Gesunde Führung: Gesundheit, Motivation und Leistung fördern [1. Aufl.] 978-3-662-58750-8;978-3-662-58751-5

​Fragen auch Sie sich, wie Sie als Führungskraft sowohl Mitarbeitergesundheit wie auch Arbeitszufriedenheit und Motivati

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Gesunde Führung: Gesundheit, Motivation und Leistung fördern [1. Aufl.]
 978-3-662-58750-8;978-3-662-58751-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-X
Gesunde Führung: Warum ist das wichtig? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 1-4
Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 5-13
Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 15-40
Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 41-47
Auf die Einstellung kommt es an: Welche Haltungen sind für gesunde Führung wichtig? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 49-51
Haltung: Wertschätzung (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 53-71
Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 73-95
Haltung: Fairness (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 97-117
Haltung: Sinnorientierung (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 119-137
Haltung: Partizipation (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 139-156
Von der Haltung in die Praxis: Was kann ich als Führungskraft konkret tun? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 157-158
Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 159-183
Handlungsfeld: Teamkoordination (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 185-216
Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 217-236
Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 237-252
Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 253-282
Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ gesunde Führung unterstützt werden? (Alexander Häfner, Lydia Pinneker, Julia Hartmann-Pinneker)....Pages 283-289
Back Matter ....Pages 291-305

Citation preview

Alexander Häfner Lydia Pinneker Julia Hartmann-Pinneker

Gesunde Führung Gesundheit, Motivation und Leistung fördern

Gesunde Führung

Alexander Häfner Lydia Pinneker Julia Hartmann-Pinneker

Gesunde Führung Gesundheit, Motivation und Leistung fördern

Alexander Häfner Würth Industrie Service GmbH & Co. KG, Bad Mergentheim, Deutschland

Lydia Pinneker Würth Industrie Service GmbH & Co. KG, Bad Mergentheim, Deutschland

Julia Hartmann-Pinneker Main Psychotherapieplatz Veitshöchheim, Deutschland

ISBN 978-3-662-58750-8 ISBN 978-3-662-58751-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

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Vorwort Unser Buch richtet sich an Führungskräfte, die gesund führen möchten. Es ist ein Ratgeberbuch für die Praxis. Im Fokus stehen die Einstellungen und Verhaltensweisen von Führungskräften in ihrer Wirkung auf die direkt Geführten. Darüber hinaus sollten andere Personen, die sich mit Gesundheit in Organisationen beschäftigen, Anregungen für ihre Arbeit gewinnen können, vor allem Trainer und Personalentwickler für die Gestaltung von Trainings und die Beratung von Führungskräften. Die Hauptanliegen, die wir mit diesem Buch verfolgen, lassen sich folgendermaßen beschreiben: 5 Wir wollen möglichst konkrete Handlungsempfehlungen für Führungskräfte geben: Wie sieht gesunde Führung praktisch aus? Was in meinem Verhalten kann ich mit Blick auf gesunde Führung verändern oder völlig neu ergänzen? 5 Wir wollen Denkanstöße für Führungskräfte geben, um die persönlichen Einstellungen und Verhaltensweisen kritisch zu hinterfragen. Deshalb formulieren wir immer wieder Impulsfragen um damit zum Nachdenken einzuladen. 5 Wir wollen Forschungsbefunde zu gesunder Führung darstellen und praxisrelevante Schlussfolgerungen daraus ableiten. Gerade in den letzten Jahren hat sich in diesem Bereich einiges an Forschungsaktivität entfaltet. Wichtige Forschungsergebnisse wollen wir für die Praxis nutzbar machen. Alexander Häfner Julia Hartmann-Pinneker Lydia Pinneker

Bad Mergentheim im Frühjahr 2019

Danksagung Bei der Entstehung unseres Buches haben eine ganze Reihe an Führungskräften die einzelnen Kapitel auf ihren Nutzen für die Praxis hin überprüft und wertvolles Feedback gegeben. Bei ihnen wollen wir uns in besonderer Weise bedanken. Vielen Dank an: Petra Assel, Stephanie Boss, Andreas Hörning, Manuel Honikel, Jochen Hofmann, Sebastian Krämer, Fotios Koutsianakis, Thomas Link, Michael Riegler, Florian Rickel, Marius Schmitt, Anna Stumpner und David Stussnat. Sie haben hilfreiche Anregungen gegeben und eigene Erfahrungen und Fallbeispiele beigesteuert. Vielen Dank dafür! Das Buch basiert ganz wesentlich auf unseren Erfahrungen in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften, die wir seit vielen Jahren gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen sammeln dürfen. Deshalb möchten wir uns besonders bei unseren Kolleginnen und Kollegen bedanken, mit denen wir mit viel Freude Personalentwicklungsarbeit machen dürfen: Ilona Beetz, Meike Gehringer, Viola Gissibl, Julian Haupt, Christine Heilig, Nina Heller, Sophie Hofmann, Verena Hüttl, Sophie Joseph, Stefanie Kiessling, Eileen Meining, Monja Melzer, Petra Münch, Kalina Nierichlo, Jolina Ruck und Christina Truschel. Besonderer Dank gebührt auch der Geschäftsleitung der Würth Industrie Service für die jahrelange Zusammenarbeit in der Führungskräfteausbildung, vor allem Michael Schubert. Dem Springer Verlag, insbesondere Marion Krämer und Axel Treiber, danken wir für die reibungslose Zusammenarbeit.

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Inhaltsverzeichnis 1

Gesunde Führung: Warum ist das wichtig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

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Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?. . . . . . . . . 5

3

Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

4

Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

5

Auf die Einstellung kommt es an: Welche Haltungen sind für gesunde Führung wichtig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

6

Haltung: Wertschätzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

7

Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

8

Haltung: Fairness. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

9

Haltung: Sinnorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

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Haltung: Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

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Von der Haltung in die Praxis: Was kann ich als Führungskraft konkret tun?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

12

Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung. . . . . . . . . . . . . 159

13

Handlungsfeld: Teamkoordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

14

Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

15

Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

VIII

Inhaltsverzeichnis

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Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

17

Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ gesunde Führung unterstützt werden?. . . . . . . . . . . . . . 283

Serviceteil Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

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Über die Autoren Dr. Alexander Häfner schloss sein Psychologiestudium im Jahr 2006 ab und promovierte im Anschluss an der Universität Würzburg. Weiterbildungen im Bereich Training und Coaching folgten. In seiner Promotionszeit beschäftigte er sich unter anderem mit Zeitmanagement und Stresserleben bei Führungskräften. Er veröffentlichte mehrere Evaluationsstudien zu Zeitmanagementtrainings und ein Zeitmanagement-Trainingshandbuch für den Arbeitskontext. Beginnend im Jahr 2006 baute er die Führungskräfteausbildung der Würth Industrie Service GmbH & Co. KG auf und leitet dort seit 2012 die Personalentwicklung mit den Schwerpunkten Wissensmanagement, Training, Führungskräfteausbildung, Unternehmenskultur, interne Unternehmenskommunikation und Betriebliches Gesundheitsmanagement. Zu seinen Hauptaufgaben gehören Training und Beratung von Führungskräften. Seit 2017 fungiert er als stellvertretender Personalleiter. Seit 2014 gehört er dem Vorstand der Sektion Wirtschaftspsychologie des BDP an und war in dieser Funktion Initiator des ersten Fachtages „Führung“ mit dem Themenschwerpunkt „gesunde Führung“ im Januar 2019 in Bamberg.

Lydia Pinneker arbeitet seit 2017 als Führungskraft im Vertrieb. Sie führt Außendienstmitarbeiter verteilt über das ganze Bundesgebiet. Davor war sie 8 Jahre als Personalentwicklerin tätig. Trainings und Coachings für Führungskräfte und Vertriebsaußendienstmitarbeiter waren Bestandteil der täglichen Arbeit. Als Diplom-Psychologin rundet sie ihr Profil mit Weiterbildungen im Bereich Systemisches Business Coaching und Wirtschaftsmediation ab. Seit 2013 ist sie auch selbstständig in diesem Bereich aktiv und arbeitet als Dozentin für angehende Psychologen an der Universität Würzburg.

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Über die Autoren

Julia Hartmann-Pinneker arbeitet seit 2019 als niedergelassene Psychologische Psychotherapeutin. Als Verhaltenstherapeutin behandelt sie Menschen mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angsterkrankungen, psychosomatische Erkrankungen, Lebenskrisen etc. Dabei ist ihr die Berücksichtigung von arbeitsplatzbezogenen Faktoren, die bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen eine Rolle spielen, besonders wichtig. Seit 2009 ist sie in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften tätig und bietet vor allem Seminare rund um die Themen Gesundheit und Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz an. Außerdem gestaltet sie Prozesse und Inhalte des Betrieblichen Gesundheitsmanagements mit, wie bspw. das Betriebliche Eingliederungsmanagement oder die Psychische Gefährdungsbeurteilung. Zudem arbeitete sie als Dozentin für angehende Ärzte und Psychologen an der Universität Würzburg und beschäftigt sich in ihrer Promotion mit der Konzeption, dem Einsatz und der formativen Evaluation eines onlinebasierten Programms zur Burnout-Prävention.

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Gesunde Führung: Warum ist das wichtig?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_1

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Kapitel 1 · Gesunde Führung: Warum ist das wichtig?

„Was soll ich denn als Führungskraft noch alles machen? Jetzt soll ich auch noch gesund führen. Schon wieder ein neuer Trend.“ Nein, wir wollen in unserem Buch keinen neuen Trend forcieren und das Thema Führung auch nicht neu erfinden. Das Gegenteil ist der Fall. Was wir unter gesunder Führung verstehen, fasst viele Ansätze zusammen, die für gute Führung insgesamt wichtig sind. Es geht um die Förderung von Gesundheit, Mitarbeiterzufriedenheit und Leistung. Wir wollen aufzeigen, wie eng diese miteinander verwoben sind.

Wir wollen Ihnen keinen neuen Ansatz verkaufen oder Sie davon überzeugen, dass Sie ab morgen ganz anders führen müssen. Gesunde Führung ist für uns eine Einladung an Sie als Führungskraft auf die eigenen Haltungen und das eigene Verhalten zu schauen und es mit Blick auf seine Auswirkungen zu reflektieren. Gesunde Führung ist wichtig, weil sie Vieles von dem umfasst, was für die Praxis der Führungsarbeit in der Zukunft elementar sein wird und heute schon hohe Relevanz hat. Sich damit zu beschäftigen, ist eine gute Investition in die eigene Zukunft als Führungskraft. Fallbeispiel Markus identifiziert sich stark mit seiner Arbeit und mit seinem Unternehmen. Gerade jetzt in den Anfangsjahren nach dem Berufseinstieg ist es für ihn selbstverständlich jeden Tag Überstunden zu leisten und sich auch am Wochenende mit seiner Arbeit zu beschäftigen. Markus möchte richtig gut durchstarten. Da können in einer Arbeitswoche schon mal 50 oder 60 h zusammenkommen. Von seinem Chef ist Markus immer wieder sehr für sein großes Engagement und seine guten Leistungen gelobt worden. Auch von Kollegen aus anderen Abteilungen bekommt Markus viel positives Feedback, was ihn sehr freut und immer wieder anspornt. Markus erlebt seine Arbeit als sehr befriedigend. Sie macht ihm viel Spaß. Sein lediger Chef ist quasi mit der Firma verheiratet. Nicht selten setzt er Teambesprechungen am Abend an, schreibt seinen Mitarbeitern E-Mails am Wochenende und hat bei Teamausflügen Arbeitsthemen im Gepäck, die er dann gerne in lockerer Runde mit seinen Mitarbeitern bespricht. Das Mittagessen fällt meistens aus oder wird für berufliche Besprechungen genutzt. Markus kann sich nicht erinnern, dass sein Chef schon einmal krank gewesen ist. Eine Operation hat sein Chef vor einigen Jahren einmal in seinen Urlaub gelegt, um nicht zu lange auszufallen. Sein Chef ist wirklich sehr engagiert. Markus hat ein gutes Verhältnis zu seinem Chef, konnte schon viel von ihm lernen und schätzt vor allem die großen Freiheitsgrade und die spannenden Aufgaben, um die er sich kümmern darf. Bei wichtigen Entscheidungen wird Markus von seinem Chef um seine Meinung gefragt. Wenn es um die Anerkennung von besonderen Leistungen geht, z. B. um Prämien, ist Markus Chef immer bereit sich für seine Leute einzusetzen. Das Teamklima ist toll, es herrscht unter den Kolleginnen und Kollegen eine sehr persönliche Atmosphäre. Kommen einmal Konflikte auf, dann werden sie sehr direkt und offen geklärt. Gemeinsame Teamessen, Teamausflüge oder einmal ein gemeinsames Frühstück tragen zum guten Teamklima bei. Seit Markus jedoch in einer festen Beziehung lebt und sein Sohn zur Welt gekommen ist, läuft sein Leben nicht mehr so rund wie zuvor: weniger Schlaf, der Wunsch mehr Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, der Wunsch noch ausreichend Zeit für seine

3 Gesunde Führung: Warum ist das wichtig?

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Partnerschaft zu haben, aufkommende Rückenschmerzen, und Gefühle der Anspannung und Sorgen, ob er seine Aufgaben alle noch so gut bewältigen kann. Irgendwie fühlt sich das alles sehr anstrengend für Markus an und er weiß nicht so recht, was er tun soll. Sein Chef sagt ihm ganz klar: „Du musst dir Zeit für deine Familie nehmen! Ich erwarte doch nicht von dir, dass du am Wochenende arbeitest. Mach doch mal früher Schluss! Geh doch einmal um 16.00 Uhr nach Hause.“ Markus kann sich gar nicht vorstellen um 16.00 Uhr nach Hause zu gehen. Irgendwie hätte er da ein schlechtes Gewissen. Einmal ist er seinem Chef zu liebe früher gegangen und hat dann zu Hause doch noch etwas weitergearbeitet. Wenn Markus Chef wüsste, wie viel er oft noch am Abend oder am Wochenende zu Hause arbeitet oder mit Leuten aus dem Unternehmen telefoniert, dann wäre er bestimmt nicht begeistert. Oder doch? Markus kann das gar nicht so genau einschätzen. Irgendwie ist die Arbeit einfach da und es macht ja auch viel Spaß.

Wenn Sie als Führungskraft dieses Fallbeispiel lesen, dann erinnert Sie das womöglich an Mitarbeiter, die Sie schon erlebt haben oder vielleicht auch an Ihre eigene Situation. Möglicherweise hat Sie das ein oder andere persönlich angesprochen. In diesem Beispiel stecken verschiedene Aspekte zu unserem Thema „Führung und Gesundheit“, die wir genauer unter die Lupe nehmen wollen. Es soll in unserem Buch um Führung und die Wirkung von Führung auf die Gesundheit der Mitarbeiter gehen.

Schwerpunkte unseres Buches Welche Rolle spielt Führung für die Gesundheit von Mitarbeitern? Wie kann Führungsverhalten so gestaltet werden, dass es die Mitarbeitergesundheit fördert? Wie wirke ich als Führungskraft als positives Vorbild?

> Gleich vorneweg: Wir begreifen dabei die Mitarbeitergesundheit als Basis für

nachhaltig gute Leistungen. Wenn wir die Mitarbeitergesundheit fördern wollen, dann haben wir damit auch die Förderung langfristig guter Leistungen im Blick. Es geht für uns nicht um einen möglichen Gegensatz, ob ein Team entweder gute Leistungen erbringt oder die Teammitglieder gesund arbeiten können. Aus unserer Sicht ist gesunde Führung die Voraussetzung für gute Leistungen, ohne bestreiten zu wollen, dass es möglich ist, auf sehr ungesunden Wegen Höchstleistungen zu erzielen, zumindest kurz- und mittelfristig. Deswegen sprechen wir bewusst von nachhaltig guten Leistungen.

Wenn Sie als Führungskraft ihr Team gesund führen möchten und die Grundlage für nachhaltigen Erfolg legen wollen, dann möchten wir Sie sehr zum Weiterlesen ermuntern. Viele unserer Handlungsempfehlungen zielen damit nicht allein auf die Gesundheit der Beschäftigten ab, sondern letztlich auch auf ihre Leistung. Gesunde Führung soll dazu beitragen, dass Beschäftigte möglichst lange gute Leistungen erbringen können, also im besten Fall bis zum Rentenalter bei möglichst guter Erhaltung ihrer Arbeitskraft beruflich aktiv sein können.

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Kapitel 1 · Gesunde Führung: Warum ist das wichtig?

Warum ist dieses Thema überhaupt relevant? Vielfältige Entwicklungen bringen das Thema immer mehr in den Fokus: Es ist offensichtlich, dass Fehltage aufgrund von Krankheit zu hohen Kosten für Unternehmen führen. Es ist auch offensichtlich, dass viele Beschäftigte krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden mit negativen Folgen für die Betroffenen selbst, die Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt. Gerade in unserer alternden Gesellschaft in Deutschland wird es immer wichtiger, die Gesundheit und damit verbunden die Arbeitsfähigkeit möglichst lange zu erhalten. Wir können es uns nicht leisten, dass Fachkräfte früh aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Gerade auch psychische Erkrankungen und damit verbundene Fehltage nehmen zu. In der Folge entsteht Handlungsbedarf in Organisationen. Doch es geht noch um einiges mehr. Unternehmen müssen sich im Kampf um die besten Köpfe möglichst attraktiv am Arbeitsmarkt positionieren. Dabei spielt gesunde Arbeit eine Rolle. Bewerber interessiert zunehmend, was ein potenzieller neuer Arbeitgeber zur Gestaltung gesunder Arbeit unternimmt. Diese Entwicklung stellt auch Führungskräfte vor Herausforderungen. Viele Mitarbeiter haben zurecht hohe Erwartungen an ihre Führungskräfte und ihren Arbeitgeber und bei einer steigenden Anzahl an offenen Stellen und gleichzeitig rückläufiger Zahl an Arbeitssuchenden können sie schnell eine passende Alternative finden. All diese Entwicklungen unterstreichen die Relevanz des Themas und bedürfen eigentlich keiner tieferen Erläuterung, weil wir nahezu täglich in den Medien damit konfrontiert werden. Mittlerweile liegen eine Reihe von Befunden vor, die einen deutlichen Zusammenhang zwischen Leistung und Gesundheit nahe legen (z. B. Ford et al. 2011), so führen zum Beispiel psychische Erkrankungen häufig zu deutlichen Beeinträchtigungen der Arbeitsfähigkeit (z. B. kognitives Leistungsvermögen, Motivation) und wirken sich hierüber negativ auf die Leistung aus (z. B. Kircanski et al. 2012). Auch vor diesem Hintergrund gewinnt die Gestaltung gesunder Arbeit in Organisationen weiter an Bedeutung. Wer als Führungskraft mit seinem Team langfristig erfolgreich sein möchte braucht dazu ein gesundes Team. Das ist für uns ein zentrales Argument. Fazit 5 Für uns sind Gesundheit und Leistung keine Gegensätze. Im Gegenteil. Gesundheit ist die Basis für nachhaltig gute Leistungen. Wer sich um gesunde Führung bemüht, leistet damit einen Beitrag zur Förderung von Leistung. 5 Hohe Kosten durch Fehlzeiten, der Wettbewerb um gute Köpfe und die Notwendigkeit einer längeren Lebensarbeitszeit sind eine Auswahl an Entwicklungen, die dem Thema gesunde Führung immer mehr Bedeutung geben. Was tut unsere Organisation für die Gestaltung gesunder Arbeit? Diese Frage gewinnt an Relevanz und Antworten darauf, werden ohne einen wesentlichen Beitrag der Führungskräfte nicht gelingen. 5 Im Mittelpunkt unseres Buches steht die Führungskraft in Verantwortung für ihr Team: Was kann ich als Führungskraft in meinem Verantwortungsbereich zu gesunder Führung beitragen?

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Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_2

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Kapitel 2 · Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

Führung, Management, Leadership, Leitung … da gibt es einige Begriff mit inhaltlichen Überschneidungen, aber auch Unterschieden. In diesem Kapitel erläutern wir näher, was wir unter Führung und unter Gesundheit verstehen. Bei uns steht die Führungskraft im Zusammenspiel mit den direkt geführten Mitarbeitern im Fokus. Uns geht es um diese Interaktionen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern. Welchen Beitrag können Führungskräfte in ihrem direkten Verantwortungsbereich zu gesunder Führung leisten? Um diese Frage geht es uns. Das heißt beispielsweise, dass die Gestaltung von Rahmenbedingungen durch das obere Management nur am Rande eine Rolle spielt (siehe 7 Kap. 17). In unseren Überlegungen gehen wir von einer explizit benannten Führungskraft aus, das heißt, dass Konzepte geteilter Führung ohne formale Führungskraft nicht aufgegriffen werden. Den Gesundheitsbegriff fassen wir sehr weit. Beginnend mit Zufriedenheit und psychischem und physischem Wohlbefinden bis hin zu Erkrankungen. Für uns ist Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheitssymptomen.

Wir entwickeln unsere Überlegungen vor allem vor dem Hintergrund unserer langjährigen praktischen Erfahrungen in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften im kaufmännischen Bereich eines größeren Unternehmens. Wesentliche Teile mögen auch für kleine Betriebe, Organisationen in anderen Kontexten, wie dem öffentlichen Dienst, oder auch im Bereich der Produktion hilfreich sein, wenn auch die Passung wahrscheinlich geringer ausfällt. Uns ist es wichtig für Sie als Leser zu erwähnen vor welchem beruflichen Hintergrund wir unser Buch schreiben. Auch wenn wir mit Blick auf die Führungsforschung der letzten Jahrzehnte davon ausgehen dürfen, dass die hier beschriebenen Grundprinzipien gesunder Führung für ganz unterschiedliche Betriebsgrößen, Betriebsarten und Organisationsformen hilfreich sind. Zunächst ist die Frage zu klären, was wir unter Führung und unter Gesundheit verstehen, wie wir beides definieren, ohne jetzt in einen langatmigen theoretischen Exkurs einsteigen zu wollen. > Unter Führung verstehen wir das Verhalten einer Führungskraft gegenüber

ihren Mitarbeitern, wie sie dabei von ihren Mitarbeitern als Führungskraft wahrgenommen wird und welche Reaktionen bei ihren Mitarbeitern dadurch erzeugt werden, die wiederum auf das Verhalten der Führungskraft zurückwirken können. Dieser Interaktionsprozess steht für uns im Fokus. Führung als interaktiver Prozess zwischen Führungskraft und Mitarbeiter 5 Was tut die Führungskraft? 5 Wie spricht sie mit ihren Mitarbeitern? 5 Wie wird sie in ihrer Führungsrolle wahrgenommen? 5 Wie gestaltet sie die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern? 5 Was lösen Handlungen der Führungskraft bei den Mitarbeitern aus? 5 Wie wirkt das Verhalten der Mitarbeiter zurück auf die Führungskraft?

In unserem Eingangsbeispiel gehört es unter anderem zum Führungsverhalten von Markus Chef, dass Teambesprechungen auf den Abend gelegt werden, oder dass er

7 Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

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seinen Mitarbeitern E-Mails am Wochenende schreibt. Gleichzeitig lobt er seine Mitarbeiter für ihr Engagement, gibt viele Freiräume bei der Bearbeitung von Aufgaben und setzt sich für die Prämierung besonderer Leistungen seiner Leute ein. Das alles sind Facetten seines Führungsverhaltens, die Markus als Mitarbeiter beeinflussen und bei ihm Reaktionen hervorrufen, die wiederum auf seinen Chef wirken. Es geht uns um die einzelne Führungskraft in Interaktion mit den direkt geführten Mitarbeitern. Das ist keine Einbahnstraße. Führungsverhalten führt zu Reaktionen, die wiederum auf das Führungsverhalten zurückwirken und damit wiederum das Fühlen, Denken und Verhalten der Führungskraft beeinflussen. Wir haben vor allem das Verhalten und die dahinter liegenden Einstellungen der Führungskräfte im Blick, sind uns allerdings bewusst, dass es sich bei Führung um ein komplexes Phänomen gegenseitiger Beeinflussung handelt. Fallbeispiel Beispielsweise gibt es in vielen Unternehmen das Instrument der Mitarbeiterbefragung, um Führungskräften Feedback durch die Geführten zu ermöglichen. Erhält eine Führungskraft aus ihrem Team das Feedback, dass sie sich viel Zeit für ihre Mitarbeiter nimmt, so wird durch das positive Feedback dieses Verhalten im besten Fall stabilisiert und womöglich noch weiter verstärkt, was wiederum positiv von den Mitarbeitern wahrgenommen wird. So beeinflussen sich Führungskräfte und Mitarbeiter wechselseitig. Bekommt die Führungskraft in der Mitarbeiterbefragung darüber hinaus das Feedback, dass die Gestaltung der Teambesprechungen die Mitarbeiter wenig dazu anregt sich aktiv einzubringen, so führt dies im besten Fall zu Verhaltensänderungen bei der Führungskraft, was wiederum von den Geführten wahrgenommen werden kann. Möglicherweise ändern die Mitarbeiter in der Folge ihr Verhalten, was wiederum das Verhalten der Führungskraft beeinflussen kann. Es geht also immer in beide Richtungen mit gegenseitiger Beeinflussung. Natürlich kann diese Spirale sich auch in eine negative Richtung drehen: Eine Führungskraft steht ratlos vor den Ergebnissen ihrer Mitarbeiterbefragung, fühlt sich womöglich gekränkt, zieht die falschen Schlussfolgerungen und löst dadurch negative Reaktionen bei den Mitarbeitern aus. Eine Führungskraft, die beispielsweise das Feedback bekommt, dass sich ihre Mitarbeiter mehr Unterstützung wünschen und darauf mit Vorwürfen reagiert, „Ich kümmere mich doch gut um eure Anliegen. Wie kommt ihr dazu das zu kritisieren? Das stimmt doch überhaupt nicht. Das schätzt ihr doch falsch ein!“, wird damit wahrscheinlich zu einer Verschlechterung der Zusammenarbeit beitragen. Im Kapitel zum Umgang mit Konflikten gehen wir auf solche negativen Eskalationsspiralen genauer ein.

Auch in Personalgesprächen kann Feedback in beide Richtungen gegeben werden. Berichtet ein Mitarbeiter, dass er mit seinen Arbeitsaufgaben nicht zufrieden ist und werden dann gemeinsam Veränderungen besprochen und umgesetzt, so beeinflussen sich Führungskraft und Mitarbeiter gegenseitig. So verstanden geht es bei Führung um die Gestaltung von Interaktionen zwischen Führungskraft und Geführten. Natürlich auch außerhalb solcher Instrumente, wie Mitarbeiterbefragung oder Personalgespräche. Jeden Tag findet wechselseitige Beeinflussung statt. Ein Mitarbeiter, der zu einem vereinbarten Termin eine halbe Stunde zu spät kommt, wird damit bei seiner

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Kapitel 2 · Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

Führungskraft sicher etwas auslösen mit Reaktionen, die wiederum auf ihn zurückwirken. Es geht uns nur ganz am Rande um Entscheidungen des Topmanagements oder vom Topmanagement gestaltete Rahmenbedingungen, die sich natürlich auch auf die Gesundheit von Beschäftigten auswirken. Die Gestaltung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements in all seinen Facetten von Arbeitsplatzergonomie, Untersuchungsangeboten durch den Betriebsarzt, psychologischen Beratungsangeboten, Gesundheitszirkeln, Ernährungs- und Sportprogrammen, die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen, Gefährdungsbeurteilungen, Befragungen zu verschiedenen Gesundheitsthemen mit der Ableitung von Maßnahmen und viele weitere Aspekte, die noch ergänzt werden könnten (vergleiche Bamberg et al. 2011), sollen nicht Gegenstand dieses Buches sein. Dabei mag es vielleicht verwundern, dass wir uns nicht mit der Führungskraft als Sicherheitsmanager beschäftigen. Ohne Frage, ist es eine wichtige Aufgabe von Führungskräften sich darum zu kümmern, dass die gesetzlichen Vorschriften zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz eingehalten werden. Diese Regeln sind jedoch nicht Gegenstand unseres Buches, auch wenn das Sicherheitsmanagement eine wichtige Führungsaufgabe darstellt (Franke und Felfe 2011). An manchen Stellen werden diese Themen berührt, sie stehen jedoch nicht im Fokus. Damit wird ohne Frage ein großer Bereich ausgeklammert, der für Gesundheit in Organisationen wichtig ist. Wir legen jedoch bewusst den Schwerpunkt auf die Einstellungen und das Verhalten von Führungskräften mit Blick auf die Gesundheit der direkt geführten Mitarbeiter. Dabei muss immer mitgedacht werden, dass für die Gesundheit in Organisationen viele weitere Faktoren eine ganz wesentliche Rolle spielen. Im Grunde kann die Gestaltung von gesundheitsförderlicher Führung als ein wichtiges Element des Betrieblichen Gesundheitsmanagements aufgefasst werden. Damit hat unser Buch einen deutlich engeren Fokus als viele Bücher zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement, was uns jedoch mehr Raum für das Thema Führung gibt, als dies in anderen Büchern möglich ist. > Wir haben uns dazu entschieden eine Differenzierung zwischen Haltungen

und Handlungsfeldern vorzunehmen. Wir betrachten 5 Haltungen und 5 Handlungsfelder, die für gesunde Führung besonders relevant sind. Bei den Haltungen geht es uns um die Frage, mit welchen Einstellungen Führungskräfte ganz grundsätzlich an ihre Führungsarbeit herangehen, während wir bei den Handlungsfeldern noch näher am konkreten Führungsverhalten sind.

Diese Unterscheidung mag etwas künstlich erscheinen. Wir glauben, dass es einen Mehrwert stiftet, wenn wir uns sowohl mit dem Denken, als auch mit dem Verhalten von Führungskräften beschäftigen, weil wir Führungskräfte stark zum Nachdenken, zur Selbstreflexion einladen wollen und eben nicht nur am konkreten Verhalten, sondern auch an dahinterliegenden Überzeugungen und Werten ansetzen möchten. Die Auswahl der Haltungen und Handlungsfelder stützt sich auf die aktuelle Forschung zum Thema und auf unsere jahrelange Erfahrung in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften. Dabei wollen wir Impulse für die Praxis geben, konkrete Handlungsvorschläge unterbreiten und anhand von Beispielen und Fragen zum Nachdenken und Ausprobieren anregen. Wir beschreiben Haltungen und Ver-

9 Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

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haltensweisen, die gesunde Arbeit fördern und legen dabei auch besonderen Wert auf die Vorbildfunktion von Führungskräften. Bereits das Eingangsbeispiel zeigt, dass das Thema eine differenzierte Betrachtung verdient. Sicher gibt es Verhaltensweisen von Führungskräften, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter auswirken, z. B. wiederholte, persönlich verletzende Kritik in offener Runde. Auf der anderen Seite gibt es Verhaltensweisen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv auf die Gesundheit auswirken, z. B. wertschätzendes Nachfragen und Zuhören bei Sorgen der Mitarbeiter. Dazwischen gibt es aus unserer Sicht jedoch ein Verhaltensspektrum, das sich nicht generell als gut oder schlecht kategorisieren lässt, sondern im jeweiligen Kontext genauer betrachtet werden muss. Die Illusion einfacher Patentrezepte wollen wir ­vermeiden. Führung als komplexe Aufgabe ohne einfache Patentrezepte 5 Ist es nun gesundheitsförderlich, wenn Markus Chef seine Mitarbeiter für ihr Engagement lobt? Jeder Mensch freut sich doch über Anerkennung. Oder ist es eher schädlich, wenn es möglicherweise dazu beiträgt, dass mehr gearbeitet wird, als für Markus gut ist? Oder kommt es darauf an? Auf was kommt es an? 5 Was soll denn der Chef machen, wenn Markus am Abend gar nicht früher aufhören möchte? Er kann ihn doch schlecht dazu zwingen. Oder doch? 5 Es ist doch schön sich im Kollegenkreis am Abend in gemütlicher Runde auszutauschen. Das schafft doch ein positives Miteinander und muss doch gesundheitsförderlich sein. Oder führt es doch eher zur Entgrenzung von Arbeit und Freizeit mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit?

Die Erkenntnis, dass die Gestaltung von Führung in der Praxis nicht auf einfache Patentrezepte reduziert werden kann, sondern viele Verhaltensweisen durchaus sehr ambivalent in ihrer Wirkung sein können, wird durch das Eingangsbeispiel und die hier skizzierten Fragen zumindest angedeutet. Wir wollen mit unserem Buch einen Beitrag dazu leisten, als Führungskraft mit dieser Ambivalenz besser umgehen zu können. Fallbeispiel Stellen Sie sich beispielsweise eine Führungskraft vor, die ihrem Mitarbeiter nach einem gemeinsamen Kundentermin sagt: „Die Präsentation hast du sehr gut gemacht. Da kannst du nichts verbessern. Das hätte ich genauso gemacht.“ Das klingt doch wirklich nach guter Führung. Das klingt doch nach einem sehr wertschätzenden Feedback. Wenn wir nun annehmen, dass es sich um einen der ersten Kundentermine eines neuen Verkäufers mit seiner Führungskraft gehandelt hat, dann können wir verstehen, wenn der Mitarbeiter über dieses oberflächliche Feedback, das ihn in seiner Entwicklung nicht weiterbringt, enttäuscht ist. Womöglich stellt sich der Mitarbeiter auch die Frage, wie ehrlich seine Führungskraft mit ihm umgeht. Nach einem gemeinsamen Kundentermin mit einem langjährigen, sehr kompetenten Verkäufer, mag dieses Feedback passend sein, in der Einarbeitungsphase sicher nicht.

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Kapitel 2 · Führung und Gesundheit: Was verstehen wir darunter?

In unserem Eingangsbeispiel beschreiben wir einen hoch motivierten Mitarbeiter, der sich stark für seine Firma engagiert. Auch das Gegenteil ist gut vorstellbar.

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Mögliche Bedenken zu gesunder Führung 5 Was ist denn mit Mitarbeitern, die Dienst nach Vorschrift machen und sich (zumindest auf den ersten Blick) hervorragend um ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit kümmern? Führt gesunde Führung da nicht zu Leistungsrückgang? 5 Ist gesunde Führung nicht besonders anfällig dafür, von Mitarbeitern ausgenutzt zu werden? Ist das nicht eine Einladung dazu unter dem Deckmantel gesunder Arbeit eine ruhige Kugel schieben zu wollen?

Wie bereits angesprochen, sehen wir keinen grundsätzlichen Gegensatz zwischen Gesundheit und Leistung. Wir wollen kein Wohlfühl- und Gesundheitsprogramm für Mitarbeiter vorschlagen das die Leistungsseite ausblendet. Gesunde Führung zielt sowohl auf die Förderung von Gesundheit, als auch von Leistung ab. Wir blenden in unserem Buch ganz bewusst immer wieder die Leistungsseite mit ein. Den hier skizzierten Bedenken wollen wir Rechnung tragen. Wir wollen Führungskräfte zum Nachdenken über ihre eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen anregen und vor allem auch dazu ermuntern, neue Einstellungen und Verhaltensweisen auszuprobieren, die für die Förderung von Gesundheit bei der Arbeit hilfreich sein können. Die folgenden Überlegungen sind dabei als eine Art Rahmen für gesunde Führung besonders wichtig. > Führungskräfte sind mit ihrem Team immer eingebunden in ein organisationales

System mit bestimmten Kulturregeln. Die Einstellungen einer Führungskraft und ihr konkretes Verhalten werden auch wesentlich von Kulturregeln der Organisation beeinflusst.

Ist es in der Organisation zum Beispiel normal, dass Mitarbeiter auch am Wochenende auf E-Mails reagieren oder würde solches Verhalten gegen Kulturregeln verstoßen? Ein Team ist kein völlig unabhängiges System, sondern je nach Strukturierung eingebunden in eine Abteilung, in einen Geschäftsbereich, in ein Unternehmen. Das bedeutet, dass immer auch die Frage wichtig ist, welche Kulturregeln in den Systemen gelten, in die eine Führungskraft mit ihrem Team eingebettet ist. So können sich auch in zwei Abteilungen des gleichen Unternehmens unterschiedliche Kulturregeln herausbilden. Deshalb ist bei allen Handlungsempfehlungen für Führungskräfte die Frage wichtig, inwieweit diese in einem bestimmten System kompatibel sind, beziehungsweise welche Wirkungen sie im jeweiligen System haben. Praxistipp

Deshalb empfehlen wir sehr, bei allen Anregungen, die wir geben, gut zu überlegen, wie sie im jeweiligen Kontext genutzt werden können: Wie gut passen die Anregungen zu Ihrem Unternehmen? Was ist vollständig umsetzbar? Was vielleicht in veränderter Form? Was vielleicht heute noch nicht oder nur sehr sparsam dosiert?

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> Bei unseren Denkanstößen und Handlungsempfehlungen spielen auch

Unterschiede zwischen impliziten und expliziten Kulturregeln eine Rolle. So kann eine Führungskraft explizit äußern, dass ihr die Gesundheit ihrer Mitarbeiter wichtig sei, sich aber implizit konträr dazu verhalten. Was wird gesagt? Was wird getan? Was wird erwartet? Diese Fragen sind bei allen Handlungsempfehlungen hoch relevant: Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem was ich als Führungskraft explizit sage und implizit erwarte? Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem was ich explizit sage und tatsächlich tue? Dies ist ein wichtiger Grund für die Unterscheidung zwischen Haltungen und Verhalten in unserem Buch. Es ist wichtig, dass sich das Verhalten logisch aus dahinterliegenden Haltungen ergibt und Führungskräfte nicht versuchen sich Verhaltensweisen quasi anzutrainieren hinter denen sie nicht stehen können, die ihren Überzeugungen widersprechen. Solche Ambivalenzen tun der Führungskraft nicht gut und werden auch von den Geführten wahrgenommen.

Wir schreiben den Führungskräften viel Verantwortung zu. Möglicherweise auch zu viel Verantwortung. Wie bereits skizziert, haben viele Faktoren Einfluss auf die Gesundheit der Beschäftigten. Unser Fokus kann möglicherweise auch dazu beitragen, dass Führungskräfte sich unter Druck fühlen, noch mehr für ihre Mitarbeiter tun zu müssen und sich überfordert fühlen. Um dies zu vermeiden, ist bei allen Handlungsempfehlungen die Frage wichtig: Wie geht es mir als Führungskraft damit? Welche Einstellungen und Verhaltensweisen sind in mein Denk- und Verhaltensrepertoire als Führungskraft integrierbar? Wie kann ich als Führungskraft bei aller Fürsorge für meine Mitarbeiter gut für mich sorgen? Konkret kann das auch bedeuten als Führungskraft mit einem Handlungsfeld zu beginnen und kleine Veränderungen auszuprobieren. Wenn diese die gewünschten Wirkungen erbringen, können weitere Veränderungen probiert werden, ohne den Anspruch zu haben sich als Führungskraft in kurzer Zeit neu erfinden zu wollen. Wir wollen das Thema nicht zu sehr vereinfachen, indem wir zum Beispiel eine ideale Führungskraft zeichnen, deren Verhalten es nachzuahmen gilt. Bereits das Eingangsbeispiel zeigt, dass eine Führungskraft Verhaltensweisen zeigen kann, die wahrscheinlich die Gesundheit ihrer Mitarbeiter fördern, während andere Verhaltensweisen wahrscheinlich eher schädlich sind. Manche Verhaltensweisen können jedoch auch sehr ambivalent sein. Diesen Punkt haben wir bereits angesprochen. Was für die eine Führungskraft in Interaktion mit einem bestimmten Mitarbeiter in einem bestimmten organisationalen System gesundheitsförderlich ist, mag bei einer anderen Führungskraft mit einem anderen Mitarbeiter in einem anderen organisationalen System schädlich sein. Es geht dabei viel um individuelle Bedürfnisse, individuelle Ressourcen, Lebensentwürfe, Einstellungen, vielfältige Möglichkeiten der Beziehungsgestaltung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter und anderes mehr. Was verstehen wir nun unter Gesundheit? > Wir wählen einen sehr weiten Gesundheitsbegriff, der von der Abwesenheit

von physischen und psychischen Beschwerden, wie Rückenschmerzen oder Depressionen, bis hin zum Erleben von Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden reicht. Wir gehen von der Annahme aus, dass bei vielen gesundheitlichen Beschwerden, wie zum Beispiel Rückenschmerzen, physische und psychische

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Anteile eine Rolle spielen (z. B. Kröner-Herwig et al. 2011) und Gesundheit nicht auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert werden sollte.

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Gesundheit zeigt sich damit nicht nur in Krankheitstagen, sondern auch im täglichen Erleben der Beschäftigten: Wie fühlen sich die Mitarbeiter? Von Gefühlen der Angst bis hin zu Sicherheit und Freude kann sich dabei ein breites Gefühlsspektrum aufspannen. Natürlich ließe sich der Gesundheitsbegriff auch deutlich enger fassen. Es ist deshalb wichtig deutlich zu machen, dass es uns nicht nur um die Vermeidung von psychischen und physischen Erkrankungen geht, sondern auch um die Förderung von Wohlbefinden und Zufriedenheit bei der Arbeit. Fallbeispiel In unserem Eingangsbeispiel werden Rückenschmerzen bei Markus angesprochen, aber auch Gefühle der Anspannung und das Erleben von Sorgen. Auf der anderen Seite auch Spaß bei der Arbeit und die Freude über positives Feedback. All diese Aspekte fassen wir unter den Begriff Gesundheit.

Damit orientieren wir uns am Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gesundheit in ihrer Verfassung vom 25. Juni 2009 nicht allein als die Abwesenheit von Gebrechen und Krankheit beschreibt, sondern explizit auch Bezug auf das körperliche, geistige und soziale Wohlergehen nimmt. Fazit 5 Uns geht es um die Interaktionen zwischen Ihnen als Führungskraft und Ihren Mitarbeitern. Um Ihr konkretes Führungsverhalten, wie es bei Ihren Mitarbeitern wahrgenommen wird und welche Reaktionen damit bei Ihren Mitarbeitern bewirkt werden. Dabei ist klar: Führung ist keine Einbahnstraße, sondern immer wechselseitige Beeinflussung. In diesem Sinne werden Sie auch von Ihren Mitarbeitern geführt. Es geht vor allem um Kommunikation und die damit eng verbundene Beziehungsgestaltung. 5 Wir geben in unserem Buch Orientierungshilfen für gesunde Führung. Bewusst keine Patentrezepte, die nach einem bestimmten Schema umgesetzt werden können. Solche Patentrezepte kann es bei Führungsthemen sinnvollerweise nicht geben. Ja, es gibt Führungsverhalten, das klar ungesund ist und klar gesund. Ob Führungsverhalten mehr oder weniger gesundheitsförderlich wirkt, hängt jedoch auch von den Einstellungen, Werten, Interessen, Fähigkeiten etc. der geführten Mitarbeiter ab. Auch Rahmenbedingungen im Unternehmen, wie beispielsweise Arbeitszeitregelungen, die Führungsspannen oder das Vergütungssystem, spielen eine Rolle. Solche Systembedingungen haben immer Relevanz. Wer das nicht mitdenkt und sich auf universelle Ratschläge beschränken möchte, kann der Komplexität von Führung nicht gerecht werden. 5 Anstatt auf Patentrezepte zu setzen, wollen wir vor allem eines: zum Nachdenken anregen. Selbstreflexion ist ein wichtiger Schlüssel für gute Führung im Allgemeinen und für gesunde Führung im Besonderen. Insbesondere durch Impulsfragen wollen wir Sie zum Nachdenken anregen und zum Ausprobieren neuer Sicht- und Verhaltensweisen ermutigen. Auch wenn wir immer wieder Zuspitzen und uns um pointierte

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Kernaussagen bemühen: Fühlen Sie sich völlig frei selbst zu entscheiden, was Sie im Moment ein Stück weiter bringt auf Ihrem Weg zu mehr gesunder Führung. 5 Wir beschäftigen uns in unserem Buch mit Haltungen und Verhalten. Wenn Sie an Ihrer Führungskompetenz arbeiten möchten, dann empfehlen wir Ihnen, immer beides in den Blick zu nehmen. Es geht gerade nicht darum, bestimmte Verhaltensweisen zu trainieren, die möglicherweise gar nicht zu Ihren Haltungen passen. Ihr Führungsverhalten ergibt sich im besten Fall logisch und authentisch aus Ihren dahinterliegenden Haltungen. Welche Einstellungen habe ich zum Thema Führung? Wie gehe ich an meine Mitarbeiter heran? Mit welchen Sichtweisen? Wir laden in den ersten Kapiteln stark zum Nachdenken über diese Fragen ein. Ihre Antworten auf diese Fragen sind das Fundament Ihrer Führungspraxis. Sparen Sie nicht am Fundament! 5 Im besten Fall nutzen Sie Führungsinstrumente, wie jährliche Personalgespräche, monatliche Teambesprechungen oder eine jährliche Mitarbeiterbefragung. Das alles ist wertvoll, aber nur ein kleiner Teil der Miete. Führung findet jeden Tag statt. Bei jedem Kontakt zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern. Uns geht es in unserem Buch vor allem darum, was Sie täglich in Ihrer Führungsrolle tun. 5 Unser Buch ist kein Buch über Betriebliches Gesundheitsmanagement. Wenn Sie das erwarten, werden Sie enttäuscht. Gesunde Führung ist ein Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements. Ein wichtiger Teil. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist jedoch viel umfassender. 5 Wir wählen einen sehr weiten Gesundheitsbegriff: Es geht nicht nur um die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch um das physische und psychische Wohlbefinden bis hin zur Arbeitszufriedenheit. Mit Spaß bei der Arbeit sein zu können ist für uns also genauso relevant, wie die Abwesenheit von Kopfschmerzen. 5 Zu guter Letzt: gesunde Führung kann ohne gesunde Selbstfürsorge nicht gelingen. Wir gehen darauf an verschiedenen Stellen ein. Achten Sie gut auf sich! Fangen Sie bei sich an!

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Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_3

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Wir wollen zunächst das Thema gesunde Führung aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchten. Das kann natürlich nicht umfassend in allen Einzelheiten geschehen. Wir greifen das heraus, was uns für die Praxis besonders wichtig erscheint. Für weitere, vertiefte wissenschaftliche Einblicke sei auf Lehrbuchkapitel oder Metaanalysen verwiesen, die mittlerweile vorliegen (z. B. Arnold 2017; Montano et al. 2017). Wir gehen dabei vor allem darauf ein, wie relevant Führung für die Gesundheit der Mitarbeiter tatsächlich ist und welches Führungsverhalten eher gesundheitsförderlich oder eher schädlich ist. Damit wollen wir eine Grundlage für die weiteren Kapitel schaffen, die dann deutlich praxisnäher gehalten sind.

Als erstes ist einmal festzuhalten, dass das Thema Führung und Gesundheit kein neues Thema ist. Seit Jahrzehnten gibt es Studien zu den Zusammenhängen von Führung und Gesundheit (z. B. Balshem 1988; Day und Hamblin 1964; Gavin und Kelley 1978; Haynes et al. 1980; Kirmeyer und Dougherty 1988; Repetti 1993), verbunden mit der Annahme, dass das Führungsverhalten ein Ansatzpunkt zur Verbesserung der Mitarbeitergesundheit ist (z. B. Moyle 1998). Bewusst wollen wir den Eindruck vermeiden, dass wir das Thema als eine neue Erfindung sehen. Kernelemente gesunder Führung haben eine lange Tradition. Allerdings hat das Thema in den letzten Jahren in der Forschung zunehmend an Bedeutung gewonnen und spielt auch in der Praxis eine gewisse Rolle. Bereits für das Jahr 2000 berichtet beispielsweise die AOK Bayern von Projekten zum Thema gesunde Führung, die von der AOK Bayern in der Zusammenarbeit mit Partnerbetrieben durchgeführt wurden (Gunkel et al. 2011). Auch Trainingsangebote für Führungskräfte zum Thema gesunde Führung sind auf dem Weiterbildungsmarkt verfügbar. Mittlerweile lässt die Forschung der letzten Jahrzehnte eine Reihe an Schlussfolgerungen zum Thema gesunde Führung zu, auch wenn noch viele Forschungsfragen nicht hinreichend geklärt werden konnten. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf Forschungsfragen, die wir aus praktischer Perspektive für besonders relevant halten. Zu diesen Fragen wollen wir einen fundierten Überblick geben. Wichtige Forschungsfragen mit hoher Praxisrelevanz 5 Spielt das Verhalten von Führungskräften für die Gesundheit der Mitarbeiter überhaupt eine Rolle? 5 Wie stark ist der Einfluss des Führungsverhaltens auf die Gesundheit der Mitarbeiter? 5 Wie sollten Führungskräfte „führen“, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern? 5 Welche wissenschaftlichen Modelle und Forschungsstränge können als Grundlage für gesundheitsförderliche Führung dienen? 5 Wie gut praktizieren Führungskräfte bereits gesunde Führung? 5 Wie gut lässt sich das Ziel der Gesundheitsförderung mit Leistungszielen verknüpfen?

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Die Gesundheit eines Menschen wird von so vielen Faktoren beeinflusst, da ist aus unserer Sicht die Frage berechtigt, ob Führungskräfte überhaupt einen Einfluss haben und wenn ja, wie groß dieser Einfluss tatsächlich ist. Geht es also um ein relevantes Thema? Oder müssen wir davon ausgehen, dass das Führungsverhalten bedeutungslos für die Förderung der Mitarbeitergesundheit ist, oder dass der Einfluss so gering ist, dass sich eine Beschäftigung mit dem Thema aus praktischer Sicht nicht lohnt? Beim Thema Gesundheit denken wir als Einflussfaktoren womöglich an sportliche Aktivitäten, gesunde oder weniger gesunde Ernährung, übermäßigen Konsum von Alkohol und Rauchen. Auch Schlafdauer und Schlafqualität, den Umfang und die Qualität sozialer Beziehungen, genetische Veranlagungen, Unfälle, andere schlimme Lebensereignisse oder andersherum glückliche Lebensmomente bringen wir wahrscheinlich mit Gesundheit in Verbindung. Mit Blick auf den Arbeitskontext wahrscheinlich Beeinträchtigungen durch Lärm, Hitze oder Schadstoffe, die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder auch die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften. Wenn wir etwas darüber nachdenken, bekommt sicher jeder von uns eine ordentliche Liste mit gesundheitsrelevanten Faktoren zusammen. An die Führungskraft denken wir wahrscheinlich nicht, oder hätten Sie Ihre Führungskraft mit auf die Liste gesetzt? Andererseits haben wir vielleicht belastende Erfahrungen mit Führungskräften gemacht oder kennen Menschen, die über belastende Erlebnisse mit ihrem Chef klagen. Fallbeispiel Vielleicht eine Bekannte, die von abwertenden Aussagen ihres Chefs erzählt: „Also Deutsch war in der Schule wirklich nicht dein starkes Fach, wenn ich mir deine E-Mail durchlese.“ „Mensch, du musst das sorgfältiger machen. Das ist doch wirklich hässlich, was du da gemacht hast.“ „Denke doch die Sachen mal zu Ende. Da fehlt doch die Hälfte.“ Möglicherweise kommen Ihnen solche Sätze, die wir aus der Praxis gegriffen haben, bekannt vor, sei es nun selbst erlebt oder gehört.

Doch wie relevant sind Führungskräfte für die Mitarbeitergesundheit wirklich? In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien realisiert, die eine Einschätzung der Bedeutung von Führung auf die Mitarbeitergesundheit ermöglichen. Unmittelbar daran schließt sich die Frage an, welche Schlussfolgerungen für gesunde Führung aus den Studien gezogen werden können. Welche konkreten Hinweise lassen sich ableiten? Worüber sollte ich als Führungskraft nachdenken? Was kann ich tun? Auch diesen Fragen wollen wir nachgehen. Fallbeispiel Vielleicht kennen Sie Führungskräfte, die weniger zur Selbstreflexion und Veränderungsbereitschaft neigen: „Ich bin so, wie ich bin und werde mich nicht mehr verändern.“, „Für mich ist es auch hart. Da müssen alle durch.“, „Da sollen sich meine Mitarbeiter halt ein dickeres Fell zulegen.“ Solche Aussagen aus der Praxis bedeuten Stagnation als Führungskraft. Wenn ich als Führungskraft nicht als Dinosaurier aussterben möchte, dann geht es nicht ohne Selbstreflexion und Veränderungsbereitschaft.

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

Ergänzend wollen wir auch auf Modelle und Forschungsstränge eingehen, die als Grundlage für die Umsetzung gesunder Führung dienen können. Gerade auch um zu verdeutlichen, dass gesunde Führung keine neue Erfindung ist, sondern dass es seit Jahrzehnten Modelle und dazugehörige Forschungsbefunde gibt, die für die Gestaltung gesunder Führung genutzt werden können. Diese Auswahl ist sicherlich sehr subjektiv von uns gewählt und auch unvollständig, da sich gerade in der psychologischen und medizinischen Forschung, aber auch aus anderen Disziplinen, der letzten Jahrzehnte eine ganze Reihe an Ansätzen identifizieren lässt, die für gesunde Führung Relevanz hat. Wir haben Modelle und Forschungsbefunde ausgewählt, die aus unserer Sicht wissenschaftlich gut abgesichert und besonders praxisrelevant sind. Darüber hinaus ist uns die Frage wichtig, ob überhaupt Handlungsbedarf besteht. Womöglich führen die allermeisten Führungskräfte bereits heute so gesund, dass kaum Spielraum für Verbesserungen vorhanden ist. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus Studien ziehen, die der Frage nachgehen, wie gesund Führungskräfte heute schon führen? Bei dieser Frage beziehen wir uns mit Blick auf die Zielgruppe unseres Buches auf Studien aus dem deutschen Sprachraum. Dass es da zwischen verschiedenen Unternehmen große Unterschiede geben kann, ist klar. Bezogen auf ein einzelnes Unternehmen können Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen, Hinweise aus Austrittsgesprächen, die Analyse von Krankenquoten und Gefährdungsbeurteilungen wichtige Quellen zur Ermittlung des Handlungsbedarfs sein. Abschließend wollen wir uns noch mit der Frage beschäftigen, wie stark Gesundheit tatsächlich als Basis für gute Leistung beschrieben werden darf und inwieweit sich beides gleichermaßen durch Führung fördern lässt. Wir haben zwar eingangs bereits formuliert, dass es uns um die Verknüpfung von Gesundheit und Leistung geht, wollen diesen Zusammenhang allerdings noch etwas genauer anschauen. Denkbar wäre nämlich auch, dass die Leistung des Teams leidet, wenn eine Führungskraft sich stark um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter bemüht: Wer sich mit den Sorgen und Nöten der Mitarbeiter beschäftigt, tut womöglich etwas Gutes für deren Gesundheit, verliert allerdings Zeit um mit den Mitarbeitern über Leistungsziele und deren erfolgreiche Umsetzung zu sprechen. Womöglich resultieren dann sehr gesunde aber erfolglose Teams. Wie gut passen Gesundheits- und Leistungsorientierung zusammen? Spielt das Verhalten von Führungskräften für die Gesundheit der Mitarbeiter überhaupt eine Rolle? Wie stark ist der Einfluss des Führungsverhaltens auf die Gesundheit der Mitarbeiter? In zahlreichen Studien konnten Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten und Mitarbeitergesundheit gefunden werden. „Je besser Führungskompetenz und Vorgesetztenverhalten bewertet werden, desto höher ist die Arbeitszufriedenheit und umso geringer sind die gesundheitlichen Beschwerden.“ (Zok 2011, S. 27) Das Führungsverhalten scheint dabei eine ähnlich bedeutsame Rolle zu spielen, wie andere klassische Einflussfaktoren, zum Beispiel die Ernährung oder ausreichend Schlaf. Einige wenige Interventionsstudien stützen zudem die Annahme, dass das Führungsverhalten tatsächlich auf die Mitarbeitergesundheit ursächlich wirkt. Führung hat also für die Mitarbeitergesundheit Relevanz.

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Gleich vorneweg sei gesagt, dass es schwierig ist, exakt nachzuweisen, dass das Führungsverhalten die Ursache für Gesundheit oder Krankheit bei Beschäftigten ist. Um beispielsweise zweifelsfrei sagen zu können, dass das Verhalten einer Führungskraft die Ursache von Erkrankungen bei Mitarbeitern ist, müssten „echte“ Experimente in Unternehmen durchgeführt werden, die sich aus ethischer Perspektive verbieten. Ein „echtes“ Experiment könnte so aussehen, dass wir eine größere Anzahl an Führungskräften mit ihren Teams per Zufall auf zwei Gruppen aufteilen und den Führungskräften klare Instruktionen zu gesundem und ungesundem Führungsverhalten geben, um dann die Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter zu überprüfen, die diese Führungskräfte führen. So könnte man die Hypothese haben, dass ein Chef, der seine Mitarbeiter anschreit und öffentlich beleidigt, dadurch die Gesundheit negativ beeinflusst, während ein Chef, der das nicht tut und stattdessen seine Mitarbeiter für gute Leistungen lobt und sich für ihre Anliegen interessiert, die Gesundheit fördert. So könnten die Führungskräfte mit Blick auf unterschiedliche Verhaltensweisen Instruktionen erhalten und die Wirkungen ihres Verhaltens ließen sich durch dieses Experiment beobachten. Wahrscheinlich geht es den Beschäftigten, die von Führungskräften der ersten Gruppe geführt werden, nach einem halben Jahr schlechter, als den Mitarbeitern der anderen Gruppe. Womöglich entwickeln die einen auf längere Sicht psychosomatische Beschwerden und die anderen eher nicht. Ein solches Experiment wäre aus ethischer Sicht jedoch nicht vertretbar und es würde sich auch hoffentlich kein Unternehmen auf ein solches Experiment einlassen wollen. Das gilt für viele andere Forschungsfragen in ähnlicher Weise. Deshalb werden in Studien häufig Korrelationen untersucht. Es wird zum Beispiel untersucht, ob Führungskräfte, die gesundheitsförderliches Führungsverhalten zeigen, gesündere Mitarbeiter haben. Wir wissen dann, ob das eine mit dem anderen in Zusammenhang steht, ob also eine Korrelation vorhanden ist. Eine vorhandene Korrelation bedeutet dann, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt: je gesundheitsförderlicher eine Führungskraft führt, umso gesünder sind ihre Mitarbeiter. Korrelationen werden oft als schwach, moderat oder stark klassifiziert, je nachdem wie eng der Zusammenhang ist. Bei solchen korrelativen Studien lässt sich jedoch nicht abschließend feststellen, ob das Führungsverhalten tatsächlich die Ursache für mehr oder weniger Mitarbeitergesundheit ist, auch wenn es sehr plausibel erscheint. Es könnte auch sein, dass besonders gesunde Mitarbeiter als Vorbild für ihre Führungskräfte wirken und ihre Führungskräfte dazu bringen sich selbst gesünder zu verhalten und in der Folge wiederum auch anders, nämlich gesünder, zu führen. Dann wären also die gesunden Mitarbeiter die Ursache für gesunde Führung und nicht umgekehrt. Die Wirkrichtung könnte also auch genau in die andere Richtung gehen. Das mag uns unplausibel erscheinen, dennoch dürfen wir aus korrelativen Untersuchungen alleine nicht ableiten, dass das Führungsverhalten die Ursache für Mitarbeitergesundheit ist. Wir sollten dies eher als Hinweis, als Indiz verstehen und nicht als harten Beweis. Wir gehen deshalb so ausführlich darauf ein, weil die Ergebnisse von korrelativen Studien gerne als harter Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang überinterpretiert werden. Da müssen wir vorsichtig sein. Die Frage der Wirkrichtung ist beim Thema Führung und Gesundheit im Übrigen ein aktuelles Thema (z. B. Arnold 2017).

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

Neben korrelativen Studien lassen sich im Labor unter kontrollierten Bedingungen die Effekte von Führung auf das Wohlbefinden von Menschen untersuchen (z. B. Lyons und Schneider 2009). Aus solchen Experimenten können dann auch kausale Schlüsse gezogen werden. Es sind also Aussagen möglich, ob ein bestimmtes Führungsverhalten tatsächlich die Ursache zum Beispiel für das Befinden der Mitarbeiter ist. Experimente liefern nicht nur Hinweise, sondern klare Belege. Natürlich unterscheidet sich die Situation in einem Labor von der Situation in einem Unternehmen sehr deutlich, was wiederum die Übertragbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Auch durch methodisch gute Interventionsstudien in Unternehmen, in denen die Wirkung von Trainingsmaßnahmen getestet werden, lassen sich kausale Schlussfolgerungen ziehen. Leider gibt es davon sehr wenige. Insbesondere methodisch gute Interventionsstudien, in denen neben der Interventionsgruppe mit einer Kontrollgruppe gearbeitet wird und dann die Wirkungen auf die Gesundheit der Geführten, am besten in verschiedenen Zeitabständen nach der Intervention mit verschiedenen Erhebungsmethoden untersucht wird, werden leider sehr selten realisiert. Im besten Fall könnte in solchen Trainingsstudien gezeigt werden, dass sich durch das Training das Führungsverhalten der Führungskräfte nach dem Training in gewünschter Weise im Vergleich zu einer Kontrollgruppe verändert. In der Folge sollten diese Veränderungen im Führungsverhalten wiederum Veränderungen bei den Geführten bewirken, also zum Beispiel weniger Stresserleben oder weniger Krankheitstage, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe. Solche Studien sind komplex und aufwendig und werden nur sehr selten umgesetzt. Nachfolgend verweisen wir auf einige solcher Interventionsstudien. Die hier beschriebenen Einschränkungen bedeuten auch, dass wir mit Aussagen wie „Führungskräfte verursachen Krankheiten bei ihren Mitarbeitern“, „Führungskräfte tragen die Hauptverantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter“ sehr vorsichtig sein sollten. Durch den aktuellen Stand der Forschung sind diese Aussagen nicht belegbar. Solche pauschalen Aussagen führen schnell auf den Weg einfacher Patentrezepte, den wir bewusst vermeiden wollen, weil er der Komplexität von Gesundheit bei der Arbeit nicht gerecht werden würde. Es wäre völlig falsch die Verantwortung für die Mitarbeitergesundheit alleine auf den Schultern der direkten Führungskräfte abladen zu wollen. In ihrer Metaanalyse fassen Gregersen et al. (2011) die Ergebnisse aus 42 korrelativen Forschungsarbeiten, die hauptsächlich zwischen 1990 und 2009 veröffentlicht wurden, zusammen. In Metaanalysen werden die Befunde zahlreicher Studien zu einer bestimmten Fragestellung zusammenfassend ausgewertet und interpretiert, um einen Überblick zu einer Forschungsfrage zu gewinnen. Die Wissenschaftler kommen zu der folgenden wesentlichen Schlussfolgerung: > Es bestehen Zusammenhänge zwischen dem Führungsverhalten auf der

einen und der Arbeitszufriedenheit, dem Erschöpfungs- und allgemeinem Gesundheitszustand, dem Stresserleben sowie Fehlzeiten und Langzeitabwesenheiten auf der anderen Seite. Also ein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit. Auch das Aufkommen depressiver Symptome oder von Herzerkrankungen steht in Zusammenhang mit Führungsverhalten.

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Seltzer und Numerof (1988) berichten hohe Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten und Burn-out: je ausgeprägter die Mitarbeiterorientierung von Führungskräften, umso geringer die Werte der Mitarbeiter auf einer Skala zur Erfassung von Burn-out. Es liegen Studien vor, in denen ein Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und erhöhtem Herzinfarktrisiko aufgezeigt wird (z. B. Elovaionio et al. 2006; Kivimaki et al. 2003, 2005; Nyberg et al. 2009) oder zwischen Führungsverhalten und Alkoholmissbrauch (Bamberger und Bacharach 2006). Mitarbeiter, die mit dem Führungsverhalten ihrer Vorgesetzten unzufrieden sind und sich zum Beispiel ungerecht behandelt fühlen oder wenig Lob erfahren, berichten deutlich mehr Gesundheitsbeschwerden als Mitarbeiter, die mit dem Führungsverhalten zufrieden sind (Zok 2011). Eine große Anzahl an Einzelstudien und mehrere Metaanalysen lassen mittlerweile die Schlussfolgerung zu, dass bedeutsame Zusammenhänge zwischen dem Führungsverhalten und der Mitarbeitergesundheit bestehen (z. B. Horstmann und Remdisch 2016; Kelloway und Day 2005; Kuoppala et al. 2008; Montano et al. 2017; Skakon et al. 2010). Welche Rolle spielt dabei Führung im Vergleich zu anderen negativen Einflussfaktoren auf die Gesundheit? In mehreren Studien wurden negative Einflussfaktoren auf die Gesundheit vergleichend untersucht. Solche Einflussfaktoren werden auch als Stressoren bezeichnet, also Faktoren, die negatives Stresserleben hervorrufen können. Im Vergleich zu anderen möglichen Stressoren, wie zum Beispiel einer hohen Arbeitsauslastung, geringen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeit oder Rollenkonflikten spielt die Beziehung zur Führungskraft eine wichtige Rolle (Lobban et al. 1998). Dies zeigen auch Befunde von Gilbreath und Benson (2004), die dem Führungsverhalten einen substanziellen, eigenständigen Beitrag zur Mitarbeitergesundheit zubilligen. In ihrer Studie wurde das psychische Wohlbefinden als Ergebnisvariable erfasst und verschiedene potenzielle Einflussfaktoren wie Alter, gesunder Lebensstil, Unterstützung von Kollegen, familiäre Unterstützung, kritische Lebensereignisse und kritische, berufliche Ereignisse. > Die Wissenschaftler finden einen ähnlich hohen Zusammenhang zwischen

Führung und Mitarbeitergesundheit, wie zwischen einem gesunden Lebensstil (z. B. ausreichend Schlaf, gesunde Ernährung, sportliche Aktivitäten) und der Mitarbeitergesundheit. Ein sehr beachtliches Ergebnis, weil wir womöglich intuitiv annehmen würden, dass der Zusammenhang zwischen einer gesunden Lebensweise und Gesundheitsvariablen doch deutlich höher sein sollte, als der Zusammenhang zwischen Führung und Gesundheit.

Ist die Führungskraft für die Mitarbeitergesundheit also genauso wichtig, wie gesunde Ernährung und Sport? Auch Westerlund et al. (2010) konnten zeigen, dass nicht nur signifikante Zusammenhänge zwischen klassischen Einflussfaktoren der Mitarbeitergesundheit, wie Anforderungen (z. B. Arbeitsauslastung, Zeitdruck), Gestaltungsmöglichkeiten, soziale Unterstützung auf der einen Seite und dem Stresserleben, dem selbst eingeschätzten Gesundheitszustand und Krankheitstagen auf der anderen Seite bestehen, sondern dass, unabhängig von diesen Faktoren, ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Führungsverhalten und den Gesundheitsvariablen existiert.

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

Vielleicht überraschen Sie diese Befunde. Sie sind ein deutlicher Hinweis für die Relevanz von Führung. Allerdings sollte der Zusammenhang von Führung und Mitarbeitergesundheit auch nicht überbewertet werden. So gibt es auch einzelne Studien, in denen kein Zusammenhang zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit gefunden werden konnte (Nyberg et al. 2005). Franke und Felfe (2011) berichten einen moderaten Zusammenhang zwischen gesundheitsförderlichem Führungsverhalten und gesundheitsförderlichem Verhalten der Mitarbeiter sowie einen eher geringen Zusammenhang zwischen gesundheitsförderlichem Führungsverhalten und der Gesundheit der Mitarbeiter nach einer Zeitspanne von 4 Monaten. > Zwingmann, Wegge, Wolf, Rudolf, Schmidt und Richter, 2013, untersuchten in

einer groß angelegten Studie mit etwa 90.000 Teilnehmern in 16 verschiedenen Ländern den Zusammenhang von verschiedenen Führungskonzepten mit der Mitarbeitergesundheit und fanden schwache bis mittlere Zusammenhänge.

Wie bereits ausführlich angesprochen, können diese korrelativen Studien als Hinweis für einen möglichen realen Zusammenhang zwischen Führung und Mitarbeitergesundheit gewertet werden, ohne als harter Beleg dienen zu können. Mehr Aufschluss können Interventionsstudien geben. Die Ergebnisse aus Interventionsstudien, in denen Führungskräfte trainiert wurden, legen die Schlussfolgerung nahe, dass Führungskräfte durch Trainings ihr Führungsverhalten verändern können und dies von den Mitarbeitern auch wahrgenommen wird (z. B. Greenberg 2006; Mullen und Kelloway 2009; Weber und Kelloway 1996; Zohar 2002). Beides ist eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt Effekte bei Gesundheitsvariablen der Mitarbeiter erzielen zu können. Zohar konnte einen deutlichen Anstieg von Interaktionen, bei denen es um Arbeitssicherheit ging, zwischen Führungskräften und deren Mitarbeitern nachweisen, wenn die Führungskräfte wöchentlich Feedback zu ihren Arbeitssicherheitsinterkationen mit ihren Mitarbeitern erhielten. Dieser Feedbackprozess in Verbindung mit Aussagen zur hohen Bedeutung von Arbeitssicherheit durch höhere Führungsebenen führte zu deutlichen Verbesserungen im Verhalten der Führungskräfte. Solche Veränderungen im Führungsverhalten haben dann wiederum Auswirkungen auf verschiedene Gesundheitsvariablen bei der Arbeit, zum Beispiel auf die Häufigkeit von Unfällen, das Tragen von Gehörschutz (Kelloway und Barling 2010; Zohar 2002) oder auf das Stresserleben der Mitarbeiter (Greenberg 2006; Tsutsumi et al. 2005). Solche Interventionsstudien können, wenn sie methodisch gut umgesetzt werden, als Beleg für die Wirkung von Führungsverhalten auf die Mitarbeitergesundheit gewertet werden. In der Studie von Greenberg (2006) wurden Führungskräfte darin trainiert mit ihren Mitarbeitern möglichst fair, ehrlich, wertschätzend und unterstützend umzugehen. Dies beinhaltete sich Zeit für die Anliegen und Sorgen der Mitarbeiter zu nehmen, Hintergründe von Entscheidungen zu erläutern und Verständnis bei Unzufriedenheit zu zeigen. Solche Verhaltensweisen können auch unter dem Begriff wertschätzende Führung subsummiert werden. Wertschätzendes Führungsverhalten kann eine wichtige Quelle für emotionale (z. B. Verständnis für eine kritische Situation) aber auch ganz praktische (z. B. ein hilfreicher Rat) soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten sein.

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> In der Studie von Greenberg hatte das Verhalten der Führungskräfte

Auswirkungen auf das Auftreten von Schlafstörungen. Mitarbeiter von trainierten Führungskräften erlebten angesichts einer, die gesamte Organisation betreffenden Gehaltskürzung, weniger Stress (erfasst über das Auftreten von Schlafstörungen), als Mitarbeiter von untrainierten Führungskräften.

Theorell et al. (2001) konnten zeigen, dass ein Führungskräftetraining bei den geführten Mitarbeitern im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zu einem reduzierten Cortisolspiegel, als möglichem Stressindikator, führte. Die Mitarbeiter erlebten anscheinend weniger negativen Stress, was sich in einem niedrigeren Cortisolspiegel zeigt. Das Training erstreckte sich über ein Jahr mit zweistündigen Trainingseinheiten alle zwei Wochen. Ebenfalls eine Studie, die die Annahme eines kausalen Zusammenhangs von Führungsverhalten zu Mitarbeitergesundheit stützt. Es liegen jedoch auch Studien vor, in denen keine Effekte von Führungskräftetrainings auf das Befinden der Mitarbeiter nachgewiesen werden konnten. So finden zum Beispiel Elo, Kuosma, Mattila-Holappa (2014) keine Auswirkungen eines allgemeinen Führungskräftetrainings auf verschiedene Stresssymptome bei den Beschäftigten. In dieser Studie nahmen die Mitarbeiter auch keine Veränderung im Führungsverhalten wahr. Das Training verbesserte den Informationsfluss in den betroffenen Organisationseinheiten, ansonsten konnten keine Verbesserungen festgestellt werden. Nishiuchi et al. (2007) konnten 6 Monate nach einem Führungskräftetraining keine erwartungskonformen Unterschiede im Verhalten von Führungskräften zwischen trainierten und untrainierten Führungskräften aufzeigen. Kawakami et al. (2005) fanden keine Auswirkungen eines Online-Führungskräftetrainings auf das Stresserleben der Mitarbeiter. Auch die Forschungsergebnisse von Takao et al. (2006) sprechen eher gegen die Wirksamkeit eines Führungskräftetrainings mit Blick auf das Stresserleben der geführten Mitarbeiter. > Die Befundlage bei Interventionsstudien ist somit nicht eindeutig. Das muss nicht

verwundern, da die Wirkung von Trainings abhängig von der Zielgruppe, der Didaktik, den Inhalten etc. ist. Auch kulturelle Unterschiede mögen relevant sein. Die Annahme, dass ein Führungskräftetraining sich generell auf die Mitarbeitergesundheit auswirken wird, konnte also nicht belegt werden. Wir können jedoch vorsichtig die Schlussfolgerung ziehen, dass gerade die Bemühung um einen wertschätzenden, ehrlichen und fairen Umgang zwischen Führungskraft und Mitarbeiter vielversprechend zu sein scheint (Greenberg 2006). Darüber hinaus scheinen Interventionen vor allem dann zu wirken, wenn sie den Führungskräften fortlaufendes Feedback zu ihrem Führungsverhalten ermöglichen (Zohar 2002) oder langfristig über ein Jahr hinweg angelegt sind (Theorell et al. 2001). Insbesondere die drei genannten Studien können als Belege dienen, dass Führungskräfte Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter nehmen können.

Es sind weitere methodisch gute Interventionsstudien notwendig, um diese Annahme zu erhärten, beziehungsweise weiter zu differenzieren. Es ist wahrscheinlich, dass es auf die Gestaltung des Führungskräftetrainings und auch auf die untersuchten Ergebnisvariablen mit ankommt. Auch die Stärke der Wirkung kann auf der Basis der wenigen Studien (noch) nicht fundiert bewertet werden.

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

Wie sollten Führungskräfte „führen“, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern?

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Wertschätzung, individuelle Förderung, Unterstützung bei beruflichen und persönlichen Problemen, Einbindung in Entscheidungen, Gestaltung von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, Fairness, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit beschreiben als Eigenschaften und Verhaltensweisen sehr gut, was gesunde Führung im Kern bedeutet. Solche Eigenschaften und Verhaltensweisen beschreiben gute Führung ganz grundlegend. Ergänzend wird in der Forschung gesundheitsspezifisches Führungsverhalten beschrieben, wie beispielsweise die Unterstützung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements oder das eigene Gesundheitsverhalten als Führungskraft. Die Führungskraft spielt in ihrer Vorbildfunktion und als Gestalter von Arbeitsbedingungen und des Gesundheitsklimas im Team eine wichtige Rolle für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Auch schädliches Führungsverhalten, wie abfällige Kommentare, sind in der Forschung gut beschrieben und in ihrer Wirkung untersucht.

Aus bisherigen Forschungsarbeiten lässt sich zunächst ableiten, welche Art von Führung mit geringerem Wohlbefinden und Krankheitsindikatoren, wie zum Beispiel Fehlzeiten, einhergeht (z. B. Gregersen et al. 2011; Zok 2011; Kivimaki et al. 2003; Tepper 2000, 2007; Zwingmann et al. 2014). Gesundheitsschädliches Führungsverhalten 5 beleidigendes Führungsverhalten zeigen (z. B. abfällige Kommentare zu Beiträgen eines Kollegen in einer Teambesprechung: „Das ist doch völlig falsch. Das zeigt, dass Sie das überhaupt nicht begriffen haben.“) 5 Mitarbeiter in der Gruppe lächerlich machen (z. B. Schwächen stark abwertend in den Fokus stellen: „Das weiß doch jedes Kind, wie das geht.“) 5 Einen Mitarbeiter für Fehler verantwortlich machen, die er nicht zu vertreten hat (z. B. durch einen IT-Ausfall konnten Aufgaben nicht fristgerecht abgeschlossen werden) 5 Ungeduld zeigen (z. B. kurz vor dem Arbeitsende noch die Erledigung einer Aufgabe verlangen, die eigentlich bis zum nächsten Tag noch warten könnte) 5 Anmerkungen, bzw. Meinungsverschiedenheiten persönlich nehmen (z. B. auf Kritik gereizt reagieren: „Ich weiß wirklich nicht, was ich da hätte anders machen können.“) 5 schlechtes Konfliktmanagement bei Meinungsverschiedenheiten (z. B. Konflikte werden unter den Tisch gekehrt) 5 Druck ausüben (z. B. verbal Druck erzeugen: „Ich möchte, dass das bis morgen Abend erledigt ist. Wie Sie das schaffen ist mir völlig egal.“) 5 übermäßig, beziehungsweise ungerechtfertigt, kontrollieren (z. B. die Mitarbeiter als ritualisierten Punkt in Personalgesprächen danach fragen, ob ihre Kollegen die Arbeitszeiten einhalten) 5 Ungerechtes Führungsverhalten an den Tag legen (z. B. Beförderungen aufgrund von Sympathie und nicht anhand von Eignungskriterien) 5 sich „laissez-faire“ verhalten: sich also als Führungskraft nicht kümmern, nicht führen

25 Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

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Diese Aufzählung ist sicher nicht vollständig, fasst jedoch zentrale Ergebnisse von Einzelstudien sowie Metaanalysen der letzten Jahre zusammen. Führungskräfte können in diesem Sinne ein Stressor, beziehungsweise ein Risikofaktor, für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter sein. Vielleicht haben Sie selbst solche Verhaltensweisen von Ihrer eigenen Führungskraft schon erlebt oder erwischen sich selbst als Führungskraft manchmal dabei? Natürlich stellt sich die Frage, was nun genau unter beleidigendem Führungsverhalten, Ungeduld des Vorgesetzten oder schlechtem Konfliktmanagement etc. verstanden werden kann. Sicher hat jeder Mitarbeiter hierzu ganz persönliche Sichtweisen, die von den Sichtweisen der jeweiligen Führungskräfte abweichen können. Kaum eine Führungskraft beabsichtigt andere zu beleidigen oder unter Druck zu setzen oder schlecht mit Konflikten umzugehen. Ja, es gibt womöglich noch Führungskräfte die offen die Ansicht vertreten: „Da muss ich mal drauf schlagen. Da muss ich mal richtig Dampf machen.“ Wir erleben das in unserer Arbeit mit Führungskräften allerdings immer weniger. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Führungskräfte wollen aus unserer Sicht nicht beleidigen oder lächerlich machen etc. Trotzdem wird dies teilweise von den Mitarbeitern so erlebt. Umso wichtiger ist es, sich differenziert mit der Wirkung des eigenen Führungsverhaltens bei verschiedenen Mitarbeitern in unterschiedlichen Kontexten zu beschäftigen. > Zwischen Selbst- und Fremdbild kann es große Differenzen geben. Vieles

ist von Führungskräften nicht „so gemeint“, was bei Mitarbeitern kritisch wahrgenommen wird, wobei es mit Blick auf eine Führungskraft auch ganz unterschiedliche Fremdbilder geben kann. Als Führungskräfte darf uns das neugierig darauf machen, wie wir von anderen wahrgenommen werden, wie wir auf andere wirken.

Einfache Aufzählungen zu gutem oder schlechtem Führungsverhalten können ein erster Ansatzpunkt sein, sind aber doch nur begrenzt hilfreich. Die Wirkungen des eigenen Führungsverhaltens zu beobachten und sich Feedback aus verschiedenen Quellen einzuholen ist für gute Führung elementar. Ohne Selbstreflexion und das Einholen unterschiedlicher Sichtweisen von außen geht es nicht. Die dargestellten Aufzählungen sind sehr allgemein und sehr vage. Für einen ersten Überblick über förderliches und schädliches Führungsverhalten sollen uns diese Auflistungen jedoch genügen. Wir werden in den folgenden Kapiteln auf die Frage, was eine Führungskraft konkret tun kann genauer eingehen. Fallbeispiel Vorweg sei gesagt, dass auch scheinbar wenig relevante Verhaltensweisen in der Wahrnehmung der Geführten einen großen Unterschied erzeugen können: eine Führungskraft gratuliert einem Mitarbeiter nicht zu seinem Geburtstag, eine Führungskraft erkundigt sich nach einigen Krankheitstagen nicht nach dem Befinden des Mitarbeiters, eine Führungskraft holt sich bei Entscheidungen keinen Rat von erfahrenen Kollegen im Team ein, eine Führungskraft trifft Entscheidungen, ohne diese mit dem verantwortlichen Projektleiter abzustimmen. Bei diesen Beispielen wird niemand angeschrien,

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

öffentlich kritisiert oder aufgrund seines Geschlechts diskriminiert, dennoch können solche Verhaltensweisen erhebliche Wirkung auf das Teamklima und das Befinden der Mitarbeiter haben.

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In der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften haben wir die Erfahrung gemacht, dass dies oft unterschätzt wird. Immer wieder stellen wir fest, dass Führungskräfte überrascht sind, wie bestimmte Verhaltensweisen von ihren Mitarbeitern wahrgenommen werden. Führungskräfte scheinen vor allem dann die Mitarbeitergesundheit positiv zu beeinflussen, wenn sie sich um die folgenden Ansatzpunkte bemühen. Auch hier ließen sich noch Ergänzungen vornehmen (z. B. Gregersen et al.; Felfe 2006; Zwingmann et al. 2013). Gesundheitsförderliches Führungsverhalten 5 Mitarbeiter unterstützen (z. B. Mitarbeiter beraten, fördern; Ansprechpartner bei beruflichen oder privaten Problemen sein) 5 Interesse am Wohlbefinden der Mitarbeiter zeigen (z. B. Nachfragen nach Krankheitstagen: „Wie geht es Ihnen? Konnten Sie sich gut auskurieren?“) 5 Informationen umfassend und schnell zur Verfügung stellen (z. B. Mitarbeiter unmittelbar über Entscheidungen der Geschäftsleitung informieren, die seine Arbeit betreffen) 5 Partizipationsmöglichkeiten schaffen (z. B. Mitarbeiter werden an Entscheidungen beteiligt) 5 Handlungs- und Entscheidungsspielräume ermöglichen (z. B. seinen Arbeitstag selbstständig einteilen zu können, innerhalb eines gewissen Budgets Entscheidungen treffen können) 5 Materielle und immaterielle Anerkennung zeigen 5 Wertschätzung vermitteln (z. B. die Meinung eines Mitarbeiters einholen) 5 sich um Fairness bemühen (z. B. Leistungsprämien anhand nachvollziehbarer Kriterien) 5 sich um Ehrlichkeit bemühen (z. B. realistische Aussagen zu Karriereperspektiven machen) 5 Entwicklungsmöglichkeiten besprechen und den Mitarbeiter in seiner Entwicklung fördern 5 Rollenklarheit schaffen (z. B. Klärung, welche Aufgaben, Entscheidungsmöglichkeiten und Abstimmungsrituale mit Vorgesetzten zu einer bestimmten Stelle gehören) 5 Sinnhaftigkeit der Arbeit im Blick haben (z. B. dafür Sorge tragen, dass Mitarbeiter nicht für den Papierkorb arbeiten) 5 Vision und Ziele entwickeln; begeisternd über die Vision und Ziele und die damit verbundenen Aufgaben sprechen 5 Bereitschaft als Führungskraft zeigen, eigene Interessen hinter die Interessen des Teams zu stellen (z. B. als Führungskraft seinen Urlaub nicht in Arbeitshochphasen des Teams legen)

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Diese Aufzählung kann eine erste Orientierung für gesunde Führung sein. Im besten Fall sind Ihnen diese Schlagworte gut vertraut – sei es weil es Ihre eigene Führungskraft so vorlebt, weil Sie sich selbst dazu schon Gedanken gemacht haben oder durch Trainings oder Bücher dazu Anregungen erhalten haben. Vieles machen wir als Führungskräfte sicher auch intuitiv richtig. Viele dieser Verhaltensweisen können unter dem Oberbegriff „Mitarbeiterorientierung“ (z. B. Unterstützung der Mitarbeiter, Interesse am Wohlbefinden der Mitarbeiter zeigen) oder „transformationale Führung“ (z. B. geteilte Vision und Ziele, begeisternd über die Ziele und die damit verbundenen Aufgaben sprechen, Hilfestellungen geben, Probleme aus anderen Blickwinkeln zu betrachten) zusammengefasst werden. Das sind zwei, seit Jahrzehnten, sehr bedeutsame Führungskonzepte (z. B. Rowold und Heinitz 2008), die eine wichtige Grundlage für die Gestaltung guter Führung im Allgemeinen und von gesunder Führung im Besonderen darstellen (Arnold 2017; Rowold und Heinitz 2008; Zwingmann et al. 2013). Beide Führungskonzepte haben auch gewisse inhaltliche Überschneidungsbereiche, insbesondere die individuelle Unterstützung der Mitarbeiter. Fallbeispiel Führungskräfte können also auf der einen Seite ein Stressor für ihre Mitarbeiter sein und auf der anderen Seite eine Ressource. Das heißt nun nicht, dass eine bestimmte Führungskraft für einen Mitarbeiter immer als Stressor oder Ressource fungiert. Das kann auch bedeuten, dass ein Mitarbeiter seine Führungskraft in einer bestimmten Situation als Stressor erlebt und in einer anderen Situation als Ressource. Eine Mitarbeiterin wird beispielsweise in einer Teambesprechung am Vormittag für besondere Leistungen gelobt, was sie als sehr positiv empfindet: „Martina, die Präsentation für den Kunden Müller hast du sehr gut vorbereitet und umgesetzt. Ohne deine gute Vorbereitung, hätten wir den Auftrag wohl nicht bekommen. Vielen Dank für deine Arbeit bei diesem Projekt.“ In diesem Fall fungiert die Führungskraft als Ressource. Die Mitarbeiterin erlebt Wertschätzung für ihre Arbeit. Am Nachmittag lässt die Führungskraft die Mitarbeiterin in einer Abstimmung nicht zu Wort kommen, was die Mitarbeiterin als kränkend erlebt. Hier fungiert die Führungskraft als Stressor für seine Mitarbeiterin. Ein weiteres Beispiel könnte sein, dass eine Führungskraft einen Mitarbeiter im Außendienst für 3 Tage am Stück begleitet um ein besseres Verständnis für die tägliche Arbeit des Mitarbeiters und dessen Kunden zu entwickeln. Auf der einen Seite mag der Mitarbeiter seine Führungskraft als Stressor erleben, da er sich unter Beobachtung fühlt. Auf der anderen Seite kann die Begleitung eine wichtige Ressource sein, wenn der Mitarbeiter konkretes Feedback erhält und sich beide zukünftig besser zu den Kunden austauschen können.

Führungskräfte scheinen mit ihrem Verhalten sowohl direkt auf die Gesundheit der Mitarbeiter Einfluss nehmen zu können, als auch indirekt z. B. über die Gestaltung von Arbeitsbedingungen oder die Schaffung von Rollenklarheit (Gregersen et al. 2011; Zok 2011). Die Art und Weise, wie Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern umgehen, die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Vorbildfunktion von Führungskräften werden bei Franke und Felfe (2011) als drei wichtige Ansatzpunkte beschrieben, um als Führungskraft einen Beitrag zur Mitarbeitergesundheit zu leisten. Ergänzend

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

kommt als vierter Aspekt hinzu, inwieweit Führungskräfte übergeordnete Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung in ihrem Verantwortungsbereich unterstützen (Stilijanow und Bock 2013) und als weiteren Ansatzpunkt ein Klima der Gesundheitsorientierung in ihrem Team schaffen, in dem sie zum Beispiel gemeinsam mit den Mitarbeitern überlegen, wie Pausen gesundheitsförderlich gestaltet werden können (Wegge et al. 2014). Grundlegende Fragen zu meinem Führungsverhalten 5 Wie kommuniziere ich als Führungskraft mit meinen Mitarbeitern? Wie stark ist die Art der Kommunikation von Wertschätzung, Beteiligungsmöglichkeiten, Unterstützung und Fairness geprägt? 5 Wie gesundheitsförderlich sind die Arbeitsbedingungen (z. B. die Arbeitsauslastung, Arbeitsplatzergonomie, Einhaltung von maximalen Arbeitszeiten sowie von Pausen- und Ruhezeiten) und was kann dazu mein Beitrag als Führungskraft sein? 5 Was unternehme ich selbst, um meine Gesundheit zu erhalten und zu verbessern (z. B. Sicherheitsvorschriften beachten, den eigenen Arbeitsplatz ergonomisch passend einrichten, Sport treiben, medizinische Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen)? 5 Wie aktiv unterstütze ich Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung (z. B. mein Team über Ergebnisse von Gefährdungsbeurteilungen, die in der Regel von den Fachkräften für Arbeitssicherheit durchgeführt werden, informieren und gegebenenfalls mit dem Team Maßnahmen daraus ableiten und evaluieren; über Gesundheitsangebote des Unternehmens auf Teambesprechungen informieren; regelmäßig auf Sicherheitsvorschriften hinweisen)? 5 Wie stark ist Gesundheitsorientierung ein Teil unserer gemeinsamen Werte im Team? Wie fördere ich das als Führungskraft? (z. B. sportliche Teamausflüge, gemeinsames Laufen in der Mittagspause, positives Sprechen über Sicherheitsvorschriften)

Wer sich intensiv mit diesen Fragen beschäftigt und Ansatzpunkte für seine tägliche Führungsarbeit daraus ableitet, kann damit schon ein gutes Stück auf dem Weg zu mehr gesunder Führung vorwärtskommen. Womöglich ist es für Sie auch hilfreich, sich zunächst mit diesen Fragen ausführlicher zu beschäftigen und erste Schritte umzusetzen, bevor Sie weiter in das Thema einsteigen. Aus unserer Sicht müssen Sie keine Trainings besuchen und unser Buch bis ins Detail durcharbeiten, um gesund führen zu können, auch wenn dies hoffentlich hilfreich ist. Es kann ein guter und womöglich auch ausreichender Ansatz sein, sich mit den hier skizzierten Themenbereichen auseinanderzusetzen. In unserem Buch gehen wir auf diese Themenbereiche genauer ein, wobei wir Angebote des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, Aspekte der Gefährdungsbeurteilung und weitere Arbeitssicherheitsaspekte weitgehend ausklammern. Auch da spielen Führungskräfte eine Rolle, beispielsweise bei der Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen aus Gefährdungsbeurteilungen oder der

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Durchführung von Sicherheitsunterweisungen. Gerade die psychische Gefährdungsbeurteilung kann sehr wertvoll für die Gestaltung gesunder Führung sein. Solche Instrumente und Angebote werden in der Regel stark durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Betriebsarzt und Abteilungen für Gesundheitsmanagement gestaltet. Da unser Fokus auf der einzelnen Führungskraft liegt, blenden wir solche Instrumente eher aus. Mit Blick auf die genannten Forschungsbefunde lassen sich also eine Reihe von Ansatzpunkten für gesunde Führung identifizieren. Wir wollen noch etwas genauer auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und die Vorbildwirkung von Führungskräften eingehen. Aus entsprechend gestalteten Mitarbeiterbefragungen lässt sich ableiten, welche Stressoren Beschäftigte bei ihrer Arbeit erleben. Bei der Analyse von Befragungen mit mehr als 28.000 Beschäftigen in etwa 150 Betrieben kommt Zok (2011) zu dem Schluss, dass zu den Belastungsfaktoren mit der größten Relevanz eine Reihe von Faktoren zählen, die Arbeitsbedingungen beschreiben, die zumindest zum Teil durch Führungskräfte beeinflusst werden können: Termin- und Leistungsdruck, Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit, hohes Arbeitstempo, zu große Arbeitsmengen (Zok 2011, S. 29). > Aus unserer Sicht ist immer zu bedenken, dass Führungskräfte mit ihrem

Verhalten nicht nur direkt Wirkungen bei ihren Mitarbeitern erzeugen, insbesondere durch die Art ihrer Kommunikation, sondern oft auch indirekt durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Beide Wege sind bei der Förderung gesundheitsförderlicher Führung zu beachten.

Fallbeispiel Nehmen wir beispielsweise eine Führungskraft, die Abstimmungen mit ihren Mitarbeitern häufig auf die Mittagspause legt und so dazu beiträgt, dass die Mitarbeiter keine Mittagspause machen. Oder eine Führungskraft, die trotz sehr starker Auslastung ihres Teams unreflektiert neue Aufgaben von außen für das Team annimmt, ohne sich damit zu beschäftigen, wie die Aufgaben bewältigt werden können. Oder eine Führungskraft, die, obwohl anders möglich, festlegt, dass alle Mitarbeiter um 7:30 Uhr mit der Arbeit beginnen müssen, was für einige Mitarbeiter mit langem Anfahrtsweg als belastend erlebt wird. Oder eine Führungskraft, die sich nicht um Verbesserungen bei belastenden Faktoren, wie Lärm oder Hitze im Arbeitsbereich kümmert. In all diesen Beispielen beeinflusst die Führungskraft über die Gestaltung von Arbeitsbedingungen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Sie mag noch so wertschätzend kommunizieren, die hier beschriebene Gestaltung der Arbeitsbedingungen wird ungünstige Wirkungen erzeugen. In der Praxis ist es durchaus möglich, dass Führungskräfte in ihrer Kommunikation gesundheitsförderlich führen und gleichzeitig kritische Arbeitsbedingungen gestalten.

Die Bedeutung der Vorbildfunktion von Führungskräften wird bei Franke und Felfe (2011) besonders herausgestellt. Sie gehen von einem Übertragungseffekt dergestalt aus, dass Führungskräfte, die sich nicht um ihre eigene Gesundheit kümmern, dies auch nicht bei ihren Mitarbeitern tun. Bisherige Forschungsbefunde stützen diese These (Franke und Felfe 2011, S. 9): „Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse für

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

einen deutlichen Zusammenhang zwischen gesundheitsbewusster Selbstführung und Mitarbeiterführung.“ > Wer als Führungskraft Stressoren und deren Auswirkungen bei sich selbst nicht

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wahrnimmt, beziehungsweise notwendige Verhaltensänderungen bei sich selbst nicht angeht, wird wahrscheinlich auch bei seinen Mitarbeitern Belastungen und deren Folgen nicht hinreichend ernst nehmen.

Darüber hinaus wird den Mitarbeitern vermittelt, dass die Erhaltung und Förderung der Gesundheit nicht besonders wichtig ist, vielleicht sogar erwartet wird, die eigene Gesundheit zu gefährden, wenn die Führungskraft dies vorlebt. Verschiedene Komponenten der Vorbildfunktion als Führungskraft 5 Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen (z. B. das Tragen von Sicherheitsschuhen in bestimmten Bereichen) und anderen gesetzlichen Vorgaben (z. B. Einhaltung von Pausenzeiten gemäß Arbeitszeitgesetz) 5 Wahrnehmung von Stressoren und deren Folgen und damit verbundene Ableitung von Maßnahmen 5 Nutzung von Gesundheitsangeboten (z. B. Vorsorgeuntersuchungen) 5 Ernährungsverhalten 5 Bewegungsverhalten 5 Aktivitäten zur Regeneration 5 Angemessener Konsum von potenziell gefährdenden Substanzen (z. B. Alkohol)

Fallbeispiel Stellen Sie sich beispielsweise eine Führungskraft vor, die selbst keine Pausen macht, Urlaubstage verfallen lässt, nach langen Arbeitstagen beim Kunden spät in der Nacht noch nach Hause fährt und am nächsten Tag dann wieder um 6 Uhr startet. Eine Führungskraft, die trotz Fieber zur Arbeit kommt, sich überwiegend von Süßigkeiten ernährt und bei Betriebsfeiern durch extremen Alkoholkonsum auffällt. Solche Verhaltensweisen sind in der Praxis beobachtbar und womöglich fühlen Sie sich auch selbst vom ein oder anderen Punkt betroffen. Aus dieser Betroffenheit heraus, sind Veränderungen möglich.

Hierbei sind insbesondere auch Widersprüche zwischen Aussagen und tatsächlichem Verhalten von Führungskräften relevant (Franke und Felfe 2011). Eine Führungskraft, die beispielsweise ihre Mitarbeiter auffordert, bei Krankheit zu Hause zu bleiben und selbst krank zur Arbeit kommt, wird wahrscheinlich als wenig glaubwürdig wahrgenommen und die Mitarbeiter werden sich wahrscheinlich eher an ihrem Verhalten, als an ihren Aussagen orientieren. In den letzten Jahren hat eine noch intensivere Beschäftigung mit dem Thema Führung und Gesundheit seitens der Forschung stattgefunden, so beschäftigen sich zum Beispiel Franke und Felfe (2011); Vincent (2011) oder auch Gurt et al. (2011) mit der möglichst präzisen Beschreibung, Erfassung und Untersuchung von gesundheitsspezifischer Führung.

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Verschiedene Facetten gesundheitsspezifischer Führung 5 Gesundheitsthemen werden durch die Führungskraft angesprochen 5 die Wichtigkeit von gesundheitsförderlichem Verhalten wird durch die Führungskraft betont 5 die Führungskraft zeigt selbst gesundheitsförderliches Verhalten 5 Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements werden von der Führungskraft aktiv unterstützt

Einige spezifische Anregungen zur Gestaltung von gesundheitsförderlicher Führung finden sich zum Beispiel auch in einem Fragenkatalog bei Wilde et al. (2009). Wir beziehen uns bei unseren Empfehlungen auch auf solche Arbeiten zu gesundheitsspezifischer Führung, gehen jedoch von der Annahme aus, dass Führungskräfte durch vielfältige Verhaltensweisen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter beeinflussen, zum Beispiel durch die faire Anerkennung guter Leistung und deshalb aus vielen Theorien und Forschungssträngen wertvolle Anregungen für gesunde Führung gewonnen werden können. Welche wissenschaftlichen Modelle und Forschungsstränge können als Grundlage für gesundheitsförderliche Führung dienen? Es gibt eine ganze Reihe an wissenschaftlichen Modellen und damit verbundenen Forschungsstränge, die für die Gewinnung konkreter Anregungen für die Praxis herangezogen werden können. In den einzelnen Kapiteln stellen wir jeweils spezifische wissenschaftliche Hintergründe dar. Als grundlegendes Modell nutzen wir die Annahme von vier menschlichen Grundbedürfnissen: soziales Bedürfnis, Kontrollbedürfnis, Bedürfnis nach Leistung, Bedürfnis unseren Selbstwert zu erhalten und zu erhöhen. Gesundes Führungsverhalten berücksichtigt diese vier Grundbedürfnisse.

Wenn wir der Frage nachgehen wollen, wie Führung gesundheitsförderlich gestaltet werden kann, dann bieten sich ganz grundlegende menschliche Bedürfnisse als Ausgangspunkt der Überlegungen an (z. B. Eilles-Matthiessen und Scherer 2011). Wir Menschen haben grundlegende Bedürfnisse, die für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit wichtig sind. Die Erfüllung dieser Bedürfnisse wird im Arbeitskontext von Führungskräften beeinflusst. Neben unmittelbar physischen Bedürfnissen (z. B. nach Wasser und Nahrung) spielen dabei gerade auch psychische Bedürfnisse eine wichtige Rolle. Wenn Menschen arbeiten, dann geht es nicht nur darum seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, wenngleich dies natürlich sehr wichtig ist. Über materielle Bedürfnisse hinaus, sind andere Bedürfnisse ganz wesentlich. Sicher sind diese bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Was für eine Person ganz hohe Bedeutung hat, kann für einen anderen weniger wichtig sein. Eine gewisse Relevanz haben diese grundlegenden Bedürfnisse jedoch bei allen Menschen. Sie sind universell und evolutionär bedingt.

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

Soziales Bedürfnis > Wir sind soziale Wesen und die Quantität und Qualität unserer Beziehungen ist

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für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit relevant. Das Bedürfnis nach Bindung ist für uns Menschen ganz grundlegend. Wir wollen Teil einer Gruppe sein, positive Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen und pflegen. Wird dieses Bedürfnis verletzt, z. B. durch Ausgrenzung aus einem Team, so kann das nicht nur zu Kränkungen, Wut und Traurigkeit führen, sondern im schlimmsten Fall auch zu psychischen und körperlichen Erkrankungen.

Führungskräfte können neben den Kolleginnen und Kollegen im Team eine wichtige Quelle für soziale Unterstützung für einen Mitarbeiter sein (Gregersen et al.). Krankheitssymptome sind dann besonders stark ausgeprägt, wenn ein Mitarbeiter weder von seinen Kollegen noch von seiner Führungskraft soziale Unterstützung erfährt (Oxenstierna et al. 2005). Wenn Mitarbeiter von ihren Kollegen sozial ausgeschlossen werden, bei ihrer Arbeit behindert werden, lächerlich gemacht werden, bedroht werden, diskriminiert werden, dann steht diese Form von sozialem Stress in hohem Zusammenhang zu psychischen und physischen Beschwerden (Dehue et al. 2012). Es gibt Hinweise, dass extrem erlebter sozialer Stress durch Kollegen sogar mit Suizid assoziiert ist (Leymann und Niedl 1994; Popma 2005). Die Gestaltung positiver sozialer Beziehungen bei der Arbeit ist vor diesem Hintergrund sicher kein Randthema, sondern für die Mitarbeitergesundheit elementar. Die Bedeutung der sozialen Unterstützung durch Führungskräfte unterstreicht Stilijanow (2013, S. 123): „Mitarbeiter, die angeben, häufig unterstützt zu werden, berichten deutlich weniger gesundheitliche Beschwerden als Mitarbeiter, die manchmal, selten oder nie Unterstützung erhalten.“ Die Bedeutung von sozialen Beziehungen für die Gesundheit wurde in der Arbeitswelt schon vor Jahrzehnten untersucht (z. B. Boumans und Lnadeweerd 1992; Ganster et al. 1986). Schon in den 80iger Jahren wurden Studien durchgeführt, die die Schlussfolgerung nahe legen, dass ein Zusammenhang zwischen der erlebten Unterstützung durch die Führungskraft und dem Stresserleben, physischen Beschwerden und Arbeitszufriedenheit besteht (Balshem 1988). Impulsfragen zur Berücksichtigung des sozialen Bedürfnisses 5 Wie stark ist bei uns der Zusammenhalt im Team ausgeprägt? 5 Wie eng sind die Bindungen innerhalb des Teams? 5 Wie wertschätzend gehen wir miteinander um? 5 Was kann ich tun, um ein positives Teamklima zu fördern? 5 Wie kann ich vor allem etwas zur Integration von Teammitgliedern beitragen, die eher am Rand des Teams stehen oder neu im Team sind? 5 Was kann ich zur Integration von Teammitgliedern beitragen, die sich in Bezug auf bestimmte Merkmale stark von anderen Teammitgliedern unterscheiden und deshalb womöglich weniger stark integriert sind (z. B. Alter, Religionszugehörigkeit, Geschlecht)? 5 Gibt es Gelegenheiten für Gespräche und gemeinsame Erlebnisse (z. B. Teambesprechungen, Teamessen, gemeinsame Ausflüge, Sport)?

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Kontrollbedürfnis > Dazu kommt das Bedürfnis nach Kontrollmöglichkeiten. Es ist uns wichtig,

unsere Umwelt beeinflussen zu können und Ereignissen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Es geht dabei um Freiheit und Selbstbestimmung, um die Möglichkeit Entscheidungen treffen zu können. Wer als Mitarbeiter Handlungsspielraum bekommt, kann dieses Bedürfnis leichter befriedigen als ein Mitarbeiter dessen Arbeit vor allem von außen bestimmt wird.

Im besten Fall nimmt unsere Selbstwirksamkeit zu, also das Gefühl, dass wir die Dinge im Griff haben und nicht umgekehrt. Wer als Mitarbeiter Entscheidungen als willkürlich erlebt und die Erfahrung macht, dass seine Arbeit vor allem von außen bestimmt wird, kann sich in der Folge hilflos und ohnmächtig fühlen, was sich langfristig negativ auf die Gesundheit auswirken kann. Wenn Sie einmal auf sich selbst schauen, dann ist das wahrscheinlich gut nachvollziehbar. Gerade Führungskräfte schildern uns immer wieder, dass der Wunsch nach mehr Freiheiten und mehr Gestaltungsmöglichkeiten ein wichtiger Antrieb war eine Führungsfunktion anzustreben. Schauen wir noch etwas genauer auf die wissenschaftlichen Hintergründe. Mitarbeiter, die Einfluss auf die inhaltliche und zeitliche Gestaltung ihrer Arbeit oder die Wahl der Arbeitsmittel haben, erleben mehr Kontrolle, was sich positiv auf ihr Befinden auswirkt (Bakker und Demerouti 2006). Etwas vereinfacht auf den Punkt gebracht: Wer mehr Handlungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum hat, dem geht es gesundheitlich besser, als Beschäftigten mit wenig Spielraum (z. B. Pangert und Schüpbach 2011). Die Beschäftigung mit Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten hat in der Forschung eine lange Tradition (Bakker und Demerouti 2007; Johnson und Hall 1988; Karasek 1979; Karasek et al. 1981, 1982). Seit Jahrzehnten wird diskutiert und gibt es Befunde, die darauf hindeuten, dass Mitarbeiter mit mehr Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten weniger belastenden Stress erleben, weniger Erschöpfung, weniger Depressionen und weniger Herz-, Kreislauferkrankungen erleiden – auch mit Auswirkungen auf die Sterblichkeit (Lobban et al. 1998). Gerade der letzte Punkt ist sicher sehr bemerkenswert und unterstreicht die große Relevanz von Freiheitsgraden. Gerade bei Stellen mit hohen Anforderungen ist es wichtig, dass Mitarbeiter Kontrollund Gestaltungsmöglichkeiten haben. Impulsfragen zur Berücksichtigung des Kontrollbedürfnisses 5 Wie viele Freiräume, Entscheidungs- und Beteiligungsmöglichkeiten gibt es bei mir im Team für meine Teammitglieder? 5 Wie viel an Freiheitsgraden ist für meine Teammitglieder jeweils passend? 5 Wer wünscht sich bei mir im Team mehr Freiheitsgrade? 5 Wer fühlt sich von zu vielen Freiheitsgraden überfordert? 5 Was kann mein Beitrag sein, um ein jeweils passendes Maß an Freiheitsgraden für meine Mitarbeiter zu ermöglichen? 5 Können meine Mitarbeiter in Teambesprechungen oder direkten Abstimmungen mit mir ihre Meinung einbringen?

