologie beschmutzte. Scelere non minore stultitiae apotheosin introduxisti, redet er ihn an (Cogit. et Visa de Incep. Nat. + IX p. 173). Das Vergnügen, schöne Zitate aufzuschreiben: z. B. impar congressus Achilli (in Korea z. B. fehlte der Achill); oder: Nec tibi quam bellum longior ira fuit (was seit 19451 nicht mehr zutrifft); oder ein Satz von de Maistre (Du Pape, 259): Les puissances du second ordre font ce qu’elles peuvent. On les juge ensuite comme si elles avaient fait ce qu’elles ont voulu. Il n’y a rien de si commun et si injuste. Oder: Pompeio scelus est bellum civile perempto, Quo fuerat vivente fides (Phars. IX, 248/9). 6. 8. 53 Die Kriminalisierungen haben doch schon im Mittelalter begonnen. Die Bulle In coena domini wimmelt von Kriminalisierungen, Anathemasierungen, Exkommunikationen,2 wobei die neu geschaffenen Verbrecher zwischen die Piraten eingereiht werden, die piratae in mari nostro! (Vgl. Mirbt, S. 283). Zusammenhang von Theologie und Kriminalisierung Die Verfluchung Ludwigs von Bayern 1346 (Mirbt, S. 167). 8. 8. 53 Die Frankfurter Allgemeine nennt Heidegger einen faschistischen Philosophen (Aufsatz von Jürgen Habermas vom 25. Juli 1953).3 Um dieselbe Zeit bezeichnet eine Note der Sowjetregierung den Berliner Aufstand vom 17. Juni als ein faschistisches Abenteuer. Also Zwei Seelen und ein Gedanke. (Zwei Körper und eine Lust.) Zwei Seelen und ein Gedanke. Ein Gedanke und ein Niveau. (Dazu Barion: Zwei Köpfe und eine Platte.) Zwei Seelen und ein Niveau.4 Was ist also Faschismus? Faschismus ist jeder Versuch, die großen Weltfragen der Gegenwart anders als marxistisch zu beantworten. Diese Sprachregelung ist der eigentliche Sieg Stalins vom Jahre 1945 über alle sonstigen Sieger und Gewinnler dieses Jahres, das eben dadurch und nur dadurch zum Jahr der eigentlichen Entscheidung geworden ist.

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Darüber geschrieben: „1918“. Am Rand: „ Luther, Calvin etc.“ Am Rand: „vgl. 30. 10. 53“. Am Rand: „3. 9. 53 Forsthoff“.

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18. 8. 53 Homo Homini Homo Dem Reinen ist alles Rein, den Schweinen ist alles Schwein, und dem Menschen ist alles Mensch. A la guerre comme à la guerre; Mark ist Mark und Mensch ist Mensch. Inzwischen triumphiert Moju, der prominente Schmonzologe. 24. 8. 53 Irrtum der deutschen Klassik: Das Land der Seele bei den Griechen suchend. 25. 8. 53 Schließlich gewöhnte er sich das Weintrinken ab; denn der Wein ist kein Sakrament mehr, sondern nur noch Alkohol, und trank die pasteurisierte Milch konformistischer Denkungsart, und fraß die Milchschokolade der Legalität des sozialen Rechtsstaates. 29. 8. 53 Frei ist, wer sich durch einen Eid binden kann, frei ist aber auch, wer sich so gebunden hat. Frei ist, wer sich eidlich verwandt machen kann. Loyal: d. h. an einem erkennbaren modus procedendi gebunden. In Wirklichkeit heute: Die Freiheit ist heilig. Ihr Inhalt ergibt sich aus den Befreiungsgesetzen. 30. 8. 53 Nach dem gefährlichen Angriff im Schwarzen Korps Anfang Dezember 1936, habe ich mir damals notiert: Vestrum scelus, meus somnus. Dabei bleibe ich noch heute, angesichts der Schwarzen Korpse in dem Deutschland des Jahres 1953, Vestrum Scelus, meus somnus erit. Das ist mein Christentum. Ps 40,6; Augustinus, De Civitate Dei XVII, c. 18.

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3. 9. 53 Der soziale Verwaltungsstaat verwandelt den Privaten in einen Funktionär seiner Verwaltung; und zwar durch selbstverständliche Indienstnahme Privater zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben. Das begann ja schon mit dem Markenkleben in der Sozialversicherung und den Abzügen, die der Unternehmer vom Lohn machen mußte. Heute ist jeder Unternehmer, jeder Bankbeamte in Dienst genommen, jeder Kaufmann Umsatzsteuereintreiber, und selbst beim Gastwirt ist die Gasterei nur noch der Ansatz für Steuereintreiberei. Dazu dann noch die blaue Steuermarke; vgl. 9. 9. 53 Sein und Schein (= Sinn und Schein). Schein gab Sein und dieses ihn, und die Zeit verrann.

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Sein und dóxa, d. h. Glanz, Glanz und Leuchten, Strahlung; welch ein Rattenkönig von einander durchkreuzenden einander bestätigenden und sofort wieder aufhebenden Antithesen. Wenn ich nur den Anfang dieses Geklapper höre, stelle ich lieber ab. 11. 9. 53 Buch-Titel: Auch ich war dabei. Schöner: Schließlich ist alles egal. Noch schöner: Einer blieb übrig. 12. 9. 53 Ich lese bei Ch. Fourier über menschliche Passionen; so die 10. Passion z. B., la cabaliste, ist die Freude an der Cabale, ihr gehören zu als Ton: Ré, als Farbe: Indigo; als arithmetische1 Figur: die Progression, als geometrische Figur: die Spirale; als Metall: das Silber. Ist das nicht genial? Surrealistisch! Dann lese ich die Schilderung: wie steigern sich die Menschen bei solchen Intrigen? Wahlintrigen, Liebesintrigen; Börse; Familie . Vous admirez leur ton animé, la prestesse des actes – Beobachte sie vorher, wie sind sie stumpf und fad, und dann der Cabal; wie beleben sie sich. Wunderbar. Schließlich der Satz: Loin de ce calme plat dont la morale nous vante les douceurs, l’esprit cabalistique est la véritable destination de l’homme. Das ist mehr als Nietzsche. Aber wenn ich das jemand sage, werde ich festgelegt auf eine niedrige Cabale und für ein charakterloses Schwein erklärt von den großen Meistern der akademischen Cabalistik. Das Tagebuch von Benjamin Constant ist echt, weil es nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Es wird immer grotesker, dieses Genre Jünger’scher Strahlungen. Das Strahlungs-Tagebuch verhält sich zu dem echten von Benjamin Constant wie die Randbemerkungen Wilhelms II. zu denen Friedrichs des Großen. Die 100 Tage Napoleons spiegeln sich bei Constant nicht in der Seele eines kontemplativen Faulenzers und vor allem in seinen Selbstvorwürfen. Seine Strahlungen werden Ernst Jünger noch teuer zu stehen kommen. 18. 9. 53 Gott ist Mensch geworden; hat er also damit das homo homini homo vollzogen und gibt es jetzt kein homo homini Deus mehr, und auch kein homo homini Lupus? O nein! Vom homo homini homo aus gesehen ist Gott nicht Mensch, sondern Unter-Mensch geworden. Oder sollen wir uns vielleicht alle gegenseitig kreuzigen und schänden und es auf die Auferstehung ankommen lassen? In einem so überfüllten Lande wie dem heutigen Westdeutschland gilt übrigens weder Deus noch Lupus noch die betrügerische Evasion in die dreimalige Tautologie; hier gilt einfach: Homo homini Baumwanze; oder noch aktueller: homo homini Radbruch. 24. 9. 53 Immer wieder das Gespräch im FD-Zug: Mein Gegenüber legt die Zeitung hin und sagt laut: dieser McCarthy ist eine wahre Geißel der Menschheit. Er sagt richtig „Geißel“, nicht:

1

Darüber: „mathematische“.

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Geisel, wie man meistens hört. Da erwachte mein dialektischer Trieb und die Freude am Dialog. Ich dachte: Die Menschheit hat immer zwei Geißeln, die durch ein dialektisch verbindendes Anti in Bewegung gehalten werden. Das aber wäre des Dialektischen doch wohl zuviel gewesen. So begnügte ich mich zu sagen: Die Menschheit hat zwei Geißeln; den McCarthyismus und Anti-McCarthyismus. 25. 9. 53 Wichtig die Analyse der Autoren, die das Wort „Kleinbürger“ als Schimpfwort (inbesondere zur Definition des Faschismus) benutzen. Vom deutschen Ghetto des 18. Jahrhunderts her und seinen Nachwirkungen kennzeichnet das Wort allerdings etwas sehr Verächtliches: nämlich Menschen, die kein[e] echten Handels- und Geschäftspartner sind, also keine Fürsten und Großbürger; und die andererseits auch nicht das große soziale Nichts des Proletariers bedeuten; Menschen also, die noch nicht einmal eine Aktie kaufen können und doch Eigentum zu haben glauben; Kanonenfutter der Wucherer und der Währungsreformen, die ewig betrogenen Kleinsparer. Da hat ein Jurist bei der Eröffnung eines hohen Gerichtshofes gesagt: Gegen das Recht gibt es kein Recht, und keiner der anwesenden Juristen erwidert ihm: wohl aber Rechtskraft. Wie traurig ist ein solches Gerede. Der Sinn jenes Satzes ist doch etwas sehr Deprimierendes: Gegen die Rechtskraft gibt es kein Recht. Oder in der trivialen Begriffssprache, die man heute spricht: Rechtssicherheit geht vor Gerechtigkeit. 29. 9. 53 Lenin sagt: es gibt 2 Arten von Kriegen: Eroberungskriege und Befreiungskriege. Für Eroberungskriege gilt der Satz Bruno Bauers: Erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst. Für Befreiungskriege gilt das offenbar nicht: Der Befreier hat es nicht nötig seine Beute zu kennen. Er macht ja education. The education of Henry Adams; The re-education of Carl Schmitt. 21. 10. 53 Ewige Wiederkehr, ewiger Kreislauf, und dann das Christentum als Kreislaufstörung; Welt ist Kreislauf, Christ ist Störung; Christ und Welt: Die Begriffs-Rechenmaschine von heutzutage: Die Macht ist in sich böse; das Recht ist in sich gut. Also ist meine Macht nicht Macht sondern Recht. Von diesem Domino leben die Betrüger, und der Homo homini Radbruch mit seinem humanitären Syllogismus (vgl. oben). 27. 10. 53 Ich denke, also bin ich, nämlich in Bewegung; Ich denke, also setze ich mich absolut; Ich denke, also bin ich das Absolute in Bewegung. Das ist alles logisch. Ich denke, also setze ich mich absolut; Ich setze mich absolut, also bin ich nicht das Ich, das im Augenblick des empirischen Ichs außer dem Denken noch anderes tut: atmen, verdauen, leben im biologischen Sinne; sondern ein anderes absolutes, Ergo: Ich denke, also bin ich nicht das empirische Ich (sondern das abstrakte Subjekt des denkenden Bewußtseins). Ich bin, d. h. ich bin Macht. Das Wesen Gottes ist Macht. Das Nicht-Sein des Teufels ist Wille zur Macht. Der Wille zur Macht ist böse. Die Macht ist gut. Einfache Litanei für die einfachen Einzelnen.

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Zu dem Jürgen Habermas-Treiben gegen Heidegger vom Sommer 1953:1 In den Minima Moralia des Theodor Wiesengrund Adorno2 heißt es wörtlich auf S. 365 (stammt aus dem Jahre 1935): „Wenn die Bürgerklasse seit undenklichen Zeiten den Traum der wüsten Volksgemeinschaft, der Unterdrückung aller durch alle hegt, dann haben Kinder, die schon mit Vornamen Horst und Jürgen, und mit Nachnamen Bergenroth, Bojunga und Eckhardt heißen, den Traum tragiert (sic), ehe die Erwachsenen historisch reif dazu waren, ihn zu verwirklichen.“ Bravo! und Jürgen Habermas war der gegebene, prädestinierte Name für das Haberfeldtreiben gegen Martin Heidegger. 9. 12. 53 (zu Petwaidic und Bourdin): Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt. 22. 12. 53 Schönes Thema: Über das Verhältnis der Französischen zur Industriellen Revolution (vgl. den Ausspruch Lorenz von Steins), als ein Verhältnis des geschichtlichen Gegensatzes von Land und Meer. 26. 12. 53 Jeder Name ist eine Nahme.3 Gott ist Macht; und zwar direkte Macht; potestas directa; Der Teufel ist Wille zur Macht. Wille zur Macht: Ideologie von Berufsrevolutionären und Emigranten; indirekte Macht; potestas indirecta. Wehe uns, wenn diese die Macht ergreifen, d. h. sich rächen können. Mehr als sich rächen können sie nämlich nicht; siehe Urteil des BVerfG vom 17. 12. 53.4 Damit also Schluß! Trage zu den Toten dein unbegriffnes Herz! Laß dich nicht länger einladen und dann wieder ausladen. Laß dich nicht länger anspucken von Schmonzologen wie Moritz Bonn und erkenne deinen eigenen Nómov! Ende des Jahres 1953. 12. 3. 54 Gott ist tot, das bedeutet: er ist nicht mehr präsent; er ist abwesend. Es gibt keinen andern als den präsenten Gott, die tutela praesens.5 Er spricht auch nicht mehr. Dem Rundfunkhörer ist alles abwesend, was nicht gerade spricht. Gott ist gut d. h. die direkte Macht ist gut, ist effektiver Schutz und kommt von ihm allein. Die potestas indirecta aber ist böse, sie ist links, izquierda, nicht präsent, nicht einmal repräsentiert. Bonald sagte: die Gesellschaft selbst (die sociéte, daher Sozialismus! –––– Das heißt Sozialismus!) kann den Glauben an Gott ––––– –––– nicht deklarieren, weil sie selbst, in ihrer Existenz, die „Anwesenheit Gottes“ implizit

Am Rand: „vgl. 8. 8. 53, vgl. Jürgen Habermas 25. 8. 53“. Am Rand: „Man sollte ihn fragen: Wie kommst du zu dem Vornamen Theodor?“. 3 Am Rand: „vgl. 19. 3. 55, 3. 4. 55“. 4 Auf der Seite daneben (offenbar später): „17. Dezember 1953. Inzwischen Le Pal. 3/86 Das ––– –––––––– ––– Brandmal, das Datum 17. Dezember 1953 Bd. 3, Seite 86, temerataque jura relinquo“. –––––––– –––––––– 5 Am Rand: „Repräsentation. Sichtbare Kirche als absence de Dieu!!“ 1 2

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involviert, voraussetzt.1 Dazu Robert Spaemann (Irrtum des Traditionalisten, Wort und Wahrheit, Heft 7, Juli 1953): „Der Begriff der Anwesenheit im Unterschied von der bloßen Existenz Gottes ist übrigens ein seht tiefer. Er bereitet das Verständnis für Nietzsches ‚Gott ist tot‘ vor.“ Jawohl, Robert Spaemann; das ist es; diese Ihre Bemerkung ist übrigens eine sehr tiefe. „Ein nicht anwesender Gott ist nämlich so gut wie tot.“ Partir c’est un peu mourir. Rivarol . Der Sozialismus will Gott anwesend machen. Durch allgemeine, gleiche Beteiligung; am Leviathan selbst (magnus homo), aber am Gastmahl des Leviathan. Die zwei sozialistischen Sakramente! Hegel: Der Staat ist der präsente Gott; Marx: Der Staat muß geschlachtet werden, zum Gastmahl des Leviathan. Das ist das große Sakrament des marxistischen Sozalismus; es ist schon längst vollzogen, drüben in Rußland. Früher sagte man (Kitsch-Wort): Tableau; heute sagen sie: Situation. Political=Science= Weisheit. Hier im Westen ist das andere Sakrament (des Weins) längst zerstört. Die Montan-Union wird die Mosel kanalisieren; der Mosel-Wein wird mit-kanalisiert: die Mosel-Weinbauern werden Mitglied des Vereins Obst-Saft-Verwerter; die Kardinäle müssen ihren Segen dazu geben; denn sie haben dem Laien den Wein ja schon längst entzogen. tacito rumore Mosella – sc. nondum canalisata. 15. 3. 54 Sie harfenieren die Verwüstung, Und die Posaune des Gerichts. Violinieren die Entrüstung, Cembalisieren unser Nichts. (Rilke) 16. 3. 54 Der Wein ist heute kein Sakrament mehr; Aldous Huxley empfiehlt uns statt dessen das Mescalin. Aber es gibt noch herrliche Reste vom Wein. Trinken wir sie, bevor die Mosel kanalisiert und Frankreich integriert ist. Trinken wir die schönen Reste! Gelegentlich nahm jeder sich das Beste; Ich halte mich an diese schönen Reste. Wie kommt ein Insulaner dazu, aus seiner maritimen Existenz heraus fremde Rauschgifte zu präkonisieren, obwohl er wahrscheinlich noch nicht den kleinsten Teil der wunderbaren Weine Europas probiert hat? Dem „Spiegel“, der diese Entdeckung Huxley’s bespricht ohne zu protestieren (März 1954), müßte ich schreiben: warum propagieren Sie falsche Lehren, die der Entortung der heutigen Europäer dienen? Aber es hat keinen Sinn mehr, zu protestieren; sie halten es für einen Witz.

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Am Rand: „öffentlich anwesend bedeutet offen“.

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Zeitungsausschnitt. Darüber: „1) Encyclica 1930: –––––– quod Norma renegatur et rejiciatur!! Ursache Energie, Energie der box. 2) S. 44; der Papst über Situationsmoral, [(]25. 4. 52); 3) 1. Juni 1954: laicus taceat in et extra ecclesiam nisi acclamat ordinario competenti.“ Darunter: „Vorschlag zur Güte: laicus taceat in ecclesiam, clericus taceat extra ecclesiam.“

9. 6. 54 Dem Zeitalter der grenzenlosen Kompatibilitäten folgt das Zeitalter der grenzenlosen Konvertibilitäten. Der Konvertit, Herr Hausenstein, als Prototyp des deutschen Katholizismus; taceat extra ecclesiam. Trahison des Clercs; sie empfehlen uns statt Wein: Mescalin; damit sind sie verortet; vgl. 15. 3. 54 und 16. 3. 54 (Aldous Huxley). 9. 7. 54 Fortschritt. Ich hab mein Sach Gott heimgestellt; Lutherisches Lied (von Schütz als Choral-Variation verwertet; 1624); Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt (Antwort Goethes, 18. Jahrh.) Ich bin Ich; Mir geht nichts über Mich (Max Stirner, 1845); Kurzgespräch: A. Diese Brüder haben uns den Kelch entzogen, den Wein und damit das Blut Christi; B. Erlauben Sie mal: ad vocem Brüder; da möchte ich doch betonen: no fraternization! Ne joco quidem

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A. Gut; also diese Väter, diese Papal-Quellen des Vater-Komplexes.1 10. 7. 54 Zu meinem 66. Geburtstag: Ich bin alt; Ich habe allmählich genug vom Leben – und auch von der Verfolgung satt und genug. Aber ich möchte den Tag, an dem das Gesindel auf meinem Grabe tanzt, doch noch etwas hinausschieben; das ist ein natürlicher Wunsch, der auch einen alten Mann noch lange aufrechtzuhalten und auf dieser Erde festzuhalten vermag. 15. 7. 54 Anni sagte: Ich kenne meine Pappenheimer Ich erwiderte: Da kennen Sie eine altmodische Sache. Ich aber kenne meine Oppenheimer. Am 19. 7. 542 sagte mir Heinz Weitzel aus Frankfurt: Das habe ich schon lange gesagt. Es scheint also nahe zu liegen und konkret wahr zu sein. 26. 7. 54 Entdeckte eine aufschlußreiche Prognose am Schluß eines nervös-zerflackernden Aufsatzes von Anton Kuh: „Die große Brandnacht, von der Nietzsche-Flamme vorgekündet, wird erst kommen. Vielleicht dann, wenn eines künftigen Tages, nachdem die plebejische Strotzkraft der neuen Welt sich der alten bemächtigt hat und wir alle Amerikaner geworden sind, Nietzsches Werk Simsongleich die Wolkenkratzer über sich zusammenreißt.“ (Sic, zum 25. August 1930 in der Neuen Rundschau S. 865). 27. 7. 54 So lebt die Neue Welt und das sind ihre Ideale: Genuß ohne Gefahr (Kaffee-Hag-Reklame für coffeinfreien3 Kaffee). Machtvoll aber unschädlich (Desinfektionsmittel, Infektionsvertilgung B 43, für Rasierkreme). 30. 7. 54 Warum soll uns der Name „Israel“ in den Psalmen beim christlichen Gottesdienst stören? Es stört uns ja auch nicht das „Fiat“ im Paternoster! 1. 8. 54 An einen bestimmten meiner Verfolger, den ich für ehrlich halte: Was verfolgen Sie mich? Meine Situation ist Ihrer sehr verwandt. Wir springen von einer Eisscholle zur andern und es ist kindisch, wenn Sie Ihre Eisscholle für endgültiger halten als diejenige, auf der ich im Augenblick treibe. Ich weiß, daß Sie das auch gar nicht tun. Aber statt die Verwandtschaft unserer Situation zu sehen, appellieren Sie an die Eisschollen-Eigentümer Ihrer Scholle. Vom Status zum Situs; wer sitzen kann, soll nicht stehen, sagt Churchill, und wer liegen kann, soll nicht sitzen. Das Ideal ist also: Liegen! Die Lage. Nicht mehr stehen, nicht mehr sitzen; sondern entweder Fliegen oder Liegen! 1 2 3

Am Rand: „(Anton Kuh, Definition, Kriterium der Juden): Verwertet mit 100 % “. Das Datum kollidiert mit dem Datum des Eintrags und kann nicht stimmen. Im Orig.: „nikotinfreien“.

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Zeitungsausschnitt aus FAZ v. 30. 7. 54. Darüber: „ Armer, wackerer Werner Schütz! Mach es doch wie Hausenstein! Oder bist Du nicht konvertibel?“.

30. 8. 54 Un sot trouve toujours un plus sot, qui l’admire. Jawohl, aber heute ist etwas anderes viel aktueller: Un criminel trouve toujours un plus criminel, qui le justifie. 12. 9. 54 Der Sinn jeder Antwort hängt ab von der Frage, und die Frage für die Situation des Frühjahrs 1933 in Deutschland ist nur von Konrad Weiß richtig erhoben und gefaßt worden;

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man findet sie im Christlichen Epimetheus, auf Seite 92; sie ist stärker und schicksalhafter als jemals ein Orakel gewesen ist. Sie ergibt sich als Antithese, aus der Teilung, in die wir als Deutsche gestellt waren. Von ihr muß man ausgehen, um die Frage der Gerechtigkeit zu beantworten. Alles andere ist entweder Canaille oder der Teufelshaß von Fremden und Fruchtabtreibern. Jetzt ist mir meine Lage und mein Schicksal deutlich klar. Gegenüber allen Professoren und Dozenten, mit denen ich dreißig Jahre auf einem deutschen Katheder gelehrt habe, gegenüber den Juristen sowohl wie den Theologen, Philosophen und Historikern, habe ich ein geschichtliches Mehr, das ich meinen blinden Vorgeboten verdanke und das ich nicht verlieren und nicht verleugnen darf. 1. 11. 54 Eigentlich ist es ein unverdientes Glück, daß ich alle diese Jahre seit dem Untergang Deutschlands meinen Beruf als Staatsrechtslehrer nicht mehr ausüben darf. Staatsrechtslehre in einem nicht-souveränen oder gar in einem pseudo-souveränen Staat, das kann zwar finanziell ganz ergiebig sein, wie die Existenz des Wurmes im faulen Holz, aber es ist moralisch durchaus ruinös; es ist die Zerstörung der eigenen Identität, die sich von der Identität des eigenen Volkes nicht abtrennen läßt. Inzwischen aber triumphiert Herr L. als sujet mixte und hütet eine Verfassung, in der sujets mixtes Verfassungshüter sein können. 14. 11. 54 Wer bist Du? Ich las in einer Tagebuchnotiz vom 3. Februar 1941: Ich bin der arme Benito Cereno.1 4. 12. 54 Ich bin der Nicht-Konvertit im Zeitalter unbegrenzter Konvertibilitäten. Ich bin der Inkomp. Er zweifelt der .2 12. 12. 54 L’initié tue l’initiateur; nach Ballanche die Formel aller Revolutionen; aber offensichtlich nur ein einziges Mal wirklich in der Geschichte jedes geschichtlichen Volkes; danach unterscheiden sich alte und junge Völker: die alten haben den Königsmord hinter sich; die jungen haben ihn noch vor sich. Demgemäß wären wir Deutsche in Mitteleuropa noch ein junges Volk. Das älteste Volk aber wären die Juden; sie haben den Sohn Gottes aber nicht selbst getötet sondern nur von der Besatzungsmacht töten lassen, lingua occidistis, wie es in der Karfreitagsliturgie heißt. Oder: Es bedarf nur eines Juden, wie Goethe gesagt hat. Ende des Jahres 1954. Schändung und Schlachtung durch Carl Linfert im NWDR (22. 11. 54); Memor approbii. 11. 1. 55 Ich sehe jetzt den Grund des Hasses, der mich verfolgt und zu vernichten sucht. Warum verfolgen sie mich und warum suchen [sie] mich zu vernichten? Ich kann es dir sagen: An mir zerschellten ihre Vernichtungspläne; an mir zerschellte jeder fremde Gedanke. Das 1 2

Am Rand: „13. 9. 52, 2. 1. 55“. Der stenogr. Satz ist nicht klar lesbar.

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heißt etwas in einem von Fremden okkupierten, von Fremden subjugierten und beherrschten Lande. 12. 1. 55 Woher der unglaubliche Haß gegen mich? Woher die unbarmherzige Verfolgung eines Wehrlosen? Weil an mir jeder fremde Gedanke zerschellt. Alle Entfremder verbünden sich gegen mich, in einem von Fremden besetzten, zerteilten und zertretenen Lande. Wer bist du? Antwort: Entwurf einer denkbar kurzen biographischen Notiz: Ich bin am 11. Juli 1888 geboren und habe aus Anlaß des 11. Juli 1948 einen „Gesang des Sechzigjährigen“ verfaßt, aus dem sich alles Weitere entnehmen läßt. 24. 1. 55 Man erzählt mir von den Gemeinheiten meiner Verfolger. Was tue ich darauf? Ich gähne. Da kann man wirklich sagen: Ich gähne, also bin ich. 30. 1. 55, Sonntag Schwänzte das Hochamt und hatte stattdessen (oder: dafür?) eine unglaubliche Begegnung mit dem hl. Stephanus und dem Anfang des Christentums; Acta Apostolorum Kapitel 7. Große Aufregung: Das ist die authentische Grundlage für jede Erörterung des Verhältnisses von Christen-Juden. Diese haben den Erben getötet: homicidae filius et manent. Den Erben getötet: Mt 21,38–39; Mk 12,7–8; Lk 20,14–15. (Man kann wirklich sagen: Ich gähne also bin ich). 4. Sonntag nach Epiph.[anias]. Quid timidi estis! Et facta est tranquillitas magna.1 14. 2. 55 Lauter weltgeschichtlicher Fortschritt: von (Turnvater) Jahn zu (Tarnbruder) John; von (Terrorist) Nero zu (Pazifist) Nehru;2 15. 3. 55 Darauf sehn sich schmunzelnd an Thomas Frau und Thomas Mann und kassieren Preise ein, groß und klein. Friedenspreise, Kriegespreise, Schillerpreise, Goethepreise, Ost und West, West und Ost dienen hier in gleicher Weise. Schließlich muß er selber lachen. 1 2

Am Rand: „vgl. 9. 6. 53“. Am Rand: „Fortschritt 8. 7. 55“.

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19. 3. 55 Sprich nicht albern über Albernes. Erinnere dich lieber deiner Entdeckung: Der Name deutet auf die Nahme durch einen gerechten Nehmer; er gibt dem, was er mit Recht nimmt, den Namen. Er nimmt dem Besiegten den Namen und trägt ihn selbst: Scipio Africanus, Drusus Germanicus. Ne simus faciles in nominibus. Im Namen des Königs d. h. im Namen dessen, der die große Nahme vollzogen hat, dem wir das Recht verdanken, in dessen konkreter Ordnung wir leben. Das ist der Nómov Basileus.1 20. 3. 55 Eine hors-la-patrie-Erklärung, Stumpf und Stil-Ausrottungs-Programm: Franz Böhm nimmt sie vor: Wer die Nazis nicht länger verfolgen und pisacken will, ist kein Deutscher; Deutscher kann man sein, auch wenn man kriminell ist; aber nicht, wenn man die Nazis nicht länger verfolgen will. Denn, so sagt Böhm: deutsch ist nämlich ein „geistiger Begriff“. Merkst Du jetzt, was der Geist dieser Verfolger ist? Den Vorwand zur Verfolgung, die Rechtfertigung des Unrechts[?] Merkst du die Steigerung der Feindschaft durch das „Geistige“? Schönes Beispiel dieser Steigerung: den Geist als Mittel, um die eigentliche letzte Feind-Unterscheidung zu erreichen; Logik des Vernichtungskrieges. Der Stumpf und Stil-Geist des Herrn Böhm. Zuschrift Böhms an die Illustrierte Zeitung Quick; mitgeteilt Frankfurter Hefte, März 1955. Offenbar gleitet dieser arme Böhm ins Irre ab. Offenbar treibt ihn ein geheimer Fluch in den Abgrund. Qui vivra, verra. 3. 4. 55 Die drei Intellektuellen, zu mythischen Figuren erhoben: Hamlet, Don Quijote und Faust. Drei Bücherwürmer, drei Leseratten, drei Ergebnisse der Buchdruckerkunst; Hegels Gott-Nahme; H. erobert sich Gott-Nahme durch Begreifen; com-prendre; durch und für die Vernunft.2 Kojève, Introduction p. 215: Hegel sieht schon die Ambivalenz und Zweischneidigkeit solcher Nahmen: er nahm sich das Leben (Phänomenologie S. ), Arbeitnehmer – Arbeitgeber. Die alte Hintergründigkeit der deutschen Sprache: sich nehmen kann also auch heißen: sich wegnehmen; also nehmen und verlieren wird auf eine hinterlistige Weise dasselbe. Es ist wie im Märchen. Ähnlich: Aufgabe; Hans-Rudolf Müller-Schwefe: „So kann Essen und Trinken ein Erkennen heißen“ (E. Jünger, Festschrift S. 58); leiblich begreifen, leiblich nehmen. Was Müller-Schwefe als erkennen bezeichnet (Essen, trinken, erfahren der Bildkräfte der Welt, als Gegenstand behandeln) sind sämtlich verschiedene Arten des Nehmens; auf dem Weg über das Nehmen ist dieses alles verwandt und deshalb: Nehmen, Teilen, Weiden. Den Ur-Nehmer, den suchen wir. 5. 4. 55 Gott ist Ur-Geber, d. h. Verteiler. Gott gibt, d. h. verteilt, was er geschaffen hat. Er braucht nicht zu nehmen. Der Mensch soll jetzt an seine Stelle treten. Das bedeutet den Vorrang der Produktion vor der Verteilung und die Abschaffung des Nehmens und der Nahme.

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Am Rand: „vgl. 26. 12. 53“. Am Rand: „vgl. 26. 12. 55, 17. 4. 55“.

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Zeitungsausschnitt, Karikatur zu Jalta. Darüber: „Illustration zum Gelächter Gelimers, Die Zeit, Hamburg, 24. März 1955“. Rechts: „vgl. meine Tagebuch-Eintragung Berlin, Donnerstag 6. 4. 1933 abends 8, Prinz Leopold Palais, (1 Stier in der Arena vor der toreada2) wie der Ritter, Stich schon bereitet; im Augenblick“. Darunter: „Der Ritual-Mord von Yalta, Februar 1945. Und dieses Bild kann 1955 unbeanstandet passieren?“ Rechts: „Februar 1945 geht das vor sich. März 1955 wird es der Welt bekannt. Februar 1956 beginnt die Entstalinisierung (Komm. Parteit. Rußl., Entlarvung Stalins als Massenmörder, Chrustschow). Dez. 1958 schickte ich ein Expl. meiner Großraumordnung (3. Aufl.) (in dem diese Zeichnung eingeklebt war) an H. Recknagel, Essen-Stadtwald, Frankenstr. 72. Hierin gehört die Europa-Kurve mit der Hieroglyphe des Westlichen Welt (vom 11. 7. 1956, V S. 67 [= 349])“.

10. 4. 55, Ostersonntag. Zum Thema: Ikonographie. Wandel der Ikone, auch eine Form des Ikonoklasmus.3 Zur Zeit der Gegenreformation verwandelten sich die Monstranzen und Madonnenbilder plötzlich in Geßler-Hüte. Heute ist Thomas Mann ein Geßler-Hut, vor dem sich alle verbeugen müs-

1 Die stenogr. Notiz konnte nicht gelesen werden, doch heißt es in dem zitierten Tagebucheintrag: „Hitler wie der gierige Stier in der Arena.“ 2 Gemeint wohl „tauromaquia“, Stierkampf. 3 Am Rand: „vgl. 14. 8. 55“.

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sen, um nicht als Neo-Nazisten verfolgt zu werden. Und dieser Humanitär kassiert die Verbeugungen eifrig ein und schürt die Organisatoren, die ihm diese Art Ruhm integrieren. (Gedanken während des Ostersonntag-Hochamtes). Das Heine-Denkmal als neuer GeßlerHut! Cor ne edito; gegenüber Günther Krauss war ich wirklich anthropophagus cordis mei, um ein pythagoräisches Wort zu übernehmen. 16. 4. 55 Wenn alle Unterscheidungen (wie staatlich und gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich) und alle Inkompatibilitäten sich auflösen, dann bleibt wirklich nur die Unterscheidung von Freund und Feind.1 Die innerstaatliche Ordnung besteht darin, durch sekundäre Unterscheidungen die latente primäre letzte Unterscheidung niederzuhalten.2 Der neutrale Staat als Katechon. 17. 4. 55 Der Staat als der große Verteiler ist zugleich der große Nehmer. Er nimmt das zu Verteilende –––––– teils im Wege der Besteuerung und Abgabenerhebung, teils durch Konfiskationen im Wege der Entrechtung bestimmter Einwohner seines Gebietes oder bestimmter Menschen, die er für hors la loi erklärt oder unter den Händen einfach so behandelt.3 Die utopische Gesellschaft – sowohl die der liberalen freien Marktwirtschaft wie die des marxistischen Zukunftsstaates – nimmt angeblich nicht mehr, sondern sie produziert nur, und zwar so unendlich viel, daß das Teilen und Verteilen kein Problem mehr ist. Da hört dann also eigentlich nicht nur das Nehmen, sondern auch das Teilen und Verteilen auf, und es wird nur noch produziert, nur noch geschaffen. Dann ist die große Gott-Nahme vollendet. Dann ist nämlich die menschliche Gesellschaft der Gott, der nur gibt und nichts zu nehmen braucht, weil er alles aus dem Nichts erschafft.4 Das ist politische Theologie. Das ist die Weiterführung der Philosophie der Arbeit, die Fichte und Hegel begonnen und die Karl Marx vollendet hat. Diese Philosophie der Arbeit ist die große Gott-Nahme. Aber der irdische Gott, der aus dem Nichts schafft, um nur zu geben, ohne zu nehmen, erschafft selber erst das Nichts aus dem er schafft; d. h. er nimmt. Wer kann diese Erkenntnis der Gott-Nahme heute verstehen? Keiner unserer heutigen Staats- und Gesellschafts-Christen. Kein zölibatärer Bürokrat – der wird nur bösartig, wenn er davon hört – und kein Pharisäer. Ich muß also wohl auf einen Juden warten. Vielleicht Jacob Taubes; vielleicht Kojève.5 Schließlich waren es ja auch nur Juden, die die groteske Frechheit dieses E.[rich] K.[aufmann] erkannt und beim Namen genannt haben: Kurt Hiller, Kempner. Geht leider nicht.

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Am Rand: „an E. Forsthoff, 16. 5. 55“. Am Rand: stenogr. Notiz nicht lesbar. Am Rand: „vgl. 16. 4. 55“. Am Rand: „an Kojève, 9. 5. 55“. Am Rand: „tatsächlich Kojève, sein Brief vom 2. 5. 55; meine Antwort 9. 5. 55“.

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19. 4. 55 Betrachte andächtig die Vibration der Baumblätter, der Äste und Zweige und der Tannenspitzen; an ihr kannst Du Vibrationsmantik treiben. Das kann man an den Mobiles von Calder nicht. Die Worte vibrieren ebenso wie Tannenspitzen oder Blätter, oder wie Zweige und Äste eines Baumes. So im Augenblick das Wort: magnus homo. Laß es vibrieren, horche und leide und du erkennst die Unmöglichkeit einer Rechtsordnung, die jeden Mikrotyp als Makros-Anthropos fingiert und dem Mikro ein Grundrecht auf Behandlung als Makro gibt. Alle Menschen sind gleich. Jawohl. Heißt das: gleich klein oder gleich groß? In der Gleichheit geht die Frage unter und es heißt nichts anderes als gleich gleich, das heißt: gleich=nivelliert; gleich=geschaltet. 4. 5. 55 „Mein ist das Interim“! Wer sagt das? Das sage ich, Hamlet (V,2), Hamlet, Sohn der Maria, der wahre Jacob, weißer Rabe auf allen schwarzen Listen. Aber das Interim wird kurz sein. It will be short, The Interim’s mine. Wo steht das? Das steht nur in der Folio-Ausgabe Hamlet von 1623 (V,2,74), nicht im Quart-Band 1 (1603) noch auch in Quarto 2 (1604). Darüber kann einer tiefsinnig werden. Denn das Interim des Christentums dauert allmählich zu lange. 9. 5. 55 Vielleicht zum 67. Geburtstag: Abschieds-Lied des alten Mosellaners: Die Menschheit wird jetzt integriert, Die Mosel wird kanalisiert Das Sakrament wird umgebogen, Dem Laien wird der Kelch entzogen. Verborgen bleibt der liebe Gott, Die ganze Welt wird melting-pot Die Automatik wird global Dem Laien reicht man Veronal.1 Wäre ein schönes Gedicht zum Andenken an Hugo Ball. 30. 5. 55, Pfingsten Hört andächtig das Orakel der Vokale! Hört andächtig den Satz des Ex-Theologen Friedrich Nietzsche (als Antwort auf I Joh 2,17 [„]Die Welt vergeht mit ihrer Lust.[“]): Alle Lust will Ewigkeit! Und laßt die Vokale des Wortes „Lust“ ihr lustiges und listiges Spiel beginnen. Das ergibt zum Beispiel: Alle Lust ist lost, das heißt: Lust ist nur Verlust. Alle Lust ist Last; wirf sie ab, statt sie zu tragen und auf sie hereinzufallen.

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Am Rand: „Forsthoff zitiert in Törwang; er verstand es nicht. Anima fand es zu traurig.“

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Alle Lust ist List; die List der Idee ist ein harmloses Spiel im Vergleich zur List der Lust.1 Über-liste sie! (Dazu I Joh: [„]Die Lust empfängt und gebiert die Sünde.[“)] 1. 6. 55 Le microbe n’est rien, le terrain est tout; dieser Ausspruch des großen und über jeden Verdacht erhabenen Pasteur ist doch schon beinahe Geopolitik. Fügen Sie hinzu: L’individu n’existe pas; Ausspruch des großen und über jeden Verdacht erhabenen Auguste Comte, und ziehen Sie daraus die analoge Schlußfolgerung, so ergibt sich wiederum das, wovor der arme Hausenstein so Angst hat: Raum. Im Jahre 1945 konnten diese Würmer ihre Platzangst und ihre Budenangst plötzlich als einen Sieg über Hitler konstruieren, sogar, wie Hausenstein, als einen Sieg über das neue Raum-Problem. Daraufhin konnten sie dann deutsche Geschäftsträger in Paris werden, so entstand – ohne Raum und folgerichtig sogar gegen den Raum – das Nachkriegs-Europa. Hegel ist seit 400 Jahren der einzige christliche Theologe; nicht Kierkegaard; denn in Kierkegaard ist keine Theologie der Trinität.2 Hegel aber ist der Theologe der Trinität. Seit Joachim de Fiore der größte. Das ist herrlich. Da zittern die Lügner à la Peterson, die uns vorgemacht haben, die Lehre von der Trinität erlaube keine politische Theologie, und die Convertiten der letzten Jahrzehnte überlegen sich neue Diffamierungen mit neuen schwarzen Listen. 5. 6. 55 In Göttingen haben sich mannhafte Professoren gegenseitig ihre Mannhaftigkeit bescheinigt, indem sie einen Kultusminister, Mitglied einer sehr schwachen Partei, gestürzt [haben]. Jetzt ist in der Presse jeder dieser Göttinger Professoren ein Göttinger Sieben; jeder Zoll jedes dieser Göttinger Professoren ein Göttinger Sieben, 70000 Göttinger Sieben. Mannhaftigkeit der Masse. Das Opfer dieser fabelhaften Massen=Mannhaftigkeit aber ist ein trauriger Herr Schlüter. Die Relation ist klar. Die neuen Göttinger Sieben verhalten sich zu den alten Märchenbrüdern Grimm von 1837 wie Herr Schlüter zu König Ernst August.3 9. 6. 55, Fronleichnam4 Eine ungeheuerliche zweite Begegnung (vergleichbar nur der ersten vom 30. 1. 55 mit der Stephanus-Erzählung, 7. Kapitel Acta Apostulorum, über die Tötung des Erben durch die Juden) während des Hochamtes zu Hause in meinem Arbeitszimmer, unter den Büchern, die mir um diese Stunde – während ich dem Hochamt fern bleibe – in die Hände fallen. Hier schwingen alle Vibrations-Orakel. Also die zweite derartige Begegnung, die mir gewiß macht, daß Hegels Phänomenologie des Geistes ein inspiriertes Buch des deutschen Glau1 2 3 4

Am Rand: „Fortsetzung 23. 8. 55“. Am Rand: „vgl. 17. 9. 51“. Am Rand: „an Al. Kojève, an Mohler “. Am Rand: „vgl. 30. 1. 55“.

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bens ist: S. 175/6: „Es ist ihm (dem Selbstbewußtsein, das Vernunft geworden ist), indem es ––––––––– sich so (nämlich daß sein Denken unmittelbar selbst die Wirklichkeit ist) erfaßt, als ob die ––––– Welt erst jetzt ihm würde; vorher versteht es sie nicht; es begehrt und bearbeitet sie; zieht sich aus ihr zurück und vertilgt sie für sich und sich selbst als Bewußtsein; als Bewußtsein derselben als des Wesens, sowie als Bewußtsein ihrer Nichtigkeit. Hierin erst, nachdem das Grab seine Wahrheit verloren, das Vertilgen seiner Wirklichkeit selbst vertilgt … entdeckt es –––– seine neue wirkliche Welt.[“] –––––– –––– –––– –––––– ––––––––– ––– –––– –––– Also: erst muß das Grab verloren, d. h. der gestorbene Gott wieder auferstanden sein. Also seit dem Ende der Kreuzzüge, wie Kojève (Introduction S. 81) richtig sagt. Das lese ich heute bei Kojève und während der Fronleichnamsprozession 1955. Das Grab verlieren bedeutet hier die Auferstehung, das Vertilgen des Vertilgen, Tötung des Todes, alles christliche Dialektik (gestern habe ich Kojève geschrieben). 11. 6. 55 In Göttingen haben sich einige Tausend Göttinger Sieben gefunden und einen armen Teufel glorreich besiegt.1 Welch ein Triumph! Die Relation zum Jahre 1837 ist klar. Diese neuen Märchenbrüder von 1955 verhalten sich zu ihrem Vorbild von 1837 wie ihr Gegenspieler, der arme Schlüter, sich zu dem Gegenspieler von 1837, dem König Ernst August von Hannover, verhält. Glückliches Zeitalter, in dem sich gleich Siebentausend Göttinger Sieben finden!2 12. 6. 55, Sonntag Formulierte (für Johannes Groß, dem ich es aber schließlich doch nicht vollständig mitteilte) meine Meinung zum Falle Schlüter (Göttingen) Juni 1955; Schlüter wurde von Universitätsprofessoren und Studenten, durch Demonstration zum Rücktritt als Kultusminister gezwungen, weil er Schriften amtsverdrängter Hochschullehrer verlegt hatte. Die ganze Demonstration gegen ihn war erfolgreich, weil sie von links gegen rechts gesteuert wurde und üble Defekte in der Person Schlüters ausnützen konnte. Also meine Meinung: 1. das Ganze: Eine garantiert risikolose Befriedigung des enormen Nachholbedarfs an Zivilcourage! 2. Verfassungsrechtliche Symptomatik des Vorganges: ein Ministersturz durch außer-parlament[arische] Aktion; recall. Probefall für die Mobilmachung der plebiszitären Elemente, die unausrottbar in jeder Demokratie stecken, die aber nach 1945 – insbesondere im Bonner Grundgesetz und in der Frage der Wiederbewaffnung – sorgfältig und ängstlich verdrängt worden sind. 3. Geschichtlicher Rang des Vorganges: die zahlreichen Göttinger Sieben des Jahres 1955 verhalten sich zu den Originalen von 1837 wie der Gegen-Spieler von 1955, der arme Herr Schlüter, sich zu dem Gegen-Spieler von 1837, dem König Ernst-August von Hannover verhält; das ist ein klares und exaktes, geschichtliches Rangverhältnis.

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Am Rand: „vgl. 15. 10. 51“. Am Rand: „an Wirsing, Anima, Mohler, Kojève“.

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4. Aesthetische Qualität des Vorgangs: Universitäts-Professoren und Studenten stürzen sich mit politischer Duldung mannhaft auf einen Schlemihl um ihm seine größenwahnsinnige Anwandlung, der für Universitäten zuständige Minister zu werden, gründlich auszutreiben. Das ist als Schauspiel mehr ein Cauchemar à la Kafka, als ein Freiheitsdrama à la Wilhelm Tell. 5. Posse: Der Wildschweindieb als Minister-Stürzer. (Das Ganze: Eine garantiert risikolose Befriedigung des allgemeinen Nachhol-Bedarfs an Zivilcourage.) 6. 7. 55 Magnus homo/ Magno homini/: magnus homo Magnus homo/ parvo homini/: Deus Parvus homo/ parvo homini/: Homo. Wo bleibt denn da der Lupus?! Ich denke noch am ehesten: überall wo homo homini homo – als magnus oder als parvus – gleich ist, ist er dem Wolfe näher als dem Gott. Im übrigen gilt: Magnus homo/ parvus Deus et magnus lupus. 8. 7. 55 Fortschritt über Fortschritt: aus den Göttinger Sieben des Jahres 1837 sind die Göttinger Dreitausend des Jahres 1955 geworden!1 Diese werden im Juli-Heft der Zeitschrift „Der Monat“ in einem Aufsatz unter dieser Überschrift: „Die Göttinger Dreitausend“ tatsächlich so gekennzeichnet. Ahnungslose Treffsicherheit eines Schmocks. Aber warum sagt er nicht gleich Siebentausen? Oder wenigstens Dreitausendfünfhundert? Viertausendfacher Widerstand gegen die Obrigkeit. Riesenerfolg der Re-Education! 5. 8. 55 Und siehe da: es gibt auch eine Mensch-Nahme! Der Mann nimmt die Frau, und sie erkennt ihn. Der Sklavenjäger nimmt nicht den Sklaven sondern raubt und verkauft ihn, wie der Jäger das Wild. Aber die Gott-Nahme Hegels ist zugleich eine Mensch-Nahme durch den Gott-Nehmer. Hic Rhodus! Hic saltat! Hinc illae lacrimae! Es bleibt also nur übrig, nach Heideggers Vorbild Sein durchkreuzt in Zukunft zu schreiben Mensch gekreuzigt. 9. 8. 55 Glückliche Begegnung mit einem Ausspruch Jakob-Hamlets: als der Jurist Sir Edward Coke dem König sagte, dieser sei defended by the laws, antwortet der König, das sei „foolish“; ein König werde nicht durch Gesetze sondern durch Gott beschützt. Ist das nicht herrlich? Und das als polare oder dialek[tische] Gegenposition gegen Rivarol: l’obscurité protégé mieux que la loi. Unermeßlicher Tiefsinn! Unermeßliches Glück solcher Erkennt1

Am Rand: „(Fortschritt 4. 2. 55)“.

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Zeitungsausschnitt. Darüber: „6. 8. 1955 Extra Zeitgeschichte protectus“. Rechts: „7. 8. 55“. Darunter: „Schutz nur außerhalb der Zeitgeschichte. L’obscurité protège mieux.“

nisse und Begegnungen. Und wer hat mir diese Begegnung mit dem Ausspruch JakobsHamlet vermittelt? Isaac Disraeli (der Vater des berühmten Disraeli Lord Beaconsfield) mit seinem „Character of James the First“, S. 423 (Works of I. D. London 1859, ). Es ist zum disraelitisch werden! 14. 8. 55 Also Thomas Mann ist gestorben. Ein Geßler-Hut fällt von der Stange.1 Eine Wolke verwehende Drucker-Schwärze und Radio-Schallgas legt sich auf beide Welten, Ost und West, Knechtschaft und Freiheit. Offenbar war dieser strebsame Groß-Verwerter mit Bezug auf beide Welten der höhere Dritte und die Erfüllung ihres Ideals vom geistig gehobenen Komfort. Jetzt wird zunächst das Andenken dieser Ausschwitzung des Kulturbetriebes zum Geßler-Hut. Ich sehe aber, während ich das Wort Geßler-Hut schreibe, wie sehr ich noch gemütlich=altmodisch verharmlose. Nicht Geßler-Hut, sondern Tabu, schreibe: Taboo. Die Welt gleicht heute eher einem Totem-Clan mit Taboos als einem Schwyzer Bauernstamm des Mittel-Alters mit einem Reichsvogt Geßler und einem Wilhelm Tell. 15. 8. 55 Wenn ich an die Zeit 1928–32 denke und Adolf Caspary, Leo Strauß, Walter Benjamin (und alle, die hierzu gehören) mich heute fragen, warum hast du 1933 auf der andern Seite mitgemacht, so muß ich ihnen antworten: damit Ihr auf der deutschen Seite noch einen Part-

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Am Rand: „vgl. 10. 4. 55“.

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ner behieltet; einen Denk- und Gesprächs- und (wie mein Schicksal von 1945 bis heute zeigt) sogar einen Schicksalspartner. Denn ohne dieses Schicksal nützt alle diese Denkund Gesprächs-Partnerei nichts. (Gedacht und Geschrieben während der Vorbereitung eines Hamlet-Vortrages unter dem Eindruck der Worte „Opfer für das Leben der noch ungeborenen Volksgemeinschaft“ bei Walter Benjamin, Ursprung des Trauerspiels, 1930, S. 99). 22. 8. 55 Ein Antiklerikaler sagt mir: Nehmen Sie sich in Acht vor den Pfaffen; jeder Pfaffe ist machtgierig und herrschsüchtig und verfügt über alte Tricks, um sich die Menschen zu unterwerfen. Ich: Sehr gut. – Aber warum sagen Sie das? Ich weiß das längst. Ich bemerke nur, wenn ich Sie so höre, daß jeder Mensch ein Pfaffe ist. Vielleicht ist das die Auswirkung des allgemeinen Priestertums. Homo homini Clericus. 23. 8. 55 Die Lust empfängt und gebiert die Sünde! Gebrauche daher antikonzeptionelle Mittel! Grauenhaft, das auszudenken, oder auszumalen. Aber vielleicht ist der Wille zur Ewigkeit, den Nietzsche in die Lust hineinlegt, eben diese Empfängnis der Sünde, ebenso wie nicht die Macht, sondern der Wille zur Macht die Sünde ist. 1. 9. 55 Michel Mourre, Lamennais p 141: Féli, il faut se rendre! Tu le sais bien, Fèli, la société c’est d’abord ton affaire de librairie qui pèriclite, ce sont tes créanciers … (p. 172). Féli le pauvre, le vaincu, Grausamkeit dieser Methode einer psychoanalytisch-soziologischen Erklärung; dabei kann kein Mensch bestehen; Trick mit dieser giftigen Waffe der psychisch-sozialen Analyse das praevenire zu spielen und den andern zu paralysieren, ehe er auf den Gedanken kommt sich zu wehren. Habe ich es nicht selber so mit Adam Müller gemacht? Michel, this is miching mallecho! Adam Müller war ein erfolgreicher Arrivist, Lamennais war ein armer, ein glaubenstoller Junge. Und Michel Mourre stellt sich auf die Seite der Behörde, die natürlich immer Recht hat, siempre ragione, auf die Seite der célibatairen Burocratie, die natürlich kein Objekt für eine Psychoanalyse sein kann und an deren Soziologie nicht einmal Max Weber sich herangewagt hat. 14. 9. 55 Unter dem Eindruck der Nachrichten von Adenauers Moskau-Reise (9.–14. September 1955): Die Welt, in der Prof. Wilhelm Grewes Lichtlein leuchtet, liegt hinter mir in wesenlosem Scheine. Der Vollblut Moju kann das besser; Er wetzt das Ritualmordmesser. 15. 9. 55 O Gott, o Gott! Soll ich mich nach der Genugtuung sehnen, die in der Vorstellung eines Nachruhms liegt? Soll ich einen Trost bei der Nachwelt suchen, eine Genugtuung, wie sie dem Johann Jacob Reiske des 18. Jahrhunderts durch Wilamowitz-Moellendorff Ende des

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Zeitungsausschnitt vom 8. 9. 55. Darüber: „Vgl. S. 44 [= 274] und S. 94 [= 306], vgl. 25. 4. 52 (S. 44 l), 21. 9. 55. Nach Michel Mourre’s Lamennais diese hocherbauliche HochamtsLektüre für allzu eifrige Laien. Sonntag, 11. 9.55; armer Donoso“.

19. Jahrhunderts widerfahren ist? Soll ich mich vor diesen elenden Deutschen irgendwohin, in die Zukunft oder in die Nachwelt, flüchten? Wie jämmerlich! Und plötzlich wie tröstlich. Wieso habe ich denn diese Stelle in Wilamowitz-Moellendorffs Euripides-Buch überhaupt entdecken können? Unabsehbare Tiefe der subjektiven Zufälligkeit, Haar vom Haupt und Sperling vom Dach! Kommen Sie, Cohn, sagte Fontane. Kommen Sie, WilamowitzMoellendorff, sage ich jetzt, 1955. 17. 9. 55 Was höhnt die Hupe? Gott ist tot! Doch Adenauer lebt, und Papst Pius XII!!!

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21. 9. 55 Wie stark war der antirömische Affekt des Historikers Fritz Kern! Wie oft habe ich das in den Jahren 1923–28 in Bonn gemerkt.1 Aber dieser nationale Kämpe wurde 1927 Mitglied der Liga für Menschenrechte und trat nach 1945 zum Katholizismus über. Immer suchte er Sicherheit und hatte er ein Flair dafür, wo sie zu finden war. Groteske Konstruktion einer Heil- (Heils-)Anstalt, in der man weder ganz gesund noch ganz krank, sondern eben nur „verwundet“ ist, und nur soweit geheilt werden kann, wie es notwendig ist, um in der Anstalt zu bleiben. Es ist unmöglich, die Anstalt als geheilt zu verlassen. Andrerseits garantiert einem die Anstalt, daß man nicht stirbt. Groteske Complexio oppositorum als Neutralisierung zum Zweck der Totalisierung. Thema für Kafka. 25. 9. 55, Sonntag Vom Christen her müßte die Definition des Juden lauten: Jude ist jeder, der sich rächt. Aber hier sieht man am besten, daß die Christen Juden geworden sind und Karl Marx in diesem Punkte recht hat. 30. 9. 55 „Das ist die wahre Landnahme“, sagt Ernst Jünger (Am Sarazenenturm S. 145): wenn mir Landschaft zu einem „Stück geistiger Heimat“ wird. Diese Bildungs-Einverleibung einer weiteren Reise-Erfahrung oder eines Reise-Erlebnisses nennt er Nahme! Immerhin ist die Urbedeutung des Nehmens noch lebendig: ich vernehme die Stimmen, die Schönheit, den Genius loci. Schöne Bestätigung meiner Deutung von Nehmen, Nahme und Name. Die Namengebung gehört dazu. Die beiden Iren, die auf den höchsten Berg der neuentdeckten Insel steigen und darüber streiten, welchen Namen man der Insel geben solle, während die beiden Schotten sie abmessen und unter sich verteilen. Ernst Jünger aber verdient, aus der Militärklasse des Pour le Mérite in die Friedensklasse versetzt zu werden. Konvertiten wohin man blickt! Ein Volk von Konvertiten. Von den Stahlgewittern zum Touristen Trip; von der falschen zur wahren Landnahme. 4. 10. 55 Eigentum verpflichtet. Das ist heute eine zynische Rechtfertigung für die Zerstörung und Erdrückung des alten Privat-Eigentums. Der gute Konrad Beyerle hat es wichtigmacherisch in die Weimarer Verfassung Art. 153 introduziert. Dient dem Sozialstaat, dem Übergang in eine Verteilungsordnung. Es war der erste Schlag, der das Heiligtum „Eigentum“ traf; der zweite traf kein Heiligtum mehr. Alle Lust will Ewigkeit, –––– Alle Wirklichkeit hat Ewigkeit. ––– Es gibt nur die Ewigkeit der wirklich daseienden Zeit; das ist, nach Hegel, der Begriff; also immer noch das Denken. Ich denke, also bin ich; wir denken, also sind wir; das richtige –––– ––– Denken ist das Denken eines nicht individualistischen Subjekts.

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Am Rand: „vgl. 11. 9. 55, 25. 4. 52“.

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5. 10. 55 Noch ein Fußtritt, den ich heute in den Rücken versetzt bekam, soll hier notiert werden: Mein Vetter André antwortete auf meine – gut gemeinte – Zusendung einer Besprechung der Gedichte seines Freundes Stutterheim mit einer Ansichtskarte, auf der er mitteilt, er erinnere sich meines „Niveau-Zusammenbruchs“ vom Sommer 1916 in Kiefersfelden. Wie reizend und gefühlvoll! Offenbar sind alle menschlichen Beziehungen zerstört. Aber selbstverständlich geht es nicht ohne menschliche Beziehungen. Also kommen völlig neue und ganz andere. Das ganz Andere ist der kommende Gott. Wer ist mir Vater und wer ist mir Bruder? Sieh da, das Neue Evangelium. Nach den Vettern wollen wir deshalb schon lieber nicht mehr fragen. Das Wort „Niveau-Zusammenbruch“ im Munde eines Franzosen ist kennzeichnend. Soviel Deutsch kann er also doch noch. Lehrreiche Erfahrung. Offenbar steigt es ihm zu Kopf, daß er zwei Weltkriege glorreich gewonnen hat. Das soziale Ideal ist der siegreiche Krieg. Der Sieger ist der Idealist; der Besiegte hatte keine, oder – was noch schlimmer ist – sozialschädliche Ideale. Eine nähere Erforschung des Vorlebens des Besiegten wird beweisen, daß das soziale Ideal der siegreiche Krieg ist und Sieger, wer Restitutions-Ansprüche geltend machen kann. 6. 10. 55 Höret den Nobelpreis-Propheten: „Die Angst der Völker voreinander war immer eine der tiefen Ursachen des Krieges … Die Angst, die ich meine… beruht auf der Tatsache, daß der Atomkrieg den Begriff von Freund und Feind aufgehoben hat … Der Krieg mit solchen Mitteln, die man kaum noch Waffen nennen kann, ist ein Unsinn geworden … Furcht vor –––––––––– ––––––– der Selbstvernichtung.[“] (nicht mehr voreinander). „Aber geistige Gegensätze mit Waffen auszukämpfen, war immer vergeblich.“ Also doch Waffen? Natürlich darf und muß der Ungeist mit allen Mitteln vernichtet werden; also rottet die Faschisten aus; einigt Euch auf den wehrlosen Dritten, der keine Atombombe hat; das ist dann der Ungeist. Diese Naturwissenschaftler können sich nur eine einzige Möglichkeit der Entstehung des Friedens denken: aus der Angst vor der allgemeinen Vernichtung. Das ist das Modell des Thomas Hobbes, Entstehung des Leviathan. Es wird allmählich langweilig mit diesem „Geist“, mit dem der offenbar schon ungeduldige Max Born so andächtig hantiert, um dem „Ungeist“ die Bombe auf den Kopf werfen zu können. Was Geist ist, bestimme ich. Klar. Und was Ungeist ist, hat es sich selber zuzuschreiben.

Buch V 14. 10. 1955 – 31. 12. 1958

14. 10. 55 Ich bin zu alt und niedergeschlagen, zu arg von Rufmördern und Fruchtabtreibern niedergeschlagen, sonst müsste ich heute noch anfangen, ein Buch über den Marianismus Hegels und den von Konrad Weiß zu schreiben; ausgehend von der Stelle gegen Ende der Phänomenologie des Geistes, daß der einzelne göttliche Mensch einen (nur) an sich seienden Vater, dagegen nur eine wirkliche Mutter hat.1 Der Charfreitag des Geistes (Hegel) und der Ölberg der Weltgeschichte (Konrad Weiß) sind unbesitzbare Angelpunkte, aber nur die Mutter ist das Geschichtlich=Wirkliche: sie hat das göttliche Kind wirklich geboren. Gott ist tot. Der Gottmensch ist tot. Der Erbe ist getötet, im Zusammenhandeln von Juden und Heiden. Jawohl, sie haben den Erben getötet, Mt 21,38–39; Mk 12,7–8; Lk 21,14–15; Mt 24,30; Act 7, Stephanus. Das ist der geschichtliche Anfang des Christentums und des christlichen Äons. Die erste Tat war eine Untat, die Ermordung Abels; die zweite war eine noch entsetzlichere Untat, die justizförmige, öffentliche Tötung des Erben im Komplott von Juden und Heiden. Der christliche Mythos hat deshalb immer die Tötung des Erben zum Inhalt. Kaspar Hauser ist der bisher letzte christliche Mythos. Die rumänische Hirtenerzählung von der Miorit¸a ist christlich. Der heidnische Mythos liebt und sucht den siegreichen Helden. Napoleon ist der bisher letzte heidnische Mythos. Hamlet scheint ein christlicher Mythos zu sein: die Tötung des Erben. Aber nur im Ansatz. Benito Cereno: die falsche Befreiung. Der Erbe ist der klhro nómov. Den haben sie getötet. Vigens disciplina, Fides moribunda. 15. 10. 55 In Hegel ist das Bewußtsein des christlichen Äons noch lebendig. Er scheint aber zu sagen, daß dieser Äon jetzt zu Ende ist; er scheint es zu wissen. Die Weltgeschichte nähert sich einer andern Mitte als Golgatha, der Schädelstätte. Aber das kann doch gar nicht sein; wir müssen uns von den falschen Hütern und Nutznießern des leeren Grabes losmachen, von den Rittern des leeren Grabes. 26. 10. 55 Ich komme zu dem Ergebnis: die Quelle der Tragik ist eine gegenwärtige Wirklichkeit; Wilhelm Wackernagel, 1838, sagt: die Quelle der Tragik ist historisch-vergangene Wirklichkeit; gegenwärtige Wirklichkeit ist Sache der Komödie, Quelle der Komik! Liegt das nur an dem Gegensatz von heute und dem damaligen Basler Biedermeier? Jedenfalls ist es eine sehr gut pointierte Verschiedenheit und verdient weiteres Nachdenken. In meinem Gutachten zu Adolf Grabowskys Abhandlung vom Mythos steht der Satz: ein Glissando von Zitaten wie aus dem Zettelkasten; alles ist verwertet, nichts ist verarbeitet. Wer hört hier mit, was darin alles liegt? Wer erkennt die Erledigung eines Typus, die damit

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Stenogr. am Rand: „an Alfons Adams geschrieben“.

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vollzogen ist? Wen trifft das allgemein: Verwerten ohne zu Verarbeiten? Und welches eigene Pathos steckt dahinter? Wohl das hegelische des Kampfes von Herr und Knecht. Verwerten ohne zu verarbeiten ist wohl reiner Konsum? Konsumieren ohne produzieren? Der Nicht-Arbeiter? Jetzt bin ich schon wieder einmal auf der Jagd nach einem Menschen und möchte um jeden Preis Pierre Leyris kennen lernen, einen französischen Autor, von dem ich auf spanisch einen kurzen Aufsatz über Benito Cereno las. Der spanische Aufsatz ist 1944 erschienen, als Nachwort zu einer chilenischen Ausgabe der Erzählung Melvilles, in einer billigen Reihe von Novellen und Geschichten. Pierre Leyris sagt: jede Einzelheit dieser Erzählung Melvilles hat einen doppelten Sinn, und jeder Leser kann sich einen eigenen Weg durch dieses abgründige Buch suchen. Die amerikanischen Literaturhistoriker haben allerdings nichts gemerkt, aber die Abweichungen festgestellt, durch welche der Bericht des alten Amasa Delano sich von der Erzählung Melvilles unterscheidet. M. öffnet, gegen seinen eigenen Willen, immer neue Abgründe; er spricht nicht vom Problem des Negerhandels; er macht – nach Leyris – aus dem Sklavenschiff den Zustand der Erbsünde, der Negerhandel ist die Erbsünde; und der Amerikaner ist der Erbsünde nicht so sehr, sondern nur wenig – debilmente – verfallen. Das durfte nicht kommen. Benito springt vom Navio del Penas in die barca der Erlösung. Irrtum guter Leyris. Die Erzählung Melvilles Benito Cereno müßte den Untertitel führen: oder die falsche Befreiung. So versandet der fabelhafte Ansatz von Pierre Leyris in der abstrakten Banalität der scholastischen Theologie und ihrer Zerredungen. 27. 10. 55 Diese Neger haben den Erben getötet, den armen Don Alejandro. Erbe und Eigentum hören auf, nachdem der Erbe getötet ist. Wer sind denn diese Weingärtner von Mt 21? Auf die Arbeiter im Weinberge des Kapitel 20, die einen gerechten Arbeitslohn verlangen, folgen die Weingärtner des Kapitel 21, die den Erben des Weinbergbesitzers töten. Schönes Thema für einen Song von Bert Brecht, mit feurigem Schluß-Effekt: der Erbe wird totgeschlagen, der Sprung ins Reich der Freiheit ist getan. Sigmund Freud wußte noch, was es bedeutete, daß sie die Propheten, sogar den Moses selbst, getötet haben. Er wußte deshalb mehr vom Christentum als die ganze Thomistik der zölibatären Bürokratie, die eben dieses, die Tötung des Erben, seiner konkreten Präsenz beraubt und dadurch zum Mitschuldigen wird. Das erkannten Hamann und Bruno Bauer. Das ist das Ende des christlichen Äon. Luther war der große Kat-Echon. Die Wut Nietzsches auf Luther und Hegel ist von Nietzsche her berechtigt. Auch Hegel ist ein großer Kat-Echon. Die großen deutschen Kaiser waren Kat-Echonten. Daher der Haß gegen Hegel, ein sonst unerklärlicher Haß. 28. 10. 55 My tables! Schreibtafel her! Notizbuch her! Hamlet I 5; schöner Titel für ein Tagebuch. Und was treibt ihn zu seiner Notiz: die Entdeckung eines Schurken, eines Schurken der lächelt. Das sind die menschlichen Denk- und Notizwürdigkeiten. Davon füllen sich die tables! Mir kam dieses My tables heute früh, in der Morgendämmerung, als mir klar wurde, was mir im Mai 1953 in Herrenalb und Baden-Baden widerfahren ist, der beleidigende Hinauswurf, die Beseitigung meines katécwn-Vortrages, damit Gerhard Günther das Thema übernehmen konnte, was Schomerus heute im Linksrheinischen Merkur, 23. September 1955, als

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seine schönste Tagung feiert, eben wegen jenes Gerhard Güntherschen Vortrages, der nur in Wahrheit eine unoriginelle Wiederholung der Ansichten seines Bruders Albrecht Erich war. Ich wollte Albrecht Erich weiterführen, und eben das sollte verhindert werden. Lächelnde Schurken! Also my tables! Wie lang ist meine Leitung! Wie herzlich-dumm und dumm-herzlich bin ich doch! Es bedurfte jenes Aufsatzes im Linksrheinischen Merkur. Aber dieser Aufsatz ist klar. Wer ist so blöd, und sieht nicht den Betrug? Und wer so kühn und sagt, daß er ihn sieht? Immer wieder bin ich dem Betrug erlegen. 5. 11. 55 Der Marianismus Schillers ist ein Thema, das man mit dem Marianismus Hegels behandeln könnte. Der Ausbruch des entdeckten Verräters Mortimer (in Maria Stuart, 4. Aufzug, 4. Auftritt am Schluß) „Maria, heil’ge, bitt’ für mich“ ist von einer zu heftigen Gewalt, als daß er erdacht sein könnte. Was haben diese Schwaben noch in sich, und was haben sie noch alles gewußt! Alles!! Der Marianismus Goethes ist ohne kriegerischen Schwung. Bei Schiller ist er erobernde Conquista. Die irdische Maria und die himmlische gehen ineinander über. Diese Szene hören und sehen sich die Deutschen seit 155 Jahren an und keiner wagt es zu bedenken was Ihnen hier sich enthüllt. Vielleicht wird es uns zum 200. Geburtstag 1959 klar. 6. 11. 55, Sonntag Schreibtafel her! Nach Friedrich Glum (Spiegel und Zerrspiegel der Philosophen) ist das Christentum für die Demokratie unentbehrlich, allerdings nur säkularisiertes Christentum, in dem sowohl Christen wie Nicht-Christen sich einrichten können!1 Oder Rüdiger Altmann (in Civis, Nov. 55): tatsächlich gibt es heute keine andere materiale Ethik im westlichen Kulturkreis als die christliche. Welch ein neues Christentum! Und das wagt es Kierkegaard zu zitieren, statt ehrlich zu sein und ihn totzuschlagen, wie er es selber gefordert hat. Aber auch dieser Bußprediger, der das Totgeschlagenwerden zum Kriterium der Echtheit eines Bußpredigers erklärte, auch dieser zum Totgeschlagenwerden aufrufende Christ, ging unter in der allgemeinen Ironie. Man applaudierte ihm nur umso lebhafter. In dem Wettlauf mit dem Publikum, den ein ernsthaftes Individuum in einer solchen Atmosphäre der totalen Ironie alles Ideologischen unternimmt, muß das arme Individuum schließlich zu Tode erschöpft umsinken, natürlich unter dem Applaus desselben Publikums, dem es ins Gesicht zu spucken glaubte. Dank dem Engel, der mich an den Haaren nahm und außerhalb dieses christlichen Kultur-Betriebes stellte, der mir diesen Becher trübsten Giftes vom Munde weg aus der Hand schlug und mir die Quelle zeigte, aus der ich trinken darf, die Quelle der Armut und der Freiheit.

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Am Rand: „vgl. 10. 11. 55“.

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8. 11. 55 Da ist also einmal der kleine Mensch, der mikróv a¢njrwpov, der parvus homo. Das bin ich z. B. und das bist du. Und dann ist da der große Mensch, der magnus homo. Das ist z. B. USA oder USSR als die direkt Großen oder der Papst als der indirekt Große. Kurz, es erhebt sich die Frage: was willst du kleiner Mensch überhaupt noch? Wie kommst du dazu, als Kleiner von einem Großen zu reden? Der Große hat doch keine Zeit für dich! Willst du ihm lästig werden? Willst du seine Vorzimmer-Schranzen in ihren Intriguen stören? Schäme dich, Kleiner! Geh nach Hause! Du hast als Kleiner nur kleine Sorgen. Die Großen aber, z. B. Herr Stalin oder Hitler oder der Heilige Vater, haben nur große Sorgen. Weh dir wenn einer von ihnen auf die Idee käme, dich überhaupt zu bemerken, um sich und der Welt und der Demokratie zu beweisen, daß auch die Kleinen den Großen gleich sind und sich des Interesses der Großen erfreuen. Dann wirst du den Zusammenhang von Schutz und Gehorsam erfahren und jeden anderen Großen zum Feind haben, dem Du dann nicht mehr gehorchen kannst. 10. 11. 55 „Daß der Christ heute, will er noch Christ geheißen werden, auf das strengste urchristliche –––––––––––– Ethos angewiesen ist“, sagte Karl Korn 1948 (in den Berliner Heften, Aufsatz Kyklos). Damit ist zu vergleichen, was Glum und Altmann sagen (oben 6. 11. 55). Soll einer nicht wahnsinnig werden, wenn es dieses Gerede vom Christentum hört? Dem einen ist es Ethos, dem anderen ist es Wert; Das ganze ist keinen Schuß Pulver mehr wert. Aber auch davon kann man leben. Das ist sogar ein sicherer Schutz vor dem Schuß Pulver oder der Atombombe. La nullité protège mieux. L’ambiguité protège mieux. Die Schamlosigkeit, mit der heute, November 1955, in den Zeitungen und im Radio von Kierkegaard gesprochen wird, übertrumpft jeden Gedanken daran, daß es noch eine Möglichkeit der Verständigung geben könnte. Armer Kierkegaard! Sie töten den Erben. Du dürftest dich nicht wundern oder gar beklagen und tust es auch nicht. Endlich hat die Seele Ruh; Wähle nur die CDU; Dieses ist das Christentum À la Herrn Professor Glum. Schenk dem bravsten Mäuschen ein Einfamilienhaus, und die Maus verwandelt sich in eine Besitz=Ratte. Für Hegel sind die Arten (Species) noch fest und Begriffe. Mit der Entstehung der Arten –––––– (Species) 1859 entsteht die Neue Zeit; die Neue Welt. Die Demokratie – Gleichmachung und Nivellierung – spielt dabei nur die erbärmliche Rolle des Abdeckers, in der sich Wilson, Stalin, Adolf Hitler und John Foster Dulles gegenseitig überbieten. Es geschieht ihnen Recht. Das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines, davon spricht Hegel in der Phänomenologie des Geistes, S. 82/83, diese Stelle sollte Kierkegaard lesen, ehe er losschoß; diese Stelle, die den Betrug der zölibatären Indirekten enthüllt, die beide Gestal-

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ten zerstört haben, indem sie sich als beamtete Priester und die andern als – negativ bestimmte – Nicht-Priester konstruierten. Es werden noch viel Antworten auf diesen RiesenBetrug gegeben werden. Die Betrüger werden sich winden und drehen und Millionen Sophismen erfinden, Millionen Dumme und Schlaue belügen, tausend Konkordate schließen, Menschenopfer unerhört, sich mit jeder Restauration und jeder Restitution verbünden, immer dabei sein, wenn etwas einkassiert wird, und trotzdem kommen immer nur Antworten des getöteten Erben und des beleidigten Geistes. Lenin war nur der Anfang. Kierkegaards Größe besteht darin, daß er die Großen der deutschen Erhebung, Goethe und Hegel, als Brüder vom sanft lebenden Fleisch erkannte, als Verräter des Geistes, was sie auch waren, der Hegel der Phänomenologie des Geistes – ich möchte wissen, ob Kierkegaard sie überhaupt gelesen hat – und der Goethe des Urfaust. Kierkegaard hatte es allerdings leicht. Es ist der Buckel, der sich den Geist baut. Es ist der vom Geist so gebaute Buckel, in den sich die Psychoanalytik[er] einwanzen. Die alte, erfahrene, auf ihre Art weise, taktvolle und diskrete Puff=Mutter – sie hat Könige bedient – ist auf der Suche nach neuem Fleisch. Das nennt sie dann: Laienapostolat. Jetzt läuft sie den Juden nach. 11. 11. 55 „Und Wahngewalten, die sich haltlos hassen, Beginnen / blindlings Tiere werfend / zu verschwinden.“ Eines dieser blindlings geworfenen Tiere ist der arme Peter Schneider aus Zürich in der Schweiz; geworfen, um mich noch schnell zu widerlegen, während die sich haltlos hassenden Wahngewalten schon im Verschwinden begriffen sind. Schöne Eintragung für den 100. Todestag Søren Kierkegaards. Ein Christ kann die Erde nicht als Halbgott und nicht einmal als Held verlassen. Aber gesetzt, dieser strebsame Peter Schneider erhaschte mich tatsächlich, dann käme es nur auf den braven Entschluß an, sich von neuem für diese Hundefänger und Hundemarkenverteiler unrubrizierbar zu machen. 16. 11. 55, Buß- und Bettag Wir haben die lange Leitung. Um Hegels Phänomenologie des Geistes zu lesen, brauchten wir 150 Jahre; um Hölderlin zu verstehen, 100 Jahre. Wann werden wir Verse wie die von Theodor Däubler (Hymne an Sizilien) verstehen: Und Wahngewalten, die sich haltlos hassen, Beginnen / blindlings Tiere werfend / zu verschwinden. Eines dieser blindlings geworfenen Tiere ist Simone Weil. Ob ich das Karl Epting schreiben darf? Wenn ich einen solchen Vers den heutigen Bonzen vortrage, lächelt er und sagt: Phonetisch sehr interessant; die erste Zeile auf den Vokal A, die zweite auf „I“ abgestimmt. Sinnvoll auch vom gedankl.[ichen] Inhalt aus. Überlege lieber, wer die von verschiedenen Wahngewalten blindlings geworfenen Tiere sein könnten: Adolf Hitler, Roosevelt, hör lieber auf, sonst bist du gleich verhaftet.

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Ich bin mein ganzes Leben lang eigentumslos gewesen. Meiner Eigentumslosigkeit entsprach meine Illusionslosigkeit. Wenn man es psychologisch betrachtet, ist aber meine Illusionslosigkeit das Primäre. Ich hätte bei meinem Beruf ohne große Mühe Eigentümer werden können. Warum bin ich es nicht geworden? Aus Liebe zur Freiheit, aus Verachtung der falschen Sicherheit, aus Widerwillen vor dem konkreten Anblick, in dem mir das Eigentum erschien. Ich bin also der eigentumslose Jurist; das soll mir einer nachmachen. Hör lieber auf, sonst bist du gleich verhaftet. 17. 11. 55 Gespräch mit einem Wein-Trinker. Es handelt sich um den Kampf der Rausch-Gifte. Womit betäubst du dich? Ich kaue Bärlappsamen! Dann bist du ein Schwein! Womit betäubst du dich denn? ––– Ich trinke Wein! Den haben dir die Pfaffen doch entzogen! Aber er schmeckt mir noch! Daß er dir noch schmeckt, ist uninteressant. Denn du lebst in einer Gemeinschaft, in der du nur unter der Hand Wein – außerhalb des Sakramentes – trinken darfst. Privatsache also ist deine Freude am Wein; apokryph. Und über der Hand? –––– Die arme zölibatäre Bürokratie trinkt den Wein über der Hand. Aber sie ist keines –––– Rauschgiftes mehr fähig; keiner Ehe; keiner Askese; sie lebt in ihren Klöstern wie in Höhlen

Hinab also in den Orkus mit ihr und ihren sämtlichen Konkubinaten=Konkordaten!! Konkordate ja; aber ihre Sakramente, stürzen die auch in den Orkus mit dieser zölibatären Bürokratie? Nicht so schnell! 18. 11. 55 Das Stellvertretende an Simone Weil ist die Überlegenheit dieses jüdischen Mädchens, das allen Anstrengungen der Konvertiten-Macher zu entgehen wußte und sie alle mit dummen Gesichtern hinter sich ließ.1 Das ist bewundernswert und schöner als die Kunst der Edith Stein, die sich taufen ließ und im Orden undurchdringlich wurde. Ich schrieb das an Karl Epting. Der Horror, den Simone Weil gegen die Vorstellung vom Corpus Christi hat, ist echt. Er ist aber auch der einzige ausschlaggebende Test: Wer nicht zum Corpus Christi gehören will, ist kein Christ und will keiner sein, wohl aber trotzdem über christliche Dinge mitreden und Christen beeindrucken. Epting meint, die Lehre vom Corpus mysticum sei nicht lutherisch. Ich lese bei Sohm (Kirchenrecht, § 34) nach und finde, daß sie bei Luther im höchsten Grade entscheidend ist. Christus ist das Haupt, nicht der Papst. Der Gegensatz ist nach Sohm: Corpus gegen Corporatio; und dann natürlich: Corpus Christi gegen Corpus Antichrist = Leviathan (= Staat = Sohm S. 674).

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Am Rand: „an Karl Epting“.

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Dieses Wirtschaftswunder ist ja nur ein Bußwunder; hört die Buße auf, hört das Wunder auf. Dieser Staat ist ja nur ein Bußstaat oder wie [Franz] Böhm sagt: Wiedergutmachungsstaat; hört die Buße auf hört der Staat mit auf. Und Moral dann doch wohl auch: hört die Buße auf, hört Moral mit auf. Und das alles ist dann nicht mehr wahr; einschließlich des Christentums der C-Parteien und der eingespielten, anerkannten Werte mitsamt ihren Wertern und ihren Verwertern, den Bußpredigern, die andere verfolgen, statt den – nach Kierkegaard: den einzigen – Wahrheitsbeweis zu liefern, dessen ein Bußprediger überhaupt fähig ist, nämlich: sich totschlagen zu lassen. „Denn der große Bußprediger sein, heißt totgeschlagen werden.“ (Begriff des Auserwählten, S. 303). Sie aber leben im Wirtschaftswunder, das, wie gesagt, ein Bußwunder ist, und umgekehrt. 23. 11. 55 Natürlich ist das Lied noch nicht zu Ende. Allerdings: hört die Buße auf, hört das Wunder auf. Sehr richtig. So droht man uns Deutschen. Aber wir drohen zurück: hört das Wunder auf, hört die Buße auf, Und mit ihr die ganze, schöne Caux-Ko=Existenz! Dann können die Bußprediger nicht mehr per Mercedes Apostolorum reisen und verwandeln sich wieder in ehrliche Spritschieber. 24. 11. 55 1. Wo bist Du? Über meiner Mütze Bombenflieger, meine beiden Füße tief im Lager. Um mich her die Häßlichkeit der Sieger. Und die Schallwellhölle ihrer Radio-Schlager.

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2. Was tust Du? Ich verliere die sich verlierende Zeit und gewinne die daseiende Zeit. Denn ich erfahre und gestalte konkrete Begriffe. Und Wahngewalten die sich hilflos hassen Beginnen – blindlings Tiere werfend – zu verschwinden. Ein solches blindlings geworfenes Tier war Hitler, aber nicht das einzige und nicht das letzte, und nicht ohne selber seinerseits bevor er verschwand blindlings Tiere zu werfen, und seine Feinde an seinen Schatten zu binden.1 Darüber zu sprechen, ohne selber in den haltlosen Haß der Wahngewalten zu verfallen, ohne selber in ein solches blindlings geworfenes Tier verwandelt zu werden, ohne theologisch-dämonologisches Geschmus und ohne Wiedergutmachungshintergedanken – das ist schwierig und gefährlich.2 Denn vorläufig beherrschen noch die blindlings Geworfenen, die blinden Hasser und Rächer das Feld und erlauben kein sachliches Wort. Sie brauchen nur die abscheulichen Fälschungen zu beachten, die den Aufsatz des Frhrn von der Heydte im Hochland beherrschen (Jan./Februar 1951), vor allem die allesbeherrschende symptomatische Fälschung, daß er in dem Zitat meines Satzes vom Gebet als letzter Zuflucht (Ex Captivitate Salus, Seite 61) den gekreuzigten Gott stillschweigend wegläßt und ihn unterschlägt (Hochland, Seite 289). So dreht er dem Satze dadurch seinen konkret-christlichen Sinn ab. Es ist als ob ein Mensch ein Kruzifix aus einem Zimmer verschwinden läßt, um die Besucher zu täuschen. Die Spitzel schmuggeln gern falsche Dokumente oder Beweisstücke in die Zimmer, die durchsucht werden sollen. Hier läßt einer ein Stück verschwinden; und dieses Stück ist der gekreuzigte Gott. Kein Wohlgeschmack auf deiner Zunge, keine Augen- oder Ohrenlust, die nicht eine lange Geschichte in sich trüge, ja die Geschichte deines ganzen physischen Daseins von der Empfängnis an und wahrscheinlich noch viel früher. Da nützt keine Analyse, da hilft nur der Begriff. Das Wesen des Menschen ist geschichtlich. Jede Sekunde der scheinbar sofort wieder verschwundenen Gegenwart ist von langer Hand vorbereitet und wirkt sich auf lange Sichten aus. Jeder Augenblick flüchtigste Lust ist ein Kompendium alles dessen, was wir jemals waren und jemals sein werden. Auch der Schmerz? Nein. Der Schmerz ist das Andere, Fremde. Feind? Nein. Zu Beziehungslos. Der Christ aber sollte für den Schmerz sein. Sieh dir daraufhin die Christen einmal an. 25. 11. 55 Schrecklich, jawohl, wir haben die Niederlage verloren. Walter Warnach hat recht. Das Ex Captivitate Salus ist zerstört. Ich ahnte es, als ich sah, daß es mir nicht gelang, auch nur das kleinste Interesse für jenen Betrug im Hochland (Feb. 1951) zu wecken. Diese Mollusken wollen ja die Niederlage verlieren, sie wollen sie genießen, sie auskosten als Niederlage –––––– eines andern, demnach als eigenen Sieg und perverse Selbstaufwertung.

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Am Rand: „an Rolf Schroers, 24. 11. 55“. Am Rand: „vgl. 10. 7. 56“.

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Ich darf mich nicht beklagen: Mehrmals habe ich das reine Element meines Daseins, den Begriff, so nahe vor mir gehabt, daß ich ihn berührte und von ihm berührt wurde. Das waren die großen Gipfelpunkte: im Begriff des Politischen; im Begriff der Souveränität; in der Erkenntnis des Nomos der Erde. 28. 11. 55 Mit Entzücken lese ich die darwinistisch=evolutionistischen Erklärungen, die den Menschen und seine Entstehung, die Affen, die Pferde, die Fische, die Beuteltiere und alles das rein „wissenschaftlich“ und dabei anschaulich schildern. Das ist spannend. Es ist episch. Es ist sogar vollendete Mythologie. Es nähert sich auch als schlichte Schilderung und als spannender Bericht den griechischen Mythen; als wirklich plausibel gemachtes Eintreten des völlig Unwahrscheinlichen (so sagt Julian Huxley gern) nähert es sich 1001 Nacht. Also nichts gegen die braven und fleißigen Darwinisten! Diese wackeren Männer tun mehr für den Mythos und die Mythologie als alle Walter Ottos und alle Schadewälder; mehr als die komischen Philosophen des Mythos von heutzutage; mehr als die Mythenfabrikanten unserer Propaganda- und Aufklärungsministerien oder unserer Zeitungs-Redaktionen. Wunderbar bei Julian Huxley dieses fortwährende Paradox, wie er es nennt: das völlig Unwahrscheinliche geschieht und wird – via facti – zum völlig Plausibeln; das ganz Unvollkommene (der ersten Abweichung vom bisherigen Vollkommenen) wird zum Ansatz der höheren Vollkommenheit. Ein naiv-primitiver Hegelianismus; aber mit der Fähigkeit zum Konkreten, und das ist wichtiger als alle philosophische Schulbildung; auch mehr als die des dialektischen Materialismus, der eben doch nur Emigranten-Philosophie ist. 4. 12. 55 (2. Advent) Für Hegel ist der Begriff die daseiende Zeit. Aber das bloße Greifen, Ergreifen und Begreifen genügt noch nicht. Es muß ein Nehmen sein. Das Ergreifen wird zur Nahme erst durch die Benennung, durch den Namen. Deshalb sage ich: Der Name ist die daseiende Zeit. Winfried Martini warnt (in einem Aufsatz Junge Wirtschaft Nov. 55) vor dem „gefährlichen Provisorium“ des Bonner Grundgesetzes und Regimes. Aber Bonn hat doch nur als Provisorium einen Sinn und einen Halt. Dieses linksrheinische Kirchdorf kann sich überhaupt nicht legitimieren sondern höchstens auf seinen provisorischen Charakter herausreden. Einen andern Charakter hat es nicht, es sei denn den einer linksrheinisch=köln= erzbischöflichen Sommerresidenz des 18. Jahrhunderts. Nicht einmal Kirchen-Staat ist es. Wenn dieses Bonn kein Provisorium mehr sein will, dann wird es zum Verbrechen. Hatte Lust mich einmal wieder über die deutsche Philosophierei und ihre Zerstörung des Konkreten zu ärgern. Diesesmal über die Spiel-Philosophie und Philosophie des Spiels bei Schiller und über die ganze sprachliche und begriffliche Entwicklung des deutschen 18. Jahrhunderts, aus der sie hervorgegangen ist. Heimarbeiter-Philosophie von Heimarbeitern, die sich über ihre Heimarbeit im Geist erheben. Seit wann spielt man Geige, spielt man Klavier, spielt man Flöte? Richtigerweise schlägt man die Tasten; man streicht die Geige; man bläst die Flöte. Wer soll da spielen? Ist das was Höheres, Feineres, Edleres? Ein schlecht bezahlter Hof- oder Kirchenmusikus bläst die Flöte; wenn aber Seine Majestät der König Friedrich II. dasselbe tut, so ist es nicht dasselbe; der König spielt die Flöte. Im Zuge der Gleichstellung mit dem König und des allgemeinen Priestertums werden dann alle Instrumente gespielt. Der Gesang bleibt aber Gesang und heißt nicht Spiel.

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6. 12. 55 Den Namen=Geben, das ist ein in dem echten Nehmen enthaltenes Geben, das die Nahme (als konstituierenden Akt) von allem bloßen Greifen, Rauben und Fressen unterscheidet.1 Wer den Namen gibt, verleiht damit ein Recht, ja, eigentlich sogar das, was man heute Person und Persönlichkeit nennt. Selbst juristische Personen müssen einen Namen haben; sonst wären sie nicht einmal juristische Personen. Der Namen-Geber erhebt das, dem er einen Namen gibt, in die Sphäre des Rechts, aber eines vom Namengeber begründeten Rechts. Das ist potestas constituens. Im Namen des Gottes, im Namen des Königs vollziehen sich Rechtsakte, die einen verliehenen Namen voraussetzen. Was einen Namen hat, kann nicht mehr beliebig vernichtet werden; ist auch nicht mehr beliebig verfügbar. Aber sein Recht beruht auf dem Namen durch einen Namen-Gebenden Nehmer. Wer waren meine schlimmsten Verfolger? Ich kannte einen bewährten Juristen, der scharfsinnige Bücher schrieb, scharfsinnige Vorlesungen und Übungen abhielt und seinen Schülern und Hörern mit vielen Mitteln zu imponieren wußte. Dieser berühmte und scharfsinnige Jurist hatte einen Buckel und alle Ressentiments der Buckligen, die er unter demütigen und rührenden Gesten zu verstecken wußte. Seine eigentliche Wirkung auf die Rechtswissenschaft seiner Zeit bestand darin, in allem darauf zu achten, daß bei jeder Definition der Buckel mit berücksichtigt wurde. Die Definition des Menschen mußte implicite den Buckel anerkennen, sonst war sie falsch. Aber auch die Definition der Hypothek oder der Ehe. Vor allem des Eigentums, das er zerstört hat. Einige scharfsinnig erdachte Abnormitäten mußten immer mit berücksichtigt werden. Er bot mir seine Freundschaft an unter der stillschweigenden Bedingung, daß ich mich dieser Buckelhaftigkeit anschlösse. Ich habe das ohne weitere Überlegung abgelehnt. Schlauere haben es akzeptiert und großen Gewinn dabei gemacht. 17. 12. 55 „Daß wir uns einen Namen machen“, bauen die Menschen den Turm, der aber dann zur Strafe den Namen Babel erhält (Gen 11).2 „Denn wir werden sonst zerstreut.“ Merkwürdig. Bosheit Jehovahs? Eifersucht, Angst vor den Menschen? Schließlich wird dann sein eigener, eingeborener Sohn Mensch. Aus Liebe zu den Menschen? Bekehrung Jehovahs von der Eifersucht zum Mitleid? Wie nahe liegen diese Fragen und trotzdem hat es keinen Sinn, einen Theologen darüber zu konsultieren. Diese Nach-Exiliker sind grauenhafte Recht= und Macht=Haber und =Setzer. Die Antwort, welche die wirkliche Geschichte auf Hegels Phänomenologie des Geistes gab, war die Restauration des Jesuitenordens und dessen Rückkehr aus dem Exil. Also Vorsicht! 19. 12. 55 „Die Bösartigkeit im deutschen Denken der Zwischenkriegszeit“ – also in den fruchtbaren Jahrzehnten von 1919–1939 – stellt ein giftiger Morgenthau-Typ fest – als Sieger des zweiten Weltkrieges –, um seine eigene Morgenthau-Gutartigkeit als auferlegte Prämisse zu ver-

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Am Rand: „vgl. 17. 12. 55“. Am Rand: „vgl. 6. 12. 55“.

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stehen zu geben. Zur Bösartigkeit dieses deutschen Denkens gehören: Max Scheler, Martin Heidegger, Ernst Schmalenbach, Heisenberg, Eschweiler, Konrad Weiss, kurz der herrliche Aufbruch, von dem die denkenden Menschen im 20. Jahrhundert noch ebenso lange leben werden, wie im 19. Jahrhundert von den überaus fruchtbaren Jahren 1837–1847 (von Görres zu Karl Marx). Ich unterdessen – jeder Sorge um mein Sozialprestige enthoben – bringe meine Geistesschäfchen unauffällig ins Trockene und lasse die Mörder und Verfolger sich abstrampeln. Gutartig bis dorthinaus; tacito rumore Mosella, sc. Mosella nondum canalisata, non canalisabilis. Aber ich sehe den Bösewicht, der das deutsche Denken (er meint damit alles, was die Nicht-Emigranten gedacht haben) eines ganzen Zeitabschnitts als Bösartigkeit diffamieren möchte. Was bedeutet diese Diffamierung und diese Methode der „Bösartig-Erklärung“? Es ist immer dasselbe und es sind immer dieselben. Damals „stellten sie unter Ideologie-Verdacht“. Heute erklären sie andere für Neofaschisten. Das ist alles miching mallecho. It means mischief. Nun sieh dir noch die Begründung dieses mischief an! Woher kommt jene deutsche Bösartigkeit? Sie kommt sagt er (wörtlich): „aus der Ablehnung aller transzendenten Werte und Pflichten“. Transzendenz! Das sagt einer, der damals, in der Zwischenkriegszeit bösartigster Marxist und Ideologie=Denunziant war. Heute ist er Konvertit der Transzendenz! Verdammter Lügner! Und dann noch Werte, die dieser Werter dir in den Rücken stößt, aus Pflicht!! (Monat Nr. 87, Dez. 1955, Seite 48). Wir Christenleut han jetzund Freud. 26. 12. 55 Selbstbehauptung – Selbstdefinition. Wer bist du? Tu quis es? Ich bin ein in Ewigkeit unkanalisierbarer, daher vom Papst mit allen Bannflüchen verfluchter Mosellaner.1 30. 12. 55 Sie haben den Laien den Kelch entzogen, und haben die Herrschaft über die Rauschgifte verloren; und daran gehen sie nun jämmerlich zugrunde; und brauchen den armseligen Adolf als Popanz, um sich mit den Juden zu verbrüdern, die ihrerseits seit 2 Jahrtausenden solche Popanze brauchen, um sich moralisch aufzuwerten und Opfer=Entschädigung einzukassieren, für den Fall, daß sie Dumme finden, Wiedergutmachung nämlich. Innerhalb Deutschlands ist das verhältnismäßig leicht; außerhalb Deutschlands aber schwierig. Dazu braucht man dann wieder Deutschland. Daher dieser Zwang.2 4. 1. 56 Der erste Gruß im Neuen Jahr war miching mallecho, ein Vortrag von Hermann Heimpel im NWDR, der uns zur Buße und Wiedergutmachung aufrief und uns davor warnte, zu

1 Stenogr. am Rand: „an Nicolaus Sombart geschrieben, vgl. 24. 11. 55, an Ernst Jünger, 2. 1. 56, 30. 12. 55“. 2 Stenogr. am Rand nicht lesbar.

