Gesetzgebung und Verbände: Ein Beitrag zur Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung [1 ed.] 9783428436262, 9783428036264

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Gesetzgebung und Verbände: Ein Beitrag zur Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung [1 ed.]
 9783428436262, 9783428036264

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 58

Gesetzgebung und Verbände Ein Beitrag zur Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung

Von

Heinrich Josef Schröder

Duncker & Humblot · Berlin

HEINRICH JOSEF SCHRÖDER Gesetzgebung und Verbände

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 58

Gesetzgebung und Verbände Ein Beitrag zur Institutio nalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung

Von

Dr. Heinrich Josef Schröder

DUNCKER& HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schröder, Heinrich Josef Gesetzgebung und Verbände: e. Beitr. zur Institutionalisierung d. Verbandsbeteiligung an d. Gesetzgebung. - 1. Aufl. - Berlin: Duncker und Humblot, 1976. (Schriftenreihe der Hochschule Speyer; Bd. 58) ISBN 3-428-03626-3

Alle Rechte vorbehalten 1976 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1976 bel Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany

©

ISBN 8 428 03626 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit, die als Teil eines im Forschungsinstitut der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer bearbeiteten Pro­ jekts entstanden ist, entwickelt erstmals ausformulierte Vorschläge für eine Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung in der Bundesrepublik Deutschland. Die breite und intensive Diskussion über das Verhältnis von Staat und Verbänden hat zwar immer wieder zu einzelnen Anregungen und Empfehlungen geführt, doch sind bis jetzt die in Betracht fallenden rechtspolitischen Vor­ stellungen zur Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung nicht umfassend und im Zusammenhang sowie unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Gewichts geprüft und in konkrete Lösungsvorschläge übergeführt worden. Bei der Begründung seiner Vorschläge setzt der Verfasser in grund­ sätzlicher Hinsicht voraus, daß die Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung nicht nur legitim ist, soweit die Entscheidungskompetenz des Staates nicht beeinträchtigt wird, sondern sich auch im Hinblick auf die Offenlegung und Kontrolle der Verbandseinflüsse empfiehlt. Diese Auffassung dürfte heute breite Zustimmung finden, weshalb sie im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter zu untersuchen war. Im übrigen bedürfte diese Untersuchung eines weiteren Ausgreifens; sie ist nur im Rahmen einer Philosophie des Politischen möglich, die die normativen Voraussetzungen ausreichend klärt und dabei die Gegeben­ heiten der modernen rechtsstaatlich-demokratisch verfaßten Gesell­ schaft in Rechnung stellt. Es ist zu hoffen, daß die vom Verfasser unterbreiteten Vorschläge, die eine empfindliche Lücke in der Literatur ausfüllen, in der rechts­ politischen Praxis aufgegriffen werden und dazu beitragen, die Anpas­ sung der geltenden Regelungen, die in mancher Hinsicht nicht befriedi­ gen, in die Wege zu leiten. Speyer, im Dezember 1975

Hans Ryffel

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Problemstellung und Abgrenzung des Themas II. Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 16

19

III. Gang der Untersuchung Erster Teil Die Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung in der Bundesrepublik Deutschland - Problematik, verfassungsrechtlicher Rahmen und gegenwärtiger Zustand

20

Erster Abschnitt: Zur Problematik der Verbandsbeteiligung und ihrer Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

I. Gründe für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung . . . .

24

1. Sachverstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

2. Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Erleichterung der Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

4. Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

II. Ziele von Institutionalisierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

1. Formeller Zugang für die Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Formalisierte Inanspruchnahme des Sachverstandes der Verbände 32 3. Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses . . . . . . . . . . . . . .

32

III. Gefahren einer Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

1. Gefahren für den Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

2. Gefahren für die Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Zweiter Abschnitt: Möglichkeiten und Grenzen einer Verbandsbeteili­ gung nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

I. Grundgesetz und Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

II. Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . .