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

5 Welche Möglichkeiten haben sie, Verbesserungsvorschläge zu machen? 5 Wie stark gehe ich auf Meinungen und Anregungen ein? 5 Wie berechenbar bin ich in meinem Führungsverhalten?

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Bedürfnis nach Leistung > Menschen wollen etwas leisten. Wir setzen uns Leistungsziele, vergleichen

unsere Leistungen mit anderen und unseren eigenen Erwartungen und freuen uns darüber, wenn uns etwas gut gelingt. Auch dieses Bedürfnis kann in Unternehmen gefördert oder beschädigt werden. Wenn ein Mitarbeiter keine anspruchsvollen Aufgaben, kein Feedback und keine Anerkennung für erbrachte Leistungen erhält, so mindert das mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Leistungsmotivation.

In Teams kann es auch eine Kultur der Leistungszurückhaltung geben. Wer durch besondere Leistungen gegen diese Kultur verstößt, wird sanktioniert und im schlimmsten Fall ausgeschlossen. Auch solche negativen Leistungsnormen können das Bedürfnis nach Leistung beschädigen. Umgekehrt können Teams auch ein leistungsförderliches Klima pflegen, wenn sich Teams zum Beispiel gemeinsam hohe Ziele setzen und sich gegenseitig motivieren und bei der Zielerreichung unterstützen. Wir setzen uns als Menschen Ziele und wollen diese Ziele erreichen (Heckhausen und Heckhausen 2006). Dem liegen verschiedene Mechanismen zugrunde (Heckhausen und Heckhausen): Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf Zusammenhänge zwischen unserem Verhalten und Effekten, die wir damit erzielen. Wir sind neugierig auf unsere Umwelt und wollen sie quasi erforschen. Wenn wir etwas erreichen, dann bewirkt dies positive Emotionen, die jedoch bei wiederholtem Erfolg nachlassen, sodass wir die Messlatte für uns höher legen oder neue Erfolgsmöglichkeiten suchen, um wieder positive Emotionen erleben zu können. Die intrinsische Motivation spielt im Arbeitskontext eine wichtige Rolle. > Intrinsische Motivation bedeutet, dass ein Mitarbeiter aus sich heraus daran

interessiert ist und sich dafür einsetzt seine Aufgaben erfolgreich zu bewältigen: ihn motiviert die Aufgabe an sich, er hat einen inneren Antrieb die Aufgabe zu erledigen.

Mit Blick auf die Forschung seit den 70iger Jahren können wir sagen, dass die intrinsische Motivation ein mittlerer bis starker Faktor zur Vorhersage von Arbeitsleistung ist (Cerasoli et al. 2014). Also auch mit Blick auf die Leistung ist die Förderung und Befriedigung dieses Grundbedürfnisses hoch relevant. Gleichzeitig gilt wie für alle Bedürfnisse, dass sie nicht bei jedem Menschen gleich ausgeprägt sind. Der Einwand ist berechtigt, dass einem als Führungskraft auch Mitarbeiter begegnen können, die wenig motiviert wirken und wenig an Leistung interessiert scheinen. Womöglich wurde ihre Leistungsmotivation auch durch das Elternhaus oder ihren bisherigen beruflichen Weg eher beschädigt, als gefördert. Im ersten Ansatz werben wir sehr dafür, diese Mitarbeiter darin zu unterstützen sich in eine andere Richtung zu entwickeln, wenngleich dies nicht immer gelingen wird und in der Konsequenz auch zu Trennungen führen kann.

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Impulsfragen zur Berücksichtigung des Bedürfnisses nach Leistung 5 Nehme ich besondere Leistungen meiner Mitarbeiter wahr? 5 Wie stark kann ich mich mit meinen Mitarbeitern über deren Erfolge freuen? Und das auch zeigen? 5 Bedanke ich mich für besondere Leistungen und kümmere ich mich um materielle und immaterielle Formen der Anerkennung? 5 Wie stark spreche ich mit meinen Mitarbeitern über deren Ziele und unsere Ziele als Team? 5 Wie gut kümmere ich mich um herausfordernde Aufgaben für jedes Teammitglied? 5 Wie sehr würdige ich gute Leistungen gerade bei Mitarbeitern, die noch wenig motiviert wirken? 5 Wie oft und nachdrücklich spreche ich gerade mit den Mitarbeitern über ihre Leistungen, Ziele und den weiteren beruflichen Weg, die noch mit (zu) wenig Engagement bei der Sache sind? 5 Wie stark ist meine eigene Leistungsmotivation ausgeprägt? 5 Woran können meine Teammitglieder in meinem Verhalten erkennen, dass mir Leistung wichtig ist? (z. B. Bereitschaft zur Mehrarbeit, Übernahme schwieriger Aufgaben) 5 Wie konsequent bin ich, wenn Mitarbeiter sich trotz intensiver Begleitung zurücklehnen und durch ihr Verhalten die Motivation und Stimmung im Team beschädigen (z. B. dokumentierte Feedbackgespräche zur Erwartungsklärung führen und reflektieren, geringere Lohnsteigerungen umsetzen, Trennung thematisieren und gegebenenfalls umsetzen)?

Bedürfnis unseren Selbstwert zu erhalten und zu erhöhen > Wir wollen unseren Selbstwert erhalten und im besten Fall erhöhen. Wir haben

Vorstellungen davon, was wir können und was uns wichtig ist. Sehen wir uns mit Respektlosigkeit oder mit als unangemessen erlebter Kritik konfrontiert, dann kann das unser Selbstwertgefühl beschädigen. Wir empfinden Kränkung und Wut, möglicherweise auch Traurigkeit. Andersherum kann gerade ernst gemeinter Dank und echte Anerkennung unser Selbstwertgefühl erhöhen.

Die Bedrohung des Selbstwertes wird als eine wichtige Ursache für negatives Stresserleben bei der Arbeit beschrieben (Semmer et al. 2006). Unser Selbstwert umfasst unsere Selbstachtung, die wir uns selbst entgegenbringen, wird aber darüber hinaus wesentlich von Achtung und Respekt von außen durch andere beeinflusst (Semmer et al. 2006). Für uns Menschen ist es ein grundlegendes Bedürfnis in der Interaktion mit anderen unseren Selbstwert zu schützen oder zu erhöhen. Damit besteht auch ein enger Zusammenhang zwischen Selbstwerterhaltung und sozialer Unterstützung, deren wichtige Rolle wir bereits beschrieben haben. Führungskräfte, die sich über ihre Mitarbeiter lustig machen, deren Arbeit abwerten, Ideen und Erfolge von Mitarbeitern als eigene ausgeben oder Mitarbeiter bei Fehlern unverhältnismäßig stark kritisieren, beschädigen durch solches Verhalten

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

den Selbstwert ihrer Mitarbeiter. Auch wenn Führungskräfte das Gefühl vermitteln, dass sie die Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter nicht interessieren und sie sich nicht um notwendige Verbesserungen bemühen möchten, können damit Geringschätzung signalisieren. Auch Aufgaben, die Mitarbeiter als unzumutbar oder unnötig erleben, können als fehlende Wertschätzung des Mitarbeiters wahrgenommen werden. Dies bedeutet unter anderem, dass es für Führungskräfte wichtig ist, Aufgaben an Mitarbeiter zu übertragen, die gut zu ihren Talenten und Interessen passen. Ein Mitarbeiter, der Aufgaben erhält, die nicht zu seinen Fähigkeiten und Qualifikationen passen, kann dadurch eine Bedrohung seines Selbstwertes erleben. Unterstützen Führungskräfte ihre Mitarbeiter zwar, geben diese Hilfe aber eher widerwillig oder erwarten sie überschwängliche Dankbarkeit, so können auch dies Facetten mangelnder Wertschätzung sein (Semmer et al. 2006). Diese dunkle und destruktive Seite von Führung ist seit Mitte der 90iger Jahre Gegenstand der Forschung mit zunehmendem Forschungsinteresse (z. B. Tepper 2007; Nyberg et al. 2011). Andersherum lässt sich in Studien nachweisen, dass sich Wertschätzung deutlich auf die Arbeitszufriedenheit auswirkt (Semmer et al. 2006). Wertschätzung und Anerkennung können dabei durch unterschiedliche Verhaltensweisen signalisiert werden: „Dabei heißt anerkennen zwar auch, aber keineswegs nur, loben. Anerkennen heißt auch Interesse an der Arbeit einer Person zu zeigen, deren Probleme ernst zu nehmen, sie um Rat zu fragen, ihre Vorschläge anzuhören …“ (Semmer et al. 2006, S. 93). Die Mitarbeiter, die sich freundlich und respektvoll durch ihre Vorgesetzten behandelt fühlen, sind auch die Mitarbeiter, die mit Blick auf subjektive und objektive Indikatoren über eine bessere Arbeitsfähigkeit verfügen (Prümper und Becker 2011). Unter Arbeitsfähigkeit werden verschiedene Gesundheitsvariable zusammengefasst, wie zum Beispiel „die Anzahl aktueller, ärztlich oder selbstdiagnostizierter Krankheiten“, „die durch die Erkrankungen erlebten Arbeitseinschränkungen“ oder „die Anzahl an Fehltagen“ (Prümper und Becker, S. 40). Die Bedeutung von Freundlichkeit, Respekt, Interesse und Wertschätzung, wobei diese Konzepte sicher starke Überlappungsbereiche haben, für die Mitarbeitergesundheit wird auch in Forschung zu ethischer Führung aufgezeigt (Tanner et al. 2010). Impulsfragen zur Berücksichtigung des Bedürfnisses den eigenen Selbstwert zu erhalten und zu fördern 5 Wie gut passen die Aufgaben meiner Mitarbeiter zu deren Interessen und Talenten? 5 Wie genau weiß ich, was meinen Mitarbeitern jeweils wichtig ist? Und gehe darauf ein? 5 Wie wertschätzend gebe ich Feedback? 5 Wie respektvoll gehe ich mit der Kompetenz und den Leistungen meiner Mitarbeiter um? 5 Was trage ich dazu bei, dass meine Mitarbeiter ihre Kompetenzen einbringen und erweitern können? 5 Wie vermeide ich die Bevorzugung einzelner Mitarbeiter aufgrund von Sympathie?

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Die vier hier beschriebenen Grundbedürfnisse und damit in Verbindung stehenden Forschungsstränge sind eine gute Grundlage für gesunde Führung im Besonderen und für gute Führung im Allgemeinen. Wer sich als Führungskraft mit den Impulsfragen intensiv beschäftigt und seine Führungspraxis daran ausrichtet, wird sehr viel richtig machen. Abschließend wollen wir zwei Forschungsansätze noch benennen, die für die Gestaltung gesunder Führung ebenfalls hohe Bedeutung haben und aus unserer Sicht nicht fehlen dürfen. Zum einen ist das die umfangreiche Forschung zur Bedeutung einer angemessenen Balance aus Anstrengung und Belohnung (Kivimaki et al. 2007) und zum anderen zur wahrgenommenen Gerechtigkeit (Kivimäki et al. 2003). Wenn Mitarbeiter den Eindruck haben, dass ihr Engagement und ihre Leistungen nicht angemessen materiell und immateriell gewürdigt werden, dann wirkt sich dies negativ auf die Gesundheit aus. Gleiches gilt, falls Mitarbeiter den Eindruck haben, dass es in ihrem Unternehmen nicht gerecht zu geht, wenn zum Beispiel Beförderungen nicht anhand nachvollziehbarer Kriterien vorgenommen werden. Diese beiden Forschungsansätze werden wir im weiteren Verlauf ebenfalls nutzen. Wie gut praktizieren Führungskräfte bereits gesunde Führung? Befragungen bei Beschäftigen zeigen auf, dass je nach Verhaltensbereich etwa 40 % bis 75 % der Führungskräfte die unterschiedlichen Aspekte gesunder Führung gut in ihrem Führungsverhalten umsetzen. Für einen beachtlichen Anteil an Führungskräften ergibt sich damit wenig oder gar kein Handlungsbedarf. Die Zahlen zeigen jedoch auch, dass für einen relevanten Anteil an Führungskräften aus Sicht der Geführten Handlungsbedarf besteht. Auch klassische Verhaltensbereiche, wie Feedback geben, sind weit weniger verbreitet, wie es mit Blick auf jahrzehntelange Forschung und Führungskräfteausbildung in vielen Unternehmen zu erwarten wäre.

Möglicherweise kommen Sie als Führungskraft für sich persönlich zu dem Schluss, dass Sie bereits seit Jahren gesund führen und kaum Ansatzpunkte für Veränderungen vorhanden sind. Wenn dem so ist: prima! Dann fühlen Sie sich durch unser Buch bitte bestärkt, verändern bitte nichts und schenken das Buch weiter. > Basierend auf etwa 28.000 Befragungen berichtet Zok (2011), dass ca. 60 % der

Befragten „selten“ oder „nie“ Feedback von ihren Vorgesetzten bekommen und etwas mehr als die Hälfte gibt an, dass sie „selten“ oder „nie“ Lob erhält. Beides sind wichtige Aspekte gesunder Führung. Es ist doch wirklich bemerkenswert, dass Feedback und Anerkennung seit Jahrzehnten Schlüsselbegriffe in der Ausund Weiterbildung von Führungskräften sind, natürlich nicht nur mit Blick auf gesunde Führung, und dies dennoch bei einem großen Teil der Beschäftigten nicht ankommt.

Sicher sind die Unterschiede zwischen Unternehmen, Abteilungen und Führungskräften groß. Dennoch zeigen solche Studien, dass zumindest bei einem Teil der Führungskräfte noch Potenzial für wahrnehmbare Verbesserungen besteht. Etwa 40 % der Befragten haben den Eindruck, dass ihre Führungskräfte ihre Meinung bei wichtigen Entscheidungen nicht beachten und etwas mehr als 35 % geben

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

an, dass Aufgabenbesprechungen nur „selten“ oder „nie“ stattfinden. Etwa 30 % berichten, dass ihnen Informationen von ihren Führungskräften fehlen und dass sich ihr Vorgesetzter zu wenig Zeit für ihre Anliegen nimmt. Auch die wahrgenommene Rücksichtnahme auf persönliche Angelegenheiten ist bei einem relevanten Anteil von etwa 30 % sehr schwach ausgeprägt. Darüber hinaus fühlen sich etwa 25 % ungerecht behandelt. Auch dies Aspekte, die mit Blick auf die dargestellten Forschungsbefunde für die Mitarbeitergesundheit Relevanz haben. > Die Zahlen zeigen uns: da ist noch Potenzial für Verbesserung. Gleichzeitig

können wir allerdings auch das Fazit ziehen, dass viele Mitarbeiter bei ihren Führungskräften Verhaltensweisen wahrnehmen, die wir als wichtige Aspekte gesunder Führung sehen. Vielen Führungskräften scheint das bereits gut zu gelingen.

Dennoch verbleibt ein relevanter Anteil an Führungskräften, die sich, zumindest aus Sicht der Mitarbeiter, noch deutlich verbessern können. Dabei ist es aus unserer Sicht nur begrenzt relevant, ob dies nun 40 % oder 50 % der Führungskräfte sind. Sollten Sie sich unsicher sein, zu welchem Teil der 50 % Sie gehören, dann hilft Ihnen womöglich die weitere Lektüre zu einer besseren Einschätzung, wo Sie stehen, beziehungsweise worauf Sie in Zukunft genauer achten können. Wie gut lässt sich das Ziel der Gesundheitsförderung mit Leistungszielen verknüpfen? Forschungsbefunde legen die Schlussfolgerung nahe, dass sich Gesundheitsförderung und gute Leistungen nicht ausschließen, sondern dass Gesundheitsförderung ein wichtiger Einflussfaktor für nachhaltig gute Leistungen ist. Vermutete Widersprüche entstehen womöglich auf der Basis von wenig hilfreichen Leistungsvorstellungen auf der Seite von Führungskräften, beispielsweise der Annahme, dass hohe Leistung mit gesundheitlichen Opfern assoziiert sein muss – quasi als spürbares und sichtbares Zeichen der erbrachten Leistungen. Ohne Schweiß und Schmerzen keine gute Leistung, ist dann die dahinterliegende Überzeugung.

Als Führungskräfte wollen wir, dass sich unsere Mitarbeiter wohl fühlen, dass sie gesund und zufrieden arbeiten können. Gleichzeitig werden wir als Führungskräfte vor allem an den Erfolgen unseres Verantwortungsbereichs gemessen: Welchen Umsatz erzielen wir? Welchen Ertrag? Wie viele Neukunden konnten wir gewinnen? Welche konkreten Fortschritte haben wir beim Lieferantenmanagement erzielt? Wie entwickelt sich die Reklamationsquote? Wie gut haben wir unsere Ziele erreicht? > Gesundheit, Zufriedenheit und Leistung müssen wir sinnvoll zusammenbringen.

Wenn in unserem Verantwortungsbereich unsere Kunden unzufrieden sind und uns den Rücken kehren, dann wird uns kaum jemand für unsere gesunden Mitarbeiter loben.

Wie angesprochen, ist denkbar, dass gesundheitsförderliche Führung sich negativ auf die Leistung von Mitarbeitern auswirkt. Eine Führungskraft, die sich für Probleme ihrer Mitarbeiter interessiert, hat möglicherweise weniger Zeit um über Ziele

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und deren Realisierung zu sprechen. Möglicherweise erbringen Mitarbeiter, die einen gewissen Druck erleben, eine höhere Arbeitsleistung, zum Beispiel aus Angst vor Sanktionen. Zahlreiche Studien zeigen jedoch, dass leistungsförderliches Führungsverhalten auch positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter haben kann (z. B. Lyons und Schneider 2009), dass also gesunde Leistung möglich ist, dass beides zusammengehen kann. Wir haben dies bereits im Rahmen der Einleitung angesprochen. Führung, wie wir sie in diesem Buch beschreiben, wirkt sich nicht nur positiv auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus, sondern auch auf deren Leistung. Der Zusammenhang zwischen allgemein guter Führung und gesundheitsspezifischer Führung ist sehr hoch (Gurt et al. 2011). > Franke und Felfe (2011) weisen darauf hin, dass die Förderung der Mitarbeiter-

gesundheit und Leistungsmanagement eng miteinander verzahnt sind, da die Förderung der Mitarbeitergesundheit erst die Bedingungen für hohe Leistungen schafft. Wer als Führungskraft heute bereits allgemeine Ansätze guter Führung verwirklicht, leistet damit einen Beitrag zur Mitarbeitergesundheit und kann sein Führungsverhalten um gesundheitsspezifische Komponenten noch ergänzen, ohne die anderen Verhaltensweisen zu ersetzen (Gurt et al. 2011).

Wir sind uns bewusst, dass das für einige Führungskräfte gedanklich nicht so einfach zusammenzubringen ist. Da wird ein Gegensatz zwischen Gesundheit und Leistung wahrgenommen: „Wer Pausen macht, ist nicht genug für den Kunden da.“, „Wer statt im Stau zu sehen, lieber im Homeoffice arbeiten möchte, ist einfach nicht motiviert genug.“, „Wer Anerkennung möchte, sollte sich ein passendes Hobby suchen.“ Mit unserem Buch möchten wir dazu einladen, solche Haltungen kritisch zu reflektieren und sich auf das Gedankenexperiment einzulassen, dass es gesunde und zufriedene Hochleistungsteams geben kann. > Montano et al. liefern in ihrer umfangreichen Metaanalyse, in der insgesamt 144

Einzelstudien zusammenfassend ausgewertet wurden, Hinweise darauf, dass Führungsverhalten über eine Verbesserung der Gesundheit in Zusammenhang mit Leistung steht und stellen damit gesunde Führung als eine Voraussetzung für gute Leistungen zur Diskussion.

Allerdings wollen wir das Thema an dieser Stelle auch nicht zu sehr vereinfachen und zu plakativ stehen lassen. Führung ist in der täglichen Praxis eine komplexe und ambivalente Aufgabe. Fallbeispiel Gute Führung kann bedeuten, dass eine Führungskraft ihre Mitarbeiter dafür gewinnt, Überstunden zu leisten, um die Teamziele zu erreichen, was die Gesundheit unter Umständen negativ beeinflussen kann und gleichzeitig ihre Mitarbeiter dazu ermuntert, ausreichend Pausen zu machen, was die Gesundheit wahrscheinlich positiv beeinflusst. Gute Führung kann bedeuten, dass eine Führungskraft sich darum kümmert, dass Karriereentscheidungen anhand nachvollziehbarer Kriterien getroffen werden und

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Kapitel 3 · Gesunde Führung: Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt es dazu?

dass sie gleichzeitig in der Lage sein muss, Ausnahmen zu vertreten, die Mitarbeiter womöglich als unfair, als Zurücksetzung, als Enttäuschung erleben. Mit diesen Ambivalenzen umzugehen ist nicht einfach. Das macht Führung komplex und spannend.

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Darüber hinaus müssen wir zwischen kurz- und langfristigen Folgen unterscheiden. Kurzfristig lässt sich die Leistung eines Teams sicher auf Kosten der Gesundheit steigern. Langfristig sind jedoch Leistungseinbußen sehr wahrscheinlich. Es mag Unternehmen geben, deren Personalpolitik darauf beruht, dass Mitarbeiter nur für kurze Zeit in der Organisation verbleiben, um in kurzer Zeit einen hohen Output an Leistung zu erzielen, der dann möglicherweise mittel- und langfristig zulasten der Gesundheit geht und zum Ausscheiden des Mitarbeiters aus der Organisation beiträgt. So mag es Organisationen geben, deren grundlegende Personalpolitik mit den hier skizzierten Überlegungen zu gesunder Führung nicht in Einklang gebracht werden kann. Wir haben als Zielgruppe für dieses Buch Verantwortliche in Organisationen im Blick, die die Gesundheit ihrer Mitarbeiter erhalten und fördern wollen, um langfristig gute Leistung zu erzielen. Fazit 5 Die Forschung der letzten Jahrzehnte legt die Schlussfolgerung nahe, dass Führung für die Mitarbeitergesundheit Relevanz hat. Führung scheint ähnlich bedeutsam zu sein wie klassische Einflussfaktoren, z. B. Bewegung und Ernährung. Allerdings sind noch mehr methodisch gute Interventionsstudien notwendig, um die bisherigen Befunde zu erhärten. 5 Sehr umfassend wurde in der Forschung bislang beschrieben, welche Verhaltensweisen eher schädlich (z. B. Abwertungen vor dem Team) und eher förderlich sind (z. B. konkreter Dank für erbrachte Leistungen). Damit bietet die Forschung eine gute Basis für die Praxis gesunder Führung. 5 Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Konzepte und Forschungsstränge, die für die Gestaltung gesunder Führung relevant sind, beispielsweise die Annahme von grundlegenden Bedürfnissen: etwas leisten wollen, positive Beziehungen mit anderen erleben wollen, seinen Selbstwert erhöhen wollen, Kontrolle über seine Umwelt ausüben wollen. 5 Studien zur Umsetzung von Führungsverhalten im Sinne gesunder Führung zeigen auf, dass viele Mitarbeiter Elemente gesunder Führung in der Praxis erleben, wenngleich auch noch deutliches Verbesserungspotenzial vorhanden ist. 5 Forschungsbefunde legen nahe, dass gesunde Führung und Leistung nicht im Widerspruch zueinanderstehen, sondern im Gegenteil gesunde Führung ein Beitrag zur Förderung von Leistung sein kann.

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Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_4

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Kapitel 4 · Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

Um die Haltungen und Handlungsfelder möglichst anschaulich darzustellen und die zugrunde liegende Denkhaltung deutlich werden zu lassen, haben wir das Bild eines Baumes gewählt. Bevor wir in den folgenden Kapiteln die Haltungen und Handlungsfelder im Detail beschreiben, geben wir in diesem Kapitel einen Überblick. Wir stellen die einzelnen Haltungen und Handlungsfelder kurz vor. Im besten Fall wird durch dieses Kapitel für Sie als Führungskraft klarer, in welchen Bereichen Sie bei sich keinen Handlungsbedarf sehen und was Sie gerne anpacken möchten. So können Sie weitere Kapitel, mit denen Sie sich eingehender beschäftigen möchten, gezielt auswählen.

Was hat gesunde Führung jetzt mit einem Baum zu tun (. Abb. 4.1)? Weshalb haben wir dieses Bild gewählt?

. Abb. 4.1 Gesundheitsbaum

43 Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

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Wie sich eine Führungskraft mit Blick auf ihre eigene Gesundheit verhält und wie sie mit Krankheit im Team umgeht, ist für uns die gut sichtbare Baumkrone: die Äste und Blätter. Also all die Facetten, die wir mit gesunder Führung wahrscheinlich an erster Stelle in Verbindung bringen. Ohne Frage hat das hohe Relevanz und ist seit Jahren im Fokus der Forschung zu gesunder Führung. Doch neben diesen unmittelbar auf Gesundheit bezogenen Aspekten, braucht ein gesunder Baum noch deutlich mehr. Den Umgang mit Konflikten im Team, gute Teamkoordination und motivierende Aufgabengestaltung sehen wir als wichtige Elemente des Stamms, die für gesunde Führung unverzichtbar sind. Selbst wenn ich als Führungskraft Pausen einhalte, mich gesund ernähre, Sport treibe, in gesundem Umfang Mehrarbeit leiste und auch sonst ein Vorbild mit Blick auf meine eigene Gesundheit bin und dies auch bei meinen Mitarbeitern fördere, können beispielsweise Konflikte im Team, langweilige Aufgaben und unklare Aufgabenverteilung kontraproduktive Wirkungen auf die Gesundheit haben. Im Bereich des Stamms sowie im Bereich der Äste und Blätter geht es also um die Frage, wie konkret geführt werden soll, was konkret getan werden kann. Die drei genannten Handlungsfelder sind elementar für gute Führung im Allgemeinen und gesunde Führung im Speziellen. Unsere Haltungen, wie Ressourcen- und Lösungsorientierung, eine partizipative Grundhaltung, Wertschätzung, Sinnorientierung und Fairness sehen wir gleichsam als Wurzelwerk, das dem ganzen Gebilde Grundlage und Stabilität gibt. Es geht also um die Frage, auf welcher Basis geführt wird, von wo aus geführt wird. Die einzelnen Wurzeln sind dabei eng miteinander verknüpft: Wer partizipativ denkt und handelt, der setzt damit auch Wertschätzung um – die einzelnen Haltungen haben also Überlappungen. Ohne solche tief verankerten Wurzeln, die das konkrete Führungshandeln mit der notwendigen Energie versorgen, wird gesunde Führung kaum nachhaltig und authentisch gelebt werden können. Es braucht also alle drei Ebenen: die Wurzeln, die dem Führungshandeln eine Basis geben, einen stabilen Stamm guter Führungspraxis und das Blattwerk, das sich explizit auf die eigene und die Mitarbeitergesundheit bezieht. In den folgenden Kapiteln bewegen wir uns Stück für Stück von den Wurzeln über den Stamm hin zu den Blättern. Mit dieser Baummetapher können wir natürlich noch munter weiter philosophieren, ohne es jedoch übertreiben zu wollen: Wenn die Wurzeln stark sind und dem Baum einen festen Stand geben und ihn mit ausreichend Nahrung versorgen, dann ist es auch wahrscheinlich, dass sich ein stabiler Stamm, viele gesunde Äste und Blätter ausbilden können. Es ist aus unserer Sicht sinnvoll, sich deshalb mit den eigenen Haltungen, die unserem Führungshandeln zugrunde liegen, intensiv zu beschäftigen: Woraus handle ich? Was ist die Basis meines Tuns? Welche Führungsphilosophie liegt meiner Führungspraxis zugrunde? Es ist wichtig bei den Wurzeln anzufangen. Zu den einzelnen Bereichen haben wir nachfolgend noch einige Leitfragen erstellt, die die Quintessenz der einzelnen Kapitel auf den Punkt bringen sollen. Als Führungskraft kann ich mir jeweils die Frage stellen, wo ich stehe und was ich anpacken möchte. Die Fragen sollen also dazu dienen, eine Art Standortanalyse vornehmen zu können und Veränderungsbereiche zu identifizieren. Die Fragen können auch als Grundlage dienen, um Fremdeinschätzungen von den Mitarbeitern oder auch von Kollegen auf gleicher Ebene oder höheren Führungsebenen einzuholen. Die Fragen können auch in bestimmten Abständen, z. B. 1 × im Jahr, ritualisiert betrachtet werden, um zu überlegen, was sich verbessert hat und was noch angegangen werden sollte.

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Kapitel 4 · Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

Haltung: Wertschätzung

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5 Wie stark zeige ich Interesse an den Anliegen, Problemen und Sorgen meiner ­Mitarbeiter? 5 Wie oft und wie konkret bedanke ich mich bei meinen Mitarbeitern? 5 Wie oft hole ich Rat von meinen Mitarbeitern ein? 5 Wie werden besondere Leistungen materiell und immateriell anerkannt? 5 Wie gut kann ich vorschnelle Vorschläge zurückhalten? 5 Vermeide ich Vorwürfe? 5 Wie selbstverständlich biete ich meine Hilfe an? Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

5 5 5 5 5

Was können meine Mitarbeiter alles gut? Welcher Nutzen steckt in gemachten „Fehlern“? Durch welche Aufgaben kann ich meine Mitarbeiter weiter fördern? Was können wir als Team noch alles lernen? Wie können wir unsere Kompetenzen noch weiterentwickeln?

Haltung: Fairness

5 Wie transparent und nachvollziehbar gestalte ich Entscheidungsprozesse? 5 Haben wir in unserem Team die Spielregeln, die wir brauchen, um gut miteinander arbeiten zu können? 5 Wie offen und ehrlich kommuniziere ich mit meinem Team? 5 Wie klar sind Verteilungsentscheidungen an nachvollziehbare Kriterien geknüpft? 5 Wie gut halte ich gemachte Zusagen ein? Haltung: Sinnorientierung

Haben wir als Team eine gemeinsame Vision, die wir alle teilen? Haben meine Mitarbeiter die Möglichkeit etwas zu bewirken? Können sie ihre Erfolge sehen? Spreche ich mit meinen Mitarbeitern mindestens 1 × im Jahr über ihre Erwartungen an ihre Arbeit? 5 Achte ich bei der Personalauswahl auf eine gute Passung gerade auch mit Blick auf Interessen, Bedürfnisse und Werte der Bewerber? 5 Habe ich an meine Mitarbeiter Erwartungen, die ich selbst nicht erfülle? 5 5 5 5

Haltung: Partizipation

5 5 5 5

Wie stark führe ich auf Augenhöhe? Wie stark treffe ich Entscheidungen gemeinsam mit meinem Team? Wie stark gebe ich Entscheidungskompetenzen ab? Was unternehme ich, um meine Mitarbeiter dabei zu unterstützen, gute ­Entscheidungen zu treffen?

Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

5 Wie transparent gehe ich mit Informationen um, die für die Arbeit meiner ­Mitarbeiter wichtig sind? 5 Wie vielfältig und vollständig sind die Aufgaben meiner Mitarbeiter?

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5 Woran erkennen meine Mitarbeiter, dass die Erledigung ihrer Aufgaben wichtig ist? 5 Wie viele Freiheiten lasse ich meinen Mitarbeitern bei der Erledigung ihrer ­Aufgaben? 5 Wie oft und in welcher Qualität gebe ich Feedback? 5 Wie gut fördere ich die Entwicklung meiner Mitarbeiter durch ehrliches, konkretes und konstruktiv-kritisches Feedback? Handlungsfeld: Teamkoordination

Wie konkret kläre ich mit meinen Mitarbeitern Arbeitsaufträge? Wie gut sind bei mir im Team die Rahmenbedingungen für ungestörtes Arbeiten? Wie oft unterbreche ich als Führungskraft meine Mitarbeiter bei ihrer Arbeit? Wie fair ist die Aufgabenverteilung im Team mit Blick auf Interessen, ­Kompetenzen und Kapazitäten? 5 Welche meiner Ansprüche (z. B. Rückmeldezeiten bei E-Mails) sind für eine gute Teamkoordination förderlich oder hinderlich? 5 Wie effizient sind die Arbeitsprozesse im Team und mit anderen Einheiten ­organisiert? 5 Wie aktiv steuere ich das Arbeitsvolumen für mein Team (z. B. durch das Setzen von Prioritäten)? 5 5 5 5

Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

5 Wie stark schaffe ich ein Klima, dass die Entstehung von Konflikten unwahrscheinlicher macht, vor allem durch wertschätzende Kommunikation? 5 Wie gut gelingt es mir Vorwürfe in Wünsche zu übersetzen? 5 Wie stark bin ich an unterschiedlichen Sichtweisen interessiert und kann diese auch anerkennen? 5 Wie stark richte ich meinen Blick auf mögliche verletzte Bedürfnisse, die hinter Vorwürfen liegen können? 5 Wie gut gelingt es mir, unterschiedliche Wünsche bei der Erarbeitung von ­Vereinbarungen zu berücksichtigen? 5 Wie klar sind die Vereinbarungen, die wir zur Lösung von Konflikten treffen? 5 Wie gut werden diese Vereinbarungen dokumentiert und der Erfolg reflektiert? 5 Tragen Faktoren von außerhalb des Teams zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Konflikten bei und kann ich als Führungskraft diese externen Faktoren günstig beeinflussen? 5 Wie stark achte ich in Personalauswahlprozessen auf die Passung mit den bestehenden Teammitgliedern? Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

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Wie gut nehme ich bei mir selbst wahr, wie es mir gesundheitlich geht? Wie gut erkenne ich relevante Ursachen von gesundheitlichen Beschwerden? Ist es mir überhaupt wichtig, etwas für meine Gesundheit zu tun? Wie gut kenne ich passende Strategien? Wie gut gelingt es mir diese Strategien umzusetzen?

Kapitel 4 · Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

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Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit

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5 Fallen mir krankheitsbedingte Fehlzeiten meiner Mitarbeiter auf? 5 Erkundige ich mich bei meinen Mitarbeitern nach Krankheitstagen, wie es Ihnen geht? 5 Führe ich bei häufigeren und längeren Fehlzeiten ein Gespräch zu möglichen arbeitsbedingten Einflussfaktoren und entsprechenden Verbesserungsmöglichkeiten? 5 Bleibe ich nach den Gesprächen am Thema dran und verfolge und unterstütze ich Verbesserungen? Praxistipp

Ich kann als Führungskraft das Thema Gesundheit auch in Teambesprechungen und im Rahmen eines Workshops mit meinem Team bearbeiten. Ein sehr einfacher Ansatzpunkt ist beispielsweise, dass jeder Mitarbeiter zu Beginn einer Teambesprechung kurz schildert, wie es ihm geht, welche Themen ihn gerade umtreiben, bei welchen Themen er womöglich Unterstützung benötigt. Auf diese Weise kann ich mir als Führungskraft einen Überblick verschaffen, wie die einzelnen Mitarbeiter ihre Situation aktuell erleben und es können gegebenenfalls Maßnahmen zur Verbesserung direkt in der Teambesprechung oder auch im Nachgang erarbeitet und umgesetzt werden. Dies setzt einen vertrauensvollen Umgang und gegenseitige Offenheit voraus. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, dann gilt es zunächst, an den Voraussetzungen zu arbeiten, beispielsweise durch die Klärung von Konflikten.

Praxistipp

Auch im Rahmen eines Workshops können die einzelnen Bestandteile gesunder Führung, also Teamkoordination, Wertschätzung etc., gut bearbeitet werden. Dabei kann ich als Führungskraft durch meine Mitarbeiter einschätzen lassen, wie gut uns das im Team gelingt (z. B. ein wertschätzender Umgang) und welche Anregungen meine Mitarbeiter jeweils dazu haben (z. B. mehr Anerkennung guter Leistungen durch mich als Führungskraft in Teambesprechungen). Diese können dann diskutiert und in konkrete Vereinbarungen überführt werden (z. B. ich würdige als Führungskraft in jeder Teambesprechung besondere Erfolge des letzten Monats), die dann wiederum nach einiger Zeit reflektiert werden können.

Fazit 5 Unser Gesundheitsbaum erscheint uns als passendes Bild zur Veranschaulichung und zur Systematisierung von gesunder Führung. Es braucht Wurzeln (z.  B. ­Wertschätzung), Stamm (z. B. Teamkoordination), Äste und Blätter (z. B. Umgang mit Krankheit im Team). Diese hängen eng miteinander zusammen und sind jeweils auch nicht verzichtbar. Ein Baum ohne Äste und Blätter ist eine ziemlich traurige Gestalt,

Gesundheitsbaum: Wo stehe ich als Führungskraft? Was packe ich an?

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ohne Stamm und Wurzeln geht es auch nicht. Vor allem ­veranschaulicht das Bild sehr schön, dass gesunde Führung starke Wurzeln im Sinne grundlegender Haltungen, wie Wertschätzung, braucht. 5 Standortanalyse ist wichtig: Wo stehe ich als Führungskraft? Welche Wurzeln sind bei mir stark ausgeprägt? Wie ist es bei mir um Stamm und Äste bestellt? Anhand der Impulsfragen kann ich als Führungskraft eine erste Einschätzung vornehmen und erste Anregungen gewinnen. Die folgenden Kapitel dienen der Vertiefung. Wir empfehlen dieses Kapitel ganz am Ende nochmals herzunehmen und die Impulsfragen dann nochmals neu zu bedenken und wirken zu lassen.

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Auf die Einstellung kommt es an: Welche Haltungen sind für gesunde Führung wichtig?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_5

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Kapitel 5 · Auf die Einstellung kommt es an: Welche Haltungen …

Nachfolgend beschreiben wir grundlegende Haltungen, die für die Gestaltung gesunder Führung aus unserer Sicht hoch relevant sind. Unter Haltungen verstehen wir Einstellungen, Herangehensweisen an die Führungsaufgabe: Mit welchen Sichtweisen gehe ich als Führungskraft an das Thema Mitarbeiterführung heran? Diese Sichtweisen prägen das Verhalten einer Führungskraft. Sie sind sozusagen die Leinwand, auf der das jeweilige Führungsbild entsteht. Das heißt aber auch, dass Haltungen, wie beispielsweise Wertschätzung, kein einzelner Punkt auf einer To-do-Liste sein können, der einfach so abgearbeitet wird.

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Ohne diese Haltungen besteht aus unserer Sicht die Gefahr, dass die konkreten Handlungen als wenig authentische Verhaltensweisen, möglicherweise sogar als manipulative Techniken, wahrgenommen werden. Uns ist es wichtig, neben den konkreten Handlungsfeldern, die unmittelbar mit typischen Führungsaufgaben in Verbindung stehen, auch die grundlegenden Haltungen zu beschreiben, die die Basis der konkreten Handlungsfelder darstellen. Die Haltungen haben einen konkreten Praxisbezug, bei den Handlungsfeldern werden wir dann allerdings noch konkreter. Woher kommen unsere Haltungen? Unsere Haltungen haben sich im Laufe unserer bisherigen Biografie herausgebildet. Erfahrungen in unserer Familie, mit Freunden, in Schule und Studium, in Vereinen und anderen Gruppen sind wichtige Quellen unserer Haltungen. Wahrscheinlich fallen Ihnen einige Führungspersönlichkeiten ein, die Sie selbst geprägt haben. Vielleicht ein Lehrer, ein Trainer im Verein, Führungskräfte in Ihrem bisherigen Arbeitsleben? Als Menschen schauen wir uns viel von anderen ab: das sogenannte Modelllernen. Andere sind für uns Modelle, die uns in unserem eigenen Denken und Verhalten prägen. Impulsfragen zur Entwicklung der eigenen Haltungen als Führungskraft: 5 Welche Führungspersönlichkeiten haben mich besonders geprägt? 5 Was erlebe ich als nachahmenswert? Was beurteile ich kritisch? 5 Wer ist für mich heute Vorbild? In welcher Weise?

Mit den nachfolgenden Kapiteln möchten wir Sie dazu einladen, sich Haltungen genauer anzuschauen, die für gesunde Führung besonders relevant sind. Diese Haltungen haben heute wahrscheinlich unterschiedliche Relevanz für Sie. Impulsfragen zur Reflexion der eigenen Haltungen als Führungskraft: 5 Welche Haltungen stelle ich bei mir fest? 5 Wie zeigen sich diese Haltungen in meinem Verhalten? 5 Was daran ist für gesunde Führung hilfreich? 5 Welche Haltungen sind bei mir noch zu schwach ausgeprägt?

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Kann ich meine Haltungen verändern? Kann ich Sichtweisen verändern, die mich seit vielen Jahren durch mein Leben begleiten? Niemand kann Sie davon abhalten zu neuen Erkenntnissen zu gelangen und neue Sichtweisen zu entwickeln. Womöglich haben sich bei Ihnen im Laufe Ihres bisherigen Lebens Veränderungen in Ihren Einstellungen ergeben: Mögen Sie heute noch die gleiche Musik, wie in ihrer Kindheit? Haben sich Ihre politischen Ansichten verändert? Finden Sie heute noch die gleichen Freizeitaktivitäten toll, wie in Ihrer Jugend? Wie denken Sie heute über Religion, über Familie, über Umweltschutz? Welche Gespräche oder vielleicht Bücher haben Ihnen neue Erkenntnisse gebracht? Womöglich haben Sie bei sich gerade einige Veränderungen und neue Einsichten vor Augen, die sie in den letzten Jahren erlebt haben. Veränderungen finden statt und niemand kann Ihnen verbieten sich kritisch mit Ihren eigenen Haltungen als Führungskraft zu beschäftigen und zu neuen Sichtweisen zu gelangen. Gerade für Ihre Rolle als Führungskraft wünschen wir Ihnen viel Mut zu Veränderungen, viel Neugierde Neues ausprobieren zu wollen.

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Haltung: Wertschätzung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_6

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

„Das Leben ist kein Ponyhof. Bei mir im Team weht ein rauer Wind und das ist gut so. Unsere Geschäftspartner schenken uns auch nichts. Das Leben ist halt hart.“ In diesem Kapitel wollen wir uns damit beschäftigen, dass Wertschätzung auch wehtun kann und nichts mit Ponyhof zu tun hat. Klarheit und Direktheit sind nicht das Gegenteil von Wertschätzung. Wertschätzung in Organisationen hat wenig mit offiziellen Ansprachen und Dankesworten in der Mitarbeiterzeitschrift zu tun, sondern vor allem damit, wie Sie als Führungskraft jeden Tag mit Ihren Mitarbeitern sprechen, wie Sie Ihre E-Mails schreiben, wie Sie sich sonst verhalten. Offizielle Dankesworte können sogar schaden. Warum? Weil Wertschätzung nicht trivial ist. Wertschätzend führen zu können ist für viele Führungskräfte ein langer Entwicklungsweg. Doch es lohnt sich. Wertschätzung ist inspirierend, ist motivierend, ist leistungsfördernd und vor allem sehr gesund.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel Vertriebsleiter Bernd kommt zufrieden aus einer Besprechung. Letzte Woche hat er seinem Mitarbeiter Leo eine neue Aufgabe übertragen. Aus seiner Sicht ein sehr spannendes Projekt und Leo reagierte sichtlich begeistert darauf. Leider war Leos Umsetzungsidee, die sie eine Woche später besprochen hatten, aus Bernds Sicht viel zu umständlich. Gut, dass Bernd schon immer eine Stärke in der Bearbeitung von Projekten hatte und somit gleich eine Idee parat hatte. So kann er wunderbar als Vorbild fungieren und seinem Kollegen vormachen, wie es funktioniert. Er konnte Leo dann ganz genau erläutern, wie er vorgehen soll. Und Leo? Der muss es einfach nur noch umsetzen! Leo ist zunächst begeistert. Letzte Woche hat er von seinem Chef Bernd eine neue Aufgabe übertragen bekommen. Er hat sich lange Gedanken gemacht und überlegt, wie er die Aufgabe gut angehen und das Projekt erfolgreich umsetzen kann. Als er gestern seinem Chef seine Ideen dargestellt hat, sagte dieser: „Das ist doch viel zu aufwendig. So geht das nicht. Mach das am besten so …“ Leo kommt frustriert aus der Besprechung. Hat sein Chef ihm überhaupt richtig zugehört? Hat er seine Idee überhaupt richtig verstanden? Leo merkt, wie seine Freude über das Projekt sinkt und er gar keine richtige Lust hat, sich damit zu beschäftigen. > Vorschnelle Vorschläge zu machen, ist wenig wertschätzend.

In vielen Situationen können wir beobachten, dass sich die Führungskraft auch als Experte im Team sieht. Das kann durchaus ein Gefühl von Kompetenz bei der Führungskraft hervorrufen. Vielleicht wird das auch von dem Gedanken getragen: „wenn meine Mitarbeiter sehen, wie gut ich mich auskenne, respektieren sie mich noch mehr“. Dies führt jedoch häufig dazu, dass Kollegen, wenn sie eigene Vorgehensweisen und Ideen generieren, sich schnell von der Führungskraft ausgebremst fühlen. Darüber hinaus wird auch das Potenzial der einzelnen Mitarbeiter nicht gut genutzt. > Es ist eine wichtige Facette von Wertschätzung, die Ideen von Mitarbeitern mit

echtem Interesse anzuhören.

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Dafür ist es notwendig, eigene Ideen hinten anzustellen und offen für andere Herangehensweisen und Gedanken zu sein. Damit ist eine wertschätzende Grundhaltung ganz eng mit Partizipation verknüpft. Wer partizipativ führt, sendet damit auch Signale der Wertschätzung. Wie bereits beschrieben, sind die Haltungen, die wir hier skizzieren, nicht unabhängig voneinander, sondern überlappen und ergänzen sich. Partizipation ist mehr als Wertschätzung und umgekehrt – gleichzeitig haben beide Haltungen starke Überschneidungsbereiche. Ein wichtiger Teil wertschätzender Führung ist echtes Interesse an den Anliegen, aber auch an den Sorgen und Nöten der Mitarbeiter zu zeigen. > Nehme ich mir als Führungskraft Zeit für Gespräche mit meinen Mitarbeitern,

in denen ich mich für ihre Meinungen, Anliegen und Sorgen interessiere? Einen Mitarbeiter um seinen Rat zu bitten und diesen zu berücksichtigen, zählt mit zu den stärksten Formen von Wertschätzung.

Das Vermeiden vorschneller Vorschläge oder Anweisungen und das Zeigen echten Interesses sind wichtige Aspekte von Wertschätzung. Wertschätzung bedeutet jedoch noch viel mehr. Wir stellen einleitend einige weitere Facetten vor, auf die wir im weiteren Verlauf des Kapitels noch konkreter eingehen. Fallbeispiel Nicht schon wieder denkt Bernd. Hatte er mit Leo nicht sehr ausführlich besprochen, wie sie bei dem Kunden vorgehen sollen. Und was jetzt? Leo hat an seiner ursprünglichen Idee festgehalten und was ist passiert? Leo konnte die gewünschte Preisanpassung beim Kunden nicht durchsetzen. Bernd hatte es doch gleich gewusst und antwortet auf die Rückmeldung von Leo: „Ich habe das ja gleich gesagt, dass du das anders machen musst. Das war doch klar, dass das so nichts wird. Du musst besser auf das hören, was ich sage!“ Trotzdem unterstützt er Leo und begleitet ihn beim nächsten Kundenbesuch. Dass Leo distanziert wirkt, kann er nicht verstehen. Schließlich war das offensichtlich Leos Fehler. Da würde er sich von Leo schon mehr Kritikfähigkeit ­wünschen.

Um noch einmal den eigenen Standpunkt zu verdeutlichen und den „richtigen Weg“ aufzuzeigen, werden Vorwürfe gemacht. Womöglich ist es der Führungskraft in diesem Moment gar nicht bewusst, dass es sich tatsächlich um einen Vorwurf handelt. Eventuell ärgert sich die Führungskraft über den verlorenen Auftrag, die verlorene Chance, wobei die Vorwürfe dann als Ventil der Wut fungieren können. Wichtig ist dabei nicht, ob die Führungskraft einen Vorwurf formulieren möchte oder nicht, sondern ob Aussagen beim Mitarbeiter als Vorwurf ankommen. > Wertschätzung bedeutet, keine Vorwürfe zu machen, falls die Idee des Kollegen

nicht zum gewünschten Erfolg führt, sondern gemeinsam etwas aus der Situation zu lernen und an Verbesserungen zu arbeiten.

Vor der Festlegung eines neuen Vorgehens kann es hilfreich sein, die vergangene Situation noch einmal genau zu analysieren. So können einzelne Teilschritte durchaus erfolgreich gewesen sein oder das Potenzial haben, weiter ausgebaut zu werden. Diese sollten auch entsprechend positiv von der Führungskraft wahrgenommen und dem

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

Kollegen rückgemeldet werden. An dieser Stelle ergibt sich eine starke Verknüpfung zur Ressourcen- und Lösungsorientierung. Fallbeispiel Bei der Rückfahrt vom Kunden reflektieren Leo und Bernd noch einmal den Kundenbesuch. Bernd denkt daran, was alles hätte schief gehen können und sagt: „Gut, dass ich da noch rechtzeitig eingegriffen habe und mit zum Kunden gefahren bin!“. Leo bleibt still neben ihm. „Er könnte mir ruhig etwas dankbarer sein.“, denkt Bernd.

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Warum bleibt Leo so still? In dem Moment, in dem Bernd Dankbarkeit einfordert, fühlt sich Leo wenig wertgeschätzt. Durch das Einfordern von Dankbarkeit wird Leos Vorschlag sowie dessen Umsetzung noch einmal abgewertet. Dies kann dazu führen, dass Leo sich immer weiter zurück zieht und sich letztendlich entschließt, keine eigenen Vorschläge mehr zu machen. Kommt die Situation häufiger vor, wächst womöglich die Unzufriedenheit bei Leo. Er fühlt sich frustriert, glaubt seine Kompetenzen nicht richtig einsetzen zu können, zweifelt womöglich an sich selbst. Dies kann so weit gehen, dass er gesundheitliche Beschwerden entwickelt oder darüber nachdenkt, das Unternehmen zu verlassen. > Wertschätzung heißt, für eigene Ideen oder „Rettungsversuche“ als

Führungskraft keine Dankbarkeit einzufordern.

Stattdessen würden wir Bernd empfehlen, die Versuche, die Leo unternommen hat, wertzuschätzen und wenn möglich daran anzuknüpfen. Es gibt kaum eine Situation oder Verhaltensweise, an der man tatsächlich nichts Positives finden kann. Möchte Bernd Leo also weiterhin motivieren und ihn engagiert an seiner Seite wissen, sollte er ihn für die positiven Dinge loben und mit ihm gemeinsam überlegen, wie sie weiter vorgehen können. Auch diesen Aspekt sprechen wir im Kontext von Ressourcen- und Lösungsorientierung an. Fallbeispiel Es sind mittlerweile einige Wochen vergangen. Leo hat eine neue Aufgabe von Bernd übertragen bekommen. Durch die Erfahrungen der letzten Aufgabe ist Leo deutlich verunsichert. Er hat sich erste Gedanken gemacht, hat aber Sorge, in die falsche Richtung zu steuern. Aus diesem Grund entschließt er sich, seine Grundideen erst einmal mit Bernd zu besprechen. Als Leo sein Anliegen vorbringt, antwortet Bernd: „Das ist jetzt ganz schlecht, dass du mit diesem Problem kommst, weil ich ganz wichtige Dinge zu tun habe. Ich erwarte schon, dass du solche Themen eigenverantwortlich bearbeitest. … Wenn es nicht anders geht, dann nehme ich mir halt doch die Zeit.“ Leo ist wie vor den Kopf gestoßen. Er stammelt, dass es doch nicht so wichtig sei und verlässt den Raum. Bernd ist etwas verwundert über die Situation, denkt sich aber nichts weiter dabei und ruft den nächsten Kunden an.

Bernd ist zwar in diesem Beispiel letztendlich bereit, seine Hilfe anzubieten, allerdings nicht auf eine selbstverständliche Art. Oft vergessen wir, wie schwer es fallen kann, überhaupt erst nach Hilfe zu fragen. Wird diese dann nur widerwillig gegeben oder an Prämissen gebunden, riskiert man, dass der Gesprächspartner nicht mehr bereit ist,

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die Hilfe anzunehmen. Letztendlich ist dadurch keinem geholfen. Das Beispiel zeigt auch, wie eine Spirale in Gang kommen kann, an deren Ende ein Mitarbeiter steht, der sich wenig zutraut und eine Führungskraft, die sich darüber ärgert, dass ihr Mitarbeiter so wenig eigenverantwortlich arbeitet. > Wertschätzung bedeutet, Hilfe selbstverständlich anzubieten.

Dies bedeutet nicht, immer parat zu stehen, wenn jemand mit einem Anliegen auf Sie zukommt. Schließlich gibt es eigene Aufgaben zu erledigen. Es geht eher generell darum, die Bereitschaft zu zeigen und gegebenenfalls einen Termin zur Hilfestellung zu vereinbaren. Neben diesen vielfältigen Facetten von Wertschätzung, die wir anhand des Fallbeispiels verdeutlicht haben, lassen sich weitere wichtige Punkte finden. Sicherlich fallen Ihnen eine Reihe weiterer Punkte ein, wenn Sie sich einmal die Fragen stellen: Wann fühle ich mich wertgeschätzt? Welche konkreten Erlebnisse kommen mir da in den Sinn? Was war an diesen Erlebnissen für mich besonders wertschätzend? > So zeigt sich Wertschätzung zum Beispiel auch in der Dankbarkeit für geleistete

Arbeit.

Wenn ich mich als Führungskraft ständig für alles Mögliche überschwänglich bedanke, dann verliert mein „Danke“ seine Bedeutung. Es macht keinen Unterschied mehr. Mein „Danke“ muss angemessen sein. Praxistipp

Bedanke ich mich als Führungskraft, wenn ein Mitarbeiter etwas richtig gut gemacht hat? Dabei geht es nicht um ein floskelhaftes, allgemeines „Danke“, sondern um die wertschätzende Anerkennung ganz konkreter Leistungen: „Danke, dass du diesen eng gesteckten Termin einhalten konntest. Das war bestimmt nicht einfach.“, „Danke, dass es dir gelungen ist, in dieser schwierigen Preisverhandlung unser Ziel zu erreichen.“, „Danke, für die geleistete Mehrarbeit der letzten 4 Wochen.“, „Danke für die Erstellung der Präsentation. Du hast das Thema wirklich klar und knapp auf den Punkt gebracht und vor allem sehr gute Argumente für das neue System herausgearbeitet.“

Halte ich als Führungskraft getroffene Vereinbarungen (z. B. zu angekündigten Feedbackterminen, zu versprochenen Prämien, zu Karriereschritten) ein und zeige damit deutlich, dass mir wichtig ist, was wir vereinbart haben und ich nicht einfach darüber hinweggehe? Gebe ich zeitnah Rückmeldungen, wenn mir ein Mitarbeiter eine Frage stellt, Feedback einfordert, eine Entscheidung getroffen werden muss? > Auch verbindliches, verlässliches Verhalten ist ein wichtiger Teil von

Wertschätzung.

Wertschätzung ist damit eine sehr vielfältige Grundhaltung mit vielen Facetten.

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

Wissenschaftlicher Hintergrund

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Das Bedürfnis den eigenen Selbstwert zu erhalten und zu fördern ist nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis, sondern auch ein zentraler Ansatzpunkt für gute Führung (Semmer et al. 2010) und insbesondere auch für gesunde Führung (Greenberg 2006). Wir haben dies im Zusammenhang mit den Grundbedürfnissen bereits dargestellt. Die gefundenen Effekte von wertschätzendem Führungsverhalten auf die Schlafqualität von Mitarbeitern (Schlafstörungen als Stressindikator), sind ein wichtiger Hinweis für die Relevanz wertschätzender Führung für die Gesundheit (Greenberg 2006). Gerade auch Studien zur möglichen destruktiven Seite von Führung unterstreichen besonders deutlich, den Zusammenhang von fehlender Wertschätzung (z. B. beleidigendes Führungsverhalten, Mitarbeiter lächerlich machen) und Mitarbeitergesundheit (z. B. Tepper 2007; Nyberg et al. 2011). Wertschätzung kann sich in der Führungsarbeit in vielen unterschiedlichen Formen zeigen, wie bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel deutlich wurde: in Form von Lob und Anerkennung, Unterstützung, Respekt, konstruktivem Feedback, sozialer Verstärkung etc. (Stocker et al. 2014). > Im Kern geht es dabei um die Gestaltung einer vertrauensvollen, von

gegenseitigem Respekt geprägten Beziehung zwischen Mitarbeiter und Führungskraft.

Wertschätzung kann auch aus einer ganzheitlichen Perspektive betrachtet werden, die über die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter hinausgeht. Letztlich geht es um die Führungs- und Unternehmenskultur in einer Organisation, in der sich wertschätzungsrelevante Werte und Normen widerspiegeln und die in der Haltung einzelner zum Tragen kommen (Hinding et al. 2012). Praxistipp

So kann die Wertschätzung der Leistung einzelner Kolleginnen und Kollegen als Teil der Unternehmenskultur, bspw. bei Betriebsfeiern besonders zum Ausdruck gebracht werden, in dem Personen, die außerordentliches Engagement oder Leistung gezeigt haben, öffentlich geehrt werden. Anerkennende Worte für besondere Leistungen sind auch im kleinen Kreis im Rahmen von Teambesprechungen möglich. Auch kann eine Kultur der Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden, die vorsieht, dass bei entsprechender Leistung und Eignung die Möglichkeit der Entwicklung zur Führungskraft, zum Experten, zum Ausbilder etc. besteht. Interne Entwicklungsmöglichkeiten sind ein konkretes Wertschätzungsinstrument. Ebenso kann Wertschätzung für Mitarbeiter als Teil der Unternehmenskultur sichtbar gemacht werden, indem es bspw. eine Geburtstagsgratulation durch den Geschäftsführer oder ein Geburtstagsgeschenk durch das Unternehmen gibt oder indem ein Mitarbeiter, bei längerer Krankheit, eine Karte mit Genesungswünschen erhält. Gerade solche kleinen Gesten sollten in ihrer Wirkung nicht unterschätzt werden.

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Wertschätzende Führung wirkt auf die Gefühle der geführten Person und insbesondere auf deren Motivation (Franke und Felfe 2011). Greifen wir das Eingangsbeispiel mit Bernd und Leo noch einmal auf. Bernd hat in unserem Beispiel durch seine vorschnellen Vorschläge, Vorwürfe, Einfordern von Dankbarkeit und seine Hilfsangebote, die nicht selbstverständlich erfolgt sind, seinem Kollegen Leo wenig Wertschätzung in seiner Führungsarbeit entgegengebracht. Das Resultat war, dass sich Unsicherheit bei Leo entwickelt hat und Leo bei der Übergabe des neuen Projektes weniger motiviert war. Wird dieser Teufelskreis nicht durchbrochen, kann es passieren, dass Leo immer unsicherer wird und sich dadurch das gezeigte Führungsverhalten von Bernd noch verstärkt. Das könnte die Konsequenz haben, dass sich Leo am Ende weder ein eigenes Projekt zutraut, noch motiviert an die Arbeit geht. Letztendlich könnte sich das worst case Szenario entwickeln, dass weder Bernd noch Leo in der Zusammenarbeit eine Zukunft sehen. > Dieses Szenario verdeutlicht, dass Wertschätzung für gelingende Führung kein

schmückendes Beiwerk ist, sondern am Ende darüber entscheiden kann, ob ein Mitarbeiter fluktuiert oder nicht.

Umgekehrt kann wertschätzende Führung das Vertrauen des Mitarbeiters in sich selbst stärken (Liu et al. 2010). Die als nicht hilfreich empfundene Unterstützung, die im vorherigen Absatz beschrieben wurde, hat einen nachweislichen Einfluss auf gesundheitliche Beschwerden. Semmer und Jacobshagen (2003) befassten sich intensiv mit der Bedeutung des Selbstwertes bei der Entstehung von Stress. Selbstwert entsteht bzw. festigt sich einerseits durch die Bewertung der eigenen Person. Darüber hinaus ist jedoch beim Selbstwert auch die Bewertung und die Rückmeldung durch andere bedeutsam. Im Arbeitsleben ist dies oft die Führungskraft, die vor allem in Bezug auf die Arbeitsleistung, Rückmeldung gibt. Bei Wertschätzung geht es unter anderem auch um die Bewertung und Rückmeldung durch andere, die sich in Form von Kommunikation bspw. durch Feedback zeigt. Wertschätzende Führung kann ein positives Selbstkonzept fördern und erzeugt dabei Gelassenheit, die wiederum eine Voraussetzung für Erholung ist. Erholung schafft wiederum einen Nährboden für Gesundheit und gute Leistung beim Mitarbeiter (Semmer und Jacobshagen 2003). Fehlende Wertschätzung hingegen bedroht das Selbstwertgefühl, was dann als großer Stress wahrgenommen wird und sich wiederum negativ auf die Gesundheit und die Leistung der Mitarbeiter auswirken kann (Semmer 2008). Aus einer anderen Perspektive betrachtet, schafft ein Vorgesetzter durch Anerkennung eine Art Puffer, der die negativen Effekte kritischer Situationen abzumildern vermag (Fehlzeitenreport 2011). Unsere dargestellten Ansätze beziehen sich stark auf die Arbeiten von Semmer und seinen Kollegen. > Siegrist (2002) verdeutlichte in seinem Konzept der beruflichen Gratifikation,

dass es ein Gleichgewicht zwischen Verausgabung (effort) und Belohnung (reward) geben sollte.

Belohnung beinhaltet die Würdigung des Einsatzes durch Gehalt und andere finanzielle Formen der Anerkennung, durch Arbeitsplatzsicherheit, durch Karrieremöglichkeiten und vielfältige Formen immaterieller Anerkennung. Siegrist konnte in einer Reihe von Studien zeigen, dass ein Ungleichgewicht zwischen Verausgabung

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

und Belohnung das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem bei Männern, sowie das Risiko psychischer Erkrankungen wie Depressionen für beide Geschlechter erhöht (Siegrist und Dragano 2008). Ein empfundenes Ungleichgewicht aus Verausgabung und Belohnung bedeutet letztlich, dass sich der Mitarbeiter als Mensch und mit seiner Leistung nicht ausreichend wertgeschätzt fühlt. Hier ist Loben von Mitarbeitern als eine zentrale Form von Wertschätzung zu nennen. Dabei ist es wichtig, dass das Lob, ob durch Kommentare oder Gesten gezeigt, explizit auf die Leistung oder den Beitrag des Mitarbeiters abzielt (Yukl 2013). Die Berücksichtigung von Mitarbeiterbedürfnissen (Bass und Avolio 1994) sowie die Übertragung von interessanten Aufgaben (Eckloff und van Quaquebeke 2008) können weitere mögliche Ansatzpunkte für Wertschätzung darstellen. Letztendlich können Ehrungen im Rahmen einer Veranstaltung oder einer Auszeichnung ebenso Wertschätzung ausdrücken (Jacobshagen et al. 2008). Ulich (2013) weist auf die Gefahr von Gratifikationskrisen aufgrund mangelnder Wertschätzung hin, die er als eine Ursache für Abwesenheitstage aufgrund der Diagnosegruppe „Psychische und Verhaltensstörungen“ sieht, die sich innerhalb eines Jahrzehnts nahezu verdoppelt hat und mit hohen Kosten einhergeht. Impulse zur persönlichen Reflexion > Mit Blick auf die dargestellten Studienergebnisse ist Wertschätzung in der

Führung nicht „Nice-to-have“, sondern eine wichtige Voraussetzung um die Motivation, Gesundheit und damit auch die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter aufrecht zu erhalten und zu steigern.

Eine wertschätzende Haltung den Mitarbeitern gegenüber muss in der Unternehmenskultur verankert sein. Der Führungskraft mit ihrem meist täglichen, konkreten und direkten Kontakt zu den Mitarbeitern kommt für die Umsetzung der Unternehmenskultur eine ganz besondere Bedeutung zu. Praxistipp

Wir möchten Ihnen in Form eines Wertschätzungsbarometers (siehe . Abb. 6.1) ein Instrument an die Hand geben, mit dem Sie ihr eigenes Führungsverhalten in Bezug auf wertschätzende Führung reflektieren und im besten Fall einige Anregungen für Ihre Führungspraxis gewinnen können.

Wertschätzung ist eine Haltung, auch wenn sie sich in vielen konkreten Verhaltensweisen zeigt. Wir möchten Sie einladen, mit dem Wertschätzungsbarometer eine eigene Standortanalyse vorzunehmen und sich die Frage zu stellen „Wie wertschätzend führe ich heute schon?“. Die Standortanalyse gibt Ihnen die Möglichkeit, sowohl Bereiche zu identifizieren, in denen Sie bereits sehr wertschätzend führen, als auch Bereiche zu definieren, in denen Sie Ihr Führungsverhalten in Zukunft wertschätzender gestalten möchten.

61 Haltung: Wertschätzung

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Die Standortanalyse: Wertschätzungsbarometer

Um einschätzen zu können, wie wertschätzend Sie bereits führen bzw. in welchen Bereichen Sie sich noch entwickeln können, möchten wir Ihnen das Bild (. Abb. 6.1) eines Barometers an die Hand geben. Stark ausgeprägte wertschätzende Führung: Ich kann nahezu alle Fragen mit „ja“ beantworten. Ich habe viele positive Beispiele parat. Wertschätzende Führung mit moderatem Potenzial für Verbesserungen: Ich kann mindestens die Hälfte der Fragen mit „ja“ beantworten. Mir fallen einige positive Beispiele ein. Wenig wertschätzendes Führungsverhalten mit viel Potenzial für Verbesserungen: Ich beantworte die meisten Fragen mit „nein“. Ich habe kaum konkrete Beispiele. . Abb. 6.1 Wertschätzungsbarometer

Unser Wertschätzungsbarometer (. Abb. 6.1) ist natürlich kein exaktes Messinstrument, sondern ein Hilfsmittel zur groben Orientierung. Je mehr der Fragen Sie mit „ja“ beantworten können bzw. je mehr positive Beispiele Ihnen zu jeder Frage einfallen, desto stärker befinden Sie sich im Wohlfühlbereich (grüner Bereich), das heißt Sie haben bereits die ideale Temperatur erreicht. Die Fragen finden Sie ab Seite 63. Vielleicht gibt es jedoch auch Fragen, die Sie (noch) nicht mit „ja“ beantworten können oder bei denen Ihnen nur wenige Beispiele einfallen. Das kann dann ein Ansatzpunkt sein, ihre Haltung zu überdenken und gegebenenfalls neue Denk- und Verhaltensweisen auszuprobieren. Das Barometer lässt sich sowohl für jede Verhaltensweise einzeln einsetzen und ermöglicht auch, eine Gesamteinschätzung daraus abzuleiten. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich beim Wertschätzungsbarometer nicht um einen psychologischen Test handelt. Das Barometer soll für Sie lediglich ein einfaches Hilfsmittel darstellen, das Ihnen in Verbindung mit den Impulsfragen und den oben genannten Methoden hilft, ihr wertschätzendes Führungsverhalten zu reflektieren und zu visualisieren. Hieraus können sich gute Ansatzpunkte für eine Veränderung und Weiterentwicklung ergeben. Sie können das Wertschätzungsbarometer aus verschiedenen Blickwinkeln nutzen, beispielsweise indem Sie versuchen die Fragen aus Sicht eines Ihrer Mitarbeiter

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

zu beantworten: Was würde mein Mitarbeiter jeweils dazu sagen? Auf das eigene Führungsverhalten aus verschiedenen Perspektiven zu schauen, ist nicht nur für die Haltung Wertschätzung wichtig, sondern auch auf andere Haltungen und Handlungsfelder ist dies gut übertragbar. Wir erläutern zunächst die verschiedenen Blickwinkel und stellen dann eine Reihe von Fragen vor, die Sie für das Wertschätzungsbarometer nutzen können. Durch die Brille meines Mitarbeiters: Der Perspektivwechsel – in die Rolle meines Mitarbeiters schlüpfen

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Um das eigene Führungsverhalten reflektieren zu können, möchten wir Sie dazu einladen, bewusst die Perspektive eines Ihrer Mitarbeiter einzunehmen. Versetzen Sie sich in die Position Ihres Mitarbeiters. Impulsfragen zum Perspektivwechsel 5 Wie wertschätzend kommuniziert meine Führungskraft mit mir? 5 Wie stark fühle ich mich als Mensch wertgeschätzt? Wodurch fühle ich mich als Mensch wertgeschätzt? Durch welche konkreten Verhaltensweisen fühle ich mich nicht wertgeschätzt? 5 Wie stark wird meine Leistung durch die Führungskraft wertgeschätzt? Durch welche konkreten Verhaltensweisen wird meine Leistung wertgeschätzt? Durch welche konkreten Verhaltensweisen wird meine Leistung nicht wertgeschätzt?

Durch meine Brille als Mitarbeiter: Meine Rolle als Mitarbeiter nutzen

Die meisten von Ihnen werden selbst eine Führungskraft haben und kommen so automatisch in die Rolle des Mitarbeiters. Nutzen Sie auch die Reflexion dieser Rolle, um Ansatzpunkte für Ihre eigene wertschätzende Führung zu bekommen. Impulsfragen zu meinen eigenen Erfahrungen als Mitarbeiter 5 Woran merke ich, in meiner Rolle als Mitarbeiter, dass mir Wertschätzung entgegengebracht wird – in Worten, im Handeln und in der Haltung meines Gegenübers? 5 Wie stark fühle ich mich als Mensch wertgeschätzt? Wodurch schafft das meine Führungskraft? 5 Wie stark fühle ich mich in meiner Leistung wertgeschätzt? Wodurch schafft das meine Führungskraft?

Die Antworten auf diese Fragen können wichtige Hinweise liefern, wie ich mich in meiner Rolle als Führungskraft wertschätzend meinem Mitarbeiter gegenüber verhalten kann. Gleichzeitig bergen die Antworten die Chance, eigene Erwartungshaltungen an Ihre Führungskraft wahrzunehmen.

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Durch meine Brille als Führungskraft: Reflexion des eigenen Führungsverhaltens

In Ihrer Rolle als Führungskraft können Sie Ihr eigenes Führungsverhalten reflektieren. Impulsfragen zur Reflexion meines Führungsverhaltens 5 Wie schaffe ich eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung? 5 Wie wertschätzend kommuniziere ich als Führungskraft? 5 Wie verknüpfen wir Wertschätzung für alle mit differenzierenden Anerkennungsmechanismen?

Durch die Brille der Außenstehenden: Feedback durch andere einholen

Selbstverständlich können Sie auch andere nach ihrem Führungsverhalten fragen, ihre Mitarbeiter direkt, ihren Vorgesetzten oder auch außenstehende Personen. Achten Sie darauf, dass Sie nicht in einen Modus des Sichrechtfertigens und Widersprechens verfallen, falls bspw. kritische Punkte benannt werden, die sie nicht annehmen können und wollen. Wir empfehlen, sich Feedback unkommentiert anzuhören und nur bei Verständnisschwierigkeiten nachzufragen. Fragen Sie zunächst bei einer Person nach, bei der Sie sich sicher fühlen. Impulsfragen für das Wertschätzungsbarometer

Die Impulsfragen sind zwei geteilt. Zunächst schlagen wir Fragen vor, die sich mit wertschätzendem Verhalten der Person gegenüber beschäftigen. Der zweite Teil bezieht sich dann auf die Wertschätzung der Leistung. Wir empfehlen Ihnen, die einzelnen Fragen durchzugehen und Ihr momentanes Führungsverhalten auf dem Barometer einzuschätzen. Spannend kann es auch sein, jede Frage durch die vier verschiedenen Brillen zu betrachten, die wir oben vorgestellt haben. Wertschätzung des Menschen: Die Person als Menschen mit ihren Besonderheiten und individuellen Bedürfnissen wahrnehmen. a) Kenne ich die Namen aller meiner Mitarbeiter, auch der Auszubildenden und Praktikanten? Kenne ich die Geburtstage meiner Mitarbeiter? Wie gut nehme ich wichtige Ereignisse im Leben meiner Mitarbeiter wahr (Hochzeiten, Geburten, Jubiläen, etc.)? Wie gut gehe ich darauf mit Worten oder Taten (Geschenke, Karten etc.) ein? Wie gut weiß ich als Führungskraft über die familiäre Situation meiner Mitarbeiter Bescheid? Begrüße ich meine Mitarbeiter am Morgen? Verabschiede ich mich am Abend? Interessiere ich mich für Freizeitaktivitäten und die Urlaube meiner Mitarbeiter? Frage ich nach?

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung



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Nehme ich wahr, wenn es einem Mitarbeiter einmal nicht so gut geht? Wie schaffe ich dies bei Mitarbeitern, die bspw. an einem anderen Standort arbeiten? Wie gut bin ich darüber informiert, welche Aufgaben/Projekte jeder Mitarbeiter hat? Wie gut bin ich informiert, wenn ein Mitarbeiter aktuell eine Belastungsspitze hat/ein wichtiges Projekt bearbeitet oder abgeschlossen hat etc.? b) Wie gut kenne ich die Bedürfnisse meiner Mitarbeiter? Wie gut weiß ich, was jedem einzelnen Mitarbeiter wichtig ist? Wie gut gehe ich auf diese Bedürfnisse ein? c) Wie respektvoll gehe ich mit meinen Mitarbeitern um? Halte ich Termine mit meinen Mitarbeitern ein? Reagiere ich zeitnah auf die Anliegen meiner Mitarbeiter? d) Wie ausreichend nehme ich mir Zeit für meine Mitarbeiter? Habe ich regelmäßige Abstimmungstermine? Frage ich regelmäßig nach, wie es meinen Mitarbeitern geht? Wie erreichbar bin ich für meine Mitarbeiter, wenn Sie eine Frage oder ein Anliegen haben? Wertschätzung der Leistung: a) b)

Wie stark schätze ich die Leistung meiner Mitarbeiter wert? Wie häufig spreche ich meinen Mitarbeitern gegenüber Anerkennung aus? Wie konkret ist Anerkennung auf die relevante Leistung hin formuliert? Wie individuell habe ich die Anerkennung formuliert? Wie zeitnah an die Leistung habe ich Anerkennung ausgesprochen? Wie viel Raum gebe ich meinen Mitarbeitern für Ideen? Wie offen höre ich mir Ideen an? Wie gut gelingt es mir, meine eigenen Ideen hinten anzustellen? Wie gut lasse ich Ideen zu, auch wenn ich mir eine andere Lösung oder Vorgehensweise bereits überlegt habe? c) Wie wertschätzend gehe ich mit Misserfolgen um? Wie gut gelingt es mir, keine Vorwürfe zu machen, wenn ich mit dem Ergebnis nicht zufrieden bin? Wie konstruktiv analysiere ich mit meinen Mitarbeitern die Situation? Wie gut gelingt es mir, positive Teilschritte, Strategien etc. trotz Misserfolgen wahrzunehmen? d) Wie gut helfe ich meinen Mitarbeitern auf eine selbstverständliche Art und Weise? Wie gut unterstütze ich meine Mitarbeiter ohne dafür Dankbarkeit einzufordern? Wie gut gelingt es mir, meine Mitarbeiter zu unterstützen, ohne ihnen alles abzunehmen? Wie erfolgreich unterstütze ich meine Mitarbeiter mit Hilfe von Fragen dabei, selbst auf Lösungsmöglichkeiten zu kommen? e) Wie gut zeige ich meine Wertschätzung in der Übergabe von motivierenden Aufgaben? Wie gut gelingt es mir, interessante, realisierbare und gleichzeitig fordernde Aufgaben zu übergeben?

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Wie verständlich übergebe ich Aufgaben, damit mein Mitarbeiter weiß, was ich als Führungskraft erwarte? Wie gut Frage ich nach der Übergabe von Aufgaben nach, um herauszufinden, welche Erwartungen der Mitarbeiter an mich als Führungskraft hat? f) Inwieweit gibt es in meiner Unternehmens- und/der Teamkultur die Möglichkeit, besondere Leistungen zu ehren? Welche Form der Ehrung gibt es? (z. B. persönliches Schreiben, öffentliche Auszeichnung) Welche Rituale der Wertschätzung gibt es? Vielleicht bringen Sie diese Fragen auf die ein oder andere Idee, wie Sie noch mehr Wertschätzung für Ihre Mitarbeiter zum Ausdruck bringen können. Wir wollen dieser Frage noch etwas weiter nachgehen. Allerdings noch kurz auf einen Knackpunkt beim „Danken“ eingehen. > Vage, allgemeine Dankesworte, die sich nicht auf konkrete Leistungen beziehen,

können sogar schaden, wenn mein Mitarbeiter den Eindruck gewinnt, dass ich seine Leistung gar nicht sehe und lediglich Floskeln verwende.

Besonders kritisch wird es dann, wenn in offiziellen Ansprachen Dankesworte ausgesprochen werden und sich dies mit der täglichen Praxis nicht deckt. Dann können solche Dankesworte nicht nur als oberflächlich, sondern auch als zynisch wahrgenommen werden. Dann richten sie mehr Schaden an, als dass sie einen Nutzen bringen. Was kann ich tun, um mehr Wertschätzung in meine tägliche Führungsarbeit zu bringen? Im Folgenden möchten wir Ihnen noch weitere Ideen an die Hand geben, wie Sie Ihren Mitarbeitern sowohl auf der menschlichen Ebene, als auch in Bezug auf die Leistung mit möglichst viel Wertschätzung begegnen können. Wertschätzung heißt Nachfragen Dabei ist es notwendig sich vor Augen zu führen, dass jeder Mensch anders ist. Um dieser Andersartigkeit gerecht zu werden, jeden Menschen individuell zu behandeln und wirklich die für den Menschen passende Art der Wertschätzung zu finden, müssen Sie mit Ihren Mitarbeitern ins Gespräch kommen. Sie können Ihrem Mitarbeiter nicht 100 % sicher am Gesicht ablesen, was er gerade denkt und braucht. Wir empfehlen aus diesem Grund sich ausreichend Zeit, bspw. in Mitarbeiter/Personalgesprächen zu nehmen. Nur so bekommen Sie einen realistischen Blick darauf, ob und wie stark sich Ihr Mitarbeiter von Ihnen wertgeschätzt fühlt, an welchen Stellen er sich eine Veränderung wünscht und welche Veränderung er sich wünscht. So kann es dem einen Mitarbeiter sehr wichtig sein, dass Sie seinen Geburtstag nicht vergessen, während dies für einen anderen Mitarbeiter kaum Bedeutung haben mag. Ein anderer Mitarbeiter erlebt Wertschätzung vor allem dann, wenn er anspruchsvolle Aufgaben übertragen bekommt.

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

Wertschätzung heißt, auf den anderen eingehen Selbstverständlich ist es nicht ausreichend, nur abzufragen, was dem Mitarbeiter wichtig ist. Wertschätzung bedeutet auch, auf die Bedürfnisse und Wünsche einzugehen, wenn dies möglich ist, bspw. an den Geburtstag zu denken oder eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übertragen. Wertschätzung heißt, Dranbleiben Der Prozess der Wertschätzung ist dabei nie abgeschlossen, sondern es sollte immer wieder nachgefragt, darauf eingegangen, daran gedacht werden.

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Empfehlungen, um Wertschätzung in Gesprächen mit Mitarbeitern zu thematisieren. 5 Versuchen Sie viele offene Fragen zu stellen: In welchen Situationen nimmst du mich als wertschätzend wahr? In welchen nicht? Woran liegt es, dass du mich als mehr oder weniger wertschätzend wahrnimmst? Welche Veränderungen würdest du dir wünschen? Was soll ich aus deiner Sicht so beibehalten? 5 Machen Sie nicht sofort Angebote, was an Ihrem Verhalten Sie verändern können, sondern fragen Sie Ihren Mitarbeiter explizit, was er sich wünscht. 5 Bedenken Sie, dass nicht nur Sie alleine die Verantwortung tragen. Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit und auch Sie haben das Recht, wertschätzend behandelt zu werden. Das bedeutet auch, dass Sie ansprechen sollten, was Sie unter wertschätzender Zusammenarbeit verstehen und was Ihnen im Umgang miteinander wichtig ist. 5 Fallen Sie nicht gleich mit der Tür ins Haus und nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um sich bei Ihrem Mitarbeiter ein Feedback zu Ihrem Führungsverhalten einzuholen. Dafür bieten sich Personalgespräche an, da dort meist auch dem Mitarbeiter ein Feedback durch die Führungskraft gegeben wird. Dies hat außerdem den Vorteil, dass das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Mitarbeiter im Gespräch ausgewogen ist, wodurch eine vertrauensvolle Atmosphäre entstehen kann. 5 Hören Sie sich die Rückmeldung Ihres Mitarbeiters in Ruhe an. Eine Rechtfertigung ist nicht notwendig und bringt in der Regel nichts. Bedenken Sie die Feedbackpunkte in Ruhe und überlegen Sie sich, welche Punkte Sie umsetzen können und wollen. 5 Diese Überlegungen zum Stellen von Fragen, zum Geben und Nehmen von Feedback etc. sind natürlich nicht nur für die Haltung Wertschätzung wichtig, sondern lassen sich auf andere Haltungen und Handlungsfelder übertragen.

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Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

Durch Zeichen der Wertschätzung für einen Mitarbeiter kann ich andere Mitarbeiter enttäuschen „Ich lobe viel im Team und spreche viel Anerkennung aus. Habe aber gehört, dass manche Mitarbeiter meinen, dass sie dabei zu kurz kommen. Irgendwie kann man das einfach nicht richtig machen.“ Das Bemühen um wertschätzende Führung muss eng mit dem Bemühen um Fairness verzahnt werden, wobei wir auf Fairness in einem eigenen Kapitel genauer eingehen. Wenn Kolleginnen und Kollegen die Wertschätzung, die eine andere Person materiell oder immateriell erfährt als unfair erleben, dann kann Wertschätzung für einen, für andere zu negativen Wirkungen führen. Wenn sich eine Führungskraft beispielsweise stark für die Meinung eines einzelnen Mitarbeiters interessiert, dann mag dies für diesen Mitarbeiter sehr wertschätzend sein, andere Kolleginnen und Kollegen fühlen sich benachteiligt und erleben gerade das Gegenteil von Wertschätzung. Praxistipp

Hierin liegt ein wichtiger Fallstrick für wertschätzende Führung: Habe ich wirklich alle Kolleginnen und Kollegen im Blick? Interessiere ich mich für alle Kolleginnen und Kollegen? Nehme ich gute Leistungen, Engagement etc. bei allen Kolleginnen und Kollegen wahr und würdige ich das in gleicher Weise? Die Frage, ob ich womöglich jemanden bevorzuge ist mit Blick auf Fairness und Wertschätzung eine ganz zentrale Reflexionsfrage.

Mir fällt es schwer, Wertschätzung mit kritischem Feedback zu verknüpfen. „Ich spreche kritische Punkte lieber nicht an, um meinen Mitarbeiter nicht zu kränken. Mir ist ein harmonisches Miteinander sehr wichtig.“ In der Praxis erleben wir, dass sich manche Führungskräfte schwer damit tun, Kritikpunkte oder Konflikte offen anzugehen, weil sie befürchten, die betroffenen Personen zu verletzen oder Missstimmungen zu erzeugen. Und ja: Wenn ein Mitarbeiter für Fehler kritisiert wird, wenn Konflikte offen angesprochen werden, dann kann das auch als Angriff oder als Kränkung wahrgenommen werden – gerade auch wenn Fehlverhalten angesprochen wird. > Der Umgang mit Kritik und mit Konflikten kann für die Beteiligten schmerzhaft

und anstrengend sein. Doch was ist die Alternative? Die Aufrechterhaltung einer gewissen Scheinharmonie mag kurzfristig bequem sein, aber auf lange Sicht hat das wenig mit Wertschätzung zu tun. Für uns gehört auch Ehrlichkeit zu Wertschätzung mit dazu. Mitarbeiter haben es verdient, dass ihre Führungskraft ehrlich und aufrichtig mit ihnen umgeht. Auf lange Sicht ist dies wertschätzender, als mit Kritik hinter dem Berg zu halten oder Konflikte unter den Teppich zu kehren.

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Kapitel 6 · Haltung: Wertschätzung

An erster Stelle sollte in solchen Gesprächen immer ein respektvoller Umgangston stehen. Machen wir uns jedoch nichts vor: Gespräche zu Kritikpunkten und Konflikten werden zumindest am Anfang oft als unangenehm und belastend erlebt. Doch wer als Führungskraft solche Gespräche vermeidet, kann nicht zu Klärungen und Lösungen kommen. Es ist wahrscheinlich, dass es allen Beteiligten auf lange Sicht schlechter damit geht, als sich der Situation zu stellen. Unter dem Strich ist es ein Kennzeichen von Wertschätzung, wenn ich den durchaus anstrengenden Weg als Führungskraft gehe und Kritik offen anspreche, statt diese zu verschweigen. Wenn mir der Mitarbeiter egal ist, dann lasse ich alles wie es ist. Ist mir mein Mitarbeiter aber wirklich wichtig, gehören auch offene Gespräche zu kritischen Themen mit dazu. Fallbeispiel

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Stellen Sie sich beispielsweise vor, dass ein neuer Mitarbeiter im Team an seinen ersten Arbeitstagen jeweils um 10 Uhr mit seiner Arbeit begonnen hat, obwohl es im Team bei Ihnen üblich ist, dass bis 8:30 Uhr alle Mitarbeiter da sind. Sie haben bereits im Vorstellungsgespräch gesagt, dass es diese Regel gibt. Nehmen wir einmal an, dass Ihr Mitarbeiter dazu andere Anliegen hat, die Sie im Moment gar nicht und in der Zukunft nur teilweise werden erfüllen können. Dann geht es nicht ohne Ehrlichkeit und Klarheit. Ein Gespräch könnte dann beispielsweise von Ihnen als Führungskraft so gestaltet werden: Führungskraft: „Mir ist es wichtig, heute mit dir über das Thema Arbeitszeit zu sprechen. Mir ist aufgefallen, dass du gestern und vorgestern jeweils um 10 Uhr mit der Arbeit begonnen hast. Was ist denn dazu der Hintergrund?“ Mitarbeiter: „Ich bin mehr der Typ, der später anfängt und dafür länger arbeitet. An der Uni ging das recht gut. Da habe ich selten vor 10 Uhr oder 11 Uhr angefangen. Ich dachte auch, dass wir hier flexible Arbeitszeiten haben und ich mir das frei einteilen kann. Ist es in Ordnung, wenn ich so zwischen 10 Uhr und 11 Uhr anfange?“ Führungskraft:

» Ich kann nachvollziehen, dass das an der Uni so war, wie du es beschreibst. Ich

finde es auch gut, dass du deine Anliegen offen ansprichst. Behalte dir das bitte bei. Auch wenn es für dich jetzt eine Umstellung bedeutet, möchte ich dich bitten, dass du bis spätestens um 8:30 Uhr bei uns im Team bist. Wenn du deutlich später anfängst als die anderen Kolleginnen und Kollegen und am Abend länger arbeitest, dann ist am Abend niemand mehr da, um dir bei Fragen zu helfen oder dir etwas zu zeigen, was in der Einarbeitung sehr wichtig ist. Außerdem könnten sich deine Kolleginnen und Kollegen ärgern, weil vor 10 Uhr bereits viele Anrufe eingehen, die deine Kolleginnen und Kollegen dann für dich übernehmen müssen. Das wäre nicht gut für die Zusammenarbeit im Team. Auch ich möchte möglichst viel gemeinsame Arbeitszeit mit dir haben, um dir etwas zu erklären, für deine Fragen da zu sein und besser einschätzen zu können, wie gut du mit deinen Aufgaben zurechtkommst. Wie nachvollziehbar sind diese Punkte für dich?

Mitarbeiter: „Das wäre schon eine starke Umstellung für mich, weil ich wirklich früh nicht gut aus dem Bett komme. Ich habe mal ein Praktikum gemacht. Da war das ganz schwierig.“

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Führungskraft:

» Gerade im ersten Jahr ist es mir wichtig, dass es dir gelingt bis 8:30 Uhr da zu sein.

Das kann ich aus den genannten Gründen nicht anders regeln. Im besten Fall ist die Einarbeitung dann weitgehend abgeschlossen. Dann können wir reflektieren, ob du womöglich auch teilweise im Homeoffice arbeiten kannst, um dir die Anfahrt zu sparen. Das könnten dann allerdings nur ein oder zwei Tage in der Woche sein. Das kann ich dir heute allerdings nicht versprechen. Da möchte ich keine falschen Versprechungen machen. Das müssen wir uns in einem Jahr anschauen. Aber auch dann wäre es wichtig, dass du ab 8:30 Uhr erreichbar bist. Mir ist dieser Punkt so wichtig, weil die Erreichbarkeit am Telefon für deine Tätigkeiten bei uns eine große Rolle spielt. Deswegen spreche ich das auch sofort an, damit das nicht in eine falsche Richtung läuft. Mir ist wichtig, dass ich solche Punkte immer gleich ehrlich anspreche. Wie nachvollziehbar ist das für dich?

Mitarbeiter: „Puhh … das wird ganz schön schwer werden für mich. Aber es ist schon gut, dass du mir das so erklärst und dich nicht hinten rum über mich ärgerst oder mir vielleicht gleich in der Probezeit kündigst.“ Führungskraft: „Was kannst du tun, damit das gut gelingt?“ Mitarbeiter: „Da muss ich meinen Tagesablauf umstellen. Da muss ich am Abend früher ins Bett und kann am Morgen auch nicht zum Joggen gehen. Da muss ich echt einiges verändern.“ Führungskraft: „Wie hat das dann in deinem Praktikum geklappt?“ Mitarbeiter: „Das hat dann schon funktioniert, weil ich da auch früher anfangen musste. Das ging dann schon.“ Führungskraft:

» Womöglich hat es auch positive Auswirkungen für dich, wenn du dann am Abend

mehr Zeit gewinnst. Mir ist es wichtig, dass du das umsetzt, auch wenn es dir am Anfang womöglich schwerfällt. Das ist für deine Arbeit bei uns sehr wichtig. Ich fasse das für uns auch in einer E-Mail nochmal kurz zusammen, weil ich wichtige Gespräche immer festhalte. Mit Blick auf das, was du alles an Erfahrung schon mitbringst und mit Blick auf die Arbeit, die du an den ersten Tagen jetzt schon gemacht hast, glaube ich wirklich, dass du gut zu uns passt. Wenn dein Umgang mit der Arbeitszeit auch gut funktioniert, dann bin ich für deine Arbeit bei uns sehr zuversichtlich.

Wertschätzung kann für mich als Führungskraft sehr anstrengend sein.

„Mir ist es als Führungskraft wichtig, dass ich mir möglichst viel Zeit für die Sorgen meiner Mitarbeiter nehme und mich möglichst stark kümmere.“ Wir erleben in der Praxis Führungskräfte, die sich sehr stark für die Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeiter interessieren und diese sehr empathisch begleiten. Fallbeispiel So bemerkt beispielsweise eine Führungskraft bei einer Mitarbeiterin seit einiger Zeit eine sehr gedrückte Stimmung. Im Gespräch schildert die Mitarbeiterin eine Reihe von privaten Problemen, vor allem in ihrer Partnerschaft und mit ihren Kindern, die sich

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negativ auf ihre Stimmung auswirken, wobei sie deutlich signalisiert, dass sie über die Themen nicht ausführlicher mit ihrer Führungskraft sprechen möchte. „Die Mitarbeiterin blockt meine Hilfsangebote ab“, so die Führungskraft. „Sie öffnet sich nicht, dabei könnte ich ihr doch vielleicht helfen.“ Die Führungskraft möchte gerne helfen und meint, dass ihre Mitarbeiterin sich von außen professionelle Hilfe holen sollte, zum Beispiel bei einer Beratungsstelle. In solchen Fällen ist es wichtig, die Privatsphäre der Mitarbeiterin zu respektieren und die Verantwortung auch bei ihr zu belassen. Die Entscheidung, was die Mitarbeiterin sagen und tun möchte und von wem sie sich helfen lassen möchte, muss bei ihr liegen. Die Führungskraft ist nicht für das Lebensglück ihrer Mitarbeiterin verantwortlich. So lange die Arbeitsleistung oder das Teamklima nicht deutlich unter der gedrückten Stimmung leiden, besteht für die Führungskraft kein Handlungsbedarf.

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Es kann also ein zu viel an Interesse und Empathie geben. > Wenn Führungskräfte die Sorgen ihrer Mitarbeiter zu ihren eigenen machen, sie

mit nach Hause nehmen und viel Zeit und Kraft dafür aufwenden, dann kann sich das zu einer sehr großen Belastung für die Führungskräfte auswachsen.

Ich muss mich als Führungskraft auch abgrenzen. Es ist wichtig Interesse und Empathie beispielsweise bei privaten Sorgen, wie familiären Problemen, Trennungen, Krankheit von Angehörigen etc. zu zeigen. Die Beschäftigung damit muss jedoch dort ihre Grenzen finden, wo sie anfängt die Führungskraft ihrerseits zu überfordern. Es wäre auch unfair mit Blick auf andere Kolleginnen und Kollegen, wenn beispielsweise die private Situation eines Kollegen so viel Zeit und Kraft der Führungskraft kostet, dass die anderen Kolleginnen und Kollegen mit ihren Anliegen nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Deshalb braucht Wertschätzung im Interesse aller Beteiligten ein gesundes Maß. Fazit 5 Wertschätzung beginnt bei einem respektvollen Miteinander mit vermeintlichen Kleinigkeiten: meinen Mitarbeiter ausreden lassen, grüßen, die Türe aufhalten. Das mag trivial erscheinen, sind aber wichtige sichtbare Zeichen von Wertschätzung. 5 Auch im verbindlichen Umgang miteinander zeigt sich die Wertschätzung der Führungskraft. Halte ich Zusagen ein? Komme ich pünktlich zu Abstimmungen mit meinen Mitarbeitern? 5 Wer sich nicht für seine Mitarbeiter interessiert, wird kaum wertschätzend führen können. Zeige ich ehrliches Interesse an den beruflichen, aber auch privaten Anliegen meiner Mitarbeiter? Interessiere ich mich für ihre Arbeit? Weiß ich was sie tun? Wie häufig spreche ich mit ihnen über ihre Arbeit, über ihre Erfolge, über Verbesserungsmöglichkeiten? 5 Spüren meine Mitarbeiter meine Dankbarkeit? Spreche ich beispielsweise meinen Dank für besondere Leistungen in einer Teambesprechung aus oder bedanke ich mich im persönlichen Gespräch? Ein einmaliges „Danke“ im jährlichen Personalgespräch ist zu wenig. Dankbarkeit muss im normalen Arbeitsalltag spürbar sein. 5 Setze ich mich dafür ein, dass besondere Leistungen auch materiell anerkannt werden, beispielsweise durch eine Leistungsprämie oder eine Gehaltserhöhung?

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Wertschätzung hat eine immaterielle, aber auch eine materielle Seite. Wer nur auf eine der beiden Seiten setzt, vergisst 50 %. Zeige ich Wertschätzung, in dem ich mich um Anliegen meiner Mitarbeiter zügig kümmere? Wie lange warten beispielsweise meine Mitarbeiter bis ich eine E-Mail beantworte oder ihnen Feedback zu einer Aufgabe gebe? Schenke ich meinen Mitarbeitern ausreichend Zeit? Wie gut bin ich für meine Mitarbeiter erreichbar? Wie im privaten, so ist gemeinsame Zeit auch im Arbeitskontext ein wertvolles Gut und „sich Zeit nehmen“ ein wichtiges Signal der Wertschätzung. Verantwortung zu übertragen und Gestaltungsspielräume zu eröffnen, ist für viele Mitarbeiter ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung. Sie sehen, dass ihre Kompetenzen und ihre bisherigen Erfolge gewürdigt werden. Wertschätzung heißt nicht, dass immer Harmonie herrscht. Wertschätzung schließt gerade auch ehrliches Feedback mit ein. Wertschätzung bedeutet, dass ich als Führungskraft einen Standpunkt habe und diesen offen und klar vertrete. Wertschätzung bedeutet, dass ich Konflikte angehe, dass ich offen mit meinem Mitarbeiter Selbst- und Fremdbild abgleiche, dass ich unangenehme Themen in der Zusammenarbeit angehe. Wertschätzung kann deshalb zumindest kurzfristig sehr hart und schmerzhaft sein – auf lange Sicht jedoch sehr gesund für alle Beteiligten.

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Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_7

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

Habe ich als Führungskraft einen Blick dafür, was meine Mitarbeiter alles können oder halte sich sie für inkompetent? Interessiere ich mich dafür, was noch an Talenten in ihnen steckt oder habe ich die Hoffnung auf Kompetenzentwicklung aufgegeben? Meine Haltung als Führungskraft, macht da einen großen Unterschied; mit Wirkungen auf die Leistung und Gesundheit meiner Mitarbeiter. Schaue ich bei unseren Herausforderungen im Team auf vorhandene Lösungsansätze und versuche ich diese zu fördern oder beschäftige ich mich vor allem mit dem Klagen über Probleme und mache diese dadurch womöglich noch größer? In diesem Kapitel laden wir zu einer Haltung der Ressourcen- und Lösungsorientierung ein. Es macht einen Unterschied. Es ist der erste Schritt um sich als Führungskraft ein gesundes Team der Talente zu schaffen.

Beispiel und Einführung

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Fallbeispiel Wenn Martin bei einer Aufgabe Fehler unterlaufen, dann empfindet er es als sehr hilfreich, dass sein Chef nicht auf diesen Fehlern herumreitet und ihn dafür in die Pfanne haut, sondern konstruktiv damit umgeht. Konstruktiv bedeutet für Martin, dass sein Chef in der Regel fragt: „Was kannst du, beziehungsweise was können wir tun, damit sich die Fehler nicht wiederholen? Was können wir daraus lernen? Welche Erfahrungen hast du gemacht? Was würdest du mit Blick auf diese Erfahrungen beim nächsten Mal anders machen?“ Martin weiß bei Fehlern selbst sehr genau, dass das nicht gut ist und findet es wichtig, dass sein Chef dann den gefühlten Stress nicht noch erhöht, sondern eher unterstützend wirkt. Martin hat einen hohen Anspruch an die Qualität seiner Arbeit und ärgert sich über Fehler, die ihm unterlaufen. Wenn die Qualität der Aufgabenerledigung nicht so wichtig ist, dann wertet Martins Chef kleinere Fehler oder eine weniger perfekte Aufgabenerledigung eher als Zeichen, dass Martin die richtigen Prioritäten gesetzt hat und sich um eine produktive Arbeitsweise bemüht. Martins Chef sagt dann gerne: „Es bringt nichts, noch mehr Zeit hineinzustecken, weil uns bei dem Thema auch 80 % reichen. Das ist völlig in Ordnung so. Mehr Perfektion wollen und können wir uns bei dem Thema nicht leisten.“ Wenn Martin bei einer Aufgabe einmal nicht weiterweiß, dann erlebt er die Gespräche mit seinem Chef ebenfalls als sehr unterstützend. Sein Chef sagt dann häufig Sätze wie: „Was hast du schon versucht, um das Problem zu lösen? Welche Lösungsansätze gehen dir noch durch den Kopf? Was könntest du noch ausprobieren? Welche ähnlichen Aufgaben hatten wir schon in der Vergangenheit und wie haben wir das damals gemacht? Welchen Kollegen könntest du noch fragen, der schon Erfahrungen mit der Aufgabe hat?“ Oft ergeben sich Lösungsansätze im Gespräch, ohne dass Martins Chef ihm sagt, er solle die Aufgabe so oder so angehen. > Das Fallbeispiel verdeutlicht zwei Facetten von Ressourcen- und

Lösungsorientierung. Zum einen konstruktiv mit Fehlern umzugehen und Fehler in erster Linie als Lerngelegenheit zu nutzen, also etwas Sinnvolles aus Fehlern zu machen. Zum anderen davon auszugehen, dass für viele Probleme die notwendigen Ressourcen bei der Person, die etwas als problematisch wahrnimmt, bereits vorhanden sind und für die Lösung gut genutzt werden können.

75 Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

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Sicher können Mitarbeiter auch Fehler machen, die erheblichen Schaden für die Organisation verursachen oder bei Verstößen gegen rechtliche Bestimmungen sanktioniert werden müssen, zum Beispiel bei Bestechung. Diese Art von Fehlverhalten ist hier nicht gemeint. Die allermeisten sogenannten „Fehler“ können in anderer Weise konstruktiv genutzt werden. Bei vielen „Fehlern“ lassen sich aus unserer Sicht Eskalationsspiralen vermeiden. Unter Fehlern verstehen wir zum Beispiel, wenn ein Mitarbeiter eine Vorgehensweise wählt, die im Vergleich zu anderen suboptimal ist, obwohl ihm die richtige Vorgehensweise bekannt sein sollte oder wenn Aufgaben oder bestimmte Arbeitsschritte „vergessen“ werden. Wie gehen wir als Führungskräfte mit solchen Fehlern um? Werden Fehler sanktioniert, kann dies unerwünschte Gegenreaktionen hervorrufen: Verunsicherung und in der Folge noch mehr Fehler oder auch Widerstand gegen die Sanktionsmaßnahmen, z. B. es wird nur noch Dienst nach Vorschrift gemacht. Solche Gegenreaktionen können dann wiederum zu verschärften Sanktionsmaßnahmen führen. So können Eskalationsspiralen in Gang kommen, die in ihrer Wirkung großen Schaden für alle Beteiligten anrichten. Ressourcen- und Lösungsorientierung meint in diesem Fall Fehler, wie im Eingangsbeispiel angedeutet, so zu nutzen, dass Mitarbeiter und Unternehmen profitieren können und die angedeuteten Eskalationsspiralen vermieden werden. Praxistipp

Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter einen notwendigen Arbeitsschritt vergessen hat, können die folgenden Fragen hilfreich sein: Wie kannst du sicherstellen, dass du diesen Arbeitsschritt in Zukunft ausführst? Was ist an Training notwendig oder an Erinnerungshilfen? Wie können Rahmenbedingungen (z. B. Ablenkungen) so verändert werden, damit der Fehler nicht mehr oder seltener auftritt?

Diese Herangehensweise bedeutet nicht, Fehler Schulter zuckend zu akzeptieren, sondern durch geeignete Fragen und Vereinbarungen aus Fehlern zu lernen und zu vermeiden, dass der gleiche Fehler wiederholt auftritt. Wer macht denn schon gerne Fehler? Sicher können wiederholte Fehler auch ein Anzeichen dafür sein, dass Stelle und Person nicht so gut zusammenpassen und eine andere Stelle mit anderen Aufgaben und Anforderungen für die Person besser geeignet ist. Auch das kann offen und konstruktiv besprochen werden. Bei guter Personalauswahl sollte das jedoch eher die Ausnahme sein. Mit Blick auf den zweiten Teil des Eingangsbeispiels ist ergänzend wichtig, dass es natürlich Aufgaben geben kann, bei denen ein Mitarbeiter ganz konkreten fachlichen Rat von seiner Führungskraft benötigt oder eine klare Arbeitsanleitung, wie etwas zu tun ist. In vielen Fällen lassen sich jedoch vorhandene Ressourcen der Mitarbeiter gut nutzen und es sind mehr Ressourcen vorhanden oder aktivierbar, als Führungskraft und Mitarbeiter womöglich auf den ersten Blick glauben. Vorschnelle Ratschläge und Anweisungen führen dann dazu, dass vorhandene Ressourcen gerade nicht genutzt und gefördert werden. Ein Rückgang der Eigenverantwortung und Initiative ist dann wahrscheinlich.

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

Die beiden beschriebenen Facetten von Ressourcen- und Lösungsorientierung haben aus unserer Sicht für den Arbeitskontext hohe Relevanz. Ohne Frage kann unter Ressourcen- und Lösungsorientierung noch viel mehr verstanden werden. Wir gehen auf weitere Facetten noch ein. In unserem Beispiel haben wir zwei Facetten herausgegriffen, die uns besonders wichtig erscheinen. Ressourcen- und Lösungsorientierung haben aus unserer Sicht eine große Schnittmenge, auch wenn man beide Aspekte sicher auch getrennt voneinander behandeln könnte. Bevor wir noch genauer beschreiben, was wir unter Ressourcen- und Lösungsorientierung alles verstehen, wollen wir noch darauf eingehen, was wir mit dem Ressourcenbegriff meinen: Was verstehen wir unter Ressourcen? > Ressourcen umfassen für uns alle Möglichkeiten, die jemand in sich trägt, um

Anforderungen gut bewältigen zu können.