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vergessen daß wir Verbrecher und die anderen Entschädigungsbrechtigte Opfer unserer Verbrechen sind. Ein Zitat von [Franz] Böhm enthüllte des Pudels Kern. Schürt unser Schuldbewußtsein, dann wird uns das Bezahlen leichter! Freudig zahlen wir Milliarden, hören wir den Buße-Barden. Diesem Shylock-Gruß war die Lektüre des neuen katholischen Katechismus für Westdeutschland vorausgegangen. Nicht mehr die Juden haben unsern Herrn und Heiland gekreuzigt. Das kommt im römischen Katechismus nicht mehr vor. Sondern die „Führer des auserwählten Volkes.“ Was ist nun eigentlich schlimmer für uns? Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Wie fröhlich habe ich damals im Jahre 1921 diese Definition der Souveränität in die Welt hineingekräht! Und wie habe ich recht behalten, sodaß heute jeder sie zitiert, der unter der Souveränität eines andern leidet, und jeder sie unterdrückt und totschweigt, der sie selber handhabt. Heute weiß ich, daß Hans Freyer recht hat, der (in seiner Theorie des gegenwärtigen Zeitalters 1955) sagt: Ausnahmen gelten nicht; sie fallen dem zur Last, der auf sie hinweist. Das ist ein großartiger Satz. Ahnt jemand außer mir, wie großartig er ist? Jemand außer mir, dem Opfer eben dieser Wirklichkeit? Schon deshalb will ich morgen zum Gespräch mit Hans Freyer nach Wiesbaden fahren. Die konkrete Ausnahme ist nach zwei entgegengesetzten Richtungen möglich und kommt aus zwei entgegengesetzten Antrieben. Die Gnade kommt aus der Fülle der Sicherheit und spendet ihre grundlose Güte; die Diktatur kommt aus dem Mangel der Sicherheit und kann nicht mehr gut sein, weil sie sich von einem gefährlichen Feind bedroht fühlt. Das ist die Polarität von Gnade und Diktatur. Daran denkt keiner. Auch Wilhelm Grewe hat die Stelle aus dem Jahr 1921 in der Vorbemerkung zu meinem Buch über die Diktatur (Seite IX) nicht erkannt. Das wäre wohl auch zuviel verlangt gewesen. Die eine träufelt wie des Himmels milder Regen; Die andere wirft Wasserstoffbombensegen. Unterschied von Güte und Angst. Agnostizismus ergibt Angst, statt Furcht; Vernichtungsmittel statt Waffen. 12. 1. 56 Der große Mensch, der Magnus homo, ist ein großer Vater, oder ein großer Bruder, oder aber ein großes Tier, nämlich der Leviathan. Ohne solche Vergrößerungen geht es nicht. Frage: ist die große Mutter noch der große Mensch? Oder muß das Große ein großer Mann sein? Nur im Männlichen liegt die Aufsteigerung zum Heroen, und zum Herrn und zur Herrschaft. Die große Mutter ist nur ein großer Schoß. Der große Mensch wirft Bomben auf die kleinen; So wird die Menschheit sich von selbst zur Einheit einen. Sie braucht ja nur das Nein des Andern zu verneinen, Und alle werden dann dasselbe meinen.

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31. 1. 56 Im Januar 1956 hat die DDR (Deutsche Demokatische Republik) ein strafrechtliches Verbot erlassen, ein Gesetz, das die Abwerbung mit dem Tode bedroht. Großartig. Neues Delikt; –––––––––– Kriminalisierung auf moderner Ebene; Automobilismus; Autofallen, Alkoholkonsum, Angriffskrieg, und jetzt: Abwerbung.1 Meinen Segen haben sie; denn mir hat ein Fabrikant die Putzfrau abgeworben; aber ich bin leider nicht geschützt; der junge Paris hat dem alten Menelaus die schöne Helena abgeworben; und die Russen haben den Amis einige Nobelpreisträger und Atomphysiker abgeworben, die bestimmt keine Helenas waren; das sind natürlich alles Verbrechen, für die die abgeschaffte Todesstrafe schleunigst wieder eingeführt werden muß.

Zeitungsausschnitte eingeklebt. Links FAZ 22.11.55. Rechts neben dem rechten: „ich dachte: gegen jede“. –––– ––––

1

Am Rand: „vgl. 6. 8. 53, vgl. 15. 2. 56“.

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1. 2. 56 Und hier, meine Damen und Herren, haben Sie die hundertprozentige potestas indirecta, der nichts mehr passieren kann, weil sie todsicher auf der Seite des Siegers stehen wird, wie immer auch dieser Sieger aussehen mag. Denn das christlich=soziale Ideal ist der von andern gewonnene siegreiche Krieg, an dessen Sieger man sich anschließt. Und sollten wir – in Ausübung unseres göttlichen Rechts auf den politischen Irrtum – minimal falsch getippt haben, so schwingen wir uns hinterher umso schwungvoller auf die Seite des Siegers. Es gibt Sieger und solche, die dazu gehören. Wir gehören jedenfalls immer zu denen, die dazu gehören. Hören Sie also, diesen Groß=Legitimierten der potestas indirecta:

Zeitungsausschnitt eingeklebt. Darauf: „F. Allg. Z. 23. 11. 55“. Darüber: „23. 11. 55“. Darunter: „Auch der Papst hat ein Recht auf Privatleben; Und die Öffentlichkeit hat ein Recht, dieses Privatleben – soweit es erbaulich ist – kennen zu lernen.“

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Wer bist du? Ich bin das, was ich tue! Was tust du? Ich segne! Ich bin am Segnen! Was segnest du? Ich bin das Zeitliche am Segnen! Was ist das Zeitliche? Ich werde mich hüten, dir das zu verraten. Übrigens solltest du dich schämen. Mich danach zu fragen, denn alle deine Fragen und Fragebogen strotzen von Zeit und Zeitlichkeit. Antwort an meine Verfolger E. Kaufmann, Fr. Böhm, Küster, W. Strauss und Ebenstein: Die Hundswut ist die Anklage die der Hund erhebt, gegen seinen Herrn erhebt. Wißt Ihr, wer das gesagt hat? Aber wie sollten diese armen Hunde so etwas wissen?! Schäm Dich, sie zu fragen. 2. 2. 56 Heil mir, daß ich Aufbruch und Aufbrecher sah! 1914, und 1933. Die deutsche Sprache entläßt immer neue ironische Bildungen aus dem Abgrund ihres Tiefsinnes. Neuestes Beispiel: der europäische Beamte; der Integrations=Angestellte; der Abendländische Ober=Regierungsrat. Man braucht nur zu fragen, wie das alles auf Französisch heißt, und dann auf Englisch, und das ganze Abendland ist als ein Bonner VorstadtZauber entlarvt. Inzwischen natürlich – ich unterdessen nach alter Weise – inzwischen haben sich einige solide Bürgerfamilien gründlich konsolidiert, das heißt: sie haben sich was „unger de Föß“ gekrabbelt und im Grundbuch eintragen lassen, sodaß die Angelegenheit ein Problem des Rechtsstaats selbst – erstens Recht und zweitens Staat – wird, wenn einer ihnen diesen Gewinn, streng legalen Gewinn, streitig zu machen sich erfrecht. Gönnen wir also, um des lieben Friedens willen, der ganzen Heiligen Familie alle ihre Grundstücke, Gebäude, Anlagen, Aktien, Wertpapiere, Renten, die sie in ihrem heroischen Kampf gegen den elenden Verbrecher Hitler im Endresultat davon getragen haben. Ewig sollen sie haben! Lange sollen sie davon leben! Gut und lange! Jeder Enkel, jeder Schwiegersohn! Lange soll er leben! Nieder mit diesem – sowieso schon 10 Jahre toten – Hitler! Zehn Jahre ist er tot, aber noch tausend Jahre wollen wir von ihm leben! Mehr hat er nicht verdient, dieses Riesenschwein! Dieser Riesen-Buß-Braten! Wenn Riesenschweine geschlachtet werden, dann beginnt das tausendjährige Gastmahl des Leviathan. Das merken wir nun allmählich heutzutage. Adolf und seine Recken wollten von der Schweinerei der November=Verbrechen des Jahres 1918 tausend Jahre leben. Das war ein Irrtum. Die 45er wollen von dem überdimensionalen Riesen-Schwein Adolf mindestens ebenso lange leben. Da kann ich als alter loyaler Besiegter nur sagen: Schön, also dann Guten Appetit und ad multos annos! Das Ende ist sowieso immer nur das große Gastmahl des geschlachteten Leviathan, das heißt: das jeweilig betroffene Riesenschwein wird geschlachtet und verzehrt. Das ist Eschatologia konkret. Am Ende, wenn das Schwein geschlachtet ist, frißt sich jeder Piefke, der am Ende richtig lag, satt an den Koteletten und Schnitzeln, die es dann in ungeheuren Mengen geben wird. So soll wohl auch der christliche Äon enden. Da finde ich den Buddhismus, der keine Eschatologie hat, nobel und unendlich überlegen. Diese Art von schweinischer End=Erwartung, des geschlachteten Leviathans, auf die alles hinausläuft, was ich bisher von praktischem Christentum erlebt habe, diese konkrete Eschatologie haben wir 1945 via Romano Guardini und via Gustav Radbruch erkannt. Damals, 1945, wurde das deutsche Schwein geschlachtet. Das war die Gnade des Nullpunkts. Das und Habsucht durch plötzlichen Nachtrag.1 Heute suchen sie das nächste Schwein. Eschatologie in Permanenz. Wieder1

Der stenogr. Satz ist nicht sicher zu lesen.

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gutmachung immer von Neuem! Hauptsache, daß das Schwein auch koscher geschlachtet wird. Dafür sorgen dann die Theologen. 4. 2. 56 Für lange Zeit ist jetzt Moralisch gleich Antifaschistisch, ähnlich wie für die alten Ägypter Süden gleich Strom aufwärts war. Das wird dann mit Hilfe eines materiellen oder materialen, jedenfalls immer materialistischen Naturrechts bewiesen. Für mich bedeutet die ganze heutige Diskussion um das sog. Naturrecht nur eine Sackgasse, die aus den Fragestellungen einer längst nicht mehr wirklichen Situation gebildet und von einem zäh-scholastischen Betrieb verteidigt wird.1 Grabe hier nicht mehr vergebens! Laß dich nicht durch die Einladung zur Mitwirkung in diesen Augiasstall hineinziehen, auch nicht durch die dringliche Aufforderung, an der so notwendigen Reinigung des Augiasstalles mitzuwirken, auch nicht mit der Begründung, daß das doch die ethische Pflicht jedes anständigen Herkules wäre. 15. 2. 56 Neues Verbrechen (in der Ostzone seit Januar 1956 mit dem Tod bestraft): Abwerbung;2 in Norwegen werden die Harpuniere, die sich bei ausländischen Walfängern verdingen, mit Entziehung der Staatsangehörigkeit und Einziehung des Vermögens bestraft; werden aber nicht bestraft, wenn sie die Betriebsgeheimnisse des ausländischen Waljägers den Norwegern verraten. Neue Verbrechen, neue Tatbestände, neue Straffreiheitsgründe, neues Strafrecht. Die Weltgeschichte der Menschheit entwickelt sich: von der Landnahme über die Seenahme zur Industrie-Nahme; darüb. zu Raum-Nahme. Angsttraum unter dem Stichwort: Plünderung im Schloß; ich versuche die Plünderung zu verhindern, halte eine gute Rede und werde von einem aristokratisch aussehenden Herrn mit einem Augenzwinkern an die Plünderer verraten. Sei also vorsichtig mit deiner Theorie vom Nehmen; die großen Nehmer lieben es nicht, daß man von Ihnen spricht, solange sie nehmen oder Genommenes zu erben hoffen. Später, später, mein wackerer Staatsrechtslehrer!! 16. 2. 56 Wochenlang – vom 20. Januar bis zum 12. Februar – war ich verliebt in den Titel: Hamlet oder Hekuba. Nur Peter Diederichs riet mir ab; die meisten hatte ich dafür gewonnen. Aber es stellte sich heraus, daß niemand wußte, wer Hekuba ist.3 Vermutlich weil heute in Deutschland Allen Alles sowieso Hekuba ist. Ein gebildeter und belesener evangelischer Pfarrer aus Bielefeld – 50 Jahre alt – meinte, Hekuba wäre ein alttestamentlicher Name. Da habe ich dann kapituliert. Jetzt bin ich auf den Titel versessen:

1 Am Rand: „an Dombois geschrieben, vgl. Klaus Ritter, Buch Natur[recht] , an und Coing“. 2 Am Rand: „vgl. 31. 1. 56“. 3 Stenogr. am Rand: „an Forst[hoff], Hans Winckelmann, Rolf Schroers, Ernst Jünger (6. 3. 56), alles auf Neesses , jüdisch Tag, Neesse, 7. 3. 56“.

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Einbruch der Zeit in das Spiel. Eine Hamlet-Deutung von Carl Schmitt und finde das sehr gut. Aber schlagend ist es auch noch nicht und alle wollen doch einen schlagenden Titel. Alle wollen nur noch schlagen. Schlagfertig, schlagartig, einschlagend wollen sie offenbar geschlagen werden. Nicht tot sondern lebendig geschlagen werden. Millionen Köpfe und Eine Platte, Millionen Herzen und Ein Schlag von der Faust des großen Schlagintweit. Schlage Dichter schlage stark Schlag dem Leser tief ins Mark. 18. 2. 56 Modernes Gespräch: Wieviele Sprachen sprechen Sie eigentlich?1 Zwei tote Sprachen, Griechisch und Latein kann ich gut lesen; ich spreche leidlich 5 nationale d. h. halbtote Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch; und beherrsche mindestens sieben lebendige, d. h. ideologische, wirksame, d. h. internationale Sprachen, nämlich humanistisch, liberaldemokratisch, faschistisch, marxistisch, römisch=katholisch christlich= evangelisch, ferner: positivistisch und hegelianisch. Macht also zusammen 14 Sprachen, deren Vokabulaire, Grammatik und Syntax mein Gehirn präsent haben muß. Sonst wäre ich nämlich schon längst ein- und untergebuttert. So aber lebe ich noch und genieße der Freiheit meines Geistes. Neue Antwort auf die Frage: Wer bist du? Im Zeitalter der Vernehmungen, Infragestellung. Ich bin der Polygloß, der den Polyphem versteht und keinen Wert mehr darauf legt, sich selbst verständlich d. h. verstehbar d. h. vernehmbar d. h. vereinnehmbar zu machen. 1. 3. 56 Drei Prämien, drei Prämien, die pflanzt ich auf mein Grab. Das sind die drei Prämien auf den legalen Machtbesitz: obéissance préalable, Vermutung der Legalität, Vollzug der Generalklauseln. Kinder, malt Euch das einmal aus, und Ihr erkennt die Dummheit der Totalitarians! Es bedarf keines Totalitätsanspruches um total zu sein. Die Totalität ergibt sich von selbst. Die drei Prämien, ohne die kein einziges System funktioniert, haben es in sich; es in sich, d. h. eine echte Totalität ohne sich als Totalität zu demaskieren. Der arme Dummkopf, der die Totalität auf seine Fahne schrieb, war infolgedessen schon beinahe wieder harmlos im Vergleich zu jener Implikation der hinten herum indirekt und umso effektiver die Totalität handhabenden Macht- & Recht-Haber. 5. 3. 56 Als ich gestern nachmittag die Tagebuch-Notizen der Zeit vom April, Mai und Juni 1945 las, wurde mir deutlich, daß jedes Wort eines Menschen von seinem gegenwärtigen Raum

1

Am Rand: „(26. 12. 55)“.

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Maschinegeschriebene Meldung aus dem Deutschen Zeit-Archiv eingeklebt; zur Meldung in der FAZ vom 23. 3. 1956.

her mit Inhalt und Bedeutung gefüllt wird und seinen einmaligen Ton behält. Was ist das, was da festgehalten wird? Die daseiende Zeit. Wir sind in ihr verortet und jedes Wort von uns ist in ihr verortet. Was besagt es dann aber, daß mir einige Stunden später mein Eifer, Bücher zu schreiben und etwas zu publizieren wie das Benehmen eines eifrigen Knaben erschien, der Papierschiffchen auf einen reißenden Strom setzt, im Wettbewerb mit anderen Knaben, die dasselbe tun? Das war dann wohl ein Bild, das in der Müdigkeit und Verzweiflung entstand. Die Worte und Sätze sind keine Papierschiffchen, sondern eher Knospen und Früchte, vibrierende Äste und Blätter eines Baumes, Vibrationsmantik für unser geheimnisvolles Selbst und das Selbst unserer Freunde, creationes ex nihilo per verbum; Schöpfung durch ein Wort. 16. 3. 56 Alles bestimmend ist die erste Prägung, der erste Lichtstrahl, der dem Neugeborenen begegnet. Dieser ersten Prägung suchen sich die Mörder zu bemächtigen. Dagegen suchen die Väter sich zu verteidigen. Um das jus primae noctis kommen sie nicht herum. Der Kampf um die Schule, um den Kindergarten wird zum Kampf um das jus primae noctis. Keine Verfassung, keine Sozialordnung, kein Recht und keine Religion entgehen diesem ZentralProblem der prima nox. 30. 3. 56, Karfreitag Christentum ist Judentum fürs Volk. Volk sind diejenigen, die nicht regieren, die nicht Latein können, keinen Wein beim Abendmahl erhalten, die nicht zu Pferd sitzen sondern zu Fuß gehen, die keinen Mercedes fahren, nicht zur Elite gehören, die – im heutigen Deutschland – nicht wiedergutmachungsberechtigt sind.1 Religion ist Opium für das Volk. Rauschgift. Aber dem Volk ist der Wein schon längst entzogen; Prohibition beim Abendmahl in der römischen Priesterkirche so gut wie beim puritanisch-methodistisch-pietistischen allgemeinen Priestertum. Volk sind diejenigen, denen der Kelch entzogen worden ist. Dafür erhalten sie dann einen Ersatz, oder sie nehmen ihn sich einfach, den ersten besten Fusel.

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Am Rand: „vgl. 11. 6. 57“.

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Entzückender biedermeierlicher Witz: statt „es ist die höchste Zeit“ zu sagen: „es ist die höchste Eisenbahn.“ Heute ist das schon überholt. Aber es ist ein unbewußter Ausdruck der Erkenntnis, daß mit der Eisenbahn eine andere Zeit gekommen ist, die Zeit des Fahrplanes; eine strengere Zeit als die vorangehende. Der Witz hört auf, ein Witz zu sein und wird der sachliche Ausdruck einer Galgen-Lage mit Galgenhumor; er wird ein surrealistisches Kunstwerk, ein Augenblicks=Blitz der Erkenntnis.1 Einfachste, selbstverständlichste, praktische Logik: Wenn ich in der Verfassung eines Landes den Satz lese: Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, so weiß ich, daß ich es mit einem Lande zu tun habe, in dem derjenige, den man verhungern lassen will, nicht zum Arbeiten zugelassen wird; und wenn er trotzdem gezwungen wird zu arbeiten, so ist das eben Strafe und Zwang, für die er nicht Essen sondern Kraftstoffzufuhr erhält, während das Geschwätz der herrschenden Schicht Arbeit ist, für die sie besonders gut zu essen und Aufwandsentschädigung bekommt. Rückständigkeit des bourgeoisen Ausdrucks: Aufwandsentschädigung (Art. 48 des Bonner Grundgesetzes); Entschädigung ist gut; offenbar ist es eine Opfer-Entschädigung; sie bringen Opfer; sie opfern sich auf; Opfer ist etwas, wofür man Entschädigung verlangen kann. Neue Definition der Elite: Elite sind diejenigen, deren Arbeit Opfer ist; Aufopferung. Der Unterschied von konkret und abstrakt ergibt sich aus der Verschiedenheit der Rauschgifte. Die europäischen Rauschgifte: Wein und Bier, (auch Schnaps?) der sog. Alkohol versetzt mich in die konkrete Situation, steigert die Wirklichkeits-Erkenntnis – in vino veritas heißt: ich sehe mich selbst und die andern deutlicher und wahrer – schärft meinen Sinn für das gegenwärtig Vorhandene, übertreibt dann die Hellsicht und wirft mich dann einfach zu Boden, aber immer ist es eine konkrete Einsicht: das ist die Wirkung des guten Weines. Die andern Gifte wirken magisch-abstrakt; der christliche Wein wirkte konkret, solange er den Laien noch nicht entzogen war. Solange heilte er von Anthropophagie. Meskalin dagegen ergibt abstrakte Utopien; Haschisch abstraktes Glücksgefühl und utopische Visionen; Anthropophagie, Kannibalismus. Der Wein wirkt nicht Utopien-bildend; im Gegenteil: immunisierend. Es gab keine einzige Utopie solange das christliche Sakrament des Brotes und Weines heil war d. h. solange der Laie den Kelch [nahm]. 1. 4. 56, Ostersonntag2 Caduca culmina vagi saeculi contemnens. Guter Arator, jetzt seid Ihr so weit. Es ist ein ––– höheres Gesetz, daß das Volk, von dem ein universaler Anstoß ausgeht, selbst zugrunde geht, der Anstoß aber über es hinweggeht.3 Dieses höhere Gesetz hat Hegel entdeckt (Positionen und Begriffe Seite 113, Anm.) I. Er dachte wohl an Juden und Griechen. Das sind die kleinen Völker, von denen die großen Anstöße ausgegangen sind.

Am Rand: „vgl. 28. 12. 58 (unten S. 149 [= 378])“. Über der Seite: „April 1956 (Gipfel-Konferenz)“. ––––––––––––––––– 3 Stenogr. am Rand: „Gedanke: Novalis: Der Jude muss zugrunde gehen (übrigens sagt das auch Kierkeg.). So müssen nach die Franzosen durch Französische zugrunde gehen.“ 1 2

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II. Diese Völker sind nicht ewig; die großen Imperien dagegen etablieren sich auf ewig. Das große Modell für uns ist die Roma aeterna. Sie kann und will nicht sterben. Sie lebt als Gespenst weiter. Sie wird zum Vampir der eigenen unaufhörlichen Vergangenheit, sie sitzt auf ihrem eigenen Grabe, auf dem Grabe ihres eigenen Imperiums. Furchtbar, diese untergegangenen, aber doch nicht Sterben könnenden Imperien! Tötet doch endlich die Toten! Furchtbarer allerdings noch die untergehenden Imperien, die wir heute schaudernd erleben. Sie wollen nicht sterben. Je älter, umso zäher. Sie klammern sich an ihre untergehende Macht. Sie fressen wie ein Moloch Millionen von Menschenleben, saufen Ströme von Blut, um nur eine einzige Stunde länger in ihrem Diesseits zu verbleiben. Sie lassen sich Niehans’sche Frischzellen einsetzen, die aus dem Blut geopferter Hekatomben gewonnen worden sind. Nur noch 10 Jahre, nur noch ein Jahr, nur noch einen Tag, nur noch eine Stunde länger leben d. h. an der Macht bleiben. Das also steht hinter der Roma aeterna: das Gespenst, das auf dem Grabe sitzt. Unsterblich, weil längst tot. Dummköpfe lassen sich davon imponieren; Schlauköpfe wissen davon zu profitieren; Schwächlinge konvertieren um zu profitieren. Arme Mücken, die noch nicht einmal Italianos sind, hoffen sich zum Römer aufzuwerten; Selbstvalorisierung auch hier; Hausenstein wird deutscher Botschafter in Paris. III. Was folgt daraus? Ein Bündnis der Gescheiterten! Wohin gehören wir Deutschen? Vgl. Position & Begriffe, Anm. S. 113 Aufsatz über Beckeraths Buch zu Faschismus. Wohin die Franzosen? Die Engländer, von denen die industrielle Revolution ausgegangen ist? Erkenntnisse der Untergangs-Intuition der Sterbestunde; Überlegenheit über den Betrug der Ewigkeit dieser Roma aeterna.

Zeitungsausschnitt. Darauf: „Ende März 1956“. Darunter: „Atheismus der nicht-akademischen Stoa, vgl. Lukan (sed victa Catoni)“.

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2. 4. 56, Ostermontag Bei Henri Lévy-Bruhl fand ich (in einem Aufsatz vom 29. 3. 56, Le Monde) den Gegensatz: Sozialismus ist der Gegenatz zu Paternalismus. Auch die Herrschaft des Gesetzes (de la loi) war der Gegensatz zu Paternalismus, loi contre le père; bei Michelet. Sozialismus also = Verneinung des Erbrechts; Eigentum ohne Erbrecht, Einzig erbt ich den eigenen Leib. Von wem erbtest Du ihn denn? Im Zeitalter der Fernbefruchtung. 4. 4. 56 Wer bist Du? Ich bin ein Laie, in dem die Millionen Fuder Wein kochen, die die römischen Pfaffen den Laien entzogen haben. 5. 4. 56 Was, Du willst Christ werden? Das Christentum ist in festen Händen. Jawohl, ich will Christ werden? Christ abstrakt oder Christ konkret? Ich denke: konkret. Das heißt also: Christ 1956; CDU, oder wohin? Lieber Freund, das Christentum ist in festen Händen! Du wirst in einem überaus konkreten System eingebuttert, wenn du Christ werden willst. 7. 4. 56 Ich hätte Lust, die Soziologie von Pascals „condition humaine“ (fr. 139) mit Hobbes Soziologie der competition zu vergleichen: Wie verdächtig die Sehnsucht nach repos und chambre bei Pascal; wie mutig und unbefangen die Betrachtung der Wirklichkeit bei Hobbes. Wie individuo-zentrisch Pascal; wie männlich-nüchtern Hobbes; wie durchschaut Hobbes alle und sich selbst in ihrem Bedürfnis nach sozialem Prestige; wie verklemmt und verkniffen verdrückt sich der arme Pascal in eine andere Welt! Nein, dann schon lieber Hobbes! Wenn alles Unglück der Menschen daher kommt, daß sie nicht ruhig bleiben können „in einem Zimmer“, dans une chambre, dann folgt daraus, daß wir ihnen erst einmal repos und chambre geben müssen, wie Pascal es hatte. Aber wir sind ja zu oft aus unseren Zimmern aufgestöbert worden! 10. 4. 56 Es gibt eine gute, deutsche, wahre und echte, urgemütliche Übersetzung von „sozial“; die heißt: leutselig. Und so sind denn auch unsere Bonzen überaus leutselig. Stalin war leutselig, Hitler war leutselig – und wie! Die Yankees können gar nicht leutselig sein, weil sie Calvinischer Herkunft sind. Der Puritaner ist nicht leutselig; aber er keeps smiling und schreit Halloh. 12. 4. 56 Erscheinungsform der Askese. Der Absprung Heinrichs VIII. von der Ehe und von der Kirche führte zum Weltreich, zu Seenahmen der Welt. Großartig. Weder Sexual- noch Besitzaskese. Der Absprung auf dem europäischen Kontinent führt zum Gegensatz gegen die zölibatäre Bürokratie d. h. gegen die Sexual-Askese. Entwertung der Sexual-Askese führt zur Überbewertung der Besitz-Askese. Der eigentliche heutige Welt-Gegensatz ist der von Moskau und Rom: Besitzaskese (Abschaffung des Privateigentums) gegen die von einer zölibatären Bürokratie gepredigte Sexualaskese. Aber die Heroen der Askese lassen auf beiden Seiten nach; die Epigonen und Nutznießer lassen mit sich reden. Ergebnis: Koexistenz

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der Askesen. Die Entwicklung der Technik scheint für die Besitz-Askese (gegen das PrivatEigentum) und gegen die Sexual-Askese (diese wird komisch und uninteressant) zu arbeiten. 6. 5. 56 Wie traurig und hoffnungslos, noch eine Notiz zu Papier zu bringen, und dabei zu wissen, daß niemand mehr Zeit hat, etwas zu lesen und zu bedenken. Wie sonderbar: seitdem die Menschen Zeit-sparende Maschinen erfunden haben, haben sie keine Zeit mehr. Die allgemeine Relativität endet in der Verabsolutierung des Nichts; Vernichtung des Raums durch die Raum-Perspektive; Vernichtung der Zeit durch die Zeit-Perspektive d. h. Relativität der Bewegungssysteme. Die öffentliche Meinung endet vor dem Fliegenkasten eines Radios, d. h. vor dem isolierten blinden Hörer. Es gab Zeiten, in denen man in die Öffentlichkeit fliehen konnte. Heute flieht man besser in die obscurité. Aber alle diese Perspektiven und Relativitäten zerschmettern an der Unwiederholbarkeit der Zeit, an der Irreversibilität. Daher die Flucht in die – eben dadurch zerstörte – Zukunft und in den – eben dadurch zerstörten – Kosmos. 10. 5. 56 Ich brauche weder nach Rußland noch nach Amerika zu reisen. Die Russen und die Amerikaner sind zu mir gekommen und haben mich in Berlin aufgesucht. Sie wollten mich dort sogar befreien, indem sie mich verhafteten. Merkwürdige Besucher, die sich in Verfolger verwandeln; merkwürdige Verfolger, die sich in Besucher verwandeln. Alles kommt zu dir, was dir zukommt. Und was zu dir kommt, das kommt dir auch zu (so schon am 18. 9. 1947).1 Und so kommen sie alle auf den Schallwellen der großen Sender zu mir ins Zimmer, Roosevelt und Hitler, Staatsmänner und Machthaber, kommen in meine Mansarde und besuchen mich persönlich. Mehr Verfolger als Besucher, diese Großbetrüger. Wer Gott sagt, will betrügen. Wer Macht hat, muß betrügen. 13. 5. 56 Der Begriff, das ist es; der Ernst des Begriffes, wie er über diese Gestalten sie zertrümmernd einherschreitet; das Volk verspürt ihn, und bekommt es zu sehen, wie schlecht es seinen gepriesenen Göttern geht, die sich auf diesen Boden, worauf der Begriff herrscht, wagen.2 Der Begriff ist es; 18. 5. 563 Die Entwicklung der Demokratie: Steigerung und Vertiefung der Gleichheit; 1. Stadium Von der politischen zur sozialen Gleichheit; 1. Stadium der indus[triellen] Rev[olution].

Am Rand: „vgl. 18. 9. 49 [recte: 47]“. Am Rand: „S. 511/12 Ph[änomenologie] d[es] G[eistes]“. 3 Stenogr. auf der Seite daneben: „Kurzvorlesung, vgl. Besprechung S. Cas. vgl. Teil, 31. 1. 56 ––––––––––––––– (Von der Landnahme zu der Seenahme)“. 1 2

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2. Stadium Von der sozialen zur nuklearen Gleichheit.1 Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf mindestens eine Atombombe Erst wenn wir alle gleich bewaffnet sind, sind wir wirklich gleich. Erst dann sind wir – nach Rousseau – wieder im Naturzustand. Erst dann kann jeder jeden töten; erst dann herrscht konkrete Gleichheit. Wie aber sollen wir jedem seine Atombombe verschaffen? Nun, das strebsame Völkchen der Nobelpreisträger wird auch dieses Problem lösen. Also vorwärts! In rücksichtslos humanitärem Einsatz! Vorwärts zur nuklearen Demokratie!! 22. 5. 56 Ich bin im Juli 1888 in dieser Welt erschienen. Völlig überraschend für mich, denn ich habe mich nicht geplant. Ich habe mich nicht entworfen. Also bin ich wohl geworfen. Ejakuliert. Lieber guter Papa inzwischen schon Opa. Entschuldige mich bitte. 29. 5. 56 Verlust der Mitte: Das ist die Entziehung des Kelches; die Zerstörung des Sakramentes des täglichen Lebens; die Zerstörung von Brot und Wein d. h. des Abendmahles. Grauenhaft. Darüber sagt Herr von Sedlmayer aber nichts. Da schweigt des Kunsthistorikers Höflichkeit. 31. 5. 56 Gott ist tot und die Reaktion marschiert trotzdem und auf das Marschieren kommt es ja nun alleine an, im Sinne des Vorwärts allerwege. Aber was es auch sein mag, Gott tot oder lebendig, Reaktion oder Revolution, was es auch sein mag: die Soziologie wird alle diese Füchse, reaktionäre wie revolutionäre, in ihren Löchern aufstöbern und wird sie daraus vertreiben, sodaß am Ende Reaktion und Revolution sich koalieren und koexistieren, um erst einmal diese Art von Soziologie auszurotten als eine Art des Faschismus. Fronleichnam abends Ahnungslos sitze ich am Fronleichnamstag des Jahres 1956 abends in meiner Mansarde und möchte etwas über Hegel lesen. Am besten liest man in solcher Lage die approbierten Marx-Hegelianer. So lese ich also Ernst Bloch, Subjekt-Objekt, Erläuterungen zu Hegel.2 Jawohl, Erläuterungen zu Hegel. Das kann man heute gut gebrauchen. Ich lese von den 14 Stationen des Weges, die der Geist, eine nach der andern, zurücklegt. Das sind natürlich die – ausgerechnet 14 – Stationen des Kreuzweges, die das christkatholische Volk betet. Herr Ernst Bloch weiß allerhand. Höchst spannend, höchst erbaulich, aufregend zu lesen. Ich sitze und lese und staune über diesen unheimlich informierten Ernst Bloch.3 Ich lese seine Darlegung der 14 Stationen, schlage bei Hegel nach, lese in einem Kreuzweg-Andacht-Gebetbuch meiner braven Eltern, die oft in ihrem Leben die 14 Stationen des Kreuzwegs gegangen sind und gebetet haben Alles stimmt. Vierzehn Stationen; unerhörte Parallelen. Aber plötzlich: auf einmal schlägt mich einer von hinten mit einer Eisenstange über den 1 2 3

Stenogr. am Rand: „von Hans Graß erzählt vgl. 18. 5. 56“. Am Rand: „vgl. 29. 10. 1957 (unten S. 117 [= 367])“. Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar.

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Kopf. Ich lese S. 229 des Buches von Ernst Bloch: der Faschist Carl Schmitt in voller Deckung mit dem reaktionären Betrug. Ecco. Jetzt hast du dein Fett. Armes Würstchen, das sich von approbierten Marxisten über Hegel belehren läßt. Dir geschieht recht. Herr Ernst Bloch aber erfüllt sein Soll. Erfüllt sein Soll. Ersollt sein Füll. Und wird dafür Professor.1 7. 6. 56 Alles ist doch so furchtbar einfach. Wenn dir irgendeine ganz große Schwierigkeit begegnet, wenn dir irgendetwas einfach ganz scheußliches nicht paßt, dann werde einfach moralisch, hochmoralisch, entrüste dich, wirf dich zum Ankläger auf, stelle die Schuldfrage, versetze dich in die Rolle des Anklägers und erhebe das moralische Problem. Stelle die Schuldfrage, aber achte auf das erste: 1. Sorge dafür, daß du es bist, der die Schuldfrage stellt; dann kann dir nichts mehr passie––– –––– ren; dann bist du von selbst – eo ipso – der moralisch Überlegene, dann bist du als Ankläger d. h. als Verfolger anerkannt. Wer die Frage stellt ist Herr der Antwort. Wer die Schuldfrage stellt ist Herr der Situation. Sorge also dafür, daß du es bist der die Schuldfrage stellt. Und achte auf das zweite: 2. Sorge dafür, daß bei den Schuldigen ein solcher ist, bei dem es etwas zu nehmen gibt; daß also z. B. er ein schönes Amt, ein schönes Haus, Ochs und Esel, Aktien und sonst noch mancherlei Schönes hat, was ihm dann als dem Schuldigen aberkannt werden kann, was er verwirkt [hat], was ihm genommen wird, wenn du als Verfolger anerkannt bist, von dir erwirkt ist, dann kannst du nehmen, was er hat; und deine Nahme ist als gut und gerecht anerkannt; und du darfst dich ihrer in aller Sicherheit erfreuen. Sorge also dafür, daß du Recht hast, auf daß es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden. 6. 7. 56 Mein Exemplar des Buches von Leo Strauss über Spinoza (1930) ist dieser Tage in die Hände von Karl Löwith gefallen. Er hat sich darauf gestürzt wie ein Verfolger auf eine Spur, wie ein Kriminalbeamter auf ein Corpus delicti, wie ein Erbschleicher auf ein ihm günstiges Testament. Ich aber denke nur an die seltsamen Schicksale von Büchern und einzelnen Exemplaren. Ohne dieses Buch von Strauss wäre mein Buch über den Leviathan (1938) nicht geschrieben worden. Von 1932–1945 hat es mich begleitet; im Sommer 1945 habe ich noch viele Notizen dazu gemacht und Bemerkungen an den Rand geschrieben. Dann haben es die Amerikaner mit meinen anderen Büchern im Oktober 1945 beschlagnahmt und verschleppt. Es war bei den Büchern, die ich 1952 zurückerhielt und die zuletzt in Mainz lagerten. Von dort habe ich das Ganze billig an das Antiquariat Kerst in Frankfurt am Main verkauft, in einem Anfall von Verzweiflung und taedium fugae. Jetzt hat es die Bibliothek in Heidelberg erworben und Löwith hat sein gebundenes Exemplar in Tausch gegeben, um

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Auf der Seite daneben stenogr. Notiz nicht lesbar.

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meine Randbemerkungen in Besitz zu haben.1 Évidemment, ce ne sont pas seulement nos actes qui nous suivent, ce sont aussi nos gloses! Sorgt Euch nicht um Leser, Ihr braven Schreiber! Die kleinste Notiz, der ungewollteste Bleistiftstrich gehört im rechten Augenblick an seine Adresse. Soll uns das zur Vorsicht mahnen? Im Gegenteil! Es soll uns dazu anhalten, alles ohne Absicht zu tun. Ungewollt und nur getreu. 10. 7. 56 Hören Sie diese Prophezeiung aus dem Jahre 1904:2 Mir graut vor meiner Macht! Ist’s Wahrheit, die ich bringe oder Nacht? Folg’ ich der Himmlischen … der Hölle Ruf? Ist es Gesetz, ist’s Willkür, was mich schuf? Bin ich ein Gott? Ein Narr … ein Euresgleichen? Bin ich ich selber – oder nur ein Zeichen? Von wem könnte das sein? Prophetisch genug ist es. Es kommt natürlich aus Wien, dem Wien von 1904. Hitler lebte damals dort, als 15jähriger Halbstarker. Und die Antennen eines jüdischen Schriftstellers witterten ihn und sein Schicksal im Zusammenhang mit dem Großen Wurstel, mit dem ein Jahrhundert des schönen Scheines und des reinen Spieles enden mußte. 11. 7. 56 Hieroglyphe der Westlichen Welt:3

Stenogr. am Rand: „an geschrieben“. Am Rand: „vgl. 24. 11. 55“. 3 Am Rand: „Anima, Koselleck, Nicolaus [Sombart], J. Gross, Mohler, H. Fleig, Joh. Adams, R. Augstein, E. Jünger, Frau L. Ilschner (Wilhelmshaven)“. 1 2

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1848: Deutschland ist Hamlet 1918: Europa ist Hamlet 1958: die ganze Westliche Welt ist Hamlet vgl. die Illustration zum Gelächter Gelimers: 24. 3. 55 (IV S. 104) 12. 7. 56 Die Rede des CDU-Abgeordneten Nellen im Bonner Bundestag am Freitagabend, dem 6. Juli 1956 (159. Sitzung, Bericht S. 8840 ff.):1 beruft sich auf das konkrete Gewissensurteil in der konkreten, jeweiligen Situation, und will dieses Situationsurteil bei der Kriegsdienstverweigerung staatlich anerkannt sehen. Die Sozialdemokraten, besonders Arndt, applaudieren, und keiner macht den Zwischenruf: Situationsethik! So tief stecken die Normativisten schon selber in der von ihnen verworfenen Situationsethik. Mir gellt Hermann Hellers Zwischenruf „Situationsruf“2 aus dem Prozeß in Leipzig Oktober 1932 heute noch in den Ohren. Carlo Schmid rief: Quis iudicabit? Und wollte damit das Gewissen des Einzelnen zur letzten Instanz machen. Aber das Gewissen ist keine Instanz, sondern ein Abgrund. 16. 7. 56 Ernst Jünger rechnet sich mit berechtigtem Stolz zum Orden der Shandysten. Wir aber gehören zur Rasse der Neffen des Herrn Rameau.3 Nur wer zu dieser Rasse gehört, ist in die Wirklichkeit eingeweiht. Kein Faschist und kein Antifaschist, kein Verfolger und kein Wiedergutmachungsgläubiger gehört zu dieser Rasse. Wohl aber gehört zu unserer Bruderschaft der Herr von Goethe, wenigstens als Ehrenmitglied, weil er ja diesen Neffen in Deutschland eingeführt hat; Hegel gehört dazu, der ihn zu seinem Kronzeugen erhoben hat; aber auch die herrliche Bande, die im 16./7. Jahrhundert Shakespeares Stücke geschrieben hat. Von dieser echten Zugehörigkeit zur Bruderschaft des Neffen des Herrn Rameau konnte der Marxismus lange leben. Denn Karl Marx und Friedrich Engels waren Brüder dieses Neffen. Lenin und seine russischen Genossen waren schon Verwerter und mit der Verwertung beginnt der Mehrwert, und mit dem Mehrwert die hohe Politik und alles Weitere ist dann nur noch Folge der Zeit. Wir aber führen die Rasse der Neffen des Herrn Rameau unverfälscht weiter. Macht euch keine Sorgen, ihr Brüder! Laßt Euch durch Riesen-Bonzen und Staatsphilosophen à la Georg von Lukács nicht beirren! Die Rasse lebt, der Orden blüht, die Bruderschaft bleibt – unausrottbar. Kein bethlehemitischer Kindermord, keine Vergasungsaktion, kein Katyn – keine Hiroshima-Bombe, kein Morgenthauplan und keine Nobelpreisträger-Erfindung kann uns vernichten.

Am Rand: „25. 4. 52“. Gemeint: „Situationsjurisprudenz“. 3 Am Rand: „Von dem Onkel Rameau stammt das funktionale System der diatonalen Harmonik. Kein Wunder, daß der Neffe so ausschlägt!“. 1 2

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5. 8. 56 Schöne Parallele: Shylock verhält sich zu Nathan dem Weisen wie Caliban zu Papageno. Das ist ein Beispiel für eine ganze Serie von Parallelen=Implikationen. Vorsicht! Gefahr automatischen Ablaufs! Parallel-Automatik! Musilsche Parallel-Aktion wird zur Parallelautomatischen Reaktion! Grotesk dieses europäische 19. Jahrhundert! Was muß das für eine elende Elite gewesen sein, elende Elite in Staat, Kirche und Gesellschaft! Lassen sich von russischen Berufsrevolutionären ins Bockshorn jagen.1 Konservativismus gegenüber echten Berufsrevolutionären ist Passivismus und Masochismus. Aber zum Glück sind die russischen Berufsrevolution[äre] mit dem Tode Stalins (März 1953) ausgestorben. Die Entstalinisierung ist die aktive Art des Konservativismus. Wer genommen hat, segnet sich und das Seine. Er erklärt das Nehmen für beendet und die Sicherheit für die Grundlage des Bestehenden. Die Nahme ist beendet; es lebe die Legitimität des neuen status quo! Seht Euch um, wo Eure Koexistenten=Mit-Nehmer und Mit-Läufer verbleiben. Ko-existenz heißt Status-quo. Es siegt dabei auf jeden Fall der Status quo im Augiasstall. 17. 8. 56 Es gibt nur ein Theaterstück Shakespeares, das durch und durch – und sogar noch sehr in einem durchaus mittelalterlichen Sinne – christlich ist: der Kaufmann von Venedig. Es ist das alte christliche Thema vom geprellten Juden und von dem schließlich doch betrogenen Teufel. Das ergibt natürlich nur eine Komödie. Eine christliche Tragödie kann es eben doch nicht geben, höchstens über den verborgenen Gott der Jansenisten bei Racine. Hamlet ist Tragödie, daher wesentlich nicht=christlich. Die Komödie ist dort, wo es christlich zugeht, die überlegene Form. Das zeigt sich noch in Hegels Überordnung der Komödie – mit ihrem Humor und ihrer Ironie – über die Tragödie; vor allem der Zuordnung der gegenwärtigen Wirklichkeit zur Komödie. Lessings Nathan ist – wie Kommerell sagt – die „Tragödie“ des Ausgleichs und der Neutralisierung. Also keine Tragödie. Die Neutralisierung wird nicht vom Staat (im europäischen Sinne), sondern von einem weisen Individuum getragen. So geht es also von der Komödie weiter zur Neutralisierung. Die Komödie selbst ist nämlich noch nicht Neutralisierung. Das ist sehr wichtig. Von Shylock dem Rauhen zu Nathan dem – ––– Schlauen. Aber wie kann auch der Weiseste eine Neutralisierung tragen? Ein Theaterstück des Ausgleichs! Max Kommerell hat recht, sich darüber zu mokieren. Da würde ich – auch vom Juden her gesehen – den Shylock vorziehen. Die Parabel von den gefälschten Ringen konnte nur in einem Fälscher-Gehirn entstehen und von harmlosen Idealisten geglaubt werden. 25. 8. 56 Konsum ist Fortsetzung der Produktion mit andern Mitteln. Das ist die herrliche Definition, die Jürgen Habermas auf der Tagung des „Bundes“ in Wuppertal Oktober 1955 gege-

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Stenogr. am Rand nicht klar lesbar.

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ben hat.1 Das Thema war: Kulturkonsum und Konsumkultur. Ich hatte – 1925 – im Scherz definiert: Konsum ist Service am Produzenten. Die Habermas’sche Definition ist aber viel schöner und viel entwicklungsfähiger. Sie läßt sich 1. beliebig umkehren und 2. allgemein auf unsere Entwicklungsstufe übertragen, also: Verteidigung ist Fortsetzung des Angriffs mit andern Mitteln, und umgekehrt; Freizeit ist Fortsetzung der Arbeitszeit mit andern Mitteln; Ehebruch Fortsetzung der Ehe mit andern Mitteln; Biertrinken Fortsetzung des akademischen Studiums mit andern Mitteln, und umgekehrt. Schließlich – wenn man die Geschichte der Religionskriege, der Inquisition und der Ketzerverfolgungen bedenkt – schließlich also ist sogar der Teufel nur die Fortsetzung Gottes mit anderen Mitteln und das opus Dei geht in das opus Diaboli über und beide werden schließlich vertauschbar. Nathan der Weise wird zur Fortsetzung Shylocks mit andern Mitteln. Die Vertauschbarkeit zeigt, daß das „mit andern Mitteln“ nur ein „mit andern Worten“ bedeutet. Also z. B. Gott, mit andern Worten: der Teufel; oder Nathan, mit andern Worten: Shylock. Shylock wird zum tragischen Helden; als solchen spielen ihn die Bühnen seit etwa 50 Jahren. Karl Marx (Kapital, Buch I, S. 279, der Kampf um den Normalarbeitstag) betrachtet den Shylock noch als Symbol des ausbeuterischen Kapitals. Jetzt wird der Ausbeuter und Wucherer zum tragischen Helden. Herrlicher Fortschritt in der Entwicklung des Kapitalismus. Der Wucherer als Heros zum Weinen! Erregt Furcht und Mitleid!! Du siehst, mein Sohn, heute im Jahre 1956 sehr deutlich, was du im Jahr 1946 noch nicht geahnt hast, obwohl es dir vor der Nase stand und auf dem Felle saß: das Ganz Andere ist die Fortsetzung des Ganz Ähnlichen mit andern Mitteln, mit allerdings ganz anderen –––– –– Mitteln. 26. 9. 56, Mittwoch Heute vor 11 Jahren, am 26. September 1945, morgens 10 Uhr, erschienen in meiner Wohnung in Schlachtensee die Büttel meiner Verfolger und warfen mich für ein Jahr in das, was sie automatischen Arrest nannten. Das ist mein Gedenktag.

–––––

4. 10. 56 Als ich gebeten wurde, mich zu dem 10. Jahrestag des Nürnberger Urteils zu äußern: Bitten Sie doch Herrn Kranzbühler darum; der macht das viel schöner.2 Für mich liegt der Fall anders. Ich muß mir sagen: Im Hause des Gehenkten spricht man nicht vom Strick, aber im Hause des Henkers spricht man umso mehr von Recht und Gerechtigkeit. 9. 11. 56 Waffenstillstand in Ägypten, großer Sieg der Friedensidee, die Welt ist auf dem Wege zum Recht und zur Gewaltlosigkeit; die UNO marschiert. Und was geht in Wirklichkeit vor sich? Zwei Ganzstarke – USA und Sowjet-Union – belehren zwei Halbstarke – England und Frankreich – über das Stärkeverhältnis der heutigen Welt. Am Anfang steht die Nahme, am Ende die Ausnahme und der Ausnahmezustand.

1 2

Am Rand: „vgl. 8. 8. 53“. Am Rand: „an H. J. Arndt“.

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Was nützt alle Entnazifizierung oder Entstalinisierung wenn die wichtigste aller Ent-Entungen ausbleibt: die Ent-Lincolnisierung der Amerikaner? Erinnerung an das Gespräch mit Nicolaus. Der Deutsche ist eine Monade: er spiegelt das Universum, aber er hat keine Fenster. Ein heranwachsender neuer Typ glaubt sich Fenster zu verschaffen, indem er sein Haus abreißt. Enthausung als Erscheinungsform der Entrümpelung. Die Atombombe als spezifisches Mittel der Entrümpelung. 18. 11. 56 Die griechische Volksversammlung saß, die römische stand! Unterschied von Demokratie –– –– ––––– und Republik! Und jetzt noch: vom Stehen zum Gehen! Vom Status zum Gang! Vom Staatsmann zum Gangster! Unwiderstehlicher Fortschritt! 23. 11. 56 Die Schöpfung aus dem Nichts, Creatio ex nihilo. Das bedeutet (soziologisch): die Eroberer kommen aus der Wüste;1 und Nehmen / Teilen / Weiden. Aus dem Paradiese aber kommen keine Eroberer des Nicht-Paradieses. Aus dem Paradiese kann man nur vertrieben werden. Die Monade hat kein Fenster – dann sollte sie es einmal mit dem Kreuzzeichen versuchen und sich bekreuzigen. Vielleicht würden sich ihr dann einige Fenster öffnen. 28. 11. 56 Alle Menschen sind gleich. Wahrhaftig: auf eine mitleiderregende Weise gleich. Christentum ist Judentum fürs Volk, hat Disraeli gesagt, und das haben ihm Ludendorff und Hitler als ehrliche Ex-Christen (Disraeliten) begeistert nachgesprochen; Christenheit ist die vom Juden (bedenke die Zweideutigkeit: vom Juden) befreite Menschheit; in diesem Stil kann man ganze Serien von Definitionen entwickeln: Psychoanalyse, soweit sie nicht einfach Ent=Ghettoisierung ist, ist Judentum für Intellektuelle=Ex-Puritaner; Relativitätstheorie ist Judentum für geisteswissenschaftlich ungebildete Nobélpreisträger; Darwinismus ist Heilslehre und Pädagogik für social climbers und Manchesterleute usw. usw. 5. 12. 56 Achtung, die Verfolger suchen dich in den Verfolgungswahnsinn zu treiben; erst dann haben sie gewonnen, wenn sie dich deines Verstandes beraubt und dich um deinen Geist gebracht haben. Du sollst nervös gemacht werden; du sollst in eine Panik geraten; bei jedem Geräusch panisch erbeben. In jedem Stoß einer Automobil-Hupe sollst du einen auf dich gerichteten Angriff fühlen. Jeder Laut, der dich stört, soll zu ihrem Bundesgenossen werden. Nimm dich also in Acht und bleibe normal! Jede Übertreibung schadet dir, aber auch jede Untertreibung durch Ironie, Sarkasmus, Parodie. Niemand darf dich von der Bahn der Vernunft abdrängen. Horche und leide, leide und horche!

1

Am Rand: „(vgl. 4. 10. 57)“.

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Laß auch das alberne Vergnügen an artistischen Späßen beiseite, und seien sie noch so witzig. Dazu gehören die amüsanten Übungen in Kunstformen der Rhetorik, wie die Tmñsiv (Tmesis): der Suez – ach mein Gott – Kanal; oder: die Rechts – du großer Himmel – Wissenschaft. Alle Zuspitzungen schaden deiner Sache. Leide und horche, horche und leide! Ende des Jahres 1956 Weihnachten 1912 schrieb ich an Fritz Eisler: Die Zeit ist reif zur Diktatur. Weihnachten 1956 schreibe ich in mein Tagebuch: Die Zeit ist reif zu jeder Art von Wasserstoff-Bomben. Die Diktatur ist überholt; sie ist ein altmodisches Mittel geworden im Vergleich zu den von Nobelpreisträgern erfundenen Vernichtungsmitteln. Die Menschheit bedurfte ihrer, sagt Hegel, und alsbald waren sie da. Die Stunde der Konsumgesellschaft ist gekommen. Das Wesen des Menschen hört auf, Arbeit zu sein und wird Spiel. Die Atombombe aber kommt als Einbruch der Zeit in das Spiel. So also (ist das noch Spiel?) setzen sich Meyerbeer und Offenbach auf das von gedul––– digen Mönchen in tausend Jahren Christentum erarbeitete System der tonalen Musik. 17. 1. 19571 Ich fragte Kojève: wessen bedurfte die Menschheit als die Atombombe erfunden wurde? und bat ihn um eine authentisch hegelische Antwort. Er antwortete: die Menschheit bedurfte eines moralischen Alibis, um einen Vorwand zu haben, keine Kriege mehr führen zu müssen.2 Denn es beginnt eine neue Menschheit, ohne Krieg, ohne Spiel, ohne Heldentum, ohne Risiko, die totale Wohlfahrt beginnt. Wir stehen nicht am Ende aller Sicherheit, sondern am Beginn der totalen Sicherheit. Das war die scheinbar optimistische Antwort Kojèves. Er fügte hinzu, daß dieses neue Paradies nicht sein Paradies wäre. Die Angelsachsen haben eine einfache Antwort auf meine Frage: die Menschheit bedarf der Atombombe, um die sinnlose Überbevölkerung der unterentwickelten Gebiete nötigenfalls mit Gewalt zu stoppen. Das ist der Sinn dessen, was Leute wie Julian Huxley sagen und entspringt dem Malthusianismus, der ein Produkt der Insel-Angst ist. Das Einfachste und Beliebteste aber bleibt die simple Kriminalisierung. Die Menschheit bedarf eines solchen Vernichtungsmittels um meinen Feind – das letzte Hindernis des Weltfriedens – zu beseitigen. Mit diesen Erwägungen setze ich den letzten Absatz meines Nomos der Erde

1 2

Am Rand: „in Düsseldorf (Vortrag von Kojève)“. Stenogr. am Rand: „an Nicolaus Sombart geschrieben: 3. 2. 57“.

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fort, der plötzlich abbricht, schnell den Vorhang fallen läßt und sich vor den Verfolgern unsichtbar macht. Ruhiger und bewußter als ich hat niemals ein Mensch in einer Weltgefahr mit seinen Verfolgern gesprochen. Das zeigt sich im Vorwort und am Schluß dieses Nomos der Erde. Wird sich ein anderer Mensch finden, der das versteht? 18. 1. 57 Konrad Kaletsch erzählte mir den Zwischenfall Flick – de Menthon – Armengaud beim Besuch der Montan-Union-Delegierten in der Max-Hütte. Schließlich war der rabiate Ankläger und Kriminalisierer damit zufrieden, daß der alte, 75jährige Friedrich Flick darauf verzichtete, eine Begrüßungsansprache zu halten. So saßen sie beide stumm am gleichen Tisch. Ich muß Kaletsch gelegentlich fragen, ob sie sich die Hand gegeben haben. Im Falle Flick endete die Sache auf solche Weise. In meinem Falle kann sie nicht so enden. Ich bin wehrlos und Flick ist mächtig, aber ich bin zur bewußten Sprache und Rede verpflichtet. Trotzdem hatte ich tiefes Mitleid mit dem tüchtigen alten Flick und schämte mich als Jurist des juristischen Kriminalisierers, der sich in seinen eigenen Konstruktionen verfängt und keinen Frieden schließen kann. 21. 1. 57 Da figuriert das Tagebuch als kleine Institution, aber die großen Nutznießer der überkommenen Institutionen passen besser auf, als die kleinen Tagebuch-Führer; Sie schlagen diese kleinen, ehrlichen Buch-Führer nicht einfach tot, totschlagen keineswegs, kommt überhaupt nicht in Frage; nein. Einfach tot! O, nein!! Erlauben Sie mal, Wieso nicht einfach tot? Feinde der Menschheit dürfen doch einfach totgeschlagen werden! O nein! Bei uns nicht!1 O nein! Bei uns nicht! Was soll man denn mit ihnen machen? Man kann sie ja vernehmen! Welch eine Sprache, diese deutsche Sprache: Abgründiger Hintersinn: Ver-nehmen! Es wird nicht mehr genommen, Es wird nur noch vernommen! Das genügt, um einen Menschen unschädlich zu machen. Schreibt diesen Tagebuch-Führern einfach die Fragen vor, die sie in ihren Tagebüchern zu beantworten haben. Dann verwandelt sich das Tagebuch in die nützlichste Institution des neuen Paradieses. Dann habt ihr eine Statistik wie sie noch keine frühere Gesellschaftsordnung gehabt hat. Ich habe das schon im 1. Weltkrieg geahnt, und in meinem Aufsatz „Die Buribunken“ (Summa, 1917/18) beschrieben. Aber damals ahnte ich noch nichts von dem – von den Angelsachsen erfundenen – Fragebogen und seinen Vervollkommnungen. 3. 2. 57 Kojève vermied in seinem Vortrag über den europäischen Kolonialismus (16. 1. 57 in Düsseldorf) jedes aktuelle Wort. Dabei explodierte die Aktualität des Themas an jeder Ecke. Für mich war es ein unglaublicher, unerwarteter Gewinn, daß die spezifische Bedeutung des

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Stenogr. am Rand: „,Justiz‘ und ‚Richter‘ sind mit entspr. Vorbehalt zu lesen.“

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„Großraumes“ erkennbar wurde: Großraum ist die vorläufige Bezeichnung für die Dimension des Entwicklungsraumes, angesichts einer Teilung der Erde in entwickelte und unterentwickelte Völker und Gebiete: Art. 4 der Truman-Doktrin als heutiger Nomos der Erde. Wir stellten fest, daß es leider schwierig ist, die herrliche Formel: Nehmen / Teilen / Weiden ins Französische zu übersetzen; insbesondere das wunderbare Wort, das Produktion und Konsum zur höheren Einheit des Konsums erhebt, das Wort: Weiden. Wie hilflos sind die spanischen Übersetzungsversuche – toma de tierra, presa de tierra, ocupacion, instalación für Landnahme; apacentamiento für Weiden! Es ist zum Verzweifeln! Die größte Schwierigkeit liegt darin, daß der westliche angeblich gebende Kapitalismus und Kolonialismus keinen Namen hat. „Niemand kann dieses Kind taufen“, sagte Kojève wörtlich. Sozialismus ist ein anerkannter Name, aber „gebender Kapitalismus“ und „gebender Kolonialismus“, das nimmt uns keiner ab. Es gibt keinen rein gebenden d. h. nicht nehmenden Kapitalismus; das wäre ja auch verrückt. Geben ohne zu Nehmen ist keines Menschen, wäre Gottes Sache. Und zwar eines Gottes, der die Welt aus dem Nichts schaffen kann. Was kann der Nehmer geben? Den Namen! Und das eben fehlt. Keiner kann dieses sonderbare Kind, diesen Kaufkraft entwickelnden Kapitalisten, taufen. Auch „Fordismus“ ist kein Name, während, wie gesagt, Sozialismus trotz allem noch klingt und damit eine geschichtliche Legitimation bewirkt, kraft derer 200 Millionen Russen unter asketischem Verzicht auf eigenen Konsum, über 600 Millionen Chinesen, Indonesier und andere Völker, „entwickeln“! Ich las das Kapitel Plotnoi im Katorgan von Mutius, und wurde mißtrauisch, weil es mir zu sehr nach dem Waldgang Ernst Jüngers roch. Wie soll man die heutige Weltherrschaft unterwandern? So, wie das Urchristentum das Römische Reich unterwandert hat? Das wäre das Problem der Askese. Wer heute Askese treibt, sabotiert die reine Konsumgesellschaft. Das hat schon Keynes gesagt. Daß die Russen heute Asketen sind, können sie nur dadurch rechtfertigen, daß sie behaupten, für morgen eine umso komfortablere Konsumgesellschaft zu organisieren. Sonst wären sie die Saboteure des neuen Paradieses. Nicolaus fragte nach dem Patrioten. Ich antwortete ihm: Der Patriot ist als solcher weder Produzent noch Konsument. Was will er also eigentlich? Er muß streiken. Auch der Streik aber kann – richtig organisiert – eine Einrichtung der reinen Konsumgesellschaft werden. Ich weiß nicht, wie Nicolaus an ein solches Thema kommt. Das hat ihm der Bayrische Rundfunk wohl so angehängt. Da würde ich lieber einen Vortrag über Bayernpartei und Sperrklausel halten. 28. 2. 57 „Das waren Deine Glocken nie und sind nicht meine Glocken mehr.“ Das sind unerhörte Verse. Man muß sie kennen, um mein Leben zu verstehen.1 Sie stehen am Beginn des deutschen 20. Jahrhunderts. Damals, als sie entstanden, war ich als naiver, dreizehnjähriger Knabe vom Lande in eine Jüdin namens Meta Gutmann verschossen. Damals hätte ich nicht geahnt, daß ein Dichter aus der mir vorangehenden Generation mit tieferem Wissen solche Verse dichtete. Es hätte auch keinen Sinn gehabt, wenn mir, dem

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Am Rand: „vgl. 30. 12. 58“.

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Dreizehnjährigen, damals einer die Verse zitiert und erklärt hätte. Es wäre alles untergegangen in der rein katholischen Erziehung und in der Rebellion gegen sie. Wie erstaunlich sind diese Verse! Aber niemals fand ich sie zitiert oder gar interpretiert. Darüber ging und geht man heute noch hinweg. Und wie lassen sie sich ausdehnen. Das waren deine Mythen nicht Und sind nicht meine Mythen mehr. Oder – ebenso wichtig – Das waren deine Weine nicht Und sind nicht meine Weine mehr. Oder: Das waren deine Dichter nicht Und sind nicht meine Dichter mehr. Hier allerdings scheint die Ausdehnung zu versagen. Aber es bleibt: Das waren deine Heiligen nie Und ich kann mich nicht von ihnen trennen. 17. 3. 57 Das Buch von Peter Schneider „Ausnahmezustand und Norm, eine Studie zur Rechtslehre von C. S.“ eben endlich erschienen, ist wohl dazu bestimmt die deutsche Rechtswissenschaft zu ent=schmittisieren.1 Ein Schweizer, der nichts mitgemacht hat, zieht mich, der alles mitgemacht hat, vor sein Forum; ein Neutraler ohne eigenes Schicksal richtet über mein Schicksal – alles im tiefsten inkompetent aber symptomatisch und symbolisch, und so will ich es ohne Ironie und Polemik als einen Teil des allgemeinen Schicksals hinnehmen, wie alles andere, ohne mich zu unterwerfen, aber auch ohne mich zur Wehr zu setzen. Es wäre gegen den Stil und den esprit de mon âge, Fragen der Kompetenz, der Aktivlegitimation oder der Prozeßstandschaft zu erheben. Heute kann jeder jeden töten. Das ist die totalste Kompetenz. 18. 3. 57 Walter Warnach meint (mit Recht), die Katholiken seien verhaltener im Sprechen als die Protestanten. Das ist erklärlich. Mit wem soll denn ein Katholik – seitdem der Katholizismus aufgehört hat Volksreligion zu sein – unbedenklich und unbefangen sprechen? Weder die Priester unter sich, noch die Laien unter sich, noch die Priester mit den Laien, noch die Laien mit den Priestern. Die säkulasierten Priester und die säkulasierten Laien behalten das noch generationenlang bei.

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Am Rand: „Fortsetzung 27. 3. 57“.

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25. 3. 57 pollà tà deiná1: Jawohl, Vielerlei Schreckliches hab ich gesehn, Von vielem Schrecklichen hab ich gehört, Sechs Millionen getötete Juden, Zwölf Millionen verfolgte Deutsche. Aber das Schrecklichste – Aber das Schrecklichste – Ist und bleibt – Keiner begreift es; keiner vermag es zu fassen: Das Schrecklichste ist und bleibt: die zölibatäre Bürokratie, die sich gegenüber einer (von ihr selbst bewirkten) Wirklichkeit sieht, in der das Christentum nicht einmal mehr Judentum fürs Volk ist; und die nun, in einer solchen allerdings prekären Situation, nach neuen Kraft- (und Finanz-)Quellen ausspäht. 27. 3. 572 Das Buch dieses Peter Schneider ist gestaltlos: eine Auswucherung extensiver Exzerpte aus einigen meiner Schriften; eine Einspeichelung meines Lebenswerkes mit faden C. G. JungIdeen. Das Buch ist gestaltlos weil es schicksallos ist; aber nicht schicksallos wie der schlafende Säugling Hölderlins, sondern schicksallos wie ein seit über 100 Jahren neutraler Schweizer. Wie sollte dieser Autor ein Lebenswerk wie meines verdauen? Und wie durfte er mit solchen offensichtlichen Verdauungsbeschwerden in der deutschen Öffentlichkeit erscheinen? 30. 3. 57 Inzwischen posaunt Hans Zehrer einen fulminanten Stoß ins Leere, indem er in der „Welt“ vom 30. 3. 57 einen Aufsatz über den permanenten Ausnahmezustand veröffentlicht. Das ist eine großartige, wenn auch anonyme Antwort Deutschlands auf die Beziehungslosigkeit des Schweizer Buches. Zehrer wagt es, den Satz auszusprechen, daß die Atommacht, die ihrem Wesen nach geheim ist, und Demokratie, die restlose Öffentlichkeit verlangt, miteinander unvereinbar sind; daß also heute, wo eine kleine, vergatterte Schicht über das Atom entscheidet, ein permanenter Ausnahmezustand besteht, der die Demokratie mehr oder weniger außer Kraft setzt. Vor solchen konkreten Wirklichkeiten steckt der Schweizer Vogel Strauß seinen Kopf lieber in die Schlagsahne-Schüssel. 10. 4. 57 Hinter meinem Bemühen um den Ausnahmezustand steht das Problem der Grenzen dessen, was im heutigen, arbeitsteiligen Sozialbetrieb als „Recht“ bezeichnet wird. Das ist das Problem der Grenze der Justiz und der Justizförmigkeit, der Grenze dessen, was ein heutiger Gesetzgeber als gesetzliche Regelung verfassen kann, der Grenzen von Norm und Normativität überhaupt. Natürlich stößt die Frage nach diesen Grenzen hart an den Bereich der Arcana und der Tabus. Ich habe als junger, unerfahrener, von keinem echten Verfassungsoder Völkerrechtslehrer geführter Jurist manchen Fehler begangen und manches Tabu verletzt.3 Das war schlimm und verdient eine Richtigstellung. Wenn Peter Schneider die Frage so gestellt und beantwortet hätte, wäre sein Buch großartig geworden, selbst wenn es nicht Im Orig.: „pollu tà deina“. Am Rand: „Fortsetzung von 17. 3. 57“. Stenogr. Notiz auf der Seite daneben schlecht lesbar: „Morgens, 27. 3. 57, Rede auf “. 3 Am Rand: „vgl. 1. 3. 56“. 1 2

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erschöpfend wäre. Er stellt aber stattdessen, „anthropologisch“ wie er sagt, mit einem dünnen Aufguß C. G. Jung’scher Kategorien, die Frage nach meinem persönlichen Arcanum (S. 96 seines Buches oben, und S. ) und ignoriert – mit welchem Recht eigentlich? – die Stelle in Ex Captivitate Salus, S. [75] wo ich dieses Arcanum feierlich deponiert habe. Er hätte besser daran getan, meinen Hinweis auf den Zusammenhang von Diktatur, Souveränität und Gnade (Vorwort zur Diktatur Seite IX) zu bedenken und den Satz von Rivarol zu beherzigen, der davor warnt, die „perplexité de la justice“ zu verraten und die Probleme zu behandeln, „pour lesquels Thémis n’a pas de balances.“1 Das Buch Peter Schneiders stößt mich weiter in das Problem des Justiz=Prozesses überhaupt: 1. Jedes der drei Völker, die unser europäisches Denken geprägt haben, also die Griechen, die Römer und die Juden, jedes von ihnen hatte einen für uns Europäer größten Mann: die Griechen Sokrates, die Römer Julius Cäsar, die Juden Jesus Christus. Jedes dieser drei Völker hat seinen größten Mann getötet, aber nur das Volk mit dem stärksten Sinn für Recht und Prozeß, die Römer, haben ihren Julius Cäsar nicht justizförmig getötet sondern ermordet.2 2. Die Königin Elisabeth von England ahnte 1585/6, aus ihrem Instinkt des königlichen Geblüts, daß es für das Recht der Monarchie weniger gefährlich gewesen wäre, Maria Stuart formlos töten zu lassen, als ihr einen förmlichen Prozeß zu machen durch Richter und Henker, die nur von Elisabeth selbst ernannt und autorisiert waren; sie ahnte den großen Präzedenzfall, der zum Prozeß und zur justizförmigen Tötung ihres Nachfolgers Karls I. durch Cromwell führte (1649); schließlich zum Todesstoß gegen die europäische Monarchie: nämlich zur justizförmigen Tötung Ludwigs XVI. (1793) durch die Jakobiner; vgl. J. E. Neale, Elizabeth and her Parliaments 1584–1601, London, (Jonathan Cape) 1957, p. 140 ff. 3. Die Tötung Wallensteins 1634 (nach Pekař). 4. Unter dem Eindruck der justizförmigen Tötung Ludwigs XVI. schrieb Kant (Rechts––––– lehre, II. Teil Allg. Orientierung, Meiner S. 142 ff): „Selbst die Ermordung des Monarchen ist noch nicht das Ärgste (denn man kann sich noch vorstellen, daß sie aus Furcht geschah), weil sie nicht eine Verfügung der Strafgerechtigkeit sein soll, sondern der Selbsterhaltung dient. Die formale Hinrichtung ist es, was die mit den Menschenrechten erfüllte Seele mit einem Schaudern ergreift…“. Die „gänzliche Umgehung aller Rechtsbegriffe“ (Karl I., Ludwig XVI.) „Das ist das crimen mortale, inexpiabile, im Grunde unerklärlich, weil der Verbrecher bewußt gegen das Gesetz handelt“ usw. Die Umkehrung des Verhältnisses von ––––––– Souverän und Volk. 5. Jalta Febr. 45: Stalin schlägt vor, 50000 deutsche [Offiziere] einfach zu liquidieren. Ch.[urchill] verlangt Prozess.3 6. Nürnberg 1945/46; mein Gutachten vom 25. 8. 1945 über das scelus infandum.

Stenogr. am Rand: „Diesen Ausspruch Rivarols hat er mitgeteilt: “. Am Rand: „28. 4. 57“. 3 Dazu stenogr. Notiz auf der Seite daneben: „Winston Churchill, Roosevelt hat keinen Widerspruch gegen diesen Vorschlag Stalins erhoben. Sein Sohn [= Elliot Roosevelt] hat den Vorschlag sogar befürwortet; (Pape, Die Wahrheit sei Geist, S. 652)“. 1 2

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13. 4. 57 Hört diesen Ernst Bloch: Das Land des sozialistischen Aufbaus, also die Sowjetunion von heute, hat alle ihre ungeheure Kraft nur dafür eingesetzt, damit die Macht über Menschen ein Ende nehme! So Ernst Bloch in seinem Buch: Prinzip der Hoffnung, 1953, Bd. 2, S. 490!! Damit „statt des sogenannten Rechtsstaates, der wegen seines verrotteten Klasseninhalts gänzlich zum Unrechtsstaat geworden ist“ (diese klapprige Antithese von Rußland und Unrechtsstaat hätte Ernst Bloch als seiner unwürdig nicht in die Hand nehmen dürfen!), also damit „überhaupt kein Staat mehr nötig“ ist; damit ist dieser ungeheuerliche Über-Staat „Sowjet-Union“ gerechtfertigt! Tantam fidem non inveni nisi in Israel! Tantam justificationem per finem non inveni apud Jesuitas! 24. 4. 57 Im Frühjahr 1948 hat der berühmte Atomphysiker Niels Bohr feierlich erklärt: „Die Menschheit steht nach fünf Jahren vor entscheidenden Entschlüssen; gelingt es ihr bis dahin den Krieg zu vermeiden, so ist die Welt gerettet.“ So, wörtlich. Und er fährt fort: „Nach Ablauf der fünf Jahre etwa wird die Naturwissenschaft so weit fortgeschritten sein, daß der Krieg unmöglich ist.“ Das war die Prognose von 1948. In Wirklichkeit hat die Naturwissenschaft nach Ablauf von fünf Jahren die Wasserstoffbombe erfunden. Dieser kolossale Fortschritt setzte ein. So und nicht anders honoriert diese Naturwissenschaft ihre Prognosen von Fortschritt und Weltfrieden. Allen diesen heute so eindrucksvoll warnenden und wehklagenden Nobélpreisträgern – auch dem guten, lieben, wackern Albert Schweitzer, der im Radio so schön über die radioaktive Strahlung gesprochen hat, jedem dieser Kläger und Klager antworte ich mit den Versen Lukans (Pharsalia IV,183/4): … Quid pectora pulsas? Quid, vaesane, gemis? Fletus quid fundis inanes, Nec te sponte tua sceleri parere fateris? Warum schlägst du so an deine Brust? Warum jammerst du so unsinnig? Warum vergießest du wirkungslose Tränen, statt einzugestehen, daß du selbst aus eigenem Willen dem Verbrechen gefügig [bist] und daß du parierst, sobald es ernst wird?! 28. 4. 57 Bei Lukan findet sich auch das genialste Beispiel dafür, daß Rechtsbewußtsein in der Situation des Bürgerkrieges zum Unheil führen muß, und zwar umso schlimmer, je besser es gerechtfertigt ist. Das ist die Geschichte des Petreius, der auf der gerechten Seite steht, nämlich auf der Seite des Senats, und vor Verbrüderung und Verrat warnt (Pharsalia IV 212–235): trahimur sub nomine pacis. Alles läßt sich auf die gegenwärtige Weltsituation übertragen.1 Der Römer ist deshalb der Mann des Rechts, weil er die Grenzen des Rechts kennt.

1

Am Rand: „10. 4. 57“.

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22. 5. 57 Alles schreit über die Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien durch Hitler bei der Niederschlagung des Röhm-Putsches. Moralisch entrüstet schreien sie heute alle: sogar die Reichswehr ist durch ihre Beteiligung an der Ermordung Röhms besudelt (Dachauer Prozeß April/Mai 1957; Spiegel Nr. 20 vom 15. 5. 57). Dem armen edlen Röhm und den braven 4 Millionen, von Kommunisten unterwanderten SA-Leuten sollte also rechtsstaatlich d. h. justizförmig der Prozeß gemacht werden! Wie soll man sich das in der Situation vom Juni 1934 vorstellen? Jeder einzelne hätte wohl einen Anwalt als Verteidiger bekommen müssen? Wessen diese Totschläger fähig waren, hatte sich doch im Potempa-Prozeß kurz vorher gezeigt! Ist dieses ganze Geschrei vom Rechtsstaat nicht grotesk, wenn es für die Situation 1934 ernst gemeint ist? Und ist es etwas anderes als niedrigste Zweck=Predigt, wenn es für Röhm und diese Situation 1934 nicht ernst gemeint, sondern nur als Schürung einer allgemeinen Entrüstung gedacht ist? Das Bürgerkriegs-Wissen Lukans bleibt auch hier und zum Problem Elisabeth (Justizförmigkeit, oben Notiz 28. 4. 57) einfach bewunderungswürdig. Es ist ein Zeichen viktorianisch-ästhetizistischer Verdummung, wenn Robert Graves den herrlichen Lukan als rhetorischen Kitsch-Karton abtun will. Er ist Rhetorisch, das hat schon Th. Hobbes gewußt und gesagt, aber das Rhetorische ist Ausdruck seiner wirklichen Situation und nicht Unwirklich. Der Gegensatz Rhetorisch – Lyrisch beherrschte das 19. Jahrhundert, weil hier die Politik Schwindel und Ideologie geworden war, und die Wirklichkeit sich als Wahrheit in die Lyrik verzog, wo sie dann im Expressionismus für einen Augenblick wieder politisch-virulent wurde. Höre nur einmal diesen Vers des Lukan über die formlose Ermordung des Pompejus, und vergleiche damit manche Erwartung Elisabeths, es werde sich ein Mörder der Maria Stuart finden, der ihr die Sorge um das Verfahren abnehme: der Mörder des Pompejus überreicht dem Sieger Caesar das Haupt des ermordeten Pompejus und sagt: si scelus est plus te nobis debere fatere quod scelus hoc non ipse facis. Pharsalia IX, 1031 Wenn das ein Verbrechen ist, so gestehe, daß du uns umsomehr dafür dankbar ––– –– sein mußt, daß wir es dir abgenommen haben und daß du selber es nicht zu begehen brauchtest.1 Das hätte Hitler dem Bürgertum 1934 sagen können, wenn er soviel Sinn für Recht gehabt hätte wie er Sinn für die Situation hatte. Aber er war schlau genug, sich lieber an die Legalität zu halten und sich durch ein Reichstagsgesetz eine Entlastungsbescheinigung geben zu lassen. Daß er sich gebrüstet hatte, damals Gerichtsherr der Nation gewesen zu sein, war

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Auf der Seite daneben: „Die Norm vollzieht sich nicht allein, es muß Entscheidung dabei sein dann aber wird es ungemütlich: Inzwischen tut sich … gütlich.“

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ihm selber nur als Phrase bewußt. Es wäre ihm sehr unangenehm gewesen, damit beim Wort genommen zu werden wie ich das mit meinem Aufsatz „Der Führer schützt das Recht“ naiverweise versucht habe, in einem Aufsatz, dessen Kühnheit, ja Verwegenheit keiner damals begriff. Die Nazi-Juristen, wie der Pressechef Du Prel und Minister Frank, waren ganz perplex, als sie diesen Aufsatz lasen; sie nannten ihn „liberal“. Ein Glück für mich, daß Hitler selbst ihn nicht gesehen hat. Er hätte gewittert, was es bedeutete, ihm den erprobten Trick der Legalität aus der Hand zu nehmen und ihn zu einer rechtsförmigen Verantwortung zu zwingen. Er hätte wieder einmal einen Wutanfall gegen die Juristen in Szene gesetzt. Es gibt nur eine Möglichkeit für den Philosophen oder den Juristen, mit dem Machthaber fertig zu werden: ihn beim Wort nehmen. Auch das ist eine Form der Nahme. Vgl. die Erzählung bei Funck-Brentano, Le Roi (1907): Eure Majestät werden den Prozeß selber entscheiden. 1. 6. 57 Die Redaktion des Rheinischen Merkur (Roegele) hat meinen Namen in einem Aufsatz Walter Warnachs (über Spanien und Calvo Serer) gestrichen.1 Ich habe also doch noch einen Schutzengel; er führt diesen Streichern die Hand; sie meinen es böse, und der Schutzengel wendet es zum Guten. Es wäre für mich sehr peinlich gewesen, wenn mein Name in jenem Aufsatz erschienen wäre. 10. 6. 57, Pfingstmontag An Peter Schneider schrieb ich Ende Mai zur Empfangsbestätigung seines Buches: „mir als Gegenstand dieser Vivisektion, oder besser: Arkanoskopie.“ Ich fand die Wortbildung „Arkanoskopie“ besonders witzig. Aber weder Rüdiger Altmann noch Johannes Groß reagierten darauf. Offenbar entfallen meine Kontakte und meine Antennen. Ich bin schon zu alt. Was tu ich noch auf der Welt? Seht ihr wie der Blitz dort fällt? Oder vielmehr die H-Bombe? Entzückendes Gespräch mit George Schwab über Homo homini homo.2 Ich fragte ihn: In welcher konkreten Situation gilt das? Er sagte: im Autobus gilt doch: homo homini homo, und weder Deus noch Lupus. Ich: Aber im philosophischen Gespräch bedeutet homo homini homo nichts anderes als: homo homini alibi. Der Mensch: das große Alibi. Für wen? Für den Menschen! Für was? Für das Menschsein! Ein Alibi für den Deus und ein Alibi für den Lupus. Alibi bei wem? Bei einem andern Menschen!

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Stenogr. am Rand: „an und an “. Am Rand: „vgl. George [Schwab]. Gespräch mit George abends“.

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11. 6. 57 Du betest zu falschen Göttern, du benutzest das falsche Rauschgift; du nimmst Opium, statt Wein zu trinken.1 Religion wird Opium fürs Volk, wenn den Laien der Wein entzogen wird. Da müssen sie ja zu fremden Göttern laufen, weil sie fremde Rauschmittel nehmen. 12. 6. 57 Der Pfaffe hat den Wein gestohlen, Wir haben vieles nachzuholen. 17. 6. 57 Das sicherste Mittel zur Beseitigung des Priestertums ist das allgemeine Priestertum. Wenn alle Laien Priester werden sollen, dann werden eher alle Priester zu Laien als daß alle Laien zu Priestern werden. Die Ebene, auf der sich dann beide treffen, wird die niedrigste und bequemste sein, d. h. die des allgemeinen Laientums, und nicht etwa die des allgemeinen Priestertums. Das ist der Weg der Demokratie, Demokratie ist allgemeines Königtum. Jeder sein eigener Souverän. Der demokratische way of life. Es ist der Weg, den die Logik dieser Art von Begriffen erzwingt. 20. 6. 57 Endergebnis einer Juristen-Existenz: ich möchte keine Macht haben, aber ich möchte noch viel weniger Recht haben. Herzliches Beileid also zu Eurem Rechtsstaat! 1. 7. 57 Die Stahlglocken, die einen in diesem Lande zur Kirche rufen – das sind nicht meine Glocken mehr. Und alles weitere ergibt sich von selbst: Das sind nicht meine Lieder mehr; das sind nicht meine Weine mehr; nicht einmal meine Schnäpse mehr. Es ist die Coca(cola)coalitionsMusik. 21. 7. 57 In Heidelberg zitierte ich Carl-Joachim Friedrich den Vers: Das waren deine Glocken nie, und sind nicht meine Glocken mehr. Es läuteten gerade die Vesperglocken. Er sagte: In Amerika hört man selten die Glocken läuten. 30. 7. 57 In Wiesbaden, beim 70. Geburtstag Hans Freyers, lachten wir über Adornos enthüllende Äußerung von der „grandiosen Bauernschlauheit“ Hegels. In dieser Äußerung zeigt sich ein Pferdefuß, der zu einem Bumerang werden kann, und – wie Hans Barion hinzufügte – eine Achillesferse trifft. Wie lustig sind solche Selbstenthüllungen der Enthüller.

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Am Rand: „vgl. 30. 3. 57“.

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10. 8. 57 Wie abscheulich wird dann die ganze Philosophie der Arbeit, mit ihrem den Herrn unterwandernden Knecht, ihrer serva padrona, ihrem arrivierten Hauslehrer und all den social climbers, die adlige Mädchen heiraten und schließlich im Darwinismus ihre Groß=Mythen vom überlebenden Streber schaffen, der seine physische Schwäche mit Intelligenz überkompensiert. Das also war das europäische 19. Jahrhundert. Vielleicht erlebe ich noch sein Ende. Herrlich dagegen Hans Freyer in seiner Antwort auf die Geburtstagsrede Arnold Gehlens: Was wir gewonnen haben ist: Fortschritt im Modus des Scheiterns. Der Besiegte schreibt die Geschichte; der Unterwanderer die Soziologie; und Samuel Pepys kriecht in sein Tagebuch. Die Schweiz ist wahrhaftig kein Katechon. 12. 8. 57 Als ich mich mit A. Kojève über die Fälschung des Sakramentes unterhielt und die Entziehung des Weines beklagte, da erwiderte er mir: der Laie hat sowieso zuviel Blut. In diesem Augenblick bemerkte ich, daß er ein Kleriker war und ich ein Laie. Doch fiel trotzdem –– ––– kein eiserner Vorhang und auch kein Sprachgitter eines Beichtstuhles. 17. 8. 57 In Wiesbaden stellte Arnold Gehlen (in seiner Rede zu Hans Freyers 70. Geburtstag) fest: wir gehen von einer Epoche der Geschichte in eine andere, die der Soziologie. Die Zeit der Geschichte ist zu Ende. Das sagte (nach Kojèves Deutung) auch schon Hegel. Aber dieser wußte noch nicht, was Gehlen weiß: daß jetzt die Epoche (Zeit darf man dann wohl nicht mehr sagen) der Soziologie beginnt. Schön. Und wie angenehm zu hören und zu glauben. Das Ende der Zeit ist gekommen. Die Geschichte war nicht der Boden des Glücks. Aber jetzt kommt die Soziologie und kommt das Soziale; die reine Konsumgesellschaft. Das wird dann wohl der Boden des Glücks. Aufhören der Kriege und der Klassenkämpfe. Der Sozialismus endet in der Soziologie.1 21. 8. 57 Die eigentliche Sprengwirkung der Atombombe trifft und betrifft den Begriff des Menschen selbst. Sie treibt den homo homini homo aus seiner angenehmen Deckung und zerfetzt die dreifache Neutralität dieser dreifachen Tautologie. Der Mensch wirft dem Menschen die von Menschen fabrizierten Atombomben auf den Kopf. Das ist die Wirklichkeit dieses homo homini homo. Die Menschen sind hier ganz unter sich. Wo ist hier nun der wahre Mensch? Und was wird aus dem andern, dem infolgedessen nicht mehr wahren –––––– Menschen? Ich müßte allmählich an einen Gesang des 70jährigen denken, eine Antistrophe zu meinem Gesang des 60jährigen. Vielleicht so: Horche und leide! Horche und leide?

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Am Rand: „Gespräch mit Papalekas, 18. 8. 57“.

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Das ist noch zu groß. Ich horche und ich höre nichts mehr, Ich leide und empfinde nichts mehr. Was tu ich noch auf der Welt? Warten bis die Atombombe fällt? Erspar dir den Insektentod, der aus Nobélpreiswolken droht. Verlaß dies Lokal, bevor der Bordellbesitzer dich herauswirft und dich als Feind des Rechtsstaates durch seine Polizei verhaften läßt. Soll ich so singen? Oder vielmehr mit der Heiterkeit eines allwissenden ––– Greises, der weiß, daß er jenseits der Linie angelangt ist und dem nichts mehr passieren kann, weil keine Feinderklärung und kein Ordensdekoration ihn mehr erreicht? Vedremos. Vielleicht besingst du den Fortschritt? Jawohl! 2. 9. 57 Jawohl! Fortschritt aller Art: Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit von Hegel, Fortschritt im Bewußtsein der Unterscheidung von Freund und Feind; Fortschritt im Bewußtsein der Niederlage; Fortschritt von der Landnahme zur Seenahme, von dort zur Industrienahme, Raumnahme, Weltnahme; Fortschritt in den Methoden der Liquidierung des Störers der Säuberung. Fortschritt im Modus des Scheiterns. Ereigne dich, wo du dein Scheitern erbst!! Und vollziehe den Fortschritt im Modus des Scheiterns! Das wäre eine schöne Antistrophe zu den vielen Arten des Terrors im Gesang des 60jährigen! 13. 9. [57] Die normalerweise komische, in großen Fällen wie Donoso tragikomische Figur des redenden katholischen Laien. Zu wem redet er eigentlich? Innerhalb des Raumes der zölibatären Bürokratie hat er nichts zu sagen und draußen muß man ihn für einen Ministranten halten. Gerechte Strafe für diesen Dummkopf von intellektuellem Laien. Warum redet er mit, wo er nichts als Ja und Amen zu sagen hat? Ein nackter unbekleideter Intellektueller unter pomphaft devastierten Prälaten! Sehr komische Rolle. Den Satz „Ubi nihil vales, ibi nihil velis“ kann man nicht ungestraft mißachten. Wenn einer statt brav zu akklamieren – das heißt: statt Ja und Amen zu sagen – anfängt zu predigen, erregt er nur peinliches Aufsehen.1 Aber siehe da: Atheistische Rationalisten und Marxisten wie Georg Lukács stehen plötzlich in derselben tragikomischen Situation und werden von ihrer Zentrale über ihre wahre Funktion belehrt. Wir könnten also eigentlich ganz gut gemeinsam über Wissen und Macht,

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Am Rand: „Wie damals Michel Mourre in der Kirche Notre Dame“.

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sagesse et tyrannie, philosophieren, ohne uns gegenseitig zu beschimpfen und als Verräter am Geist zu kriminalisieren. 4. 10. 57 Indem Gott die Welt aus dem Nichts erschuf, hat er dadurch das Nichts zu Etwas gemacht, was es vorher nicht war, nämlich zu Etwas woraus eine Welt erschaffen werden kann.1 Und das ist doch schon allerhand. Was? Diese ganze schöne Welt ist aus dem Nichts erschaffen? Aus dem Nichts? Ex nihilo? Ex nihilo, jawohl! Sie ist doch auch danach. Jawohl, sie ist auch danach. Aber darum wird dieses Nichts, aus dem sie erschaffen wurde, immer interessanter.

–––

5. 10. 57 Das Problem der Reihenfolge: Wein – Weib – Gesang. Stoff für einen neuen Weltkrieg; ich finde es unglaublich, daß der Wein vor dem Weib kommt. Die erste Stufe ist das Weib.

––––

6. 10. 57 Carl Schmitt – connaisseur of Chaos. Tu quis es? An meinen Freund George Schwab: Die Identitätsformel Homo homini homo steckt im Kern der Identität von Regierenden und Regierten, also im Wesen der Demokratie.2 Wer sie leugnet, kann kein Demokrat sein. Gestern einen Augenblick erregt, als George Schwab die Note am Schluß meines Gutachtens vom 25. 8. 45 über den Angriffskrieg las: wie kann man das scelus infandum Hitlers sühnen? Doch nicht justizförmig! Dadurch wird es ja seiner Unglaublichkeit beraubt und standardisiert; es wird in einen Vorgang, in einen precedent verwandelt und ins Voraussehbare (und Nachsehbare) eingefügt. Hugo Ball kritisierte meine Politische Romantik mit der Bemerkung: Um einen Hasen (Adam Müller) zu jagen, wird eine ganze Provinz abgesperrt.3 Ich erwiderte ihm: gut, aber bei dieser Absperrung ist die erste Topographie dieser Provinz entstanden. 28. 10. 57 Drei schlimme Wahrsagungen für die Deutschen: 1. Zu Eurem Reich zu gelangen, –– –––– ihr kämpfet, Deutsche, vergebens. 2. Zur Nation euch zu bilden, ––––––– ihr hofft es, Deutsche, vergebens (mit hat Jude Rückhalt; siehe Karl Kraus).4 3. Zu einem Volke zu werden, –––––– ihr möchtet es; Deutsche, vergebens.

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Stenogr. am Rand: „vgl. 23. 11. 56, George in der Politischen Theologie geschrieben“. Am Rand: „(21. 3. 53)“. Stenogr. am Rand: „Widmung des Exemplars Mutius; George [Schwab] gezeigt“. In der Klammer Steno.

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ad 1. wie Rom ad 2. wie die Franzosen ad 3. wie die Polen und Tschechen.1 29. 10. 57 Warum eigentlich hat Ernst Bloch sich so darüber gegiftet, daß ich von dem „proletarischen Bewußtsein des Betrogenseins“ gesprochen habe?2 Ich habe das doch als ein Proletarier gesagt; freilich eine andere Art von Proletarier als seine; nicht als beute-lüsterner Proletarier. Mir bleibt nichts als der Fortschritt im Bewußtsein des Betrogenseins. Von Zeit zu Zeit –––– wechsle ich den Typus, von dem ich mich betrügen lasse. Dann schimpft der erledigte Betrüger wütend hinter mir her und nennt mich einen charakterlosen Verräter. 31. 12. 57

Da erwartet der gute Werner Becker ein Schuldbekenntnis von Rom, und zwar wegen der Renaissance-Päpste. Das wird man ihm gern geben, denn das interessiert nicht, und sind denn diese heutigen Dollar- und Frischzellenpäpste besser und christlicher als jene echten Sünder? Jene echten Sünder hatten doch wenigstens noch den Trumpf des „pecca fortiter“ in der Hand und vermochten Luther eo ipso existenziell zu widerlegen. Die heutigen aber sind nur noch Normativisten und gerechte Friedensmacher; peace makers mit Altersversicherung und dem Recht auf ein langes erbauliches Erdenleben, d. h. ein Recht auf den Tod an Altersschwäche. Wir wollen sie darum nicht beneiden. Wenn ich die Macht hätte, würde ich jedem gern den Tod an Altersschwäche garantieren. 4. 1. 58 Also heute schafft sich der Mensch mit Hilfe der Technik seine eigene Umwelt; er hört auf, ein gefährdetes Lebewesen zu sein und erreicht ein unwahrscheinlich hohes Lebensalter in voller Sicherheit mit gut organisierter Versorgung. Aber eben dadurch hört er ja auf, das gefährdete Lebewesen zu sein, das „offen“ bleibt und sich an keine Umwelt bindet. Er wird Tier, wie andere Tiere auch. Kein Wunder, daß noch niemals soviel von Mensch und Menschlichkeit geredet wurde, wie heute. [6. 4. 58] Ostern 1958 Et ta Race est 89! (Michelet) 1 2

Stenogr. Notiz auf der Seite daneben unleserlich. Am Rand: „vgl. 31. 5. 56 (S. 63 dieses Heftes)“.

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[25. 5. 58] Pfingsten 1958 Aubrey Beardsley scheint Recht zu behalten: Der Protestantismus endet als Hamlet. Puritanersöhne werden Jesuiten. Die ganze westliche Welt ist Hamlet und wird einem Fortinbras ihre dying voice geben. Verfassungstheoretisches Pfingstfest 1958 Bild der Verfassungsbegriffs-Lage des Europäischen Westens.1

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Am Rand: „an R. Altmann“.

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In Deutschland:

––––––––––––––

In Frankreich: ––––––––– –––

Ent-Legalisierung –––––––––––––––– Demokratische Legitimität ––––––––––––––––––––––– Adolf Arndt im Bundestag (Drucks. 25. 4. 58, S. 1495 1502): „Wir sollten uns die Diskussion über Legalität und Illegalität ersparen“. (S. 1502). „Wir denken in der Kategorie des Legitimen.“ Die Volksbefragung ist legitim und demokratisch (SPD Presse 23. 5. 58)

Republikanische ––––––––––– ––– Legalität –––––––

Fröhliche VerfassungsPfingsten 1958! Legitime Pfingstfreude für uns alle! Ta race est 89!

Am Rande: ––––––– ––

Paris 19. 5. 1958. De Gaulle verlangt außerordentliche Vollmacht aber „im Rahmen der légalité républicaine“; das Comité de Salut public in Algier will „in republikanischen Legalität bleiben[“].

Ulmer Prozeß gegen den SS-Haupt[angeklagten] Böhme: dieser erkennt an, daß die Erschießungen im Sinn des liberalen Rechtsstaates nicht legal waren (FAZ, 23. 5. 58) Enthamletisiertes Deutschland 1933/45

Dazu sehr hübsch am 2. 6. 58 Hans Fleig in der Tat (FAZ 3. 6. 58): Durch die Linse ––––– „Legalität und Legitimität gesehen, ordnet sich manches, was wirr erscheint[“]. Niemals wird Frankreich auf Algier verzichten (Pflimlin in der Nat. Vers. Paris 20. 5. 58). Niemals wird Deutschland auf Elsaß-Lothringen verzichten (Staatssekretär Kühlmann im Deutschen Reichstag 1917). Ein Kunde kommt mit einer Kunde; sogar mit einer Ur=Kunde; Urkunde: das ist ja schon geschrieben und nennt sich doch noch „Ur“ und erst recht und alleinig „Ur“. Inzwischen schreiben andere Schreiber; die römischen Schreiber in Rom, die 1000 Jahre lang Europa mit pseudo-isidorianischen Ur-Kunden betrogen haben, finden unlautere Konkurrenz; Immerhin merken diese Kunden, daß jeder Maler, der heute abstrakt malt, be-ur=kundet; das empfinden sie als unfairen Wettbewerb, und das muß man natürlich stoppen, und jeder Stopp ist da willkommen; erst Adolf Hitler, dann Stalin und Roosevelt (par nobile fratrum); dann irgendjemand der noch ein Konkordat schließen wird, mit den alten Ur=Kunden in Rom. Ein Kunde kam mit einer Kunde! Einstein war so ein Kunde! Aber die Ur=Kunden in Rom konnten nur pseudo-isidorianisch Urkunden, wofür ihnen die Heilige Schrift als die Heilige Ur=Ur=Kunde gut genug ist; mit Ur=Frischzellen Interpretationen.