48

III. Zur Frage eines verfassungsrechtlichen Anspruchs der Verbände auf Beteiligung an der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

Inhaltsverzeichnis

8

53

2. Demokratieprinzip

3. Sonderfall: Beamtenverbände . . . .. . . .. .. . . . .. . . . . . . . ... . . . . . . . . 54 4. Verfassungsrechtlicher Anspruch de lege ferenda? . ............ . 58 IV. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Beteiligungsregelungen . . ... . . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . .. . 60 1. Gesetzesvorbereitung .... .. ... .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . ....... 61 2. Gesetzgebungsverfahren . . . .. .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ... 69 V. Die Stellung der Verbände nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . .... .. ..... . .. . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. ... ... ..... 71 Dritter Abschnitt: Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung in der Bundesrepublik Deutschland ...... . .... . . ................... 74

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne ..... .. ..... 74 1. Die Beteiligung nach § 23 GGO II ............ ... .. ....... . ..... 74 2. Der Sonderfall der Beteiligung der Beamtenverbände, § 94 BBG 83 3. Die Beteiligung der Verbände in Beiräten und Kommissionen .. 88 4. Die Konzertierte Aktion, § 3 StabG ... . ........ . . . ... . .. . ...... 96 5. Die öffentlichen Anhörungen des Deutschen Bundestages, § 73 GeschOBT . ....... . . . .... .............. ........ ... ... ......... 106 Exkurs: Zur Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Bundesgesetzgebung ... .......... ................. . ......... 116 6. Zusammenfassung . .. . . .... ...... ...... .. ....... . . . . .. . ......... 120 I. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne ......... ..... 121 1. Registrierung der Verbände .............. .... . ... . ...... . . ..... 121 2. Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages .... 124 3. Die Regelung der Parteienfinanzierung ..... . .. ... . ... . . . . . .... 130 Z w e i t e r Te i l

Rechtspolitische Vorschläge zur institutionalisierten Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung Erster Abschnitt: Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

133 138

I. Die Vorbereitung der Entwürfe der Bundesregierung ....... ... .... 139 1. Der Anstoß für die Ausarbeitung ... ....... . .. . . . . . ... . . . . . ... . 139 2. Die Ausarbeitung des Entwurfs . . .. ........ . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 141 3. Die Behandlung im Kabinett ....... . . .... . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . 141 II. Der erste Durchgang im Bundesrat .... . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .... . . . . . 143

Inhaltsverzeichnis

9

III. Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundestag ................ 144 1. Fraktionen, Untergliederungen, Abgeordnetengruppen .......... 144 2. Plenum und Ausschüsse ........................................ 147 IV. Der zweite Durchgang im Bundesrat .............................. 149 V. Ergebnis .......................................................... 152

Zweiter Abschnitt: Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) ................................................... . 155 I. Zur Vorgeschichte der gegenwärtigen Diskussion um den BWSR .... 157 II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände an der Gesetz­ gebung - Einzelprobleme ........................................ 161 1. Sachverstand

.................................................. 162

2. Interessenausgleich 3. Offenlegung

............................................ 162

.................................................. 171

4. Praktische Erfahrungen mit Wirtschaftsräten .................. 171 5. Ergebnis

174

III. Die derzeit aktuellen Vorschläge für einen BWSR .................. 174 1. Der DGB-Entwurf eines BWSR ................................ 174 a) Zusammensetzung .......................................... 175 b) Aufgaben .................................................. 175 c) Rechte ...................................................... 175 177 a) Zusammensetzung .......................................... 178 b) Aufgaben .................................................. 178 c) Rechte ...................................................... 179

2. Das Dichgans-Modell

IV. Ein Wirtschaftsrat als Informationsorgan des Parlaments? .. . ..... 181

Dritter Abschnitt: Institutionalisierungsmöglichkeiten im vorparlamen­ tarischen Stadium der Gesetzgebung .............................. 185 I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase .................. 185 1. Die Beteiligung der Verbände durch die Ministerien, § 23 GGO II 186 2. Die Beteiligung der Verbände in Beratungsgremien (Beiräten, Kommissionen u.ä.) ............................................ 200 3. Die unmittelbare Vorsprache bei Bundesministern und Bundeskanzler ........................................................ 208 4. Besondere Maßnahmen zur Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses ................................................ 210 a) Die Verbandszugehörigkeit im Ministerialbereich ............ aa) Ämterpatronage ........................................ bb) Inkompatibilitäten ...................................... b) Informelle Kontakte ........................................