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Der sehr breite und etwas vage Begriff Möglichkeiten ist bewusst so gewählt, weil für uns unter Ressourcen vieles fällt, was einem in schwierigen Situationen für die Problemlösung hilfreich sein kann. Mit Ressourcen in diesem Sinne meinen wir keine Arbeitsmittel, Budgets oder helfende Kollegen, die für einen Mitarbeiter bei der Bewältigung einer Aufgabe wichtig sein können, sondern die immateriellen Möglichkeiten, die in ihm selbst liegen. Damit fällt sehr viel unter den Ressourcenbegriff. Das können ganz spezifische Fertigkeiten, wie die Bedienung einer bestimmten Computersoftware, sein. Fähigkeiten, die durch Aus- und Weiterbildung oder durch training on the job entwickelt wurden, stellen wichtige Ressourcen dar, aber auch Haltungen, die sich beim Mitarbeiter entwickelt haben. Wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter die Haltung entwickelt hat, dass er die meisten Arbeitsaufgaben aus eigener Kraft gut bewältigen kann, dann kann diese Haltung eine wichtige Ressource sein. Die Nutzung solcher innerer Ressourcen kann ein wichtiger Schlüssel sein, um andere Ressourcen, wie die Unterstützung von Kollegen zu erschließen. Wenn es einem Mitarbeiter zum Beispiel gelingt, offen auf seine Kollegen zuzugehen und um Hilfe zu bitten, dann kann das eine wichtige Ressource dafür sein, Unterstützung zu bekommen und die gestellten Aufgaben in der Folge besser bewältigen zu können. Ressourcenorientierung bedeutet als Führungskraft zum einen, dem Mitarbeiter dabei zu helfen, seine vielfältigen Ressourcen, die jeder Mitarbeiter hat, möglichst gut in der jeweiligen Organisation zu nutzen. Zum anderen bedeutet es auch als Führungskraft dabei mitzuhelfen, dass die vorhandenen Ressourcen erhalten und ausgebaut werden und im besten Fall neue Ressourcen erschlossen und entwickelt werden können. Da steckt als Führungskraft die Haltung dahinter: „Mein Mitarbeiter kann etwas. Mein Mitarbeiter hat viele Kompetenzen. Mein Mitarbeiter ist Experte für die Bewältigung seiner beruflichen Aufgaben.“ Ressourcenorientierung zielt damit auf die Förderung der Eigenverantwortung der Mitarbeiter ab. > Lösungsorientierung meint im Kern, dass sich eine Führungskraft vor allem damit

beschäftigt, dass von ihr selbst und in ihrem Umfeld viel Kraft für die Schaffung von Lösungen für aufkommende Anforderungen aufgewandt wird.

Es geht darum viel Energie in Lösungen zu stecken. Sie meinen, dass das doch selbstverständlich sei? Nicht unbedingt. In der Praxis geht es leider immer wieder zu sehr,

77 Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

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um die Beschreibung von Problemen, das Klagen über Probleme und die Verstrickung in Ursachenforschung, ohne etwas in Richtung Verbesserung zu tun. Ganz einfach formuliert: Wie stark schaue ich als Führungskraft auf vorhandene Ressourcen und helfe mit, dass sie genutzt werden? Wie stark bin ich an Lösungen interessiert und tue etwas dafür? Dahinter steckt die Zuversicht der Führungskraft: „Wir werden schon eine Lösung finden. Uns fällt schon etwas ein. Wir können noch viel ausprobieren, um zu einer guten Lösung zu kommen.“ Ressourcen- und Lösungsorientierung ist eine wichtige Haltung für gelingende Führung. Eine Art Grundvoraussetzung ohne die es schwierig wird ein Team zu gesundem Erfolg zu führen. Wichtige Merkmale von Ressourcen- und Lösungsorientierung. 5 Fehler und Scheitern als Lernchancen begreifen. Einen Blick für den Nutzen schwieriger Situationen entwickeln. In Fehlern und im Scheitern kann viel Nutzen stecken. Beispielsweise lernen wir, wie etwas nicht funktioniert. Wir können daraus Schlussfolgerungen ziehen und in der Folge unsere Fähigkeiten verbessern. Möglicherweise gewinnen wir sogar an Selbstvertrauen, wenn wir nach einem Misserfolg nicht aufgeben, sondern wieder anpacken, etwas daraus lernen, Neues ausprobieren und schließlich Erfolge erzielen. 5 Auch wenn wir beispielsweise ein Ereignis im ersten Schritt als enttäuschend interpretieren, können daneben auch noch weitere Sichtweisen möglich sein. Es kann noch mehr für uns in den Ereignissen stecken, beziehungsweise wir können auch erlebte Enttäuschungen für unsere Entwicklung nutzbar machen. Die Kategorisierungen „gut“ oder „schlecht“, „richtig“ oder „falsch“ können doch leicht zu Vereinfachungen führen, die der Komplexität des Arbeitslebens nicht gerecht werden. Etwas nicht geschafft zu haben, kann in gewisser Hinsicht schlecht sein, in anderer Hinsicht gut und vieles dazwischen. Wir werben sehr für einen differenzierten Umgang mit Fehlern und Scheitern. Nehmen wir einmal an, ein Verkäufer erhält einen Kundenauftrag nicht und kommt zu dem Schluss, dass er wichtige Kundenfragen zum Produkt nicht gut beantworten konnte. Wenn der Verkäufer dieses Scheitern so für sich nutzt, dass er in der Folge seine Produktkenntnisse verbessert, so kann diese Lernerfahrung für viele folgende Verkaufsgespräche einen hohen Nutzen stiften. Fehler und Scheitern können eine wertvolle Investition in Weiterbildung sein: Wie kann ich aus dem Misserfolg lernen? Welcher Nutzen steckt für mich darin? Wie wird mir das für die Zukunft helfen? 5 Für viele Probleme verfügt der Mitarbeiter über Ressourcen, die genutzt werden können. Womöglich traut er sich noch nicht diese Ressourcen zu nutzen oder sie sind ihm noch nicht so bewusst. Zuversicht in die Fähigkeiten eines Mitarbeiters ist für dessen Ressourcenentwicklung hilfreicher als Zweifel und Misstrauen. Zuversicht als Basis für persönliches Wachstum: Schaue ich gemeinsam mit meinem Mitarbeiter auf die Ressourcen, die er hat und überlege mit ihm, wie wir sie nutzen und ausbauen können oder denke ich noch zu stark in Defiziten, die ausgeglichen werden müssen?

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

5 Es sollte grundsätzlich mehr Energie in die Suche nach Lösungen, als in die Beschäftigung mit Problemen gesteckt werden. Wer zu tief in den Problemsee eintaucht, wird darin ertrinken. Ohne Frage ist es nur menschlich und verständlich, wenn Probleme ausführlich beschrieben werden, wenn darüber geklagt wird und Hypothesen zu möglichen Ursachen entwickelt werden. Das hat sicher seine Berechtigung und kann zum Beispiel soziale Unterstützung von Kollegen erschließen. Der Großteil der Energie sollte jedoch in das Schaffen von Lösungen gesteckt werden. In der Praxis gibt es Teams, die eine gewisse „Jammerkultur“ entwickelt haben und sehr gut beschreiben können, was nicht funktioniert und warum es nicht funktioniert. Möglicherweise werden dann auch äußere Ereignisse als kritisches Problem beschrieben, um Gespräche zu erzeugen, die für den Zusammenhalt der Gruppe oder für Teilgruppen wichtig sind. Zu Klagen erfüllt für die Beteiligten immer eine wichtige Funktion. Wenn dies jedoch viel Zeit in Anspruch nimmt und keine Lösungen entwickelt werden, dann leidet die Leistung des Teams. Es ist wichtig als Führungskraft das Klagen über Probleme durchaus zu würdigen, dann aber im nächsten Schritt diese Energie gemeinsam mit dem Team in die Entwicklung von Lösungen zu lenken. Möglichst viel Kraft in die Schaffung von Lösungen zu stecken, bedeutet ganz konkret, dass ich weniger beschreibe, was weg soll, sondern mehr beschreibe, was entstehen soll. Lösungssuche ist immer wichtiger als Ursachenforschung: Wie stelle ich mir den gewünschten Zustand vor? Was kann ich tun, damit er erreicht wird? Was kann heute der erste kleine Schritt sein? 5 Offenheit für positive Ereignisse an den Tag legen. Bin ich als Führungskraft dazu bereit, positive Entwicklungen zu sehen? Wenn ich als Führungskraft in erster Linie eine Problembrille trage, dann werde ich auch in kurzer Zeit von Problemen umzingelt sein. Womöglich gelingt es mir sogar die besten Lösungsansätze noch in Probleme umzudeuten. In Abteilungen, die für die Risikobewertung von Projekten oder für die Einhaltung von existenziellen Sicherheitsstandards, z. B. in einem Kernkraftwerk, zuständig sind, ist eine ausgeprägte Problembrille möglicherweise eine hilfreiche Ressource. In vielen anderen Kontexten verstellt der Blick auf Probleme die Sicht auf positive Ansatzpunkte. Das heißt nun nicht, die Augen vor kritischen Ereignissen zu verschließen und alles durch eine rosarote Brille zu sehen, sondern bei allem Schauen auf das was noch verbessert werden muss, das Erreichte und erkennbare positive Entwicklungen sehr zu würdigen. Blick auf positive Entwicklungen: Welche positiven Ansätze sind erkennbar? Was ist schon gut gelungen? Was sollte so beibehalten oder noch verstärkt werden? 5 Vertrauen darauf, dass Verbesserungen möglich sind. Natürlich darf jede Führungskraft Sorgen und Zweifel haben und sollte diese auch offen mitteilen dürfen. Zum einen ist es auch für Führungskräfte wichtig, soziale Unterstützung zu erfahren und zum anderen kann es sehr hilfreich sein in schwierigen Situationen die Lösungskompetenzen des Teams zu nutzen. Als grundlegende Haltung ist dabei hilfreich, wenn ich als Führungskraft davon ausgehe, dass Verbesserungen möglich sind und das auch signalisiere. Wenn mein Denken

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als Führungskraft stark von Sorgen und Zweifel geprägt ist, dann passt die Führungsfunktion wahrscheinlich nicht so gut zu mir. Das kann sonst sehr anstrengend für mich und mein Team werden. Vorbild beim Thema Optimismus: Wie zuversichtlich spreche ich über unsere Möglichkeiten und Chancen, die sich bieten? 5 Starke Würdigung von Lösungsansätzen, auch wenn sie (noch) nicht hinreichend zielführend waren. Nehme ich als Führungskraft wahr, was meine Mitarbeiter schon unternommen haben, um eine Aufgabe erfolgreich zu erledigen? Bin ich mir bewusst, welche Hindernisse sie schon genommen haben und kann ich das auch würdigen? Wenn ich als Führungskraft vor allem sehe, was noch fehlt, was noch nicht erreicht worden ist, was noch anders gemacht werden muss, dann kann das viel Stress erzeugen und auch demotivierend wirken. Im Grunde geht es um die Frage, ob ich als Führungskraft eher ermuntere oder ob ich eher ermahne. Beides hat seine Berechtigung. Zur Förderung von Leistung und Gesundheit ist ersteres wichtiger als letzteres. Mehr ermuntern als ermahnen: Wofür kann ich Dank und Anerkennung aussprechen? Was haben meine Mitarbeiter schon alles geschafft? 5 Aktivitäten zum Erhalt und zum Ausbau vorhandener Ressourcen. Bei einem Leistungssportler, zum Beispiel einem Fußballspieler, ist jedem Hobbytrainer klar, dass es ein hohes Risiko für den langfristigen Erfolg darstellt, wenn ein Spieler ein Spiel mit einer Verletzung bestreitet und eine Verletzung nicht hinreichend auskuriert wird. Jeder Laie wird es darüber hinaus für wenig klug halten, einen Fußballspieler nur Pflichtspiele absolvieren zu lassen und sonst auf Trainingsphasen zu verzichten. Aktivitäten zum Erhalt und zum Ausbau von Ressourcen sind nicht nur im Leistungssport wichtig, sondern bei jeder Art von Leistung. Auskurieren von Erkrankungen, Training und Regeneration sind unverzichtbar. Wir werben sehr dafür, Arbeit so zu gestalten, dass Mitarbeiter langfristig in der Organisation gute Leistungen erbringen können. Aber natürlich ist das auch eine Haltungsfrage. Sicher kann in Organisationen auch mit der Prämisse gearbeitet werden, dass Mitarbeiter nach einigen Jahren die Organisation wieder verlassen, weil mit Blick auf die Pflege der Ressourcen eine langfristige Beschäftigung in der Organisation nicht oder kaum möglich ist. Wir werben sehr dafür mit den Ressourcen der Mitarbeiter einer Organisation so nachhaltig umzugehen, dass diese grundsätzlich bis zum Erreichen des Rentenalters in der Organisation arbeiten können. Ressourcen langfristig erhalten und ausbauen: Welche Ressourcen möchte ich als Führungskraft bei meinen Mitarbeitern besonders fördern? Wie kann uns das gut gelingen?

Wer seine Mitarbeiter für inkompetent und faul hält, wird anders mit ihnen umgehen, als eine Führungskraft, die ihre Mitarbeiter als kompetent und engagiert einschätzt. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf das Verhalten und führt wiederum zu Reaktionen bei den Geführten. So beeinflussen wir als Führungskräfte durch unsere Haltungen und unser Verhalten wesentlich das Verhalten unserer Mitarbeiter. Wenn ich als Führungskraft meine Mitarbeiter zum Beispiel als jammernd, häufig krank und

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

wenig engagiert erlebe, dann kann ich mit der Frage beginnen, welche meiner Haltungen diese Verhaltensweisen meiner Mitarbeiter mit erzeugt haben und sie mit aufrechterhalten. Womöglich erleben Sie diese Aussage als Provokation. Es soll Ihnen als Führungskraft auch nicht alle Verantwortung dafür aufgeladen werden, wenn ein Mitarbeiter wenig engagiert etc. ist. In der Praxis erleben wir jedoch, dass Führungskräfte die Verantwortung allein beim Mitarbeiter sehen und sich ihrer eigenen Rolle dabei deutlich zu wenig bewusst sind. > Es ist gut nachvollziehbar, die Verantwortung für demotivierte Mitarbeiter

bei den Mitarbeitern, bei äußeren Umständen, bei den nächst höheren Führungskräften zu suchen. Das ist nur menschlich, bringt uns als Führungskräfte aber nicht weiter. Als Führungskraft muss ich anfangen über meinen eigenen Beitrag nachzudenken – mein Verhalten ist für mich auch leichter veränderbar, als beispielsweise das Verhalten der nächst höheren Führungskräfte.

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Wissenschaftlicher Hintergrund > Die beschriebene Haltung der Ressourcen- und Lösungsorientierung zielt stark

darauf ab, die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter zu fördern. Ihnen also die Möglichkeit zu geben, etwas zu bewirken, zu steuern, Erfolge zu erzielen, mehr Sicherheit bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben zu entwickeln.

Damit zielt Ressourcen- und Lösungsorientierung stark auf das Bedürfnis etwas leisten zu wollen, ab. Darauf sind wir im einleitenden wissenschaftlichen Kapitel eingegangen. Die Mitarbeiter sollten erleben, dass sie etwas können, dass sie Ressourcen haben und dass sie ihre Ressourcen zielführend einsetzen können. Das Konzept der Selbstwirksamkeit ist zentraler Teil der sozial-kognitiven Lerntheorie und spielt in der psychologischen Forschung der letzten Jahrzehnte eine ganz wichtige Rolle (z. B. Bandura et al. 1988; Jex und Bliese 1999; Rabenu und Yaniv 2017). Wenige Ansätze waren für die psychologische Forschung der letzten Jahrzehnte so prägend wie dieser Forschungsstrang, gerade auch mit Blick auf die Arbeits-, Betriebsund Organisationspsychologie (Judge et al. 2007). Wer Selbstwirksamkeit fördert, unterstützt damit Gesundheit und Leistung (Newman et al. 2014). Mitarbeiter mit stark ausgeprägter Selbstwirksamkeit setzen sich hohe Ziele, gehen positiv an Herausforderungen heran, zeigen Ausdauer und bleiben dran, wenn Hindernisse zu überwinden sind (Fida et al. 2015; Luthans et al. 2015). Sie nehmen kritische Ereignisse als nicht so emotional belastend wahr und erleben in der Folge weniger negativen Stress (Fida et al. 2015; Jex und Bliese 1999). In einer umfangreichen Metaanalyse, in der 57 Einzelstudien mit mehr als 22.700 Beschäftigten einbezogen wurden, konnten für den Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeit und Burn-out signifikante, mittlere Zusammenhänge gefunden werden: Mitarbeiter mit höheren Ausprägungen in der Selbstwirksamkeit waren weniger anfällig für Burn-out (Shoji et al. 2015). Selbstwirksamkeit können wir als eine universelle Ressource begreifen, die als wichtige Quelle zur Bewältigung verschiedener Aufgaben und Herausforderungen bei der Arbeit wirkt (Holahan et al. 1996). Eng verknüpft mit dem Konzept der Selbstwirksamkeit sind Konzepte wie Optimismus, Zuversicht und auch Resilienz (Rabenu

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und Yaniv 2017). Optimistische Menschen sehen die Ursache von Erfolgen vor allem bei sich und schöpfen daraus Zuversicht, um zukünftige Herausforderungen mit Engagement und Ausdauer zu verfolgen und bei Schwierigkeiten nach neuen Wegen zu suchen (Rabenu und Yaniv 2017). > Resilienz meint vor allem, sich an schwierige Situationen anpassen zu können

und seine Ressourcen auch unter schwierigen Bedingungen zu erhalten oder wieder herzustellen (Rabenu und Yaniv 2017).

Uns geht es weniger um die wissenschaftliche Definition und Abgrenzung dieser Begriffe, sondern darum deutlich zu machen, dass wir durch die Haltung der Ressourcen- und Lösungsorientierung beim Mitarbeiter Selbstwirksamkeit, Optimismus, Zuversicht und Resilienz fördern wollen, was sich mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv auf seine Gesundheit und auch seine Leistung auswirkt (Newman et al. 2014). Selbstwirksamkeit, Optimismus, Zuversicht und Resilienz scheinen wichtige, allgemeine Ressourcen zu sein, um mit den täglichen Herausforderungen im Arbeitsalltag gesund umgehen zu können (Rabenu und Yaniv 2017). Auf der Basis dieser Ressourcen werden kritische Ereignisse bei der Arbeit in einem positiveren Licht gesehen und aktiv angegangen, um sie zu verändern, anstatt in eine passive Vermeidungshaltung zu gehen, was bei geringerer Ausprägung dieser Ressourcen eher der Fall ist (Rabenu und Yaniv 2017). Verschiedene Studien unterstreichen die Relevanz von Selbstwirksamkeit für die Gesundheit (Shoji et al. 2015). Mit Blick auf die Leistung ist allerdings auch anzumerken, dass der Einfluss von Selbstwirksamkeit auf die Leistung im Vergleich zu Intelligenz, Berufserfahrung und Gewissenhaftigkeit eher gering ausfällt (Judge et al. 2007). Wer mit einer Haltung der Ressourcen- und Lösungsorientierung führt, wird seinen Mitarbeitern ganz automatisch möglichst viel Handlungs- und Entscheidungsspielraum gewähren. Dies wiederum wird seit den 1980iger Jahren in vielen Studien als Ursache für Arbeitszufriedenheit und Gesundheit beschrieben (z. B. Bakker und Demerouti 2006; Lobban et al. 1998; Pangert und Schüpbach 2011). In ihrer Metaanalyse kommen Lange et al. (2003) zu dem Ergebnis, dass Gestaltungsmöglichkeiten ursächlich zu besserer Gesundheit bei Mitarbeitern führen. In unserem einleitenden Kapitel zu den wissenschaftlichen Grundlagen sind wir bereits auf das Bedürfnis nach Kontrollmöglichkeiten eingegangen, das quasi die Grundlage für die in diesem Absatz genannte Forschung bildet. Impulse zur persönlichen Reflexion

Als Haltung ist Ressourcen- und Lösungsorientierung generell hilfreich zur Gestaltung guter Führung, sozusagen als Basis für andere Führungsaufgaben, die wir in nachfolgenden Kapiteln noch genauer beschreiben, wie die Koordination des Teams. Anhand von Fragen wollen wir noch stärker verdeutlichen, was wir unter dieser Haltung verstehen. Solche Fragen können Sie sich als Führungskraft in ganz unterschiedlichen Situationen stellen, zum Beispiel, wenn Mitarbeitern Fehler unterlaufen, wenn Ihre Mitarbeiter viele Ereignisse als Probleme wahrnehmen, wenn Mitarbeiter Sie um Unterstützung bitten. Die Fragen dienen zum einen für Sie als Führungskraft zur Selbstreflexion, können allerdings auch sehr einfach in Fragen für das direkte Gespräch mit Ihrem Mitarbeiter umformuliert werden.

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen für Sie als Führungskraft, wenn Sie ein Mitarbeiter um Unterstützung bei einer komplexen Aufgabe bittet: 5 Welche möglichen Lösungsansätze fallen dem Mitarbeiter selbst ein? 5 Wie möchte der Mitarbeiter vorgehen? 5 Welche Informationsquellen, Dokumentationen, Ansprechpartner etc. können dem Mitarbeiter bei der Bewältigung der Aufgabe helfen? 5 Was war in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen hilfreich? 5 Welche Lösungsansätze, die mein Mitarbeiter schon ausprobiert hat, kann ich würdigen? 5 Was kann mein Beitrag als Führungskraft zur Problemlösung sein, ohne dem Mitarbeiter zu viel Verantwortung abzunehmen?

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Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen für Sie als Führungskraft, wenn Sie sich über das Verhalten eines Mitarbeiters ärgern. 5 Was daran macht mich ärgerlich und warum? 5 Was lerne ich aus dieser Situation? 5 Wie muss ich mein Feedback an den Mitarbeiter formulieren, damit es einen möglichst hohen Nutzen für alle Beteiligten hat? 5 Wie nutze ich den Ärger so, dass am Ende etwas Gutes herauskommt? Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen für Sie als Führungskraft, wenn Sie mit einem Mitarbeiter nicht so gut auskommen: 5 Wann war die Situation besser? 5 Was habe ich da anders gemacht? 5 Welche Wirkungen hatte da mein Verhalten? 5 Was könnte ich alles ausprobieren, um mit dem Kollegen wieder besser auszukommen? 5 Welche Auswirkungen hat es auf mein Verhalten, wenn ich jetzt einfach mal annehme, dass mein Kollege ein starkes Interesse daran hat, mit mir gut auszukommen? Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen für Sie als Führungskraft, wenn Sie ein Mitarbeiter um ein Gespräch zu seinen Entwicklungsmöglichkeiten bittet: 5 Was kann mein Mitarbeiter alles gut? 5 Welche Beispiele für kompetentes Verhalten meines Mitarbeiters fallen mir ein? 5 Welche Aufgaben passen mit Blick auf Interessen und Talente gut zu meinem Mitarbeiter? 5 Wie kann ich meinen Mitarbeiter dabei unterstützen, dass er seine Interessen und Talente so einsetzen kann, dass er einen möglichst hohen Nutzen für unsere Organisation erbringt? 5 Wie kann ich meinen Mitarbeiter dabei unterstützen seine Ressourcen zu erhalten und weiter auszubauen? 5 Welche Aufgaben oder Funktionen können für den Mitarbeiter in Zukunft noch infrage kommen?

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Lösungs- und ressourcenorientierte Fragen für Sie als Führungskraft, wenn in Ihrem Team Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen herrscht: 5 Was bedeutet für die Teammitglieder „gute Arbeitsbedingungen“? 5 Als wie nah an diesem Ziel sehen sich meine Teammitglieder heute? 5 Was müsste sich verändern, um dem Ziel ein Stück näher zu kommen? 5 Was können alle im Team gemeinsam zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Richtung Ziel beitragen? 5 Was kann ich als Führungskraft noch dazu tun, damit wir uns an das Ziel annähern? 5 Was erwarten meine Teammitglieder von mir als Führungskraft, um dem Zielzustand näher zu kommen? Welchen Erwartungen kann ich entsprechen, welchen nicht? Wie erläutere ich das meinen Mitarbeitern? 5 Was könnten kleine Schritte in Richtung Ziel sein, die bereits einen spürbaren Unterschied machen? 5 Welche Arbeitsbedingungen nehmen wir heute schon als gut wahr? 5 Was wollen wir bei den Arbeitsbedingungen so erhalten? 5 In welchen Situationen erleben wir die Arbeitsbedingungen als besser? 5 Was ist in diesen Situationen anders? 5 Was spricht alles dafür, dass es uns gelingt die Arbeitsbedingungen zu verbessern?

Möglicherweise komme ich als Führungskraft zu der Schlussfolgerung, dass ich in vielen Situationen bereits ein hohes Maß an Ressourcen- und Lösungsorientierung an den Tag lege, dass ich in solchen Situationen, wie vorgeschlagen, handle und auch mit den Wirkungen meines Verhaltens zufrieden bin. Möglicherweise komme ich jedoch auch zu der Überlegung, dass es noch Situationen gibt, in denen meine eigentlich stark vorhandene Ressourcen- und Lösungsorientierung für mich noch nicht hinreichend zugänglich ist und ich möchte das gerne verändern. Möglicherweise gibt es Situationen, in denen ich durch mein Führungsverhalten unerwünschte Wirkungen erzeuge. Was kann ich tun, um meine Ressourcen- und Lösungsorientierung zu stärken? Wir möchten dazu fünf verschiedene Ansatzpunkte vorstellen, die sich in ähnlicher Weise auch auf andere Haltungen oder Verhaltensweisen übertragen lassen. Wir beschreiben diese Ansatzpunkte hier exemplarisch anhand des Themas „Ressourcenund Lösungsorientierung“ möchten allerdings ausdrücklich dazu ermuntern, das Vorgehen nicht nur auf diesen spezifischen Bereich zu beschränken, sondern generell für die Arbeit an der eigenen Führungskompetenz zu nutzen. Praxistipp

Erstens empfehlen wir Führungskräften generell sich andere Führungskräfte innerhalb und gerne auch außerhalb ihrer Organisation zur kollegialen Beratung zu suchen. Das kann bedeuten, sich bei einem Mittagessen zu aktuellen Führungsthemen auszutauschen, sich zu eigenem Verhalten ein Fremdbild von

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

außen einzuholen und das eigene Verhalten kollegial infrage stellen zu lassen. Es geht weniger um Bestätigung, sondern mehr um alternative Sichtweisen und Verhaltensweisen, die womöglich (noch) nicht in meinem Verhaltensrepertoire als Führungskraft vorhanden sind. Wenn Sie sich lediglich Bestätigung abholen möchten, dann wird Sie das als Führungskraft kaum weiterbringen. Suchen Sie sich bewusst andere Führungskräfte, die Ihnen kritisch den Spiegel vorhalten. Auch wenn das erstmal ungewohnt und womöglich sogar schmerzhaft sein kann. Oft geht es in unserer Entwicklung da ein Stück weiter für uns, wo wir zunächst gewisse Wachstumsschmerzen erleben.

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Kollegialer Austausch kann verschiedene Funktionen erfüllen: er kann soziale Unterstützung für die Führungskraft erschließen und kann hilfreich für den Umgang mit konkreten Führungsaufgaben sein, indem gemeinsam Lösungen entwickelt werden. Im besten Fall wird das Verhaltensrepertoire erweitert. Auch für die Netzwerkbildung innerhalb der Organisation kann kollegialer Austausch förderlich sein; mit positiven Auswirkungen für die Führungskraft und ihren Verantwortungsbereich. Kollegialer Austausch kann gerade auch für die Förderung von Haltungen genutzt werden, indem ich mir als Führungskraft bewusst andere Führungskräfte als Modelle suche, von denen ich etwas mit Blick auf meine Haltungen als Führungskraft lernen möchte. Sich bewusst Vorbilder zur kollegialen Beratung suchen: 5 Welche Führungskräfte nehme ich in meinem Umfeld als stark ressourcen- und lösungsorientiert war (z. B. in Besprechungen, bei der Bearbeitung gemeinsamer Aufgaben)? Welche Führungskräfte zeigen also Haltungen, die ich bei mir selbst noch weiter stärken möchte? 5 Welche Führungskräfte haben im Unternehmen den Ruf besonders ressourcenund lösungsorientiert zu handeln (z. B. aus Sicht von Mitarbeitern oder von anderen Führungskollegen)? 5 Wen habe ich in der Zusammenarbeit als besonders ehrlich und konstruktiv-kritisch erlebt? 5 Wer kommt vor diesem Hintergrund als Gesprächspartner für kollegialen Austausch infrage?

Bei der Suche nach Gesprächspartnern für kollegialen Austausch geht es nicht darum, eine andere Führungskraft mit Blick auf alle möglichen Haltungen und Verhaltensweisen als vorbildlich wahrzunehmen, sondern mit Blick auf bestimmte Aspekte, die ich bei mir selbst fördern möchte. Das ideale Führungsvorbild wird es kaum geben. Wie angesprochen, kann ich diese Impulsfragen auch auf andere Themen übertragen und mir beispielsweise überlegen, welche Führungskraft ich als besonders wertschätzend oder besonders partizipativ etc. wahrnehme.

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Kollegiale Beratung kann ganz konkret bedeuten, anderen Führungskräften Führungsthemen zu schildern und sie um ihre Sichtweisen zu bitten: Welche Gedanken gehen dir da durch den Kopf? Wie interpretierst du die Situation? Was würdest du möglicherweise denken und tun? Kollegiale Beratung setzt Interesse an anderen Sichtweisen voraus und die Bereitschaft sich mit den gewonnenen Anregungen zu beschäftigen. Interessant sind vor allem Impulse, die einen Unterschied zu bisherigen Haltungen und Verhaltensweisen erzeugen. Dabei kann auch ohne Namensnennung über einzelne Mitarbeiter gesprochen werden. Vertraulichkeit ist dabei sehr wichtig. Im Dialog kann ich meine eigenen Sichtweisen hinterfragen und mich möglicherweise auf andere Perspektiven einlassen. Es geht nicht darum sich gegenseitig von etwas zu überzeugen, sondern neugierig auf andere Sichtweisen zu sein, die möglicherweise wirkungsvoller sind, als die eigenen Sichtweisen. Also Sichtweisen, die zu anderem Verhalten führen und in der Folge andere Wirkungen erzeugen. Es kann sehr spannend sein, andere Perspektiven kennenzulernen und auszuprobieren, welche Auswirkungen unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhalten haben. Praxistipp

Neben kollegialer Beratung ist Selbstreflexion ein zweiter wichtiger Ansatzpunkt. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich in einer Führungssituation noch wenig ressourcen- und lösungsorientiert handle, dann kann ich das bewusst als Anlass zur Selbstreflexion nutzen. Als Führungskraft sollte ich mich immer wieder mit meinen Haltungen und Verhaltensweisen auseinandersetzen.

Fallbeispiel Nehmen wir als Beispiel einen Mitarbeiter, der ein Projekt nicht rechtzeitig abschließen konnte. Ich nehme jetzt verschiedene Gedanken bei mir als Führungskraft wahr, die wenig ressourcen- und lösungsorientiert sind. Hierzu einige mögliche Gedanken: „Der Mitarbeiter ist einfach immer unverbindlich!“, „Auf den kann man sich nicht verlassen!“, „Das ist doch jetzt schon das zweite Mal. Das geht gar nicht!“, „Da muss ich jetzt mal hart durchgreifen!“, „So eine Unverschämtheit! Ich lasse mir doch nicht auf der Nase herumtanzen!“ Solche Reaktionen sind normal. Es lohnt sich jedoch, nicht einfach weiter in den eingefahrenen Denkmustern zu verharren, sondern sich einmal selbst beim Denken und vor allem den Wirkungen zu zuschauen. Diese Sichtweisen haben nämlich eine bestimmte Wirkung. Möglicherweise ärgere ich mich und führe ein harsches Kritikgespräch mit meinem Mitarbeiter. Möglicherweise hat das den gewünschten Effekt, dass keine Terminüberschreitungen mehr vorkommen, möglicherweise ist der Mitarbeiter aber auch am nächsten Tag krank und ich erziele die gewünschte Wirkung nicht. Möglicherweise entsteht eine Eskalationsspirale mit negativen Auswirkungen für Gesundheit und Leistung. Alternativ kann ich mir Gedanken zu möglichen anderen Sichtweisen machen, die dann möglicherweise zu anderen Verhaltensweisen führen.

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Mögliche konstruktive Sichtweisen bei einem Mitarbeiter, der ein Projekt nicht rechtzeitig abschließen konnte: 5 „Der Mitarbeiter hat im Moment sehr viel zu tun und kann das womöglich gar nicht alles schaffen. Das müssen wir uns zusammen einmal genau anschauen.“ 5 „Bislang hat der Mitarbeiter seine Projekte nahezu immer pünktlich abgeschlossen. Möglicherweise ist etwas Unvorhergesehenes passiert. Manchmal ist das so und lässt sich auch nicht verhindern.“ 5 „Das ist schon häufiger vorgekommen, obwohl die Rahmenbedingungen gut sind und die Arbeitsauslastung passt. Möglicherweise kann ich meinen Mitarbeiter dabei unterstützen, sein Zeitmanagement zu verbessern. Wir sollten gemeinsam überlegen, woran es liegt und was ihm helfen kann.“ 5 „Möglicherweise war dem Mitarbeiter die Wichtigkeit der Termineinhaltung nicht bewusst und wir müssen das beim nächsten Mal klarer miteinander vereinbaren.“ 5 „Der Mitarbeiter hat zu lange auf Input von anderen Teams gewartet. Wir sollten die Zusammenarbeit mit den anderen Teams verbessern.“ 5 „Fast bei jedem Projekt in den letzten 12 Monaten hält mein Mitarbeiter den Zeitplan nicht ein, obwohl die Rahmenbedingungen sehr gut sind. Womöglich machen ihm die Projekte keinen Spaß mehr? Womöglich haben sich seine Interessen verändert? Da sollte ich mit ihm ins Gespräch gehen.“

Es geht dabei nicht darum die Sichtweise zu identifizieren, die nun in der konkreten Situation die einzig wahre und richtige ist, sondern eine Sichtweise, die hilfreich ist, die also positive Auswirkungen hat, die eine nachhaltige Lösung erzeugt. > Gute Führung zeigt sich nun einmal in den erzeugten Wirkungen und nicht in den

guten Absichten.

Ich sollte als Führungskraft nicht allzu verliebt in meine eigenen Hypothesen zu den Ursachen sein. Oft gibt es mehrere Gründe und die Welt ist komplexer als ich auf den ersten Blick annehme. Selbstreflexion in diesem Sinne bedeutet, dass ich meine vorgefassten Meinungen und Sichtweisen immer wieder kritisch hinterfrage und mich offen auf andere Sichtweisen einlasse. Wir empfehlen eine Haltung der Neugierde: Woran könnte das Verhalten des Mitarbeiters liegen? Wie können wir da etwas positiv verändern? Also eine Haltung, die mich genau hinschauen lässt und mich mit meinem Mitarbeiter ins Gespräch bringt. Möglicherweise ist es hilfreich den Mitarbeiter auf die Wirkungen seines Verhaltens hinzuweisen und allein das reicht schon aus, um den gewünschten Effekt zu erzeugen. Möglicherweise geht es eher darum an der Arbeitsauslastung des Mitarbeiters, am persönlichen Zeitmanagement oder an anderen Themen zu arbeiten. Es geht darum sich bewusst zu machen, dass es ganz unterschiedliche Sichtweisen geben kann, die zu unterschiedlichen Handlungen führen und ganz unterschiedliche Wirkungen erzielen können. Es geht uns ausdrücklich nicht darum Terminüberschreitungen oder andere kritische Verhaltensweise zu akzeptieren. Ganz im Gegenteil. Es geht darum gemeinsam mit dem Mitarbeiter dafür Sorge zu tragen, dass Terminüberschreitungen oder andere kritische Verhaltensweisen in Zukunft nicht mehr vorkommen.

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Die eigenen Sichtweisen immer wieder auf den Prüfstand stellen. 5 Wie kann ich das Verhalten meines Mitarbeiters noch interpretieren? 5 Wie könnte eine ganz andere Sichtweise aussehen, als meine erste Meinung? 5 Welche Auswirkungen hat es wahrscheinlich, wenn ich so oder so an das Thema herangehe? 5 Welches Führungsverhalten fördert am wahrscheinlichsten gesunde Leistung?

Praxistipp

Als dritten Ansatzpunkt neben kollegialer Beratung und Selbstreflexion wollen wir die persönliche Lösungsstunde als weitere, sehr konkrete Anregung einbringen. Wenn ich als Führungskraft bislang stark dazu tendiert habe, Probleme zu beschreiben, nach Ursachen von Problemen zu suchen, über die Probleme zu klagen und mir Sorgen zu machen, so könnte ein erster Schritt zur Veränderung sein, dass ich mir einmal in der Woche eine Lösungsstunde im Kalender eintrage. In dieser wöchentlichen Lösungsstunde erlaube ich mir ganz konsequent die Suche nach Lösungen.

Impulsfragen für meine persönliche Lösungsstunde. 5 Welches Thema bereitet mir im Moment am meisten Sorgen? 5 Was könnten wir tun, um die Situation zu verbessern? 5 Was war in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen hilfreich? 5 Von wem kann ich mir Rat holen? 5 Was könnte ein erster Schritt in Richtung Lösung sein? 5 Was werde ich bei der Lösung des Themas lernen?

Ich erlaube mir einmal ganz bewusst, mich nicht zu ärgern und nicht zu klagen, sondern besonnen und souverän und kraftvoll über Lösungen nachzudenken und die ersten Schritte anzustoßen. Am Ende des Tages oder auch am nächsten Tag kann ich dann kritisch Bilanz ziehen, welche Wirkungen meine Lösungsstunde hatte. Wenn mir die Lösungsstunde für die Bearbeitung belastender Themen etwas bringt und ich positive Wirkungen im Team wahrnehme, dann kann das ein wertvolles Instrument für mich werden. Reflexion des Nutzens meiner persönlichen Lösungsstunde. 5 Welche Ergebnisse hat der Tag gebracht? 5 Wie habe ich mich dabei gefühlt? 5 Wie haben sich meine Mitarbeiter an diesem Tag verhalten? 5 Was an positiven Beobachtungen hängt womöglich mit meiner persönlichen Lösungsstunde zusammen? 5 Ist es für mich sinnvoll mehr oder weniger solcher Lösungsstunden einzuplanen?

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

Ich kann auch zu dem Ergebnis kommen, dass meine ursprünglichen, oft eingeübten Verhaltensweisen und die dahinter liegenden Haltungen, für mich besser passen und in ihrer Wirkung für mich ausreichend sind, ich kann mich aber auch von mir selbst durch veränderte Haltungen, verändertes Verhalten und andere Wirkungen überraschen lassen. Möglicherweise bekomme ich Lust darauf, häufiger solche Lösungsphasen einzulegen. Praxistipp

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Als vierten Ansatzpunkt stellen wir die bewusste Wahrnehmung von Unterschieden vor. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich feststellen, dass es Phasen gibt, in denen ich stärker ressourcen- und lösungsorientiert denke und handle und wiederum Phasen, in denen das weniger stark ausgeprägt ist. Es ist eher unwahrscheinlich, dass das immer gleich ist. In diesen Unterschieden können wichtige Informationen für mich stecken. Es ist wichtig solche Unterschiede wahrzunehmen und zu nutzen.

Impulsfragen zum Aufspüren von Unterschieden: 5 Was unterscheidet Phasen mit starker Ressourcen- und Lösungsorientierung von Phasen mit geringerer Ressourcen- und Lösungsorientierung? Wann verhalte ich mich also stärker ressourcen- und lösungsorientiert? 5 Gibt es Unterschiede in der Gestaltung der Arbeitstage (z. B. mehr oder weniger Pausen, Gespräche mit bestimmten Personen, die Bearbeitung bestimmter Aufgaben)? 5 Gibt es Zusammenhänge zu meiner Freizeitgestaltung (z. B. Unternehmungen mit meiner Familie, Gespräche mit Freunden, Sport, die Ausübung eines Hobbys)?

Im besten Fall finde ich Stück für Stück heraus, was ich tun kann, um Ressourcen- und Lösungsorientierung bei mir wahrscheinlicher zu machen. Wenn ich auf Verhaltensweisen bei mir stoße, die dafür hilfreich sind, dann ist es leichter diese ausweiten, als völlig neue Verhaltensweisen zu etablieren. Völlig neues Verhalten zu etablieren, ist oft anstrengend und langwierig. Es kann Wochen dauern bis neue Gewohnheiten entstehen. Deshalb empfehlen wir sehr, zunächst einmal die Aktivitäten auszuweiten, die im Ansatz schon da sind. Vielleicht stelle ich fest, dass mich das Gespräch mit einem Kollegen zu mehr Ressourcen- und Lösungsorientierung anregt und ich kann mich in der Folge häufiger mit diesem Kollegen austauschen. Womöglich stelle ich fest, dass ich stärker ressourcen- und lösungsorientiert denke und handle, wenn ich im Laufe einer Woche Sport treibe oder nachts ausreichend viel Schlaf abbekomme. Dann kann ich versuchen dies häufiger zu tun.

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Praxistipp

Als fünften und letzten Ansatzpunkt wollen wir dazu ermuntern, dass Sie mit sich selbst möglichst ressourcen- und lösungsorientiert umgehen. Wenn ich mit anderen ressourcen- und lösungsorientiert umgehen möchte, dann ist es hilfreich, wenn ich zunächst bei mir selbst beginne. Beobachten Sie bei sich selbst, wie Sie mit sich selbst umgehen, was Sie gut daran finden und was Sie verändern möchten.

Mit mir selbst ressourcen- und lösungsorientiert umgehen: 5 Was tue ich dafür, um meine Ressourcen zu erhalten und auszubauen? 5 Was möchte ich gerne noch lernen? Worauf bin ich neugierig? 5 Wie schaffe ich für mich gute Regenerationsphasen nach anstrengenden Tagen oder Wochen? 5 Wie nutzbringend interpretiere ich Fehler, die ich mache? 5 Wie nutzbringend interpretiere ich Kritik, die ich als Führungskraft erhalte?

Genauso wie Führungskräfte Mitarbeiter defizitorientiert abwerten können, können sie auch sich selbst abwerten. Ich kann auch mit Blick auf meine Situation, auf Kritik von außen, auf die Zusammenarbeit mit meiner eigenen Führungskraft sehr stark in klagenden Mustern verhaftet sein. Führungskräfte dürfen natürlich auch klagen, sich über sich selbst ärgern, Zweifel haben. Das darf alles sein und ist nur menschlich. Darin stecken zu bleiben ist auf Dauer jedoch ungesund. Gerade bei den Anforderungen, die Führungskräfte oft erleben, spielt Selbstfürsorge eine wichtige Rolle. Die Impulsfragen sollen dabei zu guter Selbstfürsorge einladen. Selbstfürsorge bezieht sich auf das, was ich denke, was ich tue und auch was ich fühle. Ich muss mich als Führungskraft gut um mich selbst kümmern können – nur so kann ich gut für mein Team da sein.

Gute Selbstfürsorge betreiben: 5 Wie denke ich über mich? Bin ich beispielsweise sehr selbstkritisch? Vielleicht zu selbstkritisch? 5 Was tue ich Gutes für mich selbst? Lege ich beispielsweise Pausen im Tagesverlauf ein und gönne ich mir Sport als Ausgleich? 5 Was tue ich dafür, damit ich mich wohlfühle und zufrieden und gesund arbeiten kann? Habe ich mir beispielsweise meinen Arbeitsplatz so eingerichtet, dass ich dort gerne arbeite?

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

Nochmal zusammengefasst: 5 grundlegende Ansätze zur Verbesserung der eigenen Führungskompetenz. 5 Kollegiale Beratung: Von wem kann ich wertvolles Feedback und inspirierende Impulse bekommen? Wer ist für mich ein Vorbild? 5 Selbstreflexion: Wie verhalte ich mich als Führungskraft? Welche Wirkungen erzeuge ich durch mein Verhalten? Welche Verbesserungsmöglichkeiten erkenne ich bei kritischer Selbstreflexion? 5 Persönliche Lösungsstunde: Wie viel Zeit und Kraft gebe ich jeden Tag in das Schaffen von Lösungen? Investiere ich mehr Zeit in die Schaffung von Lösungen, als in das Klagen über Probleme? 5 Wahrnehmung von Unterschieden: Wie gut habe ich meinen Blick schon für Unterschiede geschärft? Erkenne ich beispielsweise welche Aussagen von mir in Personalgesprächen motivierend wirken, welche Fragen mehr zum Nachdenken anregen, was ich tun kann, damit es im Team besser läuft? 5 Selbstfürsorge: Wie gehe ich mit mir selbst möglichst ressourcen- und lösungsorientiert um? Was tue ich konkret dafür, um selbst zufrieden und gesund gute Leistungen erbringen zu können?

Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung Mein Unternehmen unterstützt diese Haltung (noch) nicht.

„Die Anregungen hören sich gut an, passen aber nicht zu meinem Umfeld, zu meiner Organisation.“ Wenn ich mich als Führungskraft intensiver mit Ressourcen- und Lösungsorientierung beschäftige, dann komme ich möglicherweise zu dem Schluss, dass meine eigene Führungskraft oder auch sonst Akteure in dem System, in dem ich arbeite, diese Haltung nur begrenzt unterstützen oder auch in andere Richtungen wirken. Dieses Hindernis kann bei allen in diesem Buch vorgestellten Haltungen und Handlungsempfehlungen auftreten. Wir besprechen diesen Punkt exemplarisch am Beispiel der Ressourcen- und Lösungsorientierung. Was kann ich tun, wenn ich als Führungskraft den Eindruck habe, dass die vorgestellten Ideen in meinem eigenen System nicht anschlussfähig sind, nicht gut passen? „Bei uns ist es wichtig, dass Fehler harsch kritisiert werden.“, „Wer viel über Probleme klagt, erwirbt sich dadurch Anerkennung und Respekt, weil er offensichtlich stark für die Firma leidet.“, „Klagen ist die Basis für unseren Teamzusammenhalt.“ Solche expliziten oder impliziten Überzeugungen und damit verbundene Verhaltensweisen können ohne Frage in einem Team oder in einer ganzen Organisation kulturprägend sein. Sie haben sich möglicherweise über viele Jahre hinweg entwickelt und stabilisiert und erfüllen wichtige Funktionen. Solche Haltungen können nicht einfach ersatzlos gestrichen und ins Gegenteil gekehrt werden. Hinter solchen Haltungen stecken Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse können nicht einfach wegdiskutiert werden. Möglicherweise lassen sich die dahinter liegenden Bedürfnisse und Anliegen allerdings auf anderen Wegen befriedigen. Wenn es beispielsweise darum geht, dass das gemeinsame Jammern den Teamzusammenhalt

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stärkt, dann kann der Teamzusammenhalt womöglich auch durch andere Aktivitäten, zum Beispiel gemeinsames Sport treiben, gestärkt werden oder ich biete als Führungskraft andere Gesprächsthemen an, beispielsweise zu gemeinsamen Teamzielen. Bedürfnisse hinter Haltungen entdecken und darauf eingehen. 5 Was steckt eigentlich dahinter, wenn sich beispielsweise eine Jammerkultur entwickelt hat? 5 Weshalb hat sich unsere Teamkultur so entwickelt? 5 Welche Funktion erfüllt das Jammern? 5 Wie könnte diese Funktion anders erfüllt werden?

Ein weiterer Ansatzpunkt können Ausnahmen im bestehenden Muster sein. Wahrscheinlich gibt es solche Ausnahmen, die verstärkt werden können. Es wird beispielsweise nicht immer gejammert, sondern gibt auch andere Phasen: Was ist da anders? Wie lassen sich diese Phasen verstärken und ausweiten? Vielleicht lassen sich ein oder zwei Akteure finden, die daran mitarbeiten wollen, andere Muster im System auszuprobieren? Eine kleine Minderheit kann in einem Team oder in einer Organisation etwas bewegen. Es ist wichtig Verbündete zu finden. Möglicherweise kann ich mich als einzelne Führungskraft ein Stück in Richtung Ressourcen- und Lösungsorientierung entwickeln? Das können für den Anfang kleine Schritte sein. Am besten nehme ich mir nicht zu viel vor, sondern wähle die Schritte aus, die noch am leichtesten in meinem System kompatibel sind. Fallbeispiel Nehmen wir beispielsweise einen Mitarbeiter, der oft über verschiedene Dinge klagt: „Die anderen Teams machen ihren Job nicht richtig. Das macht immer total viel Aufwand für mich, weil das dort nicht rund läuft.“, „Mein Gehalt ist viel zu gering, für das, was ich alles leiste.“, „Die Geschäftsleitung investiert immer an der falschen Stelle. Für Roboter, die nicht richtig funktionieren, ist Geld da, aber für einen höhenverstellbaren Schreibtisch für mich ist kein Geld da.“, „Ich habe keine Lust auf Schulungen, das ist Zeitverschwendung. Da bleibt nur meine Arbeit liegen.“ Möglicherweise ist es hilfreich, wenn Sie als Führungskraft versuchen, auf die einzelnen Kritikpunkte einzugehen, sich um Verbesserungen zu bemühen oder erklären, warum etwas nicht verändert werden kann. Dieses Vorgehen wäre wahrscheinlich für viele Führungskräfte naheliegend. Womöglich stecken hinter seinem Klagen aber auch andere Bedürfnisse. Probieren Sie also als Führungskraft gerne mal etwas Anderes aus. Holen Sie beispielsweise den Rat des Mitarbeiters bei einem komplexen Problem ein: „Wie könnten wir dieses Problem lösen? Was ist deine Meinung dazu?“ Oder sprechen Sie mit dem Mitarbeiter mehr über private Themen: „Wie läuft es bei dir zu Hause? Was macht euer Hausbau? Wie läuft es bei deinem Sohn in der Schule?“ Oder nutzen Sie verstärkt seinen kritischen Blick: „Ich finde, dass du einen guten Blick für mögliche Schwierigkeiten hast und nicht alles durch eine rosarote Brille siehst. Mit welchen Widerständen müssen wir aus deiner Sicht bei anderen Abteilungen rechnen, wenn wir dieses Projekt umsetzen?“ Womöglich

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Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

verändert sich so das Jammern ihres Mitarbeiters, ohne dass Sie sich zu sehr mit dem Jammern an sich beschäftigen. Mit diesem Beispiel wollen wir zeigen, dass es ganz unterschiedliche Lösungsansätze geben kann, dass Sie als Führungskraft Unterschiedliches ausprobieren dürfen und sollten, dass gute Lösungen oft gar nicht so offensichtlich mit dem Problem zusammenhängen.

Ich weiß gar nicht so genau, wo ich stehe.

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„Woher soll ich wissen, wie gut ich das schon verinnerlicht habe und in meiner Führungspraxis beachte? Wer sagt mir das denn?“ Vielleicht komme ich zu dem Schluss, dass ich mich mit den beschriebenen Haltungen und damit verbundenen Verhaltensweisen gut identifizieren kann und bin auch der Meinung, dass ich viel davon bereits umsetze. Wie finde ich heraus, ob das auch von anderen so wahrgenommen wird? Diese Frage hat natürlich auch für die anderen Themen dieses Buches Relevanz: Wie stark ist meine Wertschätzung etc. ausgeprägt? Bei allen Themen kann ich mir die Frage stellen, wie ich da auf andere wirke? Wie kann ich für meine Standortanalyse vorgehen? > Wie ich mein Verhalten wahrnehme, ist konstruierte Wirklichkeit und kann

von anderen Personen ganz anders wahrgenommen werden. Wir erleben immer wieder große Unterschiede zwischen der eigenen Selbstwahrnehmung von Führungskräften und anderen Fremdeinschätzungen. Wie ich mich selbst wahrnehme, muss gar nichts mit dem zu tun haben, wie andere mich sehen! Umso wichtiger ist es, meine Selbstsicht mit verschiedenen Fremdeinschätzungen abzugleichen. Verschiedene Wege, um an Fremdeinschätzungen heranzukommen. 5 Welche Rückmeldungen erhalte ich in Personalgesprächen von meinen Mitarbeitern und von meinem eigenen Chef? 5 Was kann ich aus der Mitarbeiterbefragung ableiten? 5 Wie nehmen mich andere Führungskräfte auf meiner Ebene wahr? 5 Welches Feedback haben ausscheidende Mitarbeiter für mich? 5 Welches Feedback bekomme ich in Trainings von Kollegen und Trainern?

Auch die erzielten Wirkungen meines Führungsverhaltens können ein Indikator für die Ausprägung meiner Ressourcen- und Lösungsorientierung sein. Als Führungskraft sollte für mich die Wirkung auf die geführten Kolleginnen und Kollegen wichtig sein und weniger meine subjektive Einschätzung meines Verhaltens. Erziele ich die beabsichtigten Wirkungen? > Für die Einschätzung der Qualität meiner Führungsarbeit ist meine subjektive

Einschätzung, wie gut ich das mache letztlich irrelevant, entscheidend sind die erzielten Wirkungen.

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Die Wirkungen durch Ressourcen- und Lösungsorientierung wahrnehmen. 5 Wird aus gemachten Fehlern etwas gelernt? 5 Erweitern meine Mitarbeiter ihre Kompetenzen? 5 Können meine Mitarbeiter ihre Leistung gesund erbringen? 5 Bringen meine Mitarbeiter Lösungsvorschläge ein? 5 Äußern sich meine Mitarbeiter zuversichtlich, ihre Aufgaben bewältigen zu können?

Auch wenn diese Wirkungen von verschiedenen Faktoren abhängen, so leiste ich als Führungskraft mit meinem Führungsverhalten doch einen wichtigen Beitrag dazu. Solche Wirkungen verraten mir viel über die Qualität meiner Führungsarbeit. Meine Mitarbeiter haben andere Erwartungen an mein Führungsverhalten.

„Meine Mitarbeiter erwarten klare Hinweise und Ratschläge von mir und nicht, dass wir gemeinsam eine Lösung erarbeiten.“ Eine Führungskraft mit stark ausgeprägter Ressourcen- und Lösungsorientierung kann auch Erwartungen von Mitarbeitern enttäuschen. Wenn ein Mitarbeiter die Erwartung hat, dass die Führungskraft fertige Lösungen präsentiert oder gar die Problemlösung übernimmt, dann ist Ressourcen- und Lösungsorientierung wahrscheinlich irritierend oder stößt möglicherweise sogar auf Ablehnung. Als Führungskraft könnte ich befürchten, weniger Akzeptanz zu erfahren. Praxistipp

Wir empfehlen in diesem Fall die eigene Haltung sehr offen darzulegen: „Ich glaube, dass du selbst viele gute Ideen zur Lösung des Problems hast, weil ich das bei dir in anderen Situationen schon so erlebt habe und möchte, dass wir dein Können auch für diese Situation nutzen. Aus meiner Sicht wäre es wenig hilfreich, wenn ich jetzt versuche eine fertige Lösung zu präsentieren.“

Letztlich hat jedes Führungsverhalten neben Vorteilen auch Nachteile. Jedes Verhalten hat auch seinen Preis. Ich muss immer einen Preis zahlen. Wenn ich als Führungskraft stark aus einer Haltung der Ressourcen- und Lösungsorientierung heraus führe, dann kann der Preis sein, dass ich zunächst Mitarbeiter enttäusche, die andere Erwartungen haben. Mit Blick auf den langfristigen Nutzen empfehlen wir sehr diesen Preis zu zahlen. Der Zeitaufwand erscheint mir sehr hoch.

„Ich habe als Führungskraft so viel zu tun. Jetzt soll ich meine Leute noch nach Lösungen fragen und mich um ihre Entwicklung kümmern. Dafür habe ich schlichtweg keine Zeit, auch wenn ich das gerne möchte.“ Ja, Ressourcen- und

Kapitel 7 · Haltung: Ressourcen- und Lösungsorientierung

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Lösungsorientierung kann für mich als Führungskraft anstrengend sein. Wenn ich nicht schnell mit meiner Lösung um die Ecke komme, sondern erst einmal nach den Lösungsansätzen meiner Mitarbeiter frage, dann kostet das erst mal mehr Zeit. Wenn ich dann gemeinsam mit meinen Leuten an Lösungen arbeite, dann kann das aufwendiger sein, als eine Anweisung von mir als Führungskraft. Wenn ich mich für die Kompetenzen meiner Leute interessiere und mir überlege, wie wir die Kompetenzen weiter ausbauen können, dann kann das auch ein aufwendiger Prozess sein. Wenn wir uns allerdings gleichzeitig vor Augen führen, dass die Förderung von Eigenverantwortung ein zentraler Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit nahezu aller Organisationen ist, dann wird klar, dass es nicht um das „ob“, sondern nur um das „wie“ gehen kann. Wie gelingt es mir, möglichst ressourcen- und lösungsorientiert zu führen? > Alle Organisationen, die sich im Wettbewerb mit anderen Organisationen

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befinden und sich deshalb um Innovation und Produktivität bemühen müssen, werden ohne hoch eigenverantwortliche Mitarbeiter, die Ideen einbringen, die Entscheidungen treffen, die Chancen und Risiken erkennen und damit umgehen langfristig nicht wettbewerbsfähig arbeiten können.

Deshalb sind die in diesem Kapitel skizzierten Gedanken nicht „nice to have“, sondern elementar in Zeiten von zunehmendem globalen Fachkräftemangel und Wettbewerbsdruck. Wer heute Zeit in Ressourcen- und Lösungsorientierung steckt, sichert damit die Überlebensfähigkeit seiner Organisation. Fazit Die wichtigsten Anregungen im Überblick: 5 Was ist für die Umsetzung gesunder Führung im Speziellen und für gute Führung im Allgemeinen besonders wichtig? Aus unserer Sicht: Selbstreflexion! Hinterfragen Sie ihr Führungsverhalten immer wieder und holen Sie sich Feedback aus ganz verschiedenen Quellen ein. Wie wirke ich auf meine Mitarbeiter oder auf meinen Vorgesetzten? Wie nehmen mich andere Kolleginnen und Kollegen aus dem Unternehmen wahr? Wer gibt mir konstruktiv-kritisches Feedback? Was leite ich daraus ab? 5 Nutzen Sie die vielfältigen Kompetenzen Ihrer Mitarbeiter! Fragen Sie beispielsweise in Abstimmungsgesprächen nach eigenen Ideen und Lösungsansätzen Ihrer Mitarbeiter. Übertragen Sie Aufgaben an denen Ihre Mitarbeiter wachsen können. 5 Würdigen und verstärken Sie gute Lösungsansätze Ihrer Mitarbeiter! Signalisieren Sie, dass Sie selbstständiges Handeln wahrnehmen und schätzen. 5 Nehmen Sie die Fähigkeiten, Talente und tollen Eigenschaften Ihrer Mitarbeiter ausreichend wahr? Denken Sie immer wieder darüber nach, was Ihre Mitarbeiter alles Tolles mitbringen und wie Sie sie weiter fördern können! 5 Entwickeln Sie um sich herum ein Team der Talente, bestehend aus Experten, die Sie mit Ihrem Können ergänzen und im besten Fall bei vielen Aufgaben übertreffen. 5 Organisieren Sie sich Unterstützung, beispielsweise in Form von kollegialer Beratung. Es ist ein Zeichen hoher Führungskompetenz sich Feedback und Rat einzuholen.

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5 Auch in sehr schwierigen Situationen, ist nicht nur alles schlecht. Entwickeln Sie einen Blick für die Unterschiede. Wann ist es besser? Was ist gut in der schwierigen Situation? 5 Wenn nach einem Misserfolg die Enttäuschung, der Ärger etc. abgeklungen sind: Welcher Nutzen steckt für Sie darin? Was können Sie daraus lernen?

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Haltung: Fairness

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_8

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

„Fairness liegt im Auge des Betrachters. Meine Mitarbeiter fühlen sich immer irgendwie unfair behandelt. Das ist halt so. Da kann man nichts machen.“ Ja und nein. Sich fair oder unfair behandelt zu fühlen ist sicher ein sehr subjektives Phänomen und hängt von persönlichen Vorerfahrungen, Erwartungen, Vergleichen, Interessen etc. ab. Das heißt jedoch nicht, dass ich als Führungskraft nichts zu Fairness beitragen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Wie viel Transparenz schaffe ich beispielsweise bei potenziell Fairness relevanten Themen? Wie aufmerksam achte ich auf Verhaltensweisen bei mir, die möglicherweise als unfair wahrgenommen werden? Wie sehr bemühe ich mich um klare Kriterien bei Entscheidungen, beispielsweise bei Karriereentscheidungen oder Leistungsprämien? Sich unfair behandelt zu fühlen, sich zurückgesetzt, vielleicht sogar missachtet zu fühlen, ist für die psychische und damit eng verbunden, die physische Gesundheit von hoher Relevanz.

Beispiel und Einführung

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Fallbeispiel Andrea kommt nach der Teambesprechung wieder zurück an ihren Arbeitsplatz und ist in Gedanken versunken. Vor drei Tagen war sie noch ziemlich sauer und fand das Verhalten ihres Chefs alles andere als in Ordnung. Bettina, ihre Kollegin, darf seit über zwei Wochen an jedem Tag eine Stunde später zur Arbeit kommen – einfach so. Und den Brückentag zwischen dem Feiertag und dem Wochenende, den sie gerne gehabt hätte, hat auch Bettina bekommen. Da hat der Chef sie noch gefragt, ob es bei ihr so dringend und wirklich notwendig sei den Urlaubstag zu bekommen und Andrea gab nach. Andrea fand das ganz schön unfair. Doch jetzt – nach der Teambesprechung – bei der Bettina erzählt, dass ihre Eltern ins Pflegeheim müssen und sie sich gerade um alles kümmern muss, kann Andrea das verstehen. Irgendwie schon ganz schön nett und fair vom Chef da auf sie einzugehen – das ist keine leichte Sache. Vielleicht hätte er auch schon ein wenig vorher was dazu sagen können, dann hätte sich Andrea nicht so sehr darüber geärgert.

Mit diesem Beispiel wollen wir ein wichtiges Thema in Organisationen veranschaulichen: Fairness. Fairness kann sich dabei auf Themen beziehen, die das Team insgesamt betreffen oder auf Interaktionen zwischen der Führungskraft und einzelnen Mitarbeitern und auch auf Interaktionen zwischen den Kollegen, wobei wir diese weniger stark in den Blick nehmen. Einige Beispiele für Fairnessthemen aus Mitarbeitersicht. 5 Warum bekommt mein Kollege immer die spannenderen Aufgaben als ich? 5 Mein Vorgesetzter geht mit den Kollegen Maier und Schmidt viel häufiger zum Mittagessen als mit mir! Bin ich ihm nicht so wichtig? 5 Irgendwie hat Kollegin Schmidt immer an Weihnachten frei und wir anderen nicht – wird sie da bevorzugt? 5 „Hast Du toll gemacht, Anna“ – Warum wird Anna immer gelobt und sonst niemand? 5 Warum wurde mein Kollege zum Teamleiter befördert? Die Auswahlkriterien in unserem Unternehmen sind für mich nicht nachvollziehbar.

99 Haltung: Fairness

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5 Warum verdient mein Kollege mehr als ich, obwohl ich das Gefühl habe mehr zu leisten? 5 Warum wurden meine Kollegen vom Chef über die anstehenden Veränderungen informiert und ich nicht? 5 Weshalb hat mein Kollege ein ganz neues Notebook und ich nicht? 5 Warum müssen wir im Team jede Woche Überstunden machen und bekommen nichts dafür? 5 Warum macht meine Kollegin nie ihren Küchendienst, obwohl sie dran wäre? 5 Warum hilft mir meine Kollegin nicht, obwohl ich ihr schon oft geholfen habe? 5 Warum hat unser Chef ein Einzelbüro und wir müssen uns zu viert ein viel kleineres Büro teilen? 5 Warum erwartet unser Chef Überstunden von uns und leistet selbst keine Mehrarbeit? 5 Mein Chef hat mir signalisiert, dass ich bald einen Karriereschritt machen werde und dann ist nichts daraus geworden.

Das sind reale Beispiele, die Mitarbeiter in einer Organisation erleben können. Wahrscheinlich könnten Sie eine Reihe weiterer Fälle ergänzen, die Sie selbst so erlebt haben oder die Ihnen erzählt wurden. Mit etwas Nachdenken bringt wahrscheinlich jeder eine ordentliche Liste mit Beispielen zusammen, in denen sich Mitarbeiter unfair behandelt gefühlt haben. Unsere Aufzählung greift einige typische Themen auf. Die Auflistung unterstreicht die Vielgestaltigkeit und auch die Relevanz der Thematik. Das Gefühl mehr oder weniger fair behandelt zu werden, kann für einen Mitarbeiter nahezu täglich Relevanz haben. Die Verteilung von Aufgaben, die jeweilige Besprechungszeit mit der Führungskraft, die jeweilige Büroausstattung etc. all diese Punkte sind ein Auszug dessen, was ein Mitarbeiter als mehr oder weniger fair erleben kann. > Es geht bei Fairness also nicht nur um die vermeintlich großen Themen, wie die

Angemessenheit der Vergütung oder um einen Karriereschritt, sondern auch um vermeintlich weniger wichtige Themen, wie die Verteilung der Besprechungszeit einer Führungskraft im Team.

Welche grundsätzliche Haltung habe ich beim Thema Fairness als Führungskraft? Eine extreme Haltung könnte sein, dass ich den Grundsatz vertrete: „Jede Ausnahme rächt sich! Alle müssen gleich behandelt werden.“ Basierend auf dieser Annahme kann ich als Führungskraft versuchen, alle Mitarbeiter möglichst gleich zu behandeln: möglichst gleiches Gehalt, Gleichbehandlung bei der Arbeitsplatzausstattung oder der Gewährung von Homeoffice. Auf den ersten Blick hat dieser Ansatz durchaus Charme. Allerdings sind die Mitarbeiter in einem Team in aller Regel eben nicht gleich. Sie unterscheiden sich in Hinblick auf ihre Belastbarkeit, auf ihre Leistung, auf ihre Qualifikation, auf ihr Alter, auf ihre Berufserfahrung, auf ihren Anfahrtsweg zur Arbeit, auf ihre familiäre Situation etc. Mit dieser Unterschiedlichkeit müssen Führungskräfte umgehen lernen. Der Ansatz „ich behandle alle gleich“ klingt erst mal gut, kann aber leicht zu als unfair erlebten Zuständen führen.

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

Einige Gedanken zur Gestaltung von Fairness als komplexe Aufgabe. 5 Wie fair ist es, wenn Mitarbeiter mit einem Anfahrtsweg von mehr als 50 km zwei Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten dürfen und alle anderen nur einen Tag? 5 Wie fair ist es, wenn ein Mitarbeiter mit höherer Qualifikation besser bezahlt wird, obwohl sich seine Tätigkeit nicht wesentlich von den Aufgaben der anderen Kollegen unterscheidet? 5 Wie fair ist es, wenn ein älterer Mitarbeiter besser bezahlt wird als seine jüngeren Kollegen, obwohl die Kollegen mit Blick auf die relevanten Kennzahlen mehr leisten? 5 Wie fair ist es, wenn bei der Urlaubsplanung die familiäre Situation, z. B. zu pflegende Angehörige, berücksichtigt wird? 5 Wie fair ist es, wenn eine Führungskraft sich Rat von einem einzelnen Mitarbeiter einholt, von dem sich die Führungskraft wertvolle Beiträge erwartet, und andere Mitarbeiter bewusst nicht um Rat fragt?

8 Diese Beispiele machen deutlich, dass es bei der Gestaltung von Fairness um komplexe Abwägungs- und Aushandlungsprozesse geht und es die richtige Lösung oder eine allgemeingültige Regel nicht gibt. Wir versuchen uns an einigen konkreten Empfehlungen, um als Führungskraft mit diesen Schwierigkeiten besser umgehen zu können. Wissenschaftlicher Hintergrund

Seit Jahrzehnten steht die Gestaltung von Fairness im Fokus psychologischer Forschung (Colquitt et al. 2001). Dabei wird häufig zwischen der prozeduralen, distributiven, interpersonalen und informationalen Fairness unterschieden (Colquitt et al. 2001). Distributive Fairness

Die wahrgenommene Verteilungsgerechtigkeit in einer Organisation: Werden Gehaltsunterschiede (und andere Formen der Ressourcenverteilung) als fair wahrgenommen? Orientiert sich die Gehaltsgestaltung beispielsweise an nachvollziehbaren Kriterien? Wie werden außerordentliche Leistungen oder Überstunden finanziell anerkannt? Stehen die Beiträge, die jemand in ein Unternehmen einbringt, in einem adäquaten Verhältnis zur finanziellen Anerkennung, die er dafür erhält? Prozedurale Fairness

Die wahrgenommene Fairness von Verteilungsprozessen, zum Beispiel die Gestaltung von Karriereentscheidungen oder die Festlegung von Leistungsprämien. Während es bei der distributiven Fairness quasi um das Ergebnis der Verteilung von Ressourcen geht, steht bei der prozeduralen Fairness der Weg dorthin im Fokus. Bezogen auf Karriereentscheidungen können die folgenden Fragen für die Gestaltung eines fairen Prozesses relevant sein: Gibt es beispielsweise nachvollziehbare Kriterien bei

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­ arriereentscheidungen, die für alle in gleicher Weise Anwendung finden? Wird bei K der Festlegung der Kriterien die Perspektive der Geschäftsleitung und der potenziell zu führenden Mitarbeiter berücksichtigt? Werden die Entscheidungen auf der Basis relevanter Informationen mit Blick auf die definierten Kriterien getroffen? Ist der Ablauf, wie Personen vorgeschlagen und ihre Eignung bewertet wird, transparent? Gibt es Möglichkeiten Fehlentscheidungen zu korrigieren? Interpersonale Fairness

Die wahrgenommene Fairness im Umgang miteinander, wenn von Führungskräften Verteilungsentscheidungen getroffen werden: Wie respektvoll wird miteinander umgegangen? Wird auf Augenhöhe kommuniziert? Werden gegenseitige Erwartungen und Anliegen wertschätzend geklärt? Informationale Fairness

Die wahrgenommene Fairness bei der Begründung von Entscheidungen: Werden Entscheidungen umfassend und inhaltlich nachvollziehbar begründet? Die beiden letzten Formen von Fairness werden auch häufig als interaktionale Fairness zusammengefasst (Klendauer et al. 2006). Auch beim Bemühen um Fairness zeigt sich, dass dieser Ansatz nicht unabhängig von anderen Ansätzen ist, die wir beschreiben. So ist der Zusammenhang zwischen wertschätzender Führung und Fairness leicht erkennbar. > Fairness und Stress hängen deutlich miteinander zusammen. Erleben Mitarbeiter

ein unfaires Verhalten ihrer Führungskraft, so löst dies in der Regel belastenden Stress aus.

Elovainio et al. (2006) konnte in seiner Studie einen Zusammenhang zwischen erlebter Fairness und Herzkreislauf-Aktivität aufzeigen. Bei einer Untersuchung von 57 Frauen, die im Pflegedienst beschäftigt waren, zeigte sich, dass wenig erlebte Fairness mit einem erhöhten Risiko für dysfunktionale Herz-Kreislauf-Aktivität assoziiert war. Auch Zok (2011) verweist darauf, dass Mitarbeiter, die sich unfair behandelt fühlen deutlich mehr Gesundheitsbeschwerden berichten als Mitarbeiter, die sich fair behandelt fühlen. Gerade auch Forschung zur Bedeutung einer als fair erlebten Balance aus Anstrengung und Belohnung unterstreicht ebenfalls die Relevanz von Fairness für die Mitarbeitergesundheit (Kivimaki et al. 2003, 2007). Bereits Adams (1965) arbeitete heraus, dass Mitarbeiter ihren Beitrag für die Organisation ins Verhältnis zu dem setzen, was sie von der Organisation bekommen und dabei vor allem auch Vergleiche mit anderen Personen in der Organisation vornehmen. Ein Mitarbeiter stellt sich also die Frage, ob das was er ins Unternehmen einbringt (z. B. Arbeitsergebnisse, Erfahrung, Qualifikationen, Engagement) und das, was er dafür bekommt, angemessen ist, mit Blick auf das, was aus seiner Sicht andere einbringen und dafür bekommen. Dass es dabei nicht um objektive Wahrheiten, sondern um die subjektive Wahrnehmung des einzelnen geht, war Adams (1965) bewusst. Stützende Befunde, dass es weniger auf die absolute Höhe der Vergütung ankommt, sondern auf die wahrgenommene Fairness fanden beispielsweise Kovner et al. (2006). In ihrer Studie hing

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

die ­Arbeitszufriedenheit nicht von der absoluten Höhe des Gehalts ab, sondern von der wahrgenommenen Fairness der Vergütung. Aus weiteren Studien geht hervor, dass für den Mitarbeiter nachteilige Entscheidungen eher akzeptiert und als fair angesehen werden, wenn sie durch plausible Gründe gerechtfertigt werden. Dieses Rechtfertigungsprinzip wurde durch Greenberg (1990) bestätigt. In seinem Experiment ging es um die Auswirkungen einer zeitweiligen Lohnkürzung auf die Häufigkeit von Diebstählen in einer Firma. Wurde eine plausible Rechtfertigung für die Lohnkürzung vorgetragen, so wurden weniger Diebstähle und weniger Kündigungen erfasst, als bei der Firma, bei der die Rechtfertigung unzureichend ausfiel. Die unzureichende Rechtfertigung verringert die wahrgenommene prozedurale und distributive Fairness: die Betroffenen fühlen sich ungerecht behandelt, weil ihnen nicht transparent gemacht wird, aus welchen Gründen die Lohnkürzungen erfolgen. Fairnesseinschätzungen stehen in direktem Zusammenhang zur Arbeitsmotivation und zum Stresserleben. Fühlen sich Mitarbeiter unfair behandelt, so kann dies dazu führen, dass sich die Mitarbeiter von einer Organisation abwenden (Tyler und Blader 2013), also eine geringere Bindung an die Organisation aufweisen (vgl. Allen und Meyer 1990), was wiederum mit einer höheren Fluktuationsrate in Verbindung gebracht wird (vgl. Meyer und Allen 1991, 1997). Bies et al. (1993) konnten beispielsweise zeigen, dass eine umfangreiche und nachvollziehbare Erklärung bei einer Entlassungswelle das Verhalten der Mitarbeiter beeinflussen kann. So verhielten sich die Mitarbeiter, die umfangreiche und nachvollziehbare Begründungen erhielten, nach eigenen Angaben weiterhin positiv dem Unternehmen gegenüber (z. B. freiwillige Übernahme von Zusatzaufgaben, Einbringen von Verbesserungsvorschlägen) bevor sie das Unternehmen dann endgültig verließen. Doch die Begründung alleine ist bei Entscheidungen nicht ausschlaggebend. Um die Akzeptanz der Mitarbeiter zu bekommen, kommt es auch auf die interpersonale Fairness an. Wie genau geht die Führungskraft bei einer Entscheidung mit dem Mitarbeiter um? Wie verläuft der Kommunikationsprozess? Ein offenes und ehrliches Gespräch mag für eine Führungskraft nicht unbedingt einfach sein, aber die richtige und bessere Entscheidung, denn alles andere führt schnell zu Spekulationen und Unsicherheit. Auch die Möglichkeit Widerspruch einlegen zu können (Thibaut und Walker 1975), hilft Entscheidungen besser annehmen zu können. Colquitt (2001) hat die folgenden Fragen als Kriterien für die Interaktionsfairness formuliert, die in Mitarbeiterbefragungen eingesetzt werden können. Kriterien für die Interaktionsfairness. Wie sehr hat Ihr Vorgesetzter (bzw. Entscheidungsträger) … 5 … sich in seinen Auskünften offen und ehrlich verhalten? 5 … eine Entscheidung gründlich erklärt? 5 … Ihnen Einzelheiten rechtzeitig mitgeteilt? 5 … seine Erklärung auf Ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnitten? 5 … Sie dabei höflich behandelt? 5 … Sie mit Würde behandelt? 5 … Sie mit Respekt behandelt? 5 … es unterlassen, unangemessene Bemerkungen und Kommentare zu machen? 5 Wie sehr waren die Erklärungen und Entscheidungen nachvollziehbar?

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Impulsfragen zur Gestaltung von Interaktionsfairness als Führungskraft. 5 Wie sehr verhalte ich mich als Vorgesetzter in meinen Auskünften offen und ehrlich? 5 Wie gründlich erkläre ich meine Entscheidungen? 5 Wie frühzeitig und umfassend informiere ich? 5 Gibt es Raum für Diskussionen oder Widersprüche?

Unfaires Führungsverhalten ist auch in Forschung zu destruktiver Führung Gegenstand der Untersuchungen (Tepper 2000). Zwischen destruktiver Führung und unfairem Führungsverhalten ergibt sich ein ganz starker Überlappungsbereich. Mit Blick auf die prozedurale Fairness könnte eine Führungskraft Beförderungen beispielsweise von der Qualität ihres privaten Kontaktes mit den Mitarbeitern abhängig machen. Bezogen auf mangelnde distributive Fairness könnte die Führungskraft Gehaltserhöhungen beispielsweise davon abhängig machen, wer als Mitarbeiter die höchsten Gehaltsforderungen stellt. Fehlende interpersonale Fairness könnte bedeuten, dass die Führungskraft Mitarbeitern mit Kündigung droht, wenn sie nicht bereit sind Überstunden zu leisten. Mangelnde informationale Fairness könnte bedeuten, dass die Führungskraft angeordnete Überstunden nicht begründet. Wichtige Merkmale von destruktiver Führung sind das Ignorieren von Mitarbeitern mit ihren Anliegen, das Anschreien, Bloßstellen und Kränken von Mitarbeitern. Also letztlich auch unfaires Führungsverhalten. Solches Verhalten beeinträchtigt die Mitarbeitergesundheit und geht mit erhöhten Fehlzeiten und negativen Wirkungen auf das Privatleben einher (Tepper 2011). Impulse zur persönlichen Reflexion

Wir arbeiten nachfolgend einige Ansatzpunkte heraus, die sich auf verschiedene Situationen übertragen lassen und als Leitplanken zur Gestaltung von Fairness in der Rolle als Führungskraft dienen können. Auch wenn es, wie bereits dargestellt, leider keine einfachen Patentrezepte gibt. Die dargestellten Ansatzpunkte sind für die Gestaltung von Fairness sehr wichtig, haben allerdings auch Bezüge zu anderen in unserem Buch dargestellten Ansätzen, wie zum Beispiel der Vermeidung von Konflikten oder der Vermittlung von Wertschätzung. Transparente und nachvollziehbare Entscheidungsprozesse gestalten. Eingangs haben wir einige Beispiele aufgeführt, bei denen sich Mitarbeiter unfair behandelt fühlen können. Darunter waren Karriereentscheidungen, Gehalt im Vergleich zu anderen und die Bezahlung von Überstunden. Hierbei handelt es sich um klassische Themen, bei denen sich durch die Gestaltung transparenter und nachvollziehbarer Entscheidungsprozesse das Gefühl unfairer Behandlung vermeiden lässt.

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Beispiele für Themen, bei denen Transparenz und Nachvollziehbarkeit hoch relevant sind. 5 Genehmigung von Sonderurlaub 5 Gewährung von Leistungsprämien 5 Freistellung für und Finanzierung von Weiterbildungen 5 Bereitstellung von Arbeitsmitteln (z. B. Smartphones, Notebooks) 5 Fahrzeugregelungen für Firmenfahrzeuge

Sicher ist diese Liste nicht vollständig. Bei all diesen Themen geht es in irgendeiner Form darum, dass etwas verteilt wird. Dabei sind die folgenden Fragen sehr wichtig: Wie kommt es zu solchen Verteilungsentscheidungen? Wer trifft eine Entscheidung anhand welcher Kriterien? Wie transparent und nachvollziehbar sind die Entscheidungsprozesse gestaltet? Fallbeispiel

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Nehmen wir beispielsweise an, dass ein Mitarbeiter eine Weiterbildung mit 50 % der Kosten finanziert bekommt und ein anderer Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit die gleiche Weiterbildung zu 100 % finanziert erhält, dann wird dies beim ersten Mitarbeiter zu einem starken Gefühl der Benachteiligung führen. Oder nehmen wir an, ein Mitarbeiter erhält für seinen Umzug einen Tag Sonderurlaub und ein anderer Mitarbeiter nicht. Oder ein Teamleiter erhält ein Firmenfahrzeug und ein anderer Teamleiter bei offensichtlich gleicher Verantwortung geht leer aus. Solche Formen mangelnder Fairness erzeugen Unverständnis, Enttäuschung, Ärger und Demotivation. Erlebte Benachteiligungen können von Mitarbeitern als so kritische Ereignisse wahrgenommen werden, dass dies sogar Fluktuationen mitbedingt.

Es geht darum, dass es klare Kriterien gibt, dass also definiert ist, was jemand unter welchen Bedingungen bekommt und wer oder welches Gremium die Entscheidungen dazu trifft. Transparenz bei Karriereschritten schaffen. 5 Wie kommt es zu Vorschlägen für einen Karriereschritt? (z. B. durch den Vorgesetzten oder durch Selbstbewerbungen) 5 Anhand welcher Kriterien wird die Eignung bewertet? (z. B. anhand von verhaltensnahen Kompetenzfeldern, nachweisbaren Arbeitserfolgen, Assessment Center) 5 Welche Voraussetzungen sind für den Karriereschritt zu erfüllen? (z. B. Schulungen, Prüfungen) 5 Wer ist im Entscheidungsprozess zu involvieren? (z. B. direkter Vorgesetzter, nächst höherer Vorgesetzter, Personalentwicklung, Geschäftsleitung) 5 Wann und wie werden Karriereentscheidungen getroffen und kommuniziert?

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Je klarer der Prozess gestaltet wird und je besser der Prozess bekannt ist und auch eingehalten wird, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass die getroffenen Entscheidungen als fair wahrgenommen werden. Drei wichtige Schritte zur Gestaltung transparenter Karriereprozesse. 5 Der Prozess muss zunächst sinnvoll gestaltet werden. Sind beispielsweise die Kriterien vage und für den Karriereschritt nicht adäquat, dann erschwert dies faire Entscheidungen, ganz zu schweigen von der Qualität der Entscheidungen. 5 Wenn der Prozess nicht bekannt ist, dann begünstigt dies Spekulationen zu den Kriterien und Gerüchte, was ebenfalls ungünstig ist. 5 Die Nichteinhaltung definierter Entscheidungsprozesse, also Ausnahmen, führen in aller Regel zu gefühlter Unfairness. Wenn zum Beispiel definiert wurde, dass eine bestimmte Prüfung Voraussetzung für einen Karriereschritt ist, dann führt eine Ausnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit bei allen anderen zu Unverständnis, der Wahrnehmung von Unfairness, gegebenenfalls zu Enttäuschung, Unzufriedenheit, Ärger. Es droht Vertrauensverlust gegenüber den verantwortlichen Führungskräften und zentralen Institutionen einer Organisation, wie der Personalabteilung oder der Geschäftsleitung. Was einem einzelnen möglicherweise nutzt, schadet dann vielen anderen. Die entstehenden Schäden mit Blick auf Motivation, Zufriedenheit und Vertrauen können gravierend sein. Deshalb ist bei Ausnahmen immer wichtig zu überlegen, welche Auswirkungen dies über den konkreten Einzelfall hinaus hat, zum Beispiel bezogen auf das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führungskräfte.

Welche Kriterien inhaltlich sinnvoll und fair sind, würde den Rahmen dieses Kapitels bei weitem sprengen. Es geht darum willkürliche, intransparente Entscheidungen zu vermeiden, beziehungsweise Entscheidungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit als willkürlich und intransparent wahrgenommen werden können. Die Gestaltung dieser Prozesse ist abhängig von Aushandlungsprozessen in der konkreten Organisation, von Aushandlungsprozessen der Tarifparteien, von Marktgegebenheiten, von gesetzlichen Rahmenbedingungen. Uns geht es in diesem Abschnitt darum, dass unter den gegebenen Rahmenbedingungen die Entscheidungsprozesse möglichst transparent und nachvollziehbar gestaltet werden, dass die Mitarbeiter eine realistische Chance haben, die getroffenen Entscheidungen nicht als willkürlich, sondern als gut begründet und fair wahrzunehmen. Wir möchten dafür sensibilisieren, dass Führungskräfte achtsam gegenüber potenziell willkürlichen Entscheidungen sind. Fallbeispiel Wenn ein Mitarbeiter jede einzelne Überstunde mit einem definierten Überstundensatz vergütet bekommt und ein anderer Mitarbeiter Überstunden unbezahlt leistet, dann wird dies als unfair erlebt werden. Wenn die Gewährung von Leistungsprämien am Bauchgefühl der Führungskraft hängt, dann öffnet das die Tür für Sympathieprämien statt Leistungsprämien.

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

Es ließen sich noch viele weitere Beispiele ergänzen. Die in diesem Abschnitt genannten Beispiele sollen lediglich ein Denkanstoß sein – in jeder Organisation können dies andere Verteilungsthemen sein, die potenziell zu gefühlter Unfairness führen. Spielregeln im Team vereinbaren

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Eng verknüpft mit transparenten und nachvollziehbaren Entscheidungsprozessen ist die Vereinbarung von Regeln in einem Team zu bestimmten Themen. Es gibt eine Reihe von Themen, für die es Unternehmensregeln gibt, beziehungsweise geben sollte. Die Beispiele im vorherigen Abschnitt zählen dazu. So sollte beispielsweise der Ausgleich von Mehrarbeit für die gesamte Organisation geregelt sein. Gleichzeitig gibt es Themen, für die in einem Team sinnvolle und als fair erlebte Regeln gefunden werden müssen. Diese können durch Rahmenbedingungen der Organisation beeinflusst sein, sind jedoch oft nicht auf Organisationsebene im Detail definiert. Welche Themen dies sind, unterscheidet sich von Organisation zu Organisation, je nachdem, wie umfangreich und tief greifend Regeln auf der Ebene der Gesamtorganisation bestehen, beziehungsweise wie viele Freiheitsgrade den Führungskräften in ihren Verantwortungsbereichen belassen werden. Themen, die normalerweise Spielregeln in einem Team erforderlich machen. 5 Urlaubsplanung im Team 5 Telefondienste (z. B. Mittagsdienst, Früh- oder Spätdienst) 5 Küchendienst, falls eine Teeküche oder etwas Ähnliches vorhanden ist 5 Regelung von Präsenzzeiten und Homeofficezeiten 5 Nutzung des privaten Smartphones am Arbeitsplatz 5 Raucherpausen oder andere Mikropausen

Auch diese Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig. Auf den ersten Blick mögen diese Themen banal erscheinen. Solche Themen können jedoch Ursache von Konflikten und gefühlter Unfairness sein. Praxistipp

Wir empfehlen sehr im Team über Spielregeln für die Zusammenarbeit zu sprechen und gemeinsam mit dem Team Leitlinien zu entwickeln und auch immer wieder (z. B. einmal jährlich) in Erinnerung zu rufen. Fragen Sie nach, ob alle im Team mit den Spielregeln gut zurecht kommen. Fragen Sie, ob Klärungsbedarf besteht. Kümmern Sie sich um Anliegen. Bei solchen Themen können aus vermeintlichen Kleinigkeiten gravierende Konflikte entstehen.

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Fallbeispiel Nehmen wir einmal an, in einem Team ist es möglich, dass jeder Mitarbeiter in der Woche einmal zu Hause im Homeoffice arbeiten darf. Auf den ersten Blick eine ganz einfache Regelung, die doch jeder einfach beachten können sollte. Mit dieser Möglichkeit zum Homeoffice sind jedoch eine Reihe von Fragen verknüpft, die geklärt werden müssen: Können alle Mitarbeiter gleichzeitig im Homeoffice sein oder ist eine gewisse Mindestbesetzung im Büro notwendig? Mit wem sind Homeofficetage abzustimmen? Werden Homeofficetage für alle sichtbar im Kalender eingetragen? Bedeutet „ein Tag pro Woche“ eine Durchschnittsangabe, sodass Homeofficetage auch gebündelt werden können? Oder nehmen wir als weiteres Beispiel den Küchendienst. Angenommen für ein Team gibt es eine gemeinsame Teeküche, die von allen genutzt werden kann und auch gemeinsam in Ordnung gehalten werden muss. Ohne Regeln ist die Gefahr groß, dass immer die gleichen Personen die Spülmaschine ausräumen, die Oberflächen abwischen und abgelaufene Lebensmittel aus dem Kühlschrank entsorgen.

Die gemeinsame Arbeit in einem Team braucht Gespräche über Regeln. Das Ergebnis kann auch sein, bestimmte Themen nicht klar zu regeln, weil es erkennbar für alle gut funktioniert. Als Führungskräfte sollten wir jedoch nicht unterschätzen, wie frustriert Mitarbeiter sein können, weil sie gefühlt immer die Spülmaschine in der Teeküche ausräumen müssen. Das Gespräch über solche vermeintlich banalen Themen ist wichtig: Sind wir alle zufrieden mit dem Küchendienst oder der Urlaubsplanung oder der Aufteilung des Telefondienstes in der Mittagszeit? Ist das für alle Beteiligten fair? Offene und ehrliche Kommunikation pflegen Damit Entscheidungen als nachvollziehbar wahrgenommen und Regeln als fair akzeptiert werden können, braucht es Kommunikation. Dies ist in den bisherigen Abschnitten bereits deutlich geworden. Ohne offene und ehrliche Gespräche entsteht Raum für Spekulationen. > Entscheidend ist nicht, ob ich als Führungskraft eine Entscheidung mit reinem

Gewissen als fair bewerte, sondern ob meine Mitarbeiter eine realistische Chance haben, die Entscheidung als fair wahrnehmen zu können.

Daran habe ich als Führungskraft ganz wesentlichen Anteil. Immer wieder erleben wir, dass wichtige Botschaften bei den Mitarbeitern nicht ankommen, obwohl gute und nachvollziehbare Argumente durchaus vorhanden sind. Irgendwie wurde aneinander vorbei geredet und ist beim Empfänger nicht das angekommen, was der Sender übermitteln wollte. Auch mit Blick auf die Analyse von Fluktuationen erhärtet sich bei uns der Eindruck, dass unausgesprochene oder schlecht besprochene Themen, zu Fluktuationen beitragen. Greifen wir das Eingangsbeispiel auf: Warum darf Bettina seit zwei Wochen eine Stunde später zur Arbeit kommen? Weshalb hat sie den beliebten Brückentag als Urlaubstag bekommen? Ohne Erklärungen sprießen Spekulationen und undifferenzierte Urteile: „Das ist unfair, da wird jemand bevorzugt!“ Im Beispiel zeigt ihre Kollegin Andrea Verständnis und erlebt die Entscheidungen ihres Chefs als fair, nachdem sie die Gründe für seine Entscheidungen erfahren hat. Die gegebenen

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

Begründungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen. Bei allen notwendigen Regeln und definierten Entscheidungsprozessen wird es immer auch Einzelfallentscheidungen in besonderen Situationen geben. Im konkreten Fall des Eingangsbeispiels musste sich Bettina kurzfristig um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern. Ihre Führungskraft hat versucht sie dabei zu unterstützen. > Es gehört zu wertschätzender Führung immer auch auf den Einzelfall zu schauen

und für den Einzelfall eine Lösung zu finden. Dies muss kein Widerspruch zur Einhaltung von Entscheidungsprozessen und definierten Regeln sein, eher eine Ergänzung. Es gehört gerade zu den Aufgaben einer Führungskraft die Lücken sinnvoll zu füllen, die nicht geregelt sind und für die es keine klaren Entscheidungskriterien gibt.

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Reflexionsfragen für sensible Einzelfallentscheidungen. 5 Würde ich die Entscheidung auch bei einem anderen Mitarbeiter so treffen? 5 Kann ich Verständnis von den anderen Mitarbeitern erwarten? 5 Werden sich andere Mitarbeiter womöglich einmal in einer ähnlichen Situation befinden? 5 Befinden sich aktuell Mitarbeiter in einer ähnlichen Situation und wie gehe ich in diesen Fällen damit um? 5 Gab es ähnliche Fälle in der Vergangenheit, an denen ich mich orientieren kann? 5 Welche Interessen der anderen Mitarbeiter sind bei der Entscheidung zu bedenken? 5 Wie können diese Interessen angemessen berücksichtigt werden?

Fallbeispiel Mit Blick auf das Eingangsbeispiel sind die folgenden Aussagen durch die Führungskraft im Rahmen einer Teambesprechung denkbar: „Ich habe mich dazu entschieden, dass Bettina für insgesamt 4 Wochen mit ihrer Arbeit eine Stunde später beginnen kann, weil sie sich im Moment akut um ihre Eltern kümmern muss und sie Zeit benötigt um eine gute Lösung zu finden. Sie wird die Zeit dann später nachholen. Ich werde mit ihr nach 4 Wochen reflektieren, wie die Lage ist und euch auch weiter informieren. Ich würde diese Entscheidung bei jedem von euch in ähnlicher Weise treffen, weil es mir sehr wichtig ist, dass wir in Notsituationen schauen, wie wir helfen können. Ich weiß, dass dies in den 4 Wochen auch etwas Mehrarbeit im Team bedeuten wird. Mir ist es wichtig, dass wir uns gegenseitig in Notsituationen unterstützen und dass wir untereinander bereit sind, dies auch für jeden zu tun. Wir hatten solche Sondersituationen auch in der Vergangenheit schon, zum Beispiel bei dir Markus, und wie es uns in der Vergangenheit gut gelungen ist, so wird uns das auch jetzt gut gelingen. Wie nachvollziehbar ist diese Entscheidung für euch? Was ist aus eurer Sicht zu beachten, damit wir die kommenden 4 Wochen gut meistern können? Was ist euch sonst noch wichtig dazu zu sagen?“

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Dies setzt voraus, dass mit dem Betroffenen besprochen wurde, welche Informationen weitergegeben werden können. Wenn beispielsweise der Ehemann alkoholkrank ist, kurz vor der Reha steht und die letzten Tage noch überbrückt werden müssen, dann reicht es auch aus zu sagen, dass es einen Krankheitsfall in der Familie gibt, über den die Betroffene nicht sprechen möchte. Gleiche Mitarbeiter gleich behandeln – ungleiche Mitarbeiter ungleich Mit Blick auf das Eingangsbeispiel wäre es schwer nachvollziehbar für die Mitarbeiter, wenn die Führungskraft ein Jahr später in einer ähnlichen Situation bei einem anderen Mitarbeiter eine andere Entscheidung treffen würde. Auch sonst sind in den bisherigen Abschnitten weitere Beispiele genannt worden, bei denen Ungleichbehandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu gefühlter Unfairness führt. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter Überstunden bezahlt bekommt und ein anderer Mitarbeiter nicht, wenn ein Mitarbeiter bevorzugt Informationen bekommt, die für die anderen Teammitglieder in gleicher Weise relevant wären, wenn ein Mitarbeiter in Teambesprechungen für seine Leistungen gelobt wird und andere Mitarbeiter bei gleicher Leistung nicht. Reflexionsfragen zur Gleichbehandlung im Team. 5 Wie viel Zeit verbringe ich mit einzelnen Mitarbeitern (z. B. gemeinsames Mittagessen, Abstimmungen)? Sind da ungerechtfertigte Ungleichheiten erkennbar? 5 Wie viel Aufmerksamkeit schenke ich langjährigen Mitarbeitern, die hoch eigenverantwortlich und reibungslos ihre Aufgaben erledigen und wenig auf mich zu kommen? 5 Wie sehr wird deutlich, dass für mich alle Aufgaben wichtig sind und ich die Beiträge aller Teammitglieder schätze?

In vielen Führungssituationen ist Gleichbehandlung für Fairness wichtig, jedoch nicht in allen, wie bereits angesprochen wurde. Wer als Führungskraft jeden Mitarbeiter mit seinen individuellen Stärken, Interessen, Bedürfnissen und Potenzialen in den Blick nehmen möchte, wird zwangsläufig nicht mit jedem Mitarbeiter gleich umgehen können. Ein Mitarbeiter hat beispielsweise Interesse und Talent seine Englischkenntnisse zu verbessern, ein anderer Mitarbeiter möchte eine Weiterbildung machen, die für seine Aufgaben sehr wichtig ist, ein anderer Mitarbeiter ist vorübergehend nicht so leistungsfähig, weil der private Hausbau viel Kraft kostet. Ein Mitarbeiter möchte perspektivisch Führungsverantwortung übernehmen, ein anderer Mitarbeiter sticht mit seinen Leistungen deutlich hervor … Da Mitarbeiter ungleich sind, will und benötigt nicht jeder Mitarbeiter das Gleiche und „für alle das Gleiche“ wäre auch nicht angemessen.

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

Reflexionsfragen zu notwendigen Differenzierungen im Team. 5 In welchen Bereichen gibt es in meinem Verantwortungsbereich möglicherweise zu viel „Gleichheit“? Beispielsweise könnte es sein, dass ich mich bislang zu wenig um eine Gehaltsdifferenzierung nach Leistung und nach Art der Tätigkeit gekümmert habe. 5 Gibt es gute Gründe meine Mitarbeiter mit Blick auf bestimmte Aspekte ungleich zu behandeln? 5 Werden Besonderheiten (z. B. außerordentliche Leistungen) hinreichend gewürdigt?

Versprechen konsequent einhalten > Wenn ich als Führungskraft bei Mitarbeitern Erwartungen wecke, die ich dann

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nicht erfüllen kann oder gar konkrete Versprechungen mache, die dann nicht eingehalten werden, dann sind Unzufriedenheit, Enttäuschung, Ärger, innere Kündigung bis hin zu gesundheitlichen Beschwerden, Leistungseinbußen und auch Fluktuationen wahrscheinlich. Der Mitarbeiter ist am Ende enttäuscht und fühlt sich unfair behandelt.

Es ist leicht einen Mitarbeiter mit Hoffnung zu bezahlen und zu vertrösten: mit der Hoffnung auf einen Karriereschritt, mit der Hoffnung auf eine tolle Weiterbildung, mit der Hoffnung auf Entlastung bei viel Mehrarbeit, mit der Hoffnung auf neue, spannende Aufgaben. Solche Hoffnungen können eine wichtige Triebfeder sein: der Mitarbeiter erlebt die Versprechungen als besondere Wertschätzung, er strengt sich ganz besonders an, bringt tolle Leistungen. Der bevorstehende Einbruch, wenn sich die Enttäuschung manifestiert, weil die erhoffte Zukunft eben nicht Realität wird, ist dann für alle Beteiligten besonders schmerzhaft. Praxistipp

Es gibt sehr wenige Patentrezepte, die für nahezu alle Situationen gelten, in diesem Fall ist es so: Niemals etwas in Aussicht stellen, was ich als Führungskraft bei ehrlicher Einschätzung für unrealistisch halte! Lieber etwas weniger versprechen, als zu viel.

Leider gibt es Führungskräfte, die beispielsweise überzogene Karriereerwartungen wecken und dies dann mit den folgenden Aussagen begründen: „Es wird sich dann schon etwas ergeben. Irgendwas passiert immer. Da tut sich schon was auf.“ Wer als Führungskraft naiv Erwartungen weckt, verliert im schlimmsten Fall einen Leistungsträger. Das ist ein Spiel mir sehr hohem Risiko, von dem wir dringend abraten. Der kurzfristige Gewinn durch solche Versprechungen wird durch die langfristigen negativen Folgen mehr als aufgewogen. Auch die Signalwirkung auf andere Mitarbeiter kann sehr kritisch sein: „die Führungskraft hält Versprechen nicht ein, auf die kann man sich nicht verlassen, der kannst du nicht vertrauen.“ Als Führungskraft muss

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ich alles daran setzen meine Versprechen konsequent einzuhalten und keine falschen Erwartungen zu wecken. Fairness beginnt bei mir als Führungskraft. > Wenn ich als Führungskraft von meinen Mitarbeitern etwas verlange, was ich

selbst nicht zu tun bereit bin, dann kostet mich das Akzeptanz und wird als unfair wahrgenommen.

Die Wirkung meines Verhaltens sollte ich gerade mit Blick auf die wahrgenommene Fairness kritisch hinterfragen. Beispiele für kritisches Vorgesetztenverhalten. 5 Von meinen Mitarbeitern erwarte ich Überstunden und achte selbst sehr genau auf die Einhaltung meiner Arbeitszeit. 5 Ich überlasse meinen Mitarbeitern die komplizierten, anstrengenden, schwierigen Aufgaben und picke mir selbst die „Rosinen“ heraus. 5 Ich gönne mir ausgedehnte Frühstückspausen, während ich von meinen Mitarbeitern erwarte, dass sie die Pausenzeiten konsequent einhalten. 5 Ich erwarte von meinen Mitarbeitern, dass private Gespräche während der Arbeitszeit nicht ausufern und tausche mich selbst mit anderen Führungskräften sehr ausführlich zu privaten Themen aus. 5 Ich erwarte im Team gegenseitige Hilfsbereitschaft, biete selbst aber nie Hilfe an.

Die Vorbildfunktion von Führungskräften spielt in vielerlei Hinsicht eine wichtige Rolle (z. B. zur Schaffung von Akzeptanz als Führungskraft) und eben auch für das Thema Fairness. Erwartungen, die ich an meine Mitarbeiter habe, sollte ich auch selbst an mich stellen. Damit beginnt Fairness bei mir als Führungskraft. Die aufgeführten Verhaltensweisen haben eine Reihe von negativen Auswirkungen auf die geführten Mitarbeiter (z. B. auf deren Motivation) und sind hoch kritisch mit Blick auf die Gestaltung von Fairness in einem Team. Wenn sich eine Führungskraft so verhält, dann sind die folgenden Reaktionen wahrscheinlich: „Na, die hat es gut, die macht sich da ein schönes Leben. Wir ziehen hier den Karren und sie lässt es sich gut gehen. Wieso soll ich mich besonders anstrengen, wenn meine Führungskraft das auch nicht macht?“ Es geht um die Frage, ob ich als Führungskraft Anlässe für Enttäuschung, Neid und Wut biete. Privilegien für Führungskräfte möglichst vermeiden Mit Blick auf das Erleben von Fairness können auch Privilegien für Führungskräfte ungünstige Signalwirkungen haben. Was vonseiten der Eigentümer oder der obersten Führungsebene als besondere Wertschätzung und Anerkennung für die Führungskräfte einer Organisation gedacht ist, kann von Mitarbeitern als Abwertung

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

­ ahrgenommen werden. Wir empfehlen deshalb die Wirkungen von Privilegien sehr w gut zu bedenken.

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Beispiele für Privilegien mit Frustrationspotenzial: 5 Die Mitarbeiter teilen sich zu viert ein enges Büro, während die Führungskraft im größten Büro alleine sitzt. Die Führungskraft verbringt jedoch die meiste Zeit in Besprechungen außerhalb ihres Büros. Die meiste Zeit steht das Büro leer. 5 Die Führungskraft hat auf ihrem Schreibtisch den größten Bildschirm der Abteilung stehen, obwohl sie viel seltener vor dem Bildschirm sitzt, als ihre Mitarbeiter. 5 Die Führungskraft fährt ein hochwertiges Firmenfahrzeug, während sich die Mitarbeiter von ihrem Gehalt kaum einen Kleinwagen leisten können. 5 Die Mitarbeiter müssen sich irgendwo einen entfernten Parkplatz suchen, während die Führungskraft unmittelbar auf einem eigens ausgewiesenen Parkplatz vor dem Bürogebäude parkt. 5 Die Führungskräfte essen im Betriebsrestaurant in einem separaten Bereich mit einem hochwertigeren Speisenangebot.

Was teilweise in Unternehmen als Anreiz und Anerkennung für Führungskräfte gedacht ist, kann dann schnell demotivierend auf weite Teile der Beschäftigten wirken. Wie ist die Vorbildwirkung bei den genannten Beispielen? Welche Signale können von den Mitarbeitern wahrgenommen werden? Destruktive Signalwirkungen von Privilegien aus Mitarbeitersicht. 5 Unsere Führungskräfte sind etwas Besseres. 5 Unsere Führungskräfte predigen Wasser und trinken selber Wein. 5 Was für den kleinen Mann gilt, gilt für die hohen Tiere bei uns noch lange nicht. 5 Unsere Führungskräfte sind abgehoben von unserem Alltag.

Privilegien können Führungskräfte von ihren Mitarbeitern absetzen, können sichtbare Trennlinien sein. So können Gräben gezogen und Barrieren aufgebaut werden, mit negativen Folgen: Mitarbeiter bringen beispielsweise ihre Ideen weniger stark ein, weil sie sich gegenüber den „hohen Tieren“ nicht trauen, ihre Gedanken offen zu äußern; Mitarbeiter engagieren sich weniger, weil sie solche Privilegien als unfair wahrnehmen. Solche negativen Effekte können aus unserer Sicht die erhoffte Anreizund Anerkennungswirkung übersteigen, sodass unterm Strich negative Effekte für die Organisation resultieren. Es kann gut begründbare Differenzierungen geben. Möglicherweise benötigt eine Führungskraft ein Firmenfahrzeug, weil sie viel geschäftlich unterwegs ist oder ein Einzelbüro mit Besprechungstisch, weil ihr Arbeitstag überwiegend aus Abstimmungen besteht. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch auch, dass jeder Mitarbeiter die Ausstattung haben sollte, die für seine Aufgaben angemessen ist. Dann hat

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zum Beispiel der Mitarbeiter, der viel Zeit vor seinem Bildschirm verbringt, einen besseren Bildschirm als seine Führungskraft. Diese Art der Differenzierung ist sinnvoll. Ansonsten empfehlen wir, auf Privilegien, die in erster Linie die Funktion von Statussymbolen erfüllen, möglichst zu verzichten. Neben den genannten negativen Auswirkungen ist uns ein weiterer Gedanke dabei wichtig: > Eine Organisation, die stark auf Statussymbole setzt, macht die Führungs-

funktion für Menschen attraktiv, für die Statussymbole wichtig sind und die möglicherweise weniger an der Führungsarbeit an sich Interesse haben, sondern eben an diesen Statussymbolen. Es können also Fehlanreize gesetzt werden. Wenn das für alle sichtbare Firmenfahrzeug oder Einzelbüro zur Hauptmotivation wird eine Führungsfunktion anzustreben, dann interessieren sich möglicherweise die Falschen für Führungspositionen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: die Übernahme von Führungsverantwortung ist eine anspruchsvolle und wichtige Aufgabe, die auch angemessen vergütet werden sollte – Gehaltsdifferenzierung ist in diesem Sinne fair. Es geht uns um Statussymbole, die Unterschiede betonen und vorhandene Hierarchiegefälle verstärken. Gleichzeitig kann es aber auch bei Gehaltsdifferenzierungen Fehlanreize dergestalt geben, dass Menschen angezogen und in Verantwortung gebracht werden, die vor allem extrinsisch durch finanzielle Anreize motiviert sind und weniger intrinsisch. Es geht also bei dieser Thematik nicht nur um die Frage, was als fair wahrgenommen wird, sondern auch welche sinnvollen Anreize und welche Fehlanreize in einer Organisation durch Vergütungsgestaltung und Privilegien gesetzt werden. Hierzu kann es kein einfaches Patentrezept geben. > Als Fazit halten wir fest: Im Sinne eines fairen Austausches ist es richtig, dass

Engagement, Ergebnisse, Kompetenzen, Erfahrung, Übernahme anspruchsvoller Funktionen angemessen vergütet werden und gleichzeitig Fehlanreize und falsche Signale möglichst vermieden werden sollten. Bei Statussymbolen halten wir mögliche Fehlanreize und falsche Signale für besonders wahrscheinlich.

Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung Ich habe sehr hohe (zu hohe) Ansprüche an Fairness.

„Ich will meine Mitarbeiter zu100 % fair behandeln.“ > Seine Mitarbeiter möglichst fair behandeln zu wollen, ist eine wichtige Haltung.

Gleichzeit gilt: 100 % Fairness gibt es nie.

An diesem Anspruch werde ich als Führungskraft zwangsläufig scheitern. Aus verschiedenen Gründen. Es haben sich Bedingungen des Arbeitsmarktes entwickelt, die von Mitarbeitern und auch von Führungskräften teilweise als unfair erlebt werden, die allerdings von mir als Führungskraft kaum oder gar nicht beeinflusst werden können. Dennoch entstehen daraus teilweise Konfliktsituationen in Teams und auch Führungskräfte hadern teilweise mit solchen Gegebenheiten, weil sie sie als unfair wahrnehmen. Wir meinen vor allem das Senioritätsprinzip und das Qualifikationsprinzip in der Vergütungsgestaltung: in vielen Organisationen verdienen ältere Mitarbeiter,

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Kapitel 8 · Haltung: Fairness

beziehungsweise Mitarbeiter mit mehr Erfahrung in einem bestimmten Beruf, mehr als jüngere Mitarbeiter und Mitarbeiter mit höheren formalen Bildungsabschlüssen verdienen mehr als Mitarbeiter mit geringeren formalen Bildungsabschlüssen. Das ist Kernbestandteil vieler tarifvertraglicher Regelungen und hat sich in weiten Teilen am Arbeitsmarkt etabliert. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Berufserfahrung und formale Qualifikationsabschlüsse mit Leistung assoziiert sind. Das ist auch wissenschaftlich nachweisbar der Fall – trifft allerdings nicht auf jeden Einzelfall zu. Was als Grundprinzip durchaus seine Berechtigung haben mag, führt im Einzelfall zu als unfair erlebten Situationen. Immer wieder erleben Führungskräfte, dass jüngere Mitarbeiter mehr leisten als erfahrene Mitarbeiter oder ein Mitarbeiter mit einer Berufsausbildung mehr als ein Mitarbeiter mit Hochschulabschluss. Selbst wenn sich die Führungskraft dann stark für die Gehaltsentwicklung des Leistungsträgers einsetzt und dabei alle Möglichkeiten der Organisation ausschöpft, bleiben oft Unterschiede, die für die Betroffenen und auch die Führungskraft schwer hinnehmbar sein können. Die Erkenntnis, dass es 100 % Fairness nicht gibt und dass Systemgegebenheiten zu deutlich unfairen Situationen führen können, ist gerade für stark wertorientierte Führungskräfte nicht immer leicht zu akzeptieren. Bei sehr stark ausgeprägter Wertorientierung kann dies auch zu Gewissenskonflikten bei Führungskräften führen. Mein Beitrag als Führungskraft zu möglichst viel Fairness bei Gehaltsthemen. 5 Bei Einstellungen auf eine gute Passung zwischen formaler Qualifikation und Stellenanforderung achten und die Einstellung von formal überqualifizierten Mitarbeitern vermeiden, wenn dies unfaire Gehaltsunterschiede zur Folge hätte. Ansonsten verursacht dies schnell gefühlte Unfairness im Team. 5 Vorhandene Möglichkeiten ausschöpfen, um die Vergütung neben formaler Qualifikation, den ausgeübten Tätigkeiten, Funktionen sowie Alter/ Berufserfahrung auch an Aspekten wie Arbeitsergebnissen, Engagement, der Übernahme besonderer Aufgaben, Beiträge über das eigentliche Aufgabengebiet hinaus etc. zu orientieren. 5 Mitarbeiter mit entsprechender Erfahrung und formaler Qualifikation möglichst so einsetzen und fordern, dass ihre Beiträge zur Organisation in einem angemessenen Verhältnis zur Vergütung stehen.

Natürlich liegt dabei Fairness immer auch ein Stück im Auge des Betrachters. Neben die Sichtweise, dass Vergütung sich stark an Leistung, Engagement, der Übernahme von Funktionen etc. orientieren sollte, kann auch die Perspektive gestellt werden, dass ältere Mitarbeiter in einem Unternehmen für ihre langjährige Betriebstreue durch eine höhere Vergütung entlohnt werden sollten oder aus Respekt vor älteren Menschen eine höhere Vergütung angemessen ist. Das Bemühen um Fairness bleibt damit immer ein Versuch verschiedene Sichtweisen zu verhandeln im Bewusstsein, dass das Streben nach Fairness wichtig ist, dass es 100 % Fairness aber nicht geben wird.

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Die Schaffung von Transparenz bereitet mir gewisse Sorgen „Zu viel Transparenz ist doch nicht gut. Viele Dinge gehen doch die anderen Mitarbeiter nichts an.“ Soll ich als Führungskraft im Team darüber informieren, dass ein Mitarbeiter eine Weiterbildung machen darf und zu welchen Konditionen? Soll ich im Team begründen, weshalb ich einen Mitarbeiter für einen Karriereschritt vorgeschlagen habe? Soll ich im Team darstellen, weshalb jemand Sonderurlaub bekommen hat? Eine Haltung dazu könnte sein:

» Solche Sachverhalte gehen den betroffenen Mitarbeiter und mich als Führungskraft etwas an und sonst niemanden. Wenn ich als Führungskraft etwas dazu sage, dann weckt das bei anderen Mitarbeitern Begehrlichkeiten. Andere Mitarbeiter werden erst recht neidisch und sich unfair behandelt fühlen, weil sie die Gründe nicht verstehen werden und auch nicht wollen. Ich bin als Führungskraft in meinen Entscheidungen dem Team doch nicht rechenschaftspflichtig, sondern nur meiner eigenen Führungskraft.

Diese Sichtweisen kommen in der Praxis vor und sind sicher auch nachvollziehbar und naheliegend. So kann man argumentieren, dass die Information über eine genehmigte Weiterbildung auch dazu führen kann, dass sich andere Mitarbeiter für eine Weiterbildung interessieren, was man als Führungskraft aus Budgetgründen und mit Blick auf den Zeiteinsatz für kritisch halten kann. Praxistipp

Dennoch empfehlen wir mit solchen Themen sehr transparent umzugehen und zum Beispiel im Team zu erläutern, welcher Mitarbeiter mit welchem Ziel eine Weiterbildung besucht, was der Nutzen für das Team ist und zu welchen Konditionen dies geschieht. Aus unserer Sicht sind mögliche negative Auswirkungen durch wilde Spekulationen viel kritischer zu bewerten, wenn nicht kommuniziert wird, als die möglichen negativen Auswirkungen von transparenter Kommunikation. Natürlich kann ein anderer Mitarbeiter die Ansicht vertreten, dass er auch eine Weiterbildung verdient hätte und noch dringlicher braucht als der andere Kollege. Wenn das offen ausgesprochen wird, dann kann darüber offen gesprochen werden – dann liegt das Thema auf dem Tisch und gärt nicht unter dem Teppich vor sich hin.

Wir empfehlen auch mit Informationen zur Situation der Abteilung oder des Unternehmens möglichst transparent umzugehen. Transparenz fördert die Motivation der Mitarbeiter und ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Wer mitdenkende Mitarbeiter wünscht, muss als Führungskraft für möglichst viel Transparenz sorgen. Die von uns vorgeschlagene Art der transparenten und offenen Kommunikation kann für viele Führungskräfte eine echte Herausforderung sein und birgt auch Risiken in sich. > Es bleibt dabei: Führung ist ganz wesentlich eine Kommunikationsaufgabe –

gerade wenn es um die Gestaltung von Fairness geht.

Kapitel 8 · Haltung: Fairness

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Ich möchte mein Team möglichst frei und ohne Regeln führen „Bei mir im Team brauchen wir keine Regeln. Das regelt sich alles von alleine.“ Diese Haltung ist in erster Linie eine sehr bequeme Haltung. > Es gilt: „laissez faire“ führt nicht zu Fairness.

Wir haben angesprochen, dass es eine Reihe von Themen geben kann, die in einem Team zu gefühlter Unfairness und dann auch zu Konflikten führen können: Wer übernimmt den Küchendienst? Wie läuft die Urlaubsplanung ab? Wer vertritt wen? Wer übernimmt welchen Telefondienst? An solchen vermeintlichen Kleinigkeiten können sich große Konflikte entzünden. Als Führungskräfte dürfen wir nicht in die bequeme Haltung verfallen: „Das regelt sich schon von alleine. Irgendjemand kümmert sich schon drum. Das geht auch ohne Regeln.“ In aller Regel geht es ohne Regeln nicht. Obwohl ich mir viel Mühe gebe, erleben manche Teammitglieder meine Entscheidungen als unfair

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„Ich versuche Entscheidungen anhand nachvollziehbarer Kriterien zu treffen und kommuniziere wirklich sehr viel. Dennoch gibt es Teammitglieder, die manche Entscheidungen als unfair wahrnehmen und die Gründe einfach nicht einsehen wollen.“ Es gibt für uns als Führungskräfte keine Garantie, dass unsere Mitarbeiter Entscheidungen als fair wahrnehmen, auch wenn wir alle Anregungen dieses Kapitels hervorragend in unserer Führungspraxis umsetzen. > Jeder konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit. Jeder Mensch nimmt seine

Umwelt selektiv wahr und interpretiert Ereignisse vor dem Hintergrund seiner eigenen ganz persönlichen inneren Landkarte.

Eine Karriereentscheidung kann von einem Mitarbeiter als fair wahrgenommen werden und ein anderer Kollege im Team erlebt die gleiche Entscheidung als unfair – das kann vielfältige Gründe haben. Wir empfehlen nicht zu resignieren und dennoch um Verständnis zu werben. Gleichzeitig müssen wir auch damit leben können, dass die Wahrnehmung von Fairness sehr subjektiv ist und wir bei allen Bemühungen nicht bei allen zu einem gleichen Meinungsbild kommen werden. Das sollte nicht dazu führen, Entscheidungen aus Angst vor gefühlter Unfairness zu vermeiden oder in ausufernde Diskussionen einzusteigen. Wie schon beschrieben, werden wir als Führungskräfte 100 % gefühlte Fairness im Team nicht schaffen können. Da sollten wir uns selbst auch nicht zu sehr unter Druck setzen. Fazit 5 Es gibt keine Garantie, dass meine Mitarbeiter alle meine Entscheidungen als fair wahrnehmen. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es immer ein gewisses Maß an gefühlter Unfairness gibt. Was fair ist und was nicht, liegt sehr stark im Auge des Betrachters. Da kann es gute Argumente für ganz unterschiedliche Sichtweisen geben. Dennoch empfehlen wir: Schaffen Sie möglichst viel Transparenz und begründen Sie Ihre Entscheidungen! Geben Sie Ihren Mitarbeitern die Chance, Ihre Entscheidungen

117 Haltung: Fairness

als fair wahrnehmen zu können! Sprechen Sie viel mit Ihren Mitarbeitern, gerade über heikle Themen, die womöglich Irritationen und Gefühle von Unfairness auslösen können. Vermeiden Sie Spekulation durch fehlende Kommunikation! 5 Jedes Team braucht gewisse Spielregeln. Erarbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Team Spielregeln für Themen, die potenziell zu gefühlter Unfairness beitragen können. Das kann der Küchendienst, die Urlaubsplanung, die Aufteilung von Bereitschaftszeiten sein etc. 5 Gleichheit ist nicht gleich Fairness. Als Führungskräfte können wir leicht der Annahme erliegen, dass möglichst viel Gleichbehandlung zu möglichst viel Fairness führt. Da unsere Mitarbeiter in aller Regel nicht gleich sind, führt jedoch zu viel Gleichheit eher zu Unfairness. Ist es fair, von einem gesundheitlich beeinträchtigten Kollegen die gleiche Leistung zu erwarten, wie von einem gesunden Kollegen? Ist es fair, allen Kollegen, bei unterschiedlicher Leistung, die gleichen Gehaltssteigerungen zu geben? Ist es fair, unabhängig vom konkreten Bedarf, in alle Mitarbeiter in gleicher Weise in die Weiterbildung zu investieren? Fairness braucht Differenzierung. 5 Kaum etwas wird von Mitarbeitern als unfairer erlebt, als Versprechen von Führungskräften, die nicht eingehalten werden. Kaum etwas ist belastender für die Zusammenarbeit. Wenn Sie als Führungskraft unter bestimmten Bedingungen eine Prämie versprechen, dann muss diese Prämie bei Vorliegen der Bedingungen auch ausgezahlt werden. Wenn Sie als Führungskraft Ihre Unterstützung bei einem bestimmten Projekt versprechen, dann müssen Sie das auch einlösen. Wenn Sie ankündigen, dass Sie mit Ihrem eigenen Chef über neue Notebooks für Ihr Team sprechen, dann müssen Sie das auch tun und Feedback dazu geben. Wer als Führungskraft Versprechen nicht einhält, muss dafür einen hohen Preis, bis hin zu Leistungsrückgang und Fluktuationen, ­zahlen.

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Haltung: Sinnorientierung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_9

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

„Arbeit ist zum Geldverdienen da. Mit Sinnfragen sollen sich Philosophen beschäftigen.“ Wer als Führungskraft Arbeit auf den Austausch von Arbeitskraft gegen Entgelt reduziert, beschäftigt sich nur mit der Spitze des Eisbergs. Sicher ist die materielle Komponente von Arbeit wichtig. Schon lange ist jedoch klar, dass Arbeit über die Existenzsicherung hinaus viele Funktionen erfüllt. Das zeigen nicht zuletzt die gravierenden Auswirkungen von Langzeitarbeitslosigkeit – gerade eben nicht nur in materieller Hinsicht. Wir wollen als Mitarbeiter in einem Unternehmen etwas Sinnvolles tun. Wir wollen etwas bewirken, wollen stolz auf unsere Arbeit sein können. Wir wollen etwas tun, was zu unseren Interessen, Fähigkeiten und Werten passt. Was hat das mit mir als Führungskraft zu tun? Wir wollen dazu ermuntern, sich nicht nur mit der Spitze des Eisbergs zu beschäftigen, sondern gerade auf die tiefer liegenden Schichten zu schauen.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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Martin arbeitet als Verkäufer in einer Metzgerei und verkauft dort Fleisch, Wurst und Käse. Er isst selbst sehr gerne Wurst und kocht auch sehr gerne. Sein Chef findet es wichtig, sich mit den Kunden gut zu unterhalten und einen persönlichen Kontakt mit den Kunden aufzubauen. Martin macht das sehr gerne, gibt Rezepttipps und wird von einigen Kunden um Empfehlungen gebeten, was sie denn am Wochenende kochen sollen. Martin kennt sich mit seinen Produkten sehr gut aus und kann seinen Kunden viel zu den Inhaltsstoffen oder zur Zubereitung erklären. Haben sie in der Metzgerei gerade etwas nicht vorrätig, dann hat er ein oder zwei alternative Vorschläge für seine Kunden parat. In dem Stadtviertel, in dem die Metzgerei liegt, wohnen vor allem ältere, teilweise alleinstehende, Menschen. Gerade die älteren Kunden freuen sich, wenn Martin sie fragt, wie es ihnen geht und ihnen zuhört, wenn sie etwas erzählen möchten, was meistens der Fall ist. Langjährigen Stammkunden fährt Martin ihre Bestellung auch schon mal am Abend nach Hause. Martin ist mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Er fühlt sich wohl bei seiner Arbeit, seine Arbeit macht ihm Spaß, er geht an den meisten Tagen mit einem sehr guten Gefühl in die Metzgerei. Nur ganz selten erlebt er Phasen der Anspannung oder des sorgenvollen Grübelns über Arbeitsthemen.

Martin macht auf uns wahrscheinlich den Eindruck, dass seine Arbeit positiv zu seiner Lebenszufriedenheit und zu seiner Gesundheit beiträgt. Seine Arbeit ist nicht negativer Stressor, sondern sorgt überwiegend für positive Erfahrungen. Es scheint ihm mit seiner Arbeit gut zugehen. Woran liegt das? Martin und seine Arbeit scheinen gut zusammen zu passen, anscheinend stimmen seine Fähigkeiten und Interessen gut mit den Anforderungen seiner Arbeit überein. Er scheint sich stark mit seiner Arbeit zu identifizieren und mit dem Geschäftsmodell der Metzgerei. Die Wirkungen, die er mit seiner Arbeit erzielt, scheint er als für andere nutzbringend wahrzunehmen. Er sieht jeden Tag positive Ergebnisse seiner Arbeit und hat das Gefühl seinen Kunden etwas Gutes zu tun. Seine Tätigkeit, sein Unternehmen, die Vorstellungen seines Chefs passen anscheinend gut zu seinen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Anscheinend erlebt Martin seine Arbeit als sinnvoll. Was kann dazu beitragen, dass Mitarbeiter ihre Arbeit als sinnvoll erleben? Was bedeutet sinnvolle Arbeit?

121 Haltung: Sinnorientierung

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Wichtige Merkmale von Sinnorientierung. 5 Wie gut passt die Tätigkeit zu den Fähigkeiten und Interessen des Mitarbeiters? Ist der Mitarbeiter weder unter- noch überfordert? 5 Wie gut kann sich der Mitarbeiter mit den Zielen der Organisation, dem Geschäftsmodell, den Produkten, den Geschäftspraktiken identifizieren? 5 Welchen Nutzen stiftet die Arbeit für andere, zum Beispiel für Kolleginnen und Kollegen, für die Kunden des Unternehmens? Welchen Nutzen stiftet die Arbeit für die Gesellschaft? 5 Wie gut sind die Ergebnisse der Arbeit für den Mitarbeiter sichtbar? Wie werden die Ergebnisse weiter verwendet? 5 Wie gut passen persönliche Überzeugungen und Werte zu den Überzeugungen und Werten, die in der Organisation, bei den Kolleginnen und Kollegen und Führungskräften vorherrschen?

Sinnvolle Arbeit ist zunächst ein sehr abstraktes Konstrukt. Wir wollen in diesem Abschnitt herausarbeiten, wie Führungskräfte einen Beitrag dazu leisten können, dass Mitarbeiter ihre Arbeit als sinnvoll erleben können. Aus unserer Sicht trägt es zur Gesundheit von Mitarbeitern bei, wenn sie ihre Arbeit als sinnvoll erleben. Einige Aspekte werden auch in anderen Kapiteln angesprochen, wie die Passung zwischen Mitarbeiter und Stelle mit Blick auf Interessen und Fähigkeiten im Kapitel zur Teamkoordination. Wäre Martin ein überzeugter Vegetarier und würde sich sogar vor Fleisch ekeln, dann wäre seine Geschichte ganz anders zu erzählen. Würde Martin das Töten von Tieren als ethisch unvertretbar einstufen, dann würde die Geschichte ebenfalls ganz anders verlaufen. Wäre Martin davon überzeugt, dass die älteren Kunden besser weniger Fleisch und Wurst essen sollten und er ihnen mit seiner Arbeit mehr schadet als nutzt, dann würde Martin seine Arbeit ebenfalls nicht als sinnvoll erleben. Das Beispiel zeigt, dass eine Tätigkeit nicht an sich sinnvoll ist, sondern für unterschiedliche Menschen unterschiedlich sinnvoll sein kann. Sinnerleben ist stark an individuelle Bedürfnisse und Werte gebunden. Wissenschaftlicher Hintergrund

Seit Jahrzehnten ist unbestritten, dass Arbeit nicht alleine der Existenzsicherung dient, sondern vielfältige Funktionen erfüllt (von Rosenstiel 2014). > Arbeit hat einen Zweck über die Absicherung der Existenz hinaus. So erschließt

Arbeit zum Beispiel soziale Kontakte und fördert im besten Fall die Persönlichkeitsentwicklung (von Rosenstiel 2014). Arbeit hat eine sinnstiftende Funktion. > Sinnorientierung bedeutet für uns, dass die Mitarbeiter hinter ihrem

Unternehmen und ihrer Arbeit für die Organisation stehen können, dass sie sich damit identifizieren können, dass sie die Ziele der Organisation aus eigenem Antrieb unterstützen und ihren Beitrag von innen heraus motiviert leisten.

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Es bedeutet für uns, dass Mitarbeiter ihre Arbeit mit Begeisterung erledigen können. Damit steht Sinnorientierung mit verschiedenen, prominenten psychologischen Konzepten in engem Zusammenhang – insbesondere: Verbundenheit mit einer Organisation, transformationale Führung, intrinsische Motivation, Flow-Erleben. Nachfolgend gehen wir auf die einzelnen Konzepte noch genauer ein. Studien zeigen, dass Mitarbeiter mit stärker ausgeprägter emotionaler Verbundenheit mit ihrem Unternehmen gesünder sind, als Mitarbeiter mit geringer ausgeprägter emotionaler Verbundenheit (Meyer und Maltin 2010). Die Förderung von emotionaler Verbundenheit ist für die Mitarbeitergesundheit, aber auch für die Leistung, hoch relevant (Rivkin et al. 2018). Dass Sinnorientierung positive Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, lässt sich aus unserer Sicht auch aus Forschung zu transformationaler Führung ableiten (Zwingmann et al. 2014), da das Konzept der transformationalen Führung aus unserer Sicht stark auf die Schaffung von Sinnerleben abzielt. Belege für die Annahme, dass transformationales Führungsverhalten zu mehr Sinnerleben führt und in der Folge positiv auf die Mitarbeitergesundheit wirkt liefern Arnold et al. (2007). Führungsverhalten, das Mitarbeiter für die Visionen und Ziele der Organisation begeistert und dazu beiträgt, dass Mitarbeiter intrinsisch motiviert für ihr Unternehmen arbeiten, wird in der Forschung als transformationale Führung beschrieben (Felfe 2006). > Eine Führungskraft, die Ziele und Visionen aufzeigt, die deren Erreichbarkeit

anschaulich verdeutlichen kann, die ihre Mitarbeiter dazu anregt, Bestehendes zu hinterfragen und neues auszuprobieren, die die Anliegen ihrer Mitarbeiter ernst nimmt, wertschätzend mit ihren Mitarbeitern umgeht und sie unterstützt, führt transformational (von Rosenstiel und Kaschube 2014).

Transformationale Führung soll dazu beitragen, dass Mitarbeiter von ihren Eigeninteressen weg eine Art Transformation auf die Visionen und Ziele der Organisation hin erleben (von Rosenstiel und Kaschube 2014). Die Konsequenz ist eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen, mehr Bindung an das Unternehmen, mehr Anstrengungsbereitschaft und intrinsische Motivation (Felfe 2005). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Forschungsbefunden, die die Schlussfolgerung nahelegen, dass transformationales Führungsverhalten in einem positiven Zusammenhang mit Mitarbeitergesundheit steht (Zwingmann et al. 2014). Die Autoren führten hierzu eine Studie mit mehr als 90.000 Beschäftigten in 16 Ländern durch und finden beachtliche Zusammenhänge zwischen transformationalem Führungsverhalten und Indikatoren der psychischen und physischen Gesundheit der Mitarbeiter (z. B. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Erschöpfungsgefühle) in allen 16 Ländern. Auch das sehr populäre Flow-Konzept hat einen ganz starken Überlappungsbereich mit Sinnerleben. Das Flow-Konzept hat eine lange Tradition, wobei die ursprüngliche Beschreibung von Csikszentmihalyi bis heute hohe Relevanz hat ­(Bricteux et al. 2017):

123 Haltung: Sinnorientierung

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> Wenn Mitarbeiter eine Balance aus herausfordernden Aufgaben und ihren

Fähigkeiten erleben, in ihrer Arbeit fokussiert aufgehen, die Zeit vergessen, den Fortschritt ihrer Arbeit unmittelbar erleben, mit Konzentration und Begeisterung bei der Sache sind, ihre Ziele klar vor Augen haben, ein hohes Maß an Kontrolle erleben – dann ist das Flow (Csikszentmihalyi 1975, 2008).

Bakker (2005) hat das Flow-Konzept etwas stärker verdichtet und sieht das quasi Aufgehen in der Aufgabe, das Erleben von Begeisterung und Freude sowie das Erleben von intrinsischer Motivation als Kernelemente von Flow. Diese Beschreibungen sind ohne Frage etwas blumig, möglicherweise aber gerade auch aus eigener Erfahrung nachvollziehbar, wenn bei bestimmten Aufgaben die Zeit aus dem Blick gerät und wir mit großer Begeisterung und voller Konzentration bei der Sache sind. Im besten Fall kommen Ihnen da persönliche Beispiele aus Ihrem Arbeitsalltag in den Sinn. Es geht um starke emotionale Identifikation mit der Arbeit und ein hohes Maß an intrinsischer Motivation. Wer im Laufe eines Arbeitstages häufig Flow erlebt, kommt besser mit den täglichen Arbeitsanforderungen zurecht und berichtet eine bessere psychische Gesundheit im Vergleich zu Mitarbeitern, die im Laufe eines Arbeitstages kaum Flow erleben (Rivkin et al. 2018). Impulse zur persönlichen Reflexion

Was können nun Führungskräfte tun, damit die Mitarbeiter in ihrem Team ihre Arbeit als sinnvoll erleben können? Vor allem vor dem Hintergrund unserer praktischen Erfahrungen beschränken wir uns auf die folgenden Ansatzpunkte, die uns besonders wichtig erscheinen. Sicher gibt es weitere Ansatzpunkte: im Rahmen der Personalauswahl auf eine gute Passung zwischen neuem Mitarbeiter und Arbeitsstelle achten und in der Folgezeit immer wieder die Erwartungen in beide Richtungen klären, den Mitarbeitern ermöglichen Wirkung zu erzielen und gemeinsam mit den Mitarbeitern eine Vision entwickeln. Gute Passung zwischen Mitarbeiter und Arbeitsstelle Personalauswahl bedeutet nicht nur, einen Bewerber zu finden, der mit Blick auf seine Fähigkeiten die Aufgaben der Stelle möglichst gut bewältigen kann, sondern einen Bewerber zu finden, der auch „sonst“ gut passt. Was kann das konkret bedeuten? Mit Blick auf unser Eingangsbeispiel reicht es nicht aus, wenn Martin über die notwendigen Produktkenntnisse verfügt, die erforderlichen Arbeitsmittel fachgerecht einsetzen, die Hygienevorschriften beachten und kundenorientiert Gespräche führen kann. Er muss seine Arbeit auch mögen. Im besten Fall ist er für seine Aufgaben intrinsisch motiviert. Die psychologische Eignungsdiagnostik hat sich in den letzten Jahrzehnten viel damit beschäftigt, wie es insbesondere durch Intelligenztests, Persönlichkeitstests, Assessment Center, Arbeitsproben und strukturierte, multimodale Interviews gelingen kann die Bewerber zu identifizieren, die den Anforderungen der Stelle möglichst gut gewachsen sind (Schuler et al. 2014; Kanning und Schuler 2014; ­Schuler 2014). In der Eignungsdiagnostik spielen auch die Interessen von Bewerbern eine Rolle (Schuler et al. 2014) und haben zunehmend Aufmerksamkeit erfahren.

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Zur Prüfung der Passung gehört also mehr als die Nutzung geeigneter eignungsdiagnostischer Verfahren, um die Passung auf der Ebene des Wissens und Könnens zu überprüfen. > Es ist gut, Bewerber zu identifizieren, die mit ihren Fähigkeiten den Anforderungen

der Arbeitsstelle gut gewachsen sind. Es ist noch besser, wenn es gelingt Bewerber zu identifizieren, die auch mit Blick auf ihre Interessen und Werte gut passen.

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Themen, die unbedingt als Teil des Personalauswahlprozesses besprochen werden sollten. 5 Wie kann sich der Bewerber mit dem Produkt und dem Geschäftsmodell identifizieren? 5 Wie fühlt sich die Arbeit an (z. B. bei Arbeitsproben)? Kann sich der potenzielle Mitarbeiter vorstellen, diese Arbeit über einen längeren Zeitraum, womöglich über Jahre hinweg, auszuüben? 5 Wie gut passen die Arbeitsbedingungen (z. B. Arbeitszeitmodelle, Homeoffice, Firmenstandort) zu den Bedürfnissen des Bewerbers? Ist auch in diesem Bereich eine gute Passung vorhanden? 5 Wie passen die gelebten Überzeugungen und Werte, die der Bewerber in der Organisation erlebt, zu seinen eigenen Überzeugungen und Werten? 5 Hat der Bewerber ausreichend Zeit und Gelegenheit (z. B. im Rahmen von Probearbeitstagen, durch Gespräche mit den potenziellen Kollegen), um diese Fragen fundiert beantworten zu können? 5 Wie fühlt sich der potenzielle neue Mitarbeiter in seinem potenziellen neuen Unternehmen? Was sagt sein Bauchgefühl?

Bei all diesen Fragen geht es um ganz praktische Dinge. Wenn der potenzielle neue Kollege den Eindruck hat, dass Kunden Produkte verkauft werden, die sie nicht wirklich benötigen, dann kann sich das negativ auf sein Sinnerleben bei der Arbeit auswirken. Wenn sich der neue Kollege in einem großen Konzern als kleines Rädchen im Getriebe wahrnimmt, das nichts bewegen kann, dann wird sich das wahrscheinlich ebenfalls negativ auf sein Sinnerleben auswirken. Wenn die neue Tätigkeit viele Verwaltungsaufgaben beinhaltet und der potenzielle neue Kollege keinerlei Interesse an verwaltenden Tätigkeiten hat, dann wird er seine Arbeit ebenfalls als wenig sinnstiftend für sich erleben. Wenn es zu den Überzeugungen in der Organisation gehört, dass bei entsprechendem Arbeitsaufkommen auch Mehrarbeit geleistet wird und der potenzielle Kollege eine minutiöse Einhaltung der Arbeitszeit anstrebt, dann kann dies auch die Passung gefährden. All die genannten Beispiele zeigen, dass Sinnerleben ganz stark an individuelle Bedürfnisse und Werte gebunden ist. Für einen Mitarbeiter ist ein Sportwagen als Symbol deutscher Ingenieurskunst ein äußerst sinnvolles Produkt, während ein anderer Mitarbeiter ganz auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel setzt und einen Sportwagen als sinnloses Produkt wahrnimmt. Deshalb ist es für Führungskräfte im Einstellungsprozess wichtig, die Passung des potenziellen neuen Kollegen kritisch zu hinterfragen und mit ihm zu besprechen, ob die Arbeitsstelle, mit all ihren Facetten, für den Bewerber sinnvoll ist.

125 Haltung: Sinnorientierung

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Praxistipp

Durch ein Vorstellungsgespräch und Probearbeitstage können für beide Seiten wertvolle Informationen generiert werden. Dies setzt voraus, dass die auf Unternehmensseite am Einstellungsprozess beteiligten Personen, den Einstellungsprozess nicht in erster Linie als Werbeveranstaltung für ihr Unternehmen sehen. Es geht auch nicht darum, allein auf die Prüfung des Wissens und Könnens des Bewerbers abzuzielen oder lediglich einen Interessenabgleich mit Blick auf die Tätigkeiten vorzunehmen. Es geht auch um realistische Tätigkeitsinformationen, um realistische Informationen zum Unternehmen, zu den Arbeitsbedingungen etc. Wer hier falsche Versprechungen macht, schafft die Voraussetzungen für Unzufriedenheit, Enttäuschungen und letztlich Fluktuationen. Seien Sie ehrlich und bleiben Sie realistisch.

Gerade auch die Probezeit sollte gut genutzt werden, um die Passung kritisch zu hinterfragen. Fühlt sich der neue Kollege wirklich wohl? Erlebt er seine Entscheidung immer noch als sinnvoll, wenn er nun nach einigen Wochen tiefere Einblicke gewonnen hat? Dies bedeutet, dass gerade in der Probezeit viele Gespräche zwischen Mitarbeiter und Führungskraft notwendig sind, um die Passung zu reflektieren. Es kann gerade auch für beide Seiten richtig sein, in der Probezeit zu erkennen, dass die Passung nicht ausreichend geben ist. Das bedeutet nicht, dass der neue Mitarbeiter oder das Unternehmen schlecht ist. Erwartungsklärung Die Bedürfnisse und Werte von Menschen verändern sich. Mag beim Einstieg ins Team eine gute Passung vorgelegen haben, so kann die Situation nach zwei Jahren eine andere sein. Gegenseitige Erwartungsklärung ist deshalb immer wieder eine wichtige Aufgabe von Führungskräften. Besonders gut eignen sich dazu halbjährliche oder jährliche Personalgespräche. Fallbeispiel Nehmen wir als Beispiel einen neuen Kollegen, der sein Aufgabengebiet nach einigen Jahren sehr gut beherrscht und anfängt seine Arbeit als langweilig wahrzunehmen. Er möchte gerne etwas Neues lernen, andere Tätigkeiten erscheinen ihm reizvoller als seine Aufgaben. Er hat bei sich Talente entdeckt, die er in seiner aktuellen Tätigkeit nicht nutzen kann. Wird darüber nicht gesprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht, dann ist der Weg nicht weit bis der Mitarbeiter seine Arbeit zunehmend als nicht mehr sinnvoll für sich erlebt. Am Anfang hat alles wunderbar gepasst. Die Führungskraft versäumt es immer wieder die Erwartungen zu klären und hält am Ende des Weges verwundert die Kündigung des langjährigen Mitarbeiters in Händen. Die Klärung von Erwartungen kann sich auf vielfältige Themen beziehen.

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Themen zur Erwartungsklärung. 5 Führung 5 Ablauf der Einarbeitung 5 Vereinbarkeit von Familie und Beruf 5 Vereinbarkeit von Familie und Freizeitaktivitäten 5 Geschäftsmodell 5 Gesundheitsangebote 5 Ziele der Organisation 5 Arbeitsklima im Team/im Unternehmen 5 Aufgabenspektrum 5 Arbeitszeit und Arbeitsort 5 Gehalt 5 Weiterbildungsmöglichkeiten 5 Entwicklungsmöglichkeiten

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Bei all diesen Themenfeldern kann die Passung zwischen Mitarbeiter und Unternehmen unterschiedlich groß sein. Für eine möglichst hohe Arbeitszufriedenheit und für gesunde Arbeit sollte eine möglichst hohe Übereinstimmung gegeben sein. Je nach persönlichen Interessen und Werten können die Vorstellungen in allen Themenfeldern bei unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlich ausgeprägt sein. Für einen Mitarbeiter gehört es beispielsweise zu sinnvoller Arbeit, immer wieder etwas Neues lernen zu können, sich weiterbilden zu können, neue Talente zu entdecken und zu entwickeln. Ein anderer Mitarbeiter hingegen möchte seine vorhandenen Kompetenzen einsetzen und sich darüber hinaus nicht mit Weiterbildung und Entwicklung beschäftigen. Was gehört für einen bestimmten Mitarbeiter zu sinnvoller Arbeit? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Die Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig und nicht alles ist für alle relevant. Sie soll ein Ideenpool sein, um Anregungen für Gespräche zur gegenseitigen Erwartungsklärung zu gewinnen. Die einzelnen Themenbereiche sollten, soweit möglich, bereits im Rahmen des Auswahlprozesses und im Rahmen der Probezeit besprochen werden. Viele der Themen ließen sich sicherlich auch unter einer anderen Überschrift behandeln, da der jeweilige Bezug zum Sinnerleben bei der Arbeit sicher unterschiedlich ausgeprägt ist. Wir haben uns jedoch bewusst für eine solche, etwas breitere Sichtweise entschieden. In Personalgesprächen können die Erwartungen immer wieder neu geklärt werden. Mögliche Fragen zur Erwartungsklärung (z. B. im Rahmen des Personalgesprächs). 5 Wie gut passt dein Aufgabengebiet für dich? Was passt gut, was weniger? 5 Wie zufrieden bist du mit den Arbeitsbedingungen? An welchen Stellen besteht aus deiner Sicht Veränderungsbedarf? Wie können wir gemeinsam daran arbeiten? 5 Wie fühlst du dich im Team? Wie nimmst du unser Teamklima wahr? Was sollten wir verbessern? 5 Gibt es aus deiner Sicht andere Stellen innerhalb der Organisation mit einer höheren Passung für dich?

127 Haltung: Sinnorientierung

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Wirkung erzielen können > Wir wollen als Menschen etwas bewirken. Wir wollen einen Effekt erzielen.

Wir wollen wichtige Aufgaben bearbeiten. Mitarbeiter möchten nicht für den Papierkorb arbeiten, sondern sehen, dass ihre Arbeit einen konkreten Nutzen stiftet, dass aus ihrer Arbeit etwas Positives entsteht, dass es für ihr Team, für das Unternehmen, für die Kunden einen Unterschied macht, ob sie ihre Aufgaben mit Engagement in guter Qualität bearbeiten oder nicht.

Beim Thema Wertschätzung und im Rahmen der motivierenden Aufgabengestaltung sprechen wir diesen Punkt ebenfalls an. Wirkungen zu erzielen hat in gleicher Weise etwas mit dem Erleben von Wertschätzung sowie mit sinnvoller und motivierender Arbeit zu tun. Als Führungskraft kann ich dabei in ganz unterschiedliche Richtungen denken, um meinen Mitarbeitern Wirkungsmöglichkeiten zu erschließen. Mitarbeitern erkennbare Erfolge ermöglichen. 5 Wie stark werden die Arbeitsergebnisse genutzt (z. B. von anderen Einheiten im Unternehmen)? Wie gut stelle ich sicher, dass meine Mitarbeiter an nutzbringenden Aufgaben arbeiten? Wie gut sind die daraus resultierenden Erfolge für die Mitarbeiter erkennbar? 5 Wie direkt ist der Zusammenhang zwischen konkreten Tätigkeiten und dem gewünschten Ergebnis (z. B. Umsatz)? 5 Wie gut versteht der Mitarbeiter den Nutzen seiner Tätigkeiten? Wie gut habe ich das als Führungskraft erklärt? 5 Erkläre ich meinen Mitarbeitern, warum ich ihnen bestimmte Aufgaben übertrage und welchen Nutzen die Erledigung der Aufgaben stiften soll? 5 Wie stark nehme ich als Führungskraft wahr, was mein Mitarbeiter tut und melde ich ihm das auch zurück? 5 Welche Möglichkeiten hat ein Mitarbeiter Ideen einzubringen? Welche Wirkungen haben diese Ideen? Was wird konkret daraus gemacht? Wie erfährt der Mitarbeiter was aus seinen Ideen geworden ist? 5 Wie stark gebe ich als Führungskraft Dank an mein Team weiter, zum Beispiel von meiner Führungskraft, von anderen Einheiten im Unternehmen, von Kunden?

Es gibt eine ganze Reihe an Ansatzpunkten wie Führungskräfte dazu beitragen können, dass ihre Mitarbeiter positive Wirkungen ihrer Arbeit wahrnehmen können. „Es hat keinen Sinn Vorschläge zu machen, weil sich doch nichts verändert.“, „Meine Meinung ist nicht gefragt.“, „Ob ich mich darum kümmere oder nicht, fällt sowieso niemandem auf.“, „Unterm Strich stiftet das keinen so richtigen Nutzen, was ich da tue. Keine Ahnung, ob da wirklich etwas damit gemacht wird.“ „Ob der Kunde mit meiner Arbeit zufrieden war, weiß ich gar nicht.“ Wenn Mitarbeiter wenig Wirkung erleben, dann ist es naheliegend, dass die Motivation sinkt und die Arbeitszufriedenheit leidet.

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Das Erleben von Frustration ist dann hoch wahrscheinlich. Ein wichtiger Ansatzpunkt kann dabei sein, dass ich mir als Führungskraft immer wieder einen Einblick in die Arbeitsleistung meiner Mitarbeiter verschaffe und dazu Feedback gebe, zum Beispiel im Rahmen von monatlichen Besprechungen, aber auch als Bestandteil der täglichen gemeinsamen Arbeit. Impulsfragen für Feedbackgespräche. 5 An welchen Aufgaben arbeitet mein Mitarbeiter im Moment? 5 Was sind die „Produkte“ seiner Arbeit? 5 Wie können wir den Erfolg seiner Arbeit beurteilen? 5 Wie stark gebe ich als Führungskraft konkretes Feedback zu seiner Arbeit?

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Das kann auch bedeuten, dass jeder Mitarbeiter einmal pro Halbjahr im Personalgespräch darstellt, was ihm aus seiner Sicht im letzten halben Jahr gut gelungen ist, welche größeren Projekte er erfolgreich abschließen konnte, welche normalen Aufgaben seiner Tagesarbeit ihm in guter Qualität gelingen. Dieses Selbstbild kann dann mit der Wahrnehmung durch die Führungskraft abgeglichen werden. So können gute Leistungen fundiert gewürdigt werden und fundiert besprochen werden, in welchen Bereichen noch Verbesserungen möglich und notwendig sind. Ein allgemeines „Danke“, das sich nicht auf konkrete Leistungen bezieht, ist wenig hilfreich. Im Gegenteil es kann sogar negative Wirkungen auf die Motivation haben. Leicht kann es als bloße Floskel wahrgenommen werden. > Mitarbeiter merken in der Regel sehr gut, ob ein „Danke“ ernst gemeint ist, auf

belastbaren Fakten beruht oder ob es sich um eine leere Floskel handelt.

Herausragende Leistungen können durch die Führungskraft auch im Team gewürdigt werden. Wichtig ist dabei, dass nicht immer der gleiche Kollege öffentliche Anerkennung bekommt, dass die Leistung auch von anderen als besondere Leistung wahrgenommen werden kann und dass die Führungskraft neben Einzelleistungen vor allem auch Teamleistungen stark würdigt, die durch die gute Zusammenarbeit im Team erreicht wurden. Es ist also wichtig bei öffentlicher Anerkennung nicht Unverständnis, Neid und Konkurrenzdruck zu fördern, sonst können die negativen Wirkungen stärker als die positiven Effekte von öffentlichem Lob sein. Ich sollte mir als Führungskraft die Frage stellen, wie es gelingt, dass meine Mitarbeiter nicht nur durch mich, sondern auch sonst Feedback zu ihrer Arbeit bekommen, zum Beispiel durch Kennzahlen oder aus Gesprächen mit anderen Einheiten im Unternehmen oder mit Kunden. Visionen entwickeln Als Führungskraft mit seinem Team Visionen entwickeln zu wollen, kann sich auf den ersten Blick als großes, womöglich zu großes Unterfangen anhören. Sind Visionen nicht etwas für Nobelpreisträger, Staatschefs und womöglich noch für Unternehmensgründer? Eine Vision zu haben klingt nach der Arbeit an großen Aufgaben

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wie der Mondlandung, der Erfindung eines bahnbrechenden Medikamentes oder nach einer erfolgreichen Friedensmission. Aus unserer Sicht kann sich nahezu jedes Team mit visionären Fragen beschäftigen, wobei eine gute Vision für uns aus verschiedenen Facetten besteht. Wir stellen dazu auch einige Bilder vor, die das abstrakte Thema besser veranschaulichen und greifbarer machen sollen. Impulsfragen zur Erarbeitung einer Vision. 5 Was wollen wir als Team in den kommenden Jahren erreichen? Was wollen wir für unsere Organisation und/oder für unsere Kunden bewirken? Wie wollen wir unsere Leistung in den kommenden Jahren entwickeln? Wie wollen wir unsere Kunden in Zukunft begeistern? 5 Wie wird unser Team in 5 Jahren sein? Wie wollen wir unsere Arbeit verändern? Worauf wollen wir in 5 Jahren stolz sein? Wird unser Team wachsen? 5 Wenn wir unsere Arbeit als eine gemeinsame Expedition sehen, welche Reiseziele ziehen uns dann an? Was wollen wir auf unserer Reise erleben? Welche Abenteuer warten möglicherweise auf uns? 5 Wenn wir unsere Arbeit als die Geschichte einer Sportmannschaft beschreiben, welche Wettkämpfe wollen wir in den kommenden Jahren bestreiten? Welche Titel wollen wir holen? Wie bereiten wir uns gut darauf vor? Wie muss unser Trainingsplan aussehen, um unsere Ziele zu erreichen? 5 Wenn wir als Team Gärtner in einem Garten sind, was wollen wir in Zukunft anbauen? Wie wollen wir unseren Garten umgestalten? Was wollen wir erhalten? Welche neuen Obstsorten wollen wir anbauen? Was können wir heute tun, damit wir in 10 Jahren eine reiche Ernte bekommen? 5 Welche Kompetenzen wollen wir ausbauen und neu aufbauen? Was wollen wir lernen? Was wollen wir ausprobieren? Welche Erfahrungen wollen wir sammeln? 5 Welche ethischen Standards, welche Wertvorstellungen sind uns bei der Arbeit an unseren Aufgaben heute und in Zukunft wichtig? Welche ethischen Standards und welche Wertvorstellungen wollen wir in unserer Arbeit noch stärker berücksichtigen? 5 Was trägt jeder einzelne zur Realisierung unserer Vision bei? 5 Wenn wir so unser Bild der Zukunft beschreiben: Wie wird sich das voraussichtlich in unseren Kennzahlen (z. B. Umsatz, Rohertrag, Betriebsergebnis) niederschlagen? 5 Was macht uns besonders? Was unterscheidet uns von anderen? Was treibt uns an? Woraus ziehen wir als Team Motivation? Auf welche Erfolge freuen wir uns?

> Unter einer gemeinsamen Vision verstehen wir, dass ein Team weiß, was es in

den kommenden Jahren bewirken möchte, was es leisten möchte, dass es das Bild einer positiven Zukunft gibt. Ein Bild, dass die Kolleginnen und Kollegen als attraktiv erleben.

Aus unserer Sicht kann das nicht durch die Führungskraft vorgegeben werden, sondern muss miteinander erarbeitet und gelebt werden. Dieser Ansatz setzt auch

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

bestimmte Haltungen bei mir als Führungskraft und vor allem den Eigentümern einer Organisation voraus. Die Haltung, dass die Organisation über viele Jahre Bestand haben soll, die Haltung, dass die Organisation etwas bewirken soll, was von Mitarbeitern als positiv wahrgenommen werden kann, die Haltung, dass Mitarbeiter Mitunternehmer sind, die Haltung, dass ethische Standards und Wertvorstellungen wichtig sind. Wenn in einer Organisation oder in einem Team Mitdenken unerwünscht ist oder wenn eine Organisation nur kurzfristig erfolgreich sein soll oder wenn es ausschließlich, um die Erreichung bestimmter Kennzahlen geht, egal auf welchem Weg, dann ist es aus unserer Sicht nicht sinnvoll sich mit Visionen zu beschäftigen. Eine Vision wird nicht einmal punktuell entwickelt, zu Papier gebracht und ist dann für 20 Jahre gültig. Visionsarbeit sollte eher als ein dynamischer Prozess verstanden werden, der immer wieder auch an Umweltbedingungen angepasst werden muss. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Team im Rahmen eines jährlichen Klausurtages seine Vision auf den Prüfstand stellt: Wie weit sind wir im Laufe des letzten Jahres gekommen? Ist das noch sinnvoll? Was wollen wir bei unserer Vision so beibehalten? Was wollen wir verändern? Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

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Der Zweck von Arbeit wird von mir als Führungskraft zu stark im Geldverdienen gesehen. „Der Sinn von Arbeit ist es Geld zu verdienen. Es geht doch in erster Linie ums Geld. Alles andere ist nett, aber nicht so wichtig. Wenn das Geld stimmt, passt der Rest auch. Es lohnt sich nicht, sich mit anderen Themen zu beschäftigen, das ist doch nur Kosmetik. Mit Sinnfragen sollen sich Philosophen beschäftigen, das hat doch mit der Arbeitswelt nichts zu tun.“ Wenn Sie als Führungskraft den Zweck von Arbeit so sehen, dann können die folgenden Ausführungen für Sie womöglich einige Denkanstöße liefern. Dass Ihre Mitarbeiter für ihre geleistete Arbeit eine angemessene Vergütung erhalten wollen, steht außer Frage. Natürlich ist das wichtig. Die Transaktion aus geleisteter Arbeit und materieller Anerkennung muss für beide Seiten angemessen sein. Faire Transaktionsprozesse zu gestalten, wirkt sich ohne Frage positiv auf die Leistung, Mitarbeiterzufriedenheit und andere Variablen aus (von Rosenstiel und Kaschube 2014). Der Kern des Führungskonzeptes „transaktionale Führung“ ist die Gestaltung als fair und angemessen erlebter Austauschprozesse (von Rosenstiel und Kaschube 2014). Die Führungskraft stellt für erbrachte Leistungen des Mitarbeiters Belohnungen in Aussicht, wobei dies auch immaterielle Belohnungen, wie zum Beispiel ein Lob vor der Gruppe beinhalten kann. Aus unserer Sicht ist die Gestaltung fairer Austauschprozesse ohne Frage sehr wichtig. Das wollen wir in diesem Kapitel, wie in unserem Buch insgesamt, nicht in Abrede stellen. Dabei ist uns wichtig, dass es neben dem monatlichen Gehalt eine ganze Reihe von Vergütungs- und Anerkennungskomponenten geben kann: Leistungsprämien, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Beteiligung am Betriebsergebnis, Finanzierung von Weiterbildungen, Sonderurlaub für Weiterbildungen, Firmenfahrzeug, Teamessen, Teamausflüge, Zuschüsse zum Mittagessen, betriebliche Altersvorsorge, Kindergartenzuschuss,

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Firmenevents, attraktive Arbeitszeitmodelle, Beförderungen, Homeoffice etc. Die genannten Beispiele haben alle eine materielle Komponente. So kann es für einen Mitarbeiter mit einem langen Anfahrtsweg hoch attraktiv sein, von zu Hause aus arbeiten zu können. Sowohl aus finanziellen Gründen, um z. B. Fahrtkosten zu sparen, als auch aus anderen Gründen, z. B. weniger Stresserleben im Stau. All diese Komponenten sind wichtig und es ist Teil guter Führung als Führungskraft für seine Mitarbeiter im Rahmen der Gegebenheiten des Unternehmens ein gutes Paket zu schnüren. Wir empfehlen in Unternehmen ein möglichst breites Spektrum solcher Instrumente zu gestalten, um den Führungskräften in Ergänzung zum normalen Gehalt Handlungsspielraum zu verschaffen. Im besten Fall ergeben sich Win-Win-Situationen, die für die Mitarbeiter und die Gesamtorganisation den Nutzen mehren. Finanziert das Unternehmen zum Beispiel eine Weiterbildung, die für die Arbeit unmittelbar relevant ist, dann hat nicht nur der Mitarbeiter etwas davon, weil er die Weiterbildung möglicherweise interessant findet, in seine weitere Laufbahn investiert, danach besser arbeiten kann etc., sondern auch die Organisation. > Wer jedoch das Thema Führung allein auf die Gestaltung des Austausches von

Leistung und Anerkennung beschränkt, verschenkt andere Ansatzpunkte guter Führung.

Der hier beschriebene Einwand, dass es doch nur ums Geld ginge, ließe sich bei vielen Handlungsempfehlungen in unserem Buch anbringen, lässt sich jedoch mit Blick auf Forschung und Praxis gut widerlegen. Bei der Arbeit geht es eben nicht nur ums Geld. Die Führungsforschung der letzten Jahrzehnte zeigt sehr eindrucksvoll, dass gute Führung weit mehr beinhaltet, als die Gestaltung von Austauschprozessen (von Rosenstiel und Kaschube 2014). Mitarbeiter schätzen ein gutes Teamklima, freuen sich über Freiheitsgrade, wollen mit ihren Anliegen ernst genommen werden und viele, viele weitere Punkte mehr. Es geht darum, Geld zu verdienen, aber es geht um viel mehr. Viele Führungskräfte wissen auch aus ihrer eigenen Erfahrung, dass das Gehalt nur ein Faktor neben vielen anderen ist und zur Förderung von Zufriedenheit, Bindung, Gesundheit und Leistung viele andere Ansatzpunkte wichtig sind. Das zeigen beispielsweise auch Austrittsgespräche in Organisationen. Werden Mitarbeiter nach einer Kündigung zu ihren Beweggründen befragt, so ergeben sich neben dem Gehalt oft eine ganze Reihe weiterer relevanter Punkte, beispielsweise fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, Wertschätzung unabhängig vom Gehalt oder das Teamklima. Womöglich gibt es in Ihrer Organisation entsprechende Auswertungen, die Sie einsehen können. Sie werden wahrscheinlich feststellen, dass das Thema Gehalt wichtig ist, aber noch viele andere Gründe mit auftauchen. Jetzt lässt sich natürlich trefflich darüber streiten, wie wichtig einzelne Einflussfaktoren für die Mitarbeitergesundheit, die Bindung, die Leistung etc. sind. Für die Praxis ist das nur begrenzt hilfreich. Aus praktischer Perspektive empfehlen wir Führungskräften, sich mit allen Tasten des Klaviers vertraut zu machen und ein breites Spektrum an Ansatzpunkten zur Gestaltung guter Führung zu nutzen und gerade auch Unzufriedenheit bei Mitarbeitern, Fluktuation oder einen hohen Krankenstand nicht in erster Linie mit dem Gehalt in Verbindung zu bringen. Und um abschließend noch etwas zu provozieren: Wenn ich den Eindruck habe, dass es meinen Mitarbeiter nur ums Geld geht, dann liegt das vielleicht daran, dass ich ihnen das so vorlebe?

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Bei der Einstellung neuer Mitarbeiter werden Stellen und das Unternehmen von mir zu positiv dargestellt. „Im Auswahlprozess muss ich doch Werbung für mein Unternehmen machen. Da will ich unser Unternehmen doch möglichst positiv darstellen. Die Nachteile bemerkt der neue Kollege dann noch früh genug.“ Wir haben ausführlich dargestellt, dass eine gute Passung zwischen Mitarbeiter und Stelle eine wichtige Grundlage für als sinnvoll erlebte Arbeit ist. Das bedeutet, mit dem Bewerber die Vor- und Nachteile der Stelle gut zu beleuchten. Dieser Ansatz steht, zumindest auf den ersten Blick, im Widerspruch zum Bemühen sich als Unternehmen bei potenziellen Mitarbeitern möglichst gut darzustellen. Das kann in der Praxis ein relevantes Problem sein. Unterm Strich zahlt sich aus unserer Sicht Ehrlichkeit aus. Wer falsche Versprechungen macht, legt die Grundlage für spätere Unzufriedenheit bis hin zu Fluktuationen. Als Führungskraft sollte ich mir im Vorfeld Gedanken zu möglichen Knackpunkten der Stelle machen.

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Ehrlichkeit im Vorstellungsgespräch. 5 Was erleben meine bestehenden Mitarbeiter als herausfordernd? 5 Was ist möglicherweise unattraktiv an der Stelle? 5 Welche Punkte werden in der Mitarbeiterbefragung oder in Austrittsgesprächen kritisiert?

Ich sollte als Führungskraft dem Bewerber die Möglichkeit geben sich möglichst bewusst für oder gegen die Stelle zu entscheiden. Ehrlichkeit im Auswahlprozess kann auch bedeuten, dass ich als Führungskraft möglichst klar darstelle, was mir für die Zusammenarbeit wichtig ist. Es kann zum Beispiel zu Enttäuschungen führen, wenn sich der neue Mitarbeiter möglichst viele Freiheitsgrade wünscht, mir es als Führungskraft aber wichtig ist, dass wir möglichst eng auch Detailpunkte der Arbeit miteinander abstimmen. Ich zeige zu wenig echtes Interesse an den Erwartungen meiner Mitarbeiter. „Was mein Mitarbeiter erwartet, ist mir egal. Der soll was schaffen und sich nach dem richten, was ich von ihm erwarte.“ Wir gehen davon aus, dass es für gute Führung hilfreich ist, sich mit den Erwartungen seiner Mitarbeiter zu beschäftigen und gemeinsam zu überlegen, welche Erwartungen, wie erfüllt werden können. Im Einstellungsprozess, aber auch sonst immer wieder im Laufe der Zusammenarbeit. Die Haltung, dass die Erwartungen der Mitarbeiter nicht wirklich relevant sind, geht von einem starken hierarchischen Gefälle aus. Die Führungskraft erteilt Anweisungen und definiert die Spielregeln. Der Mitarbeiter setzt die Anweisungen um und beachtet die Spielregeln der Führungskraft. In Reinform würde es sich dabei um autoritäre Führung handeln. Dieser Führungsansatz geht durchaus mit nachweisbaren Erfolgen einher (von Rosenstiel und Kaschube 2014). Da insbesondere gute Mitarbeiter in aller Regel auf dem Arbeitsmarkt viele Alternativen finden, ist dieser Ansatz aus unserer Sicht jedoch hoch riskant. Es ist wahrscheinlich, dass viele Mitarbeiter ein Arbeitsumfeld aufsuchen, in dem sie mit ihren

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Anliegen ernst genommen werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass gute Ideen der Mitarbeiter verloren gehen, wenn diese ihre Meinung nicht einbringen können. Praxistipp

Wir werben sehr für ein Verständnis von Führung „auf Augenhöhe“. Das bedeutet unter anderem, dass die Erwartungen der Mitarbeiter ernst genommen werden und ihre Meinungen und Ideen Beachtung finden. Sicher gibt es Erwartungen, die ich als Führungskraft nicht erfüllen kann oder erfüllen möchte. Dann ist es umso wichtiger darüber zu sprechen. Es geht nicht darum, den Mitarbeitern alle Wünsche erfüllen zu wollen. Es geht darum, mit dem Mitarbeiter über seine Anliegen zu sprechen und auf Augenhöhe zu klären, was davon verwirklicht werden kann und was nicht. „Führung auf Augenhöhe“ setzt voraus, dass ich als Führungskraft meinen Mitarbeiter als erwachsenen Gesprächspartner ernst nehme.

Wenn ich als Führungskraft meine Mitarbeiter als trotzige, faule Kinder beschreibe und mich selbst in einer autoritären Elternrolle sehe, dann ist das ein anderer Ansatz, der sicher in manchen Organisationen so gepflegt wird. Wir werben jedoch sehr eindringlich für eine andere Herangehensweise. Ich gebe floskelhaftes oder übertrieben positives Feedback. Wir haben herausgearbeitet, dass Feedback wichtig ist, um die Wirkungen des eigenen Handelns einschätzen zu können. „Also lobe ich jetzt einfach meinen Mitarbeiter jeden Tag immer wenn ich ihn sehe.“ Zu dieser Schlussfolgerung wollen wir nicht einladen. Die Basis für Feedback ist die Beurteilung der Leistung. In der Praxis ist dies oft nicht so einfach umsetzbar, da selbst bei messbaren Ergebnissen eine Reihe anderer Einflussfaktoren diese Ergebnisse beeinflussen können. Bei Aufgaben ohne leicht messbare Ergebnisse wird es noch deutlich schwieriger. Feedback, das ein Mitarbeiter als wenig fundiert, womöglich nicht nachvollziehbar erlebt, hat gegenteilige Wirkung. Es geht uns nicht um Danken, um des Dankens willen. Praxistipp

Wir empfehlen in regelmäßigen Abstimmungen (z. B. einmal im Monat) über anstehende Aufgaben zu sprechen und möglichst konkrete Vereinbarungen zu treffen: Worum kümmert sich der Mitarbeiter? Was soll er erreichen? Was ist das „Produkt“ seiner Arbeit? Woran erkennen wir, ob etwas gut gelungen ist? In der nächsten Abstimmung können dann die Fortschritte miteinander besprochen werden und so auch Hindernisse, unerwartete Ereignisse etc. beleuchtet werden. Der Dank der Führungskraft bezieht sich dann auf die erfolgreiche Umsetzung vereinbarter Aufgaben.

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Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

Ich finde, dass zu meinem Verantwortungsbereich Visionen einfach nicht gut passen. „Bei einfachen Tätigkeiten sind Visionen doch fehl am Platz. Wo soll denn zum Beispiel beim Verpacken von Ware die Vision herkommen?“ Sinnvolle Arbeit durch eine attraktive Vision passt auf den ersten Blick sicherlich gut zu hoch qualifizierten Mitarbeitern mit komplexen Aufgaben, die sich in ihrer Arbeit verwirklichen wollen. Wie ist das bei einfachen Tätigkeiten? > Aus unserer Sicht ist es für Mitarbeiter in allen Bereichen wichtig sich damit zu

beschäftigen, wie sich das Unternehmen insgesamt und wie sich die eigene Abteilung weiter entwickeln soll und was der persönliche Beitrag dazu ist. Wo wollen wir eigentlich hin? Diese Frage ist nicht allein für die Entwicklungsabteilung oder den Vertrieb relevant.

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Vielleicht variieren die Fragestellungen etwas, aber Visionsarbeit ist aus unserer Sicht für alle Bereiche möglich und auch sinnvoll. Wer annimmt, dass das bei einfachen Tätigkeiten nicht sinnvoll ist, unterstellt möglicherweise implizit, dass bestimmte Mitarbeitergruppen weniger beteiligt werden sollten oder können, dass sich bestimmte Mitarbeitergruppen per se weniger dafür interessieren oder vielleicht auch nicht über die notwendigen Kompetenzen verfügen. Diese Haltung ist aus unserer Sicht sehr riskant und führt womöglich zu dem Mitarbeiterverhalten, das dann als Rechtfertigung dafür dient, dass mit diesen Mitarbeitergruppen nicht auf Augenhöhe an der Vision gearbeitet wird. Mit Blick auf unser Beispiel kann auch mit Mitarbeitern, deren Hauptaufgabe das Verpacken von Ware ist, an einer Vision für den Bereich gearbeitet werden. Beispielfragen zur Visionsentwicklung in einem Logistikteam. 5 Wie gelingt es uns die Ware schneller, kostengünstiger, einfacher, umweltverträglicher etc. zu verpacken? Wie können wir unseren Arbeitsbereich anders organisieren, um diese Veränderungen zu bewirken? Wie kann unser Arbeitsbereich in zwei oder drei Jahren aussehen? 5 Wie vermeiden wir Reklamationen durch Verpackungsfehler? Wo stehen wir heute und wo wollen wir in einem, drei oder fünf Jahren sein? 5 Was ist unser Beitrag zur Kundenzufriedenheit? Wie können wir durch Veränderungen bei unserer Arbeit einen größeren Beitrag zur Kundenzufriedenheit leisten? 5 Wie können wir unsere Arbeitsplätze so gestalten, dass wir unsere Arbeit möglichst lange gesund ausführen können? Welche Veränderungen sind dazu notwendig? Wie sollte unser Arbeitsbereich mit Blick auf Arbeitsmittel oder bauliche Gegebenheiten in einem oder zwei Jahren aussehen?

All diese Fragen machen, neben anderen Fragen, die Vision der Abteilung aus. Es geht dabei nicht um abgehobene Diskussionen, sondern darum, sich ganz pragmatisch mit der Zukunft des eigenen Arbeitsbereichs zu beschäftigen. Diese Visionsarbeit ist nicht nur Aufgabe von Führungskräften, sondern der gesamten Mannschaft. Ich muss da als

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Führungskraft nicht unbedingt von Visionen sprechen. Ich kann auch davon sprechen, dass ich gemeinsam mit meinen Leuten die Abteilung besser machen möchte. Werte sind bei uns im Unternehmen ziemlich vage Konstrukte, um die sich niemand so richtig kümmert. „Werte ist so ein schwammiger Begriff. Was sind eigentlich die Werte einer Organisation? Wer soll sich darum kümmern?“ Wir haben angesprochen, dass es für sinnvolle Arbeit wichtig ist, dass sich Mitarbeiter mit den Werten einer Organisation identifizieren können, dass sie zu ihrer Firma stehen können. Sicher gibt es bei jedem Akteur in einer Organisation gewisse Werte und Haltungen, die sich im Verhalten spiegeln. In einzelnen Teams und Abteilungen kann es geteilte Werte geben, die eine Einheit prägen und auch in einer Organisation kann es geteilte Werte geben, die für die Mitglieder der Organisation und für Andere wahrnehmbar sind. „Wir gehen respektvoll miteinander um.“, „Wir streben langfristige Kundenbeziehungen an.“, „Wir sind verbindlich in der Zusammenarbeit.“, „Wir sind hilfsbereit.“, „Wir orientieren uns am Ideal des ehrlichen Kaufmanns.“ Das können Beispiele für Werte, Überzeugungen und Haltungen sein, die sich im Verhalten von Mitarbeitern zeigen können, indem zum Beispiel einem Kollegen mit viel Arbeit Unterstützung angeboten wird als Zeichen von Hilfsbereitschaft. Die Begriffe Werte, Überzeugungen und Haltungen verwenden wir dabei als Synonyme. > Aus unsere Sicht ist es eine wichtige Frage, welche Werte ein Unternehmen

seinen Mitarbeitern zur Identifikation anbietet. Entscheidend ist dabei, was in der Organisation von den Mitarbeitern oder von Außenstehenden wahrgenommen wird und nicht was die Geschäftsleitung beschlossen und auf der Homepage veröffentlicht hat. Prüfsteine der Unternehmenskultur. 5 Wie gehen die Mitarbeiter einer Organisation miteinander um? 5 Wie gehen die Mitarbeiter mit Kunden und Lieferanten um? 5 Wie gehen die Mitarbeiter mit Besuchern um? 5 Wie gehen die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern um und umgekehrt?

Antworten auf diese vier Fragen beschreiben aus unserer Sicht die gelebten Werte einer Organisation deutlich besser als Texte in Broschüren: Wie sieht das Verhalten konkret aus? Welche Haltungen liegen dahinter? Es sind in einer Organisation ganz unterschiedliche Werte denkbar: „Wir sind untereinander stark konkurrenzorientiert und schauen vor allem auf unseren persönlichen Erfolg.“, „Der Respekt, den jemand verdient, hängt von seiner hierarchischen Position ab.“, „Wir machen hier Dienst nach Vorschrift. Bei uns fällt pünktlich um 16:30 Uhr der Hammer.“, „Fehler zu machen geht gar nicht.“, „Bei uns gibt es mindestens so viele Ausnahmen wie Regeln.“ Werte in einer Organisation zu gestalten ist eine hoch komplexe Aufgabe, da jeder Mitarbeiter durch sein Verhalten die Werte einer

Kapitel 9 · Haltung: Sinnorientierung

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Organisation mitprägt. Werte werden nicht allein von der Geschäftsleitung oder von anderen Führungskräften vorgelebt. Sicher beeinflusst die ranghöchste Führungskraft die Werte in einer Organisation durch die eigene Führungspraxis, ob nun mehr oder weniger als andere Akteure in der Organisation ist aus unsere Sicht Spekulation. Reflexionsfragen zu eigenen Werten. 5 Welche Werte sind bei der Arbeit für mich prägend? 5 Wie zeigen sich diese Werte konkret in meinem Verhalten? 5 Welche Werte sollten aus meiner Sicht in unserer Organisation gelebt werden? 5 Wie leiste ich einen Beitrag dazu, dass diese Werte gelebt werden?

Wenn ich zu dem Schluss komme, dass mir Verbindlichkeit sehr wichtig ist, dann kann ich mir als nächstes die Frage stellen, was Verbindlichkeit konkret bedeutet. Ich kann der Frage nachgehen, wie sich der Wert Verbindlichkeit ganz konkret in meinem Verhalten zeigt. Wie dieser Wert für mich selbst und für andere beobachtbar wird.

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Verhaltensbeispiele für den Wert „Verbindlichkeit“. 5 Geforderte Rückmeldefristen einhalten oder zumindest eine Rückmeldung geben, wenn diese nicht eingehalten werden können. 5 Vereinbarungen zu übernommenen Aufgaben einhalten. Auch tun, was besprochen worden ist. 5 Mich am selben oder nächsten Tag bei Kollegen melden, die um einen Rückruf gebeten haben. 5 Eingehende E-Mails, die nicht unmittelbar dringend sind, zumindest innerhalb von drei Arbeitstagen bearbeiten.

Bei den aufgeführten Punkten handelt es sich um Beispiele, die auch ganz anders ausfallen können. Wenn das mein Verständnis von Verbindlichkeit ist, dann kann ich mich darum bemühen diese konkreten Punkte auch in mein Verhalten zu übersetzen, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass ein mir wichtiger Wert in meiner Organisation von mir mit geprägt wird. Damit ist jeder in einer Organisation für die gelebten Werte in seinem Team und darüber hinaus verantwortlich. Fazit 5 Sinnorientierung hat nichts mit abgehobenen, philosophischen Diskussionen zu tun. Viele Führungskräfte erleben in ihrer Praxis, dass ihre Mitarbeiter etwas Sinnvolles tun möchten. Es geht eben nicht nur ums Geld. In Zeiten von Fachkräftemangel und zunehmendem Wettbewerb um gute Leute, wird es nicht ausreichen Mitarbeiter allein über Gehälter gewinnen und halten zu wollen. Diese Personalstrategie greift zu kurz. Als Führungskraft kann ich einen Beitrag zur Sinnorientierung in meinem Team leisten: Spreche ich mit meinen Mitarbeitern über den Sinn ihrer Arbeit? Was trage ich

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als Führungskraft dazu bei, damit sie sich mit ihrer Arbeit, unseren Produkten, unserem Unternehmen identifizieren können? Denken Sie auch daran: Wie sollen Ihre Mitarbeiter ihre Kunden begeistern, wenn sie nicht selbst von den Produkten, Dienstleistungen, dem Unternehmen etc. begeistert sind? 5 Machen Sie aber bitte auf der anderen Seite nicht den Fehler allein auf sinnvolle Arbeit zu setzen. In den Medien können wir seit Jahren verfolgen, wie beispielsweise in der Pflege sicher Sinnvolles getan wird, allerdings fehlende materielle Anerkennung dazu führt, dass in kaum einer Branche mehr Fachkräfte fehlen als im Pflegebereich. 5 Sinnvolle Arbeit beginnt im Auswahlprozess für neue Mitarbeiter und in der Probezeit: Wie gut spreche ich als Führungskraft mit Bewerbern über die Passung mit Blick auf Fähigkeiten, Interessen und Werte? Wie realistisch ist das Bild, das ich von meinem Unternehmen, dem Team, den Arbeitsbedingungen, den Aufgaben zeichne? Wer an dieser Stelle falsche Versprechungen macht, legt den Grundstein für Frustration, Unzufriedenheit und Fluktuation. 5 Auch in der weiteren Zusammenarbeit sind immer wieder Erwartungsklärungen notwendig: Was erwarte ich als Führungskraft von meinen Mitarbeitern? Was erwarten sie von mir? Wie gut passt das zusammen? Mindestens einmal pro Jahr sollte dieser Erwartungsabgleich explizit vorgenommen werden. In der Führungskräfteentwicklung bekommen wir immer wieder das Feedback, dass in solchen Gesprächen für beide Seiten neue Informationen gewonnen werden können, dass die Mitarbeiter das als wertschätzend erleben und solche Gespräche auch vertrauensfördernd wirken. 5 Ohne Wirkung kein Sinn. An verschiedenen Stellen sprechen wir in unserem Buch an, dass es für die Mitarbeitergesundheit elementar ist, dass Ihre Mitarbeiter etwas bewegen können, dass ihre Arbeit wichtig ist und einen Unterschied macht. Es geht dabei um einen sehr zentralen Punkt. Womöglich haben Sie schon von Beschäftigten gehört, die sich langweilen, die erkennbar keinen nennenswerten Nutzen mit ihrer Arbeit stiften. Diese Form der Unterforderung und Nicht-Nutzung von Kompetenzen ist genauso ungesund wie Überforderung. 5 Wo wollen wir als Team hin? Wie wollen wir uns als Team weiterentwickeln? Was ist unser Beitrag im Unternehmen – heute und in der Zukunft? Was an unserer Arbeit wollen wir verbessern? Wie? Solche Fragen sind wichtiger Teil von Visionsarbeit. Diese Arbeit sollte nicht dem Top-Management vorbehalten sein. Sie hat Relevanz für alle Teams. 5 Organisationen, die sich ihrer Werte bewusst sind, klare Vorstellungen von ihren Werten haben und diese Werte pflegen, haben es leichter ihren Mitarbeitern Angebote zur Identifikation zu machen. Was sind unsere Werte? Welcher besondere Geist herrscht in unserer Organisation? Wie zeigen sie sich in der täglichen Arbeit? Wie pflegen wir diese Werte?

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Haltung: Partizipation

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_10

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

Gehören Sie zu den Führungskräften, die gerne schnell Entscheidungen treffen und Fakten schaffen? Dann möchten wir Sie in diesem Kapitel dazu einladen, einmal genauer die Wirkungen Ihres Verhaltens zu hinterfragen. Wie steht es um die Akzeptanz Ihrer schnell getroffenen Entscheidungen? Wie schnell kommen die Entscheidungen in die Umsetzung? Wie ist die Qualität der Entscheidungen? Wir möchten Sie dazu ermuntern, das Thema Entscheidungen konsequent darauf hin zu betrachten, was Sie als Führungskraft bewirken. Denn es geht bei Führung darum etwas zu bewirken, nicht darum Entscheidungen zu treffen. Beides hat wenig miteinander zu tun.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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In Martins Team gibt es einmal im Monat eine Teambesprechung, in die jedes Teammitglied auch Themen einbringen kann, zu denen das Team sich aus Sicht des jeweiligen Teammitglieds austauschen sollte. Das Teammitglied mit einem Anliegen beschreibt die Situation und es folgt eine Beratung der Teammitglieder, in dem jedes Teammitglied seine Meinung einbringen kann. Auch Martins Chef bringt auf diesem Weg Themen mit ins Team zur Entscheidung ein. In der Regel steht am Ende eine gemeinsame Entscheidung, was bei dem Thema zu tun ist. Martins Chef bringt seine Meinung in die Diskussion mit ein. Am Ende der Diskussion kristallisiert sich eine Entscheidung heraus, bei der sich letztlich gar nicht feststellen lässt, wie hoch der Anteil der einzelnen Teammitglieder an der Entscheidung ist und welchen Anteil Martins Chef daran hat. Martin schätzt die Möglichkeit Themen zur Entscheidung einbringen zu können und den Austausch im Team, der oft zu neuen Sichtweisen führt und sich aus Martins Perspektive positiv auf die Qualität der Entscheidungen auswirkt. Das ist dann ein Austausch auf Augenhöhe, bei dem alle das Ziel verfolgen, gemeinsam zu einer guten Lösung zu kommen. Wichtig ist Martins Chef, dass am Ende solcher Diskussionen eine klare Entscheidung steht, die dann umgesetzt wird und dass Themen nicht ergebnislos zerredet oder immer wieder aufgeschoben werden. Dies kann auch bedeuten, dass Martins Chef die Diskussion beendet, wenn er den Eindruck hat, dass sich Argumente wiederholen und keine neuen Erkenntnisse auf den Tisch kommen. So dauert das Treffen einer gemeinsamen Entscheidung oft nur wenige Minuten. Unnötige Diskussionen, die am Ende nur alle nerven, vermeidet Martins Chef sehr konsequent. In seltenen Fällen stellt Martins Chef eine Entscheidung im Team dar und erläutert dazu die Hintergründe. Dies ist dann der Fall, wenn es klare Vorgaben der Geschäftsleitung gibt, oder wenn Martins Chef aus anderen Gründen bereits eine finale Entscheidung getroffen hat. Solche Entscheidungen des Chefs sind jedoch sehr selten. Auch in Einzelabstimmungen zwischen Martin und seinem Chef wird Martin bei anstehenden Entscheidungen in aller Regel nach seiner Meinung gefragt: Was schlägst du vor? Was ist für die Entscheidung zu bedenken? Welche Entscheidungsalternativen siehst du? Was sollten wir aus deiner Sicht tun? Mit welcher Begründung? Auch in diesen Gesprächen lässt sich am Ende kaum sagen, wer nun welchen Anteil an der getroffenen Entscheidung hat.

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Das Beispiel beschreibt ein stark partizipatives Vorgehen in der Führungsarbeit. Es geht um ein hohes Maß an Beteiligung und Einbindung auf Augenhöhe. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es bei den meisten Entscheidungen für die Qualität und die Akzeptanz der Entscheidung gut ist, wenn die betroffenen Teammitglieder die Entscheidung gemeinsam mit ihrer Führungskraft entwickeln. Darüber hinaus kann Partizipation die Eigeninitiative und Identifikation mit dem Team fördern. Solche gemeinsamen Entscheidungsprozesse müssen nicht lange dauern. Es geht darum relevante Argumente zu bedenken und dann zügig zu einer guten Entscheidung zu kommen. Es geht darum, sich gegenseitig zu beraten: bei fachlichen Arbeitsthemen, mit Blick auf die Ziele des Teams oder die Gestaltung von Regeln im Team, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen … „Was mein Chef da entschieden hat, geht doch total an der Realität vorbei. Das ist doch so gar nicht umsetzbar.“, „Hätte mein Chef mich mal gefragt, dann hätte ich ihm schon meine Meinung dazu gesagt.“ Solche Aussagen kommen in Unternehmen vor und sind ein Anzeichen dafür, dass wenig partizipativ geführt wird, gleichzeitig aber das Bedürfnis nach Partizipation vorhanden ist. Vielleicht kennen Sie auch die Aussage mancher Unternehmensberater aus vertraulichen Gesprächen: „Wir fragen die Leute an der Basis nach ihrer Meinung, bereiten diese auf und präsentieren das der Geschäftsleitung. Die Leute wissen oft selbst am besten, was zu tun ist.“ Es geht uns darum, diese Erfahrungen und Kompetenzen der Mitarbeiter für Entscheidungen gut zu nutzen. Warum wird dies in der Praxis immer wieder nicht gemacht? Das kann an der, durchaus verbreiteten, Annahme liegen, dass die Führungskraft aufgrund ihres Überblicks oder aufgrund besonderer Fähigkeiten oder aufgrund ihrer Verantwortung am besten alleine eine Entscheidung trifft, die dann im besten Fall begründet wird und dann von den Mitarbeitern umgesetzt werden soll. Die Führungskraft, die auf dem Feldherrenhügel steht, und quasi von oben die Lage am besten beurteilen kann und ihre Entscheidungen alleine trifft. Das kann man so machen und im besten Fall wirkt sich das zumindest positiv auf die Entscheidungsgeschwindigkeit aus. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, kann ein geringerer Wirkungsgrad in der Umsetzung, weniger engagierte Mitarbeiter und eine geringere Entscheidungsqualität sein. Praxistipp

Vor diesem Hintergrund empfehlen wir Führungskräften, ihre Haltung zum Thema Partizipation gut zu bedenken: Wie stark bin ich als Führungskraft an der Meinung meiner Leute interessiert? Wie stark nutze ich sie bei Entscheidungen? Wie stark treffen wir Entscheidungen gemeinsam auf Augenhöhe? Aus unserer Sicht können wir es uns als Führungskräfte immer weniger leisten auf die Kompetenzen und das Fachwissen unserer Teammitglieder zu verzichten. Nutzen Sie die vorhandenen Potenziale!

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

Dieser Ansatz widerspricht bestimmten Führungsstereotypen. Die Führungskraft als einsamer Entscheider, der auf der Basis besonderer Inspiration und Intelligenz wegweisende Entscheidungen trifft, kann auch eine Haltung sein. > Im besten Fall wirken Führungskräfte inspirierend in ihr Team hinein und

natürlich ist Intelligenz für die Wahrnehmung einer Führungsfunktion hilfreich. Die meisten Entscheidungen in der Alltagsarbeit der meisten Führungskräfte profitieren jedoch aus unserer Sicht von einer partizipativen Haltung der Führungskraft.

Wissenschaftlicher Hintergrund

Partizipationsmöglichkeiten werden in der psychologischen Forschung als ein Einflussfaktor zur Gestaltung gesunder Führung beschrieben (z. B. Gregersen et al.; Zwingmann et al.). Hier können wir auch wieder Bezug auf das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Gestaltungsmöglichkeiten nehmen. > Aufgabenbezogene Entscheidungen treffen zu können, Einfluss auf die zeitliche

Gestaltung der Arbeit und auf die Arbeitsweise zu haben sind Kernelemente des persönlichen Entscheidungsspielraums als Mitarbeiter und ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Gesundheit (Häusser et al. 2010).

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Ebenso die Möglichkeit die eigenen Kompetenzen sinnvoll einbringen zu können (Häusser et al. 2010) oder gemeinsame Zielvereinbarungen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft (Erez und Arad 1986). Hinzu kommt die Einbindung in Entscheidungsprozesse, die über die unmittelbaren eigenen Aufgaben hinausgehen, beispielsweise bei Entscheidungen, die das Team oder die Abteilung betreffen. All das sind für uns Aspekte partizipativer Führung. Wir fassen den Begriff also relativ weit. Einfluss auf die Ausführung der eigenen Aufgaben zu haben und die Einbindung in darüber hinausgehende Entscheidungen sind zwei wichtige Ansatzpunkte für Partizipation, die seit Jahrzehnten Beachtung finden (Mitchell 1973; Spector 1986). Bereits in seiner frühen Überblicksarbeit konnte Spector (1986) erwartungskonforme Zusammenhänge zwischen beiden Formen von Partizipation und Arbeitszufriedenheit, Motivation und negativem Stresserleben aufzeigen. Seit Jahrzehnten liegen Studien vor, die die Relevanz von Partizipation unterstreichen (Coch und French 1948; Cummings et al. 1977; Lowin 1968). Eine wichtige Wurzel für das Konzept der Partizipation sind dabei sicherlich die Forschungsarbeiten von Kurt Lewin zu kooperativer Führung (Lewin et al. 1939), bei dem es darum geht die Anliegen und Ideen der Teammitglieder einzubeziehen und nicht im Sinne eines autoritären Führungsstils mit Anweisungen zu arbeiten, die dann von den Teammitgliedern so umgesetzt werden müssen. Die Aussage Betroffene zu Beteiligten zu machen steht damit für eine Haltung, deren Relevanz für Organisationen seit Jahrzehnten in der politologischen, soziologischen und psychologischen Forschung herausgestellt wird (z. B. von Rosenstiel 1987). Rosenstiel nimmt dabei ebenfalls Bezug auf das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Autonomie, also nach Gestaltungsmöglichkeiten. In seinem Buchkapitel (von Rosenstiel 1987) gibt er einen Überblick über untersuchte Wirkungen von Partizipation in Organisationen und stellt dabei insbesondere Forschungsbefunde zu

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folgenden Wirkungen heraus: Akzeptanz für Entscheidungen, Mitarbeiterzufriedenheit, Mitarbeitermotivation Leistung und Entscheidungsqualität. Allerdings weist Rosenstiel (1987) darauf hin, dass die positiven Wirkungen von Partizipation nicht generell auftreten, sondern von anderen Faktoren beeinflusst werden. So hängt die Wirkung von Partizipation möglicherweise von der Komplexität der zu treffenden Entscheidung ab, von der Anzahl beteiligter Personen, von der Qualifikation der beteiligten Personen, von vereinbarten Spielregeln etc. Es ist also zu einfach zu behaupten, dass Partizipation generell zu mehr Leistung führt oder zu mehr Entscheidungsqualität. Mit unseren späteren Handlungsempfehlungen wollen wir deshalb zu einem reflektierten und differenzierten Umgang mit Partizipation anregen. Wir wollen als Mitarbeiter Einfluss auf die Gestaltung unserer Umwelt nehmen und uns nicht als passive Opfer äußerer Einflüsse sehen. Wer als Führungskraft seine Mitarbeiter stark in die Entscheidungsfindung einbindet und ihnen auch Entscheidungen gänzlich überlässt, schafft damit Gestaltungsspielraum mit potenziell positiven Auswirkungen auf die Gesundheit (z. B. Pangert und Schüpbach 2011). > So wurde nachgewiesen, dass Mitarbeiter mit geringem Entscheidungsspielraum

mehr gesundheitliche Beschwerden und längere, krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen, als Mitarbeiter mit größerem Entscheidungsspielraum: je geringer der Entscheidungsspielraum umso kränker die Mitarbeiter (Oxenstierna et al. 2005).

In der erwähnten Studie wurde unter Entscheidungsspielraum folgendes verstanden: a) die Möglichkeit das eigene Arbeitstempo selbst zu bestimmen, b) Einfluss darauf zu haben, wann welche Aufgabe bearbeitet wird, c) bei der Planung der Arbeit involviert zu sein (z. B. Prioritäten mit setzen zu können und die Art der Bearbeitung mit entscheiden zu können). Wie in den weiteren Ausführungen deutlich werden wird, geht es nicht darum „laissez-faire“ zu führen, sondern Partizipation bedeutet gerade auch, dass Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeitern stattfinden muss und sich die Führungskraft nicht bequem zurücklehnen kann. Impulse zur persönlichen Reflexion

In Gesprächen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft werden jeden Tag Entscheidungen getroffen. So bieten sich jeden Tag viele Möglichkeiten für partizipative Führung. Auf solche täglichen Gelegenheiten kommt es an. > Eine jährliche Mitarbeiterbefragung oder ein innerbetriebliches Vorschlagswesen

sind ohne Frage wichtige Instrumente zur Förderung von Partizipation, allerdings sind das nicht die wesentlichen Elemente. Partizipation muss von den Führungskräften jeden Tag glaubwürdig gelebt werden und darf sich nicht auf punktuelle Instrumente beschränken, mit denen ein Mitarbeiter ein oder zwei Mal im Jahr in Berührung kommt.

Punktuelle Instrumente sind gut, aber eben der weniger wichtige Teil zur Verwirklichung partizipativer Führung. Ohne eine partizipative Unternehmenskultur, die täglich spürbar ist, ist fraglich, wie gut punktuelle Instrumente, wie zum Beispiel eine Mitarbeiterbefragung, von den Beteiligten genutzt werden. Es geht dabei nicht um Scheinpartizipation, sondern um ein ernsthaftes Interesse an der Meinung des

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

Mitarbeiters. Immer verbunden mit der Haltung, dass wir als Führungskräfte mit den Ideen der Mitarbeiter etwas anfangen möchten. Wie bereits angedeutet, können ganz einfache Fragen helfen, um im täglichen Gespräch partizipative Führung zu verwirklichen. Hier noch einige ergänzende Vorschläge, die Sie als Führungskraft täglich nutzen können. Sicherlich nicht alle jeden Tag, aber die ein oder andere passende Frage ist bestimmt dabei.

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Partizipative Fragen, die Sie Ihren Mitarbeitern stellen können. 5 Wie sollten wir diesen Auftrag aus deiner Sicht angehen? 5 Aus meiner Sicht sollten wir bei diesem Thema so vorgehen… Wie siehst du das? Welche Vor- und Nachteile siehst du bei diesem Vorgehen? 5 Was sollten wir bei der Entscheidung in jedem Fall beachten? 5 Welche Auswirkungen haben die verschiedenen Alternativen? Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus für unsere Entscheidung? 5 Wie ist deine Meinung zu diesem Thema? 5 Wir haben von der Geschäftsleitung diesen Auftrag bekommen. Wie sollten wir das Thema aus deiner Sicht angehen? Welche Möglichkeiten siehst du? 5 Wie können wir unser Vorgehen bei dieser Aufgabe aus deiner Sicht noch verbessern? 5 Wie können wir aus deiner Sicht unsere Fehlerquote senken? 5 Wie können wir den Prozess effizienter gestalten?

Es geht dabei im Kern nicht darum Mitarbeiter zu beteiligen, weil Partizipation schön ist oder nett oder sich gut anfühlt. Das mag so sein. Aber im Kern geht es darum, die Kompetenzen des Mitarbeiters für die Entscheidungsqualität zu nutzen und die Umsetzung durch akzeptierte Entscheidungen zu sichern. Damit ist eine partizipative Haltung eng verknüpft mit Ressourcen- und Lösungsorientierung. Partizipation kann ein wichtiger Beitrag zur Förderung von Ressourcen des Mitarbeiters und zur Entwicklung guter Lösungen sein. Wer großen Wert auf Ressourcen- und Lösungsorientierung legt, wird auch dazu neigen, die Meinungen und Ideen seiner Mitarbeiter nutzen zu wollen. > Partizipation kann auch bedeuten, Entscheidungskompetenz gänzlich

abzugeben und sich vom Mitarbeiter lediglich über getroffene Entscheidungen, deren Umsetzung und die Ergebnisse informieren zu lassen, um ihn gegebenenfalls für sein weiteres Vorgehen zu beraten.

Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Mitarbeiter über besonderes Expertenwissen, beziehungsweise über besondere Fähigkeiten verfügt. Je mehr Entscheidungen Mitarbeiter eigenverantwortlich treffen können, umso mehr Freiraum gewinnt die Führungskraft für andere Aufgaben. Auch dieses Argument spricht stark für die Übertragung von möglichst viel Verantwortung. In vielen Fällen wird eine gemeinsame Entscheidungsfindung sinnvoll sein, weil die Führungskraft durch Fragen oder Anregungen dem Mitarbeiter zu einer besseren Entscheidungsqualität verhelfen kann. Möglicherweise kann die Führungskraft auch

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bestimmte Entscheidungen, z. B. im Gespräch mit anderen Führungskräften, aus dem Hintergrund unterstützen. In . Tab. 10.1 haben wir einige Beispiele zum Thema Partizipation zusammengestellt. In der linken Spalte sind Anlässe für Partizipation aufgeführt in der zweiten Spalte Möglichkeiten für den Beteiligungsprozess. . Tab. 10.1  Beispiele zur Umsetzung von Partizipation in der Führungspraxis Anlässe für Partizipation

Umsetzungsideen für Partizipation

Das Team erhält eine neue, umfangreiche Aufgabe durch die Geschäftsleitung

1. Beschreibung der neuen Aufgabe durch die Führungskraft in einer Teambesprechung (z. B. Ziele, Eckpunkte zum Vorgehen, Zieltermin, Nutzen der Aufgabe) 2. Miteinander Ideen zu den folgenden Fragen erarbeiten: –W  as ist wichtig, damit die Umsetzung der Aufgabe gut gelingt? –W  as kann jeder aus dem Team zur Bewältigung der Aufgabe beitragen? –W  ie können die konkreten Schritte zur Zielerreichung aussehen? 3. Vereinbarungen (Wer macht was bis wann?) im Protokoll festhalten

Ein Arbeitsprozess soll verändert werden (z. B. Einführung einer neuen Software)

1. Beschreibung der Veränderungsnotwendigkeit und des erwarteten Nutzens einer Veränderung im Team (nicht nur aus Sicht der Führungskraft, sondern im besten Fall gemeinsam erarbeitet) 2. Möglichst früh im Prozess Ideen der Mitarbeiter zu folgenden Fragen in einer zentralen Datei sammeln: –W  as muss die neue Software können, um möglichst effektiv und effizient arbeiten zu können? –W  as ist bei der Einführung der neuen Software zu beachten? –W  elche Hindernisse können auftreten und wie gehen wir damit um? –W  elche Fragen und möglicherweise Sorgen habe ich mit Blick auf die Einführung der neuen Software? 3. Ideen der Mitarbeiter für das Lastenheft, für den Umsetzungsplan und für die Klärung von Fragen und Bedenken nutzen

Ein Mitarbeiter ist unzufrieden mit seinen Aufgaben, weil er sie als zu langweilig empfindet

Persönliches Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu folgenden Fragen: –W  elche Aufgaben im Aufgabenpaket des Mitarbeiters passen gut, welche nicht so gut? –W  ie sollte eine Aufgabe sein, damit sie der Mitarbeiter als motivierend erlebt? –W  elche Vorstellungen hat der Mitarbeiter konkret zu seinem idealen Aufgabenpaket? –W  elche Anregungen hat der Mitarbeiter, um sein Aufgabenpaket in diese Richtung zu entwickeln? –W  elche Vereinbarungen können getroffen werden? Was sind dabei die Beiträge des Mitarbeiters und der Führungskraft? –W  ann ist ein guter Zeitpunkt, um die Wirkung der Vereinbarungen miteinander zu prüfen? (Fortsetzung)

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

. Tab. 10.1  (Fortsetzung)

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Anlässe für Partizipation

Umsetzungsideen für Partizipation

Veränderung der Arbeitsbedingungen (z. B. Einführung von homeoffice)

1. Vorstellung von Eckpunkten zur Nutzung von homeoffice durch die Führungskraft, die von Unternehmensseite oder vonseiten der Führungskraft nicht verändert werden können (z. B. möglicher Umfang von homeoffice, Notwendigkeit eines Zusatzes zum Arbeitsvertrag, Regeln zur telefonischen Erreichbarkeit) 2. Gedankenaustausch und Treffen von Vereinbarungen in einer Teambesprechung anhand der folgenden Fragen: – Wie möchte jeder im Team homeoffice nutzen (z. B. an welchen Tagen, in welchem Umfang)? – Welche Risiken kann es geben und wie gehen wir als Team gut damit um? – Welche Vereinbarungen treffen wir miteinander, damit die Nutzung von homeoffice gut gelingt?

Es gibt viele Themen, bei denen es als Führungskraft sinnvoll ist, die Kompetenz und Kreativität des Teams zu nutzen und die Anliegen der Mitarbeiter zu erfragen und zu berücksichtigen. Gerade bei komplexeren Entscheidungen, die große Auswirkungen haben, gibt es aus unserer Sicht keine Gründe die Kreativität und Kompetenz des Teams nicht zu nutzen. Positive Effekte für die Entscheidungsqualität sind wahrscheinlich. Im besten Fall kennen sich die Mitarbeiter bei ihren operativen Aufgaben besser aus als die Führungskraft und es wäre vor diesem Hintergrund fahrlässig die Kompetenz der Mitarbeiter bei Entscheidungen, die die Aufgaben betreffen, nicht einzubinden. > Wenn ein Mitarbeiter seine Anliegen einbringen kann, Fragen stellen kann,

Antworten erhält und sich im besten Fall mit seinen Anregungen in den Entscheidungen wiederfindet, dann stoßen diese mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf Widerstand.

Es ist außerdem wahrscheinlich, dass der Mitarbeiter in diesem Prozess neue fachliche Erkenntnisse gewinnt und möglicherweise auch in anderen Bereichen profitiert, wenn zum Beispiel die Fähigkeit gefördert wird, Kompromisse zu schließen. Solche Überlegungen basieren auf dem Modell von Vroom und Yetton (1973). Bei der Entwicklung von Zielen, bei der Verteilung von Aufgaben, bei der Festlegung von Arbeitsschritten, bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen, an vielen Stellen ist Partizipation möglich und aus unserer Sicht sinnvoll. Es geht nicht darum endlose Diskussionen in Teambesprechungen zu führen, sondern anhand konkreter Fragen das Team für gute Entscheidungen zu nutzen. Partizipation in diesem Sinne ist nicht nur gut für die Zufriedenheit der Mitarbeiter, sondern auch für den Output des Teams. Partizipation lässt sich darüber hinaus durch verschiedene Instrumente in Organisationen stärken.

147 Haltung: Partizipation

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Instrumente zur Stärkung von Partizipation in einer Organisation: 5 Ein innerbetriebliches Vorschlagswesen, bei dem Mitarbeiter zum Beispiel an einer zentralen Stelle Anregungen einbringen können. 5 Jährliche Mitarbeiterbefragungen, in deren Rahmen z. B. die Arbeitsbedingungen bewertet werden und Veränderungsbedarf deutlich gemacht werden kann. 5 Monatliche Teambesprechungen, in denen jeder Mitarbeiter z. B. gleich zu Beginn, Anregungen einbringen kann und Themen zur Entscheidung stellen kann.

Partizipation meint also nicht, dass Mitarbeiter ihren Führungskräften einmal ordentlich die Meinung sagen, sondern die Nutzung der Kreativität und Kompetenz der Mitarbeiter in der beschriebenen konstruktiven Art und Weise. Genauso wie es Entscheidungen geben kann, die eine Führungskraft alleine trifft, kann es auch Entscheidungen geben, die alleine beim Mitarbeiter liegen. Wir haben dies bereits angesprochen. Es kann also sinnvoll sein, wenn ich mir als Führungskraft überlege, welche Entscheidungen ich vollständig in die Verantwortung meiner Mitarbeiter legen möchte. Das kann bedeuten, dass ein einzelner Mitarbeiter eine Entscheidung trifft oder auch mehrere Teammitglieder gemeinsam. Das kann sich beispielsweise darauf beziehen als Einkäufer Bestellungen bis zu einer bestimmten Budgetgrenze eigenverantwortlich auslösen zu dürfen. Fallbeispiel Jede soziale Gruppe benötigt Spielregeln für ihr Zusammenleben. Ohne Regeln geht es nicht. Wenn es zum Beispiel die Vorgabe der Geschäftsleitung ist, dass jedes Team zwischen 07.30 und 17.30 Uhr durchgehend erreichbar sein muss, dann ist diese Vorgabe bei der Umsetzung flexibler Arbeitszeiten im Team zu berücksichtigen. Es können also nicht alle Teammitglieder mit ihrer Arbeit um 10.00 Uhr beginnen. Die konkreten Regelungen im Team müssen allerdings nicht von der Führungskraft vorgegeben werden, sondern können miteinander im Team erarbeitet werden. Nehmen wir einmal an, dass einige Teammitglieder möglichst bald mit der Arbeit beginnen möchten und einige andere Teammitglieder eher später, so kann sich eine Lösung einspielen, die die Erreichbarkeit des Teams zwischen 07.30 und 17.30 Uhr sicher stellt und gleichzeitig den Teammitgliedern eine gewisse Flexibilität beim Arbeitsbeginn ermöglicht.

Impulsfragen für mehr Partizipation auf Teamebene. 5 Bei welchen Themen ist mehr Partizipation möglich und sinnvoll? 5 Wie verteilen wir neue Aufgaben im Team, z. B. im Rahmen einer Teambesprechung? 5 Welcher Ablauf bei Teambesprechungen ist hilfreich für uns? 5 Wie gestalten wir unsere Arbeitszeiten? Wer möchte eher früher am Tag beginnen, wer eher später? Wie kann eine Lösung aussehen, die die verschiedenen Anliegen berücksichtigt?

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

5 Wie regeln wir als Team den Mittagsdienst? 5 Wie regeln wir Urlaubsvertretungen? 5 Welche Regeln haben wir für die Urlaubsplanung?

Fallbeispiel Nehmen wir einmal an, es ist in einem Team vonseiten der Führungskraft gestattet, dass jedes Teammitglied zwei Tage in der Woche im Homeoffice arbeitet, dass es aber auch notwendig ist, dass immer mindestens eine Person vor Ort ist, um den Praktikanten zu betreuen und um für persönliche Gespräche mit Mitarbeitern anderer Abteilungen zur Verfügung zu stehen. Lösungsansätze könnten sein, dass Tage im Homeoffice im Outlookkalender eingetragen werden und alle Teammitglieder sich gegenseitig Kalenderberechtigungen erteilen, um bei neuen Eintragungen zu prüfen, ob mindestens eine Person anwesend ist. Darüber hinaus könnten die Teammitglieder immer freitags die Planung für die Folgewoche miteinander durchgehen, um gegebenenfalls Engpässe eigenverantwortlich miteinander zu klären. Beide Ansatzpunkte können dazu beitragen, die Selbstorganisation im Team zu fördern.

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Partizipation ist aus unserer Sicht auch bei Themen möglich, die auf den ersten Blick als ureigene Führungsentscheidungen erscheinen. Gerade bei wichtigen Themen, die eine starke Auswirkung auf das Team haben, empfehlen wir ein hohes Maß an Partizipation. Nehmen wir beispielsweise die Vision, Mission, Ziele und Strategie eines Teams, einer Abteilung oder einer Organisation im Ganzen. Auf den ersten Blick könnten wir sagen, dass es die ureigene Aufgabe von Führungskräften ist Visionen zu entwickeln, die Mission einer Organisation zu definieren, Ziele zu setzen und strategische Entscheidungen zu treffen. Sicher ist es gut, wenn sich Führungskräfte viele Gedanken zur Zukunft ihres Verantwortungsbereichs machen. Warum aber nicht die Mitarbeiter in solche Überlegungen einbeziehen? Wo wollen wir als Unternehmen hin? Wie kommen wir dahin? Mit solchen Fragen müssen sich nicht ausschließlich Führungskräfte beschäftigen. Greifen wir als weiteres Beispiel noch Einstellungsentscheidungen auf. Einstellungsentscheidungen müssen nicht von der Führungskraft getroffen werden. Warum nicht diejenigen entscheiden lassen, die später am stärksten mit dem neuen Kollegen zusammenarbeiten? Das kann zum Beispiel bedeuten, dass die Teammitglieder einen Tag mit Arbeitsproben gestalten und auf der Basis der gewonnen Erkenntnisse die Entscheidung eigenverantwortlich treffen. Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

Es fällt mir als Führungskraft schwer, Entscheidungskompetenz abzugeben. „Entscheidungen zu treffen ist doch der Kern von Führung. Jetzt soll ich andere einbeziehen oder gar völlig selbstständig Entscheidungen treffen lassen.“ Das kann eine

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Sichtweise sein, die möglicherweise weit verbreitet ist, aber für gute Führung wenig hilfreich, zumindest in so verkürzter Form. Das mag an einem Missverständnis liegen. > Führungskräfte tragen Verantwortung dafür, dass Entscheidungen getroffen

und umgesetzt werden. Wenn in einer Einheit Entscheidungen aufgeschoben und getroffene Entscheidungen nicht umgesetzt werden, dann ist das die Verantwortung der Führungskraft. Das Missverständnis beginnt dann, wenn angenommen wird, dass in erster Linie Führungskräfte Entscheidungen treffen müssen. Diese Annahme ist falsch.

Gute Führungskräfte gestalten gute Entscheidungsprozesse. Sie fühlen sich dafür verantwortlich, dass der Entscheidungsprozess gut funktioniert und am Ende ein gutes Ergebnis herauskommt. Sie sehen sich nicht in der Verantwortung alle Entscheidungen selbst zu treffen. Das ist ein wichtiger Unterschied. > Führungskräfte sollten an der Qualität der Entscheidungen und vor allem an den

Auswirkungen der Entscheidung gemessen werden. Das heißt eben gerade nicht, dass sie die Entscheidung alleine getroffen haben müssen.

Wir empfehlen die Haltung: „Ich kümmere mich darum, dass meine Leute möglichst gute Entscheidungen treffen können“, „Ich bin dafür verantwortlich, dass gute Entscheidungen getroffen und vor allem umgesetzt werden.“ Wer als Führungskraft alle Entscheidungen selbst treffen möchte, wird ein größeres Team kaum effizient führen können, geschweige denn höhere Führungspositionen effizient ausüben können. Sicher gibt es in der Praxis Führungskräfte, die möglichst alle Entscheidungen in ihrem Verantwortungsbereich selbst treffen möchten. Das kann man machen, zahlt aber mindestens den Preis geringerer Effizienz im Team und wahrscheinlich auch geringerer Effektivität. Mit Blick auf zunehmenden Produktivitätsdruck ist es unwahrscheinlich, dass Organisationen, die so arbeiten, langfristig bestehen können. Als Führungskraft muss ich darauf achten, dass in meinem Verantwortungsbereich Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Je mehr meine Mitarbeiter selbst Entscheidungen in guter Qualität treffen und umsetzen und damit gute Ergebnisse erzielen umso besser. Die Einstellung als Führungskraft in diese Richtung zu verändern ist nicht einfach, kann allerdings viele positive Effekte haben. Mehr Entscheidungskompetenz abzugeben kann bedeuten, dass mein Team schneller wird, dass wir auf äußere Einflüsse schneller reagieren, dass meine Mitarbeiter immer mehr Eigenverantwortung und Mitverantwortung für die Ziele des Teams entwickeln und mehr Kompetenz aufbauen. Für mich persönlich als Führungskraft kann es bedeuten, dass ich mehr Ressourcen für andere Themen bekomme, zum Beispiel für Entwicklungsgespräche mit meinen Mitarbeitern, Abstimmungen mit meiner eigenen Führungskraft oder einfach ganz pragmatisch für meinen vollen Posteingang. Es spricht viel dafür Entscheidungskompetenz abzugeben. Wer Verantwortung überträgt, benötigt auch ein gehöriges Maß an Fehlertoleranz, beziehungsweise Toleranz gegenüber anderen Wegen zum Ziel. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter, dem ich Verantwortung übertrage, seine Entscheidungen zu 100 % so trifft, wie ich sie treffen würde. Es ist wahrscheinlich, dass mein Mitarbeiter

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

immer wieder zu anderen Schlussfolgerungen kommt, an Aufgaben anders herangeht. Jetzt kann ich natürlich jede Entscheidung mit meinem Mitarbeiter abstimmen, um im Gespräch zu einer gemeinsamen Entscheidung zu kommen, hinter der wir beide gut stehen können. Gerade bei herausragend wichtigen Entscheidungen ist das auch sinnvoll. Wenn ich das bei jeder Entscheidung so mache, dann kostet das viel Zeit, die sich eine Organisation unter Wettbewerbsdruck immer weniger wird leisten können. Genau betrachtet handelt es sich um Pseudoverantwortungsübertragung. Es wird zwar von Verantwortungsübertragung gesprochen, gemeint ist aber doch, dass alle Entscheidungen miteinander besprochen und ausgehandelt werden. Partizipation kann aus unserer Sicht eine stärkere Wirkung auf Leistung und Gesundheit entfalten, wenn ich als Führungskraft Verantwortung bei bestimmten Themen so übertrage, dass ich das Treffen von Entscheidungen fördere und damit lebe, wenn mein Mitarbeiter Entscheidungen trifft, die von meinen Überlegungen abweichen. Wenn es für mich Relevanz hat, kann ich solche Situationen auch als Lerngelegenheiten im Gespräch mit dem Mitarbeiter nutzen: Was waren deine Beweggründe für die Entscheidung? Welche Ergebnisse sind daraus resultiert? Es fällt mir schwer, die Meinungen meiner Mitarbeiter ernst zu nehmen.