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1. 6. 58 Nach der Lektüre von C. F. von Weizsäckers Darlegung über „die gegenwärtigen Aussichten einer Begrenzung der Gefahr eines Atomkrieges“: also das Ergebnis ist der Eindruck der Unsicherheit, die gerade die politisch intensiv interessierten Kreise der USA gegenüber den europäischen Problemen beherrscht. Armer Delano, armer Melville. Das Ergebnis ist Hamlet. Der ganze Westen endet als Hamlet. Beginnt als Rachedrama (Rache an HitlerDeutschland) und wird als Moritat enden, bei der schließlich alle Personen des Dramas tot auf der Bühne liegen und Fortinbras das Erbe übernimmt, von dem sterbenden Hamlet und seiner dying voice legitimiert. 3. 6. 58 Es gibt eben zwei Carl Schmitt: den exoterischen (der sich infolgedessen Carlo nennt) und –––– den esoterischen. Zu Otto Weiningers Haß gegen den Wiener Walzer; Haß gegen den Leviathan, gegen das chtonische Leben, vgl. meinen Leviathan p.1 5. 6. 58, Fronleichnam Meine Herrn! Periodisierender Rückblick des 70jährigen auf die Folge seiner Herren, d. h. auf die von ihm durchgestandenen Regime seiner Lebenszeit: 1. Kindheit 1888–1900: ins Sauerländische entorteter eifel-mosellanischer, durch Staatsempörer Familien-Katholizismus 2. Knabenalter 1900–1907: enttotalisierter Konvikts-Klerikalismus, relativiert mit humanistischer Bildung 3. Jüngling 1907–1918: enthegelisiertes Groß=Preußentum wilhelminischer Prägung und Neu-Kantianismus 4. Mann 1919–1932: entpreußtes Deutschtum mit Liberal=Demokratie Weimarer Art und stark nationalen Reaktionen (Anti-Versailles) 5. Reifes Alter 1933–1945: entfesseltes Großdeutschtum des Bruder Straubinger mit Flucht nach Innen 6. Spätes Alter 1945–1958: entfesselter Antifaschismus mit Gnadenbrot nach Art 131. ad 1. Regime: ad 2. ad 3. ad 4. ad 5. ad 6.

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gutmütige ältere Pfarrer mit Kulturkampferinnerungen Konviktsleiter und patriarchalische Fabrikanten wilhelminische Beamte und Offiziere (im Grunde gemütlich) echter Pluralismus mit viel Freiheit Bonzen, Großstreber und Verrückte Shylocks und oberflächlich nathanisierte Verfolger.

Zu ergänzen wohl: „16–18“.

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Und damit sei es genug. Ich danke Ihnen, meine Herren! Ängstliche Frage des 70jährigen: Ob ich noch die Ent-Nathanisierung Deutschlands erlebe?1 Juli 58 in Casalonga Große Begegnung mit Land und Meer am Cap Finisterre. Große Begegnung mit den Vandalen durch das Buch von Christian Courtois, Les Vandales (1955). Das Gelächter Gelimers, la carcajada de Gelimer2 und el soriso des Daniel und des Evangelisten Johannes in dem Pórtico de la Gloria in Santiago. Uns bleibt wohl nichts als das Gelächter Gelimers. Aber das Lächeln Daniels und des Evangelisten verfolgt mich in meine Träume. 2 Anläufe unterdrückt und schnell erstickt 1950 (Nomos der Erde und Ex Captivitate), 1954 (Machtgespräch, Neudruck der Verfassungslehre). Und jetzt 1958 der dritte: Gesammelte Aufsätze und Festgabe.3 Auf die Idee mit den 3 Ringen Nathans des Weisen konnte nur ein geborener Fälscher kommen. 16. 8. 58 Der Schlüsselsatz, der auch für die ganze Invasion aus der untergehenden habsburgischen [Monarchie] in das wilhelminische Deutschland gilt (für Reinhardt, Freud, Schnitzler, Werfel, Rilke, Däubler) steht in Hitlers Mein Kampf, ziemlich am Anfang (S. 57) gleich im 2. Kapitel „Wiener Lehr- und Leidensjahre“: „In stolzer Bewunderung verglich ich den Aufstieg des Reiches mit dem Dahinsiechen des österreichischen Staates.“ (1908!!)4 22. 8. 58 indocilis privata loqui (Luc. V, 539) alles Geheim-Sprache; alles Geheim-Wissen; GeheimReligion; Über-rollung der größten Erkenntnisse durch falsche Propheten; begreifst du endlich, wo du lebst und wer du bist? Et mortem sentire juvat. Die Religion des Lukan, ohne Verwerter-Verfälschung; die Religion eines jungen Mannes, der Zugang zu Nero hatte. 25. 8. 58 Wieder einmal ein Sonntagvormittag der guten Einfälle. Nachts vorher Begegnung mit dem princeps reliogissimus Sisebut, dem Lecto de la validez (der vollzogenen Taufe) und der validez del Lecto. Vitoria hat das später dann genau so behandelt; der Skandal ist geschehen; es wäre ein neuer Skandal, ihn rückgängig zu machen; also bleibt es bei der mit Gewalt vollzogenen Taufe. Coactus voluit. Hoch der fromme König Sisebut! Hoch Innozenz III. und sein Decretale Maiores! Hoch Canon 57 des 4. Conzils von Toledo und die Glosse Gratiani C 5 D. XLV! Hoch Vitoria!!

Am Rand: „vgl. 7. 9. 58 (unten S. 129)“. Stenogr. am Rand: „Gelächter Gelimers “. 3 Am Rand: „1. Signal 1958: JZ zu dem 70. Geburtstag; bläst mir alte Druckerschwärze ins Gesicht. 1959 JZ, 1962 NZZ“. 4 Am Rand: „vgl. Invasion aus der Hab. Monarchie“. 1 2

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Der Begriff des Skandals als große Hintertür der Situationsjurisprudenz! À corsaire, corsaire et demi! À Juif, Juif et demi! Secundum occasionem et veritatem coactus sive condicionaliter, sive absolute voluit. Hier ist die wahre Quelle und das praktische Endergebnis aller schönen Argumente des Vitoria de Indis und der angeblichen Begründung des modernen Völkerrechtes. Noch eine Keimzelle habe ich entdeckt: Quevedos Sueños, la hora de todos, Nr. 39, ist die Keimzelle der Protokolle der Weisen von Zion. Aber wer waren denn damals und wer sind denn heute die Monopantones? 26. 8. 58 Ruhiger und besonnener als ich hat niemals ein Mensch mit seinen Verfolgern gesprochen.1 Durch Sanftmut – übe diese Pflicht – Wirst du den Feind besiegen O, raube deiner Seele nicht Dies himmlische Vergnügen.2 27. 8. 58 Zu der Notiz Ende des Jahres 1956 (auf S. 80 oben [= S. 353 ff.]): De Gaulle ist nur ein Intermezzo; er holt Deutschland nach; es wird noch vieles nachgeholt werden, was wir in Deutschland vorgeholt haben; bis dahin bleiben wir das Volk der Kollektiv-Scham und führen Scham-Tage als (bezahlte) gesetzliche Feiertage ein z. B. Hiroshima (August), Morgenthauplan; Teufels-Kalender statt Heiligen-Kalender. 3. 9. 58 Also Gott ist das ganz Andere, richtig, das total Andere, die totale Entfremdung also. Wunderbar! Eben das braucht der Mensch, um Mensch zu sein. Entfremdung ist also kein Einwand und keine Widerlegung. Der Mensch braucht dergleichen um sich vom Tier zum Menschen zu entfremden. Aber es gibt auch falsche Entfremdungen; die sind natürlich tödlich. Und nun beginnt der hoffnungslose Kampf um Echt und Falsch, d. h. Freund und Feind, mit allen seinen satanistischen Gewalttätigkeiten und seinen nathanistischen Betrügereien. 7. 9. 58, Sonntag „Der echte Ring vermutlich ging verloren.“ Ecco! Da zeigt sich der Schwindel! Die Zerstörung der Echtheit überhaupt!3

Am Rand: „vgl. 17. 1. 57“. Stenogr. am Rand: „An Anima geschrieben, daß sie [diese Verse] ins Spanische übersetzt. An Ernst Jünger“. 3 Am Rand: „vgl. oben [5. 6. 58]“. 1 2

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9. 9. 58 Heute wird einem von Überlebenden zum Vorwurf gemacht, daß man zu den Überlebenden gehört (so von Ernst Jünger gegen mich, im Januar 1950).1 Was bedeutet das, vom Recht her gesehen? Es bedeutet, daß einige das Recht zu überleben für sich in Anspruch nehmen und es andern absprechen. Reizender Zustand. Warum bist du dem Tyrannen nicht ins Messer gelaufen? Bist Du ihm denn ins Messer gelaufen? Aber ich habe ihn nicht unter–––– stützt! Jeder Mitlebende hat ihn unterstützt, sogar jeder, der ein Attentat versuchte. Ich bin begierig auf Jüngers neues Tagebuch über die Okkupations-Jahre. Ich lese seinen Satz aus dem Jahre 1950 (Briefe vom 10. und 16. Januar 1950) „Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich.“ Das also ist seine letztinstanzliche Beziehung zu mir! Ein schnödes Todesurteil. Grauenhaft. Dabei hat er keine einzige juristische Arbeit von mir gelesen und in seiner Selbstverpanzerung auch niemals die Anwandlung verspürt, etwas derartiges von mir kennen zu lernen. Und jetzt soll ich ihm meine Sammlung Verfassungsrechtlicher Aufsätze schicken? Um mir sagen zu lassen, daß ich nicht das Recht zum Überleben hatte? Das wäre ja die Unterwerfung unter seinen Anspruch, Todesurteile auszusprechen, indem er einem das Überleben zum Vorwurf macht. Es geht nicht mehr. Das Gelächter Gelimers ist noch die harmloseste Antwort auf solche tödlichen Beleidigungen. 16. 9. 58 Der Konsens folgt der Macht (nicht die Macht dem Konsens). Sehr schön sagt Barion: meine Überzeugungen folgen nicht der Macht; aber umgekehrt: sie stellen sich gegen die Macht. Sehr schön. Aber vielleicht ist das nur seine klerikale Existenz. Die staatliche Theorie des Geldes ist eine staatliche Theorie der Macht, Knapp, Sohm, Below, alles Nach-Hegelianer; imperium rationis. Alle Menschen sind gleich. Richtig. Aber nur so, wie z. B. alle D-Saiten gleich sind; auf der einen wird aber eine schöne Melodie gespielt, während auf der andern ein schauerlicher Stümper herumkratzt. 21. 9. 58 Der Konsens folgt der Macht und wird dadurch echter Konsens, während die Macht, die dem Konsens folgt, dadurch aufhört, echte Macht zu sein. Was kostet das Blut?, fragte Pribićević 1925 im jugoslawischen Parlament, gegenüber der Korfu Legende und ihrer Verwertung für Wiedergutmachungsforderungen (erzählte mir Sava als ich ihm von den heutigen Legenden erzählte; unheimliche Klugheit dieses serbischen Volkes). Es wird immer spitzer: Ein Sozialstaat ist ein Staat in welchem der sozial Schwächere der politisch und juristisch Stärkere ist. Infolgedessen handelt es sich darum, das Monopol des sozial Schwächeren in den Griff zu bekommen. Das ist den Gewerkschaften gelungen.

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Am Rand: „vgl. 5. 2. 50“.

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22. 9. 58 Das „Gott ist tot“ bei Hegel ist noch Karfreitagszauber. Bei Heidegger ist es etwas anderes. Am gefährlichsten ist es bei Bonald: Gott ist tot bedeutet: er ist abwesend. 27. 9. 58 Das Reich Bismarcks hatte zwei Komponenten, es war National-Liberal. Das Nationale war die politische, das Liberale die wirtschaftliche Komponente. Diese beiden Komponenten traten infolge der Niederlage von 1918 auseinander, sodaß sich eine Kern-Spaltung vollzog. Das war die kritische Zeit der Weimarer Verfassung 1919–1933.1 1933 wurde das Nationale als selbständiges Element entfesselt und hypertrophierte zur Überdimensionalität bis es 1944/5 zerplatzte. Heute ist im sogenannten Wirtschaftswunder das wirtschaftliche Element zur Überdimensionalität hypertrophiert. Zwei Elemente traten auseinander, und wuchsen hemmungslos jedes für sich, bis sie zerplatzten. Gärung statt Atmung. Von der Crooke bis zum Regen. Staatsbürger, außerhalb der Taufe kommst du Christ auf nassen Wegen aus dem Regen in die Traufe.2 Jüngers neues Tagebuch;3 sein Freund und Kronzeuge ist Ernst Niekisch; dabei soll er nun bleiben; das soziale Ideal ist der Jüngerische Krieg. 10. 10. 58 Gestern Morgen, gegen 4 Uhr, hat Gott der Allmächtige den Römischen Papst, der auf dem Heiligen Stuhle saß, vor seinen, den Richterstuhl des Allmächtigen und Allwissenden geholt.4 Da nützt keine Frischzellen-Impfung mehr; auch nicht die Freundschaft mit den Machthabern der heutigen Westlichen Welt; bereitet oder nicht zu gehn, er muß vor seinem Richter stehn – nachdem er so lange und so oft verlängert, selber den höchsten Richter gespielt hatte. Der Zeitungs-, Rundfunk- und Fernseh-Schmus, der sich bei diesem Todesfall in Strömen ergoß, fließt in die Waagschale zur Linken. Gott sei der armen Diplomatenseele gnädig. 30. 10. 58 Gründen wir eine Organisation zur rechtzeitigen Kriminalisierung der etwaigen Mondund Marsbewohner!5 ORKEMM! Sonst wäre die Eroberung des Mondes und des Mars möglicherweise dasselbe wie die Conquista Amerikas durch die Spanier, und das darf doch nicht sein. Columbus, Cortez, Pizarro haben das versäumt! Laden wir die eventuellen Eingeborenen vor ein Tribunal, dessen Präsident Mr. Henry Morgenthau sein müßte. Häu-

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Am Rand: „Walter Warnach 26. 1. 58 erzählt“. Am Rand: „Ende September, vgl. Crook; Nov. 57 Cambridge (Hobbes)“. Am Rand: „vgl. 9. 9. 58“. Am Rand: „vgl. 31. 12. 57“. Am Rand: „vgl. 17. 1. 57“.

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fen wir die glühenden Kohlen der Kollektiv-Schuld und Kollektiv-Scham auf ihre verbrecherischen Schädel! Und dann im Namen der Menschheit: immer feste druff! Nur so kann der Aufbruch in den Kosmos vollständig vorbereitet und moralisch in Ordnung gebracht werden. Infam, wie diese Nobelpreis-Verteiler mit dem Leben und dem Schicksal des armen alten Pasternak spielen, indem sie ihm ihren Preis anhängen und ihn dadurch zur Zielscheibe für die Verfolgung im eigenen Land machen. Infam diese Methode der Aufputschung, die fern vom Schuß zum Widerstand aufruft, wie damals 1933–45 gegen Hitler. Es zeigt was den Russen bevorsteht, wenn sie besiegt werden. Vielleicht erleben sie dann die gerechte Strafe dafür, daß sie in Nürnberg dabei waren, in dem Hauptprozeß sogar als der wahre Gerichtsherr dabei waren. Dann fällt ihr erfolgreicher Trick vom Anti-Faschismus auf ihren Kopf zurück. Nachdenkliche Betrachtungen eines 131ers zum Falle Pasternak. Von der interessanten Parallele aus der Hitler-Zeit (Nobel-Preis an Ossietzky) hört man nichts. Welcher Takt! Welche Sprachregelung! Welche Konsequenz der Methoden und der Linie! Welche Identität! Mehr sage ich lieber nicht, „mit Rücksicht auf die Gesellschaft in der ich lebe.“ 4. 11. 58 An mir scheitern alle Juden, aber solange ich, Carl Schmitt, lebe, haben die Juden noch eine ––– Chance (Namenstag des heiligen Carl Borromäus). 9. 11. 58 Lassen Sie sich doch ERP[European Recovery Program]-Gelder geben! Warum soll Gott denn eigentlich tot sein? Er läßt sich doch so gern und so schön gleichschalten! Wie altmodisch, diese Anstrengung des „Gott ist tot.“ Wir stehen jetzt in der zweiten Hälfte des Hamlet. Jetzt erscheint kein Geist mehr. Jetzt beginnt der harte Nahkampf um das Überleben. Es geht nicht mehr um Rache, es geht nur um die Macht. Wollte Montherlants „Maître de Santiago“ an Hans-Joachim Arndt zurückschicken, mit den Worten: Was ist aus diesem Montherlant geworden! Ein antikolonialistischer d’Annunzio! Ich schicke Ihnen hier die ältere Romantik. Ich schicke Ihnen hier die christlich-katharisch-buddhistische Bouillabaisse des alten, unheilbaren Romantikers zurück; sie ist für mich auch durch das Gewürz eines Romero Santiago nicht bekömmlicher geworden, obwohl ich gerade für dieses Gewürz eine große Schwäche habe. Ich ziehe die leyenda negra, die schwarze Legende, dem weißen Schnee des sublime néant vor. Der antikolonialistisch gereinigte weiße Ordensmantel gehört in das Farbfilm-Magazin eines christlich gewordenen Hollywood. Lieber als der weiße Schneemann des erhabenen Nichts ist mir der ehrliche Conquistador, tausendmal, und sei es der heldenhafte Schweinehirt Pizarro aus der armen Estremadura. Das Ganze ist eine niaiserie sublime; ihr Schlüsselwort finden Sie in dem naiven Bekenntnis auf Seite 148: „du moins dans l’art“! Nur auf der Bühne vollzieht sich die Reinheit der Perfekten: Flucht ins Theater. Einzige noch zu erhebende konkrete Frage: ist der Boden Algeriens „sol natal“ Frankreichs oder nicht? Ich kann mir denken, wer diesem Propagandastück zum literarischen Erfolg verholfen hat. Einziger Gewinn für mich persönlich: die klare Erkenntnis, daß die christliche Kirche des Westens damals endgültig versagt und sich auf eine elende potestas indirecta zurückgezogen hat, weil ihr die religiöse Kraft zur sakralen Weihe und Namengabe fehlte, die Kraft, mit der sie tausend Jahre vorher

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die wilden Conquistadoren der germanischen Völkerwanderung noch binden und zu weihen vermochte. Die ganze Eroberung der Welt durch Europa: une tragédie sans issue (S. 117). Auf S. 70[:] Alvaro zeigt seiner Tochter Marianna Spanien, wie die Spartaner ihren Söhnen einen betrunkenen Heloten zeigen: diese betrunkenen Heloten bei Annette, im Geistlichen Jahr (25. Sonntag nach Pfingsten). Ich finde, der betrunken gemachte Helot ist das heutige Europa, und Montherlant hält sich für einen Spartiaten, weil er mit Erlaubnis und unter dem Beifall der Herren den Trank mixen hilft. 11. 11. 58 Heute werden wir Pasternakisiert, morgen werden wir Entpasternakisiert. Entung und Ententung. Es bedürfte der Feder eines Pasternak, um alles dieses adäquat d. h. nobelpreiswürdig zu beschreiben. Zu dem Gespräch des Spiegel (Nr. 46, vom 12. Nov. 58) mit dem Journalisten Cassandra (Mr. Connor) vom Daily Mirror. Das besondere Verdienst des Spiegel sehe ich darin, ein verlogenes Kostüm, die Maske der Cassandra, entlarvt zu haben. Zur Tragik der Trojanerin Cassandra gehört, daß Troja den Krieg verloren hat. Hier, im Daily Mirror dagegen, brüllt einer, der den Krieg gewonnen hat, nach Haß und Rache und nennt sich Cassandra. Das ist doch grotesk. Aber solche Typen sind gefährlich. Sie können gar nicht mehr absteigen von den Übersteigerungen, mit denen sie Erfolg hatten. So sitzen sie fest in der Zwangslage des einfachen Dilemmas: if the Germans are not was he (Connor) says they are – what is he?

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12. 11. 58 Wichtiger Vorschlag zur Entlastung: Der Name Deutschland ist diskreditiert und bringt beschämende Erinnerungen mit sich, die wir einerseits nicht vergessen dürfen, andererseits aber begreiflicherweise gerne austilgen möchten. Angesichts dieses gespaltenen Zustandes ergibt sich die zwingende Notwendigkeit einer Abschaffung des alten und der Einführung eines neuen Namens.1 Glücklicherweise bietet sich uns heute ein zwangloser Ausweg aus dieser heiklen Lage. Der Name eines großen Märtyrers der Freiheit kommt uns zu Hilfe, eines genialen Dichter, dessen Roman Dr. Schiwago heute von jedem Deutschen spontan gekauft und – soweit der Fortschritt der Freizeitgestaltung das überhaupt noch gestattet – auch zu lesen versucht wird. Damit haben wir das richtige Symbol für unsern Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit gewonnen. Bisher hatten wir uns bemüht, Kafka zu lesen und für unser Land den Namen Kafkanien zu rechtfertigen. Jetzt treten wir in ein weiteres Stadium unserer Entwicklung ein, für das ich infolgedessen den Namen PASTERNAKISTAN vorschlage. Im Zeichen dieses Namens wird die Anerkennung unseres Aufstiegs zur Menschheit wesentlich erleichtert und die Chancen unserer Aufnahme in die UNO bedeutend gefördert werden. Erich Strauss.

1

Stenogr. Notiz am Rand nicht lesbar.

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16. 11. 58 Hören Sie bitte einmal: „Auch hier bewährt sich die lehrreiche, für den ganzen Verlauf der Revolution typische Beobachtung, daß die Theorie immer dort versagt, wo die Situation von ihr das entscheidende Wort erwarten dürfte.“ Wer mag das gesagt haben? Es stammt aus dem Jahre 1909; damals in Deutschland gesagt! Wer war so klug und erfahren? Damals hatte der deutsche Staatsrechts-Positivismus längst sein „Ohne mich“ erklärt und feierlich verkündet: Das Staatsrecht hört hier auf. Ohne mich d. h. in der Situation, in der man von ihm das entscheidende Wort erwartet. Wer also mag schon 1909 in Deutschland so klug und erfahren gewesen sein? Sucht einmal fleißig nach! Es steht auf Seite 351 eines verfassungstheoretischen Buches.1 Ich selber freilich habe eine etwas andere Erfahrung gemacht. Ich habe 1932 das entscheidende Wort gefunden, aber meine Theorie erhielt unmittelbar mit dem Eintritt der Situation einen Fußtritt und wurde dann später, als es schief gegangen war, zum Schrittmacher des Unheils erklärt. In solchen Fällen dient die Theorie als Sündenbock, und es ist den Menschen wichtiger, einen Sündenbock als eine Theorie zu haben. Dazu eignet sich am besten die Cassandra. Einer sagt mir (als einem Deutschen): Ihr habt angefangen! Ich antworte ihm: Und ihr habt nicht aufgehört! Wie ekelhaft, diese Zerrerei um Aggression und Schuldfrage. Davon können doch nur einige Schmarotzer leben; kein ehrlicher Mensch.2 Aggression soll im Zeitalter des entfesselten Fortschritts ein Verbrechen sein! 7. 12. 58, Sonntag In dem bundesrepublikanischen Blatt, dessen Wirtschaftsteil das Wirtschaftswunder spiegelt und dessen kultureller Teil ein gutgefügtes pied-à-terre der angeblich heimatlosen Linken ist, wird Ernst Niekisch zur Geschichtsquelle erklärt (FAZ 6. 12. 58). Ernst Jünger fungiert dabei als der Bürge für Niekisch. Das ist die Situation. Vergiß das nicht über deiner Freundschaft mit Ernst Jünger. Ich habe Jünger geschrieben, daß ich mich genug blamiert fühle, weil ich mich auf ein Gespräch mit Niekisch eingelassen habe, mit einem Menschen, nachdem der heute, nach ––––––––– 30 Jahren, solche „Berichte“ über seine Gespräche mit mir präsentiert. Die Gespräche mit Leuten wie Niekisch sind Steppenverhöre gewesen. Das endet damit, daß man umgelegt wird. Wer weiß, daß hier 2 × 2 = 5 ist, der weiß eben zuviel. Machiavelli wußte schon zuviel, aber bei Hobbes wurde es lebensgefährlich, weil er wußte, daß jedes Wissen zuviel ist. Trotzdem hoffte er – als früherer Prinzenerzieher konnte er nicht aufhören es zu hoffen – die Machthaber zu belehren, bis er schließlich erkannte: doceo, sed frustra. Wenn ich Theodor Haeckers Nachwort von 1918 lese, verstehe ich die Wut des Thomas Hobbes gegen die theologischen Wühler und Hetzer. Und doch war Theodor Haecker damals mein Freund! Ein Krokodil mit einem Bäffchen, welches Bäffchen er später gegen einen Rosenkranz umtauschte.

1 2

Stenogr. am Rand: „[Egon Zweig,] Die Lehre vom p.[ouvoir] c.[onstituant], Tüb. 1909, S. 351“. Stenogr. am Rand: „Das Hindernis ist .“

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Wer sagt denn, daß während des tausendjährigen Reiches immer dieselben Auserwählten, d. h. Nutznießer, oben sitzen? Vielleicht geht auch hier eine schnelle Zirkulation der Eliten vor sich, unter Beibehaltung der Epoche des tausendjährigen Reiches. Wir haben ja 1945 eine solche Ablösung erlebt und müssen uns auf weitere gefasst machen. Novalis meinte, der jüngste Tag werde kein ewiger Tag, sondern eine Epoche sein, und zwar nichts als diejenige Epoche, die man das tausendjährige Reich nennt. Offenbar hält kein Mensch und auch keine Menschengruppe tausend Jahre Prosperität aus. Das ist zuviel. Wir Deutschen haben sie keine 12 Jahre ausgehalten. Und wir waren doch besonders widerstandsfähig. Das Wirtschaftswunder wird auch keine tausend Jahre dauern. Aber die Epoche der ungeheuer gesteigerten Produktion und damit auch der ungeheuer gesteigerten Konsummöglichkeiten bleibt. Mit anderen Worten: Das tausendjährige Reich hat längst begonnen und geht unverändert, mit Zirkulation der Eliten unverändert weiter. 8. 12. 58 Die Ironie wird niemals populär werden. Jawohl, da hat Kierkegaard recht. Sie wird sogar vielmehr lebensgefährlich werden. Nicht bei den Massen, die sie niemals auch nur ahnen, wohl aber bei der führenden Schicht und ihren Kreaturen. Die Ironie hat in den Anfangsstadien eines totalitären Systems noch einen gewissen Spielraum (in Deutschland bis 1936/7); dann hörten der Spaß, der Witz und die Ironie auf und kommen sich selber dumm und albern vor. Bei Kierkegaard ist (besonders in der Schrift über Adler) noch gut zu sehen, wie gemütlich seine Existenz im Grunde geblieben ist, wie biedermeierlich seine Situation. Und der aufgeregt polemische Theodor Haecker hat erst vor Predigertum, dann vor Küstertum die Situation niemals begriffen, weder im ersten noch im zweiten Weltkrieg. „Abgrund der Verlogenheit entarteter Furchepietisten.“ Von wem ist das? Vielleicht von Joseph Goebbels? Oder von Ilja Ehrenburg? Nein, es ist von Theodor Haecker (Nachwort zum Begriff des Auserwählten 1918). Zu Hitler fällt Euch nichts mehr ein? Zu Hitler fallt Ihr mir alle ein! 28. 12. 58 Die Geschichte (Kurz- oder vielmehr Blitz-Geschichte) von den 3 Männern kann auch lauten: Drei Männer reiten in der Prärie. Der eine fragt: wieviel ist 2 × 2? Der andere antwortet 2 × 2 = 5. Daraufhin erschießt ihn der erste. Der dritte fragt: warum hast du ihn erschossen, und erhält die Antwort: er wußte zuviel.1 Drei Männer reiten in der Prärie. Der eine sagt: zu Hitler fällt mir nichts ein. Der zweite sagt: zu Hitler fällt mir allerhand ein. Daraufhin erschießt ihn der erste. Der dritte fragt: warum hast du ihn erschossen? und erhält die Antwort: Weil ihm zu Hitler etwas einfiel. „Er (C. S.) weiß zuviel“ – das haben mir Ludwig Feuchtwanger, Ernst Bloch und Paul Joachimsen (angesichts der Politischen Romantik und der Schrift über den Parlamentarismus) schon in dem Brief vom Oktober 1923 bestätigt. 30. 12. 58 Zu Weihnachten kam als Weihnachtsgruß von Otto Kirchheimer ein Stich von Baldung Grien „jument ruant étalon“; grausig als Weihnachtsgruß. Kirchheimer weiß bestimmt 1

Am Rand: „vgl. 30. 3. 56“.

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nicht, was er tut; auch nicht, was er mir damit antut. Trotzdem ist er mir lieber als Nathan der Weise und Satan der Leise. Aber: Das waren deine Glocken nie.1 31. 12. 58 Friedlich wie ich bin gesonnen, sitze ich in meinem Zimmer und schmökere nichts Böses ahnend in der Frankfurter Allgemeinen, die noch nicht von der giftigen Rachsucht der strebenden Gegenwart unterwandert zu sein schien. Plötzlich schlägt mir einer einen Gummiknüppel über den Kopf. Was ist geschehen? Unser verehrungswürdiges Staatshaupt – möge Gott es verlängern bis zum jüngsten Tage – hat am 10. Dezember eine Rede zur 10-Jahresfeier der UNO-Erklärung der Menschenrechte gehalten und sagt am Schluß, die vor Jahren aktuelle politische Freund-Feind-These sei zwar kokett aber sachlich wie seelisch dürftig und bescheiden. Wörtlich: kokett, seelisch dürftig und bescheiden. Wink mit dem Gummiknüppel. Ich weiß was es bedeutet, wenn ein 75jähriger pouvoir neutre sich so anstrengt, um einen wehrlosen 70jährigen, der friedlich und vollkommen abserviert in einer Ecke des Sauerlandes sitzt, moralisch zu diffamieren und seinen Ruf zu morden. Kokett und seelisch dürftig. Ein Seelenmord in einer Rede über Menschenrechte. Obiter dictum und obiter factum von einem Bundespräsidenten. Schöne Beschäftigung für Staatshäupter einer Demokratie. Freizeitgestaltung als Sonderproblem für die allzu reichlichen Mußestunden eines mitteilungsbedürftigen pouvoir neutre. Soll ich das Jahr 1958 mit diesem Greuel abschließen? Das sei ferne! Aber womit soll ich es denn abschließen? Mit der Feststellung, daß Gottfried Benns Rede über Else LaskerSchüler (von 1952) und Thomas Manns Erzählung Wälsungenblut (von 19[06]) nebeneinandergestellt und miteinander verglichen werden müssen? Das Problem der Jahre 1832–1933, die Verschmelzung deutschen und jüdischen Geistes? Auch das sei ferne! Absit! Aber ich hatte tatsächlich eine große Sylvester-Freude: die Lektüre der Abhandlung von Odo Marquard über die Frage: ist Kants Metaphysik Wirklichkeit oder Surrogat. Das ist wunderbar, die neue Sprache dieser jungen Deutschen; z. B. Dezisionismus ohne Dezision (S. 81 Anm.); transzendentale Dialektik als ironische Vernichtung kontrollvernünftiger Metaphysik durch ihre Parodie (S. 89 Anm.); und der Adam (Mensch) in Kleists Zerbrochenem Krug als Angeklagter und Richter zugleich (S. 106/7 Anm.); alle drei betreffen mich als den Dezisionisten, Parodisten und den Propagator des Satzes: ich vergleiche nicht die Opfer, ich vergleiche nur die Richter! Und dann das Motto zur Zwischenbemerkung (S. 52), mit dem ich dieses Jahr beschließen möchte: Die Philosophen haben die Welt zwar verschieden verändert; es kommt aber darauf an, sie zu verschonen. Ausblick auf das kommende Jahr 1959 vom Jahresende 58 (Prognosen): 1. Nachdem der nationale Bestandteil des national-liberalen Bismarck-Reiches im HitlerRegime verselbständigt und zur Explosion gebracht worden ist, wird jetzt der liberale Bestand dieses Reiches verselbständigt und ad absurdum geführt; vielleicht schon in diesem kommenden Jahre. 2. in Deutschland wird sich das Gelächter Gelimers immer unwiderstehlicher und unauslöschlicher verbreiten;

1

Am Rand: „vgl. 28. 2. 57“.

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3. der kommende Best-Seller, der den Pasternak ablöst und den nicht zu kaufen eindeutig ––––– Neo-Nazismus wäre, führt am besten den Namen Rafo Konforti; 4. In diesem Jahre werden viele Totengräber begraben werden. 5. Der Fischzug im Trüben erweist sich als ein Kinderspiel im Vergleich zu dem Fischzug in der Stunde vor dem Maelstrom, in der die Fische vor Angst gelähmt sind. Das Ultimatum Chrustschows hat eine solche Lähmung bewirkt. Die Lähmung besteht vor allem darin, Freund und Feind nicht mehr unterscheiden zu wollen. –––––– 6. Wunder über Wunder! Erst das Wunder der Rentenmark 1923; dann das Wunder der Machtergreifung 1933; dann das Wirtschaftswunder 1950. Wahrlich, wir können jetzt als Deutsche den Chor singen, den in Nestroys Posse „Judith“ die Juden im belagerten Bethulien singen: Wunder hab’n wir g’nug in unserer Geschicht’ Auf Wunder der Tapferkeit leisten wir Verzicht. 7. Auch im kommenden Jahre 1959 werde ich bleiben, was ich seit Jahren bin: Hauptangeklagter eines Prozesses, der gleichzeitig von Moskau und von Zürich aus geführt wird, und in dem Georg Lukács und Peter Schneider Arm in Arm als Ankläger auftreten. Quid sum miser tunc dicturus? Quem jutorem rogaturus? 8. Nach den (am Modell Frankreich abzulesenden) klassischen Regeln des politischen Zyklus dauern Restaurationen nach langwierigen Koalitionskriegen 15 Jahre; Modellfall: Frankreich 1815–1830. Das würde für das heutige Deutschland bedeuten: es dauert noch bis 1960 (bezw. wenn ich 1948 oder 1949 anfange, bis 1963/4). Wir haben also vorläufig noch eine Galgenfrist, werden die Henkersmahlzeit gründlich genießen und uns befleißigen, Butter an unsern (Nürnberger) Galgen zu schmieren. 9. Es werden soviele politische Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland geführt werden, daß einige gerechte Menschen meine These begreifen: von der Veränderung des Prozeßgegenstandes durch den Prozeß selbst. Einige werden auch verstehen, warum ich so oft den Satz zitiere: ich vergleiche nicht die Opfer, ich vergleiche nur die Richter. Und die seltenen Eingeweihten werden wissen, wohin die Entwicklung geht, die sich in der Tötung der Justiz durch politische Überforderung zwar nicht vollzieht, wohl aber bekundet. Aus dem homo homini homo, aus der restlosen Humanisierung des Rechts, ersteht uns ein judex homini lupus. 10. Das Gelächter Gelimers hört nicht auf. Aber es braucht uns nicht daran zu hindern, unsere Wirklichkeit zu sehen. Es kann und soll, im Gegenteil, die Kulissen und Szenarien des Betruges erschüttern. So wird es zu einer situationsgemäßen Form der Appellation. J’en appelle de ta justice à ta réalité. Schluss des Gelimerischen Gelächters.

Anhang zu Buch I–V

Buch I Vorsatz Glossarium / I. Buch –– –––––––––––––––– (My tables) 13. August 1947–31. Dezember 1947 Lesbarkeit beginnt auf Seite 10, 28. 8. 47!

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[Bl. 1/2r] Amnestie.

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Der amtliche Ausdruck war : mæ mnhsikakeîn, bei Arist[toteles], Aqh. [Athenaion politeia] 39,6. Amnestía erst später, kommt erst an zweiter Stelle vor. (Busolt-Swoboda, Griechische Staatskunde, 1926, S. 917). Oubli commandé a tous –––––– citoyens 1814, 1830 Duguit, S. 185, 214. Bei Aristoteles Aqh. p. heißt es 39,6: mhdenì pròv mhdéna mnhsikakeîn e x¬ eînai (mit Ausnahme gegen die 30 Vorhaben). RGes. x Straffreiheit 20. 12. 32, vgl. JW [Juristische Wochenschrift] Jan. 1933, Aufsatz von einem Sachbearbeiter aus dem Justizministerium, Begriff des Politischen; Auf den Staat betr. . Asyl und Verortung. 1) Verortung: Alle Wege führen nach Rom; Problem der Roma aeterna. Liaison non dissoluble (en droit, –––– sinon en fait) de l’épiscopat universel et de l’épiscopat romain: Charles Journet, L’église du verbe incarné, I. La hierarchie apostolique, Paris 1941, S. 522). Der Papst bleibt immer Bischof von Rom, auch wenn er seine Residenz an einen anderen Ort verlegt. (siège de Rome, / résidence). Péronne: Où qu’il réside, le vrai successeur de saint Pierre devra néces––––––– sairement demeurer l’évêque de Rome (Praelectiones theologicae, Paris 1856, t. IV, p. 257) (ihm schließt sich Ch. Journet an). Löslich: Jean de Saint-Thomas: il est de foi divine que la papauté et la chaire de Rome furent –––––– unies dans le passé et qu’elles le sont encore aujourd’hui, pourtant cette union est temporaire; sie ist nicht unwiderruflich; das Band ist nach Kirchenrecht reformabel, nicht nach göttlichem Recht unlösbar; die „Römische Kirche“ ist dann also eine solche nur dem Namen nach.

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Unlöslich: en droit et en fait; impossible que Rome soit jamais sans clergé ni peuple fidèle; –––––––– so Bellarmin, de rom. pont. lib. IV, cap. 4. Selbst le sol de Rome kann nicht verschwinden, Billot, de eccl. Christi, p. 596. Roma aeterna, so ausdrücklich ein Schweizer, R. M. Schultes, de ecclesia catholica, Paris 1925, S. 455. 2) Das antike Rom: a) Pompejus scheiterte daran, dass der Senator Rom nicht verlassen will. Pompejus dachte diktatorisch, wollte, wie Sulla, das Recht in einer Provinz verteidigen; die Senatoren folgen; Ed. Meyer, Principat. Diese Römer waren unfähig, sich von den Stadtstaaten zu trennen. Bei Brutus, 44, das Gleiche; die (43) fili mussten Rom verlassen und zur Armee gehen. Cicero bleibt! . Tacitus Hist I. arcanum imperii Romae alibi quam b) Sertorius: [Bl. 3r]

c) pomerium;Verortung ohne Versicherung? Veränderung der „Sicherheit“ seitdem sie eine von Menschen für Menschen gemachte Sicherheit geworden ist. d) Wallfahrtsorte. e) Problem der Transportationen. Asyl und Amnestie = Verzicht auf menschliche Gerechtigkeit; Sinn für die ganze mensch–––––––––––––––––––––––––––––––– liche Erkenntnis und Einsicht; Verzicht auf Rechthaberei; Sinn für „Dämonie“. Gerhard Ritter, Machtstaat und Utopie, 1940: die unlösbare von Gut und Böse, S. 53; 1 Erasmus: „für den Christen gibt es keinen gerechten Krieg“ (S. 52). Im rechten politischen Kampf selten klares Recht gegen klares Unrecht (S. 53), die meistens ziemlich primitiven Lehren der spätmittelalterlichen Theologen vom „gerechten Krieg“ (S. 83). Morus (der Utopia) sieht einfach nicht, dass in der geschichtlichen Wirklichkeit nur sehr selten oder nie das Recht ganz eindeutig auf einer Seite liegt (S. 86), der Krieg Ausdruck vitaler Energien (richtig, gl, aber die Lehre von Krieg ist das auch, nur raffiniert!! Umso vitaler, je gerechter!!)

These: Es gibt gerechte Kriege, aber nur im Sinne des formgerechten Krieges. Es gibt keine andern gerechten Kriege als nur formgerechte Kriege. Es gibt den justus exercitus und den justus hostis. Das Recht hängt auch hier nur an der Form. Lucan, Pharsal. X 436: Procul e [recte: a] muris acies non sparsa maniplis / Nec vaga conspicitur, sed iustos qualis in [recte: ––––––––––––––– ad] hostes / Recta fronte venit.

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Osten – Westen (Max Weber, S. 483. Tocqu.;) Michelet, la loi; die Weichsel als Grenze.

1 Dazu Anm. auf Bl. 1/2v: „die Hiketiden des Aischylos. a¢suloß und i™ketäß (darüber Hans Schäfer, Staatsform u. Politik 1932, S. 46 f. aus der Hiketie [in] die Metökie).“

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Plötzlich Angst vor diesen one-idead abolitionist [überschrieben:] prosecutionists; das sind doch wohl die schlimmsten totalitarians, ob sie nun den Alkohol oder den Krieg oder die Bordelle abschaffen wollen. 1901. Education of Henry Adams (p. 145) (1901): [„]In 1858 the whole plain of northern –––– –––––––––––– ––––––– Europe, as well as the Danube in the south, bore evident marks of being still the prehistoric highway between Asia and the Ocean. The trade-route followed the old routes of invasion, and Cologne was a resting-place between Warsaw and Flanders. Throughout northern Ger––––––––––– many, Russia was felt even more powerfully1 than France. In 1901 Russia had vanished, and –––––––––––––––––––––––––––––––––––– not even France was felt; [Bl. 4r] hardly England or America.2 Coal alone was felt – its stamp alone pervaded the Rhine –––––––––––––––– district and persisted to Picardy – and the stamp was the same as that of Birmingham and Pittsburgh. The Rhine produced the same power, and the power produced the same people, the same mind, the same impulse.[“] Für einen 63jährigen Mann, sagt er, waren dies die härtesten Monate seiner Education (1901!)[“] and Russia was the most indigestible morsel he ever met; but the sum of it, viewed from Cologne, seamed reasonable.3 From Hammerfest to Cherbourg on one shore of the Ocean, from Halifax to Norfolk on the other, one great empire was ruled by one great emperor – Coal.4 Political and human jealousies might tear it –––– apart or divide it, but the power and the empire were one. Unity had gained that ground. Beyond lay Russia, and there an older, perhaps a surer, power, resting on the eternal law of ––––––––––––––– inertia, held its own.“ Niebuhr. Rotteck schließt seine Weltgeschichte mit dem Ausblick auf Amerika. Tocqueville 1835 Donoso 1847 Bruno Bauer seit 1849 (der künftige Weltherr) Rußland, nach 1870 auch Amerika? Bruno Bauer (Deutschland und das Russentum 1854): „Wenn der Russe Deutschland als seine sichere Beute betrachtet, so kann der Deutsche ihm Gleiches mit Gleichem vergelten und Rußland das Land seiner künftigen Taten und seiner gewissen Herrschaft nennen.“ Bismarck 1869 plötzlich wieder Erstarkung Europas. Nap. III in Mexiko; Ausdruck dieser Überlegenheit Europas, der Selbstmord Europas war nicht aufzuhalten. Max Weber, Brief aus Frankfurt an Prof. Friedr. Crusius in München vom 24. Nov. 1918, Gs. Schr. (1921) S. 482/4: [„]Mit einer weltpolitischen Rolle Deutschlands ist es vorbei: die angelsächsische Weltherrschaft ist Tatsache, c’est nous qui l’avons faite; sie ist höchst un-

Am Rand doppelt angestrichen und mit zwei Ausrufezeichen versehen. Am oberen Rand: „Die neue Verortung, von unten her, von her.“ 3 Von „produced the same people“ bis hierhin am Rand mit einem Strich und Ausrufezeichen versehen. 4 Am Rand: „Kaiser-Kohle, Kaiser-Rohstoff“. 1 2

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erfreulich, aber viel Schlimmeres, die russische Knute, haben wir abgewendet. Dieser Ruhm ––– ––– bleibt uns. Amerikas Weltherrschaft war so unabwendbar wie in der Antike Roms nach dem Punischen Krieg. Hoffentlich bleibt es das und dass sie nicht mit Rußland geteilt wird. Die ist für mich Ziel unserer künftigen Weltpolitik, denn die russische Gefahr war nur für jetzt, nicht für immer beschworen. Im Augenblick ist natürlich der hysterische ekelhafte Hass der Franzosen die Hauptgefahr.[“] [Links daneben:] Genau, Programm Bruder Straubinger: Rußland der Feind und die Gefahr; mit den Angelsachsen; Frankreich vernichtet. Genau. (Auch der Führer Der Nationalismus. Der nationale Sozialismus?! Friedrich Naumann! Immer mehr übereinstimmende Besonderheiten ! Hörte von G. Nebel (Besuch am 22. 8. 47), daß E. Niekisch ein Buch Ost-West veröffentlicht hat. Jos. Nadler beginnt seine große Literaturgeschichte der deutschen Stämme mit dem von Rom und Griechenland, Klassik und Romantik. Ich- Bd. I, 2. Aufl. 1923. (Diese Doppeltheit des Daseins, des Schaffens und Empfangens, Westrom – Ostrom, ist fortan das Schicksal der europäischen Kultur geblieben.) Die Doppeltheit bei bleibender Geltung durch den Gegensatz Westrom – Ostrom. Seit 800 Elbe Abendland und Morgenland Ottonen: sie heißen Kaiser von Westrom und hatten griechische Frau zur Mutter. [am Rand:] [„]An meinen lieben Fritz: Preußen gehört auf die Seite Rußlands. Denk an deinen Papa“ (Wilhelm I.) [Bl. 66v] 13. 8. 47 Die Verse von Lenau aus den Reiseblättern (Das Blockhaus, 1833 [recte: 1839]) und Sätze im Blockhaus im . Siehe die brennenden Holzscheite. „Diese Stämme verbrennen hier am Herde, Auf ein kurzes Stündlein mich warm zu halten, Der ich bald doch werde müssen erkalten, Der ich selber zu Asche sinken werde. Gibt es vielleicht gar keine Einsamkeit? Bin ich selber nur ein verbrennend Scheit? Und wie ich mich wärme am Eichenstamme, Wärmt sich vielleicht ein unsichtbarer Gast Heimlich an meiner zehrenden Lebensflamme, Schürend und fachend meine Gedankenhast?“ Sein Schwanken zwischen Gottesglaube, Stimmungen, Verzweiflung, Nihilismus, Verlobungen und lächerlichen Abenteuern, alles so wenig, schließlich der Wahn-

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sinn; das ist nun der größte Dichter dieser Zeit vor 1848. Wie sicher ist die tapfere Annette dagegen, ebenso gefordert, ebenso lieblich und doch unendlich viel stärker; wie behält sie ihren Verstand und ihre moralische Haltung! 28. 4. 49 (Von H. Güllich zitiert) in einem Brief G. [v.] Le Fort vom 17.1. 49: Wahrheit! Wie laut erhebt sich dein gewaltiges Verstummen, Wie überschweigst du stille Unverhüllten Hauptes Die tönernen Lippen der Lügner – Wie weissagt dein wortloser Mund! [Bl. 5/6r] 25. 8. 47 G. A. Borgese – Rußland – Versuch einer Umwertung (Frkf. Hefte, August 1947). Grie–––––––––––– chen – Perser (Freiheit – Tyrannis) Aristoteles Hellenen und Barbaren, aber schon durch Alexander überholt (und nun erst die Geschichte Xerxes), das ist anscheinend die alte These mit dem Gegensatz von Westen-Osten verquickt. ( auch von Tocqueville.) Rußland immer : Peter der Große, Stalin. Poli-theismus des geistigen Rußlands.

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Ortega y Gasset, Europ. Revue, Juni 1933: Kolonialvolk Amerika, techni–––––––––––––– sche Mittel in einer hochzivilisierten Unterbarbar (das Gegenteil der Völkerwanderung); der Amerikaner ist ein Standardmensch; das ist nur ein Zeichen für seine Primitivität, die sich auf kolonialem Leben sehr schnell einstellt; Widerspruch zwischen der Vollkommenheit des Außen und der Unreife des Innern (besonders bei der amerikanischen Frau). Amerika ist noch nicht; sein Inneres ist so gut wie noch nicht vorhanden; manichäistische Spannung zwischen seinen vollkommenen technischen Mitteln und seinen primitiven Problemen. Koloniales Leben bedeutet Leben ex abundantia, und Geschichte ist bedrohtes Leben; Leben unter dem gnadenlosen Druck eines unbegrenzten Schicksals (vgl. Atlantic Charta. Not!!) Einige Aufsätze von Artur W. Just aus der Europ. Revue 1932; sehr gut; erzählte von –––––––––––– Amsterdamer planwirtschaftlichem Weltkongress; die geheimnisvolle Wirkung des SkoPlanes: der russische Vertreter Ossinski wird heimlich in die Ecke gezogen und gebeten zu sagen, wie es zu machen ist, dass das Königreich X oder die Y auch einmal einen SkoPlan haben können. Ossinski empfiehlt: erst die kommunistische Partei auf den Thron heben, dieser würden die nötigen Ratschläge aus Moskau gerne zur Verfügung gestellt. [am Rand:] Mal dir aus, was aus der Guten wird, der als nichts wird. Vielleicht daß die andere weniger als nichts! Der Mythos der Macht: Früher englische Verfassung; heute garantiert niemand mehr die englische Verfassung; nicht einmal die amerikanische von 1787!! Wohl aber die Monroe-

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doktrin; woher aber die bleibende römischer Worte und Begriffe: Caesar, Diktatur, Politik? Auf der großen Parallele. 26. 8. 47 Das Recht ist ewig; nur die Form ist ewig; Ê und Ewe, Ehe und Eigentum dasselbe: Form: absichtliches Absehen vom momentanen Interesse, Stimmung, Planung; Sprung in die Ewigkeit; Halten und Niederhalten des Interesses, der katécwn also auch hier; nur so ergibt sich die Form. Der Griff aus dem Unbegreifbaren in das Ungreifbare; das ist der juristische Begriff. Die juristische Form ist also eine Angulation, eine Verwinkelung von Ewigem und Zeitlichem, in einem zeitlichen Stoff, aus einem ewigen Moment. Sie erscheint als verortete Institution: der gehegte Thingplatz, der Richtstuhl, die Anklagebank; die Krone des Landes Ungarn, Böhmen, Kastilien und León, England; die Verortung ist die Angulation, HineinVerwinklung des Ewigen in ein Zeitliches. Das Recht hängt nur an dieser Form. (Folge: der Winkel, in dem sich x zeitlich und x irdische und überirdische Begriffe). Darum ist der Jurist theologischer Herkunft, und darum verdrängt er den Theologen, wenn dieser solcher Institutionalisierungen nicht mehr fähig ist und sich in einer potestas indirecta verkriecht. Darum hört die Rechtswissenschaft auf, wenn der Jurist zum Techniker wird; dann ist er nicht einmal mehr eines Begriffs fähig; dann wird die [Bl. 7r] Strafe zur Sicherung, Hygiene, Schädlingsbekämpfung, Wanzenvertilgung, und ihre große Form, das Strafverfahren, wird dementsprechend zu einer technischen Maßnahme von Polizisten, Medizinern, Propagandisten und Chemikern des Vernichtungskrieges. 26. 8. 47 Der Unterschied von Jurisprudenz und Rechtswissenschaft, der öfters gemacht worden ist, z. B. von Karl Renner, beruht nur darauf, daß ein positivistisch-naturwissenschaftlicher Wissenschaftsbegriff unterstellt wird. Dann wird die Rechts-Wissenschaft eine miserable technische Wissenschaft. Der Theologie wie der Rechtswissenschaft als Wissenschaften spezifischer Art ist eine innere Spannung wesentlich, durch welche der Gedankengang erst in Bewegung gerät, ähnlich wie die gegensätzlichen Ausgangs- und Endspannungen der echten Naturwissenschaften: Plus und Minus, voll und leer, Corpuskeln und Wellen usw. Diese kann in der Theologie z. B.: Unendlich – endlich sein; natura naturans – natura naturata, potestas constituens und pot. constituta (Diktatur, S. 142); Substitution und Dezision, Charisma und Amt; Pneuma und Tradition, vgl. den fabelhaften Aufsatz von Hans Barion über Rudolf Sohm, Deutsche Rechtswissenschaft, Januar 1942. Aber ist das Unendliche nicht gerade die Nicht-Form? Schlägt hier nicht das Formlose durch? Hier grenzt die Jurisprudenz an die Theologie und findet an ihr den Halt, ohne den sie versinkt. Richtig. Die Theologie hat diesen Halt nicht an einer andern Wissenschaft, sondern an der „Offenbarung“ direkt.

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Die Rechtswissenschaft setzt also eine konstituierte Theologie voraus (nicht nur eine „Reli––––––––––––––––––– gion“); sie ist Wissenschaft nach dem Bilde der theologischen Wissenschaft. Die Jurisprudenz im allgemeinen ist möglich bei Anlehnung an konstituierte Religion; Recht und Reli–––––––––––––––––– gion; Rechtswissenschaft und Theologie; Mitleid = Ichheit und das scheinbare Gegenteil. Mitleid hat man nur mit sich selbst; was ist Mitleid? Identifikation mit dem anderen; mit mir, aber noch viel mehr meines Selbst mit dem Anderen; also jedes Mitleid ist self-pity; und ich schäme mich des Vorwurfs gegen das Deutsche, dass es mit sich selbst Mitleid hat. Wenn es einem derartig schlecht geht, und Mitleid die erste humanitäre Tugend ist, dann soll der armselige Deutsche kein Mitleid mit sich selbst haben? Unverschämtes Pharisäertum dieser selbstgefälligen Molchspfiffe der Humanität; Rousseau steht am Anfang aller solcher Lügen; aber er war wenigstens noch ein armer, geplagter Teufel, ein hilfloser bohème; inzwischen aber kommen die dick und fett gefressenen Völlerischen und finden unsere Hungerleichen moralisch ekelhaft. [Bl. 8r] Da ich mich nicht in einem Ergebnis verschanze und nicht in einer Leistung vergrabe, da ich also nicht sterbe und nicht rückwärts schaue, sondern weiterdiene und deshalb auch weiterlebe, bei keinem Gedanken stehenbleibe, bei keinem Resultat verweile, sondern immer weitergehe und weitertreibe, so können mir nur Wenige folgen, die Meisten verlieren den Atem, bleiben bei irgendeinem Punkt meines Denkprozesses stehen und suchen mich dort festzulegen, d. h. sie erklären mich für tot, weil sie selber tot sind und möchten mich so fixieren und erstarren machen, wie sie es selber sind. Wer mich bei meinem Gedanken festhalten will, für den bin ich schon im Jenseits, bin gar nicht mehr am Leben, sondern entschwunden, ins Unfassbare. Daher die Wut, wenn er sieht, dass ich physisch doch noch lebe, wenn auch noch so bescheiden und verborgen in irgendeinem kümmerlichen Refugium. Sein Hass wird dadurch nur noch größer und sein Verfolgungseifer entbrennt bei dem Gedanken, dass ich nicht nur geistig, sondern auch physisch noch lebe. Diese Menschen sind Vergangenheit und daher tot; sie kennen aber nicht den Tod, den ich längst kenne, der fortwährend wiedergeboren wird aus dem Geist und dem Gedanken, dass Leben als das große Fest der , in deren fortwährender Verwandlung der physische Tod nur ein Moment unter vielen ist. Ich bin schon oft gestorben und lebe immer noch. Über das, was an dem physischen Tod zu fürchten ist und was an ihm nicht zu fürchten ist, darüber habe ich große Erfahrungen. Ich habe es erprobt und fürchte den physischen Tod weniger als schmutzige Gemeinheit jener Lemuren, die mich auf ihre herunterziehen wollten, die armen dicken Raupen, die einen dahinfliegenden Schmetterling mit ihrem Schleim verkleben möchten. (Form = Abstand; = Perspektive; gerade das soll früh entfallen!) 26. 8. [47] abends Immer wieder „ein Raub des mächtigen Augenblicks“, der mich nach oben und unten reißt; den Ausdruck „Raub des mächtigen Augenblicks“ gebrauchte der Erzieher Friedrich Wilhelms IV. vor seinem Zögling. Wir sind es aber alle; vor allem auch Annette war es. Ich war ––––––– von ihren Briefen aufs Tiefste gefasst; wie nett spricht sie, in der Sprache, in der Umgebung,

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ein Mädchen, eine licht-kluge, Jungfrau, wie man sie sich schöner nicht denken kann. Dann verliebt sie sich zweimal, in Heinrich Straube und dann in Levin Schücking. Jedesmal in einen bürgerlichen Literaten, der ihr Herz wahrscheinlich nur durch das literarische Verständnis gewonnen hat, das sie bei ihrem Standes- , Klassen- und Kastenunterschied nicht findet. Diese Verliebtheiten waren heftig, sie gingen aber nicht an den Kern ihres Wesens. Sie blieb Jungfrau, amazonenhaft, das kluge, auch hausbacken kluge, in nichts dekadente Mädchen, das „Mütterchen“ von Levin Schücking in einer sich auflösenden Zeit , unzerstörbar bis ins Herz hinein. Dabei war sie folgsam wie jede brave Frau, der Zeit gehorsam. Fügte sich in Strömungen, machte den Betrieb ihrer Zeit brav mit, manchmal in schillerscher Verse , in der dieses und dieses aufgelösten Lenau. Die Zweifel des geistlichen Jahres sind die Rückschläge auf sich selbst, nach den törichten Verliebtheiten in Literaten; die unvollkommene Nonne, die treulose Druidin, die Selbstvorwürfe werden so furchtbar, weil sie einen großen Maßstab hat, in sich selbst; in einer Zeit des Beginns l’art pour l’art macht sie zwar den Literaturbetrieb mit, aber nicht mehr, wie sich das für ein gut erzogenes braves, folgsames Mädchen gehört; im tiefsten kennt sie den Nihilismus dieser Zeit und ist von ihm zerschmettert. Das ist der Sinn des geistlichen Jahres. Widerwille vor dem [Bl. 9r] Schulmeister Jul. Schering; darum ist das Grösste des jungen Mädchens; die erste Hälfte der Gedichte des geistlichen Jahres, die Karwochen-Gedichte, der 2. Teil des geistlichen Jahres klagt schon bewußt, ist schon ein händeringender Schrei um das Verlorengehende; während der erste Teil eine Klage ist; sie hat die Jungfrau Maria nicht sehen können, diese war ihr zu „hell“; sie dachte nur mit Entsetzen an deren Reinheit; o du arme Annette. 27. 8. 47 Die Verliebtheiten waren literarisch mutierte Verliebtheiten. Sie war keine Heilige, aber ihre Traurigkeit war das Wissen, dass sie keine Heilige war. Die tristesse de ne pas être des saintes. Diese Traurigkeit ist der Heiligkeit näher als jeder andere menschliche Zustand, auch des . Wer das nicht weiß, muss schulmeistern, gleichgültig, ob er dem geistlichen Jahr eine gute Zensur erteilte wie Kreiten oder eine schlechte, wie Julius Schering. Eine Heilige mit Lorbeerkranz betrieb die damalige Poesie, Verlegergetue und Pseudoruhm. Der Erfolgreichste, Berühmteste damals war Lenau. Ja, Perlen fischt er und Juwele die kosten nichts als seine Seele. Die echten Perlen sind Tränen der Reue (Geistl. Jahr, 4. Sonntag nach Pfingsten, S. 121). Ihr Kern sind die Gedichte des geistlichen Jahres. Was ist denn diese törichte Geschichtsschreibung mit ihrem ewigen hätte und wäre? Wäre dies und das nicht so gekommen, so wäre das Ganz anders gekommen. Grauenhafter

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Wahnsinn dieser irrealistischen Phantasien. Dieses Hätte und Wäre ist ein Symptom dafür, daß diese Geschichtsschreiber nur ein Auspuff verhinderten oder gehemmten oder gescheiterten Aktivismus [sind]; auf dem Papier rasender Prometheus; das schlimmste Beispiel ist Mommsen, Schilderung von Julius Caesar; hier hat , nicht Caesar, aber ein Exempel auf Vers sichert alle sein Wunschträume, Symbol von Nerv und Geist, mens sana in corpore sano . Das andere ist die Kontemplative; die des christlichen Epimetheus; der nicht das Gedachte noch einmal denken will. Man kann nicht zweimal durch den Fluß gehen, man kann nicht zweimal dasselbe denken; das zweite Mal ist es richtiger oder falscher. Wer das nicht weiß, kann jedenfalls nicht denken; vor allem auch nicht nachdenken; also anders denken; aber dann ist es nicht mehr echt. Dieser schauerliche Echtheits-Wahn der Historiker, der Kunsthistoriker, der Rechtshistoriker; an deren Sterilität alles aufs elendste verkümmert; alles noch einmal denken, wie alles war, wie es kam, daß es kam; alles noch einmal und diesmal richtiger; das ist nicht nur lächerliche, sondern auch unverschämte , ein Bild des Mittelalters echt zu finden auf Grund extremistisch-kunsthistorischer Kategorien ; welche innerlich gefälschte Echtheit. Echtheit und Reinheit dieser Zeloten. Was bedeutet dieser ganze Arbeiter-Mythos? Die Technisierung der Soldaten; die der Saint-Simon, Comte, Spencerschen Antithese, Gegensatzes von Militär und Industrie. Die demokratisierte Industrie? Der aktivierte Promethide. Die Braut verdient sich mehr mit einem Kuss um Gott als alle Mischlinge mit Arbeit bis zum Tode. Aber nach Ernst Jüngers Arbeiterbuch ist ein Kuss ebenfalls „Arbeit“!!! [rechts:] Die ganze Mythologie des Arbeiters kommt daher, schließt also dieser Promethiden-Lärm um ein Nichts im Kern, daß alles werden soll und morgen meine Gräber , wenn wir die Welt erschaffen. Jawohl, Herr Professor, das machen wir. Dann der größte Gustav Klemm: Hier wird es schon deutlicher: entweder der Schutz an –––––– aktiven und passive Rassen, , alles Weitere ergibt sich von selbst, wenn die Rahmen der überlieferten christlichen Kirchen entfallen und die Hemmungen aufhören, die man immer noch empfindet. [Bl. 79v] Amnestie. Clause ordinaire des traités de paix Fauchille § 1700. Art. A.[mnestie] Verdross. Strupp, W[örterbuch des Völkerrechts] I, S. 38, oubli général. [W. E.] Hall, [International Law, 8. Aufl. hrsg. von Pearce Higgins, Oxford 1924], S. 677 (oblivion) Grotius III 10, § 3–4 Gudelin: in amnestia consistit substantia pacis et absque illa nequit esse pax. Rogge, [Nationale Friedenspolitik, 1934], p. 55.

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Charte Constitutionnelle, 4. 6. 1814, art. 11[:] toutes recherches d[es] opinions et votes émis jusqu’à la restauration, sont interdites. Le même oubli est commandé aux tribunaux et aux citoyens.

Asyl: [Ferdinand von] Martitz, [Internationale Rechtshilfe in Strafsachen] II [Leipzig 1897]. Art. 120 der Jacobin. Verf. 1793: Die französ. Republik gibt allen Fremden, die der Freiheit wegen aus ihrem Vaterland vertrieben sind, ein Asyl und verweigert es den Tyrannen. vgl. JW [Juristische Wochenschrift], 1933, S. 1639 über politische Verbrechen. Exchange forgiveness with me, noble Hamlet, sagt der sterbende Laertes , V/2. Amnestie Jeder Friedensvertrag enthält eine Amnestie; nach dem Friedensvertrag dürfen KriegsVerbrechen nicht mehr bestraft werden, so ausdrücklich Lauterpacht, Intern. Law, 6. Aufl. (1940) p. 476. All amnesty is implied in every peace treaty, Versailles.

Buch II [U 1, Titelschild]

Itinerarium acroamaticum viarum infernalium / Lucidarium in arte / (recte vivendi) Leviathanis / evitandi. / Das Kataklism was mich / betrifft. / Variationen für ein noch nicht [Vorsatz] Glossarium –––––––––– De nobis ipsis silemus II. Buch 1. 1.1948–31. 5. 1949 Krimi 18. 8. 48 (Hitler) ho[mo] ho[mini] h[omo] 15. 5. 48 Schoeps an Rumpf 20. 4. 48, 23. 5. 48

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Ernst Jünger S. 62, Mai 1948, S. 50, 27. 1. 49 ––––––––– Justizförmigkeit 1. 5. 48 (S. 55), Note Aug. 45 (6. 10. an George Schwab), 6. 8. 49 –––––––– (S. 26) Hitler 1. 5. 48 Hobbes 10. 2. 48 , 20. 2. 48 ( Baco); 9. 3. 48 (); 19. 6. 48; 27. 7. 48 (); 23. 5. 49 (Jesus the Christ) Hitler 16. 2. 48; 15. 5. 48 ( Unreine), 10. 6. 48; 26. 7. 48 Gregor d. Gr. 27. 4. 48, 23. 5. 48; 26. 5. 48; 13. 6. 48 Disraeli 1. 5. 48 Jesus is the Christ v. Hobbes 23. 5. 49 Note 1. 5. 48, 6. 8. 48

Buch III [U 1, Titelschild]

Die lieben Deutschen kenn ich schon. Memorial (weg: nur für sich, zur Bewahrung etwas gehört, aufgespart) Material zur Daseins-Lichtung 1 undurchsichtig, undurchdringlich. Don Capisco oder die Heiterkeit eines allwissenden Greises. [Vorsatz] Carl Schmitt, exul in patria Glossarium III. Buch 16. 6. 49 bis 5. 8. 51 Plettenberg Arcana so wo 2 auf der Straße liegen.

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Ursprünglich: „Materialien zur Lichtung eines (juristischen) Daseins.“ vgl. Eintrag vom 19. 7. 49. Durchgestrichen: „die“.

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Kaspar Hauser p. 83 [10. 11. 50] (fabelhaft Forsthoff Ebrach 22. 9. 57: Schillers Demetrius ein Kaspar Hauser) Ernst Jünger 52 (Heliopolis) [10. 1. 50], 3. 2. 50 p. 57, 5. 2. 50 Hitler S. 23 [23. 8. 49] Katécwn 26. 9. 49 [loses Bl. o. Pag., zwischen Bl. 9 und 10] Nacht auf den 17. 10. 31: O meine arme Seele. Sie ist allen Dingen ausgesetzt, hilflos wie eine Landstraße über die wir fleißigen Arbeiter gehen, bei diebischen Zigeunern und stehen; bei den schönen Prozessionswallfahrten, und dann wieder gern und . Ich sehe sofort die äußerste in der , letztes sind, das nicht Symbolismus, sondern endes; guter Verstand. Sag, daß dieser Wunsch, dieser Geist eines Menschen, der bereits ein Mord ist. Dieser andere Geistesselbstmord (ein Trinker trinkt aus Wut Schnaps in sich hinein) (wie eine Frau ganz zu . Das ist nicht Symbolismus, sondern . Sexuelle Erregung und ; überhaupt nicht sexuell, Phantasie; kann im Wert, sondern die schmutzige Gärung eines selbstmörderischen Onanismus, die neue Nahrung für seine . Immer ist die hors-la-loi-Erklärung der ; sie gelingt oder sie bedeutungslos, so ist ein neues Regime ohne oder ein altes aufgegeben. (Nap. 12. Juni 99) . Eine kranke Ranke im Baume Hegels. [loses Bl., o. Pag., zwischen Bl. 74 und 75, Vorderseite] Die wahre Rolle H.[itlers] 15. 5., 17. 5., 26. 5. 48 (Rhodes, 1913), 2. 6., 1. 6. 48; 30. 5.; 23. 6. 48 Shotwell 31. 8. 47, 1. 9. 47, 4. 9. 47 Nebel 21. 6. 48 K. Weiss: Schwindel ––––––––– Macht 27. 4. 48, 23. 5. 48, 3. 6. 48, 6. 6. 48, 25. 4. 49 Th. Haecker 7. 5. 48, 16. 6. 48, 2. 7. 48 Accidens 13. 2. 48 Hegel 11. 11. 48 Hobbes 10. 4. 48, 19. 6. 48; 11. 11. 48 Huber 18. 6. 48 E. Jünger 18. 4. 48 (Tagebuch), 30. 4. 48, 30. 5. 48 Däubler 11. 6. 48, 20. 8. 48

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Kelsen 11. 6. 48 Nette 16. 6. [48] Toynbee 15. 6. 48, 11. 4. 48, 13. 4. 48, 29. 4. 49 Hegel 14. 12. 48, 22. 2. 49, 27. 2. 49, 26. 4. 49 Hitler 16. 2. 48, 15. 5. 48 ( Unreine) Katécwn 16. 6. 48 Don Capisco 3. 5. 48, 29. 6. 48, 22. 7. 48 Vitoria (gerechter Krieg) 29. 6. 48, 3. 8. 48, 28. 9. 48 Legalität = Legitimität S. 5 (13. 8. 47), 24. 11. 47, 4. 4. 48, 30. 7. 48 Macht: gut – böse 27. 4. 48, 23. 5. 48; vgl. Macht 24. 6. 48; 5. 8. 48, 3. 10. 48 an Grewe 3. 4. 48, 16. 10. 48 Sohm 29. 8. 48, 20. 4. 48 ([Brief an] Rumpf), 21. 4. 48, 23. 5. 48 Cecil Rhodes 26. 5. 48, 29. 4. 49 Gerechter Krieg 28. 9. 48 J! Feind 2. 7. 48, 30. 8. 47, 31. 8. 47, 3. 11. 47, 7. 9. 47, 21. 9. 47 (Wyndham Lewis), 31. 10. 47, –––––––– 1. 6. 48, 4. 4. 48, 16. 10. 48, 3. 8. 48, 9. 8. 48 , 11. 8. 48, 12. 8. 48, 23. 9. 48 Notizen zum Begriff des Politischen 27. 7. 48, 3. 8. 48 (Feind = ), 9. 8. 48, 27. 10. 48, 25. 12. 48, 23. 2. 49 occupatio (Hall) 8. 5. 48, 31. 5. 48 social sorcery S. 55 [vielmehr 12. 6. 50] Sallust S. 55/56 [1. 5. 48?] Homo homini homo 15. 1. 48, 17. 8. 48, 18. 8. 48, 30. 9. 48, 22. 2. 49, 1. 10. 49, 15. 5. 48, 28. 9. 48 Verortung – : 21. 4. 48 Judentum 23. 5. 48 (S. 65), 24. 5. (S. 66), 20. 8. 48 [loses Bl., o. Pag., zwischen Bl. 74 und 75, Rückseite] [links:] Heidegger 24. 4. 49, 26. 4. 49 Hitlers 4. 7. 48 Notopfer 2. 12. 48 [rechts Briefregister:] An Arnold Gehlen 8. 4. 48 Ipsen 22. 4. 48, 8. 5. 48 Justus Koch Ernst Jünger 11. 4. 48; 13. 4.; 17. 4.; 11. 6. 48; 20. 8. H. Rumpf 20. 4. 48, Antwort: 23. 5. 48 W. Grewe 3. 4. 48, 16. 10. 48 P. Jordan 21. 4. 48 G. Günther 3. 9. 47; 28. 6. 48; Winckelmann 10. 6. 48; Hans Beyer 15. 6. 48 H. Nette 16. 6. 48 G. Krauss 30. 6. 48;

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Golombek 1. 7. 48 G. Heß 24. 5. 48 [Bl. 95v] G. Benn 14. 7. 51, 20. 7. 51 Amnestie 14. 7. 49 Nürnberg 17. 7. [49] Tu quoque 7. 7. 49, 14. 8. 49 Kriminalisierungen 22. 8. 49; 23. 8. 49; 29. 12. 49 Goethe 28. 6. 49, 17. 7. 49 Hobbes 12. 11. 47, 15. 11. 47, 1. 10. 49 Angriffskrieg 3. 7. 49, 8. 10. 47 (), 6. 2. 50 () Feind 31. 10. 47, 21. 9. 47, 21. 9. 49, 23. 9. 49 ––––––– Kriminalisierung 5. 12. 47, 1. 9. 47 (Shotwell), 23. 9. 49, 29. 5. 50, 13. 9. 52 Gerechter Krieg 8. 10. 47 Bürgerkrieg 11. 10. 47 () Goethe 17. 7. 49 Scaeva 12. 10. 47, 22. 8. 49, 30. 12. 49 Gott ist tot in Phars[alia] (causa victrix) IX.579 Katécwn 25. 9. 49 Homohoho: Ho triple sec 15. 1. 48; 15. 5. 48; 17. u. 18. 8. 48; 28. 9. 48; 30. 9. 48; 30. 9. 48 (Mommsen, Cäsar), 22. 2. 49, 1. 10. 49 Kaegi, W. 18. 11. 47 Machiavelli () 24. 11. 47 Macht 24. 11. 47 Naturrecht 12. 4. 50 Reim 1. 11. 49 Raum 1. 9. 50; 6. 7. 51; 20. 7. 51 Deutsche Sprache 25. 6. 49, 16. 6. 49, 24. 9. 49 Maritim – Industriell 26. 1. 50 (S. 55) Schiller 19. 7., 23. 7. 51 Prognosen 28. 11. 47 Ghetto 6. 8. 49 Ernst Jünger 16. 9. 49, 17. 1. 50, 5. 2. 50 () Land & Meer 29.[recte 26.] 1. 50 Schiller 19. 7. 50[recte: 51], 20. 7. Utopie 10. 3. 48, 22. 6. 51

Buch IV [Vorsatz] Selbstdefinitionen (Wer bist du?) 15. 10. 51 (S. 21), 20. 1. 52 (S. 32), S. 36, 27. 7. 52 (L. Bloy), 13. 9. 52 (S. 59); 17. 1. 52, 5. 11. 52; 23. 11. 52, 11. 12. 52; 12. 12. 52, 10. 1. 53; 16. 6. 53, 1. 11. 54; 14. 11. 54; 4. 12. 54, 12. 1. 55; 4. 5. 55 (S. 109), 26. 12. 55, 6. 10. 57 (S. 116) Fortschritt 9. 7. 54, 8. 7. 55 Spaemann 12. 3. 54 25. 12. 55: unkanalisierbarer Mosellaner () Bußprediger 5. 10. 49, 10. 11. 55 Nahme Kriminalisierungen S. 59 (23. 9. 49), 24. 7. 52 (S. 55) Léon Bloy; 13./14. 9. 52 S. 80 (Bacon; Platon) 5. 8. 53 (81), 6. 8. 53 (S. 80/81) Fortschritt über Fortschritt 14. 9. 52; 14. 2. 55; 8. 7. 55 Situations-Ethik S. 44, 25. 4. 52 (der heilige Vater), S. 54 [= Zeitungsausschnitt S. 274], 74 [= Zeitungsausschnitt S. 293] Potestas indirecta 21. 9. 55, 25. 4. 52, 12. 7. 56 Ho[mo] ho[mini] ho[mo] 18. 9. 53; 21. 10. 53; 6. 7. 55; 6. 10. 57 Bonald 12. 3. 54 Keynes (Parallele f. Ausnahme-Situation) 1. 12.[recte: 2.] 53 Interim vgl. auch 4. 5. 55 (S. 109) Jürgen Habermas 8. 8. 53; 30. 10. 53; 25. 8. 56 Klug & Kleine 24. 5. 52; 18. 6. 52 [Titelbl. r] Glossarium –– ––––––––

IV. Buch inuar uigandun 20. 8. 51– 6. 10. 55 Illustration zum Gelächter Gelimers, 24. 3. 55 (S. 104) [Titelbl. v] Selbstdefinitionen: S. 21 [15. 10. 51]

Buch V [U 1, Titelschild]

[Handschr. Duschka:] Duschka Schmitt / geb. Todorović [Handschr. C. S.:] 14. 10. 55–31. 12. 58 Gelimer Bd. V. [Vorsatz, links] S. 116 Wer (wo, was) bist du? 24. 11. 55, 26. 12. 55, 18. 2. 56, 6. 10. 57, 30. 12. 58 (Hauptangeklagter) Christentum (6. 11. 55), 10. 11., 21. 22. potestas indirecta 1. 2. 56, 2. 4. 56 links Hitler S. 21 [24. 11. 54], S. 66 (10. 7. 56), S. 126 [16. 8. 58] Moderne Kriminalisierung 38 [31. 1. 56] Elite 30. 3. 56 (Volk)

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Spiel 4. 12. 55 Wein 17. 11. 55, 30. 3. 56 Macht 25. 8. 56 Kurzvorlesungen: 30. 3. 56 (Begriff des Volkes) 1. 4. 56 (Es ist ein höheres Gesetz ) 2. 4. 56 (Sozialismus, Erbrecht) 12. 4. 56 (Askese) 18. 5. 56 (Entwicklung der Demokratie) Habermas (Fortsetzung mit anderen Mitteln) 25. 8. 56; 8. 8. 53 Fortschritt 18. 11. 56 Homo homini homo Juni 1957, S. 106, 21. 8. 57 Justizförmig April 1957 (S. 96), 6. 10. 57 [Vorsatz, rechts] Glossarium –––––––––– V. Buch ––––––– 14. 10. 1955–31. 12. 1958

–––––––––––––––––––– Ich daure wachsam und ich bin Gefäß / Für jede Stille und für jeden Sturm. Das Gelächter Gelimers

–––––––––––––––––––– Durando saecula vincit ([Vergil,] Georg[ica] II 295) Adam, wo bist Du? Europa-Kurve mit Hieroglyphe der westlichen Welt 11. 7. 56 (S. 67) [Bl. 1r, über dem Textbeginn] Band V. Oktober 1955 Begonnen: 14. Oktober 1955, / 67 Jahre, 3 Monate und 3 Tage alt. Quousque tandem?!

Kommentar

28. 8. 47 Edle Einfalt – wirkmächtige Definition der klassischen Kunst durch J. J. Winckelmann trahison des clercs – Julien Benda, La trahison des clercs, Paris 1927; dt.: Der Verrat der Intellektuellen, München 1978. König Peter – Vermutlich meint Schmitt Peter II. Karad-ord-ević (1923–1970), ab 1934 König von Jugoslawien, wurde im November 1945 von den Kommunisten zum Thronverzicht gezwungen. Gott verwandelt die Lüge – Anspielung auf Röm 1,22 ff. Enrico Corradini – Ital. nationalistischer Publizist (1865–1931), 1928 Minister. Sallust contra pecuniam – In seinem „Bellum Iugurthinum“ schildert Sallust, wie der König Iugurtha die römische Nobilität mit Geld bestechen konnte. bellum externum … – Quattuor principes ferro interempti: trina bella civilia, plura externa ac plerumque permixta. „Vier Kaiser wurden durch das Schwert getötet. Es gab drei Bürgerkriege, mehr äußere und am meisten gemischte.“ Tacitus, Historiae I, 2. Tacitus spricht hier von dem blutigen, für Rom verheerenden sog. Vierkaiserjahr 69 n. Chr. Otto Brunner – Otto Brunner, Land und Herrschaft, 1973. Das erste Zitat (Zeile 5–7) findet sich auf S. 145, das zweite Zitat („daß das Souveränitätsproblem …“) dort S. 144, FN 1 und das dritte Zitat („Solange …“) steht ebenfalls auf S. 144, es fehlt hier jedoch das in Schmitts Zitation befindliche zweite Wort „aber“. Ganahl – Karl-Hans Ganahl (1905–1942), österr. Rechtshistoriker. Willy Haas – Willy Haas, Eine neue politische Lehre. In: Die literarische Welt (Berlin) 8, Nr. 12 vom 20. 5. 1932, S. 1 f. Habil.-Schrift des SS-Mannes Lemmel – Herbert Lemmel, Die Volksgemeinschaft, ihre Erfassung im werdenden Recht, Stuttgart/Berlin 1941. Berlin, Rechts- u. staatswiss. Habil.Schr. v. 14. Juli 1939. Eingereicht u. d. T.: Die Erfassung der Gemeinschaft im lebensgesetzlichen Recht. Reinhard Höhn war Erst-, Carl Schmitt Zweitgutachter. Vgl. Carl Schmitt, Gutachten zur Habilitationsschrift von Dr. jur. Herbert Lemmel, RW 265 Nr. 19074; Christian Tilitzki, Carl Schmitt – Staatsrechtler in Berlin. Einblicke in seinen Wirkungskreis anhand der Fakultätsakten 1934–1944. In: Etappe 7, 1991, S. 62–117, bes. S. 65 f. u. S. 72–74. In seiner Habilitationsschrift hatte Lemmel Schmittsche Begriffe wegen ihrer Beziehungslosigkeit zur „Rasse“ und zum „Blutsgefüge des Volkes“ kritisiert. Der SS-Führer Lemmel (1911–1990) war nach russischer Gefangenschaft ab 1950 Handelsrichter in Frankfurt/M. und später Kaufmann und Fabrikant in Bad Homburg. Im Nachlass Schmitt liegen 7 Briefe und 2 Postkarten von Lemmel aus der Zeit von 1948 bis 1978 (RW 0265 Nr. 8724–8732), mit denen er sich vergeblich um eine nähere Beziehung zu Schmitt bemühte. 28. 8. 47 wie Ortega mir sagte – Mit dem spanischen Philosophen José Ortega y Gasset (1885–1955) sprach Schmitt am 20. 5. 1944 in Lissabon; vgl. Christian Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkriegs. In: Schmittiana VI, 1998, S. 249.

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Tacitus – Zitate aus: Tacitus, Historiae, I,1: magna [illa] ingenia cessere, „Jene großen Geister sind verschwunden“; I,2: opus adgredior optimum casibus, atrox proeliis, discors seditionibus, ipsa etiam pace saevum, „Ich nähere mich einer Arbeit reich an Wechselfällen, grausamen Kämpfen, Streit und Zwietracht, schrecklich selbst im Frieden.“

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29. 8. 47 nefasque mixtum – Conquerar, an moneam mixtum fas omne nefasque? „Ob ich beklage, ob ich warne, dass Gut und Böse ganz vermischt sind?“ Ovid, Ars amandi, Lib. Prim. 739– 740i. Barion-Aufsatz – Hans Barion, Der Rechtsbegriff Rudolph Sohms. Zur 100. Wiederkehr von Sohms Geburtstag. In: Deutsche Rechtswissenschaft 7, 1942, S. 47–51; wiederabgedruckt in: H. Barion, Kirche und Kirchenrecht. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Werner Böckenförde, Paderborn 1984, S. 115–119. plenitudo potestatis … – „Unmittelbare absolute Gewalt über Alle und Einzelne“, so die Formulierung für den Machtanspruch des Papstes seit dem hohen Mittelalter; vgl. Diktatur, S. 42 f. a Deo excitatus – Für die prot. Geschichtsschreibung begann Luther seine Reformation „a Deo excitatus“, von Gott gerufen. 31. 8. 47 Berliner Vortrag – James T. Shotwell (1864–1965), amerik. Historiker und Politiker, Promotor des Kellogpaktes. Es handelt sich um den Vortrag „Stehen wir an einem Wendepunkt der Weltgeschichte?“, den Shotwell im Rahmen des neu eingerichteten Carnegie-Lehrstuhls am 1. 3. 1927 an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin hielt, und in dem er den Verzicht auf Krieg forderte. Veröffentlicht in: Henri Lichtenberger/James Shotwell/Max Scheler, Ausgleich als Schicksal und Aufgabe, Berlin 1929, S. 15–28. Jäckh – Ernst Jaeckh (1875–1959), Publizist und Gründer sowie Dozent an der Dt. Hochschule für Politik, 1933 Emigration.

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2. 9. 47 M. J. Bonn – Moritz Julius Bonn (1873–1965), Staats- und Wirtschaftswissenschaftler, hatte 1919 als Direktor der Münchener Handelshochschule Carl Schmitt dort eine Dozentur verschafft und ihn 1928 an die Handelshochschule Berlin geholt. In seinen Memoiren äußert er sich sehr negativ über Schmitt; vgl. M. J. Bonn, So macht man Geschichte. Bilanz eines Lebens, München 1953, S. 330–332 (mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 25938). Spiritus malignus, magnus deceptor – „Der böse Geist, der große Betrüger“. In der cartesischen Philosophie ist das Erkenntnisvermögen gefährdet, wenn wir im Falschen das Wahre vermuten. Castor-Pollux-Angebot – Bezieht sich auf das Gedicht „An Levin Schücking“ von Annette von Droste-Hülshoff, letzte Strophe: Pollux und Castor, – wechselnd Glühn und Bleichen, Des Einen Licht geraubt dem Andern nur, Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. – So reiche mir die Hand, mein Dioskur! Und mag erneuern sich die holde Mythe, Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.

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Tout ce qui arrive est adorable – „Alles, was geschieht, ist anbetungswürdig.“ Von Léon Bloy verschiedentlich gesagt, z. B. in Briefen an Julien Leclercq vom 31. 7. 1894 sowie an Heinrich de Groux vom 8. 6. 1895 (veröffentlicht in: L. Bloy, Le mendiant ingrat). Den Satz, der sein von Konrad Weiß geprägtes Geschichtsbild bestätigte, zitierte Schmitt auch gern, um seine Aversion gegen irreale Konditionalsätze auszudrücken. 3. 9. 47 Gerhard Günther – (1889–1976), konservativer Publizist, Bruder von Albrecht Erich Günther. Dreimal hat mich der Leviathan wieder ausgespien – Nämlich 1936 (überstandener Angriff der SS), 1946 (Entlassung aus dem US-Camp Berlin-Lichterfelde), 1947 (Entlassung aus der Nürnberger Zeugenhaft). Quiesco, exsul in patria mea … – „Ich bin still, Verbannter im eigenen Vaterland.“ Die Formel „ex[s]ul in patria mea“ erscheint in diesen Jahren häufig, vgl. unter dem 4. 6. 1948, 16. 9. 1949, 25. 11. 1949; BW Forsthoff, S. 52; BW Mohler, S. 67; FoP, S. 590. Wie wichtig sie für Schmitts Selbstverständnis war, erhellt daraus, dass er Buch III des Glossariums damit überschrieb (s. Anhang). Bernanos – Georges Bernanos (1888–1948), frz. kath. Schriftsteller, als Botschafter Frankreichs in Rom im Gespräch, wurde es dann aber nicht; zur Rede vgl. Eintrag vom 13. 3.1949. 4. 9. 47 Castruccio Castracani – (1281–1328), ital. Söldnerführer. Machiavelli schreibt von ihm: „Als er durch eine Gasse ging und einen jungen Mann erblickte, der aus dem Haus eines Freudenmädchens kam und dieser stark errötete, als er sich von ihm ertappt sah, sagte Castruccio: ,Nicht wenn du heraustrittst, schäme dich, sondern wenn du hineingehst‘“. Niccolò Machiavelli, Das Leben des Castruccio Castracani von Lucca. Dt.-ital. Ausgabe, Köln/Wien 1969, S. 81. „Lasset uns den Menschen machen“ – Gen 1,26.

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5. 9. 47 „leise schleichend“ – Aus dem Geistlichen Jahr der Annette von Droste Hülshoff. Im Gedicht „Am zehnten Sonntag nach Pfingsten“ heißt es:

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Und eine Feder laß mich nur Betrachten mit geheimem Beben, Bedenkend, daß der schwarzen Spur Folgt leise schleichend Tod und Leben. 7. 9. 47 Pinder – Wilhelm Pinder (1878–1947), Kunsthistoriker, 1935–1945 Prof an der FriedrichWilhelms-Universität Berlin. Fumet – Im Rahmen der zwanzigbändigen Gesamtausgabe von L. Bloy war Stanislas Fumet der Herausgeber von: Léon Bloy, Le mendiant ingrat, Paris 1948. Mit „ebenso die neue Ausgabe 1928“ ist offenbar diese gemeint. Claudel – Paul Claudel, Introduction au „Livre de Ruth“. Texte intégral de l’ouvrage de l’Abbé de Moidrey, Paris 1938, S. 109 f.

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Cor Jesu, saturatum opprobriis – „Herz Jesu, mit Schmach gesättigt“, aus der Herz-JesuLitanei der kath. Kirche. 9. 9. 47 Hauriou – Maurice Hauriou (1856–1929), frz. Jurist. schon bei Bodin – Jean Bodin, Les six livres de la république. Rev. corrigée & augm. de nouveau, Paris 1580 (RW 265 Nr. 22687).

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10. 9. 47 Bellarmin – Roberto Bellarmino (1542–1621) Jesuit, Kontroverstheologe, bedeutender Kardinal, begründete die Lehre von der Potestas indirecta der Kirche. Seine „Autobiografia“ von 1613 erschien erst 1751 in Ferrara. relatiuncula, scriptiuncula, breviculum, notila – Abwertende Bezeichnungen für „Werk“. 13. 9. 47 aquae [recte: aqua] et igni interdictus – „Jemand, dem Wasser und Feuer, [d. h. die Gastfreundschaft] versagt ist.“ Ächtungsformel der Römer. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Schmitt bei Dr. Schranz in Siedlinghausen 1947 nicht willkommen war. Möglicherweise gab es ein reserviertes Verhalten anderer Gäste. 18. 9. 47 Besuch von Paul Adams – P. Adams (1894–1961), Redakteur der Kulturbeilage der Zentrumszeitschrift Germania, seit 1934 beim Rundfunk in München, gehörte zum Siedlinghauser Kreis. Schmitt sah ihn als einen seiner engsten Freunde an; vgl. S. 125. Knappe – Karl Knappe (1884–1978), Bildhauer und Glasmaler in München, mit Konrad Weiß befreundet. Rikus – Josef Rikus (1923–1989), Bildhauer, der im Januar 1946 zu dem Bildhauer Eugen Senge-Platten (1890–1972) in Siedlinghausen gezogen war; ab 1947 setzte er seine Ausbildung bei Karl Knappe fort. Möllenbrock – Klemens Möllenbrock, Die religiöse Lyrik der Droste und die Theologie der Zeit. Versuch einer theologischen Gesamtinterpretation und theologiegeschichtlichen Einordnung des „Geistlichen Jahres“, Berlin 1935 (Diss. phil. Münster 1934). Westemeyer – Dietmar Westemeyer, Donoso Cortés. Staatsmann und Theologe. Eine Untersuchung seines Einsatzes der Theologie in die Politik, Münster 1940 (1957 Übersetzung ins Spanische). Joseph Westemeyer (1908–1997) nahm mit seinem Eintritt in den Franziskanerorden den Ordensnamen Dietmar an. Bei dem Titel handelt es sich um die Buchhandelsausgabe seiner Münsteraner kath.-theol. Dissertation von 1940. Veit – Otto Veit, Die Flucht vor der Freiheit. Versuch zur geschichtsphilosophischen Erhellung der Kulturkrise, Frankfurt a. M. 1947. Erinnerungen an Walther Rathenau – Über Schmitts Verhältnis zu Rathenau vgl. seine Darstellung in den „Schattenrissen“, auch in: Tb 1912–15, S. 333–335 und Tb 1921–24, S. 103–107, 116–119. Goethe, Wir leben … – Vermutlich von Schmitt paraphrasierte Maxime von Goethe: „Wir alle leben vom Vergangenen und gehen am Vergangenen zugrunde“, Goethe, Maximen u. Reflexionen 167.

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paradiesische Kabinettchen – Ein Begriff des kath. Pastoraltheologen Johann Michael Sailer (1751–1832), den Schmitt vielleicht durch Eschweiler kannte. Vgl. Karl Eschweiler, Die katholische Theologie im Zeitalter des deutschen Idealismus. Die Bonner theologischen Qualifikationsschriften von 1921/22. Aus dem Nachlaß hrsg. und mit einer Einl. vers. von Thomas Marschler, Münster 2010, S. 163.

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20. 9. 47 Coclicus – Adrien Petit Coclico (1499/1500 – nach Sept. 1562), Komponist und Musiktheoretiker. Hubers Dissertation – Kurt Huber (1893–1943), Musikwissenschaftler, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“. Kurt Huber, Ivo de Vento (ca. 1540–1575), Lindenberg im Allgäu 1918 (Diss. phil. München 1918). in meinem Aufsatz über das Tabu – Nicht ermittelt. Kalijarvi – Thorsten V. Kalijarvi, Die Neutralität Amerikas. In: Europäische Revue 11, 1935, S. 721. Kalijarvi (1897–1980) war Professor für Politische Wissenschaft an der Universität New Hampshire/USA. 21. 9. 47 Lewis – Wyndham Lewis, The Enemy. A Review of Art and Literature, London 1927 ff.; ders., Hitler und sein Werk in englischer Beleuchtung, Berlin 1932; ders., Time and western man, London 1927. In der 2. Aufl. von „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ hatte Schmitt schon 1926 auf W. Lewis, The art of being ruled, London 1926, hingewiesen: GL, S. 11, Anm. 1. Im Text, der hier stenographisch ist, muss es wohl heißen: „hat nicht die Feindschaft hervorgerufen, die ich hervorrief.“ ––– Aufsatz von Hennecke – Hans Hennecke, Wyndham Lewis. Vision und Satire. In: Europäische Revue 14, 1938, S. 205–214. Rosenbaum – Eduard Rosenbaum (1887–1979), Straßburger Kommilitone und Freund Schmitts. Vgl. Tb 1912–15, S. 404 f. Am 25. 11. 1950 schrieb er im Rheinischen Merkur gegen Schmitt („Carl Schmitt vor den Toren“). Ob er sich schon 1947 kritisch zu Schmitt äußerte, ist unklar. I do not know that I did well, but I did honestly (Grey) – Den Satz schrieb der englische Außenminister Edward Grey (1862–1933) 1906 an seine Frau. Vgl. Viscount Grey of Fallodon, Twenty Five Years, vol. 1, Toronto 1923, S. 79. Film – Schmitts hier gezeigte Einstellung zum Film war in den 20er und 30er Jahren vollkommen anders; vgl. seine Tagebücher. 22. 9. 47 Einzig erbt ich den eigenen Leib … – Richard Wagner, Götterdämmerung, 1. Akt, 2. Szene. 23. 9. 47 Podszus – Friedrich Podszus (1899–1971), Literaturwissenschaftler und Lektor, Mitherausgeber der zweibändigen Benjamin-Ausgabe von 1955. Vgl. Helmut Peitsch, Wolf von Niebelschütz, Walter Benjamin und ihre Leser im „Dritten Reich“. Zur Erinnerung an Friedrich Podszus. In: LiLi. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 16, 1986, S. 170–178. Binaris numerus infamis – „Die Zwei ist eine böse Zahl.“ (Meister Eckhart); vgl. Wouter Goris, Einheit als Prinzip und Ziel. Versuch über die Einheitsmetaphysik des Opus tripartitum Meister Eckharts, Leiden/New York/Köln 1997, S. 106 ff.

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25. 9. 47 Drucker, Denn Juden bleiben immer Juden … – Peter F. Drucker (1909–2005), österr. Wirtschaftswissenschaftler, 1933 Emigration nach England, ab 1943 US-Staatsbürger, einflußreicher Managementlehrer. Peter F. Drucker, The end of economic man; the origins of totalitarism, 1. Aufl., London 1943; dt.: Ursprung des Totalitarismus. Das Ende des Homo Oeconomicus, Wien 2010. In der 3. Ausgabe, New Brunswick/London 1995 (Nachdruck 2009) steht der erste von Schmitt zitierte Satz auf S. 213: „To the extent that the problem of self-assertion and self-justification becomes more and more urgent, totalitarianism must invent new personifications of new demons.“ Der zweite Satz findet sich bei Drucker auf S. 209: „In comparison with the Jews, even the Communists are of doubtful value as demonic enemies.“ Kurz darauf fährt Schmitt dann fort: „Denn Juden bleiben immer Juden. Während der Kommunist sich bessern und ändern kann. Das hat nichts mit nordischer Rasse usw. zu tun. Gerade der assimilierte Jude ist der wahre Feind. Es hat gar keinen Zweck, die Parole der Weisen von Zion als falsch zu beweisen.“ Diese fünf Sätze sind eine Zusammenfassung folgender vier Stellen bei Drucker: „For the individual Communist can always recant; but ,once a Jew, always a Jew. ‘“ (S. 209) „Nazi anti-Semitism is therefore due neither to the irreconcilable conflict between the Nordic and the Semitic principle as the Nazis assert, nor to the inherent anti-Semitism of the German People, as is so often said in the outside world.“ (S. 209) „The Nazis do not persecute the Jews because they remained a foreign body within Germany, but actually because they had become almost completely assimilated and had ceased to be Jews.“ (S. 209 f.) „The famous Protocols of Zion can be proved a hundred times a clumsy forgery; they must be genuine, as the Jewish conspiracy against Germany must be real.“ (S. 210) 26. 9. 47 Bernanos – Georges Bernanos, La France contre les Robots, 40. èd., Paris 1947; dt.: Wider die Roboter, Köln 1949. ubi nihil vales ibi nihil velis – „Wo du nichts giltst, da willst du nichts“, von Schmitt häufig zitierte Wendung des fläm. Theologen und Philosophen Arnold Geulincx (1624–1669). Für Schmitt eine öfters gebrauchte Distanzierungsformel, beispielsweise zum organisierten Katholizismus, vgl. Gespräch, S. 57. kecwrisménoß – Recte: kecwrisménwß, „abgesondert“. ou¬tópoß – „Nicht-Ort“, vgl. Utopie.