211 211 215 217

10

Inhaltsverzeichnis

II. Die Gesetzesvorbereitung in der Bundesratsphase

219

1. Entwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Gesetzesinitiative des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Vierter Abschnitt: Möglichkeiten der Verbandsbeteiligung im parlamentarischen Stadium .. . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . . 222

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum . . . . . . . . ...... . ..... 223 1. Verbandsbeteiligung an Plenardebatten? . .... . .... . . ... . . . . .. .. . 223 2. Zum Einfluß der Verbände auf die Bundestagswahlen . . . . . .. .. . a) Kandidatenaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wahlkampfspenden an Kandidaten ... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Parteienfinanzierung durch Verbände . . . . . . . . . . . .. . .. . .. . . . . .

224 224 229 232

3. Einflußnahmen der Verbände auf einzelne Abgeordnete . . . . . . . . a) Inkompatibilitäten? . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Kein Stimmrecht bei eigenem Interesse? . . ... . . . . . . . . .. . . . .. c) Offenlegungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ... ..... d) Abgeordnetenbestechung? . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . ... . . . .. . . . . . . aa) Aktive Abgeordnetenbestechung . .. .. . . . . . . . . ... . . . . . ... bb) Passive Abgeordnetenbestechung ... . . . .. . .. . .... . . . . . . ..

235 235 238 239 241 242 245

4. Verbandliche Einwirkungen auf die Fraktionen . . . . . . .... . . .... 250 5. Mehr Transparenz durch einen konsultativen Wirtschaftsrat? . . 252 6. Die Verbandsbeteiligung bei Initiativen des Bundestages . . ...... 253 a) Beteiligung an der Vorbereitung . .... . . .... . . .. .... . .. .. . ... 253 b) Beteiligung nach Einbringung . . .. . .. .. . . .. . . . . .. . . ... . . . .. . 254 II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen . . . .. . . . . . . . 258 1. Die Zusammensetzung der Ausschüsse ... .... . . .. . ... .. . . .. . . . .. 258 2. Zum Stellenwert der öffentlichen Anhörungen . .. ... . .. ... . ..... 260 3. Änderungsvorschläge für die Abhaltung öffentlicher Anhörungen a) Obligatorisches Hearing bei Gesetzentwürfen? . . . . ... . .... . . . . b) Zum Verfahren der Hearings . ... . . ... .. . . .... .. . . . . . ... . . . . . c) Sanktionen gegen Auskunftspersonen? .. . ... .. . . . .. . .. . .. . . .

261 262 263 264

4. Grundsätzliche Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen? . . . . . . . .. . 266 III. Die Verbandsbeteiligung im weiteren Gesetzgebungsverfahren . . .. 267 Schlußbemerkungen

269

Literaturverzeichnis

271

Abkürzungsverzeichnis AöR APSR ARSP BB BK BT BVerfGE BVerwGE DJZ DÖV DVBI. GeschOBR GeschOBT GGO I GGO II GM GMBI. IPA JöR JR

Jus

JZ KJ NJW ÖJZ PVS RdA RDP RFSP VerwArch. VVDStRL wib WuR ZBR ZfP ZParl ZRP ZSR

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Einleitung Seit es Verbände gibt, haben sie versucht, auf die Gesetzgebung Ein­ fluß zu nehmen. Zahlreiche Untersuchungen über das Wirken der Interessenverbände im Deutschland des 19. Jahrhunderts weisen nach, daß die Einflußnahme der Verbände auf die Gesetzgebung keine Er­ scheinung der neueren Zeit ist, sondern schon damals registriert wer­ den konnte1 . Dem Phänomen kommt freilich unter den Bedingungen unserer heutigen parlamentarischen Demokratie besondere Bedeutung zu.