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„Die Meinung meiner Leute ist mir wichtig. Ihr könnt immer sagen, was ihr denkt.“ So ein Satz ist als Führungskraft schnell ausgesprochen. Doch interessiert mich wirklich, was meine Leute mir zu sagen haben? Möchte ich wirklich einen Austausch auf Augenhöhe? Praxistipp

Meinungen ernst zu nehmen, bedeutet, dass ich vorgebrachte Anregungen und Argumente bedenke und damit etwas mache. Ich kann mich von guten Argumenten überzeugen lassen; ich kann die Argumente erkennbar berücksichtigen, indem ich sie in mein Handeln einfließen lasse; ich kann erläutern, warum ich den Sachverhalt anders sehe und um Verständnis werben. All diese Verhaltensweisen setzen voraus, dass ich zuhöre und mich die Meinung meiner Mitarbeiter ernsthaft interessiert. „Meinungen ernst nehmen“ darf in der Führungsarbeit keine leere Floskel sein.

Wie angedeutet, heißt das nicht, dass ich als Führungskraft meinen Leuten zustimmen muss. Ganz im Gegenteil kann es wichtig sein, dass wir etwas anderes tun, als vom Team favorisiert. Dann aber mit entsprechender Begründung und in guter Kenntnis der Bedenken und Gegenargumente. „Der ist beratungsresistent“ ist eine Aussage, die hin und wieder als Beschreibung für Führungskräfte genutzt wird. Wenn ich Entscheidungen nicht nachvollziehbar begründe, nicht bereit bin mich zu korrigieren, mich überzeugen zu lassen, Anregungen sinnvoll zu nutzen, dann kann das bedeuten, dass ich als Führungskraft als beratungsresistent wahrgenommen werde. „Meine Mitarbeiter dürfen ganz viel selbst entscheiden, solange sie exakt so entscheiden, wie ich selbst entschieden hätte.“ Diese Form von Scheinpartizipation

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kann in der Praxis durchaus vorkommen. Partizipation als Mogelpackung. Ob ich als Führungskraft selbst so ticke, merke ich dann, wenn ein Mitarbeiter eine Entscheidung trifft, die ich selbst anders getroffen hätte. Jetzt sprechen wir nicht von Entscheidungen, bei denen ich gut begründet mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen muss, dass die Entscheidung meines Mitarbeiters relevanten Schaden für unser Team und unsere Organisation zur Folge haben wird, sondern von Entscheidungen, bei denen es gut begründete Entscheidungsalternativen gibt. Wie gehe ich damit um? Kritisiere ich die Entscheidung? Korrigiere ich sie als Führungskraft im Nachhinein? Interessieren mich die Beweggründe? Kann ich die Entscheidung akzeptieren und mittragen? Ich binde vor allem einzelne Teammitglieder in Entscheidungsprozesse mit ein. „Ich habe einige ausgewählte Kollegen, auf die ich mich verlassen kann und deren Rat ich gerne einhole. Mit jedem kann ich das nicht machen.“ Praxistipp

Gerade beim Thema Partizipation kann unbegründete Ungleichbehandlung von Teammitgliedern zu einem Gefühl mangelnder Fairness führen. Wenn es um Entscheidungen geht, die alle im Team gleichermaßen betreffen, dann muss es sehr gute Gründe geben, einzelne Teammitglieder nicht mit einzubinden. Wenn es zum Beispiel in einem Team üblich ist, dass vor Neueinstellungen alle ihre Meinung einbringen dürfen, dann sollte dies auch konsequent so gehandhabt werden. Weitere Beispiele könnten Budgetkürzungen sein, die das ganze Team betreffen oder die Erarbeitung von Maßnahmen, die aufgrund von Planabweichungen notwendig werden.

Natürlich kann es als Führungskraft sinnvoll sein, einzelne Teammitglieder selektiv bei bestimmten Themen mit einzubinden, weil sie zum Beispiel über besonderes Fachwissen oder langjährige Erfahrungen verfügen oder sich die Entscheidung vor allem auf das Aufgabengebiet eines einzelnen Mitarbeiters bezieht. Es kann jedoch zu viel berechtigtem Unmut führen, wenn der Eindruck entsteht, dass eine Führungskraft, ohne nachvollziehbare Gründe, einzelne Teammitglieder unterschiedlich in Entscheidungen einbindet. Beziehungsweise wenn der Eindruck entsteht, dass sich die Führungskraft stärker für die Meinung eines Mitarbeiters interessiert oder diese Meinung stärker berücksichtigt. Impulsfragen zur Einbindung des Teams in Entscheidungen. 5 Ist es bei einer bestimmten Entscheidung sinnvoll alle Teammitglieder einzubeziehen? 5 Wenn ich dies nicht mache? Weshalb? 5 Ist es möglich, z. B. bei wichtigen Themen, den Teammitgliedern zu begründen wer eingebunden wird?

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

Eine Führungskraft sollte sich in ihrer Rolle nicht wie in anderen sozialen Gruppen verhalten und zum Beispiel die Gesprächspartner im Team nach Sympathie, dem gemeinsamen Herkunftsort, gemeinsamen Hobbys oder langjähriger Bekanntschaft auswählen, sondern sich überlegen, wer mit Blick auf die anstehende Entscheidung vor dem Hintergrund seiner Funktion, seines Aufgabengebietes etc. einen Beitrag leisten kann. Sowohl für die Entscheidungsqualität, als auch für die empfundene Fairness im Team kann es zum Beispiel problematisch sein, wenn die Führungskraft jede Woche mit einem Mitarbeiter in die Sauna geht und dort mit ihm wichtige Entscheidungen bespricht, insbesondere, wenn mit den anderen Mitarbeitern keine persönlichen Kontakte bestehen und die Themen nicht besprochen werden. Bitte verstehen Sie diese Empfehlung nicht so, dass es keine privaten Kontakte zwischen Führungskräften und Mitarbeitern geben darf. Ganz im Gegenteil. Es geht vielmehr darum, niemanden bei Arbeitsthemen im Entscheidungsprozess ohne fachliche Gründe auszuschließen. Es dauert mir zu lange, die Meinungen meiner Leute einzuholen – ich will schnell entscheiden. „Wenn ich meine Leute in Entscheidungen einbinde, dann werden wir doch total langsam. Wir brauchen Geschwindigkeit.“ > Bei der Gestaltung von Partizipation haben viele Führungskräfte die Vorstellung

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im Kopf, dass Partizipation die Entscheidungsgeschwindigkeit reduziert und es damit länger dauert bis Entscheidungen umgesetzt werden. Was dabei oft ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass eine schnell getroffene Entscheidung noch lange keine Garantie für eine schnelle und auch erfolgreiche Umsetzung der Entscheidung ist. Wenn es darum geht Entscheidungen zu treffen, die akzeptiert und umgesetzt werden, dann empfehlen wir stark auf Partizipation zu setzen.

Es hilft zum Beispiel wenig, wenn eine Führungskraft eine schnelle Entscheidung trifft, die wichtige Faktoren der Praxis nicht berücksichtigt, weil die Führungskraft nicht so tief in der operativen Arbeit steckt, wie ihre Mitarbeiter. Negative Auswirkungen auf die Entscheidungsqualität und die Akzeptanz für die Entscheidung sind wahrscheinlich. Es hilft wenig, wenn Mitarbeiter getroffene Entscheidungen nur halbherzig oder gar nicht umsetzen, weil sie keine Gelegenheit hatten ihre Meinung einzubringen. Es geht um die Frage, wie ich als Führungskraft einen hohen Wirkungsgrad erreiche. In den meisten Fällen ist Partizipation für die Qualität der Entscheidung und Umsetzung hilfreich. Unter Qualität verstehen wir, dass durch die getroffene Entscheidung die beabsichtigten Wirkungen mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit erzeugt werden können. Aus unserer Sicht reduziert Partizipation am Anfang späteren Aufwand bei der Umsetzung von Entscheidungen. Lieber am Anfang mehr Zeit investieren und am Ende deutlich mehr Zeit sparen. Es kommt vor allem auf die Gestaltung der Partizipation an.

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Impulsfragen zur Gestaltung von Partizipation. 5 Mache ich transparent, ob ich mich bei einer Entscheidung beraten lassen möchte und die Entscheidung auf Basis der eingebrachten Ideen selbst treffe oder ob eine Entscheidung zum Beispiel in einer Teambesprechung demokratisch abgestimmt wird? 5 Wie klar formuliere ich als Führungskraft zu welchen konkreten Themen ich die Meinung meiner Mitarbeiter einholen möchte? Ist klar, was ich wissen will? 5 Wie stringent moderiere ich Diskussionen zum Meinungsaustausch? Hat jeder Gelegenheit seine Meinung einzubringen? Fasse ich wichtige Ergebnisse zusammen? Greife ich ein, wenn nicht zum Thema geredet wird oder sich die Diskussion in Wiederholungen und Allgemeinplätzen erschöpft? Sorge ich dafür, dass es am Ende ein Ergebnis gibt und dieses festgehalten wird? 5 Wie trage ich dafür Sorge, dass getroffene Entscheidungen auch wirklich umgesetzt werden?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich viele Entscheidungen nahezu automatisch im Gespräch mit Mitarbeitern oder in Teambesprechungen ergeben, wenn die Meinungen der Beteiligten vernünftig eingebracht werden können. Vernünftig meint, dass herausgearbeitet wird, was den einzelnen Beteiligten mit Blick auf die Entscheidung wichtig ist, dass Entscheidungsalternativen mit Vor- und Nachteilen beleuchtet werden, dass stark die Frage im Fokus steht welche Entscheidung für die Erreichung der Ziele den meisten Nutzen stiftet. Wie bereits dargestellt kann Partizipation bei Entscheidungen aus unserer Sicht auch bedeuten, möglichst viele Entscheidungen von den Mitarbeitern selbst treffen zu lassen. Dies kann eine große Herausforderung für das Kontrollbedürfnis von Führungskräften sein, wie das Thema Partizipation insgesamt. Gestaltung von möglichst viel Entscheidungsfreiheit für die Mitarbeiter. 5 Wie viel Entscheidungsspielraum gestehe ich meinen Mitarbeitern im Moment zu? Welche Möglichkeiten für mehr Entscheidungsfreiheit sehe ich? 5 Wie bilde ich sie aus, damit sie möglichst gute Entscheidungen treffen können? 5 Wie gut erkläre ich, anhand welcher Überlegungen ich zu meinen Entscheidungen komme? 5 Wie klar sind Ziele und Aufgaben besprochen, sodass ein Mitarbeiter möglichst eigenständig Entscheidungen treffen kann? 5 Wie gut gelingt es mir mit Lösungen zu leben, die nicht meine Lösungen sind, aber möglicherweise genauso gut oder sogar noch besser passen? 5 Wie gehe ich damit um, dass meine Mitarbeiter in ihren Aufgabenbereichen mehr wissen, mehr können und mehr entscheiden als ich?

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Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

Gerade Führungskräfte, die neu in Verantwortung kommen, berichten häufig, dass sie, zumindest bei einigen Mitarbeitern, das Gefühl haben, dass diese gar nicht so viel Verantwortung übernehmen möchten und gar nicht so stark beteiligt werden wollen. An diesem Punkt sollten wir als Führungskräfte allerdings nicht stehen bleiben, sondern unsere Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme immer wieder einladen. Ansatzpunkte, um Mitarbeiter Stück für Stück im Gespräch zu mehr Verantwortungsübernahme zu ermuntern. 5 Wie möchtest du vorgehen? 5 Wie bist du in der Vergangenheit vorgegangen? Was davon war hilfreich? 5 Du hast diese Aufgabe schon mehrmals gut bewältigt. Ich weiß, dass du das gut kannst. Du kannst das gerne so angehen, wie es aus deiner Sicht sinnvoll ist. 5 Du bist unser Experte für dieses Thema. Das kannst du am besten entscheiden.

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Für die Gestaltung wirkungsvoller und gesunder Führung empfehlen wir viel Selbstreflexion zu den Fragen der letzten Abschnitte. Basierend auf den daraus gewonnenen Schlussfolgerungen können immer wieder neue Verhaltensweisen erprobt werden, die den Mitarbeitern möglichst viel Entscheidungsmöglichkeiten geben. Die Entscheidung für partizipative Führung ist eine zentrale, grundlegende Entscheidung. Bewusst als rhetorische Fragen formuliert, allerdings sehr ernst gemeint: Will ich wirklich die Kreativität und Kompetenz meiner Leute nutzen? Bin ich davon überzeugt, dass Partizipation gut für die Entscheidungsqualität und die Nachhaltigkeit der Umsetzung ist? Wenn das nicht der Fall ist, dann sollte ich es bleiben lassen. Praxistipp

Wenn ich als Führungskraft eine Entscheidung bereits getroffen habe und nicht verändern möchte, dann bitte diese Entscheidung auch so vermitteln. Immer nur dann Meinungen einholen, wenn ich die Meinungen auch hören und nutzen will, immer nur dann Fragen zulassen, wenn ich sie auch beantworten möchte, immer nur dann Alternativen zur Abstimmung stellen, wenn ich mit jedem Abstimmungsergebnis leben kann.

Meine Mitarbeiter sind partizipative Führung nicht gewöhnt. „Meine Leute sind noch nicht so weit. Die sind partizipative Führung nicht gewöhnt. Meine Leute können damit nichts anfangen – das überfordert sie.“ Ohne Frage kann es Teams geben, die daran gewöhnt wurden, dass ihre Führungskraft alle Entscheidungen trifft. Wenn etwas unklar ist und vom Standardprozess abweicht, dann trifft die Führungskraft die Entscheidung. Womöglich nimmt sich die Führungskraft die entschiedenen Themen auch wieder auf Termin und kontrolliert, ob die Entscheidung vereinbarungsgemäß umgesetzt wurde. Das nimmt viel Verantwortung von den Mitarbeitern weg.

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Wenn eine Führungskraft nun den Partizipationsregler im Team von 0 auf 100 drehen möchte, dann kann das ein Team überfordern. Wenn Sie mit Ihrem Team bislang noch wenig partizipativ unterwegs waren, dann gehen Ihnen womöglich die folgenden Fragen durch den Kopf: Wie kann ich mein Team als Führungskraft auf mehr Partizipation vorbereiten? Wie finde ich einen guten Einstieg? Wie kann ich mit möglichen Bedenken zum Thema Partizipation gut umgehen? Ein guter Ansatzpunkt können kleine Veränderungen in Abstimmungsgesprächen sein, die den Mitarbeitern Stück für Stück mehr Verantwortung geben. Die bereits skizzierten Fragen, können da schon sehr hilfreich sein. Ganz einfache Fragen, können dabei große Wirkung haben. Partizipation von Mitarbeitern durch einfache Fragen in der täglichen Arbeit fördern. 5 Welche Ideen hast du dazu? 5 Was ist aus deiner Sicht zu bedenken? 5 Wie schätzt du die Situation ein? 5 Was sollten wir aus deiner Sicht tun?

Solche Fragen bringen den Mitarbeiter mehr in Verantwortung und sind wertvolle Schritte auf dem Weg zu mehr Partizipation. Diese Fragen lassen sich in Gespräche einstreuen. Gerne am Anfang noch geringer dosiert und dann stärker. Bei Teambesprechungen kann ich als Führungskraft damit beginnen bei einzelnen Themen die Meinungen meiner Mitarbeiter einzuholen. Ich kann beispielsweise ein Thema vorstellen, zu dem eine Entscheidung getroffen werden muss und darum bitten, dass jeder reihum seine Meinung zu diesem Thema einbringt. Das kann zunächst nur ein Thema sein und dann auch Stück für Stück ausgeweitet werden. Ein guter Ansatzpunkt können auch jährliche oder halbjährliche Personalgespräche sein. Vor den Personalgesprächen kann ich meinen Mitarbeitern einige Fragen zur Vorbereitung auf die Gespräche an die Hand geben. Fragen für die Mitarbeiter zur Vorbereitung auf die Personalgespräche. 5 Was können wir in unserem Team noch verbessern? 5 Welche Anregungen hast du zum Informationsfluss/zur Aufgabenverteilung/zu den Abstimmungen in unserem Team? 5 Welche Anregungen hast du für unsere Zusammenarbeit? 5 Was möchtest du gerne noch lernen? 5 Welche neuen Aufgaben könnten noch gut zu dir passen?

Auch solche Fragen regen mehr Verantwortungsübernahme und Beteiligung an.

Kapitel 10 · Haltung: Partizipation

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Praxistipp

Wir raten davon ab, auf einer Teambesprechung zu verkünden, dass Ihnen als Führungskraft Partizipation wichtig ist und Sie sich wünschen, dass alle sich mehr einbringen und Entscheidungen selbst treffen. Wir empfehlen Ihnen stattdessen die Veränderungen vor allem über Ihr eigenes Verhalten anzustoßen.

Fazit

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5 Gute Führungskräfte kümmern sich darum, dass in ihrem Verantwortungsbereich Entscheidungen getroffen und nicht auf die lange Bank geschoben werden. Sie treffen möglichst wenige Entscheidungen selbst. Warum ist das so? Guten Führungskräften gelingt es, sich mit exzellenten Mitarbeitern zu umgeben, die in der Lage sind möglichst viele Entscheidungen selbst zu treffen. Ihre Mitarbeiter erkennen Probleme, ziehen die richtigen Schlussfolgerungen und handeln entsprechend. Sie brauchen dafür keine Führungskraft, die Entscheidungen trifft. Haben Sie den Mut für sich ein solches Team der Talente zu entwickeln! 5 Binden Sie Ihre Mitarbeiter nicht nur bei operativen Themen mit ein, sondern auch bei der Festlegung von Zielen, bei der Ausgestaltung der Strategie oder bei Einstellungsentscheidungen. Je wichtiger ein Thema ist, umso mehr Partizipation ist in der Regel sinnvoll. Warum ist das so? Weil wichtige Themen gute Entscheidungen verdient haben und diese auch umgesetzt werden sollten. Das geht mit Partizipation besser als ohne. 5 Partizipation muss für die Mitarbeiter täglich in der Zusammenarbeit mit Ihnen als Führungskraft spürbar sein! Zeigen Sie Ihren Mitarbeitern jeden Tag, dass Sie an ihren Ideen interessiert sind und auf ihre Kompetenzen vertrauen. 5 Nur wer Aufgaben gut loslassen kann, kann auch gut führen. Lernen Sie Ihre eigenen Babys an Ihre Mitarbeiter zu übergeben. Sie sollten nicht alle Tore selbst schießen wollen. Überlassen Sie Ihren Mitarbeitern viel Spielfläche auf dem Rasen. 5 Eine langsam getroffene Entscheidung, die umgesetzt wird, ist besser als eine schnelle Entscheidung, die es nicht vom Schreibtisch auf die Straße schafft. Der Wunsch nach schnellen Entscheidungen ist ein schwaches Argument gegen Partizipation, vor allem wenn es einem um die Umsetzung geht und weniger um das Treffen von Entscheidungen an sich – und um die Umsetzung sollte es in der Praxis gehen. 5 Wer nur an seiner eigenen Meinung interessiert ist, wird nicht gut führen können – außer wahrscheinlich in autokratischen Systemen.

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Von der Haltung in  die Praxis: Was kann ich als Führungskraft konkret tun?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_11

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Kapitel 11 · Von der Haltung in die Praxis: Was kann ich als Führungskraft konkret tun?

In den bisherigen Kapiteln haben wir uns mit Impulsen zu unseren Haltungen als Führungskraft beschäftigt. Also mit den Wurzeln unseres Verhaltens. In den folgenden Kapiteln möchten wir noch einen Schritt praktischer werden. Wir rücken einige Kernaufgaben von Führungskräften in den Fokus, zum Beispiel die Koordination unseres Teams. Es geht uns dabei um konkretes Führungshandeln. Wenn ich mich verändern möchte, dann ist die kritische Reflexion meiner Einstellungen ein möglicher Ansatzpunkt, den wir in den bisherigen Kapiteln verfolgt haben. Neue Einsichten, können zu neuem Verhalten führen. Auch wenn nicht jede neue Erkenntnis zwangläufig auch zu geändertem Verhalten beiträgt. Die Lücke zwischen Wollen und Tun ist leider oft größer, als wir uns dies eingestehen wollen. Dennoch ist es sinnvoll sich mit seinen Einstellungen auseinanderzusetzen. Daneben sollte ich mir jedoch auch mein konkretes Verhalten anschauen und dieses kritisch reflektieren: Was habe ich heute in den Abstimmungen mit meinen Mitarbeitern gesagt? Was habe ich getan? Welche Wirkungen habe ich damit bei meinen Mitarbeitern erzeugt? Wie müsste ich mein Verhalten verändern, um noch mehr von mir gewünschte Wirkungen bei meinen Mitarbeitern erzielen zu können? Mit diesen relativ einfachen Fragen kann ich mein konkretes Führungshandeln kritisch hinterfragen. Immer mit der Perspektive verknüpft, welche Wirkungen ich erzeuge und nicht was ich bewirken wollte. Wie schon mehrmals betont, muss es uns um die erzielten Effekte gehen und nicht um unsere guten Absichten. Als Führungskräfte werden wir für die Effekte bezahlt, die wir erzielen, und nicht für unsere guten Absichten. Zumindest sollte dies aus Unternehmenssicht so sein. Führungshandeln besteht zu großen Teilen aus Kommunikation. Deshalb werden wir immer wieder auf den Punkt kommen, wie ich als Führungskraft meinen Mitarbeitern zuhöre und wie ich mit ihnen spreche.

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Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_12

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

„Meine Mitarbeiter müssen doch von sich aus motiviert sein. Das hat doch mit mir als Führungskraft nichts zu tun. Ich kann doch meine Mitarbeiter nicht motivieren.“ Das Gegenteil ist richtig. Womöglich haben Sie selbst schon inspirierende Führungskräfte erlebt, mit denen es einfach Spaß macht zu arbeiten und die Sie zu besonderen Leistungen angeregt haben. Viele Anregungen in unserem Buch haben etwas mit Mitarbeitermotivation zu tun. Motivation, Gesundheit und Leistung stehen nicht isoliert nebeneinander. In diesem Kapitel fokussieren wir auf motivierende Aufgabengestaltung. Was kann ich als Führungskraft dazu beitragen, dass meine Mitarbeiter ihre Aufgaben motiviert bearbeiten können? Wie helfe ich mit, Frustrationserlebnisse in der Tagesarbeit zu reduzieren? Wie leiste ich durch motivierende Aufgabengestaltung einen Beitrag zu gesunder Arbeit?

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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Martin macht seine Arbeit an sich sehr viel Spaß. Er arbeitet in der Buchhaltung und hat das Gefühl seine Talente gut einbringen zu können. Allerdings gibt es doch einiges, was ihn sehr stört. Das hat aber weniger mit seinen Aufgaben an sich zu tun, sondern mehr mit seinem Chef. Martins Chef bekommt viele Informationen, die auch für Martins Arbeit Bedeutung haben oder für Martin als Hintergrundinformation interessant wären. Martin hat jedoch das Gefühl, dass er nur sehr wenige Informationen bekommt. Dabei ist Martin nicht nur an seiner Arbeit, sondern insgesamt am Unternehmen sehr interessiert: Wie ist die wirtschaftliche Lage des Unternehmens? Was ist an neuen Produkten geplant? Welche größeren Veränderungen stehen an? Welche Entwicklungen und Neuerungen gibt es, die für seine Aufgaben wichtig sind? Welche Hintergrundinformationen sind für seine Aufgaben noch interessant? Martin wünscht sich deutlich mehr Transparenz. Martin macht seine Aufgaben zwar sehr gerne, würde sich aber noch mehr Abwechslung wünschen. Mal eine ganz neue Aufgabe, ein anspruchsvolles Projekt … das würde ihn schon reizen. Immer wieder hat er auch den Eindruck, dass ihm sein Chef eine Aufgabe überträgt, deren Ergebnisse gar nicht genutzt werden. So erstellt Martin gelegentlich Auswertungen zu bestimmten Kennzahlen, mit denen nach seiner Meinung überhaupt niemand arbeitet. Bei manchen Aufgaben erledigt Martin auch bestimmte Teilschritte, ohne so genau zu wissen, welche Schritte davor und welche Schritte danach kommen. Manchmal denkt er sich, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn sich eine Person um das ganze Aufgabenpaket kümmern würde. Das ist für ihn nicht besonders zufriedenstellend. Irgendwie fände er es besser, wenn seine Aufgaben vielfältiger und vollständiger wären und er auch das Gefühl hätte, dass alle seine Aufgaben wichtig sind. Wenn sich ein Mitarbeiter aus einer anderen Abteilung mit einem Anliegen an Martins Chef wendet, dann kümmert sich Martins Chef sehr gerne darum. Auf der einen Seite ist das schön, da so manche Themen direkt und schnell von seinem Chef erledigt werden, auf der anderen Seite informiert sein Chef ihn oft nicht über diese Vorgänge, obwohl sie sein Aufgabengebiet betreffen. Da werden dann Telefonate geführt und E-Mails geschrieben und Martin erfährt dann immer wieder durch Zufall, dass sein Chef sich um

161 Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

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Themen gekümmert hat, die eigentlich zu Martins Aufgaben gehören. Im ungünstigsten Fall führt es zu Missverständnissen und Doppelarbeit. Martin hat das Gefühl, dass sich sein Chef zu stark in seine Aufgaben einmischt, ihn zu wenig informiert und bei vielen Themen zu wenig mit einbindet. In Abstimmungen hat sein Chef oft sehr klare Meinungen: „Ich schlage vor, dass du das so machst …“, „Nach meiner Erfahrung ist dieser Weg der beste Ansatz, …“, „Mach es bitte so, dann klappt das auch …“, „Ich bin sehr dafür, dass du das so machst …“. Mittlerweile bekommt Martin bei diesen Sätzen schon eine Gänsehaut. Sein Chef hat seine vorgefassten Meinungen und Ideen und es hat wenig Sinn mit ihm über andere Gedanken zu diskutieren. Das ärgert Martin schon sehr, weil er seine Aufgaben gerne viel freier bearbeiten würde. Er hat auch das Gefühl, dass sein Chef Entscheidungen bei Aufgaben trifft, die er gar nicht so gut beurteilen kann, weil er damit zu wenig zu tun hat. Das ist eine sehr unbefriedigende Situation. Feedback zu seinen Aufgaben erhält Martin sehr wenig von seinem Chef. An seinen Reaktionen kann er erahnen, ob er eine Aufgabe gut erledigt hat, längere Gespräche, in denen geklärt wird, was konkret gut gemacht wurde und was verbessert werden muss, gibt es eher selten.

In unserem Beispiel sprechen wir verschiedene Aspekte an, die für gute Führung und insbesondere auch für gesunde Führung wichtig sind (Wegge et al. 2014). Es geht um die Frage, wie Führungskräfte die Aufgaben für ihre Mitarbeiter möglichst motivierend gestalten. Wichtige Merkmale motivierender Aufgabengestaltung. 5 Wie transparent wird mit Informationen, die die konkrete Tätigkeit, aber auch das Unternehmen insgesamt betreffen, umgegangen? 5 Wie vielfältig und vollständig sind die übertragenen Arbeitsaufgaben? 5 Als wie wichtig und attraktiv werden die Aufgaben von den Mitarbeitern erlebt? 5 Wie wird Doppelarbeit vermieden? 5 Wie viele Freiheitsgrade gibt es bei der Bearbeitung der Aufgaben? 5 Welche Möglichkeiten gibt es für die Mitarbeiter Feedback zur Erledigung der Aufgaben zu erhalten?

Da diese verschiedenen Fragen sehr eng miteinander zusammenhängen, behandeln wir sie in einem Handlungsfeld und haben sie bewusst nicht in verschiedene Handlungsfelder separiert. Es wird auch deutlich, dass dieses Handlungsfeld stark mit den in diesem Buch beschriebenen Haltungen als Führungskraft verzahnt ist, insbesondere mit Wertschätzung, Sinnorientierung, Ressourcen- und Lösungsorientierung sowie mit Partizipation. Diese vier Haltungen sind eine gute Grundlage für eine motivierende Aufgabengestaltung. Manche Facetten werden deshalb auch in den anderen Kapiteln angesprochen. Im Mittelpunkt jeder Arbeitsstelle steht die Erledigung von übertragenen Aufgaben. Deshalb ist es aus unserer Sicht sinnvoll der motivierenden Aufgabengestaltung ein eigenes Kapitel zu widmen. Dass Sie sich dabei an einige Ausführungen aus den Kapiteln zu den Haltungen erinnern werden, ist gewünscht. Das konkrete Führungsverhalten soll ja gerade in logischem Zusammenhang mit den dahinterliegenden Haltungen stehen.

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Wie übertrage ich Aufgaben an meine Mitarbeiter? Welche Rahmenbedingungen gestalte ich? Diese Fragen sind für gute Führung sehr wichtig. > Auf den ersten Blick ist die Sache relativ einfach: Führungskräfte sollten

möglichst transparent mit Informationen umgehen, vielfältige, vollständige und wichtige Aufgaben übertragen, viel Freiheit bei der Erledigung der Aufgaben gewähren und sich um konstruktives Feedback bemühen.

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Sicher gibt das jeweilige System gewisse Leitlinien vor, z. B. welche Informationen Mitarbeiter erhalten dürfen. Innerhalb dieser Leitlinien sollten Führungskräfte alle Möglichkeiten ausschöpfen, um im Sinne der aufgeführten Fragen zu führen. Auf den zweiten Blick wird es jedoch etwas komplizierter. In der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften wird den Führungskräften beispielsweise gerne vermittelt, dass es wichtig ist ihre Mitarbeiter gut zu informieren, sie aber auch nicht mit Informationen zu überhäufen, ihnen viel Freiraum bei der Ausübung ihrer Aufgaben zu belassen, sich aber auch um die Einhaltung von Arbeitsstandards, von best practice und von definierten Prozessen zu kümmern, ihnen viel Freiheit bei der Zeiteinteilung zu belassen, aber auch darauf zu achten, dass die Arbeitszeit im Sinne des Unternehmens gut genutzt wird. Es ist für Führungskräfte nicht einfach in diesem Dschungel aus Empfehlungen einen guten Weg zu finden. Dies wird zwangsläufig ein Mittelweg sein müssen, bei dem es darum geht, welche Rahmenbedingungen in meinem System gegeben sind, was mir als Führungskraft dabei wichtig ist und welche Bedürfnisse meine Mitarbeiter haben. Diese Fragen sind generell wichtig. Wenn es in meinem Unternehmen beispielsweise üblich ist, dass mit Informationen sehr transparent umgegangen wird, dann kann ich das als Führungskraft gut nutzen. Wenn es in meinem Unternehmen Kultur ist, dass Mitarbeiter bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben viele Freiheiten haben, dann ist dies ebenfalls eine hilfreiche Rahmenbedingung. Diese Spielregeln, die in einer Organisation explizit oder implizit vermittelt werden, gilt es zu beachten. Gleiches gilt für die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise sehr viel Feedback möchte, dann sollte ich das ebenfalls in meiner Führungspraxis berücksichtigen. Ein Patentrezept, dass zum Beispiel wöchentliches Feedback richtig ist, kann es sinnvollerweise nicht geben. Wie auch an anderen Stellen in unserem Buch deutlich wird, gibt es Handlungsempfehlungen für gute Führung, die sich zur Reflexion des eigenen Führungsverhaltens nutzen lassen. Es ist jedoch immer wichtig, auf die Rahmenbedingungen zu schauen, auf die eigenen Werte und Bedürfnisse und ebenso auf die Werte und Bedürfnisse der Geführten. Wissenschaftlicher Hintergrund

Warum ist es gesund, wenn Führungskräfte ihre Mitarbeiter gut informieren? Was hat die Vielfalt, Vollständigkeit und Wichtigkeit von Aufgaben mit Gesundheit zu tun? Welche Rolle können Freiheitsgrade und Feedback spielen? > Wie bereits angesprochen, gehört es zu den grundlegenden Bedürfnissen von

Menschen ihre Umwelt kontrollieren zu wollen und das Gefühl zu haben in ihrer Umwelt etwas bewirken zu können (vergleiche Heckhausen und Heckhausen 2006). Wir wollen als Menschen wissen, was um uns herum passiert. Wir wollen Einfluss nehmen. Wir wollen etwas bewirken.

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Kontrollerleben und damit eng verbunden, die Selbstwirksamkeit, gehören mit zu den traditionsreichsten und meist beachteten psychologischen Konzepten (Karasek 1998; Macan 1994; Rosenstiel 2014; Ulich 2011; Wegge et al. 2014; Bandura 1997). > Das Bedürfnis nach Kontrollierbarkeit und das Bedürfnis etwas bewirken

zu wollen spielen für die Gesundheit eine wichtige Rolle. Das gilt im Leben allgemein und natürlich auch in der Arbeitswelt.

Daraus lässt sich die Frage ableiten, was ich als Führungskraft tun kann, um das Kontrollerleben und die Selbstwirksamkeit meiner Mitarbeiter zu fördern. Ein viel beforschtes psychologisches Modell dazu ist das Job Characteristics Model nach Hackman und Oldham (1980). Es ist für die Forschung und Praxis bis heute von großer Relevanz. Unsere Überlegungen in diesem Kapitel stützen sich stark auf dieses Modell. Es lässt sich daraus ableiten, dass Mitarbeiter in die Festlegung von Zielen und bei anderen Entscheidungen eingebunden werden sollten (siehe auch Kapitel zur Partizipation), dass sie viel Freiheit bei der Erfüllung ihrer Aufgaben haben sollten, dass Vielfalt, Vollständigkeit, Wichtigkeit von Aufgaben und Feedback von großer Bedeutung sind. Wird Arbeit in diesem Sinne gestaltet, so steht dies in positivem Zusammenhang mit Arbeitszufriedenheit und in negativem Zusammenhang mit Angst, Stress sowie Burn-out und Erschöpfung (Humphrey et al. 2007). Auch mit anderen wichtigen Variablen, wie zum Beispiel Leistung und Bindung an das Unternehmen finden sich erwartungskonforme Zusammenhänge (Humphrey et al. 2007). Für Führungskräfte, die Leistung und Gesundheit bei ihren Mitarbeitern fördern möchten, ist die Aufgabengestaltung im hier beschriebenen Sinne ein guter Ansatzpunkt. Es gibt weitere Modelle und Forschungsansätze, bei denen Kontrollmöglichkeiten eine wichtige Rolle spielen. So gibt es zum Beispiel Studien, die die Bedeutung von Freiheitsgraden für die Gesundheit unterstreichen (z. B. Claessens et al. 2004; Häusser et al. 2010). Das Job Demand-Control (JDC) Model (Karasek 1979) und auch seine Erweiterung, das Job Demand-Control-Support (JDCS) Model (Johnson und Hall 1988), werden seit Jahrzehnten stark beforscht und auch für die Praxis nutzbar gemacht. In beiden Modellen spielt die Kontrolle eine wichtige Rolle. Die Möglichkeit aufgabenbezogene Entscheidungen treffen zu können, Einfluss auf die zeitliche Gestaltung der Arbeit nehmen zu können und Entscheidungen zur Arbeitsweise treffen zu können werden dabei häufig als Facetten von Kontrolle aufgefasst (Häusser et al. 2010). In beiden Modellen wird davon ausgegangen, dass die Gesundheit von Mitarbeitern durch die Anforderungen, z. B. hoher Zeitdruck und hohe Arbeitsauslastung, und durch die Kontrollmöglichkeiten der Mitarbeiter wesentlich beeinflusst wird. Im zweiten Modell wird die soziale Unterstützung durch Kollegen, Vorgesetzte oder die Familie und Freunde als weiterer Faktor ergänzt. Zahlreiche Studien der letzten Jahrzehnte stützen die Annahme der beiden Modelle, dass ein Zusammenhang zwischen den Kontrollmöglichkeiten und der Gesundheit besteht (Häusser et al. 2010), wobei Längsschnittstudien nahelegen, dass die Kontrollmöglichkeiten die Gesundheit direkt beeinflussen. Zur Messung von Gesundheit werden häufig Stresserleben, Depression, Erschöpfung, aber auch Arbeitszufriedenheit erfasst (Häusser et al. 2010). Für Führungskräfte lässt sich daraus ableiten, dass die Schaffung von Kontrollmöglichkeiten für die Mitarbeiter, ein wichtiger Ansatz zur Förderung der Mitarbeitergesundheit sein kann.

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Unter dem Schlagwort Job Crafting, steht in der psychologischen Forschung seit einigen Jahren die Frage im Fokus, wie Mitarbeiter ihre Arbeitsbedingungen eigenverantwortlich an ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten anpassen können (Wegge et al. 2014). Nicht die Führungskraft gestaltet die Arbeitsbedingungen, sondern der Mitarbeiter kreiert sich seine Arbeitsumwelt so, dass sie zu seinen Bedürfnissen und Fähigkeiten passt und er so in der Lage ist, möglichst gute Leistungen zu erbringen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass sich Mitarbeiter Aufgaben selbst suchen, eigenverantwortlich entscheiden können, wann, wo und mit wem sie die Aufgaben bearbeiten und sich selbstständig Feedback organisieren. Job Crafting betont damit Freiheit und Eigenverantwortung sehr stark. Nicht die Führungskraft weiß und entscheidet, wie der Mitarbeiter seine Arbeit am besten einteilt, sondern der Mitarbeiter selbst. Die Forschung zu diesem Ansatz steht noch am Anfang. Der Ansatz mag uns ziemlich extrem erscheinen und kann aus unserer Sicht auch mit Knackpunkten verbunden sein, die bei der Nutzung dieses Ansatzes gut zu Bedenken sind. Uns gehen da beispielsweise Fragen der Fairness im Team durch den Kopf, wenn aufgrund unterschiedlicher Aufgaben die Freiheiten unterschiedlich genutzt werden können, oder Fragen der Erreichbarkeit für interne und externe Kunden. In jedem Fall ist es spannend einmal darüber nachzudenken, wo die Reise möglicherweise hingeht, wie sich unsere Arbeitswelt verändert. Unbestritten ist auch, dass sich gerade bei Start-ups solche Formen längst etabliert haben und auch traditionsreiche Unternehmen mit solchen veränderten Arbeitsformen experimentieren. Als Führungskraft ist eine gewisse Offenheit und Neugierde für solche Veränderungen sicher hilfreich. Allen hier vorgestellten Forschungsansätzen ist gemein, dass sie den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen nach Kontrollierbarkeit und Selbstwirksamkeit Rechnung tragen und sich daraus Vorschläge für die Führungsarbeit ableiten lassen. In dem Moment, in dem Sie sich mit diesen Themen befassen, wenn Sie sich also überlegen, wie Sie bei Ihren Mitarbeitern die Kontrollmöglichkeiten bei der Arbeit erhöhen, dann leisten Sie einen Beitrag zur Förderung der Motivation. Wir reden hier also nicht von Motivationssprüchen an der Wand oder Tschaka-Rufen, sondern es geht um die Gestaltung der täglichen Arbeit, die mehr oder weniger motivierend sein kann: etwas mitgestalten und mitbestimmen zu können, gut informiert zu werden und an ganzheitlichen Aufgaben zu arbeiten mit gewissen Freiheiten und regelmäßigem Feedback. Impulse zur persönlichen Reflexion

Für die Aufgabengestaltung lassen sich aus der Forschung, aber auch aus praktischer Sicht, eine Reihe von Impulsfragen ableiten, die helfen können, die eigene Führungsarbeit zu reflektieren. Impulsfragen zur Reflexion der Aufgabengestaltung in meinem Team. 5 Welche Informationen erhalte ich selbst als Führungskraft? Welche Informationen gebe ich weiter und auf welchen Kommunikationskanälen? Welche Informationen benötigen meine Mitarbeiter für ihre Aufgaben? Welche Informationen können darüber hinaus für meine Mitarbeiter interessant sein?

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5 Was kann ich dazu beitragen, dass jeder Mitarbeiter vollständige und vielfältige Aufgaben erhält? Wie kann ich Aufgaben, die als monoton erlebt werden, verändern oder mit anderen Aufgaben anreichern? 5 Wie stelle ich sicher, dass meine Mitarbeiter nicht für den Papierkorb arbeiten, sondern die Arbeitsergebnisse sinnvoll verwendet werden? Wie nachvollziehbar erläutere ich den Sinn und Zweck von Aufgaben? 5 Wie viele Freiheitsgrade bei der Ausführung der Aufgaben kann und möchte ich meinen Mitarbeitern gewähren? 5 Wie oft und in welcher Qualität gebe ich Feedback, beziehungsweise schaffe ich Möglichkeiten für meine Mitarbeiter sich selbst Feedback einzuholen?

Diese Fragen wollen wir nachfolgend weiter vertiefen. Transparenz > Wie bereits angesprochen, verstehen wir unter Transparenz, dass Führungskräfte

ihre Mitarbeiter möglichst umfassend mit Informationen versorgen, die für die Aufgabenerledigung des jeweiligen Mitarbeiters wichtig sind, aber auch Klarheit zur Lage des Teams, der Abteilung und des gesamten Unternehmens schaffen. Also auch über Themen informieren, die über den unmittelbaren Aufgabenbereich eines einzelnen Mitarbeiters hinausgehen.

Zu Transparenz gehört beispielsweise auch, dass Kriterien für Karriereschritte, Weiterbildungsmöglichkeiten, die Vergütungsgestaltung etc. möglichst nachvollziehbar vermittelt werden. Die nachfolgende . Tab. 13.1 zeigt einige Beispiele. Bei den Beispielen handelt es sich lediglich um eine Auswahl, die jedoch wichtige Bereiche umfasst. Impulsfragen zur Gestaltung von Transparenz. 5 Wie gut sind meine Mitarbeiter über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens oder unserer Geschäftseinheit informiert und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für unser Team? 5 Wie gut informiere ich mein Team über die Strategie des Unternehmens und was sich daraus für uns als Team ergibt? 5 Kennen meine Mitarbeiter die Ziele unseres Teams? 5 Ist jedem Mitarbeiter klar, welche Aufgaben besonders wichtig sind und welche Aufgaben z. B. bei zeitlichen Engpässen verschoben werden können? 5 Bespreche ich bei der Übertragung von Aufgaben bis zu welchem Termin diese erledigt werden müssen?

Neben diesen eher allgemeinen Überlegungen möchten wir auf zwei Punkte besonders eingehen: die Nachbereitung von Besprechungen sowie die Schaffung von Ritualen zur Informationsweitergabe. Besprechungen prägen den Alltag vieler Führungskräfte – der

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

. Tab. 13.1  Beispiele aus Unternehmen mit Relevanz zur Schaffung von Transparenz Informationen zum Unternehmen Unternehmensstrategie Jahresziele des Unternehmens Unternehmenskennzahlen (z. B. Umsatz, Gewinn, Fluktuation, Produktivität) Neue Produkte & Dienstleistungen Ergebnisse aus Kundenbefragungen Strukturveränderungen (z. B. neue Abteilungen, neue Standorte) Arbeitsbedingungen (z. B. zur Arbeitszeit, zur Nutzung von homeoffice, zu Gesundheitsangeboten) Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten Informationen zur Abteilung/zum Team Vertretungsregelungen Jahresziele des Teams Kennzahlen des Teams (z. B. Fehlerquote) Gestaltung der Arbeitszeit Pausenregelungen Prioritäten der Teamaufgaben Neueinstellungen von Kollegen im Team Entscheidungen höherer Hierarchieebenen

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Aufgabenspezifische Informationen Erwarteter Nutzen von Aufgaben Einzuhaltende Termine Zu informierende oder zu beteiligende Personen Art der Ergebnispräsentation (z. B. Präsentationsfolien) Vorausgehende und nachgelagerte Arbeitsschritte Prioritäten der individuellen Aufgaben Anregungen oder Vorgaben, die berücksichtigt werden müssen Budgetvorgaben

Umgang mit Besprechungen hat damit hohe Relevanz für die Führungsarbeit. Rituale zur Informationsweitergabe, wie beispielsweise monatliche Teambesprechungen, sind ebenfalls wichtiger Bestandteil der Führungsarbeit. Deshalb gehen wir auf diese beiden Aspekte ausführlicher ein.

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Führungskräfte nehmen oft an vielen Konferenzen und Besprechungen teil. Sie erhalten dort vielfältige Informationen. Doch was machen sie damit? Was kommt bei ihren Mitarbeitern an? Praxistipp

Wir empfehlen jede Art von Konferenz und Besprechung mit Blick auf die Weitergabe von Informationen nachzubereiten. Konkret kann das bedeuten, sich nach jeder Besprechung 15 min Zeit für die Nachbereitung zu nehmen. Nicht nur, um für sich selbst Aufgaben abzuleiten und diese zu terminieren, sondern gerade auch um zu überlegen, welche Informationen für die geführten Mitarbeiter wichtig sind.

Die folgenden Fragen können dabei helfen. Impulsfragen zur Nachbereitung von Besprechungen. 5 Welche Aufgaben ergeben sich aus der Besprechung für mein Team? 5 Welche Informationen sind für die Aufgabenbearbeitung in meinem Team relevant? 5 Welche Hintergrundinformationen sind für meine Mitarbeiter interessant? 5 Welche Materialien aus der Besprechung möchte ich an meine Mitarbeiter weitergeben? (z. B. Präsentationsfolien, Protokollauszüge) 5 Wie kommuniziere ich die Informationen? (z. B. in der nächsten Teambesprechung, in einer E-Mail ans gesamte Team oder an einzelne Personen unmittelbar nach der Besprechung, in Telefonaten oder persönlichen Gesprächen)

Diese Fragen mögen trivial erscheinen. Unsere Erfahrung in der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften zeigt jedoch, dass diese Fragen durchaus nicht trivial sind. Jede Führungskraft muss sich bewusst sein, dass sie an Konferenzen und Besprechungen für ihr Team, quasi in Vertretung ihres Teams, teilnimmt. Daraus ergibt sich unmittelbar die Aufgabe Konferenzen und Besprechungen für das eigene Team nachzubereiten. Nach jeder Konferenz und jeder Besprechung sollte sich eine Führungskraft die Frage stellen, welche Informationen sie an ihr Team weitergibt. Wir machen oft die Erfahrung, dass gerade Führungskräfte auf höheren Hierarchieebenen eine Termindichte in ihrem Arbeitsalltag erzeugen, beziehungsweise erzeugen lassen, die eine vernünftige Vor- und Nachbereitung unmöglich macht. Dies zu verändern kann ein konkretes Anliegen in der Führungskräfteentwicklung sein (vergleiche ­Häfner et al. 2015).

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Praxistipp

Wenn ich als Führungskraft an einem Tag acht Besprechungen absolviere und keine gute Nachbereitung vornehme, dann kann es meinem Unternehmen deutlich mehr bringen, mich auf vier Besprechungen zu beschränken, die dann vernünftig nachbereitet werden. Auf die Ergebnisse kommt es an. Welche Wirkung erziele ich als Führungskraft? Diese Frage sollte mir wichtiger sein, als die Frage: Wo bin ich alles dabei? Was wie eine Binsenweisheit klingt, ist für Führungskräfte in der Praxis oft schwer umsetzbar. Eine zu hohe Termindichte sollten wir jedoch nicht einfach als Naturgesetz hinnehmen, sondern uns um Verbesserungen bemühen: durch das Setzen von Prioritäten, das Delegieren von Aufgaben, beispielsweise an einen Stellvertreter, oder eine möglichst effiziente Besprechungsgestaltung. Eine konkrete Idee dazu: Nicht jede Besprechung muss für eine Stunde angesetzt werden, manchmal ist nach 10 min das Wichtigste gesagt. Die meisten Führungskräfte setzen für Abstimmungen 30 oder 60 min an. Weshalb? Warum nicht auch Besprechungen für 15 min oder für 10 min ansetzen? Eine weitere konkrete Anregung: Es ist kein Naturgesetzt, dass sich eine Besprechung unmittelbar an die nächste anschließt. Warum plane ich nicht Besprechungen so, dass mindestens 15 min zwischen zwei Besprechungen liegen? „Ich kann das nicht verändern“ stimmt nicht. Wir müssen aufhören uns selbst Ausreden einzureden, sondern morgen mit der ersten Veränderung beginnen.

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Dieses Thema berührt auch stark das Handlungsfeld „Teamkoordination“, das wir in einem eigenen Kapitel behandeln. Auf die letzte Frage unserer Auflistung wollen wir noch etwas genauer eingehen. Welche Rituale zur Informationsweitergabe schaffe ich für meinen Verantwortungsbereich? Neben spontanen Telefonaten, E-Mails und persönlichen Gesprächen, die täglich stattfinden, empfehlen wir die bewusste Gestaltung von Abstimmungsritualen, die nicht nur, aber auch der Informationsweitergabe dienen. Instrumente zur Informationsweitergabe. 5 Monatliche Teambesprechungen mit wiederkehrender Struktur: a) Informationen, die Teammitglieder an ihre Kollegen und die Führungskraft weitergeben möchten; Themen, die die Teammitglieder zur Diskussion und Entscheidung einbringen möchten b) Informationen durch die Führungskraft (z. B. zu Kennzahlen des Unternehmens und des Teams, zu Entscheidungen der Geschäftsleitung, zu Hinweisen des nächst höheren Vorgesetzten), c) Besprechen und Verteilen neuer Aufgaben, d) Bearbeitung offener Punkte der letzten Teambesprechung oder von ritualisierten Agendapunkten, e) Kurzschulung zu einem bestimmten Thema (z. B. zu IT-Veränderungen) 5 Regelmäßige Einzelabstimmungen (z. B. wöchentlich oder monatlich) mit jedem Mitarbeiter: Themen, die nicht unmittelbar dringlich sind, können in einer Mappe (digital oder in Papierform) gesammelt und im Rahmen einer ritualisierten Abstimmung behandelt werden.

169 Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

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5 Jour fix: Eine kurze Abstimmung aller Teammitglieder zum Wochenstart oder auch täglich zum Start in den Arbeitstag, wobei hierfür oft eine halbe Stunde ausreichend ist. Es können Übergaben gemacht werden, aktuelle Themen besprochen werden, Schwerpunkte für die Woche oder den Tag gesetzt werden. 5 Teamnews: In einer E-Mail ans Team können alle Teammitglieder über wichtige Besprechungsergebnisse möglichst unmittelbar informiert werden, z. B. nach einem Führungskräftetreffen.

Praxistipp

Die genannten Rituale sollen einer möglichst effizienten Weitergabe von Informationen dienen. Wenn eine Führungskraft in einer Besprechung Informationen erhält, die für fünf Teammitglieder relevant sind und die sich leicht vermitteln lassen, dann ist wahrscheinlich eine E-Mail an diese fünf Teammitglieder das geeignete Kommunikationsmedium. Wenn es darum geht nach einer Konferenz ein komplexeres Thema zu vermitteln, das für alle Teammitglieder relevant ist, dann ist wahrscheinlich die Teambesprechung die richtige Plattform. All dies setzt natürlich voraus, dass Führungskräfte in ihren Konferenzen und Besprechungen Ergebnisse festhalten und ausgegebene Unterlagen mit ihrem Team nutzen. Ob nun ein elaboriertes Protokoll genutzt wird oder eine einfache Gesprächsnotiz ist dabei nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Termine mit Blick auf die Informationsweitergabe ans Team nachbereitet werden.

Vielfältige, vollständige und wichtige Aufgaben Ob Aufgaben als motivierend, sinnvoll, befriedigend etc. erlebt werden, hängt nicht allein von den Interessen des Mitarbeiters ab, sondern auch davon, wie vielfältig, vollständig und wichtig die Aufgaben durch die Führungskräfte gestaltet werden. Was ist damit konkret gemeint? > Vielfältige Aufgaben bedeutet, dass Abwechslung erlebt wird, dass die Aufgaben

im besten Fall als interessant oder gar spannend erlebt werden, dass der Mitarbeiter den Eindruck hat seine Fähigkeiten gut einbringen zu können.

Dies kann z. B. für den Einkäufer eines Handelsunternehmens bedeuten, dass er am Computer Bestellungen auslöst, sich mit Vertriebskollegen um Kundenreklamationen kümmert und mit Lieferanten im persönlichen Gespräch Konditionen verhandelt. Diese Tätigkeiten ließen sich womöglich auch auf unterschiedliche Personen verteilen. Allerdings mit der großen Gefahr, dass die einzelnen Aufgabenpakete als monoton wahrgenommen werden. > Vollständige Aufgaben bedeutet, dass sich der Mitarbeiter nicht als kleines

Zahnrad einer endlosen Prozesskette wahrnimmt, sondern das Gefühl hat, einen zusammenhängenden Aufgabenbereich bearbeiten zu können.

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Beispielsweise kann es ein Mitarbeiter der Technik als motivierend erleben, wenn er bei Kundenanfragen zu technischen Themen nicht den Vertriebskollegen informiert, damit dieser mit dem Kunden sprechen kann, sondern die Frage direkt mit dem Kunden bespricht. So erlebt er seine Aufgabe weniger als Zuarbeit, sondern als vollständige Tätigkeit, die wiederum auch direktes Kundenfeedback ermöglicht. Dies kann auch wiederum die Aufgabenvielfalt erhöhen. > Es gibt kaum einen besseren Weg die Motivation von Mitarbeitern zu zerstören,

als ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass die bearbeiteten Aufgaben nicht wichtig sind.

Das hat auch viel mit Wertschätzung zu tun. Unterlagen, die für Führungskräfte erstellt und dann nicht genutzt werden, Aufgaben, die noch einmal grundlegend überarbeitet werden müssen, weil der Auftrag am Anfang nicht klar geklärt wurde, Aufgaben, die von zwei Kollegen unabhängig voneinander gleichzeitig bearbeitet werden, weil die Koordination nicht funktioniert hat, können Beispiele dafür sein. Wie bereits dargestellt, will jeder Mensch etwas bewirken, will jeder Mensch, das was er tut, als sinnvoll erleben. Deshalb kommt diesem Punkt besondere Bedeutung zu. Bei der Übertragung von Aufgaben sollte ich diesen Punkt als Führungskraft immer im Hinterkopf haben. Den Nutzen von zu delegierenden Aufgaben kritisch hinterfragen. 5 Welchen Nutzen erwarte ich mir von der Erledigung der Aufgabe? 5 Rechtfertigt der Nutzen den Aufwand? 5 Wie wichtig ist die Aufgabe im Vergleich zu anderen Aufgaben?

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Wir empfehlen Führungskräften mindestens 2 × im Jahr im Rahmen eines Personalgesprächs das Aufgabenpaket eines jeden Mitarbeiters sorgfältig durchzusprechen. Impulsfragen zur Reflexion des Aufgabenpakets. 5 Welche Aufgaben hat der Mitarbeiter in seinem Aufgabenpaket? 5 Wie zufrieden ist der Mitarbeiter mit seinen Aufgaben? 5 Werden die Aufgaben überwiegend als monoton oder als abwechslungsreich erlebt? 5 Können andere Aufgaben aufgenommen werden? 5 Können bestimmte Aufgaben abgegeben werden? 5 Welchen Nutzen stiften die bearbeiteten Aufgaben? 5 Sollten die Prioritäten anders gesetzt werden? 5 Sollten bestimmte Aufgaben ganz weggelassen werden?

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Freiheitsgrade > Unter Freiheitsgraden verstehen wir, dass ein Mitarbeiter seine Aufgaben

möglichst eigenverantwortlich bearbeiten kann.

Eigenverantwortung kann sich dabei auf viele Aspekte beziehen. Verschiedene Facetten von Eigenverantwortung. 5 Wie eigenverantwortlich kann sich ein Mitarbeiter seine Ziele setzen? 5 Wie eigenverantwortlich kann ein Mitarbeiter seine Aufgaben auswählen? 5 Wie frei ist die Wahl der Arbeitsschritte und der Arbeitsmittel? 5 Wie groß sind die Freiheitsgrade mit Blick auf die Gestaltung der Arbeitszeit und die Wahl des Arbeitsortes? 5 Wie frei sind die Mitarbeiter sich zu Teams zusammenzufinden, um bestimmte Aufgaben zu bearbeiten?

Die Gestaltung von Freiheit in Teams berührt sehr stark das jeweilige Selbstverständnis als Führungskraft. Es geht dabei sehr viel darum, wie eine Führungskraft die Führungsaufgabe versteht. Meine Einstellung als Führungskraft zur Schaffung von Freiheitsgraden kritisch hinterfragen. 5 Sehe ich mich als eine Führungskraft, die gemeinsam mit den Mitarbeitern Ziele festlegt und im gegenseitigen Austausch Prioritäten setzt? oder 5 Sehe ich mich als eine Führungskraft, die Ziele und Aufgabenprioritäten vorgibt? 5 Sehe ich mich als eine Führungskraft, die Möglichkeiten schafft, damit die Mitarbeiter möglichst viel Qualifikation aufbauen und selbstständig agieren können? oder 5 Setze ich vor allem auf Arbeitsanweisungen und fest definierte Verhaltensregeln?

Diese Gegenüberstellung betont Gegensätze, die so nicht zwangsläufig existieren müssen. Auch die Rahmenbedingungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Wird die Priorität von Aufgaben von höheren Hierarchieebenen vorgegeben oder besteht Gestaltungsspielraum, beziehungsweise kann dieser erarbeitet werden? Ist zum Beispiel für einen Außendienstmitarbeiter festgelegt, dass er pro Tag sechs Kundenbesuche absolvieren muss oder kann er mit Blick auf die Gesprächsinhalte auch mehr oder weniger Kundenbesuche realisieren? Worauf kommt es noch an, außer auf die Quantität? Im Abschnitt zum Umgang mit Hindernissen und häufigen Fragen gehen wir auf einige Knackpunkte bei der Gestaltung von Freiheit in der Führungsarbeit noch genauer ein.

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Feedback > Wenn wir als grundlegendes menschliches Bedürfnis annehmen, dass wir gerne

etwas bewirken wollen, dann bedeutet dies, dass unsere Arbeit so gestaltet sein sollte, dass wir erkennen können, ob wir auch tatsächlich etwas bewirkt haben.

Auf den ersten Blick ist das trivial. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Kennt jeder Mitarbeiter die Ergebnisse seiner Arbeit? Weiß er, was weiter damit gemacht wird? Weiß er, was gut war und was verbessert werden muss? Wie ist das in Ihrem Team? Wie erleben das Ihre Mitarbeiter? Im besten Fall werden Aufgaben so gestaltet, dass sich ein Mitarbeiter bei der Bearbeitung der Aufgabe selbst Feedback holen kann. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass er wichtige Kennzahlen zu seiner Arbeit unmittelbar einsehen kann, z. B. seine Umsatzzahlen direkt zugänglich hat, seine Fehlerquote oder den Zielerreichungsgrad bei Projekten. Auch Kunden können eine wichtige Quelle für direktes Feedback sein. Je mehr ein Mitarbeiter selbst zu den Auswirkungen seiner Arbeit unmittelbar erleben kann, umso besser. Impulsfragen zur Schaffung von Feedback für meine Mitarbeiter. 5 Was kann ich tun, damit meine Mitarbeiter möglichst selbstständig erkennen können, wie gut sie ihre Aufgaben erledigen? 5 Von welchen Personen können meine Mitarbeiter sinnvollerweise Feedback bekommen? Was kann ich dazu beitragen, um dieses Feedback zu ermöglichen?

Praxistipp

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Ganz praktisch kann das zum Beispiel bedeuten, dass ein Mitarbeiter die Ergebnisse eines komplexen Projektes persönlich in einem Führungsgremium präsentiert und nicht seine Führungskraft, um direktes Feedback für den Mitarbeiter zu ermöglichen. Ähnlich kann dies auch bei Gesprächen mit Kunden oder anderen Abteilungen im Unternehmen gehandhabt werden. Wenn ein Mitarbeiter eine Dienstleistung für eine andere Abteilung im Unternehmen erbringt, dann ist es gut, wenn er von dort direktes Feedback erhält. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Mitarbeiter im Vertriebsinnendienst einmal einen Tag mit seinem Kollegen im Außendienst verbringt, um bei Kundenterminen direktes Feedback vom Kunden zu erleben, das sich auch auf die Arbeit des Innendienstes bezieht. Die Aufgabe von Führungskräften beim Thema Feedback besteht also nicht alleine darin, selbst Feedback zu geben, sondern auch Möglichkeiten zu schaffen, dass die Mitarbeiter möglichst viel direktes Feedback bekommen können.

Darüber hinaus ist die Führungskraft selbst eine weitere Feedbackquelle.

173 Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

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Impulsfragen zum Geben von Feedback an den Mitarbeiter. 5 Wurde der vereinbarte Zieltermin eingehalten? 5 Wie gut ist das Verhältnis von Arbeitsaufwand und erzieltem Nutzen? 5 Anhand welcher Kriterien kann die Qualität der Arbeitsergebnisse bewertet werden? 5 Wie ist die Qualität der Arbeitsergebnisse zu bewerten? 5 Welche Lernerfahrungen wurden gemacht und wie können sie genutzt werden? 5 Was sollte der Mitarbeiter in jedem Fall wieder so machen? 5 Was sollte beim nächsten Mal anders gemacht werden?

Solche Feedbackgespräche können darüber hinaus ein guter Anlass sein, um die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu reflektieren. Also Feedback in beide Richtungen zu ermöglichen. Impulsfragen für Feedback in beide Richtungen. 5 Was hätte sich der Mitarbeiter noch an Unterstützung durch die Führungskraft gewünscht? 5 Waren die Abstimmungen mit Blick auf Frequenz und Qualität für Führungskraft und Mitarbeiter passend? 5 Welche Ideen haben Führungskraft und Mitarbeiter, um die Zusammenarbeit weiter zu verbessern?

Beim Geben von Feedback sind noch weitere Überlegungen wichtig. Eine Führungskraft, die 10 Mitarbeiter führt, kann nicht jedem Mitarbeiter zu jeder Arbeitsaufgabe an jedem Arbeitstag Feedback geben. Mit Blick auf das Bedürfnis nach Selbstkontrolle bei jedem Mitarbeiter wäre dieser Ansatz sicherlich auch schädlich für die Motivation der Mitarbeiter. Wie oft und wie umfangreich sich Mitarbeiter Feedback wünschen, sollte Gegenstand von Gesprächen zur Erwartungsklärung sein. Da kann jeder Mitarbeiter etwas andere Bedürfnisse haben. Impuls zur Gestaltung sinnvoller Feedbackprozesse. 5 Bei welchen Aufgaben ist Feedback durch mich als Führungskraft überhaupt möglich? Bei welchen Aufgaben kann ich die Qualität des Vorgehens und der Arbeitsergebnisse einschätzen? 5 Welche Aufgaben sind besonders wichtig für die Erreichung der Teamziele? 5 Bei welchen Aufgaben kann bei Fehlern, großer Schaden entstehen? 5 Wie oft ist Feedback sinnvoll?

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Im besten Fall gelingt es Mitarbeiter und Führungskraft gemeinsam ihre Feedbackprozesse zu entwickeln und dabei die Anliegen sowohl der Führungskraft als auch des Mitarbeiters adäquat zu berücksichtigen. Das heißt, dass es aus unserer Sicht ein Zuwenig, aber auch ein Zuviel an Feedback geben kann. Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung Ich habe Sorge meine Mitarbeiter mit zu vielen Informationen zu überfordern.

„Ich will meine Mitarbeiter nicht mit zu viel Information überfordern.“ Wenn es um die Schaffung von Transparenz geht, wenden Führungskräfte gerne ein, dass sie ihre Mitarbeiter nicht mit zu vielen Informationen überfordern möchten und deshalb Informationen nur sehr selektiv weitergeben. > Führen wir uns die möglichen positiven Effekte von Transparenz noch einmal

vor Augen: die Mitarbeiter erhalten wichtige Informationen für die Ausführung ihrer Arbeit mit positiven Effekten für die Effektivität und Effizienz der Aufgabenbearbeitung, das Verständnis für Entscheidungen der Führungskraft kann durch passende Hintergrundinformationen zunehmen, möglicherweise werden Entscheidungen als fairer erlebt, wenn Hintergründe dazu vermittelt werden. Transparenz kann außerdem als ein Zeichen von Vertrauen durch die Führungskraft wahrgenommen werden und motivierend wirken. Darüber hinaus identifizieren sich informierte Mitarbeiter im besten Fall stärker mit ihrem Unternehmen und können Entscheidungen der Geschäftsleitung besser nachvollziehen.

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Wie lässt sich nun das mögliche Problem der Informationsüberflutung in den Griff bekommen? Aus unserer Sicht geht es vor allem darum, wie Informationen aufbereitet werden. Praxistipp

Wie kann ich als Führungskraft erhaltene Informationen für meine Mitarbeiter so aufbereiten, dass sie die Informationen gut verarbeiten können? Wir haben dazu bereits einige Punkte angesprochen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass den Mitarbeitern wichtige Ergebnisse eines Führungsmeetings auf einer Teambesprechung anhand einer Präsentation erläutert werden, oder dass Informationen gesammelt in einer E-Mail vermittelt werden und nicht verteilt auf zehn verschiedene E-Mails zum gleichen Thema. Weitere Beispiele können sein, dass Informationen für einzelne Kolleginnen und Kollegen in Rücksprachemappen oder in Outlookterminen gesammelt werden und dann gebündelt in einer Abstimmung besprochen werden, um die Anzahl an Unterbrechungen zu reduzieren.

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Es gibt eine Reihe an Möglichkeiten Informationen so zu bündeln und auf verschiedenen Kommunikationswegen so zu vermitteln, dass Überforderung vermieden wird. Fallbeispiel Nehmen wir beispielsweise eine Führungskraft, die an einer Konferenz in der Zentrale teilgenommen hat und im Nachgang ihr Team informieren möchte. Auf der Konferenz wurden insgesamt 200 Folien gezeigt. Daraus wählt die Führungskraft nun 170 Folien aus, die sie ihren Mitarbeitern in einer Besprechung von drei Stunden vorstellt. Dabei liest sie ihren Mitarbeitern die Folien vor und ergänzt noch die ein oder andere Information. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Mitarbeiter nach diesen drei Stunden ganz schön mit Themen überflutet fühlen. Im konkreten Fall wäre es vielleicht alternativ möglich gewesen, einen Teil der Folien vorab an alle Teammitglieder zu vermailen mit der Bitte diese anzuschauen und Fragen in die Besprechung mitzubringen. In der Besprechung selbst, hätte die Führungskraft sich auf die wichtigsten Themen beschränken (vielleicht 30 Folien) und vor allem auf Fragen der Mitarbeiter eingehen können. Womöglich wäre es so gelungen, dass die wichtigsten Themen besonders viel Aufmerksamkeit bekommen und durch mehr Interaktion die gegebenen Informationen besser verarbeitet und damit besser behalten und weiter genutzt werden können.

All diese Überlegungen setzen voraus, dass die Führungskraft die Aufbereitung und Vermittlung von Informationen als wichtige Aufgabe versteht und sich Zeit für diese Aufgaben einräumt. Eine Führungskraft kann es sich zur Gewohnheit machen, sich nach Meetings oder bei Erhalt von Protokollen und Newslettern zu überlegen, für welche Mitarbeiter welche Informationen wichtig sind und auf welchem Kommunikationskanal diese gut vermittelt werden können. > Im Zweifelsfall plädieren wir dafür eher mehr als weniger Informationen

weiterzugeben.

Natürlich ist die Frage wichtig, welche Informationen für die Mitarbeiter relevant sind. Diese Frage kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Wir raten davon ab, dass die Führungskraft alle erhaltenen Informationen einfach eins zu eins weitergibt, sondern sich als Informationshändler versteht, der die Informationen so für seine Kunden, also seine Mitarbeiter, aufbereitet, dass sie Nutzen aus den erhaltenen Informationspaketen ziehen können. Ich sehe Informationen als eine Art Machtinstrument.

„Wenn ich mehr als meine Mitarbeiter weiß, dann hilft das meine Position als Führungskraft abzusichern.“ Wie bereits angedeutet, berührt der Umgang mit Informationen das Selbstverständnis als Führungskraft. Wir wollen nicht ausschließen, dass Führungskräfte Informationen auch als Machtinstrument nutzen, um ihre Position im Team abzusichern. Möglicherweise nicht so bewusst und in der von uns sehr zugespitzt formulierten Form.

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Dem läge dann die Haltung zugrunde, dass es der eigenen Stellung in der Gruppe dient, mehr Informationen als die Mitarbeiter zu haben, also einen Informationsvorsprung, den es zu halten gilt. Möglicherweise werden auch einzelne Mitarbeiter selektiv informiert, vielleicht auch um andere wichtige Informationen aus dem Team im Sinne eines Austauschgeschäfts zu erhalten. Diese Art von Informationshandel ­meinen wir nicht, wenn wir von der Führungskraft als Informationshändler sprechen. Wir halten es vielmehr für wichtig, als Führungskraft darüber nachzudenken, ob alle Mitarbeiter in ähnlicher Weise und umfassend informiert werden können. Wir sollten unsere Einstellungen selbstkritisch prüfen und hinterfragen, wie stark wir dazu neigen Informationen unangemessen zu verteilen. Das muss mir als Führungskraft nicht immer bewusst sein. Denkbar wäre beispielsweise, dass eine Führungskraft zu einem Mitarbeiter einen schlechteren Draht hat, ihm der Mitarbeiter nicht so sympathisch ist und er in der Folge weniger im Austausch mit dem Mitarbeiter ist. So wird der Mitarbeiter möglicherweise von Informationen ausgeschlossen, ohne dass dies der Führungskraft richtig bewusst ist. Mut zu Informationstransparenz. 5 Wie offen gehe ich in meinem Team mit Informationen um, die nicht vertraulich sind? Wie leicht fällt es mir Informationen umfassend weiterzugeben? 5 Werden einzelne Teammitglieder von Informationen ausgeschlossen? Weshalb? Wie kann das verändert werden?

Ich bin mir unsicher, was ein gutes Maß an Arbeitsteilung sein kann.

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„Bei uns im Unternehmen werden die Arbeitsstellen immer spezialisierter. Ist das gut mit Blick auf die Aufgabenvielfalt?“ Unternehmen können ohne Arbeitsteilung nicht existieren. Durch Arbeitsteilung soll sichergestellt werden, dass die Mitarbeiter nicht durch zu umfangreiche und zu komplexe Aufgaben überfordert werden und möglichst gut nach ihren Fähigkeiten und Interessen eingesetzt werden können. Ein Verkäufer, der auch noch seine Rechnungen schreibt, die Qualitätsprüfung übernimmt und die Ware selbst ausliefert, hat sicher sehr vielfältige und vollständige Aufgaben, dennoch würde man die Stelle eines Verkäufers kaum so ausgestalten. Es ist unwahrscheinlich, dass er alle Arbeitsschritte gut beherrschen und in der zur Verfügung stehenden Zeit bearbeiten kann. Aus den genannten Gründen ist es sinnvoll Arbeitsteilung vorzunehmen. Die Organisation von Arbeitsteilung ist eine wesentliche Leistung der Organisationsform Unternehmen. Im besten Fall macht dann jeder, was er gut kann und auch gerne macht und leistet so seinen Beitrag zum großen Ganzen. Wir wollen an dieser Stelle dafür sensibilisieren, dass es auch ein Zuviel an Arbeitsteilung geben kann. > Wir plädieren für so viel Arbeitsteilung wie nötig und so viel vielfältige und

vollständige Aufgaben wie möglich.

Daraus ergibt sich auch für jede Führungskraft ein interessantes Spannungsfeld. Wie viel Arbeitsteilung ist in meinem Verantwortungsbereich sinnvoll? Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten. Es ist wichtig sich differenziert im Austausch mit seinen Mitarbeitern damit zu beschäftigen.

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Impulsfragen zur Reflexion der Aufgabenvielfalt. 5 Als wie vielfältig und vollständig erleben meine Mitarbeiter ihre Aufgaben? 5 Ist der Spezialisierungsgrad der Tätigkeiten mit Blick auf Vielfalt und Vollständigkeit angemessen? 5 Wünschen sich meine Mitarbeiter mehr oder weniger Spezialisierung? 5 Welche Veränderungen können wir, zum Beispiel auch zeitweise, erproben? 5 Wie kann ich Aufgaben so im Team verteilen, dass jeder Mitarbeiter seine Aufgaben als vielfältig und vollständig wahrnehmen kann?

Ich erteile als Führungskraft zu leichtfertig weniger wichtige Arbeitsaufträge.

„Es wäre super, wenn Sie mir noch schnell diese Auswertung machen könnten. Vielleicht kann ich die noch brauchen.“ Mal ehrlich: Wie oft erteilen Sie Aufträge, deren Ergebnisse dann nicht genutzt werden? Wie bereits angesprochen ist es höchst schädlich für die Motivation von Mitarbeitern, wenn sie den Eindruck haben, für den Papierkorb zu arbeiten. Wenn also der Eindruck entsteht, dass die bearbeiteten Aufgaben nicht wichtig sind. Dieser Eindruck kann, auch aus Unachtsamkeit, schnell entstehen. Unabhängig von der Frage der Motivation ist es natürlich die Aufgabe einer jeden Führungskraft dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitszeit der Mitarbeiter nicht mit unwichtigen Aufgaben verschwendet wird. Wir möchten auf zwei wichtige Punkte kurz eingehen. Übertrage ich neue Aufgaben wirklich nur dann, wenn ich von deren Nutzen wirklich überzeugt bin? Kann ich diesen Nutzen mit stichhaltigen Argumenten begründen? Stiftet diese Aufgabe wirklich Nutzen für unser Unternehmen? Ist dieser Nutzen hinreichend groß? Am besten größer als der Nutzen von Aufgaben, die im Moment vom betreffenden Mitarbeiter bearbeitet werden. Was ist wertvoller als die Arbeitszeit, der mit anvertrauten Mitarbeiter? Es ist eine meiner wichtigsten Aufgaben als Führungskraft dafür Sorge zu tragen, dass die kostbare Zeit meiner Mitarbeiter möglichst sinnvoll für mein Unternehmen genutzt wird. Überprüfe ich immer wieder, was die Arbeitsergebnisse meiner Mitarbeiter tatsächlich bringen? Wie werden sie von nachfolgenden Abteilungen tatsächlich genutzt? Wie werden sie von mir tatsächlich genutzt? Welchen Beitrag leisten sie zur Erreichung der Unternehmensziele? Es ist wichtig, dass ich die Aufgaben meiner Mitarbeiter immer wieder auf den Prüfstand stelle, um Aufwand und Nutzen sorgsam abzuwägen. Ich standardisiere zu stark.

„Wir standardisieren unsere Prozesse immer mehr, sodass die Handlungsspielräume und Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen Mitarbeiters immer mehr abnehmen.“ Ähnlich wie bei der Gestaltung von vielfältigen und vollständigen Aufgaben verhält es sich mit der Standardisierung von Arbeitsprozessen und dem Schaffen von Freiheitsgraden. Standardisierung ist wichtig, um sichere Prozesse zu schaffen, Fehler zu vermeiden und die Qualität der Arbeitsergebnisse möglichst gleichbleibend hoch zu

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halten. Bei maximaler Standardisierung gehen die Freiheitsgrade jedoch gegen Null. Wenn für jeden Arbeitsschritt exakt definiert ist, wie er erledigt werden soll, dann hat das nichts mehr mit Freiheit zu tun. Der Mensch wird quasi zur Maschine, die genau definierte Arbeitsschritte immer in gleicher Weise erledigt. Bestimmte Arbeitsstellen lassen sich kaum anders gestalten. Auch wenn im besten Fall immer stärker Maschinen solche monotonen Abläufe übernehmen. Was kann ich als Führungskraft tun, wenn in meinem Verantwortungsbereich stark standardisiert gearbeitet wird und in der Folge Monotonie droht? Dabei sollten wir die negativen Konsequenzen nicht unterschätzen. Wenn Mitarbeiter nur noch durch die bevorstehende Mittagspause motiviert werden und ansonsten die Minuten abstreichen, dann hat das wenig mit guter Arbeit zu tun. Wie kann ich als Führungskraft auch in solchen Situationen wieder mehr Freiheitsgrade schaffen? Kann ich meine Mitarbeiter beispielsweise für die Erstellung von notwendigen Standards für Arbeitsschritte und für Verbesserungen der bestehenden Arbeitsprozesse einbinden? Es macht einen deutlichen Unterschied, ob Standards und der Ablauf von Arbeitsprozessen von den Führungskräften vorgegeben werden oder ob es Möglichkeiten der Beteiligung gibt. Möglicherweise gibt es bei der Erledigung der Aufgaben Erfahrungswerte im Team, die im Sinne von best practice genutzt werden können. Das Team entwickelt für seine Kernaufgaben möglichst effiziente Prozesse und passt diese eigenverantwortlich an Veränderungen an. Gibt es regelmäßige Abstimmungen im Team zu Verbesserungsbedarf bei der Arbeit, zum Beispiel zur Senkung der Fehlerquote oder Verbesserung der Arbeitsplatzergonomie? Wie stark werden da die Ideen der Mitarbeiter genutzt? Womöglich gibt es auch Sonderprojekte in Ergänzung zur normalen Tagesarbeit, in denen die Mitarbeiter ihre Ideen einbringen können und Gestaltungsmöglichkeiten erfahren. Rotationen, bei denen Mitarbeiter in einem gewissen Zyklus den Arbeitsplatz mit Kollegen tauschen, können eine weitere Alternative sein. Womöglich gibt es auch besondere Funktionen, wie die Tätigkeiten als Key User für bestimmte Aufgaben, als Mentor zur Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen oder die Ausbilderfunktion zur Betreuung von Auszubildenden. Vielleicht lassen sich auch wöchentliche Schulungen nach dem Motto „Von Kollegen für Kollegen“ etablieren, in denen die Kollegen sich gegenseitig schulen. Die Vorbereitung, Umsetzung und Nachbereitung der Schulungen kann dann eine Anreicherung des Aufgabenpakets darstellen. Auch übergreifende Innovationsteams, in denen Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Abteilungen an der Entwicklung und Umsetzung neuer Ideen arbeiten, kann ein wertvoller Beitrag zur Anreicherung von Tätigkeiten sein. Dabei kann es um Produkt- oder Prozessinnovationen gehen, aber auch um Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, des Wissensmanagements, der Zusammenarbeit zwischen Bereichen und andere Themen mehr. Wenn es in meinen Unternehmen solche Angebote gibt, wie stark nutze ich dieses Instrument für mein Team? Wie stark nutze ich heute schon die anderen ­Instrumente? In der Praxis ist es nicht einfach einen guten Mittelweg aus Standardisierung und der Schaffung von Freiheitsgraden zu finden. Sicher hat auch nicht jeder Mitarbeiter die gleichen Bedürfnisse. Für manche Mitarbeiter mögen geringere Freiheitsgrade auch passend sein. Wir sollten uns als Führungskräfte jedoch nicht vorschnell mit der

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Entschuldigung zufriedengeben, dass nichts veränderbar sei und die Mitarbeiter das auch gut fänden. Wir werben für eine regelmäßige kritische Reflexion. Impulsfragen zur Reflexion des Umfangs an Aufgabenstandardisierung. 5 Ist eine Standardisierung der Arbeitsschritte sinnvoll, weil es Vorgehensweisen gibt, die anderen klar überlegen sind oder die Einhaltung von klar definierten Arbeitsschritten für die Qualität des Produkts, beziehungsweise der Dienstleistung, oder zum Beispiel die Sicherheit der Beschäftigten wichtig ist? 5 Ist eine weitere Standardisierung nicht angezeigt, weil Erfahrungswerte zeigen, dass die Fehlerquote gering ist, beziehungsweise nicht verbessert werden muss? 5 Gibt es Alternativen die Aufgabe auszuführen, wobei keine Alternative klar überlegen ist? 5 Ist die Standardisierung der Arbeitsschritte und deren laufende Aktualisierung eher einfach oder aufwendig? 5 Ist es bei bestimmten Aufgaben sinnvoller auf die Erfahrung und Intuition der Mitarbeiter zu setzen und weniger auf einen standardisierten Prozess?

Fazit: Menschen sind (zum Glück) keine Maschinen, deren Arbeit sich unter Effizienzund Effektivitätsgesichtspunkten durch Standardisierung immer weiter optimieren lässt. So viel Standardisierung wie nötig und so viel Freiheitsgrade wie möglich, muss aus unserer Sicht die Richtschnur sein. Davon unabhängig bleibt die Automatisierung und Digitalisierung in der Arbeitswelt zur Vermeidung von monotonen Tätigkeiten für die Mitarbeiter weiter ein wichtiger Ansatz, um monotone Aufgaben möglichst vom Menschen weg zu delegieren. Ich mache mir Sorgen, dass Freiheiten von meinen Mitarbeitern ausgenutzt werden.

„Werden Freiheiten von den Mitarbeitern nicht ausgenutzt? Bei zu viel Freiheit, macht doch jeder was er will. Das geht doch nicht.“ Da ist zunächst die Frage wichtig, was mit der Ausnutzung von Freiheiten gemeint ist? Nehmen wir einmal an, dass Mitarbeiter eigenverantwortlich entscheiden dürfen, wie lange sie an welchen Aufgaben arbeiten, vielleicht auch welche Aufgaben sie früher angehen und welche zu einem späteren Zeitpunkt. Nehmen wir an, dass die Mitarbeiter dabei auch eigenverantwortlich Pausen machen können. Nehmen wir weiterhin an, dass Arbeitsbeginn und Arbeitsende sowie Arbeitspausen nicht zentral erfasst werden, sondern die Mitarbeiter im Rahmen von Vertrauensarbeitszeit ihre Zeit sehr frei gestalten können. Das Ausnutzen von Freiheitsgraden könnte dann bedeuten, dass sehr viele und sehr lange Pausen gemacht werden oder dass nur Lieblingsaufgaben bearbeitet werden und weniger attraktive Aufgaben schlecht oder gar nicht angegangen werden. Möglicherweise wird auch Arbeitszeit verbummelt durch ausufernde private Gespräche mit Kollegen. Dem müssen keine „böswilligen“ Entscheidungen des Mitarbeiters zugrunde liegen, sondern sich ablenken zu lassen oder Aufgaben aufzuschieben ist ein durchaus menschliches Phänomen. Was kann ich als Führungskraft tun? Welche Ansatzpunkte kann es geben?

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Anregungen zur Vermeidung der Ausnutzung von Freiheiten durch meine Mitarbeiter. 5 Wie gut sind meine Mitarbeiter zur Gestaltung einer guten Arbeitsorganisation ausgebildet? Welche Strategien kennen und nutzen sie (z. B. eigenverantwortliche Erstellung von Tagesplänen, Entwicklung wirksamer Ziele)? 5 Wie wirke ich als Vorbild beim Thema Arbeitsorganisation? Welche Standards lebe ich vor? 5 Wie klar haben wir von Anfang an die gegenseitigen Erwartungen zur Priorisierung von Aufgaben, zu Rückmeldungen bei Verzögerungen, zur Gestaltung von Pausen besprochen? Wird das von mir als Führungskraft zum Beispiel in halbjährlichen Personalgesprächen zum Thema gemacht? 5 Wie oft stimmen wir uns zu Arbeitsfortschritten und erzielten Ergebnissen ab? Wie konkret sind unsere Vereinbarungen und wie konsequent verfolgen wir diese miteinander nach? 5 Wie transparent gehen wir bei unserer Arbeit miteinander um (z. B. gegenseitiger Kalenderzugriff)? 5 Wie oft verschaffe ich mir durch gemeinsames Arbeiten einen Einblick in die tägliche Arbeit meiner Mitarbeiter und kann so die Arbeitsauslastung und Zeitnutzung gut einschätzen?

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Eine Führungskraft, die irgendwann feststellt, dass ihre Mitarbeiter die Arbeitszeiten nicht einhalten, zu lange Pausen machen, Arbeitszeit verbummeln, Aufgaben nicht erledigen etc. hat es sich über Monate, oder gar über Jahre hinweg, zu leicht gemacht. Sie ist ihrer Funktion als Führungskraft unzureichend nachgekommen. Wie ist es ihr „gelungen“, diesen Zustand herbeizuführen? Was hat sie in der Vergangenheit getan oder nicht getan, damit sich die Mitarbeiter heute so verhalten? Eine Führungskraft, die die sechs genannten Ansatzpunkte gut nutzt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die skizzierten Probleme nicht haben. Wer sich als Führungskraft „plötzlich“ von Mitarbeitern umgeben sieht, die mit Freiheitsgraden nicht (mehr) gut umgehen können, muss dringend bei ihrem eigenen Verhalten ansetzen und bei sich beginnend die Teamkultur zum Umgang mit Freiheitsgraden in eine andere Richtung lenken. Die skizzierten Bereiche können dabei als Richtschnur dienen. > Freiheiten geben zu wollen, darf nicht bedeuten, dass ich als Führungskraft in

einen „laissez-faire“-Stil verfalle. Da muss ich mich selbst und mein Team immer wieder kritisch beobachten.

Wer sich als Führungskraft für hohe Freiheitsgrade entscheidet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ganze Reihe an positiven Effekten bekommen: höhere Mitarbeiterzufriedenheit, stärkeres Engagement und stärkere Bindung, gesündere Mitarbeiter etc. Auf der anderen Seite wird eine Führungskraft, die sich für hohe Freiheitsgrade entscheidet, dafür auch einen Preis bezahlen müssen. Den Preis, dass mit den Freiheiten anders umgegangen wird, als die Führungskraft sich das wünscht. Doch was ist die Alternative? Natürlich könnte eine Führungskraft auch versuchen mit jedem Mitarbeiter jeden Tag über seinen Tagesplan zu sprechen und die Einhaltung im Verlauf des Tages zu beobachten.

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Impulsfragen zur täglichen Reflexion der Arbeit des Mitarbeiters. 5 Was hast du heute alles vor? 5 Wie viel Zeit möchtest du für welche Aufgabe aufwenden? 5 Hast du alles geschafft was du dir vorgenommen hast? 5 Weshalb ist dir diese Aufgabe wichtiger als die andere Aufgabe? 5 Weshalb ist dir dieser Termin wichtig? 5 Wie bist du bei deinen Aufgaben konkret vorgegangen?

Im Rahmen der Ausbildung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter können solche Fragen sehr hilfreich sein und als ein Zeichen von Interesse und Unterstützung wahrgenommen werden. Da sind diese Ansatzpunkte richtig platziert. Bei erfahrenen Mitarbeitern wird eher das Gegenteil der Fall sein. Sicherlich erhöht dieses Vorgehen die Wahrscheinlichkeit, dass an den vereinbarten Aufgaben gearbeitet wird und mit Pausenzeiten im Sinne der Führungskraft umgegangen wird. Diese Art von Führung ist jedoch äußerst aufwendig und kann nach der Phase der Ausbildung und Einarbeitung mit einer Reihe von Nebenwirkungen einhergehen, weil sich die Mitarbeiter kontrolliert und in ihren Freiheitsgraden eingeschränkt fühlen: geringere Zufriedenheit, Zurückhaltung eigener Ideen, weniger Selbstständigkeit, etc. Diese Form der Kontrolle hat einen enormen Preis. Aus unserer Sicht ein zu hoher Preis im Vergleich zur Alternative. Wir haben sechs Ansatzpunkte beschrieben und in diesem Abschnitt die Bedeutung von Ausbildung und Einarbeitung hervorgehoben. Diese Ansätze reduzieren die Wahrscheinlichkeit von Fehlentwicklungen. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass jede Führungskraft, die sich für hohe Freiheitsgrade in der Führung entscheidet, auch einen Preis dafür zahlen muss, der sich nicht vermeiden lässt. Wie beschrieben, schließt die Schaffung von Freiheitsgraden natürlich nicht aus, dass über Ziele, anstehende Aufgaben und deren Umsetzung auch mit erfahrenen Mitarbeitern gesprochen wird. Es bleibt eine wichtige Führungsaufgabe mit jedem Mitarbeiter Ziele zu vereinbaren und regelmäßig über den Stand der Zielerreichung zu sprechen. Die Auflösung fest gefügter hierarchischer Abstimmungs- und Entscheidungswege erlebe ich als große Herausforderung.

Eine besondere Herausforderung kann für Führungskräfte auch die Auflösung fester hierarchischer Strukturen mit klar geregelten Informations- und Entscheidungswegen sein. Mitarbeiter werden in einem Projekt von einem Projektleiter fachlich geführt oder leiten selbst ein Projekt, bleiben allerdings Teil eines Teams mit einer Führungskraft, die sie fachlich mit Blick auf andere Aufgaben führt und die disziplinarische Verantwortung trägt. Mitarbeiter berichten bei bestimmten Aufgaben direkt an höhere Hierarchieebenen und bekommen direkt von dort Anregungen, teilweise auch Arbeitsaufträge. Mitarbeiter sind Teil mehrerer Teams oder Ressorts. Führungskräfte, auch höchster Hierarchieebenen, geben Entscheidungskompetenz an Experten ab. Mitarbeiter führen mit verschiedenen Strategien „von unten“, indem sie beispielsweise ihre Führungskräfte beraten. Diese Komplexität und diese Form von Freiheit erleben heute viele Führungskräfte in ihren Organisationen.

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Kapitel 12 · Handlungsfeld: Motivierende Aufgabengestaltung

Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass sich Gespräche zwischen Mitarbeitern und Führungskraft vor allem zu beratenden Gesprächen entwickeln und die Führungskraft lediglich Empfehlungen ausspricht und die letzte Entscheidung beim Mitarbeiter belässt. Das heißt auch, dass gut abgesprochen werden muss, wer Arbeitsergebnisse und offene Fragen in Führungsgremien oder in Abstimmungen mit anderen Führungskräften einbringt. Dies kann auch dazu führen, dass der Mitarbeiter hoch eigenverantwortlich mitentscheidet welche Aufgaben er von welchen Führungskräften übernimmt und sein Aufgabenpaket damit hoch eigenverantwortlich selbst steuert. Wer dann als Führungskraft Sorge hat, dass er irgendwann nicht mehr gebraucht wird, den möchten wir daran erinnern, dass dann im besten Fall mehr Zeit für originäre Führungsaufgaben bleibt: sich über Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten für seine Mitarbeiter Gedanken machen, von außen kommende Aufgaben priorisieren und mit dem Team besprechen, Teambesprechungen durchführen, sich Gedanken zur Ausrichtung des eigenen Verantwortungsbereichs an der Unternehmensstrategie machen, zukünftige Entwicklungen antizipieren und Schlussfolgerungen für den eigenen Verantwortungsbereich daraus ableiten, sich um Konflikte im Team kümmern, sich für gut begründete Leistungsprämien für Leistungsträger im Team einsetzen, eigene Projekte operativ vorantreiben, die sinnvoll sind und Spaß machen … Diese Aufzählung ist natürlich nur eine kleine Auswahl. Allein damit lässt sich eine Arbeitswoche gut füllen. Selbst wenn eine Führungskraft von hoch eigenverantwortlich und frei arbeitenden Experten im Team umgeben ist, bleibt noch genug zu tun – vorausgesetzt ich definiere meine Führungsrolle, so wie wir dies hier skizzieren. Es fällt mir schwer, ein gutes Maß an „Kontrolle“ zu finden.

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„Als Führungskraft sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, meine Leute zu kontrollieren. Ich möchte doch nicht als Polizist fungieren.“ „Wenn meine Mitarbeiter, nicht das Gefühl haben, dass ich ständig alles kontrolliere, dann tun sie auch nichts. Also ist Kontrolle meine Hauptaufgabe.“ Beide Einstellungen halten wir für wenig hilfreich. Gutes Feedback im oben beschriebenen Sinne ist für uns der vernünftige Mittelweg. > Es ist die Aufgabe von Führungskräften mit ihren Mitarbeitern über die

Fortschritte bei ihren Aufgaben zu sprechen, gemeinsam nach Lösungen für auftretende Probleme zu suchen, sich gegenseitig zu beraten, gemeinsam zu Entscheidungen zu kommen. Feedback zu geben ist wichtiger Teil der Führungsaufgabe.

Wir sprechen ganz bewusst von Feedback und nicht von Kontrolle, weil wir mit dem Begriff „Kontrolle“ nicht richtig ausdrücken können, um was es uns geht. Um was geht es uns denn? Es geht uns um Feedback auf Augenhöhe: Was ist meine Meinung zum Vorgehen des Mitarbeiters? Wie schätze ich die bisherigen Ergebnisse ein? Wie schätzt mein Mitarbeiter die Ergebnisse ein? Was braucht er noch an Unterstützung? Welche Fehler sind aufgetreten und was kann er oder ich als Führungskraft daraus lernen? Wenn diese Fragen in einem wertschätzenden Klima besprochen werden, dann fühlt sich der Mitarbeiter nicht kontrolliert, im Sinne von Überwachung und Gängelung, sondern unterstützt bei der Bearbeitung seiner Aufgaben.

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> Mit welcher Grundhaltung gehe ich auf meine Mitarbeiter zu? Schenke ich

meinen Mitarbeitern Vertrauen? Mitarbeiter merken einen Unterschied zwischen Feedback auf der Basis von Vertrauen oder Kontrolle auf der Basis von Misstrauen. Der Satz „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, ist für wirksame und gesunde Führung wenig hilfreich.

Wer seinen Mitarbeitern nicht mit Vertrauen begegnen kann, der kann nicht im Sinne der Überlegungen führen, die wir in unserem Buch beschreiben. Es geht gerade nicht darum durch Kontrollmechanismen ein Klima von Druck und Unsicherheit zu erzeugen, sondern auf der Basis von Vertrauen so Feedback zu geben, dass die Freude an der Arbeit und die Freude an Leistung und der Erreichung der Ziele gefördert wird. Das heißt nun gerade nicht, dass Fehler unter den Tisch gekehrt werden sollen. Eine ehrliche Führungskraft spricht Fehler an, sagt klar, was sie sich an Verbesserungen wünscht, erarbeitet gemeinsam mit dem Mitarbeiter Lösungen. Es macht aber einen deutlichen Unterschied, ob Fehler auf der Basis von Vertrauen oder von Misstrauen angesprochen werden. Wer nicht vertrauen kann, sollte nicht führen wollen. Fazit 5 Womöglich denken Sie sich: „Meine Leute kann ich doch nicht motivieren, sie müssen doch aus sich selbst heraus motiviert sein.“ Ja, intrinsische Motivation ist wichtig und nein, Sie können einen wesentlichen Beitrag zur Motivation Ihrer Mitarbeiter leisten. Was gehört zu motivierender Aufgabengestaltung dazu? Beschäftigen Sie sich mit den Themen: Transparenz, Vielfalt, Vollständigkeit, Wichtigkeit, Freiheitsgrade und Feedback. In diesen sechs Themenfeldern liegen wichtige Einflussfaktoren für die Motivation Ihrer Mitarbeiter. 5 Lassen Sie Ihre Mitarbeiter vor allem nicht für den Papierkorb arbeiten! Arbeiten meine Mitarbeiter wirklich an den wichtigsten Themen? Stehen Aufwand und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis? Diese Fragen können Sie sich als Führungskraft nicht oft genug stellen. Kaum etwas motiviert mehr, als an einer wirklich wichtigen Aufgabe zu arbeiten. 5 Wenn heute viel über agiles arbeiten gesprochen wird, dann sind Freiheitsgrade eine wichtige Voraussetzung dafür: Gebe ich als Führungskraft Freiheiten in mein Team und an jeden einzelnen Mitarbeiter? 5 Sprechen Sie mindestens einmal pro Halbjahr mit jedem Ihrer Mitarbeiter darüber, wie gut die Aufgaben für den Mitarbeiter passen: Erlebt Ihr Mitarbeiter seine Aufgaben als vielfältig, als vollständig? Kann er seine Kompetenzen gut einbringen und weiterentwickeln? Wie gut fühlt sich Ihr Mitarbeiter informiert? 5 Nehmen Sie sich in Ihrer Führungsarbeit Zeit für wertschätzendes und ehrliches Feedback. Beschreiben Sie konkret, was Ihr Mitarbeiter gut macht und besprechen Sie Verbesserungsmöglichkeiten. Für beides ist Ehrlichkeit wichtig. Ihr Mitarbeiter hat ehrliche Anerkennung und ehrliche Hilfestellung zur Verbesserung verdient. Dabei kann Feedback auch manchmal schmerzhaft sein. Das gehört dazu und müssen Sie beide aushalten. Wichtig ist die Haltung dahinter: Ich möchte als deine Führungskraft, dass du dich verbessern und entwickeln kannst! Wie schaffen wir das?

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Handlungsfeld: Teamkoordination

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_13

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„Ich arbeite als Führungskraft recht chaotisch. Da ich mehr für die strategischen Themen zuständig bin, fällt das nicht so ins Gewicht.“ Grundsätzlich falsch. Gute Selbstorganisation ist ein zentraler Schlüssel für gute Teamkoordination und das wiederum ist ein wichtiger Baustein für Leistung und Gesundheit. Wer seine Arbeitsweise als chaotisch wahrnimmt, sollte gerade nicht Führungsverantwortung übernehmen. Wenn Sie bei sich selbst als Führungskraft solche Tendenzen wahrnehmen, dann möchten wir Sie sehr dazu ermutigen einmal über die Wirkungen nachzudenken: Mitarbeiter, die vergeblich auf wichtige Rückmeldungen warten und in ihrer Arbeit blockiert werden, Termine, die nicht eingehalten werden können, unklare Aufgabenverteilung etc. Negative Wirkungen für Leistung und Gesundheit liegen auf der Hand. Deshalb: Wer als Führungskraft Baustellen in der Selbstorganisation und Teamkoordination wahrnimmt, sollte mit hoher Priorität an Verbesserungen arbeiten.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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Martin hat sich heute für den Nachmittag vorgenommen an einem anspruchsvollen Angebot für seinen Kunden zu arbeiten. Deswegen hat er sich bewusst keine Termine am Nachmittag eingeplant. Mit großem Eifer macht er sich ans Werk. Kaum hat sich Martin in seine Aufgabe vertieft, ruft ihn sein Chef an, um ihn zu fragen, wie weit er mit dem Angebot für den Kunden schon gekommen ist. Es vergeht keine weitere halbe Stunde und Martins Chef meldet sich wieder, um ihm noch schnell einige Anregungen zu einem anderen wichtigen Projekt zu geben. Im Laufe des Nachmittags meldet sich Martins Chef noch dreimal, um seinem Mitarbeiter Anregungen zu geben und Themen abzustimmen. Martins Chef findet es richtig gut, dass er seinen Mitarbeiter heute so gut erreichen kann: „Da können wir doch schnell mal einige Punkte klären.“ Auch der Azubi in Martins Abteilung nutzt die Gelegenheit und schaut alle halbe Stunde einmal vorbei, unabhängig davon, ob er nun eine Frage hat oder nicht. Er unterhält sich einfach gerne mit Martin. Durch die häufigen Unterbrechungen hat Martin leider nicht so viel an dem Angebot für seinen Kunden arbeiten können, was ihn ziemlich stresst. Jede Unterbrechung reißt ihn aus seiner Aufgabe heraus, er muss sich Notizen zu den neu erhaltenen Informationen machen und benötigt jeweils immer einige Minuten, um sich wieder in seine eigentliche Aufgabe einzufinden. Er hat sich den Nachmittag wirklich anders vorgestellt. Leider ist dieser Nachmittag kein Einzelfall, sondern ein typisches Beispiel. Martins Chef hat oft viele Fragen und Ideen, die er gerne unmittelbar bespricht und gerade auch die Auszubildenden und Praktikanten kommen sehr gerne für ein Gespräch vorbei. Doch Martin macht noch andere Erfahrungen, die seine Arbeit erschweren. Sein Chef verteilt neue Aufgaben gerne in Teambesprechungen. Dabei wird nicht lange gefragt, wer Zeit und Interesse hat. Die Aufgabenverteilung klappt auf diesem Weg zwar sehr zügig, allerdings haben einige Teammitglieder das Gefühl, dass sie deutlich mehr neue Aufgaben bekommen als andere Teammitglieder. Sie erleben das als unfair und fühlen sich zumindest teilweise überfordert. Sie haben den Eindruck, dass ihr Chef bei seinen 10 Mitarbeitern keinen so guten Überblick besitzt, wer wirklich wie viel zu tun hat. Immer wieder kommt es auch vor, dass zwei Kollegen die gleiche Aufgabe bekommen

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und dann nicht so genau wissen, wer sich um was kümmern soll. Teilweise entstehen so auch Doppelarbeiten. Oft ist dann auch nicht ganz klar, was genau zu tun ist, wenn ein Arbeitsauftrag in einer Teambesprechung ohne genauere Erklärungen erteilt wird und keine Zeit zum Nachfragen bleibt, weil sich gleich der nächste Agendapunkt anschließt.

Martin wird bei seiner Arbeit immer wieder von seinem Chef und anderen Personen unterbrochen. Das ist für ihn normal. Es kommt vor, dass Führungskräfte ihre Mitarbeiter unterbrechen, ohne dass dies wirklich notwendig ist. Natürlich passiert das auch in die andere Richtung. Beides ist für gesundes und produktives Arbeiten nicht hilfreich. Besprechungspunkte werden nicht gesammelt, sondern einzeln adressiert, obwohl es auch möglich wäre, mehrere Punkte in einer vereinbarten Abstimmung zu behandeln. Es liegt auf der Hand, dass häufige Unterbrechungen zu Stresserleben bei den Mitarbeitern, aber auch bei den Führungskräften führen können, und darüber hinaus schlecht für die Produktivität sind. Manche Führungskräfte verstehen unter „management by walking around“, dass sie alle Stunde am Schreibtisch ihrer Mitarbeiter stehen, um Themen zu besprechen. Mit Blick auf die Arbeitseffizienz kann das fatale Folgen haben. > Doch Führungskräfte tragen nicht nur Verantwortung dafür, ob und wie stark

sie selbst ihre geführten Mitarbeiter von der Arbeit abhalten, sondern auch wie insgesamt die Unterbrechungskultur in ihrem Verantwortungsbereich gestaltet ist, ob also zum Beispiel Arbeitsphasen ohne Unterbrechungen ermöglicht werden.

Darüber hinaus zeigt das Beispiel weitere Problemfelder auf, wie die faire Verteilung von Aufgaben im Team oder die Vermeidung von Doppelarbeit. Teamkoordination hat viele Facetten, die wir nachfolgend mit Blick auf gesunde Führung genauer beleuchten wollen. In unserem Beispiel haben wir sowohl die Interaktion zwischen der Führungskraft und einem einzelnen Mitarbeiter, als auch die Interaktion zwischen der Führungskraft und mehreren Teammitgliedern angerissen. Beides ist aus unserer Sicht unter dem Schlagwort Teamkoordination relevant und schwer voneinander zu trennen. Wir fassen unter Teamkoordination also nicht nur Führungsverhalten, das sich auf mehrere Personen im Team oder das ganze Team bezieht, sondern auch Führungsverhalten, das in erster Linie die Arbeitsorganisation von einzelnen Teammitgliedern betrifft. Wissenschaftlicher Hintergrund

Unterbrechungen bei der Arbeit oder Termindruck gehören für viele Beschäftigte zum Alltag. In Studien der Krankenkassen klagt in der Regel ein erheblicher Anteil der Befragten über Termindruck und Hetze. Zahlreiche Befragungsstudien legen die Schlussfolgerung nahe, dass zeitbezogene Anforderungen eine relevante Quelle für Stresserleben sind. So berichten im Stressreport Deutschland 2012 (Lohmann-Haislah 2012) 60 % der Befragten von häufigen Störungen und Unterbrechungen bei ihrer Arbeit, 26 % berichten häufigen Pausenausfall bei der Arbeit. Auch Zok (2011) berichtet von ähnlichen Belastungsfaktoren, die als Stressor wirken können: Termin- und Leistungsdruck, Störungen oder Unterbrechungen bei

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

der Arbeit, hohes Arbeitstempo, zu große Arbeitsmengen. Bei Gelsema et al. (2006) werden in einer Langzeitstudie mit einem Untersuchungszeitraum von 3 Jahren eine zu große Arbeitsmenge und damit verbundener Zeitdruck als wichtige Stressoren für Krankenschwestern herausgearbeitet. Die Autoren betonen zudem die Bedeutung der Arbeitsorganisation, also die Arbeitsteilung im Team, die Qualität von Abstimmungen, die Festlegung effektiver und effizienter Prozesse und den Informationsaustausch zwischen Abteilungen, für das Stresserleben und die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten. > Arbeitsunterbrechungen, hohes Arbeitsaufkommen, Verschwimmen der Grenzen

von Arbeit und Freizeit, die gleichzeitige Bearbeitung mehrerer Aufgaben sowie eng gesteckte Zieltermine zählen zu aktuellen zeitbezogenen Anforderungen in der Arbeitswelt (vergleiche auch Häfner et al. 2015).