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27. 9. 47 Fritz Eisler – (1887–1914) Studienfreund von Schmitt, dem er 1916 sein Däubler-Buch und 1928 seine Verfassungslehre widmete. Vgl. Reinhard Mehring, Die Hamburger Verlegerfamilie Eisler und Carl Schmitt (Plettenberger Miniaturen, 2), Plettenberg 2009. der Gottheit lebendiges Kleid – Goethe, Faust, 1. Teil: „Studierstube“. Nebel – Gerhard Nebel (1903–1974), Schriftsteller mit einer in das Jahr 1933 zurückreichenden, widersprüchlichen Beziehung zu Schmitt. Nebels, „Platon und die Polis“ erschien 1947. Schmitt hatte in einem Brief vom 10. Oktober 1947 an Nebel die Stu-

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die enthusiastisch gerühmt, s. Ernst Jünger/Gerhard Nebel, Briefe 1938–1974. Hrsg. von U. Fröschle u. M. Neumann, Stuttgart 2003, S. 608. Jaeger – Werner Jaeger, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen, 1. Aufl., Berlin/Leipzig 1934. pánta [gár] tolmhtéon – „Denn man muss ja alles wagen“, Platon, Theaetet, 196 d. Der ganze Satz lautet: „Doch aber, wie wäre es, wenn wir uns erdreisteten, ganz unverschämt zu sein.“ kalóß [gár o™] kíndunoß – „Denn schön ist das Wagnis“, Platon, Phaidon 114 d. Im Zusammenhang: „… dies, dünkt mich, zieme sich gar wohl und lohne auch zu wagen (kinduneûsai), daß man glaube, es verhalte sich so. Denn es ist ein schönes Wagnis, und man muß mit solcherlei gleichsam sich selbst besprechen. Darum spinne ich auch schon so lange an der Erzählung. Also um dessen willen muß ein Mann guten Mutes sein seiner Seele wegen, …“. Die Unsterblichkeit der Seele, obzwar im „Phaidon“ mehrfach „bewiesen“, bleibt dennoch ein Mythos, aber eben ein schönes Wagnis. Vgl. dazu: Eveline Krummen, „Schön ist das Wagnis“. Rituelle Handlung und mythische Erzählung in Platons Phaidon. In: A. Bierl / R. Lämmle / K. Wesselmann (Hrsg.), Literatur und Religion. Wege zu einer mythisch-rituellen Poetik bei den Griechen, Bd. 2, Berlin/New York 2007, S. 91–139. ne simus faciles … – „Seien wir nicht leichtfertig mit Worten. Die Wahrheit liegt im Wort Gottes.“ Vgl. auch C. Schmitt, Die Tyrannei der Werte, 3. korr. Aufl., Berlin 2011, S. 52. Umkehrung des lateinischen Sprichworts „In verbis simus faciles“, seien wir umgänglich in Worten. Bismarck beschloss damit seine „Gedanken und Erinnerungen“, was Schmitt „ein sehr hoher Grad von Oberförsterei“ zu sein schien; vgl. BW EJ, S. 175 und Kommentar dazu S. 605; vgl. auch unten zu S. 69. Mme Guyon – Jeanne Marie Guyon du Chesnoy (1648–1717), Mystikerin, die mit ihren zahlreichen Schriften großen Einfluss u. a. auf den deutschen Pietismus hatte. Schmitt kannte sie vermutlich durch seine Beschäftigung mit dem Pietismus; vgl. Johann Arnold Kanne, Aus meinem Leben. Aufzeichnungen des deutschen Pietisten Johann Kanne. Hrsg. von Carl Schmitt-Dorotić, Berlin 1919 (Nachdruck Wien 1994). In seiner „Politischen Romantik“ zitiert er Guyon: PR, S. 38, Anm. 1. Der Weg des Geistes ist der Umweg – „Die Natur kommt auf dem kürzesten Weg zu ihrem Ziel. Dies ist richtig; aber der Weg des Geistes ist die Vermittlung, der Umweg.“ G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie. In: Werke. Hrsg. von Moldenhauer und Michel, Bd. 18, Frankfurt a. M. 1979, S. 55. 29. 9. 47 Donoso, Seuls aujourd’hui … – Schmitt zitiert nach folgender Ausgabe: Juan Donoso Cortés, Oeuvres, tom 2, Paris 1858, S. 165 (RW 265 Nr. 23878). Kierkegaards Satz von den Märtyrern – „Denn Tyrannen (in Gestalt von Kaisern, Königen, Päpsten, Jesuiten, Generälen, Diplomaten) haben bisher in einem entscheidenden Augenblick die Welt regieren und lenken können; aber von der Zeit an, da der vierte Stand eingesetzt wird – wenn diese Tatsache Zeit bekommen hat, sich derart zu setzen, daß man sie wirklich versteht –, wird es sich zeigen, daß nur die Märtyrer im entscheidenden Augenblick die Welt regieren können.“ S. Kierkegaard, Das Buch über Adler, Düsseldorf/Köln 1962, S. 207. Auf diese Stelle bezieht Schmitt sich in: C. Schmitt, Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation, Köln 1950, S. 107.

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Pascals: Moi haïssable – Blaise Pascal, Pensées (Brunschvicg), fr. 455. 30. 9. 47 Augen zu und Gas – Ausspruch von Heinrich Oberheid, der im Siedlinghauser Kreis zum geflügelten Wort wurde; vgl. Schmittiana III, 1991, S. 72.

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2. 10. 47 Blüher, Erhebung – Hans Blüher, Die Erhebung Israels gegen die deutschen Güter, Hamburg 1931. i. Sa. Haußleiter – August Haußleiter, (1905–1989. Es handelt sich um das Urteil vom 22. 9. 1947 (Aktenzeichen Vf. 23-IIIa-47) zu einer Wahlstreitigkeit wegen Ungültigerklärung der Wahl eines Abgeordneten zum Bayer. Landtag. Vgl. auch „Der Spiegel“ Nr. 41 vom 11.10. 1947. pánta tolmhtéon – Siehe oben zu S. 15. a¬nagkazómenoß – ou¬deìß e™kœn díkaioß a¬ll ¬a¬nagkazómenoß, „Niemand ist freiwillig gerecht, sondern nur gezwungen“. Platon, Politeia, 360 c. Der (durch das Schicksal) Gezwungene war ein verbreiteter Gedanke in der griechischen Philosophie. Schmitt hat sich wiederholt darin erkannt; vgl. unten S. 19 und 260. blindes Vorgebot – Prägung von Konrad Weiß, die für Schmitt wichtig war (vgl. 7. 4. 51, 24. 6. 51, 15. 10. 51, 12. 9. 54). Geschichte war für Schmitt ein im göttlichen Heilsplan beschlossenes Mysterium, das menschliche Handeln daher immer nur Nachvollzug eines „blinden“, d. h. dem Menschen nicht erkennbaren „Vorgebots“. Das erklärt auch die Bedeutung des Satzes von Léon Bloy (vgl. oben zu S. 7). 3. 10. 47 Marcos – Teodoro Andrès Marcos (1880–1952), Prof. für Kanonistik an der Universität Salamanca, Vitoria-Spezialist. semel paret … – Ille ipse omnium conditor et rector scripsit quidem fata, sed sequitur; semper paret, semel iussit. „Jener Gründer und Lenker des Alls hat zwar selber die Geschicke festgeschrieben, aber er befolgt sie auch; stets gehorcht er, doch einmal hat er sie befohlen.“ Seneca, De providentia, 5,8. und freier noch sind Quellen – „Der Ozean ist frei. Und freier noch sind Quellen.“ Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Lieder im Seelenschein, S. 544. dictamen … – „Befehl erst der Vernunft, dann des Willens, dann der Begierde.“ Wie Hindemith – Schmitt besaß und kannte Hindemiths „Unterweisung im Tonsatz“. Am 24. 11. 1947 schreibt er an Wilhelm Fraenger: „Ich lese die wundervolle Tonsatzlehre von Hindemith (1940 bei Schott in Mainz erschienen) und muss fortwährend an Ihre Ausführungen S. 80 Ihres Bosch-Buches denken. Könnten Sie es nicht Hindemith zugänglich machen? Das müßte ihn begeistern.“ Wilhelm Fraenger, Korrespondenz mit Hans Arp, Carl Schmitt und Franz Roh. In: Sinn und Form 57, 2005, S. 323. Der Hinweis bezieht sich auf Fraengers Interpretation des rechten, als „Musikalische Hölle“ bezeichneten Innenteils von „Der Garten der Lüste“, in: W. Fraenger, Das Tausendjährige Reich, Coburg 1947. Radbruch und Schwinge – Die Juristen Gustav Radbruch (1878–1949), mit dem Schmitt sich schon in seiner Dissertation kritisch auseinandersetzte, aber 1930 noch freundschaftlich verkehrte (vgl. Tb 1930–34, S. 166) und Erich Schwinge (1903–1994), der Schmitt 1930 als

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„Sphinx unter den modernen Staatsrechtlern“ bezeichnete, standen nach 1945 kritisch zu Schmitt. Vgl auch unten zu S. 103 und 125. Bruder Straubinger – Figur, die in einem studentischen Trinklied des 19. Jahrhunderts einen Strolch bezeichnet; steht bei Carl Schmitt für Hitler. nach Art des deutsch-slowakischen Austausches – Nach der Annexion des Sudetenlandes und der dadurch hervorgerufenen Schwächung der tschechoslowakischen Republik erklärte sich die Slowakei im Oktober 1938 für autonom innerhalb der Republik Tschechoslowakei. Hitler wollte einen selbständigen Staat Slowakei und erreichte das damit, dass er im März 1939 den slowakischen Premierminister Jozef Tiso massiv unter Druck setzte. Vgl. auch unten zu S. 292. „allein der Pilger wird sie segnen“ – Letzte Zeile des Gedichts „Mein Beruf“ von Annette von Droste-Hülshoff. baculus – Stock. Ginés de Sepúlveda – Juan Ginés de Sepúlveda (1490–1573), spanischer Theologe und Historiograph von Karl V. und Philipp II. Er vertrat gegenüber Bartolomé de Las Casas die Auffassung, dass die Indios Wilde und Barbaren seien, so dass sie unter Berufung auf Aristoteles rechtlos sind und ihr Land zum Objekt freier Landnahme gemacht werden kann. Vgl. G. de Sepúlveda‚ Democrates alter, sive Dialogus de justis belli causis adversus Indios. Hrsg. von Menéndez Pelayo (Boletin de la Real Academia de la Historia, XXI), Madrid 1892. a¬nagkazómenoß – Siehe oben zu S. 18.

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4. 10. 47 hic et nunc – „Hier und jetzt“; einer der Wahlsprüche von Schmitt. Vitoria, Francisco de – (um 1483–1546), span. Theologe (Dominikaner) und Völkerrechtler, Begründer der Schule von Salamanca, Kritiker der spanischen Eroberungspraxis in Lateinamerika. Vgl. C. Schmitt, Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes. In: Die neue Ordnung 3, 1949, S. 289–313. meine Begegnung mit Don Theodore Andres – Siehe oben zu S. 18 „Marcos“. Schmitt lernte ihn während seiner Vortragsreise in Spanien im Juni 1943 kennen; vgl. Chr. Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkriegs. In: Schmittiana VI, 1998, S. 235. ungewollt und nur getreu – Paraphrase von Konrad Weiß; vgl. C. Schmitt, Was habe ich getan? In: Schmittiana V, 1996, S. 19. geburthaft nackt – Zitat aus dem Gedicht „Perseus“ von Theodor Däubler, in: T. Däubler, Dichtungen und Schriften. Hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1956, S. 250: „Nun stehst du nackt, geburthaft nackt, in wüsten Weiten“. das Sein meine ganze Habe – Anspielung auf das Carl Schmitt gewidmete Gedicht „Manchmal, wenn man sich vergißt“ von Konrad Weiß. In: Weiß, S. 655. 5. 10. 47 Coeli tonitralia templa lacessens … – „Die Tempel und die Donner des Himmels herausfordernd, entriss er dem Zeus den Blitz und dem Phöbus die Pfeile.“ Das Zitat stand in abgewandelter Form auf der von Houdon geschaffenen Büste Benjamin Franklins, des Erfinders des Blitzableiters. Zum Anti-Lucretius vgl. Rainer Specht, Über Polignacs Antilucretius. In: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt. Hrsg. von H. Barion/E.-W. Böcken-

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förde/W. Weber, 2. Aufl., Berlin 2002, S. 697–707. Schmitt schenkte seine Polignac-Ausgabe an Specht und bezog sich in seiner Widmung auf diesen Aufsatz. Nec iuvat innumeros alibi confingere mundos … – „Es nützt nichts, allerlei unzählige Welten sich zusammenzubasteln, in denen eine Menge von Dingen aller Art herumschwirrt, die unserem Bereich kaum etwas gewährt … Es ist nötig, daß die Atome ein Maß, ein Ende und eine Bremse bekommen.“

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6. 10. 47 occasio proxima – „Eine naheliegende Gelegenheit“, Begriff aus der kath. Moraltheologie. Michelets Buch – Jules Michelet, Pologne et Russie. Légende de Kosciusko, Paris 1852. Schmitt bezieht sich auf folgende Stelle auf S. 131 f.: „Donc, nous devons envisager la Russie en masse, provisoirement, et simplement comme une force, – force barbare, monde sans loi, monde ennemi de la Loi, qui ne fait aucun progrès en ce sens, au contraire, qui marche à rebours et retourne aux barbaries antiques, qui n’admet la civilisation moderne pour dissoudre le monde occidental et tuer la loi elle-même. Le monde de la Loi a sa frontière où elle fut au moyen-âge, sur la Vistule et le Danube.“ Nachwort Kütemeyers – Søren Kierkegaard, Der Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. Übers. von Wilhelm Kütemeyer, München 1929. Ne judicate, ne iudicemini … – Vulgata, Mt 1,7. „Richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet.“ cache ta vie et répands ton esprit – Aus dem Gedicht „A un poète“ von Victor Hugo. Annette schreibt an Sprickmann – Schmitt zitiert nach: A. von Droste-Hülshoff, Die Briefe der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Hrsg. und erläutert von Hermann Cardauns, Münster 1909. 7. 10. 47 Sollst du Betrug gewesen sein, du selig silberblauer Tag? – Recte: „Willst du umsonst gewesen sein, / du selig silberblauer Tag?“ Weiß, S. 722. Vgl. auch BW Mohler, S. 104; BW EJ, S. 146. Deus sive Natura – „Gott oder vielmehr die Natur“. Von dieser Gleichsetzung Spinozas fühlte Schmitt sich immer wieder provoziert, was schon in seiner Hobbes-Vorlesung 1919 nachweisbar ist; vgl. Schmittiana VII, 2001, S. 18. 8. 10. 47 Africana – Theodor Däubler, L’Africana (Roman), Berlin-Grunewald 1928. Kluxen – Franz Kluxen (1887–1968), Kaufmann und Kunstsammler, Straßburger Kommilitone und Freund Schmitts; Kluxen habe ihn, so sagt er (unten, S. 114) „in die genialistische Geistigkeit des deutschen 19 Jahrhunderts … initiiert“. Vgl. Tb 1912–15, S. 403 f.

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9. 10. 47 Wer um ein Gut der Welt die Sehnsucht sich verdarb – Aus dem Gedicht „Am ersten Sonntag im Advent“ von A. von Droste Hülshoff. períyhma – Peripsema, „Abschaum“. Hier mit Bezug auf das Griechische Neue Testament (1 Kor 4,13); in der Übersetzung Luthers: „Wir sind geworden wie der Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht, bis heute.“

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10. 10. 47 in den „Drei Arten“ (S. 17) – C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 3. Aufl., Berlin 2006, S. 14 f. mysterium iniquitatis – Das „Geheimnis der Bosheit“, das der Katéchon zurückhält (2 Thess 2,6–7). Vgl unten zu S. 47. In die Wahrheit hinein betrügen – Bezieht sich auf folgende Stelle bei Kierkegaard: „ […] man lasse sich von dem Wort ,Täuschung‘ nicht täuschen. Man kann einen Menschen täuschen über das Wahre, und man kann, um an den alten Sokrates zu erinnern, einen Menschen hineintäuschen in das Wahre. Ja, eigentlich vermag man einzig und allein auf diese Weise einen Menschen, der in einer Einbildung befangen ist, in das Wahre hineinzubringen, dadurch nämlich daß man ihn täuscht.“ Søren Kierkegaard, Gesammelte Werke, Abt. 33: Die Schriften über sich selbst, Düsseldorf/Köln 1964, S. 48. Darf ein Mensch für die Wahrheit sich totschlagen lassen? – Siehe unten zu S. 208. Bernanos in Genf – Im September 1946 hielt Georges Bernanos in Genf eine leidenschaftliche Rede, in der er sagte: „Die europäische Zivilisation bricht zusammen, und man wird sie durch nichts ersetzen.“ Ecce ancilla – Dixit autem Maria ecce ancilla Domini „Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herren“, Vulgata, Lk 1,38. 11. 10. 47 mákroß a¢njrwpoß – „Großer Mensch“. Der Begriff geht auf Platon zurück, der im Einleitunsgkapitel zu seiner Schrift über den Staat diesen so bezeichnet.

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12. 10. 47 amor mortis Scaeva – Scaeva kämpfte im römischen Bürgerkrieg gegen die übermächtigen Truppen des Pompejus mit wilder Entschlossenheit; er bescheinigte sich „Liebe zum Tode“. Vgl. Pharsalia VI,245 f. Jus se defendendi contra hostem deponere nemo potest – „Auf das Recht sich gegen den Feind zu verteidigen, kann niemand verzichten.“ Th. Hobbes, Leviathan, Kapitel 14.

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13. 10. 47 obéissance préalable – „Vorgängiger Gehorsam“, ein Begriff, den Schmitt von Maurice Hauriou übernahm; vgl. M. Hauriou, Principes de droit public. A l’usage des étudiants en licence et en doctorat ès-sciences politiques, 2. éd., Paris 1916, S. 804 (Exemplar mit Anm. u. Einl. im Nachlass, RW 265 Nr. 27583). Schmitt zitierte den Begriff wohl erstmals 1935: C. Schmitt, Was bedeutet der Streit um den Rechtsstaat? (In: SGN, S. 126). In der Sache ist er aber schon, als eine der drei „Prämien auf den legalen Machtbesitz“, in LuL formuliert. Hohe Molmert – Berg bei Plettenberg, auf den Schmitt oft wanderte. Zur Gottheit sinnt man urverschwiegene Briefe … – Aus: Theodor Däubler, Attische Sonette („Der Zug“). von dem Klaviergespiele unter mir – Die jüngere Schwester Schmitts, Anna Schmitt, war Klavierlehrerin und gab in dem gemeinsam bewohnten Haus am Brockhauser Weg 10 Unterricht.

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14. 10. 47 Benthams „Expectation“ – Jeremy Bentham, Principles of the civil code, 1838. 22. 10. 47 Coups d’état intellectuels – Paul Valéry, Oeuvres, tome 1, Paris 1957, S. 815. Carpe diem; veniet hora – „Genieße den Tag; die Stunde [des Todes] wird kommen.“ 23. 10. 47 Parmenides, Nebel – Gerhard Nebel, Das Sein des Parmenides. In: Der Bund 1947, S. 87–119. Gebet des Duns Scotus – Vgl. Tb 1930–34, S. 375.

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29. 10. 47 Histoire des Treize – Erzählungen aus dem Zyklus „Die menschliche Komödie“ von Balzac, dt.: Geschichte der Dreizehn (zahlr. Ausg.). Goethes Idee der „kleinsten Schar“ – Aus: Goethes Gedicht „Vermächtnis“: Und war es endlich dir gelungen, Und bist du vom Gefühl durchdrungen: Was fruchtbar ist, allein ist wahr, Du prüfst das allgemeine Walten, Es wird nach seiner Weise schalten, Geselle dich zur kleinsten Schar. Hitler: Mein Leben ist ein Roman – Eine von Hans Frank überlieferte Äußerung Hitlers; vgl. Gespräch, S. 189, Anm. 45. 30. 10. 47 Eduard Rosenbaum behauptete … – Nicht ermittelt. Die Bahn, die uns geführt Lassalle – Zitat aus der „Deutschen Arbeiter-Marseillaise“, dem Lied des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins. Es endet mit dem Vers: „Der kühnen Bahn nun folgen wir, / die uns geführt Lassalle.“

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3. 11. 47 Tantulus homo, tantus peccator – „Ein so kleiner Mann, ein so großer Sünder“. Vgl. Friedrich Reck-Malleczewen, Bockelson. Geschichte eines Massenwahns, Berlin 1937. Diese erste, sofort verbotene Ausgabe stand, mit Anstreichungen versehen, in Schmitts Bibliothek. abyssus vocat abyssum – Vulgata, Ps 42,8. Luther: „Eine Tiefe ruft die andere“. 5. 11. 47 Der Ozean ist frei und freier noch sind Quellen – Siehe oben zu S. 18.

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7. 11. 47 Was Bruno Bauer die Verjudung nennt – Bruno Bauer spricht von „Verjüdelung der Völker“; vgl. B. Bauer, Das Judenthum in der Fremde, Berlin 1863, S. 48. Sic exspectatur iudicium – „So wird das Urteil erwartet.“ Offenbar in Anlehnung an Cicero aus dessen „Argumentum orationis pro M. Tullio“: „hoc iudicium sic exspectatur.“

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Nette – Herbert Nette (1902–1994), Journalist, Lektor, Schriftsteller. Nette, der auch mit Ernst Jünger bekannt war, hatte Carl Schmitt im Herbst 1947 durch Heinrich Gremmels kennengelernt. Am 2. 10. 1947 schrieb er ihm und bat um ein Treffen. metabolä, tropä, forá … – fjoraì toínun e ¬x a¬nágkhß tóte mégistai sumbaínousi tøn te a¢llwn zåıwn, kaì dæ kaì tò tøn a¬njråpwn génoß o¬lígon ti perileípetai: perì dè toútouß a¢lla te pajämata pollà kaì jaumastà. „Die größten Verheerungen also entstehen alsdann notwendig sowohl unter den anderen Tieren, als auch von dem menschlichen Geschlecht bleibt nur weniges übrig. Und für diese Überreste treffen dann viele andere wunderbare und neue Ereignisse zusammen.“ Platon, Politikos, 270 d; Übers. von Friedrich Schleiermacher. metabolä – Wechsel. e¬nantía – Gegenbewegung. 9. 11. 47 Rede Baumgartners – Der bayerische Politiker Joseph Baumgartner (1904–1964) setzte sich für die Unabhängigkeit Bayerns ein. qui accuse s’excuse – Umkehrung des geflügelten Wortes „qui s’excuse, s’accuse“. Hermann Hefele – (1885–1936) Romanist, Schmitt bezieht sich auf: Herman Hefele, Niccolo Machiavelli (Colemans kleine Biographien, 14), Lübeck 1933. Anmaßung von Kelsen – Vgl. Hans Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Berlin 1931. 12. 11. 47 aufschlußreichen Bemerkungen von Kassner – Rudolf Kassner, Faust oder der Barockmensch. In: Europäische Revue 18, 1942, S. 199–213. Desire of power that ceaseth only in death – „So that in the first place I put for a general inclination of all mankind a perpetual and restless desire of power after power, that ceaseth only in death.“ Thomas Hobbes, Leviathan, Erster Teil, Kap. 11.

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13. 11. 47 An Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 213 ff. (leicht abweichend). Freude ist Beschleunigung des Blutkreislaufs – Thomas Hobbes, Leviathan, Erster Teil, Kap. 6. as many pulsations as possible – Aus Walter Paters 1868 geschriebenem Essay „Poems by William Morris“. In: ders., Pre-Raphaelitism. A Collection of Critical Essays, edited by James Sambook, Chicago 1974, S. 105–117.

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16. 11. 47 Ed. Meyer – Schmitt bezieht sich auf: Eduard Meyer, Caesars Monarchie und das Principat des Pompejus. Innere Geschichte Roms von 66 bis 44 v. Chr., Stuttgart/Berlin 1918. James Burnham – J. Burnham, The managerial revolution. What is happening in the world, New York 1941 (u. ö.).

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17. 11. 47 Max Stirner, S. 244 – Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 2. Abt.: Ich, 4. Der Eigner, A: Meine Macht. Schmitt zitiert den Schluss dieses Kapitels ungenau.

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18. 11. 47 Kaegi – Werner Kaegi, Probleme des Rechtsstaats. In: Universitas 2, 1947, S. 909–913. Hobbes – Thomas Hobbes, An answer to Bishop Bramhalls book called „The catching of the Leviathan“. In: The English works of Thomas Hobbes, ed. by William Molesworth, vol. IV, S. 322.

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19. 11. 47 Äußerungen Franz von Baaders – „Das Thier, ganz in die Zeit versenkt, nimmt übrigens diese so wenig wahr, als der ganz in Ewigkeit Verzückte. – Zeitwahrnehmung kann also nur der Mensch in seinem dermaligen Amphibienleben haben, noch mehr der Satan unter ihm.“ Brief Baaders an Adolph Wagner vom 10. 9. 1817. In: Fr. v. Baader, Sämtliche Werke, Bd. 15, Leipzig 1857, S. 326.

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21. 11. 47 Marie Stewens – (1899–1981) Studienrätin in Witten, Schwägerin von Peterheinrich Kirchhoff. Vgl. Schmittiana IV, 1994, S. 272–284. Robert Mohl – (1799–1875), Prof. der Staatswissenschaften und Politiker. Vgl. Robert von Mohl, Die Staatsromane. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte der Staatswissenschaften. In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 2, 1845, S. 24–74; ders., Geschichte der Staatswissenschaften. Band 1, Erlangen 1855, Teil III, S. 167–214: Staatsromane. Kleinwächter – Friedrich Kleinwächter, Die Staatsromane. Ein Beitrag zur Lehre vom Communismus und Socialismus, Wien 1891. Ernst Bloch – Schmitt bezieht sich auf folgenden Titel: Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung. Abriss der Sozial-Utopien, New York 1946 (später auch in: E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt/M. 1959, S. 547–729). Vgl. unten zu S. 234. Thomas Morus, der das Wort Utopia erfunden hat – Thomas Morus, Libellus vere aureus nec minus salutaris quam festivus de optimo reipublicae statu, deque nova insula Utopia, [Löwen] 1516. Pierre Linn – (1897–1966), frz. Bankier und Philosoph, früher Übersetzer Schmitts ins Französische (u. a. „Politische Romantik“, 1928).

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22. 11. 47 „Mir geht nichts über Mich“ – Schlußsatz der Einleitung von: Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum. 37

24. 11. 47 Veit – Otto Veit, Die geistesgeschichtliche Situation des Naturrechts. In: Merkur, 1947, S. 390–405. Das war schon Donoso Cortés bewußt – Vgl. Juan Donoso Cortés, Über die Diktatur. Drei Reden aus den Jahren 1849/50 [Hrsg., aus dem Span. übertr. und kommentiert von Günter Maschke], Wien usw. 1996.

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25. 11. 47 Brief von Popitz – Johannes Popitz schrieb: „[…] Vor allem aber vielen Dank für die Übersendung des ,Begriffs des Politischen‘! Wir müssen darüber sprechen. Ich habe den Eindruck, daß Ihnen da das Beste gelungen ist, was ich bisher – unter so vielem Vortrefflichen – von Ihnen zu lesen bekommen habe.“ (RW 265 Nr. 11161).

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– Donoso Cortés, zu Tischleder gegerbt und Roman-Putz verschnitten – Tischleder ist hier eine boshafte Anspielung auf Peter Tischleder (1891–1947), Prof. für kath. Moraltheologie und Christl. Gesellschaftslehre in Münster, ab 1946 in Mainz, der einen „tischledernen“ Stil hatte und der der Doktorvater von Josef Westemeyer (s. oben zu S. 11) war. Die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899–1950) behandelt Donoso im zweiten Buch ihres Romans „Das unauslöschliche Siegel“ (1946 u. ö.) nach Auffassung des Donoso-Spezialisten Günter Maschke entgegen Schmitts Äußerung durchaus angemessen. asketischen Enthaltung des wissenschaftlichen Gelehrten – Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig 1919, S. 25 (Schmitt zitierte nach der seitenidentischen 2. Auflage von 1926). 26. 11. 47 Winckelmann – Johannes W. (1900–1985), Jurist, Herausgeber der Werke Max Webers, mit Schmitt seit 1938 bekannt. Vgl. Stefan Breuer, Klassiker der Karlsruher Republik. Johannes Winckelmann etabliert nach 1945 Max Weber. In: Zeitschr. für Ideengeschichte IX, 2015, H. 2, S. 89–104. 27. 11. 47 dreimal vom Leviathan wieder ausgespien – Siehe oben zu S. 7. der russische Major – Schmitt wurde nach der Einnahme von Schlachtensee durch sowjetische Truppen Ende April 1945 von einen russischen Offizier verhört. Carl Tobias – Anspielung auf das apokryphe Buch Tobit des Alten Testaments: Tobias ist der Sohn eines blinden Vaters, der durch ihn wieder sehend wird (Tob 11). Wer den Namen als Pseudonym gebrauchte, ist unklar. 28. 11. 47 Conjuratio … – „Verschwörung“. Wenn die Republik in Gefahr war, verhängte der römische Senat den Staatsnotstand und bevollmächtigte die Konsuln mit folgender Formel: „Videant consules ne quid detrimenti res publica capiat“ (Mögen die Konsuln zusehen, dass der Staat keinen Schaden leide). Darauf wandten diese sich mit folgendem Satz an die Bürger: „Qui rem publicam salvam esse velit, me sequatur“ (Wer will, dass der Staat gerettet werde, möge mir folgen). Altheim – Franz Altheim, Lex sacrata. Die Anfänge der plebeischen Organisation (Albae vigiliae, 1), Amsterdam 1940. Plutarch – Plutarchi vitae parallelae. Recogn. Cl. Lindskog et K. Ziegler. Vol. 3, Fasc. 2. Accedunt Vitae Galbae et Othonis et vitarum deperditarum fragmenta, 2. Aufl., Leipzig 1973. „Wenn diese Nacht…“ – Vgl. Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig 1919, S. 66 (recte: „… jetzt scheinbar so üppig geblüht hat“). KDF – „Kraft durch Freude“, NS-Organisation zwecks Freizeitgestaltung. Nun wird … – Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig 1919, S. 56 (nicht 57!). „Wer nach der Ethik des Evangeliums handeln will …“ – Recte: „Wer nach der Ethik des Evangeliums handeln will, der enthalte sich des Streiks – denn sie sind: Zwang – und gehe in die gelben Gewerkschaften. Er rede aber vor allen Dingen nicht von ‚Revolution‘. Denn jene Ethik will doch wohl nicht lehren: daß gerade der Bürgerkrieg der einzig legitime Krieg sei.“ Max Weber, Politik als Beruf, München/Leipzig 1919, S. 55 (nicht 57!).

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29. 11. 47 Hans Barth und seinen Aufsatz über den Leviathan – H. Barth, Wirklichkeit und Ideologie des totalen Staates. In: Neue Schweizer Rundschau NF 6, 1938, S. 449–458. Ders., Vom totalen Staat und seinen ideologischen Voraussetzungen. In: ebd., S. 614–627, 673–682 [Auseinandersetzung u. a. mit E. R. Huber]. Ders., Über die Entstehung der Ideologie vom totalen Staat. In: Neue Zürcher Zeitung 1938; wiederabgedruckt in: H. Barth, Denken in der Zeit. Philos.-polit. Beiträge in der Neuen Zürcher Zeitung 1932–1964. Mit e. Einl. von Hermann Lübbe, Zürich 1988, S. 200–209. der veredelt-gerechte Kammacher-Ton – Vgl. Gottfried Keller, Die drei gerechten Kammacher (Novelle). Fritz Ernst in Corona VII – F. Ernst, Johannes von Müller. Zürcher Rede. In: Corona 7, 1937, S. 109–126; das Zitat findet sich auf S. 123. Schmitt sah in der Entscheidung v. Müllers, sich als Staatsrat in den Dienst des westfälischen Königs Jérôme Napoléon zu stellen, offenbar eine Parallele zur eigenen Biographie. 30. 11. 47 Brief von Barion vom 11. Nov. 47 – In dem langen Brief (RW 265 Nr. 694/1) geht es um Rudolph Sohm, zuvor berichtet Barion von den Schwierigkeiten, wieder in seine Bonner Professur eingesetzt zu werden. 1. 12. 47 Aldous Huxley – Über das Shakespeare-Zitat, auf das Huxley sich mit dem Titel seines Romans bezieht, hat er im Epilog des Buches eine Erläuterung geschrieben, was Schmitt wohl mit „Glosse“ meint.

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2. 12. 47 Annie Kraus – Siehe unten zu S. 155. Herr Dr. R. – Möglicherweise Eduard Rosenbaum. Baader … Gebetserhörung – Franz von Baader, Vorlesungen über religiöse Philosophie I/1, München 1827, S. 87 ff. 3. 12. 47 Minima non curat praetor, maxima non curat praetor – „Um Kleinigkeiten kümmert sich der Prätor nicht, um Wichtiges kümmert sich der Prätor [auch] nicht.“ Der erste Satz stammt aus dem römischen Recht, der zweite ist von Schmitt dazugesetzt.

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5. 12. 47 Kierkegaard, Über den Begriff der Angst – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Søren Kierkegaard, Gesammelte Werke. [Mit Nachw. von Christoph Schrempf. Übers. von Wolfgang Pfleiderer u. Christoph Schrempf.] T. 5: Der Begriff der Angst, Jena 1912, Kap. 3: „Die Angst als Folge derjenigen Sünde, welche im Ausbleiben des Sündenbewußtseins besteht“ (S. 77–107); § 2: „Die Angst dialektisch bestimmt in der Richtung auf das Schicksal“, S. 93–100. Zeller – Schmitt bezieht sich wahrscheinlich auf: Eduard Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz (= Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Hrsg. durch die

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Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften, 13), 2. Aufl., München 1875. 8. 12. 47 Une armée dont on se sert … – In der Übersetzung Ernst Jüngers: „Eine Armee, deren man sich zur Unterdrückung bedient, muß zuvor selbst unterjocht werden. Der Hammer muß ebensoviel Schläge wie der Amboß aushalten.“ E. Jünger, Sämtlich Werke 14, Stuttgart 1978, S. 273.

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10. 12. 47 Gerhard Nebels Aufsatz – In: G. Nebel, Von den Elementen. Essays, Wuppertal 1947, S. 9–31. Hier ist 1940 (und nicht „1941“) als Entstehungsdatum vermerkt. 11. 12. 47 postiche – unecht. O Glück der Mücke – Vgl. Rilke, 8. Duineser Elegie. Ebelings These – Vgl. Gerhard Ebeling, Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift, Tübingen 1947. 13. 12. 47 Ils ont outragé l’esprit – Der Satz stammt aus der französischen Fassung des Paulusbriefes an die Hebräer, Kap. 10, Vers 29.

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16. 12. 47 der alte Huxley hatte schon die Phantasie … – „Si la proposition fondamentale de l’évolution est vraie, à savoir que le monde entier, animé et inanimé, est le résultat de l’interaction mutuelle, selon des lois définies, des forces possédées par les molécules dont la nébulosité primitive de l’univers était composée, alors il n’est pas moins certain que le monde actuel reposait potentiellement dans la vapeur cosmique, et qu’une intelligence suffisante aurait pu, connaissant les propriétés des molécules de cette vapeur, prédire par exemple l’état de la faune de la Grande-Bretagne en 1868, avec autant de certitude que lorsqu’on dit ce qui arrivera à la vapeur de la respiration pendant une froide journée d’hiver.“ Schmitt zitiert Huxley nach Bergson: Henri Bergson, L’évolution créatrice (Bibliothèque de philosophie contemporaine), Paris 1913, S. 41 f. 17. 12. 47 das Kontor von G. & K. – Das Kontor der Firma Graewe & Kaiser in Plettenberg-Eiringhausen, in der Schmitts Vater als Buchhalter angestellt war.

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18. 12. 47 „Les idées aussi les plus sublimes …“ – Vermutlich in Anlehnung an: „Les peuples les plus civilisés sont aussi voisins de la barbarie que le fer le plus poli l’est de la rouille.“ In der Übersetzung E. Jüngers: „Die zivilisiertesten Völker sind nicht weiter von der Barbarei entfernt als das glänzendste Eisen vom Rost.“ E. Jünger, Sämtlich Werke 14, Stuttgart 1978, S. 257. au début de la vie – „La philosophie étant le fruit d’une longue méditation et le resultat de la vie entière, ne peut et ne doit jamais être présentée au peuple qui est toujours au début de

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la vie.“ In der Übersetzung E. Jüngers: „Die Philosophie als spätgereifte Frucht des Geistes und des Lebensherbstes darf nicht dem Volke dargeboten werden, das stets im Kindesalter bleibt.“ E. Jünger, Sämtlich Werke 14, Stuttgart 1978, S. 257. 19. 12. 47 Saint-Martin – Louis-Claude de Saint-Martin (1743–1803), mystisch-theosophischer Schriftsteller, Übersetzer Jakob Böhmes ins Französische. René Guénon – (1886–1951), esoterischer Philosoph. katécwn – Katéchon, „der Aufhalter“, kommt sowohl personal (katécwn) wie auch neutral (katécon) vor. Der Bezug ist 2 Thess. 2,6–7: kaì nûn tò katécon oi d¢ ate, ei¬ß tò a¬pokalufjñnai au¬tòn e ¬n tøı e™autoû kairøı. tò gàr mustärion h¢dh e n¬ ergeîtai tñß a¬nomíaß· mónon o™ katécwn a¢rti e w ¢ ß e¬k mésou génhtai. Luther: „Und ihr wisst, was ihn noch aufhält, bis er offenbart wird zu seiner Zeit. Denn es regt sich schon das Geheimnis der Bosheit; nur muss der, der es jetzt noch aufhält, weggetan werden.“ „Geheimnis der Bosheit“ wurde in der mittelalterlichen Theologie als der Antichrist gedeutet, der nach der Offenbarung des Johannes am Ende der Zeiten erscheint. Der Katéchon war für Schmitt ein zentrales Thema, und nicht erst für den späten: „Seit über 40 Jahren sammle ich Material zu dem Problem katécwn bzw. katécon (Thess. 2,2,6)“, schreibt er am 20. 10. 1974 an Hans Blumenberg (BW Blumenberg, S. 120 mit Anm. S. 122 f.). Tatsächlich dürfte die Beschäftigung noch weiter, in die Mitte der 20er Jahre zurückgehen und durch Erik Peterson angeregt worden sein. Das von Schmitt gesammelte Material befindet sich im Nachlass, RW 265, Nr. 20022, 20023, 20024, 20026, 20172, 21149. Zum Katéchon vgl. auch Nomos, S. 28 ff. Die Übersetzung „Aufhalter“ lehnte Schmitt gegenüber Sander und Julien Freund ab; vgl. Carl Schmitt/Hans-Dietrich Sander, WerkstattDiscorsi. Briefwechsel 1967–1981. Hrsg. von Erik Lehnert und Günter Maschke, Schnellroda 2008, S. 65 mit Anm. 15: „… le mot ,Katechon‘ ne signifie pas retarder; c’est plutôt ,tenir à bas‘.“ Walter Warnach schrieb am 24.1.1980 an Herbert Nette zum Katéchon, Schmitt „geht es darum, wie ich in einem letzten Gespräch vergangenen Herbst erfahren konnte, das Christentum von jedem Verdacht des Eschatologismus freizuhalten und dementsprechend das mittelalterliche Reich und seinen Weltauftrag möglichst in der Schrift zu verankern“ (Nachlass Nette, Deutsches Literaturarchiv Marbach, HS 948460). Adso – (um 920–992), Benediktinerabt, Verfasser einer Schrift über den Antichrist: Adso < Devrensis >‚ De ortu et tempore Antichristi. In: Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 45, Turnhout 1976. Haimo von Halberstadt (Migne X. 117, col. 779) – Haimo v. H. (gest. 853), Bischof. Seine Exegese der Offenbarung des Johannes, auf die Schmitt sich hier bezieht (Patrologia Latina, ed. J. P. Migne), wird inzwischen dem Benediktinermönch Haimo von Auxerre zugeschrieben.

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20. 12. 47 Wahn, überall Wahn – Aus dem Wahnmonolog von Hans Sachs in R. Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Vgl. Carl Schmitt, Richard Wagner und eine neue „Lehre vom Wahn“. In: Bayreuther Blätter. Deutsche Zeitschrift im Geiste Richard Wagners 35, 1912, S. 239–241. Frau Winckelmann – Freda Winckelmann, Ehefrau von Johannes Winckelmann.

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21. 12. 47 Père dom Deschamps – Léger-Marie Deschamps (1716–1774), Benediktiner. Sein erst 1862 entdecktes Werk „Le Vrai Système ou le Mot de l’énigme métaphysique et morale“ machte ihn zu einem Vorläufer Hegels. Claude-Nicolas Ledoux – (1736–1806), frz. Architekt, Hauptvertreter der Revolutionsarchitektur. Laberthonnière – Lucien Laberthonnière (1860–1932), kath. Theologe; vgl. 6. 12. 1949. Erich Voegelin – Erich (Eric) Voegelin (1901–1985), Politologe und Philosoph. Schmitt bezieht sich bei der Äußerung von Graetz auf E. Voegelin, Rasse und Staat, Tübingen 1933 sowie bei der Erwähnung von Goethe auf E. Voegelin, Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, Berlin 1933 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 25790). Vgl. auch den Briefwechsel Schmitts mit Voegelin. In: Schmittiana NF II, 2014, S. 183–199. Schubert – Schubert, Gotthilf Heinrich von (1780–1860), Naturforscher u. -philosoph.

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22. 12. 47 Prometheus-Arbeit – Nicht nachweisbar, evtl. ein nicht verwirklichtes Projekt Nebels. So wird der Sinn, je mehr er sich selber sucht … – Schlußstrophe des Gedichts „Klage über der Schöpfung“ von Konrad Weiß; Weiß, S. 407 f. Gilles – Werner Gilles (1894–1961), mit Carl und Duška Schmitt befreundeter Maler, wohnte zeitweise im Hause Schmitts in der Kaiserswerther Str. 17 in Berlin. 23. 12. 47 Wehberg – Hans Wehberg (1885–1962), pazifistischer Völkerrechtler, Verfasser eines Kommentars zur Völkerbundsatzung (1921 u. ö.). Hegel – G. F. W. Hegel, Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften. In: Jenaer kritische Schriften (II). Neu hrsg. von Hans Brockard und Hartmut Buchner, Hamburg 1983, S. 90–178. Ders., Hamanns Schriften. In: Sämtliche Werke. Band XI: Berliner Schriften, Hamburg 1956, S. 221–294. Bilfinger – Carl Bilfinger (1887–1958), Jurist; 38 Briefe und acht Postkarten im Nachlass Schmitt (RW 265 Nr. 1346–1393, 18598). Mentimur regnare Iovem … – Dieses und folgende Zitate beziehen sich auf: Pharsalia, VII, 442 ff., wobei Schmitt für „Arabes Medique Eoaque“ „Germania“ einsetzte. Der Text lautet im Zusammenhang: Felices Arabes Medique Eoaque tellus, / Quam sub perpetuis tenuerunt fata tyrannis. / Ex populis qui regna ferunt sors ultima nostra est, / Quos servire pudet. Sunt nobis nulla profecto / Numina: cum caeco rapiantur saecula casu, / Mentimur regnare Jovem.“Glücklich sind Araber und Meder, glücklich der Orient, den das Schicksal ständig unter die Herrschaft von Tyrannen zwang! Von allen Völkern, die Tyrannei ertragen müssen, ist wahrlich unser Los das schlimmste, denn wir schämen uns, Sklaven zu sein. Nein, für uns gibt es keine Götter. Wir lügen, wenn wir behaupten, dass Jupiter regiert.“ Reditura numquam libertas? – Quod fugiens civile nefas redituraque numquam / Libertas ultra Tigrim Rhenumque recessit. „… dass die Freiheit, die vor den Schrecken des Bürgerkriegs floh, um nie mehr wiederzukehren, sich jenseits von Rhein und Tigris zurückzog.“ Ebd., Vers 432 f.

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24. 12. 47 Bella pares superis facient civilia divos – Mortalia nulli / Sunt curate deo. Cladis tamen huius habemus / Vindicatam, quantam terris dare numina fas est: / Bella pares superis facient civilia divos. „Nein, um das Los der Sterblichen kümmert sich kein Gott! Dennoch haben die Götter für dieses Unglück gebüßt, soweit sie das Sterblichen gegenüber tun können: Der Bürgerkrieg macht vergöttlichte Tote den Himmlischen gleich.“ Ebd., Vers 454 ff. 52

25. 12. 47 H. Bung – Hubertus Bung (1908–1981), Jurist, Schüler Schmitts. Verwechslungen mit meinem Tübinger Namensvetter – Carlo Schmid. Das erste Schreiben von Herbert Lemmel (s. oben zu S. 4) an Schmitt erreichte diesen 1948 auf einer russischen Postkarte und ist adressiert an „Herrn Prof. Carl Schmidt, Franz. Zone, Tübingen a. N. (Württemberg)“ (RW 265 Nr. 8725/1). Es wurde dem württembergischen Staatsrat und Professor Karl Schmid (der sich zu dieser Zeit noch nicht „Carlo“ nannte) in Tübingen zugestellt. Dieser leitete es mit einem Begleitschreiben unter dem Briefkopf „Staatsrat Prof. Dr. Karl Schmid“ nach Plettenberg weiter (RW 265 Nr. 8725/2). Der Text des Begleitschreibens lautet: „Sehr geehrter Herr Schmitt! / Ich nehme an, dass der Schreiber des in der Anlage beigefügten Briefes nicht mich, sondern Sie erreichen wollte und sende Ihnen darum seinen Brief. / Mit besten Wünschen / Ihr ergebener Schmid.“ Schmitt und Schmid kannten sich persönlich durch Treffen in der Akademie für deutsches Recht und im Krieg bei einer Frankreich-Reise Schmitts in Lille, wo Schmid als Kriegsgerichtsrat tätig war. (Brief Schmitts an Nette vom 29. 6. 1980, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass Nette, HS 948460). 27. 12. 47 Fische von Gilles, der Leviathan von Nay, der herrliche Diamant von Nay – Bilder von Gilles und Ernst Wilhelm Nay (1902–1968), die Schmitt besaß und besonders liebte. Vollständiger Brief in: BW GJ, S. 99–101. Jünger – Friedrich Georg Jünger, Griechische Götter. Apollon, Pan, Dionysos, Frankfurt a. M. 1943 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22251). Non intelligor ulli – In einem Brief aus der Verbannung am Schwarzen Meer beklagt sich Ovid: Barbarus hic ego sum, quia non intelligor ulli. „Hier bin ich der Barbar, weil ich von niemandem verstanden werde.“ Charles Péguy – (1873–1914), frz. Schriftsteller, Vertreter des Renouveau catholique. 28. 12. 47 der hochgebildete Schwyzer – Jacob Burckhardt; vgl. unten zu S. 105 und 272.

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29. 12. 47 wie jener Serenissimus – Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. rief den revoltierenden Berlinern 1848 entgegen: „Aber das dürfen sie nicht.“ 31. 12. 47 an Nette – Von dem Brief gibt es einen Entwurf vom 26. 12. 1947 im Nachlass Schmitt; RW 265 Nr. 29474.

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1. 1. 48 omine auctus – „Durch das Vorzeichen vergrößert“. J. K. – Josef Kohler (1849–1919), Prof. für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Schmitt, der 1907 als Erstsemester bei Kohler hörte, hat ihn Jahrzehnte später in seinen Aufzeichnungen „1907 Berlin“ charakterisiert; vgl. Schmittiana I, 1988, S. 15 f.

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2. 1. 48 You can’t go home again – Titel einer Novelle von Thomas Wolfe. 5. 1. 48 Samuel Butler Erewhon – Samuel Butler, Erewhon or over the range, London 1872 (u. ö.); dt.: Erewhon oder jenseits der Berge, Frankfurt a. M. 1994, S. 123 ff. 6. 1. 48 An R. Smend – Brief abgedruckt in: BW Smend, S. 121. 7. 1. 48 Antwort meines Jugendfreundes Kluxen – Dieser Brief fehlt unter den Briefen Kluxens im Nachlass Schmitt (RW 265 Nr. 7909–7928). Fritz Brust – (1884–?), vermutlich Kommilitone, wurde 1909 in Straßburg mit der Diss. „Die Ästhetik der Musik in neueren Kunsttheorien und das Problem ihrer Allgemeingültigkeit“ promoviert. kaì h™ jálassa ou¬k e¢stin e¢ti – „Und das Meer ist nicht mehr.“ Off 21,1 (Griechisches Neues Testament). Sors de l’enfance – Zitat aus: Jean Jacques Rousseau, La Nouvelle Héloise, 5 e Partie. Der 1. Brief beginnt: „Sors de l’enfance, ami, réveille-toi; ne livre point ta vie entière au long sommeil de la raison. L’âge s’écoule; il ne t’en reste plus que pour être sage.“ Schmitt zitiert das bereits 1922 im „Schatten Gottes“, vgl. Tb 1921–24, S. 416.

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8. 1. 48 W. Webers Gutachten – Werner Weber, Die Rechtslage des Johannishospitals in Leipzig (Rechtsgutachten), Leipzig 1948. Dissertation Joseph Kaisers – Joseph H. Kaiser, Die politische Klausel der Konkordate, Diss. jur. Tübingen 1947. 11. 1. 48 Saint-Séverin, le Saint du 8. janvier – Das Fest des heiligen Severin von Noricum ist nicht der 8., sondern der 19. Januar. Der 8. Januar war sein Todestag, und zwar im Jahre 482. Er lebte demnach auch nicht im Jahr 500. Severins politisches und geistliches Wirken im von Rom längst aufgegebenen Grenzraum der Donau erregte zu seiner Zeit erhebliches Aufsehen. Lavelle – Louis Lavelle (1883–1951), La présence totale, Paris 1934; dt.: Die Gegenwart und das Ganze. Entwurf einer Philosophie des Seins und der Teilhabe, Düsseldorf 1952.

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R. Capitant – René Capitant (1901–1970), frz. Jurist, Politologe und Politiker; Mitglied der Résistance, Minister in de Gaulles Exilregierung. Seit 1931 mit Schmitt in Berlin bekannt. petite dentelle de Vénise – Spitzenstickerei von der in der Lagune vor Venedig liegenden Insel Burano.

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12. 1. 48 Ich habe den Escaveçaden des Schicksals getrotzt … – Dieser und folgende Sätze sind eine Paraphrase von Schmitts „Gesang des Sechzigjärigen“ am Schluß von ECS. Vgl. auch: Gedichte, S. 5–7. Nam potenti et fido amico plus praesidii habet … – Recte: Nam potenti et fido amico niti plus praesidii habet …. „Denn in einem mächtigen und treuen Freund hat man größeren Schutz als in den meisten Künsten und Intrigen.“ Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum, in: The works of F. Bacon, ed. by James Spedding, Robert Leslie Ellis, Douglas Denon Heath, vol. II, London 1857, S. 463. 13. 1. 48 The servant glides … – Zitate aus „Erewhon“ (s. oben zu S. 57).

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15. 1. 48 illum opportet crescere, istum autem minui – „Jener muss wachsen, dieser aber abnehmen.“ Joh 3,30 nach dem Text der Vulgata, der allerdings lautet: illum opportet crescere, me autem minui. „… ich aber muss abnehmen.“ „reicht an die Gottheit an“ – Vgl. Mozart, Die Zauberflöte: „Mann und Weib und Weib und Mann / Reichen an die Gottheit an.“ „tierischer als ein Tier“ – Vgl. Goethe ‚Faust‘. In: Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), Bd. 3, München 1972, S. 17, Vers 285 f.: Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein, Nur tierischer als jedes Tier zu sein. 16. 1. 48 Werner Blischke – (1917–1984), Schüler Schmitts, Jurist, zuletzt als Ministerialdirigent in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Schmitt hatte Blischke mit dessen Ehefrau Anfang 1945 in sein Haus in Schlachtensee aufgenommen, nachdem er ausgebombt war. Alfred Döblin definiert die Utopie … – In: Alfred Döblin, Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur, Olten und Freiburg i. Br. 1989, S. 367. Caspary’s Buch – Das Buch ‚Die Maschinenutopie‘, das Schmitt besaß, erschien nicht 1930, sondern 1927.

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17. 1. 48 Glück der Mücke à la Rossini – Anspielung auf das populäre italienische Lied „Il valzer del moscerino“. perissón – Übermaß. períyhma – Abschaum. a¢topon – das Ortlose. metabolä, énántion – Siehe oben zu S. 29.

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ou¢te diakrínetai ou¢te sunkrínetai – Recte: … sugkrínetai; „es ist weder getrennt noch verbunden“, Platon, Parmenides, 157 a. 18. 1. 48 An H. P. Ipsen … – Schmitt bezieht sich hier wahrscheinlich auf: Hans Peter Ipsen, Deutsche Gerichtsbarkeit unter Besatzungshoheit (Einwirkungen der Besatzung auf den gerichtlichen Rechtsschutz gegen deutsche Hoheitsakte in der britischen Besatzungszone). In: Jahrbuch für internationales und ausländisches öffentliches Recht, 1948, S. 87–114. 19. 1. 48 qui mutant corda hominum et gentium – „Die die Herzen der Menschen und Völker bewegen“. Vgl. die Kondolenzkarte Schmitts an Jünger vom 31. Januar 1945. In: M.Tielke, Der stille Bürgerkrieg, Berlin 2007, S. 133 f., Abb. 5 und 6. Die Wendung scheint biblisch oder patristisch, kann jedoch nicht belegt werden; wahrscheinlich stammt sie von Schmitt. Video vestigia ineuntium, non exeuntium – Recte: video vestigia introeuntium, exeuntium autem vestigia non video. „Ich sehe viele Spuren hineingehen, aber keine herauskommen.“ So spricht der Fuchs vor der Höhle des Löwen in Äsops Fabel. Alfred Delp S. J. – (1907–1945), vgl. A. Delp, Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt a. M. 1985, S. 312. scelus infandum – „Ruchloses Verbrechen“. Den Begriff verwendet Schmitt in seinem Gutachten über den Angriffskrieg von 1945 zur Beschreibung der NS-Verbrechen. Vgl. Angriffskrieg, S. 16, sowie die Anm. des Hrsg. Quaritsch S. 86 ff. zur Herkunft des Begriffs. 22. 1. 48 Edmund A[loysius] Walsh – Der amerikanische Jesuit und Geowissenschaftler Walsh (1885–1956) war Mitarbeiter des amerikanischen Chefanklägers bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vernahm den Geowissenschaftler Karl Haushofer, für dessen Großraumtheorie er in Schmitt das juristische Pendant sah. In dem genannten Buch heißt es auf S. 12 f.: „Unglücklicherweise wurde der rein geographische Gehalt dieser falschen Geopolitik ergänzt durch die gleichgerichtete Rationalisierung auf dem Gebiet des Rechts und der Rechtswissenschaft […] Rechtmäßigkeit wurde zum geographischen Begriff und schlimmer noch, wir erlebten, wie das Zerrbild der Rechtswissenschaft durch Karl Schmitt von der Universität Berlin volkstümlich gemacht wurde.“ den armen Gurian – Waldemar Gurian (1902–1954), Politikwissenschaftler, hatte in den 20er Jahren in Bonn freundschaftlichen Umgang mit Schmitt, wurde ab 1933 in der Emigration zu seinem gefährlichen Feind. Ihm wird die wirkmächtig gewordene Prägung „Kronjurist des Dritten Reiches“ zugeschrieben. Tatsächlich hat schon Kurt Hiller in der „Weltbühne“ vom 4. 10. 1932 (S. 499) geschrieben: „Dieser sozialrevolutionäre Nationalist [sc. Karl O. Paetel] beruft sich auf den konservativ-katholischen Staatsrechtler Carl Schmitt, den Kronjuristen der Papendiktatur …“ (Zu Hiller vgl. auch unten zu S. 167.) Zu Gurian vgl. seinen Briefwechsel mit Schmitt in: Schmittiana NF I, 2011, S. 59–111; vgl. auch BW Mohler, S. 95; Ellen Thümmler, Katholischer Publizist und amerikanischer Politikwissenschaftler. Eine intellektuelle Biografie Waldemar Gurians, Baden-Baden 2011.

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23. 1. 48 Die Grenze hat etwas Magisches (sagt Kassner) – Rudolf Kassner, Sämtliche Werke, Bd. 9, Pfullingen 1990, S. 490. Hic jacet – „Hier liegt“, verkürzt aus der verbreiteten Grabstein-Inschrift „Hic iacet pulvis, cinis et nihil“, Hier liegt Staub, Asche und sonst nichts.

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30. 1. 48 Bemerkung von Christian Wolff – „Ob die Handlungen gut, oder böse sind, wird aus ihrem Erfolg beurtheilet: (§ 4). Weil man nun aber hierinnen gar leicht verstossen kann, wenn man nicht alle besondere Umstände, unter welchen eine Handlung vorgenommen wird, erweget, absonderlich wenn man sich auf die Erwartung ähnlicher Fälle zuviel verlässet (§ 331. Met.); so pfleget es gar öfters zu geschehen, daß der Ausgang für böse erkläret, was wir für gut gehalten, und hingegen für gut, was uns böse vorkam.“ Chr. Wolff, Vernünfftige Gedanken von der Menschen Thun und Lassen, Frankfurt/Leipzig 1736, S. 60 f. 31. 1. 48 zu Nebels Tyrannis und Freiheit – Gerhard Nebel, Tyrannis und Freiheit, Düsseldorf 1947. – Goethes Heldengedicht auf den alten Blücher – Goethe, Dem Fürsten Blücher von Wahlstadt die Seinen: „In Harren und Krieg, / In Sturz und Sieg / Bewußt und groß! / So riß er uns / Von Feinden los.“ Goethes Werke, Bd. 1 (Hamburger Ausgabe), S. 345.

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2. 2. 48 Cochin – Augustin Cochin (1876–1916), Historiker der Französischen Revolution, die er unter soziologischen Gesichtspunkten untersuchte. Schmitt besaß: A.Cochin, Les sociétés de pensée et la démocratie. Études d’histoire révolutionnaire, 6. éd., Paris 1921 (RW 579 Nr. 1158), auf das er bereits 1936 verwiesen hatte, vgl. PuB, S. 262. Bryce – James Bryce (1838–1922), britischer Jurist, Historiker und Politiker. Ostrogorski – Moissei Jakowlewitsch Ostrogorski (1854–1921), russischer Politikwissenschaftler und Parteienforscher. Roberto Michels – Robert(o) Michels (1876–1936), dt.-ital. Soziologe, bedeutender Theoretiker der politischen Parteien, den Schmitt möglicherweise durch Max Weber kennenlernte, erscheint im Tagebuch erstmals Anfang 1923; Tb 1921–24, S. 159. „ces êtres inhumains …“ – Vgl. A. Cochin, Les sociétés de pensée, Kap. 10: Le dilemme. 3. 2. 48 Ra – Rathenau. Villiers de l’Isle Adam – Auguste de Villiers de l’Isle-Adam (1838–1889), frz. Schriftsteller, Mitbegründer des französischen Symbolismus. Sein wissenschaftskritischer Roman L’Ève future hat Schmitt stark beindruckt; vgl. Tb 1921–24. Oberförster – Eine verschlagene und zugleich biedere Figur Ernst Jüngers, die 1934 aus Träumen „in einer stürmischen Harznacht“ entstand und dann in die zweite Fassung von „Das Abenteuerliche Herz“ und in die Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“ einging. Sie wurde mit unterschiedlichen historischen Personen (Hitler, Göring) identifiziert. Im März 1940 schrieb Schmitt an Jünger: „Am Ostermontag waren wir bei dem hiesigen jugoslawischen Gesandten, Andrić, eingeladen, der sich als ein bemerkenswerter Leser und Kenner

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Ihres Buches ,Auf den Mamorklippen‘ erwies, weit über die verbreiteten SchlüsselromanLeser hinaus (diese letzteren pflege ich damit zu épatieren, daß ich behaupte, der Oberförster sei der Fürst Bismarck).“ BW EJ, S. 88 f.; s. auch oben zu S. 15. Le Convive des dernières fêtes – Titel einer Erzählung von Villiers de l’Isle-Adam, Schmitt las sie erstmals am 12. 3. 1923; vgl. Tb. 1921–24, S. 169. „ein Helot, der knirschend schlang …“ – Aus dem Gedicht „Am 25. Sonntage nach Pfingsten“ von A. von Droste-Hülshoff. 7. 2. 48 Nordische Gesellschaft in der Böttchergasse – Die 1921 gegründete, nach 1933 nationalsozialistisch instrumentalisierte Nordische Gesellschaft hatte ihren Sitz in der Breiten Straße in Lübeck. Schmitt meint wohl den „Nordischen Thing“, der sich ab 1933 auf Initiative des Kaufmanns Ludwig Roselius in der Bremer Böttcherstraße versammelte. Gobineau – Arthur de G. (1816–882), frz. Schriftsteller, Diplomat und Rassentheoretiker. Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Arthur de Gobineau, Essai sur l’inégalité des races humaines, T. 1–2, Paris 1884. (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 27029).

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8. 2. 48 Martin Beheim-Schwarzbach – Gemeint ist wahrscheinlich dessen 1946 publizierte Erzählung „Vom leibhaftigen Schmerz“. 9. 2. 48 Diskussion mit Sartre – Sartre kam anlässlich der Aufführung seines Stückes „Die Fliegen“ nach Berlin. Am 1. 2. 1948 kam es im Hebbel-Theater zu einer vielbeachteten sehr kontroversen Diskussion, an der auch Vertreter aus der Sowjetunion teilnahmen, und in der Sartre eine Ethik der unbegrenzten Freiheit und Verantwortlichkeit vertrat. Aufführung und Diskussion gelten als der Beginn der Sartre-Rezeption in Deutschland. Eine Mitschrift der Diskussion wurde veröffentlicht in: Verger. Revue du spectacle et des lettres pour la Zone Française d’Occupation 1, Nr. 5, 1948, S. 109–123. Vgl. auch: Der Spiegel vom 7. 2. 1948. Steiniger – Peter Alfons Steiniger (1904–1980); Prof. für Völkerrecht an der HU in Ostberlin (1947 von Hans Peters habilitiert) war einer der Teilnehmer der Diskussion mit Sartre. Er hatte in Bonn bei Carl Schmitt studiert und war bereits zu dieser Zeit kommunistisch engagiert, u. a. als Autor der „Weltbühne“. Seine von Albert Hensel betreute Dissertation („Die Fragen der Provinzialreform in Preußen“; Exemplar im Nachlass Schmitt, RWN 0260 Nr. 215) wurde 1926 vom Zweitgutachter Erich Kaufmann vermutlich aus politischen Gründen abgelehnt, woraufhin Schmitt um ein Votum gebeten wurde. Auch er lehnte die Arbeit ab, bescheinigte Steiniger aber große Begabung und Scharfsinn und regte eine Umarbeitung an. Steiniger legte 1928 eine neue Dissertation vor, die von Hensel und Schmitt übereinstimmend mit „rite“ bewertet wurde. Von Steiniger gibt es im Nachlass Schmitt „Anmerkungen zum Thema: Demokratie u. Parlamentarismus“ (handschr., 4 S.) aus dem Jahr 1926, die von Schmitts Parlamentarismusschrift inspiriert sind (RW 265 Nr. 20041). Ab 1928 war Steiniger an der Handelshochschule Berlin und hatte auch privat Kontakt zu Schmitt. In der NS-Zeit war er als Jude, der in Deutschland blieb, gefährdet. Er publizierte unter dem Pseudonym Peter A. Steinhoff Romane (von denen einer den Titel trägt „Der Schatten Gottes“). In der frühen DDR war Steiniger der führende Völkerrecht-

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ler. Vgl. Kristin Kleibert, Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin im Umbruch. Die Jahre 1948 bis 1951, Berlin 2010; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4, München 2012, S. 107 f. und passim; libertas libertate perit – Das lautet vollständig: Libertas inquit populi quem regna coercent, Libertate perit, „Wenn die Freiheit des Volkes von einem Tyrannen unterjocht wird, geht sie an sich selbst zugrunde.“ Pharsalia, III, 145 f. Ilja Ehrenburg – (1891–1967), russ. Schriftsteller und Journalist, bekannt durch seine Propagandartikel gegen Deutschland.

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10. 2. 48 Pauca tamen suberunt priscae vestigia fraudis – „Wenige Spuren der alten Schuld werden aber noch bleiben.“ Vergil, 4. Ekloge. Erunt etiam altera bella –„Es werden auch neue Kriege sein.“ (ebd.). plena securitas in hac vita non expectanda – „Völlige Sicherheit ist in diesem Leben nicht ––––– zu erwarten.“ Geht auf Augustinus zurück; „Pax et securitas“ war im Übrigen die Parole des Antichrist; vgl. 1 Thess 5,3. „Und so kämpfen wir gegen die Feinde …“ – Aus den Herrnhuter Losungen, die Carl Schmitt jährlich von Margarete Oberheid erhielt und regelmäßig las; s. die erhaltenen Exemplare im Nachlass, RW 265 Nr. 20966 und 20967. „More’s gay genius“ – Zitat aus dem Gedicht „Apology“ von William Wordsworth. In: W. Wordsworth, Poetical works, ed. by Henry Reed, Philadelphia usw. 1837, S. 301: Lightly for both the bosom’s lord did sit Upon his throne; unsoftened, undismayed By aught that mingled with the tragic scene Of pity or fear; and More’s gay genius played With the inoffensive sword of native wit, Than the bare axe more luminous and keen. das Un-Buch Christoph Stedings – C. Steding, Das Reich und die Krankheit der europäischen Kultur, Hamburg 1939. Vgl. Schmitts Besprechung in: PuB, S. 309–334. Steding (1903–1938), an Max Weber orientierter Historiker, nahm eine gewisse Ausnahmestellung in der NS-Wissenschaft ein; s. Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland, Stuttgart 1966. meines Vortrags in Barcelona vom Oktober 1929 – C. Schmitt, Die europäischer Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung. In: Europäische Revue 5, 1929, S. 517–530. In überarbeiteter Form wiederveröffentlicht unter dem Titel „Das Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“. In: BdP, S. 66–81. „Das ist das Gefühl des Unabänderlichen …“ – Vgl. Tb 1912–15, S. 169. „Sie können sich das leisten“ – Ebd., S. 106. Der „Geheimrat“ ist Hugo am Zehnhoff. 11. 2. 48 Pepysse – Samuel Pepys (1633–1703), Verfasser eines umfangreichen Tagebuchs, das als frühes Dokument eines narzistischen Subjektivismus gilt.

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12. 2. 48 „Die Versuchung des Franciscus Vitoria“ – Alfred Verdross-Drossberg, Die internationale

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Anerkennung der Menschenrechte – Die Versuchung des Franciscus Vitoria. In: Wort und Tat 1, Nr. 3, Oktober 1946, S. 7 ff. 13. 2. 48 das Accidens meiner eigenen Gegenwart … – Siehe unten zu S. 260. xífoß e¬n múrtou kladí –„Das Schwert im Myrtenzweige“. Aus einem Epigramm des griechischen Dichters Simonides (557/556 v. Chr. – 468/467 v. Chr.). Vgl. Annette Rink, Das Schwert im Myrtenzweige. Antikenrezeption bei Carl Schmitt, Wien/Leipzig 2000, S. 24, Anm. 49. Gustav Würtenberg – G. Würtenberg, Nero oder die Macht der Dämonen, Düsseldorf 1948. das Buch von L. Klages über Alfred Schuler – Ludwig Klages (1872–1956), Lebensphilosoph, Ausdruckspsychologe, Graphologe. Schmitt meint folgendes Buch: A. Schuler, Fragmente und Vorträge aus dem Nachlaß. Mit Einf. von Ludwig Klages, Leipzig 1940. Wie sehr dieses Buch Schmitt bei Erscheinen erregte, beschreibt Nicolaus Sombart, Spaziergänge mit Carl Schmitt. In: ders., Jugend in Berlin 1933–1943. Ein Bericht, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 249–276; hier S. 271 ff.; s. auch BW EJ, S. 130 und 140. Lothar Kreuz – (1888–1969), Mediziner, letzter Rektor der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität (1942–1945) und 1946 Camp-Genosse Schmitts, mit dem er im Camp Däubler las; vgl. Mehring, S. 444. Sechs Briefe aus der Zeit 1948 bis 1956 im Nachlass. „Der Wasserunhold stirbt und Pan hört auf zu schmunzeln“ – Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922, S. 346. Schrieb an Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 216. „Dans la salle d’attente“ war ein neunseitiger Privatdruck, ein Auszug aus Jüngers Pariser Tagebuch in französischer Übersetzung. La Salette – Frz. Gemeinde im Département Isère, wo es 1846 eine Marienerscheinung gegeben haben soll, was für Léon Bloy bedeutsam war; vgl. L. Bloy, Celle qui pleure. Notre Dame de La Salette, Paris 1908 (u. ö.). 14. 2. 48 „Ich bestimme mich …“ – Emmanuel Mounier, Existenzphilosophie und Aktivismus. In: Merkur 1, 1947, S. 687. Ein Buribunke – Vgl. Carl Schmitt, Die Buribunken. Ein geschichtsphilosophischer Versuch. In: Summa, 1918, Bd. 4, S. 89–106; wieder abgedr. in: Tb 1915, S. 453–471. Namensvetter Carl Schmidt 1845 – Gemeint ist der Junghegelianer Karl Schmidt; vgl. Karl Schmidt, Das Verstandesthum und das Individuum, Leipzig 1846. Ankläger de Menthon – François de Menthon (1900–1984), frz. Hauptankläger beim Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg. 15. 2. 48 Carl Brinkmann fand es … – Brinkmann arbeitete an einer Bibliographie wichtiger Werke zur philosophischen Soziologie, die er „ohne Rücksicht auf politische Machtwechsel“ und „in Grenzfällen nicht ohne Einvernehmen mit den Autoren“ erstellen wollte (Brief an Schmitt vom 30. 1. 1948, RW 265 Nr. 2037). Brinkmann, der Schmitt in seinen Briefen in den zwanziger Jahren mit „Lieber verehrter Freund“ anredete, schrieb später „Lieber verehrter Herr“. Am 18. 2. 1948 wechselt er wieder zu „Lieber verehrter Freund“ und fährt

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fort: „Darf ich um die Erlaubnis bitten, Sie so zu nennen? Den Namen hatte ich, glaube ich, nicht mehr benutzt, seit ich damals so entsetzt war, Sie in der Gesellschaft von Kreaturen wie Freisler zu sehen.“ (RW 265 Nr. 2057). in einer Gesellschaft von Verbrechern wie Freisler – Roland Freisler, der spätere Vorsitzende des Volksgerichtshofes, wurde wie Schmitt 1933 Preußischer Staatsrat. die Sätze meiner Notiz über Tocqueville … – Gemeint ist ECS, S. 25–33; Schmitt schrieb diesen Text im Camp nieder. E. R. Curtius – Ernst Robert C. (1886–1956), Romanist, mit Schmitt mindestens seit 1914 bekannt und auch befreundet. Curtius promovierte 1922 Schmitts Geliebte Kathleen Murray, s. TB 1921–1924. Später kam es zum Bruch, da Curtius fälschlicherweise in Schmitt den Urheber eine Intrige gegen ihn sah. Vgl. Tb 1912–15, S. 212; s. auch Rolf Nagel (Hrsg.), Briefe von Ernst Robert Curtius an Carl Schmitt 1921–22. In: Archiv für das Studium der Neueren Sprachen und Literaturen 133, 1981, S. 1–15. 75

16. 2. 48 „er“ – A. Hitler. oboedientia fecit hinc imperantem – „Der Gehorsam macht hier den Herrscher aus.“, Spinoza zugeschrieben. 17. 2. 48 Peterheinrich Kirchhoff – (1886–1973), mit Schmitt befreundeter Unternehmer und Politiker (MdB) aus Plettenberg. Josef Wagner – (1899–1945) war wie Schmitt Preußischer Staatsrat, Gauleiter für Westfalen und Schlesien, geriet aber wegen seines Katholizismus in Konflikt mit dem Regime, wurde 1941 aller Ämter enthoben und nach dem 20. Juli verhaftet. Kurz vor Kriegsende ist er unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. 18. 2. 48 Wortsophismen des armen Karl Max – „Karl“ nachträglich eingefügt; offensichtlich eine Zusammenziehung von Karl Schmidt (s. oben zu S. 74) und Max Stirner.

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19. 2. 48 Ed. Zeller – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Eduard Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, 2. Aufl., München 1873. G. Nebel – Schmitt besaß folgende Ausgabe: Gerhard Nebel, Von den Elementen. Essays, Wuppertal 1947 (RW 265 Nr. 22280). Ihren Aufsatz – H. Schelsky, Der Pfahlbau. Kann die deutsche Demokratie funktionieren? – Wir fragen einen amerikanischen Soziologen [= J. Schumpeter]. In: Volk und Zeit 2, 1947, S. 337–342. nach langer Zeit dem Geist Joseph Schumpeters wieder zu begegnen – Mit dem österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter (1883–1950) stand Schmitt in Verbindung, als sie Kollegen an der Universität Bonn waren. Von Schumpeter befinden sich zwei Brief und eine Postkarte aus den Jahren 1926–27 im Nachlass Schmitts (RW 265 Nr. 14793–14795). Sauermann – Wahrscheinlich Heinz Sauermann (1905–1981), Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler.

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20. 2. 48 Ernst Lewalter – E. Lewalter, Francis Bacon. Ein Leben zwischen Tat und Gedanke, Berlin 1939. 21. 2. 48 Ernst Trendelenburg – (1882–1945), Jurist und Politiker, Reichswirtschaftsminister von 1930–1932; vgl. Zeitschrift für Politik 25, 1935, S. 297; VA, S. 7. G. Ferrero – Guglielmo Ferrero (1871–1942), ital. liberaler Historiker, Soziologe und Schriftsteller. Schmitt bezieht sich auf folgendes Zitat: „… ein jeder ist hier Optimist und würde sich schämen, von der Zukunft nichts Gutes mehr zu erhoffen. Der amerikanische Optimismus! Er ist ein wundervolles Morgenrot; dieser amerikanische Optimismus, in der grauen Geschichte der Welt. Und da wagt Europa noch manchmal, diesen Optimismus wie eine Kinderei zu verlachen.“ G. Ferrero, Zwischen zwei Welten. Ein Erlebnisroman, Bd. 1, Berlin/Wien/Leipzig [1925], S. 150. Ruchloser Optimismus – „Uebrigens kann ich hier die Erklärung nicht zurückhalten, daß mir der Optimismus, wo er nicht etwa das gedankenlose Reden Solcher ist, unter deren ––––––––––– platten Stirnen nichts als Worte herbergen, nicht bloß als eine absurde, sondern auch als eine wahrhaft ruchlose Denkungsart erscheint, als ein bitterer Hohn über die namenlosen –––––––– Leiden der Menschheit.“ Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung. In: ders., Werke in zehn Bänden (Züricher Ausgabe), Bd. 2, I/2, Zürich 1977, S. 407 f.

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22. 2. 48 supplet naturam – „Er ersetzt die Natur.“ Formel aus dem römischen Recht wie auch der scholastischen Theologie. Le Corps Politique – Thomas Hobbes, Le Corps Politiqve Ov Les Elements de la Loy Morale & Civile. Avec Des Reflections Sur la Loy de Nature, sur les Serments …, A Leide, Chés Jean & Daniel Elsevier, 1653. Günther Krauss – (1911–1989), Schüler Schmitts, wurde 1935 von ihm promoviert. Oraison funèbre – Leichenpredigt Bossuets auf Louis II de Bourbon-Condé: Jacques Bénigne Bossuet, Oraison Funebre De Tres-Haut Et Tres-Puissant Prince Louis De Bourbon Prince De Condé, Premier Prince Du Sang. Prononcée dans l’Eglise de Nostre-Dame de Paris le 10. jour de Mars 1687, Paris 1687. Budde-Stil – Eugen Budde (1901–1984), Jurist, Diplomat, Verfasser zahlreicher Denkschriften. 1947 veröffentlichte er: „Gibt es noch eine deutsche Außenpolitik? Betrachtungen zur Politik und Diplomatie eines geschlagenen Staates.“ Vgl. Der Spiegel, 1949, Heft 7.

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23. 2. 48 Below – Georg von Below (1858–1927), Verfassungs- und Wirtschaftshistoriker, diskutierte mit Max Weber intensiv über Methodenfragen. Dissertation von Günther Krauss in Berlin 1934 – Die an der Berliner Universität von C. Schmitt und dem Protestanten Smend betreute Dissertation des Katholiken Krauss datiert nicht von 1934, sondern 1935: Günther Krauss, Der Rechtsbegriff des Rechts. Eine Untersuchung des positivist. Rechtsbegriffs im bes. Hinblick auf d. rechtswiss. Denken Rudolph Sohms, Hamburg 1935 (Mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 28435; vgl. auch RW 265 Nr. 21240 und 21495).

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Sowohl Smend wie Brinkmann schrieben mir verzeihend-taktlos – Vgl. BW Smend, S. 117 ff.; zu Brinkmann vgl. oben zu S. 74. für den alten, d. h. jungen Theodor Haecker – Schmitt schätzte den Polemiker Haecker aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, nicht dagegen den späteren Haecker; vgl. den Eintrag vom 2. 7. 1948.

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24. 2. 48 An Frau Jünger – Vgl. BW GJ, S. 104 f. OdF-Karte – Opfer des Faschismus. Das Berliner Komitee dieses Namens gab Karten zur privilegierten Versorgung aus. Dr. Epstein – Kurt Epstein hatte als Jude unter der NS-Verfolgung gelitten und leitete als Regierungsdirektor die Abteilung für Wiedergutmachung des Ministeriums für politische Befreiung in Hessen. Er war Präsident des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Hessen. Niekisch Briefe – Ernst Niekisch (1889–1967), nationalrevolutionärer politischer Schriftsteller, der zunächst mit Schmitt sympathisierte. 1933 hatte Niekisch Schmitts „Begriff des Politischen“ rezensiert in: Widerstand 8, 1933, S. 369–375. Im Zusammenhang damit schrieb er ihm am 25. 9. 1933: „Viel Kopfzerbrechen macht mir Ihre Schrift ,Vom Begriff des Politischen‘. Sie wissen, wie hoch ich von ihr denke. Wenn ich sie kurz besprechen würde, dann würde ich sie ausschließlich rühmen, ohne die Problematik anzudeuten, die ich in ihrem Hintergrunde sehe. Mir sind nämlich Gedanken gekommen, über die ich mich vorher noch mit Ihnen unterhalten möchte. Es handelt sich um eine gewisse Polarität ,Feind – Gegner‘. Liegt hier nicht ein Gegensatz zwischen mittelmeerländischer und nordischer Auffassung?“ (RW 265 Nr. 10393). Nach 1945 kritisierte Niekisch Schmitt wegen seiner Entscheidung für den Nationalsozialismus in mehreren Publikationen heftig. Daß er dabei auch mit Unterstellungen operierte, belastete das Verhältnis Schmitts zu Ernst und Gretha Jünger, die nach wie vor freundschaftlich mit Niekisch verbunden waren (vgl. unten, S. 377: „Vergiß das nicht über deiner Freundschaft mit Ernst Jünger“). Zum Verhältnis Schmitts zu Niekisch vgl. neben BW EJ (passim) auch BW Mohler, S. 164 ff., 254 ff. 26. 2. 48 Causa victrix diis placuit, sed victa Catoni – „Die siegreiche Sache gefiel den Göttern, aber die besiegte dem Cato.“ Pharsalia, I, 128. Der jüngere Cato (95–46 v. Chr.) war wegen seiner Korrektheit und Rechtlichkeit berühmt. Nach dem Sieg Cäsars im Bürgerkrieg beging er Selbstmord. Vitorias 7 Rechtstitel – Francisco de Vitoria, Relecciones teológicas. Edición crítica, con facsimil de códices y ediciones príncipes, variantes, versión castellana, notas e introducción. Hrsg. von Luis G. Alonso Getino, Tomo 1–3, Madrid 1933–1935 (Mit dieser Ausgabe arbeitete Schmitt, RW 265 Nr. 25201). Zu Schmitts Auseinandersetzung mit Vitoria vgl. Nomos, S. 69 ff. 27. 2. 48 Silete Theologi – „Schweigt, Ihr Theologen!“ Von Schmitt häufig zitierter Satz des frühneuzeitlichen Juristen Albericus Gentilis. Vollständig lautet er: Silete Theologi in munere alieno. „Schweigt, Ihr Theologen, in Dingen, von denen ihr nichts versteht.“ „Die Abset-

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zung der Juristen von einem theologisch behandelten Völkerrecht hat hier ihre erste, deutliche Form gefunden.“ Nomos, S. 96 und 131. die Disputation zwischen Las Casas und Sepúlveda – Der Dominikaner Bartolomé de Las Casas und der Weltpriester und Humanist Juan Ginés de Sepúlveda diskutierten 1550 in Valladolid über die Rechtmäßigkeit der Conquista und der Versklavung der Indianer Südamerikas. James Brown Scott – (1866–1943), amerikanischer Völkerrechtler. Zur Auseinandersetzung Schmitts mit ihm vgl. Angriffskrieg. Jackson – Robert H. Jackson (1892–1954), Hauptanklagevertreter bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.

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28. 2. 48 die Polarität Savigny-Hegel – 1958 meinte Schmitt, dass es eines der großen Versäumnisse seines Lebens sei, eine Arbeit über das Verhältnis Savignys zu Hegel nicht vorgelegt zu haben. VA, S. 428. 2. 3. 48 Vorgänge in Prag – Der tschechoslowakische Ministerpräsident Edvard Beneš wurde 1948 gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Das Land wurde unter dem Druck der Sowjetunion kommunistisch. In einem Brief an Michael Freund vom 1. 11. 1950 wies Schmitt nachdrücklich darauf hin, dass diese Vorgänge mit denen vom Frühjat 1933 in Deutschland vergleichbar sind, und dass er in „Legalität und Legitimität“ ihre Modellsituation für die moderne Demokratie „in aller Klarheit heraus“ gearbeitet habe. RW 265 Nr. 13002. Benesch – Edvard Beneš (1884–1948), tschechoslowakischer Staatspräsident, 1940–1945 im Exil. die Rolle Háchas – Emil Hácha (1872–1945), tschechoslowakischer Staatspräsident. Nach der Unabhängigkeitserklärung der Slowakei wurde er am 14. März 1939 zu Verhandlungen mit Hitler nach Berlin bestellt und von diesem und Göring u.a. unter Androhung der Bombardierung tschechischer Städte so massiv unter Druck gesetzt („háchaisiert“, wie Hitler eine solche Behandlung später nannte), dass er nach einem Schwächeanfall am frühen Morgen des 15. März der Besetzung seines Landes durch deutsche Truppen zustimmte. Er stand dann, gesundheitlich schwer angeschlagen, als Marionette dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren vor. Starb unter ungeklärten Umständen. Gueydan – William [Guillermo] Gueydan de Roussel (1908–1996), schweiz. Jurist und Germanist, seit 1933 mit Schmitt befreundet. Um der Verfolgung wegen seiner Kollaboration in Paris während des Krieges zu entgehen, ging er 1948 nach Argentinien. Vgl. Schmittiana III, 1991, S. 52–62. 5. 3. 48 der Ausspruch des Grafen Yorck (an Dilthey) – Vgl. Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck von Wartenburg 1877–1897, Halle a. d. Saale 1923 (Nachdruck 1995). Der Ausspruch bezieht sich auf den 122. Brief von Graf Yorck an Dilthey vom 21. 10. 1895. Bei Heidegger zitiert: M. Heidegger, Sein und Zeit, 8. unveränd. Aufl., Tübingen 1957, S. 400.

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Heiligsprechung Roberto Bellarmins – Vgl. Eintrag vom 17. 9. 1947. Aufsätze von Pérez Bueno – P. Bueno (1877–1934), Jurist. Das Zitat in: Madrid científico, julio 1923, S. 216.

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7. 3. 48 O mors, ero mors tua; morsus tuus ero, inferne – Vulgata, Hos 13,14. Luther: „Tod, ich will dir ein Gift sein; Totenreich, ich will dir eine Pest sein.“ innocens Deus occisus – „Unschuldig wurde Gott getötet.“ 9. 3. 48 Vialatoux – Joseph Vialatoux (1880–1970), frz. Philosoph, Hobbes-Forscher. Schmitt bezieht sich auf: J. Vialatoux, La Cité de Hobbes. Théorie de l’état totalitaire. Essai sur la conception naturaliste de la civilisation, Paris 1935 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23082). 10. 3. 48 De nobis ipsis silemus, jurisconsulti – „Von uns selbst wollen wir Juristen schweigen“, Abwandlung des auf S. 79 zitierten Mottos von A. Gentilis; vgl. auch das Motto auf dem Umschlag des 2. Buches des „Glossarium“.

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12. 3. 48 von Max Weber mit einigen inadäquat rohen Begriffen – Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausg. Hrsg von Johannes Winckelmann, Köln/Berlin 1964, 1. Halbbd., S. 397 ff.

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13. 3. 48 Das Ende des Sohnes Masaryks – Jan Masaryk (1886–1948), tschechoslowakischer Außenminister, wurde unter dem Fenster seines Dienstsitzes tot aufgefunden, offiziell Selbstmord, nach heutigen Erkenntnissen vom kommunistischen Geheimdienst ermordet. Sein Vater Tomáš Garrigue Masaryk (1850–1937), war Mitbegründer und erster Staatspräsident der Tschechoslowakei. wie die Eltern von Joseph de Maistre im Jahre 1772 – Das bezieht sich nicht auf 1772, sondern auf 1763. Der endgültigen Auflösung des Jesuitenordens 1773 gingen eine Reihe von repressiven Maßnahmen voraus, darunter die Entscheidung des französischen Parlaments 1763, die Jesuitenschulen zu schließen und die Patres zu zwingen, sich von ihren religösen Gelübden loszusagen. Darauf bezieht sich eine Anekdote, wonach die Mutter de Maistres ihrem übermütig spielenden neunjährigen Kind in ernstem Ton gesagt habe: „Joseph, ne soyez pas si gai; il est arrivé un grand malheur!“ De Maistre soll sich bis an sein Lebensende an diese Worte erinnert haben. Vgl. Robert Triomphe, Joseph de Maistre. Études sur la vie et sur la doctrine d’un matérialiste mystique, Genève 1968, S. 71. 14. 3. 48 Die Diskussion Grewe-Küster – Wilhelm Grewe/Otto Küster, Nürnberg als Rechtsfrage. Eine Diskussion / Stuttgarter Privatstudiengesellschaft. Referent: Wilhelm Grewe. Korreferent: Otto Küster, Stuttgart 1947. W. Grewe (1911–2000), Völkerrechtler und Diplomat,

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Schüler von Forsthoff, war seit 1931 mit Schmitt bekannt; 7 Briefe, 1 Telegramm im Nachlass Schmitt. mein Gutachten vom Sommer 1945 – Angriffskrieg. 15. 3. 48 Tu quoque – „Du auch“. Zurückweisung einer Anklage durch Hinweis auf gleiches Verhalten des Anklägers. Das Argument spielte eine gewisse Rolle bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen. 16. 3. 48 Max Webers Diagnose und Prognose – Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Studienausg. Hrsg von Johannes Winckelmann, Köln/Berlin 1964, 1. Halbbd. S. 656. (Im ersten Satz etwas ausgelassen.) In der Ausg. von Winckelmann ist der Wortlaut des folgenden Zitats abweichend! Friedrich Engels in der nachgelassenen Schrift – F. Engels, Die Rolle der Gewalt in der Geschichte. In: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin 1979, S. 434. Das ist mein geliebtes Bruno-Bauer-Zitat – Vgl. unten zu S. 236. Veronica – Veronica Runte-Schranz (1924–2007), Tochter des mit Carl Schmitt befreundeten Arztes Dr. Franz Schranz in Siedlinghausen.

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18. 3. 48 veritas in verbo (dicto) non in re – Recte: veritas enim in dicto, non in re consistit, „Die Wahrheit liegt in der Sprache, nicht in den Dingen“. Thomas Hobbes, De corpore, Cap. III,7. In: ders., Opera latina I, London 1839, S. 31. 21. 3. 48 Schuß Rudenkos auf Göring – In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wollte der sowjetische Hauptankläger Roman Andrejewitsch Rudenko (1907–1981) die Morde an den polnischen Offizieren in Katyn als ein deutsches Verbrechen bestraft sehen. Bei der Anhörung in dieser Sache hat Göring die Sowjetunion als Urheber beschuldigt. Daraufhin soll Rudenko einen Wutanfall bekommen und zwei Pistolenschüsse auf Göring abgegeben haben. Die Geschichte wird von den Historikern nicht bestätigt. Vgl. Joe J. Heydecker/ Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozeß, Köln 2003, S. 450. 22. 3. 48 der große Cisneros – Francisco Jiménez de Cisneros (1436–1517), span. Kardinal, Förderer humanistischer Bildung. Nam a civilibus et forensibus studiis … – „Denn seine Natur war durch staatsrechtliche und gerichtliche Studien so sehr abgeschreckt worden, dass er, wie viele glaubhaft versicherten gehört zu haben, was immer er von jener Disziplin zu sich nahm, sogleich wieder erbrach.“ Die Passage findet sich wörtlich in: Nomos, S. 79, Fußnote. Dort auch der Hinweis auf den folgenden Titel. Marcel Bataillon – M. Bataillon, Érasme et l’Espagne. Recherches sur l’histoire spirituelle du 16 e siècle, Paris 1937. Wiederabdr. Genf 1998, hier S. 14. 25. 3. 48 Ich bin jetzt mehr als Thomas Masaryk – Vgl. oben, S. 85.

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27. 3. 48 Fand eine Notiz vom 14. 12. 1913 – Vgl. Tb 1912–15, S. 127, Anm. 46. Gregor. Thaumat. – Gregorios Thaumaturgos (um 210–270), griech.-kleinasiat. Theologe und Bischof. nicht dogmatikøß, sondern a¬gnwistikøß – „nicht in Kenntnis der Lehre, sondern ahnungslos“. gumnastikøß – „gymnastisch“. 30. 3. 48 Hermann Kasack, Wilhelm Ahlmann – Der blinde Bankier und Jurist Wilhelm Ahlmann (1895–1944) gehörte zum Widerstand gegen Hitler und verübte am 7. September 1944 Selbstmord, um seiner Verhaftung zuvorzukommen. Schmitt, der mit ihm befreundet war, widmete ihm 1950 „Ex Captivitate Salus“ und beteiligte sich 1951 auch an der Gedenkschrift für Ahlmann. In Hermann Kasacks Roman „Die Stadt hinter dem Strom“ (1947) erscheint Ahlmann als „Lübecker Kaufmann Dr. Hahn“. Unter diesem Titel schrieb auch Kasack in der Gedenkschrift einen Beitrag. Vgl. Tymbos für Wilhelm Ahlmann, Berlin 1951, S. 127–134 (Kasack), S. 244–251 (Schmitt). (Exemplar mit Anm., Einlagen u. eingekl. Zeitungsausschnitten im Nachlass, RW 265 Nr. 28355). Pascual Jordan – (1902–1980), theoretischer Physiker; 3 Briefe im Nachlass Schmitt. 89

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2. 4. 48 dóß moi poû stå – Dóß moi poû stø kaì tæn gñn kinäsw. „Gib mir einen festen Punkt [außerhalb der Erde], und ich werde die Erde bewegen.“ Archimedes zugeschriebener Satz, mit dem er sein Hebelgesetz illustrierte. Stare decisis – „Bei [früheren] Entscheidungen bleiben“, Begriff aus dem angloamerikanischen Fallrecht. Heinrich Weinstock – (1889–1960), Philosoph und Pädagoge. mein Vortrag vom Februar 1941 – „Staatliche Souveränität und freies Meer“. Zuletzt mit ausführlichem Kommentar von G. Maschke veröffentlicht in: SGN, S. 401–430. Einleitung zu Thukydides – Schmitt besaß folgende Ausgabe: Thukydides, Der große Krieg. Übersetzt und eingeleitet von Heinrich Weinstock (Kröner Taschenausgabe, 150), Stuttgart 1938. 3. 4. 48 „in Nichts vernichtet“ – „Wehrlos, doch in nichts vernichtet“. Aus dem „1933“ überschriebenen Eingangsgedicht zu „Der christliche Epimetheus“ von Konrad Weiß (Berlin 1933). Dominus litis – „Herr des Verfahrens“, juristischer Terminus. A Nation can only be condemned out of her own mouth – Bezieht sich auf die englische Dokumentation deutscher Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg: H. W. Wilson, Convicted out of her own mouth. The record of german crimes, London 1917 (dt.: Durch das Zeugnis des eigenen Mundes überführt, o. O. u. J. [um 1918]). Schmitt dürfte das Buch während seiner Tätigkeit im Bayerischen Militärkommando sozusagen berufsmäßig zur Kenntnis genommen haben. 5. 4. 48 pèlerin de l’Absolu – „Le Pèlerin de l’Absolu“, Titel eines Tagebuchbandes von Léon Bloy.

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6. 4. 48 CIC – Civil Internment Camp, alliierte Lager für potenzielle Kriegsverbrecher ab 1945. 7. 4. 48 Günther Krauss Tagebuch Captivitas – Unveröffentlicht. „Hic jacet“ is the finishing part of his [recte: their] history – Daniel Defoe, The Instability of Human Glory. Die Asche will nicht lassen ab, sie stäubt in allen Landen – Nachdem Johannes Hus als Ketzer 1415 in Konstanz verbrannt und seine Asche in den Rhein geworfen wurde, entstand bei seinen Anhängern das Lied, das folgendermaßen beginnt:

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Die Asche will nicht lassen ab, Sie stäubt in allen Landen; Hier hilft kein Bach und Grub’ und Grab; Sie macht den Feind zu schanden! Schmitt zitiert in einem Brief an Jünger dieses Lied im Zusammenhang einer Totenfeier in Rom, bei der die Asche in den Tiber geworfen wurde. Vgl. BW EJ, S. 394 f. 8. 4. 48 meine períyhma-Existenz – Vgl. oben zu S. 23. meine Schrift von 1932 – LuL. 9. 4. 48 Arnold Toynbee (Int. Affairs, Nov. 47) – A. Toynbee (1889–1975), brit. Kulturtheoretiker. Schmitt meint seine Veröffentlichung in: The International Outlook, vol. 23, No. 4, Oct. 1947, S. 463–476. 10. 4. 48 Claudel entdeckt … – Paul Claudel, Quelques réflexions sur l’Allemagne. In: A présent vom 19. 3. 1948. Biographische Einleitung – Zu: Thomas Hobbes, The Moral and Political Works Of Thomas Hobbes Of Malmesbury. Never before collected together. To which is prefixed, The Author’s Life, Extracted From That said to be written by Himself, As Also From The Supplement to the said Life by Dr. Blackbourne [Richard Blackburne]; and farther illustrated by the Editor, with Historical and Critical Remarks on his Writings and Opinions, London 1750. (Schmitt besaß diese Ausgabe, RW 265 Nr. 24285).

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11. 4. 48 Blötz – Ferdinand Blötz (1901–1967), Jurist aus Hamburg, zuletzt dort Landgerichtsdirektor. Eugen Ott – (1889–1977), General und Diplomat, arbeitete als Berater der Regierung Schleicher 1932/33 eng mit Schmitt zusammen, 1933 zunächst Militärattaché, seit 1938 Botschafter in Japan, wurde 1942 im Zusammenhang mit der Affäre um den Spion Richard Sorge von seinem Botschafterposten abberufen und setzte sich nach Peking ab, lebte ab 1951 als Pensionär in Tutzing. Spiegel über Sorge – Mehrteilige Serie über den Spion Richard Sorge in: Der Spiegel, 1951, H. 24–40.

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13. 4. 48 An Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 222 f. 96

15. 4. 48 Sohm II – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Rudolf Sohm, Kirchenrecht (= Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft hrsg. von Karl Binding, 8). Anastat. Neudr., München/Leipzig 1923. Bd. 1: Die geschichtlichen Grundlagen. Bd. 2: Katholisches Kirchenrecht (im Nachlass, RW 265 Nr. 25085, 25336).

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17. 4. 48 Conde – Francisco Javier Conde (1908–1974), span. Politikwissenschaftler, wandelte sich vom Sozialisten zum Franquisten. Conde war Schüler von Hermann Heller wie von Carl Schmitt und übersetzte Schmitts „Begriff des Politischen“ und den „Leviathan“. Schmitt meint wohl die Begegnung 1943 in Madrid, wo Conde seit 1942 Professor war. Er starb als spanischer Botschafter in Bonn.