I. Problemstellung und Abgrenzung des Themas Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gestellt, Möglichkeiten und Grenzen einer Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung des Bundes in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Das Pro­ blem der rechtlichen Regelung dieser Beteiligung - der Institutiona­ lisierung - steht dabei im Vordergrund; es sollen rechtspolitische Vor­ stellungen dazu erarbeitet werden, wie eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung juristisch institutionalisiert, bzw. wie derzeit bestehende Formen der Institutionalisierung verändert, abgelöst oder weiterentwickelt werden können. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Beteiligung beim Erlaß formeller Bundesgesetze. Damit ist eine Abgrenzung erfolgt gegenüber der Beteiligung der Verbände beim Erlaß von Rechtsverordnungen2• 1 Vgl. z. B. Friedrich Schomerus, Die freien Interessenverbände und ihr Einfluß auf die Gesetzgebung und Verwaltung, in: Jahrbuch für Gesetz­ gebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich (Schmollers Jahrbuch), 25. Jg. 1901, 2. Heft, S. 57 ff.; Thomas Nipperdey, Interessenver­ bände und Parteien in Deutschland vor dem ersten Weltkrieg, in: PVS 1961, S. 262 ff., 271; Gerhard Schulz, Über Entstehung und Formen von Interessen­ gruppen in Deutschland seit Beginn der Industrialisierung, in: PVS 1961, S. 124 ff.; Jacobus Wössner, Ordnungspolitische Bedeutung des Verbands­ wesens, 1961, S. 43, 48; Hannelore Horn, Der Kampf um den Bau des Mittel­ landkanals; eine politologische Untersuchung über die Rolle eines wirt­ schaftlichen Interessenverbandes im Preußen Wilhelms II, 1964; Wolfram Fischer, Staatsverwaltung und Interessenverbände im Deutschen Reich 1871 - 1914, in: Interdependenzen von Politik und Wirtschaft, Festgabe für Gert von Eynern, 1967, S. 431 ff.; Manfred Erdmann, Die verfassungspoli­ tische Funktion der Wirtschaftsverbände in Deutschland 1815 - 1871, 1968, S. 253 f.; Ernst Rudolf Huber, Das Verbandswesen des 19. Jahrhunderts, in: Festgabe für Theodor Maunz, 1971, S. 173 ff.; Ursula Bähr, Die berufsständi­ schen Sonderinteressen und das BGB, 1972.

14

Einleitung

Das gleiche gilt gegenüber der Eingliederung der Verbände in die Bundesverwaltung3 und ihrer Mitarbeit an den Verwaltungsentschei­ dungen4. Wenngleich die Mitarbeit der Verbände in diesen Bereichen nicht explizit behandelt werden soll, darf doch zweierlei nicht außer acht gelassen werden: das große Ausmaß der in diesen Fällen sichtbar werdenden Institutionalisierung der Mitwirkung der Verbände an der staatlichen Willensbildung und die damit bestens ausgewiesene Not­ wendigkeit der Mitarbeit der Verbände an der staatlichen Willensbil­ dung und -betätigung5, die eine erhebliche Entlastung des Staates be­ wirkt. Bei einer ordnungspolitischen Bewertung der Verbände müssen diese Tatsachen mitberücksichtigt werden; es ist deshalb zu beachten, daß die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung nur einen Aus­ schnitt aus dem Gesamtkomplex der Beteiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung und -betätigung darstellt. Mit der Beschränkung auf die Gesetzgebung des Bundes scheiden die Beteiligung an der Gesetzgebung der Länder6 und die Mitwirkung in den Länderverwaltungen ebenfalls als Untersuchungsgegenstand aus. Auch hier ist freilich global von dem Vorliegen einer umfangrei­ chen institutionalisierten Beteiligung am staatlichen Handeln auszu­ gehen. Nicht behandelt wird weiterhin der gesamte Komplex des Tätig­ werdens der Verbände auf arbeitsrechtlichem Gebiet, insbesondere im Rahmen der Tarifautonomie. Nicht zum Thema gehören auch die Lei­ stungen der Verbände für ihre Mitglieder, also das gesamte Innen­ verhältnis im Verbandsleben7 • Es geht vielmehr ausschließlich um die Darstellung, Bewertung und rechtliche Strukturierung eines Teils des Außenverhältnisses der Verbände gegenüber dem Staat. 2 Vgl. dazu Brigitte Conradi, Die Mitwirkung außerstaatlicher Stellen beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1962; Gerhard Semar, Die gesetzlich vorge­ sehene Mitwirkung der wirtschaftlichen Interessenverbände beim Zustande­ kommen und bei der Ausführung von Bundesrecht, 1969, S. 34 - 95. 3 Vgl. dazu Lorenz Schomerus, Die organisatorische Eingliederung der Interessenverbände in die Bundesverwaltung, 1959; Dagobert Völpel, Recht­ licher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972, insbes. s. 84 ff. 4 Grundlegend Prodromos Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964; s. a. Günter Drewes, Die Gewerk­ schaften in der Verwaltungsordnung, 1958. 5 Vgl. dazu vor allem Gerhard Semar (Fn. 2), S. 102 - 171. 8 Vgl. dazu z.B. die „Empfehlungen der Konferenz der Präsidenten der deutschen Länderparlamente zu den Möglichkeiten und Formen der Beteili­ gung außerparlamentarischer Institutionen (Körperschaften, Verbände, Ge­ werkschaften etc.) im Gesetzgebungsverfahren" vom 3.5.1973, abgedruckt in ZParl 1973, S. 463. 7 Vgl. dazu speziell für die Wirtschaftsverbände Edwin Buchholz, Die Wirtschaftsverbände in der Wirtschaftsgesellschaft, 1969, S. 147 ff.