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Solche zeitbezogenen Anforderungen werden auch als mögliche Ursache für Stresserleben bis hin zu psychischen Erkrankungen beschrieben (z. B. Lohmann-Haislah 2012). All diese Aspekte haben etwas mit der Koordination der Arbeit durch die Führungskraft zu tun, wobei nicht übersehen werden darf, dass die beschriebenen Anforderungen sicher nicht alleine von den koordinativen Leistungen der Führungskraft abhängen. Es spielen auch andere Faktoren eine Rolle, die von der direkten Führungskraft nur zum Teil oder womöglich gar nicht beeinflusst werden können, wie zum Beispiel Zielvorgaben höherer Hierarchieebenen. Dennoch trägt die direkte Führungskraft ganz wesentlich Mitverantwortung für solche zeitbezogenen Anforderungen. Darüber hinaus soll gute Teamkoordination dazu beitragen, für die Teammitglieder Rollenklarheit zu schaffen: Was sind meine Aufgaben? Was wird von mir erwartet? Die Schaffung von Rollenklarheit bei der Arbeit und deren Bedeutung für Arbeitszufriedenheit, Stresserleben, bis hin zu psychischen Beschwerden ist spätestens seit den 70iger Jahren Gegenstand psychologischer Forschung und mittlerweile vielfach untersucht mit deutlichen Hinweisen, dass Rollenklarheit für die Mitarbeitergesundheit wichtig ist (Bliese und Castro 2000; Lobban et al. 1998). Die Schaffung von Rollenklarheit, Zielvereinbarungen, die Gestaltung effektiver und effizienter Kommunikationswege haben auch sonst in der Führungsforschung eine lange Tradition. Es gibt dazu eine ganze Reihe an Studien, die die Schlussfolgerung nahelegen, dass solche koordinativen Führungsaufgaben für die Arbeitszufriedenheit und für die Motivation der Geführten beachtliche Relevanz haben (Judge et al. 2004). Die beschriebenen Anforderungen, wie Zeitdruck und Rollenunklarheit, führen nicht zwangsläufig zu negativem Stresserleben und gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sondern hängen in ihrer Wirkung stark von persönlichen Ressourcen ab. Dennoch ist die Frage wichtig, wie durch die Führungskraft solche potenziellen Stressoren vermieden und reduziert werden können, beziehungsweise wie die Führungskraft ihre Mitarbeiter im Umgang damit unterstützen kann. Nachfolgend wollen wir einige Überlegungen dazu anstellen, wie Führungskräfte durch die Art ihrer Teamkoordination einen Beitrag dazu leisten können, dass ihre Mitarbeiter möglichst gesund und auch produktiv arbeiten können. Wie bei allen ­Haltungen und Handlungsfeldern gehen Gesundheit und Leistung auch mit Blick auf die Teamkoordination eng miteinander einher. Dabei geht es im Kern um die Frage, wie es gelingt, dass Überforderungen vermieden werden und die Mitarbeiter

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bei der zeitlichen Gestaltung ihrer Arbeit möglichst viel Selbstkontrolle erleben können. Teamkoordination, wie wir sie verstehen, zielt auf die Schaffung von Rollenklarheit sowie effektiver und effizienter Arbeitsprozesse ab: Was sind meine Aufgaben im Team? Was ist meine Funktion? Welche Ressourcen und Entscheidungskompetenzen gehen damit einher? Wer kümmert sich um was? Wie arbeiten wir mit anderen Abteilungen zusammen? Wie gestalten wir die Arbeitsabläufe möglichst reibungslos? Impulse zur persönlichen Reflexion

Das Eingangsbeispiel veranschaulicht sehr deutlich, dass die Qualität der Teamkoordination für gesunde Arbeit Relevanz hat. Was können wir als Führungskräfte jetzt konkret tun? Es gibt zahlreiche Ansatzpunkte, die wir unter die Überschrift Teamkoordination fassen können, die aus unserer Sicht dazu beitragen, dass Stresserleben verursacht oder doch zumindest verstärkt wird oder auf der anderen Seite gesundes Arbeiten unterstützt wird. Wir unterscheiden dabei vor dem Hintergrund unserer praktischen Erfahrungen sechs Bereiche. Wichtige Ansatzpunkte für effektive und effiziente Teamkoordination. 5 die Gestaltung von Arbeitsaufträgen 5 die Vermeidung von Unterbrechungen 5 die faire Aufgabenverteilung im Team 5 eigene Ansprüche als Führungskraft, die für die Teamkoordination Relevanz haben (z. B. der Anspruch auf jede E-Mail möglichst sofort reagieren zu müssen) 5 die Effizienz der Arbeitsweisen im Team 5 die Gestaltung des Arbeitsvolumens im Team

Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nachfolgend stellen wir diese sechs Bereiche genauer vor. Gestaltung von Arbeitsaufträgen Impulsfragen zur Gestaltung von Arbeitsaufträgen. 5 Wie kritisch hinterfrage ich als Führungskraft meine Arbeitsaufträge? Stehen Aufwand und Nutzen wirklich in einem angemessenen Verhältnis? Ist der Arbeitsauftrag wirklich sinnvoll und auch im Vergleich zu anderen Arbeitsaufträgen jetzt notwendig? Wie klar sind mit jedem Mitarbeiter Ziele besprochen, aus denen sich Prioritäten für die täglichen Arbeitsaufgaben ergeben? 5 Wie klar werden Arbeitsaufträge miteinander besprochen? Ist klar, was bis wann bearbeitet werden soll? Ist klar besprochen, was mir als Führungskraft bei der Bearbeitung wichtig ist? 5 Wie kurz- oder langfristig erteile ich als Führungskraft Arbeitsaufträge? Wie planbar gestalte ich den Arbeitsalltag für meine Mitarbeiter, soweit dies von mir beeinflusst werden kann? Wie langfristig kündige ich Aufgaben an?

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Diese Fragen einmal in aller Ruhe zu durchdenken und auf das eigene Führungsverhalten zu beziehen, kann schon ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Teamkoordination sein. Im Eingangsbeispiel wird beschrieben, dass Martins Chef gerne bei Teambesprechungen Aufgaben verteilt, ohne dass eine genauere Auftragsklärung erfolgt. Es wird schnell ein Auftrag erteilt, für die Teammitglieder ist nicht genau klar, was zu tun ist und manchmal beschäftigen sich auch zwei Personen mit der gleichen Aufgabe. „Oh, das habe ich mir doch ganz anders vorgestellt.“, „Oh, ich brauche diese ganze Präsentation eigentlich doch nicht. Das ist ohne Präsentation viel besser.“, „Jetzt ist mir aufgefallen, dass wir das doch ganz anders machen müssen.“ Solche Aussagen können in einem Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter durchaus fallen. Irgendwie hat in diesen Fällen die Auftragsklärung nicht gut funktioniert. Anscheinend wurde nicht klar genug besprochen, worin der Arbeitsauftrag besteht. Für die Mitarbeiter kann es sehr frustrierend sein, wenn sie umsonst Zeit investiert haben, wenn sie noch einmal von vorne beginnen müssen, wenn wesentliche Teile ihrer Arbeit nicht genutzt werden, wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Führungskraft nicht weiß, was sie möchte. Negatives Stresserleben ist die Folge. Sicherlich können sich im Laufe der Arbeit Änderungen ergeben und das Ergebnis entsteht im Austausch zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Ohne Frage ist das Wechselspiel aus eigenen Ideen des Mitarbeiters und Feedback durch die Führungskraft wichtig und wir werben nicht dafür Aufträge bis ins letzte Detail zu präzisieren. Wenn jedoch wesentliche Arbeitsergebnisse nicht genutzt werden können und grundlegende Veränderungen notwendig sind, dann kann mangelnde Auftragsklärung zu Beginn eine Ursache sein. Wie sorgfältig gehen Führungskräfte mit der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter um? Nicht selten wird in Organisationen von Mitarbeitern über zu viele Aufgaben geklagt. Zu viel soll in der zur Verfügung stehenden Zeit erledigt werden. > Ein erster wichtiger Ansatz, dass es nicht zu ungesundem Stress kommt, ist die

professionelle Gestaltung von Arbeitsaufträgen.

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Per Zuruf oder schnell per E-Mail erhält ein Mitarbeiter einen Arbeitsauftrag, der ihn zwei Tage beschäftigt, um dann zu hören, dass drei Präsentationsfolien eigentlich auch gereicht hätten oder die ganze Sache eigentlich gar nicht so wichtig, womöglich sogar verzichtbar wäre. Arbeitsaufträge klar miteinander zu besprechen erhöht die Produktivität des Teams und reduziert das Stresserleben. Gesundheit und Produktivität stehen dabei keinesfalls in Konflikt zueinander, ganz im Gegenteil. Haben beide Seiten wirklich ein gemeinsames Verständnis des Arbeitsauftrages? Die Führungskraft muss sich genau überlegen, was ihr wichtig ist und dann den Arbeitsauftrag gemeinsam mit dem Mitarbeiter konkretisieren. Führungskräfte, die weit weg sind vom operativen Tagesgeschäft, sollten sehr vorsichtig mit dem schnellen Erteilen von Arbeitsaufträgen umgehen. Vage Arbeitsaufträge können zu negativem Stresserleben beitragen und reduzieren in der Regel die Produktivität. Es sei denn, der Mitarbeiter verfügt über die Kompetenzen und den Entscheidungsspielraum einen vagen Arbeitsauftrag für sich selbst in konkretes Handeln zu übersetzen, ohne dann mit vielfältigen Korrekturen durch die Führungskraft rechnen zu müssen. Nehmen wir einmal an, ein Mitarbeiter erhält den Auftrag für eine Gremiensitzung der Führungskraft ein bestimmtes Thema vorzubereiten. Möglicherweise investiert der Mitarbeiter

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viele Stunden Arbeitszeit, um eine ausgefeilte Präsentation zu erstellen, obwohl in der Sitzung gar keine Präsentationen gezeigt werden, sondern das Thema lediglich fünf Minuten ganz knapp vorgestellt werden soll. Der vage Arbeitsauftrag „bereiten Sie das Thema einmal vor“ kann so zu Frustration und unproduktiver Arbeit führen. Gerade Arbeitsaufträge, die in Führungsgremien entstehen sind dafür besonders anfällig. Wenn 10 Führungskräfte ihre Meinung in einen Arbeitsauftrag einbringen, dann ist die Gefahr groß, dass ein Wirrwarr entsteht, der erst in einen bearbeitbaren Auftrag übersetzt werden muss. Gute Auftragsklärung ist dann umso wichtiger. Praxistipp

„Kümmern Sie sich bitte um die Vorbereitung dieses Kundentermins.“ Ist für den Mitarbeiter klar, was „Kümmern“ konkret bedeutet? Was soll vorbereitet werden? Wie umfassend soll die Vorbereitung sein? Wer soll einbezogen werden? Möglicherweise ist die Ausführung der Aufgabe durch Arbeitsanleitungen klar definiert oder der Mitarbeiter weiß aufgrund seiner Einarbeitung und seiner bisherigen Erfahrungen, was konkret zu tun ist. Gerade bei Aufgaben, die vom Standard abweichen, ist Auftragsklärung jedoch umso wichtiger.

Auftragsklärung bedeutet nicht, dass die Ausgestaltung der Arbeitsaufträge allein Aufgabe der Führungskraft ist. Für viele Tätigkeiten ist es nicht (mehr) ausreichend, dass die Führungskraft Arbeitsaufträge erteilt, sondern dass auch Arbeitsaufträge vom Mitarbeiter selbst entwickelt werden und mit der Führungskraft auf Initiative des Mitarbeiters besprochen werden. Unabhängig davon, ob die Initiative für einen Arbeitsauftrag vom Mitarbeiter oder von der Führungskraft ausgeht, wichtig ist, dass ein gemeinsames Verständnis des Auftrags hergestellt wird. Nehmen wir einmal an, ein Mitarbeiter möchte einen Arbeitsprozess vereinfachen: Wird das von der Führungskraft ebenfalls als wichtig angesehen? Gibt es Prozessschritte, die aus Sicht der Führungskraft in der bisherigen Form unbedingt beibehalten werden müssen? Gibt es Rahmenbedingungen, die bei der Veränderung des Arbeitsprozesses beachtet werden müssen (z. B. Einbindung bestimmter Personengruppen, Budgetvorgaben, zeitliche Vorgaben)? . Tab. 13.1 zeigt vier Beispiele für konkretisierende Fragen bei vagen Arbeitsaufträgen. Diese Fragen kann ich mir als Führungskraft zunächst selbst stellen und dann für Gespräche mit meinen Mitarbeitern nutzen. Wie viel Zeit wird in Organisationen dadurch verschwendet, dass Führungskräfte unausgegorene Arbeitsaufträge erteilen? Wie bereits angesprochen, sehen wir Vereinbarungen zu Arbeitsaufgaben nicht als Einbahnstraße von der Führungskraft zum Mitarbeiter, sondern als ein klärendes Gespräch, bei dem sich Mitarbeiter und Führungskraft darüber klarwerden, was der Arbeitsauftrag ist. Bei vielen Beschäftigten kommen Arbeitsaufträge nicht allein von der Führungskraft, sondern entstehen aus der Interaktion mit Kunden, mit anderen Abteilungen oder sind durch eine bestimmte Funktion definiert. Darüber hinaus suchen Mitarbeiter ihre Aufgaben auch selbst. Auch in diesen Fällen kann ich als Führungskraft meinen Mitarbeitern dabei helfen zu möglichst viel Rollen- und Aufgabenklarheit zu kommen.

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

. Tab. 13.1  Konkrete Arbeitsaufträge erteilen

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Arbeitsauftrag

Konkretisierende Fragen

„Erstelle mir mal eine Präsentation zum Thema XY!“

• Welche Fragen sollen durch die Präsentation geklärt werden? • Was wollen wir mit der Präsentation erreichen? • Ist eine Präsentation überhaupt das richtige Medium? • Wer ist die Zielgruppe? • F ür welche Zwecke soll die Präsentation von wem genutzt werden? • Wie umfangreich soll die Präsentation sein? • Gibt es Vorgaben zu Inhalt, Dauer und Gestaltung?

„Kümmere dich mal um das Thema XY!“

• Was heißt „kümmern“? •K  ann der Mitarbeiter selbst entscheiden, was aus seiner Sicht zu tun ist oder gibt es Vorgaben? Welche? • Was soll durch das „Kümmern“ erreicht werden? • Welche Ideen gibt es, wie das erreicht werden kann?

„Bespreche mal mit den anderen Kollegen, was wir beim Projekt XY machen wollen!“

• Was soll in der Besprechung geklärt werden? • Was soll das Ziel der Besprechung sein? • Weshalb besteht Klärungsbedarf? • Was ist der Führungskraft dabei wichtig?

„Ruf doch mal den Kunden an und kläre das Thema.“

• Was wurde bereits mit dem Kunden besprochen? • Welche Informationen, Unterlagen etc. hat der Kunde? •W  elche konkreten Fragen und Anliegen des Kunden sind zu klären? • Was ist das Ziel des Gesprächs? • Wer darf final welche Entscheidung treffen?

Anregungen zur Unterstützung von Mitarbeitern bei der Auswahl und Priorisierung von Aufgaben. 5 Weshalb hat sich der Mitarbeiter bestimmte Aufgaben ausgewählt? 5 Was sind seine Beweggründe, die Prioritäten in einer bestimmten Weise zu setzen? 5 Wie konkret sind die Vereinbarungen, die der Mitarbeiter mit Kunden oder anderen Abteilungen trifft? 5 Ist klar besprochen, wer welche Arbeitsaufträge bis zu welchem Zeitpunkt erledigt? 5 Welche Prioritäten setzt der Mitarbeiter bei seinen Arbeitsaufgaben? 5 Wie gut passen die gesetzten Prioritäten zu meinen Vorstellungen als Führungskraft? 5 Wie gut passen die gesetzten Schwerpunkte zu den Zielen des Teams, der Abteilung, der Organisation? 5 Sind die Aufgaben, um die sich der Mitarbeiter kümmert, unmittelbar ableitbar aus den Zielen und der damit verbundenen Strategie der Organisation? 5 Welche Anregungen möchte ich als Führungskraft dazu geben?

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> Wir erleben in der Führungskräfteaus- und Weiterbildung immer wieder

Führungskräfte, die berichten, dass sie der Meinung waren, einen Auftrag gut besprochen zu haben und dann später feststellen mussten, dass der Mitarbeiter seinen Auftrag anders verstanden hat, als von ihnen intendiert. Das ist nicht überraschend. In Gesprächen richten die Beteiligten ihre Aufmerksamkeit auf unterschiedliche Inhalte, interpretieren bestimmte Inhalte unterschiedlich und erinnern sich auch nach einiger Zeit an unterschiedliche Inhalte. Es wäre ein Wunder, wenn Führungskraft und Mitarbeiter einfach so mit den gleichen Ergebnissen aus einem Gespräch kämen.

Zumal wenn Mitarbeiter oder Führungskraft noch dazu neigen sehr vage zu formulieren. Gute Auftragsklärung gelingt nicht einfach so. Vielmehr ist es wichtig, gerade bei komplexeren Aufträgen, am Ende sicher zu stellen, was für beide die Gesprächsergebnisse sind. Dies kann bedeuten, dass der Mitarbeiter noch einmal formuliert, welchen konkreten Auftrag er aus dem Gespräch mitnimmt oder die Gesprächsergebnisse auch schriftlich festhält. Ein gemeinsames Fazit zu ziehen, ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal einer guten Auftragsklärung. Vermeidung von Unterbrechungen Als zweiten Ansatzpunkt wollen wir uns mit der Vermeidung von Unterbrechungen beschäftigen. Im Eingangsbeispiel wurde bereits darauf eingegangen, dass Führungskräfte durch häufige Unterbrechungen effizientes Arbeiten ihrer Mitarbeiter negativ beeinflussen können. In der Praxis lässt sich durchaus beobachten, dass manche Führungskräfte ihre Mitarbeiter immer wieder bei anderen Aufgaben unterbrechen: es wird ein Auftrag erteilt, die Führungskraft möchte einen Termin nachbesprechen, hat eine kurze Frage, möchte den Rat des Mitarbeiters einholen, will nur schnell eine Information weitergeben, kurz etwas Privates erzählen. Es gibt unzählige Anlässe für Unterbrechungen. Sicherlich gibt es Mitarbeiter, die das als angenehm erleben und möglicherweise auch sehr häufige Gespräche mit ihrer Führungskraft schätzen. Wenn es in der Folge dann dazu kommt, dass der Mitarbeiter seine Aufgaben in der vorgesehenen Zeit nicht schafft, dann können solche Unterbrechungen schnell zum Stressor werden. Darüber hinaus können es Mitarbeiter auch als unangenehm kontrollierend wahrnehmen, wenn ihre Führungskraft ihnen alle 20 min über die Schultern schaut. Wie effizient gestalte ich als Führungskraft also die Kommunikation mit meinen Mitarbeitern? Unsere Vorschläge stellen eine Auswahl dar, die sicher auf das jeweilige Team angepasst werden müssen. Impulsfragen zur Vermeidung von Unterbrechungen meiner Mitarbeiter durch mich als Führungskraft. 5 Habe ich mit jedem Mitarbeiter eine ritualisierte Abstimmung zu diversen Punkten (z. B. 1 × pro Woche)? 5 Sammle ich Abstimmungspunkte, um sie dann in dieser regelmäßigen Besprechung durchzugehen (z. B. in einer Arbeitsmappe, im Outlookkalender, One Note oder mithilfe eines anderen Programms)? Möglicherweise ist es aufgrund der Tätigkeit auch sinnvoll, pro Tag eine oder mehrere kurze

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Abstimmungen zu etablieren, in denen aktuelle Themen des Tages gesammelt besprochen werden (z. B. eine Lagebesprechung als Start in den Tag und eine Abstimmung zur Reflexion des Tages am Abend)? 5 Wie bewusst wähle ich meine Kommunikationswege? Manche Themen sollte ich persönlich besprechen, andere per E-Mail klären etc.

Ausdrücklich wollen wir nicht dafür werben, dass jede spontane Kommunikation zwischen Führungskraft und Mitarbeitern vermieden werden soll. Als Führungskraft ansprechbar zu sein und Raum für spontane Gespräche zu geben ist wichtig: Es kommt stark auf die Dosierung an. Es geht darum, sich als Führungskraft bewusst damit zu beschäftigen, ob das eigene Kommunikationsverhalten möglicherweise als Störfaktor fungiert oder im besten Fall eine effiziente Arbeitsweise unterstützt. Nicht nur wir als Führungskräfte unterbrechen unsere Mitarbeiter. Unterbrechungen entstehen auch durch andere Personen. Impulsfragen zur Vermeidung von Unterbrechungen unter den Kolleginnen und Kollegen im Team. 5 Wie gestalten wir Abstimmungen unter den Mitarbeitern im Team? Werden beispielsweise auch da Themen gesammelt abgestimmt? 5 Gibt es ritualisierte Abstimmungszeiten mit Auszubildenden oder Praktikanten, in denen Aufgaben übergeben und Fragen geklärt werden können? 5 Wie gestalten wir im Team störungsarme Arbeitsphasen, beispielsweise durch das Umstellen des Telefons auf einen Kollegen, der einen Mitarbeiter angemessen vertreten kann?

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Faire Aufgabenverteilung im Team In den bisherigen Ausführungen hatten wir die Interaktion zwischen Führungskraft und Mitarbeiter im Blick. Als dritten Ansatzpunkt beschäftigen wir uns mit der Aufgabenverteilung im Team, stellen also die Interaktion zwischen Führungskraft und mehreren Mitarbeitern in den Fokus. Impulsfragen zur fairen Aufgabenverteilung im Team. 5 Wie fair sind die Aufgaben in meinem Verantwortungsbereich verteilt? Gibt es Mitarbeiter, die deutlich zu viele Aufgaben haben, andere zu wenig? 5 Wie gut entspricht die Aufgabenverteilung den Interessen, Kompetenzen, dem Leistungsvermögen und zeitlichen Kapazitäten meiner Mitarbeiter? 5 Wie transparent ist die Aufgabenverteilung im Team? Wissen die Mitarbeiter in groben Zügen, welche Aufgaben von ihren Kollegen bearbeitet werden?

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5 Wie werden neue Aufgaben im Team verteilt? Anhand welcher Kriterien? Wie wird das Team dabei mit eingebunden? 5 Was können meine Mitarbeiter tun, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ihre Aufgaben nicht schaffen, oder wenn sie Kapazitäten für weitere Aufgaben haben?

Bei diesem Thema möchten wir etwas tiefer einsteigen, weil eine faire Aufgabenverteilung für uns ein ganz wichtiger Schlüssel für die Gesundheit der Teammitglieder und auch den Erfolg des Teams ist. Weshalb kommt es zu unfairer Arbeitsverteilung? Weshalb sind manche Mitarbeiter überlastet, während andere Mitarbeiter noch gut Luft haben oder sich sogar langweilen? Dabei kann es deutliche Unterschiede innerhalb eines Teams, allerdings auch zwischen Teams und Abteilungen geben. Wir konzentrieren uns auf Unterschiede innerhalb eines Teams. Im Führungskräftetraining berichten Führungskräfte immer wieder, dass sie einige Mitarbeiter als „Zugpferde“ erleben, denen sie mehr Aufgaben geben als anderen Mitarbeitern, beziehungsweise, dass sich diese Mitarbeiter einfach um mehr Aufgaben kümmern, also von sich aus mehr Aufgaben übernehmen. Auch andere Gründe können zu Mehrbelastungen bei einzelnen Mitarbeitern führen. Wenn zum Beispiel nach einer Fluktuation oder bei längerer Krankheit eines Kollegen andere Mitarbeiter zusätzliche Aufgaben übernehmen. Die Aufgabendichte steigt bei diesen Mitarbeitern und möglicherweise entstehen Überstunden. Andere Mitarbeiter hingegen haben eine geringere Aufgabendichte. Die Erklärungen der Führungskräfte, warum manche Mitarbeiter mehr arbeiten als andere, gehen oft in die folgende Richtung: „Der Mitarbeiter kennt sich gut aus. Auf den kann ich mich verlassen. Da weiß ich, dass es gut erledigt wird. Dem kann ich mit gutem Gewissen neue Aufgaben übertragen.“, „Der Mitarbeiter macht das gerne. Der Mitarbeiter ist einfach sehr engagiert. Da will ich ihn nicht bremsen.“ Oder auch: „Es ist sonst niemand da, der das machen könnte.“ Bei Teambesprechungen erleben Führungskräfte, dass sich einzelne Mitarbeiter für Aufgaben anbieten und andere dies eher weniger tun. In der Konsequenz kann dies dazu führen, dass manche Mitarbeiter auf Dauer durch eine hohe Aufgabendichte überfordert werden, die Aufgabenverteilung als unfair wahrnehmen, sich mehr Unterstützung von ihren Kolleginnen und Kollegen wünschen und durch erlebte Enttäuschungen das Teamklima leidet. Andere Mitarbeiter wiederum fühlen sich möglicherweise unterfordert, haben den Eindruck, dass ihnen zu wenig zugetraut wird oder sehen keine Ansatzpunkte einen persönlichen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten zu können, obwohl sie das vielleicht gerne möchten. Ebenso ist denkbar, dass Mitarbeiter sich gut ausgelastet fühlen, obwohl sie durchaus noch Aufgaben übernehmen könnten. Andere wiederum mögen es sich auch mit ihren Aufgaben ganz gemütlich eingerichtet haben und sind ganz froh darüber, dass es bei ihnen recht ruhig zugeht. Es kann natürlich auch sein, dass die Kompetenzen oder Leistungsmöglichkeiten im Team stark variieren und es deshalb zu deutlichen Unterschieden in der Auslastung kommt. Mitarbeiter sind nicht alle gleich leistungsfähig. Dieser Punkt ist aus unserer Sicht Teammitgliedern auch bewusst und wird dann akzeptiert, wenn die Schere des Leistungsvermögens nicht zu

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

weit auseinandergeht und unterschiedliche Leistungsergebnisse von der Führungskraft wahrgenommen und berücksichtigt werden, beispielsweise bei der Gehaltsgestaltung. Wir sehen, dass es eine ganze Reihe an Gründen geben kann, die im Ergebnis zu deutlichen Unterschieden in der Arbeitsauslastung führen. Oft auch eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. > Wir empfehlen grundsätzlich bei jedem Mitarbeiter anzunehmen, dass er Talent

und Interesse für die Aufgaben im Team hat und bereit ist sich zu engagieren und gute Leistungen zu erbringen.

Die wenigsten Mitarbeiter möchten sich am Abend vor den Spiegel stellen und sagen: „Heute habe ich aber wieder einen schlechten Job gemacht, mich nicht angestrengt, kaum was geschafft und meine Zeit verplempert.“ Das mag es geben, dürfte allerdings wirklich die absolute Ausnahme sein. Damit Mitarbeiter engagiert gute Leistungen erbringen, ist eine gute Passung zwischen Mitarbeiter und Stelle wesentlich. Der Mitarbeiter muss seine Aufgaben erledigen können und auch wollen. Dies herauszufinden ist Teil des Auswahlprozesses und der Probezeit. Danach sollte ein Team aus Leuten bestehen, die grundsätzlich Interesse und Talent für die Aufgaben im Team haben. Mit Blick auf die große Vielfalt und Anzahl an Stellenangeboten sollte jeder die Chance nutzen, eine Arbeit zu finden, die wirklich gut zu seinen Interessen und Talenten passt. Auch wenn je nach Qualifikation, räumlicher Flexibilität etc. die Jobauswahl natürlich stark variieren kann. Praxistipp

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Wenn wir als Führungskräfte merken, dass Interesse und Talent bei einem Mitarbeiter nicht gut zu seiner Stelle passen, dann ist es wichtig, mit dem Mitarbeiter zu besprechen, ob es nicht andere Stellen mit besserer Passung gibt. Klingt trivial, ist es aber nicht. In der Praxis quälen sich immer wieder Mitarbeiter und Führungskräfte gegeneiseitig, weil die Passung nicht stimmt, teilweise über Jahre hinweg. Das kostet nur Kraft und bringt nichts. Ein interner Wechsel im Unternehmen oder eine Trennung, können dann gute Lösungen sein. Von diesen Konstellationen abgesehen, ist es hilfreich, wenn ich als Führungskraft mit der folgenden Haltung an meine Leute herangehe: „Meine Leute wollen und können gute Arbeit leisten. Alle.“

Wahrscheinlich werden Sie jetzt einwenden, dass das bei Ihnen oft anders aussieht, dass manche Teammitglieder einfach weniger engagiert sind als andere, dass die Schere weit auseinander geht. Das kann so sein – muss es aber nicht. Fallbeispiel Schauen wir zunächst einmal auf eine Führungskraft, die neu ein Team übernommen hat und den Eindruck gewinnt, dass einige Mitarbeiter nicht so engagiert bei der Sache sind, womöglich noch belegt durch harte Kennzahlen. Nehmen wir einmal an, es handelt sich um ein Team im Einkauf. Im Vergleich zu anderen Einkaufsteams ist die Preisentwicklung schlecht und es werden weniger Bestellungen abgewickelt als in anderen Teams. Die Mitarbeiter scheinen eher Dienst nach Vorschrift zu machen und beispielsweise

197 Handlungsfeld: Teamkoordination

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Preiserhöhungen durch Lieferanten ohne Verhandlung zu akzeptieren. Wir empfehlen als Grundhaltung, davon auszugehen, dass grundsätzlich Interesse und Talent besteht, dass die Mitarbeiter aber im Moment ihr Interesse und Talent nicht so zeigen, wie sie es eigentlich wollen und können. Möglicherweise waren die Mitarbeiter vorher in einem anderen Unternehmen mit einer wenig leistungsförderlichen Unternehmenskultur oder wurden von einer anderen Führungskraft entsprechend geprägt oder es liegen andere Gründe vor, die demotivierend und behindernd wirken (z. B. im Bereich der Arbeitsbedingungen). Wir empfehlen auch in diesen kritischen Fällen die Grundhaltung, dass Talent und Interesse an den gegebenen Aufgaben besteht und eine positive Entwicklung in Gang gebracht werden kann – auch wenn das dann oft harte Arbeit ist. > Wer hingegen die Grundhaltung mitbringt, dass seine Mitarbeiter faul,

träge, uninteressiert und inkompetent sind, sollte keine Führungsaufgaben wahrnehmen, weil solche Haltungen dazu führen, genau das unerwünschte Verhalten bei den geführten Mitarbeitern zu erzeugen. Eine Führungskraft, die mit diesen Haltungen in ein Team hineingeht, wird bald von faulen, trägen, uninteressierten und inkompetenten Mitarbeitern umgeben sein.

Sicherlich können sich Aufgaben so verändern, aber auch Kompetenzen und Interessen, dass die Passung zwischen Stelle und Mitarbeiter im Laufe der Zeit geringer oder größer wird. Dies kann in letzter Konsequenz bedeuten, dass es für einen Mitarbeiter innerhalb oder außerhalb der Organisation Aufgaben gibt, die deutlich besser passen. Ein Wechsel ist in diesem Fall sinnvoll, bevor sich Mitarbeiter und Führungskraft aufgrund von mangelnder Passung gegenseitig quälen – womöglich über Jahre hinweg. Interne Wechsel oder Trennungen sind ein wertvolles Instrument der Führungsarbeit, wenn die Passung nicht mehr hinreichend stimmt und nicht mehr oder nur mit großem Aufwand wiederhergestellt werden kann. Keinesfalls plädieren wir dafür, solche Themen nicht anzugehen. Das Gegenteil ist richtig. > Grundsätzlich gilt, dass Erklärungsansätze wie „ein Teil meiner Mitarbeiter ist

einfach faul“, „ein Teil meiner Mitarbeiter ist einfach inkompetent“, für gute Führung nicht hilfreich sind. Jeder Mitarbeiter ist für etwas motiviert und kann auch etwas – innerhalb oder außerhalb der Organisation. Auf dieser Annahme basieren alle Ansätze, die wir zu gesunder Führung in diesem Buch beschreiben.

Kommen wir zum Kern der Sache. Wie kann ich meine Mitarbeiter nun dabei unterstützen, ihre Interessen und ihre Talente für die Ziele des Teams zu nutzen? Wie komme ich in diesem Zusammenhang zu einer fairen Aufgabenverteilung? Praxistipp

Ein Ansatzpunkt kann sein, dass jeder Mitarbeiter, zum Beispiel in Vorbereitung auf sein Personalgespräch, seinen aktuellen Aufgabenkuchen bezogen auf eine typische Arbeitswoche zeichnet. Also in ein Kuchendiagramm einträgt, wie viel Zeit er im Laufe einer normalen Arbeitswoche für verschiedene Aufgaben aufwendet. Die verschiedenen Aufgaben sind dabei, je nach Zeitaufwand, unterschiedlich große Kuchenstücke (vergleiche . Abb. 13.1). Das Kuchendiagramm kann ein anschauliches Hilfsmittel für das Personalgespräch sein.

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

. Abb. 13.1  Der Aufgabenkuchen für IST- und SOLL-Zustand

Wem dieses Vorgehen zu spielerisch ist und wer es etwas schlichter haben möchte, kann auch einfach eine Liste mit seinen Aufgaben erstellen und dahinter notieren, wie viel Zeit er dafür aufwendet. Eine gute Erweiterung ist dabei, im Kuchendiagramm oder auf der Aufgabenliste zu notieren, wie viel Zeit für die Aufgaben aus Sicht des Mitarbeiters notwendig ist, um die Aufgaben gut erledigen zu können. Der Vorteil dieser Methode ist, dass nicht nur vage über die Auslastung und die Aufgabenverteilung gesprochen werden kann, sondern ganz konkret bezogen auf den Ablauf einer typischen Arbeitswoche. Möglicherweise ist eine Woche nicht der passende zeitliche Bezugsrahmen und es ist besser einen Tag zu wählen, einen Monat oder gar ein Quartal. Wichtig ist, dass die Aufstellung als Grundlage für ein Gespräch zur Reflexion von Arbeitsauslastung und Aufgabenverteilung dienen kann (. Abb. 13.1):

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Impulsfragen zur Reflexion des Aufgabenkuchens. 5 Wie gut kann ich als Führungskraft die Aufstellung nachvollziehen? Sind die eingetragenen Aufgaben und der Zeitbedarf für mich plausibel oder wird aus meiner Sicht für einzelne Aufgaben zu viel oder zu wenig Zeit veranschlagt? 5 Sind zu viele oder zu wenige Kuchenstücke auf dem Teller? Besteht aus meiner Sicht Veränderungsbedarf? Wie sieht das mein Mitarbeiter? 5 Ist erkennbar, dass die Arbeitsauslastung unter dem Strich gut passt? Ist erkennbar, dass der Mitarbeiter etwas abgeben sollte oder noch etwas übernehmen kann? Wie sehe ich das? Wie sieht das mein Mitarbeiter? Gibt es Klärungsbedarf und sind Vereinbarungen zu treffen? 5 Welche Kuchenstücke lassen sich gut herauslösen, um sie abzugeben? Welche Kuchenstücke könnten sinnvollerweise noch ergänzt werden? 5 Können bestimmte Aufgaben mit geringerem Zeiteinsatz erledigt werden, weil die Qualitätsansprüche heruntergeschraubt oder die Arbeitseffizienz gesteigert werden können?

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5 Können bestimmte Aufgaben ganz gestrichen werden, weil Aufwand und Nutzen in einem schlechten Verhältnis stehen und die Aufgabe verzichtbar ist? 5 Wie bewerte ich jetzt das Engagement des Mitarbeiters, wenn ich mich so konkret mit seiner täglichen Arbeit beschäftigt habe? Welche Ansatzpunkte ergeben sich daraus?

In solchen Gesprächen kann es auch darum gehen, welche Kuchenstücke dem Mitarbeiter gut schmecken und welche Kuchenstücke eher Bauchschmerzen bereiten. Im besten Fall gelingt es, die Kuchenstücke im Team so zu verteilen, dass jeder eine Zusammenstellung an Kuchenstücken erhält, die gut zu den eigenen Talenten, Interessen und Kapazitäten passt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass manche Aufgaben von anderen Mitarbeitern besser und schneller erledigt werden können und Win-Win-Ergebnisse erzielt werden, wenn zum Beispiel Aufgaben so getauscht werden, dass sich die Passung von Aufgaben und Mitarbeitern verbessert. Nehmen wir einmal an, in einem Team gibt es eher administrative Aufgaben, die vor allem Konzentration und Sorgfalt erfordern und wenig Kontakt mit anderen beinhalten, und andererseits Aufgaben, die viele direkte Abstimmungen und Telefonate mit anderen notwendig machen. Ein stark extravertierter Mitarbeiter wird sich wahrscheinlich über die letzteren Aufgaben besonders freuen, während die administrativen Aufgaben zu einem Mitarbeiter, der introvertierter und stark gewissenhaft ist, besser passen. Im besten Fall gelingt es den Mitarbeitern die Aufgaben, die gut zu ihnen passen, zügiger und in besserer Qualität zu erledigen, als bei Aufgaben mit geringer Passung. Vielfältige Profile in einem Team können so wertvoll genutzt werden. Als Führungskraft kann ich mir die Frage stellen, ob ich die unterschiedlichen Profile, die meine Mitarbeiter mitbringen, hinreichend gut nutze. Die Schaffung von mehr Vielfalt, kann auch bei der Besetzung offener Stellen ein wichtiger Reflexionspunkt sein. Wenn der Aufgabenkuchen gemeinsam analysiert wird, dann empfehlen wir sehr über die konkreten Aufgaben und den damit verbundenen Zeitbedarf zu sprechen. Impulsfragen zur Reflexion der Arbeitsauslastung. 5 Wie hoch ist die gefühlte Auslastung? 5 Wie hoch ist die tatsächliche Auslastung? 5 Werden tatsächlich Überstunden geleistet oder doch eher nicht; unter Berücksichtigung von Pausenzeiten und insbesondere auch Mikropausen (z. B. Kaffee- und Raucherpausen)? 5 Ist erkennbar, dass noch Kapazität für neue Aufgaben vorhanden ist? 5 Falls der Mitarbeiter über zu viele Aufgaben klagt: Liegt die Unzufriedenheit hauptsächlich an der Aufgabendichte oder bereiten einzelne Aufgaben aus anderen Gründen Bauchschmerzen? 5 Weshalb ist die gefühlte Auslastung möglicherweise höher als die tatsächliche Auslastung?

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Um zu einer möglichst objektiven Einschätzung der Zeitnutzung zu kommen, kann ein Mitarbeiter auch über eine Woche hinweg ein Arbeitstagebuch führen oder, so vorhanden, seinen digitalen Kalender zur Erstellung seines Aufgabenkuchens heranziehen. Möglicherweise ist einem Mitarbeiter gar nicht so bewusst für welche Aufgaben er seine Arbeitszeit einsetzt. Dies kann auch dazu führen, dass Aufgaben entdeckt werden, bei denen Aufwand und Nutzen in einem unangemessenen Verhältnis stehen und es sinnvoll ist, auf die Bearbeitung dieser Aufgaben grundlegend zu verändern oder gar gänzlich darauf zu verzichten. Praxistipp

Ein weiteres Instrument kann eine Mitreise am Arbeitsplatz des Kollegen durch die Führungskraft sein. Das bedeutet, dass die Führungskraft einmal einen halben, einen ganzen Tag oder auch länger am Arbeitsplatz eines Mitarbeiters verbringt, um den Alltag des Mitarbeiters besser verstehen zu können.

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Gemeinsame Arbeitstage am Arbeitsplatz des Mitarbeiters als wertvolles Führungsinstrument. 5 Wie sieht die tägliche Arbeit des Mitarbeiters konkret aus? 5 Welche Unterbrechungen erlebt der Mitarbeiter? 5 Wie viele und welche Mails erhält der Mitarbeiter? Welche Aufgaben ergeben sich daraus? 5 Wie viele und welche Anrufe erreichen den Mitarbeiter? Welche Aufgaben ergeben sich daraus? 5 Wie organisiert sich der Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz (z. B. Nutzung eines Kalenders, Nutzung von Ablagesystemen, Nutzung von EDV-Programmen zur Arbeitsorganisation)? 5 Wie kann der Mitarbeiter seine Arbeitseffizienz erhöhen? 5 Welche Aufgaben machen dem Mitarbeiter mehr Spaß, welche Aufgaben weniger? Welche Ansatzpunkte ergeben sich daraus?

Es geht also darum sehr konkret über die Situation des Mitarbeiters zu sprechen und Ansatzpunkte für Verbesserungen zu identifizieren: Ist erkennbar, dass der Mitarbeiter noch Aufgaben übernehmen kann? Hält er sich möglicherweise bei bestimmten Aufgaben zu lange auf? Gibt es andere Aufgaben, die besser zu seinen Kompetenzen und Interessen passen? Wenn es Mitarbeitern schwer fällt neue Aufgaben zu übernehmen, obwohl dies mit Blick auf die Arbeitsauslastung möglich sein sollte, dann ist es wichtig, das gemeinsam gut zu beleuchten.

201 Handlungsfeld: Teamkoordination

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Impulsfragen bei Bedenken eines Mitarbeiters neue Aufgaben zu übernehmen. 5 Was sind die Beweggründe sich nicht für neue Aufgaben anzubieten? 5 Wie können diese Beweggründe gut berücksichtigt werden? 5 Unter welchen Voraussetzungen kann sich der Mitarbeiter vorstellen eine neue Aufgabe zu übernehmen? 5 Welche alternativen Aufgaben können dem Mitarbeiter zur Übernahme angeboten werden?

Praxistipp

Gerade wenn eine Führungskraft relativ neu ein Team übernommen hat, sind Mitreisen mit jedem Mitarbeiter und Personalgespräche zur Erwartungsklärung unverzichtbar. Die Botschaft ist dann von Anfang an klar: Ich interessiere mich als Führungskraft für euch und eure Arbeit. Ich möchte, dass sich jeder engagiert und seinen Beitrag bringt. Jeder soll in meinem Team zufrieden und gesund gute Leistungen erbringen können.

Ein Ergebnis solcher Mitreisen kann natürlich auch sein, dass Mitarbeiter und Führungskraft beide zu dem Ergebnis kommen, dass die Aufgabendichte zu hoch ist. Der Mitarbeiter ist überlastet. Dann ist denkbar, dass er die Aufgaben, die er abgeben möchte notiert und in einer Teambesprechung gemeinsam überlegt wird, wer sich im Team darum kümmern kann. Unsere Erfahrung zeigt, dass dies gut gelingen kann. Praxistipp

Es kann ein Aufgabenmarktplatz entstehen, auf dem Aufgaben zwischen den Teammitgliedern so neu verteilt werden, dass eine fairere Arbeitsauslastung resultiert. Der Führungskraft fällt dann eher eine moderierende Rolle zu. Im besten Fall kommt das Team stark eigenverantwortlich zu einer gesunden Aufgabenverteilung für jeden. Das gleiche Vorgehen kann auch für neue Aufgaben genutzt werden. Die Führungskraft gibt die neue Aufgabe ins Team und das Team überlegt sich, welche Kollegen mit Blick auf Interessen, Talente und Auslastung die Aufgaben am besten bearbeiten können. Auch hier ist die Botschaft klar: Ich möchte eine faire Aufgabenverteilung im Team. Jeder ist gefragt.

Das lässt sehr viel Verantwortung im Team bei den Kolleginnen und Kollegen und ist stark von einer partizipativen Haltung getragen. Hier sehen wir wieder einen deutlichen Zusammenhang zwischen Haltungen als Führungskraft und konkreter Führungspraxis. Dieser stark partizipative Ansatz mag nicht für jedes Team und für jede Führungskraft passend sein. Er setzt ein gewisses Maß an gegenseitigem

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Vertrauen und Offenheit voraus. Im besten Fall wird durch die Nutzung solcher Instrumente die Selbstverantwortung der Teammitglieder gestärkt. Schauen wir noch etwas genauer auf Mitarbeiter, die möglicherweise zu viele Aufgaben übernehmen. Gerade sehr engagierten Mitarbeitern mit hohen Leistungsansprüchen, kann es sehr schwer fallen für sich ein gesundes Maß an Arbeit herzustellen. Wenn erkennbar ist, dass das Maß nicht mehr gesund ist, dann ist es als Führungskraft sehr kurzsichtig, den Mitarbeiter einfach so weiter arbeiten zu lassen. Das ist nicht nur ethisch bedenklich und widerspricht der Fürsorgepflicht als Führungskraft, sondern gefährdet auch das langfristige Leistungsvermögen des Mitarbeiters. Wenn es Mitarbeitern also schwer fällt Aufgaben abzugeben, Pausen einzuhalten und Mehrarbeit in einem gesunden Maß zu leisten, dann können die folgenden Fragen hilfreich sein. Impulsfragen zur Förderung eines gesunden Arbeitsstils bei ungesunden Übertreibungen. 5 Kann der Mitarbeiter sich Abendtermine setzen, die die Arbeitszeit begrenzen (z. B. Sportkurs, Vereinsarbeit, feste Vereinbarungen mit der Familie)? 5 Kann ein befreundeter Kollege mit dem Kollegen zum Mittagessen gehen, damit die Mittagspause eingehalten wird? 5 Kann die Führungskraft oder ein Coach mit dem Mitarbeiter daran arbeiten, dass der Mitarbeiter auch weniger Aufgaben zu haben als befriedigend erleben kann? Kann also das Anspruchsniveau verändert werden? 5 Was hindert den Mitarbeiter daran, auch mit weniger Aufgaben zufrieden zu sein? Wie können diese Gründe gewürdigt und bei einer möglichen Veränderung gut beachtet werden? 5 Kann die Führungskraft bei der Verteilung von Aufgaben besonders darauf achten, dass der Mitarbeiter keine neuen Aufgaben übernimmt?

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Eigener Anspruch als Führungskraft Im nächsten Schritt möchten wir uns mit unserem vierten Ansatzpunkt beschäftigen: dem eigenen Anspruch als Führungskraft. Der eigene Anspruch als Führungskraft hat ebenfalls Auswirkungen auf die Arbeit im Team und kann mit Blick auf Leistung und Gesundheit mehr oder weniger förderlich sein. Immer wieder klagen Mitarbeiter über zu perfektionistische Führungskräfte und natürlich auch andersherum über allzu pragmatische, möglicherweise chaotische Führungskräfte. Beide Extreme können ungünstige Wirkungen haben. Impulsfragen zu meinem Anspruchsniveau als Führungskraft. 5 Wie hoch ist mein Qualitätsstandard? Ist mein Qualitätsanspruch möglicherweise zu hoch? 5 Neige ich möglicherweise zu stark ausgeprägtem Perfektionismus? Erzeuge ich durch meinen Perfektionismus unnötigen Arbeitsaufwand für meine Mitarbeiter?

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5 Welche anderen Ansprüche, beziehungsweise persönlichen Überzeugungen, tragen womöglich zu Stresserleben bei? 5 Welche Rolle spielen bei mir beispielsweise die Überzeugungen „erledige die Aufgaben möglichst schnell“, „erledige jede Aufgabe möglichst sofort“, „beantworte jede E-Mail am besten gleich“?

Praxistipp

Wenn ein Mitarbeiter für mich als Führungskraft eine bestimmte Aufgabe bearbeitet und ich ihm zehn Mal Feedback gebe, um jeweils noch Kleinigkeiten zu verändern, so kann das für meinen Mitarbeiter sehr viel Aufwand bedeuten, wenn eine bestimmte Aufgabe immer wieder in die Hand genommen werden muss, und in der Folge zu Frustration führen. Jeder Änderungswunsch bedeutet Aufwand für meinen Mitarbeiter und kann als Signal verstanden werden, dass er mit seiner Arbeit meinen Ansprüchen nicht genügt. Deshalb sollte ich mir als Führungskraft gut überlegen, bei welchen Aufgaben ein hoher Qualitätsanspruch, mehrere Feedbackschleifen, Detailanpassungen sinnvoll sind und bei welchen Aufgaben nicht. Bedeuten meine Anmerkungen auch wirklich mehr Qualität oder ist es eher Geschmackssache?

Impulsfragen zur gesunden Gestaltung von Feedbackprozessen. 5 Wie viele Feedbackschleifen gibt es bei mir normalerweise? Komme ich auch mit ein oder zwei Feedbackschleifen aus? 5 Bei welchen Aufgaben ist möglicherweise gar kein Feedback durch mich als Führungskraft erforderlich? 5 Auf was bezieht sich mein Feedback? Auf Inhalte? Auf formale Aspekte? Auf Formulierungen? Was ist für den Erfolg besonders relevant und sollte deshalb im Fokus stehen? Was ist womöglich wenig oder gar irrelevant? 5 Steht dem Aufwand, der durch Änderungswünsche entsteht, ein adäquater Nutzen gegenüber?

Möglicherweise muss eine interne Präsentation nicht so sorgsam vorbereitet werden, wie eine Herzoperation. Es kann entspannend für Führungskraft und Mitarbeiter sein, wenn Mitarbeiter ihre eigenen Wege zum Ziel entwickeln dürfen, solange am Ende das gewünschte Ergebnis steht. Auch andere Erwartungshaltungen, die ich als Führungskraft vermittle, können das Stresserleben meiner Mitarbeiter beeinflussen. Wenn ich den Eindruck vermittle, dass ich auf jede E-Mail möglichst unmittelbar eine Antwort möchte, dann zwinge ich meine Mitarbeiter möglicherweise dazu, wenig konzentriert an ihren Aufgaben zu arbeiten, sondern immer wieder von einer Tätigkeit zur anderen zu springen. Darunter leiden dann im schlimmsten Fall Produktivität und Gesundheit.

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Praxistipp

Für die Produktivität und die Gesundheit kann es durchaus klug sein, wenn ein Mitarbeiter sich einmal einen halben Tag überhaupt nicht mit seinem Posteingang beschäftigt, soweit dies seine Tätigkeit grundsätzlich ermöglicht, sondern konzentriert an einer wichtigen Aufgabe arbeitet. Es kann auch klug sein, wenn ein Mitarbeiter einen Arbeitstag im Homeoffice verbringt, um dort, ungestört vom Chef, von Kollegen, von Auszubildenden und Praktikanten, konzentriert seine Aufgaben erledigen zu können. Womöglich bietet es sich an, dass ein Mitarbeiter einmal pro Woche einen solchen konzentrierten Arbeitstag zu Hause einlegt. Vorausgesetzt, dass er zu Hause störungsfrei arbeiten kann. Alternativ ist auch denkbar, im Unternehmen Büros als Rückzugsräume einzurichten, in denen für bestimmte Zeitspannen alleine in Ruhe gearbeitet werden kann.

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Verstärke ich solches Verhalten oder ermutige ich explizit oder vielleicht auch unterschwellig dazu, dass bei jeder neuen Mail sofort in den Posteingang geschaut wird und diese dann im Büro mit den Kolleginnen und Kollegen diskutiert wird? Wie verhalte ich mich da als Vorbild? In manchen Teams herrscht ein hohes Maß an Aktionismus. Aufgaben werden angestoßen und dann doch nicht weiterverfolgt, jeden Tag „wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben“. Auch dahinter können Haltungen der Führungskraft stecken, die möglicherweise für die Produktivität und die Gesundheit eher schädlich als förderlich sind: „Wir packen alles sofort an.“, „Nicht überlegen, sondern einfach mal loslegen.“, „Irgendwie schaffen wir das schon. Auch wenn wir nicht wissen, wie.“ Aktionismus kann in Organisationen durchaus positiv verstärkt werden. Wer viel Staub aufwirbelt wird bemerkt, kümmert sich anscheinend sehr engagiert, stößt Themen an, schafft etwas Neues. Die Belohnung für das Anstoßen von Aktionen kann größer sein, als die Belohnung für die langfristige Umsetzung von Bewährtem. Habe ich als Führungskraft den langfristigen Nutzen im Blick und belohne ich das „Dranbleiben“ oder habe ich vor allem das Anstoßen von neuen Aktivitäten im Blick? Wie nutzbringend ist meine Haltung bei diesem Thema? Meine Ansprüche als Führungskraft immer wieder kritisch hinterfragen. 5 Welche persönlichen Ansprüche, die ich habe, spiegeln sich im Verhalten meiner Mitarbeiter wieder? 5 Inwieweit ist das für die Erreichung unserer Ziele und die Gesundheit meiner Mitarbeiter förderlich? 5 Wie nehmen mich meine Führungskollegen mit Blick auf meine Haltungen und das daraus resultierende Verhalten wahr? Was halten sie davon mit Blick auf gesunde Führung für hilfreich, was weniger?

Wenn einmal andere Personen (z. B. andere Führungskräfte) bei mir im Team zu Besuch sind, was nehmen sie mit Blick auf unsere Teamkultur wahr? Was davon

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ist förderlich oder hinderlich für gesunde Führung? Kann ich aus dem Feedback Anregungen für meine Führungsarbeit gewinnen? Effiziente Arbeitsweise > Führungskräfte sind nicht nur mitverantwortlich dafür, dass ihr Team möglichst

effektiv arbeitet, also an den richtigen Aufgaben arbeitet, sondern diese Aufgaben auch mit möglichst wenig Aufwand erledigt, also möglichst effizient arbeitet.

Es geht gerade nicht darum, dass mehr gearbeitet wird, sondern effizienter. Es ist eine wichtige Führungsaufgabe kontinuierlich an der Effizienz im Team zu arbeiten. Mit diesem fünften Ansatzpunkt möchten wir uns nachfolgend genauer beschäftigen. Impulsfragen zur Verbesserung der Effizienz in meinem Verantwortungsbereich. 5 Wie effizient sind die Kernprozesse in meinem Verantwortungsbereich gestaltet? 5 Wie gut besprechen wir den Weg zur Zielerreichung und nutzen Steuerungsinstrumente (z. B. Projektpläne, Checklisten)? 5 Wie effizient sind unsere Besprechungen gestaltet? 5 Welche Störfaktoren beeinträchtigen meine Mitarbeiter bei ihrer Arbeit? Bei welchen Störfaktoren sind Veränderungen möglich? Wie unterstütze ich als Führungskraft durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen eine möglichst effiziente Arbeitsweise? 5 Wie oft unterbreche ich meine Mitarbeiter bei ihrer Arbeit? Wie kann ich Unterbrechungen vermeiden?

Checklisten, die Schritt für Schritt abgearbeitet werden, können ein wichtiges Instrument sein, damit das Rad bei wiederkehrenden Aufgaben nicht jedes Mal neu erfunden werden muss. Über die Jahre hinweg haben sich möglicherweise unproduktive Arbeitsweisen eingeschlichen, die identifiziert und verändert werden können. Praxistipp

Warum nicht einmal eine andere Führungskraft aus einem anderen Team zu mir in mein Team einladen, die sich einmal einen Tag lang Arbeitsprozesse in meinem Team anschaut, um mir danach Vorschläge für Verbesserungen zu unterbreiten?

Unabhängig davon, sollte ich als Führungskraft ebenfalls in regelmäßigen Abständen direkt am Arbeitsplatz meiner Leute mitarbeiten, um auf der Basis des ganz praktischen Arbeitsallstages mit meinen Mitarbeitern über Effizienzverbesserungen zu sprechen. Solche Mitreisen haben wir bereits angesprochen. Dabei geht es nicht darum, dass ich als Führungskraft aufzeige, was alles falsch gemacht wird und versuche Patentrezepte zu vermitteln, sondern es geht darum, im Gespräch auf Augenhöhe

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Ideen für Verbesserungen zu entwickeln. Dabei ist ganz wichtig, wie solche Phasen der Mitarbeit am Arbeitsplatz angekündigt und eingeleitet werden: „Ich interessiere mich dafür, was du täglich um die Ohren hast, was dich beschäftigt, was dir auch Probleme bereitet. Ich will gemeinsam mit dir überlegen, ob wir etwas verbessern können.“ Wir empfehlen sehr mit dieser Haltung an die Sache heranzugehen. Wie viel Zeit verbringen meine Mitarbeiter mit Besprechungen? Besprechungen können Zeit für andere Aufgaben rauben und in der Folge die Produktivität und das Stresserleben negativ beeinflussen. Darüber hinaus können schlechte Besprechungen auch an sich ein Stressor sein, wenn Mitarbeiter sich zum Beispiel in Besprechungen langweilen, sich angegriffen fühlen oder sich über die schlechte Besprechungsleitung ärgern. Fallbeispiel Nehmen wir einmal an, es soll in einer Projektbesprechung mit Vertretern verschiedener Ressorts, z. B. Vertrieb, Einkauf, Technik und Logistik, eine komplexe Kundenreklamation besprochen werden. Zu Beginn der Besprechung stellt sich heraus, dass ein mit dem Fall vertrauter Kollege der Qualitätssicherung kurzfristig abgesagt hat und damit wichtige Informationen fehlen. Darüber hinaus werden wichtige Unterlagen erst in der Besprechung vorgelegt, die dann erst von allen gelesen werden müssen. Zudem ist auch nicht klar, wer die Besprechung leitet. Es wird munter über den Fall diskutiert, ohne dass jemand moderierend eingreift. Dies nur als Beispiel für Fehler, die leicht in der Gestaltung von Besprechungen unterlaufen. > Die Qualität von Besprechungen zu verbessern, kann ein wichtiger Ansatzpunkt

sein, um in Organisationen die Produktivität zu fördern und das Stresserleben zu reduzieren.

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Impulsfragen zur Steigerung der Qualität von Besprechungen. 5 Wissen alle Besprechungsteilnehmer im Vorfeld um was es in dieser Besprechung gehen soll? 5 Findet eine ordentliche Vor- und Nachbereitung der Besprechung statt (z. B. eine Agenda im Vorfeld und ein Ergebnisprotokoll zur Nachverfolgung)? 5 Kann jeder Besprechungsteilnehmer zu dieser Besprechung etwas beitragen, was seine Einsatzzeit rechtfertigt? 5 Ist klar, wer die Besprechung leitet? 5 Kümmert sich der Besprechungsleiter darum, dass jeder zu Wort kommt und die Themen ruhig und sachlich besprochen werden? 5 Wird konsequent über die vereinbarten Themen gesprochen? 5 Erhalten die Teilnehmer wichtige Informationen? Werden Ergebnisse erzielt? Werden konkrete Arbeitsaufträge vergeben?

Gute Führung zeigt sich nicht darin, möglichst viele Besprechungen anzusetzen oder an möglichst vielen Besprechungen teilzunehmen: Stiftet diese Besprechung wirklich einen Nutzen, der die Einsatzzeit rechtfertigt? Wir empfehlen Führungskräften sich nach Besprechungen immer wieder einmal einige einfache Fragen zu stellen: Was

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ist da jetzt wirklich dabei herausgekommen? Kann ich drei Punkte auf einen Zettel schreiben, die diese Besprechung rechtfertigen? Diese Überlegungen bedeuten nicht, dass nach jeder Besprechung etwas herauskommen muss, was sich in einer Kennzahl bewerten lässt. Der Nutzen einer Besprechung kann vielfältig sein. Gut gestaltete Besprechungen können beispielsweise dabei helfen, Konflikten vorzubeugen oder sie aufzulösen, die Motivation zu fördern oder die Bereitschaft eine notwendige Veränderung mitzutragen erhöhen. Der Umgang mit Störfaktoren ist ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt. Auch hier gibt es keine Patentrezepte, sondern die Empfehlung sich den eigenen Verantwortungsbereich sehr aufmerksam anzusehen und sorgsam auf Störfaktoren zu achten, beziehungsweise mit den Mitarbeitern darüber zu sprechen, was sie daran hindert, ihre Arbeit möglichst effizient zu erledigen. Das kann auch ein gutes Thema für eine Teambesprechung sein: Was hindert mich daran meine Arbeit effizienter zu erledigen? Wie kann ich das verändern? Was kann mein Team dazu beitragen? Was kann meine Führungskraft dazu beitragen? Viele Ansatzpunkte sind denkbar: Möglicherweise wird zu viel Zeit mit der Suche nach Arbeitsmitteln verbracht und ein neues Ordnungssystem kann Abhilfe schaffen. Möglicherweise kann das eigene Telefon für einen bestimmten Zeitraum auf einen auskunftsfähigen Kollegen umgestellt werden, um konzentriert an einer Aufgabe arbeiten zu können. Möglicherweise bringt ein Training zu den eingesetzten IT-Programmen neue Ideen für eine effizientere Arbeitsweise. Wir empfehlen beim Thema Störfaktoren in möglichst viele Richtungen zu denken und immer wieder die Frage zu stellen: Wie können wir die Arbeitsbedingungen so verändern, dass sie möglichst effizientes Arbeiten unterstützen? Gestaltung des Arbeitsvolumens für das Team Abschließend wollen wir uns die Gestaltung des Arbeitsvolumens im Team als sechsten Ansatzpunkt noch genauer anschauen. Ob ein Team sein Aufgabenpensum in der vorgesehenen Zeit erledigen kann, hängt sicher von der Effizienz der Arbeitsweise, der Aufgabenverteilung im Team, den Ansprüchen der Führungskraft, der Vermeidung von unnötigen Unterbrechungen und der Qualität der Auftragsklärung ab. Darüber hinaus gehört es zu den Aufgaben einer Führungskraft gemeinsam mit dem Team das Arbeitsvolumen gut zu steuern. Unter Arbeitsvolumen verstehen wir die Aufgabenmenge, das Gesamtpaket an Aufgaben, das ein Team zu bewältigen hat. Es gibt Führungskräfte, die wie Aufgabenmagneten funktionieren und die für ihr Team immer mehr Aufgaben anziehen, beziehungsweise, die bereitwillig Aufgaben von außen übernehmen. Ohne Frage kann es für ein Team positive Effekte haben, wenn neue Aufgaben ins Team hineinkommen. Möglicherweise nimmt die Abwechslung zu, Monotonie wird vermieden, die Aufgabenpakete der einzelnen Teammitglieder bleiben spannend. Insbesondere, wenn es sich um neuartige Aufgaben handelt, die die Aufgabenvielfalt im Team vergrößern. Ein Team kann sich an neuen, herausfordernden Aufgaben beweisen und tolle Erfolge miteinander erleben. Mehr Aufgaben für ein Team können auch dadurch entstehen, dass das Team einfach einen sehr guten Job macht und in der Folge von internen Partnern oder externen Kunden noch mehr beauftragt wird, als in der Vergangenheit. Mehr Aufgaben können damit

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

auch ein Zeichen des Vertrauens und der Wertschätzung von anderen sein. Gleichzeitig kann daraus natürlich auch ein zu viel an Arbeitsvolumen werden. Darum müssen wir uns als Führungskräfte kümmern. Es können auch zusätzliche, gleichartige Aufgaben ins Team kommen, die eher als monoton und unerwünschte Belastung wahrgenommen werden. Womöglich möchten interne Partner oder externe Kunden auch unliebsame Aufgaben delegieren, was insbesondere dann ärgerlich ist, wenn es nicht gelingt dafür von den Kunden einen angemessenen Preis zu erhalten. Ermüdung und Frustration können die Folge sein. Es kann ein ungesundes Maß an Aufgabendichte entstehen, wenn die Führungskraft zu viele Aufgaben für ihr Team organisiert, beziehungsweise akzeptiert. Dies kann eine ungesunde Spirale der Überforderung in Gang bringen, wenn immer mehr Aufgaben von der gleichen Anzahl oder möglicherweise auch weniger Teammitgliedern erledigt werden sollen. Das bedeutet nun nicht, dass es nicht möglich ist, dass Teams durch die Verbesserung ihrer Arbeitsweise nicht mehr Aufgaben übernehmen können. Es geht um die Gestaltung eines gesunden Arbeitsvolumens für das Team. > Gerade Teams, die ihre Aufgaben mit großer Begeisterung und Leidenschaft

erledigen, können der Gefahr erliegen, sich immer neue Aufgaben zu erschließen und sich damit letztlich selbst zu überfordern. Erschöpfung und Frustration sind die wahrscheinlichen Konsequenzen. Im Ergebnis ist eine solche Spirale der Überforderung weder für die Teammitglieder noch für die Organisation sinnvoll. Fluktuation, Krankheit und Leistungseinbußen sind wahrscheinlich.

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Die langfristigen negativen Auswirkungen überwiegen aus unserer Sicht mögliche positive kurzfristige Effekte, wenn sich solche Spiralen auch über lange Zeiträume aufrechterhalten lassen. Ohne Frage ist es auch unabhängig von diesen möglichen Folgen Teil der Führungsaufgabe sich um ein gesundes Arbeitsvolumen zu kümmern. Dies kann für Führungskräfte sehr schwierig sein. Möglicherweise wurden sie Führungskraft, weil sie selbst durch die Übernahme vieler Aufgaben und ein hohes Arbeitspensum aufgefallen sind. Es ist naheliegend, dass sich dieses Muster auch in der Rolle als Führungskraft fortsetzt. Insbesondere, wenn es von der Organisation verstärkt wird. Es ist wahrscheinlich, dass Führungskräfte sich zumindest kurz- und mittelfristig von ihren eigenen Führungskräften mehr Anerkennung erwerben, wenn sie sich darum bemühen, mit ihrem Team möglichst viele Aufgaben zu erledigen, als der Gesundheit der Mitarbeiter einen hohen Stellenwert einzuräumen. Reflexion meines eigenen Arbeitsstils als Führungskraft. 5 Wie sah mein Arbeitspensum als Sachbearbeiter früher aus? Was war daran mehr oder weniger gut? Was bedeuten die Erkenntnisse für meine Führungsarbeit heute? 5 Wie stark neige ich dazu, Aufgaben für mein Team einfach so von außen zu übernehmen? Sehe ich da Veränderungsbedarf?

Was kann ich als Führungskraft tun, wenn ich feststelle, dass das Arbeitsvolumen in meinem Team zu hoch ist? Wir nehmen jetzt an, dass an der Effizienz der Arbeitsweise

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gearbeitet wurde, dass Aufgaben nach Interessen und Talenten fair verteilt sind etc. Es ist wichtig zunächst einmal an diesen Schrauben zu drehen und nicht den zweiten und dritten Schritt vor dem ersten zu gehen. Was kann ich dann tun, wenn diese Möglichkeiten gut ausgeschöpft sind? Aus unserer Sicht geht es jetzt nicht darum, dass Führungskräfte einfach lernen „Nein“ zu sagen, also Arbeitsaufträge einfach abzulehnen, was häufig nicht so einfach ist. Wir schlagen die folgenden drei Ansatzpunkte vor, um möglichst differenziert mit diesem Thema umzugehen: Bei welchen Aufgaben ist das Verhältnis von Aufwand und Nutzen nicht (mehr) akzeptabel? Praxistipp

Es kann ein jährliches Ritual sein, dass die Teammitglieder für eine Teambesprechung oder auch für das Personalgespräch mit ihrer Führungskraft Aufgaben zur Streichung vorschlagen, bei denen sie den Eindruck haben, dass Aufwand und Nutzen in einem inakzeptablen Verhältnis stehen. Das kann auch ein laufender Prozess in wöchentlichen oder monatlichen Abstimmungen zwischen Mitarbeitern und Führungskraft sein. Hier sollten Führungskräfte die Kompetenz ihrer Mitarbeiter nicht unterschätzen. Die Mitarbeiter können in der Regel den Aufwand von Aufgaben viel besser einschätzen als die Führungskraft. Da haben sich möglicherweise Gewohnheiten etabliert, die verändert werden sollten. Es kann Aufgaben geben, die mit großem Aufwand bearbeitet werden, ohne dass ein relevanter Nutzen für die Organisation entsteht.

Möglicherweise war die Bearbeitung einer Aufgabe in der Vergangenheit sinnvoll, heute ist sie es nicht mehr. In diesem Sinne ist das Streichen von Aufgaben kein Eingeständnis von eingeschränktem Leistungsvermögen oder selbst verursachter Überforderung, sondern kluges Handeln im Sinne der Ziele der Organisation. Es ist ein Zeichen guter Führung, wenn es Führungskräften gemeinsam mit ihrem Team gelingt Aufgaben zu identifizieren, die zu geringen Nutzen stiften, und diese Aufgaben dann zu streichen. Aufgaben immer wieder auf den Prüfstand stellen. 5 Wie oft werden Aufgaben in meinem Team auf den Prüfstand gestellt? Wenn eher selten oder gar nicht: Liegt es daran, dass es keine Aufgaben gibt, die auf den Prüfstand gestellt werden können oder liegt es daran, dass mein Team und ich es nicht gewohnt sind, Aufgaben auf den Prüfstand zu stellen? Wie kann ich mein Team dazu anregen, Aufgaben auf den Prüfstand zu stellen? 5 Lohnt sich der jeweilige Aufwand bei unseren Aufgaben wirklich (noch)? 5 Sind wir vom Nutzen der einzelnen Aufgabe wirklich (noch) überzeugt? 5 Gibt es heute noch eine sinnvolle Begründung für die einzelnen Aufgaben?

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Gerade Führungskräfte auf höheren Ebenen, die Führungskräfte führen, können hier einen wertvollen Beitrag leisten. Wird in Abstimmungen mit den Führungskräften nur darüber gesprochen, welche Aufgaben neu übernommen, welche Aktionen neu gestartet werden, was mehr gemacht wird, oder eben auch darüber was aus guten Gründen gestrichen werden kann? Nicht nur für die Gesundheit der Mitarbeiter, auch für die Produktivität einer Organisation kann das gezielte Streichen von Aufgaben ein wichtiger Stellhebel sein. Sprechen wir als Führungskräfte auch für das kluge Streichen von Aufgaben in angemessener Weise Dank und Anerkennung aus? Fallbeispiel Nehmen wir einmal an, Informationen zu Kunden (z. B. angesprochene Produkte, Gesprächsergebnisse) werden von jedem Verkäufer in Kundenmappen aus Papier notiert, teilweise im Outlookkalender beim jeweiligen Kundentermin, teilweise in Protokollen, teilweise in Sharepointdateien, die auch vom Innendienst genutzt werden etc. Wird dann ein digitales und umfassendes CRM-System eingeführt, dann sollte dieses auch konsequent bisherige Einzellösungen ersetzen, sodass Doppelpflege vermieden wird und die Effizienzvorteile des neuen Systems auch wirklich realisiert werden ­können.

Welche Aufgabe kann ich weglassen, wenn eine neue Aufgabe dazu kommt? Der erste Ansatzpunkt lässt sich noch etwas weiterführen. Praxistipp

Wenn eine neue Aufgabe dauerhaft von einem Team übernommen werden soll, so kann das auch damit verknüpft werden, dass nach einer Aufgabe gesucht wird, die dafür entfallen kann. Eine Aufgabe, die im Vergleich einen geringeren Nutzen stiftet.

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Dieser Ansatz lässt sich auch auf Abstimmungsrituale oder Steuerungsinstrumente übertragen. Kann ein neues Steuerungsinstrument ein bestehendes Instrument ersetzen, beziehungsweise stiftet es mehr Nutzen als ein bestehendes Instrument? Gute Führung heißt nicht, die Arbeit für sich selbst und für die Mitarbeiter immer komplizierter zu gestalten, zum Beispiel durch das zehnte Steuerungsinstrument und das fünfte Abstimmungsritual. Dies kann auch helfen unnötige Aufgaben etc. zu ­vermeiden. Kritisches Hinterfragen neuer Aufgaben. 5 Ist die Aufgabe wirklich so wichtig, dass eine andere dafür weggelassen werden kann? 5 Welche Aufgabe sollte klugerweise durch eine andere Aufgabe ersetzt werden? 5 Machen wir durch die neue Aufgabe, durch das neue Steuerungsinstrument, durch das neue Abstimmungsritual unsere Arbeit einfacher oder komplizierter?

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Fallbeispiel In vielen Unternehmen werden zum Beispiel An- und Abwesenheiten (vor allem Urlaubstage) in den individuellen Outlookkalendern gepflegt, die für andere Teammitglieder einsehbar sind, sodass jeder Kollege nachschauen kann, ob ein Kollege sich gerade im Urlaub befindet und wie lange der Urlaub noch dauert. Es ist durchaus denkbar, dass dieses Instrument seit Jahren so genutzt wird und dennoch ergänzend dazu die An- und Abwesenheiten noch auf einer Tafel markiert werden oder in einer Exceldatei gepflegt werden, weil es das früher schon so gab. Oft ist es dann sinnvoll, wenn das neue System das alte System auch tatsächlich ersetzt. Ein anderes Beispiel kann E-Mailverkehr mit Kunden sein, der in Outlookordnern, im SAP oder an anderer Stelle archiviert wird und ergänzend noch ausgedruckt und in Ordnern abgeheftet wird, weil das Vorgängersystem nicht konsequent vom neuen System abgelöst wurde.

Was sind die Kernaufgaben meines Teams? Was sollte abgegeben werden? Praxistipp

Gerade wenn Fluktuationen nicht ersetzt werden können oder auch sonst Stellen abgebaut werden müssen, ist es wichtig sich als Führungskraft mit den Mitarbeitern zu überlegen, was die Kernaufgaben des Teams sind, die in jedem Fall erledigt werden müssen und was ergänzende Leistungen sind, die sicher ihre Begründung haben, aber im Notfall auch weggelassen werden können. Wie klar kann ich mit meinem Team unsere originären Aufgaben innerhalb der Organisation herausarbeiten, oder hat sich über die Jahre ein unübersichtlicher Gemischtwarenladen ergeben, der dringend einer Sortimentsbereinigung Bedarf.

Das kann auch bedeuten, dass ich darüber nachdenke, ob bestimmte Aufgaben nicht besser zu anderen Teams oder Abteilungen passen. Womöglich haben wir in unserem Team Aufgaben übernommen, die eigentlich zum Kerngeschäft anderer Einheiten gehören. Manche Tätigkeiten können auch gut an zentraler Stelle gebündelt werden. Fallbeispiel Nehmen wir einmal an, dass in einem Unternehmen jeder Außendienstmitarbeiter seine monatlichen Umsatzzahlen und andere Kennzahlen jeden Monat selbst auswerten muss und das jeweils 2 Stunden an jedem Monatsende dauert. Durch die Schaffung einer zentralen Stelle übernimmt das ein Mitarbeiter für alle Kolleginnen und Kollegen im Außendienst. Der Außendienstmitarbeiter bekommt nur noch die Auswertung und kann damit eine Aufgabe von seiner Liste streichen.

Alle drei Ansatzpunkte bedeuten für die Führungskraft mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ihrer eigenen Führungskraft in Aushandlungsprozesse eintreten muss.

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Die Kernaufgaben des Teams mit der eigenen Führungskraft klären. 5 Welche Sichtweisen gibt es zu notwendigen und verzichtbaren Aufgaben? 5 Welche Unterschiede und welche Schnittmengen sind dabei vorhanden? 5 Welche Lösungsansätze sind für beide Seiten gut tragbar?

Ganz bewusst verzichten wir hier auf die Empfehlung „mehr Personal fordern“. Natürlich kann es sinnvoll sein neues Personal aufzubauen. Wir sehen jedoch die große Gefahr, dass wir als Führungskräfte schnell mit der Forderung nach mehr Personal um die Ecke kommen, ohne vorher die anderen Ansätze konsequent beherzigt zu haben. Es ist trivial mehr Personal zu fordern. Auch das kann eine Führungsaufgabe sein, wenn es jedoch das Einzige wäre, was uns einfiele, dann wäre das ziemlich einfallslos. Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

Ich fühle mich bei meiner eigenen Arbeitsorganisation sehr stark gefordert. „Jetzt soll ich mich als Führungskraft um so viele koordinative Themen kümmern, obwohl ich mit meiner eigenen Organisation schon überfordert bin. Das schaffe ich nicht. Ich habe mit mir genug zu tun.“ > Wer ein Team koordinieren möchte, sollte mit einer guten Selbstorganisation

beginnen, beides ist eng miteinander verknüpft. Wer damit überfordert ist, sich selbst zu organisieren, wird kaum ein Team koordinieren können.

Deswegen ist die Reflexion des eigenen Selbstmanagements von großer Bedeutung. Ich muss mir als Führungskraft bewusst sein, dass meine Selbstorganisation das Herzstück guter Teamkoordination ist.

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Kritische Reflexion meines eigenen Selbstmanagements als Führungskraft. 5 Wie sieht mein Posteingang aus? Finden sich da Sedimentschichten uralter E-Mails, die eigentlich vor Wochen hätten erledigt werden müssen? 5 Wie verbindlich erhalten Kolleginnen und Kollegen Rückmeldungen von mir? Wie verbindlich halte ich zugesagte Termine ein? 5 Wie sieht es in meinem Kalender aus? Komme ich pünktlich zu Besprechungen? Ist Zeit für Vor- und Nachbereitung eingeplant? 5 Wie gut bereite ich Besprechungen inhaltlich vor und nach? 5 Wie gut komme ich mit meiner Arbeitszeit zurecht? Wirke ich überfordert oder ist erkennbar, dass ich meine Arbeit im Griff habe? 5 Wie effizient arbeite ich?

Solche Fragen können auch hilfreich sein, wenn ich grundsätzlich darüber nachdenke, ob der Weg als Führungskraft für mich passend ist. Wenn ich in meinen eigenen Aufgaben untergehe, meine Termine nicht einhalten kann und sich 500 E-Mails

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im Posteingang stapeln, dann kann dies ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass die Führungsaufgabe möglicherweise nicht zu mir passt. Das ist überhaupt nicht schlimm, gerade wenn ich das rechtzeitig erkenne. In jedem Fall raten wir dazu, das eigene Selbstmanagement als Führungskraft regelmäßig kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verbessern. Viele Unternehmen bieten Trainings für Führungskräfte zu den Themen Zeit- und Selbstmanagement an. Nutzen Sie auch Ihre eigene Führungskraft um Anregungen zu bekommen und um beispielsweise gemeinsam Prioritäten zu setzen und zu überlegen, welche Aufgaben gut im Team delegiert werden können. Suchen Sie sich einen Kollegen auf gleicher Ebene, der sich selbst gut organisiert und lernen Sie von ihm. Die Aussage „für Teamkoordination habe ich keine Zeit“ ist nicht zielführend. Teamkoordination ist ein wesentlicher Teil der Führungsaufgabe. Ohne Koordination geht es nicht. Es fällt mir schwer, vorbildlich zu handeln. „Natürlich möchte ich, dass meine Leute pünktlich ihre Termine einhalten. Ich selbst aber habe so viel zu tun, dass das bei mir leider nicht klappt. Oft bekommen meine Leute auf ihre E-Mails keine Antwort oder ich halte vereinbarte Termine nicht ein. Das liegt aber einfach daran, dass ich viel zu tun habe. Da müssen meine Leute schon Verständnis aufbringen.“ Die Wahrnehmung der Vorbildfunktion als Führungskraft kann gerade beim Thema Teamkoordination besonders schwer fallen, wenn Führungskräfte sich selbst als stark ausgelastet und in der Selbstorganisation überfordert fühlen. Wir haben das im vorausgehenden Absatz angesprochen und wollen dieses Thema mit Blick auf die Vorbildfunktion noch etwas weiter ausführen. Denn es gilt auch hier der Grundsatz: Durch mein Verhalten als Führungskraft beeinflusse ich stark, was in meinem Team als normal wahrgenommen wird. > Unverbindlichkeit wird von den Mitarbeitern eher nicht als Zeichen starken

Engagements und hoher Leistung der Führungskraft gewertet, sondern eher als mangelnde Wertschätzung und Zeichen schlechter Selbstorganisation. Da sollten wir uns als Führungskräfte nichts vormachen. Gerade wenn ich über längere Phasen hinweg unverbindlich handle, haben meine Leute die berechtigte Erwartung, dass ich wirksame Verbesserungen umsetze.

Wenn ich neu in die Führungsrolle starte oder sich Rahmenbedingungen verändern, dann mag unverbindliches Handeln für einige Zeit tolerierbar sein, auf Dauer leidet meine Akzeptanz und auch die Effizienz und Effektivität unserer Arbeit im Team. Welche Normen kann mein Team aus meinem Verhalten ableiten? Ob ein Team eine gesunde Leistungskultur entwickelt, ob in einem Team verbindlich gearbeitet wird oder eher eine Kultur der Überforderung oder der Leistungsvermeidung entsteht, ist immer auch beeinflusst vom Verhalten der jeweiligen Führungskraft. Weniger von dem was die Führungskraft sagt, sondern mehr davon, was sie tut. Wenn beispielsweise ein Team an Überforderung leidet oder eine Spirale der Leistungsvermeidung in Gang gekommen ist, dann empfehlen wir zunächst einmal vom eigenen Verhalten als Führungskraft auszugehen. Also einmal davon auszugehen, dass ich durch mein Verhalten als Führungskraft vermittelt habe, dass entweder Überforderung oder Leistungsvermeidung normal sind.

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

Kritische Reflexion meiner Vorbildwirkung als Führungskraft. 5 Wie viel Arbeitszeit ist für mich normal – mal ganz ehrlich? Welchen Standard setze ich damit für mein Team? 5 Wenn meine Kolleginnen und Kollegen überfordert wirken, haben sie dann womöglich von mir gelernt, überfordert zu wirken? Wie wirke ich denn? 5 Wenn meine Kolleginnen und Kollegen Termine schlecht einhalten, haben Sie das womöglich von mir übernommen? 5 Wenn meine Kolleginnen und Kollegen auf E-Mails nicht reagieren, haben Sie das von mir gelernt?

Ich habe wenig Vertrauen in die organisatorischen Kompetenzen meiner Mitarbeiter.

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„Meine Leute sind einfach nicht gut organisiert. So sehe ich das schon lange und wurde darin auch immer wieder bestätigt.“ Wie an vielen Stellen in unserem Buch geht es auch um die Frage, welches Menschenbild meinem Verhalten als Führungskraft zugrunde liegt. Greifen wir nochmals das Beispiel eines Mitarbeiters auf, der in einem Team bislang weniger gearbeitet hat als seine Kollegen. Es macht einen fundamentalen Unterschied, ob ich als Führungskraft davon ausgehe, dass der Kollege grundsätzlich die Bereitschaft und Fähigkeit in sich trägt engagiert zu arbeiten oder ob ich davon ausgehe, dass der Kollege einfach faul ist und sich nicht engagieren möchte. Im ersten Fall definiere ich es als normal sich zu engagieren und werde fragen, was den Kollegen im Moment daran hindert sich stärker zu engagieren. Im zweiten Fall definiere ich es als normal faul zu sein und muss mir überlegen, wie ich durch Kontrolle, Sanktionen oder Anreize Verhaltensänderungen initiieren kann. Wenn ich davon ausgehe, dass jemand einfach schlecht organisiert ist, weil das seinem Charakter entspringt, dann werde ich das womöglich zähneknirschend hinnehmen. Wenn ich jedoch davon ausgehe, dass mein Mitarbeiter das erlernen kann, dann werde ich ihn beispielsweise darum bitten sich mit einem sehr gut organisierten Kollegen zusammenzutun, um sich von dem Kollegen etwas für seine Arbeitsorganisation ­abzuschauen. Praxistipp

Wenn Sie einen Ihrer Mitarbeiter als schlecht organisiert erleben und sich das bislang nicht verbessert hat, haben Sie dann wirklich schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft? Haben Sie einmal einen Tag mit dem Mitarbeiter an seinem Arbeitsplatz gearbeitet und seine Selbstorganisation gemeinsam reflektiert und verbessert? Haben Sie ihn in Verbindung mit einem gut organisierten Kollegen gebracht und Austausch angeregt? Hat der betroffene Mitarbeiter bereits passende Trainings besucht und haben Sie mit ihm diese Trainings nachbereitet? Haben Sie ganz konkrete Maßnahmen mit ihm vereinbart und deren Umsetzung und Wirkung reflektiert?

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Meine Unternehmenskultur erschwert eine gute Teamorganisation „Ich versuche in meinem Team viele Dinge umzusetzen, aber der Druck, besonders von anderen Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen ist enorm. Viele Mitarbeiter trauen sich gar nicht einmal für eine gewisse Zeit nicht in ihre E-Mails zu schauen, weil sie nicht als die Langsamen dastehen wollen, die nicht sofort reagieren.“ Wie bei allen Empfehlungen kann die Passung zur jeweiligen Unternehmenskultur sehr unterschiedlich sein. Die Unternehmenskultur setzt einen Rahmen für Veränderungen, der nicht beliebig ausgedehnt werden kann. Der Anspruch möglichst unmittelbar auf E-Mails zu antworten, vielleicht auch noch am Abend oder am Wochenende, ist ein schönes Beispiel für ein Kulturelement, das eine effektive und effiziente Teamorganisation erschweren kann. Als Führungskraft kann ich mir die Frage stellen, wie viel in meiner Organisation möglich ist. Vielleicht ist es nicht passend, dass meine Mitarbeiter einen halben Tag ungestört an einem bestimmten Thema arbeiten. Aber vielleicht für zwei Stunden? Womit fühle ich mich als Führungskraft noch wohl und was ist mit Blick auf unsere Unternehmenskultur nicht mehr vertretbar? Wir gehen davon aus, dass der Produktivitätsdruck in Unternehmen eher zu- als abnehmen wird. Darin liegt eine Chance für Ansätze, die die Mitarbeiterproduktivität nachweislich steigern können, wie beispielsweise störungsarme Arbeitsphasen. Machen wir uns nichts vor: Am Ende des Tages muss es doch darum gehen, was ein Mitarbeiter konkret an Ergebnissen erzielt hat und nicht wie schnell und wie viele E-Mails bearbeitet wurden. Möglicherweise ist da der Schwerpunkt in vielen Organisationen noch falsch gesetzt. Unternehmen Sie kleine Schritte, die in Ihrer Organisation möglich sind. Was mache ich, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Team- und Selbstorganisation von oben her behindert wird? Wenn ich beispielsweise den Eindruck habe, dass ich von höheren Führungskräften zu ineffektiven und ineffizienten Abstimmungen eingeladen werde oder dass ich widersprüchliche Arbeitsaufträge erhalte? Wir empfehlen das offen anzusprechen. Möglicherweise ist das den anderen Führungskräften gar nicht bewusst. Möglicherweise sind sie für Anregungen dankbar. Fazit 5 Teamkoordination ist ein Herzstück jeder Führungsaufgabe. Wer nicht gut koordinieren kann, wird kaum gut führen können. Das beginnt bei der Auftragsklärung. Vermeiden Sie präventiv Zeitdruck, hohe Auslastung und langwierige Feedbackprozesse, in dem Sie mit Ihrem Mitarbeiter ein gemeinsames Verständnis seines Auftrages entwickeln. Wenn Sie ganz konkrete Vorstellungen haben, dann sagen Sie das, sonst sind Sie und Ihr Mitarbeiter am Ende frustriert. Wenn Sie mit unterschiedlichen Ergebnissen und Wegen zum Ziel leben können, dann sagen Sie das; mit den Vorgaben und Begrenzungen, die Ihnen wichtig sind. Gute Auftragsklärung ist ein wichtiges Instrument zur Stressprävention und fördert darüber hinaus die Produktivität: Sind meine Aufträge klar oder verlange ich von meinen Mitarbeitern eher ein Kaffeesatzlesen ab, was von ihnen erwartet wird?

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Kapitel 13 · Handlungsfeld: Teamkoordination

5 Mitarbeiter, die konzentriert eine Aufgabe bearbeiten sollen, benötigen störungsfreie Zeiten. Wie viel störungsfreie Zeit sinnvoll ist, hängt ganz stark von der Tätigkeit ab. Ob da nun täglich 4 Stunden sinnvoll sind oder 4 Stunden im Monat, ist nicht pauschal zu sagen. Führen Sie sich vor Augen, dass häufige Unterbrechungen bei einer komplexen Aufgabe, zu Ineffizienz und Stresserleben führen können. 5 Oft berichten uns Führungskräfte, dass sie ihre Leistungsträger im Team haben, die deutlich mehr Aufgaben erledigen als ihre Kollegen. Auf der einen Seite wird es immer Mitarbeiter geben, die mehr leisten können und wollen, auf der anderen Seite, dürfen die Unterschiede nicht zu groß werden: Sind die Unterschiede in meinem Team wirklich noch vertretbar? Muss ich gegensteuern und Aufgaben fairer im Team verteilen? 5 Immer wieder klagen in Umfragen Mitarbeiter über den Perfektionismus ihrer Führungskräfte oder (zu) hohe Leistungsanforderungen. Führen Sie sich vor Augen, dass Sie womöglich zur Führungskraft befördert wurden, weil Sie sich besonders engagiert gezeigt haben und an Ihre eigene Arbeit hohe Qualitätsmaßstäbe angelegt haben. Ihre Mitarbeiter kann das überfordern: Wie viel Perfektion ist wirklich sinnvoll? Gibt es Anforderungen an meine Mitarbeiter bei mir, die nicht mehr gesund sind? 5 Stellen Sie die Arbeitsprozesse in Ihrem Team und auch übergreifende Prozesse regelmäßig infrage (mindestens jährlich): Ist die Arbeitsweise noch sinnvoll? Ist das wirklich effizient? Wie können wir die Effizienz erhöhen? Wo entsteht Aufwand ohne angemessenen Nutzen? Wie können wir das verändern? 5 Ist das zu bewältigende Arbeitsvolumen in ihrem Team leistbar? Natürlich kann es sein, dass Sie Ihr Team optimal koordinieren und dennoch in Ihrem Team eine hohe Arbeitsauslastung erlebt wird. Es ist Teil Ihrer Führungsaufgabe darüber mit Ihrer Führungskraft zu sprechen: Kann auf Aufgaben verzichtet werden? Gibt es Unterstützungsmöglichkeiten? Kann bei einzelnen Zielen der Zeitplan modifiziert werden? 5 Und zu guter Letzt: Arbeiten Sie an Ihrer eigenen Selbstorganisation! Wie gut gehe ich als Vorbild voran? Wie organisiere ich mich selbst? Was kann ich bei mir selbst verbessern? Diese Fragen dürfen Sie sich ruhig einmal im Jahr stellen.

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Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_14

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Warum sollte ich mich als Führungskraft überhaupt mit Konflikten beschäftigen? Gute soziale Beziehungen bei der Arbeit sind für die Gesundheit sehr wichtig. Wir sind als Menschen soziale Wesen und es tut uns gut, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem wir uns akzeptiert, verstanden und unterstützt fühlen. Konflikte führen dazu, dass wir unsere sozialen Bedürfnisse nicht angemessen befriedigen können. Im Gegenteil: Was eigentlich eine wertvolle Ressource sein kann, wird zum Stressor. Konflikte auf die lange Bank zu schieben wirkt sich negativ auf die Gesundheit der Beteiligten aus. Ganz zu schweigen von negativen Effekten auf die Leistung. Wenn Mitarbeiter ihre Aufmerksamkeit und Kraft auf das Klagen über Konflikte oder Handlungen zur Konflikteskalation richten, dann sind negative Wirkungen auf die Leistung hoch wahrscheinlich. Deshalb sollte ich als Führungskraft mit Blick auf Leistung und Gesundheit Konflikte aktiv angehen.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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Seit einigen Monaten leidet die Schlafqualität bei Ulrike sehr. Oft grübelt sie in der Nacht noch über die Arbeit nach und kommt nicht so richtig zur Ruhe. Sie wacht nachts auf und ist in der Früh auch meistens schon wach, bevor der Wecker klingelt. Das zieht sich jetzt schon einige Monate so hin und Ulrike merkt, wie sie im Alltag gereizter wird. Sie hat auch den Eindruck, dass ihre Anfälligkeit für Erkältungen zugenommen hat und auch ihr Rücken fühlt sich verspannter an als früher. In ihrer Beziehung und mit ihren Kindern geht es Ulrike sehr gut und auch bei der Arbeit machen ihr ihre Aufgaben sehr viel Spaß. Auch mit den Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel der Arbeitszeit, ist sie zufrieden. Allerdings kommt Ulrike mit einer Kollegin in ihrem Team sehr schlecht zurecht. Anfänglich hatten sie noch wenig miteinander zu tun, aber seit etwa einem Jahr arbeiten sie verstärkt in gemeinsamen Projekten, sodass sie fast täglich Kontakt miteinander haben. Irgendwie läuft das nicht rund und die Zusammenarbeit ist aus Ulrikes Sicht oft sehr konfliktreich. Gerade in den letzten Monaten fühlt sich Ulrike durch ihre Kollegin im Umgangston immer wieder schlecht behandelt, unzureichend informiert und hat das Gefühl, dass Absprachen nicht eingehalten werden. Sie hat den Eindruck, dass ihre Kollegin sie bei gemeinsamen Themen nicht ausreichend mit einbindet und nicht richtig mir ihr bespricht, sondern über ihren Kopf hinweg entscheidet. Ihre Schlafprobleme führt sie auf das Spannungsverhältnis mit ihrer Kollegin zurück. Ulrike hat keine Idee, wie sie die Situation verbessern kann. Aus ihrer Sicht bemüht sie sich um eine gute Zusammenarbeit.

Kolleginnen und Kollegen können eine ganz wichtige soziale Ressource sein, gerade auch um mit hohen Arbeitsanforderungen gut umgehen zu können. Die soziale Funktion von Arbeit ist seit Jahrzehnten gut untersucht und wenn wir an uns selbst denken, dann fallen uns wahrscheinlich einige Situationen ein, in denen wir von Kollegen bei schwierigen Aufgaben unterstützt wurden oder Situationen, in denen es sehr angenehm war sich mit anderen Kollegen austauschen zu können. Zurecht versuchen Unternehmen durch Teamessen, Betriebsfeiern und gemeinsame Teamaktivitäten den sozialen Austausch zu fördern.

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Andersherum können konflikthafte Beziehungen in einem Team ein starker Stressor sein, der im schlimmsten Fall zu deutlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. Wahrscheinlich kennen wir ähnliche Geschichten, wie in unserem Einleitungsbeispiel. > Konflikte wirken sich negativ auf die Teamstimmung aus, können die Leistung

beeinträchtigen und nicht zuletzt negative gesundheitliche Auswirkungen haben. Der Umgang mit Konflikten in einer Organisation ist deshalb für die Gestaltung gesunder Arbeit hoch relevant.

Im Einleitungsbeispiel erlebt Ulrike mit ihren Grübeleien, mit Schlafstörungen, mit ihrer Anfälligkeit für Erkältungen und ihren Verspannungen diverse psychische und physische Beeinträchtigungen, die wahrscheinlich durch ihre konflikthafte Beziehung mit ihrer Kollegin mitverursacht werden. Wahrscheinlich gibt es gleichzeitig weitere Ursachen und möglicherweise auch gewisse Einstellungen und Verhaltensmuster bei Ulrike, die für die Entstehung und Aufrechterhaltung ihrer Beschwerden eine Rolle spielen – ein wichtiger Stellhebel scheint jedoch die Beziehung zur angesprochenen Kollegin zu sein. Ganz grundsätzlich wollen wir nicht behaupten, dass Konflikte zwangsläufig zu gesundheitlichen Beschwerden führen müssen oder dass Konflikte in der Verursachung von gesundheitlichen Beschwerden im Arbeitskontext immer eine Rolle spielen. Das wäre viel zu einfach gedacht und würde der Komplexität menschlichen Erlebens nicht gerecht werden. In diesem Kapitel wollen wir der Frage nachgehen, was Führungskräfte tun können, um konflikthafte Beziehungsgestaltungen in ihrem Verantwortungsbereich unwahrscheinlicher zu machen und falls sie auftreten, in eine positive Richtung zu entwickeln. Hierzu können Führungskräfte einen wichtigen Beitrag leisten. Genauso wichtig kann es jedoch sein, sich bei Konflikten externe Unterstützung zu holen, um zum Beispiel im Rahmen einer Teamentwicklung oder durch Mediation Konflikte zu bearbeiten und zu hilfreichen Lösungsansätzen zu kommen. Bei Konflikten im Team ist die Führungskraft immer Teil des Systems: sie steht in Beziehung zu ihren Teammitgliedern, hat eigene Interessen, hat womöglich Enttäuschungen, Ärger etc. erlebt. Vor diesem Hintergrund kann unabhängige, neutrale Unterstützung von außen sehr hilfreich sein. Konfliktlinien in einem Team können unterschiedlich verlaufen, beispielsweise: 5 Zwischen zwei Mitarbeitern 5 Zwischen Führungskraft und einem einzelnen Mitarbeiter 5 Zwischen Führungskraft und dem gesamten Team 5 Zwischen einer Gruppe im Team und einem einzelnen Mitarbeiter Wir stellen im nachfolgenden Kapitel Handlungsempfehlungen dar, die für unterschiedliche Konfliktkonstellationen Relevanz haben. Es geht uns in diesem Kapitel nicht um „normale“ Meinungsverschiedenheiten oder „konstruktive“ Auseinandersetzungen, als Teil einer positiven Streitkultur in Organisationen. Es gibt viele solcher fruchtbaren Konflikte. Beispielsweise, wenn Ressourcen ausgehandelt werden, wenn um Prioritäten bei Projekten gerungen wird etc. Solche „Konflikte“ sehen wir als Teil normaler Abstimmungs- und Klärungsprozesse: Es ist wichtig, dass in Organisationen unterschiedliche Meinungen ausgetauscht

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

werden, dass um gute Lösungen gerungen wird und gemeinsame Vorgehensweisen ausgehandelt werden. Diese Art von Klärungsprozessen können ohne Frage sehr anstrengend sein, werden von uns allerdings nicht betrachtet. Wir fokussieren in diesem Kapitel auf konflikthafte Beziehungen, die in ihrer Dynamik nicht auf Lösungen ausgerichtet sind, sondern zu den dargestellten negativen Wirkungen führen. Konflikte, die mit Verletzungen, mit Wut, mit dysfunktionalem Verhalten (z. B. Vorwürfen) einhergehen – darum geht es uns. Warum ist es wichtig, dass ich mich als Führungskraft um diese Konflikte kümmere? Wie im Eingangsbeispiel angedeutet, können konflikthafte Beziehungen mit sehr viel Leid für die Beteiligten einhergehen. Darüber hinaus kosten Konflikte in einem Team sehr viel Zeit und Kraft. Je mehr Zeit in die Beschäftigung mit den als problematisch erlebten Beziehungen fließt, umso stärker wird auch die Leistung des Teams leiden. Es spricht also viel dafür, Konflikte nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern sich als Führungskraft frühzeitig einzubringen. Wissenschaftlicher Hintergrund

Schlechtes Konfliktmanagement hatten wir bereits in unserem Kapitel zu wissenschaftlichen Hintergründen gesunder Führung als eine Facette von ungünstigem Führungsverhalten mit Blick auf die Mitarbeitergesundheit erwähnt (z. B. Gregersen et al. 2011; Zok 2011; Kivimäki et al. 2003; Tepper 2000, 2007). Darüber hinaus ist leicht ­erkennbar, dass Konflikte unser grundlegendes soziales Bedürfnis verletzen, wie wir es im einleitenden Kapitel zu den wissenschaftlichen Hintergründen beschrieben haben. Hyde et al. (2006) untersuchten den Zusammenhang von Konfliktmanagement und verschiedenen Gesundheitsindikatoren (Stresserleben, allgemeiner Gesundheitszustand, Erschöpfung, Fehlzeiten aufgrund von Krankheit) in einer großen Stichprobe mit ca. 9300 Beschäftigten. Dort wo Konflikte nicht angegangen werden, ergeben sich bei allen erhobenen Gesundheitsindikatoren bei den Beschäftigten schlechtere Werte im Vergleich zu Beschäftigten, die angeben, dass ihre Führungskräfte Konflikte aktiv angehen und diese zu klären versuchen.

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> Konflikte bei der Arbeit sind eine relevante Quelle für negatives Stresserleben

und tragen zu geringerer Arbeitszufriedenheit, zu geringerem Wohlbefinden, bis hin zu psychischen Beschwerden und krankheitsbedingten Fehlzeiten bei (Appelberg et al. 1996; Cooper und Marshall 1976; Oxenstierna et al. 2005).

Wer sich von seinen Kolleginnen und Kollegen wiederholt schlecht behandelt fühlt (z. B. sich ausgeschlossen, sich ungerechtfertigt kritisiert, sich lächerlich gemacht, sich angegriffen fühlt) erlebt mehr Gesundheitsprobleme und ist häufiger krank im Vergleich zu Mitarbeitern, die keine negativen Erfahrungen im Umgang mit ihren Kolleginnen und Kollegen machen (Dehue et al. 2012). Umgekehrt ist ein gutes Miteinander ein wichtiger protektiver Faktor für die Gesundheit. Positive soziale Beziehungen stehen in Zusammenhang mit physiologischen Mechanismen (Heaphy und Dutton 2008). Heaphy und Dutton (2008) ziehen in ihrer Überblicksarbeit auf der Basis zahlreicher Studien die Schlussfolgerung, dass die sozialen Erfahrungen, die Menschen bei der Arbeit machen, sich unmittelbar

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und nachhaltig auf ihren Organismus auswirken (z. B. auf das Herz-Kreislaufsystem, das Immunsystem, das neuroendokrine System). > Wer sich von seinen Kollegen bei Arbeitsproblemen gut unterstützt fühlt und

sich von seinen Kolleginnen und Kollegen freundschaftlich behandelt fühlt, der hat ein geringeres Erkrankungsrisiko (Oxenstierna et al. 2005) bis hin zu einer verbesserten Lebenserwartung (Shirom et al. 2011).

Dabei spielt zum einen die Qualität der sozialen Beziehungen zu den Kolleginnen und Kollegen und zum anderen die Qualität der sozialen Beziehung zur eigenen Führungskraft eine Rolle (Moyle 1998; Oxenstierna et al. 2005). Zusammenhalt in einem Team mit einem starken Zusammengehörigkeitsgefühl scheint gesundheitsförderlich für die Teammitglieder zu sein (Steffens et al. 2014). Die genannten Studien liefern deutliche Hinweise für die große Bedeutung aktiven Konfliktmanagements in Organisationen für die Gesundheit der Beschäftigten. Es geht nicht darum, dass in einer Organisation keine Konflikte mehr auftreten sollen, auch wenn Konfliktprävention ein wichtiger Ansatzpunkt ist. Auch wenn Organisationen sich um Konfliktprävention bemühen, zum Beispiel durch gute Teamorganisation, so ist dennoch zu erwarten, dass Konflikte zwischen Mitarbeitern und zwischen Mitarbeitern und Führungskräften immer wieder auftreten (Hyde et al. 2006). Es geht sehr stark darum, wie mit solchen Konflikten umgegangen wird. Dort liegt ein wichtiger Schlüssel für die Förderung der Mitarbeitergesundheit (Hyde et al. 2006). Stark autoritäres Führungsverhalten scheint ebenso wie das Aussitzen von Konflikten eher zur Verschärfung denn zur Lösung von Konflikten beizutragen (Eisenhardt et al. 1997). Um herauszufinden, wie in Organisationen mit Konflikten durch die Führungskräfte umgegangen wird, befragten Hyde et al. (2006) in ihrer Studie die Mitarbeiter, ob Konflikte angegangen und durch Gespräche und Aushandlungsprozesse geklärt werden, ob Konflikte durch Anweisungen und autoritäre Entscheidungen angegangen werden oder ob gar keine Lösungsversuche unternommen werden. Wie bereits beschrieben, ist aktives Konfliktmanagement im Sinne von Diskussions- und Aushandlungsprozessen stärker mit Mitarbeitergesundheit assoziiert, wie die beiden anderen möglichen Ansatzpunkte (Hyde et al. 2006). > Aus den Forschungsbefunden lässt sich unmittelbar ableiten, dass es nichts

bringt, Konflikte zu ignorieren in der Hoffnung, dass die Konflikte sich von alleine auflösen. Es bringt auch nichts, eine klare Ansage zu machen, in der Hoffnung den Konfliktknoten mit einem Schlag auflösen zu können.

Beide Ansatzpunkte finden sich jedoch durchaus bei Führungskräften in der Praxis. In der Studie von Hyde et al. (2006) gaben beispielsweise ca. 19 % der Befragten an, dass ihre Führungskräfte versuchen durch autoritäre Entscheidungen Konflikte zu lösen, ca. 15 % gaben an, dass keinerlei Konfliktlösungsversuche unternommen werden. Die Zahlen beziehen sich auf Befragungsdaten aus Schweden. Sie zeigen, dass die wenig hilfreichen Lösungsansätze in der Praxis durchaus verbreitet sind. Beachtlich ist auch die Stärke des Effektes. Mitarbeiter, die konstruktives Konfliktmanagement erleben, haben ein um ca. 50 % reduziertes Risiko für gesundheitliche Beschwerden im Vergleich zu Mitarbeitern, bei denen Konflikte nicht angegangen werden (Hyde 2006).

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Impulse zur persönlichen Reflexion

Wir stellen nachfolgend einige Empfehlungen dar, die aus unserer Sicht grundlegend wichtig für die Vermeidung und Bearbeitung von Konflikten sind. Wir gehen nicht ausführlicher auf Mediationsprozesse ein oder auf die Durchführung von Interventionen zur Teamentwicklung, da beides am besten von einer entsprechend qualifizierten Person von außen mit dem Team und der Führungskraft gestaltet wird und nicht durch die Führungskraft selbst. Die Führungskraft gerät sonst leicht in einen Rollenkonflikt zwischen ihrer Funktion als beteiligte Führungskraft und der Funktion eines neutralen Moderators. Das bedeutet auch, dass ich als Führungskraft gut überlegen muss, ob ich mir bei Konflikten im Team nicht externe Unterstützung hole. Im Zweifelsfall raten wir dazu externe Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wertschätzend kommunizieren > Konflikthafte Beziehungen sind häufig von gegenseitigen Abwertungen

gekennzeichnet. Es mangelt an gegenseitiger Wertschätzung.