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20. 4. 48 Naturales deos colere cupis, civiles cogeris – „Du möchtest die Naturgottheiten verehren, aber man zwingt dir die staatlichen auf.“ Augustinus, De civitate dei, Buch 6, Kap. 6. Übers. nach der dt. Ausg.: Augustinus, Vom Gottesstaat. Aus dem Lat. übertr. von Wilh. Thimme, Bd. 1, München 1977, S. 295. Ihres Aufsatzes – Helmut Rumpf, Deutschlands Anschluß. Voraussetzungen für die Einigung. In: Volk und Zeit. Monatszeitschrift für Demokratie und Sozialismus 3, 1948, S. 58– 60. was E. Troeltsch dazu gesagt hat – „Die christliche Theorie des Naturrechts, in der sich das reine Naturrecht des Urstandes, das ganz entgegengesetzte relative Naturrecht des Sündenstandes, das oft die größten Greuel einschließende positive Recht und die trotz allem Naturrecht wahre Güte erst von sich aus mitteilende theokratische Obergewalt beständig stoßen, ist als wissenschaftliche Theorie kläglich und konfus, aber als praktische Lehre von der höchsten kultur- und sozialgeschichtlichen Bedeutung …“ Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 3. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1922, Aalen 1977, S. 173. Schmitt bezieht sich auf die 1. Aufl., Tübingen 1912 (Mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 22087). so antwortet Léon Bloy – „Quelqu’un me faisait remarquer que le point culminant des souffrances du Rédempteur, après l’Agonie du Jardin, a dû être, non pas les Crachats, ni les Soufflets, ni la Flagellation, ni le Couronnement d’épines, ni le Portement de la Croix, ni même le Crucifiement, mais simplement la Comparution devant un juge.“ Léon Bloy, Méditations d’un solitaire en 1916, 5. éd., Paris [ca. 1920], S. 105.

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21. 4. 48 „Der Papst Aenea Sylvio …“ – Es handelt sich nicht um Aenea Sylvio Piccolomini (Pius II.), sondern um dessen Nachfolger Pietro Barbo, der als Papst Paul II. von 1464 bis 1471 amtierte. Vgl. Franz Xaver Seppelt, Das Papsttum im Spätmittelalter und in der Zeit der Renaissance (Geschichte des Papsttums IV), Leipzig 1941 S. 345.

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Hefele – Karl Joseph Hefele, Conciliengeschichte. Nach den Quellen bearbeitet. Fortges. von J. Hergenröther, 2. verb. Aufl., Bd. 1., Freiburg i. Br. 1873. 22. 4. 48 Otto Veit – (1898–1984), ordoliberaler Nationalökonom, Bankier und Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Frankfurt a. M. Hauriou – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Maurice Hauriou, Principes de droit public. A l’usage des étudiants en licence et en doctorat ès-sciences politiques, 2. éd., Paris 1916 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 27583). mit den 3 Arten und dem Waschzettel Leviathan – Carl Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Schriften der Akademie für deutsches Recht), Hamburg 1934. – Der maschinenschriftliche Waschzettel zum Leviathan-Buch von 1938 wurde nach 1945 von Schmitt an verschiedene Bekannte gegeben und ist mehrfach abgedruckt, z. B. in: Leviathan, S. 243 f. Ob er tatsächlich 1938 entstand, ist unklar. 23. 4. 48 ein strebsamer Thoma-Schüler – Gemeint ist: Karl Schultes (1909–1982), Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus. Die Lehren des Herrn Prof. Carl Schmitt, Kronjurist der Gegenrevolution (Bausteine unseres neuen Weltbildes, 2), Weimar 1947 (Exemplar mit Anm., Einlagen und eingekl. Zeitungsausschnitten im Nachlass, RW 265 Nr. 28043). Radbruch, Röpke, Böhm – An Radbruch schrieb Schmitt am 13. September 1928: „Die Auseinandersetzung mit Ihnen wird bei mir sehr langsam gehen, weil es sich nicht um billige Diskussionen, sondern um seinsmäßige Verschiedenheiten handelt.“ Zit. nach FoP, S. 952. Diese Verschiedenheit liebte Schmitt dann – z. B. in seinen Briefen an Mohler – mit der Sottise „Homo homini Radbruch“ zu umschreiben. Materialien zu Radbruch auch im Schmitt-Nachlass (RW 265 Nr. 21288). – Wilhelm Röpke (1899–1966), neoliberaler Nationalökonom, machte Schmitt (und Smend!) in seinem Buch „Die deutsche Frage“, 2. Aufl., Zürich 1945, S. 77 f. für den Untergang der Weimarer Verfassung verantwortlich. – Franz Böhm (1895–1977), Jurist, Nationalökonom, Politiker, sagte 1946 auf einer PestalozziGedenkfeier: Die Einstellung Pestalozzis sei ganz anders „als die nahezu aller Staatsdenker der Neuzeit, beginnend mit Macchiavelli und endend mit dem deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt und seinen machtvergötzenden Schülern.“ Karl Geiler/Franz Böhm, Pestalozzi als Erzieher und Staatsdenker, S. 22. Vgl. auch unten zu S. 311. 24. 4. 48 Justus Koch – (1891–1962), Rechtsanwalt, Verteidiger im Wilhelmstraßen-Prozess. mein Exposé vom Sommer 1945 – Angriffskrieg. Dix – Rudolf Dix (1884–1952), Strafverteidiger, in Nürnberg Verteidiger von Hjalmar Schacht und Friedrich Flick, für den Schmitt sein oben genanntes Gutachten geschrieben hatte. Vgl. dort das Nachwort von Quaritsch: Angriffskrieg, S. 142. 27. 4. 48 Sciendum vero est … – „Man muss wissen, dass der Wille des Satans immer böse ist, seine Macht aber niemals ungerecht, weil er den Willen durch sich selbst hat, die Macht aber von Gott.“ Gregorius Magnus, Moralia in Iob, 2, Caput X, Vers 17.

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entgegengesetzte These Burckhardts – „Und nun ist die Macht an sich böse.“ Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen (Kröner Taschenausgabe, 55), Stuttgart 1978, S. 97. Was Peterson von den Kleidern sagt – Erik Peterson, Theologie des Kleides. In: Benediktinische Monatsschrift 16, 1934, S. 347–356 (auch in: ders., Ausgewählte Schriften, Bd. 2, Würzburg 1995). Kempski – Jürgen von Kempski (1910–1998), Philosoph, studierte in den dreißiger Jahren bei Carl Schmitt, befasste sich wiederholt mit Bruno Bauer. Schmitt bezieht sich wahrscheinlich auf: J. v. Kempski, Das kommunistische Palimpsest. In: Merkur H. 7, 1948, S. 53– 68, wo Kempski die entscheidende Rolle Bruno Bauers für Marx hervorhebt. nach Barnikol – Ernst Barnikol (1892–1968), Theologe; Schmitt bezieht sich auf: E. Barnikol, Das entdeckte Christentum im Vormärz. Bruno Bauers Kampf gegen Religion u. Christentum u. Erstausg. seiner Kampfschrift, Jena 1927 (Exemplar mit Einl. im Nachlass, RW 265 Nr. 25529); ders., Bruno Bauers Kampf gegen Religion und Christentum und die Spaltung der vormärzlichen preußischen Opposition. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 46, NF 9, 1928, S. 1–34. Die Captiva captivitas von Günther Krauss – Vgl oben zu S. 93. 28. 4. 48 Maurice de Gandillac – (1906–2006), frz. Philosoph, Hrsg. und Übersetzer der Werke von Nicolaus Cusanus. Schmitt besaß: Maurice de Gandillac, Nikolaus von Cues. Studien zu seiner Philosophie und philosophischen Weltanschauung, Düsseldorf 1953. Er bezieht sich hier aber wohl auf die 1941 erstmals erschienene frz. Ausgabe. Mittite me in mare … – Vulgata, Jon 1,12. In der Übersetzung Luthers: „Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist.“ Ausspruch Hegels – Das Zitat Hegels aus seinen „Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie“ findet sich in: Nomos, S. 299. 30. 4. 48 Fand bei E. Jünger das Motto – Ernst Jünger, Sämtliche Werke 9, Stuttgart 1979, S. 115. meine Bemerkung gegenüber Smend – „Die Jahreszahl 1948 wird Anlaß zu vielen Rückblicken und Anknüpfungen geben. Der Boden des deutschen Idealismus hatte es anscheinend in sich und das Geröll des skeptischen Bruches mit ihm scheint sich in ein Feld vieldeutig rumorender theogonischer Ansätze zu verwandeln.“ Schmitt an R. Smend vom 6. 1. 1948. In: BW Smend, S. 121. E. Rothacker – Der Philosoph Erich Rothacker (1888–1965) war mit Schmitt bekannt, seit er 1928 Professor in Bonn wurde. Mit seiner Mitgliedschaft in der Akademie für deutsches Recht und als Mitbegründer des Ausschusses für Rechtsphilosophie 1934 dürfte sich die Bekanntschaft vertieft haben. Der handschriftliche Entwurf des Briefes an Rothacker ist im Nachlass vorhanden (RW 265 Nr. 13429), das Original in der Universitäts- u. Landesbibliothek Bonn (Abt. Hss.U.Rara.NL Rothacker). Hans Barion schreibt am 4. 2. 1948 an Schmitt: „Rothacker… sprach mit großer Zuneigung von Ihnen“ (RW 265 Nr. 701). Gespräch mit Fr. Meinecke – Friedrich Meinecke hat 1922 Carl Schmitt an die Deutsche Hochschule für Politik holen wollen (vgl. Tb 1921–24, S. 39), was scheiterte.

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Nebels Reflexionen über die Elemente – Gerhard Nebel, Von den Elementen, Wuppertal 1947 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22280). Die kleine Schrift „Land und Meer“ – Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942. 1. 5. 48 Frouds Biographie – James Anthony Froude, Lord Beaconsfield, Freeport 1971 (Reprint der Ausg. London 1890). Das Zitat, aus dem „social sorcery“ von Schmitt öfter wiederholt wird, stammt nicht aus dem genannten Brief, sondern aus: B. Disraeli, Tancred or the New Crusade, vol. 2, Leipzig 1847, S. 252. An Frau v. Schnitzler – Vgl. Schmittiana NF I, 2011, S. 182 f. ein überwältigender Satz von Saint Martin – Der Satz lautet im Original: „Pour prouver qu’on est régénéré, il faut régénérer tout ce qui est autour de nous.“ L. C. de Saint-Martin, Oeuvres Posthumes, Tome 1, Tours 1807, S. 102. Vgl. auch: Karl Epting, Die politische Theologie Louis-Claude de Saint-Martin’s. In: Epirrhosis. Festgabe für Carl Schmitt. Hrsg. von Hans Barion u. a., 2. Aufl., Berlin 2002, S. 161–184. die von Sallust geschriebene Rede – Als der römische Senat über die Behandlung der verhafteten catinilarischen Verschwörer beriet, forderte Caesar sie in einer durch Sallust überlieferten Rede auf, „von Haß und Zuneigung, Zorn und Mitleid“ frei zu sein. „Wenn man sein vernünftiges Denken anstrengt, vermag es auch etwas; wenn einen aber die Leidenschaft besitzt, dann herrscht eben sie, und die Vernunft vermag nichts.“ Gaius Sallustius Crispus, Die Verschwörung des Catilina. Lateinisch und deutsch. Übers. und erläutert von Josef Lindauer, Reinbek 1964, S. 64 ff. lex porcia – Cäsar zitiert in seiner Rede (a. a. O., S. 66) das porcische Gesetz, das den römischen Beamten verbot, einen römischen Bürger unter Mißachtung seines Berufungsrechts an die Volksversammlung körperlich zu züchtigen oder hinzurichten. ne plus valeat apud vos illorum scelus … – Im Original: … ne plus apud vos valeat P. Lentuli et ceterorum scelus quam vostra dignitas, neu magis irae vostrae quam famae consulatis. „… daß das Verbrechen des Publius Lentulus und der übrigen bei euch mehr Gewicht bekommt als die Rücksicht auf eure Würde und dass ihr eurem Zorn stärker Rechnung tragt als eurem guten Ruf.“ (a. a. O., S. 64/65). Don Capiscos Hand-Orakel – Mit dem Namen „Don Capisco“ hat Schmitt sich wohl erstmals 1943 selbst bezeichnet. Am 24. Januar 1943 notierte Ernst Jünger ein Gespräch mit Carl Schmitt, bei dem er „seine Kennerschaft bewunderte oder auch anzweifelte“. Daraufhin habe Schmitt geantwortet: „Ja wissen Sie denn nicht, daß ich der Don Capisco bin?“ (E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 487). Wie das in der Handschrift durchgestrichene und mit „Don Capisco“ überschriebene Wort „Gratians“ anzeigt, stellt Schmitt sich damit in die Tradition des spanischen neostoizistischen Autors Baltasar Gracián, der seine Maximen unter dem Titel „Handorakel und die Kunst der Weltklugheit“ veröffentlichte, und in dessen Roman „Das Kritikon“ die Figur des rationalen und urteilsfähigen Critilo wohl das Vorbild für Don Capisco ist. 4. 5. 48 an Scheffer – Paul Scheffer (1883–1963), Journalist. Zu Schmitts langer Beziehung vgl. Tb 1921–24, S. 71 und passim. Scheffer kehrte nach seinem Weggang in die USA 1937 nicht nach Deutschland zurück.

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Armer Jünger – Bezieht sich offenbar auf Ernst Jüngers „Strahlungen“, die Schmitt im Manuskript von G. Nebel erhalten hatte, sowie Jüngers Pläne zu „Heliopolis“; vgl. BW EJ, S. 226 f. 5. 5. 48 Schickte Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 226 f. 110

6. 5. 48 Hamburger Tagung der deutschen Rechtslehrer – Gemeint ist die Tagung der 1934 aufgelösten, 1947 wiederbegründeten Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht. Die Tagung von 1948 thematisierte Grundsatzfragen des Völkerrechts und auch die Frage, ob Deutschland Völkerrechtssubjekt geblieben sei. Vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 4, München 2012, S. 76 ff. Machiavelli sagt – Niccolò Machiavelli, Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung (Kröner Taschenausgabe, 377), 3. verb. Aufl., Stuttgart 2007, S. 262. Schmitt benutzte die Testina-Ausgabe der „Tutte le opere“ von 1550 (weshalb der Wortlaut nicht übereinstimmt). 7. 5. 48 Theodor Haecker sagte 1917 … – Tatsächlich schrieb Haecker das schon 1915: Theodor Haecker, Der Krieg und die Führer des Geistes, in: Brenner-Jahrbuch 1915, S. 130–188; hier S. 170. Schmitt schreibt wohl deshalb „1917“, weil der Text 1922 in Haeckers „Satire und Polemik“ aufgenommen und mit einem auf 1917 datierten Nachwort versehen wurde. Haeckers Essay ist eine Abrechnung mit den den Ersten Weltkrieg unterstützenden Intellektuellen, die so scharf war, dass im Reichstag darüber diskutiert und der „Brenner“ in der Folge verboten wurde. Unter anderem kritisierte Haecker den Chefredakteur des Berliner Tageblattes, Theodor Wolff, der vom „aufrichtigen Schmerz“ der gebildeten Deutschen angesichts der Zerstörung der Kathedralen im Krieg geschrieben hatte. Dazu Haecker: „Die stummen Steine müssen ja stöhnen nach Feuer und Brand, sie müssen sich ja sehnen nach Vernichtung, sie müssen ja flehen um Erlösung von dem Betasten und Begucken der gebildeten Wolff und Genossen.“ Carl Schmitt las diese Sätze bei Erscheinen mit großer Zustimmung und musste gleichzeitig während seines Dienstes im Münchener stellvertretenen Generalkommando die Beschlagnahme kriegskritischer Literatur verfügen. Von Theodor Haecker, den er zu dieser Zeit auch persönlich kennenlernte, sagte er: „Haecker […] ist so einer wie ich.“ Tb 1912–15, S. 74. Später wurde Schmitts Verhältnis zu Haecker kritischer, vgl. unten, S. 131 f. (Eintrag vom 2. 7. 1948).

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8. 5. 48 den guten Hall – Schmitt bezieht sich auf: William Edward Hall, A treatise on international law, 8. ed., ed. by A. Pearce Higgins, Oxford 1924 (im Nachlass, RW 265 Nr. 25814). Strupp – Karl Strupp (1886–1940), Völkerrechtler. Lauterpacht – Hersch Lauterpacht (1897–1960), Völkerrechtler. vor Jahren bei der Lektüre Westlakes aufgefallen – John Westlake (1828–1913), brit. Völkerrechtler. Schmitt meint wohl: Nomos, S. 203 und 210. „Ungeduld der Gerechtigkeit“ – Vgl. BW EJ, S. 232.

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Ernest Nys – (1851–1920), belgischer Völkerrechtler. Weihnachtshirtenbrief 1914 des Kardinals Mercier – Der Primas von Belgien galt vor allem wegen seines Hirtenbriefes „Patriotisme et Endurance“ als der intellektuelle Kopf des Widerstands gegen die Besetzung seines Landes; vgl. Désiré Mercier, Patriotisme et Endurance. Lettre pastorale de S. É. le Card. Mercier, Archevêque de Malines, La Haye 1914 (dt.: Vaterlandsliebe und Ausdauer, Lausanne 1915). Schmitt schätzte Kardinal Mercier sehr hoch; vgl. RK, S. 11. 10. 5. 48 L’initié tue l’initiateur – Der Satz stammt von dem frz. Schriftsteller und Geschichtsphilosophen Pierre-Simon Ballanche (1776–1846), vgl. ders., Oeuvres de M. Ballanche, tome 4, Paris/Genève 1830, S. 487. (Vgl. auch unten zu S. 309 und BW Sombart). W. Fraengers Hochmeister der freien Brüder-Gemeinschaft – Vgl. Wilhelm Fraenger, Hieronymus Bosch. Das Tausendjährige Reich. Grundzüge e. Auslegung, Coburg 1947. Schmitt hat Fraenger bei seinen Bosch-Forschungen während des Krieges unterstützt. Vgl. Wilhelm Fraenger, Korrespondenz mit Hans Arp, Carl Schmitt und Franz Roh. In: Sinn und Form 57, 2005, S. 303–330.

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15. 5. 48 Mirko Jelusich – (1886–1969), NS-Schriftsteller, Verfasser populärer historischer Romane. Tausendjahr der neuen Ewe – In der Privatsprache Stefan Georges bedeutet „Ewe“ Zeitalter. Heil mir, daß ich Ergriffene sehe – Gedicht II zum Kriegsbeginn 1914 aus dem Zyklus „Fünf Gesänge“ von Rainer Maria Rilke. In: R. M. Rilke, Werke. Komm. Ausg. in vier Bänden, hrsg. von Manfred Engel u. a., Bd. 2, Frankfurt a. M. 1996, S. 107. „Endlich ein Gott!“ – Rilke, a. a. O. Die Sache „Stahl“ – Der Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl (1802–1861), der ursprünglich Jolson hieß, war ein konvertierter Jude, der seine konservative Rechts-und Staatslehre dezidiert auf christliche Grundlage stellte und von Schmitt als „Stahl-Jolson“ scharf angegriffen wurde. Zu Freisler s. oben zu S. 74.

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16. 5. 48 Barbey d’Aurevilly – Jules Amédée Barbey d’Aurevilly (1808–1889), von Schmitt sehr geschätzter französischer antimodernistischer Schriftsteller.

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17. 5. 48 Hadamovsky – Eugen Hadamovsky (1904–1945), Fachmann für NS-Propaganda. Sein Buch „Propaganda und nationale Macht. Die Organisation der öffentlichen Meinung für die nationale Politik“ (Oldenburg 1933) wurde von Hannah Arendt für den Abschnitt „Totalitarian Propaganda“ in ihrem Buch „The burden of our time“, London 1951 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22551) (dt.: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) ausgiebig herangezogen. Auf S. 352 heißt es: „The advantages of a propaganda that constantly ,adds the power of organization‘ to the feeble and unreliable voice of argument …“.

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18. 5. 48 Jugend ohne Goethe – Max Kommerell, Jugend ohne Goethe, Frankfurt a. M. 1931. Schmitt hat bei seinem Exemplar den Titel mit folgender handschr. Ergänzug versehen: „aber mit Hölderlin“; Exemplar in Privatbes. Norbert von Hellingrath – (1888–1916), Germanist, entdeckte 1916 die späten Hymnen Hölderlins und gab sie heraus. 23. 5. 48 Hans Buchheim – (geb. 1922), Politikwissenschaftler. Begegnung mit Joachim Schoeps – Hans-Joachim Schoeps (1909–1980), konservativer deutsch-jüdischer Religionshistoriker. 1951 gab es zwischen Schoeps und Schmitt einen knappen Briefwechsel; s. Frank-Lothar Kroll, Geschichtswissenschaft in politischer Absicht. Hans-Joachim Schoeps und Preußen, Berlin 2010, Anlage IV, S. 92 f. Cramer von Laue – Constantin Cramer von Laue (1906–1991), Jurist, studierte in den dreißiger Jahren bei Schmitt, ab 1951 in vielfältigen Funktionen für die Bundesregierung tätig. Blühersches Streitgespräch um Israel – Hans Blüher/Hans-Joachim Schoeps, Streit um Israel. Ein jüdisch-christl. Gespräch, Hamburg 1933. Gundolf – Friedrich Gundolf (1880–1931), Germanist und Dichter. Rosenzweig – Franz Rosenzweig (1880–1929), Philosoph. Kafka lesen – Vgl. Schmitt an Mohler vom 26. 12. 1953, BW Mohler, S. 147: Der Deutsche hat jetzt keine Zeit, Er muß jetzt Kafka lesen; Er strengt sich an und ist bereit, An Kafka zu genesen. 24. 5. 48 Gerhard Hess – (1907–1983), Romanist, habilitierte sich 1938 mit einer Arbeit über Gassendi (vgl. unten) an der Berliner Universität, an der er als Dozent tätig war. Anfang der 1940er Jahre half er als Mitarbeiter der Leibniz-Kommission der Preuß. Akademie Schmitt bei der Verifizierung von Leibniz-Zitaten (vgl. F.-R. Hausmann, in: Romanistische Zeitschr. für Literaturgesch. 23, 1999, S. 410). Nach 1945 wurde er ein einflussreicher Wissenschaftspolitiker (Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der DFG). Ausgabe des Anti-Lucretius – Melchior de Polignac, Anti-Lucretius, sive de deo et natura, libri novem. Opus posthumum. Tom 1–2, Paris 1754. Schmitt schenkte die Ausgabe Weihnachten 1968 an Rainer Specht mit der Widmung: „unter Bezugnahme auf Epirrhosis II p. 699 seqq.“ In der Schmitt-Festschrift „Epirrhosis“ (Berlin 1968, Bd. 2, S. 697–707) hatte R. Specht kurz zuvor den Beitrag veröffentlicht: „Über Polignacs ,Antilucretius‘“, in dem auch die angesprochenen physikalischen Phänomene und das Verhältnis Polignacs zum Cartesianismus behandelt sind. Eripuit fulmen Jovi – „Dem Zeus entriss er den Blitz“. Die Stelle geht gedanklich zurück auf „De rerum natura“ von Lukrez, der sich wiederum auf Epikur beruft. Sie fand ihre Form aber wohl erstmals in dem Gedicht „Astronomica“ des römischen Dichters Marcus Manilius (12. v. Chr), wo es heißt:

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Eripuitque Jovi fulmen, viresque tonandi, Et sonitum ventis concessit, nubibus ignem. („Und er entriss Zeus den Blitz, und die Kräfte des Donners, Nur das Wehen des Windes und das in Rauch gehüllte Feuer gestand er zu.“) De Polignac zitiert den Vers abgewandelt im ersten Buch seines „Anti-Lucretius“, wo er auf Epikur bezogen ist: Coeli tonitralia templa lacessens, Eripuit, fulmenque Jovi Phoeboque sagittas („Den Himmel und seine Donner herausfordernd, entriss er dem Zeus den Blitz und dem Apoll die Pfeile.“) Das Zitat wurde im 18. Jh. der Aufklärung zum geflügelten Wort, zumeist in abgewandelter Form, so auf der von Houdon geschaffenen Büste für Benjamin Franklin, den Erfinder des Blitzableiters, wo der kämpferische Atheismus mit einem „In tyrannos“ verbunden wurde. Diese Verherrlichung von Humanismus und prometheischer Vernunft war Schmitt suspekt (vgl. seinen Brief an Ernst Jünger vom 23. 8. 1955; BW EJ, S. 284 und 723 f.). Seine Skepsis kulminiert im Schluss von „Politische Theologie II“, wo „eripuit fulmen Jovi“ wieder kritisch aufgegriffen ist. Vgl. C. Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie, Berlin 1970, S. 126. Ihr Gassendi – Gerhard Hess, Pierre Gassend. Der französische Späthumanismus und das Problem von Wissen und Glauben (Berliner Beiträge zur romanischen Philologie 9,3/4), Jena/Leipzig 1939 (zugl. Berlin, Univ., Habil.-Schr., 1938). Von dieser Arbeit besaß Schmitt ein Dedikationsexemplar des Autors: RWN 260 Nr. 218. Gassendo amatus surculus erroris – „Was von Gassendi geliebt wird, ist ein Seitentrieb des Irrtums.“ Das bezieht sich auf Vers 389 ff. des „Anti-Lucretius“ von Polignac: … metuo, ne surculus ille / Letiferi erroris, Gassendo nuper amatus / Defensore novo speret se posse tueri. „Ich fürchte, dass jener Zweig des tödlichen Irrtums [=Atheismus Epikurs], der einst von Gassendi geliebt wurde, durch diesen neuen Verteidiger [=Isaac Newton] wiederum zur Blüte kommen kann.“ 27. 5. 48 Th. Däubler, Am Meere – Aus: Th. Däubler, Der sternhelle Weg, Leipzig 1919, S. 64. Der Wasserunhold stirbt … – Aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Die Alexandrinische Phantasie (Weihnachtstryptichon), S. 346).

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29. 5. 48 Mythologie des Zwerges – Vgl. Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Der äthiopische Totentanz, S. 160–168. 30. 5. 48 Wen Du nicht verlässest, Genius! – Zitat aus: Goethe, „Wanderers Sturmlied“. Konrad Weiß mit seinem Gedicht „1933“ – Gemeint ist hier nicht das „1933“ überschriebene Eingangsgedicht aus „Der christliche Epimetheus“ (vgl. S. 149), sondern das Carl Schmitt gewidmete, 1933 entstandene Gedicht „Justitia“. In: Weiß, S. 665 f. ergriffen von dem Satz aus Ernst Jüngers „Strahlungen“ – Recte: „Der gute Junge. Von Kind auf war es sein Bestreben, es dem Vater nachzutun. Nun hat er es gleich beim ersten

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Male besser gemacht, ging so unendlich über ihn hinaus.“ E. Jünger, Sämtliche Werke 3, S. 360; vgl. dazu Martin Tielke, Der stille Bürgerkrieg, Berlin 2007. 31. 5. 48 Gabba – Carlo Francesco Gabba (1835–1920), ital. Jurist. Vgl. Nomos, S. 180. wogegen Hall – William Edward Hall (1835–1894), amerikan. Völkerrechtler. Schmitt bezieht sich auf: W. E. Hall, A treatise on international law, 8. ed. by A. Pearce Higgins, Oxford 1924 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 25814); vgl. Nomos, S. 235. 119

1. 6. 48 Gastmahl des Leviathan – Vgl. Leviathan, S. 18. Köppelsbleek, die Schinderkuhle – Begriffe aus Ernst Jüngers Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“. 3. 6. 48 Rührend Gerhard Ritter – Schmitt bezieht sich auf: Gerhard Ritter, Machtstaat und Utopie. Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus, 3. u. 4. Aufl., München/Berlin 1943. (mit Verf.-Widmung im Nachlass, RW 265 Nr. 24136).

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4. 6. 48 diesen kalifornischen Rundfunkhelden – Schmitt zielt hier auf Thomas Mann und seine Sendungen „Deutsche Hörer“, mit denen er sich über BBC von Oktober 1940 bis Mai 1945 regelmäßig mahnend an das deutsche Volk wandte. 5. 6. 48 die Kreatur des Wortes bei Konrad Weiß – Vgl. Konrad Weiß, Kreatur des Wortes. In: Der Ring 4, 1931, S. 901–903. Th. Haeckers Polemik gegen meinen Begriff des Politischen – Haecker kritisierte, dass Schmitt vom Feind spricht, nicht aber vom Freund. Vgl. Theodor Haecker, Was ist der Mensch, Leipzig 1933, S. 71 ff. der Schwächling Maritain und seine haßerfüllte Raissa – Jacques Maritain (1882–1973), frz. thomistischer Philosoph, war in den zwanziger Jahren mit Schmitt befreundet. Mit dem NS-Engagement Schmitts kam es zum Bruch, wofür Schmitt vor allem Maritains jüdische Ehefrau Raïssa verantwortlich machte. Zum Verhältnis Schmitt-Maritain vgl. Piet Tommissen, Neue Bausteine zu einer wissenschaftlichen Biographie Carl Schmitts. In: Schmittiana V, 1996, S. 210–213. „Jetzt stehst Du nackt, geburthaft nackt, in wüsten Weiten“ – Aus dem Gedicht „Perseus“ von Theodor Däubler (statt „Jetzt“ heißt es im Original „Nun“). Vgl. Theodor Däubler, Der sternhelle Weg, Leipzig 1919, S. 71. 6. 6. 48 es ist schon alles vollbracht und du tust nur Antwort – Von Schmitt nach 1945 häufig zitierte Stelle aus dem Gedicht „Klage über die Schöpfung“ von Konrad Weiß. In: Weiß, S. 408. Die Strophe lautet: So wird der Sinn, je mehr er sich selber sucht, aus dunkler Haft die Seele geführt zur Welt, vollbringe was du mußt, es ist schon immer vollbracht und du tust nur Antwort.

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8. 6. 48 Herrlich Gueydan … – Die Zitate stammen aus einem (im Nachlass Schmitts nicht vorhandenen) Manuskript Gueydans mit dem Titel „Pensées d’un dékan“; vgl. unten S. 122, Eintrag vom 11. 6. 48. 10. 6. 48 Antwort über die Staatssekretäre – Gemeint ist Schmitts schriftliche Beantwortung der Frage „Warum sind die Staatssekretäre Hitler gefolgt?“, die ihm Robert Kempner, der stellvertretende Hauptankläger im Nürnberger Wilhelmstraßenprozess, stellte. Zuerst veröffentlicht unter dem Titel „Das Problem der Legalität“. In: Die neue Ordnung 5, 1950, S. 270–275. Die Planenden herrschen – Bereits 1933 hatte Schmitt in dem Aufsatz Machtpositionen des modernen Staates (VA, S. 371) hingewiesen auf Hans Freyer, Herrschaft und Planung. Zwei Grundbegriffe der politischen Ethik, Hamburg 1933, wiederabgedruckt in: ders., Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hrsg. von Elfriede Üner, Weinheim 1987, S. 31: „Wo Planung sein soll, muß Herrschaft sein. Nicht die Planenden herrschen (das war der Irrweg der Utopie), sondern die Herrschenden planen“. Eduard Heimann – (1889–1967), Sozialwissenschaftler. Auf der Grundlage seines Buches „Freedom and Order“, New York 1947 (dt.: Freiheit und Ordnung. Lehren aus dem Kriege, Berlin-Grunewald 1950) hielt er im Frühling und Sommer 1948 in mehreren Ländern Europas Vorträge

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11. 6. 48 Däublers zwei Brüder-Sonette – Theodor Däubler hatte in seiner Sammmlung „Attische Sonette“ das Gedicht „An Phaidros“ Rudolf Pannwitz, das Gedicht „Pegasus“ Carl Schmitt gewidmet. Vgl. Gedichte, S. 4 f. Iranische Rhapsodie – Gedichtzyklus aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922, S. 265–341. Kelsens Raisonnement … – Nach Auffassung von Kelsen war der deutsche Staat mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 untergegangen, weil die Staatsgewalt danach durch das Kondominium der alliierten Sieger ausgeübt wurde. Jede institutionelle Form der Verknüpfung eines neuen deutschen Staates nach dem von den Alliierten dominierten Zwischenstaat mit dem des „Dritten Reiches“ sollte ausgeschlossen werden. Zu dieser Diskontinuitätslehre gab es eine breit angelegte Antithese, wonach der deutsche Staat nicht untergegangen, sondern nur kurzzeitig handlungsunfähig gewesen sei. Sie wurde seit 1947 von Rolf Stödter, Wilhelm Grewe, Ulrich Scheuner u.a. vertreten. Vgl. Hans Kelsen, The International Legal Status of Germany to be established immediately upon Termination of the War. In: American Journal of Law 38, 1945, S. 689 ff.; ders., The Legal Status of Germany According to the Declaration of Berlin. In: ebd. 39, 1945, S. 518 ff.; Rolf Stödter, Deutschlands Rechtslage, Hamburg 1948; Ulrich Scheuner, Die staatsrechtliche Kontinuität in Deutschland. In: Die Öffentliche Verwaltung, 1950, H. 10, S. 481 ff. Der Absatz entspricht einem (nicht ganz identischen) Abschnitt in einem Brief an Ernst Jünger vom 11. 6. 48; vgl. BW EJ, S. 228 f. des Nichts-Gezirps Urdissonanz – Aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Der äthiopische Totentanz, S. 160 f.

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„Zwerg, Wirbelknirbs“ rief ich: „belustig Dich frisch, verdirbs dem Tod, beim Tanz, Was stiegt erwirbs und werde fett und wustig:

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Des Nichtsgezirbs Urdissonanz Sei laut in Dir, sei eigenbrustig! Tanz, tanz, die Welt entlaus, entwanz, Hei Negerzwerg, pechspeckig, rußdick Bedeckt von schwarzem Kohlenglanz, Dein Kopf schrumpft ein, der Rumpf wird krustig, Und um Dich walzt ein Mummenschanz!“ Humbert Clérissac – (1864–1914), Dominikanerpater, veröffentlichte 1914 „Le mystère de l’église“. Dt.: Das Geheimnis der Kirche. Hrsg., übers. u. komm. von Rudolf Michael Schmitz (Studi tomistici, 23), Città del Vaticano 1984. Denis de Rougemont – (1906–1985), Schweizer Essayist; D. de Rougemont, La part du diable, New York [1942] (u. ö.). Dt.: Der Anteil des Teufels, München 1999. Gueydan, pensées d’un Dékan – Nicht ermittelt. 123

13. 6. 48 daß Nietzsche den Hitler gezeugt habe – Vgl. Ernst Niekisch, Deutsche Daseinsverfehlung (Aktuelle Kulturreihe), Berlin 1946. Schmitt besaß von dem Buch zwei Exemplare (RW 265 Nr. 23051 und 23052). Leo Trotzki schrieb 1923 … – Schmitt zitiert ungenau aus Trotzkis „Literatur und Revolution“ nach der Übersetzung von Frida Rubiner, Wien 1924 (RW 579 Nr. 1118). Die entsprechende Passage in dem Buch (S. 177–179) lautet korrekt: „Der Mensch hat zuerst die dumpfen Elementargewalten aus der Produktion und der Ideologie verbannt und die barbarische Routine durch wissenschaftliche Technik sowie die Religion durch Wissenschaft ersetzt. Darauf verbannte er das Unbewußte aus der Politik, stürzte die Monarchie und die Stände durch die Demokratie und den rationalistischen Parlamentarismus und schließlich durch die durchsichtig klare Rätediktatur. Am schwersten hängt die blinde Elementargewalt über den wirtschaftlichen Beziehungen, – aber auch von dort vertreibt sie der Mensch durch die sozialistische Organisation der Wirtschaft. Dadurch wird eine radikale Umgestaltung des traditionellen Familienlebens ermöglicht. In der tiefsten und dunkelsten Ecke des unbewußten, elementaren Ich schlummert schließlich die Natur des Menschen selbst. Ist es denn nicht klar, daß die höchsten Anstrengungen des forschenden Denkens und der schöpferischen Initiative sich darauf werfen werden? Doch nicht dazu wird das menschliche Geschlecht aufhören, vor Gott, den Königen und dem Kapital auf dem Bauche zu rutschen, um dann vor den dumpfen Gesetzen der Vererbung und der blinden Geschlechtsauslese zu kapitulieren! Der frei gewordene Mensch wird ein größeres Gleichgewicht in der Arbeit seiner Organe, eine gleichmäßigere Entwicklung und Ausnutzung seiner Gewebe erreichen wollen, um dadurch allein die Angst vor dem Tode in Grenzen einer zweckmäßigen Reaktion des Organismus gegen die Gefahr zu bannen, denn es unterliegt keinem Zweifel, daß gerade die außerordentliche Disharmonie des Menschen – anatomisch und physiologisch –, die außerordentliche Ungleichmäßigkeit der Entwicklung und des Verbrauchs der Organe und Gewebe dem Lebensinstinkt die verklemmte, krankhafte, hysterische Form der Todesfurcht verleiht, die den Verstand trübt und den dummen und erniedrigenden Phantasien vom Jenseits Nahrung zuführt. Der Mensch wird es sich zur Aufgabe machen, seiner eigenen Gefühle Herr zu werden, seine Instinkte auf den Gipfel des Bewußtseins zu heben, sie durchsichtig klar zu machen, Leitungsfäden vom Willen unter

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die Schwelle des Bewußtseins zu führen und sich selber damit auf eine höhere Stufe des Bewußtseins zu bringen, also einen höherstehenden gesellschaftlich-biologischen Typus oder, wenn man will, einen Übermenschen zu schaffen. […] Der menschliche Durchschnitt wird sich bis zum Niveau eines Aristoteles, Goethe, Marx erheben. Über diesen Berggrat werden sich neue Gipfel erheben.“ „Heil dir, prangende Erde“ – Aus: Richard Wagner, Siegfried, 3. Aufzug, 3. Szene (Klavierausz. im Nachlass, RW 265 Nr. 26258). Bei Dostojewski sagt Kirilow … – Schmitt zitiert Dostojewski nach: Walter Schubart, Dostojewski und Nietzsche. Symbolik ihres Lebens, Luzern 1939, S. 47. Bei Dostojewski heißt es nach der Übersetzung von Rahsin: „Der Mensch wird Gott sein und wird sich physisch verändern.“ Fjodor M. Dostojewski, Die Dämonen. Übers. von E. K. Rahsin, Frankfurt a. M. [1992], S. 155. 15. 6. 48 sagte Renan – Ernest Renan (1823–1892), frz. Religionswissenschaftler und Historiker. Den oft kolportierten Ausspruch hat Renan 1883 dem nationalistischen Politiker Paul Déroulède gegenüber gemacht. 15. 6. 48 An Hans Beyer – Hans Joachim Beyer (1908–1971), Historiker, aktiver Nationalsozialist (SS-Hauptsturmführer, enger Mitarbeiter Heydrichs), wurde 1940 Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1941 in Posen, 1943 in Prag. Nach dem Krieg Pressesprecher der Ev.-luth. Landeskirche Schleswig-Holstein, ab 1951 Professor an der PH Flensburg. Über ihn vgl. Stephan Linck, Neue Anfänge? Der Umgang der Evangelischen Kirche mit der NS-Vergangenheit und ihr Verhältnis zum Judentum. Die Landeskirchen in Nordelbien. Band 1, 1945–1965, Kiel 2013. Der Brief Beyers vom 12. 6. 1948, auf den Schmitt antwortet, liegt im Nachlass (RW 265 Nr. 1318).

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16. 6. 48 „Haeckers Denken … eigentliche katholische Verschärfung“ – Die Passage lautet korrekt: „In engerer Betrachtung gehört Haeckers Denken aber jetzt auch wesentlich in die katholische Literaturbewegung; es ist nicht daraus entstanden, denn Haecker kam als Außenseiter; es hat den früheren Gegensatz zwischen einer ,klassizistischen‘ Neutralisierung und einer ,gotischen‘ Realisierung in dieser Bewegung nicht mitgemacht; aber nun ringt es, während sich die Bewegung vielfach, was man auch sonst von geistig-künstlerischen Entscheidungen der älteren Generation sagen kann, aus Unfruchtbarkeit in der kreatürlichen und geschichtlichen Erkenntnis vom Wort zur Sprache, von der Besonderung zur Allgemeinheit, von der neutralisierten Lebensform dann zur politischen Konfession wendet, – nun ringt es mit um eine eigentlichere katholische Verschärfung.“ Konrad Weiß, Die Kreatur des Wortes. In: Der Ring (Berlin) 4, 1931, H. 48, S. 902. Wieder abgedr. in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft NF 12, 1971, S. 311–315. 17. 6. 48 Zu Güllich – Hans Güllich, im 2. Weltkrieg Oberleutnant an der Ostfront. Schmitt bezieht sich auf dessen mit „Lagebeurteilung“ bezeichneten Text, den Güllich an Jünger schickte, und den dieser an Schmitt weitergab; vgl. BW EJ, S. 224–227, 655.

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Wilhelm Schmitz – (1912–?), Jurist und Industrieller, unterstützte Schmitt nach 1945; vgl. W. Schmitz, Zur Geschichte der Academia Moralis. In: Schmittiana IV, 1994, S. 119– 156. die rühmende Besprechung dieser Schrift durch G. Radbruch – Das Buch von Karl Schultes (Der Niedergang des staatsrechtlichen Denkens im Faschismus, Weimar 1947; s. oben zu S. 103) wurde von Gustav Radbruch in der Süddeutschen Juristenzeitung (Jg. 3, Nr. 5, 1948, S. 223 f.) gerühmt als eine „für die Reinigung des politischen Denkens sehr notwendige Arbeit. Das Heine-Wort ‚Kein Talent, doch ein Charakter‘ könnte hier umgekehrt Anwendung finden.“ (Zit. nach: van Laak, S. 36). 18. 6. 48 „Idee und Realität der freideutschen Bg“ – Ernst Rudolf Huber, Idee und Realität eines Freideutschen Bundes (Typoskr. im Nachlass, RW 265 Nr. 20250). Vgl. Brief Schmitts an Huber vom 18. 6. 1948; BW Huber, S. 327–332. 126

20. 6. 48 Robert Brasillach – (1909–1945), frz. Schriftsteller, wurde am 6. 2. 1945 wegen Kollaboration hingerichtet. 21. 6. 48 Gebhard – Klaus Gebhard (1896–1976), Wuppertaler Fabrikant und Kunstsammler, mit Ernst Jünger und Gerhard Nebel befreundet. Iskar – Überschrieben: „Judas“, Iskar = Ischariot.

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22. 6. 48 Ernst Jünger spricht öfters … – Nicht unter dem 9. 12., sondern dem 14. 12. 1943 schreibt Jünger in den „Strahlungen“: „Carl Schmitt ist unter allen Geistern, die ich kennenlernte, jener, der am besten definieren kann.“ Geheimrat am Zehnhoff – Hugo am Zehnhoff (1855–1930), Jurist und Politiker, von 1919 bis 1927 preuß. Justizminister. Während seiner Zeit als Rechtsanwalt am Oberlandesgericht Düsseldorf war Carl Schmitt bei ihm Referendar; bevor er 1928 nach Berlin ging, ist er bei seinen Berlin-Besuchen in der Ministerwohnung abgestiegen. Vgl. auch Tb 1912–15, S. 405–409. 23. 6. 48 Tatenarm und gedankenvoll – Aus dem Gedicht „An die Deutschen“ (Zweite Fassung) von Friedrich Hölderlin. In: ders., Gedichte. Nach der hist.-krit. Ausg. von F. Zinkernagel, Leipzig o. J., S. 125: Spottet nimmer des Kinds, wenn noch das alberne Auf dem Rosse von Holz herrlich und groß sich dünkt, O ihr Guten! auch wir sind Tatenarm und gedankenvoll! Genovevas Schmerzenreich – Oper „Genoveva“ von Robert Schumann.

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24. 6. 48 Kaete Eisler – (1898–?), erste Ehefrau von Schmitts Freund Georg Eisler; vgl. Reinhard Mehring, Die Hamburger Verlegerfamilie Eisler und Carl Schmitt (Plettenberger Miniaturen, 2), Plettenberg 2009. Atheismus des Lukan – Sunt nobis nulla profecto Numina, „Für uns gibt es keine Götter“, Pharsalia, VII, 445 f.; – sed victa Catoni, s. o. zu S. 79; – Sanctus Cato = nec sancto caruisset vita Catone, „dem heiligen Cato wäre nicht das Leben verlustig gegangen“, Pharsalia, VI, 311; – surdae aures Coelicolum = Inpia tot populis, tot surdas gentibus aures Coelicolum dirae convertunt carmina gentis, „Die gottlosen Zauberformeln dieses verruchten Volks dringen an die Ohren der Götter, die für so viele Nationen taub sind“, Pharsalia, VI, 443 f.; – Quis labor sit Superis cantus herbasque sequendi, „Warum sind die himmlischen Götter so sehr bemüht, Gesängen und Kräutern zu gehorchen?“, Pharsalia, VI, 492; – Mortalia nulli Sunt curata Deo. Cladis tamen huius habemus vindictam, quantam terris dare numina fas est, „Nein, um das Los der Sterblichen kümmert sich kein Gott. Dennoch haben die Götter für dieses Unglück gebüßt, soweit sie das Sterblichen gegenüber tun können“, Pharsalia, VII, 454–456; – Mentimur regnare Jovem, „Wir lügen, wenn wir behaupten, dass Jupiter regiert“, Pharsalia, VII, 447. Hellingr. Bd. VI, S. 120 – Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Begonnen durch Norbert von Hellingrath, fortgef. durch Friedrich Seebass und Ludwig von Pigenot, Bd. 6, Berlin 1923. Das Zitat steht am Anfang von Pharsalia.

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25. 6. 48 Ich aber will bei mir die Saat der Freiheit bauen … – Aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Leipzig 1922, Bd. 2: Die Auferstehung des Fleisches, S. 495. 26. 6. 48 Jamjam hiscit flammeus – „Sofort lodern Flammen auf.“ Ebd., S. 496. 27. 6. 48 Nicolaus Sombarts Capriccio – N. Sombart, Capriccio Nr. 1. Des Wachsoldaten Irrungen und Untergang, Frankfurt a. M. 1947. Walter Fuchs – (1888–1966), Diplomat, Freund aus Münchener Zeiten Schmitts; vgl. P. Tommissen, Bausteine zu einer wiss. Biographie. In: Complexio oppositorum. Über Carl Schmitt. Vorträge und Diskussionsbeiträge des 28. Sonderseminars 1986 der Hochschule für Verwaltungswiss. Speyer. Hrsg. von H. Quaritsch, Berlin 1986, S. 79. Siehe auch Tb 1921– 24, S. 113. 28. 6. 48 die lieben Deutschen kenn ich schon etc. – „Die lieben Deutschen kenn ich schon; erst schweigen sie, dann mäkeln sie, dann beseitigen sie, dann bestehlen und verschweigen sie.“ Goethe an Riemer, 29. 8. 1819. In: J. W. Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hrsg. von Ernst Beutler, 2. Aufl., Bd. 22, Zürich 1964, S. 863. Schmitt zitierte das öfter, vgl. z. B. BW Mohler, S. 182; Tb 1930–34, S. 427.

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29. 6. 48 omnia cedunt in favorem et jus justum bellum gerentium – „Alles weicht zum Vorteil und zum Recht [desjenigen], der den gerechten Krieg führt.“ Francisco de Vitoria, Escuela Española de la Paz Primera generación 1526–1560, Madrid 1981, S. 336. Vgl. unten zu S. 148 und 154. si licite sunt capta, puto quod non sunt obnoxia restitutioni – „Wenn erlaubterweise geraubt wird, besteht keine Erstattungspflicht.“ F. de Vitoria, a. a. O. J’ai montré la porte … – Antoine de Rivarol, Maximen, Frankfurt a. M. 1956, S. 117. In der Übersetzung Ernst Jüngers: „Ich werde daher nicht den geheimen Eingang jenes entlegenen Heiligtumes weisen, wo die feinsten, peinlichsten Fragen des Rechtes und der Moral entschieden werden, alle Probleme, die zu subtil für Themis’ Waage sind – denn wenn man jene Pforte zeigte, würden bald die Gier und alle Spitzfindigkeiten der Leidenschaft eindringen und das Gewissen in seinem letzten Horte vergewaltigen.“ E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 14, S. 302. Vgl. auch Schmitts Brief an Ernst Jünger vom 20. 8. 1948, in: BW EJ, S. 231. Der erwähnte Brief an Forsthoff ist in BW Forsthoff nicht enthalten. Valléry-Radot – Robert V.-R. (1885–1970), frz. Schriftsteller, Freund von Georges Bernanos und François Mauriac. Buch von Höffner – Joseph Höffner, Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im goldenen Zeitalter, Trier 1947. Lage des ausgepfiffenen Rossini – Rossinis berühmteste Oper „Der Babier von Sevilla“ wurde bei der Uraufführung in Rom 1816 ausgepfiffen. 1. 7. 48 Golombek – Walter Golombek (1914–?), Assistent Schmitts an der Friedrich-WilhelmsUniversität Berlin. Zwei Briefe von ihm, einer von seinem Vater im Nachlass; RW 265 Nr. 5065–5067. Zusammenarbeit mit Frank – Hans Frank (1900–1946), Jurist, NS-Reichsminister und Generalgouverneur im besetzten Polen, protegierte Schmitt in den Anfangsjahren des Dritten Reiches. Frank wurde im Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet. 2. 7. 48 Richard Seewald – (1889–1976), Maler und Schriftsteller, gehörte zum Münchener Bekanntenkreis Schmitts; vgl. Tb 1915, S. 524–527.

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2. 7. 48 Si tacuisset, magnus Ironicus mansisset – „Hättest du geschwiegen, wärst du ein großer Ironiker geblieben.“ Irregularität ex defectu corporis propter deformitatem – Das Corpus Iuris Canonici sah den Ausschluss gravierend körperlich oder geistig behinderter Menschen von der Priesterweihe vor (Can. 984,2). 1983 ist das auf die geistige Behinderung reduziert worden (Can. 1041). „Nur wo Gräber sind, gibt es Auferstehungen“ – Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. In: ders., Werke. Hrsg. von Karl Schlechta, Bd. 2, 8. Aufl., München 1977, S. 369. Walter Schubart – (1897–1941), Schriftsteller und Philosoph, auf den Schmitt von Ernst Jünger hingewiesen wurde (vgl. BW EJ, S. 181 und passim). Schmitt zitiert aus: Walter

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Schubart, Dostojewski und Nietzsche. Symbolik ihres Lebens, Luzern 1939. Das erste Zitat („Für die Wiedergeburt …“) findet sich auf S. 79, das zweite („Aber in unsere Hand …“) auf S. 35. „Das Leben kräftigt sich aus dem Born des Bösen …“ – Kein Zitat Nietzsches, sondern Schubarts, wo es aber lautet: „Das Leben kräftigt sich aus dem Born des Bösen, die Moral aber leitet ab in den Tod.“ W. Schubart, Dostojewski und Nietzsche, a. a. O., S. 73. 8. 7. 48 Gesang des Sechzigjährigen – Seit dem 9. 7. 1948 verschickte Schmitt dieses Gedicht an zahlreiche Freunde und Bekannte; erstmals veröffentlicht ist es 1950 in: ECS, S. 92 f.

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10. 7. 48 ei¬ß a¢llo génoß – metábasiß ei¬ß a¢llo génoß, „Übergang in eine andere Gattung“; Aristoteles, Analytica posteriora, Buch 1, Kap. 7, 75a 38.

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14. 7. 48 Herbert Guthjahr – Recte: „Gutjahr“ (1911–1944), NS-Studentenführer, von 1935 bis 1939 Assistent Schmitts an der Berliner Universität, ab 1939 Soldat. Obwohl er Informant seines Gegenspielers Reinhard Höhn war, ebenso SS-Mitglied und für den Sicherheitsdienst der SS arbeitete, widmet Schmitt ihm bei seinem Geburtstag 1953 zusammen mit u.a. Popitz, Jessen und Ahlmann ein Totengedenken; vgl. Schmittiana NF II, S. 291. Prof. Trainin – Ilja Pavlovič Trajnin (1887–1957), sowjetischer Jurist, seit 1921 an der Universität Moskau, Gestalter des sowjetischen Strafrechts. In den Nürnberger Prozessen auch Vertreter der deutschen Industrie und Wirtschaft anzuklagen, geht auf seine Initiative zurück. Walter Lippmanns atlantischer Großraum – W. Lippmann (1889–1974), amerikan. Journalist, der vor allem über US-Außenpolitik publizierte. Londoner Statut vom August 1945 – Das von den vier Hauptalliierten des Zweiten Weltkrieges unterzeichnete Statut legte die Rechtsgrundlagen und die Prozessordnung für die Nürnberger Prozesse fest. Trainin war Mitunterzeichner. 19. 7. 48 Widerstand durch Mitarbeit – Vgl. Brief Schmitts vom 25. 8. 1948 an E. R. Huber; BW Huber, S. 339–42. Weizsäcker-Prozeß – Der NS-Diplomat Ernst von Weizsäcker (1882–1951) spielte im Dritten Reich eine widersprüchliche Rolle und musste sich in Nürnberg in einem spektakulären Prozess verantworten, in dem er 1949 zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Maquis – Gemeint ist offenbar das „Maquis“ als Chiffre für die frz. Résistance. 20. 7. 48 Henry Adams (The Education of Henry Adams) – Schmitt besaß zwei Ausgaben, von denen die eine (Cambridge 1927, RW 265 Nr. 24954) mit Anmerkungen versehen ist. Wie wichtig dieses Buch für ihn war, erhellen zwei Briefzitate: An Rolf Stoedter schreibt Schmitt am 26. 1. 1956: „Haben Sie in Ihrer Bibliothek die ,Education of Henry Adams‘, aus der ich Ihnen einen Satz in das Gespräch über die Macht geschrieben habe? Ich lese seit

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1930 in dieser Education, die ich damals von Professor Carl Joachim Friedrich als Geschenk erhalten habe. Es ist für mich das schönste und wichtigste amerikanische Buch das es überhaupt gibt, und ich wußte, was ich tat, als ich es am Schluß meines Nomos der Erde (S. 299) zitierte.“ (RW 265 Nr. 13549). An Marianne Kesting schreibt er am 19. 8. 1972: „Mir selber dagegen lag es seit 1933 nahe, meine eigene Situation zu bedenken, und das steigerte sich seit 1939, fortwährend bis ins amerikanische Camp und Nürnberg, wo ich als Objekt amerikanischer Reeducation oft genug an den gutmeinenden Delano erinnert wurde und wo ich mir vornahm, auf meinen alten Tag, wenn ich einmal viel Zeit hätte, meine Erfahrungen aufzuschreiben, und zwar unter dem Gesichtspunkt und unter dem Titel: ,Education of Henry Adams – Reeducation of Carl Schmitt‘.“ (Veröff. in Vorber.). 137

22. 7. 48 Pareto – Vilfredo Pareto (1848–1923), ital. Ökonom und Soziologe. 23. 7. 48 „Aus deinen Händen tritt das Meteor …“ – Aus: R. M. Rilke, Werke, Bd. II/2, Frankfurt a. M. 1974, S. 132. die berühmte Stelle über das Christentum – Rilkes Brief (nicht vom 7., sondern:) vom 17. 12. 1912 ist aus Ronda geschrieben. In ihm heißt es: „[…] ich bin seit Cordoba von einer beinah rabiaten Antichristlichkeit, ich lese den Koran, er nimmt mir, stellenweise, eine Stimme an, in der ich so mit aller Kraft drinnen bin, wie der Wind in der Orgel. […] Mohammed war auf alle Fälle das Nächste, wie ein Fluß durch ein Urgebirg, bricht er sich durch zu dem einen Gott, mit dem sich so großartig reden läßt jeden Morgen, ohne das Telephon ,Christus‘, in das fortwährend hineingerufen wird: Holla, wer dort?, und niemand antwortet.“ Rainer Maria Rilke/Marie von Thurn und Taxis, Briefwechsel, Bd. 1, Zürich 1951, S. 245 f.

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25. 7. 48 cum subtristes homines sunt, aut aliquantulum morosi … – „Da die Menschen etwas traurig sind, oder ein wenig eigensinnig, ist es Zeit, zornig zu werden.“ 27. 7. 48 Quantum arma hominum … – Recte: quantum enses et sclopeti, arma hominum, superant arma brutorum, cornua, dentes, aculeos, tantum homo lupos, ursos, serpentes, qui ultra famem rapaces non sunt, nec nisi lacessiti saeviunt, rapacitate et sevitia superat, etiam fame futura famelicus. „Denn so gewiss Schwerter und Spieße, die Waffen der Menschen, Hörner, Zähne und Stacheln, die Waffen der Tiere, übertreffen, so gewiss ist auch der Mensch, den sogar der künftige Hunger hungrig macht, raublustiger und grausamer als Wölfe, Bären und Schlangen, deren Raubgier nicht länger dauert als ihr Hunger und die nur grausam sind, wenn sie gereizt sind.“ Hobbes, M/B, S. 17.

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1. 8. 48 Werner Kaegi – (1909–2005), schweizer Jurist, hielt am 10. Mai 1947 seine Antrittsvorlesung an der Universität Zürich unter dem Titel „Widerstandsrecht und Rechtsstaat (Zur Erneuerung des abendländischen Rechtsdenkens)“.

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Monsieur Béguin – Albert Béguin (1901–1957), schweizer Literaturwissenschaftler, schrieb über die Rolle der Akademiker beim Aufstieg des Nationalsozialismus; vgl. Albert Béguin, Faiblesse de l’Allemagne, Paris 1946. 2. 8. 48 Ich entdecke heute in Hegels Rechtsphilosophie den § 247 – Vgl. C. Schmitt, Land und Meer, 6. Aufl., Stuttgart 2008, Nachbemerkung. 3. 8. 48 Geburtsort des modernen Bethlehem – In Bethlehem/Pennsylvania befanden sich die Stahlwerke Andrew Carnegies, die Basis seines Reichtums. Brief von Mr. Andrew Carnegie – A. Carnegie (1835–1919), amerikan. Industrieller, einer der reichsten Menschen seiner Zeit, Philantrop und Pazifist. Schmitt zitiert aus folgendem Buch: Henri Chardon, L’organisation de la République pour la paix (Publications de la Dotation Carnegie pour la Paix Internationale / Section d’Economie et d’Histoire. Histoire économique et sociale de la guerre mondiale. Série française), Paris usw. 1926. ein deutscher Tölpel – A. Hitler. K. Marx, Rjasanow I, S. 131 – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Karl Marx/ Friedrich Engels, Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke, Schriften, Briefe. Im Auftr. d. Marx-Engels-Inst., Moskau, hrsg. v. D. Rjazanov. Abt. 1, Halbbd. 1, Frankfurt a. M. usw. 1927 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 25161).

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5. 8. 48 Propos d’Alain – Émile-Auguste Chartier (1868–1951), frz. Philosoph, der unter dem Pseudonym „Alain“ das literarische Genre der „Propos“ begründete. 9. 8. 48 Karl Eschweiler – Kath. Theologe, Kollege Schmitts in Bonn und mit ihm befreundet, 1933 entschiedener Befürworter des Nationalsozialismus; vgl. Thomas Marschler, Karl Eschweiler (1886–1936). Theologische Erkenntnislehre und nationalsozialistische Ideologie (Quellen und Studien zur neueren Theologiegeschichte 9), Regensburg 2011. Schildgenossen Bd. 13, 1 – Konrad Weiß, Die politische Spannung von Inbegriff und Geschichte. In: Die Schildgenossen 13, H. 1, 1933 (Kopie mit Anm. im Nachlass).

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11. 8. 48 zitiert bei Duhourcau – François Duhourcau, La Voix intérieure de Maurice Barrès. D’après ses cahiers, Paris 1929.

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15. 8. 48 Genitum, non factum – „Gezeugt, nicht geschaffen“, Zitat aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis („Credo“). Was Schmitt hier gegen die Positivisten wendet, war die Formel, mit der auf dem Konzil von Nicäa die Sekte der Arianer ausgegrenzt wurde.

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17. 8. 48 hohoho durch RoRoRo – Zu verstehen als: „homo homini homo durch Rowohlts Rotations Romane“. Die Anregung, Bücher im billigen Rotationsverfahren zu drucken, hatte der Verleger Ledig-Rowohlt in Amerika erhalten.

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18. 8. 48 Niebel – Fritz Niebel (1913–1998), Justitiar in der Privatwirtschaft, seit 1950 Geschäftsführer der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages, ab 1958 in verschiedenen Funktionen in der nordrheinwestfälischen Landesregierung sowie der Bundesregierung tätig. Wilke – Nicht ermittelt. 20. 8. 48 cwrizómenoß tou kubernätou – „Getrennt vom Steuermann“. Nach Platon, „Politikos“, wo gesagt ist, dass durch den Rückzug des göttlichen Lenkers der Kosmos in Unordnung gerät (273 b 3). An Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 231 ff., 659 ff. „Wären Sie mit am Tisch gesessen“ bezieht sich darauf, dass Jünger beim 60. Geburtstag Schmitts nicht dabei war. Rivarol-Bändchen, das Sie mir vor 7 Jahren in Paris geschenkt haben – Antoine de Rivarol, Notes, maximes et pensés (Collection des moralistes), Paris 1941. Vgl. BW EJ, S. 136. Becher mit der Inschrift „Auf Gerechtigkeit – allezeit“ – Ein Zinnbecher, den Schmitt den Gästen bei seinem 50. Geburtstag schenkte. 25. 8. 48 Qui veut faire l’ange fait la bête – „L’homme n’est ni ange ni bête, et le malheur veut que qui veut faire l’ange fait la bête.“, Pascal, Pensées (Brunschvicg ), fr. 358. Schmitt besaß sowohl die moderne Ausgabe von Brunschvicg (RW 265 Nr. 24340) als auch eine Edition von 1670, die mit Anm. versehen ist (RW 265 Nr. 24343). 1. 9. 48 Dahm – Georg Dahm (1904–1963), nationalsoz. Straf- und Völkerrechtler.

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2. 9. 48 Versari in re illicita – „Sich in unerlaubter Lage aufhalten“. Mit diesem lateinischen Grundsatz wurde früher eine im Strafrecht vertretene Lehre bezeichnet, die davon ausging, dass bei Fahrlässigkeitsdelikten demjenigen, der etwas Verbotenes getan hat, ohne weiteres alle daraus erwachsenden Folgen zugerechnet werden können. 4. 9. 48 Omnia cedunt in favorem gerentibus bellum iustum – siehe oben zu S. 130. Versanti (oder versato) in re illicita omnia nocent … – „Alles schadet demjenigen, der sich in unerlaubter Lage aufhält (oder aufgehalten hat). Alles schadet dem im gerechten Krieg Besiegten. Der im gerechten Krieg Besiegte hält sich in unerlaubter Lage auf, ihm schadet alles.“

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5. 9. 48 Walz – Gustav Adolph Walz (1897–1948), Völkerrechtler. Vgl. unten zu S. 159. 8. 9. 48 In Monarchia is qui latere vult … – Recte: In monarchia igitur, is qui latere vult, qualiscunque sit qui regnat, extra periculum est. „Deshalb ist in der Monarchie jeder außer

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Gefahr, der ein zurückgezogenes Leben führt, mag regieren, wer da wolle.“ Hobbes, M/B, S. 180. Minus saepe damnantur cives immerito … – Recte: Minus tamen saepe damnantur cives immerito, regnante homine, quam populo. „Übrigens werden auch bei der Herrschaft eines Menschen weniger oft Menschen schuldlos verurteilt als bei der des Volkes.“ Hobbes, M/B, S. 179. 16. 9. 48 Ne quid ex contagione incommodi accipiant – „Damit ihnen nicht aus dem Kontakt Unannehmlichkeiten entstehen.“ (Die Rede ist von denen, die bei den Galliern als Gottlose und Verbrecher angesehen werden, und die daher gemieden werden.) Hans Schneider – Hans Schneider (1912–2010), Staatsrechtler, Schüler Schmitts. 21. 9. 48 Sir Henry James Sumner Maine – Henry Sumner Maine, Ancient law. Its connection with the early history of society and its relation to modern ideas, London 1861. Kap. IV. In der 2. Ausgabe von 1870 findet sich das Zitat auf S. 87.

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23. 9. 48 Gedichte wie „Der Nachtwandler“ oder „Lauschender auf blauer Au“ – Theodor Däubler, Der Flammende Lavabach. In: ders., Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922, S. 549–605; darin die beiden Gedichte S. 583 und 584 f. Und aus Versuchen würden Wunderblumen schlagen – Zitat aus dem Gedicht „Die Verneinung“. In: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922, S. 556. 28. 9. 48 Schöne Definition des Gesetzes bei dem jungen Hegel – „Vor dem Gesetze ist der Verbrecher nichts als ein Verbrecher; aber so wie jenes ein Fragment der menschlichen Natur ist, also auch dieser; wäre jenes ein Ganzes, ein Absolutes, so wäre auch der Verbrecher nichts als ein Verbrecher.“ G.W. F. Hegel, Der Geist des Christentums und sein Schicksal. In: ders., Frühe Studien und Entwürfe 1787–1800, Berlin 1991, S. 509.

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30. 9. 48 l’homme surpasse l’homme – B. Pascal, Pensées (Brunschvicg), fr. 434. 8. 10. 48 „Si j’avais la disgrâce d’être Allemand …“ – Recte: „… les deux Bigs de ce temps-là – bigre de Bigs! – jaurai été tenté …“. 16 .10. 48 Henri Murger – (1822–1861), frz. Schriftsteller, lieferte mit seinem Roman „Les scènes de la vie de bohème“ die Vorlage für Puccinis Oper „La Bohème“. Henry Millers Tropique du cancer – Schmitt bezieht sich hier und mit den folgenden Zitaten auf: Henry Miller, Tropique du Cancer. Trad. par Paul Rivert. Préf. de Henri Fluchère, Paris 1945. Schmitt beschaffte sich das erst 1953 auf Deutsch erschienene Buch mit Hilfe Ernst Jüngers; vgl. BW EJ, S. 234 f.

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Salus ex Judaeis – Vulgata, Joh 4,22: vos adoratis quod nescitis nos adoramus quod scimus quia salus ex Iudaeis est. „Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen, denn das Heil kommt von den Juden.“ Bes uswika – Titel eines Gedichts des serbischen Dichters Milutin Bojić (1892–1917), den Schmitt 1923 zusammen mit seiner späteren Frau Duška Todorović übersetzte; vgl. Tb 1921–24, S. 203 f. und passim. Vgl. auch Carl Schmitt, Illyrien – Notizen von einer dalmatinischen Reise. In: SGN, S. 485–490. der glänzende Aufsatz von Herbert Krüger – Herbert Krüger, Das Janusgesicht der Nürnberger Prozesse. In: Die Gegenwart 3, 1948, Nr. 66, S. 11 ff. (Vgl. dazu die Entgegnung von Kempner, ebd. Nr. 68, S. 9 ff.) in jus et favorem bellum justum gerentis – … si iure belli factum est, omnia cedunt in favorem iustum bellum gerentis. „ … wenn es um das Kriegsrecht geht, weicht alles zugunsten derjenigen, die den gerechten Krieg führen.“ Endlich macht die Zeit den Saul … – Aus Johann Christian Günthers Gedicht „Trostaria“; J. Chr. Günther, Gesammelte Gedichte. Hrsg. von H. Heckmann, München1981, S. 291 f. animus hostilis – feindselige Gesinnung. 18. 10. 48 les êtres humains font une faune et une flore étranges … – Henry Miller, Tropique du Cancer, a.a.O., S. 349. 21. 10. 48 Wie Heraklit sagt – „Der Krieg ist der Vater aller Dinge, aller Dinge König, die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von Hermann Diels, Berlin 1903, S. 74 (Fragment 53).

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27. 10. 48 Annie Kraus – (1900–1991), Cousine von Georg Eisler, hatte 1928/29 als Schmitts Sekretärin fungiert. Schmitt machte mit ihr aber auch Spaziergänge oder Café- und Kinobesuche. Im Tagebuch dieser Zeit spricht er zumeist positiv über sie, bezeichnet sie gelegentlich aber auch als „dumm“. A. Kraus, die auch mit Paul Adams und Eduard Rosenbaum befreundet war, überlebte als Jüdin in Deutschland, konvertierte 1942 zum Katholizismus und studierte Philosophie u. a. bei Heidegger. (Vgl. Andreas Mix, Hilfe im katholischen Milieu. In: Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer. Hrsg. von Wolfgang Benz, München 2003, S. 131–142). In ihrem an Thomas von Aquin orientierten Buch „Über die Dummheit“ von 1948 heißt es auf S. 38: „Die Willensfreiheit konstituiert sich in der Bindung an das wahre Sein, an Gott. Wenn der Wille diese Bindung aufgibt, entsteht die abstrakte Un-Gebundenheit der Willkür, die also von Wesen dumm ist. An drastischen Darstellungen einer solchen bloßen als ,das Existenzielle‘ sich gebärdenden boden-losen ,Präsenz‘ (Carl Schmitt) hat die jüngste Vergangenheit es nicht fehlen lassen.“ Auf S. 42: „Die Sünde fängt im Geist an: alle diese geistvollen Schöpfer häretischer Philosopheme sind zutiefst mitverantwortlich für die letzte, sie selbst vielleicht verwundernde – so tief sind sie bereits ,verdummt‘ – Gesunkenheit ihres Volkes …“

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1983 vermittelte Annie Kraus die Wiederannäherung von Schmitt und Georg Eisler. Vgl. Reinhard Mehring, Annie Kraus, der Würgeengel des Carl Schmitt. In: FAZ vom 20. 7. 2007, S. 35; ders., Die Hamburger Verlegerfamilie Eisler und Carl Schmitt (Plettenberger Miniaturen, 2), Plettenberg 2009, S. 18 und 27 f. Con-versanti in re illicita / co-existentibus in re illicita. – „Die sich gemeinsam in bösen Verhältnissen befinden, müssen in bösen Verhältnissen zusammenleben.“ Vgl. oben zu S. 148.

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7. 11. 48 Rolf Stödter – (1909–1993), Jurist und Reeder. 2. 12. 48 Hannes – Hans Schneider. bei Ostermann – Gasthaus in Plettenberg-Eiringhausen. The serpent, it is said … – Jeremy Bentham, The works of J. Bentham, Edinburgh 1838, Bd. 1, Teil 2, S. 325. protestatio factis et actis contraria – Bezieht sich auf folgende Bestimmung des römischen Rechts: protestatio facto contraria non valet. Demnach ist ein Vorbehalt unwirksam, wenn er mit dem eigenen faktischen Verhalten in Widerspruch steht.

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4. 12. 48 „l’obscurité protège mieux que la loi“ – Rivarol: „Nous sommes dans un siècle où l’obscurité protège mieux que la loi, et rassure plus que l’innocence.“ Diese Maxime Rivarols hat Schmitt nicht erst seit seiner Ausgrenzung aus dem Wissenschaftsbetrieb, sondern auch schon für seine Zeit als Volkssturmmann zitiert. Mit Jünger diskutierte er ausgiebig die angemessene Übersetzung. „Obscurité“ wollte Jünger zunächst mit „Nichtigkeit“, dann mit „Niedrigkeit“ übersetzen, was Schmitt ablehnte. Vgl. BW EJ, S. 279–292. Schließlich übersetzte Jünger: „Wir leben in einer Zeit, in der die Bedeutungslosigkeit mehr schützt als die Gesetze und ein besseres Gewissen als die Unschuld verleiht.“ (E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 14, S. 274). Auch damit dürfte Jünger kaum Schmitts Verständnis der Maxime getroffen haben. Das Problem der Übersetzung von „obscurité“ hat Jünger im Anhang seiner Rivarol-Ausgabe erörtert (a. a. O., S. 322 ff.). Vgl. auch BW Forsthoff, S. 114.

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12. 12. 48 Bible de l’humanité – Jules Michelet, Bible de l’humanité, Paris 1864. Der Yogi und der Kommissar – Arthur Koestler, Der Yogi und der Kommissar. Auseinandersetzungen, Esslingen 1950. 14. 12. 48 Nohl, S. 347/8 – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hegels theologische Jugendschriften nach d. Handschriften d. Kgl. Bibliothek in Berlin hrsg. von Dr. Herman Nohl, Tübingen 1907 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 24647).

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16. 12. 48 For as thou urgest justice be assured … – Shakespeare, The Merchant of Venice, 4. Akt, 1. Szene. Ave consilescens in arcano – „Sei gegrüßt, Mitschweigender im Geheimnis“. Meute Korah – Die Meute Korah rottete sich gegen Moses zu einem Aufstand zusammen (Num 16–17). 18. 12. 48 „So ist Christus schon so lange für unsere Sünden gestorben …“ – Zitiert bei: Karl Rosenkranz, G. W. F. Hegels Leben. Reprogr. Nachdruck der Ausg. Berlin 1844, Darmstadt 1969, S. 541. Kronzeuge von Lukács werden soll (Lukács, S. 590) – Georg Lukács, Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Oekonomie, Zürich und Wien 1948, S. 590 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 24641).

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20. 12. 48 Nachricht vom Tode des armen Gustav Adolf Walz – Walz, 1945 als Hochschullehrer entlassen und von der frz. Besatzungsmacht interniert, starb am 17. 12. 1948. Am 10. 1. 1949 schrieb Schmitt an E. R. Huber: „Ob jemand den Mut hat, Walz in der Öffentlichkeit gerecht zu werden? […] So werden wir zur Strecke gebracht, Walz mit 50 Jahren.“ BW Huber, S. 349. Ecce quomodo moritur iustus, et nemo considerat. – „Siehe, ein Gerechter stirbt, und niemand bemerkt es.“ Aus der mittelalterlichen Liturgie zum Tode Johannes des Täufers. Ich aber will seiner gedenken – Wie nahe ihm der Tod dieses Kollegen ging, erhellt daraus, dass Schmitt noch 1953 in der Rede zu seinem 65. Geburtstag seiner gedenkt; vgl. Schmittiana NF II, 2014, S. 291. Konrad Weiß – Die folgenden Zitate sind aus Weiß’ Drama „Konradin von Hohenstaufen“. 25. 12. 48 William Ebenstein – (1910–1976), österr.-amerikan. Politikwissenschaftler. In dessen Buch „Man and the State“ (New York 1947) sah Schmitt sich falsch dargestellt; vgl. BW Mohler, S. 25. 14. 1. 49 Le combat spirituel est plus brutal que la bataille des homes – Recte: „Le combat spirituel est aussi brutal que la bataille d’hommes; mais la vision de la justice est le plaisir de Dieu seul.“ Arthur Rimbaud, Sämtliche Dichtungen. Französisch und Deutsch. Hrsg. und übertragen von Walther Küchler, 6. Aufl., Heidelberg 1982, S. 324.

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18. 1. 49 „Jetzt werden die Gesetze ur-durchschaut zerschellen“ – Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Gedicht „Neumond“, S. 544. 22. 1. 49 Gottfried Benn: Ich bin nicht der Meinung … – Gottfried Benn, Drei alte Männer. In: Sämtliche Werke, Bd. VII/1, Stuttgart 2003, S. 121 (zuerst Wiesbaden 1949).

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26. 1. 49 Etat postiche – „unechter Staat“, den Begriff entlehnt Schmitt wohl aus: Georges Sorel, Réflexions sur la violence (Études sur le devenir social, 4), 4. éd., Paris 1919 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 25175).

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27. 1. 49 An Frau Jünger – Vgl. BW GJ, S. 112 ff. zu dem Thema: Chaopoliten – Schmitt am 25. 11. 1949 an E. Jünger: „Ich bin, wie Sie wissen, ein Chaopolit und kein Heliopolit.“ BW EJ, S. 241. 13. 2. 49 Ohle – Dorf bei Plettenberg. 15. 2. 49 der Ludus de Antichristo – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Gottfried Hasenkamp (Hrsg.), Das Spiel vom Antichrist. Ins Dt. übertr. mit e. Nachw. über den Ludus de Antichristo, s. Aufführung u. Übers., Münster 1932 (Exemplar mit Widmung d. Hrsg. im Nachlass, RW 265 Nr. 24532).

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19. 2. 49 „In dem Zauber dieser Paradiesesluft …“ – Recte: „In dem Zauber üppiger Paradieseslust befriedigt sich jeder Anspruch auf das Leben und jede Hoffnung des Jenseits.“ Johann Jakob Bachofen, Der Mythus von Orient und Occident. Eine Metaphysik der Alten Welt. Mit einer Einleitung von Alfred Baeumler. Hrsg. von Manfred Schroeter, München 1926, S. 402 (im Nachlass, RW 265 Nr. 24846). „Ein kaum gegrüßt, verlorener, unsagbarer Augenblick“ – Nikolaus Lenau, Gedicht „Frage“. In: ders., Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, Frankfurt a. M. und Leipzig 1970, S. 120: Menschenherz, was ist dein Glück? Ein rätselhaft geborner und, kaum gegrüßt, verlorner, unwiederholter Augenblick! 22. 2. 49 En quelque façon nul … – Vgl. Hans Peter Ipsen, Deutsche Gerichtsbarkeit unter Besatzungsmacht (Einwirkungen der Besatzung auf den gerichtlichen Rechtsschutz gegen deutsche Hoheitsakte in der britischen Besatzungszone). In: Festschrift zu Ehren von Prof. Dr. jur. Rudolf Laun, Rektor der Universität Hamburg, 1948, S. 68–96. Auf die Formel Montesqieus, der damit die Judikative meinte, geht Schmitt in seiner „Verfassungslehre“ ein; VL, S. 184 f. Venire contra factum proprium – „Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten“; Formel aus dem deutschen Schuldrecht. Rolf Stödter in seinem sonst so gründlichen Buch – Rolf Stödter, Deutschlands Rechtslage, Hamburg 1948.

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C. M. O. van Nispen tot Sevenaer – Carel Marie Otto van Nispen tot Sevenaer, L’occupation allemande pendant la dernière guerre mondiale. Considerations sur le caractère du pouvoir de la puissance occupante et de ses mesures selon les principes généraux du droit et selon la 4e convention de La Haye, La Haye 1946. Barandons Hamburger Rundfunkvortrag – Paul Barandon (1881–1971), dt. Diplomat, zu dieser Zeit Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Hamburg. 24. 2. 49 Otto Veit Ansprachen – 29. Dezember 1948. Ansprachen von Ernst Beutler und Otto Veit, Frankfurt a. M. 1948 (Festschrift zum 50. Geburtstag von O. Veit). 167

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25. 2. 49 Ich seh in Dir den Gott … – Stefan George, „Kunfttag“. In: ders., Werke. Ausgabe in zwei Bänden, 3. Aufl., Düsseldorf und München 1976, Bd. 1, S. 279; recte: „ … den schauernd ich erkannt …“ Kurt Hillers Feind-Gezappel – Kurt Hiller (1885–1972), pazifistischer Schriftsteller. Sein Aufsatz „Ewiger Friede in Gänsefüßchen“ (Die Weltbühne, Jg. 28, vom 4. 10. 1932, S. 498–500) war für Schmitt „als eines der vielen Beispiele für die Unterstellung des Wortes und Begriffes ‚Vernichtung‘ von dokumentarischem Wert“; BW Mohler, S. 48. gegen Paetel – Karl Otto Paetel (1906–1975), Schriftsteller, führender Vertreter des Nationalbolschewismus. 1. 3. 49 „Die Männer der deutschen Nationalversamlung in Frankfurt …“ – Zitat Bruno Bauer. Recte: „Die Männer zu Frankfurt wollten ein Reich gründen, dessen Daseyn mit einer allgemeinen europäische[n] Revolution gleichbedeutend war, und sie berechneten die Zukunft nach den Illusionen, in denen die augenblickliche revolutionäre Aufregung lebte.“ B. Bauer, Der Untergang des Frankfurter Parlaments. Geschichte der deutschen constituirenden Nationalversammlung, Berlin 1849, S. 94. Mit diesem Satz leitet Schmitt auch seinen unten genannten Donoso-Aufsatz ein. Donoso-Aufsatz – [C. Schmitt], Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation. In: Die neue Ordnung 3, 1949, H. 1, S. 1–15 (ohne Angabe des Verf.). Der Aufsatz geht auf einen in spanischer Sprache gehaltenen Vortrag in Madrid vom 31. Mai 1944 zurück und wurde 1949 unter dem Titel „Donoso Cortés y las revoluciones de 1848“ anonym veröffentlicht in: Revista de la Faculdad de derecho y ciencias sociales de la Universidad de Buones Aires 4, 1949, H. 17, S. 13–26. 1950 als Kap. 4 veröffentlicht in dem unter gleichem Titel erschienenen Buch. Asyl, das sich bei den Dominikanern bot – Im Dominikanerkloster Walberberg, insbesondere bei dessen Prior Pater Eberhard Welty, der die Zeitschrift „Die neue Ordnung“ leitete, fand Schmitt in diesen Jahren Unterstützung. 7. 3. 49 P.[asserin] d’Entrèves – Alessandro Passerin d’Entrèves (1902–1985), ital. Rechtsphilosoph.

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8. 3. 49 „Über meiner Mütze nur die Sterne“ – Vgl. Goethe, West-östlicher Divan. In: Goethes Werke. Hrsg. von Erich Trunz (Hamburger Ausgabe), Bd. 2, S. 9:

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Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten! Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! Und ich reite froh in alle Ferne, Über meiner Mütze nur die Sterne. Gedacht werden will ich, der ich ganz Gedanke bin – Aus den Apokryphen zum Neuen Testament (Act Joh 95). Vgl. Die Apokryphen Schriften zum Neuen Testament. Übers. und erläutert von Wilhelm Michaelis, Bremen 1956, S. 251 (hier mit dem Wortlaut: „Gedacht werden will ich, bin ich doch Gedanke ganz und gar.“). 10. 3. 49 „Der Mann in der Zelle“ – Bezieht sich auf: Nicolaus Sombart, Der Mann in der Zelle. In: Nordseezeitung (Bremen) vom 2. 3. 1949. Dazu schrieb Schmitt am 10. 3. 1949 an Sombart: „Der ‚Mann in der Zelle‘ hat meine alte Liebe zu Dir hell entfacht. Es sind Momente darin, die Deine ureigenste Genialität sichtbar machen (dazu gehört für mich z. B. die Stelle über den Goethevers ‚über meiner Mütze nur die Sterne‘), anderes scheint mir zu psychologisch, Zeitgespräch und allzu naheliegende Reflexion. Jeder Absatz und sogar jeder Satz beschäftigt mich.“ (BW Sombart, S. 22 f.). 12. 3. 49 Hans Zehrer – (1899–1966), Journalist, führender Kopf des Tat-Kreises, 1948–1953 Chefredakteur des „Sonntagsblatt“, 1953–1966 der „Welt“, seit 1931 mit Carl Schmitt bekannt. 13. 3. 49 Brief von Gottfried Benn – G. Benn, Ein Berliner Brief. In: Merkur 3, 1949, S. 203–206. Mit diesem im Juli 1948 geschriebenen Brief an den Herausgeber des Merkur begann das Comeback Benns nach 1945. Vgl. G. Benn, Gesammelte Werke in vier Bänden. Hrsg. von D. Wellershoff, Bd. 4, 3. Aufl., Wiesbaden 1977, S. 280–285. 14. 3. 49 die in Luxemburg angeklagten deutschen Richter – 1948/49 fanden in Luxemburg Prozesse gegen deutsche Richter statt, die während des Krieges bei Sonder- und Standgerichten tätig waren. Dabei waren die Anklagepunkte im wesentlichen nicht zu halten. Vgl. Matthias Herbers, Organisationen im Krieg (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 71), Tübingen 2012, S. 24 ff. Donoso-Aufsatz anonym – Siehe oben zu S. 168. 15. 3. 49 Das traurige Gespräch über Demokratie und Elite – Am 15. März 1949 gab es um 21.15 Uhr im Abendstudio von Radio Frankfurt eine Thesen-Disputation unter dem Titel: „Masse und Elite“. Diskussionsteilnehmer waren Heinrich Gremmels („Studienratssohn“),

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Friedrich Minssen, Gerhard Nebel („Ex-Studienrat“) und Nicolaus Sombart („Soziologensohn“). Vgl. Schmittiana VII, 2001, S. 92, Anm. 6 sowie BW Sombart, S. 20). 172

18. 3. 49 Bemerkung von Danzenbrinck – Franz Danzenbrinck (1899–1960), Jurist, Kommunalpolitiker. Die Bemerkung hätte Schmitt gern selbst gemacht, vgl. BW Mohler, S. 52. 22. 3. 49 The trend from unanimity to majority – Schmitt bezieht sich auf: Paul Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts. Unter Berücks. d. internat. u. schweizer. Praxis, Lieferung 1–3 , Basel 1947–1948 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22936–22938), wo in Anm. 141 der Satz folgendermaßen belegt ist: Cromwell A. Riches, Majority rule in international oranization. A study of the trend from unanimity to majority decision, Baltimore 1940. 3. 4. 49 Freund Barth – Karl Barth (1886–1968), ev.-ref. Theologe, der Gott als das Ganz Andere begriff und damit in einem spannungsvollen Verhältnis zu Carl Schmitt stand; vgl. Mathias Eichhorn, Es wird regiert! Der Staat im Denken Karl Barths und Carl Schmitts in den Jahren 1919 bis 1938 (Beiträge zur politischen Wissenschaft, 78), Berlin 1994. Vgl. auch oben, S. 277 f.

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10. 4. 49 Rapinam arbitrantes justitiam – „Den Raub für Recht haltend“. Der Vulgatatext von Philipper 2,6 lautet: „qui cum in forma Dei esset non rapinam arbitratus est esse se aequalem Deo“, in der Übersetzung Luthers: „Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein.“

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13. 4. 49 Der wissende, sich selbst wissende Geist… – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes (= Sämtliche Werke. Krit. Gesamtausgabe der Werke Hegels in zwölf Bänden. Hrsg. u. eingel. von Otto Weiß), Leipzig 1909 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 24638). 14. 4. 49 occultus propter metum Judaeorum – Vulgata, Joh 19,38: post haec autem rogavit Pilatum Ioseph ab Arimathia eo quod esset discipulus Iesu occultus autem propter metum Iudaeorum ut tolleret corpus Iesu. Luther: „Danach bat Joseph von Arimathäa, der ein Jünger Jesu war, doch heimlich, aus Furcht vor den Juden, den Pilatus, daß er den Leichnam Jesu abnehmen dürfe.“ 16. 4. 49 Pascual Jordan, Physik im Fortschritt – Recte: Pascual Jordan, Physik im Vordringen (Die Wissenschaft, 99), Braunschweig 1949 (Schmitt erhielt vom Autor ein Exemplar mit Widmung).

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Heinrich Triepels „Vom Stil im Recht“ – Recte: Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, Heidelberg 1947 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 22862). 20. 4. 49 Tigges, Nebel – Hubert Tigges (1895–1971), Reiseunternehmer und Verleger des MaréeVerlages (Wuppertal), in dem die Bücher von Gerhard Nebel erschienen, u. a.: „Ernst Jünger und das Schicksal des Menschen“, 1948 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22281) und „Ernst Jünger. Abenteuer des Geistes“, 1949 (RW 265 Nr. 22279). „Mittel der vollendeten Erfassung …“ – P. Jordan, Physik im Vordringen, a. a. O., S. 55. 22. 4. 49 Hans Fleig – (1916–1988), schweiz. Journalist. das filiaque statt des filioque – Die Aussage: Der Hl. Geist geht aus dem Vater „und dem Sohn“ (filioque) hervor, bezeichnet den entscheidenden dogmatischen Punkt, an dem sich im 6. Jahrhundert die Ostkirche von der Westkirche trennte. Schmitt steht hier vielleicht auch unter dem Eindruck, dass – neben der gemeinsamen Vaterschaft von Töchtern – der Frau von Fleig eine große Ähnlichkeit mit Duška Schmitt nachgesagt wurde; vgl. BW Mohler, S. 67. a¬naduoménh – „die dem Meer Entsteigende“, Beiname der Göttin Aphrodite. omooúsioß oder omoioúsioß – „Gleich oder ähnlich seiend“, dogmatische Streitfrage in der Alten Kirche zwischen Arianern, die meinten, der Sohn Gottes sei dem Vater nur ähnlich, und Nicänern, die auf „wesensgleich“ bestanden, was sich dann im Nicänischen Glaubensbekenntnis durchsetzte und heute im „Credo“ aller christlichen Kirchen bekannt wird. Lietzmann – Hans Lietzmann, Geschichte der der alten Kirche, Bd. 1: Die Anfänge, Berlin usw. 1932. Finance, mot d’esclave – „Ce mot de finance est un mot d’esclave; il est inconnu dans la Cité.“ J. J. Rousseau, Du contrat social, Amsterdam 1762, S. 133. Von Schmitt schon zitiert in: Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 8. Aufl., Berlin 1996 (zuerst München/Leipzig 1923), S. 19 f.

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23. 4. 49 Gedicht „Vollbringung“ in der Cumäischen Sibylle – Weiß, S. 150–152. 24. 4. 49 Er EK=sistiert, er west im Da; sein Sein ist Da-Sein – „Der Mensch ist nicht der Herr des Seienden. Der Mensch ist der Hirt des Seins. […] Aber es ist zugleich der Humanismus, bei dem nicht der Mensch, sondern das geschichtliche Wesen des Menschen in seiner Herkunft aus der Wahrheit des Seins auf dem Spiel steht. Aber steht und fällt in diesem Spiel dann nicht zugleich die Ek-sistenz des Menschen? So ist es.“ Martin Heidegger, Brief über den Humanismus. In: ders., Gesamtausgabe, Bd. 9, Frankfurt a. M. 1976, S. 342 f. (zuerst 1949). 25. 4. 49 Armer, guter, braver Weizsäcker – Ernst von Weizsäcker wurde am 14. April 1949 in Nürnberg zu fünf Jahren Haft verurteilt; vgl. oben zu S. 135. obéissance préalable – Siehe oben zu S. 25.

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Ordo dispensatorius – die Verwaltung des Hauses betreffende Ordnung; bezieht sich auf Gregor den Großen (s. folgenden Komm.). quibusdam praelati videamur … – „für die uns Vorgesetzte gut scheinen. Der geheime Dispens setzt die einen den anderen nach.“ Schmitt zitiert Gregor d. Gr. nach: Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen (= Gesammelte Schriften, 1), Tübingen 1912, S. 166 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 22087). Kants große Anmerkung – „Der Beherrscher des Volks (der Gesetzgeber) kann also nicht zugleich der Regent sein, denn dieser steht unter dem Gesetz, und wird durch dasselbe, folglich von einem anderen, dem Souverän, verpflichtet. Jener kann diesem auch seine Gewalt nehmen, ihn absetzen, oder seine Verwaltung reformieren, aber ihn nicht strafen […], denn das wäre wiederum ein Akt der ausübenden Gewalt, der zu oberst das Vermögen, dem Gesetz gemäß zu zwingen, zusteht, die aber doch selbst einem Zwange unterworfen wäre; welches sich widerspricht.“ Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten. In: ders., Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1975, Bd. 7, S. 436. crimen immortale, inexpiabile – In der Übersetzung Kants: ein „Verbrechen, was ewig bleibt, und nie ausgetilgt werden kann“; a. a. O., S. 441. a deo excitatus – siehe oben zu S. 5. der blinde Simson – Biblische Gestalt aus dem Buch Richter, Kap. 14–16. 26. 4. 49 h¥ joß – „Ethos“: 1. „gewöhnlicher Aufenthaltsort“, 2. „Gewohnheit, Brauch, Sitte“, 3. „Charakter, Denkweise, Sinnesart“ (nach: W. Pape, Griech.-dt. Handwörterbuch). „Im Staat kann es keine Heroen geben …“ – Kein wörtliches Zitat; Schmitt bezieht sich auf § 93 und § 218 der Hegelschen Rechtsphilosophie; vgl. C. Schmitt, Hamlet oder Hekuba, 2. Aufl., Stuttgart 1993, S. 65. 27. 4. 49 fame praesenti, fame futura famelicus, Taedio futuro taediatus – „Durch aktuellen Hunger“, „hungrig durch künftigen Hunger“, „angeekelt durch künftigen Ekel“. Die Formulierung „fame futura famelicus“ bezieht sich auf: Thomas Hobbes, De homine, X,4; vgl. BW Mohler, S. 346. 29. 4. 49 Tocqueville sagt – Schmitt bezieht sich auf: Alexis de Tocqueville, Mélanges, fragments historiques et notes sur l’Ancien Régime, la Révolution et l’Empire. Voyages – Pensées entièrement inédits, Paris 1865. Aufsatz Arnold Toynbees vom April 1949 – A. Toynbee, Russian Catfish and Western Herring. In: New York Herald Tribune vom 12. April 1949.

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1. 5. 49 docui, sed frustra – „Ich habe gelehrt, doch vergeblich“. Der von Schmitt öfter zitierte Satz aus dem „Leviathan“ von Thomas Hobbes (vgl. z.B. den Schluss von Schmitts „Leviathan“) ist von diesem präsentisch formuliert: „doceo, sed frustra“ („Ich lehre, doch vergeblich“), Thomas Hobbes, Opera philososphica, ed. G. Molesworth, vol. 3, London 1841, S. 213.

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Ich lese Emery Reves – E. Reves, Die Anatomie des Friedens. [Übertr. aus d. Amerikan. von Friedrich Fischer], Zürich/Wien/New York 1947 (zuerst New York 1945). Paci non pactis sed poenis (legibus = legibus poenalibus) providendum – „Für die Sicherheit muß deshalb nicht durch Verträge, sondern durch Strafen gesorgt werden.“ Hobbes, M/B, S. 133. Wer ist so blöd und sieht nicht den Betrug? Und wer so kühn und sagt, daß er ihn sieht? – Shakespeare, König Richard III., 3. Aufzug, 6. Szene. Bachofen macht den Epimetheus zum dumpfen Hyliker – Vgl. Johann Jacob Bachofen, Der Mythus von Orient und Occident. Eine Metaphysik der Alten Welt. Mit einer Einleitung von Alfred Baeumler. Hrsg. von Manfred Schroeter, München 1926, S. 318 f. (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 24846). Carl Spitteler – (1845–1924), schweiz. Dichter, Verfasser des Epos „Prometheus und Epimetheus“. „Scheinenmüssen des Handelnden“ – Max Kommerell, Schiller als Gestalter des handelnden Menschen. Gedenkrede gehalten in der Universität Bonn am 9. November 1934 (Wissenschaft und Gegenwart, 6), Frankfurt a. M. 1934, S. 20 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 27868). „wie eine Prostituierte in einer Schenke“ – „Das deutsche Volk hat seine Nationalversammlung 1848 wie eine Göttin der Freiheit bejubelt und angebetet, um sie ein Jahr später verenden zu lassen ‚wie eine Prostituierte in einer Schenke‘ – so urteilte der spanische Diplomat Donoso Cortes in seiner Rede über die allgemeine Lage Europas vom 30. Januar 1850.“ Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution von 1848–49, Berlin 1930–1931, Bd. 2, S. 1. „Doch ist er auch nicht meines Herzens Sohn …“ – F. Schiller, Demetrius, 2. Aufzug, 1. Szene (recte: „Doch wär’ er…“).

––––

7. 5. 49 Die Begriffsprägung „diskriminierender Kriegsbegriff“ – C. Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, München/Leipzig 1938 (komment. Wiederabdr. in: FoP, S. 518–597). 9. 5. 49 des Kommerellschen Vortrags – Vgl. Max Kommerell, Schiller als Gestalter des handelnden Menschen. [Gedenkrede gehalten in der Universität Bonn am 9. November 1934], Frankfurt a. M. 1934, S. 15 f. Erich Voegelins „Rassenidee“ – Erich Voegelin, Die Rassenidee in der Geistesgeschichte von Ray bis Carus, Berlin 1933 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 25790). 10. 5. 49 die Rede Churchills – Churchill sagte in einer Rede vor dem House of Commons am 21. 4. 1944: „In a world of confusion and ruin the old flag flies.“ In Portugal war Schmitt vom 13. bis 23. Mai 1944, kann die Rede also nicht hier gehört haben. „Et le vent furibond de la concupiscence …“ – Aus: Charles Baudelaire, Gedicht „Femmes damnées“ aus der Samlung „L’Épaves“. In: ders., Sämtliche Werke/Briefe. Hrsg. von Friedhelm Kemp und Claude Pichois, Bd. 4, München/Wien 1975, S. 14 ff.