Einleitung

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Die Arbeit verzichtet auf eine zusammenfassende Bestandsaufnahme der tatsächlichen Einflußnahmen der Verbände auf die Gesetzgebung; insoweit wird auf die zahlreichen Fallstudien zum Verbandseinfluß bei der Entstehung von Gesetzen verwiesen, die es mittlerweile für die Bundesrepublik Deutschland gibt8 • Das heißt freilich nicht, daß von einer Darstellung der tatsächlichen Lage ganz abgesehen würde. Sie wird aber j eweils dort eingeblendet, wo es für die Verdeutlichung der Praxis einer bestehenden Reglung bzw. für das Aufzeigen von Sachver­ halten, die durch keine bisherige Regelungsmaßnahme erfaßt werden, notwendig ist9 • Da bei der Untersuchung der einzelnen Beteiligungs­ verfahren auf die j eweilige Praxis der Einflußnahme der Verbände einzugehen ist, kann zur Entlastung der Arbeit auf eine Gesamtdar­ stellung verzichtet werden10 • Eigene empirische Untersuchungen zur Praxis der derzeitigen Mitwirkungsregelung und zu den diesbezüg­ lichen Einstellungen der Verbände 1 1 bzw. der betroffenen staatlichen Institutionen, die Adressaten der Beteiligung sind, wurden nicht vor­ genommen. 8 An einschlägigen Untersuchungen aus der Bundesrepublik seien z. B. genannt Karl-Heinz Diekershoff, Der Einfluß der Beamtenorganisationen auf die Gestaltung des Personalvertretungsgesetzes vom 5. 8. 1955, 1960 ; Viola v. Bethusy-Huc, Demokratie und Interessenpolitik, 1962 ; Otto Stammer u. a., Verbände und Gesetzgebung, 1965 ; Gerard Braunthal, The Federation of German Industry in Politics, 1965, S. 150 ff. ; Frieder Naschold, Kassen­ ärzte und Krankenversicherungsreform, 1967 ; WiUiam Safran, Veto-Group Politics - The case of Health-Insurance Reform in West-Germany, 1967 ; Hans Georg Wehling, Die politische Willensbildung auf dem Gebiet der Weinwirtschaft, dargestellt am Beispiel der Weingesetzgebung, 1969 ; Ger­ hard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundes­ republik Deutschland, 1969, S. 339 ff. ; Paul Ackermann, Der Deutsche Bau­ ernverband im politischen Kräftespiel der Bundesrepublik, 1970 ; Manfred Max Wambach, Verbändestaat und Parteienoligopol, 1971 ; Viola v. Bethusy­ Huc und Michael Besch, Interessenverbände in der agrarpolitischen Willens­ bildung, in : ZParl 1971, S. 206 ff. ; Gerard Braunthal, The West German Legislative Process - A Case Study of Two Transportation Bills, 1972 ; Peter Alexander Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Interessen­ verbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD - Vier Fallstudien zum Wettbewerbsrecht, 1974. 0 Ähnlich im Vorgehen Ludger Anselm Versteyl, Der Einfluß der Ver­ bände auf die Gesetzgebung, 1972. 10 Ansätze dazu bei Rudolf Steinberg, Die Interessenverbände in der Ver­ fassungsordnung, in : PVS 1973, S. 27 ff. ; Thomas Ellwein, Die großen Inter­ essenverbände und ihr Einfluß, in : aus politik und zeitgeschichte B 48/73 vom 1. Dezember 1973, S. 22 ff. ; ders., Das Regierungssystem in der Bundes­ republik Deutschland, 3. Aufl., 1973, S. 146 ff. Zum Verbandswesen in der Bundesrepublik Deutschland im übrigen immer noch brauchbar : Rupert Breitling, Die Verbände in der Bundesrepublik, 1955 ; s. auch ders., Politische Pression wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Kräfte in der Bundesrepu­ blik Deutschland, in : Die Gesellschaft in der Bundesrepublik, Analysen I, 1970, S. 72 - 125 ; ferner Herbert Schneider, Die Interessenverbände, 3. Aufl., 1966. 11 s. dazu Günter Schmölders, Das Selbstbild der Verbände, 1965, S. 128 ff.