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Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Teammitglieder berichten, dass ihre Führungskraft kein Interesse an Ihnen habe, sozial völlig inkompetent sei, nur Fehlentscheidungen treffe etc. Umgekehrt beschreibt die Führungskraft ihre Mitarbeiter als faul und blockierend, wenn es um wichtige Veränderungen geht. Da kann es nahezu endlose Ketten an gegenseitigen Vorwürfen und Unterstellungen geben, denen gemeinsam ist, dass sie den Gesprächspartner in seinem Verhalten und seinen Motiven abwerten. In der Praxis erleben wir, dass mangelnde Wertschätzung, unabhängig vom Gehalt, gerade auch bei Fluktuationen hohe Relevanz hat. Bei solchen Konfliktspiralen ist die Aufmerksamkeit auf das gerichtet, was in der Zusammenarbeit nicht funktioniert, was der andere alles falsch und schlecht macht. Eine Abwärtsspirale gegenseitiger Abwertung ist in Gang gekommen. Im Eingangsbeispiel wird geschildert, dass Ulrike sich schlecht behandelt fühlt und dass der Umgangston, den sie wahrnimmt, ihr nicht gut tut. Möglicherweise spielt in diesem Konflikt mangelnde Wertschätzung eine Rolle. Gerade dann ist es hilfreich, wenn ich als Führungskraft solche Abwertungstendenzen nicht verstärke, sondern im Gegenteil den beteiligten Personen mit viel Wertschätzung begegne, um im besten Fall die Abwärtsspirale zu stoppen und in eine andere Richtung zu drehen. Eine wertschätzende Grundhaltung ist sowohl für die Konfliktprävention, als auch für die Bearbeitung von Konflikten sehr hilfreich. Es geht darum Muster gegenseitiger Vorwürfe durch respektvollere Umgangsweisen zu ersetzen. Dabei gibt es viele Aspekte, die ich als Führungskraft in den Fokus nehmen kann, wenn ich Wertschätzung in konflikthaften Situationen ausdrücken möchte. Anregungen zum Zeigen von Wertschätzung in konflikthaften Situationen. 5 Würdige ich zum Beispiel die Berufserfahrung, die Lebenserfahrung, die Leistungen, das Engagement, die Stärken der beteiligten Personen? 5 Bin ich selbst ein Vorbild darin, wie ich über andere Mitarbeiter spreche?

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5 Unterbinde ich abwertende Gespräche in meiner Anwesenheit konsequent? 5 Würdige ich in Gesprächen mit Konfliktpartnern, was sie jeweils für das Team und das Unternehmen leisten und geleistet haben? 5 Erkenne ich an, was Konfliktpartner bereits an Verbesserungsversuchen unternommen haben? 5 Verstärke ich Konfliktlösungsversuche, die erkennbar zu einer Verbesserung der Beziehungen beitragen? 5 Erkenne ich die Offenheit an, mit der kritische Punkte angesprochen werden? 5 Signalisiere ich Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen?

Fallbeispiel Ganz konkret kann das zum Beispiel bedeuten, dass ich als Führungskraft ein Gespräch zur Konfliktklärung zwischen zwei Mitarbeitern folgendermaßen einleite: „Ich hoffe, dass es uns miteinander gelingt, zu guten Lösungen zu kommen, weil ich euch beide als sehr engagierte Leistungsträger im Team erlebe. Ihr habt beide sehr viel Erfahrung und ich weiß, dass jeder von euch das Beste für unser Team möchte. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir bei den kritischen Punkten gute Lösungen finden.“ Ein weiteres Beispiel kann die Würdigung unternommener Lösungsversuche sein: „Ich finde es beeindruckend, was ihr jeweils schon unternommen habt, um zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Es ist für mich klar erkennbar, dass jeder bereits einiges versucht hat. Ich denke, das ist ein guter Ansatzpunkt für unser weiteres Gespräch.“ Auch wenn auf den ersten Blick wenig konstruktive Ansatzpunkte erkennbar sind, kann ich als Führungskraft einen wertschätzenden Rahmen gestalten: „Ich bin mir bewusst, dass es zwischen euch gravierende Differenzen gibt und es euch beiden mit dieser Situation nicht gut geht. Umso besser finde ich es, dass wir jetzt gemeinsam an einem Tisch sitzen und dass wir die Möglichkeit haben, gemeinsam nach Veränderungsmöglichkeiten zu schauen. Dafür bin ich euch dankbar. Das ist keine Selbstverständlichkeit.“

Natürlich müssen Formulierungen immer zur Person und Situation passen. Unsere Beispiele können lediglich zur Illustration der dahinterliegenden Idee dienen. Sie müssen als Führungskraft Ihre eigenen Formulierungen finden, die für Sie richtig klingen und auch als authentisch von anderen wahrgenommen werden können. Praxistipp

Gerade in konflikthaften Situationen ist es sehr wichtig, dass ich als Führungskraft einen Rahmen der Wertschätzung schaffe. Es ist meine Aufgabe, dass sich Mitarbeiter, die miteinander konflikthafte Beziehungen erleben, bei mir als Führungskraft in gleicher Weise mit ihren Sichtweisen akzeptiert fühlen. Mit Blick auf das Eingangsbeispiel wäre es nicht hilfreich, wenn ich als Führungskraft mit Vorurteilen an die Situation herangehe: „Ulrikes Kollegin ist die Ursache für die Probleme. Ulrikes Kollegin muss sich anders verhalten.“ Solche Vorannahmen sind

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

nicht hilfreich. Sie würden dazu führen, dass ich als Führungskraft im Gespräch von Anfang an vermittle, dass Ulrikes Kollegin am meisten zur Lösung beitragen muss und ich von ihr am meisten erwarte – eine schlechte Ausgangsbasis für die Lösung von Konflikten. Ich gehe besser mit der Vorannahme heran, dass jeder seinen Teil zur Entstehung des Konfliktes beigetragen hat und jeder auch seinen Teil zur Lösung beitragen kann. Das kann ich auch so im Gespräch formulieren…

Genauso wichtig ist es, dass ich Mitarbeitern, mit denen ich selbst Konflikte erlebe, mit Wertschätzung begegne. Das kann sehr schwer sein, ist allerdings sehr hilfreich, um die Beziehung in eine positive Richtung zu entwickeln. Wenn ich als Führungskraft im Gespräch mit einem Mitarbeiter abwertend über andere Mitarbeiter spreche, dann drehe ich an der Konfliktspirale und trage zur Verschlechterung bei. Wenn ich mir ausführlich schildern lasse, was jemand alles falsch macht und die Aufmerksamkeit stark auf alles lenke, was in der Zusammenarbeit nicht funktioniert, dann werde ich genau diese Entwicklung verstärken und beschleunigen. Das hilft nicht weiter. > Erlebe ich als Führungskraft Konflikte in meinem Team oder mit meinem Team,

dann kann es gut sein, dass ich diese Konflikte durch mangelnde Wertschätzung verursacht habe und dort auch ein wichtiger Schlüssel für die Konfliktlösung liegt.

Verletzte Bedürfnisse erkennen und würdigen

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Hinter vielen konflikthaften Beziehungen liegen verletzte Bedürfnisse: ein Mitarbeiter wünscht sich beispielsweise von seinem Kollegen einmal ein „Danke“, wenn er ihm bei einer Aufgabe geholfen hat oder ein älterer Kollege wünscht sich von jungen Kollegen Respekt vor seiner Lebenserfahrung und seinen bisherigen Leistungen für die Organisation. In unserem Eingangsbeispiel fühlt sich Ulrike von ihrer Kollegin bei gemeinsamen Arbeitsthemen nicht gut genug eingebunden und hat den Eindruck, dass ihre Kollegin Entscheidungen über ihren Kopf hinweg trifft. Sie hat auch den Eindruck, dass sie wichtige Informationen nicht erhält. Das Bedürfnis nach Kontrollierbarkeit ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das möglicherweise bei Ulrike in der Interaktion mit ihrer Kollegin nicht so erfüllt wird, wie ihr das wichtig wäre. Wahrscheinlich ist dies ihrer Kollegin nicht bewusst. Solche Bedürfnisse werden in aller Regel nicht offen kommuniziert, auch weil sie den Betroffenen selbst auf den ersten Blick oft nicht zugänglich sind: Um was geht es mir da eigentlich? Was stört, ärgert, verletzt mich da eigentlich? Diese Fragen zur Selbstreflexion werden ohne Anstöße von außen, nach unserer Erfahrung, kaum gestellt. Im Kapitel zu den wissenschaftlichen Grundlagen gehen wir auf grundlegende menschliche Bedürfnisse ausführlicher ein. > Als Führungskraft kann es sehr hilfreich sein, feine Antennen für verletzte

Bedürfnisse zu entwickeln und diese verletzten Bedürfnisse anzusprechen, anzuerkennen und zu würdigen.

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Eine wichtige Führungsleistung kann auch darin liegen, dass ich meinem Mitarbeiter als Führungskraft dabei helfe, sich bewusst zu werden, welche verletzten Bedürfnisse in der Konfliktsituation eine Rolle spielen – also die Führungskraft als Förderer von Selbstreflexion. Das kann dann wiederum die Grundlage dafür sein, um Bedürfnisse in klärenden Gesprächen zu thematisieren, zu würdigen und passende Vereinbarungen dazu zu treffen, die eine Verbesserung der konflikthaften Beziehung ermöglichen. Mit Blick auf das Eingangsbeispiel wurde zwischen den beiden Kolleginnen möglicherweise noch nie darüber gesprochen, was Ulrike für die Zusammenarbeit wichtig ist, weshalb ihr das wichtig ist und welche konkreten Wünsche für die zukünftige Zusammenarbeit sich daraus ergeben, die dann miteinander auszuhandeln wären. Diese Überlegungen zu verletzten Bedürfnissen sind eng mit der Wertschätzungsthematik verknüpft: „verletzte Bedürfnisse“ bedeutet letztlich, dass der Betroffene bei ihm wichtigen Anliegen keine Wertschätzung erfährt. Fallbeispiel Konkret kann das zum Beispiel bedeuten, dass eine junge Führungskraft eine konflikthafte Beziehung zu einem älteren Mitarbeiter positiv verändern kann, wenn die Führungskraft den älteren Mitarbeiter bei Entscheidungen um Rat fragt und den Rat in seine Arbeit einfließen lässt. Das signalisiert dem Mitarbeiter, dass er als junge Führungskraft die Berufserfahrung seines Mitarbeiters würdigt und sinnvoll nutzen möchte. „Welche Anregungen hast du bei diesem Thema? Was rätst du mir?“ Solche einfachen Fragen, können ein wichtiges Signal der Wertschätzung für den älteren Mitarbeiter sein.

Ein anderes Beispiel könnte sein, dass ein Mitarbeiter sich benachteiligt fühlt, weil er bestimmte Informationen durch die Führungskraft nicht oder später als andere Mitarbeiter erhält. Womöglich, weil sich die Führungskraft nicht ausreichend Gedanken zur Gestaltung eines guten Informationsflusses im Team gemacht hat. Wird dieses Bedürfnis nach Gleichbehandlung dauerhaft verletzt, dann kann das wesentlich zu Konflikten beitragen. Für mich als Führungskraft geht es darum herauszufinden, welche verletzten Bedürfnisse hinter dem liegen, was offen angesprochen wird. Auch hinter Vorwürfen, die sich Mitarbeiter an den Kopf werfen, liegen verletzte Bedürfnisse. Es geht darum, dass ich als Führungskraft einen Beitrag dazu leiste, dass verletzte Bedürfnisse offengelegt werden. Impulsfragen, mit denen ich als Führungskraft verletzte Bedürfnisse herausfinden kann. 5 Was beschäftigt dich bei dem Thema? 5 Was macht dich da unzufrieden? 5 Was ärgert dich da? 5 Worum geht es dir dabei? 5 Weshalb ist dir das wichtig?

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Es hilft sehr, wenn ich als Führungskraft viel Interesse für die Bedürfnisse und Anliegen meiner Mitarbeiter mitbringe und gerade in konflikthaften Beziehungen nach den verletzten Bedürfnissen und Erwartungen suche, die den Konflikt anheizen. Wenn ich als Führungskraft verletzte Bedürfnisse erkenne, dann kann ich darauf eingehen, kann diese würdigen, kann mein Verhalten anpassen. Unterschiedliche Sichtweisen akzeptieren > Zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Konflikten trägt auch oft die

Einstellung bei: „mein Kollege muss die Dinge so sehen, wie ich sie sehe und sich so verhalten, wie ich mich verhalte.“ Es fehlt an Akzeptanz für Unterschiedlichkeit. Uns sind vor allem Menschen sympathisch, die uns ähnlich sind.

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Menschen, die den gleichen Beruf gelernt haben, die die gleichen Hobbys haben, die die gleiche Art von Urlaub mögen, die Fan unseres Lieblingsvereins sind, die die gleiche Einstellung zu bestimmten Themen haben wie wir etc. Wir suchen nach Anknüpfungspunkten und finden sie in Gemeinsamkeiten. Unterschiedlichkeit kann uns Probleme machen und einen Beitrag zur Konstruktion von Konflikten leisten. Wenn jemand etwas anders sieht, etwas anders macht, dann kann uns das irritieren. Gerade mit zunehmender Diversität in Teams kann das eine echte Herausforderung sein. In kulturell vielfältigen Teams geht es dann beispielsweise nicht „nur“ um unterschiedliche Hobbys, sondern auch um kulturell unterschiedlich geprägte Lebenseinstellungen oder Lebensentwürfe. Bringe ich als Führungskraft solcher Teams viel Akzeptanz für Unterschiedlichkeit mit? Kann ich zum Beispiel in einer konflikthaften Situation mit zwei Mitarbeitern aus zwei unterschiedlichen Kulturräumen, zunächst einmal anerkennen, dass es in verschiedenen kulturellen Kontexten Unterschiede im Verständnis von Pünktlichkeit, beim Geben von Feedback, bei der Gestaltung von Partizipation etc. gibt? Beziehungen werden vor allem dann stark konflikthaft gestaltet, wenn Einstellungen und Verhalten mit Begriffen wie „falsch“ und „richtig“ bewertet werden. Viele Themen lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten: Wie viel Offenheit für solche unterschiedlichen Sichtweisen bringe ich als Führungskraft mit? So kann es beispielsweise ein wichtiger Beitrag zur Lösung von Konflikten sein, wenn ich als Führungskraft Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen äußere und deutlich mache, dass unterschiedliche Sichtweisen sich nicht ausschließen müssen, sondern im besten Fall ergänzen und bereichern können. Es kann ein wichtiger Entwicklungsschritt für ein Team sein, Unterschiedlichkeit auszuhalten und im besten Fall zu nutzen. Als Führungskraft muss mir bewusst sein, dass die Heterogenität in meinem Verantwortungsbereich in den kommenden Jahren wahrscheinlich zunehmen wird, alleine schon aufgrund der Migrationsbewegungen und der weiter zunehmenden Globalisierungsaktivitäten von Unternehmen. Diese Entwicklungen benötigen Führungskräfte, die viel Akzeptanz für Unterschiedlichkeit mitbringen oder sich diese erarbeiten. Differenzen zwischen Selbst- und Fremdbild klären > Gerade bei Konflikten zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, allerdings

auch bei Kollegen untereinander, erleben wir immer wieder auch eine starke Diskrepanz bei den beteiligten Personen mit Blick auf Selbst- und Fremdbild.

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So hält sich ein Mitarbeiter beispielsweise für einen Leistungsträger im Team, der im Vergleich zu seinen Kollegen die meiste Arbeit macht und sehr gute Erfolge erzielt, während die Führungskraft den Mitarbeiter als wenig engagiert wahrnimmt und den Eindruck hat, dass der Mitarbeiter weniger leistet als andere Kollegen im Team. Oder umgekehrt nimmt eine Führungskraft sich als verständnisvoll und empathisch wahr, während sie von ihrem Mitarbeiter als aggressiv wahrgenommen wird. Wenn diese gegensätzlichen Wahrnehmungen nicht auf den Tisch kommen, dann wird es schwierig, vertrauensvolle Beziehungen zu gestalten. Differenzen im Selbst- und Fremdbild wahrzunehmen und zu klären, kann ein wichtiger Teil von Konfliktprävention und Konfliktbearbeitung sein. Fallbeispiel Das kann bedeuten, dass eine Führungskraft ihre Wahrnehmungen offen kommuniziert und mit dem Selbstbild des Mitarbeiters abgleicht: „Ich habe den Eindruck, dass du wichtige Routineaufgaben sehr gut erledigst. Gleichzeitig nehme ich wahr, dass du dich im letzten halben Jahr nicht mehr für besondere Projekte angeboten hast. Wie siehst du das? Was ist dein Eindruck dazu?“ „Ich habe den Eindruck, dass du mittlerweile gut eingearbeitet bist und viele Aufgaben gut erledigen kannst. Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass dir die Aufgaben X und Y noch schwerfallen. Wie ist deine Einschätzung dazu?“ „Du hast mir erzählt, dass dir deine Aufgaben viel Spaß machen und du mit deinen Aufgaben gut zurechtkommst. Ich finde es sehr gut, wenn dir deine Aufgaben Spaß machen. Gleichzeitig sind dir bei den Aufgaben X und Y die folgenden Fehler unterlaufen: … Wie schätzt du das ein?“

Auch andersherum kann ich mich als Führungskraft um einen Abgleich von Selbstund Fremdbild bemühen: Fallbeispiel „Mir ist es sehr wichtig, dass ich dich in Entscheidungen, die deine Arbeit betreffen, einbinde. Wie nimmst du das wahr?“ „Mir ist es wichtig, dass du hoch eigenverantwortlich arbeiten kannst und ich dir dabei keine Steine in den Weg lege. Wie nimmst du das im Moment wahr?“ „Mir ist es sehr wichtig, dass wir gut zusammenarbeiten und du dich in der Zusammenarbeit wohl fühlst. Wie nimmst du im Moment unsere Zusammenarbeit wahr? Was kann ich verbessern?“ Diese Ansätze können auch für Klärungen zwischen Kollegen genutzt werden, wenn die Führungskraft ein solches Gespräch moderiert. Um unser Eingangsbeispiel aufzugreifen: „Ich habe den Eindruck, dass ihr eure Zusammenarbeit unterschiedlich seht, gerade mit Blick auf das gemeinsame Treffen von Entscheidungen, die euch beide betreffen. Wie schätzt ihr das jeweils ein? Wie gut funktioniert das aus eurer jeweiligen Sicht? Was seht ihr jeweils für Verbesserungsbedarf?“

Werden unterschiedliche Einschätzungen transparent gemacht, dann kann das ein erster Schritt für gegenseitiges Verständnis, für Klärungen und gemeinsame

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Vereinbarungen sein. Im besten Fall entsteht sogar eine gewisse Neugierde auf die Einschätzungen des anderen: Wie siehst du das? Wie meinst du das? Anliegen klären Eng verknüpft mit der Betrachtung von Selbst- und Fremdbild ist die Klärung von Anliegen. Wir haben bereits beschrieben, dass verletzte Bedürfnisse bei Konflikten hohe Relevanz haben. Solche verletzten Bedürfnisse können in konkrete Anliegen, in Wünsche überführt werden. Oft liegt dort auch eine Diskrepanz zwischen Selbstund Fremdbild vor. Beispielsweise hat ein Mitarbeiter den Eindruck, dass er für seine herausragenden Leistungen zu wenig Anerkennung erfährt (verletztes Bedürfnis), während die Führungskraft die Leistungen des Mitarbeiters als unterdurchschnittlich bewertet. Dies macht es notwendig gegenseitige Erwartungen und Sichtweisen gut zu klären. Fragen für Mitarbeitergespräche, um Anliegen herauszuarbeiten. 5 Was ist dir wichtig? 5 Was soll aus deiner Sicht verändert werden? 5 Weshalb ist dir das wichtig? 5 Was sind deine konkreten Wünsche bei diesem Thema?

Fallbeispiel Auf das Beispiel bezogen, kann das bedeuten, dass der Mitarbeiter seine Anliegen schildert, beziehungsweise diese gemeinsam herausgearbeitet werden: „Ich habe das Gefühl, dass ich anhand von einzelnen Fehlern sehr negativ beurteilt werde und dabei andere sehr gute Leistungen nicht beachtet werden. Mir ist es wichtig, dass meine guten Leistungen wahrgenommen und anerkannt werden.“

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Damit die Sichtweisen und Anliegen des Mitarbeiters auf den Tisch kommen, kann die Führungskraft Fragen nutzen, wie wir sie in diesem Abschnitt vorschlagen. > Werden Anliegen klar beschrieben, dann gibt dies dem Gesprächspartner die

Möglichkeit konkret nachzufragen und sich zu überlegen, wie er die Anliegen aufgreifen kann oder auch welche Möglichkeiten es gibt, zu gemeinsamen Sichtweisen zu kommen. Die Anliegen des Gesprächspartners zu kennen, ist ein wichtiger Beitrag zur Konfliktprävention und zur Veränderung von konflikthaften Beziehungen.

Wenn Ulrike aus dem Eingangsbeispiel ihrer Kollegin konkret schildern kann, dass ihr eine wöchentliche Abstimmung zu den gemeinsamen Projekten wichtig wäre und eine gemeinsame Projektdatei, in der beide den Projektstand pflegen können und dass neue Informationen zu ihren Projekten unmittelbar per E-Mail weitergegeben werden, dann könnten dies drei konkrete Anliegen sein, die in einem Gespräch verhandelbar sind und im besten Fall zu gemeinsamen, konkreten Vereinbarungen führen.

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Konkrete Vereinbarungen treffen Im Verlauf von Konfliktklärungsprozessen sollten immer konkrete Vereinbarungen erarbeitet werden, die miteinander ausgehandelt werden müssen. Die Vereinbarungen ergeben sich in der Regel aus den Anliegen der Beteiligten. Greifen wir das Beispiel der Führungskraft mit dem Mitarbeiter auf, der sich mit seinen Leistungen nicht hinreichend wertgeschätzt fühlt. Beispiele für konkrete Vereinbarungen. 5 Wir vereinbaren konkrete Ziele und Leistungskriterien, um in sechs Monaten die Leistung besser bewerten zu können, als dies in der Vergangenheit möglich war. 5 In wöchentlichen Abstimmungen reflektieren wir gemeinsam, was in der zurückliegenden Woche gut gelungen ist, welche Erfolge erzielt werden konnten, was nicht so gut geklappt hat und was wir daraus lernen können. 5 Wenn ich als Führungskraft mit konkretem Verhalten nicht zufrieden bin, dann wird das offen und respektvoll in einem 4-Augengespräch thematisiert.

Die drei Vereinbarungen zielen darauf ab, die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild zu reduzieren, Leistungen sichtbar zu machen, Verbesserungen durch Feedback zu initiieren und Anerkennung für erbrachte Leistungen zu ermöglichen. Die Wirkung von Vereinbarungen reflektieren Getroffene Vereinbarungen sollten immer auch nach einer gewissen Zeit mit Blick auf ihre Auswirkungen reflektiert werden. Wir empfehlen am Ende des Gesprächs gemeinsam zu überlegen, ab wann die getroffenen Vereinbarungen zu spürbaren Veränderungen führen sollten und entsprechend einen Reflexionstermin festzulegen, in dem über die Umsetzung der vereinbarten Punkte gesprochen wird. Fragen zur Reflexion von Vereinbarungen im Mitarbeitergespräch. 5 Wie ging es dir nach dem letzten Treffen? 5 Was hat sich positiv verändert, was ist gleich geblieben, was hat sich womöglich verschlechtert? 5 Welche Vereinbarungen sollten möglicherweise verändert werden? 5 Welche neuen Themen sind aufgekommen? 5 Welche neuen Vereinbarungen sind uns wichtig?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Gespräche zur Konfliktklärung oder Workshops zur Teamentwicklung vielfältige Veränderungsprozesse anstoßen können und diese Veränderungen selten auf einzelne konkrete Vereinbarungen zurückgeführt werden können. Darum geht es aus unserer Sicht auch nicht, sondern um die Frage, ob es positive Auswirkungen gibt und ob Anpassungen oder neue Klärungen und

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Vereinbarungen sinnvoll erscheinen. Die Festlegung eines Reflexionstermins ist auch ein klares Signal, dass an den vereinbarten Themen ernsthaft gearbeitet werden soll und dass Anpassungen möglich sind, falls die erhofften Effekte noch nicht hinreichend eintreten. Rahmenbedingungen, die möglicherweise Konflikte begünstigen, reflektieren und gegebenenfalls verändern Wir haben bei den Lösungsansätzen in diesem Kapitel einen ganz klaren Fokus darauf gelegt, was ich als Führungskraft in Interaktion mit meinen Teammitgliedern tun kann. Da es bei Konflikten in Teams ganz wesentlich um die Beziehungsgestaltung geht, ist das aus unserer Sicht auch sinnvoll. Ergänzend kann jedoch auch ein Blick auf die Rahmenbedingungen außerhalb des Teams lohnend sein. Jedes Team steht ja nicht alleine für sich, sondern ist eingebettet in eine Abteilung etc. und in eine Gesamtorganisation. > Genauso wichtig wie es sein kann innerhalb eines Teams nach Lösungsansätzen,

nach Klärungen und Vereinbarungen zu suchen, kann es hilfreich sein, sich als Führungskraft mit den Rahmenbedingungen zu beschäftigen.

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Klärung von äußeren Faktoren, die Konflikte begünstigen können. 5 Welche Rahmenbedingungen von außen tragen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Konflikten bei uns im Team bei? 5 Gibt es beispielsweise starken Leistungsdruck, hohe Erwartungen von außen, die zu Anspannung und Gereiztheit im Team beitragen? 5 Gibt es unklare, irritierende Kommunikation von höheren Hierarchieebenen ins Team hinein? Möglicherweise auch Aussagen, die meinen Aussagen als direkte Führungskraft widersprechen? 5 Gibt es Kontakte außerhalb des Teams (z. B. zu anderen Einheiten im Unternehmen, zu Lieferanten, zu Kunden), die als sehr anstrengend und Stress erzeugend wahrgenommen werden? 5 Gibt es von außen Ressourcenrestriktionen (z. B. zu knappe Budgets, fehlende Arbeitsmittel), die Konflikte begünstigen?

Wenn sich beispielsweise in einem Logistikbereich mehrere Mitarbeiter unterschiedlicher Teams ein Flurförderfahrzeug teilen, obwohl mit Blick auf die Bewältigung der Arbeit ein Fahrzeug nicht ausreicht, dann kann das zur Entstehung von Konflikten beitragen. Wenn die direkte Führungskraft beispielsweise kommuniziert, dass ein Vertriebsmitarbeiter vier Kunden am Tag besuchen soll und die nächst höhere Führungsebene sechs Kundenbesuche erwartet, dann kann auch das zu Unklarheit, Irritationen und letztlich auch Konflikten führen. Wenn von höheren Hierarchieebenen oder aus anderen Einheiten heraus eine Arbeitsauslastung für ein Team erzeugt wird, die nur durch massive Mehrarbeit bewältigt werden kann, dann macht auch dies Konflikte im Team, zum Beispiel wer wie viel oder wenig Mehrarbeit leistet, wahrscheinlich. Es ließen sich noch viele weitere Beispiele ergänzen.

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Dabei ist wichtig, dass die Ansätze für Konfliktlösungen gerade nicht allein außerhalb des Teams gesucht werden. Das wäre ein allzu bequemer Ansatz: „Wir im Team und ich als Führungskraft können nichts tun, weil …“ Umgekehrt wird es jedoch genauso falsch, wenn für alle Konflikte die Lösungsmöglichkeiten alleine bei der Führungskraft mit ihrem Team gesehen werden. Es ist immer wichtig auch einen Blick auf das System um das Team herum zu werfen und gegebenenfalls auch dort nach Ansatzpunkten für Veränderungen zu suchen. Praxistipp

Greifen wir einmal das Beispiel mit hohem Leistungsdruck auf: ein Team bekommt immer wieder neue Aufgaben von höheren Hierarchieebenen, die zusätzlich zu den bestehenden Aufgaben erledigt werden sollen. Neben vielen Ansatzpunkten, die sich mit der Schaffung von mehr Effizienz im Team beschäftigen, kann es genauso wichtig sein als Führungskraft mit höheren Hierarchieebenen in Aushandlungsprozesse einzutreten: Welche Ressourcen benötigen wir, um die Aufgaben bewältigen zu können? Welche Zeitschiene ist unter den gegebenen Umständen realistisch? Welche Abstriche sind möglicherweise bei der Qualität vertretbar, um die zusätzlichen Aufgaben bewältigen zu können? Solche Klärungsprozesse sind Teil der Führungsaufgabe und können je nach Umgang damit zur Vermeidung und Reduktion von Konflikten beitragen.

Sorgsame Zusammenstellung von Teams Bereits bei der Zusammenstellung von Teams können Konflikte angelegt oder präventiv vermieden werden. Praxistipp

Wir empfehlen sehr, in die Auswahlentscheidung bezüglich neuer Teammitglieder das bestehende Team mit zu involvieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass im Rahmen von Probearbeitstagen ein Kennenlernen im Team ermöglicht wird und die subjektiven Eindrücke der Teammitglieder in die Auswahlentscheidung mit einfließen. Die Teammitglieder können eine wichtige Quelle sein, um Verhaltensbeobachtungen aus Probearbeitstagen beizusteuern und gleichzeitig können sie als wichtige Information einbringen wie wohl oder unwohl sie sich mit der potenziellen neuen Kollegin oder dem potenziellen neuen Kollegen gefühlt haben.

Klar ist auch, dass solche subjektiven Gefühlseinschätzungen niemals eine sorgsame Eignungsdiagnostik, die auf Fähigkeiten, Kompetenzen, Leistung abzielt, ersetzen können, allerdings sollte aus unserer Sicht auf solche Einschätzungen durch Teammitglieder auch nicht verzichtet werden. Mit Blick auf unsere Erfahrungen sollten vor allem die folgenden Platzierungsentscheidungen gut abgewogen werden, was nun nicht heißt, dass sie unbedingt vermieden werden sollten.

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Anregungen zur personellen Zusammenstellung eines Teams. 5 Wenn sich das bisherige Unternehmen eines potenziellen neuen Mitarbeiters in relevanten Punkten deutlich vom Unternehmen des neuen Teams unterscheidet (z. B. mit Blick auf das Gehaltssystem, Zeiterfassung, Arbeitsweise, Teamrituale, Umgang untereinander), dann ist die Passung in besonderer Weise zu prüfen. Wenn ein Mitarbeiter aus einer ganz anderen Unternehmenskultur kommt, dann kann das eine große Anpassungsherausforderung für die betroffene Person selbst und auch für das Team sein. Der Probezeit wird dann als Entscheidungszeit in beide Richtungen große Bedeutung zukommen. 5 Teams können Merkmale haben, die sie besonders auszeichnen, beispielsweise einen sehr freundschaftlichen Umgang untereinander oder einen sehr hohen Anspruch an eine sorgfältige Arbeitsweise. Potenzielle Teammitglieder, die solche wesentlichen Merkmale eines Teams nicht teilen, können großen Anpassungsherausforderungen ausgesetzt sein. Konflikte sind wahrscheinlich. 5 Wenn eine neue Führungskraft deutlich jünger als ihre Teammitglieder ist, sollte die Frage, wie Akzeptanz für diese Führungskraft geschaffen werden kann, besonders im Fokus stehen.

Konfliktparteien strukturell trennen Viele Konflikte können mit den hier gegebenen Hinweisen vermieden oder bearbeitet werden. Auch durch Mediation oder durch Workshops zur Teamentwicklung mit externer Unterstützung sind Verbesserungen möglich. Allerdings kann auch die Trennung von Konfliktparteien eine gute Lösung sein. > Nicht jede konflikthafte Beziehung kann aus unserer Sicht in eine positive

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Richtung entwickelt werden. Es kann sehr anstrengend und aufwendig sein konflikthafte Beziehungen zu verbessern, sodass die Frage, ob sich das lohnt und ob es wirklich notwendig ist, ihre Berechtigung hat. Deshalb ist auch die strukturelle Trennung von Konfliktpartnern ein Lösungsansatz, der mit auf dem Tisch liegen sollte.

Gerade im Arbeitskontext sind Zeit und Geld hoch relevante Ressourcen, sodass beispielsweise eine Teamentwicklung immer auch im Vergleich zu anderen Alternativen mit Blick auf Aufwand und Nutzen bewertet werden muss. Wir plädieren explizit nicht dafür, Konfliktklärung um jeden Preis betreiben zu wollen. Was gibt es für Alternativen? Möglicherweise können Aufgaben so umverteilt werden oder Teams so gebildet werden, dass Mitarbeiter miteinander arbeiten, die eine vertrauensvolle Beziehung zueinander mitbringen und sich diese nicht mühsam erarbeiten müssen. Die richtige Platzierung von Mitarbeitern in passende Teams kann ein erster wichtiger Schritt zur Konfliktprävention sein und teilweise auch zur Konfliktlösung. Manche mögen dies als Kapitulation vor einem Konflikt wahrnehmen oder als vertane Lernchance. Wir sehen das anders: strukturelle Veränderungen können ein wertvoller Beitrag zur Konfliktlösung sein. Es kann beispielsweise zu aufwendig sein eine Führungskraft und ein Team so zu begleiten, dass sich die Beziehungsgestaltung

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zwischen Führungskraft und Team konstruktiv entwickelt, sodass es mit Blick auf Aufwand und Nutzen sinnvoller sein kann Führungskraft und Team zu trennen. Das kann auch bedeuten, dass ich mir als Führungskraft die Frage stelle, ob ich für mein aktuelles Team die passende Führungskraft bin, wenn ich selbst wesentlicher Teil des Konfliktes bin. Womöglich bin ich für mein aktuelles Team nicht die passende Führungskraft und ein Positionswechsel würde die Konflikte auflösen. Diese Erkenntnis mag auf den ersten Blick schmerzhaft sein. Auf lange Sicht können die positiven Effekte für mein Team und auch für mich überwiegen. Mit solchen strukturellen Interventionen sollte natürlich nicht leichtfertig umgegangen werden, weder sollten sie der bevorzugte Lösungsansatz sein, noch sollten sie gänzlich ausgeschlossen werden. Es geht darum verschiedene Lösungsansätze mit Blick auf Aufwand und Nutzen sorgsam abzuwägen. Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

Ich neige dazu, Konflikte auf die lange Bank zu schieben. „Das wird sich schon von alleine lösen. Hoffen wir mal, dass das besser wird. So furchtbar schlimm ist es doch auch nicht.“ Hoffnung ist gut, aber bei Konflikten wird das meistens nichts. Konflikte aussitzen zu wollen und nicht ernst zu nehmen, kann für Führungskräfte ein ernstes Hindernis auf dem Weg zur Konfliktbearbeitung sein. Wenn ich als Führungskraft jeden Tag vielfältige Aufgaben zu bewältigen habe und mich dadurch stark gefordert fühle, dann kann es mir verständlicherweise schwer fallen, mich mit Konfliktsituationen zu beschäftigen. Das kostet Zeit und Aufmerksamkeit. Womöglich bin ich auch ratlos, wie ich das Thema angehen soll. Deshalb ist es nur verständlich, wenn Konflikte nicht angegangen werden. Die Folge ist, dass Konflikte sich weiter verschärfen und eine Auflösung der Konflikte mit hoher Wahrscheinlichkeit immer schwieriger, aufwendiger und möglicherweise auch teurer wird. Deshalb sollten Konflikte keinesfalls auf die lange Bank geschoben werden. Ich neige dazu, Mitarbeiterkonflikte nicht allzu ernst zu nehmen. „Der Kindergarten beruhigt sich schon wieder. Ich kann mich nicht um solchen Kinderkram kümmern.“ Das sind leider Aussagen, die Führungskräfte mit Blick auf Konflikte im Team treffen. Wenn allerdings Konflikte in dieser Weise nicht ernst genommen werden, wenn die beteiligten Personen durch die Führungskraft noch abgewertet werden, dann ist in der Folge eine weitere Eskalation wahrscheinlich. Die Abwärtsspirale dreht sich ungebremst weiter und es kann ein Konfliktstadium erreicht werden, das mit großen Schäden für alle Beteiligten einhergeht und sich im schlimmsten Fall auch mit externer Hilfe nur noch sehr schwer oder auch gar nicht mehr in eine gute Richtung entwickeln lässt. Deshalb empfehlen wir sehr auf Indikatoren für Konflikte zu achten, diese ernst zu nehmen und die Themen frühzeitig anzugehen. Die Zeit, die in der Frühphase von Konflikten investiert wird, zahlt sich aus. Später wird es für alle Beteiligten deutlich teurer.

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

Mögliche Indikatoren für aufkommende Konflikte. 5 Ein Mitarbeiter äußert in Gesprächen Unzufriedenheit zur Zusammenarbeit mit einem Kollegen. 5 Ein Mitarbeiter vermeidet Blickkontakt, Treffen, Gespräche mit der Führungskraft. 5 In Teambesprechungen lösen Aussagen von Kollegen Kopfschütteln und Stirnrunzeln bei anderen Kollegen aus. 5 Kollegen vermeiden soziale Teamsituationen, wie zum Beispiel gemeinsame Mittagessen. 5 Kollegen sprechen nur noch das Nötigste miteinander.

Es fällt mir schwer, einen Sachverhalt aus einer anderen Perspektive zu betrachten. „Ich beurteile als Führungskraft schnell eine Situation und treffe schnell eine Entscheidung. Zu viele Perspektiven verwirren da nur.“ Wir haben bereits angesprochen, dass Offenheit für unterschiedliche Sichtweisen zur Vermeidung und Lösung von Konflikten sehr hilfreich sein kann. Gerade Führungskräfte begreifen es oft als Teil ihrer Aufgabe eine Situation schnell zu bewerten, Schlussfolgerungen zu ziehen und Entscheidungen zu treffen. Bei der Lösung von Konflikten kann das schnelle Bewerten einer Situation jedoch hinderlich sein. Wenn ich mir bei Konflikten schnell eine Meinung bilde und auf der Basis dieser Einschätzung handle, dann werde ich womöglich anderen Sichtweisen anderer Beteiligter nicht gerecht. Die Fähigkeit zum Perspektivwechsel ist deshalb sehr wichtig und kann eine große Herausforderung sein. Ich muss mich als Führungskraft mit der Frage beschäftigen, wie die Beteiligten die Situation sehen, was ihnen jeweils dabei wichtig ist und wie ihr Verhalten durch ihre jeweiligen Sichtweisen geprägt wird. > Sich als Führungskraft mit den eigenen Einschätzungen zurück zu nehmen

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und neugierig auf die Sichtweisen der anderen zu sein ist für die Klärung von Konflikten elementar wichtig.

Die Suche nach externer Hilfe sehe ich als Eingeständnis von Schwäche. „Ich kenne meine Leute doch am besten. Das löse ich am besten allein. Ich möchte auch nicht, dass jemand mitbekommt, dass es bei uns nicht so gut läuft.“ Wir haben bereits angesprochen, dass Führungskräfte als Teil des Systems, die in der ein oder anderen Weise in vorhandene Konflikte mit verstrickt sind, aufgrund dieser Verstrickungen oft gar nicht in der Lage sind, die Konflikte ohne Unterstützung von außen selbst zu lösen. Dies zu erkennen und sich Unterstützung zu holen ist ein Zeichen ausgeprägter Führungskompetenz und keinesfalls Zeichen von Führungsschwäche. > Wenn ich als Führungskraft zum Einen merke, dass ich stark emotional involviert

bin und zum Anderen Hinweise finde, dass ich womöglich an der Entstehung und Aufrechterhaltung der vorhandenen Konflikte einen Anteil habe, dann sind das wichtige Kriterien, die für die Hinzunahme einer neutralen Person sprechen.

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Dies kann ein entsprechend qualifizierter Vertreter der Personalabteilung sein oder auch ein externer Mediator, der den Lösungsprozess begleitet. In diesen Prozess sollte ich mich als Führungskraft möglichst offen und konstruktiv einbringen. Konstruktive Mitwirkung als Führungskraft bei einer Mediation. 5 Was kann mein Beitrag als Führungskraft zur Lösung sein? 5 Was kann ich aktiv anbieten? 5 Welche Anregungen des Mediators möchte ich aufgreifen?

Fazit 5 Für die Zufriedenheit und Gesundheit bei der Arbeit sind gute soziale Beziehungen zu den Kolleginnen und Kollegen und zu den Führungskräften sehr wichtig. Die soziale Funktion von Arbeit sollten wir als Führungskräfte nicht unterschätzen. Konfliktprävention und Konfliktklärung sind also nicht „nice to have“, sondern hoch relevant. Schieben Sie Konflikte nicht auf die lange Bank und schauen Sie nicht weg! 5 Es ist völlig normal, dass wir uns als Führungskräfte mit der Klärung von Konflikten überfordert fühlen. Oft sind die Themen komplex und wir sind womöglich selbst Teil der Konfliktentstehung. In vielen Fällen ist es klug, sich von außen Hilfe zu holen. Wenn in Ihrer Organisation die Nutzung von Mediation und Teamentwicklung normal ist, dann ist das eher ein gutes, als ein schlechtes Zeichen. Lassen Sie sich unterstützten! 5 Was kann ich als Führungskraft zur Konfliktprävention tun? Viele Empfehlungen in diesem Buch (z. B. Kümmern um Fairness) sollten zur Vermeidung von Konflikten beitragen. Ganz besonders empfehlen wir jedoch: Achten Sie auf Ihre Worte! Worte schaffen Wirklichkeit! Gehen Sie sensibel mit Ihren Worten um! Wie spreche ich als Führungskraft über andere Mitarbeiter? Widerspreche ich bei Abwertungen anderer Personen? Würdige ich gute Lösungsansätze von Konfliktpartnern? Wertschätzende Kommunikation ist aus unserer Sicht ein zentraler Schlüssel zur Konfliktprävention. 5 Konflikte entstehen oft dann, wenn wir von anderen erwarten, dass sie genauso fühlen, denken und handeln wie wir selbst. Das tun sie aber nicht. Wie offen bin ich für andere Sichtweisen? Höre ich interessiert zu, wenn mir jemand seinen Blickwinkel schildert? Signalisiere ich Respekt vor unterschiedlichen Perspektiven? Respekt vor der großen Vielfalt im Fühlen, Denken und Verhalten von Menschen ist ein weiterer zentraler Schlüssel zur Konfliktprävention. 5 Wenn erste Anzeichen von Konflikten erkennbar sind – was kann ich tun? Hinter Konfliktkonstruktionen stecken oft verletzte Bedürfnisse. Konflikte fallen nicht vom Himmel, sondern werden von den Beteiligten selbst konstruiert. Bedürfnisse werden nicht erkannt, nicht gewürdigt, nicht befriedigt und schnell kommt so eine Konfliktspirale in Gang. Oft können uns die folgenden Fragen ein Stück weiterbringen: Welche Wünsche liegen hinter Vorwürfen? Welche Bedürfnisse wurden übergangen? Welche Anliegen lassen sich herausarbeiten? 5 Wenn Konflikte in Gesprächen geklärt werden, dann sollten am Ende immer konkrete Vereinbarungen stehen: Was machen wir in der Zusammenarbeit jetzt anders? Was

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Kapitel 14 · Handlungsfeld: Umgang mit Konflikten

trägt jeder konkret zur Verbesserung bei? Wie verhalten wir uns konkret, wenn der Konflikt nun aufgelöst wird? Was ist in unserem Verhalten morgen dann anderes als gestern? Halten Sie die Vereinbarungen am besten schriftlich für alle fest. 5 Konkrete Vereinbarungen ohne Reflexion der Wirkung sind nur die halbe Miete. Nehmen Sie sich die Zeit nach einigen Wochen oder Monaten nochmals gemeinsam auf die Vereinbarungen zu schauen: Welche Wirkungen sind eingetreten? Was ist uns gut gelungen? Was behalten wir so bei? Was wollen wir noch angehen? 5 Neben den dargestellten Ansätzen zur Konfliktklärung mit den beteiligten Personen gibt es weitere Lösungsansätze: Auch eine strukturelle Trennung von Konfliktparteien (z. B. eine andere Aufgabenverteilung, die zu weniger Berührungspunkten führt), Änderungen in der Teamzusammenstellung (z. B. Wechsel von Mitarbeitern in andere Teams) oder Veränderungen der Rahmenbedingungen (z. B. Verschiebung von Aufgaben, um Druck zu reduzieren) können ein Beitrag zur Konfliktlösung sein. Solche Lösungsmöglichkeiten sollten auch mit bedacht werden. Gerade auch die Frage nach Konfliktursachen im System kann hilfreich sein.

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Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_15

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

„Ich sage meinen Leuten schon, dass sie auf ihre Gesundheit achten sollen. Aber bei mir ist das etwas anderes. In meiner Position gelten andere Regeln. Sie wissen doch, wie das ist.“ Führungskräfte, die keine Pausen machen, die bis spät in die Nacht arbeiten, die am Sonntag über ihren E-Mails sitzen, die von Termin zu Termin hetzen – ja, das gibt es. Es hat nur leider wenig mit Gesundheit und Leistung zu tun. Je stärker dieses Verhalten ausgeprägt ist, umso weniger scheinen diese Führungskräfte zu bewirken. Womöglich würde es keinen Unterschied machen, wenn sie morgen ausfallen würden. Das ist doch schade. Deshalb wollen wir dazu ermutigen mit Blick auf Gesundheit und Leistung etwas anders an das Thema heranzugehen. Gesundheit und Leistung fangen bei mir als Führungskraft an. Ohne Vorbildwirkung kann ich mir meine Worte sparen.

Beispiel und Einführung Fallbeispiel

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Bettina denkt schon wieder über die Arbeit nach. In den letzten Monaten hat sie fast täglich Überstunden gemacht. Die Projekte werden immer mehr und anspruchsvoller. Sie hat auch schon länger keinen Urlaub mehr gehabt und beschäftigt sich auch am Wochenende oft mit Arbeitsthemen. Sie führt ein kleines Team aus 5 Kolleginnen und Kollegen, die auch alle mit großem Engagement dabei sind. Einerseits freut sie sich über die vielen spannenden Aufgaben, da sie das Gefühl hat, sich weiter zu entwickeln und es ihr große Freude bereitet, mit den Kolleginnen und Kollegen gemeinsam an anspruchsvollen Aufgaben zu tüfteln. Auch die Führungsarbeit macht ihr meistens viel Spaß. Andererseits merkt sie, dass ihr Privatleben leidet. Nicht nur, dass sie kaum noch Sport macht, es gibt auch immer häufiger Konflikte mit ihrem Partner, der sich beschwert, dass sie kaum noch Zeit für ihn hat. Hinzu kommt, dass sie häufiger Kopfschmerzen hat und sich verspannt fühlt. An manchen Tagen schmerzt ihr Rücken ganz schön. Es wird höchste Zeit etwas zu tun, denkt Bettina. So geht es nicht weiter. Sie nimmt sich vor, einmal in der Woche mit einer Freundin zum Schwimmen zu gehen. Ihr ist es auch schon gelungen ihren Chef anzusprechen und an Lösungen für das vermehrte Aufkommen von Projekten zu arbeiten. Aus ihrer Sicht müssen sie gemeinsam besser Prioritäten setzen und die benötigte Zeit für die einzelnen Projekte realistischer einschätzen. Zum Glück war er sehr offen im Gespräch und es war ihm wichtig, wie es ihr geht und wie etwas an der Situation verbessert werden kann. In drei Monaten wird eine neue Kollegin eingestellt, die Aufgaben von anderen Kolleginnen und Kollegen in der Abteilung übernehmen soll – auch von Bettinas Team. Außerdem ist seit drei Wochen eine neue Praktikantin im Team, die kräftig mithilft. Bettina merkt schon erste Entlastungen und hat bereits einen weiteren Termin mit ihrem Chef vereinbart, um an diesem Thema dran zu bleiben. Die Kopfschmerzen plagen sie seltener.

Möglicherweise haben Sie als Führungskraft schon ähnliche Erfahrungen gemacht und finden sich an der ein oder anderen Stelle wieder. Das Beispiel illustriert verschiedene Aspekte, die für unser Gesundheitsverhalten wichtig sind.

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Wichtige Punkte für die Förderung meiner eigenen Gesundheit als Führungskraft. 5 Erkenne ich, wenn es mir schlecht geht, beziehungsweise schlechter als üblich? 5 Kann ich relevante Ursachen identifizieren? 5 Ist es mir überhaupt wichtig, etwas für meine Gesundheit zu tun? 5 Fallen mir passende Strategien ein? 5 Kann ich diese Strategien umsetzen? 5 Wie unterstützend ist mein Umfeld dabei?

Bettina nimmt gesundheitliche Veränderungen bei sich wahr, insbesondere Kopfschmerzen, aber auch Rückenschmerzen. Sie bringt diese in Zusammenhang mit vielen Überstunden und einer hohen Arbeitsdichte, die anscheinend dazu führt, dass sie auch in ihrer Freizeit über Arbeitsthemen grübelt und sich nicht ausreichend erholen kann. Dieser Zustand scheint schon seit vielen Monaten anzuhalten, Regenerationszeiten (z. B. Urlaub oder freie Wochenenden) fehlen, was Erschöpfung wahrscheinlich macht. Diese Entwicklungen ignoriert sie nicht, sondern bemüht sich um Verbesserungen, bei denen sie offensichtlich von ihrer Führungskraft Unterstützung erfährt. Ihre Führungskraft interessiert sich für die Gesundheit von Bettina und möchte ihren Beitrag zu Verbesserungen leisten. In diesem Kapitel wollen wir uns damit beschäftigen, welche Einstellungen wir als Führungskraft zu unserer eigenen Gesundheit haben, wie stark wir Beeinträchtigungen wahrnehmen und was wir für unsere Gesundheit konkret tun können. Dabei haben wir auch die Auswirkungen auf die Gesundheit der Mitarbeiter mit im Blick. Im nächsten Kapitel wird es dann darum gehen, wie wir mit Krankheit bei Mitarbeitern in unserem Verantwortungsbereich umgehen. Zunächst ist es jedoch hilfreich erst einmal bei uns selbst anzufangen. Wissenschaftlicher Hintergrund

Führungskräfte erleben vielfältige Herausforderungen und fühlen sich nicht selten gestresst und mit Blick auf ihre Gesundheit stark beansprucht (Stilijanow und Bock 2013). Bei einem dicht gepackten Terminkalender und vielen Arbeitsunterbrechungen ist die Gefahr groß, dass zu wenig Pausen gemacht werden und weniger gesund gegessen wird. Oft werden auch sportliche Aktivitäten vernachlässigt. Zeitdruck und Arbeitsunterbrechungen gehören zu den besonders relevanten Stressoren bei Führungskräften (z. B. Wilde et al. 2009). Engagierte Führungskräfte leisten oft Mehrarbeit, tragen Verantwortung für die Erreichung ehrgeiziger Ziele, springen bei Ausfällen im Team mit ein, sind Ansprechpartner für Sorgen und Nöte ihrer Mitarbeiter. Wahrscheinlich kennen Sie das alles aus eigener Erfahrung. Nicht selten erleben Führungskräfte dieses Gesamtpaket als sehr anstrengend. > Gleichzeitig kann hohes Engagement, auch über die eigenen Leistungsgrenzen

hinaus, zumindest kurzfristig zu Erfolgen führen, die eine Führungskraft als positiv erlebt. Der Raubbau an der eigenen Gesundheit wird dann zumindest kurzfristig von den erlebten Erfolgen überdeckt.

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

Dass dieses Verhalten mit Blick auf die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit nicht nachhaltig ist, wird nicht hinreichend erkannt (Stilijanow und Bock 2013). Die Auswirkungen für die Führungskraft selbst und ihr Team können dann gravierend sein. Umso wichtiger ist die Selbstfürsorge als Führungskraft: Wie erhalte ich als Führungskraft meine Gesundheit und damit auch meine Leistungsfähigkeit? Wie oft haben Sie sich selbst diese Frage in den letzten Monaten gestellt? Diese Frage wird noch relevanter, wenn ich mir als Führungskraft vor Augen führe, dass ich mit meinem ganz persönlichen Gesundheitsverhalten auch Vorbild für meine Mitarbeiter bin und damit auch deren Gesundheit mit beeinflusse (Franke und Felfe 2011). Die Mitarbeiter fragen sich: Zeigt meine Führungskraft mit ihrem Verhalten, dass es erwünscht ist Pausen zu machen? Bleibt meine Führungskraft im Bett, wenn sie Fieber hat? Ist es gewünscht in der Mittagspause beispielsweise eine Runde an der frischen Luft zu spazieren oder zu joggen? Geht die Führungskraft mit zum gemeinsamen Mittagessen ins Betriebsrestaurant? Solche Fragen müssen sich Mitarbeiter nicht unbedingt bewusst stellen, da läuft auch viel unbewusst ab. Auch ohne dass darüber gesprochen wird, wirkt das Verhalten der Führungskraft als Modell. Die Führungskraft prägt wesentlich gerade auch die unausgesprochenen Regeln in einem Team. Auch Stilijanow und Bock (2013) stellen die Vorbildfunktion der Führungskraft für die Mitarbeitergesundheit heraus: Wie stark hat die Führungskraft Interesse an ihrer eigenen Gesundheit? Wie gut nimmt sie bei sich selbst gesundheitliche Belastungen wahr? Was tut sie präventiv um ihre Gesundheit zu erhalten? Was unternimmt sie, wenn gesundheitliche Beeinträchtigungen spürbar werden? Eindrücklich weisen Stilijanow und Bock (2013) darauf hin, dass Gesundheitsverhalten bei Führungskräften in starkem Konflikt mit anderen Überzeugungen und Mechanismen in Organisationen stehen kann. Die beiden Wissenschaftler beschreiben das folgende Problem: „Belohnt wird, wer sich über seine Grenzen hinweg engagiert und notfalls sogar opfert. … Wer der Meinung ist, dass Erfolg persönliche Opfer verlangt und auch die Schädigung der eigenen Gesundheit und der von Mitarbeitern billigend in Kauf nimmt, gerät in die Spirale aus Druck, Überforderung und Demotivation, die heute viele Unternehmen vor große Probleme stellt.“ (S. 150). Sie weisen dabei besonders auch auf Widersprüche hin, die sich zwischen offiziellen Verlautbarungen zur Unternehmens- und Führungskultur und den inoffiziell gelebten Spielregeln und auch Denkhaltungen der Führungskräfte ergeben können: „… entsteht so der Eindruck von mehreren Parallelwelten im Alltag von Führungskräften: Einer häufig bereits fortschrittlich-menschenorientiert propagierten Kultur, einer tatsächlich gelebten Hochleisterkultur und einer Innenwelt, in der es auf Funktionieren ankommt.“ ­ (S. 157). Dabei liegen in solchen Widersprüchen große Risiken für die Mitarbeitergesundheit und für nachhaltigen Unternehmenserfolg. Bruch und Kowalevski (2013) zeigen in ihrer Trendstudie: Mitarbeiter in Unternehmen, in denen die Geschäftsführung auf die eigene Gesundheit achtet, zeigen um 8 % bessere Werte im Bereich der psychischen Gesundheit im Vergleich zu Unternehmen, in denen die Geschäftsführung ihre eigene Gesundheit nicht im Blick hat. Franke und Felfe (2011) berichten in einer Studie, dass 50 % der Führungskräfte, die auf ihre eigene Gesundheit achten, dies auch bei ihren Mitarbeitern tun, während bei Führungskräften, die sich keine Gedanken um ihre eigene Gesundheit machen,

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nur 11 % die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Blick haben. Mitarbeiter, die in ihrer Führungskraft kein Vorbild beim Thema Gesundheit sehen, berichten in der Studie nach einer Zeitspanne von vier Monaten mehr als doppelt so viele psychosomatische Beschwerden im Vergleich zu Mitarbeitern, die ihre Führungskräfte als Vorbilder beim Thema Gesundheit erleben. > Darüber hinaus gibt es Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem

Stresserleben von Führungskräften und der Gesundheit ihrer Mitarbeiter aufzeigen (Skakon et al. 2010), wobei angenommen wird, dass sich das Stresserleben quasi auf die Mitarbeiter überträgt (Skakon et al. 2010).

Vor diesem Hintergrund ist das eigene Gesundheitsverhalten ein wichtiger Ansatzpunkt zur Förderung der Mitarbeitergesundheit. Wir haben ausführlich die Vorbildfunktion von Führungskräften herausgestellt und mögliche Stressoren von Führungskräften beschrieben. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Führungsrolle auch eine ganze Reihe an hilfreichen Ressourcen beinhaltet: Gestaltungsspielräume, abwechslungsreiche Aufgaben, soziale Unterstützung durch die Mitarbeiter (Stilijanow und Bock 2013). Diese Ressourcen wiederum können bewusst genutzt und gestärkt werden, wenn zum Beispiel Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern gemeinsam eine Mittagspause einlegen oder Gestaltungsspielräume zur Steuerung der Arbeitsauslastung aktiv nutzen. Im besten Fall profitieren Mitarbeiter und Führungskraft in gleicher Weise für ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Impulse zur persönlichen Reflexion

In diesem Abschnitt wollen wir Ihnen Ideen anbieten, mit deren Hilfe Sie Ihr eigenes Gesundheitsverhalten reflektieren und ein gesundes Arbeitsverhalten erhalten oder noch entwickeln können. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung für die Förderung des Gesundheitsverhaltens Ihrer Mitarbeiter dar. Die Reflexion ist dabei in vier Bereiche gegliedert (Franke und Felfe 2011). Vier Bereiche zur Reflexion der eigenen Gesundheitssituation. 5 gesundheitsbezogene Achtsamkeit 5 Gesundheitsvalenz 5 Gesundheitsverhalten 5 gesundheitsbezogene Selbstwirksamkeit.

Diese Begriffe klingen erst mal recht abstrakt. Wir stellen noch genauer dar, was sich jeweils dahinter verbirgt. Die gesundheitsbezogene Achtsamkeit sowie die Gesundheitsvalenz sind zwei wichtige Voraussetzungen dafür, dass Gesundheitsverhalten überhaupt gezeigt wird. > Wenn uns unsere Gesundheit gar nicht wichtig ist (Gesundheitsvalenz), fehlt

die Motivation etwas verändern zu wollen. Und fehlt die Wahrnehmung von Belastungen und Ansatzpunkten für Veränderungen (gesundheitsbezogene Achtsamkeit), dann kann ich auch nichts umsetzen. Die gesundheitsbezogene

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

Selbstwirksamkeit entwickelt sich dann, wenn Veränderungen erfolgreich sind und dadurch das Gefühl entsteht, Einfluss auf die eigene Gesundheit nehmen zu können.

Dies kann dann wiederum sehr motivierend wirken, weitere Veränderungen vorzunehmen. Denn nur wenn sich das Gefühl einstellt, etwas verändern zu können, werden Themen bewusst in Angriff genommen und Spiralen positiver Veränderungen kommen in Gang. Im Folgenden werden wir diese vier Aspekte noch genauer erläutern sowie Impulsfragen zur Reflexion zur Verfügung stellen. Einerseits können Sie damit ihre eigene Situation reflektieren, anderseits bieten Ihnen die Fragen auch die Möglichkeit, über die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter nachzudenken. Dabei ist es wichtig, dass Sie von Ihrem Mitarbeiter nichts erwarten, was Sie nicht selbst bereit sind zu tun – kurzum hier ist es wichtig, dass Sie mit gutem Beispiel vorangehen. Franke und Felfe (2011) haben das Konzept Health-oriented leadership (HoL) entwickelt, das wir in diesem Kapitel als Grundlage nutzen. 1. Gesundheitsbezogene Achtsamkeit bedeutet…

…nur, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das eigene Befinden und Gesundheitsverhalten oder auf das Gesundheitsverhalten Ihrer Mitarbeiter richten, können Ihnen kritische Ereignisse, gute und schlechte Entwicklungen überhaupt erst auffallen. Es geht also um die Frage, ob Sie auf Ihre Gesundheit überhaupt achten.

Fallbeispiel Ein Blick auf Bettina zeigt, dass sie durchaus achtsam ist. Es fällt ihr auf, dass die Arbeit mehr geworden ist und dass dies Auswirkungen auf ihr Privatleben und Befinden hat.

Um ein differenziertes Bild Ihrer aktuellen Situation skizzieren zu können, empfehlen wir Ihnen, Ihre Situation aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und vor allem Veränderungen im Blick zu haben.

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Achtsamkeit für mögliche gesundheitsrelevante Veränderungen. 5 Hat sich Ihre Arbeitsweise verändert? (Machen Sie zum Beispiel weniger Pausen? Arbeiten Sie zeitlich länger als früher? Nehmen Sie Arbeit mit nach Hause?) 5 Hat sich Ihre Stimmung verändert? (Schwankt sie stark? Sind Sie oft bedrückt, traurig oder gereizt? Haben Sie andere auf eine Veränderung Ihrer Stimmung angesprochen?) 5 Haben Sie eine Veränderung bei Ihrer Motivation bemerkt? (Können Sie sich nur noch schwer aufraffen? Spüren Sie weniger Energie bei der Arbeit? Kommen Sie am Morgen schwer aus dem Bett?) 5 Hat sich Ihre Freude an der Arbeit verändert? (Macht Ihnen die Arbeit weniger Spaß als früher? Machen Ihnen vielleicht auch Hobbys und Freizeitaktivitäten weniger Freude als früher?) 5 Hat sich Ihre Krankheitsanfälligkeit verändert? (Sind Sie häufiger krank? Halten sich Erkrankungen länger als Sie es sonst gewohnt sind?)

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5 Hat sich Ihr Schlaf verändert? (Können Sie schwer einschlafen? Halten Sie Gedanken an die Arbeit vom Schlafen ab? Wachen Sie nachts immer wieder auf? Fällt es Ihnen schwer, wieder einzuschlafen? Wachen Sie schon vor dem Wecker auf? Fühlen Sie sich müde und erschöpft am Morgen?) 5 Hat sich Ihr Appetit verändert? (Haben Sie häufig Lust auf etwas Süßes? Essen Sie fettiger, als Sie es sonst gewöhnt sind? Essen Sie schneller als sonst? Haben Sie weniger Appetit als sonst? Haben Sie deutlich an Gewicht zu- oder abgenommen?) 5 Haben Sie vermehrt Ängste? (Haben Sie Angst, nicht mehr alles zu schaffen? Haben Sie vermehrt Angst, Fehler zu machen? etc.) 5 Wie gut gelingt es Ihnen, sportliche Aktivitäten in Ihre Arbeitswoche zu integrieren? (Hat sich das in den letzten Monaten verschlechtert? Wie zufrieden sind Sie damit?) 5 Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Familiensituation und anderen sozialen Kontakten? (Wie gut gelingt es Ihnen, Freundschaften zu pflegen? Wie zufrieden sind Sie selbst und Ihre Familienmitglieder mit der Quantität und Qualität der gemeinsamen Zeit? Wie zufrieden sind Sie und die anderen Familienmitglieder mit der Arbeitsteilung in der Familie?) 5 Hat sich Ihr Umgang mit anderen verändert? (Ziehen Sie sich vermehrt zurück? Meiden Sie große Menschansammlungen oder sind Sie am liebsten alleine?) 5 Haben Sie manchmal den Eindruck, dass Ihre Arbeit oder wie Sie insgesamt leben, keinen Sinn mehr hat?

Wenn Sie bei einer Mehrzahl der Fragen eine kritische Entwicklung bei sich feststellen, bzw. die letzte Frage mit „ja“ beantworten, ist dies ein deutlicher Hinweis auf Belastungen und Veränderungsbedarf, insbesondere wenn Sie die Situation über mehrere Wochen hinweg so erleben. Es ist auch möglich, dass sich kritische Entwicklungen über Monate und Jahre hinweg verfestigt haben und Ihnen dies über einen langen Zeitraum hinweg gar nicht so bewusst geworden ist. Unser Organismus ist oft erstaunlich anpassungs- und auch leidensfähig, die mittel- und langfristigen gesundheitlichen Folgen können jedoch gravierend sein. Gerade bei stärkeren Ausprägungen ist eine weitere Abklärung durch einen Psychologen oder Arzt wichtig. 2. Gesundheitsvalenz bedeutet… …dass es Ihnen wichtig ist, die gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz zu mindern und Gesundheitsrisiken abzubauen. Es geht um die Frage, wie wichtig Ihnen Ihre Gesundheit ist. Fallbeispiel Bettina aus dem einleitenden Beispiel scheint ihre Gesundheit wichtig zu sein. Sie ist motiviert, etwas zu verändern, um gesund zu bleiben.

Denken Sie für sich die Fragen im vorherigen Abschnitt einmal durch und überlegen Sie, ob die aktuelle Situation so für Sie passt.

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

Impulsfragen zur Bewertung der eigenen Gesundheitssituation. 5 Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Situation? 5 Sehen Sie Veränderungsbedarf? Wie stark? 5 In welchen Bereichen ist Ihnen eine Veränderung besonders wichtig?

Es geht also darum, dass Sie für sich prüfen, ob Ihre aktuelle Situation für Sie in Ordnung ist, oder ob Sie etwas verändern möchten. Dies wird sicher davon abhängen, ob überhaupt und wie stark Sie negative Entwicklungen wahrnehmen und wie stark Ihre Gesundheitsvalenz ausgeprägt ist: Wie wichtig Ihnen also Ihre Gesundheit ist. Wenn Ihnen Ihre Gesundheit nicht wichtig ist, dann werden Sie auch kaum Veränderungen erfolgreich anstoßen wollen und können. Bei sehr geringer Gesundheitsvalenz sollten Sie sich mit Blick auf Ihre Mitarbeiter die Frage stellen, ob für Sie ein Umdenken möglich ist. In der Führungsrolle geht es nicht allein um Sie, sondern auch um Ihre Vorbildwirkung auf Ihre Mitarbeiter. Wir wollen noch etwas genauer auf die möglichen Belastungen schauen. Diese können sich entweder nur auf den Arbeitsplatz, nur auf das Privatleben oder beides beziehen. Die Arbeit und das Privatleben können stark miteinander verwoben sein, sodass eine Differenzierung beider Bereiche kaum möglich ist. Es bleibt Ihnen selbst überlassen, was Sie in Ihre Reflexion einbeziehen möchten.

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Impulsfragen zur Reflexion möglicher Belastungsfaktoren. 5 Verspüren Sie vermehrt Zeitdruck? 5 Hat sich Ihre Arbeitsdichte verändert? 5 Haben Sie den Eindruck, häufig mehrere Aufgaben auf einmal bewältigen zu müssen? 5 Werden Sie oft in Ihrer Arbeit unterbrochen (bspw. von Mitarbeitern?) 5 Gibt es Vorgänge oder Prozesse, die Sie auch nach Vollendung noch lange beschäftigen? 5 Gibt es äußere Bedingungen wie Lärm, Wärme oder andere Faktoren an Ihrem Arbeitsplatz, die Sie belasten? 5 Gibt es Interaktionen mit Mitarbeitern, Kollegen, Kunden oder anderen internen oder externen Personen, die Sie belasten?

> Wir neigen dazu, die langfristigen Konsequenzen unseres Handelns bei unseren

Entscheidungen in der Gegenwart nicht angemessen zu berücksichtigen: die langfristigen Folgen einer ungesunden Ernährung werden kaum beachtet, wenn wir uns heute für die Sahnetorte entscheiden oder es fällt uns schwer, regelmäßig Sport zu treiben, weil die positiven Konsequenzen erst nach einigen Monaten oder gar Jahren spürbar werden. Möglicherweise ist Ihnen Ihre Gesundheit ganz allgemein schon wichtig – im Alltag entscheiden Sie sich aber oft für kurzfristig angenehme Alternativen.

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Beschäftigung mit den langfristigen Folgen Ihres aktuellen Gesundheitsverhaltens. 5 Wie wird sich Ihre gesundheitliche Situation wahrscheinlich weiterentwickeln, wenn Sie nichts verändern? 5 Was für positive und negative Auswirkungen wird es in 5 oder 10 Jahren haben, wenn alles so bleibt wie es ist? 5 Welche positiven Auswirkungen könnte es haben, wenn Sie etwas verändern?

3. Gesundheitsverhalten bedeutet… …seine Belastungen zu reduzieren und gesundheitsförderliches Verhalten zu zeigen und auch Ihre Mitarbeiter darin zu unterstützen. Fallbeispiel Bettina nimmt die Belastungssituation in die Hand, spricht mit ihrem Chef und hakt nach. Dadurch wird nicht nur ein neuer Kollege eingestellt, sondern auch eine Praktikantin sorgt für Entlastung. Erste Ideen hat Bettina auch in Bezug darauf, nicht alle Projekte sofort anzunehmen, sondern zu prüfen, ob diese wichtig und in ihrem Team richtig angesiedelt sind. Die Entlastung ist für Bettina bereits spürbar.

Wenn Ihnen im Sinne der gesundheitsbezogenen Achtsamkeit negative Veränderungen auffallen, die Gesundheit Ihnen am Herzen liegt (Gesundheitsvalenz) und Sie den Eindruck haben, Sie können Einfluss nehmen (gesundheitsbezogene Selbstwirksamkeit; siehe unten), dann geht es darum, gesundes Verhalten auch tatsächlich umzusetzen. Dabei kann es sich entweder um arbeitsplatzbezogene Strategien handeln oder Strategien, die Ihnen allgemein helfen, Ihre Gesundheit zu fördern. Hier haben wir einige Tipps und Beispiele, die vielleicht auch für Ihre Situation hilfreich sind. Wir empfehlen Ihnen, sich zunächst nur ein bis zwei Punkte vorzunehmen und diese auszuprobieren. Viele dieser Strategien stammen aus dem Stressund Zeitmanagementkontext. Für eine Vertiefung des Themas möchten wir auf das Buch „Zeitmanagement – Ein Trainingshandbuch für Trainer, Personalentwickler und Führungskräfte“ (Häfner et al. 2015) hinweisen. Einige Anregungen für gesundes Zeitmanagement als Führungskraft. 5 Sie können Ihre Mitarbeiter bitten, zu festen Zeitpunkten ihre Themen zu besprechen, um so Unterbrechungen für alle zu reduzieren. Fest vereinbarte Abstimmungstermine können für alle Beteiligten hilfreich sein. 5 Fragen Sie hin und wieder nach, ob ein Kollege für einige Zeit Ihr Telefon übernehmen kann, damit Sie für eine Weile ungestört arbeiten können. 5 Arbeiten Sie phasenweise im Besprechungsraum oder an einem anderen Ort, an dem Störungen unwahrscheinlich sind. Auch regelmäßige Home-Office-Tage können hilfreich sein. 5 Reflektieren Sie aufwendige Prozesse. Womöglich lassen sich Aufgaben effizienter erledigen.

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

5 Überlegen Sie, ob es Aufgaben gibt, die Sie an Kollegen abgeben können. Hinterfragen Sie immer wieder, ob die Aufgaben in Ihrem Verantwortungsbereich fair verteilt sind und kümmern Sie sich gegebenenfalls um Veränderungen. 5 Reflektieren Sie, ob bestimmte Aufgaben überhaupt sinnvoll sind. Vielleicht können Sie Aufgaben streichen. 5 Priorisieren Sie Aufgaben und arbeiten Sie zunächst die besonders wichtigen und dringlichen ab. 5 Erstellen Sie Wochen- und Tagespläne, die Ihre Abstimmungstermine und die zu erledigenden Aufgaben enthalten. Bedenken Sie, dass nicht jede Minute verplant werden sollte. Sie brauchen auch Zeit für unvorhergesehene Aufgaben. 5 Belohnen Sie sich, wenn Sie etwas geschafft haben. Das können auch Kleinigkeiten, wie der Lieblingstee nach einer anstrengenden Arbeitsphase sein oder ein gemeinsames Mittagessen mit Kollegen. 5 Planen Sie sich jeden Tag Pausen und Pufferzeiten mit ein. 5 Überlegen Sie, wie Sie Bewegung in Ihren Alltag integrieren können (z. B. etwas weiter weg parken und laufen; zur Arbeit mit dem Rad fahren; Laufsachen gepackt im Auto, um in der Mittagspause oder am Arbeitsende noch eine Runde Joggen zu können; Abstimmungen im Gehen durchführen). 5 Hinterfragen Sie Ihre Ernährung (z. B. in der Pause einen Apfel statt Süßigkeiten essen, im Betriebsrestaurant eine halbe Portion nehmen, viel Wasser trinken, statt mehr Pommes lieber mehr Gemüse oder Salat nehmen). 5 Schaffen Sie sich längere Erholungsphasen ohne Arbeit (z. B. planen Sie einen dreiwöchigen Urlaub im Jahr, legen Sie ab und zu ein verlängertes Wochenende ein).

4. Gesundheitsbezogene Selbstwirksamkeit bedeutet… … dass Sie sich zutrauen, selbst Einfluss auf Ihre Situation zu nehmen und nicht-­ hilfreiche Zustände verändern zu können. Selbstwirksamkeit bedeutet dabei nichts anderes, als sich selbst als wirksam zu erleben: ich kann etwas bewirken, ich kann etwas verändern.

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Fallbeispiel Bettina konnte durch verschiedene Maßnahmen bereits feststellen, dass sich etwas verändert, was sich positiv auf ihr Befinden und die Belastungen auswirkt. Dies motiviert sie, am Thema dran zu bleiben und auch weiterhin über Verbesserungen nachzudenken.

Selbstwirksamkeit wächst, wenn man Veränderungen erfolgreich umsetzt und nimmt ab, wenn Schritte ins Leere laufen oder doch nicht den Effekt zeigen, den man sich erhofft hatte. Ziel sollte es auch sein, dass Ihre Mitarbeiter sich als selbstwirksam wahrnehmen. Geben Sie Ihren Mitarbeitern auch beim Thema Gesundheit die Möglichkeit, Veränderungen selbst anzustoßen, um so eigene Erfolge zu erleben.

247 Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der …

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Impulsfragen zur Reflexion Ihrer eigenen gesundheitsbezogenen Selbstwirksamkeit. 5 Welche positiven Veränderungen in Bezug auf mein Gesundheitsverhalten habe ich bisher erreicht? Habe ich bspw. mehr oder regelmäßiger Sport getrieben? Habe ich Vorsorgeuntersuchungen wahrgenommen? Bin ich bei starken Beschwerden zum Arzt gegangen und habe mir helfen lassen? Habe ich es geschafft, mich gesünder zu ernähren, bspw. in dem ich jeden Tag einen Apfel gegessen habe? Habe ich bei meiner Arbeitsplatzergonomie etwas verbessern können? 5 Wie kann ich mir Erfolgserlebnisse verschaffen? Welche Veränderungen in Bezug auf mein Gesundheitsverhalten möchte ich ausprobieren? Welche Veränderungen sind relativ einfach umsetzbar?

Praxistipp

Es ist wichtig, dass Sie mit Punkten beginnen, die Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gut umsetzen können, um für sich selbst Erfolgserlebnisse zu schaffen und so die Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Was sich leicht umsetzen lässt, kann von Person zu Person natürlich ganz unterschiedlich sein. Vielleicht ist es möglich, einen Check-Up-Termin bei Ihrem Hausarzt einzuplanen oder damit anzufangen, jeden Sonntag vor dem Mittagessen 15 min zu joggen oder am Abend in den letzten 15 min vor dem Einschlafen kein Smartphone mehr zu benutzen, sondern ein Buch zu lesen oder die Cola beim Mittagessen durch Wasser zu ersetzen. Nehmen Sie sich zunächst etwas vor, was Sie gut umsetzen können und nehmen Sie sich dann erst die schwierigeren Verhaltensänderungen vor. Bleiben Sie dabei auch maßvoll in Ihren Zielen. „In den nächsten 3 Monaten nehme ich 20 kg ab.“, „Im Sommer laufe ich Marathon“, „Ab morgen verdoppele ich meine Pausenzeiten“. Unrealistische Ziele führen eher zu Misserfolg und gefährden damit Ihre Selbstwirksamkeit.

Was kann ich noch tun, um langfristig gesund zu bleiben, beziehungsweise mein Wohlbefinden zu verbessern? Die Antwort ist sehr facettenreich mit vielen Aspekten, die bereits angesprochen wurden. Neben Bewegung, Ernährung, der Nutzung medizinischer Angebote, der Schlafdauer und Schlafqualität, der Gestaltung sozialer Beziehungen und der Arbeitsbedingungen (inklusive Arbeitsplatzergonomie), wollen wir die Thematik noch aus einer anderen Perspektive betrachten und einen kleinen Werte-Exkurs anbieten. Der folgende Abschnitt wirft sehr grundsätzliche Fragen auf. Möglicherweise ist das für Sie überhaupt nicht relevant und Sie können das schnell überfliegen. Was Ihnen wichtig ist: Leben Sie ihr Leben so, wie Sie es sich wünschen?

Bspw. nehmen wir einmal an, dass Ihnen Ihre Familie sehr wichtig ist und Sie gerne Zeit mit Ihren Kindern verbringen. Gleichzeitig engagieren Sie sich beruflich so stark, dass Sie nur wenig Zeit mit Ihren Kindern haben. Das kann Stress erzeugen und

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Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

l­etztendlich langfristig dazu führen, dass Sie krank werden. Der Wert „Zeit mit der Familie verbringen“ ist in diesem Beispiel ein sehr wichtiger Wert. Das muss natürlich nicht so sein. Da nicht alle Menschen die gleichen Werte haben, empfehlen wir, sich einmal mit den eigenen Werten zu beschäftigen. Das bedeutet in einem ersten Schritt zu reflektieren, was für Sie wichtig ist im Leben. In einem zweiten Schritt können Sie sich mit der Frage beschäftigen, ob diese Werte ausreichend Raum in Ihrem Leben finden. Wenn nicht, können Sie in einem dritten Schritt überlegen, wie Sie diese Werte besser leben können. Das kann dann natürlich auch mit Veränderungen einhergehen. a) Welche Werte sind mir wichtig im Leben? Suchen Sie die fünf wichtigsten Werte aus der dargestellten Liste aus und ­versuchen Sie, diese in eine Reihenfolge zu bringen. Achtsamkeit

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Genialität

Schönheit

Achtung

Gerechtigkeit

Selbstachtung

Ausdauer

Gesunder Lebensstill

Selbstständigkeit

Ausgeglichenheit

Großzügigkeit

Selbstverwirklichung

Beruflicher Erfolg

Innovation

Sicherheit

Bescheidenheit

Klarheit

Solidarität

Besonnenheit

Klugheit

Sorgfalt

Beständigkeit

Kompetenz

Sozial sein

Beweglichkeit

Kraft

Spaß

Effektivität

Kreativität

Sportlichkeit

Ehrgeiz

Leistung

Stabilität

Ehrlichkeit

Menschlichkeit

Toleranz

Einzigartigkeit

Mitgefühl

Umweltbewusstsein

Fairness

Nachhaltigkeit

Verantwortung

Familie

Neugierde

Verbindlichkeit

Freiheit

Ordnung

Vernetzung

Freundschaft

Fantasie

Vielfalt

Frieden

Reichtum

Wandel

Fröhlichkeit

Rücksicht

Wertschätzung

Gemeinschaft

Ruhm

Zuversicht

15

249 Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der …

b) Tragen sie die fünf Werte hier ein und reflektieren Sie auf eine Skala von 0–100 %, wie stark Sie diese Werte schon leben.

Wert 1:

_____________________________

Aktuelle Ausprägung

Gewünschte Ausprägung

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__________

Wert 2:

_____________________________

__________

__________

Wert 3:

_____________________________

__________

__________

Wert 4:

_____________________________

__________

__________

Wert 5:

_____________________________

__________

__________

c) Tragen Sie im nächsten Schritt ein, wie stark Sie die Werte in Zukunft leben ­wollen. d) Wenn Sie einige Werte in Zukunft stärker leben wollen, dann überlegen Sie zunächst, wie stark und in welche Richtung Sie den Wert in Zukunft leben wollen (Ziel). Definieren Sie dann konkrete Maßnahmen, wie Sie das zuvor definierte Ziel besser erreichen können. Beispiel Wert: Gesunder Lebensstil Ziel: a) Ich möchte zwei Mal die Woche Sport treiben. b) Vier Tage in der Woche esse ich Salat oder Gemüse. Maßnahmen: a) Ich melde mich im Fitnessstudio an und gehe mit meinem Freund Paul immer Dienstag und Donnerstag dorthin. b) Ich wähle im Betriebsrestaurant an drei von fünf Tagen ein Gericht mit Salat und/ oder Gemüse aus. Ich bespreche mit meiner Partnerin/meinem Partner, dass wir einmal am Wochenende vegetarisch kochen.

Wert 1:

Ziel

Maßnahmen

_____________________________

_____________________________

Wert 2:

_____________________________

_____________________________

Wert 3:

_____________________________

_____________________________

Wert 4:

_____________________________

_____________________________

Wert 5:

_____________________________

_____________________________

In diesem Zuge kann es auch Werte geben, die für Sie nicht so wichtig sind, denen Sie aber aktuell einen großen Teil Ihrer Kraft und Zeit widmen. Hier können Sie ebenso Überlegungen anstellen, wie Sie Handlungen, die diese Art von Werten betreffen, reduzieren können. Solche Handlungen können sich auch automatisch reduzieren, wenn Sie anderen Werten mehr Bedeutung und Raum in Ihrem Leben geben.

250

Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

Bitte bedenken Sie außerdem, dass Ihre Mitarbeiter nicht die gleichen Werte wie Sie haben müssen und dies dann mit einer anderen Priorisierung einhergehen kann. Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung Ich habe über viele Jahre hinweg wenig für meine Gesundheit getan.

Möglicherweise war Ihnen das Thema Gesundheit in der Vergangenheit nicht so wichtig, weil andere Themen mehr im Fokus standen. Im Laufe der Lebensspanne verändern sich Prioritäten und es ist völlig in Ordnung, dass das so ist. Wenn Sie über viele Jahre hinweg wenig für Ihre Gesundheit getan haben, dann fällt Ihnen der Einstieg in ein verbessertes Gesundheitsverhalten möglicherweise nicht so leicht. Mit kleinen Schritten mehr für die eigene Gesundheit tun. 5 Gibt es Sportarten, die Sie früher gerne gemacht haben und jetzt wieder aufgreifen könnten? Wann nehmen Sie sich nächste Woche 20 min Zeit, um das auszuprobieren? 5 Welche anderen Sportarten oder Bewegungsmöglichkeiten können Sie sich vorstellen einfach mal auszuprobieren? 5 Was könnte eine kleine Gesundheitsveränderung sein, die früher schon einmal gut geklappt hat? 5 Wie könnten Sie auf einfachem Weg etwas mehr Gesundheitsverhalten in Ihren Alltag integrieren (beispielsweise mit dem Rad zur Arbeit fahren)? 5 Womit könnten Sie testweise am kommenden Montag beginnen?

Praxistipp

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Gestalten Sie für sich einen möglichst einfachen Einstieg. Etwas worauf Sie Lust haben, was Sie probeweise einmal testen. Vielleicht finden Sie jemanden, der Sie dabei unterstützt? Wenn es Ihnen gelänge, einmal pro Woche mit einem Kollegen in der Mittagspause einen kleinen Spaziergang zu unternehmen, dann wäre das doch schon ein toller Schritt, oder? Wahrscheinlich setzen Sie auch schon einiges um, was für Ihre Gesundheit gut ist und können davon noch etwas mehr machen. Vielleicht essen Sie gerne Gemüse und können das noch häufiger tun? Vielleicht gehen Sie schon einmal pro Woche joggen und können das noch ein zweites Mal machen?

Was bewirke ich als Führungsraft durch das Weglassen von Pausen, durch überlange Arbeitszeiten, durch das Hetzen von Termin zu Termin und durchgearbeitete Nächte und Wochenenden? Mehr Leistung? Mehr Ergebnisse? Das Gegenteil. Mein Konzentrationsvermögen und andere kognitiven Fähigkeiten werden leiden, meine Entscheidungsqualität wird abnehmen, meine Fehlerquote wird zunehmen. Ich kann Besprechungen nicht mehr vor- und nachbereiten. Ich bin nicht mehr bei der Sache, störe durch unqualifizierte Kommentare, bringe Abläufe ins Stocken, halte andere vom

251 Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der …

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produktiven Arbeiten ab. Auf lange Sicht schade ich nicht nur mir, sondern auch meiner Organisation. Ich werde unterm Strich zur Belastung für meine Organisation. Ich richte mehr Schaden an, als dass ich Nutzen stifte. Das ist doch eine traurige Perspektive. Gut gemeint ist eben leider oft das Gegenteil von gut. Ich nehme als Führungskraft die Probleme meiner Mitarbeiter mit nach Hause.

„Oft wälze ich am Abend noch die Probleme meiner Mitarbeiter weiter.“ Probleme von anderen können uns sehr nah gehen. Es kann schwer fallen, sich abzugrenzen. So ist es Ihnen vielleicht schon einmal passiert, dass Sie auch zu Hause, vielleicht auch abends vorm Einschlafen über die Probleme eines Mitarbeiters nachgedacht haben. Beim Thema Wertschätzung haben wir das bereits angesprochen. Vielleicht finden Sie dadurch keinen Schlaf. Das kann sehr belastend sein. Da dies für viele Führungskräfte ein relevantes Thema ist, wollen wir es an dieser Stelle noch aufgreifen. Es kommt stark auf das Ausmaß an. Nie an einen Mitarbeiter zu denken, ist wahrscheinlich kein realistisches Ziel, da wir uns als emphatische Menschen für andere interessieren. Das ist auch gut so. Liegen Sie jedoch mehrere Tage hintereinander immer wieder wach und denken Sie häufig in der Freizeit an Themen mit Ihren Mitarbeitern, dann empfehlen wir Ihnen, sich dies genauer anzuschauen. Wie geht es mir gerade selbst als Führungskraft? Wer selbst gerade belastet ist, kann dazu neigen, auch noch das Leid und die Schmerzen der anderen auf die eigenen Schultern zu laden. Fragen Sie sich, was Sie jetzt für sich brauchen. Ansatzpunkte zum Umgang mit Problemen, die Sie von anderen mit nach Hause nehmen. 5 Sich mit einem guten Gesprächspartner dazu austauschen. Vielleicht haben Sie einen guten Freund oder Bekannten, ein Familienmitglied, eine andere Führungskraft, der Sie sehr vertrauen und an die Sie sich wenden können? 5 Vielleicht brauchen Sie gerade eine Auszeit? Prüfen Sie, ob es möglich ist, etwas freie Zeit zur Regeneration zu schaffen und beispielsweise ein verlängertes Wochenende zu planen. Überlegen Sie, was Ihnen gut tun würde. 5 Versuchen Sie Ihr gewohntes Umfeld zu verlassen, um auf andere Gedanken zu kommen. Seien Sie aktiv, da Aktivität sich positiver auf die Stimmung auswirkt als Passivität. 5 Analysieren Sie, warum Ihnen gerade die Probleme dieses Mitarbeiters so nahe gehen? Erinnert Sie der Mitarbeiter vielleicht an Sie selbst oder an eine nahestehende Person? Kennen Sie das Problem des Mitarbeiters vielleicht selbst? Verdeutlichen Sie sich, dass es sich bei Ihnen und dem Mitarbeiter um verschiedene Personen handelt. Bieten Sie dem Mitarbeiter Hilfe an, machen Sie jedoch das Problem des Mitarbeiters nicht zum eigenen Problem. 5 Ist Ihre Grenze zwischen Arbeit und Privatleben verschwommen? Wie können Sie sich diese Grenze wieder bewusster machen? Gibt es Rituale, die Sie durchführen können, wie ein bewusstes Aufräumen des Arbeitsplatzes am Abend als Zeichen für den Feierabend? Gibt es etwas, das Sie symbolisch auf der Arbeit lassen können und das für die Arbeit steht?

Kapitel 15 · Handlungsfeld: Vorbildfunktion – Erhaltung und Förderung der eigenen Gesundheit

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5 Ist es notwendig Handy und Laptop mit nach Hause zu nehmen? Gibt es die Möglichkeit auf dem Weg nach Hause noch eine Sporteinheit einzulegen, laufen oder schwimmen zu gehen, um so den Übergang deutlicher zu machen? Hier sind viele Handlungen denkbar. Wirken wird nur die, die auch wirklich passend für Sie ist. Deshalb empfehlen wir Ihnen, sich Zeit zu nehmen, auch einmal etwas über einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen auszuprobieren, um feststellen zu können, ob die Strategie für Sie wirksam ist.

> Halten Sie sich immer vor Augen, dass Sie anderen nur dann helfen können, wenn

es Ihnen gut geht und Sie bei Kräften sind. Sorgen Sie gut für sich!

Fazit

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5 In Führungskräftetrainings wird oft über die Vorbildwirkung von Führungskräften gesprochen. Das bezieht sich nicht nur auf Themen, wie Verbindlichkeit oder Wertschätzung, sondern auch auf die Gesundheit. Bin ich mit Blick auf mein Gesundheitsverhalten ein Vorbild? Schauen Sie gerade auch bei diesem Thema ehrlich in den Spiegel und reflektieren Sie selbstkritisch, was Sie bereits vorbildlich tun und welche Baustellen Sie noch haben. 5 Wenn ich als Führungskraft für andere da sein möchte, dann muss ich zunächst einmal gut für mich selbst da sein. Es bringt mir nichts, meinem Team nichts und meinem Unternehmen nichts, wenn ich durch einen ungesunden Lebens- und Arbeitsstil ausfalle. Nehme ich bei mir wahr, wie es um meine Gesundheit bestellt ist? Ist mir meine Gesundheit wichtig? Weiß ich, was ich für meine Gesundheit tun kann? Schaffe ich beim Thema Gesundheit Erfolgserlebnisse für mich? Diese vier Fragen können jeweils ein wichtiger Schlüssel zur Gestaltung einer gesunden Lebens- und Arbeitsweise für mich sein. Meine Antworten auf diese Fragen sind ein zentraler Pfeiler gesunder ­Führung. 5 Bin ich bei meiner Lebens- und Arbeitsweise im Einklang mit meinen Werten, Bedürfnissen und Interessen? Diese Frage mag sehr philosophisch klingen. Sie ist wichtig. Bin ich für mich auf dem richtigen Weg oder passt ein anderer Weg besser zu mir? Diese Frage darf und sollte ich mir, gerade als Führungskraft, immer wieder stellen. Wenn mein bisher eingeschlagener Weg nicht richtig zu mir passt, dann leide nicht nur ich darunter, sondern auch die Menschen, die ich führe. 5 Beginnen Sie mit kleinen Schritten. Planen Sie beispielsweise konkret eine Laufrunde ein. Suchen Sie sich Verbündete, die mit Ihnen zum Laufen gehen. Suchen Sie sich gesunde Vorbilder!

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Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_16

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

„Wenn meine Mitarbeiter eine Erkrankung haben, dann hat das doch mit mir als Führungskraft nichts zu tun. Da kann ich nichts tun. Ich bin doch kein Arzt.“ Es ist natürlich nicht meine Aufgabe als Führungskraft meine Mitarbeiter zu behandeln. Dennoch kann ich einen wichtigen Beitrag im Gesundungsprozess und auch im Sinne von Prävention leisten. Manchmal auch mehr als der behandelnde Arzt oder Therapeut. Wie soll das denn gehen? Es geht dabei um Viel: Wie stark zeige ich Interesse an der Gesundheit meiner Mitarbeiter? Wie stark unterstütze ich Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements? Wie bespreche ich konkrete Unterstützungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz in Fürsorge- und Krankenrückkehrgesprächen? Wie trage ich dazu bei, dass die anderen Teammitglieder gut mit der Situation umgehen können?

Beispiel und Einführung Fallbeispiel Theresa wacht am Morgen auf. Sie kann heute unmöglich aufstehen. Gestern konnte sie nicht einschlafen und in der Nacht war sie alle halbe Stunde wach. Gedanken über Arbeitsprozesse schossen ihr in der Nacht durch den Kopf. Sie hat Angst, etwas falsch zu machen, etwas Falsches zu sagen. Hat Sorge, ihre Kollegen merken ihr an, dass sie nicht mehr so belastbar ist und verlieren womöglich den Respekt. Fünf Jahre beinahe fehlerfreie Arbeit können sie nicht beruhigen. Auch das Gespräch mit ihrem Chef in der letzten Woche hat ihr keine Erleichterung gebracht. Er hatte ihr mehrfach bestätigt, dass sie gute Arbeit leiste, doch die Angst bleibt. Und nun fehlt ihr der Antrieb überhaupt das Bett zu verlassen. Sie fühlt sich so nutzlos, so minderwertig. Beim Gedanken an ihr E-Mail-Postfach wird ihr schlecht. Auf das Treffen mit ihrer Freundin Sabine am Abend hat sie auch keine Lust. Wie soll das nur weiter gehen?

Theresa leidet unter einer depressiven Verstimmung und hat vermehrt Ängste. Doch bisher hat sie noch keinen Arzt aufgesucht und das Kind „Depression“ ist noch nicht beim Namen genannt. Theresa weiß nur eines: sie ist nicht mehr der Mensch, der sie einmal war. Sie hat keine Freude mehr an der Arbeit oder an anderen Dingen und hat Angst vor fast allem. Sogar ihrem Chef ist es bereits aufgefallen und auch ihre Kollegen haben Sie schon darauf angesprochen. Doch was soll sie tun?

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Fallbeispiel Laura kennt das bereits: ihr Mitarbeiter Dieter hat sich heute Morgen krank gemeldet. In den vergangenen fünf Wochen hat er sich häufig entschuldigt. Meist ruft er nicht selbst an, sondern seine Ehefrau meldet sich bei ihr. Aus diesem Grund hat Laura Dieter in der letzten Woche um ein Gespräch gebeten. Zunächst wollte er nicht mit der Sprache rausrücken, doch als Laura Verständnis zeigte, hat er sich doch ein Herz gefasst. Er leide unter Panikattacken. Besonders montags sei es sehr schlimm. Sein Herz schlage dann so schnell, dass er Angst habe, einen Herzinfarkt zu bekommen. Er habe Todesangst und könne nicht aufstehen. Panikattacken hatte Laura schon einmal gehört, doch mit solchen Auswirkungen?

255 Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

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Zunächst war Laura Vieles unklar. Was sind Panikattacken? Welche Folgen haben Panikattacken und was kann man dagegen tun? Klar ist, dass Laura ihrem Mitarbeiter die Panikattacken nicht einfach nehmen oder ihn „therapieren“ kann. Trotzdem möchte sie ihm helfen und fragt sich, wie sie am besten vorgeht. Fallbeispiel Tim ist ein richtiges Arbeitstier. Morgens sitzt er meist schon um 6.30 Uhr am Arbeitsplatz und bereitet sich auf die Besprechungen des Tages vor. Dann folgt eine Besprechung nach der anderen. Manchmal schafft er es mit seinem Team zusammen im Betriebsrestaurant Mittag zu essen, meistens isst er erst abends etwas. Für Pausen ist keine Zeit, schließlich sind alle Aufgaben, derer sich Tim annimmt, sehr wichtig. Seit einigen Wochen hat Tim verstärkt Rückenschmerzen. Zeit für einen Arztbesuch oder für Sport hat er aber keine. Tim ignoriert den Schmerz. Die vielen Themen, an denen er täglich arbeitet, lenken ihn gut ab.

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der Frage, wie Führungskräfte mit Krankheiten Ihrer Mitarbeiter umgehen können und wie gegebenenfalls durch die Führungskräfte positiv Einfluss genommen werden kann. Der klare Fokus liegt dabei auf Erkrankungen, bei deren Entstehung und Aufrechterhaltung die Arbeit zumindest teilweise einen Einfluss haben kann. Also Erkrankungen, wie wir sie in den Beispielen von Theresa, Dieter und Tim beschrieben haben. Wenn sich ein Mitarbeiter beim Skifahren den Arm bricht und erst nach einigen Wochen wieder am PC arbeiten kann, dann sind die Einflussmöglichkeiten der Führungskraft sehr begrenzt. Wenngleich dann möglicherweise Fragen der Arbeitsplatzergonomie eine Rolle spielen. Gerade bei psychischen Erkrankungen kann die Arbeit ein relevanter Einflussfaktor sein, beziehungsweise die Gestaltung der Arbeit kann einen Beitrag zur Genesung und Erhaltung der Gesundheit leisten. Dies gilt natürlich auch für andere Erkrankungen, die zum Beispiel durch verbesserte Arbeitsplatzergonomie oder persönliche Schutzausrüstung vermieden oder positiv beeinflusst werden können. Denken wir beispielsweise an das Tragen von Gehörschutz, von Sicherheitsschuhen oder die Nutzung von Hilfsmitteln beim Heben von schweren Lasten. Solche Aspekte schließen wir mit ein, wenn auch der Fokus auf psychischen Erkrankungen liegt. Auch deshalb, weil sich Führungskräfte in der Praxis oft noch schwer tun, mit psychischen Erkrankungen ihrer Mitarbeiter umzugehen. Es ist oft leichter einen höhenverstellbaren Schreibtisch zu beschaffen, um weitere Rückenleiden zu mindern, als einen Beitrag dazu zu leisten, dass das Auftreten einer depressiven Episode unwahrscheinlicher wird. Auch deshalb die Fokussierung auf psychische Erkrankungen. Wissenschaftlicher Hintergrund

Psychische Erkrankungen sind in den vergangenen Jahren nicht nur stärker in der Öffentlichkeit thematisiert worden, sondern auch Gesundheitsstatistiken weisen darauf hin, dass psychische Erkrankungen gerade im Arbeitskontext an Relevanz gewinnen (Badura 2010). Der Anteil, der auf psychische Erkrankungen und

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Verhaltensstörungen entfällt, hat von 2006 bis 2014 um mehr als vier Fünftel zugenommen und stagniert seitdem weitestgehend auf diesem sehr hohen Niveau (Gesundheitsreport 2018). Am häufigsten leiden die Betroffenen unter Depressionen und Angststörungen (Heyde und Macco 2009). Auf der anderen Seite identifizieren sich psychisch gesunde Mitarbeiter 54 % mehr mit dem Unternehmen und fühlen sich um 23 % stärker integriert. Psychisch gesunde Mitarbeiter sind um 30 % zufriedener und zeigen um 26 % mehr Bindung an ihr Unternehmen als Mitarbeiter, die unter einer psychischen Erkrankung leiden (Bruch und Kowalevski 2013). Die Zahlen unterstreichen die große Relevanz des Themas. Unter dem Schlagwort Burn-out werden seit vielen Jahren Erschöpfungszustände diskutiert, die in der Regel einen klaren Bezug zur Arbeit aufweisen (Koch et al. 2015). Darüber hinaus sind psychische und physische Anteile bei vielen Erkrankungen oft komplex miteinander verwoben, z. B. bei Rückenschmerzen (Kröner-Herwig et al. 2011). So können Symptome stärker wahrgenommen werden, wenn die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird. Machen Sie ein kleines Experiment: Denken Sie an eine Zitrone! Stellen Sie sich genau vor, wie diese aussieht und wie sie riecht. Schneiden Sie nun die Zitrone in Gedanken auf. Sehen Sie, wie der Saft aus dem Fruchtfleisch läuft … und jetzt stellen Sie sich vor, wie Sie in die Zitrone beißen! – Welche Veränderungen haben Sie an sich wahrgenommen? Vielen Menschen läuft bei dieser intensiven Vorstellung das Wasser im Mund zusammen. Es reicht also eine bildhafte Vorstellung aus, um eine körperliche Reaktion hervorzurufen. Wie allgemeine körperliche Zustände können auch Schmerzen von der Psyche beeinflusst werden. Ist eine Person belastet, gestresst oder ist die Stimmung negativ, werden bspw. Schmerzen oft stärker wahrgenommen. Doch wodurch kommt der beschriebene Anstieg an psychischen Erkrankungen zustande und was sind mögliche arbeitsplatzbezogene Ursachen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen Erkrankungen beitragen? Antworten auf diese Frage können Ansatzpunkte zur Verbesserung des eigenen Gesundheitsverhaltens sowie zur Förderung des Gesundheitsverhaltens der Mitarbeiter geben. Eine mögliche Ursache könnte die Beschleunigung im Arbeitsleben sein (Korunka und Kubicek 2013). Viele Arbeitnehmer haben den Eindruck, immer mehr Aufgaben immer schneller erledigen zu müssen. Dies könnte mit einer Veränderung der modernen Zeitstruktur zusammenhängen. Veränderungen, auch in der Gesellschaft, gehen immer schneller voran, angetrieben durch technologische Neuerungen. Dies beinhaltet laut Rosa (2005) schnellere Transport-, Kommunikations- und Produktionsprozesse. Industrieunternehmen benötigen beispielsweise ihre Vorprodukte und Montagematerial zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Komplikationen in der Lieferkette können schnell zu teuren Bandstillständen führen. Dies kann Beschäftigte vor Herausforderungen stellen, beispielsweise eng gesteckte Termine oder hohe Anforderungen im Sinne einer sehr sorgfältigen Arbeitsweise. Ob und wie stark die Beschleunig als Belastung wahrgenommen wird, hängt allerdings von der jeweiligen Person und ihren Ressourcen ab (Korunka et al. 2013). Eine weitere Ursache kann die Zunahme von Tätigkeiten mit steigender emotionaler und kognitiver Anforderung durch die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft sein (Lohmann-Haislah 2012). So sind Arbeitnehmer mit Kundenkontakt gefordert,

257 Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

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jederzeit auf die Bedürfnisse ihrer Kunden einzugehen und auch Emotionen, die dadurch entstehen können, abzufangen: solche Emotionsarbeit wird immer wichtiger. So müssen viele Arbeitnehmer bspw. mit Kunden umgehen, die über eine Situation verärgert sind oder etwas wünschen, das nicht erfüllt werden kann. Solche sozialen Stressoren und die sich daraus ergebende Emotionsarbeit können einen Einfluss auf die Entstehung von psychischen Erkrankungen haben, insbesondere dann, wenn der Mitarbeiter in einer Umgebung mit geringer Unterstützung arbeitet (Dormann und Zapf 1999). Ein starker sozialer Stressor kann es beispielsweise sein, wenn ein Mitarbeiter mit aggressivem, beleidigendem Kundenverhalten professionell umgehen muss. Wenn er sich beispielsweise freundlich verhalten muss, obwohl ihm emotional ganz anders zumute ist. Das kann eine sehr anspruchsvolle Aufgabe sein. Arbeitet der Mitarbeiter in einer unterstützenden Umgebung, zum Beispiel mit einer unterstützenden Führungskraft, so kann dies dazu beitragen, dass sich trotz vermehrter sozialer Stressoren überhaupt keine oder geringere psychische Symptome ausbilden. Letztendlich sind Arbeitnehmer immer mehr für den Ablauf und den Erfolg der Arbeitsprozesse verantwortlich, was ebenfalls als belastend wahrgenommen werden kann (Lohmann-Haislah 2012). Führungskräfte sind dabei von gesundheitlichen Risikofaktoren nicht ausgenommen. Bei hohem Handlungsspielraum berichten Führungskräfte häufig von hohem Zeitdruck, ständigen Unterbrechungen und einer hohen Arbeitsdichte (Regnet 2014). Impulse zur persönlichen Reflexion

Was tue ich, wenn mein Mitarbeiter häufig oder lange krank ist? An dieser Stelle können wir weder detailliert auf unterschiedliche Erkrankungsbilder noch das Aufzeigen der möglichen Entstehungsfaktoren eingehen. Vielmehr möchten wir Antworten auf die folgenden Fragen anbieten: Wie kann ich als Führungskraft das Gespräch mit meinem Mitarbeiter suchen, wenn ich den Eindruck habe, dass es meinem Mitarbeiter schlecht geht? Was kann mein Beitrag als Führungskraft im Genesungsprozess sein? Vielleicht kennen Sie ähnliche Fälle: Fallbeispiel Peter M. ist seit sieben Wochen krank. Nächste Woche kommt er wieder zurück in die Abteilung. Marlene F. ist nun schon wieder krank. In den letzten drei Monaten war sie insgesamt acht Mal je ein oder zwei Tage krank gewesen. Leider wissen Sie nicht genau, warum Ihre Mitarbeiterin immer wieder fehlt.

Mit diesen oder ähnlichen Situationen können Sie im Team konfrontiert sein. Sicherlich haben Sie auch Ideen oder bereits Erfahrungen, wie damit umgegangen werden kann. Steigt die Krankenquote in Ihrem Team an, ist es wichtig, dies wahrzunehmen und mit den betroffenen Mitarbeitern ins Gespräch zu gehen.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Was sind krankheitsbedingte Fehlzeiten? Krankheitsbedingte Fehlzeiten sind alle Zeiten, in denen der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft dem Arbeitgeber aus krankheitsbedingten Gründen nicht zur Verfügung stellt. Dabei lässt sich grob zwischen krankheitsbedingten Fehlzeiten, auch Krankenstand und motivationsbedingten Fehlzeiten (Absentismus) unterscheiden. Von motivationsbedingten Fehlzeiten wird dann gesprochen, wenn Mitarbeiter sich aufgrund verschiedener demotivierender Faktoren wie Arbeitsbedingungen, Konflikte, Unzufriedenheit etc. krank melden. Krankheit kann dabei als ein Kontinuum betrachtet werden. In den Extrembereichen ist es vollkommen klar: wenn ich mit 40 Grad Fieber im Bett liege, bin ich auf jeden Fall krank und wenn ich mich fit fühle, bin ich gesund. Dazwischen gibt es jedoch einen großen Graubereich, in dem Beschwerden vorhanden sind, die je nach Person unterschiedlich wahrgenommen werden können. Während der Eine bei Kopfschmerzen zu Hause bleibt, kommt ein Anderer dennoch zur Arbeit. Warum ist das Thema für mich als Führungskraft relevant? Natürlich können Sie Ihre Mitarbeiter nicht generell vor Krankheiten beschützen. Aber dadurch, dass Sie nahe an Ihrem Mitarbeiter sind, können Sie positiv Einfluss auf die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter nehmen. Als Führungskraft kann ich krankheitsbedingte Fehlzeiten auf verschiedenen Wegen beeinflussen. Indem ich … 5 eine angenehme Arbeitsatmosphäre unterstütze, 5 mir Fehlzeiten auffallen, 5 ich das Gespräch mit dem betroffenen Mitarbeiter suche und 5 arbeitsplatzbezogene Einflussfaktoren identifiziere. 5 Auf dieser Basis können dann individuelle Maßnahmen abgeleitet werden, die natürlich nachverfolgt werden müssen. 5 Damit in Verbindung kann ich gemeinsam mit dem Mitarbeiter prüfen, welche Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (beispielsweise ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement, Sportkurse) für den Mitarbeiter hilfreich sind.