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11. 5. 49 Sussmännisches Requiem auf Däubler – Toni Sussmann, Theodor Däubler. Ein Requiem. [Die Ausg. besorgte Jakob Hegner], London 1948 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 28651). T. Sussmann (1884–1967) Freundin und schwärmerische Verehrerin Däublers, betrachtete sich nach dessen Tod als „geistige Witwe“. Sie war mit Jakob Hegner befreundet. Vgl. BW Mohler, S. 28. Das Buch wurde Schmitt von Hans Fleig beschafft; vgl. ebd.; S. 56. 15. 5. 49 Günther Anders – (1902–1992), eigentlich Günther Siegmund Stern, Philosoph und Schriftsteller. um das im Suhrkamp-Verlag zu veröffentlichen, 1949 – Vgl. Günther Anders, Über Heidegger, München 2001, S. 69. Kafka-Aufsatz desselben Besitzers – Günther Anders, Kafka – Pro und Kontra. Die Prozeßunterlagen. In: Neue Rundschau 58, 1947, S. 119–157. (Auch selbständig erschienen, München 1951 u. ö.). 183

17. 5. 49 Asinus mysteria vehens – „Ein Esel trägt die Geheimnisse“, auf eine Komödie von Aristophanes bzw. die Metamorphosen des Apuleius zurückgehend, wurde der Satz sprichwörtlich. Kemp – Friedhelm Kemp (1914–2011), Literaturwissenschaftler. 18. 5. 49 Êtes-vous heureux? … – Aus der frz. Fassung des Dramas „Caïn“ von Lord Byron: „Caïn: Êtes-vous heureux? / Lucifer: Nous sommes puissants.“ (1. Akt, 1. Szene). Zu Byron vgl. PR, S. 27. 20. 5. 49 Wunder der D-Mark: Thomas Mann erscheint wieder in Deutschland – Thomas Mann hat lange gezögert, bevor er nach dem Krieg wieder nach Europa kam. Bei seiner ersten Europareise besuchte er 1947 England, die Niederlande und die Schweiz. Zwei Jahre später kam er dann über England, Schweden, Dänemark und die Schweiz auch nach Deutschland, wo er in Frankfurt den mit DM 10.000 dotierten Goethepreis entgegen nahm. 21. 5. 49 In vielen Toden stirbt hier für eine Schuld … – Max Kommerell, Die Gefangenen. Trauer––––– spiel in 5 Akten, Frankfurt a. M. 1948, S. 9.

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23. 5. 49 dóß moi poû stå – Siehe oben zu S. 40. Wir haben nichts, womit wir das vergleichen – Goethe, Torquato Tasso, 5. Akt, 5. Auftritt (Hamburger Ausgabe, Bd. 5, S. 162). Jesus is the Christ – Hobbes zitiert mit diesem Satz (Leviathan, Kap. 43) die Bibel, Act 17,3. Vgl. BdP, S. 121 f.; C. Schmitt, Die vollendete Reformation. In: Leviathan, S. [163] f.

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Zwischen Stalin-Orgeln … – Angelehnt an das Gedicht „Das Ideal und das Leben“ von F. Schiller, in dessen erster Strophe es heißt: Zwischen Sinnenglück und Seelenfrieden Bleibt dem Menschen nur die bange Wahl; Auf der Stirn des hohen Uraniden Leuchtet ihr vermählter Strahl. 26. 5. 49 Die Idee hat sich in solchen Fällen noch immer blamiert, sagte Friedrich Engels – Nicht Engels, sondern Marx: „Die ‚Idee‘ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‚Interesse‘ unterschieden war.“ Karl Marx, Die Heilige Familie. In: ders., Die Frühschriften. Hrsg. von S. Landshut, Stuttgart 1953, S. 320.

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31. 5. 49 Qui n’a pas l’esprit de son âge, de son âge a tout le malheur – Voltaire, Stances, VIII, 11–12. 16. 6. 49 homo verbo fit potentior – Thomas Hobbes, De homine, Kap. X,3: Denique propter loquendi facilitate Homo quae ne cogitate quidem loquitur, & quae loquitur credit vera esse, & se ipsum decipere potest; Bestia se ipsam fallere non potest. Itaque Oratione Homo non melior fit sed potentior. – „Endlich verführt die Mühelosigkeit des Sprechens den Menschen auch dazu, zu reden, wenn er überhaupt nichts denkt, und indem er, was er redet, für wahr hält, sich selbst zu täuschen. Das Tier kann sich nicht selbst täuschen. So wird der Mensch durch die Sprache nicht besser, sondern nur mächtiger.“ Hobbes, M/B, S. 18. gens prophetarum avida – Thomas Hobbes, De cive, Kap. XVI,15: Potestas itaque civilis summa debebatur jure, ex institutione Dei, Sacerdoti summo. Facto autem potestas illa in Prophetis erat, quibus (a Deo extraordinarie suscitatis) Israelitae (gens Prophetarum avida) propter existimationem prophetiae protegendos se & judicandos subjecerunt. – „Also gebührte nach Gottes eigener Einrichtung die höchste bürgerliche Gewalt rechtlich dem Hohenpriester; tatsächlich war aber diese Gewalt bei den Propheten, denen (als von Gott in außerordentlicher Weise erweckten Menschen) die Israeliten, ein nach Propheten begieriges Volk, wegen ihrer Achtung vor der Prophetengabe den Schutz und die Rechtsprechung über sich anvertrauten.“ Hobbes, M/B, S. 266 f. non enim potest civis privatim determinare … – Recte: non potest civis quisquam privatim determinare, quis sit amicus, vel quis hostis publicus, quando bellum, quando foedus, quando pax, quando induciae ineundae sint; – „Deshalb darf kein Bürger für sich bestimmen, wer dem Staate als Freund oder Feind gelten soll, wann ein Krieg begonnen, wann ein Bündnis, wann Friede oder Waffenstillstand geschlossen werden soll.“ Hobbes, M/B, S. 285. 17. 6. 49 Homer Lea – (1876–1912), amerikan. geopolitischer Schriftsteller. Sein letztes Buch „The Day of the Saxon“ sagte 1912 den Untergang des britischen Empire voraus.

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18. 6. 49 Verdrießlich wird mir dieser Friede – Zitat aus: Theodor Däubler, Das Nordlicht (Genfer Ausg.), Bd. 2, Leipzig 1922: Der Ararat, Die Apokalypse, S. 487.

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23. 6. 49 An Frau Jünger geschrieben – In der Edition des Briefwechsels (BW GJ) nicht enthalten. Estrada-Doktrin und Bogota-Charter – Nach dem mexikanischen Außenminister J. V. Estrada benannte, 1930 formulierte Doktrin, wonach jede Anerkennung und Nicht-Anerkennung einer fremden Regierung als Einmischung zu werten ist und daher zu unterbleiben sei. Die Bogota Charter ist ein 1948 zwischen mehreren amerikanischen Staaten geschlossener völkerrechtlicher Vertrag, in dem sich diese Staaten dazu verpflichteten, Konflikte zwischen ihnen gewaltlos zu lösen. 27. 6. 49 Hegel Zusatz zu § 70 Rechtsphilosophie – Hegel verneint hier ein Eigentumsrecht an der Persönlichkeit und lehnt deshalb den Selbstmord ab; das gelte auch für das „Benehmen des Heroen“, der sich in sein Schwert stürzt.

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30. 6. 49 Sic Baader – Franz von Baader an Prof. Hoffmann vom 6. 9. 1835. In: F. von Baader, Sämtliche Werke. Hrsg. von Franz Hoffmann u. a., Bd. 15 (= Nachgelassene Werke, Bd. 5), Leipzig 1857, S. 528. der Hochstapler Lüth – Paul Lüth (1921–1986) gab sich als Arzt ohne abgeschlossenes Medizinstudium aus, Verfasser literaturhistorischer und feuilletonistischer Texte. 2. 7. 49 Carrion-Comfort – Oberflächlicher, herzloser Trost. 3. 7. 40 Mahan – Alfred Thayer Mahan (1840–1914), amerikan. Konteradmiral und Marineschriftsteller, geistiger Repräsentant des US-Imperialismus; wichtigstes Werk: The Influence of Sea Power upon History (1890). Vgl. die Anm. Maschkes in: SGN, S. 327 f. und 437. „Für Ahasver, der 1933 …“ – Ernst Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 102. 4. 7. 49 Hans Paeschke – (1911–1991), Publizist, gründete 1947 mit Joachim Moras die Monatszeitschrift „Merkur“, die er bis 1978 herausgab. Paeschke besuchte Schmitt im Juli 1949 in Plettenberg; vgl. seine Briefe an Schmitt (RW 265 Nr. 10756–10781). Karl Löwith – (1897–1973), Philosoph. Löwith, der 1934 emigrierte, hat Schmitt unter dem Pseudonym „Hugo Fiala“ 1935 scharf angegriffen. Mit Löwith setzt Schmitt sich 1944 auseinander in „Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation“, wo er kritisiert, dass Löwith in seinem Buch „Von Hegel zu Nietzsche“ „(…) wesentliche Fragen bei Bruno Bauer ganz außer Betracht (läßt).“ C. Schmitt, Donoso Cortés in gesamteuropäischer Interpretation, Köln 1950, S. 99. Die Berechtigung dieser Kritik hat Löwith Hanno Kesting gegenüber eingeräumt (Brief von H. Kesting an Schmitt vom 22. 9. 1950; RW 265 Nr. 7467). Eine weitere Auseinandersetzung Schmitts mit Löwith ist seine Besprechung von dessen „Meaning in history“: C. Schmitt, Drei Stufen historischer Sinngebung. In: Universitas 5,

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1950, S. 927–931 (unter dem Originaltitel „Drei Möglichkeiten eines christlichen Geschichtsbildes“ wieder abgedr. in: BW Blumenberg, S. 161–166). Schmitt hatte dem MerkurHerausgeber Paeschke das Manuskript zur Lektüre gegeben und angeregt, es ohne Nennung des Verfassers an Löwith zu schicken, was Paeschke tat. (Brief im Nachlass Redaktion Merkur, Deutsches Literaturarchiv, HS 2274096). Für eine Übersetzung des Buches schlug Schmitt Hanno Kesting vor, was dieser unter wesentlicher Mithilfe von Reinhart Koselleck erledigte. non possum scribere de eo qui potest proscibere – Recte: non est enim facile in eum scribere qui potest proscribere. – „Es ist nämlich nicht leicht, gegen den zu schreiben, der einen auf die Proskriptionsliste setzen kann.“ Ambrosius Theodosius Macrobius, Saturnalia, II, 4/21. Schmitt berief sich schon in der NS-Zeit gern auf diesen Satz (z.B. gegenüber Ernst Jünger; vgl. dessen „Strahlungen“; E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 265).

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8. 7. 49 Wiener Emigranten namens Karpfen – Otto Maria Carpeaux, ursprünglich Otto Karpfen (1900–1978), österr. Journalist und Literaturkritiker, konvertierte 1932 vom Judentum zum Katholizismus und fügte seinem Namen „Maria“ hinzu, musste nach dem „Anschluss“ Österreichs ins Exil nach Brasilien fliehen und änderte dort seinen Namen in Carpeaux. Vgl. Mauro Souza Ventura, De Karpfen a Carpeaux. Formação política e interpretação literária na obra do crítico austríaco-brasileiro, Rio de Janeiro 2002. Zur Kontroverse mit Bernanos vgl. Andreas Pfersmann, Carpeaux versus Bernanos. Eine literar. Fehde im brasilian. Exil. In: Gilbert Ravy (Hrsg.), Nouvelles recherches sur l’Autriche (Austriaca, 36), Rouen 1993. Isidore Isou – Ioan-Isidor Goldstein (1925–2007), rumänischer Skandalautor, Künstler und Philosoph, lebte ab 1945 in Frankreich und nannte sich Isidore Isou. Sein 1947 bei Gallimard erschienenes Buch „L’Agrégation d’un nom et d’un messie“ ist ein autobiographischer Roman. 9. 7. 49 Nicht gewollt und nur getreu … – Aus einem Gedicht von Konrad Weiß. In: Weiß, S. 549: Ich erstaune tief in Scheu, wie sich ales fügt, nicht gewollt und nur getreu mich kein Ding betrügt, […] Vgl. auch BW Mohler, S. 141. Bach ist musikalische Oratorie – Arnold Schmitz (1893–1980), Musikhistoriker, mit dem Carl Schmitt seit 1922 eng befreundet war, hatte sich mit diesem Thema befasst, z. B. in dem Beitrag „Die Oratorische Kunst J. S. Bachs. Grundfragen und Grundlagen“, Kongreßbericht. Gesellschaft für Musikforschung. Lüneburg 1950, S. 33–49; wiederabgedr. in: Walter Blankenburg (Hrsg.), Johann Sebastian Bach, Darmstadt 1970, S. 61–84. Schmitz hatte davon einen Sonderdruck mit der Widmung geschickt „Carl Schmitt in Verehrung, Bewunderung, Freundschaft und Dankbarkeit Arnold Schmitz“ (Privatbesitz). Beide hatten jahrzehntelang das Thema der wortgebundenen Musik des Abendlands besprochen; die Monographie Arnold Schmitz, Die Bildlichkeit der wortgebundenen Musik Johann Sebastian Bachs, Mainz 1950, erschien mit gedruckter Widmung für Carl Schmitt.

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12. 7. 49 Donnedieu de Vabres – Henri Donnedieu de Vabres (1880–1952), frz. Jurist, Richter bei den Nürnberger Prozessen. 195

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14. 7. 49 die Horkia – tà oçrkia, die heiligen Gebräuche, die mit einem feierlichen Eidschwur verbunden sind (insbesondere bei Homer). 17. 7. 49 Sagt es niemand als den Weisen – Recte: „Sagt es niemand, nur den Weisen“. Goethe, West-östlicher Diwan, Gedicht „Selige Sehnsucht“ (Hamburger Ausgabe, Bd. 2, S. 18 f.) Maxima non curat praetor – Eigentlich: Minima non curat praetor, „Um Kleinigkeiten kümmert sich der Prätor nicht“. Maxime aus dem römischen Recht. Tempus docebit – „Die Zeit wird es lehren.“ 20. 7. 49 Wucht, mit der Werner Weber das Opus kritisiert – W. Weber (1904–1976), Schüler Schmitts, ab 1949 Professor für Staats- und Verfassungsrecht in Göttingen, kritisierte 1949– 1951 in drei Aufsätzen das Bonner Grundgesetz. Die Aufsätze sind enthalten in: W. Weber, Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, Stuttgart 1951. Bella gerant alii – Bella gerant alii, tu, felix Austria, nube! „Die Kriege führen andere, Du, glückliches Österreich, heirate!“ Auf die erfolgreiche Heiratspolitik Maximilians I. gemünztes Distichon eines anonymen Dichters.

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23. 7. 49 Kempner in „Der Monat“ – Robert M. W. Kempner, Der Kampf gegen die Kirche. Aus unveröffentlichten Tagebüchern Alfred Rosenbergs. In: Der Monat 1, 1949, S. 26–38. Die Tagebücher Rosenbergs aus der Zeit von 1934 bis 1944 galten nach 1945 als verschollen. Tatsächlich hatte Robert Kempner das Manuskript in Besitz und nahm es mit in die USA. Es wurde erst 2013 wiederentdeckt und 2015 publiziert: A. Rosenberg, Die Tagebücher von 1934 bis 1944. Hrsg. von Jürgen Matthäus und Frank Bajohr, Frankfurt a. M. 2015. das „Hochland“ hoch in Bayern – Gemeint ist die in München erscheinende Zeitschrift „Hochland“, die 1941 verboten und im November 1946 wiederbegründet wurde.

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26. 7. 49 Antifon – Wechselgesang. 28. 7. 49 Maxime Leroy – (1873–1957), frz. Jurist und Sozialhistoriker; M. Leroy, La vie véritable du Comte Henri de Saint-Simon (1760–1825), Paris 1925; das folgende Zitat auf S. 222. 4. 8. 49 Angesichts des Herrn Friesenhahn – Ernst Friesenhahn (1901–1984) war seit 1925 Assistent Schmitts an der Bonner Universität und wurde von ihm 1928 promoviert. Wegen Schmitts NS-Engagement kam es zum Bruch. Von 1947 bis 1948 war Friesenhahn Dekan der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn.

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Kirchheimer – Otto Kirchheimer (1905–1965), Schmitt-Schüler, wie Friesenhahn 1928 von Schmitt promoviert; vgl. BW Forsthoff, S. 360. 6. 8. 49 Reinach, Durkheim – Salomon Reinach (1858–1932), frz. Kunsthistoriker und Religionswissenschaftler. Émile Durkheim (1858–1917), frz. Soziologe und Ethnologe. Lektüre von Rudolf Diels – R. Diels (1900–1957), trat 1930 in den preußischen Polizeidienst ein und arbeitete 1932 mit Papen und Schleicher zusammen, seit dieser Zeit mit Schmitt bekannt. Er wurde mit Gründung der Gestapa deren Chef, wurde aber schon Ende 1933 abgesetzt und hatte dann eine schillernde NS-Karriere, auch Kontakte zum Widerstand. Nach 1945 arbeitete er für die amerikanische Militärregierung und trat in den Nürnberger Prozessen als Zeuge auf. In seiner Autobiographie schreibt er, wie er den soeben aus der Haft entlassenen Schmitt in Nürnberg traf und dieser ihm mit dem Ausruf Huttens „Es ist eine Lust zu leben“ entgegentrat; Rudolf Diels, Lucifer ante portas. Zwischen Severing und Heydrich, Zürich [1949], S. 322.

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12. 8. 49 wie er bei Shakespeare erscheint – In der zitierten Anmerkung (Leviathan, S. 40) verweist Schmitt auf: Heinrich V., 3. Akt, 3. Szene; Sommernachtstraum, 2. Akt, 1. Szene; Edelleute von Verona, 3. Akt, 2. Szene. 14. 8. 49 aeque enim transgredientes aequaliter puniri jubet aequitas naturalis – Thomas Hobbes, De cive, Kap. XIII,16. „…denn die natürliche Billigkeit fordert, daß die Übertreter eines Gesetzes gleichmäßig bestraft werden müssen.“ Hobbes, M/B, S. 215. 20. 8. 49 Miorit‚a-Schicksal – Populäre rumän. Ballade. Drei Schäfer treffen mit ihren Herden zuammen. Eines der Schafe namens Miorit¸a teilt seinem Schäfer mit, dass es von den anderen Schäfern getötet werden wird. Der Schäfer hält daraufhin eine Ansprache an das Tier, in der er mitteilt, dass er bei seinem Schaf begraben werden will. 21. 8. 49 Automatical < Arrest > – Nach Kriegsende 1945 nahmen die Alliierten politische Funktionsträger des NS-Staates in „automatic arrest“. Da Schmitt nicht zu diesem Personenkreis gehörte, war seine Inhaftierung 1945/46 – entgegen seiner wiederholten Aussage – kein „automatic arrest“; vgl. Quaritsch in: Carl Schmitt – Antworten in Nürnberg. Hrsg. und kommentiert von Helmut Quaritsch, Berlin 2000, S. 11 f. 22. 8. 49 Aroneanu – Eugène Aroneanu (?–1960), Jurist, rumän. Widerstandskämpfer, emigrierte in den dreißiger Jahren nach Paris, 1943 in die Schweiz, stellte für die Nürnberger Prozesse eine Liste nationalsozialistischer Kriegsverbrechen zusammen. Schmitt bezieht sich auf: Eugène Aroneanu, Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Auszug aus der „Nouvelle Revue de droit internationale privé“ No. 2, 1946), Baden-Baden 1947.

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die Figur des Scaeva – Schmitt bezieht sich auf: Pharsalia, VI, wo Scaeva sich gegen die eigene Truppe stellt. die Biedenhörner – Biedenhorn ist in Ernst Jüngers Erzählung „Auf den Marmor-Klippen“ die Figur eines taktisch klug sich verhaltenen Söldnerführers im Bürgerkrieg. Vergleiche meinen Vitoria-Aufsatz – Anonym veröffentlicht: [C. Schmitt], Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhmes. In: Die neue Ordnung 3, 1949, S. 289–313. Der Aufsatz, der auf 1944 gehaltenen Vorträgen in Spanien und Portugal beruht, wurde auch übernommen in: Nomos, S. 69–96. Malraux – André Malraux (1910–1976), frz. existentialistischer Schriftsteller und Politiker. Seine frühen Romane thematisieren die Situation des Menschen in Revolution und Bürgerkrieg. minor vobis causae vestrae amor quam mihi mortis – Recte: Pompei vobis minor est causaeque senatus / Quam mihi mortis amor, „Pompeius’ Sache und die des Senats ist euch nicht so teuer wie mir der Tod.“ Pharsalia, VI, 245 f. 23. 8. 49 Nos actes nous suivent – Schmitt bezieht sich wohl auf Off 14,13. Vielleicht auch auf den gleichnamigen Roman des frz. katholischen Autors Paul Bourget (1852–1935), erschienen Paris 1927. Non omnis moriar – „Nicht ganz werde ich sterben“, Horaz, Carmina III, 30/6. Veit Valentin hat recht – Schmitt bezieht sich auf: V. Valentin, Geschichte der Deutschen, Berlin 1947.

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26. 8. 49 Exkommunikation des Kommunismus – In einem Dekret des Hl. Offiziums vom 1. Juli 1949 über die Haltung der Gläubigen zur kommunistischen Partei ist die Unvereinbarkeit des kath. Glaubens mit dem Kommunismus festgestellt; vgl. Acta Apostolicae Sedis 41 (1949) 333–334, dt. in: Herder-Korrespondenz 3, 1949, H. 11, S. 487. Befreiung von dem fürchterlichen Cauchemaritain – Zusammengezogen aus „cauchemare“ (Alptraum) und „Maritain“ (= Jacques Maritain). Maritain, dem man Sympathie für den Kommunismus nachsagte, war von 1945–1948 Botschafter Frankreichs beim Vatikan und hatte mit seinem „Integralen Humanismus“ Einfluss auf die Sozialverkündigung Papst Pius XII. Von dem Dekret erhoffte sich Schmitt offenbar ein Ende dieses Einflusses. 27. 8. 49 Wiederkehr des Herrn Hausenstein – Wilhelm Hausenstein (1882–1957), dt. kulturhistorischer Schriftsteller und Diplomat. Schmitt hatte ihn bereits 1915 in München kennengelernt; vgl. Tb 1915. Hausenstein ging 1950 für die Bundesregierung zunächst als Generalkonsul, dann als erster deutscher Botschafter nach Paris.

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1. 9. 49 Hans Peters – (1896–1966), Staatsrechtler und CDU-Politiker, nach 1945 einer der treibenden Kräfte gegen eine Rückkehr Schmitts in den Universitätsbetrieb (Gutachten v. 17. 6. 1946, Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv, Juristische Fakultät,

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Nr. 524, Bl. 5–6) und die Aufnahme Schmitts in die Staatsrechtslehrervereinigung. Vgl. Levin von Trott zu Solz, Hans Peters und der Kreisauer Kreis. Staatslehre im Widerstand, Paderborn usw. 1997. 16. 9. 49 als Habe verloren, in die Zeit miteingegoren – Aus einem Widmungsgedicht für Carl Schmitt von Konrad Weiß: „Unsrer Welt miteingegoren / geht die Habe uns verloren“; Weiß, S. 655. 21. 9. 49 Omnis actio humana specificatur ex objecto – Recte: actus omnis habet speciem ad obiecto; et actus humanus, qui dicitur moralis, habet speciem ab obiecto relato ad principium actuum humanorum, quod est ratio. „Alles Handeln hat seine Beziehung zur Sache; und das menschliche Handeln, das man moralisch nennt, hat seine Beschaffenheit von der Sache, die am Anfang alles menschlichen Handelns steht, und das ist die Vernunft.“ Thomas < de Aquino >, Summa theologiae, I–II, q. 18, a. 8, c. 23. 9. 49 sizilianische Vesper – Bezeichnung für die Erhebung gegen die französische Besatzung in Palermo am 30. März 1282. Um verkleidete französische Soldaten nicht entkommen zu lassen, wurde die Aussprache von „cece, cici, ciceri“ geprüft. Hans Berger – (1909–1985), Jurist und Diplomat, zu dieser Zeit Präsident des Landgerichts Düsseldorf, seit 1954 im Diplomatischen Dienst der BRD, ab 1959 Botschafter in verschiedenen Ländern, zwischenzeitlich Chef des Bundespräsidialamtes. 24. 9. 48 Die Sprache ist das Haus des Seins. – Zitat aus Martin Heideggers „Brief über den Humanismus“. vom unbesitzbaren Inbild getragen – Anspielung auf das Carl Schmitt gewidmete Gedicht „Justitia“ von Konrad Weiß, das mit den Zeilen beginnt: „Recht war in jener irren Zeit / zum Inbild nicht mehr hingebogen“. Weiß, S. 665. Jellinek – „Das Recht wird also, als das erhaltende Moment, das Minimum der Normen eines bestimmten Gesellschaftszustandes bilden, d. h. diejenigen Normen umfassen, welche die unveränderte Existenz eines solchen sichern.“ Georg Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 2. Aufl., Berlin 1908, S. 45.

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25. 9. 49 Grote – Manfred Grote, Politikwissenschaftler, schrieb 1962: „Political ideas of Carl Schmitt and the ,Nihilism of the 20th century‘“ (Thesis, M. A., University of Kansas). 26. 9. 49 numquid et vos vultis abire? – „Wollt ihr etwa auch fortgehen?“, Vulgata, Joh 6,68 (Luther Joh 6,67). 1. 10. 49 die römische Kirche das Gespenst – „Und wenn jemand den Ursprung dieses großen kirchlichen Herrschaftsbereichs betrachtet, wird er leicht bemerken, daß das Papsttum

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nichts anderes ist als das Gespenst des toten römischen Reiches, das gekrönt auf dessen Grab sitzt.“ Thomas Hobbes, Leviathan. Übers. von Jutta Schlösser, hrsg. von Hermann Klenner, Hamburg 1996, S. 586. Lenins Ideal war die elektrifizierte Erde – Selbstzitat: „Der große Unternehmer hat kein anderes Ideal als Lenin, nämlich eine ,elektrifizierte Erde‘.“ RK, S. 22; vgl. auch FoP, S. 846 f. mit Anm. 24, S. 861. Wenn einer eine Niederlage erleidet … – Schmitt bezieht sich auf die Schrift „Darf ein Mensch für die Wahrheit sich totschlagen lassen?“ in der folgenden Ausgabe: Søren Kierkegaard, Der Begriff des Auserwählten. Übersetzung und Nachwort von Theodor Haecker, Hellerau 1917 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 24274). Die Stelle (S. 295) lautet wörtlich: „Denn wenn einer eine Niederlage erleidet, so sieht man nicht ganz, wie schwach er ist; man sieht, wie stark der andere ist. Aber wenn einer siegt und dann ohnmächtig zusammenbricht, so sieht man, wie schwach er ist und war – und wie stark der andere war, er, der ihn narrte, auf solche Weise zu siegen, ihn narrte, zerschmettert zu werden, wie keine Niederlage ihn zerschmettern konnte.“ 2. 10. 49 Regnare enim dicitur non qui agendo … – „Denn man sagt nur von dem, daß er regiert, der nicht durch seine Handlungen, sondern durch seine Worte, d. h. durch seine Gebote und Drohungen herrscht.“ Hobbes, M/B, S. 236. proprie et accurate loquendo – „in der eigentlichen und genauen Bedeutung des Wortes“; die Wendung gehört zum erweiterten Hobbes-Zitat. Rheema; rheemasin peithomenoi … – Rheema (r™äma) ist der Befehl. Schmitt spielt an auf das bekannte Epigramm des Simonides von Keos: ¥W xei¥n, a¬ggéllein Lakedaimoníoiß, oçti thıde keímeja, toîß keínwn r™ämasi peijómenoi. In der Übersetzung Schillers: „Wanderer, kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest uns hier liegen gesehen, wie das Gesetz es befahl.“ Das Beste in der Welt ist ein Befehl – Vgl. LuL, S. 13. Schmitt bezieht sich damit, in freier Übersetzung, auf Hobbes: Tertio, quod imperare et imperate intelligere possimus, beneficium sermonis est, et quidem maximum. „Drittens, weil wir Befehlen und Befehle einsehen können, ist es eine Auszeichnung der Sprache, und sicher die größte.“ Thomas Hobbes, Opera philosophica, ed. G. Molesworth, vol. II, London 1889, S. 91.

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6. 10. 49 Schmoller – Gustav von Schmoller (1907–1991), Diplomat, ehem. Doktorand und Assistent von Schmitt an der Berliner Universität. 9. 10. 49 eine schöne Glosse von mir – st [= C. Schmitt], Maritime Weltpolitik. In: Christ und Welt vom 6. 10. 1949. Wiederabdr. in: SGN, S. 478–480.

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11. 10. 49 Christinform – Vgl. Erich Schieweck, Christinform oder Kominform, das kommende Deutschland, Hamburg 1949.

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27. 10. 49 von der Heydte – Friedrich August von der Heydte (1907–1994), Staatsrechtler, Soldat, Politiker. Die „Asylschändung“ bezieht sich auf die „Entgegnung“ von der Heydtes auf Schmitts „Francisco de Vitoria und die Geschichte seines Ruhms“, in: Die Friedenswarte, 49, 1949, S. 190–197. Vgl. auch Schmitt an Forsthoff vom 1. 12. 1949, in: BW Forsthoff, S. 59 f., und an E. R. Huber vom 10. 12. 1949, in: BW Huber, S. 352 ff. Klaus Mehnert – (1906–1984), politischer Publizist. Welty – Eberhard Welty (1902–1965), Prior des Dominikanerklosters Walberberg, bot Schmitt in diesen Jahren Publikationsmöglichkeit in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Die neue Ordnung“. 1. 11. 49 Friedrich Ernst Peters – (1890–1962), dt. Schriftsteller. Wie schön und beglückend sind wohlgelungene Reime – Gegenüber Nicolaus Sombart äußerte Schmitt 1950, einen Aufsatz über Reime schreiben zu wollen (BW Sombart, S. 36). Dazu kam es nicht, aber im Nachlass gibt es Material dazu: RW 265 Nr. 20801. 6. 11. 49 Die kümmerliche Stimme Ernst Jüngers – Anfang November 1949 besuchte Jünger Schmitt. Darüber schreibt Anima Schmitt in einem Brief an ihre Mutter vom 7. 11. 1949: „… Peter Heinrich, als musikalischer Mensch, deutete ihn [ Jünger] ganz von der Stimme her und schauderte davor, seinen Kehlkopf zu sehen.“ In: Gerd Giesler, Carl Schmitt und die Künste der Plettenberger Nachkriegszeit (Plettenberger Miniaturen, 3), Plettenberg 2010, S. 26.

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13. 11. 49 Des Herrn Jaspers … Bazillophobie – Den Ausdruck „Bazillophobie“ kannte Schmitt durch Gerhard Nebel, demgegenüber ihn Jaspers in einem Gespräch benutzte. Darüber berichtete Nebel in einem Brief an Schmitt vom 7. 10. 1949 (RW 265 Nr. 10170). An Hannah Arendt schrieb Jaspers im Brief vom 19. 10. 1949 hinsichtlich der nationalsozialistischen Verbrechen und der Schuldfrage, dass er „die Dinge in ihrer ganzen Banalität nehm[e], ihrer ganzen Nichtigkeit – Bakterien können völkervernichtende Seuchen machen und bleiben doch nur Bakterien.“ Hannah Arendt/Karl Jaspers, Briefwechsel 1926–1969. Hrsg. von Lotte Köhler und Hans Saner, München 1985, S. 99. 15. 11. 49 Walter Warnach – (1910–2000), Schriftsteller, Philosoph. Der umfangreiche Briefwechsel von 1948 bis 1984 zwischen Warnach und Schmitt wird demnächst veröffentlicht. In dem zweiseitigen Brief vom 15. 1. 1949 klagt Schmitt über die Angriffe durch Thieme und von der Heydte und regt an, Warnachs Text über den Dominikanerpater R.-L. Bruckberger an Epting weiterzugeben und Kontakt mit P. Laurentius Siemer in Köln wegen eines Treffens aufzunehmen. 25. 11. 49 un livre de Amédée Ponceau – A. Ponceau, Timoléon. Réflexions sur la Tyrannie. Préf. de Louis Lavelle. Introd. de Raymond Aron (Pensée et civilisation), Paris 1950. A. Ponceau

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(1884–1948), frz. existentialistischer Philosoph. Schmitt unterhielt auch Beziehungen zu seiner Witwe Michelle Ponceau, über deren Reaktion auf ECS er sich gefreut hatte; vgl. BW Mohler, S. 85. Maiwald – Serge Maiwald (1916–1952), ehem. Doktorand und Habilitand Schmitts, gründete 1946 die „Schriftenreihe der Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur“, in der er seinem Lehrer ein Forum bot. Schmitt hatte ein besonderes freundschaftliches Verhältnis zu Maiwald und widmete ihm den einzigen Nachruf, den er verfasst hat: Carl Schmitt, Zum Gedächtnis an Serge Maiwald. In: Zeitschrift für Geopolitik 7, 1952, S. 447–448; vgl. auch die Anmerkungen von Günter Maschke zu seiner Wiederveröffentlichung in: FoP, S. 872–876; vgl. auch unten, S. 271. Da setzt einer sich die Nebelkappe auf … – Die Rede ist von E. Jüngers Roman „Heliopolis“. 26. 11. 49 Exposé des R. P. Bruckberger – Raymond-Léopold Bruckberger (1907–1998), frz. Dominikaner, Mitglied der Résistance. Laicus taceat in Ecclesia nisi clamat acclamationes praescriptas – „Der Laie hat in der Kirche zu schweigen außer bei den vorgeschriebenen Äußerungen.“ Anspielung auf 1 Kor 14,33–34: „Wie in allen Gemeinden der Heiligen sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt.“ 30. 11. 49 Preußen also ist vernichtet – Die Geschichte Preußens endete formell mit dem alliierten Kontollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947. Vgl. oben S. 38: „Il n’y a plus de Prusse.“ 3. 12. 49 Dabitur donum fortitudinis – „Tapferkeit wird als Geschenk gegeben“; bezieht sich auf Thomas von Aquin, vgl. Ulrich Horst, Die Gaben des Heiligen Geistes nach Thomas von Aquin, Berlin 2001, S. 153 ff. P. Franziskus Stratmann – (1883–1971), Dominikaner, Vertreter der katholischen Friedensbewegung. 6. 12. 49 Nous ne comparons pas les victimes, nous ne comparons que les juges – Schmitt zitiert aus: Lucien Laberthonnière, Sicut ministrator. Critique de la notion de souveraineté de la loi (Oeuvres), Paris 1947, S. 84 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 27235). Zur Bedeutung des Oratorianerpaters Laberthonnière (1860–1932) für Schmitt vgl. seine zu dieser Zeit entstandene, auf die Verhöre durch Kempner zurückgehende Arbeit „Das Problem der Legalität“, in: VA, S. 440–451 (zuerst 1950 in: Die neue Ordnung).

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13. 12. 49 Summa contra Gentiles III 93 – Schmitt bezieht sich mit dem Zitat auf folgende Ausgabe: Thomas < de Aquino >, Summa contra gentiles divi Thomae Aquinatis Angelici et v. ecclesiae doctoris … quatuor tributa libris de veritate catholicae fidei … volumen primum

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[-alterum] … Editio recens Parthenopeia ceteris cunctis accuratius a mendis expurgata de veritate catholicae fidei. Vol. 1–2, Neapoli 1773 (RW 265 Nr. 24547, 24548). Cum infidelibus nec nomina debemus habere communia … – „Da wir mit Ungläubigen nicht einmal Namen gemein haben, damit nicht aus der Gemeinsamkeit der Namen die Gelegenheit zum Irrtum entstehen kann.“ Thomas von Aquin (s. o.). zitiert in Privilege and Liberty – Aurel Kolnai, Privilege and liberty. In: Laval théologique et philosophique, vol. 5, 1949, S. 109. 20. 12. 49 die Idee des Herrn Ziemann – Lektor des Heliopolisverlags in Tübingen. Ernest Hello – (1828–1885), frz. Schriftsteller und Philosoph. Die Zitate finden sich in: E. Hello, Le siècle, les hommes et les idées. Avec une lettre-préface de Henri Lasserre, Paris 1896, S. 365–367.

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24. 12. 49 Hamburger Urteil gegen den deutschen General Manstein – Erich von Manstein (1887– 1973), Generalfeldmarschall, wurde 1949 von einem britischen Militärgericht in Hamburg als Kriegsverbrecher verurteilt.

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30. 12. 49 Causa victrix diis placuit – Siehe oben zu S. 79.

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9. 1. 50 mortisque peribunt argumenta tuae – Pulveris exigui sparget non longa vetustas / Congeriem, bustumque cadet, mortisque peribunt /Argumenta tuae. „Binnen kurzem wird das Häufchen Asche verstreut, das Grab verfallen und jeder Hinweis auf deinen Untergang verschwunden sein.“ Pharsalia, VI, 867 f. meine Ausgabe der Pharsalia von Cortius – Marcus Annaeus Lucanus, Pharsalia sive de Bello Civili libri X. [Beigefügt:] Eidemque adscriptum Carmen ad Pisonem [= Laus Pisonis] Gottlieb Cortius rec. et plurimis locis emendavit, Lipsiae 1726 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 27049). Die Inhaltsangabe mit dem Ausdruck „scelus infandum“ stammt vom Herausgeber Cortius. Für Schmitt wurde der Begriff wichtig für sein Gutachten von 1945, vgl. oben zu S. 66.

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10. 1. 50 Smend schrieb mir … – Vgl. BW Smend, S. 123 f. Schmitts Brief vom 10. 1. 1950 ebd., S. 126. An Ernst Jünger – Vgl. BW EJ, S. 243 ff. Rezension, die Karl Korn … – K. Korn, Der Sprung ins Wunderbare. Zu Ernst Jüngers neuem Buch „Heliopolis“. In: FAZ vom 24. 12. 1949. der Art von Mißtrauen, die Herrn de Mendelssohn beseelt – Bezieht sich auf: Peter de Mendelssohn, Gegenstrahlungen. Ein Tagebuch zu Ernst Jüngers Tagebuch. In: Der Monat 2, 1949/50, H. 14, S. 149–174. 12. 1. 50 „Dann beseitigen sie“ – Vgl. oben zu S. 129.

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Superos quid quaerimus ultra? – „Wozu suchen wir die Götter anderswo?“ Pharsalia, IX, 579. Salus ex Judaeis? Perditio ex Judaeis? – „Das Heil aus den Juden? Das Verderben aus den Juden?“ Vgl. Vulgata, Joh 4,22. Siehe auch oben zu S. 153. Spinoza war der erste, der sich subintroduzierte – Vgl. Leviathan, S. 86 ff. 17. 1. 50 opus operatum – Begriff aus der Sakramentslehre der katholischen Kirche. Für Katholiken wirkt das von einem geweihten Priester gespendete Sakrament ex opere operato, kraft des vollzogenen Ritus, und ist daher unabhängig von der Würdigkeit bzw. Unwürdigkeit des Spenders.

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4. 2. 50 favor victoris – „die Gunst des Siegers“. Forster – Nicht ermittelt. Porzia-Methode – Gemeint ist die Lex porcia der Römer; s. oben zu S. 108. Wer sich selber kommentiert, geht unter sein Niveau – Zitat aus „Blätter und Steine“ (1934) von Ernst Jünger. Vgl. auch BW EJ, S. 280. 5. 2. 50 Die beiden Briefe Jüngers – Nicht vom 10. und 16., sondern vom 13. und 16. Januar, vgl. BW EJ, S. 246 ff. Vgl. auch unten zu S. 373. Ch. Journet – Charles Journet (1891–1975), schweiz. kathol. Theologe und Kardinal. Schmitt meint folgenden Titel: Charles Journet, L’Église du Verbe incarné. Essai de théologie spéculative. 1. la hiérarchie apostolique, [Paris] 1941. Cum armis Jherusalem peregrinati sunt – „Bewaffnet sind sie gegen Jerusalem gezogen.“ Zitat aus den „Gesta Francorum“, dem Bericht über den 1. Kreuzzug. Vgl. auch Nomos, S. 27, Anm. 2. Bellorum quippe ac proeliorum certamina … – „Die Kämpfe in den Kriegen und Schlachten sind nicht nur der Anfang aller Betrügereien, sie sind tatsächlich auch durch Betrug die Entdeckungen der teuflischen Künste.“ Aus: Monumenta Germaniae historica inde ab anno Christi quingentesimo usque ad annum millesimum et quingentesimum: Epistolarum, Band 6/1: Epistoli Karolini aevi, Berlin 1939, S. 585. Il n’y a pas moyen d’expliquer comment … – Schmitt zitiert aus folgender Ausgabe: Joseph de Maistre, Les soirées de Saint-Pétersbourg, ou entretiens sur le gouvernement temporel de la providence. Suivis d’un traité sur les sacrifices. T. 1–2, Paris 1821. Das Zitat findet sich in T. 2, S. 2 und lautete korrekt: „…il n’y a pas moyen d’expliquer comment la guerre est possible humainement.“ châtiment divin; divine au sens où l’enfer est divin – Zitat aus: Charles Journet, L’église du verbe incarné, T. 1: La hiérarchie apostolique, 3. Aufl., [Paris] 1962, S. 621 (recte: „la guerre apparaît comme un châtiment divin, elle est divine au sens où l’enfer est divin.“) Deus indignatus – Primo, quod ipsa peccata, quibus Deus indignatus implevit tantis calamitatibus mundum, humiliter cogitantes, quamvis longe absint a facinorosis, flagitiosis atque impiis, tamen non usque adeo se a delictis deputant alienos, ut nec temporalia pro eis

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mala perpeti se judicent dignos. „Denn zunächst ist zu sagen, wenn sie sich die Sünden demütig vor Augen stellen, um derer willen Gott in seinem Zorn solch eine Fülle von Unglück über die Welt gebracht hat, so halten sie sich, obschon sie nichts weniger als verbrecherisch, bösartig und gottlos sind, doch keineswegs für so frei von Fehlern, daß nicht auch sie deswegen allerlei zeitliches Leid verdient zu haben glaubten.“ Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat (De civitate dei). Aus dem Lateinischen übertr. von Wilhelm Thimme. Eingel. und komm. von Carl Andresen, Bd. 1, München 1977, S. 15. Après avoir lu cette description de la guerre juste … – Ch. Journet, a. a. O., S. 623. Carl Erdmann behauptet – In: Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, s. S. 223. Batiffol – Pierre Batiffol, Le catholicisme de Saint Augustin, Paris 1920. Gustave Schnürer – Gustav Schnürer, L’ Église et la civilisation au Moyen-âge. Tome I. Trad … G. Castella et de Mme M.-Th. Burgard. Préf. de Édouard Jordan, Paris 1933. 8. 2. 50 Godenholm – Ernst Jünger, Besuch auf Godenholm, Frankfurt a. M. 1952.

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21. 3. 50 Nicht anzuraten ist jeder Fraß denen, die träumen – An Nicolaus Sombart schreibt Schmitt am 2. 5. 1950 die korrekte Form dieses Verses aus dem Gedicht „Der Fasan“ von Georg Britting: „Zu Sartre nur der Vers: Nicht anzuraten ist jeder Schmaus / Denen die träumen.“ (BW Sombart, S. 32). 23. 3. 50 Sohn dieser Weihe … – Abwandlung eines Verses von Th. Däubler aus dem Gedicht „Am Meere“ in der Sammlung „Der sternhelle Weg“. Der Vers lautet eigentlich: „Sohn dieser Weihe, du solltest erbeben! / Horche und leide.“

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24. 3. 50 Rousseau spricht von dem Pfahl … – „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: dies ist mein und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören; ihr seid verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem‘.“ Jean-Jacques Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit. Discours sur l’inégalité. Krit. Ausg. des integralen Textes. Mit sämtlichen Fragmenten und ergänzenden Materialien nach den Originalausgaben und den Handschriften neu ediert, übersetzt und kommentiert von Heinrich Meier, Paderborn 1984, S. 173. 12. 4. 50 1926 schrieb und veröffentlichte ich … – C. Schmitt, Die Kernfrage des Völkerbundes, Berlin 1926; wieder abgedr. in: FoP, S. 98 f., Anm. 37. die Schrift des jungen Hegel – Siehe oben zu S. 50.

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Ach, zu des Geistes Flügeln wird kein Körperlicher sich gesellen – Recte: „Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht / Kein körperlicher Flügel sich gesellen“, Goethe, Faust, Vers 1090 f. 229

3. 5. 50 Im sogenannten Hochland wird es immer schwüler – In der Zeitschrift „Hochland“ findet sich 1950 von Else Lasker-Schüler das Gedicht „Ich weiß“ (S. 352), von Konrad Weiß eine Betrachtung über das Bild „Rosen in blauer Vase“ von Maria Caspar-Filser (nach S. 568). Weinreich – Paul Weinreich (1906–1974), Lektor der Hanseatischen Verlagsanstalt, ab 1946 Herausgeber von „Deutsches Zeit-Archiv. Presseberichte und Zeitungsausschnittsdienst“. Schmitt erhielt Ausgabe B (Kulturnachrichten). Vorwerk – Friedrich Vorwerk (1893–1969), Publizist, Verleger, seit seiner Schriftleitertätigkeit für die Zeitschrift „Der Ring“ mit Schmitt bekannt; vgl. Schmittiana III, 1991, S. 159– 162 sowie Tb 1930–34 (Register). Beste – Theodor Beste (1894–1973), gebürtig aus Neheim-Hüsten, als Professor für Betriebswirtschaftslehre seit 1939 Kollege Schmitts an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. 4. 5. 50 Welzels Schrift – Hans Welzel, Vom irrenden Gewissen. Eine rechtsphilosophische Studie (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, 145), Tübingen 1949. Die von Welzel nicht nachgewiesene Stelle vom Ketzerrichter findet sich in: I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In: ders., Werke in zehn Bänden. Hrsg. von W. Weischedel, Darmstadt 1975, Bd. 7, S. 860 ff. 5. 5. 50 Brechts Dreigroschenroman, München 1946? – Nicht 1946, sondern 1949. „Die grobe Gewalt hat ausgespielt …“ – B. Brecht, Dreigroschenroman. In: ders. Gesammelte Werke, Bd. 13, Frankfurt a. M. 1967, S. 999 f.

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13. 5. 50 Lektüre Ponceau – Siehe oben zu S. 212. 19. 5. 50 Fand eine Notiz vom 24. 8. 1915 – Vgl. Tb 1915, S. 116. 23. 5. 50 Und hat sie Ehre noch so ist’s von mir – Friedrich Hölderlin, Der Tod des Empedokles, 1. Akt, 3. Auftritt: Mein ist die Welt, und untertan und dienstbar Sind alle Kräfte mir, zur Magd ist mir Die herrnbedürftige Natur geworden. Und hat sie Ehre noch, so ists von mir. Schreib nur nicht diesem Dr. Lewald – Walter Lewald (1887–1986), Jurist und Mitherausgeber der „Neuen Juristischen Wochenschrift“, schrieb 1950, dass Schmitt ein luziferischer

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Geist sei, „der auf den Irrweg der Machtanbetung geriet und mit der Vergötterung des Antichrist sein Werk vollendete.“ W. Lewald, Carl Schmitt redivivus. In: Neue Juristische Wochenschrift 3, 1950, S. 377. Non decet scribere ei qui vult proscribere – Vgl. oben zu S. 192; hier abgewandelt: „Es ziemt sich nicht, dem zu schreiben, der einen für vogelfrei erklären will.“ Vanini-Ode Hölderlins – Seitenstück zur Ode „Empedokles“, 3. Strophe: Doch die du lebend liebtest, die dich empfing, Den Sterbenden, die heilge Natur vergißt Der Menschen Tun und deine Feinde Kehrten, wie du, in den alten Frieden. Lucilio Vanini (1585–1619), Philosoph und Theologe, lehrte einen pantheistischen Naturglauben und wurde dafür 1619 in Toulouse gefoltert und verbrannt. 28. 5. 50 Brief von Alvaro d’Ors an P. Welty – Im Nachlass Schmitts liegt ein Brief von Álvaro d’Ors vom 7. 5. 1950 an Pater Eberhard Welty, der ihn zu einem Vortrag über Vitoria nach Walberberg einlud; RW 265 Nr. 10717. einen taktlosen Schauerkerl wie Erich Kaufmann zum völkerrechtlichen spiritus-rector erhebt – Der Staats- und Völkerrechtler Erich Kaufmann (1880–1972), mit dem Schmitt als Kollege in Bonn zunächst sehr freundschaftlich verkehrte, wurde etwa 1927 ein erbitterter Feind. Am 6. 4. 1927 äußert Schmitt sich im Tagebuch erstmals negativ zu Kaufmann: „hörte die unglaublichen Schwätzereien und Verleumdungen, die Kaufmann über mich in Berlin verbreitet hat.“ (Veröff. in Vorber.) Ab 1950 diente Kaufmann dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen Amt als Berater. Vgl. Helmut Quaritsch, Eine sonderbare Beziehung. Carl Schmitt und Erich Kaufmann. In: Bürgersinn und staatliche Macht in Antike und Gegenwart. Festschrift für Wolfgang Schuller, Konstanz 2000, S. 71–87. An Tüngel – Richard Tüngel (1893–1970), Mitbegründer und Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“. Da er Schmitt hier ein Forum bot, wurde er 1955 auf Betreiben Gräfin Dönhoffs entlassen. Sein Artikel in der „Zeit“ vom 25. 5. 1950 hat die Überschrift „Neues Biedermeier Bonner Staatsschutz“ und kritisiert die Bestrebungen des Bundeskabinetts, neue politische Straftatbestände wie „Friedensverrat“ einzuführen. Brief an Tüngel im Nachlass Schmitt; RW 265 Nr.13580. Der Brief ist abgedruckt in: K. Burkhardt (Hrsg.), Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, Berlin 2013, S. 87 f.

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31. 5. 50 „Das Privateigentum entfremdet …“ – Karl Marx, Die deutsche Ideologie. In: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1969, S. 212.

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3. 6. 50 Cautio Criminalis des Grafen Spee von 1631 – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Cautio criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenpozesse. Dt. Ausg. von Joachim-Friedrich Ritter (Forschungen zur Geschichte des deutschen Strafrechts. 1), Weimar 1939 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 27068).

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7. 6. 50 Mortisque peribunt / Argumenta tuae – Siehe oben zu S. 219. Gide: „c’était mettre le point d’honneur …“ – Vgl. André Gide, Journal 1939–1949, Paris 1950, S. 44. Wenn man bei André Gide liest, Hitler ist aus Versailles entstanden – „Il n’y aurait jamais eu de Hitler sans le traité de Versailles.“ Gide, Journal, a. a. O., S. 225. 8. 6. 50 Das argumentum ad canem – Hegel schrieb gegen die Bestimmung der Religion als „schlechthinnige Abhängigkeit“ durch Schleiermacher: „Gründet sich die Religion im Menschen nur auf ein Gefühl, so hat solches richtig keine weitere Bestimmung, als das Gefühl seiner Abhängigkeit zu seyn, und so wäre der Hund der beste Christ, denn er trägt dieses am stärksten in sich, und lebt vornehmlich in diesem Gefühle. Auch Erlösungsgefühle hat der Hund, wenn seinem Hunger durch einen Knochen Befriedigung wird.“ Schleiermacher schrieb dazu am 28. 12. 1822 an Karl Heinrich Sack: „Was sagen Sie aber dazu, daß Herr Hegel in seiner Vorrede zu Hinrichs Religionsphilosophie mir unterlegt, wegen der absoluten Abhängigkeit sei der Hund der beste Christ, und mich einer thierischen Unwissenheit über Gott beschuldigt. Dergleichen muß man nur mit Stillschweigen übergehen.“ Zit. nach F. Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe. Schriften und Entwürfe. Bd. 7: Der christliche Glaube 1821–1822. Teilbd. 1, Berlin/New York 1980, S. LVII. Vgl. auch Tb 1930–34, S. 450, Anm. 2059.

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15. 6. 50 Mit Mühe und Umständen … – Schmitt bekam das Buch durch den in den USA reisenden Peter Scheibert. Vgl. Schmitt an N. Sombart vom 13. 7. 1950: „Was ich bisher durch Peter Scheibert aus USA bekam, z. B. Ernst Bloch, Freiheit und Ordnung, ist enttäuschend.“ (BW Sombart, S. 33). 23. 6. 50 „C’est l’antisémite qui crée le juif“ – A. Gide, Journal, a. a. O., S. 288. „Les juifs sont les plus doux des hommes.“ – Ebd., S. 289. Il est si doux – Vgl. BW EJ, S. 154. 23. 7. 50 Kontrollratsgesetz Nr. 10 – Das am 20. 12. 1945 von den Alliierten erlassene Gesetz bildete die Grundlage für die Prozesse wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es wurde in das Recht der Bundesrepublik nicht übernommen, da Bedenken wegen des Rückwirkungsverbots bestanden.

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1. 8. 50 Wie stolz schrieb ich damals: Willkommen Gut und Bös! – Am Schluss des auf den 20. August 1939 datierten Vorworts zu PuB. 11. 8. 50 Immer wieder bin ich dem Betrug erlegen; immer wieder bin ich ihm entgangen. – Selbstzitat: ECS, S. 88.

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29. 8. 50 Erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst. – „Die Eroberung der aufgelösten Masse, ihre gewaltsame Unterwerfung und Umbildung durch das Heer ist unmöglich – das Heer in seiner alten Organisation ist nicht mehr erobernd, die Aristokratie seiner Führer keine vorschreitende geschichtliche Macht mehr, denn erobern kann nur derjenige, der seine Beute besser kennt als sie sich selbst, und sie durch diese Überlegenheit der Bildung und der Kenntnis sich unterwirft.“ Bruno Bauer, Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang der deutsch-katholischen Bewegung bis zur Gegenwart, Berlin 1849, S. 294 f. Dieses Zitat Bruno Bauers hat Schmitt häufig zitiert, und nicht erst – wie zuweilen zu lesen ist – seit der Niederlage 1945; vgl. z. B. PuB, S. 333. Monsieur Quine … – In Bernanos’ letztem Roman „Monsieur Quine“ spricht der Titelheld auf dem Totenbett von seinem „Hunger nach Seelen“: „Ich hütete mich davor, sie zu verändern, ich entdeckte ihnen ihr Ich, und zwar mit soviel Vorsicht, wie sie ein Entomologe braucht, um die Flügel einer Schmetterlingspuppe zu entfalten. Ihr Schöpfer hat sie nicht besser gekannt als ich, und selbst durch die Liebe kann man nichts so vollkommen besitzen, wie ich diese Seelen besaß durch dies unfehlbare Besitzergreifen, das den Patienten nicht verletzt, ihn unzerstört und doch uns völlig ausgeliefert läßt, eingefangen mit all seinen zartesten Farbentönen, seinem Irisieren, der ganzen Buntheit des Lebens.“ Georges Bernanos, Monsieur Quine; hier nach der dt. Ausg.: Die tote Gemeinde, Olten 1949, S. 284. Die Zeit kommt, sagte Nietzsche … – Vgl. Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden. Hrsg. von Karl Schlechta, 8. Aufl., München 1977, Bd. 2, S. 672. Heidegger Holzwege S. 205 – Schmitt zitiert nach: Martin Heidegger, Holzwege, Frankfurt a. M. 1950. Lake Success – Dorf in den USA, von 1946 bis 1951 Sitz der Vereinten Nationen. 1. 9. 50 Nietzsche „Mit festen Schultern …“ – F. Nietzsche, Werke. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, München 1999, Bd. 10, S. 207. Nietzsche „Blicke in die Welt …“ – Recte: „Blicke in die Welt, wie als ob die Zeit hinweg sei: und dir wird Alles Krumme gerade werden.“ Ebd., S. 216. 13. 9. 50 Quid igitur lex? Propter transgressiones posita est – Vulgata, Gal 3,19. „Was soll dann das Gesetz? Es ist hinzugekommen der Übertretungen wegen.“ Tí ou¥n o™ nómoß; tøn parabásewn cárin prosetéjh – Die gleiche Textstelle (Gal 3,19) im griechischen Neuen Testament. Pros-etethe, d. h. ex post? – prosetéjh = „dazu gestellt“; die Präposition pros ist zu–––––– nächst räumlich, kann aber auch zeitlich gemeint sein. z. B. im Schott – Im Meßbuch der katholischen Kirche, dem „Schott“, lautet Gal 3,19: „Wozu aber dann das Gesetz? Es wurde der Übertretungen wegen nachträglich aufgestellt.“ Anselm Schott, Das Meßbuch der heiligen Kirche lateinisch und deutsch, mit liturgischen Erklärungen und kurzen Lebensbeschreibungen der Heiligen, 36. Aufl., Freiburg i. Br. 1932, S. 588.

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30. 9. 50 Die Rechtswissenschaft, von der ich am Schluß der „Lage der Europ[äischen] R[echtswissenschaft]“ spreche – „Die europäische Rechtswissenschaft braucht nicht mit den Mythen vom Gesetz und Gesetzgeber eines gemeinsamen Todes zu sterben. Besinnen wir uns wieder auf unsere Leidensgeschichte, denn unsere Kraft wurzelt in unserm Leidvertrauen. So wird der Genius uns nicht verlassen, und es wird sich zeigen, daß selbst die Sprachverwirrung besser sein kann als die babylonische Einheit.“ C. Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, Tübingen 1949, S. 32. Rome n’est plus dans Rome, elle est toute où je suis. – Pierre Corneille, Sertorius, 3. Akt, 1. Szene. 238

4. 10. 50 Jürgen Rausch über Ernst Jünger – J. Rausch, Ernst Jüngers Optik. In: Merkur 4, 1950, S. 1069–1085 (auch selbständig erschienen, Stuttgart 1951). 22. 10. 50 die drei gerechten Kammacher – Siehe oben zu S. 41. und wenn wir sie alle töten, so würden wir alle ihre Stelle einnehmen – Schmitt zitiert hier ungenau Bruno Bauer, bei dem es heißt: „Luther sagt einmal in seinen Tischreden: ,Wenn die unnützen Leute müßten alle sterben, so müßten doch wir unnütz werden; denn der Teufel muß unnütz Gründe haben. Darum lasset sie immerhin leben, weil ihnen Gott das Leben gönnt.‘ So bedarf der Herr dieser Welt, um seine endlichen und profanen Zwecke zur Ausführung zu bringen, der Juden und sein Bedürfnis ist so stark, daß er seine Armee schon jetzt zum Theil auch aus der Reihe der Christen rekrutirt; wären aber die Juden nicht, so müßten wir Alle ihre Stelle einnehmen.“ B. Bauer, Das Judenthum in der Fremde, Berlin 1863, S. 77. Vgl. auch BW EJ, S. 190.

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10. 11. 50 A. Mitscherlich (Der Monat, Heft 25, Okt. 50) – Alexander Mitscherlich, Ödipus und Kaspar Hauser. Tiefenpsychologische Probleme in der Gegenwart. In: Der Monat 2, 1950, S. 11–18. Kaspar-Hauser-Gedicht von Verlaine – „Gaspard Hauser chante“ (1873/81); Übertragung von Richard Dehmel („Lied Kaspar Hausers“, 1891) und Stefan George („Kaspar Hauser singt“, 1915). 27. 2. 51 Analysieren Sie das einmal phonetisch! – Schmitt denkt hier wohl an: Ernst Jünger, Lob der Vokale. In: ders., Sämtliche Werke, Bd. 12, Stuttgart 1979, S. 40 ff. Vgl. die Ansprache Jüngers zum 90. Geburtstag Schmitts: „… ich hatte einmal anläßlich einer der Unannehmlichkeiten, die Sie in Ihrer Eigenschaft als Staatsrechtslehrer betroffen hatte, notiert: ,Das sind so Mißgeschicke des Berufs.‘ Sie hatten davon gehört und geäußert: ,Dazu muß man die Bedeutung kennen, die der Vokal I für Ernst Jünger besitzt.‘“ Carl Schmitt und Plettenberg. Der 90. Geburtstag (Plettenberger Miniaturen, 1), Plettenberg 2008, S. 17.

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28.2.51 An Frau Jünger – Vgl. BW GJ, S. 145 f. Trost ein absurdes Wort – Von Schmitt gelegentlich zitierter Vers Goethes: Ja, schelte nur und fluche fort, Es wird sich Bess’res nie ergeben. Denn Trost ist ein absurdes Wort: Wer nicht verzweifeln kann, der muß nicht leben. Goethe, Werke (Weimarer Ausgabe), I/2, S. 236. 4. 3. 51 Distinguo ergo sum – „Ich unterscheide, also bin ich.“ Die Abwandlung des DescartesSatzes hat Schmitt Ernst Jünger auch als Widmung entgegen gehalten in dem Exemplar seines Buches „Legalität und Legitimität“, das er ihm, als Antwort auf dessen „Arbeiter“, am 20. August 1932 schickte; vgl. Martin Tielke, Die Buchwidmung als hermeneutischer Schlüssel. Das frühe Verhältnis von Ernst Jünger und Carl Schmitt im Spiegel ihrer Widmungen. In: Das historische Erbe in der Region. Festschr. für Detlev Hellfaier. Hrsg. von Axel Halle u.a., Bielefeld 2013, S. 212 f.

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6. 3. 51 Widerlegung des „Bedürfnisses“ als Trieb der Macht bei Aristoteles – Das Zitat findet sich auf S. 37 (Lib. II, Cap. IV/8) der Ausgabe: Aristoteles, Aristotelis Politicorum libri octo. Ad recensionem Immanuelis Bekkeri recogniti … interpretatione germanica explanavit … Adolfus Stahr, Lipsiae 1839. Der genaue Wortlaut: oi©on turannoûsin ou¬c iÇna mæ r™igøsin, „so wird man z.B. nicht Tyrann, damit man nicht friere“. 7. 5. 51 Die Leviathan-300-Jahr-Feier in Frankfurt – Eher inoffizielle Feier, die von Schmitt angeregt wurde; vgl. Schmitt an Nicolaus Sombart vom 21. 1. 1951: „Wie wäre es, wenn wir am 5. April 1951 (Geburtstag von Thomas Hobbes) in irgendeinem kleinen Nest mit richtigem Namen – ich denke an Werdohl, es kann aber auch etwas anderes sein – eine 300-Jahrfeier des Leviathan veranstalten? Ganz exklusiv und esoterisch.“ (BW Sombart, S. 38; vgl. auch BW Forsthoff, S. 78). Zu diesem Anlass erschien: C. Schmitt, Dreihundert Jahre Leviathan. Zum 5. April 1951. In: Die Tat (Zürich) vom 5. 4. 1951. das blinde Vorgebot – Siehe oben zu S. 18. 15. 6. 51 Haec omnis, quam cernis, inops inhumataque turba est – „Dies ist die Schar, die keiner barg im Grabe“, Übersetzung von Eduard Norden. In: E. Norden, P. Vergilius Maro, Aeneis Buch VI. Erkl. von E. Norden. Unveränd. Neudr. der 3. Aufl. 1927, 9. Aufl., Stuttgart 1995, S. 69. Wörtlich übersetzt heißt „inops inhumataque turba“: „die machtlose und unbeerdigte Masse“. Etenim sacramentum regis abscondere bonum – „Es ist gut, das Geheimnis eines Königs zu wahren.“

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16. 6. 51 große akademische Ehrung der Universität Maryland – Ernst Friesenhahn erhielt im Mai 1951 zusammen mit dem amerikanischen Hohen Kommissar für Deutschland, John McCloy, und Bundespräsident Theodor Heuss die Ehrendoktorwürde der Universität Maryland. Sententiam eius quem contemnimus nostrae praelatam videre … – „…ansehen müssen, wie die Meinung eines Menschen, den man verachtet, der eigenen vorgezogen wird, wie unsere Weisheit in unserem Beisein gering geschätzt wird; um leeren Ruhm einen ungewissen Kampf beginnen, wobei man gewiß sich Feindschaften zuzieht (denn dies ist unvermeidlich, mag man siegen oder besiegt werden); wegen Verschiedenheit der Meinungen hassen und gehaßt werden; seine geheimen Gedanken und Wünsche ohne Not und Nutzen allen offenbar machen; seine häuslichen Angelegenheiten vernachlässigen.“ Hobbes, M/B, S. 182. Hobbes spricht hier davon, dass die angeborene Ehrbegierde des Menschen in der Republik leichter zu befriedigen ist als in der Monarchie. Dem stehen jedoch die aufgezählten Nachteile gegenüber. Katalog des Hamlet-Monologs – Shakespeare, Hamlet, 3. Aufzug, 1. Szene. Die erwähnte Stelle lautet in der Übersetzung Schlegels: Des Mächt’gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen, Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub, Den Übermut der Ämter und die Schmach, Die Unwert schweigendem Verdienst erweist, Wenn er sich selbst in Ruh‘stand setzen könnte. 22. 6. 51 Robert Mohl hat es gefunden. – Siehe oben zu S. 35. 24. 6. 51 Tierno – Enrique Tierno Galvàn (1918–1986), span. Jurist, Gegner Francos und Gründer der sozialistischen Partei Spaniens; beteiligte sich 1968 an der Festschrift für C. Schmitt. Truyol – Antonio Truyol y Serra (1913–2003), span. Rechtsphilosoph. In den von Christian Tilitzki veröffentlichten obligatorischen Berichten Schmitts über seine Vortragsreisen an das Reichserziehungsministerium (Schmittiana VI, 1994, S. 191–270) tauchen die Namen Tierno und Truyol nicht auf, möglicherweise, weil sie Franco-Gegner waren. Hobbes (De Cive, cap. II, § 18) – Praeterea, ei qui pacto tenetur, creditor: (pactorum enim vinculum sola fides est:) qui vero ad supplicium ducuntur, sive capital, sive capitali mitius, constringuntur vinculis, vel satellitibus custodiuntur. „Außerdem vertraut man dem, der sich durch Vertrag verpflichtet hat (den die Treue ist das allein Bindende bei den Verträgen); aber die, die der Strafe – entweder dem Tode oder einer geringeren Strafe – überliefert werden, werden gefesselt oder durch Henkersknechte bewacht.“, Hobbes, M/B, S. 94. Ubi vero creditur … – Ubi vero vel alteri vel utrique creditur, ibi is cui creditur, promittit se praestiturum postea, appellaturque hujusmodi promissum pacti. „Wo aber dem einen oder beiden Vertrauen geschenkt wird, da verspricht der, der das Vertrauen genießt, eine spätere Erfüllung, und ein solches Versprechen heißt ein Vertrag.“ Hobbes, M/B, S. 90.

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4. 7. 51 Der Reim ist für den Vers … – „La rime dans le vers, c’est la couleur dans la painture.“ Ernest Hello, Le siècle. Les hommes et les idées, Paris 1928, S. 366 f. August Stramm – (1874–1915), wegweisender Dichter des Expressionismus.

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6. 7. 51 Max Picard – (1888–1965), schweiz. Kulturphilosoph. Raum ist dasselbe Wort wie Rom – Vgl. C. Schmitt, Raum und Rom. Zur Phonetik des Wortes Raum. In: Universitas, 1951, S. 963–967; auch in: SGN, S. 491–495. Vgl. Nicolaus Sombart, Jugend in Berlin, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 252. 13. 7. 51 auf einen Caliban hereingefallen – Die Rede ist von Gerhard Nebel; vgl. unten zu S. 269 und 283. 14. 7. 51 „Komm in die Bar mit grüner Orchidee …“ – Persiflierung des Gedichts „Allerseelen“ von Gottfried Benn, dessen Anfang lautet:

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Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, Die letzten roten Astern trag’ herbei Und laß uns wieder von der Liebe reden Wie einst im Mai. 19. 7. 51 Wenn du Antwort gäbest, wäre es Trug – Recte: „Gäbest du Antwort so wärest du Trug.“ Aus dem Gedicht „An meinen Dämon“ von Oskar Loerke, das Wilhelm Lehmann als sein „Lieblingsgedicht“ Loerkes zitiert; vgl. W. Lehmann, Gesammelte Werke in acht Bänden, Bd. 7, Stuttgart 2009, S. 45 f. Julius Bab – (1880–1955), Schriftsteller, Dramaturg und Theaterkritiker. Bab gehört zu den frühen Bekannten Schmitts, vgl. Tb 1912–15. Ein Brief Schmitts an Bab vom 13. 9. 1914 ist von Piet Tommissen veröffentlicht in: Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt. Hrsg. von H. Quaritsch, Berlin 1988, S. 92–94. 20. 7. 51 Wenn ich nicht wirke mehr, bin ich vernichtet – F. Schiller, Wallenstein, 1. Akt, 7. Auftritt: Zeigt einen Weg mir an, aus diesem Drang, Hilfreiche Mächte! einen solchen zeigt mir, Den ich vermag zu gehn – Ich kann mich nicht, Wie so ein Wortheld, so ein Tugendschwätzer, An meinem Willen wärmen und Gedanken – Nicht zu dem Glück, das mir den Rücken kehrt, Großtuend sagen: Geh! Ich brauch dich nicht. Wenn ich nicht wirke mehr, bin ich vernichtet. In meines Nichts durchbohrendem Gefühle – F. Schiller, Don Carlos, 2. Akt, 5. Auftritt:

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Carlos: …. O, ich zweifle nicht, Man wird sehr bald von Ihren Siegen hören. Sie werden unsers gnädigen Vertrauens Sich wert zu machen wissen. Alba (mit Bedeutung): Werd’ ich das In meines Nichts durchbohrendem Gefühle? 5. 8. 51 Fons turbatus pede & vena corrupta, est iustus cadens coram impio – Bacon zitiert damit die Vulgata, Spr 25,26: „Wie eine mit dem Fuß getrübte Quelle, ein verdorbener Brunnen, so der Fromme, der vor dem Gottlosen wankt.“ Die Explicatio, die Bacon zu dieser Parabel gibt – Praecipit Parabola, rebuspublicis ante omnia cavendum esse de iniquo et infami judicio, in causa aliqua celebri et gravi; praesertim ubi non absolvitur innoxius, sed condemnatur insons. Etenim injuriae inter privatos grassantes turbant quidem et polluunt latices justitiae, sed tanquam in rivulis: verum judicia iniqua, qualia diximus, a quibus exempla petuntur, fontes ipsos justitiae inficiunt et inquinant. Postquam enim tribunal cesserit in partes injustitiae, status rerum vertitur tanquam in latrocinium publicum: fitque plane, ut homo homini sit lupus. „Die Parabel zeigt, daß man sich in öffentlichen Angelegenheiten vor allem hüten muss vor einem üblen und ungerechten Urteil in einer bedeutenden und wichtigen Sache; vor allem da wird man nicht von Schuld freigesprochen, sondern unschuldig verurteilt. Denn zwar trüben und verunreinigen die bei Privatleuten verbreiteten Ungerechtigkeiten die Wasser der Gerechtigkeit, aber gleichsam nur in Bächlein; die ungerechten Urteile aber, soviel sagen wir, und davon können Beispiele zitiert werden, vergiften und verunreinigen die Quellen selbst. Nachdem nämlich das Gericht aufgehört hat mit seinem Unrecht, wendet sich die Sache gleichsam in öffentliche Räuberei und macht deutlich, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist.“ Francis Bacon, The works of F. Bacon. Ed. by James Spedding, Robert Leslie Ellis, Douglas Denon Heath, vol. 3, Boston 1862, S. 79 f. Vgl. dazu Blumenberg, S. 185–187. 247

24. 8. 51 Was kann mir widerfahren … – Aus dem Gedicht „Licht der Welt“ von Friedrich Schnack, von dem Schmitt etliche Bücher besaß. Hier handelt es sich um: F. Schnack, Das kommende Reich. Gedichte, Hellerau 1920, S. 104 f. Richtig muss es heißen: Wer kann mir widerfahren, aus allen bösen Scharen, Da ich Dich darf bewahren, Du zarter, alter Flammensinn. Davor heißt es: Ich bin in die Feindschaft der Feinde gestellt, In den Zorn der Städte, in den Atemhaß der Munde. Aber ich habe die ernste Lampe in mir entzündet,

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mitten in der mitternächtigen Stunde: Süßes Licht der Welt. 26. 8. 51 Er ist ein Mal-Mann – Frz. „mal“ = schlecht, böse; Anspielung auf den Lektor des Tübinger Verlages Mohr, Walter Mallmann (1908–1982); vgl. BW Forsthoff (Register). 29. 8. 51 Hegel, Phänomenologie S. 356 – Schmitt zitiert nach folgender Ausgabe: Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes (= Sämtliche Werke. Krit. Gesamtausgabe der Werke Hegels in zwölf Bänden. Hrsg. u. eingel. von Otto Weiß), Leipzig 1909 (mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 24638). In der Suhrkamp-Werkausgabe lautet die Stelle: „Der Tote, dessen Recht gekränkt ist, weiß darum für seine Rache Werkzeuge zu finden, welche von gleicher Wirklichkeit und Gewalt sind mit der Macht, die ihn verletzt. Diese Mächte sind andere Gemeinwesen, deren Altäre die Hunde oder Vögel mit der Leiche besudelten, welche nicht durch die ihr gebührende Zurückgabe an das elementarische Individuum in die bewußtlose Allgemeinheit erhoben, sondern über der Erde im Reiche der Wirklichkeit geblieben [ist] und als die Kraft des göttlichen Gesetzes nun eine selbstbewußte wirkliche Allgemeinheit erhält. Sie machen sich feindlich auf und zerstören das Gemeinwesen, das seine Kraft, die Pietät der Familie, entehrt und zerbrochen hat.“ Hegel, Werke. Hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1970, S. 351 f. Vgl. auch die Einträge vom 2. 7. 48, 15. 6. 51, 2. 7. 51. Die Asche will nicht lassen ab … – Siehe oben zu S. 93. Zugang zur Machtspitze – Vgl. Carl Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954 (u. ö.).

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31. 8. 51 Le secret de l’Église catholique – In der Novelle „L’enjeu“ von Villiers de l’Isle-Adam (s. oben zu S. 69) setzt ein Abbé beim Spiel, nachdem er alles Geld verloren hat, das „secret de l’Église“ ein, und als er, nachdem er wiederum verloren hat, aufgefordert wird, das Geheimnis zu nennen, sagt er: „hélas! le grand secret de l’Église: Il n’y a pas de purgatoire“; s. auch Tb 1921–24, S. 530.

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8. 9. 51 Andersch – Alfred Andersch (1914–1980), Schriftsteller, leitete das Abendstudio des Hessischen Rundfunks, wo er auch Carl Schmitt vorstellte. Im Nachlass Schmitt liegen sieben Briefe und eine Postkarte aus dem Zeitraum 1951–1954; RW 265 Nr. 389–396. Zu Hannah Arendt … – Bezieht sich auf: H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München/Zürich 1986, S. 108 ff. (Kap. „Die Juden und die Gesellschaft“). Hier ist auch die unten erwähnte Goethe-Besprechung der „Gedichte von einem polnischen Juden“ zitiert (S. 113 f.). Schmitt benutzte die engl. Ausgabe (The burden of our time, London 1951; Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 22551). Gedichte eines polnischen Juden … – Isaschar Falkensohn Behr, Gedichte von einem polnischen Juden, Mietau/Leipzig 1772. Erste Lyriksammlung eine deutschsprachigen Juden; vgl. die moderne Ausgabe von Andreas Wittbrodt (Göttingen 2002). Die Besprechung

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Goethes findet sich in: J. W. Goethe, Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hrsg. von Ernst Beutler, 2. Aufl., Bd. 14, Zürich 1964, S. 157–160, die Zitate auf S. 158 und 159. Christentum ist Judentum fürs Volk – Der von Schmitt mehrfach zitierte Satz „Christianity is Judaism for the multitude, but still it is Judaism“ findet sich im Roman „Tancred or the New Crusade“ von Benjamin Disraeli. Schmitt las das Buch in der von Julius Elbau übersetzten und 1936 von der „Jüdischen Buchvereinigung Berlin“ herausgegebenen gekürzten deutschen Ausgabe. Der Satz findet sich hier auf S. 281 und lautet: „Christentum ist Judentum für die Allgemeinheit“. Das war für Schmitt der „Schlüsselsatz“ des Buches; vgl. Nicolaus Sombart, Jugend in Berlin, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 2001, S. 260 ff. Th. Mann sagt: Christentum schönste Blüte des Judentums – „Sagt, was ihr wollt: das Christentum, diese Blüte des Judentums, bleibt einer der beiden Grundpfeiler, auf denen die abendländische Gesittung ruht und von denen der andere die mediterrane Antike ist.“ Thomas Mann, Gesammelte Werke, Bd. 9, 2. durchges. Aufl., Frankfurt a. M. 1974, S. 461. sagt Goethe 1824 – Nicht in der angegebenen Ausgabe von Hesse, aber in: J. W. Goethe, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens (Münchner Ausgabe), Bd. 13/1, München 1992, S. 403. Stahl-Jolson schon 1840 – Bezieht sich auf: Friedrich Julius Stahl, Die Kirchenverfassung nach Lehre und Recht der Protestanten, Erlangen 1840. 9. 9. 51 sbirreria – Bezeichnet die Tätigkeit der Sbirren (Justiz- und Polizeidiener im Kirchenstaat), die militärisch organisiert und bewaffnet waren. Schmitt zitiert aus folgender Ausgabe: Francis Bacon, Fr. Baconi De Verulamio Sermones fideles, Ethici, Politici, Œconomici: Sive Interiora Rerum. Accedunt Faber Fortunæ Colores Boni Et Mali …, Lugduni Batavorum 1644 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23412). Die Stelle findet sich hier jedoch nicht auf S. 246, sondern auf S. 240: Cardinales Romani, (qui Theologi sunt, & Fratres & Scholastici,) verbum usurpant, extremi contemptus & convitii, erga negotia Civilia: Vocant enim negotia Civilia, (velut, Belli, Legationum, Iudiciorum, & hujusmodi,) Hispanico vocabulo, Sbirrarias; quod sonat, Munera Lictorum & Scribarum. „Die römischen Kardinäle (die Theologen, Mönche und Gelehrte sind), haben ein Wort von äußerster Ablehnung und Verachtung über bürgerliches Handeln: Sie benennen solche Geschäfte (nämlich des Krieges, der Diplomatie, der Rechtsprechung und dergleichen) mit dem spanischen Ausdruck sbirreria, was heißt: etwas für Schergen und Sekretäre.“ 10. 9. 51 Otto Weininger behauptet … – Schmitt zitiert aus dem mit dem Besitzvermerk „Carl Schmitt, Düsseldorf Mai 1912“ versehenen Exemplar folgender Ausgabe: Otto Weininger, Über die letzten Dinge. Mit einem biogr. Vorw. von Moritz Rappaport, 3., mit der 2. gleichlautenden Aufl., Wien [u. a.] 1912, S. 83 ff.

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12. 9. 51 Entwurf eines Projekts – Vgl. BW Mohler, S. 105. Wenn die Religionsgesetze der römischen Kaiser… – Recte: „Ohne die Kaisergesetzgebung von Constantin bis auf Theodosius würde die römisch-griechische Religion noch bis heute leben.“ Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen (Kröner Taschenausgabe, 55), Stuttgart 1978, S. 57.

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Blinder Bissen wölbt sich ohne Gröbe … – R. M. Rilke, Gedicht „Vasen-Bild (TotenMahl)“. In: ders., Späte Gedichte, Leipzig 1934, S. 128. Vgl. Schmittiana VI, 1998, S. 293 f.; BW Mohler, S. 104 f. 17. 9. 51 Alles dieses findet sich … – Zitat aus dem Gedicht „Die kleine Schöpfung“ von Konrad Weiß. In: Weiß, S. 384: Kam der Bauer mit dem Knecht Auf dem Heimweg, stellt sich recht Hin vor unsre Wandrer drei, fragt: Ja Kind ja Kumpanei ja woher und wo hinaus, wo sind denn die drei zu Haus? Sprach der Hahn: Das findet sich Innerlich und kündet sich. Die herrlichen Sätze der Phänomenologie des Geistes – In der Hegel-Werkausgabe von Moldenhauer und Michel, Frankfurt a. M. 1970, finden sich die Zitate in Band 3 auf S. 365, 138 und 144. 19. 9. 51 Die Subjekt-Objekt-Walze rollt… – Vgl. dazu Schmitts Ballade „Die Sub-stanz und das Sub-jekt“. In: Civis vom 9. 6. 1955, S. 29–30; jetzt in: Gedichte, S. 16–21.

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24. 9. 51 „Sie sollen nur höhnen, wenn sie uns dafür ihr Mitleid erlassen“ – Walter Warnach, Die Welt des Schmerzes, Pfullingen 1952, S. 111. 25. 9. 51 amor amaritudinis – „Liebe zur Bitterkeit“. Hier als Gegensatz zu „amor fati“, der Liebe zum (notwendigen) Schicksal, worin Nietzsche menschliche Größe erkennt. 26. 9. 51 Peripsema – „Abschaum“, vgl. oben zu S. 23. Congrua – Mindesteinkommen eines Geistlichen aus Pfründen. 5. 10. 51 Terror, den keiner zu nennen wagt – Vgl. C. Schmitt, Gesang des Sechzigjährigen. In: ECS, S. 92 f.; jetzt in: Gedichte, S. 5–7. Was Schmitt unter diesem Terror verstand, sagt er unter dem 7. 10. 51. eine Schrift von Montlosier – François Dominique de Reynaud de Montlosier (1755– 1835), frz. Politiker, Gegner des Ultramontanismus. Die zitierte Schrift ist nicht von 1826, sondern 1827: F. D. de R. de Montlosier, Les Jésuites, les Congrégations et Le parti prêtre en 1827. Mémoire a M. le comte de Villèle …, Paris, 1827, S. 65: „Je n’ignore pas qu’il y a une classe nombreuse qui ne veut pas qu’on s’occupe des prêtres. Pour ces personnes, comme la

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religion n’a aucune importance, les prêtres n’en ont pas davantage. Ne rien blâmer de ce qu’ils font, ne rien croire de ce qu’ils disent: telle est leur doctrine.“

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7. 10. 51 Max Nettlau – (1865–1944), Historiker des Anarchismus. Heidegger über das Denken – Recte: „Das Wort der Denker hat keine Autorität. Das Wort der Denker kennt keine Autoren im Sinne der Schriftsteller. Das Wort des Denkens ist bildarm und ohne Reiz. Das Wort des Denkens ruht in der Ernüchterung zu dem, was es sagt.“ Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 7, Abt. 1, Frankfurt a. M. 2000, S. 234. Tatenarm und gedankenreich – Vgl. oben zu S. 127. Gleitend auf schwülen Daktylen … – Veröff. in: Die neue Gesellschaft. Bemerkungen zum Zeitbewußtsein. Hrsg. von Rüdiger Altmann und Johannes Gross, Stuttgart 1958, S. 99. Jetzt auch in: Gedichte, S. 26. 15. 10. 51 „Wir kommen zu unserm Verhalten mehr gegen uns als aus uns.“ – Zitat von Ludwig Raiser (1904–1980), Jurist. Er hatte in der Deutschen Universitätszeitung (1951, H. 9, S. 7) den Artikel „Carl Schmitt – kein Bundesgenosse“ veröffentlicht. alle gerechten Kammacher – Siehe oben zu S. 41. „Ich suche das Accidens meiner eigenen Gegenwart in reiner Gedanklichkeit zu bestellen.“ – Vgl. Schmitts Brief an G. Jünger vom 24. 2. 1948: „Ich denke nicht an die Zukunft, denn ich kenne unsere Ohnmacht. Ich suche auch nicht die Vergangenheit, denn ich will nicht, über mich selbst reflektierend, mich selber überleben. Was suche und tue ich also? Ich suche das Accidens meiner Gegenwart in reiner Gedanklichkeit zu bestellen.“ BW GJ, S. 105. Ähnlich an E. R. Huber am 2. 6. 1948; BW Huber, S. 322. Siehe auch oben S. 73. a¬nagkazómenoß – Siehe oben zu S. 18. Rud. Fischer – Rudolf Fischer (1900–1961), Journalist, setzte sich öffentlich, aber anonym für Schmitt ein; vgl. X [= R. Fischer], Hexenverfolgung. Der Fall Carl Schmitt. Charaktermord. In: Der Fortschritt vom 25. 1. 1952; vgl. BW Mohler, S. 115 f., 119; BW Forsthoff, S. 84, 387. Don Capisco (et obmutesco) – Als Jünger den Freund wegen seines Verhaltens 1933 kritisierte, reagierte Schmitt am 5. Februar 1950 mit dem Satz: „Capisco et obmutesco“ (Ich verstehe und verstumme). BW EJ, S. 248. Ebenso reagierte er später auf die Kritik von Nicolaus Sombart; vgl. Schmitts Brief an Sombart vom 7. 1. 1978 (BW Sombart, S. 129). Namensvetter von Carlo Schmid – Siehe oben zu S. 52. 17. 10. 51 V. Leemans – Victor Leemans (1901–1971), Sozialwissenschaftler, Politiker, veröffentlichte: Carl Schmitt. Bijdrage tot de sociologie van Staat en Politiek, Antwerpen 1933 (im Nachlass, RW 265 Nr. 28380). 21. 10. 51 Der Leib ist der äußere Ausdruck – „Dies Äußere macht zunächst nur als Organ das Innere sichtbar oder überhaupt zu einem Sein für Anderes; denn das Innere, insofern es in dem

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Organe ist, ist es die Tätigkeit selbst.“ G.W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes. In: ders., Werke, Bd. 3. Hrsg. von Moldenhauer und Michel, Frankfurt a. M. 1970, S. 234 f. 23. 10. 51 The caracter assassination as one of the fine arts – Bezieht sich auf: Thomas de Quincey, On murder considered as one of the fine arts, 1827 (u. ö.). Vgl. auch die Abbildungslegende auf S. 257.

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25. 10. 51 an Mohler 12. 11. – Vgl. BW Mohler, S. 108. Lilian Winstanley – Die englische Autorin (1875–1960) machte 1921 mit ihrem Buch „Hamlet and the Scottish Succession“ erstmals den Versuch, das Hamlet-Drama Shakespeares vor dem politisch-historischen Hintergrund der elisabethanischen Zeit her zu interpretieren. Dieses Buch wurde von Anima Schmitt ins Deutsche übersetzt: L. Winstanley, Hamlet, Sohn der Maria Stuart, Pfullingen 1952. Carl Schmitt schrieb hierzu ein ausführliches Vorwort. an M. F. – In seiner Geschichte der englischen Revolution („Die große Revolution in England“, 1951) stellt Michael Freund Jakob I. als groteske Figur dar, wozu Schmitt sich in einem Brief an Freund vom 7. 3. 1953 äußert; RW 265 Nr. 13003. Auf dem Antiquariatsmarkt wird (ZVAB, März 2015) die Ausgabe von „Hamlet oder Hekuba“ von 1956 mit einer Widmung für M. Freund angeboten.

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6. 11. 51 Forrestal – James Vincent F. (1892–1949), amerikanischer Verteidigungsminister. Sein Selbstmord wurde angezweifelt.

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28. 11. 51 Rest. Board v. Herford – Das „Restitution Board“ war ein internationales Gericht, das über Rückerstattungsansprüche aus der Zeit von 1933 bis 1945 entschied. Es bestand von 1955 bis 1990 und hatte seinen Sitz bis 1984 in Herford. Der Eintrag muss also von Schmitt nachträglich gemacht sein, wofür auch die unterschiedliche Schrift spricht. hat mir Smend 1938 gleich geschrieben – Es handelt sich entweder um Smends Brief vom 10. 7. 1938 oder um einen verlorenen; vgl. BW Smend, S. 99 f., mit Anm. 333. die Sätze auf S. 86 meines Leviathan – Schmitt meint die Hobbes’sche Unterscheidung von „Zungenbekenntnis“ und „innerem Glauben“, die Spinoza von der Religion auf die Philosophie überträgt: „Schon wenige Jahre nach dem Erscheinen des Leviathan fiel der Blick des ersten liberalen Juden auf die kaum sichtbare Bruchstelle. Er erkannte in ihr sofort die große Einbruchstelle des modernen Liberalismus, von der aus das ganze, von Hobbes aufgestellte und gemeinte Verhältnis von Äußerlich und Innerlich, Öffentlich und Privat, in sein Gegenteil verkehrt werden konnte. Spinoza hat die Umkehrung in dem berühmten Kapitel 19 seines 1670 erschienenen Tractatus theologico-politicus vollbracht.“ Leviathan, S. 86 f. Bakunin: il n’ y a rien de plus borné … – „D’ailleurs, l’Allemagne elle-même m’a guéri de la maladie philosophique qui y prédominait; après avoir étudié de plus près les problèmes métaphysiques, je n’ai pas tardé à me convaincre de la nullité et de la vanité de toute méta-

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physique: j’y cherchais la vie, mais elle ne contient que la mort et l’ennui; j’y cherchais l’action et elle n’est qu’inactivité absolue. Cette découverte fut largement facilitée par mes relations personelles avec des professeurs allemands, car il n’y a rien de plus borné, de plus méprisable, de plus ridicule que le professeur allemand ou que l’Allemand en général!“ M. Bakounine, Confession (1857). Réédition de l’ouvrage paru en 1932, Paris 2001, S. 61 f. 267

29. 11. 51 Populus Romanus victam Pompejo … – „Obgleich früher das römische Volk zum Beispiel das Land Judäa durch einen Präsidenten regierte, bestand in Judäa doch deshalb keine Demokratie, denn die Menschen wurden nicht von einer Versammlung regiert, der jeder von ihnen beitreten konnte, und auch keine Aristokratie, denn sie wurden nicht von einer Versammlung regiert, der jeder von ihnen Gewählte beitreten konnte.“ Thomas Hobbes, Leviathan. Übers. von Jutta Schlösser, hrsg. von Hermann Klenner, Hamburg 1996, S. 163.

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22. 12. 51 Ceterum censeo Romam esse liberandam (a Romanitate) – „Übrigens meine ich, dass Rom befreit werden muss (vom Römertum)“. Variation des bekannten Satzes, mit dem der ältere Cato seine Senatsreden beschloss: Ceterum censeo Carthaginem esse delendam. „Übrigens bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. 12. 1. 52 Eulenburg-Affaire – Streit zwischen Philipp Fürst Eulenburg-Hertefeld und dem Journalisten Maximilian Harden, in dem dieser dem Kreis um Eulenburg, der großen Einfluss auf den Kaiser hatte, Homosexualität unterstellte, was sich zu einem Skandal ausweitete. Parallele: Kortner-W. Krauss – Der Regisseur Fritz Kortner hielt Werner Krauss für einen großen Schauspieler, hielt ihm aber seine Nähe zum Nationalsozialismus vor. Schmitt hatte, nach eigener Aussage, Krauss während einer Eisenbahnfahrt getroffen und mit ihm gesprochen. 20. 1. 52 „Ein Professor, der übrigens Staatsrat war, ich glaube er hieß Schmidt!“ – Aus den Aufzeichnungen des Generaloberst Werner v. Fritsch vom 1. 2. 1938 anlässlich der BlombergAffäre, die zu seiner Abberufung als Oberbefehlshaber des Heeres führte: „Im Herbst setzte dann wieder eine verstärkte Hetze der Partei gegen meine Person ein. Sie wurde vor allem durch die Gestapo und verwandte Kreise betrieben. Es gelang ihnen, Göring weitgehend davon zu überzeugen, daß ich Putschabsichten hätte. Himmler wollte wissen, daß dieser Putsch am 10.(?) Januar 1935 oder einem anderen Tag im Januar 1935 zur Ausführung kommen würde. Aus diesem Grund lud Blomberg für den ersten fraglichen Tag, ich glaube den 10. 1. 1935, die Kommandierenden Generale und viele andere höhere Offiziere zu einem Bierabend in der Kaiser-Wilhelm-Akademie ein. Himmler hielt einen Vortrag. Dabei war das Belastende für meine Person gewesen, daß ich einen Professor, der übrigens auch Staatsrat war, ich glaube er hieß Schmidt, eingeladen hätte, er solle einen Vortrag über Staatsrecht an einem Donnerstag am Tirpitzufer halten. Göring behauptete, in dem Vortrag solle nachgewiesen werden, daß ein Putsch staatsrechtlich erlaubt sei. Das in Ge-

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genwart des Ministers und zahlreicher Offiziere! Die Einladung war durch die 4. Abt. ergangen. Der Mann war und ist mir völlig unbekannt. Der Vortrag wurde abgesagt.“ Friedrich Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler 1934–1938, 2. durchges. Aufl., Göttingen 1965, S. 61. Süsterhenn im Parl. Rat – Recte: „Wir haben keine Angst vor der von dem mit zwei t geschriebenen Namensvetter des Herrn Kollegen Carlo Schmid an die Wand gemalten Gefahr einer sogenannten justiz-förmigen Politik.“ Vgl. auch VA, S. 105 f. 3. 2. 52 Dieser Satz von Karl Marx – „Der Jude hat sich auf jüdische Weise emanzipiert, nicht nur, indem er sich die Geldmacht angeeignet, sondern indem durch ihn und ohne ihn das Geld zur Weltmacht und der praktische Judengeist zum praktischen Geist der christlichen Völker geworden ist. Die Juden haben sich insoweit emanzipiert, als die Christen zu Juden geworden sind.“ K. Marx, Zur Judenfrage. In: Marx/Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1971, S. 373. Blasius-Segen – Am 3. Februar, dem Gedenktag des hl. Blasius, wird dieser Segen gespendet, indem zwei geweihte Kerzen in Form eines Andreaskreuzes vor Gesicht und Hals gehalten werden.

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5. 2. 52 ihm wird alles zum Schlagring – Anspielung auf die Boxerkarriere und Prügeleien Gerhard Nebels; vgl. oben, S. 242. Drath & Leibholz – Der Staatsrechtler Martin Drath (1902–1976) hatte sich in seiner (unveröffentlichten) Habilitationsschrift (Jena, 1946) kritisch mit Schmitt auseinandergesetzt; er wurde 1951 Richter am Bundesverfassungsgericht. Vgl. van Laak, S. 166 ff. Der SchmittKritiker Gerhard Leibholz (1901–1982) wurde 1951 einer der einflussreichsten Bundesverfassungsrichter in der Geschichte des Gerichts. Der arme Kriesenhahn – Gemeint ist Ernst Friesenhahn, der seinen Lehrer in der Festschrift für Richard Thoma 1950 „perfide verleugnet“ hatte (E. Forsthoff in: BW Forsthoff, S. 84) und anlässlich des Antritts seines Bonner Rektorats im November 1950 Schmitt kritisiert. Vgl. van Laak, S. 154 f.; BW Huber, S. 331 und 377. 1. 3. 52 quod licet Jovi, non licet bovi – „Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt“. Römische Redensart. 6. 3. 52 Miorit‚a-Schicksal – Vgl. oben zu S. 201. 8. 3. 52 animus procreandi – „Absicht zu zeugen“. In seinem Aufsatz „Die Einheit der Welt“ schreibt Schmitt: „Denn schließlich wäre es doch schlimm, wenn hinter dem Dualismus der heutigen Welt nichts anderes stände als der Gegensatz von birthcontrol und animus procreandi, so daß jedes neugeborene Kind gleich als Aggressor zur Welt käme und in das System moderner Kriminalisierungen einbezogen würde.“ C. Schmitt, Die Einheit der Welt. In: Merkur 6, 1952, S. 8. (Wiederabdr. in: SGN, S. 496–512).

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Hans Peters, Studienleiter der NS-Verwaltungsakademie … – Obwohl Mitglied des Kreisauer Kreises, hat Peters vor 1945 NS-konforme Schriften publiziert. Schmitt schrieb am 3. 9. 1949 an Forsthoff über ihn: „Was Sie über Hans Peters schreiben, stimmt mit den Erfahrungen überein, die ich seit 1945 mit ihm gemacht habe, ein Exemplar, intellektuell wie moralisch, der herrschenden 3. Garnitur.“ BW Forsthoff, S. 53; vgl. auch BW Huber. Vgl. oben zu S. 204. 271

9. 3. 52 Am 22. Februar ist Serge Maiwald gestorben … – Die Notiz ist ausgeführt im Nachruf; s. oben zu S. 212. 20. 3. 52 Miching Mallecho – Shakespeare, Hamlet, 3. Akt, 2. Szene: Hamlet to Ophelia: „Mary, this is miching mallecho, it means mischief.“ Vgl. Schmitts Hinweis in „Hamlet oder Hekuba“ (Stuttgart 1985, S. 68, Anm. 1) auf: Laura Bohannan, Miching Mallecho. That means Witchcraft. In: The London Magazine 1, 1954, Nr. 5, S. 51–60.