16

Einleitung

Auch soweit Vorschläge de lege ferenda gemacht werden, erscheinen besondere empirische Erhebungen entbehrlich. Die Daten, die auf diese Weise zu gewinnen wären, könnten zwar Aufschluß geben über die Vorstellungen der Verbände bzw. der betroffenen Beamten über ein­ zelne Institutionalisierungsmöglichkeiten. Diese Vorstellungen wären aber nur das Ergebnis einer subjektiven Meinungsäußerung. Auf die Frage nach der Brauchbarkeit einer Institutionalisierungsmaßnahme würden sie keine gültige Antwort abgeben können. Als Grundlage für die rechtspolitischen Vorschläge wird von den Anregungen ausgegangen, die der auf allen Ebenen (Verbände, Par­ teien, Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft, Enquetekommission - Verfassungsreform, Wissenschaft) geführten Diskussion zum Pro­ blem der Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung entnommen werden können; in diese Diskussion dürften die Vorstellungen, die empirisch erhoben werden könnten, ohnehin weit­ gehend eingegangen sein. Außerdem werden die Erfahrungen heran­ gezogen, die man im Ausland mit vergleichbaren Regelungen gemacht hat. Auf dieser Basis lassen sich Vorschläge entwickeln, die der Über­ prüfung durch die Praxis ausgesetzt werden können. Letztlich kann nämlich nur die praktische Erprobung zuverlässige Auskunft darüber geben, ob die mit den Regelungen intendierten Ziele in der Praxis er­ zielt werden können.

II. Zur Terminologie Es ist fast obligatorisch, einer Arbeit, die sich mit Verbänden befaßt, auch eine Definition und Typologie der Verbände voranzustellen12 • Von dieser Tradition soll hier Abstand genommen werden. Ebenso werden die Begriffe der Verbandsforschung nicht noch einmal in extenso durchdiskutiert. Beides ist in der vorliegenden Literatur in hinreichendem Ausmaß geschehen, so daß hier nur Wiederholungen anzubieten wären 13 • Eine allgemeine Definition der Verbände ist dabei um so eher entbehrlich, als für unsere Untersuchung die Verbände nur im Hinblick auf ihre Funktion der Einflußnahme auf die Gesetzgebung interessieren. 12 Vgl. z. B. die Arbeit von Gerhard W. Wittkämper, Grundgesetz und Interessenverbände, 1963, die der Definition der Interessenverbände drei Kapitel widmet : S. 10 - 33. 13 Für den Verbandsbegriff vgl. vor allem die gründliche Darstellung von Edwin Buchholz, Interessen - Gruppen - Interessentengruppen, 1970 ; zu den Begriffen der Verbandsforschung s. Rupert Breitling, Die zentralen Begriffe der Verbandsforschung, in : PVS 1960, S. 47 ff. ; neuerdings knapp zusammenfassend Klaus v. Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, 4. Aufl. 1974, S. 1 1 ff.