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Dabei hilft es im Hinterkopf zu behalten, dass es ein Zeichen von Wertschätzung ist, dass Ihnen Fehlzeiten auffallen und Sie diese offen ansprechen. > Sie können nur dabei mithelfen, die Fehlzeiten zu reduzieren, wenn Sie diese

ansprechen und mit dem Mitarbeiter nach möglichen beruflichen Einflussfaktoren suchen und daran ansetzen.

259 Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

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Dabei hat jeder Mitarbeiter ein Recht darauf, nicht zu sagen, welche Krankheit er hat. Dennoch können Sie ihn unterstützen, indem Sie sich auf mögliche berufliche Einflussfaktoren konzentrieren. Als Führungskraft können Sie einen Beitrag zu gesundheitsförderlichen Arbeitsbedingungen in Ihrem Team leisten und sich auch mit Blick auf den einzelnen Mitarbeiter, um individuelle Unterstützung bemühen. Wie können Sie mit Ihren Mitarbeitern über krankheitsbedingte Fehlzeiten sprechen? Ein Patentrezept für das Führen solcher Gespräche gibt es nicht. Gesprächsleitfäden können allerdings eine Orientierung geben, enthalten wichtige Aspekte und Formulierungsvorschläge und können sowohl in der Vorbereitung als auch beim Führen der Gespräche eine Hilfe sein. > Dabei lässt sich zwischen den Krankenrückkehrgesprächen, bei denen

Mitarbeiter nach einer längeren Krankheitsphase (mind. 2 Wochen) zurückkommen und Fürsorgegesprächen unterscheiden. Fürsorgegespräche werden geführt, wenn ein Mitarbeiter häufiger kurze Fehlzeiten hat, beispielsweise fünf Fehlzeiten innerhalb eines halben Jahres.

Krankenrückkehrgespräche können auch im Rahmen einer Betrieblichen Eingliederungsmaßnahme geführt werden. Häufig sind dann auch noch andere Stellen wie die Personalabteilung, der Betriebs- oder Vertrauensrat, der Betriebsarzt etc. eingebunden. Wenn Sie mehr über das Betriebliche Eingliederungsmanagement erfahren wollen, empfehlen wir das Buch von Voß, Stöpel und Lange (2017). Das Führen solcher Gespräche sollte natürlich nicht nur auf psychische Erkrankungen beschränkt sein, sondern sich auf alle krankheitsbedingten Fehlzeiten beziehen. Klar ist, dass das Gespräch beim angesprochenen Armbruch beim Skifahren anders verläuft, als bei Rückenproblemen, die durch ergonomische Maßnahmen verbessert werden können oder bei psychischen Erkrankungen.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Checkliste Krankenrückkehrgespräch Ziel des Krankenrückkehrgesprächs ist es, sich gegenseitig auf den aktuellen Stand zu bringen. Um Ihnen die Gesprächsführung zu erleichtern, finden Sie in der Checkliste wichtige Aspekte, die im Gespräch behandelt werden sollen. Außerdem finden Sie Formulierungsbeispiele. Bitte dokumentieren Sie das Gespräch.

Hinweise zur Gesprächsführung Im Rahmen des Krankenrückkehrgesprächs soll besprochen werden, wie es der Person geht und ob sich Einschränkungen bei der Arbeit durch die Erkrankung oder durch bspw. die medikamentöse Behandlung ergeben. Die Führungskraft sollte über Veränderungen im Team und im Unternehmen informieren, die sich während der Abwesenheit der Person ergeben haben. Außerdem soll durch das Gespräch Hilfe angeboten und konkrete Maßnahmen zur Hilfestellung vereinbart werden. Wichtig: Dass Sie dafür sorgen, dass Sie das Gespräch ungestört führen können. Schuldzuweisungen und Vorwürfe sind nicht hilfreich und sollten vermieden werden. Bereiten Sie sich gut auf das Gespräch vor und machen Sie sich vorab konkrete Notizen.

Begrüßung Den Mitarbeiter willkommen heißen, versuchen eine vertraute und freundliche Atmosphäre zu schaffen. Beispiel: „Hallo Herr/ Frau _________! Schön, dass Sie wieder da sind.“

Vertraulichkeit, Aufklärung über Datenschutz und Hintergrund des Gesprächs Rahmenbedingungen des Gesprächs zu Beginn klar machen. „Dieses Gespräch wird selbstverständlich vertraulich behandelt. Da Sie nach einer längeren Erkrankung jetzt wieder zurückgekehrt sind, geht es in diesem Gespräch darum, dass wir uns gegenseitig auf einen aktuellen Stand bringen. Wie Sie vielleicht wissen, müssen Sie uns nichts über Ihre Krankheit oder Krankheitsursachen erzählen, um Sie jedoch gut unterstützen zu können, wäre es gut, wenn wir über den möglichen Einfluss der Arbeit auf Ihre Erkrankung sprechen könnten. Dadurch können wir gut besprechen, wie wir in Zukunft mit diesen Einflussfaktoren umgehen können. Ich werde das Gespräch dokumentieren, damit wir am Ende einen Überblick über das Besprochene haben und mögliche Vereinbarungen auch gleich festgehalten werden.“

Aktueller Stand des Befindens Der Mitarbeiter entscheidet selbst, was er über seine Erkrankung berichten möchte. Mögliche Fragen: *Wie geht es Ihnen? *Welche Behandlung nehmen Sie aktuell wahr? (Medikamente, Psychotherapie, Physiotherapie, Schmerztherapie etc.) *Sind noch weitere Maßnahmen in naher Zukunft geplant (z.B. OP, Reha,…)? *Gibt es etwas, das besonders berücksichtigt werden muss, wie zum Beispiel gesundheitliche Einschränkungen, Wirkungen/ Nebenwirkungen von Medikamenten oder das Wahrnehmen von Arzt- oder Psychotherapieterminen?

Abklären von möglichen betrieblichen Ursachen der Erkrankung Mögliche Fragen: *Gibt es vielleicht Belastungen/ Ursachen hier am Arbeitsplatz, die mit Ihrer Erkrankung im Zusammenhang stehen/ die zu Ihrer Erkrankung geführt haben? Mögliche Einflussfaktoren der Arbeit auf die Erkrankung: Zugluft, Temperaturwechsel, Arbeitsplatzergonomie, Arbeitspensum, Arbeitszeiten, lange sitzende Tätigkeiten ausführen, Ärger mit einem Kollegen, Ärger mit der Führungskraft, Ärger mit Kunden, hoher Zeitdruck, fehlende Unterstützung, insgesamt hohe Stressbelastungen etc.

Konkrete Maßnahmen vereinbaren Treffen Sie mit dem Mitarbeiter konkrete Abmachungen, welche auch schriftlich festgehalten werden.

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Mögliche Fragen: *Wie könnte man Ihrer Meinung nach an diesen Umständen/Ursachen arbeiten? *Haben Sie konkrete Vorschläge für Gegenmaßnahmen? Was können Sie tun/Was müssen wir tun? Mögliche Maßnahmen: Angebote aus dem Gesundheitsmanagement, Beratung durch Betriebsarzt oder psychologische Beratung, konkrete Maßnahmen durch die Führungskraft (Veränderungen in der Arbeitsumgebung, Veränderung von Arbeitsinhalten, Veränderungen des Arbeitsumfeldes, Veränderung von Arbeitszeit, etc. .); Qualifizierungsmaßnahmen. Beispiele: „Wir haben vereinbart, dass wir uns in den nächsten zwei Monaten alle zwei Wochen bezüglich Ihrer Arbeitsauslastung abstimmen.“ „Wir haben vereinbart, dass sie zur Entlastung einen Stehhocker bekommen.“ „Wir haben vereinbart, dass am (Datum) ein gemeinsames Gespräch mit XY stattfindet, in dem wir über die Meinungsverschiedenheiten sprechen werden.“

Informationen aus der Abteilung und dem Unternehmen Neuigkeiten, welche sich während der Abwesenheit des Mitarbeiters ergeben haben. Abschluss Dank und Verabschiedung. „Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und Ihr Vertrauen und wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, können Sie sich gern jederzeit an mich wenden.“ /„Ich wünsche Ihnen einen guten Wiedereinstieg in Ihre Arbeit!“

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Checkliste Fürsorgegespräch Ziel des Fürsorgegesprächs ist es, der betroffenen Person frühzeitig deutlich zu machen, dass Probleme im beruflichen, persönlichen, gesundheitlichen oder sozialen Bereich wahrgenommen wurden. Um Ihnen die Gesprächsführung zu erleichtern, finden Sie in der Checkliste wichtige Aspekte, die im Gespräch behandelt werden sollen. Außerdem finden Sie Formulierungsbeispiele. Bitte dokumentieren Sie das Gespräch.

Hinweise zur Gesprächsführung Nutzen Sie das Gespräch, um Ihre Unterstützung oder Unterstützung durch das Unternehmen anzubieten. Durch das Gespräch soll Sorge zum Ausdruck gebracht und Hilfe angeboten werden, Schuldzuweisungen und Vorwürfe sind nicht hilfreich und sollten vermieden werden. Wichtig: Im Rahmen der Gesprächsvorbereitung sollten konkrete Beispiele notiert werden, an welchen das Thematisierte festgemacht werden kann. Tragen Sie dafür Sorge, dass Sie das Gespräch ungestört führen können. Bereiten Sie sich gut auf das Gespräch vor und machen Sie sich vorab konkrete Notizen.

Begrüßung Beispiel: „Hallo Herr/ Frau _________! Schön, dass es mit unserem Gespräch geklappt hat.“

Vertraulichkeit und Aufklärung über Datenschutz Zu Beginn Rahmenbedingungen des Gesprächs verdeutlichen. Beispiel: „Dieses Gespräch wird selbstverständlich vertraulich behandelt. Ich werde das Gespräch dokumentieren, damit wir am Ende einen Überblick über das Besprochene haben und mögliche Vereinbarungen auch gleich festgehalten werden.“

Auffälligkeiten beschreiben Beschreiben Sie dem Mitarbeiter in der „Ich-Form“, was Sie konkret beobachtet haben. Bereiten Sie dies bereits vor dem Gespräch vor und machen Sie sich Notizen (konkrete Beispiele). Beispiele: *Mir ist aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit häufig krank sind. Innerhalb der letzten x Monate haben Sie insgesamt x Tage gefehlt. Und zwar vom xx.xx. bis zum xx.xx. und vom xx.xx. bis zum xx.xx.. *Ich bin um Sie besorgt, da Sie in letzter Zeit häufiger krank sind, als ich das von Ihnen gewohnt bin.“

Mögliche Ursachen erörtern und Hilfe anbieten Fragen Sie nach möglichen Gründen, akzeptieren Sie jedoch auch, wenn sich der Mitarbeiter verschlossen hält. Beispiel: *Wie kamen die vielen Fehlzeiten zustande? *Gibt es im privaten, gesundheitlichen oder beruflichen Bereich etwas, was Sie belastet und bei dem ich Ihnen helfen kann?

Konkrete Maßnahmen vereinbaren Treffen Sie mit dem Mitarbeiter konkrete Vereinbarungen und leiten Sie diese mit dem Mitarbeiter ein. Halten Sie die Vereinbarungen schriftlich fest. Mögliche Fragen: *Wie könnte man Ihrer Meinung nach an diesen Umständen/Ursachen arbeiten? *Haben Sie konkrete Vorschläge für Gegenmaßnahmen? Was können Sie tun/Was müssen wir tun?

Mögliche Maßnahmen: Angebote aus dem Gesundheitsmanagement; Beratung durch Betriebsarzt oder psychologische Beratung, konkrete Maßnahmen zwischen Führungskraft und Kollegen etc. Beispiel: „Wir haben vereinbart, dass am (Datum) ein gemeinsames Gespräch mit XY stattfindet, in dem wir über die Meinungsverschiedenheiten sprechen werden.“

Abschluss

Die zweite Gesprächsart, die wir Ihnen vorstellen wollen, ist das sogenannte Fürsorgegespräch. Das Fürsorgegespräch kann für die Mitarbeiter passend sein, die häufig und eher kurz erkranken. Was kann ich tun, wenn ich bei einem Mitarbeiter Veränderungen aufgrund von Erkrankungen bemerke? Am Anfang haben wir Ihnen Laura und Dieter vorgestellt. Dieter hat Panikattacken, wie Laura, seine Vorgesetzte, in einem vertrauensvollen Gespräch mit ihm erfahren hat. Vielleicht haben Sie sich beim Lesen selbst die Frage gestellt, wie Sie in

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

einer solchen Situation reagieren würden oder womöglich haben Sie aktuell eine ähnliche Situation. Mit einem Leitfaden möchten wir Ihnen eine Hilfestellung an die Hand geben, wie Sie mit gesundheitsbezogenen Veränderungen bei Ihrem Mitarbeiter umgehen können. Da jede Situation unterschiedlich ist, ist der Leitfaden lediglich als ein Orientierungsrahmen zu verstehen. Einige Tipps vorab Am wichtigsten ist dabei, wertschätzend und ohne Vorurteile ins Gespräch zu gehen. > Sie können Ihren Mitarbeiter nicht zwingen, sich zu öffnen. Vertrauen wird

geschenkt und kann nicht eingefordert werden.

Wenn Sie es schaffen, eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen, erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass der Mitarbeiter sagt, wo ihm der Schuh drückt. Das ermöglicht Ihnen, Ihrem Mitarbeiter besser zu helfen und mögliche Ansatzpunkte zur Hilfe zu sehen. Im Gespräch kann es eine Herausforderung sein, zunächst den Mitarbeiter selbst Ideen generieren zu lassen und nicht sofort eigene Ideen, Vermutungen und Vorschläge einzubringen. Führen Sie sich vor Augen, dass Maßnahmen, die bei Ihnen oder anderen geholfen haben, nicht automatisch jedem helfen. Meist weiß der Betroffene am besten, was hilfreich für ihn sein kann oder was er bereits ohne Erfolg probiert hat. Versuchen Sie offene Fragen zu stellen, die nicht nur mit „ja“ oder „nein“ beantwortet werden können. Wertschätzendes Zuhören und Verständnis zu signalisieren sind sehr wichtig. Zeigen Sie Anteilnahme. Wenn Sie sich jedoch darauf beschränken ein offenes Ohr zu haben, dann ist das wahrscheinlich zu wenig, um eine Veränderung anzustoßen. Es geht nicht um ein freundschaftliches Gespräch, bei dem Sie lediglich zuhören und Verständnis zeigen, sondern es gehört zu Ihrer Aufgabe gemeinsam mit dem Mitarbeiter zu überlegen, was getan werden kann, um seine Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen und langfristig zu erhalten. Praxistipp

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Gesprächsleitfaden bei gesundheitsbezogenen Veränderungen Voraussetzung: Ihnen fallen gesundheitsbezogene Veränderungen an Ihrem Mitarbeiter auf. Sie haben den Eindruck, dass es Ihrem Mitarbeiter nicht gut geht. Möglicherweise nehmen Sie erste Beeinträchtigungen der Arbeitsleistung wahr. Vorbereitung auf das Gespräch: a) Organisieren Sie einen Raum und sorgen Sie dafür, dass Sie nicht gestört werden. b) Teilen Sie dem Mitarbeiter rechtzeitig den Termin mit. Wir raten davon ab, dies bereits Wochen im Voraus zu tun, da der Mitarbeiter sich sonst viele Gedanken über den möglichen Inhalt des Gesprächs machen könnte.

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c) Geben Sie einen Grund für das Gespräch an. Wir empfehlen Ihnen, es bspw. Reflexionsgespräch zu nennen, in dem Sie mit dem Mitarbeiter gemeinsam auf die aktuelle Situation schauen möchten. d) Bereiten Sie sich gut auf das Gespräch vor. Wir empfehlen auch, sich Notizen zu machen und diese in das Gespräch mitzunehmen. In einem komplexen Gespräch besteht immer die Gefahr, den roten Faden zu verlieren. Notieren Sie die Beobachtungen, die sie ansprechen möchten, genau auf (Datum, konkrete Situation). Beziehen Sie nur Beobachtungen mit ein, die Sie selbst gemacht haben. Lassen Sie Bemerkungen von dritten Personen, wie Kollegen, Ihren Vorgesetzten etc. außen vor. e) Gehen Sie wertschätzend in das Gespräch und versuchen Sie, bereits im Kopf zurecht gelegte Hypothesen, nicht zu stark in den Vordergrund treten zu lassen. Reflexionsgespräch: a) Beschreiben Sie zunächst, worum es im Gespräch gehen wird und geben Sie einen kurzen Überblick (Reflexion der aktuellen Situation aus Ihrer Sicht im Abgleich mit der Situation aus Sicht des Mitarbeiters, eventuell Ableitung von Veränderungsbedarf). b) Schaffen Sie eine angenehme Atmosphäre, indem Sie zunächst positives Feedback geben. Formulieren Sie konkret anhand von Beispielen. Zeigen Sie dem Mitarbeiter, dass er Ihnen wichtig ist. c) Berichten Sie dann nach einer kleinen Pause von Ihren Beobachtungen. Formulieren Sie konkret, neutral anhand von Beispielen. Drücken Sie Ihre Sorge aus. Wir raten davon ab, Formulierungen wie „psychisch erkrankt“ oder „depressiv“ zu verwenden, wenn der Mitarbeiter selbst noch kein Krankheitsverständnis entwickelt hat. Gibt der Mitarbeiter allerdings an, bspw. unter „einer Depression zu leiden“, können Sie den Begriff aufnehmen und ebenfalls verwenden. Ansonsten sprechen Sie davon, dass Sie den Eindruck haben, dass es dem Mitarbeiter möglicherweise nicht so gut geht. Machen Sie immer deutlich, dass es sich um Ihre ganz subjektiven Beobachtungen handelt und nicht um nachweisbare Wahrheiten. Sie haben den Eindruck, dass es Ihrem Mitarbeiter nicht so gut geht und möchten mit Ihm besprechen, wie er das empfindet. d) Machen Sie eine Pause und fragen Sie nach der Sichtweise des Mitarbeiters. Falls Sie sich vorab Vermutungen und Hypothesen überlegt haben, empfehlen wir, diese noch nicht zu formulieren. Dies birgt die Gefahr, dass der Mitarbeiter diese entweder grundsätzlich ablehnt oder einfach übernimmt, obwohl es eigentlich in eine andere Richtung geht. Möglicherweise traut sich der Mitarbeiter dann auch nicht, den eigentlichen Grund zu thematisieren. Geben Sie dem Mitarbeiter Zeit, auf Ihre Beobachtungen zu reagieren. e) Wenn dem Mitarbeiter die Veränderungen ebenfalls aufgefallen sind, können Sie zum nächsten Schritt übergehen. Sie können gemeinsam mit dem Mitarbeiter erarbeiten, wie stark sie beide den Veränderungsbedarf jeweils wahrnehmen, was mögliche Ursachen sind und was er schon unternommen hat, um die Situation zu verbessern. Gemeinsam können Sie überlegen, was noch hilfreich

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f)

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h)

i) j)

k)

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sein kann: Was kann Ihr Mitarbeiter selbst tun? Was können Sie als Führungskraft tun? Was können Kolleginnen und Kollegen tun? Welche Anlaufstellen können noch hilfreich sein? Auch an dieser Stelle empfehlen wir Ihnen, nicht mit eigenen Ideen hervorzusprudeln, sondern den Mitarbeiter zunächst nach seinen Ideen zu fragen. Lassen Sie dem Mitarbeiter Zeit, darüber nachzudenken. Fragen Sie nach, um Ihren Mitarbeiter besser zu verstehen. Akzeptieren Sie allerdings auch, wenn Ihnen Ihr Mitarbeiter nichts sagen will oder Ihnen nur einen Teil der Informationen zukommen lässt. Erfragen Sie, ob der Mitarbeiter sich bereits professionelle Hilfe gesucht hat. Wenn dies nicht der Fall ist, dann empfehlen Sie ihm das. Wenn Sie einen Betriebsarzt oder Betriebspsychologen im Unternehmen haben, ziehen Sie diesen hinzu, vorausgesetzt, der Mitarbeiter ist einverstanden. Vereinbaren Sie konkrete Maßnahmen, um den Veränderungen entgegenzusteuern. Achten Sie darauf, dass Sie nur Hilfe für Strategien anbieten, bei denen Sie tatsächlich unterstützen können. Bedenken Sie, dass Sie Ihren Mitarbeiter weder therapieren noch 24 h für Ihn da sein können und formulieren Sie das klar. Wenn Ihr Mitarbeiter wenig eigene Ideen entwickelt oder Ihnen die Ideen Ihres Mitarbeiters wenig hilfreich erscheinen, dann können Sie auch eigene Vorschläge mit einbringen und dazu einladen, diese einmal auszuprobieren. Wenn Ihr Mitarbeiter etwas vorschlägt, was Ihnen sogar schädlich erscheint, z. B. Alkohol trinken bei Schlafproblemen, dann äußern Sie Ihre Bedenken auch deutlich und begründen diese (z. B. Gefahr von Alkoholmissbrauch, Alkoholabhängigkeit). In solchen Fällen empfehlen wir, klar Stellung zu beziehen. Ihr Mitarbeiter hat Ihre ehrliche Meinung verdient. Stoßen Sie Ihren Mitarbeiter dazu an, Maßnahmen auszuprobieren, die Ihnen beiden plausibel erscheinen, beispielsweise ein Gespräch mit dem Betriebspsychologen. Wenn es nicht zielführend ist, können Sie gemeinsam wieder neu darüber nachdenken. Fragen Sie noch einmal explizit nach, ob der Mitarbeiter noch weitere Ideen hat, wie Sie ihm helfen können. Verweisen Sie auf dritte, wie bspw. Therapieeinrichtungen, Betriebsarzt oder Betriebspsychologe, wenn Sie eine unbehandelte psychische Erkrankung vermuten. Vereinbaren Sie im Gespräch bereits einen Termin, bspw. in vier Wochen. In dieser Zeit können besprochene Strategien erprobt und die Situation beobachtet werden. Machen Sie darüber hinaus das Angebot, dass bei Fragen über den Termin hinaus, der Mitarbeiter auf Sie zugehen kann.

Nachbereitung des Gesprächs/Folgegespräche: a) Informieren Sie sich bspw. über Erkrankungen, die im Gespräch genannt, mit denen Sie jedoch bisher noch nicht in Berührung gekommen sind. Wichtig: Sie müssen kein Experte zu psychischen Erkrankungen werden. Es geht vielmehr darum, die Situation mit Hilfe von Hintergrundwissen besser einschätzen zu können. Eventuell wird ein Seminar zum Umgang mit psychischen Erkrankungen bei Mitarbeitern angeboten, zu dem Sie sich anmelden können.

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b) Reflektieren Sie im Folgegespräch die aktuelle Situation. Nehmen Sie positive Veränderungen anerkennend wahr. c) Reflektieren Sie Veränderungen, die bisher nicht umgesetzt werden konnten und analysieren Sie gemeinsam, welche Gründe es hierfür gab. Versuchen Sie die Vereinbarungen so zu modifizieren, dass der Mitarbeiter sie für umsetzbar hält und besprechen Sie diese in einem Folgetermin.

Fallbeispiel Beispiel eines möglichen Reflexionsgesprächs (Reflexionsgespräch, Punkt a) Vorgesetzter (V): Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben und wir heute gemeinsam die letzten Wochen reflektieren können. Ich möchte nun die nächste Stunde nutzen, um Ihnen meine Beobachtungen zu schildern und sie mit Ihren eigenen Beobachtungen abzugleichen. Mir ist Ihre Sichtweise dabei sehr wichtig und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diese einbringen. Mitarbeiter (M): Ok (Reflexionsgespräch, Punkt b) V: Zunächst möchte ich Ihnen eine Rückmeldung zum Projekt X geben. Es hat mir sehr gut gefallen, wie hartnäckig Sie beim Kunden dran geblieben sind. Sie haben den Kunden innerhalb von drei Monaten immer wieder kontaktiert, seine Anliegen sehr professionell bearbeitet und es so geschafft, dass wir den Kunden für uns gewinnen konnten. Die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen hat aus meiner Sicht dabei auch sehr gut geklappt und Kollege Y hat mir die Rückmeldung gegeben, dass er gerne wieder mit Ihnen arbeiten möchte. Vielen Dank für ihren Einsatz bei diesem Projekt. Das haben Sie sehr gut gemacht. M: Das freut mich. Pause (Reflexionsgespräch, Punkt c) V: In den letzten vier Wochen sind mir einige Veränderungen bei Ihnen aufgefallen. Da diese Veränderungen erstmalig aufgetreten sind und nicht zu dem Bild passen, das ich sonst von Ihnen habe, möchte ich diese gerne mit Ihren Eindrücken abgleichen. Vielleicht können wir auch gemeinsam Ursachen für diese Veränderungen finden. M: Ok. (Reflexionsgespräch, Punkt c) V: Mir ist aufgefallen, dass Sie vor zwei Wochen, am Donnerstag eine Stunde zu spät gekommen sind. (Vorgesetzter wartet bis der Mitarbeiter reagiert) M: Kann schon sein, aber das kommt doch sonst nicht vor.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

(Reflexionsgespräch, Punkt c) V: Leider ist es am Anfang dieser Woche, nämlich am Montag, wieder vorgekommen. M: Da hatte ich verschlafen, das tut mir leid. (Reflexionsgespräch, Punkt d) V: In Verbindung mit dem Zu-spät-kommen, ist mir außerdem aufgefallen, dass ich sie momentan als sehr in sich gekehrt wahrnehme. Während Sie noch vor wenigen Wochen Witze in der Kaffeepause gemacht haben, kommen Sie seit drei Wochen kaum noch mehr mit. Ich habe mich gefragt, ob die Beobachtungen zusammenhängen und was es damit auf sich hat? Ehrlich gesagt mache ich mir Sorgen um Sie… (Vorgesetzter wartet so lange bis sich Mitarbeiter dazu äußert) M: …das stimmt schon… Mir geht es in letzter Zeit nicht besonders gut… (Mitarbeiter sucht nach Worten und Vorgesetzter gibt ihm die Zeit). Oft sind mir andere Menschen zu viel und ich möchte lieber meine Ruhe haben. (Reflexionsgespräch, Punkt e) V: Das deckt sich mit meiner Beobachtung. Ich habe mich gefragt, ob und wie ich Ihnen helfen kann. Mir ist es wichtig, dass es Ihnen bei uns gut geht, dass Sie hier gesund und zufrieden arbeiten können. Wenn Sie Sorgen haben oder sich unwohl fühlen, dann finde ich es gut, wenn wir darüber sprechen können. (V. wartet wieder lange bis der Mitarbeiter antwortet) M: Eigentlich wollte ich es Ihnen schon vor einer Weile sagen. Aber es muss hier im Raum bleiben und ich möchte nicht, dass es andere erfahren. Können Sie mir das versprechen? V: Ich kann Ihnen versichern, dass ich unser Gespräch absolut vertraulich behandle. M: Ok… ich leide seit einigen Jahren an Depressionen. Immer wenn ich glaube, sie besiegt zu haben, kommt die Depression nach einigen Monaten wieder zurück. Aktuell habe ich wieder eine solche depressive Phase. (Reflexionsgespräch, Punkt f) V: Ist es für Sie ok, wenn ich etwas nachfrage? Ich möchte es gerne besser verstehen? M: Ist ok. V: Wie äußert sich die Depression bei Ihnen? M: Ich schlafe nur noch schlecht ein und komme deshalb am Morgen kaum aus dem Bett. Ich bin unsicher in Bezug auf neue Vorgänge und habe immer Angst, etwas falsch zu machen. Ich fühle mich oft überfordert und antriebslos.

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(Reflexionsgespräch, Punkt g) V: Wird die Depression aktuell behandelt? M: Nein, leider habe ich gerade keinen Therapeuten. Seit meinem Umzug hierher vor einem Jahr bin ich nicht mehr in Behandlung. Mein ehemaliger Therapeut ist zu weit weg. (Reflexionsgespräch, Punkt j) V: Gerne würde ich unseren Betriebspsychologen/Betriebsarzt hinzu ziehen, dieser kann Sie bei der Suche einer geeigneten Behandlung unterstützen. Wäre es für Sie ok, wenn ich Kontakt mit dem Betriebsarzt/Betriebspsychologen aufnehme oder möchten Sie selbst Kontakt mit ihm aufnehmen?

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M: Ich würde selbst Kontakt mit ihm aufnehmen. Für mich wäre es hilfreich, wenn Sie beim ersten Gespräch mit dabei sein könnten, schließlich kenne ich den Betriebsarzt/Betriebspsychologen nicht. (Reflexionsgespräch, Punkt h) V: Das kann ich gerne machen. Gibt es etwas, bei dem ich Sie darüber hinaus unterstützen kann? M: Für mich wäre es momentan gut, wenn ich etwas später anfangen könnte? V: Wann genau? M: Um 9.00 Uhr. V: Das können wir machen. Allerdings fände ich es dann notwendig, unserem Team einige wenige Informationen zukommen zu lassen. Wenn wir das nicht tun, werden die Kollegen anfangen zu tuscheln und Gerüchte verbreiten sich ja meist sehr schnell. Wäre es für Sie ok, wenn wir den Kollegen ein paar Informationen zukommen lassen? M: Ungern, aber ich befürchte auch, dass die Kollegen sich sowieso ihre eigenen Gedanken machen… Aber was genau soll ich den Kollegen sagen? V: Was wäre denn ok zu sagen und was möchten Sie lieber für sich behalten? M: …ok wäre für mich zu sagen, dass ich krank bin und Depressionen habe. Ich möchte aber nicht, dass die Kollegen ständig fragen, wie es mir geht oder es an Kollegen aus anderen Teams weiter geben. V: Dann schlage ich vor, dass ich morgen, wenn alle Kollegen da sind, einen Termin einberufe. Sie können dann die Punkte, die Sie gerade angesprochen haben, sagen. Ich wäre auch dabei und würde Ihnen den Rücken stärken. Dürfen die Kollegen Rückfragen stellen, wenn Ihnen etwas unklar ist? M: Ja. Wichtig ist mir aber, dass Sie dabei sind. V: Das werde ich auf jeden Fall einrichten. Wie kann ich Sie noch unterstützen?

Betriebliche Gesundheitsförderung nutzen Zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, zur Vermeidung weiterer Erkrankungen oder auch generell zur gesundheitlichen Prävention gestalten viele Unternehmen mittlerweile ein vielfältiges Angebot. Solche Angebote der Betrieblichen Gesundheitsförderung, sollten wir als Führungskräfte für uns selbst nutzen und auch unsere Mitarbeiter dazu anregen. Basierend auf Einblicke in verschiedene Unternehmen, haben wir den Eindruck, dass die Angebote bei großen, allerdings verstärkt auch bei mittleren und kleineren Unternehmen zugenommen haben. Es ist erstaunlich, welche kreativen Ideen, gerade auch kleine Unternehmen, teilweise mit sehr begrenzten Ressourcen, entwickeln können. Die Akzeptanz und Wirksamkeit solcher Angebote hängt wesentlich davon ab, ob wir als Führungskräfte mit gutem Beispiel voran gehen. Ob wir die Angebote selbst nutzen, unsere Teammitglieder über Angebote informieren und zur Nutzung animieren. Im besten Fall sind wir als Führungskräfte Hauptauftraggeber von BGM-Maßnahmen. Damit können wir auch unserer Fürsorgepflicht in besonderer Weise gerecht werden.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Reflexion der Gesundheit der Mitarbeiter mit Blick auf das Betriebliche Gesundheitsmanagement. 5 Wie gut wissen Sie über die Gesundheit Ihrer Mitarbeiter Bescheid? Gibt es Informationen zum Befinden und gesundheitsrelevanten Lebensumständen Ihrer Mitarbeiter, die Sie in Gesprächen, bspw. im Personalgespräch erfahren haben? 5 Gerade beim Thema Gesundheit gilt in besonderer Weise: Ihr Mitarbeiter wird nur Persönliches erzählen, wenn er das Gefühl hat, Ihnen vertrauen zu können und von Ihnen auch als Person und nicht nur als Arbeitskraft betrachtet zu werden. Voraussetzung für zielführende Gespräche ist folglich die Beziehung, die Sie mit Ihrem Mitarbeiter aufbauen konnten. Die in diesem Buch beschriebenen Haltungen und Handlungsfelder tragen dazu bei, eine vertrauensvolle Beziehung zu Ihrem Mitarbeiter aufzubauen. 5 Welche gesundheitsbezogenen Interessen hat Ihr Mitarbeiter? Wie stark haben Ihre Mitarbeiter die eigene Gesundheit im Blick? Wie gut erkennen Sie Warnsignale ihres Körpers? 5 Krankenquote: Informieren Sie sich, ob es Auswertungen zur Krankenquote für Ihr Team und das Gesamtunternehmen gibt. 5 Wie liegt die Krankenquote meines Teams im Vergleich zum Gesamtunternehmen und/oder zu anderen Teams in meinem Bereich? 5 Wie liegt die Krankenquote in meinem Team im Vergleich zu Vorjahren? 5 Gibt es Personen in meinem Team, die lange oder häufig im vergangenen Jahr krank waren? 5 Welche Instrumente, wie beispielsweise Leitfäden für Fürsorgegespräche, stehen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zur Verfügung? 5 Welche Angebote des Betrieblichen Gesundheitsmanagements könnten für den jeweiligen Mitarbeiter hilfreich sein? Mache ich dies beispielsweise in den jährlichen Personalgesprächen zu einem ritualisierten Thema?

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Dabei ist ganz wichtig, dass Betriebliches Gesundheitsmanagement vor allem dazu dienen soll, die Gesundheit der Mitarbeiter zu erhalten und nicht in erster Linie als Reparaturwerkstatt, wenn es dem Mitarbeiter bereits schlecht geht bzw. eine manifeste physische oder psychische Erkrankung vorliegt. Präventive Maßnahmen sind aus diesem Grund unabdingbar. Beispiele für Maßnahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung

Je nach Betrieb bieten Unternehmen unterschiedliche Maßnahmen an. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass Sie sich gut über die möglichen Angebote informieren. Darüber hinaus gibt es eventuell auch die Chance, neue Ideen zur Betrieblichen Gesundheitsförderung bei der entsprechenden Stelle, beispielsweise in der Personalabteilung, beim betriebsärztlichen Dienst, in der Sozialberatung, bei den Ansprechpartnern der Betrieblichen Gesundheitsförderung etc. einzubringen. Wenn es in

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Ihrem Unternehmen ein betriebliches Vorschlagswesen gibt, kann dies auch ein Anknüpfungspunkt zur Einreichung neuer Ideen zur Förderung der Mitarbeitergesundheit sein. Wo finden Sie die Angebote für Ihr Unternehmen? Oft werden jährlich, halbjährlich oder quartalsweise die Angebote in Broschüren, E-Mails oder auf dem firmeneigenen Intranet publik gemacht. Auch in Mitarbeiterzeitschriften können sich relevante Angebote finden. An dieser Stelle wollen wir eine Reihe möglicher Angebote im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung kurz erläutern. Womöglich ist das Anlass für Sie, sich genauer damit zu beschäftigen, was in Ihrem Unternehmen alles angeboten wird oder gegebenenfalls Initiative zu ergreifen und entsprechende Angebote vorzuschlagen. Gesundheitsseminare In Seminaren werden in Wissens- und Übungseinheiten Gesundheitsthemen bearbeitet. Die Themen reichen dabei von gesunder Ernährung, über Bewegung, Entspannungsverfahren, wie Autogenes Training, bis hin zu Informationen zu physischen und psychischen Erkrankungen. Oft sind diese Angebote auch so auf den betrieblichen Alltag zugeschnitten, dass es beispielsweise darum geht, wie mehr Bewegung in den Arbeitsalltag an einem Büroarbeitsplatz integriert werden kann. Viele Seminare sind auf die Prävention von Erkrankungen ausgelegt und enthalten neben wichtigen Informationen zum Thema auch Übungen. Dies geschieht auch teilweise in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen oder Berufsgenossenschaften. Gesundheitskurse Hierunter fallen vor allem Sportkurse, die häufig nach der Arbeitszeit durch das Unternehmen voll oder teilweise finanziert von den Mitarbeitern wahrgenommen werden können und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Einige Unternehmen können dies in eigenen Räumlichkeiten anbieten, andere Unternehmen haben Kooperationen mit Fitnessstudios, Sporteinrichtungen oder Vereinen. Neben Sport kann es auch Kurse zu Entspannungsverfahren, Ernährung, gesunder Lebensführung etc. geben, die teilweise auch während der Arbeitszeit besucht werden können. Vorträge Vorträge können zu unterschiedlichen Themen angeboten werden. Bspw. zum Thema Burn-out, Muskel-Skelet-Erkrankungen, Ernährung, Meditation, gesundem Schlaf etc. Vorträge sind meist kürzer als Seminare und enthalten keinen oder einen geringen Übungsanteil. Sie sollen vor allem Impulse setzen. Diese können entweder für alle Interessierten des Unternehmens angeboten werden oder finden lediglich für eine spezielle Zielgruppe statt.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Aktionstage Themen für mögliche Aktionstage sind vielfältig und werden meist für alle Mitarbeiter angeboten. Häufig stehen den Mitarbeitern während eines Aktionstages verschiedene Ansprechpartner zur Verfügung und es werden unterschiedliche Informationen und Maßnahmen angeboten. So kann bspw. beim Aktionstag Fahrsicherheit, ein Parcours aufgebaut werden, eine Fahrsimulation zur Verdeutlichung des Effekts von Alkohol am Steuer zum Einsatz kommen und Polizei, Suchtberatung und Betriebsarzt sind als Ansprechpartner vor Ort. Aber auch andere Aktionstage sind möglich, an den beispielsweise Fachpersonal die Ergonomie am Arbeitsplatz überprüft. Gesundheitscheck Der Gesundheitscheck kann von einer Untersuchung bspw. zum Thema Hautkrebs oder Darmgesundheit bis hin zu einem Check des gesamten körperlichen Zustandes reichen. Auch das Angebot von Grippeschutzimpfungen oder Sehtests kann Bestandteil sein. Häufig findet dies in Kooperation mit der jeweiligen Betriebskrankenkasse statt und kann auch hierüber abgerechnet werden. Kampagnen Bei Kampagnen werden ähnlich wie bei Aktionstagen zu einem Thema verschiedene Maßnahmen geplant. Kampagnen können Seminare, Aktionstage, Vorträge, Arbeitskreise etc. umfassen, dauern aber im Vergleich zu Aktionstagen länger an und können bis zu zwei Jahren, manchmal auch länger, ein Gesundheitsthema im Unternehmen in den Fokus stellen und vorantreiben. Sozialberatung

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Eine Mitarbeiterberatung, die häufig Sozialberatung genannt wird, kann unternehmensintern oder extern angeboten werden. Bei den externen Anbietern handelt es sich häufig um EAP-Systeme (Employee Assistance Programme), die eine Mitarbeiterberatung, teilweise rund um die Uhr, für verschiedene Themen anbieten. Dort beraten häufig Psychologen, Sozialarbeiter, Juristen etc. zu unterschiedlichen Problembereichen wie physischen und psychischen Erkrankungen, Schulden, Konflikten am Arbeitsplatz etc. Da sich berufliche und private Problemstellungen selten klar voneinander trennen lassen, können sich Mitarbeiter und ihre Angehörigen mit jedem Problem an die Mitarbeiterberatung wenden. Ist diese im Unternehmen direkt angesiedelt, spielt die Einhaltung der Schweigepflicht ein ganz besondere Rolle. Bei internen Lösungen kann meist keine rund-um-die-Uhr-Lösung angeboten werden. Individuelle Maßnahmen Neben den allgemeinen Angeboten der Betrieblichen Gesundheitsförderung ist es bei entsprechender Beanspruchung der Mitarbeiter angezeigt, weitere individuelle Maßnahmen zu ergreifen. So kann bspw. bei Anliegen im Bereich der Selbstorganisation

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ein Zeitmanagementtraining erste Ansatzpunkte zur Veränderung liefern. Es wird jedoch in der Regel ein Weiterarbeiten an gewonnen Erkenntnissen notwendig sein. Auch Coachingangebote können insbesondere im präventiven Bereich ein guter Ansatzpunkt sein, wenn gemeinsam mit einem Coach beispielsweise an Veränderungen im Umgang mit als kritisch erlebten Situationen gearbeitet wird. Ein Mitarbeiter, der beispielsweise immer wieder in Konflikt mit anderen Kollegen gerät und dies als stark belastend erlebt, kann möglicherweise von Coaching profitieren. Diese Ansätze können dabei auch eine Beteiligung von Ihnen als Führungskraft erfordern. > Ausdrücklich wollen wir davor warnen, Lösungen nur im Verhalten der

Mitarbeiter zu sehen, sondern wollen stark dafür werben, in gleicher Weise die Arbeitsbedingungen mit in den Blick zu nehmen.

Welche Belastungsfaktoren führen bei meinem Mitarbeiter zu einer Beanspruchung im Sinne eines negativen Einflusses auf die Gesundheit? Stellen Sie sich also die Frage, was viel Stress bei Ihrem Mitarbeiter erzeugt. Das ist ein wichtiger erster Schritt zur Ableitung von individuellen Maßnahmen. Dabei kann es sich bspw. um Konflikte mit einem Kollegen handeln. Hier kann eine Lösung sein, sich des Konfliktes anzunehmen und aktiv nach einer Lösung zu suchen. Ggf. sich Unterstützung durch eine neutrale Person, durch Sie als Führungskraft, den Vertrauens- bzw.- Betriebsrat etc. zu suchen. Bei einem anderen Mitarbeiter kann der Grund für die Belastung in der Arbeitsauslastung oder den Inhalten der Arbeit liegen. Je nachdem wäre es dann sinnvoll, die Arbeit zu reduzieren, indem beispielsweise Aufgaben anders verteilt oder womöglich gestrichen werden. Dabei sollte im Auge behalten werden, dass Belastungsfaktoren nicht zwangsläufig zu einer Beanspruchung bei einer bestimmten Person führen. Dies wiederum erklärt auch, warum manche mit Symptomen auf eine bestimmte Situation reagieren und diese als „stressig“ bezeichnen und andere sehr gut und „stressfrei“ mit der Situation umgehen können. Menschen und somit auch ihre Empfindungen und Reaktionen sind verschieden. Gleichzeitig verweist dies darauf, dass ein Gießkannenprinzip, das die gleichen Belastungsfaktoren und daraus resultierenden Beanspruchungen bei allen Mitarbeitern annimmt, am Ziel vorbei schießt und vermutlich auch wenig effektiv ist. Gesundheitsförderung muss individuell sein (. Tab. 16.1). Die in der Tabelle genannten Themen werden in diesem Buch teilweise in eigenen Kapiteln vertieft, zum Beispiel der Umgang mit Konflikten. Gleichzeitig gibt die Tabelle einen Überblick über mögliche Belastungsfaktoren und erste Ideen zum Umgang damit. Da kommen schon viele Themen zusammen, an die wir als Führungskräfte wahrscheinlich erstmal gar nicht so denken. Bei vielen Themen haben wir Einflussmöglichkeiten und können uns kümmern. Wir sollten unseren Einfluss nicht unterschätzen. Bei individuellen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit gibt es keine Patentrezepte: Lassen Sie Ihren Mitarbeiter selbst entscheiden, welche Maßnahme er ausprobieren möchte. Hat eine Maßnahme bei Ihnen gut funktioniert, bspw. die Verbesserung des Zeitmanagements, heißt das leider nicht, dass dieser Ansatz bei Ihrem Mitarbeiter die gleiche Wirkung hat. Das schließt dennoch nicht aus, dass Sie Ihrem Mitarbeiter Vorschläge machen können. Wir empfehlen aber, den Mitarbeiter immer zu fragen, was aus seiner Sicht hilfreich sein kann und ihn dabei zu unterstützen seine Ideen in die Umsetzung zu bringen.

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Strategien und Maßnahmen zum Erhalt der eigenen Gesundheit

Zeitmanagementtechniken anwenden (Priorisierung, Tagesplanung, Pausenmanagement etc.)

Sich über die Symptome informieren Einen Arzt aufsuchen und sich beraten lassen Austausch mit Kollegen, der Familie oder anderen, die evtl. bereits einen Umgang mit der Belastung gefunden haben Nutzung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, die im Unternehmen angeboten werden, um einer Verschlechterung der Symptomatik vorzubeugen (Sportkurse, Beratungsangebote, Gesundheitschecks, Aktionstage etc.)

Aufgaben, wenn möglich, delegieren Aufgaben priorisieren Aufgaben streichen, wenn diese weder wichtig noch dringlich sind

Unterbrechungen analysieren Maßnahmen zur Reduktion von Unterbrechungen reflektieren (Telefon umstellen; Zeiträume in ruhiger Arbeitsumgebung planen, Homeoffice planen)

Belastungsfaktoren, die negativ auf die Gesundheit wirken können

Unklarheit bezüglich der Bedeutung/ Wichtigkeit der einzelnen Aufgaben

Unsicherheit bezüglich eigener Symptome/Veränderungen

Zu viele Aufgaben

Zu viele Unterbrechungen

. Tab. 16.1  Umgang mit Belastungsfaktoren

(Fortsetzung)

Mit Kollegen Unterbrechungen analysieren Mit Kollegen Maßnahmen zur Reduktion von Unterbrechungen besprechen. Wichtig: Mitarbeiter sollte eigene Ideen einbringen können

Mit dem Kollegen gemeinsam über Entlastungsmöglichkeiten sprechen Aufgaben gemeinsam priorisieren, neu im Team verteilen oder streichen

Kollegen selbst Informationen an die Hand geben oder an entsprechende Stellen verweisen (Beratungsstellen sowohl unternehmensintern und extern) Empfehlung einer ärztlichen Abklärung (Hausarzt, Betriebsarzt) Wenn Sie selbst damit Erfahrungen gemacht haben, können Sie Ihrem Mitarbeiter von diesen berichten Auf unternehmensinterne Maßnahmen zur Gesundheitsförderung hinweisen

Mit dem Kollegen Unklarheiten heraus arbeiten und über mögliche Zeitmanagementtechniken sprechen

Strategien und Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Mitarbeiter

272 Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Reflexion von Ausgleichsmöglichkeiten (Rückenschule, Übungen am Arbeitsplatz etc.) Ergonomische Maßnahmen reflektieren (höhenverstellbarer Schreibtisch, ergonomische Sitzmöglichkeiten etc.)

Analyse der Situation und Ableitung von Ansatzpunkten zur Veränderung des Arbeitsplatzes oder zum Einsatz von entsprechender Schutzkleidung

Grund für lange Arbeitszeiten analysieren (z. B. zu viel Arbeit, Schwierigkeiten zu delegieren, Schwierigkeiten in der Einschätzung der Dauer der Arbeit etc.)

Schreibtischarbeitsplatz

Lauter, heißer, kalter oder zugiger Arbeitsort

Lange Arbeitszeiten

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Dabei können personenbezogene Techniken bspw. aus dem Selbst- und Zeitmanagement oder auch Techniken zum Einsatz kommen, die sich eher mit der Veränderung externer Faktoren beschäftigen (bspw. Umstrukturierung von Aufgaben etc.).

Mitarbeiter zeigen, dass die langen Arbeitszeiten auffallen und nicht gewünscht sind: Konkrete Strategien mit dem Mitarbeiter erarbeiten, um die Arbeitszeiten zu reduzieren (z. B. Veränderung von Arbeitsaufgaben, Unterstützung bei der Priorisierung und Bearbeitung von Aufgaben etc.)

Mitarbeiter motivieren den Arbeitsplatz ergonomisch einstellen zu lassen Mitarbeiter motivieren sich zu bewegen und Sport zu treiben. Auf unternehmensinterne Angebote hinweisen. Evtl. Mittagsbewegung einführen

Mitarbeiter auf die Konflikte ansprechen Mit Mitarbeiter gemeinsam den Konflikt analysieren: Wer ist am Konflikt beteiligt? Um welche Art von Konflikt handelt es sich? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es für den Konflikt? Welche ersten Schritte können in Bezug auf die Lösung gegangen werden? Wie kann ich als Führungskraft dabei unterstützen unter Einbezug des Mitarbeiters? Ist eine externe Unterstützung notwendig? Wer kann das sein und wie sollte das ablaufen?

Lösungen für Konflikte suchen, bspw. durch Abstimmung mit dem eigenen Vorgesetzten oder den Einbezug von Unterstützung (Beratungsangebote im Unternehmen, Mediatoren etc.)

Konflikte am Arbeitsplatz

Strategien und Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit der Mitarbeiter

Strategien und Maßnahmen zum Erhalt der eigenen Gesundheit

Belastungsfaktoren, die negativ auf die Gesundheit wirken können

. Tab. 16.1  (Fortsetzung)

Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Überwindung von Hindernissen bei der Umsetzung

Mein Mitarbeiter weicht im Gespräch aus – es kommt kein offenes Gespräch zustande. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Mir geht es gut. Danke der Nachfrage, es passt alles soweit bei mir.“ Trotz mehrerer Gesprächsversuche bleibt Ihr Mitarbeiter ausweichend und vage. Dies kann mehrere Gründe haben. Bspw. ist die fehlende Krankheitseinsicht ein Symptom der Erkrankung. So ist es eventuell offensichtlich, dass Ihr Kollege alkoholkrank ist, dieser gibt es jedoch nicht zu. Bleiben Sie trotzdem dran und vereinbaren Sie Maßnahmen mit dem Mitarbeiter. Nicht immer ist es notwendig die Erkrankung zuzugeben, wenn der Mitarbeiter sich trotzdem an die vereinbarten Ziele und Maßnahmen hält. Bauen Sie nicht zu viel Druck auf und lassen Sie dem Mitarbeiter immer einen Ausweg offen, allerdings nur in Bezug auf das Zugeben einer Erkrankung, nicht aber bezüglich der vereinbarten Maßnahmen. Ein weiterer Grund könnte sein, dass der Mitarbeiter den Eindruck hat, mit der Erkrankung alleine zu sein. Oft ist dann auch Scham mit im Spiel. Haben Sie bereits selbst Erfahrung mit der Erkrankung oder kennen Sie die Erkrankung aus dem Familien- und Freundeskreis, dann können Sie dem Mitarbeiter davon erzählen. Vorausgesetzt Sie möchten darüber sprechen. Dies kann dazu führen, dass der Mitarbeiter erfährt, dass er nicht alleine mit dem Problem auf der Welt ist und er baut eventuell Vertrauen auf, verbunden mit der Hoffnung, dass Sie als Führungskraft die Krankheit nachvollziehen und eventuell eine Unterstützung darstellen können. Auch in diesem Fall gilt: nicht mit der Brechstange an das Thema herangehen. Erwarten Sie nicht gleich eine offene, positive Reaktion, wenn Sie von eigenen Erfahrungen berichten. Diese müssen eventuell bei Ihrem Mitarbeiter erst einmal sacken. Mein Mitarbeiter verschließt sich vor Veränderungen, die wichtig für seine Gesundheit wären. „Ich will das so haben. Das ist für mich in Ordnung so.“ > Wenn Sie bemerken, dass es dem Mitarbeiter nicht gut geht, dieser aber

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beispielsweise immer mehr und mehr arbeitet, keine Pausen macht und noch neue Projekte annehmen möchte, dann ist es Ihre Verantwortung im Sinne der Fürsorgepflicht, dies mit dem Mitarbeiter zu besprechen und die Situation zu verändern. Wir empfehlen immer zuerst mit dem Mitarbeiter in ein offenes Gespräch zu gehen und den Mitarbeiter mit offenen Fragen in seiner Selbstreflexion zu unterstützen.

Bedenken Sie: Wenn Sie ins Gespräch mit Ihrem Mitarbeiter gehen, ist es sehr wichtig, dass sich dieser von Ihnen verstanden und ernst genommen fühlt. Konfrontieren Sie nicht zu stark oder nur dann, wenn Sie sicher wissen, dass Sie auf dieser Ebene mit dem Mitarbeiter sprechen können. Ironische Äußerungen sollten unbedingt vermieden werden.

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Fragen für Gespräche mit Ihren Mitarbeitern, um Veränderungsmotivation zu fördern. 5 Wie geht es Ihnen momentan? 5 Haben Sie eine Veränderung an sich festgestellt? 5 Wie schätzen Sie diese Veränderung ein? 5 Was glauben Sie, wie es Ihnen in einigen Wochen gehen wird, wenn alles so bleibt, wie es im Moment ist? 5 Wie nehmen Ihrer Meinung nach andere diese Veränderung wahr? Hat Sie bspw. schon jemand auf Veränderungen angesprochen? 5 Gibt es etwas das Sie verändern wollen? Was wollen Sie verändern? Wie wollen Sie es verändern? 5 Welche Bedenken haben Sie bezüglich der Veränderung? 5 Wie kann ich Sie darin unterstützen? 5 Welche Art von Unterstützung wünschen Sie sich darüber hinaus?

Praxistipp

Ist ihr Mitarbeiter trotz der genannten Interventionen nicht bereit, sein Arbeitspensum zu reduzieren oder etwas anderes zu verändern, was seine Situation verbessert, so sollten Sie Ihren Mitarbeiter im Sinne einer Anweisung dazu auffordern. Bitte achten Sie darauf, dass Sie dies immer im Zusammenhang mit dem Ziel, den Mitarbeiter zu schützen, kommunizieren. Machen Sie Ihrem Mitarbeiter deutlich, dass Sie keinen Zwang ausüben wollen, im Moment aber keine andere Möglichkeit sehen Ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen. Geben Sie Ihrem Mitarbeiter noch einmal die Möglichkeit selbstbestimmt zu handeln und eigene Veränderungsvorschläge vorzubringen. Bleiben Sie auf jeden Fall an den Vereinbarungen dran, nehmen Sie sich diese wieder auf Termin und kontrollieren Sie, ob diese auch eingehalten werden.

Mein Mitarbeiter ist wenig optimistisch, dass Veränderung möglich ist. „Ich kann doch sowieso nichts ändern! Es bringt doch alles nichts!“ Natürlich geht es mir nicht gut, signalisiert Ihnen Ihr Mitarbeiter, gleichzeitig glaubt er aber nicht daran, dass er etwas ändern kann. In dieser Situation hat Ihr Mitarbeiter ein Gefühl von Kontrollverlust, das lähmen kann. Um da heraus kommen zu können, ist es wichtig, dass der Mitarbeiter positive Erfahrungen macht. > Überlegen Sie, wie Sie Ihren Mitarbeiter bei Veränderungen unterstützen können,

ohne dass Sie ihm die Verantwortung aus der Hand nehmen. Dies wäre fatal, da Ihr Mitarbeiter die Änderung auf Sie als Führungskraft zurückführen würde und nicht auf eigene Anstrengungen – Selbstvertrauen kann sich dadurch nur schwer aufbauen.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Gleichzeitig ist es wichtig, dass Sie selbst an Veränderungen glauben. In dieser Situation ist es ein Stück weit „normal“, dass Ihr Kollege zunächst nicht an Veränderungen glaubt. Führen Sie kein Verkaufsgespräch, denn wenn Sie versuchen, zu stark zu überzeugen, kann dies dazu führen, dass sich der Mitarbeiter in seiner Position verschließt und sich Ihren gut gemeinten Bemühungen verweigert. Versuchen Sie mit offenen Fragen, den Mitarbeiter selbst zur Reflexion anzuregen. Fragen für Gespräche mit ihren Mitarbeitern zur Förderung der Zuversicht, dass Veränderungen möglich sind. 5 Gab es ähnliche Situationen, in denen Sie etwas verändern konnten? Wie ist Ihnen das gelungen? Was haben Sie dafür getan? 5 Gibt es Personen, die Sie dabei unterstützen könnten, etwas zu verändern? Was müssten diese Personen tun? Wie kann ich Sie konkret dabei unterstützen? Bei dieser Frage ist es wichtig, die Verantwortung trotzdem beim Mitarbeiter zu lassen und ihm nicht alles abzunehmen. Auch klare Wünsche wie „Können Sie nicht mal mit Herrn Z sprechen, der hat mich auf dem Kicker.“ sollten Sie zwar ernst nehmen, jedoch nicht als Auftrag annehmen. Bieten Sie sich gerne als Vermittler an, der mit ins Gespräch geht und vermittelt. 5 Was müssten Sie tun, damit es noch schlechter wird? 5 Durch diese Frage wird eine Veränderbarkeit suggeriert. Sie ist oft leichter zu beantworten als die Frage nach einer möglichen Verbesserung und kann nach Beantwortung jedoch wieder umgedreht werden: Was müssten Sie tun, damit es etwas besser wird?

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Um die Zuversicht zu stärken, dass Veränderungen gelingen können, ist auch die Wunderfrage (De Shazer 1996) nutzbar. Die Wunderfrage stammt aus der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie und wird in der Beratung und im Coaching eingesetzt. Durch die Wunderfrage wird die Vorstellung einer gelösten Situation erzeugt, die den Ausgangspunkt für mögliche Ansätze zur Veränderung darstellt. Die Wunderfrage kann dann eingesetzt werden, wenn sich die gefragte Person in einer Art „Problemtrance“ befindet. Wenn also lediglich die negativen Aspekte einer Situation betrachtet werden. Durch die Methode können die gewünschten Zielzustände sowie notwendigen Schritte visualisiert werden. Fallbeispiel Wunderfrage nach Steve de Shazer Schritt 1: Stellen Sie sich einmal vor…nachdem Sie Ihren normalen Alltag nachgegangen sind und Sie sich am Abend schlafen gelegt haben, passiert ein Wunder. (…) Und das Problem, dass Sie die ganze Zeit im Kopf hatten, ist gelöst. (…) Aber das Wunder geschieht während Sie schlafen und Sie wissen nicht, dass es Ihnen geschehen ist (…).

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Und wenn Sie am nächsten Morgen aufwachen, woran würden Sie merken, dass dieses Wunder passiert ist? Schritt 2: Auch wenn Sie zu niemandem etwas sagen dürfen, woran würden andere Menschen merken, dass Ihnen dieses Wunder widerfahren ist? Schritt 3: Was haben Sie in letzter Zeit erfahren/erlebt, was dem ähnlich ist, was Sie am Tag nach dem Wunder erlebt haben? Schritt 4: An welchem Punkt befinden Sie sich aktuell auf einer Skala von 1–10, wobei 10 dafür steht, wie die Dinge am Tag nach dem Wunder sind.

Die Wunderfrage hat verschiedene Effekte. Die Unverbindlichkeit der Frage führt dazu, dass der Befragte frei überlegen kann, ohne sich gleich verantwortlich fühlen zu müssen. Gleichzeitig kann der Befragte feststellen, dass das Wunder nicht verwunderlich, sondern oft konkret, ja fast alltäglich ist. Die Schaffung dieser positiven Zukunftsfantasie löst den Befragten aus der Problemtrance und hilft dabei in konkrete Lösungsansätze einzusteigen. Dadurch werden dem Befragten die eigenen Ressourcen bewusst gemacht und vor Augen geführt. Oft entwickeln sich dadurch neue Sichtweisen. Vielleicht können Sie sich noch nicht vorstellen, dass die Wunderfrage funktionieren kann – wir empfehlen Ihnen: Probieren Sie es doch einfach einmal aus. Fallbeispiel Stellen sie sich beispielsweise vor, dass einer Ihrer Mitarbeiter im Außendienst große Probleme mit der Gewinnung neuer Kunden erlebt. Er soll Neukunden akquirieren. Er vermeidet es jedoch sich damit zu beschäftigen. Immer wenn Sie ihn danach fragen, weicht er aus und argumentiert, dass andere Aufgaben deutlich wichtiger seien. Sie teilen die Einschätzung nicht und haben Ihren Mitarbeiter nun schon mehrfach erfolglos gebeten, das Thema anzugehen. Schritt 1: Einstieg Führungskraft: Stellen Sie sich einmal vor, nachdem Sie Ihren normalen Alltag nachgegangen sind und Sie sich am Abend schlafen gelegt haben, passiert ein Wunder. Das Thema „Neukundengewinnung“, das Sie die ganze Zeit vor sich hergeschoben haben, ist nun geschafft. Der erste potenzielle Kunde wurde von Ihnen angerufen und hat zugestimmt, dass Sie ihm ein Angebot zuschicken können. Das Angebot hat er dann prompt angenommen. Aber das Wunder geschieht während Sie schlafen und Sie wissen nicht, dass es Ihnen geschehen ist (…). Und wenn Sie am nächsten Morgen aufwachen, woran würden Sie merken, dass dieses Wunder passiert ist? Antwort Mitarbeiter: In meinem Postfach wartet eine E-Mail vom genannten Kunden, in dem er mir für das Angebot dankt und mir die Information gibt, dass das Angebot angenommen wurde. Schritt 2: Führungskraft: Auch wenn Sie zu niemandem etwas sagen dürfen, woran würden andere Menschen merken, dass Ihnen dieses Wunder widerfahren ist?

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

Mitarbeiter: Das Team würde am eigenen Gehalt merken, dass sich der neue Auftrag positiv auf unseren Teamumsatz auswirkt und sich darüber freuen. Ich selbst wäre wahrscheinlich wieder besser gelaunt, was dann auch meine Kollegen merken würden. Schritt 3: Führungskraft: Was haben Sie in letzter Zeit erfahren/erlebt, was dem ähnlich ist, was Sie am Tag nach dem Wunder erlebt haben? Mitarbeiter: Ich hatte im vergangenen Jahr ebenfalls ein Projekt, das ich erst lange vor mir her geschoben habe und dann doch erfolgreich angegangen bin. Dabei habe ich gemerkt, dass es gar nicht so schlimm war die beteiligten Personen anzusprechen, die mir gerne geholfen haben. Ich hatte eher mit einer genervten Reaktion gerechnet, die dann aber nicht eingetreten ist. Schritt 4: Führungskraft: An welchem Punkt befinden Sie sich aktuell auf einer Skala von 1–10, wobei 10 dafür steht, wie die Dinge am Tag nach dem Wunder sind. Mitarbeiter: Auf einer 6.

Ausgehend hiervon kann man den Mitarbeiter fragen, wie er die positive Erfahrung, die er genannt hat, für die neue Situation nutzen kann. Möglicherweise wird ihm in diesem Moment bewusst, dass es wahrscheinlich gar nicht so schlimm ist, den Kunden einfach anzurufen. Vermutlich wird dem Mitarbeiter auch bewusst, dass er eine ähnliche Situation bereits lösen konnte und er kann nun selbstbewusster, mit dem Wissen auch solche Herausforderungen angehen zu können, sich der neuen Aufgabe stellen. Für manche Mitarbeiter ist es auch hilfreich sich zu fragen, was das Schlimmste ist, was passieren könnte, wenn Sie bei einem Versuch scheitern. Oftmals wird dann gelacht, da das schlimmste Szenario oft gut aushaltbar ist, bspw. der Kunde möchte kein Angebot zugeschickt bekommen oder hat kein Interesse an einem persönlichen Termin. Außerdem werden durch diese Frage die Bedenken sichtbar, die den Mitarbeiter davon abhalten, die Aufgabe oder das Projekt anzugehen. Sind die Bedenken erst einmal auf dem Tisch, kann besprochen werden, wie ein guter Umgang damit aussehen kann, bspw. braucht der Mitarbeiter bei gewissen Schritten noch Unterstützung? Sind die Ängste realistisch oder kann die Führungskräfte im Gespräch diese Ängste nehmen? Mein Mitarbeiter hat keine Ideen, was er verändern kann.

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„Ich erkenne zwar, dass es mir nicht gut geht, weiß aber nicht, was ich tun soll.“ Vorteil dieser Aussage ist, dass dem Mitarbeiter bewusst ist, dass es ihm nicht gut geht. Lediglich der richtige Lösungsweg hat sich noch nicht erschlossen. Wir empfehlen Ihnen: Gehen Sie mit dem Mitarbeiter ins Gespräch. Zeigen Sie ihm, dass Ihnen seine Gesundheit wichtig ist. Nehmen Sie sich Zeit mit dem Mitarbeiter gemeinsam Ansatzpunkte zu finden.

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Fragen für Gespräche mit Ihren Mitarbeitern, um Ansatzpunkte für gesundheitsbezogene Veränderungen zu entwickeln. 5 Woran merken Sie, dass es Ihnen nicht gut geht? 5 Was haben Sie bisher bereits versucht, damit es Ihnen besser geht? Was davon war (zumindest etwas) hilfreich gewesen? 5 Was haben Sie in der Vergangenheit in ähnlichen Phasen getan? Was davon war hilfreich? 5 In welchen Situationen fühlen Sie sich etwas besser? Was konkret machen Sie da? 5 Was kann aus Ihrer Sicht dazu beitragen, dass es Ihnen wieder etwas besser geht? Was kann ich als Führungskraft dazu beitragen? 5 Was hilft Ihnen normalerweise „abzuschalten“, weniger Stress zu erleben, dass Sie sich ausgeglichener fühlen? 5 Was wollten Sie schon immer mal ausprobieren?

Wir gehen, wie im Kapitel zur Ressourcen- und Lösungsorientierung bereits beschrieben, davon aus, dass Menschen häufig die Lösung in sich tragen, diese aber im Moment für den Mitarbeiter nicht immer greifbar ist. Aus diesem Grund kann der Mitarbeiter erst einmal selbst nach Ansatzpunkten und Lösungen gefragt werden. Ergänzend können selbstverständlich auch noch zusätzliche Empfehlungen gegeben werden. Wir empfehlen jedoch, dies nachgelagert zu tun. Mein Mitarbeiter möchte von mir gerettet werden. „Ich hab leider keine Idee, was ich machen kann. Können Sie nicht etwas unternehmen?“ Sie können mit der Situation konfrontiert werden, dass der Mitarbeiter eine Veränderung möchte, jedoch nicht bereit ist, diese selbst umzusetzen und Sie aus diesem Grund um Ihre Unterstützung bittet. Wir empfehlen Ihnen weder gleich auf das Pferd zu springen und sich um das Problem zu kümmern, noch das Anliegen abzuschmettern. Was sagt dies über Ihre Beziehung zum Mitarbeiter aus? Vertraut Ihnen Ihr Mitarbeiter, dann ist dies ein gutes Zeichen. Ist Ihre Beziehung so gestaltet, dass Sie bisher die Probleme des Mitarbeiters gelöst haben, dann wäre es sinnvoll, auch den Mitarbeiter für seine eigenen Probleme mit in die Verantwortung zu nehmen und die Ressourcen des Mitarbeiters zu nutzen. Praxistipp

Differenzieren Sie gemeinsam mit Ihrem Mitarbeiter, auf welche Bereiche er selbst Einfluss hat und bei welchen Bereichen er auf Ihre Unterstützung als Führungskraft angewiesen ist. Ihr Mitarbeiter sollte die Möglichkeit haben zu erleben, dass er selbst wirklich etwas bewegen kann. Wenn Sie ihm alles abnehmen, dann fördert das eher Passivität beim Mitarbeiter und den Glauben, dass er doch nichts aus eigener Kraft

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tun kann. Definieren Sie für sich eigene Grenzen. Was möchten und können Sie tun? Was möchten und können Sie nicht tun? Sie haben ein Recht auf eigene Grenzen, dürfen und sollen diese auch verteidigen. Sie dürfen sich abgrenzen. Wenn Sie nach Feierabend nicht mit dem Mitarbeiter telefonieren wollen, ist dies ok! Wenn Sie bei Konflikten zwischen dem Mitarbeiter und einem anderen Kollegen diesen nicht ohne Zutun des Mitarbeiters auflösen können und wollen, dann ist das ebenfalls absolut in Ordnung. Verhandeln Sie mit dem Mitarbeiter eine Zwischenlösung, die für Sie beide passend ist. Bieten Sie sich beispielsweise an, als neutraler Vermittler mit ins Gespräch zu gehen.

Es fällt mir schwer, bei meinen eigenen Führungskräften für Investitionen in die Mitarbeitergesundheit zu werben. „Gesundheit? Dafür wollen Sie Geld ausgeben? Das ist doch sehr zweifelhaft, ob sich das rechnet.“ Ist eine Aussage, die immer wieder in Unternehmen fällt, bspw. bei dem Versuch Geld für Präventionsmaßnahmen zu erhalten. Solche Bedenken sollten wir als Führungskräfte sehr ernst nehmen. In Unternehmen muss wirtschaftlich gedacht und gehandelt werden. Wir empfehlen einen Blick auf aktuelle Zahlen bspw. zu Fehlzeiten aufgrund von Krankheit. Aktuelle Zahlen kann Ihr Unternehmen bspw. durch Gesundheitsberichte von Krankenkassen erhalten. Im Normalfall erfasst jedes größere Unternehmen die Krankheitstage seiner Mitarbeiter. So lässt sich anhand von Zahlen bspw. darstellen, wie sich die Arbeitsunfähigkeitstage in Ihrem Unternehmen entwickeln. Mithilfe der Krankenkassenberichte ist außerdem eine Analyse möglich, wie sich die verschiedenen Diagnosebereiche verteilen (bspw. psychische Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen). Je nachdem wie man Krankheitstage im Unternehmen finanziell bewertet, entstehen schnell große Summen, die die wirtschaftliche Relevanz des Themas eingängig verdeutlichen. Folgendermaßen könnte eine Beispielrechnung aussehen:

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Betrachtet man ein Unternehmen mit 1400 Mitarbeitern und einem durchschnittlichen Krankenstand von 4,5 % und einer durchschnittlichen Gehaltsersatzleistung von 190 € täglich/Mitarbeiter ergibt sich ein Betrag von 11.970 € Ersatzleistung pro Tag. Gehaltsersatzleistung bedeutet, dass der Arbeitnehmer in Sonderfällen wie bspw. Krankheit Gehalt zahlt, auch wenn der Arbeitnehmer keine Arbeitsleistung erbringt. Bei ca. 220 Arbeitstagen pro Jahr bedeutet dies eine Gesamtsumme in Höhe von 2.633.400 € pro Jahr. Eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeit um 1 % auf 3,5 % würde in diesem Fall eine Summe von 585.200 €/Jahr an Ersatzleistungsreduzierung ausmachen. Die eher plakative Rechnung umfasst allerdings nicht alle Kosten, da bspw. auch sinkende Produktivität und die Überstunden, die zur Kompensation von anderen Mitarbeitern geleistet werden müssen, einbezogen werden sollten. Auch können zusätzlich indirekte Kosten erzeugt werden, die durch eine Reduktion der Arbeitgeberattraktivität aufgrund hoher krankheitsbedingter Fehlzeiten oder einer niedrigen

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Arbeitnehmerzufriedenheit zustande kommen können. Die Berechnung kann deshalb nur eine grobe Abschätzung sein. > Als zweites Argument kann der Fachkräftemangel herangezogen werden, der

Unternehmen in den kommenden Jahren noch stärker dazu zwingen wird, die Fachkräfte im Unternehmen nicht nur zu halten, sondern auch gesund zu erhalten. Fachkräfte werden aufgrund der für sie günstigen Wettbewerbssituation verstärkt auf die Arbeitgeberattraktivität der Unternehmen achten. Ein Unternehmen, das etwas für die Gesundheit seiner Mitarbeiter in Form eines gut aufgestellten Gesundheitsmanagements tut, kann dazu einen bedeutenden Beitrag leisten.

Einschränkend muss dabei erwähnt werden, dass dieses Vorgehen vermutlich nur in Unternehmen greift, die auf Nachhaltigkeit setzen und die bereit sind, Ressourcen in die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu investieren. Möglicherweise sind diese Überlegungen für Sie hilfreich, wenn Sie mit Ihrer eigenen Führungskraft über Investitionen in die Mitarbeitergesundheit sprechen. Fazit 5 Nehmen Sie Ihre Fürsorgepflicht ernst! Schauen Sie hin und gehen Sie ernsthaft mit dem Thema Sicherheit und Gesundheit um! Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise keine Pausen macht, notwendige Sicherheitsschuhe nicht trägt, ergonomische Hilfsmittel nicht nutzt oder Mehrarbeit über ein gesundes Maß hinaus leistet, dann gehört es zu Ihrer Fürsorgepflicht, dass Sie sich kümmern. Stoßen Sie im Gespräch mit betroffenen Mitarbeitern Veränderungen an und bleiben Sie dran, sodass sich auch tatsächlich etwas verändert! 5 Als Führungskraft sind Sie für die Arbeitsbedingungen in Ihrem Bereich mitverantwortlich. Die Verantwortung liegt nicht alleine bei Ihnen, aber Sie haben einen wichtigen Anteil daran. Nutzen Sie Ihren Spielraum! Er ist oft größer, als Sie auf den ersten Blick vielleicht denken. Setzen Sie sich kritisch mit Belastungsfaktoren auseinander und überlegen Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitern, wie Sie in Ihrem Bereich möglichst gesunde Arbeitsbedingungen herstellen können. Sie schaffen damit die Voraussetzungen für nachhaltige Leistung. 5 Wenn Ihnen auffällt, dass es einem Mitarbeiter gesundheitlich schlecht geht: sprechen Sie Ihre Beobachtungen an! Es bringt Ihrem Mitarbeiter überhaupt nichts, wenn Sie sich im Stillen Sorgen machen oder mit anderen über Ihre Sorgen sprechen. Davon hat Ihr Mitarbeiter nichts. Ihr Mitarbeiter hat Ehrlichkeit verdient! Sagen Sie ihm ehrlich, was Sie wahrnehmen und dass Sie sich Sorgen um Ihn machen. Zeigen Sie Interesse an dem, was er Ihnen mitteilt und zeigen Sie, dass Sie gerne gemeinsam mit ihm an einer Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation arbeiten möchten. 5 Sprechen Sie Fehlzeiten in einem wertschätzenden Gespräch an. Die meisten Ihrer Mitarbeiter werden sich über Ihr ehrliches Interesse und Ihre Hilfsangebote freuen. Dabei ist elementar, dass Fürsorge- und Krankenrückkehrgespräche nicht dazu missbraucht werden, um Trennungsprozesse einzuleiten, sondern dass es klar um die Förderung und Erhaltung der Arbeitsfähigkeit geht.

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Kapitel 16 · Handlungsfeld: Umgang mit Krankheit im Team

5 Bleiben Sie vor allem bei Alkoholproblemen hartnäckig und bringen Sie sich in Abstimmung mit der Personalabteilung in die Umsetzung des mehrstufigen Prozesses ein, der in vielen Unternehmen Anwendung findet. Gerade bei Alkoholproblemen ist es wichtig, als Arbeitgeber Handlungsdruck aufzubauen, weil oft die Krankheitseinsicht fehlt. 5 Nutzen Sie das gegebene Spektrum an Möglichkeiten! Ob nun die Fachkraft für Arbeitssicherheit, ein Betriebspsychologe oder Betriebsarzt oder andere Mitarbeiter im Betrieblichen Gesundheitsmanagement – nutzen Sie die Ansprechpartner und weisen Sie Ihre Mitarbeiter darauf hin. Signalisieren Sie, dass es normal ist und wichtig, sich Hilfe zu holen. 5 Ob das Betriebliche Gesundheitsmanagement wirkt, hängt wesentlich von Ihnen als Führungskraft ab: Wie sprechen Sie über die Angebote? Wie nutzen Sie selbst die Angebote? Wie informieren Sie und wie ermuntern Sie zur Nutzung der Angebote?

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Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ gesunde Führung unterstützt werden?

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5_17

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Kapitel 17 · Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ …

Führungskräfte führen nicht im luftleeren Raum, sondern in Systemen, die ihre Einstellungen und auch ihr konkretes Führungsverhalten beeinflussen. > Wenn beispielsweise der Geschäftsführer eines Unternehmens keine

Mittagspause macht und jedes Wochenende durcharbeitet, dann ist das ein Signal an seine Führungskräfte, das deren Verhalten beeinflusst. Durch solches Verhalten werden Standards gesetzt. Das Verhalten von Führungskräften auf höheren und der gleichen Hierarchieebene zeigt, was in der Organisation für Führungskräfte normal ist und wirkt auf die Führungspraxis der anderen Führungskräfte.

Dieses Kapitel richtet sich deshalb an die oberste Leitungsebene von Organisationen. Wir gehen in diesem Kapitel der Frage nach: Wie kann die oberste Führungsebene die Rahmenbedingungen so gestalten, dass gesunde Führung ermöglicht und gefördert wird? Wir haben uns in diesem Buch auf Anregungen für die einzelne Führungskraft konzentriert, weil wir der Überzeugung sind, dass jede Führungskraft in ihrer täglichen Führungspraxis einen Beitrag zu gesunder Führung leisten kann. Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass sicherlich nicht jede Empfehlung in jeder Organisation umsetzbar ist, auch wenn eine Führungskraft das gerne möchte. Es kann Rahmenbedingungen geben, die die Umsetzung erschweren oder gar unmöglich machen. Für die Rahmenbedingungen trägt die oberste Führungsebene besondere Verantwortung. Womöglich war dieses Thema bislang noch nicht auf der Agenda der obersten Führungsebene: Warum eigentlich nicht? Gerade für die Führungskräfteentwicklung oder auch für Klausurtage auf oberster Ebene kann gesunde Führung ein wertvolles Thema sein. Sicherlich dann am wirkungsvollsten, wenn im Gremium ein vertrauensvolles und offenes Klima herrscht und jede einzelne Führungskraft mit viel Selbstreflexion an dieses Thema herangeht. Wir setzen nachfolgend thematische Schwerpunkte, wobei außer Frage steht, dass die Vorbildwirkung der obersten Führungsebene Relevanz hat. Nehmen wir beispielsweise das Thema Fairness. Wenn die oberste Führungsebene ihre Entscheidungen, zum Beispiel Karriereschritte, nicht anhand nachvollziehbarer und transparenter Kriterien trifft, dann hat dies Signalwirkung für alle Führungskräfte der übrigen Hierarchieebenen. Das gilt natürlich für alle in diesem Buch behandelten Themenbereiche. Nachfolgend gehen wir auf die Auswahl von Führungskräften, die Ausbildung von Führungskräften und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen von Führungskräften noch näher ein. Auswahl von Führungskräften

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Der erste Ansatzpunkt ist zunächst die Auswahl von Führungskräften: Wem wird Führungsverantwortung übertragen? Anhand welcher Kriterien? Im Auswahlprozess für neue Führungskräfte und in weiteren Beförderungsentscheidungen spielen Führungskräfte höherer Hierarchieebenen in der Regel die entscheidende Rolle. Oft liegt es bei ihnen, Mitarbeiter für Karriereschritte vorzuschlagen, sie fungieren oft als Beobachter in Assessment Centern, nehmen Potenzialbeurteilungen vor, entscheiden

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in Geschäftsleitungsgremien über Beförderungen oder treffen teilweise auch völlig eigenverantwortlich Karriereentscheidungen. Anhand welcher Kriterien tun sie dies? Neben vielen, seit Jahren etablierten Kriterien, wie Leistungsmotivation, koordinative und kommunikative Kompetenzen oder auch Intelligenz, die je nach Organisation auf der Basis von Anforderungsanalysen angepasst und ergänzt werden sollten, empfehlen wir auch Überlegungen zu gesunder Führung einzubeziehen. Berücksichtigung von Aspekten gesunder Führung in der Auswahl von Führungskräften. 5 Was weiß ich über das Gesundheitsverhalten der potenziellen Führungskraft (z. B. Sport, gesunde Ernährung)? 5 Was weiß ich über die Einstellungen der potenziellen Führungskraft zum Thema Gesundheit? 5 Als wie stark gestresst beschreibt sich die potenzielle Führungskraft, wenn ich mit ihr dazu im Gespräch bin? Als wie stark gestresst erlebe ich selbst die Führungskraft, wenn ich mit ihr im Alltag zusammenarbeite? 5 Wie gut nimmt die potenzielle Führungskraft Belastungssignale ihres Körpers wahr? Was leitet sie daraus ab? 5 Verfügt die potenzielle Führungskraft über Strategien zum Umgang mit hohen Anforderungen (z. B. Strategien im Bereich Zeitmanagement oder der Schaffung von Entspannung und Regeneration)? 5 Glaube ich, dass die Führungskraft auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter achten wird oder habe ich Grund zur Annahme, dass sie ihre Mitarbeiter überfordern, vielleicht ausbeuten wird? Worauf stütze ich meine Annahmen?

> Eine potenzielle Führungskraft, die sehr gestresst wirkt und dem Thema

Gesundheit im eigenen Leben wenig Bedeutung gibt, braucht womöglich Unterstützung, ist aber wahrscheinlich weniger gut als Führungskraft geeignet – zumindest noch nicht. Wer als Sachbearbeiter schon überfordert ist, mit Beeinträchtigungen für die eigene Gesundheit, wie soll das dann erst in der Funktion als Führungskraft werden? Wo soll das hinführen?

Ein engagierter Mitarbeiter, der herausragende Leistungen auf Kosten der eigenen Gesundheit erbringt, mag kurzfristig einen hohen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten, sollte aber nicht mit einer Beförderung für sein langfristig problematisches Verhalten belohnt werden. Natürlich ist es sehr schwer einzuschätzen, wo gesundes Engagement seine Grenzen findet. Das braucht genaues Hinschauen und offene Gespräche. Wir machen es uns hier sehr einfach mit diesen Empfehlungen. In der Praxis ist das unheimlich schwer einzuschätzen und Fehleinschätzungen werden auch bei sehr guten Führungskräften nicht ausbleiben. Zumal die betroffenen Mitarbeiter oft gar nicht merken und sich selbst eingestehen wollen, dass sie sich selbst überfordern und ihre Gesundheit schädigen. Für Führungskräfte höherer Hierarchieebenen kann das eine hoch komplexe Aufgabe sein.

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Kapitel 17 · Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ …

Praxistipp

Es ist ja gut, wenn potenzielle Führungskräfte sehr engagiert sind und bereit sind, Mehrarbeit zu leisten. Ist das Maß gesund? Kann die potenzielle Führungskraft als gesundes Vorbild fungieren? Oder übertreibt die potenzielle Führungskraft und geht nicht nachhaltig mit ihren eigenen Kräften um. Die genannten Fragen können für Auswahlentscheidungen hilfreich sein. Genauso auch für die Begleitung von Führungskräften: Über welche Strategien im Umgang mit Stress verfügt eine Führungskraft? Baut sie Sport als Ausgleich in ihren Tagesablauf ein? Wie kann das gelingen, wenn dies noch nicht der Fall ist? Gespräche dazu sollten sich natürlich nicht nur auf Sport beziehen, sondern auf alle Aspekte einer gesunden Lebensweise (z. B. gesunde Ernährung, gute Sozialkontakte, ausreichend Schlaf). Wenn Sie sich als Geschäftsführer jetzt fragen, ob es Ihre Aufgabe sein kann, sich Gedanken um die Gesundheit Ihrer hoch eigenverantwortlichen und hoch bezahlten Spitzenmanager zu machen, dann stellen Sie sich vor, Sie sind unser Bundestrainer: Wie wollen Sie mit verletzten und kranken Spielern die WM gewinnen?

Ausbildung von Führungskräften Es ist aus unserer Sicht nicht notwendig Führungskräfte explizit in gesunder Führung auszubilden und eigene Module unter dieser Bezeichnung in der Führungskräfteausbildung zu verankern. Das kann man machen. Viel wichtiger erscheint uns, dass die in diesem Buch beschriebenen Bausteine gesunder Führung Bestandteil des ganz normalen, im besten Fall etablierten, Ausbildungsprozesses sind. Die beschriebenen Haltungen sollten sich wie ein roter Faden insgesamt durch die Führungskräfteausbildung ziehen. Darum geht es uns. Nicht „gesunde Führung“ in zwei Tagen, sondern als integraler Bestandteil der Führungskräfteausbildung, die sich im besten Fall nicht über Monate, sondern über Jahre hinweg erstreckt. > Gute Führungskräfteentwicklung ermöglicht Führungskräften durchgehende,

bedarfsorientiere Unterstützung auch über die ersten Jahre in der Funktion als Führungskraft hinaus … das kann und sollte bis zur Rente gehen.

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Das Bemühen um einen wertschätzenden und fairen Umgang und auch die anderen Haltungen sollten die gesamte Führungskräfteausbildung prägen. Trainings zur Teamkoordination, zum Umgang mit Konflikten oder zur motivierenden Aufgabengestaltung sollten normaler Bestandteil des Ausbildungsprogramms für Führungskräfte sein. Ergänzend können Bausteine wichtig sein, die den Umgang mit Krankheiten im Team, das eigene Gesundheitsverhalten als Führungskraft, die Nutzung betrieblicher Gesundheitsangebote, die Beachtung von Sicherheitsvorschriften und die Gestaltung gesunder Arbeit im Team mit Blick auf Pausen, Bewegung, Ernährung etc. zum Gegenstand haben. Das ist sicher wertvoll, geht aus unserer Sicht jedoch nicht ohne die Aspekte, die wir als Wurzelwerk und Stamm gesunder Führung beschrieben haben. Für Führungskräfte höherer Hierarchieebenen geht es darum, das Thema in Abstimmungen, zumindest in Personalgesprächen aufzugreifen. Gesunde Führung kann nicht allein an eine Personalentwicklungsabteilung zentral delegiert werden.

287 Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ …

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Gesundheitsbezogene Fragen für Personalgespräche mit Führungskräften. 5 Welche besonderen Anforderungen erleben Sie im Moment? 5 Welche schwierigen Situationen gibt es im Team? 5 Was ist mit Blick auf die Arbeitsbedingungen für Sie selbst und für das Team schwierig? 5 Was erleben Sie im Moment als belastend? 5 Wie gut gelingt es Ihnen Pausen, Sport, gesunde Ernährung in Ihren Alltag zu integrieren? 5 Wie gestaltet sich Ihre Arbeitszeit und die Arbeitsdichte? Wie zufrieden sind Sie damit? 5 Was würde Ihre Familie mir zu Ihrer Arbeitssituation erzählen? Was gute Freunde?

Arbeitsbedingungen der Führungskräfte Über die Vorbildfunktion von Führungskräften haben wir bereits an verschiedenen Stellen gesprochen. Es ist wichtig, dass Führungskräfte Arbeitssicherheitsvorschriften selbst einhalten, dass sie Pausen machen, dass sie Mehrarbeit in einem gesunden Umfang leisten, dass sie bei Krankheit zu Hause bleiben, dass sie ihr eigenes Arbeitsvolumen adäquat steuern etc. Die obersten Führungsebenen nehmen dabei durch ihr eigenes Verhalten und damit eng verbunden durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Kulturregeln Einfluss auf die anderen Führungskräfte. So tragen die obersten Führungsebenen wesentlich zur Ausprägung der Kulturregeln einer Organisation bei, wobei natürlich jeder Mitarbeiter der Organisation solche Kulturregeln mit beeinflusst und gleichzeitig davon beeinflusst wird. > Wenn beispielsweise ein Teamleiter von seiner eigenen Führungskraft nach 20

Uhr E-Mails mit der Bitte um sofortige Bearbeitung erhält und die Führungskraft Telefonabstimmungen mit ihm am Sonntag ansetzt, dann ist das wesentlicher Teil des Kontextes innerhalb dessen der Teamleiter führt. Durch solches Verhalten wird vermittelt, was erwartet wird, es werden Normen gesetzt. Es werden so die Kulturregeln einer Organisation definiert und die Arbeitsbedingungen der Führungskraft gestaltet. Was ist bei uns in der Organisation normal? Wie denken wir und wie verhalten wir uns?

Für Teamleiter, die beispielsweise ein Team mit 10 Mitarbeitern führen und gleichzeitig das normale Aufgabenpaket eines Sachbearbeiters schultern sollen, wird gesunde Führung sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Zum einen wird die Zeit für Teamkoordination, wertschätzende Kommunikation etc. fehlen, zum anderen wird die Führungskraft nur schwer als gesundes Vorbild dienen können. Wie schaffen wir in unserer Organisation gesunde Arbeitsbedingungen für unsere Führungskräfte? Wer beispielsweise als Geschäftsführer gesunde Arbeit in seiner Organisation fördern möchte, sollte sich auch diese Frage stellen und im besten Fall im Gespräch mit seinen Führungskräften hinterfragen, ob Handlungsbedarf besteht und was getan werden kann. Welche Kulturregeln unterstützen oder stehen in Konflikt mit gesunder Führung?

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Kapitel 17 · Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ …

> „Jede E-Mail muss am gleichen Tag beantwortet werden; Pausen sind Luxus, das

muss nicht sein; Wir bearbeiten jeden Tag unsere E-Mails – auch am Sonntag und im Urlaub.“ Solche Kulturregeln können für Führungskräfte gesunde Führung erschweren oder gar unmöglich machen. Kulturregeln zeigen sich oft auch in Geschichten, die in einer Organisation erzählt werden: Welche Erzählungen werden weitergegeben? Beispielsweise Geschichten von durchgearbeiteten Nächten und Wochenenden. Welche Überzeugungen gibt es in der Organisation zum Umgang mit der eigenen Gesundheit? „Das ist kein Herzinfarkt. Das ist ein Leistungsbeweis!“ Krankheit als Zeichen, dass man sich ordentlich angestrengt hat?

Gleichzeitig wollen wir an dieser Stelle kein allzu verklärtes Idealbild von den möglichen Arbeitsbedingungen von Führungskräften zeichnen. Führungskräfte erleben besondere Anforderungen (Steinmetz 2011), wie beispielsweise hohe Leistungsanforderungen, Geschäftsreisen, Zeitdruck, Arbeitsunterbrechungen, lange Arbeitszeiten. > Ausgeprägte Stressstabilität und Kompetenzen im Umgang mit Stress sind

relevante Auswahlkriterien für Führungskräfte.

Wir arbeiten häufig mit Führungskräften, die deutlich stärkere Anforderungen als ihre Mitarbeiter erleben, sich dafür bewusst entschieden haben und auch über Ressourcen verfügen damit umzugehen. Es geht uns um ein gesundes Maß, das sicherlich auch nicht für alle Führungskräfte in gleicher Weise objektiv bestimmt werden kann. Es geht darum, sich damit zu beschäftigen und gegebenenfalls Veränderungen anzustoßen.

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Gesundheitsbezogene Fragen, die sich Geschäftsführer stellen können. 5 Haben meine Führungskräfte immer wieder auch ruhigere Phasen zur Regeneration? 5 Mit welchen Haltungen führe ich selbst meine Führungskräfte (z. B. Wertschätzung, Fairness)? 5 Beschäftigen wir uns als Geschäftsleitung mit „Werten“? Sind diese festgeschrieben? Werden sie kommuniziert? Wie werden die Werte von uns als Geschäftsleitung vorgelebt? 5 Wie stark wird von mir „Führung auf Augenhöhe“ gewünscht? 5 Haben meine Führungskräfte die Möglichkeit, sich zu Themen wie Selbstorganisation oder zum Umgang mit Stress weiterzubilden? 5 Welche Regeln haben wir zum Umgang mit Mehrarbeit und zur Pausengestaltung? 5 Belohne oder bestrafe ich gesunde Führung? 5 Welche Bedeutung gebe ich dem Thema betriebliches Gesundheitsmanagement? 5 Passen bei mir selbst, das was ich zur Gesundheit sage und das was ich tue einigermaßen zusammen? 5 Wie zeigen wir Dankbarkeit in unserer Organisation (z. B. Auszeichnungen bei Mitarbeiterversammlungen, konkreter Dank bei Betriebsfesten oder bei Jubilarfeiern für langjährige Mitarbeiter)?

289 Konsequenzen für die Unternehmensleitung: Wie kann „von oben“ …

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Fazit 5 Jede Führungskraft führt eingebunden in ein System, in dem es offizielle und inoffizielle Spielregeln gibt. Diese Spielregeln können mehr oder weniger gesundheitsförderlich sein. Das bedeutet für die oberste Führungsebene das Thema „gesunde Führung“ nicht allein an andere Führungskräfte zu delegieren, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, die gesunde Führung unterstützen. 5 Das beginnt mit der Vorbildfunktion der obersten Führungsebene: Wie gesund arbeitet die oberste Führungsebene? Was wird vorgelebt? 5 Wie ist das Thema gesunde Führung auch auf oberster Ebene verankert? Ob nun im ­Rahmen von Klausurtagen oder anderen Formaten: Reflexion und Verhaltensänderungen zur Schaffung von mehr gesunder Führung muss auch auf oberster Ebene ein ­wiederkehrendes Thema sein. 5 Dabei sollte es auch um die Gestaltung der Arbeitsbedingungen von F ­ ührungskräften gehen. Das kann den Umfang der Führungsspanne, Erwartungen mit Blick auf ­Wochenendarbeit, den Umfang der Einbindung von Führungskräften in operative Arbeit und vieles mehr berühren. Wie gut ermöglichen wir gesunde Führung in unserer Organisation? 5 In der Führungskräfteausbildung geht es nicht in erster Linie darum ein oder mehrere Module zu gesunder Führung zu ergänzen, sondern dafür Sorge zu tragen, dass die gesamte Führungskräfteausbildung inhaltlich von den in diesem Buch beschriebenen Haltungen und Handlungsfeldern getragen wird. Wenn dies der Fall ist, dann ist das Wesentliche getan. 5 Der letzte Punkt erscheint uns besonders schwer umsetzbar, wenngleich doch besonders wichtig: Wie gelingt es uns, Mitarbeiter zu Führungskräften zu machen, denen es gelingt neben all den wichtigen Voraussetzungen für gute Führung, wie Intelligenz, Offenheit für Erfahrungen, Kontaktstärke etc. selbst gesund zu arbeiten und darüber hinaus ihre ­Fürsorgepflicht ernsthaft wahrzunehmen. Das erscheint uns besonders herausfordernd und eine wichtige Aufgabe für die Führungskräfteauswahl der Zukunft.

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Serviceteil Literatur – 292 Stichwortverzeichnis – 299

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Häfner, L. Pinneker, J. Hartmann-Pinneker, Gesunde Führung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58751-5

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299

A–E

Stichwortverzeichnis

A Abgrenzung  251, 280 Absentismus  258 Abwechslung  160 Abwertung  222 Achtsamkeit –– für gesundheitsrelevante Veränderungen  242 –– gesundheitsbezogene  241, 242 Aktionismus  204 Aktionstage  270 Akzeptanz –– als Führungskraft  111 –– für Unterschiedlichkeit  226 Alkoholerkrankung  274 Alkoholprobleme  282 Anerkennung  37 –– für Führungskräfte  111 –– materielle  130 Anforderungen  163 –– zeitbezogene  188 Anliegen  228 –– ernst nehmen  133 Ansatzpunkte für gesundheitsbezogene Veränderungen  279 Anspruchsniveau als Führungskraft  202 Anweisung  75 Arbeitgeberattraktivität  4, 281 Arbeitsauftrag  189 Arbeitsauslastung  199 Arbeitsbedingungen  27, 29, 281 –– Homeoffice  146 –– Unzufriedenheit  83 –– von Führungskräften  287, 289 Arbeitsfähigkeit  4 Arbeitsmenge, zu große  188 Arbeitsstil  252 Arbeitsteilung  176 Arbeitsvolumen  207, 216 Arbeitszeit  68 –– flexible  147 Arbeitszufriedenheit  20, 126, 127, 142, 188 Ärger  82 Aufgaben –– auf den Prüfstand stellen  209 –– Vielfalt und Vollständigkeit  160, 169 –– wichtige  127, 169, 177 Aufgabendichte  208 –– zu hohe  201 Aufgabengestaltung  164 –– motivierende  44

Aufgabenkuchen  197 Aufgabenverteilung  198 –– im Team  194 Aufgabenvielfalt  176 Auftragsklärung  190, 215 Ausbildung  181 –– von Führungskräften  286 Auslastung  198 Ausnahmen  99, 105 Auswahlprozess, Unternehmen positiv darstellen  132 Auswahl von Führungskräften  284 Autonomie  142

B Balance aus Anstrengung und Belohnung  37, 101 Baummetapher  43 Beanspruchung  271 Bedürfnis  90 –– nach Leistung  34 –– soziales  32 –– verletztes  224, 235 Belastungsfaktoren  244, 271 Benachteiligung  104 Beratung, kollegiale  83 Beschleunigung im Arbeitsleben  256 Besprechungen  192, 206 –– Nachbereitung  165 Betriebliche Gesundheitsförderung  267 Betriebliches Gesundheitsmanagement  8, 268 Beurteilung der Leistung  133 Beziehungen –– positive soziale  220 –– soziale  235

D Dankbarkeit  56, 57 Danken  65, 128, 133 Depression  254, 266 Dienst nach Vorschrift  10 Diskrepanz von Selbst- und Fremdbild  228 Diversität  226

E Effizienz  205 Ehrlichkeit  67, 132, 183, 281 Eigenverantwortung  164, 171, 182

300

Stichwortverzeichnis

Einarbeitung  181 Einbindung auf Augenhöhe  141 Einstellung  50 Einstellungsentscheidungen  148 Einstellungsprozess  125 Einzelfallentscheidung  108 Emotionsarbeit  257 Empathie  70 Engagement  196 Entscheidungen  116, 140 –– Akzeptanz  152 –– gemeinsam treffen  140 –– Geschwindigkeit  152 –– Widerstand  146 Entscheidungsfreiheit  153 Entscheidungskompetenz abgeben  144, 148 Entscheidungsprozess  103 –– gestalten  149 Entscheidungsqualität  141, 144 Entscheidungsspielraum  143 –– als Mitarbeiter  142 Entscheidungswege  181 Entwicklungsmöglichkeiten  82 Erfolge ermöglichen  127 Erfolgserlebnis  247 Erkrankung, psychische  255 Ermunterung  79 Erwartungen  93, 110 –– von Mitarbeitern  93 Erwartungsabgleich  137 Erwartungsklärung  125 Experiment  19

F Fachkräftemangel  281 Fairness  44, 67, 98 –– distributive  100 –– informationale  101 –– interaktionale  101, 102 –– interpersonale  101 –– prozedurale  100 Faktoren, die Konflikte begünstigen  230 Feedback  37, 128, 161, 172, 203 –– kritisches  67 Fehlanreiz  113 Fehler  74, 75 Fehltage  4 Fehlzeiten  20 –– krankheitsbedingte  258 Flow  122 Fragen, partizipative  144, 155 Freiheit  161, 164 –– Ausnutzung  179

Freiheitsgrade  171, 177 Fremdeinschätzung  92 Führung –– auf Augenhöhe  133 –– autoritäre  132 –– Definition  6 –– destruktive  103 –– gegenseitige Beeinflussung  7 –– gesundheitsspezifische  30 –– kooperative  142 –– partizipative  141 –– transaktionale  130 –– transformationale  27, 122 –– von unten  181 Führungskultur  240 Führungsverhalten –– gesundheitsförderliches  26 –– gesundheitsschädliches  24 –– wertschätzendes  22 Fürsorgegespräch  259 Fürsorgepflicht  202, 274, 281

G Gefährdungsbeurteilung, psychische  29 Gehaltsentwicklung  114 Gelassenheit  59 Gerechtigkeit  37 Geringschätzung  36 Geschäftsführer  288 Gesprächsleitfaden bei gesundheitsbezogenen Veränderungen  262 Gestaltungsmöglichkeiten  33, 81 Gesundheit –– Definition  11 –– der Führungskraft  239 –– Einflussfaktoren  17, 21 Gesundheitscheck  270 Gesundheitsförderung, betriebliche  28, 267 Gesundheitskurs  269 Gesundheitsorientierung  28 Gesundheitsseminar  269 Gesundheitsvalenz  241, 243 Gesundheitsverhalten  241, 245, 250 Gleichbehandlung  99, 109, 117 Gratifikation –– berufliche  59 –– Gratifikationskrisen  60

H Haltung  8, 11, 42, 50 Handlungsfelder  8, 42 Health-oriented leadership  242

301 Stichwortverzeichnis

Herzinfarktrisiko  21 Hilfe anbieten  56 Homeoffice  107, 148

L

Identifikation  120 Informationstransparenz  176 Informationsüberflutung  174 Informationsweitergabe  165 –– Instrumente  168 Innovation  94 Interesse  54, 120, 124 Investitionen in Mitarbeitergesundheit  280

Laissez-faire  116, 143 Langeweile  137, 145 Lebensstil  252 Leistung  3, 10, 18, 38 –– würdigen  128 Leistungsdruck  231 Leistungsmanagement  39 Leistungsmotivation  34 Leitungsebene  284 Lob  37, 60 Lösungsorientierung  44, 74, 76 Lösungsstunde  87

J

M

I

Jammerkultur  78, 91 Jammern  90 Job Characteristics Model  163 Job Crafting  164 Job Demand-Control Model  163 Job Demand-Control-Support Model  163

K Kampagnen  270 Karriereerwartung  110 Karriereschritte  104 Kernaufgaben  211 Klagen  78, 91 Klarheit  68 Kommunikationsprozess  102 Kommunikation, offene und ehrliche  107 Konferenz  167 Konflikte  218 –– auf die lange Bank schieben  233 –– ernst nehmen  233 Konfliktklärung  223 Konfliktmanagement  220, 221 Konfliktprävention  222, 228, 235 Konfliktspirale  222, 224 Kontrollbedürfnis  33 Kontrolle  182 Kontrollerleben  163 Kontrollmöglichkeiten  33, 163 Kontrollverlust  275 Krankenrückkehrgespräch  259 Krankenstand  258 Kulturregel  10, 288

E–P

Macht  175 Meinungen ernst nehmen  150 Menschenbild  214 Metaanalyse  20 Mitarbeiterbefragung  7, 143 Mitarbeiterorientierung  27 Mitreisen  200, 205 Modelllernen  50 Monotonie  178 Motivation  111, 122, 127, 142, 160, 164, 177, 183, 188, 197 –– intrinsische  34

N Nachfragen  65 Nachvollziehbarkeit  104 Neugierde  86 Normen  213

O Optimismus  79, 80

P Panikattacke  254 Partizipation  44, 141 –– auf Teamebene  147 –– Mogelpackung  151 Passung –– von Aufgaben und Mitarbeitern  199 –– zwischen Mitarbeiter und Arbeitsstelle  123, 196

302

Stichwortverzeichnis

Perfektionismus  202, 216 Personalgespräch  125, 155, 170, 197 –– Feedback in beide Richtungen  7 –– mit Führungskräften  287 Perspektivwechsel  62, 234 Priorisierung  192 Privilegien für Führungskräfte  111 Probezeit  125 Probleme, private  69 Produktivität  94, 204, 210

Q Qualifikationsprinzip  113

R Ratschläge  75 Rechtfertigungsprinzip  102 Reflexion von Vereinbarungen  229 Reflexionsgespräch  263 Regeln  106, 147 Regeneration  79 Resilienz  80 Respekt  235 Ressourcen  76, 218 Ressourcenorientierung  74, 76 Rollenklarheit  188 Rückenschmerzen  255, 256

S Scham  274 Scheitern  77 Selbstfürsorge  89, 240 Selbstmanagement  212 Selbstorganisation  186, 212 Selbstreflexion  12, 17, 25, 85, 94 Selbst- und Fremdbild  25, 226 Selbstvertrauen  275 Selbstwert  35, 58, 59 Selbstwirksamkeit  33, 80, 163 –– gesundheitsbezogene  242, 246 Senioritätsprinzip  113 Sinnerleben  124 Sinnfragen  120 Sinnorientierung  44, 121 Sorgen  78 Sozialberatung  270 Standardisierung  177 Standortanalyse  43, 47, 61, 92 Statussymbol  113 Störfaktoren  207

Stress  101 –– sozialer  32 Stresserleben  20, 142 Stressoren –– bei Führungskräften  239 –– soziale  257 Studien –– im Labor  20 –– korrelative  19 –– Trainingsstudien  20 –– Zusammenhänge zwischen Führungsverhalten und Mitarbeitergesundheit  18

T Teambesprechung  140, 166 Team der Talente  94 Teamkoordination  45, 186 Termindruck  187 Training  22 Transparenz  104, 115, 160, 165 Trennung  197 –– von Konfliktparteien  232

U Überforderung  208 Überlastung  201 Überzeugungen  90, 135 Umgang –– mit Konflikten  45 –– mit Krankheit  46 –– verbindlicher  70 Unfairness  109 Ungleichbehandlung  109, 151 Unterbrechungen  186, 216 –– vermeiden  193 Unternehmenskultur  58, 60, 135, 215, 240 –– partizipative  143 Unterschiede bewusst wahrnehmen  88 Unterstützung  82 –– für die Führungskraft  84 –– soziale  32, 163 Unverbindlichkeit  213

V Veränderung  145 Veränderungsbereitschaft  17 Veränderungsmotivation  275 Verantwortung –– Übernahme durch Mitarbeiter  154 –– übertragen  149

303 Stichwortverzeichnis

Verbindlichkeit  136 Verbundenheit mit dem Unternehmen  122 Vereinbarungen  229, 235 Vergütungsgestaltung  113 Vergütungskomponente  130 Versprechungen  110, 117, 125, 132 Verteilungsentscheidung  104 Vertrauen  183 Vertrauensverlust  105 Visionen –– bei einfachen Tätigkeiten  134 –– entwickeln  128, 148 Vorbild  84, 238, 240, 241, 252, 284 Vorbildfunktion  27, 29, 45, 111, 213 Vorschläge  262 Vorschlagswesen  143 Vorträge  269 Vorwürfe  55, 222

W Weiterbildung  115 Werte  124, 248 –– in einer Organisation  135

Wertschätzung  36, 44, 54, 170, 222, 225, 258 Wertschätzungsbarometer  60 Wertvorstellungen  120 Wirklichkeit, konstruierte  92 Wirkungsgrad als Führungskraft  152 Wunderfrage  276 Wünsche  228

Z Zeitdruck  188 Zeitmanagement  245 Zeitverschwendung  191 Zusammenstellung von Teams  231 Zuversicht  77, 80

P–Z