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8. 4. 52 „Macht an sich böse“ und „Gott ist tot“ – „Und nun ist die Macht an sich böse.“ Jacob Burckhardt, Weltgeschichtliche Betrachtungen (Kröners Taschenausgabe, 55), Stuttgart 1978, S. 97. „Gott ist tot!“ Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Abschnitt 125. Du Erde warst auch diese Nacht beständig – Sein 1955 im Hessischen Rundfunk gesendetes „Gespräch über den Neuen Raum“ beendet Schmitt folgendermaßen: „Sie wissen sicher, wie der zweite Teil von Goethes ‚Faust‘ beginnt: Faust erwacht aus einer Nacht voll schrecklicher Träume und empfindet das Glück eines neuen Erdenmorgens, der ihm Trost und Kraft verleiht, eines neuen Anfanges. So begrüßt er die neue Welt, die sich ihm jetzt eröffnet, mit dem herrlichen Vers: Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig. Ebenso glaube ich, daß der Mensch nach einer schweren Nacht der Bedrohung durch Atombomben und ähnliche Schrecken eines Morgens aufwacht und sich dankbar als den Sohn der festgegründeten Erde wiedererkennen wird.“ C. Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber. Gespräch über den neuen Raum, Berlin 1994, S. 64. Schluß meines Duisburger Vortrags – Im Rahmen der Niederrheinischen Universitätswochen hielt Schmitt am 21. 4. 1952 in Duisburg einen Vortrag mit dem Thema „Die Einheit der Welt“, der weitgehend identisch war mit seinem unter demselben Titel veröffentlichten Aufsatz in: Merkur, H. 47, 1952, S. 1–11. Der Schluß lautet: „Aber wie die Erde größer bleibt als das Dilemma der dualistischen Fragestellung, ebenso bleibt die Geschichte stärker als jede Geschichtsphilosophie, und deshalb halte ich die heutige Zweiheit der Welt nicht für eine Vorstufe ihrer Einheit, sondern für einen Durchgang zu einer neuen Vielheit.“ Vgl. auch die Anm. G. Maschkes zur Wiederveröffentlichung, in: SGN, S. 510–512.

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27. 4. 52 Wunderbare Stelle bei Buffon – Georges-Louis Leclerc de Buffon, Histoire naturelle, générale et particulière, avec la description du Cabinet du Roy, tome 1–15, Paris 1749–1767.

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Das Zitat bei Rousseau lautet in der deutschen Ausgabe von Heinrich Meier: „Da die Pflanzen zu ihrer Ernährung weit mehr Substanz aus der Luft und dem Wasser beziehen, als sie aus der Erde beziehen, kommt es, daß sie, wenn sie verfaulen, der Erde mehr zurückgeben, als sie ihr entzogen haben …“, J. J. Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit. Hrsg. von H. Meier, Paderborn 1984, S. 285. renegatur et rejiciatur Norma – „Die Norm wird verneint und zurückgewiesen.“ In seiner Enzyklika „Summi Pontificatus“ vom 20. Oktober 1939 beklagte Papst Pius XII. die „Verneinung und Zurückweisung der Normen des Naturrechts“, was eine Ursache des Krieges sei. Norma, Norma Du entschwandest – Anspielung auf die Oper „Martha, oder der Markt zu Richmond“ von Friedrich von Flotow. Im 3. Akt, 4. Szene heißt es in der Arie „Ach! so fromm, Ach! So traut“: „Martha! Martha! Du entschwandest“. Zwischenrufe H. Heller und A. Arndt – Der Anwalt Preußens im Prozess „Preußen contra Reich“ vor dem Leipziger Staatsgerichtshof 1932, Hermann Heller, hatte das Plädoyer Schmitts mit dem Zwischenruf „Situationsjurisprudenz“ unterbrochen. Vgl. Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17. Oktober 1932, Berlin 1933, S. 464. CDU-Abgeordneten Nellen – Der Abgeordnete Peter Nellen meldete im Bundestag am 3. Juli 1956 Bedenken gegen die nach seiner Meinung das Grundrecht einengenden Wehrdienstverweigerungsbestimmungen im Wehrpflichtgesetz an; vgl. Der Spiegel, 1956, Nr. 29, S. 9–11. Nach wiederholtem Dissens mit seiner Partei trat Nellen 1959 zur SPD über. 3. 5. 52 Brief des Rabbiners Jacob Taubes – An Armin Mohler vom 14. 2. 1952. Der mit Mohler befreundete Religionsphilosoph Jacob Taubes (1923–1987) war von 1951 bis 1953 an der Hebräischen Universität Jerusalem tätig. Der Brief, in dem Taubes sein spannungsreiches Verhältnis zu Carl Schmitt beschreibt, ist abgedruckt in: BW Taubes, S. 130–137. Schmitt erhielt den Brief von Mohler und verteilte Kopien unter Bekannten; vgl. BW Mohler, S. 116, 119. 17. 5. 52 Hans Zehrer: Alles Unheil kommt von der Renaissance – Vgl. Hans Zehrer, Der Mensch in dieser Welt, Hamburg 1948. 18. 5. 52 die Buccinatores des Baco de Verulam – Schmitt zitiert aus folgender Ausgabe: Francis Bacon, Fr. Baconi De Verulamio Sermones fideles …, Lugduni Batavorum 1644 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23412). Die Stelle findet sich hier jedoch nicht auf S. 248, sondern auf S. 241 f.: Attamen, sine controversia, hujusmodi ingeniis, in Civilibus, aliquando uti prodest. Si fama excitanda sit, vel opinio late spargenda, sive virtutis, sive potentiae, istiusmodi homines Buccinatores egregii sunt. „Ganz gewiß hat man einen gewissen Nutzen von derartigen Fähigkeiten in bürgerlichen Geschäften. Wenn der Ruhm, sei es der Tugend oder der Macht, weithin zu verbreiten ist, so sind derartige Leute vorzügliche Ausposauner.“ Machiavelli, thou art an Ass (1640) – Zitat aus dem Drama „The Distracted State“ des elisabethanischen Autors John Tatham, jedoch nicht aus 1640, sondern 1641. Die Stelle gilt als ein früher Beleg dafür, dass man sich über Machiavelli lustig machte. Vgl. John Tatham,

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The dramatic works of John Tatham, New York 1967, S. 46. Dio Chrysostomos: Christus starb als ein Haman – Bezieht sich offenbar nicht auf Dion, sondern Johannes Chrysostomos und seine antijudaistische Schrift „Adversus Judaeos“ (um 390). Der Codex Theodosianus (XVI, 8,18) verbot es 408 den Juden, sich über das Christentum lustig zu machen, indem sie während des Purimfestes das Bild von Haman an einem Kreuz verbrannten. Haman ist im Buch Ester der höchste Würdenträger am persischen Hof, der die Juden im Perserreich umbringen wollte. Sacaea – Fest zu Ehren der babylonischen Göttin Saco. weiße Maus – Umgangsprachlich für Polizei. Brief Dr. Kleines – Der Jurist Dr. Heinz Kleine war einer von fünf Herausgebern der Juristenzeitung, wo in der Ausgabe vom 9. Mai 1952 unter der Rubrik „Verfassungsrecht“ (S. 269–272) die Gefährdung der gesetzgebenden Gewalt durch Ausweitung des richterlichen Prüfungsrechts des Bundesverfassungsgerichts thematisiert ist. Dabei ist das Gericht als „Hüter der Verfassung“ apostrophiert, ohne Carl Schmitt zu erwähnen. 276

11. 6. 52 fame futura famelicus – Siehe oben zu S. 179. Fiat Justitia Pereat Mundus – „Recht muss verwirklicht werden, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht.“ Wahlspruch Kaiser Ferdinand I. (reg. 1556–1564).

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18. 6. 52 Antwort an Klug und Klein – Klein = Kleine (s. oben zu S. 275); Klug vermutlich der Jurist Ulrich Klug (1913–1993). Konradin, 3. Handlung, 2. Auftritt – Bezieht sich auf das Drama „Konradin von Hohenstaufen“ von Konrad Weiß.

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3. 7. 52 Deus Venter – quorum deus venter, „deren Gott der Bauch ist“, Vulgata, Phil 3,19. Bibliographie des Herrn Piet Tommissen – Piet Tommissen (1925–2011), belg. Nationalökonom und Soziologe, legte die erste Carl-Schmitt-Bibliographie vor: Piet Tommissen, Versuch einer Carl-Schmitt-Bibliographie, Düsseldorf 1953 (Zusammenstellung schon 1952; Typoskr. im Nachlass, RW 265 Nr. 20492). Sie erschien in erweiterter Form in: Festschr. für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag dargebr. von Freunden und Schülern. Hrsg. von Hans Barion/Ernst Forsthoff/Werner Weber, 2. unveränd. Aufl., Berlin 1989, S. 273–330. Wenn ich von Eduard Spranger vor die Fragebogen-Antwort gestellt werde – vgl. C. Schmitt, Gespräch mit Eduard Spranger. In: ECS, S. 9–12. (Die Frage „Sind Sie ein Christ?“ erscheint hier nicht!). Zum Verhältnis Schmitt – Spranger vgl. Schmittiana V, 1996, S. 205–207; Schmittiana NF II, 2014, S. 146–152. 13. 7. 52 Wer Gott sagt, will betrügen (Proudhon) – Schmitt bezieht sich möglicherweise auf Proudhons Satz „Dieu c’est le mal“, den er zumeist in der Form „Wer Menschheit sagt, will betrügen“ wiedergibt (BdP, S. 55). Großartig, was Günther Krauss sagt – Günther Krauss, Homo homini homo. Zwölf Kapitel zur Relectio de Indis des Francisco de Vitoria. Maschr. Habil.-Schrift o. J. (Exem-

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plar im Schmitt-Nachlass, RW 265 Nr. 27110). Die Habilitation von Krauss an der Universität Bonn, für die er dieses Werk verfasste, scheiterte (van Laak, S. 248, Anm. 46). An Forsthoff schrieb Schmitt 1956, „daß Krauss an seiner eigenen Querköpfigkeit scheitern mußte“. (BW Forsthoff, S. 127). 28. 7. 52 Verfolgungs- und Entschädigungseifer Karl Thiemes und Romano Guardinis – K. Thieme (1902–1963), Historiker und Theologe. Zur Kritik des mit Waldemar Gurian befreundeten Thieme an Schmitt vgl. K. Thieme, Carl Schmitts Apologie. In: Deutsche Universitätszeitung vom 17. 11. 1950, S. 18; vgl. auch BW Mohler, S. 123; van Laak, S. 147 f. – R. Guardini (1885–1968), kath. Theologe, hatte von 1923 bis zu seiner Zwangsemeritierung 1939 den Lehrstuhl für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung an der Berliner Universität inne. Schmitt lernte ihn 1930 im Hause Sombart kennen, vgl. Tb. 1930–34. der Grandseigneur von Pasel – Gemeint ist Peterheinrich Kirchhoff; s. oben zu S. 75. Jup – Josef Schmitt (1893–1970), Arzt, Bruder von Carl Schmitt.

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29. 7. 52 Würmeling – Franz-Josef Würmeling (1900–1986), konservativer Politiker, einflussreiches Mitglied der CDU, brachte 1952 einen Gesetzentwurf zur Einführung des relativen Mehrheitswahlrechts in den Bundestag ein. 30. 7. 52 Jehovah, dir sprech ich auf ewig Hohn … – Frei nach dem Gedicht „Belsazar“ von Heinrich Heine: Jehovah! dir künd’ ich auf ewig Hohn, – Ich bin der König von Babylon! Nasses Brot S. 137 – Richard Hasemann, Nasses Brot, Pfullingen 1952 (Bericht über russ. Kriegsgefangenschaft). Pepysm – Nach Samuel Pepys, s. oben zu S. 72. 5. 8. 52 Ein Caliban, der Griechisch kann … – Die Rede ist von Gerhard Nebel; vgl. oben zu S. 269. 14. 8. 52 das siebente Konsulat des alten Marius – Gajus Marius (ca. 156 v. Chr. – 86 v. Chr.) starb kurz nach Antritt seines siebten Konsulats, das er übernahm, nachdem er aus der afrikanischen Verbannung zurückgekehrt und sich an seinen Feinden gerächt hatte. 13. 9. 52 St. Just am 13. 11. 1792 – „Il est telle ame généreuse qui dirait dans un autre temps que le procès doit être fait à un roi, non point pour les crimes de son administration, mais pour celui d’avoir été roi, car rien au monde ne peut légitimer cette usurpation; et de quelque illusion, de quelques conventions que la royauté s’enveloppe, elle est un crime éternel, contre lequel tout homme a le droit de s’élever et de s’armer; elle est un de ces attentats que

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l’aveuglement même de tout un peuple ne saurait justifier; ce peuple est criminel envers la nature par l’exemple qu’il a donné, et tous les hommes tiennent d’elle la mission secrète d’exterminer la domination en tout pays.“ Antoine L. de Saint-Just, Opinion concernant le jugement de Louis XVI. Séance du 13 novembre 1792, l’an premier de la République française. In: ders., Oeuvres de Saint-Just, Paris 1834, S. 7. A. Koestler, Darkness at noon – Schmitt las das Buch in französischer Übersetzung: Arthur Koestler, Le zéro et l’infini, Paris 1945. Die erste deutsche Übersetzung erschien 1946 unter dem Titel „Sonnenfinsternis“. Rubaschoff – Nikolai Rubashov ist die Hauptfigur in Koestlers Roman „Darkness at noon“. Schmitt zitiert hier nicht wörtlich, sondern nur sinngemäß. ecclesia non militans sed intrigans – „Kirche, die nicht streitet, aber intrigiert“. He was a man who noticed such things – Recte: „He was a man who used to notice such things.“ Thomas Hardy, Afterwards. In: ders., The collected poems of Thomas Hardy, Ware 2002, S. 521. vgl. Michel Mourre, Lam[ennais], p. 184 – Michel Mourre, Lamennais ou l’hérésie des temps modernes, Paris 1955. Da das Buch erst 1955 erschien, muss die Bemerkung nachträglich eingefügt worden sein (dafür spricht auch, dass sie auf der Verso-Seite und mit anderer Tinte geschrieben ist). Schmitt lernte den frz. Historiker Mourre (1928–1977) erst 1954 durch Mohler kennen, der ihm auch das 1955 erschienene Buch von Mourre über Lamennais schickte (s. BW Mohler, Register). 285

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17. 9. 52 vgl. den Spiegel, 38/52 – Unter der Überschrift „Der amerikanische Ausdruck“ findet sich in dem Heft ein Artikel über Frank Loyd Wright. 21. 9. 52 Eine Notiz aus dem Sommer 1914 – Tb 1912–15, S. 193. Guardini ist eine Person – Schmitt bezieht sich möglicherweise auf: Romano Guardini, Die Macht. Versuch einer Wegweisung, Würzburg 1951. Von „Macht“ hatte Schmitt einen anderen Begriff; vgl. BW Mohler, S. 161. 30. 9. 52 Godenholm – Titel einer Erzählung von Ernst Jünger. 5. 10. 52 Hobbes de cive, X § 3 annot. Prometheus – In dem zitierten Kapitel vergleicht Hobbes die verschiedenen Regierungsformen, um der monarchischen den Vorzug zu geben; alle anderen seien aus den Trümmern der von Menschen zerstörten Monarchie nachträglich zusammengefügt. Dazu dann die Anmerkung: „Diesen Punkt scheinen die Alten bei der Bildung des Prometheusmythos im Sinne gehabt zu haben. Sie erzählen, daß Prometheus, nachdem er Feuer von der Sonne geraubt, den Menschen aus Erde geformt habe; dafür habe er von dem erzürnten Jupiter als Strafe empfangen, daß seine Leber fortwährend angefressen werde. Dies will sagen, daß die menschliche Erfindungsgabe, die durch Prometheus bezeichnet wird, die Gesetze und Gerechtigkeit durch Nachahmung von der Monarchie entlehnt habe; daß dadurch, gleichsam durch ein Feuer, das seiner natürlichen Quelle ent-

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nommen worden ist, die Menge als der Schmutz und Bodensatz der Menschen zu einer bürgerlichen Person belebt und vereint worden ist, die Aristokratie oder Demokratie heißt. Die Urheber und Helfershelfer aber, die unter der natürlichen Herrschaft der Könige sicher und behaglich hätten leben können, müssen, nachdem sie entdeckt worden, dafür die Strafe leiden, daß sie, an einer hohen Stelle herausgestellt, durch stete Sorgen, Verdächtigungen und Zwistigkeiten gepeinigt werden.“ Hobbes, M/B, S. 176 f. 6. 10. 52 Gott kann aus diesen Steinen … – Mt 3,9. „Gneiß“ wohl altertümliche Schreibung von „Gneis“, Gestein aus Feldspat, Quarz und Glimmer. 5. 11. 52 „Ohne die Schuld seiner Zeitgenossen geteilt zu haben …“ – Recte: „Lebe mit deinem Jahrhundert, aber sei nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie loben. Ohne ihre Schuld geteilt zu haben, teile mit edler Resignation ihre Strafen und beuge dich mit Freiheit unter das Joch, das sie gleich schlecht entbehren und tragen.“ F. Schiller, Schriften (Schillers Werke, Bd. 4), Frankfurt a. M. 1966, S. 217.

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12. 11. 52 Aus einem Gedicht von Fontane – Nicht Fontane, sondern aus dem Gedicht „Blücher am Rhein“ von August Kopisch, das lautet: Die Heere blieben am Rheine stehn: Soll man hinein nach Frankreich gehn? Man dachte hin und wieder nach; allein der alte Blücher sprach: „Generalkarte her! Nach Frankreich gehn ist nicht so schwer. Wo steht der Feind?“ — „Der Feind? Dahier!“ „Den Finger drauf! Den schlagen wir! Wo liegt Paris? — Paris? Dahier!“ „Den Finger drauf! Das nehmen wir! Nun schlagt die Brücken übern Rhein! Ich denke der Champagnerwein wird, wo er wächst, am besten sein!“ 15. 11. 52 Du bist bestellt in Kraft der Mitte … – Aus dem Gedicht „Klage über der Schöpfung“ von Konrad Weiß. In: Weiß, S. 407. 16. 11. 52 Conscientia vulnerata vulnere crescit; nomen vulneratum – Sinngemäß: „Das Innere, den Geist eines Menschen kannst du verletzen, es wird durch die Verletzung nur wachsen. Aber ein beschädigter Name bleibt beschädigt.“ Für Tertullian nicht nachzuweisen. „Und diese Deutschen …“ – Konrad Weiß, Konradin von Hohenstaufen. Ein Trauerspiel, Leipzig 1938, S. 115.

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in Gegenwart des linksrheinischen Merkur – Gemeint ist die in Bonn erscheinende Wochenzeitung Rheinischer Merkur. 289

23. 11. 52 Ich tue was ich will … – Weiß, S. 595. 25. 11. 52 der dreieinhalb Milliarden Böhm – Im „Luxemburger Abkommen“ vom 10. September 1952 verpflichtete sich die Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachungszahlung von 3,5 Milliarden DM an Israel und die Jewish Claims Conference. Die Verhandlungen zur Vorbereitung des Abkommens leitete auf deutscher Seite der Jurist, Ökonom und spätere CDU-Bundestagsabgeordnete Franz Böhm. 11. 12. 52 Michael Thomas – (1915–1995), als Ulrich Hollaender und Sohn eines jüdischen Vaters in Berlin geboren, begann hier ein Jurastudium und hörte 1933/34 Kollegs u.a. bei C. Schmitt, wechselte nach Tübingen, um bei Carlo Schmid zu promovieren, brach aber das Studium ab und emigrierte 1939 nach England, wo er den Namen Michael Thomas annahm und in die Armee eintrat. Nach Teilnahme an der Invasion war er Besatzungsoffizier in Deutschland bis 1950, danach im Hamburger Handelshaus Coutinho, Caro & Co. tätig. Zu seinem Abschiedsfest im Weinhaus Streng in Bonn Anfang 1951 lud er auch Schmitt ein, wobei ihm dieser durch antisemitische Äußerungen unangenehm auffiel, was Thomas aber offensichtlich nicht zum Abbruch des Kontaktes veranlasste; vgl. Michael Thomas, Deutschland, England über alles. Rückkehr als Besatzungsoffizier, Berlin 1984, S. 268 f.

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7. 1. 53 „Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren“ – Goethe, Werke (Hamburger Ausgabe), Bd. 3, S. 24. Wer hält mich, wenn ich müde bin … – Quelle nicht ermittelt. Hegel 1820: Der ungebildete Mensch denkt abstrakt – In seinem Aufsatz „Wer denkt abstrakt?“ beschreibt Hegel den Ungebildeten als jemanden, der alles nur einseitig und von einem beschränkten Blickwinkel her, also abstrakt, sieht. Hegel, Werke. Hrsg. von Moldenhauer und Michel, Frankfurt a. M. 1970, Bd. 1, S. 578–581. J. P. Sartre, Dez 1952 (Friedenskongreß in Wien) – Sartre untersagte Ende 1952 vertragswidrig eine Wiener Aufführung seines antikommunistischen Stückes „Die schmutzigen Hände“, weil er an dem zu dieser Zeit in Wien stattfindenden Friedenskongress teilnehmen und die Kommunisten nicht verärgern wollte; vgl. Der Spiegel, 1952, Nr. 48.

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5. 2. 53 der Verfassungsgerichtshof in einem traurigen Dilemma … – Dieser Satz ist die Quintessenz der Kritik Schmitts an der Institution Verfassungsgericht, die er erstmals 1929 in „Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung“ formuliert hat; mit einem auf die Bonner Situation bezogenen Zusatz 1958 wieder veröffentlicht in: VA, S. 63–109. Herr Pringsheim – Fritz Pringsheim (1882–1967), Jurist, musste als Jude nach England emigrieren. Pringsheim hatte Schmitt 1933 wegen dessen Haltung zu den Juden angegriffen

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und empörte sich 1950 über die neuen Veröffentlichungen Schmitts im Greven-Verlag; s. Schmittiana III, 1991, S. 50, Anm. 1. An Gretha Jünger schrieb Schmitt am 15. Mai 1952: „Der Prof. Pringsheim in London (wohl ein Onkel mütterlicherseits von Golo Mann) ist einer meiner schlimmsten Verfolger…“; BW GJ, S. 164, dazu Anm. 6 auf S. 165. Vgl. auch BW Mohler, S. 291 ff. Guido Vernani da Rimini – Recte: Ego autem credo, quod gens Iudeorum, et ratione situs terre … et ratione religionis … magis de iure debebat principari gentibus quam romani. „Ich aber glaube, dass das jüdische Volk aus Gründen der Verortung … wie der Religion … mit mehr Recht über die Heiden herrschen sollte als die Römer.“ Guido Vernani da Rimini, Il più antico oppositore politico di Dante. Testo critico del „De Reprobatione Monarchiae“. Hrsg. von Nevio Matteini, Padova 1958, S. 106. 17. 2. 53 Schändung meines Namens – Vgl. unten zu S. 309. Tiso – Jozef Tiso (1887–1947), kath. Priester und von 1939 bis 1945 Staatspräsident der mit Hitler kollaborierenden Ersten Slowakischen Republik, nach dem Krieg von einem Volksgericht als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Schmitts Aussage, dass der Papst sich nicht dafür interessiert habe, ist falsch; ein Gnadenappell von Pius XII. wurde abgelehnt. Julius Rosenberg – (1918–1953), wurde in den USA als sowjetischer Spion hingerichtet. Papst Pius XII. setzte sich vergeblich für ihn ein.

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19. 2. 53 „Die Schwarzarbeit ist meine Freude! …“ – Parodie der 4. Strophe von Eichendorffs Gedicht „Heimweh“; vgl. Joseph von Eichendorff, Gedichte Versepen. Hrsg. von Hartwig Schultz, Frankfurt a. M. 1987, S. 253:

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Der Morgen, das ist meine Freude! Da steig’ ich in stiller Stund’ Auf dem höchsten Berg in die Weite, Grüß Dich Deutschland aus Herzensgrund! Error in persona – „Irrtum hinsichtlich der Person“, Begriff aus dem Strafrecht.

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22. 3. 53 Das sagt Heraklit – Fragment 54. In: Hermann Diels (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 1903, S. 74. Le secret de l’église catholique … – Anspielung auf Villiers de l’Isle-Adam; s. oben zu S. 251. Den Satz schrieb Schmitt am 9. 5. 1960 in Paris in das Gästebuch A. Mohlers; vgl. BW d’Ors, S. 146. 21. 5. 53 Bodin: de ne jamais braver la fureur populaire – Schmitt zitiert aus: Jean Bodin, Oeuvres philosophiques. Texte établi, trad. et publ. par Pierre Mesnard (Corpus général des philosophes français: Auteurs moderns, 5/3), Paris 1951 (mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 26970).

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17. 7. 53 Galleazzi-Lisi – Dr. Roberto Galeazzi-Lisi (1891–1968) war der Leibarzt Pius XII. Er wendete u. a. eine Frischzellentherapie nach Paul Niehans an und berichtete in Boulevardzeitungen über den Todeskampf des Papstes.

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21. 7. 53 in Gestalt eines jüdischen Remigranten – Gemeint ist Karl Löwenstein (1891–1973), der 1945 als Legal Adviser der amerikanischen Militärregierung die Inhaftierung Schmitts und die Beschlagnahme seiner Bibliothek betrieb; vgl. Martin Tielke, Die Bibliothek Carl Schmitts. In: Schmittiana NF I, 2011, S. 294 ff.

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27. 7. 53 Simone Weil – (1909–1943), frz. Philosophin und Mystikerin, näherte sich als Jüdin dem Katholizismus an, ohne jedoch zu konvertieren. Schmitt bezieht sich wohl auf ihr von Friedhelm Kemp übersetzte Buch „Das Unglück und die Gottesliebe“, München 1953 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23477). Vgl. auch: Karl Epting, Der geistliche Weg der Simone Weil, Stuttgart 1955 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23454). Epting – Karl Epting (1905–1979), Romanist, aktiv in der NS-Kulturpolitik im besetzten Frankreich; Leiter des Deutschen Instituts in Paris 1940–1945. Von 1946–1949 in dem frz. Militärgefängnis Cherche-Midi inhaftiert. Von 1949–1951 Lektor im Greven-Verlag Köln, wo er für die Werke Carl Schmitts zuständig war. Gueydans Aufsatz – William [Guillermo] Gueydan de Roussel, Leviathan et Homo. Hommage à Carl Schmitt. In: Epirrhosis. Festschr. zum 65. Geburtstag am 11. 7. 1953 (ungedr. und nicht durchgehend paginiertes Typoskript; im Nachlass Schmitt, RW 265 Nr. 21368).

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5. 8. 53 Bacon nannte sich … – Recte: Quare existimamus nos sensus (a quo omnia in naturalibus petenda sunt, nisi forte libeat insanire) antistites religiosos, et oraculorum ejus non imperitos interpretes, nos praestitisse: ut alii professione quadam, nos re ipsa, sensum tueri ac colere videamur. „Deshalb halte ich mich gleichsam für einen treuen Priester des Sinnes (aus dem alle Kenntnis in den Dingen der Natur geschöpft werden muß, wenn man nicht irre werden will) und für einen nicht ungeschickten Dolmetscher ihrer Orakel.“ Francis Bacon, Neues Organon, lat.-dt. Hrsg. von Wolfgang Krohn, Hamburg 1990, Teilbd. 1, S. 48 f. – Deinde etiam, tu scelere haud minore stultitiae apotheosin introduxisti, et vilissimas cogitationes religione munire ausus es. „Du hast daraufhin schließlich durch nicht geringen Frevel die Vergötterung der Dummheit eingeführt und hast dich unterstanden, das niederträchtigste Denken durch die Religion zu schützen.“ Francis Bacon, The works of Francis Bacon. Coll. and ed. by J. Spedding/R. L. Ellis/D. D. Heath, vol. 3, London 1870, S. 531. impar congressus Achilli – Parte alia, amissis Troilus armis, / Infelix puer atque impar congressus Achilli. Vergil, Aeneis, Buch 1, Vers 474 f. In der Übersetzung von Voß: „Auch ist Troilus dort, wie er flieht, nach verlorener Rüstung: / Unglückseliger Knab’, ungleich dem Achilles begegnend!“ Nec tibi quam bellum longior ira fuit – Aus einem Distichon von Marco Antonio Casanova auf Papst Julius II.: Una dedit bellum, bellum lux sustulit una, / Nec tibi quam bellum longior ira fuit. „Zugleich gibt der Krieg, zugleich löscht er das Leben aus, / Und nicht län-

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ger dauert dein Zorn als der Krieg.“ Zitiert bei Joseph de Maistre, Du Pape, 9ème éd., Lyon und Paris 1853, S. 192. Pompeio scelus est bellum civile perempto / Quo fuerat vivente fides – „Als Pompeius noch lebte, war der Bürgerkrieg ein Beweis unserer Ergebenheit.“ Pharsalia, IX, 248 f. 6. 8. 53 vgl. Mirbt – Schmitt bezieht sich auf: Carl Mirbt, Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, 3., verb. und verm. Aufl., Tübingen 1911 (mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 26089). 8. 8. 53 Aufsatz von Jürgen Habermas – J. Habermas, Mit Heidegger gegen Heidegger denken. In: FAZ vom 25. 7. 1953. In dieser Besprechung von Heideggers Buch „Einführung in die Metaphysik“ protestierte Habermas gegen die kommentarlose Wiederveröffentlichung einer Schrift Heideggers aus den 30er Jahren. Vgl. BW Forsthoff, S. 97; van Laak, S. 89. Zwei Seelen und ein Gedanke … – Inspiriert von: Friedrich Halm, Gedichte, Stuttgart und Tübingen 1850, S. 165: Mein Herz, ich will dich fragen, Was ist denn Liebe, Sag’? – „Zwei Seelen und ein Gedanke, Zwei Herzen und ein Schlag!“ 18. 8. 53 Moju – Moritz Julius Bonn, vgl. 26. 12. 53. Das „inzwischen triumphiert“ dürfte sich auf das Erscheinen von M. J. Bonn, So macht man Geschichte, München 1953, beziehen. 30. 8. 53 Angriff im Schwarzen Korps – In ihrer Zeitschrift hatte die SS Ende 1936 Schmitt zweimal scharf angegriffen: Eine peinliche Ehrenrettung. In: Das Schwarze Korps vom 3. 12. 1936; Es wird immer noch peinlicher. In: ebd. vom 10. 12. 1936. Vestrum scelus, meus somnus – Augustinus, De civitate dei, Buch 17, Kap. 18: Quid agitis vani? Quod vestrum scelus erit, meus somnus erit. „Was tut ihr so Eiteles? Was euer Frevel ist, ist ja nur mein Schlaf.“ Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat. Aus dem Lat. Übertragen von Wilhelm Thimme, München 1978, Bd. 2, S. 405. Ps 40,6 – Das ist die Zählung der Vulgata; nach moderner Zählung: Ps 41,6. 9. 9. 53 Sein und Schein … – Nach: Ferdinand Hardekopf, Zwiegespräch. In: ders., Gesammelte Dichtungen, Zürich 1963, S. 169: Dialog ward Zaubertext; Nekromantenspiel; Zwieseits wurde hingehext, Was dem Geist gefiel, Was dem Sinn Erscheinung schien,

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Was der Schein ersann. Schein gab Sinn, und dieser ihn, Und die Zeit verrann. 302

dóxa – „Meinung“ (im Sinne von „bloßer Meinung, Wahn, Schein“). 12. 9. 53 Ich lese bei Ch. Fourier – Charles Fourier, Théorie de l’unité universelle (Oeuvres complètes, 4), Paris 1841, S. 407 ff. Loin de ce calme plat … – Ebd., S. 399. 24. 9. 53 dieser McCarthy – Joseph McCarthy (1908–1957), republikanischer Senator von Wisconsin, mit dessen Namen die antikommunistische Kampagne der frühen 50er Jahre in den USA verbunden ist. Die Episode im Zug ist auch geschildert in Schmitts Brief an Walter Petwaidic vom 10. 9. 1953; abgedruckt in: Kai Burkhardt (Hrsg.), Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, Berlin 2013, S. 121.

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29. 9. 53 Erobern kann nur derjenige … – Siehe oben zu S. 236. re-education of Carl Schmitt – Siehe oben zu S. 136.

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27. 10. 53 In den Minima Moralia des Theodor Wiesengrund Adorno – Th. W. Adorno, Minima Moralia, Frankfurt a. M. 1969, S. 255. 9. 12. 53 Petwaidic – Walter Petwaidic (1904–1978), Pseudonym Walter Fredericia, Journalist bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. Bourdin – Paul Bourdin (1900–1955), Chefredakteur der „Welt“ und Kommentator bei der Wochenzeitung „Die Zeit“. 22. 12. 53 Ausspruch Lorenz von Steins – Schmitt bezieht sich auf: Lorenz von Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage. Hrsg. von Gottfried Salomon, München 1921, Bd. 2, S. 11 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 25087). Vgl. C. Schmitt, Die Stellung Lorenz von Steins in der Geschichte des 19. Jahrhunderts. In: SGN, S. 156–165. 26. 12. 53 Urteil des BVerfG vom 17. 12. 53 – Das Urteil besagt, dass alle Beamtenverhältnisse mit dem 8. Mai 1945 erloschen sind. Le Pal – Titel einer Wochenzeitschrift, die von Léon Bloy allein verfasst wurde und die 1885 in vier Nummern erschienen ist; eine fünfte Nummer wurde 1935 aus den Texten zusammengestellt, die Bloy dafür vorgesehen hatte. Eine kommentierte Neuausgabe erschien

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1979: L. Bloy, Le Pal. Notes et préfaces de Daniel Habrekorn. Éd. intégrale, revue et corrigée sur les originales, Vanves 1979. Das Brandmal – Emmy Hennings, Das Brandmal. Ein Tagebuch, Berlin 1920 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 22103). Emmy Hennings war die Frau von Hugo Ball. temerataque jura relinquo – „Hier lasse ich den Frieden, hier das misshandelte Recht zurück.“ Pharsalia, I, 225. Ausspruch Cäsars, nachdem er den Rubikon überschritten hatte; von Schmitt mehrfach zitiert; vgl. Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preußischer Staatsrat in Hitlers Reich, Göttingen 2001, S. 69 f.; Gespräch, S. 171 f.; BW EJ, S. 446. Noch Ende 1983 als Widmung für Christian Meier, vgl. Zeitschr. für Ideengeschichte, Heft IV/3, 2010, S. 104. Trage zu den Toten dein unbegriffnes Herz – Friedrich Schiller, Demetrius, 1. Aufzug: Geh schweigend unter und trage zu den Toten Dein unentdecktes, unbegriffnes Herz. Laß dich nicht länger einladen und dann wieder ausladen – Schmitt war von Hans Schomerus, dem Leiter der Evangelischen Akademie Herrenalb, zu einer Tagungen vom 7.–10. Mai 1953 über „Konservative und Reaktionäre“ eingeladen und um ein Referat zum Thema „Der Antichrist und die Schöpfung“ gebeten worden, was zurückging auf eine gemeinsame Diskussion mit Wilhelm Stapel über den Katechon 1942. Außerdem bat Schomerus ihn um ein Referat auf der vom 16.–18. Mai auf der Insel Mainau stattfindenen Tagung zum Thema „Neuer Zugang zu Shakespeare“. Schmitt sagte sofort zu, wollte aber den Titel des ersten Referats geändert wissen in: „Der Antichrist und was ihn aufhält“, den des zweiten in: „Hamlet, der Spieler Gottes“. Nach Protesten von Adolf Arndt, Gustav Heinemann, Walter Strauss u.a. ordnete Landesbischof Julius Bender an, dass Schmitt ausgeladen wurde. Am 5. Mai erhielt er ein Telegramm von Schomerus: „Beide Vorträge durch Bischof verboten.“ Vgl. Briefe von Schomerus an Schmitt, RW 265 Nr. 14493–14498; Briefe von Schmitt an Schomerus, RW 265 Nr. 13505–13506; BW Forsthoff, S. 396 f. 12. 3. 54 tutela praesens – „Der gegenwärtige Schutz“. Bezieht sich auf Horaz, Carmina IV, 14/43. In: ders., Sämtliche Werke. Lateinisch und deutsch, 10. Aufl., München und Zürich 1985, S. 206. Tutela praesens gehörte für Schmitt unbedingt zur staatlichen Repräsentation hinzu: „Die Repräsentation ist nichts, wenn sie nicht tutela praesens ist.“ Leviathan, S. 53. Bonald sagte – „Dieu existe avant la société des hommes intelligents, et la création n’a fait que le produire à l’univers. Donc Dieu existe avant l’homme; donc Dieu est cause, et l’homme est effet.“ L. G. A. de Bonald, Oeuvres complètes. Publ. par Migne, Tome 1, Paris 1859, Sp. 481. tacito rumore Mosella sc. nondum canalisata – „die mit stillem Murmeln dahinfließende Mosel, und zwar die noch nicht kanalisierte Mosel“. Mit „tacito rumore mosella“ zitiert Schmitt, dessen Vorfahren von der Mosel stammen, das Gedicht „Mosella“ des spätrömischen Dichters Decimus Magnus Ausonius. Vgl. ECS, S. 10. Als in den 50er Jahren das Projekt einer Moselkanalisierung erwogen wurde, ergänzte Schmitt das Zitat, etwa im Brief an E. Jünger vom 30. 12. 1955: „In dem ‚Gespräch mit Spranger‘ in Ex Captivitate Salus muß

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es heißen: tacito rumore Mosella sc. nondum canalisata, ich bin demnach Ihr unkanalisierbarer Mosellaner.“ BW EJ, S. 288 f. 15. 3. 54 Sie harfenieren die Verwüstung … – Möglicherweise Persiflage des Rilke-Gedichtes „Das jüngste Gericht“. 16. 3. 54 Aldous Huxley empfiehlt uns … – Im Spiegel Nr. 10 vom 3. März 1954 ist unter dem Titel „Ersatz für Alkohol“ das Buch „The Doors of Perception“ von Aldous Huxley besprochen, in dem der Autor seine Erfahrung mit Mescalin beschreibt. 306

1. 6. 54 (Zeitungsausschnitt) Encyclica 1930 – Recte: 1939; s. oben zu S. 274. Laicus taceat in et extra ecclesiam … – „Der Laie schweige in und außerhalb der Kirche, es sei denn, er bejubelt den zuständigen Oberhirten.“ Anspielung auf 1 Kor 14,34. 9. 6. 54 Der Konvertit, Herr Hausenstein – Wilhelm Hausenstein konvertierte 1940 zum Katholizismus. Konvertiten waren Schmitt grundsätzlich suspekt: „[…] ich kann keine Konvertiten vertragen.“ (Gespräch, S. 56). Vgl. auch oben S. 99 f. (an Helmut Rumpf) und unten S. 330 (zu Simone Weil und Edith Stein).

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9. 7. 54 Ich hab mein Sach auf Nichts gestellt – Anfang des Gedichts „Vanitas! Vanitatum vanitas!“ von Goethe (1806 als Persiflage auf das Kirchenlied von Adam Reußner geschrieben). Vgl. J. W. Goethe, Gedichte. Vollständige Ausgabe, Stuttgart o.J. [ca. 1959], S. 98. Ne joco quidem – „Ich scherze gewiss nicht“. Anton Kuh – (1890–1941), österr. Schriftsteller und Feuilletonist. Schmitt bezieht sich wahrscheinlich auf: A. Kuh, Juden und Deutsche. Ein Résumé, Berlin 1921 (Nachdruck Hamburg 2012), wo Kuh die Juden als von „Geschlechtsschuld gezeichnet“ beschreibt. 15. 7. 54 Ich aber kenne meine Oppenheimer – Verzweigte dt.-jüd. Familie. Schmitt meint wohl vor allem den liberalen und staatsfeindlichen Nationalökonomen Franz Oppenheimer (1864– 1943). Vgl. BdP, S. 75; BW Mohler, S. 343; BW Forsthoff, S. 205, 458. Heinz Weitzel – (1902–1990), Rechtsanwalt in der Kanzlei Hengeler-Müller, in der bis 1933 mehrere Mitglieder der Familie Oppenheimer tätig waren. Weitzel war mit Schmitt seit dem Prozess um die Verstaatlichung der Buderus-Werke bekannt; vgl. BW Forsthoff, S. 212, 462. 26. 7. 54 zum 25. August 1930 – 30. Todestag Nietzsches. 1. 8. 54 Wir springen von einer Eisscholle zur andern – Schmitt 1922 im „Schatten Gottes“: „Ich lebe in einem wüsten Strom, auf einer schmelzenden Eisscholle; vielleicht kann ich mich auf die nächste retten, und von einer zur anderen springend, mich einige Zeit über Wasser hal-

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ten. Aber kein Ufer ist zu sehen, kein Ufer.“ Tb 1921–24, S. 406 f. Schmitt 1930 in „Staatsethik und pluralistischer Staat“: „Vielleicht gibt es einige gewandte und bewegliche Individuen, denen das Kunststück gelingt, sich neben den vielen mächtigen sozialen Gruppen freizuhalten, wie man von einer Eisscholle zur andern springt. Aber diese equilibristische Art von Freiheit wird man nicht als normale ethische Pflicht von der Masse der normalen Staatbürger verlangen können.“ PuB, S. 157. Werner Schütz – (1900–1975), Jurist, CDU-Politiker, von 1954–1956 und 1958–1962 Kultusminister in Nordrhein-Westfalen.

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30. 8. 54 Un sot trouve toujours un plus sot … – Nicolas Boileau-Despréaux, L’Art poétique. Chant premier. In: ders., Oeuvres de Boileau Despréaux à l’usage des collèges royaux et des écoles secondaires, Tours 1838, S. 167. 12. 9. 54 die Frage für die Situation des Frühjahrs 1933 – In seinem Buch „Der christliche Epime––––– theus“ diskutiert Konrad Weiß 1933 die „Gemination eines konservativen Deutschtums mit dem faktischen neudeutschen Parteistrome“: „Je mehr auch einer in der Gewißheit der fruchtbar weiten Kontemplation die Geschichte ruhen fühlt, desto weniger ist er eilig und fügsam in der Aktion. Und doch ist die Zeit als in einer Antithese in die fühlbarste, durch innere Reizkraft und die Gegensinne gegenüber den ‚objektiveren‘ Richtungen und Wertbetonungen in diesem Augenblick charakterisierte Teilung gestellt, aus der heraus man, ins Größere gehoben, fragt: was nun dem Sinne und dem Inbilde förderlicher werden müsse, die konservativere politische Stilform oder der auf einen Punkt fanatisch geworfene maßlose Einsatz? Was hat einst für die Zunahme des Inbildes entschieden, die Reife der wissenden Weltform und ihre Eingesprochenheit in dem Konservativen oder die in der Sprachlosigkeit eines fortwährenden Notwendens der Barbaren herankommende Zukunft?“ K. Weiß, Der christliche Epimetheus, Potsdam 1933, S. 92. 1. 11. 54 Inzwischen aber triumphiert Herr L. – Karl Löwenstein. 14. 11. 54 Ich las in einer Tagebuchnotiz vom 3. Februar 1941: Ich bin Benito Cereno – Gretha Jünger berichtet am 2. 2. 1941 von Gesprächen über Benito Cereno mit Schmitt; G. von Jeinsen [= G. Jünger], Die Palette, Hamburg 1949, S. 46 f. 12. 12. 54 L’initié tue l’initiateur – Vgl. oben S. 112. Am 30. 11. 1954 hatte Schmitt sein „Gespräch über die Macht“ an Nicolaus Sombart geschickt und diesen Satz von Ballanche als Widmung hineingeschrieben. Als in den 60er Jahren das Verhältnis von Sombart zu Schmitt zunehmend kritisch wurde, kam Schmitt wiederholt auf den Satz zurück und sah in ihm die Erklärung für das Verhalten von Nicolaus Sombart ihm gegenüber; vgl. BW Sombart S. 64 f., Anm. 150, S. 127. lingua occidistis – Findet sich nicht in der Karfreitagsliturgie, sondern stammt aus der Psalmenauslegung des hl. Augustinus, wo es heißt: Et vos, o Iudaei, occidistis. Unde occidistis?

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Gladio linguae. „Und ihr Juden habt getötet. Wodurch habt ihr getötet? Durch das Schwert der Zunge.“ Vgl. auch Tb 1930–34, S. 421. Es bedarf nur eines Juden – Recte: „Es ist freylich schwer sich in Geduld zu fassen; man muß aber denken, daß es nur eines Betteljuden bedarf, um einen Gott am Kreuze zu verhöhnen.“ Brief Goethes an Carl Ludwig von Knebel vom 12. 1. 1814. In: Goethe, Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. IV, Bd. 24, S. 99. Schändung und Schlachtung durch Carl Linfert im NWDR – Am 22. November 1954 wiederholte der Nordwestdeutsche Rundfunk Schmitts „Gespräch über die Macht“, das am 22. Juni bereits vom Hessischen Rundfunk gesendet worden war, jetzt unter dem Titel: „Macht – so gefährlich wie immer, so verdächtig wie nie“. Der Leiter des wissenschaftlichen Nachtprogramms des NWDR, Carl Linfert (1900–1981), sprach dazu eine skrupulöse Einleitung, was Schmitt gegenüber Mohler folgendermaßen kommentierte: „Die Sendung meines Gesprächs im NWDR wurde von Carl Linfert eingeleitet, mit vielen Entschuldigungen, als käme jetzt etwas, was Gott verboten hat.“ BW Mohler, S. 183; ähnlich in einem Brief Schmitts an Rolf Hinder, s. Schmittiana V, 1996, S. 173. Vgl. auch das Nachwort, S. 80, von G. Giesler in: C. Schmitt, Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Stuttgart 2008, sowie: Monika Boll, Nachtprogramm. Intellektuelle Gründungsdebatten in der frühen Bundesrepublik, Münster 2004, S. 103, Anm. 39. Memor approbii – „Den Beifall behalte ich im Gedächtnis“. 310

30. 1. 55 homicidae < fuistis >, et manent – Vulgata, Act 7,52: „Ihr seid Mörder gewesen“. Der frühchristliche Prediger und erste Märtyrer Stephanus wirft den Juden Mord an den Propheten vor. Der Zusatz „et manent“ (und sie bleiben es) steht nicht in der Bibel und stammt von Schmitt. Die folgenden Bibelstellen enthalten das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, die den Sohn des Weingärtners totschlagen, um sich in den Besitz des Erbes zu bringen. Quid timidi estis! Et facta est tranquillitas magna – Vulgata, Mt 8,26: et dicit eis quid timidi estis modicae fidei tunc surgens imperavit ventis et mari et facta est tranquillitas magna. „Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und erhob sich und befahl dem Wind und dem Meer. Da wurde es ganz still.“ 14. 2. 55 Tarnbruder John – Otto John (1909–1997), von 1950–1954 erster Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, ging (vermutlich gezwungenermaßen) am 20. Juli 1954 in die DDR und kritisierte die BRD wegen des wachsenden Einflusses ehemaliger Nationalsozialisten. 1955 setzte er sich wieder nach Westberlin ab, wurde wegen Landesverrat angeklagt und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, später begnadigt. Nach heutigen Erkenntnissen war er unschuldig.

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19. 3. 55 Ne simus faciles in nominibus – Vgl. oben zu S. 15. Nómoß Basileus – Zum Verständis des Begriffs vgl. Nomos, S. 42 ff. 20. 3. 55 Der Stumpf und Stil-Geist des Herrn Böhm – Franz Böhm schrieb in der genannten Zuschrift: „Ende der Denazifizierung? Gut. Ich hätte gar nicht damit angefangen. Wer aber

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unter Ende der Denazifizierung die Rehabilitierung und Restitution der Nazis, ihrer Denkweise, ihrer politischen Methoden versteht, der wird sich damit abfinden müssen, daß zwischen ihm und den anderen Deutschen eine Kluft besteht, die größer ist, als die Kluft, die uns von noch so fremden Einwohnern irgendeines Landes dieser Erdkugel, ja selbst von gerecht denkenden Deutschenfeinden trennt. Deutsch ist nicht ein biologischer, sondern ein geistiger Begriff. Er umfaßt Sünder und zweifelhafte Kavaliere aller Art, auch Kriminelle. Aber darunter fallen nicht Menschen, die sich damit befassen, den Nationalsozialismus in irgendeiner Form in unsere geschichtliche und politische Tradition zu integrieren …“ In: Frankfurter Hefte 10, 1955, S. 167. 3. 4. 55 Kojève, Introduction – Schmitt bezieht sich auf folgende Ausgabe: Alexandre Kojève, Introduction à la lecture de Hegel. Leçons sur la phénoménologie de l’esprit professées de 1933 à 1939 à l’École des hautes-études. Réunies et publiées par Raymond Queneau, Paris 1947 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 24734). er nahm sich das Leben – Schmitt notiert keine Seitenangabe, bezieht sich aber vermutlich auf folgende Stelle: Das Individuum „erfährt den Doppelsinn, der in dem lag, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen haben; es nahm sich das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod.“ G. W. F. Hegel, Phänomenologie des Geistes (Sämtliche Werke. Hrsg. von H. Glockner, Bd. 2), S. 282. „So kann Essen und Trinken ein Erkennen heißen“ – H.-R. Müller-Schwefe, Erkenntnis und Wort Gottes. In: Freundschaftliche Begegnungen. Festschrift für Ernst Jünger zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Armin Mohler, Frankfurt a. M. 1955, S. 56–74. (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23095). Nehmen, Teilen, Weiden – Vgl. C. Schmitt, Nehmen / Teilen / Weiden. Ein Versuch die Grundfragen jeder Sozial- und Wirtschaftsordnung vom Nomos her richtig zu stellen. In: VA, S. 489–504 (zuerst 1953). Gelächter Gelimers – Der letzte Wandalenkönig Gelimer wurde im Jahre 533 von dem byzantinischen Feldherrn Belisarios vernichtend geschlagen, womit die Wandalen aus der Geschichte verschwanden. Gelimer reagierte auf diesen Untergang seines Reiches mit einem grimmigen Gelächter, was Schmitt auch für sich als Besiegten so weit in Anspruch nahm, dass er Buch V des Glossariums mit „Gelimer“ überschrieb (s. Anhang); s. auch oben S. 371. Vgl. Vgl. BW EJ, S. 353, 454 f.; Reinhard Mehring, Das Lachen der Besiegten. Das Lachen Gelimers. In: Zeitschr. für Ideengeschichte 4, 2012, H. 1, S. 32–45; Martin Tielke, Habent sua fata libelli et balli. In: Sinn und Form 64, 2012, S. 466 f. vgl. meine Tagebucheintragung 6. 4. 1933 – „… um 1/4 8 im Taxi zu Popitz zum Presseempfang, sah Hitler und Goebbels. Sah beide genau. Große Aufregung. Hitler wie der gierige Stier in der Arena. Erschüttert von diesem Blick.“ Tb 1930–34, S. 279. Vgl. auch Gespräch, S. 105. H. Recknagel – Der Wirtschaftsjurist Heinz Recknagel bat Schmitt um die Schrift, da der deutsche Konsul in Malmö, Dr. Meyer, ihm geraten hatte, sie zu lesen, um die Politik der Sowjetunion, wo Recknagel Kontakte hatte, besser einschätzen zu können. Vgl. seinen Brief an Schmitt vom 8. 12. 1958; RW 265 Nr. 11334.

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10. 4. 55 Cor ne edito – „Verzehre nicht das Herz“; Sprichwort mit dem Sinn: „Mach dir keine Sorgen“. anthropophagus cordis mei – „Der Menschenfresser meines eigenen Herzens“. 16. 4. 55 an E. Forsthoff – Nicht in BW Forsthoff! 17. 4. 55 an Kojève 9. 5. 55 – In: Schmittiana VI, 1998, S. 101. Kojève, sein Brief vom 2. 5. 55 – In: Schmittiana VI, 1998, S. 100. Juden, die die groteske Frechheit dieses E. K. erkannt haben – Vgl. Kurt Hiller, Der Fall Erich Kaufmann. In: ders., Köpfe und Tröpfe, Hamburg 1948, S. 74–80. Im Verhör Schmitts durch Kempner war die Erwähnung E. Kaufmanns durch Schmitt ein taktischer Schachzug. Im Wilhelmstraßenprozess vernahm Kempner dann Kaufmann als Zeuge und versuchte ihn als Nationalist und Militarist unglaubwürdig zu machen; vgl. Carl Schmitt – Antworten in Nürnberg. Hrsg. und kommentiert von Helmut Quaritsch, Berlin 2000, S. 42 ff.

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9. 5. 55 Abschieds-Lied des alten Mosellaners – Unter dem Titel „Gesang des alten Mosellaners 1957“ schickte Schmitt dieses Gedicht auch an A. Kojève (vgl. Schmittiana VI, 1998, S. 123) sowie an A. Mohler (BW Mohler, S. 232). Vgl. auch oben zu S. 305. Törwang – Oberbayerischer Ort, in dem E. Forsthoff ein Feriendomizil hatte, wo Schmitt ihn im Mai 1955 besuchte.

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5. 6. 55 In Göttingen haben sich mannhafte Professoren … – Als der rechtsnationale Leonard Schlüter als Vertreter der FDP in der niedersächsischen Landesregierung Ende Mai 1955 zum Kultusminister ernannt wurde, gab es massiven Protest der Göttinger Universität, in deren Folge Schlüter am 9. Juni seinen Rücktritt einreichte. Vgl. Heinz-Georg Marten, Der niedersächsische Ministersturz. Proteste und Widerstand der Georg-August-Universität Göttingen gegen den Kultusminister Schlüter im Jahre 1955, Göttingen 1987. Vgl. auch Schmittiana VI, 1998, S. 108 f.; BW Forsthoff, S. 502 f.; BW Mohler, S. 200

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9. 6. 55 „Es ist ihm …“ – Recte: „Es ist ihm, indem es sich so erfaßt, als ob die Welt erst jetzt ihm würde; vorher versteht es sie nicht; es begehrt und bearbeitet sie, zieht sich aus ihr in sich zurück und vertilgt sie für sich und sich selbst als Bewußtsein – als Bewußtsein derselben als des Wesens sowie als Bewußtsein ihrer Nichtigkeit. Hierin erst, nachdem das Grab seiner Wahrheit verloren, das Vertilgen seiner Wirklichkeit selbst vertilgt… entdeckt es sie als seine neue wirkliche Welt.“ G. F. W. Hegel, Werke. Hrsg. Moldenhauer und Michel, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1970, S. 179. gestern habe ich Kojève geschrieben – Recte: am 7. 6., vgl. Schmittiana VI, 1998, S. 108 ff.

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11. 6. 55 an Wirsing – Giselher Wirsing (1907–1975), Journalist, gehörte in den 20er Jahren zum TatKreis um Hans Zehrer, war bis 1945 Schriftleiter verschiedener Zeitschriften. 1948 war er Mitbegründer der Wochenzeitung „Christ und Welt“, die er als Chefredakteur von 1954 bis 1970 leitete. Wirsing war für Schmitt in den 50er Jahren ein wichtiger publizistischer Unterstützer. Vgl. Kai Burkhardt (Hrsg.), Carl Schmitt und die Öffentlichkeit. Briefwechsel mit Journalisten, Publizisten und Verlegern aus den Jahren 1923 bis 1983, Berlin 2013. 9. 8. 55 als der Jurist Sir Edward Coke dem König sagte … – „…when Coke said before the king, that ,his Majesty was defended by the laws,‘ – James, in anger, told him spoke foolishly, and he said he was not defended by the laws, but by God (alluding to his ,divine right‘).“ Isaac Disraeli, The literary character or, The history of men of genius. Drawn from their own feelings and confessions. Literary miscellanies; and an inquiry into the character of James the First. A new ed. (The works of Isaac Disraeli, [4]), London usw. 1859, S. 423.

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15. 8. 55 Adolf Caspary – (1898–1953), Jurist, emigrierte 1942 in die USA. Schmitt hatte 1932 Kontakt mit ihm (s. Tb 1930–34, S. 184) und verweist oben, S. 63, zustimmend auf Casparys Buch „Die Maschinenutopie“ von 1927. Leo Strauß – (1899–1973), politischer Philosoph. Über seiner Beziehung zu Schmitt vgl. Heinrich Meier, Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff der Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, 3. Aufl., Stuttgart/Weimar 2013. Walter Benjamin – (1892–1940), Philosoph, Literaturkritiker, Übersetzer. Vgl. Susanne Heil, „Gefährliche Beziehung“. Walter Benjamin und Carl Schmitt, Stuttgart/Weimar 1996; Michael Rumpf (Hrsg.), Briefwechsel Michael Rumpf – Carl Schmitt. In: Schmittiana NF II, 2014, S. 275–285. unter dem Eindruck der Worte „Opfer für das Leben …“ – Das Trauerspielbuch Benjamins hat Schmitt wiederholt intensiv durchgearbeitet; vgl. Reinhard Mehring, „Geist ist das Vermögen, Diktatur auszuüben.“ Carl Schmitts Marginalien zu Walter Benjamin. In: ders., Kriegstechniker des Begriffs. Biographische Studien zu Carl Schmitt, Tübingen 2014, S. 132–152; Jürgen Thaler, „Genial“. Carl Schmitt liest Walter Benjamin. In: Marcel Atze/ Volker Kaukoreit (Hrsg.), Lesespuren – Spurenlesen oder Wie kommt die Handschrift ins Buch? Von sprechenden und stummen Annotationen, Wien 2011, S. 246–251.

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23. 8. 55 Die Lust empfängt und gebiert die Sünde – I Joh 2,16; vgl. oben, S. 315. 1. 9. 55 Michel Mourre, Lamennais p. 141 – Michel Mourre, Lamennais ou l’hérésie des temps modernes, Paris 1955. Habe ich es nicht selber so mit Adam Müller gemacht – In: PR. 14. 9. 55 Die Welt, in der Prof. Wilhelm Grewes Lichtlein leuchtet – Grewe, ab 1950 Berater Adenauers bei den Verhandlungen mit den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs, nahm an

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der Moskau-Reise 1955 teil, wo er den Sowjets nicht so weit entgegenkommen wollte wie Adenauer. Er gilt als Urheber der Hallstein-Doktrin. Der Vollblut Moju kann das besser – gemeint ist Moritz Julius Bonn, der als Mitglied der deutschen Delegation 1919 den Versailler Vertrag verhandelte und 1920 zum Berater des Reichskanzlers in Reparationsfragen ernannt wurde. 15. 9. 55 Johann Jacob Reiske – (1716–1774), dt. Gräzist, Arabist und Byzantinist, WilamowitzMoellendorff weist in seinen Werken wiederholt auf seine lange verkannte philologische Leistung hin. 320

15. 9. 55 Kommen Sie Cohn – Aus Theodor Fontanes Gedicht „An meinem Fünfundsiebzigsten“, das folgendermaßen endet: Jedem bin ich was gewesen, Alle haben sie mich gelesen, Alle kannten mich lange schon, Und das ist die Hauptsache …, „kommen Sie, Cohn“.

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21. 9. 55 der antirömische Affekt des Historikers Fritz Kern – Kern (1884–1950), war ab 1922 Kollege Schmitts an der Universität Bonn, Schmitt über ihn am 5. 5. 1923 im Tagebuch: „Er ist mir unsympathisch, ein protestantischer Professor.“ (Tb 1921–24, S. 192). Kern konvertierte 1949 zum Katholizismus. 30. 9. 55 „Das ist die wahre Landnahme“ – „Immer wieder tauchte aus der verschlungenen Signatur des Littorale der Sarazenenturm, allmählich sich im Wechsel der Perspektive verkleinernd, als bleicher Schemen inmitten der Fels- und Meereseinsamkeit. Ich sah ihn bei jeder Windung mit Freude wieder, den Wächter einer südlichen Gemarkung, die mir ein Stück geistiger Heimat geworden war. Das ist die wahre Landnahme.“ E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 6, S. 315. 4. 10. 55 Konrad Beyerle – (1872–1933), Jurist und Politiker, Mitautor der Weimarer Reichsverfassung. Im Art. 153 WRV (entsprechend Art. 14 GG) ist das Eigentum garantiert, aber es heißt auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das gemeine Beste.“ Daran knüpfte sich eine jahrelange Debatte um die Enteignung der Fürstenhäuser. Ein Volksbegehren entschied 1926 dafür, der anschließende Volksentscheid dagegen. Damit war die Fürstenenteignung gescheitert.

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5. 10. 55 Mein Vetter André – André Steinlein (1891–1964), Sohn des jüngeren Bruders von Schmitts Mutter, mit dem er seit Schülerzeiten zusammen war. Über seine ambivalente Beziehung zu ihm schrieb Schmitt am 16. 12. 1954 an Nicolaus Sombart: „… Ich muss mich aber noch

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mit meinem lothringischen Vetter abstimmen, einem altgewordenen bonvivant, der nach einem typischen bourgeois-Leben als Notar in einem ländlichen Nest an der Seille untergekrochen ist, den ich aber, aus alter Gewohnheit (wir sind seit unserer Jugend irgendwie immer wieder zusammengetroffen), sehr liebe; schon deshalb, weil für ihn in typischer Weise der alte Satz zutrifft: il n’y a pas de notaire qui n’ait rêvé de sultan.“ (BW Sombart, S. 67 f.) 6. 10. 55 Höret den Nobelpreis-Propheten – Gemeint ist Max Born (1882–1970), der 1954 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden war. Schmitt zitiert: M. Born, Das entscheidende Motiv. Eine Erwiderung. In: Merkur, 1955, H. 92, S. 999. 14. 10. 55 Alfons Adams – (1899–1973), Philosoph, Bruder von Paul Adams. Charfreitag des Geistes – Vgl. G. F. W. Hegel, Glauben und Wissen. In: ders., Werke, hrsg. von Moldenhauer und Michel, Bd. 2, S. 432 (Hegels Schreibweise hier in „Karfreitag“ modernisiert). Ölberg der Weltgeschichte – Vgl. Konrad Weiß, Zum geschichtlichen Gethsemane, Mainz 1919, Nachdruck Bigge o. J. [1945], S. 185 ff. klhro-nómoß – der Erbe. Vigens disciplina, Fides moribunda – „Die machtvolle Disziplin [der Kirche], der Glaube sterbend“. „Vigens ecclesiae disciplina“ ist ein Begriff aus dem kanonischen Recht. 26. 10. 55 Wilhelm Wackernagel sagt – W. Wackernagel (1806–1869), Germanist und Kunsthistoriker, ab 1835 Prof. in Basel. Schmitt bezieht sich auf: Wilhelm Wackernagel, Über die dramatische Poesie, Basel 1838. Vgl. Carl Schmitt, Hamlet oder Hekuba, 2. Aufl., Stuttgart 1993, S. 51 mit Anm. 21 auf S. 72 f. (zuerst 1956). Gutachten zu Adolf Grabowsky – A. Grabowsky (1880–1969), Geopolitiker, von 1921– 1933 Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik, veröffentlichte: Gott und der Zauberer. Ein Mythos, Berlin 1912. Dazu Schmitts Gutachten im Nachlass, RW 265 Nr. 19394. Pierre Leyris – (1907–2001), Übersetzer und Literaturkritiker. Schmitt meint: H. Melville, Benito Cereno (Biblioteca Zig Zag, 19), Santiago de Chile 1944. Auf S. 130–142 findet sich: P. Leyris, Reflexiones sobre „Benito Cereno“. Leyris hat bereits 1937 eine kommentierte frz. Übersetzung von „Benito Cereno“ mit einem Vorwort veröffentlicht. 28.10.55 Mai 1953 in Herrenalb – Siehe oben zu S. 304. Es bedurfte jenes Aufsatzes im Linksrheinischen Merkur – Eduard Rosenbaum, Carl Schmitt vor den Toren. In: Rheinischer Merkur Nr. 48 vom 25. 11. 1950. Immer wieder bin ich dem Betrug erlegen – Schmitt zitiert sich hier selbst: ECS, S. 88; vgl. auch oben, Einträge vom 11. 2. 48, 11. 8. 50. 6. 11. 55 Friedrich Glum – F. Glum, Philosophen im Spiegel und Zerrspiegel. Deutschlands Weg in den Nationalismus und Nationalsozialismus, München 1954.

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Rüdiger Altmann – (1922–2000), Jurist, politischer Publizist und Politik-Berater, studierte Ende des Krieges bei Schmitt, später bei Wolfgang Abendroth. Schmitt zitiert den Aufsatz „Was heißt christliche Demokratie?“ von Friedrich Grund (wahrscheinlich ein Pseudonym für Rüdiger Altmann). In: Civis. Zeitschrift für christlich-demokratische Politik 2, 1955, Nr. 11, S. 57–58. Das Zitat: „Tatsächlich gibt es heute keine andere materiale Ethik im westlichen Kulturkreis als die christliche“ findet sich auf S. 57. 328

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10. 11. 55 Karl Korn – K. Korn, Kyklos. Zu F. G. Jüngers neuen Gedichten. In: Berliner Hefte für geistiges Leben 3, 1948, S. 42–55. La nullité protège mieux. L’ambiguité protège mieux – Variante der mehrfach zitierten Maxime von Rivarol „L’obscurité protège mieux.“ Vgl. oben zu S. 158. Mit der Entstehung der Arten 1859 – Charles Darwin, On the Origin of species by means of natural selection, or the preservation of favored races in the struggle for life, London 1859. Das Geheimnis des Essens des Brotes … – „…denjenigen, welche jene Wahrheit und Gewißheit der Realität der sinnlichen Gegenstände behaupten, (kann) gesagt werden, daß sie in die unterste Schule der Weisheit, nämlich in die alten Eleusinischen Mysterien der Ceres und des Bacchus zurückzuweisen sind und das Geheimnis des Essens des Brotes und des Trinkens des Weines erst zu lernen haben…“ G. W. F. Hegel, Werke. Hrsg. von Moldenhauer und Michel, Bd. 3, Frankfurt a. M. 1970, S. 91. Brüder vom sanft lebenden Fleisch – Thomas Münzer nannte Luther „das sanft lebende Fleisch zu Wittenberg“. Es ist der Buckel … – Siehe oben, S. 131. 11. 11. 55 Und Wahngewalten… – Theodor Däubler, Hymne an Sizilien. In: ders. Dichtungen und Schriften. Hrsg. von Friedhelm Kemp, München 1956, S. 86. Peter Schneider – (1920–2002), schweizer Jurist, Assistent von Carlo Schmid, habilitierte sich 1955 mit der Arbeit: Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957. Auf Schneider wurde Schmitt 1953 durch A. Mohler aufmerksam gemacht, vgl. BW Mohler (Register) und BW Huber, S. 374 ff. 16. 11. 55 Simone Weil, Karl Epting – Siehe oben zu S. 299.

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17. 11. 55 Die arme zölibatäre Bürokratie – Den Begriff „zölibatäre Bürokratie“ prägte Schmitt 1923; vgl. RK, S. 6; Gespräch, S. 57. 18. 11. 55 Edith Stein, die sich taufen ließ und im Orden undurchdringlich wurde – E. Stein (1891– 1942), Philosophin und Frauenrechtlerin, konvertierte 1922 vom Judentum zur katholischen Kirche und trat dem strengen Orden der Karmeliter bei. Sie wurde in Auschwitz ermordet und 1998 heilig gesprochen.

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Begriff des Auserwählten – s. oben zu S. 208.

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23. 11. 55 Caux – Kurort in der Schweiz, ab 1946 bekannt als internationales Konferenzzentrum der Moralischen Aufrüstung. 24. 11. 55 Über meiner Mütze … – Goethe-Persiflage; vgl. oben zu S. 170. Rolf Schroers – (1919–1981), Schriftssteller; vgl. van Laak, S. 251–255. Aufsatz des Frhrn von der Heydte im Hochland – Friedrich August von der Heydte, Heil aus der Gefangenschaft? Carl Schmitt und die Lage der europäischen Rechtswissenschaft. In: Hochland 43, 1950/51, S. 288–294; vgl. auch oben zu S. 210. 28. 11. 55 Julian Huxley – (1887–1975), engl. Biologe und Verhaltensforscher. Schmitt bezieht sich auf: J. Huxley, Entfaltung des Lebens (Fischer Bücherei, 61), Frankfurt a. M. / Hamburg 1954 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 26715). alle Walter Ottos und alle Schadewälder – Walter F. Otto (1874–1958), Altphilologe; Wolfgang Schadewaldt (1900–1974), Altphilologe; beide beschäftigten sich mit den Nachwirkungen der griechischen Mythologie und Religion.

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4. 12. 55 in einem Aufsatz Junge Wirtschaft – Winfried Martini, Ein gefährliches Provisorium. In: Junge Wirtschaft. Zeitschrift für fortschrittliches Unternehmertum, 1955, H. 11, S. 404–405. 19. 12. 55 ein giftiger Morgenthau-Typ – Gemeint ist Franz Borkenau (1900–1957), marxistischer Soziologe und Geschichtsphilosoph. Schmitt bezieht sich auf: F. Borkenau, Spengler – Weitergedacht. Eine Antwort an seine Kritiker. In: Der Monat 8, 1955, S. 46–55; das Zitat „Die Bösartigkeit …“ findet sich hier auf S. 48. … non canalisata, non canalisabilis – „… nicht kanalisiert, nicht kanalisierbar“; vgl. oben zu S. 305. miching mallecho. It means mischief – Siehe oben zu S. 271. Wir Christenleut han jetzund Freud – Anfang eines Weihnachtsliedes von Kaspar Füger (1521–1592), auch Orgelchoral von J. S. Bach. 26. 12. 55 an Sombart, an Jünger – Schmitts Brief vom 26. 12. 55 an Nicolaus Sombart endet mit dem Satz: „Ich wünsche Dir und Deiner Frau Glück und Gesundheit im Neuen Jahr und bleibe diesseits und jenseits aller Alters- und Markt-Grenzen Dein ewig unkanalisierbarer Mosellaner.“ (BW Sombart, S. 85). Ähnlich BW EJ, S. 289. 4. 1. 56 Vortrag von Hermann Heimpel – Der Historiker Heimpel (1901–1988), von 1941 bis 1944 Professor an der Reichsuniversität Straßburg und mit E. R. Huber befreundet, sprach

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am 1. 1. 1956 um 18.25 Uhr im NDR (nicht: NWDR) unter dem Titel: „Was verlangt das neue Jahr?“ Nicht mehr die Juden … – Im Katechismus der katholischen Kirche von 1906 hieß es, dass Jesus zum Tode verurteilt wurde, weil Pilatus „dem drohenden Drängen des Volkes von Jerusalem feige nachgegeben“ hat. Im Katechismus von 1955 lautet die Formulierung: „Der Sohn Gottes ist von den Führern des auserwählten Volkes verworfen worden.“ (Kath. Katechismus der Bistümer Deutschlands, Freiburg 1955, S. 53). Im revidierten Katechismus von 2005 werden daraus „einige Führer“. Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. – So formulierte Schmitt nicht 1921, sondern 1922 (in: „Politische Theologie“). Systematisch erörtert ist das Problem der Ausnahme allerdings schon 1921 in: Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 6. Aufl., Berlin 1994, S. XVII f. und passim. Ausnahmen gelten nicht – Kein wörtliches Zitat, vgl. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 157 ff. zum Gespräch mit Hans Freyer nach Wiesbaden – Am 6. 1. 1956 gab es in Wiesbaden ein Kolloquium über Hans Freyers „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters“. die Stelle aus dem Jahr 1921 … – „Das formale Merkmal [einer Rechtfertigung der Diktatur] liegt in der Ermächtigung einer höchsten Autorität, die rechtlich imstande ist, das Recht aufzuheben und eine Diktatur zu autorisieren, d. h. eine konkrete Ausnahme zu gestatten, deren Inhalt im Vergleich zu dem andern Fall einer konkreten Ausnahme, der Begnadigung, ungeheuerlich ist. Abstrakt gesprochen, wäre das Problem der Diktatur das in der allgemeinen Rechtslehre bisher noch wenig systematisch behandelte Problem der konkreten Ausnahme.“ C. Schmitt, Die Diktatur, 6. Aufl., Berlin 1994, S. XVIII. 1. 2. 56 Küster – Otto Küster (1907–1989), Jurist. W. Strauss – Walter Strauss (1900–1976), war als Staatssekretär im Bundesjustizministerium die treibende Kraft für die Ausladung Schmitts bei der Tagung der Evangelischen Akademie Baden in Herrenalb im Mai 1953; s. oben zu S. 304. 2. 2. 56 Gastmahl des geschlachteten Leviathan – vgl. Leviathan, S. 18.

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4. 2. 56 Dombois – Hans Adolf Dombois (1907–1997), Theologe und Jurist, Schüler von Smend, veröffentlichte 1950 ein Buch über Entnazifizierung, das Schmitt intensiv durcharbeitete: Hans Dombois, Politische Gerichtsbarkeit. Der Irrweg der Entnazifizierung und die Frage des Verfassungsschutzes. Mit e. Nachw. von Hermann Ehlers, Gütersloh [1950] (Exemplar mit Widmung: „Herrn Prof. Dr Schmitt dankbar zugeeignet, Hemer 14/5. 1953, Dr. Dombois“ im Institut für Polit. Wiss. und Soziol. der Univ. Bonn). Klaus Ritter – (geb. 1918), Schmitt bezieht sich auf: K. Ritter, Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus. Eine erkenntnistheoret. Auseinandersetzung mit den neueren Versuchen zur Wiederherstellung e. Rechtsmetaphysik. Mit e. Vorw. von Hans Dombois, Witten 1956.

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Emil Wiener – Nicht ermittelt. Coing – Helmut Coing (1912–2000), Jurist, 1955/56 Rektor der Univ. Frankfurt. 16. 2. 56 Ernst Jünger (6. 3. 56) – BW EJ, S. 295 f. Neesse – Gottfried Neeße (1911–1987), NS-Jurist (Beamtenrechtler), Kollege Schmitts an der Berliner Universität, widmete Schmitt folgende Schrift: Geheimnis mitten im Licht: Das ist Naxos. Carl Schmitt zum 80. Geburtstag, o. O. 1968 (Typoskript, RW 265 Nr. 27664). Peter Diederichs – (1904–1990), Verleger, begründete den von seinem Vater in Leipzig geführten Diederichs-Verlag 1949 in Köln neu; hier erschien 1956 Schmitts „Hamlet oder Hekuba“. Millionen Köpfe und Eine Platte – Variation aus dem Gedicht „Himmel und Hölle“ von Franz von Paula Huber, in dem es heißt:

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Millionen Seelen Ein Gedanke, Millionen Herzen und Ein Schlag! Schlagintweit – Mehrere Brüder, die im 19. Jahrhundert als Forschungsreisende publizierten. 1. 3. 56 Drei Prämien, drei Prämien … – Nach dem Volks- und Soldatenlied: Drei Lilien, drei Lilien, Die pflanzt ich auf mein Grab, Da kam ein stolzer Reiter Und brach sie ab. Zu den „drei Prämien auf den legalen Machtbesitz“ vgl. LuL, S. 32 f. (mit der nachträglichen Anm. in: VA, S. 348). Mit diesem „politischen Mehrwert“ auf den legalen Machtbesitz erklärte Schmitt auch sein Verhalten 1933, vgl. Gespräch, S. 68 ff. Zu „obéissance préalable“ vgl. oben zu S. 25; zu „Vollzug der Generalklauseln“ vgl. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, 3. Aufl., Berlin 2006, S. 48 f. 16. 3. 56 jus primae noctis – „Das Recht der ersten Nacht“. Zur Zeit der Leibeigenschaft hatte der Gerichtsherr das Recht, die erste Nacht mit der Braut zu verbringen. Ob und wie weit das tatsächlich praktiziert wurde, ist unklar.

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30. 3. 56 Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen – Der von Paulus stammende Satz (2 Thess 3,10) steht in der Verfassung der Sowjetunion vom 5. 12. 1936, Artikel 12.

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1. 4. 56 Caduca culmina vagi saeculi contemnens – Recte: caduca vagi contemnens culmina saecli, „die verfallenen Dächer des unsteten Zeitalters verachtend“; aus dem Gedicht „Carmen paschale“ des christlich-lateinischen Dichters Caelius Sedulius (5. Jh.).

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Novalis: Der Jude muss zugrunde gehen – „Grundverschiedenheit des alten und neuen Testaments. Warum Palaestina und die Juden zur Gründung der Xst[lichen] Relig[ion] erwählt wurden. Wie die Juden zu Grunde darüber giengen, so die Franzosen bey der jetzigen Revolution.“ Novalis, Teplitzer Fragmente. In: ders., Schriften. Hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Bd. 2, Stuttgart usw. 1981, S. 616. Positionen und Begriffe Seite 113, Anm. – PuB, S. 128, Anm. 2. Sie lebt als Gespenst weiter … – Siehe oben zu S. 207. Sie lassen sich Niehans’-sche Frischzellen einsetzen – Die Rede ist von Papst Pius XII., vgl. oben, S. 297. vgl. Lukan (sed victa Catoni) – Pharsalia, I, 128; s. auch oben zu S. 79. 2. 4. 56 Henri Lévy-Bruhl – H. Lévy-Bruhl (1884–1964), Rechtssoziologe und Professor für Römisches Recht an der Universität Paris. 7. 4. 56 Pascals „condition humaine“ (fr. 139) – Schmitt bezieht sich auf die Zählung von Brunschvicg. In dem Fragment heißt es, „daß alles Unglück der Menschen einem entstammt, nämlich daß sie unfähig sind, in Ruhe allein in ihrem Zimmer bleiben zu können.“ B. Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Pensées). Übertragen und hrsg. von Ewald Wasmuth, 8. Aufl., Heidelberg 1978, S. 77. Hobbes Soziologie der competition – Schmitt bezieht sich auf das 13. Kapitel des „Leviathan“.

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13. 5. 56 S. 511/12 PhdG – Vgl. G. W. F. Hegel, Werke. Hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Bd. 3, S. 571.

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18. 5. 56 Hans Graß – (1909–1994), ev. Theologe. 29. 5. 56 Herr von Sedlmayer – Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrh. als Symbol der Zeit, Salzburg 1948.

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31. 5. 56 Ernst Bloch: der Faschist Carl Schmitt … – „Das Spielen des Allgemeinen mit den Individuen heißt hier nicht nur List, sondern Mystifikation oder Prellerei […] Es ist das ein Ausklang des kapitalistischen List-Komplexes, worauf nicht ohne Grund, nämlich in Deckung mit allem reaktionären Betrug, der Faschist Carl Schmitt zuerst hingewiesen hat […]“ E. Bloch, Subjekt – Objekt. Erläuterungen zu Hegel. Erweiterte Ausgabe, Frankfurt a. M. 1971, S. 235 f. Laut Günter Maschke sagte Bloch 1965 in einer Vorlesung: „Der Hund Carl Schmitt, ich wiederhole: der Hund Carl Schmitt“. Ernst Bloch (1885–1977), den Schmitt wohl seit der gemeinsamen Arbeit für die Zeitschrift „Summa“ kannte, hatte sich vor 1933 noch positiv zu dem Autor der „Politischen Romantik“ geäußert; vgl. BW Feuchtwanger, S. 35. In einer Tagebuch-Aufzeichnung vom 8. 5. 1945 notierte Schmitt zu Bloch: „Zuerst

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1917 in München im Generalkommando sein Buch ,Geist der Utopie‘. Dann sah ich ihn bei Feuchtwanger. Er sprach über meine Politische Romantik und hat alles treffend gesehen, auch dass ich das geborene Opfer für eine literarische Plünderung bin“ (RW 265 Nr. 19586, Blatt 27.) und wird dafür Professor – 1948 wurde Bloch (im Alter von 64 Jahren) der Lehrstuhl für Philosophie in Leipzig angeboten. Gegen den Widerstand der Fakultät setzte das Ministerium für Volksbildung ihn als Professor und Direktor des Instituts für Philosophie ein. 6. 7. 56 mein Exemplar in die Hände von Karl Löwith – Vgl. M. Tielke, Die Bibliothek Carl Schmitts. In: Schmittiana NF I, 2011, S. 269. taedium fugae – „Flucht-Überdruss“; vgl. Schmitts Brief an E. Jünger vom 11. 6. 1948: „Ich leide an taedium fugae, und bin die Jagd, deren Wild ich nun schon seit Jahren bin, von Herzen leid.“ BW EJ, S. 228. Évidemment, ce ne sont pas seulement nos actes qui nous suivent – Vgl. oben zu S. 202. Ungewollt und nur getreu – Vgl. oben zu S. 19.

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10. 7. 56 Mir graut vor meiner Macht … – Aus: Arthur Schnitzler, Der Puppenspieler. In: ders., Gesammelte Werke, Abt. II, Bd. 3, Berlin 1922, S. 267. Große Wurstel – „Zum großen Wurstel“, Stück von Arthur Schnitzler. 11. 7. 56 Joh. Adams – Johannes Adams, Sohn von Alfons Adams, s. oben zu S. 325. L. Ilschner – Autorin des folgenden Buches: Liselotte Ilschner, Rembrandt als Erzieher und seine Bedeutung. Studie über d. kulturelle Struktur d. neunziger Jahre, Danzig [1928]. Ilschner beschäftigte sich auch mit Shakespeare, vier Briefe im Nachlass Schmitt. Deutschland ist Hamlet – Zitat aus dem 1848 verfassten Gedicht „Hamlet“ von Ferdinand Freiligrath; vgl. C. Schmitt, Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel, 2. Aufl., Stuttgart 1993, S. 11.

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12. 7. 56 Hellers Zwischenruf – Vgl. oben zu S. 274. 16. 7. 56 E. Jünger rechnet sich zum Orden der Shandysten – „So trat ich unter würdigen Umständen in den geheimen Orden der Shandysten ein, dem ich bis heute treu geblieben bin.“ E. Jünger, Sämtliche Werke, Bd. 9, S. 38. Bezieht sich auf „Das Leben und die Meinungen von Herrn Tristram Shandy“ von Lawrence Sterne. Neffe des Herrn Rameau – Der Neffe des Komponisten und Autors einer wegweisenden Harmonielehre, Jean-Philippe Rameau, ist der gescheiterter Künstler Jean-François Rameau. Das nachgelassene Werk „Le neveu de Rameau“ von Denis Diderot wurde von Goethe 1805 ins Deutsche übersetzt und erstmals veröffentlicht. 17. 8. 56 wie Kommerell sagt – Max Kommerell, Lessing und Aristoteles. Unters. über die Theorie der Tragödie, Frankfurt a. M. 1984, S. 32.

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Parabel von den gefälschten Ringen – Vgl. Carl Schmitt, Die vollendete Reformation. Zu neuen Leviathan-Interpretationen. In: Leviathan, S. [163].

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25. 8. 56 Habermas auf der Tagung des „Bundes“ – In Wuppertal fand 1955 eine Tagung mit dem Thema „Kulturkonsum und Konsumkultur“ statt, auf der Jürgen Habermas mit Arnold Gehlen und Günther Anders diskutierte; vgl. Bericht über die Tagung „Kulturkonsum und Konsumkultur“, Wuppertal 1955. Ich hatte im Scherz definiert – Schmitt meint wohl sein Vorwort zur 2. Aufl. der „Politischen Romantik“, wo es heißt: „Denn was bedeutet sozial die Kunst seit der Romantik? Entweder endete sie im ,l’art pour l’art‘, in der Polarität von Snobismus und Bohème, oder sie wurde zu einer Angelegenheit privater Kunstproduzenten für privatim interessierte Kunstkonsumenten.“ PR, S. 21. 26. 9. 56 warfen mich in das, was sie automatischen Arrest nannten – Unrichtig; s oben zu S. 201. 4. 10. 56 Bitten Sie doch Herrn Kranzbühler – Otto Kranzbühler (1907–2004), Marinerichter, Verteidiger von Dönitz und Flick bei den Nürnberger Prozessen.

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9. 11. 56 das Gespräch mit Nicolaus – N. Sombart. Über das Gespräch ist nichts weiter zu ermitteln, aber am 20. 6. 1973 schreibt Schmitt an N. Sombart: „Ich möchte zu gerne wissen, was Du von der Lincolnisierung des ,Benito Cereno‘ hältst, die Marianne Kesting (jetzt Professor in Bielefeld) vorgenommen hat.“ (BW Sombart, S. 118 f.) 5. 12. 56 Horche und leide – Siehe oben zu S. 227.

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Ende des Jahres 1956 Die Menschheit bedurfte ihrer, sagt Hegel – „Es ist alsdann gegen jene Übermacht der Bewaffnung noch ein anderes technisches Mittel gefunden worden – das Schießpulver. Die Menschheit bedurfte seiner, und alsobald war es da.“ G. F. W. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. In: ders., Werke. Hrsg. von Moldenhauer und Michel, Bd. 12, Frankfurt a. M. 1970, S. 481. Vgl. Nomos, S. 299. 17. 1. 57 Vortrag von Kojève – Alexandre Kojève (1902–1968), russ. Philosoph und Hegelkenner, hielt am 16. 1. 1957 vor dem Rhein-Ruhr-Klub in Düsseldorf einen Vortrag mit dem Titel „Kolonialismus in europäischer Sicht“. Vgl. dazu: Schmittiana VI, 1998, wo auch der Text des Vortrags sowie der (unvollständige) Briefwechsel Schmitts mit Kojève abgedruckt sind.

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18. 1. 57 Konrad Kaletsch erzählte mir den Zwischenfall … – K. Kaletsch (1898–1978), Vetter von Friedrich Flick und seit 1924 im Vorstand des Flick-Konzerns, zuletzt als persönlich haf-

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tender Gesellschafter. Er kannte Schmitt seit dem Sommer 1945, als er bei ihm ein Gutachten in Sachen Flick in Auftrag gab; vgl. Angriffskrieg, S. 127 ff. Kaletsch wurde in Nürnberg zusammen mit Friedrich Flick angeklagt, aber freigesprochen. Er führte während der Dauer der Inhaftierung von Flick die Verhandlungen mit den Alliierten über die Beschlagnahmeund Liquidierungspläne. Die zum Flick-Konzern gehörende Maxhütte wurde nach 1945 zunächst teilweise enteignet und konnte nach langen Verhandlungen 1955 wieder vollständig von Flick zurückgewonnen werden; vgl. dazu Norbert Frei, Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht, München 2009, S. 478–504. Der „Zwischenfall“ ist im „Spiegel“ vom 27. 1. 1957 geschildert: „Der festliche Empfang, den die bayrische Staatsregierung am Schluß einer Besichtigungsreise des Investitionsausschusses des Montanunion-Parlaments im Nürnberger Grand Hotel gab, wurde durch einen Fauxpas des Protokolls getrübt. Vor dem Diner weigerte sich der französische Delegierte, der ehemalige Justizminister und jetzige volksrepublikanische Abgeordnete in der französischen Nationalversammlung, Professor de Menthon, den für ihn vorgesehenen Platz an der Seite des Großindustriellen Friedrich Flick einzunehmen, dessen bayrischen Großbetrieb, die Maximilianshütte in Sulzbach-Rosenberg, der Montanunions-Ausschuß kurz vorher besichtigt hatte. Vergeblich versuchte der bayrische Wirtschaftsminister Bezold (FDP), dem Professor de Menthon seine Ressentiments gegen Flick auszureden, der Hauptangeklagter in dem nach ihm benannten Nürnberger Prozeß gewesen war. Schließlich tauschte der Franzose seinen Platz mit einem deutschen Ausschuß-Kollegen. De Menthon hatte beim Internationalen Militär-Tribunal in Nürnberg die französische Anklage vertreten.“ (Spiegel, 27. 1. 57). François de Menthon (1900–1984) war frz. Hauptankläger bei den Nürnberger Prozessen. Jean Armengaud, frz. General, war 1939 Luftwaffenattaché in Warschau und trat in den Nürnberger Prozessen als Zeuge auf. 21. 1. 57 in meinem Aufsatz „Die Buribunken“ – In: Summa, 1918, 4, S. 89–106; wieder abgedruckt in: Tb 1915, S. 453–471. 3. 2. 57 Kojève vermied … jedes aktuelle Wort – Die folgenden Absätze weitgehend identisch mit Schmitts Brief an Nicolaus Sombart vom 3. 2. 1957 (BW Sombart, S. 96 ff.). Sombart wollte zum Vortrag von Kojève kommen, sagte aber in letzter Minute ab. 3. 2. 57 das Kapitel Plotnoi im Katorgan von Mutius – Bernhard von Mutius (1913–1979), 1934/35 Assistent Schmitts an der Berliner Universität, arbeitete ab 1949 im DDR-Außenministerium, wurde 1950 wegen Spionage verhaftet und zur Zwangsarbeit in Workuta verurteilt. 1955 kam er im Zuge der von Adenauer erwirkten Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen frei. Über seine Zeit im sowjetischen Arbeitslager veröffentlichte er ein Buch unter Pseudonym: Bernhard Roeder, Der Katorgan, Köln/Berlin 1956; das Kapitel „Der Plotnoi“ auf S. 83–98 (Widmungsexemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 26443). An Forsthoff schreibt Schmitt am 15. 2. 1956: „Mutius … kommt morgen für einige Tage“, BW Forsthoff, S. 121. Ausführlich zu Mutius auch in Schmitts Briefen an N. Sombart, der Mutius schon

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aus den frühen 30er Jahren kannte, und der später sein Kollege und Freund beim Straßburger Europarat wurde. 1979 hielt er ihm die Totenrede (Typoskr. im Nachlass Schmitt, RW 265 Nr. 21820). Nicolaus fragte nach dem Patrioten – Vgl. Nicolaus Sombart, Patriotismus im Welt-Bürgerkrieg, In: Der Zeitgenosse und sein Vaterland. Eine Vortragsreihe des Bayerischen Rundfunks. Hrsg. von Gerhard Szczesny, München 1957, S. 31–51. Ich antwortete ihm – Brief vom 3. 2. 1957 (BW Sombart, S. 96 ff.). 28. 2. 57 „Das waren Deine Glocken nie …“ – aus dem Gedicht „Venus Religio“ von Richard Dehmel (1863–1920), in: R. Dehmel, Die Verwandlung der Venus, Berlin 1907, S. 59. 357

17. 3. 57 Das Buch von Peter Schneider – Siehe oben zu S. 329.

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23. 3. 57 pollà tà deiná – pollà tà deiná kou¬dèn a¬nqråpou deinóteron pélei. „Vieles Gewaltige lebt, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch.“ Sophokles, Antigone, 332 f. 30. 3. 57 Inzwischen posaunt Hans Zehrer … – H. Zehrer, Wer hat die Macht? In: Die Welt vom 30. 3. 1957.

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10. 4. 57 Tötung Wallensteins 1634 (nach Pekař) – Josef Pekař, Wallenstein 1630–1634. Tragödie einer Verschwörung, Berlin 1937. „Selbst die Ermordung des Monarchen …“ – Verkürzt zitiert. Kant schreibt: „Unter allen Greueln einer Staatsumwälzung durch Aufruhr ist selbst die Ermordung des Monarchen noch nicht das Ärgste; denn noch kann man sich vorstellen, sie geschehe vom Volk aus Furcht, er könne, wenn er am Leben bleibt, sich wieder ermannen, und jenes die verdiente Strafe fühlen lassen, und solle also nicht eine Verfügung der Strafgerechtigkeit, sondern bloß der Selbsterhaltung sein. Die formale Hinrichtung ist es, was die mit Ideen des Menschenrechtes erfüllete Seele mit einem Schaudern ergreift, das man wiederholentlich fühlt, so bald und so oft man sich diesen Auftritt denkt, wie das Schicksal Karls I. oder Ludwigs XVI. […] Wie erklärt man sich aber dieses Gefühl, was hier nicht ästhetisch […], sondern moralisch, der gänzlichen Umkehrung aller Rechtsbegriffe ist? Es wird als Verbrechen, was ewig bleibt, und nie ausgetilgt werden kann (crimen immortale, inexpiabile), angesehen…“ Kant, Werke in zehn Bänden. Hrsg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 7, Darmstadt 1968, S. 440 f. mein Gutachten über das scelus infandum – Gemeint ist: Angiffskrieg, S. 16; vgl. auch oben zu S. 66 und 219.

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13. 4. 57 Das Land des sozialistischen Aufbaus – Recte: „Dagegen das Land des sozialistischen Aufbaus hat alle ungeheure Macht dafür eingesetzt und muß sie unfälschbar dazu verwenden, damit die Macht über Menschen ein Ende nehme. […] Damit statt des sogenannten Rechts-

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staates, der wegen seines verrotteten Klasseninhalts gänzlich zum Unrechtsstaat geworden ist, überhaupt kein Staat mehr nötig sei.“ Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. M. 1959, S. 1061. Tantam fidem non inveni nisi in Israel! – Recte: audiens autem Iesus miratus est et sequentibus se dixit amen dico vobis non inveni tantam fidem in Israel; Vulgata, Mt 8,10. Luther übersetzt: „Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden.“ Tantam justificationem per finem non inveni apud Jesuitas! – Abänderung des obigen Zitats durch Schmitt, dt. „Eine solche Rechtfertigung durch das Endziel habe ich nicht einmal bei Jesuiten gefunden.“ 24. 4. 57 „Quid pectora pulsas? …“ – „Warum schlägst du an deine Brust und stöhnst? Warum weinst du nutzlose Tränen und gibst nicht zu, dass du freiwillig verbrecherischen Befehlen gehorchst?“ Pharsalia, IV, 182–184. 28. 4. 57 trahimur sub nomine pacis – „Man braucht den Frieden als Vorwand, uns zu versklaven.“ Pharsalia, IV, 222. 22. 5. 57 Dachauer Prozeß April / Mai 1957 – In der genannten Ausgabe berichtet der Spiegel unter dem Titel „Der Furcht so fern, dem Tod so nah“ über den Prozess, der 1957 vor dem Schwurgericht München und dem Landgericht Osnabrück gegen die SS-Führer Dietrich, Lippert, von Woyrsch und Müller-Altenau wegen Teilnahme an den Röhm-Morden geführt wurde. Der Artikel betont das Interesse der Reichswehr an der Ausschaltung der SA. Potempa-Prozeß – SA-Leute ermordeten in der Nacht vom 9./10. August 1932 in dem schlesischen Dorf Potempa den Arbeiter Konrad Pietrzuch. Am selben Tag, dem 9. 8., hatte die Reichsregierung eine Notverordnung gegen politischen Terror erlassen, die die Todesstrafe vorsah; infolgedessen wurden die fünf Mörder in einem Schnellverfahren am 22. 8. zum Tode verurteilt. Daraufhin gab es eine große nationalsozialistische Propagandakampagne gegen das „Bluturteil“, in deren Folge der Reichspräsident sich genötigt sah, die Todesstrafe in lebenslängliche Haft umzuwandeln. Nach der Machtergreifung wurden die Täter im März 1933 freigelassen. Robert Graves – Schmitt bezieht sich auf die Lukan-Ausgabe von Graves: Marcus Annaeus Lucanus, Pharsalia. Dramatic episodes of the civil wars. Transl. by Robert Graves (The penguin classics, 66), Harmondsworth 1956 (Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 23823). Er ist Rhetorisch, das hat schon Th. Hobbes gewußt – Der Hinweis auf Hobbes bezieht sich auf dessen Bemerkung im Vorwort zu seiner Odyssee-Übersetzung: „Lucan shews himself openly in the Pompeyan Faction, inveighing against Caesar throughout his Poem, like Cicero against Cataline [sic!] or Marc Antony, and is therefore justly reckon’d by Quintilian as a Rhetorician rather than a Poet.“ Zitiert nach: Preface to Homer’s Odysses, translated by Tho. Hobbes of Malmsbury. In: Critical Essays of the Seventeenth Century, ed. by J. E. Spingarn, Vol. II, 1650–1685, Oxford 1908, S. 73. Vgl. auch David Norbrook, Writing the

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English Republic. Poetry, Rhetoric and Politics 1627–1660, Cambridge 2000, Kap. 1 „Lucan and the poetry of civil war“, S. 23–62. si scelus est plus te nobis debere fatere … – Recte: Si scelus est, plus te nobis debere fateris, / Quod scelus hoc non ipse facis. Aufsatz dessen Kühnheit, ja Verwegenheit keiner damals begriff – Vgl. dazu das Nachwort von Wolfgang Schuller in: Tb 1930–34, S. 461 ff. Pressechef Du Prel – Maximilian Du Prel (1904–1945), Jurist und NS-Politiker, war 1934 „Reichsamtsleiter der Reichspressestelle der NSDAP“. Funck-Brentano – Frantz Funck-Brentano (1862–1947), frz. Schriftsteller und Historiker. Das genannte Werk erschien jedoch nicht 1907, sondern 1912: F. Funck-Brentano, L’ancienne France. Le roi, Paris 1912. 1. 6. 57 Roegele – Otto B. Roegele (1920–2005), Chefredakteur des Rheinischen Merkur, ab 1963 Herausgeber, und Prof. für Zeitungswissenschaft in München. Schmitts zweiseitiger Brief an Warnach ist am 29. 5. 1957 geschrieben worden (Veröff. in Vorber.). Calvo Serer – Rafael Calvo Serer (1916–1988), span. Geschichtsphilosoph, lud Schmitt in den 50er Jahren nach Spanien ein. 10. 6. 57 An Peter Schneider schrieb ich – Brief im Nachlass, RW 265 Nr. 13493. Was tu ich noch auf der Welt? / Seht ihr wie der Blitz dort fällt? – Zitat aus dem Gedicht „Das Gewitter“ von Gustav Benjamin Schwab (1792–1850). Gespräch mit George Schwab – G. D. Schwab (geb. 1931), amerikan. Politikwissenschaftler und Schmitt-Übersetzer. Seine Promotion an der New Yorker Columbia Universität scheiterte 1962 zunächst an dem Votum Otto Kirchheimers und konnte erst nach dessen Tod 1965 erfolgen. Die Dissertation erschien 1970: G. Schwab, The challenge of the exception. An introduction to the political ideas of Carl Schmitt between 1921–1936, Berlin 1970. Schwab war in den 50er Jahren wiederholt zu Besuch bei Schmitt.