Einleitung

17

Diese Funktion kann von allen organisierten1 4 Interessengruppen15 wahrgenommen werden. Aus der funktionalen Bezugnahme folgt, daß alle organisierten Gruppen, die von Verfassungswegen an der Gesetz­ gebung unmittelbar oder vermittelt beteiligt sind, keine Verbände dar­ stellen; dies sind die Fraktionen und die Parteien. Im übrigen kommen alle Verbände in Betracht, gleichgültig welche Zielsetzung sie auch verfolgen. Da die Bestimmung unter funktionalem Gesichtspunkt er­ folgt, ist es auch gleichgültig, ob sie privatrechtlich oder öffentlich­ rechtlich organisiert sind; damit gehören auch Kammern mit Zwangs­ mitgliedschaft hierher. Dieser Verbandsbegriff erfaßt auch die Kirchen, soweit sie auf die Gesetzgebung Einfluß nehmen1 6 • Es muß allerdings betont werden, daß Intensität und Häufigkeit von Einflußnahmen der Verbände je nach Verbandstypen17 verschieden sind; einigen Verbänden, etwa den Gewerkschaften, Wirtschaftsver­ bänden, Agrarverbänden, kommunalen Spitzenverbänden u. ä., kommt hinsichtlich der Einflußnahme besondere Bedeutung zu. Da sich das Problem der Einflußnahme aber grundsätzlich und für alle Bereiche der Gesetzgebung stellt, muß die Untersuchung generell auf alle Ver­ bandstypen angelegt sein; etwaige Besonderheiten18 sind an der dafür anstehenden Stelle zu erörtern. In ihrer Funktion der Einflußnahme auf die Gesetzgebung werden die Verbände häufig als „pressure groups" oder als „lobby" bezeichnet. Beide Begriffe bezeichnen Tätigkeiten und Eigenschaften, die die Ver­ bände bei der Mitwirkung an der Gesetzgebung an den Tag legen können. Mit diesen Begriffen werden aber nur Teilaspekte der Ver­ bandstätigkeit auf diesem Gebiet erfaßt. Da also beide Bezeichnungen, weder für sich allein noch zusammengenommen, das Handeln der Ver­ bände bei der Einflußnahme auf die Gesetzgebung angemessen und umfassend beschreiben, ist eine Qualifizierung des Verbandshandelns 14 Im Anschluß an Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 69 mit Anm. 90 wird zwischen Gruppe und Verband unterschieden. Der Verband unterscheidet sich von der Gruppe durch die Organisation. 16 Daß die Gruppenbildung von Interessen, die Joseph H. Kaiser zu den „Archetypen menschlicher Bewußtseininhalte" zählt (Die Repräsentation organisierter Interessen, 1956, S. 9) abhängt, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, vgl. Arthur F. Bentley, The Process of Government, 1908, Nach­ druck 1949, S. 21 ff. ; dazu und zum Begriff des Interesses ausführlich Wolf­ gang Hirsch- Weber, Politik als Interessenkonflikt, 1969, S. 50 ff. 10 Zum Vorstehenden weitgehend übereinstimmend Ludger Anselm Ver­ steyl (Fn. 9), S. 41 ff. 17 Dazu neuerlich Thomas Ellwein, Die großen Interessenverbände (Fn. 10), S. 23; Klaus v. Beyme (Fn. 13), S. 27 ff. 18 Vgl. etwa die Sonderreglung für die Spitzenverbände der Beamten in §§ 94 BBG, 58 BRRG und den entsprechenden Landesgesetzen. Dazu jetzt grundlegend Hans-Werner Laubinger, Beamtenorganisationen und Gesetz­ gebung, 1974, und unten S. 54 ff., 83 ff.