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30. 7. 57 lachten wir über Adornos enthüllende Äußerung – In Hegels Denken sei „etwas von grandioser Bauernschlauheit, die so lange gelernt hat, unter den Mächtigen sich zu ducken und ihrem Bedürfnis sich anzuschmiegen, bis sie ihnen die Macht entwinden kann.“ T. W. Adorno, Drei Studien zu Hegel. In: ders., Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann, Bd. 5, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1990, S. 287.

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17. 8. 57 Herrlich dagegen Hans Freyer in seiner Antwort auf die Geburtstagsrede Arnold Gehlens – Über den Geburtstag und den dabei auftretenden Dissens mit Schmitt berichtet Gehlen am 3. 8. 1957 in einem Brief an Helmut Schelsky: „Freyers Geburtstag war nett, Ehrendr. von Münster. Das grosse BV-Kreuz kommt wohl noch. Mein Vortrag (These: Freyer habe dargestellt, obzwar nicht ausgesagt, dass in Zukunft die Geschichte zur Interpretation der Gegenwart ausscheidet und der Soziologie Platz macht) kam gut an, aber schlecht bei C. S., der gerade ausgerechnet HEGEL entdeckt hat und ihn nun allen Leuten oktroyieren

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will. Er ging mir schrecklich auf die Nerven, ich fand ihn in einem noch nicht erreichten Grade giftspritzend, missgünstig und anmassend, immerfort einem seine ,Entdeckungen‘ zumutend. Schon der Hamlet war doch eine aufgebauschte Bagatelle.“ Univ.- und Landesbibliothek Münster, Nl. Schelsky, Kapsel 23, 030. Papalekas – Johannes Chr. Papalekas (1924–1996), Soziologe, zu dieser Zeit bei der Sozialforschungsstelle in Dortmund, habilitierte sich bei Hans Freyer und wurde später Prof. in Münster und Bochum. Schmitt lernte ihn anlässlich des Kojève-Vortrags im Januar 1957 in Düsseldorf kennen; vgl. seinen Brief an Sombart vom 3. 2. 57 (BW Sombart, S. 96 ff.). 13. 9. 57 Ubi nihil vales … – Siehe oben zu S. 14. Wie damals Michel Mourre in Notre Dame – Ostern 1950 bestieg Mourre in der Kutte eines Dominikaners während der Messe die Kanzel der Kathedrale Notre Dame in Paris und verkündete den Gläubigen: „Gott ist tot“. Vgl. seine Autobiographie „Malgré le blasphème“, Paris 1951; dt.: Gott ist tot, Wien/München 1954; BW Mohler, S. 181 und passim. Georg Lukács in derselben tragikomischen Situation – Lukács war 1956 Kultusminister der Regierung von Imre Nagy und wurde nach der Niederschlagung des Budapester Aufstands verhaftet. Seither war er verfemt.

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6. 10. 57 die Note am Schluß meines Gutachtens – Angriffskrieg, S. 80 f. precedent – Anspielung auf das anglo-amerikanische Fallrecht. Hugo Ball kritisierte meine Politische Romantik … – Hugo Ball, Carl Schmitts Politische Theologie. In: Hochland 21, 1924, S. 466.

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28. 10. 57 Drei schlimme Wahrsagungen – Angelehnt an ein Xenion von Schiller und Goethe: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens, / Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus.“ Friedrich Schiller, Sämtliche Werke in 5 Bänden. Hrsg. von P.-A. Alt, A. Meier und W. Riedel, Bd. 1, München 2004, S. 267. 29. 10. 57 daß ich von dem „proletarischen Bewußtsein des Betrogenseins“ gesprochen habe – Bezieht sich vielleicht auf PuB, S. 129 f.: „Auch das faschistische Ethos geht von jenem Gefühl des Betrogenseins aus, das man seit dem 19. Jahrhundert überall feststellen kann, das nicht nur ein proletarischer Affekt ist und das nach dem Weltkrieg in romanischen Ländern einen stärkeren Ausdruck gefunden hat als in Deutschland.“ Die Äußerungen Blochs nicht ermittelt. 31. 12. 57 Da erwartet der gute Werner Becker … – W. Becker (1904–1981), Jurist, Theologe, Schüler Schmitts in Bonn und von ihm mit einer Arbeit über Hobbes promoviert; vgl. W. Becker, Briefe an Carl Schmitt. Hrsg. und mit Anm. versehen von Piet Tommissen, Berlin 1998, S. 10 ff. Schmitt bezieht sich wohl auf: W. Becker, Die Wirklichkeit der Kirche und das Ärgernis, Leipzig 1957 (2 Exemplar im Nachlass, RW 265 Nr. 26637 und 26681).

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„pecca fortiter“ – Luther schrieb am 1. 8. 1521 an Melanchthon: Esto peccator et pecca fortiter, sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi. „Sei ein Sünder und sündige kräftig, aber sei stärker im Glauben und der Freude in Christus, der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt.“ M. Luther, D. Martin Luthers Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. 4, Bd. 2, S. 372. 6. 4. 58 Et ta Race est 89 – Der frz. „jakobinische“ Historiker Jules Michelet (1798–1874) schrieb: „De l’Inde jusqu’à 89, descend un torrent de lumière, le fleuve de Droit et de Raison. La haute antiquité, c’est toi. Et ta race est 89.“ J. Michelet, Bible de l’humanité, Paris 1864, S. 485. 368

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25. 5. 58 Aubrey Beardsley scheint Recht zu behalten – Schmitt bezieht sich hier auf Franz Blei, der von seiner Begegnung mit Beardsley diesen mit folgenden Worten zitiert: „Jeder von uns. Lauter Hamlets. Das protestantische Ende.“ F. Blei, Zeitgenössische Bildnisse, Amsterdam 1940, S. 194. Prozess gegen Böhme – Im „Ulmer Einsatzgruppen-Prozess“ 1958 wurde der ehemalige SS-Sturmbannführer Hans-Joachim Böhme (1909–1960) zusammen mit weiteren Beteiligten wegen in Litauen 1941 begangener Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 3907 Fällen zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Pflimlin – Pierre Eugène Jean Pflimlin (1907–2000), frz. Jurist und Politiker, 1958 kurzzeitig frz. Ministerpräsident. Kühlmann – Richard von Kühlmann (1873–1948), dt. Diplomat und Industrieller, Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von 1917 bis 1918. par nobile fratrum – „Ein edles Brüderpaar“ (in der ironischen Bedeutung „ein sauberes Paar“), Zitat aus den Satiren des Horaz. 1. 6. 58 C. F. von Weizsäckers Darlegung – Carl Friedrich von Weizsäcker, Die gegenwärtigen Aussichten einer Begrenzung der Gefahr eines Atomkrieges, Hamburg 1958. Armer Delano – In der Erzählung „Benito Cereno“ von Herman Melville besucht der amerikanische Kapitän Amasa Delano das auf Reede liegende spanische Skalvenschiff ohne zu bemerken, dass dessen Kapitän Benito Cereno eine Geisel der meuternden Skalven ist. 3. 6. 58 der sich infolgedessen Carlo nennt – Anspielung auf den gelegentlich mit Schmitt verwechselten Carlo Schmid, der sich noch 1948 „Karl“ nannte; vgl. oben zu S. 52. Otto Weiningers Haß gegen den Wiener Walzer – Vgl. O. Weininger, Über die letzten Dinge, 4. Aufl. Wien/Leipzig 1918, S. 99. Vgl. auch oben zu S. 253. 5. 6. 58 Gnadenbrot nach Art 131 – Der Artikel 131 des Grundgesetzes sah vor, dass die versorgungsrechtliche Stellung der nach 1945 nicht wieder eingestellten Beamten durch ein Bun-

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desgesetz zu regeln sei, was am 11. Mai 1951 in der Weise geschah, dass alle, die nicht als Hauptschuldige oder Belastete eingestuft worden waren, wieder beamtet werden konnten bzw. versorgungsberechtigt waren. Schmitt kam so in den Genuss seiner Pension. Juli 58 das Buch von Christian Courtois – Chr. Courtois, Les Vandales et l’Afrique, Paris 1955. Das Gelächter Gelimers und el soriso des Daniel – Zu Gelimer s. oben, S. 312. Das Gegenbild zu Gelimer war für Schmitt die romanische Statue am Portal der Kathedrale von Santiago, die den Propheten Daniel zeigt, der über die Löwen lacht, die ihm nichts anhaben konnten. Vgl. BW Forsthoff, S. 161 f., 540 (Abb.); BW d’Ors, S. 191; Schmittiana NF I, 2011, S. 243. JZ zu dem 70. Geburtstag – Gemeint ist: Hans Huber, Einige Bemerkungen über die Rechts- und Staatslehre von Carl Schmitt. Zu Peter Schneiders Buch „Ausnahmezustand und Norm“. In: Juristenzeitung 13, 1958, S. 341–343. 1959 JZ – Adolf Schüle, Eine Festschrift. In: Juristenzeitung 14, 1959, S. 729–731 (vgl. dazu die Leserbriefdiskussion in: Deutsche Zeitung vom 24. 2., 22. 3. und 23. 3. 1960. 1962 NZZ – H. F. Pfenninger, Carl Schmitt und der „Partisan“ Rousseau. In: Neue Zürcher Zeitung vom 27. 7. 1962.

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22. 8. 58 indocilis privata loqui – „Unfähig, wie ein gewöhnlicher Sterblicher zu reden.“ Et mortem sentire juvat – „Es ist eine Wohltat, den nahen Tod zu fühlen.“ Pharsalia, IV, 570. 25. 8. 58 princeps reliogissimus Sisebut – Recte: religiosissimus, „der sehr fromme König Sisebut“. Sisebut (gest. 621) war König der Westgoten. Lecto de la validez und der validez del Lecto – „Lesen der Gültigkeit“ und „Gültigkeit der Lesung“. Vitoria hat das später dann genau so behandelt – In seinen „Relecciones de Indis“ lehnt Francisco de Vitoria die Zwangstaufe ab. Coactus voluit – Etsi coactus tamen voluit, „obwohl gezwungen, wollte er“, Formel des römischen Vertragsrechts, wonach nicht freiwillig abgeschlossene Verträge zwar wirksam sind, in ihrer Geltung aber bestritten werden können. Innozenz III und seine Decretale Maiores – Innozenz III. (Papst von 1198–1216) entschied, dass eine Zwangstaufe ungültig war. Canon 57 des 4. Conzils von Toledo und die Glosse Gratians C 5 D. XLV – Das 4. Konzil von Toledo im Jahre 633 unter dem Vorsitz von Isidor von Sevilla missbilligte die von König Sisebut angeordnete Zwangstaufen der Juden. Das fand Eingang in das „Decretum Gratiani“, Capitel V, Distinctio XLV. À corsaire, corsaire et demi – Frz. Sprichwort mit der Bedeutung, dass man sich einem aggressiven Menschen mit noch größerer Aggressivität entgegenstellen muss. Secundum occasionem et veritatem coactus sive condicionaliter, sive absolute voluit – „Gemäß der Gelegenheit und der Wahrheit gezwungen, wollte er entweder bedingungsweise oder unbedingt.“

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Quevedos Sueños – Schmitt bezieht sich auf: Francisco de Quevedo, Los sueños, Buenos Aires 1952 (Exemplar mit Anm. im Nachlass, RW 265 Nr. 22688); dt.: Die Träume, Frankfurt a. M. 1980, sowie: ders., La hora de todos y la fortuna con seso, Madrid 1987. In dieses letzte, posthum erschienene Werk wurde „La isla de los Monopantos“ eingefügt; über dessen Beziehung zu den Protokollen der Weisen von Zion vgl. J. A. van Praag, Los „Protocolos de los Sabios de Sión“ y la „Isla de los Monopantos“. In: Bulletin Hispanique 51, 1949, S. 169–173. 26. 8. 58 Durch Sanftmut – übe diese Pflicht … – Schmitt erinnert sich hier an Gesangbuchverse, s. BW EJ, S. 354. 373

9. 9. 58 so Ernst Jünger gegen mich – BW EJ, S. 247. Vgl. auch oben, S. 222 f. 21. 9. 58 Pribićević – Svetozar P. (1875–1936), kroatisch-serbischer Politiker, der sich für ein geeintes Jugoslawien einsetzte, ab 1927 aber die entgegengesetzte Position vertrat und 1931 ins Exil ging. erzählte mir Sava – Sava Kličkovič (1916–1990), Serbe, seit 1936 Schüler Schmitts in Berlin, 1940 Promotion. Vgl. Christian Tilitzki, Carl Schmitt – Staatsrechtler in Berlin. Einblicke in seinen Wirkungskreis anhand der Fakultätsakten 1934–1944. In: Etappe 7, 1991, S. 95 f. Schmitt hielt lebenslang freundschaftlichen Kontakt mit Kličković und seiner Familie (umfangreiche Korrespondenz im Nachlass).

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22. 9. 58 Am gefährlichsten ist es bei Bonald – Louis-Gabriel-Ambroise, vicomte de Bonald (1754– 1840), gegenrevolutionärer frz. Philosoph, der „die Gottesidee soziologisierte“ (R. Spaemann). 27. 9. 58 Crooke – Bezug vielleicht: John Crook, Consilium principis. Imperial councils and counsellors from Augustus to Diocletian, Cambridge 1955. Jüngers neues Tagebuch – E. Jünger, Jahre der Okkupation, Stuttgart 1958. Zu Niekisch vgl. oben zu S. 79. 10. 10. 58 bereitet oder nicht zu gehn, er muß vor seinem Richter stehn – F. Schiller, Wilhelm Tell, Ende des 4. Aufzugs.

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30. 10. 58 Henry Morgenthau – (1891–1967), von 1934 bis 1945 US-Finanzminister, Urheber des „Morgenthau-Plans“, der die Umwandlung Deutschlands in einen Agrarstaat vorsah. „mit Rücksicht …“ – Nachdem Boris Pasternak den Nobelpreis zunächst angenommen hatte, lehnte er ihn nach massivem Druck am 29. Oktober 1958 ab und begründete das „mit Rücksicht auf die Gesellschaft, in der ich lebe.“ Vgl. Die Zeit vom 30. 10. 1958.

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9. 11. 58 ERP-Gelder – Seit 1948 wurden auf der Grundlage des Marshallplanes Gelder aus dem European Recovery Program (ERP) bereitgestellt, um den Wiederaufbau der Wirtschaft zu befördern. Montherlants „Maître de Santiago“ – Henry de Montherlant, Le Maître de Santiago (Theaterstück), 1947; dt.: Der Ordensmeister, 1948. Hans-Joachim Arndt – (1923–2004), Politikwissenschaftler, gehört zum Heidelberger Kreis der informellen Schüler Schmitts, vgl. van Laak, passim. leyenda negra – Dem Vorwurf, sie seien ein brutales Volk begegneten die Spanier mit dem im späten 19. Jahrhundert geprägten Begriff „leyenda negra“ (schwarze Legende), womit der Vorwurf als antispanische Propaganda dargestellt werden sollte. sublime néant – Bei Montherlant schwankt seine Figur des Alvaro in „Le Maître de Santiago“ zwischen Gott und dem „sublime néant“. 11. 11. 58 Journalisten Cassandra – Die Titelgeschichte im genannten Heft des Spiegel handelt von dem englischen Journalisten William Neil Connor (1909–1967), der über 30 Jahre unter dem Pseudonym Cassandra seine Kolumnen im Daily Mirror schrieb. Im Interview mit dem Spiegel betont er seine Verachtung alles Deutschen. if the Germans are not was he says they are – what is he? – Variation aus „The Education of Henry Adams“, vgl. oben, S. 136.

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12.11. 58 Erich Strauss – Unter dem Pseudonym Erich Strauss hat Schmitt gelegentlich Gedichte veröffentlicht; vgl. Gedichte. 16. 11. 58 Ich habe 1932 das entscheidende Wort gefunden – Gemeint ist: LuL. 7. 12. 58 Ich habe Jünger geschrieben, daß ich mich genug blamiert fühle – „Niekisch gehört zu den Siegern des Zweiten Weltkrieges und hat das schon 1946 meine Frau fühlen lassen; meinetwegen soll er weiter siegen und als Sieger die Geschichte schreiben. Auf die Lügen, die er über Gespräche mit mir verbreitet antworte ich nicht. Es ist schon blamable genug für mich, daß ich mich mit ihm in ein Gespräch eingelassen habe, wenn ich 30 Jahre nachher von ihm einen solchen ,Bericht‘ über das Gespräch vorgesetzt erhalte.“ BW EJ, S. 356 f. Vgl. auch oben zu S. 79. Steppenverhöre – Anspielung auf: Werner Helwig, Das Steppenverhör. Roman, Düsseldorf/Köln 1957. doceo, sed frustra – „Ich lehre, doch vergeblich“, s. oben zu S. 180. Haeckers Nachwort von 1918 – Gemeint ist Haeckers Nachwort zu seiner 1917 erschienenen Ausgabe von Kierkegaards „Begriff des Auserwählten“, das 1918 bei Hegner in Hellerau auch separat erschien; jetzt in: ders., Essays, München 1958, S. 9–87. Vgl. oben zu S. 110. Bäffchen gegen einen Rosenkranz – Gemeint ist die Konversion Haeckers vom Protestantismus zum Katholizismus.

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Novalis meinte – „Der jüngste Tag wird kein einzelner Tag, sondern nichts als diejenige Periode sein, die man auch das tausendjährige Reich nennt.“ Novalis, Religiöse Schriften, Bremen 2012, S. 124. 8. 12. 58 „Abgrund der Verlogenheit entarteter Furchepietisten“ – T. Haecker, Essays, München 1958, S. 81. „Furchepietisten“ meint die Autoren des 1916 gegründeten Furche-Verlages, der ein dezidiert christliches Programm hatte. Zu Hitler fällt Euch nichts mehr ein – Anspielung auf den Hitler-Gegner Karl Kraus, der 1933 meinte: „Zu Hitler fällt mir nichts mehr ein.“ 28. 12. 58 Die Geschichte von den 3 Männern – W. Helwig, Das Steppenverhör, s. oben zu S. 377. Brief vom Oktober 1923 – Brief Feuchtwangers an Schmitt, nicht vom Oktober, sondern vom 18. 6. 1923; in: BW Feuchtwanger, S. 35 f. 30. 12. 58 „jument ruant étalon“ – Der Stich von Baldung Grien heißt korrekt: „Étalon et la jument Kicking avec des chevaux sauvages“.

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31. 12. 58 Unser verehrungswürdiges Staatshaupt … – Die Rede von Bundespräsident Heuss ist abgedruckt in der FAZ vom 17. 12. 1958; mit Anstreichungen und stenogr. Anm. im Nachlass Schmitts (RW 265 Nr. 20830). Vgl. auch BW Mohler, S. 293 f. Obiter dictum und obiter factum – „Nebenbei Gesagtes und nebenbei Gemachtes“; Obiter dictum ist in der Rechtsprechung das vom Urteil abweichende Votum eines Richters. die Lektüre der Abhandlung von Odo Marquard – Schmitt bezieht sich auf: Odo Marquard, Skeptische Methode im Blick auf Kant (Symposion, 4), Freiburg i. Br./München 1958 (Exemplar mit vielen Anm. u. eingekl. Za. im Nachlass, RW 265 Nr. 27763). ich vergleiche nicht die Opfer, ich vergleiche nur die Richter – Umkehrung des Satzes von Lucien Laberthonnière, vgl. oben zu S. 214. Rafo Konforti – Figur aus dem 1958 auf Deutsch erschienenen Roman „Das Fräulein“ von Ivo Andrić. Chor in Nestroys Posse „Judith“ – Recte: „Wir Hebräer hab’n Wunder g’nug in unsrer G’schicht’, / Auf die Wunder der Tapferkeit leist’n wir Verzicht.“ Quid sum miser tunc dicturus? / Quem jutorem rogaturus? – Recte: Quid sum miser tunc dicturus? / Quem patronum rogaturus? „Weh! Was werd ich Armer sagen? / Welchen Anwalt mir erfragen?“ Zitat aus dem Hymnus „Dies irae“. Schmitt ersetzt „patronum“ (Anwalt) durch „jutorem“ (Helfer). meine These von der Veränderung des Prozeßgegenstandes – Vgl. oben, S. 42; Schmitt hat dazu nichts weiter veröffentlicht, vgl. seine Bemerkung von 1958: „Es bedürfte einer grundsätzlichen wissenschaftlichen Untersuchung der Frage, wie weit die Mittel und Methoden des justizförmigen Prozesses ihren Gegenstand verändern.“ VA, S. 109. judex homini lupus – „Der Richter ist dem Menschen ein Wolf.“

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J’en appelle de ta justice à ta réalité – Eigentlich: „J’en appelle de ta justice à ta gloire“, dt. „Ich lege vor Deinem Ruhm Berufung ein gegen Deine Gerechtigkeit.“ Léon Bloy, Das Heil und die Armut. Mit Beiträgen von Georges Bernanos, Raïssa Maritain und Karl Pfleger, Heidelberg 1953, S. 374. In seinem Tagebuch vermerkt Léon Bloy, dass ihm dieser Satz von Ernest Hello gesagt worden sei (Eintrag vom 13. 8. 1892). Er verwendet ihn dann für die Darstellung des Jüngsten Gerichts im 28. Kapitel seines Buches „Le Salut par les Juifs“. Schmitt nennt als seine Quelle Hello; vgl. RK, S. 55 f.

Kommentar zum Anhang My tables – Shakespeare, Hamlet, 1. Akt, Szene 5: „My tables, – meet it is I set it down“ (Schlegel: „Schreibtafel her! Ich muß mir’s niederschreiben.“)

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mæ mnhsikakeîn – des erlittenen Bösen nicht eingedenk sein. Amnestía – Amnestie. JW Jan 1933 – Landgerichtsrat Dr. Ernst Wichards (Preuß. Justizministerium), Das Reichgesetz über Straffreiheit vom 20. Dezember 1932. In: Juristische Wochenschrift, H. 1, 62. Jg. (1932), Anhang. Duguit – Léon Duguit/Henry Monnier, Les constitutions et les principales lois politiques de la France depuis 1789. Collationnées sur l. Textes Offic., précédées de Notices Histor. et suivies d’une Table Analyt. detaillée, Paris 1898 Jean de Saint-Thomas – Schmitt zitiert ihn nach: Charles Journet, L’Église du Verbe incarné, Paris 1941 (u. ö.) In der Ausg. Fribourg 1962 findet sich die von Schmitt ungenau zitierte Stelle auf S. 875 f. Bellarmin – Roberto Bellarmino, De Summo Pontifice, Ingolstadii [1587] Billot – Ludovico Billot, Tractatus de ecclesia Christi sive continuatio theologiae de verbo incarnato, Roma 1909. Ed. Meyer – Eduard Meyer, Caesars Monarchie und das Principat des Pompejus. Innere Geschichte Roms von 66 bis 44 v. Chr., Stuttgart/Berlin 1918 (u. ö.) pomerium – „der längs der Stadtmauer innerhalb und außerhalb frei gelassene, durch Steine abgegrenzte und die städtischen Auspizien begrenzende Raum, der Maueranger, Zwinger“ (Georges, Lat.-dt. Handwörterbuch). Procul e [recte: a] muris … „Da tauchte draußen vor den Mauern in der Ferne eine Abteilung auf; sie marschierte nicht zerstreut in kleinen Gruppen, sondern in ausgerichteter Phalanx, als gehe es gegen einen ebenbürtigen Feind. Im Laufschritt rücken sie vor …“

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Michelet, la loi; die Weichsel als Grenze – Siehe oben zu S. 20. 385

1901. Education of Henry Adams – Siehe oben zu S. 136.

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Niekisch ein Buch Ost-West veröffentlicht – Ernst Niekisch, Ost-West. Unsystematische Betrachtungen, Berlin 1947.

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Borgese – Giuseppe Antonio Borgese, Russland – Versuch einer Umwertung. In: Frankfurter Hefte 2, 1947, S. 750–765.

–––––

Ortega – José Ortega y Gasset, Über die Vereinigten Staaten. In: Europäische Revue 9, 1933, S. 353–360. ex abundantia – „aus dem Überfluss“. Just – Arthur W. Just, Russische Gegenwart. In: Europäische Revue 8, 1932, S. 94–103; ders., Russische Gegenwart. Der zweite Fünfjahresplan. In: Europäische Revue 8,1932, S. 303– 313. 388

Karl Renner – (1870–1950), österreichischer Jurist und Politiker. Schmitt bezieht sich auf: K. Renner, Die soziale Funktion der Rechtsinstitute. In: Marx-Studien 1, 1904, S. 65–192 (später auch wiederholt selbständig erschienen).

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– „ein Raub des mächtigen Augenblicks“ – „Der Mensch ist, der lebendig fühlende, der leichte Raub des mächtigen Augenblicks.“ F. Schiller, Die Jungfrau von Orleans, III, 4.

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Ja, Perlen fischt er … – Aus dem Gedicht „Der Dichter – Dichters Glück“ von A. von Droste-Hülshoff.

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Gustav Klemm – Gustav Friedrich Klemm (1802–1867), Kulturhistoriker und Bibliothekar. Für ihn war die Ungleichheit der menschlichen Rassen der Motor der Weltgeschichte, worauf sich später völkische Kreise bezogen. Klemms Hauptwerk ist eine zehnbändige „Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit“. Fauchille – Paul Auguste Joseph Fauchille (1858–1926), frz. Jurist. Schmitt bezieht sich auf: Paul Fauchille, Traité de droit international public, 8e édition entièrement refondue, complétée et mise au courant du ,Manuel de droit international public‘ de M. Henry Bonfils, Vol. I.1–3, II, Paris 1922–1926. Vgl. auch Nomos, S. 235, Anm. 2. Verdross – Es handelt sich um den Artikel „Amnestie“ von Alfred Verdross in: Karl Strupp, (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie. Begonnen von Julius Hatschek. Fortges. und hrsg. von Karl Strupp. Bd. 1–3, Berlin usw. 1924–1929. Vgl. Nomos, S. 235, Anm. 2. Grotius III 10, § 3–4 – Schmitt bezieht sich auf: Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres.

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Gudelin: in amnestia … – „Die Substanz des Friedens besteht in der Amnestie; fehlt sie, so gibt es keinen Frieden.“ Das Zitat des Juristen Peter Gudelin (1550–1619) entnahm Schmitt folgendem Buch: Heinrich Rogge, Nationale Friedenspolitik. Handbuch des Friedensproblems und seiner Wissenschaft auf der Grundlage systematischer Völkerrechtspolitik, Berlin 1934, S. 55. Auf die Stelle wies Ernst Forsthoff Schmitt am 17. 10. 1951 hin; vgl. BW Forsthoff, S. 80. Art. 120 der Jacobin. Verf. 1793 – Der Artikel lautet im Original: „Il donne asile aux étrangers bannis de leur patrie pour la cause de la liberté. – Il refuse aux tyrans.“

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JW 1933 – Hans Kasche, Das politische Verbrechen in den deutschen Auslieferungsverträgen. In: Juristische Wochenschrift, H. 29/30, 62. Jg. (1933), S. 1639–1640. Lauterpacht – Lassa Oppenheim, Disputes, war and neutrality. (T. 2 von: International law. Hrsg. von Hersch Lauterpacht), 6. ed., London usw. 1940. Itinerarium acroamaticum … – „Unterhaltsamer Führer für die höllischen Wege. Ein Aufklärungsbuch um (durch richtige Lebensführung) dem Leviathan aus dem Weg zu gehen.“ Vermutlich angeregt durch: Theodor Däubler, Lucidarium in arte musicae des Ricciotto Canudo aus Gioja del Colle, Hellerau 1917

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De nobis ipsis silemus – Siehe oben zu S. 83. Die lieben Deutschen kenn ich schon – Siehe oben zu S. 129.

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exul in patria – Siehe oben zu S. 7. inuar uigandun – aus den Merseburger Zaubersprüchen: insprine haptandun inuar uigandun

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Entspring den Haftbanden Entfahr den Feinden

Ich daure wachsam … – Ein Vers des Freundes Franz Kluxen von 1908, den Schmitt zusammen mit weiteren Kluxen-Versen 1948 aus der Erinnerung notierte; vgl. RW 265 Nr. 21288. Gelächter Gelimers – Siehe oben zu S. 312. Durando saecula vincit – Multa virum volvens durando saecula vincit. „Viel hinrollende Leben besiegt ausdauernd ihr Alter.“ (Publius Vergilius Maro, Georgicon, Buch 2, Vers 295; Übers. von Johann Heinrich Voß). Adam, wo bist Du? – 1 Mos 3,9. Quo usque tandem? – Quo usque tandem abutere, Catilina, patientia nostra? „Wie lange noch, Catilina, wirst du unsere Geduld missbrauchen?“ Marcus Tullius Cicero, Catilinaria 1.

401

Personenregister Abendroth, Wolfgang 520 Adams, Alfons 325, 519, 525 Adams, Henry 136, 303, 385, 455, 535, 538 Adams, Johannes 349, 525 Adams, John Quincy 12 Adams, Paul 9, 11, 42, 106, 125, 134, 155, 158, 211, 229, 275, 408, 460, 519 Adenauer, Konrad 270, 319f., 517f., 527 Adorno, Theodor Wiesengrund 299, 304, 363, 510, 530 Adso (von Montier-en-Der) 47, 422 Aenea Sylvio (Papst Pius II.) 100, 440 Aesopus 427 Ahlmann, Wilhelm 88, 91f., 142, 438, 455 Aischylos 384 Alain (Pseud. f. Émil-Auguste Chartier) 141, 457 Alembert, Jean Le Rond d’ 168 Alexander der Große 387 Alexander III. (Papst) 101 Alt, Peter-André 531 Altheim, Franz 40, 419 Altmann, Rüdiger 327f., 362, 368, 496, 520 Am Zehnhoff, Hugo 127, 430, 452 Anders, Günther 182, 470, 526 (Pseud. f. Günther Siegmund Stern) Andersch, Alfred 240, 252, 493 Andreas-Salomé, Lou 113 Andresen, Carl 483 Andrić, Ivo 428, 536 Annunzio, Gabriele d’ 22, 375 Antonius, Marcus 529 Archimedes 438 Arendt, Hannah 114, 252, 268, 445, 479, 493 Aristoteles 69, 123, 240, 383, 387, 413, 451, 455, 489 Armengaud, Jean 355, 527 Arminius (Fürst der Cherusker) 168 Arndt, Adolf 274, 350, 369, 501, 511 Arndt, Hans-Joachim 352, 375, 535 Aroneanu, Eugène 201, 214, 475 Atze, Marcel 517

Augstein, Rudolf 349 Augustinus (von Hippo) 10, 58, 213, 223f., 290, 301, 430, 440, 483, 509, 513 Ausonius, Decimus Magnus 511 Baader, Franz von 34, 42, 47, 191, 418, 420, 472 Bab, Julius 243, 491 Bach, Johann Sebastian 194, 473, 521 Bachofen, Johann Jakob 162, 165, 180, 463, 469 Bacon, Francis 29, 62, 76f., 83, 107, 138, 207, 244, 253, 275, 285, 300, 394, 399, 426, 492, 494, 501, 508 Baeumler, Alfred 190, 463, 469 Bakunin, Michail Aleksandrovič 112, 152, 256, 266, 497f. Baldung Grien, Hans 378, 536 Ball, Hugo 114, 125, 314, 366, 511, 531 Ballanche, Pierre-Simon 309, 445, 513 Balzac, Honoré de 27, 87, 191, 416 Barandon, Paul 166, 464 Barbey d’Aurevilly, Jules Amédée 114, 120, 445 Barbo, Pietro (Papst Paul II.) 440 Bardèche, Maurice 195 Barion, Hans 4, 18, 29, 34, 41, 44f., 59, 92, 102, 157, 174, 229, 300, 363, 373, 388, 406, 413, 420, 442f., 502 Barnikol, Ernst 105, 442 Barrès, Maurice 143, 457 Barth, Hans 41, 161, 420 Barth, Karl 123, 152, 172, 253, 255, 278, 466 Basilius (von Caesarea) 88 Bastien, Jean-François 168 Bataillon, Marcel 88, 437 Batiffol, Pierre 224, 483 Baudelaire, Charles 469 Bauer, Bruno 8, 17, 19, 28, 31, 39, 46, 70, 73, 87, 105, 114, 132, 134, 143, 145, 253, 268, 296, 303, 326, 385, 416, 437, 442, 464, 472, 487f. Baumgartner, Joseph 29, 417 Bayle, Pierre 116 Beardsley, Aubrey 368, 532

542

Becher, Johannes R. 199 Becker, Jürgen X Becker, Werner 367, 531 Beckerath, Erwin von 344 Beethoven, Ludwig van 10, 50, 53, 137, 194 Béguin, Albert 140, 457 Beheim-Schwarzbach, Martin 70, 429 Behr, Isaschar Falkensohn 493 Belisarius, Flavius 515 Bellarmin(o), Robert(o) 10f., 82, 384, 408, 436, 537 Below, Georg von 78, 100, 373, 433 Benda, Julien 405 Bender, Julius 511 Benedikt XIV. (Papst) 10 Beneš, Edvard 80f., 85, 435 Benjamin, Walter 318f., 409, 517 Benn, Gottfried 75, 113, 142, 149, 163, 170f., 226, 243, 258 284, 379, 398, 462, 465, 491 Benoit d’Azy, Denis 284 Bentham, Jeremy 26, 157, 416, 461 Benz, Wolfgang 460 Berger, Hans 205, 477 Bergson, Henri 46, 421 Bernadotte, Folke (Graf) 150 Bernanos, Georges 7, 9, 14, 22f., 60f., 130, 134, 152f., 170f., 192f., 211, 213, 236, 407, 410, 415, 454, 473, 487, 537 Beste, Theodor 229, 484 Beutler, Ernst 453, 464, 494 Beyer, Hans 124, 397, 451 Beyerle, Konrad 321, 518 Beym, Hans 106 Bezold, Otto 527 Bierl, Anton 411 Bilfinger, Carl 50, 423 Billot, Ludovico 384, 537 Binding, Karl 135, 229, 440 Bismarck, Otto von 87, 374, 379, 385, 411, 429 Blackbourne, Richard 439 Blankenburg, Walter 473 Blasius (von Sebaste) 269, 499 Blasius, Dirk 511 Blei, Franz 11, 117, 138, 243, 532 Blischke, Werner 63, 426 Bloch, Ernst 35, 234, 347f., 360, 367, 378, 418, 486, 524f., 529, 531 Blötz, Ferdinand 95, 439 Blomberg, Werner von 498

Bloy, Léon 31, 72, 74, 92, 96, 98–100, 114, 120, 201, 211, 213, 282, 284f., 399, 407, 412, 431, 438, 440, 510f., 537 Blücher, Gebhard Leberecht von 68, 428, 505 Blüher, Hans 17, 115, 412, 446 Bluhm, Harald X Blumenberg, Hans 422, 473, 492 Bobbio, Norberto 94 Bockelmann, Paul 235 Bodin, Jean 10, 25, 29, 69, 73, 79f., 83, 106, 296, 408, 507 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 149, 414 Böckenförde, Werner 406 Böcklin, Arnold 212 Böhm, Franz 103, 289, 311, 331, 336, 339, 441, 506, 514 Böhme, Hans-Joachim 369, 532 Böhme, Jakob 43, 76, 191, 422 Boethius, Anicius Manlius Severinus 60 Bohannan, Laura 500 Bohr, Niels 360 Boileau-Despréaux, Nicolas 513 Bojić, Milutin 460 Boll, Monika 514 Bonald, Louis-Gabriel-Ambroise de 304, 374, 399, 511, 534 Bonfils, Henry 538 Bonn, Moritz Julius („Moju“) 6, 301, 304, 319, 406, 509, 518 Borgese, Giuseppe Antonio 387, 538 Borkenau, Franz 521 Born, Max 322, 519 Borromäus, Karl 375 Bosanquet, Bernard 247 Bosch, Hieronymus 112, 122, 412, 445 Bossuet, Jacques Bénigne 433 Bourdin, Paul 304, 510 Bourget, Paul 476 Bramhall, John 33 Brasillach, Robert 126, 452 Brecht, Bert 229, 248, 263, 326, 484 Brinkmann, Carl 74, 78, 113, 431, 434 Britting, Georg 483 Brockard, Hans 423 Bruckberger, Raymond-Léopold 213, 479f. Brunner, Otto 3, 5, 7, 34, 405 Brunschvicg, Léon 412, 458f., 524 Brust, Fritz 58, 425 Brutus, Marcus Iunius 384 Bryce, James 69, 428

543

Buber, Martin 291 Buchheim, Hans 115, 446 Buchner, Hartmut 423 Budde, Eugen 31, 78, 433 Büchner, Georg 244 Bülow, Bernhard von 268 Buffon, Georges-Louis Leclerc de 274, 500 Bung, Hubertus 52, 229, 424 Burckhardt, Jakob 39f., 105, 127, 152, 254, 272, 298f., 424, 442, 494, 500 Burgard, M.-Th. 483 Burke, Edmund 31 Burkhardt, Kai 485, 510, 517 Burnham, James 32, 35, 61, 417 Bury, John Bagnell 247 Busch, Wilhelm 17, 66, 150 Busolt, Georg 383 Butler, Samuel 57, 62, 84, 90, 101, 109, 205, 425 Byron, George Noel Gordon Lord 470 Caesar, Gaius Julius 3, 32, 93, 108, 113, 142, 149, 152, 172, 196, 208, 359, 361, 388, 391, 398, 434, 443, 459, 511, 529 Calder, Alexander 314 Calvin, Johannes 297, 300 Calvo Serer, Rafael 362, 530 Campanella, Tommaso 71, 84 Capitant, René 61, 426 Cardauns, Hermann 21, 414 Carnegie, Andrew 6, 140, 406, 457 Carpeaux, Otto Maria 192, 473 Carrier, Jean-Baptiste 69 Carus, Carl Gustav 49, 114 Casanova, Marco Antonio 508 Caspar, Karl 12 Caspar-Filser, Maria 484 Caspary, Adolf 63, 318, 426, 517 Cassirer, Ernst 121 Castella, Gaston 483 Castracani, Castruccio 8, 407 Catilina, Lucius Sergius 529, 539 Cato, Marcus Porcius 32, 79, 128, 268, 344, 434, 453, 498, 524 Chalier, Joseph 69 Chamberlain, Houston Stuart 49, 93, 112 Chamberlain, Joseph 117 Chamberlain, Neville 153 Chardon, Henri 457 Chateaubriand, François-René de 198 Chopin, Frédéric 109

Christina (schwed. Königin) 175 Chrustschow, Nikita 297, 312, 380 Churchill, Winston 47, 94, 132f., 182, 195, 307, 359, 469 Cicero, Marcus Tullius 31, 120, 384, 416, 529, 539 Cisneros, Francisco Jiménez de 88, 437 Claudel, Paul 9f., 92, 94, 298, 407, 439 Clémenceau, Georges 94, 179 Clemens IV. (Papst) 288 Clérissac, Humbert 122, 450 Cochin, Augustin 69, 130, 285, 428 Coclico, Adrien Petit 12, 409 Coing, Helmut 340, 523 Coke, Edward 317, 517 Colli, Giorgo 487 Collingwood, Robin George 247 Columbus, Christopher 210, 212, 374 Comte, Auguste 75, 143, 150, 237, 315, 391 Conde, Francisco Javier 98, 440 Condorcet, Nicolas de 200 Connor, William Neil („Cassandra“) 376, 535 Constant, Benjamin 302 Constantinus I. (röm. Kaiser) 106, 254, 494 Corneille, Pierre 10, 285, 488 Corradini, Enrico 3, 405 Cortez, Hernán 374 Cortina, Manuel Suárez 37 Cortius, Gottlieb 219, 481, 533 Courtois, Christian 371, 533 Cramer von Laue, Constantin 115, 446 Cromwell, Oliver 31, 177, 207, 263, 275, 359 Crook, John 374, 534 Crusius, Friedrich 48, 385 Curtius, Ernst Robert 74, 164, 190, 217, 277, 288, 432 Cusanus, Nicolaus s. Nikolaus von Kues 106, 442 Däubler, Edith 25 Däubler, Theodor 22, 25, 49, 51f., 58, 67, 106, 117, 122, 128f., 133, 136f., 145, 151, 161, 163f., 182, 195, 216, 329, 371, 396, 412–415, 431, 447–449, 453, 459, 462, 470, 472, 483, 520, 539 Dahm, Georg 147, 458 Daladier, Édouard 153 Danzenbrinck, Franz 172, 466 Darwin, Charles 162, 520 David (israelit. König) 166 David, Christian 71 Defoe, Daniel 36, 93, 439 Dehmel, Richard 239, 488, 528

544

Delacroix, Eugène 72 Delano, Amasa 326 Delp, Alfred 66, 427 Demosthenes 31 Déroulède, Paul 451 Descartes, René 6f., 21, 26, 44, 48, 175, 489 Deschamps, Léger-Marie 48, 423 Diabelli, Anton 137 Diderot, Denis 48, 525 Diederichs, Peter 340, 523 Diels, Hermann 460, 507 Diels, Rudolf 199, 475 Dietrich, Sepp 529 Dilthey, Wilhelm 81, 83f., 435 Diogenes (von Sinope) 251 Dion Chrysostomos 275, 502 Disraeli, Benjamin 102, 107, 253, 353, 394, 443, 494 Disraeli, Isaac 318, 517 Dix, Rudolf 104, 441 Döblin, Alfred 63, 426 Dönitz, Karl 91, 526 Dombois, Hans Adolf 340, 522 Donnedieu de Vabres, Henri 194, 474 Donoso Cortés, Juan 11, 16f., 31, 37f., 47, 52f., 61, 69, 76, 168, 171, 197, 320, 365, 385, 411, 418f., 464f., 469 Dorguth, Friedrich Andreas Ludwig 238 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 60, 123, 132, 184, 216, 451 Drath, Martin 269, 499 Dreyfus, Alfred 96, 195 Drieu la Rochelle, Pierre 44, 74 Droste-Hülshoff, Annette von 7–11, 19, 21, 23, 48, 67, 69, 127, 146, 376, 387, 389f., 406f., 413f., 429, 538 Drucker, Peter F. VIIf., 14, 410 Drumont, Edouard 192, 213 Drusus (Nero Claudius Germanicus) 311 Du Prel, Maximilian 362, 530 Dürer, Albrecht 238 Duguit, Léon 383, 537 Duhourcau, François 143, 457 Duhr, Joseph 225 Dulles, John Foster 47, 328 Duns Scotus, Johannes 26, 88, 416 Durkheim, Émile 199, 475, Ebeling, Gerhard 44, 421 Ebenstein, William 161, 200, 234, 257, 261, 339, 462

Eckhart (Meister) 285, 409 Ehlers, Hermann 522 Ehmke, Horst 81 Ehrenburg, Ilja 71, 378, 430 Eichendorff, Joseph von 507 Eichhorn, Mathias 466 Einstein, Albert 174, 177, 180, 369 Eisenhower, Dwight D. 379 Eisler, Fritz 14, 25, 354, 410 Eisler, Georg 453, 460f. Eisler, Kaete 128, 453 Elbau, Julius 494 Eliot, Thomas Stearns 164 Elisabeth I. (engl. Königin) 359, 361 Ellis, Robert Leslie 426, 492, 508 Engel, Manfred 445 Engels, Friedrich 87, 185, 350, 437, 457, 471, 485, 499 Epikur 20, 446f. Epstein, Kurt 78, 434 Epting, Karl 299, 329f., 443, 479, 508, 520 Erasmus, Desiderius 72, 88, 95, 169, 384 Erdmann, Carl 223–225, 483 Erlembald (von Mailand) 225 Ernst August I. (hannov. König) 315f. Ernst, Fritz 41, 420 Eschweiler, Karl 12, 142, 149, 335, 409, 457 Estrada Félix, Genaro 190, 472 Eulenburg, Philipp zu 268, 498 Euripides 320 Fauchille, Paul 391, 538 Ferdinand I. (röm.-dt. Kaiser) 502 Ferrero, Guglielmo 77, 433 Feuchtwanger, Ludwig 378, 524f., 536 Feuerbach, Ludwig 142, 280 Fichte, Immanuel Hermann 76 Fichte, Johann Gottlieb 7, 10, 43, 74, 113, 139, 204, 214, 313 Fischer, Friedrich 469 Fischer, Rudolf 260, 496 Flaubert, Gustave 151 Flechtheim, Ossip K. 200 Fleig, Hans 175, 184, 232, 349, 369, 467, 470 Flick, Friedrich 355, 441, 526f. Flotow, Friedrich von 501 Fluchère, Henri 459 Foertsch, Hermann 268 Fontane, Theodor 287, 320, 505, 518 Ford, Henry 247

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Formosus (Papst) 100, 102, 111 Forrestal, James Vincent 264, 497 Forsthoff, Ernst 130, 134f., 291, 300, 313f., 396, 407, 437, 454, 461, 475, 479, 489, 493, 496, 499f., 502f., 509, 511f., 516, 527, 533, 539 Fourier, Charles 302, 510 Fraenger, Wilhelm 112, 412, 445 Franco, Francisco 98, 172, 490 Frank, Hans 131, 362, 416, 454 Frank, Heike X Franklin, Benjamin 20, 413, 447 Frei, Norbert 527 Freiligrath, Ferdinand 525 Freisler, Roland 74, 113, 432, 445 Freud, Sigmund 46, 75, 162, 199, 237, 244, 326, 371 Freund, Julien 422 Freund, Michael 435, 497 Freyer, Hans 336, 363f., 522, 530f. Freytag, Gustav 216 Friedrich II. (preuß. König) 275, 278, 302, 333 Friedrich III. (dt. Kaiser) 386 Friedrich Wilhelm IV. (preuß. König) 389, 424 Friedrich, Carl-Joachim 363, 456 Friesenhahn, Ernst („Kriesenhahn“) 198, 241, 269, 287, 474f., 490, 499 Fritsch, Werner von 268, 498 Fröschle, Ulrich 411 Froude, James Anthony 107, 443 Fuchs, Walter 128, 453 Füger, Kaspar 521 Fumet, Stanislas 9, 407 Funck-Brentano, Frantz 362, 530 Gabba, Carlo Francesco 118, 448 Gagern, Heinrich von 195 Gajus Marius (röm. Konsul) 284, 503 Galba, Lucius Livius Ocella Servius Sulpicius 40 , 419 Galeazzi-Lisi, Roberto 297, 508 Galilei, Galileo 83 Gallatin, Albert 12 Ganahl, Karl-Hans 3, 5, 405 Gandillac, Maurice de 106, 442 Gassendi, Pierre 116, 446f. Gaulle, Charles de 369, 372, 426 Gebhard, Klaus 126, 452 Gebhardt, Hans VIII, X Gehlen, Arnold 81, 93, 121, 364, 397, 526, 530f. Geiler, Karl 441

Gelimer (Wandalenkönig) 312, 350, 371, 373, 379f., 399–401, 515, 533, 539 Gennadios I. (Exarch von Karthago) 224f. Gentilis, Alberico 434, 436 George, Stefan 106, 113, 115, 118, 239, 445, 464, 488 Georges, Karl Ernst 537 Geulincx, Arnold 410 Ghandi, Mahatma 101 Gide, André 44, 164, 195, 232–234, 486 Gidel, Gilbert 28 Giesler, Gerd 479, 514 Gilles, Werner 49, 52, 423f. Glaßbrenner, Adolf 17 Glockner, Hermann 77, 515 Glum, Friedrich 327f., 519 Gobineau, Arthur de 70, 429 Goebbels, Joseph 181, 203, 378, 515 Göring, Hermann 88, 138, 428, 435, 437, 498 Görres, Joseph 270, 335 Goethe, Johann Wolfgang 8, 11, 23, 27, 30, 49–51, 68, 82, 91, 94, 114–116, 121, 123, 132, 140, 168–170, 173, 181, 184, 190, 194, 198, 208, 217, 251f., 256, 287, 289, 306, 309, 327, 329, 350, 398, 408, 410, 416, 426, 428, 447, 451, 453, 465, 470, 474, 484, 489, 493f., 500, 506, 512, 514, 521, 525, 531 Goldstein, Ioan-Isidor s. Isou, Isidore Golombek, Walter 131, 398, 454 Gómez de Castro, Alvar 88 Goris, Wouter 409 Grabbe, Christian Dietrich 173 Grabowsky, Adolf 325, 519 Gracián y Morales, Baltasar 108, 443 Graetz, Heinrich 49, 423 Graß, Hans 347, 524 Gratianus (de Clusio) 371, 533 Graves, Robert 361, 529 Green, Julien 156 Gregor I. (Papst) 105, 176, 224, 394, 441, 468 Gregor VII. (Papst) 106 Gregorios Thaumaturgos 88, 438 Gremmels, Heinrich 417, 465 Grewe, Wilhelm 85f., 89, 91f., 104, 107, 153f., 319, 336, 397, 436, 449, 517 Grey, Edward 13, 409 Groß, Johannes 316, 349, 362 Grote, Manfred 206, 477

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Grotius, Hugo 391, 538 Groux, Heinrich de 407 Guardini, Romano 283, 286, 288, 339, 503f. Gudelin, Petrus 391, 539 Güllich, Hans 96, 125, 161, 387, 451 Guénon, René 47, 422 Günther, Albrecht Erich 327, 407 Günther, Christian 166, 460 Günther, Gerhard 7, 47, 129f., 147, 326f., 397, 407 Gueydan de Roussel, William (Guillermo) 81, 118, 120, 122, 299, 435, 449f., 508 Guggenheim, Paul 172, 466 Guido (Vernani) 291, 507 Gundolf, Friedrich 116, 446 Gurian, Waldemar 66, 130, 427, 503 Gustloff, Wilhelm 69 Guthjahr, Herbert 134, 455 Gutmann, Meta 356 Guyon du Chesnoy, Jeanne Marie 15, 411 Haas, Willy 4f., 405 Habermas, Jürgen 300, 304, 351f., 399, 509, 526 Habrekorn, Daniel 511 Hácha, Emil 80, 435 Hadamovsky, Eugen 114, 445 Hadrian (röm. Kaiser) 152 Haecker, Theodor 20, 22, 78, 92, 99, 110, 120, 124, 131f., 152, 201, 208, 377f., 396, 434, 444, 448, 451, 478, 535f. Haimo von Auxerre 422 Haimo von Halberstadt 47, 422 Hall, William Edward 111, 118, 391, 397, 444, 448 Halle, Axel 489 Hallstein, Walter 262, 518 Halm, Friedrich 509 Hamann, Johann Georg 8, 39, 50, 296, 326 Hamsun, Knut 197 Hardekopf, Ferdinand 509 Harden, Maximilian 268, 498 Hardy, Thomas 504 Harnack, Adolf von 88 Hasemann, Richard 503 Hasenkamp, Gottfried 463 Hatzfeld, Sophie Gräfin von 27 Hauriou, Maurice 10, 25, 81f., 100, 102, 135, 408, 415, 441 Hausenstein, Wilhelm 74, 203, 231, 240, 242, 306, 308, 315, 344, 476, 512

Hauser, Kaspar 180, 238f., 270f., 325, 396, 488 Haushofer, Karl 427 Hausmann, Frank-Rutger 446 Haußleiter, August 18, 412 Heath, Douglas Denon 426, 492, 508 Hebbel, Friedrich 263 Heckmann, Herbert 460 Hefele, Hermann 29, 101, 417 Hefele, Karl Joseph 441 Hegel, Johann Friedrich Wilhelm 10, 15, 21, 50, 53, 62f., 67, 71, 75, 77, 80, 94, 106, 140f., 143, 152, 156, 158–160, 165–167, 172–174, 179, 189f., 192, 221f., 227f., 233, 235, 238, 248, 253–256, 260, 290, 293, 305, 311, 313, 315, 317, 321, 325–329, 333f., 343, 347f., 350f., 354, 363–365, 374, 396f., 411, 423, 435, 442, 457, 459, 461f., 466, 468, 472, 483, 486, 493, 495, 497, 506, 515f., 519f., 524, 526, 530 Hegner, Jakob 182, 470, 535 Heiber, Helmut 430 Heidegger, Martin 61, 63, 81–83, 114, 136, 142, 149, 175f., 178, 182f., 197, 199, 206, 226f., 236f., 256, 284, 300, 304, 317, 335, 374, 397, 435, 460, 467, 477, 487, 496, 509 Heil, Susanne 517 Heimann, Eduard 121, 449 Heimpel, Hermann 335, 521 Heine, Heinrich 78, 240, 268, 283, 313, 452, 503 Heinemann, Gustav 511 Heinrich III. (franz. König) 29 Heinrich VIII. (engl. König) 202, 345 Heisenberg, Werner 20, 60, 251, 335 Heller, Hermann 5, 274, 350, 440, 501, 525 Hellingrath, Norbert von 115, 128, 140, 446, 453 Hello, Ernest 214, 242, 481, 491, 537 Helwig, Werner 535f. Hennecke, Hans 12, 409 Hennings, Emmy 511 Hensel, Albert 429 Heraklit 14f., 53, 154, 227, 295, 460, 507 Herbers, Matthias 465 Hergenröther, Joseph 441 Herodes (israelit. König) 166 Hess, Gerhard 116, 398, 446f. Hesse, Hermann 271, 276 Hesse, Max 494 Heuss, Theodor 241, 254, 257, 379, 490, 536 Heydecker, Joe J. 437

547

Heydrich, Reinhard 451, 475 Heydte, Friedrich August von der 210, 269, 332, 479, 521 Heyl, Peter X Hieronymus, Sophronius Eusebius 88 Higgins, Alexander Pearce 111, 391, 444, 448 Hiller, Kurt 46, 161, 167, 313, 427, 464, 516 Himmler, Heinrich 498 Hindemith, Paul 18, 31, 412 Hinder, Rolf 514 Hirsch, Emanuel 265f. Hitler, Adolf („Adolf“, „Bruder Straubinger“, „Er“, „Vollstrecker“, „Kniébolo“, „Oberförster“) 12, 18, 27f., 37–39, 50, 64, 68, 71, 75, 87, 93f., 102, 104, 107, 112f., 114, 117, 119, 121, 123–125, 133, 136, 144, 146, 153, 169, 171f., 175f., 178, 183, 197, 202, 204, 215, 217, 229, 233f., 257, 268, 270, 278, 312, 315, 328f. 332, 335, 339, 345f., 349, 353, 361f., 366, 369–371, 375, 378f., 386, 393f., 396f., 400, 413, 416, 428f., 432, 435, 438, 449f., 457, 486, 507, 515, 536 Hobbes, Thomas 15, 23, 25, 29–33, 44, 46, 52, 62, 65, 69–71, 73, 76–78, 80f., 83, 89f., 94, 101–103, 112, 125–128, 138, 149, 156, 163, 168f., 177, 179f. 180, 184, 189, 199, 207f., 240f., 265, 267, 276, 284, 286, 322, 345, 361, 374, 377, 394, 396, 398, 414f., 417f., 433, 436f., 439, 456, 459, 468–471, 475, 478, 489f., 497f., 504f., 524, 529, 531 Hobbing, Reimar 12 Hobhouse, Leonard Trelawny 247 Hoche, Alfred 229 Höffner, Joseph 130, 454 Höhn, Reinhard 405, 455 Hölderlin, Friedrich 10, 23, 49, 114–116, 128, 140, 172f., 178, 203, 216, 230, 329, 358, 446, 452f., 484f. Hoffmann, Franz 472 Hogrebe, Wolfram X Holstein, Friedrich von 268 Hollaender, Ulrich s. Thomas, Michael Homer 474, 529 Honorius, Flavius (weström. Kaiser) 224 Horatius Flaccus, Quintus 142, 476, 511, 532 Horst, Ulrich 480 Hoßbach, Friedrich 268, 499 Houdon, Jean Antoin 413, 447 Huber, Ernst Rudolf 73, 107, 125, 161, 396, 420, 452, 455, 462, 479, 496, 499, 520f. Huber, Franz von Paula 523

Huber, Hans 371, 533 Huber, Kurt 12, 409 Hüsmert, Ernst X Hugo, Victor 195, 216, 414 Hus, Johannes 41, 439 Hutten, Ulrich von 475 Huxley, Aldous 36, 41f., 45, 57, 84, 120, 151, 234, 305f., 420f., 512 Huxley, Julian 333, 354, 521 Ilschner, Liselotte 349, 525 Innozenz III. (Papst) 371, 533 Ipsen, Hans Peter 40, 65, 94, 102, 107, 110f., 165, 275, 397, 427, 463 Isidor von Sevilla 533 Isorni, Jacques 126 Isou, Isidore 192f., 473 Iugurtha (numid. König) 405 Jackson, Robert H. 80, 103f., 130, 192, 435 Jäckh, Ernst 5, 406 Jaeger, Werner 15, 411 Jahn, Friedrich Ludwig 310 Jakob I. (engl. König) 317f., 497 Jaspers, Karl 126, 194, 211, 217, 253, 255, 479 Jeinsen, Gretha von (Pseud. f. Gretha Jünger) 513 Jellinek, Georg 82, 206, 477 Jelusich, Mirko 113, 445 Jerusalem, Franz W. 53 Jessen, Jens 247, 455 Jesus Christus 7, 73, 89, 112, 145, 152, 157, 159, 172, 184, 192, 196, 213, 239, 253, 275, 286, 293, 330, 359, 394, 462, 470, 522, 529 Joachim von Fiore 315 Joachimsen, Paul 378 Johannes Chrysostomos 502 Johannes (Evangelist) 145, 371, 422 John, Otto 310, 514 Jonas (Prophet) 7, 40, 52, 106 Jordan, Édouard 483 Jordan, Pascual 20, 88, 96, 102f., 107, 116, 174, 397, 438, 466f. Joseph von Arimathaea 174, 466 Josquin des Prés 12 Journet, Charles 223–225, 383, 482f., 537 Joyce, James 64 Jünger, Ernst 16f., 31, 33, 47, 62, 74, 78, 92, 94f., 97f., 103, 106, 109, 118, 121f., 127, 131, 135,

548

138, 145, 164, 174, 191, 197, 199, 201–204, 211f., 214, 216–223, 226, 232, 234, 236, 238f., 260, 262, 275, 284, 294, 302, 311, 321, 335, 340, 349, 350, 356, 372–374, 377, 391, 394, 396–398, 411, 414, 417, 421f., 424, 427–429, 431, 434, 439f., 442–444, 447–449, 451f., 454, 458f., 461, 463, 472f., 476, 479–483, 486, 488f., 496, 504, 511, 518, 521, 523, 525, 534f. Jünger, Friedrich Georg 31, 83, 99, 121, 126, 151, 424, 520 Jünger, Gretha 52, 73, 78, 151, 164, 189, 216, 219, 239, 424, 434, 463, 472, 489, 496, 507, 513 Julius II. (Papst) 508 Jung, Carl Gustav 358f. Just, Arthur W. 387, 538 Kaegi, Werner 33, 140, 398, 418, 456 Kafka, Franz 27, 41, 46, 59, 92, 116, 182, 237, 239, 317, 321, 376, 446, 470 Kaiser, Joseph H. 59, 168, 425 Kaletsch, Konrad 355, 526f. Kalijarvi, Thorsten V. 12, 409 Kanne, Johann 411 Kant, Immanuel 10, 67, 177f., 229, 379, 468, 484, 528, 536 Karl der Große 60, 70 Karl I. (engl. König) 177, 359, 528 Karl V. (röm.-dt. Kaiser) 413 Karl Martell 213 Karpfen, Otto Maria s. Carpeaux, Otto Maria Kasack, Hermann 88, 92, 438 Kasche, Hans 539 Kassner, Rudolf 30, 67, 417, 428 Kaufmann, Erich 81, 231, 234, 237, 240, 257, 261, 268, 270, 313, 339, 429, 485, 516 Kaukoreit, Volker 517 Kautsky, Karl 27 Keller, Gottfried 420 Kellogg, Frank Billings 103, 406 Kelsen, Hans 29, 44, 122, 397, 417, 449 Kemal Pascha, Mustafa 32 Kemp, Friedhelm 183, 216, 299, 413, 442, 469f., 508, 520 Kempner, Robert 155, 197, 240, 313, 449, 460, 474, 480, 516 Kempski, Jürgen von 105, 442 Kepler, Johannes 83 Kern, Fritz 321, 518 Kesting, Hanno 472f.

Kesting, Marianne 456, 526 Keynes, John Maynard 290, 356, 399 Kierkegaard, Søren 8f., 16f., 20f., 23, 31, 43–47, 57, 61, 68, 114, 120, 123, 126, 131f., 135, 163, 208, 253, 255, 284f., 315, 327–329, 331, 343, 378, 411, 414f., 420, 478, 535 Kirchheimer, Otto 198, 378, 475, 530 Kirchhoff, Peterheinrich 75, 211, 418, 432, 479, 503 Klages, Ludwig 73, 161, 197, 431 Klee, Paul 242 Kleibert, Kristin 430 Kleine, Heinz 275f., 399, 502 Kleinwächter, Friedrich 35, 418 Kleist, Heinrich von 7f., 23, 49, 67, 69, 168, 173, 185, 190, 379 Klemm, Gustav 391, 538 Klenner, Hermann 478, 498, 524 Kličkovič, Sava 373, 534 Kluckhohn, Paul 524 Klug, Ulrich 276, 278, 399, 502 Kluxen, Franz 16, 22, 58, 114, 414, 425, 539 Knapp, Georg Friedrich 60, 102, 373 Knappe, Karl 11, 408 Knebel, Carl Ludwig von 514 Koch, Justus 103, 397, 441 Koehler, Lotte 479 Koestler, Arthur 29, 284, 461, 504 Kohler, Josef 57, 425 Kojève, Alexandre 311, 313, 315f., 354–356, 364, 515f., 526f., 531 Kolnai, Aurel 481 Kommerell, Max 49, 115, 180–183, 351, 446, 469f., 525 Konfuzius 73 Kopisch, August 505 Korn, Karl 220, 248, 262, 328, 481, 511, 520 Kortner, Fritz 268, 498 Koselleck, Reinhart 349, 473 Kramer, Franz Albert 28 Kranzbühler, Otto 352, 526 Kraus, Annie 42, 155, 420, 460f. Kraus, Karl 366, 536 Krauss, Günther 23f., 62, 66, 78, 87, 93f., 105–108, 130, 156, 168, 210, 215, 231, 234, 267, 281, 313, 397, 433, 439, 442, 502f. Krauss, Werner 268, 498 Kreiten, Wilhelm 390 Kreuz, Lothar 74, 431 Krohn, Wolfgang 508

549

Kroll, Fank-Lothar 446 Krüger, Herbert 153, 460 Krummen, Eveline 411 Kubin, Alfred 91 Küchler, Walter 462 Kühlmann, Richard von 369, 532 Kürenberg, Joachim von 268 Küster, Otto 85f., 339, 436, 522 Kütemeyer, Wilhelm 20, 23, 414 Kuh, Anton 307, 512 Kutscher, Hans 167 La Rochefoucauld, François de 218 Laak, Dirk van 452, 499, 503, 509, 521, 535 Laberthonnière, Lucien 48, 214, 423, 480, 536 Lämmle, Rebecca 411 Lagarde, Georges de 96 Lamennais, Félicité de 3, 284, 319, 504 Landshut, Siegfried 471 Langbehn, Julius 39 Langgässer, Elisabeth 31, 38, 419 Las Casas, Bartolomé de 79f., 413, 435 Lasker-Schüler, Else 229, 379, 484 Lassalle, Ferdinand 27, 416 Lasserre, Henri 481 Laun, Rudolf 165, 463 Lauterpacht, Hersch 111, 392, 444, 539 Lavelle, Louis 61, 425, 479 Lawrence, Thomas Edward 217 Le Corbusier 48 Le Fort, Gertrud von 155, 298, 387 Lea, Homer 189, 471 Leclercq, Julien 407 Ledig-Rowohlt, Heinrich-Maria 457 Ledoux, Nicolas 48, 423 Leeb, Johannes 437 Leemans, Victor 260, 496 Lehmann, Wilhelm 243, 491 Lehnert, Erik 422 Leibholz, Gerhard 261, 269, 298, 499 Lemmel, Herbert 4, 405, 424 Lenau, Nikolaus 7, 165, 386, 390, 463 Lenin, Wladimir Iljitsch 37, 79, 139, 158, 207, 303, 329, 350, 478 Leo XIII. (Papst) 282 Leopold I. (belg. König) 235 Leroy, Maxime 198, 474 Lessing, Gotthold Ephraim 351 Lévy-Bruhl, Henri 345, 524

Lewald, Walter 230, 232, 484f. Lewalter, Ernst 76f., 433 Lewis, Wyndham 12, 397, 409 Leyris, Pierre 326, 519 Lichtenberger, Henri 406 Lietzmann, Hans 175, 467 Linck, Stephan 451 Lincoln, Abraham 136 Lindauer, Josef 443 Lindskog, Claas 419 Linfert, Carl 309, 514 Linn, Pierre 36, 60, 212, 215, 418 Linn (Ehefrau von Pierre L.) 61 Lippert, Michel 529 Lippmann, Walter 125, 135, 455 Livius, Titus 40 Loerke, Oskar 243, 491 Löwenstein, Karl 200, 257, 261, 309, 508, 513 Löwith, Karl 191, 348, 472f., 525 Lohmann, Karl 234 Lortzing, Albert 17 Louis II. de Bourbon, prince de Condé 31, 78, 433 Louis-Philippe (franz. König) 31 Lucanus, Marcus Annaeus 51, 79, 128, 218, 220, 344, 360f., 371, 384, 415, 423f., 430, 434, 453, 476, 481f., 509, 511, 524, 529f., 533, 537 Ludendorff, Erich 69, 353 Ludwig IV. (röm.-dt. Kaiser) 300 Ludwig XIII. (franz. König) 30f. Ludwig XVI. (franz. König) 177, 359, 504, 528 Lübbe, Hermann 420 Lüth, Paul 191, 472 Luise (preuß. Königin) 278 Lukács, Georg 37f., 84, 139, 158–160, 173, 231f., 350, 365, 380, 462, 531 Lukan s. Lucanus Luther, Martin 5, 68 75, 94, 140, 296, 300, 326, 330, 367, 406, 414, 416, 422, 436, 442, 466, 477, 487f., 520, 529, 532 Machiavelli, Niccoló 30, 42, 110, 138, 275, 377, 398, 407, 441, 444, 448, 501 Macrobius, Ambrosius Theodosius 473 Mahan, Alfred Thayer 117, 191, 472 Maine, Henry James Sumner 151, 459 Maistre, Joseph de 85, 223, 235, 300, 436, 482, 509 Maiwald, Serge 212, 271, 480, 500

550

Mallmann, Walter 493 Malraux, André 201, 476 Manilius, Marcus 446 Mann, Golo 507 Mann, Heinrich 240 Mann, Katja 310 Mann, Thomas 70, 78, 180, 183, 195, 198f., 211, 240, 253, 271, 276, 310, 312, 318, 379, 448, 470, 494 Manstein, Erich von 217, 219, 481 Marat, Jean Paul 69 Marcos, Teodoro Andrés 18f., 412f. Manilius, Marcus 446 Maria (Mutter Jesu) 23, 327, 390, 415 Maria Christina von Bourbon 16 Maria Stuart (schott. Königin) 327, 359, 361, 497 Maritain, Jacques 22, 92, 120, 122, 448, 476, 485, 499 Maritain, Raïssa 120, 448, 537 Marius, Gajus 503 Maro, Publius Vergilius 539 Marquard, Odo 379, 536 Marschler, Thomas 409, 457 Marshall, George C. 125, 199, 535 Marsilius von Padua 101 Marten, Heinz-Georg 516 Martini, Winfried 333, 521 Martitz, Ferdinand von 392 Marx, Karl 9, 17, 46, 48, 63f., 79, 123f., 141–143, 199, 231f., 269, 282, 305, 313, 321, 335, 347, 350, 352, 437, 442, 451, 457, 471, 485, 499 Masaryk, Jan 81, 85, 436 Masaryk, Tamáš Garrigue 85, 88, 436f. Maschke, Günter X, 418f., 422, 438, 472, 480, 500, 524 Matisse, Henri 153 Matteini, Nevio 507 Mauermann, Heinrich VIII Mauriac, François 454 Maurois, André 35 Maximilian I. (röm-dt. Kaiser) 474 McCarthy, Joseph 302f., 510 McCloy, John Jay 241, 490 Medem, Eberhard von VIIf., IX Mehnert, Klaus 210, 479 Mehring, Reinhard 410, 423, 431, 453, 461, 515, 517 Meier, Albert 531 Meier, Christian 511

Meier, Heinrich 483, 501, 517 Meinecke, Friedrich 106f., 442 Meinel, Florian X Melanchthon, Philippus 532 Melville, Herman 286, 326, 370, 519, 532 Mendelssohn, Moses 49 Mendelssohn, Peter de 220, 481 Mendelssohn-Bartoldy, Felix 78 Menthon, François de 74, 355, 431, 527 Mercier, Désiré 111, 445 Mesnard, Pierre 507 Metternich, Klemens Wenzel Lothar von 139 Meusch, Matthias X Meyer, Eduard 32, 384, 417, 537 Meyer, Johann Heinrich 91 Meyer-Berkhout, Bruno 515 Meyerbeer, Giacomo 354 Michaelis, Wilhelm 465 Michel, Karl Markus 411, 493, 495, 497, 506, 516, 519f., 524, 526 Michelet, Jules 20, 75, 151, 158, 167, 345, 367, 384, 414, 461, 532, 538 Michels, Roberto 69, 428 Migne, Jacques Paul 47, 422, 511 Mill, John Stuart 77 Miller, Henry 153f., 459f. Milner, Alfred (Lord) 117 Minssen, Friedrich 466 Mirabeau, Honoré Gabriel Victor de Riqueti, Marquis de 31 Mirbt, Carl 300, 509 Mitscherlich, Alexander 238, 488 Mix, Andreas 460 Möllenbrock, Klemens 11, 16, 19, 21, 408 Mörike, Eduard 268 Mohl, Robert 35, 84, 241, 418, 490 Mohler, Armin 139, 151, 161, 167, 182, 226, 229, 260, 262, 315f., 349, 407, 414, 427, 434, 441, 446, 453, 462, 464, 466–468, 470, 473, 480, 494–497, 501, 503f., 507, 512, 514–516, 520, 531, 536 Moldenhauer, Eva 411, 493, 495, 497, 506, 516, 519f., 524, 526 Molesworth, William 139, 418, 468, 478 Mommsen, Theodor 120, 152, 391, 398 Monnier, Henri 537 Monroe, James 12, 387 Montesquieu, Charles-Louis de 165, 168, 205, 463 Montherlant, Henry de 375f., 535

551

Montinari, Mazzino 487 Montlosier, François Dominique de Reynaud de 256, 495 Moore 252 Moras, Joachim 472 Morgenthau, Henry 193, 199f., 217, 220, 234, 299, 334, 350, 372, 374, 521, 534 Morus, Thomas 35f., 42, 45, 71–73, 84, 384, 418, 448 Mounier, Emmanuel 431 Mourre, Michel 284, 319f., 365, 504, 517, 531 Mozart, Wolfgang Amadeus 83, 217, 426 Müller, Adam 7, 319, 366, 517 Müller, Johannes von 41, 420 Müller-Altenau, Ernst 529 Müller-Schwefe, Hans-Rudolf 311, 515 Münzer, Thomas 520 Murger, Henri 153, 459 Murray, Kathleen 432 Musil, Robert 351 Mutius, Bernhard von 355, 366, 527 Nadler, Josef 386 Nagel, Rolf 432 Nagy, Imre 531 Napoléon I. 31, 120, 207, 256, 278f., 302, 325, 396 Napoléon III. 31, 385 Napoléon, Jérôme 41, 420 Naumann, Friedrich 386 Nay, Ernst-Wilhelm 52, 424 Neale, John Ernest 359 Nebel, Gerhard 15, 20f., 26, 44, 46, 49, 52, 68, 73, 76, 92, 97, 107, 117f., 126, 138, 146, 174, 197, 210, 269, 386, 396, 410f., 416, 421, 423, 428, 432, 443, 452, 466f., 479f., 491, 499, 503 Neesse, Gottfried 340, 523 Nehru, Jawaharlal 310 Nellen, Peter 274, 350, 501 Nero (röm. Kaiser) 73, 129, 310, 371 Nestroy, Johann 380, 536 Nette, Herbert 29, 53, 109, 124, 145, 199, 397, 417, 422f. Nettlau, Max 256, 496 Neumann, Michael 411 Newton, Isaac 198, 447 Niebel, Fritz 145f., 458 Niebuhr, Barthold Georg 385 Niehans, Paul 297, 343, 508, 524

Niekisch, Ernst 79, 123, 146, 374, 377, 386, 434, 450, 534f., 538 Niemöller, Martin 78 Niethammer, Friedrich Immanuel 158 Nietzsche, Friedrich 8, 31, 69, 114, 121, 123, 132, 145, 167, 173, 190, 206, 210, 236f., 242f., 272, 276, 300, 302, 305, 307, 314, 319, 326, 450f., 454f., 487, 495, 500, 512 Nikolaus von Kues 106, 442 Nikolaus I. (Papst) 223 Nispen tot Sevenaer, Carel Marie Otto van 166, 464 Nithack, Dietrich X Nobel, Alfred 27, 44, 149, 164, 169, 182f., 197f., 234, 241, 252, 262, 271, 276, 279, 283, 288, 299, 322, 337, 347, 350, 353f., 360, 365, 375, 519, 534 Nohl, Hermann 158, 461 Norbrook, David 529 Norden, Eduard 489 Novalis 343, 378, 524, 536 Nys, Ernest 111, 130, 445 Oberheid, Heinrich 161, 168, 412 Oberheid, Margarete 430 Offenbach, Jacques 17, 354 Oppenheim, Lassa 539 Oppenheimer, Franz 512 Ors, Álvaro d’ 231, 376, 485, 507, 533 Ors, Marianna d’ 376 Ortega y Gasset, José 4, 387, 405, 538 Orwell, George 191, 226, 229 Ossietzky, Carl von 375 Ossinski (= Walerian Walerianowitsch Obolenski) 387 Ostermann 157, 461 Ostrogorski, Moissei Jakowlewitsch 69, 428 Otho (röm. Kaiser) 24, 419 Ott, Eugen 95, 149, 439 Otto I. (röm.-dt. Kaiser) 119 Otto, Walter F. 333, 521 Ovid 406, 424 Paeschke, Hans 191, 472f. Paetel, Karl Otto 167, 427, 464 Pammachius (Heiliger) 88 Pannwitz, Rudolf 122, 145, 449 Papalekas, Johannes Chr. 364, 531 Pape, Wilhelm 359, 468

552

Papen, Franz von 475 Pareto, Vilfredo 137, 456 Parmenides 26, 64, 242, 416 Pascal, Blaise 16f., 156, 345, 412, 458f., 524 Passerin d’Entrèves, Alessandro 169, 464 Passionei, Domenico Silvio 10f. Pasternak, Boris Leonidowitsch 375f., 380, 534 Pasteur, Louis 315 Pater, Walter 31, 417 Patinir, Joachim 41 Paulus (Apostel) 113, 129, 523 Péguy, Charles 52, 213, 424 Peitsch, Helmut 409 Pekař, Josef 528 Pelayo, Menéndes 413 Pepys, Samuel 72, 364, 430, 503 Pérez-Bueno, Fernando 82, 436 Perikles 31 Péronne, Joseph-Maxence 383 Pestalozzi, Heinrich 441 Peter I. (russ. Zar) 387 Peter II. (jugoslaw. König) 3, 405 Peters, Friedrich Ernst 210, 479 Peters, Hans 204, 258, 270, 429, 476, 500 Peterson, Erik 95, 105, 157, 315, 422, 442 Petwaidic, Walter 304, 510 Pfenninger, Hans Felix 533 Pfersmann, Andreas 473 Pfleger, Karl 537 Pfleiderer, Wolfgang 420 Pflimlin, Pierre Eugène 369, 532 Philipp II. (span. König) 413 Picard, Max 242, 491 Piccolomini, Aenea Sylvio (Papst Pius II.) 100, 440 Pichois, Claude 469 Pietrzuch, Konrad 529 Pigenot, Ludwig von 453 Pilatus, Pontius 157, 466, 522 Pinder, Wilhelm 9, 407 Pissard, Hippolyte 224 Pius XII. (Papst) 320, 374, 476, 501, 507f., 524 Pizarro, Francisco 374 Planck, Max 60 Platon 14f., 36, 64, 71, 145, 300, 399, 411f., 415, 417, 427, 458 Plutarch 40, 94, 419 Podszus, Friedrich 13, 409

Poe, Edgar Allan 69 Polignac, Melchior de 20, 116, 413f., 446f. Poliorketes, Demetrios 94 Pompejus (Gnaeus Pompeius Magnus) 219, 267, 300, 361, 384, 415, 476, 498, 509, 529 Ponceau, Amédée 212, 230, 479, 484 Ponceau, Michelle 212, 480 Popitz, Johannes 13, 38, 42, 66, 114, 162, 247, 418, 455, 515 Pothinus (ägypt. Minister) 218 Praag, J. A. van 534 Preen, Friedrich von 40 Pribićević, Svetozar 373, 534 Primrose, Archibald (Earl of Rosebery) 117 Pringsheim, Fritz 291, 506f. Protagoras 147 Proudhon, Pierre-Joseph 4, 280, 286, 502 Przywara, Erich 73 Quaritsch, Helmut 427, 441, 453, 475, 485, 491, 516 Queneau, Raymond 515 Quevedo, Francisco de 372, 534 Quincey, Thomas de 497 Quintilianus, Marcus Fabius 529 Racine, Jean Baptiste 351 Radbruch, Gustav 18, 103, 125f., 147, 194, 235, 257, 261, 298f., 302f., 339, 412, 441, 452 Rahsin, E. K. (Pseud. f. Elisabeth Kaerrick) 451 Raiser, Ludwig 259, 496 Raithel, Andreas X Rameau, Jean-François 350, 525 Rameau, Jean-Philippe 525 Ranke, Leopold von 82 Rathenau, Walther 11, 69, 152, 203, 408, 428 Rausch, Jürgen 238, 488 Ravy, Gilbert 473 Reboul, Marcel 126 Récalde, Inigo de (Pseud. f. Paul-Émile Boulin) 11 Reck-Malleczewen, Friedrich 28, 416 Recknagel, Heinz 312, 515 Reed, Henry 430 Reinach, Salomon 199, 475 Reinhardt, Max 371 Reinking, Dietrich 47 Reinthal, Angela X

553

Reiske, Johann Jacob 319, 518 Reiwald, Paul 50–52 Rembrandt 148, 269 Renan, Ernest 123, 179, 451 Renner, Karl 388, 538 Reußner, Adam 512 Reves, Emery 180, 469 Rhodes, Cecil 117, 396f. Richelieu, Armand-Jean du Plessis, duc de 30f. Riches, Cromwell A. 466 Rickert, Heinrich 60 Riedel, Wolfgang 531 Rikus, Josef 11, 97, 408 Rilke, Rainer Maria 33, 58, 106, 113, 115, 122, 129, 145, 149, 167, 254, 305, 371, 421, 445, 456, 495, 512 Rimbaud, Arthur 462 Rink, Annette 431 Ritter, Gerhard 119, 384, 448 Ritter, Henning X Ritter, Joachim-Friedrich 485 Ritter, Klaus 340, 522 Rivarol, Antoine de 44, 47, 113, 145, 193, 305, 317, 359, 454, 458, 461, 520 Rivert, Paul 459 Rjazanov, David Borisovič 141, 457 Robespierre, Maximilien de 10, 139 Roeder, Bernhard (Pseud. f. Bernhard von Mutius) 527 Roegele, Otto B. 362, 530 Röhm, Ernst 361, 529 Röpke, Wilhelm 103, 145, 290, 441 Rogge, Heinrich 391, 539 Rohan, Karl Anton Prinz 85 Roosevelt, Elliot 359 Roosevelt, Franklin D. 182, 200, 217, 240, 278, 297, 329, 346, 359, 369 Roselius, Ludwig 429 Rosenbaum, Eduard 13, 27, 261, 409, 416, 420, 460, 519 Rosenberg, Alfred 197, 474 Rosenberg, Julius 292, 507 Rosenkranz, Karl 159, 462 Rosenzweig, Franz 116, 446 Rossini, Giacomo 17, 64, 131, 194, 217, 426, 454 Rothacker, Erich 106, 442 Rothschild, James de 194 Rotteck, Karl von 385 Rougemont, Denis de 122, 450

Rousseau, Jean-Jacques 3, 10, 48, 121, 156, 167, 171, 216, 227, 274, 347, 388, 425, 467, 483, 501, 533 Rubiner, Frida 450 Rudenko, Roman Andrejewitsch 88, 437 Rumpf, Helmut 81, 99, 113, 115, 393, 397, 440, 512 Rumpf, Michael 517 Runte-Schranz, Veronica 81, 87, 229, 437 Ruskin, George 247 Sachs, Hans 238, 422 Sack, Karl Heinrich 486 Sailer, Johann Michael 12, 409 Saint-Just, Louis Antoine de 284, 503f. Saint-Martin, Louis-Claude de 47, 107, 422, 443 Saint-Simon, Henri de 125, 150, 198, 391, 474 Saint-Thomas, Jean de 383, 537 Sallustus Crispus, Gajus 3, 108, 111, 397, 405, 443 Salomon, Gottfried 510 Sambook, James 417 Samuel, Richard 524 Sander, Hans-Dietrich 422 Saner, Hans 479 Sartre, Jean-Paul 51, 63, 70f., 114, 136, 226f., 234, 290, 429, 483, 506 Sauermann, Heinz 76, 432 Saul (israelit. König) 166 Savigny, Carl von 80, 178, 206, 435 Savonarola, Girolamo 83 Scaeva, Marcus Cassius 25, 201f., 218, 398, 415, 476 Schacht, Hjalmar 441 Schadewaldt, Wolfgang 333, 521 Schäfer, Hans 384 Scheffer, Paul 109, 443 Scheibert, Peter 486 Scheler, Max 335, 406 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 6 Schelsky, Helmut 76, 164, 230, 237f., 432, 530f. Schering, Julius 390 Scheuner, Ulrich 449 Schieweck, Erich 478 Schiller, Friedrich 10, 49, 113, 165, 180f., 183, 195, 216, 243f., 253, 263, 276, 287, 289, 327, 333, 396, 398, 469, 471, 478, 491f., 505, 511, 531, 534, 538 Schivelbusch, Wolfgang X Schlagintweit (Brüder) 341, 523 Schlechta, Karl 454, 487

554

Schlegel, August Wilhelm 139, 288, 490, 537 Schlegel, Friedrich 139 Schleicher, Kurt von 162, 169, 439, 475 Schleiermacher, Friedrich 233, 417, 486 Schlösser, Jutta 478, 498 Schlüter, Leonard 315f., 516 Schmalenbach, Ernst 335 Schmid, Carlo 235, 260, 262, 268, 350, 370, 424, 496, 499, 506, 520, 532 Schmidt, Carl 74, 431f. Schmitt, Anima 59, 85, 117, 240, 314, 316, 349, 372, 479, 497 Schmitt, Anna 415 Schmitt, Duška VII, 52, 61, 219, 232, 283, 400, 423, 460, 467 Schmitt, Josef („Jup“) 96, 283, 503 Schmitz, Arnold 12, 473 Schmitz, Rudolf Michael 450 Schmitz, Wilhelm 125, 168, 452 Schmoller, Gustav von 57, 209, 478 Schnack, Friedrich 492 Schneider, Hans (Hannes) 134, 136, 149, 157, 229, 459, 461 Schneider, Peter 329, 357–359, 362, 380, 520, 528, 530, 533 Schnitzler, Arthur 371, 525 Schnitzler, Lilly von 107, 443 Schnürer, Gustav 224, 483 Schoeps, Hans-Joachim 115f., 393, 446 Schomerus, Hans 326, 511 Schopenhauer, Arthur 173, 216, 238, 433 Schott, Anselm 237, 487 Schranz, Franz 408, 437 Schrempf, Christoph 420 Schroers, Rolf 332, 340, 521 Schroeter, Manfred 463, 469 Schubart, Walter 132, 451, 454f. Schubert, Gotthilf Heinrich von 49, 423 Schücking, Levin 390, 406 Schüle, Adolf 533 Schütz, Heinrich 306 Schütz, Werner 308, 513 Schuler, Alfred 73, 431 Schuller, Wolfgang X, 530 Schultes, Karl 116, 125, 441, 452 Schultes, Reginald-Maria 384 Schumann, Robert 452 Schumpeter, Joseph 76, 432 Schwab, George D. 362, 366, 394, 530 Schwab, Gustav Benjamin 530

Schweitzer, Albert 360 Schwinge, Erich 18, 412 Scipio Africanus 221, 311 Scott, James Brown 80, 130, 141, 435 Sedlmayer, Hans 347, 524 Sedulius, Caelius 523 Seebass, Friedrich 453 Seewald, Richard 131, 454 Seneca, Lucius Annaeus 18, 120, 129, 135, 412 Senge-Platten, Eugen 408 Seppelt, Franz Xaver 440 Sepúlveda, Ginés de 19, 79f., 413, 435 Sertorius, Quintus 384 Severin von Noricum 60, 425 Shakespeare, William 23, 77, 83, 93, 159f., 199, 262f., 276, 350f., 420, 462, 469, 475, 490, 497, 500, 511, 525, 537 Shotwell, James T. 5–8, 16, 120, 123, 231, 396, 398, 406 Siemer, Laurentius 479 Simon, Florian X Simon, Marcel 229 Simonides von Keos 431, 478 Sisebut (westgot. König) 371, 533 Smend, Rudolf 13, 58, 78, 106, 149, 197, 219, 266, 268, 270, 425, 433f., 441f., 481, 497, 522 Sohm, Rudolf 4, 18, 23f., 29f., 34, 45, 65, 78, 88, 96, 100–102, 115, 125, 150, 192, 206, 260, 330, 373, 388, 397, 420, 440 Sokrates 15, 172, 196, 359, 415 Sombart, Nicolaus 128, 170f., 198, 240, 335, 349, 353f., 356, 431, 453, 465f., 479, 483, 486, 489, 491, 494, 496, 503, 513, 518, 521, 526–528, 531 Sophokles 528 Sorel, Georges 179, 463 Sorge, Richard 95, 439 Souza Ventura, Mauro 473 Spaemann, Robert 305, 399, 534 Specht, Rainer 413f., 446 Spedding, James 426, 492, 508 Spee, Friedrich von 147, 232, 485 Speidel, Hans 107 Spencer, Herbert 391 Spengler, Oswald 46, 94–96, 160 Spindler, Wolfgang Hariolf X Spingarn, Joel Elias 529 Spinoza, Benedikt 31, 78, 122, 221, 265, 348, 414, 432, 482, 497

555

Spitteler, Carl 180, 469 Spranger, Eduard 197, 238, 254, 256, 279, 283, 502 Sprickmann, Anton Matthias 21, 414 Staël-Holstein, Anne Louise Germaine de 68, 234 Stahl, Friedrich Julius 113, 253, 445, 494 Stahr, Adolf 240, 489 Stalin, Josef 104, 182–184, 198f., 240, 250, 267, 278, 328, 345, 359, 369, 387 Stand, Anni 307 Stapel, Wilhelm 511 Stauffenberg, Claus Schenk von 178 Steding, Christoph 72, 430 Stein, Edith 330, 512, 520 Stein, Lorenz von 48, 304, 510 Steinhoff, Peter A. (Pseud. f. Peter Alfons Steiniger) 429 Steiniger, Peter Alfons 71, 258, 429 Steinlein, André 322, 518 Stendhal (Marie-Henri Beyle) 287 Stephanus (Heiliger) 239, 310, 315, 325, 514 Stern, Günther Siegmund 470 Sterne, Lawrence 525 Stewens, Marie 35, 45, 48, 63, 84, 418 Stirner, Max („Max“) 16, 21f., 27, 32, 36f., 63f., 67, 74f., 78, 101, 114, 135f., 232, 255, 292, 306, 417f., 432 Stödter, Rolf 28, 43, 81f., 156, 166, 211, 449, 455, 461, 463 Stolleis, Michael 430, 444 Stramm, August 242, 491 Stratmann, Franziskus Maria 214, 480 Straube, Heinrich 390 Strauß, David Friedrich 8 Strauss, Erich (Pseud. f. Carl Schmitt) 376, 535 Strauss, Leo 318, 348, 517 Strauß, Richard 64 Strauss, Walter 339, 511, 522 Strupp, Karl 111, 391, 444, 538 Stuart (Dynastie) 31 (s. auch unter „Maria Stuart“) Stülpnagel, Carl-Heinrich von 74 Stutterheim, Kurt von 322 Süsterhenn, Adolf 268, 499 Sulla, Lucius Cornelius 208, 384 Sussmann, Toni 182, 470 Swift, Jonathan 36 Swoboda, Helmut 383

Szczesny, Gerhard

528

Tacitus, Publius Cornelius 3, 4, 24, 405f. Taine, Hippolyte 150 Tardif de Moidrey, René 9f., 407 Tatham, John 501 Taubes, Jacob 275, 313, 501 Tertullianus, Quintus Septimius Florens 288, 505 Thaler, Jürgen 517 Themistokles 141 Theoderich I. (westgot. König) 60 Theodosius I. (röm. Kaiser) 254, 494 Thibon, Gustave 223 Thieme, Karl 283, 479, 503 Thimme, Wilhelm 440, 483, 509 Thoma, Richard 103, 441, 499 Thomas von Aquin 88, 223, 460, 477, 480f. Thomas, Jean 48 Thomas, Michael (Pseud. f. Ulrich Hollaender) 289, 506 Thümmler, Ellen 427 Thukydides 89, 438 Thurn und Taxis, Marie von 456 Tiedemann, Rolf 530 Tielke, Martin 427, 448, 489, 508, 515, 525 Tierno Galvàn, Enrique 241, 490 Tigges, Hubert 174, 467 Tilitzki, Christian X, 405, 413, 490, 534 Tischleder, Peter 419 Tiso, Jozef 292, 413, 507 Tocqueville, Alexis de 31, 74, 89. 95, 179, 181, 384f., 387, 432, 468 Todorović, Duška (s. auch unter „Schmitt“) 400, 460 Tönnies, Ferdinand 125 Tommissen, Piet VII, X, 275, 278, 448, 453, 491, 502, 531 Toynbee, Arnold 93–96, 103, 123–125, 160, 179, 397, 439, 468 Trainin, Ilja Pavlovič 135, 455 Trendelenburg, Ernst 77, 433 Triepel, Heinrich 174, 219, 466 Triomphe, Robert 436 Troeltsch, Ernst 52, 66, 100, 152, 176f, 440, 468 Trott zu Solz, Levin von 477 Trotzki, Leo 123, 450 Truman, Harry S. 200, 267, 356 Trunz, Erich 465

556

Truyol y Serra, Antonio 241, 490 Tüngel, Richard 231, 485 Valentin, Veit 202, 469, 476 Valéry, Paul 26, 416 Valléry-Radot, Robert 130, 454 Vanini, Lucilio 485 Varro, Marcus Terentius 290 Veit, Otto 11, 14, 16, 37–39, 101, 166, 408, 418, 441, 464 Vento, Ivo de 12, 409 Venturi, Franco 48 Verdross, Alfred 73, 391, 430, 538 Vergilius Maro, Publius 142, 401, 430, 489, 508, 539 Verlaine, Paul 239, 488 Vernani da Rimini, Guido 507 Vialatoux, Joseph 83, 436 Villiers de l’Isle-Adam, Auguste de 69, 74, 120, 251, 428f., 493, 507 Vitoria, Francisco de 19, 72f., 79, 129f., 141, 148, 151, 154, 197, 201, 207, 210, 213, 269, 281, 371f., 397, 412f, 434, 454, 460, 476, 485, 533 Voegelin, Eric (Erich) 49, 182, 423, 469 Voltaire 471 Vorwerk, Friedrich 229, 484 Voß, Johann Heinrich 508, 539 Wackernagel, Wilhelm 325, 519 Wagner, Adolph 418 Wagner, Josef 75, 432 Wagner, Richard 38, 43, 114, 123, 147, 194, 227, 229, 409, 422, 451 Wallenstein, Albrecht von (böhm. Feldherr) 30f., 91, 359, 528 Walsh, Edmund Aloysius 66, 427 Walz, Gustav Adolf 94, 149, 159, 458, 462 Warburg, James Paul 97 Warnach, Walter 211, 229, 255, 299, 332, 357, 362, 374, 422, 479, 495, 530 Wasmuth, Ewald 524 Weber, Alfred 161 Weber, Max 8, 39, 48, 66, 78, 84, 86, 100, 130, 135, 150, 152, 159, 183, 291, 319, 384f., 419, 428, 430, 433, 436f. Weber, Werner 59, 73, 196, 291, 414, 425, 474, 502 Wegner, Arthur 47 Wehberg, Hans 50, 52, 423

Weil, Simone 299, 329f., 508, 512, 520 Weininger, Otto 49, 114, 159, 253, 370, 494, 532 Weinreich, Paul 229, 484 Weinstock, Heinrich 89, 105, 438 Weischedel, Wilhelm 468, 484, 528 Weiß, Konrad 12, 19, 21f., 63, 72, 117, 120, 124–126, 133, 136, 142, 149, 160, 175, 178, 180, 192, 199, 203, 227, 229, 287–289, 308, 325, 335, 396, 407f., 412–414, 423, 438, 447f., 451, 457, 462, 467, 473, 477, 484, 495, 502, 505f., 513, 519 Weiß, Maria 13 Weiß, Otto 466, 493 Weitzel, Heinz 307, 512 Weizsäcker, Carl Friedrich von 60, 370, 532 Weizsäcker, Ernst von 135, 166, 168, 176, 455, 467 Wellershoff, Dieter 465 Welty, Eberhard 210, 231, 464, 479, 485 Welzel, Hans 229, 484 Werfel, Franz 96, 371 Wessel, Horst 292 Wesselmann, Katharina 411 Westemeyer, Dietmar (Josef) 11, 16, 38, 408, 419 Westlake, John 111, 444 Whitman, Walt 61f., 120 Wichards, Ernst 537 Wiener, Emil 340, 523 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 319f., 518 Wilhelm I. (dt. Kaiser) 386 Wilhelm I. (engl. König) 224 Wilhelm II. (dt. Kaiser) 203, 233, 268f., 302 Wilhelm IV (preuß. König) 424 Wilke 145, 458 Willemer, Marianne von 121 Willyams, Brydges 107 Wilson, Herbert Wrigley 438 Wilson, Woodrow 328 Winckelmann, Freda 48, 58, 240, 422 Winckelmann, Johann Joachim 405 Winckelmann, Johannes 40, 48, 65, 73, 81, 121, 232, 234, 240, 340, 397, 419, 422, 436f. Winstanley, Lilian 262, 289, 497 Wirsing, Giselher 316, 517 Wittbrodt, Andreas 493 Wolfe, Thomas 425 Wolff, Christian 68, 428

557

Wolff, Theodor 444 Wordsworth, William 430 Woyrsch, Udo von 529 Wright, Frank Lloyd 284, 504 Würmeling, Franz-Josef 283, 503 Würtenberg, Gustav 73, 431 Xerxes I. (pers. König)

387

Yorck von Wartenburg, Paul

81f., 435

Zehrer, Hans 170, 210, 275, 358, 465, 501, 517, 528 Zeller, Eduard 43, 76, 420, 432 Zerna, Herta 269 Ziegler, Konrat 419, 481 Ziemann (Lektor) 216 Zinkernagel, Franz 452 Zola, Émile 282 Zuckmayer, Carl 240 Zweig, Egon 377