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Speyer 58

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Einleitung

durch diese Begriffe in der vorliegenden Arbeit nicht beabsichtigt. So­ weit solche Verbandsbegriffe verwendet werden, soll damit nur j eweils die konkrete Ausgestaltung der Verbandseinwirkung bezeichnet wer­ den. Von häufiger Verwendung dieser Verbandsbegriffe wird im übri­ gen auch deshalb Abstand genommen, weil die Begriffe qualitativ belastet sind und ihre Verwendung zu einer Voreingenommenheit gegenüber den Verbänden führen könnte, die vermieden werden sollte. Unter Institutionalisierung wird für die vorliegende Untersuchung die rechtliche Regelung der Art und Weise der Beteiligung der Ver­ bände an der Gesetzgebung verstanden 19 • Dabei wird unterschieden zwischen Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren und weiteren Sinne. Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne sind Regelun­ gen, die eine Beteiligung der Verbände beabsichtigen und damit gleich­ zeitig Offenlegung und Kontrolle der Beteiligung verbinden. Institu­ tionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne sind Vorschriften, die sich auf die Offenlegung und Kontrolle von Einflußnahmen der Ver­ bände auf die Gesetzgebung beschränken, ohne ihnen zugleich eine generelle Beteiligung zu ermöglichen. Die Institutionalisierungsmaß­ nahmen im engeren Sinne zeichnen sich also dadurch aus, daß sie den Verbänden zusätzlich eine besonders gestaltete Art und Weise der Beteiligung an der Gesetzgebung einräumen20 • Auch der Begriff „Beteiligung" an der Gesetzgebung bedarf der terminologischen Präzisierung und Festlegung, da er sowohl die Mit­ bestimmung wie auch die Mitwirkung ohne Mitentscheidung umfaßt. Wie sich aus der verfassungsrechtlichen Analyse ergeben wird21 , geht es bei der Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung ausschließ­ lich um Mitwirkung, nicht um Mitbestimmung22 • Die formelle Entscheidung obliegt immer den zuständigen staatlichen Organen. Die Mitwirkung der Verbände kann sich in vielfältiger Art und Weise vollziehen : als schriftliche oder mündliche Anhörung, als Mit­ beratung etc. Alle Arten der Beteiligung, die im Zusammenhang mit der Erörterung von Institutionalisierungsmaßnahmen vorgeschlagen werden, haben deshalb gemeinsam, daß sie sich lediglich auf Mitwir19 Ebenso vgl. Felix Sand, Die Geltendmachung wirtschaftspolitischer In­ teressen im demokratischen Staat, 1964, S. 53. 20 Ähnlich Klaus v. Beyme (Fn. 13), S. 109, der darin „eine sinnvolle posi­ tive Ergänzung zu den negativen Maßnahmen der Offenlegung und Kon­ trolle" sieht. 21 s. u. s. 49. 22 So auch Hans-Werner Laubinger (Fn. 18), S. 298.

Einleitung

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kung an der Gesetzgebung beziehen, aber jede formelle Mitentschei­ dung bzw. Mitbestimmung ausschließen. III. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird die Ausgangslage für die rechtspolitischen Vor­ schläge des zweiten Teils erarbeitet. Zunächst werden die Probleme der Verbandsbeteiligung und ihrer Institutionalisierung erörtert. Eine Untersuchung der Möglichkeiten und Grenzen einer Verbandsbeteili­ gung in der Bundesrepublik Deutschland beendet den ersten Teil. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt im zweiten Teil, was auch im Um­ fang zum Ausdruck kommt. In ihm werden rechtspolitische Möglich­ keiten diskutiert und Vorschläge de lege ferenda entwickelt.

ERSTER TEIL

Die Institutionalisierung der iVerbandsheteiligung an der Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland Problematik, verfassungsrechtlicher Rahmen und gegenwärtiger Zustand Für die Erarbeitung rechtspolitischer Vorschläge zur Institutionali­ sierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung ist es unab­ dingbar, die Voraussetzungen für eine institutionalisierte Verbands­ beteiligung überhaupt abzuklären und sich einen Überblick über die bereits bestehenden und praktizierten Institutionalisierungsformen zu verschaffen. Ihm dienen die drei Abschnitte des ersten Teils. Im ersten Abschnitt wird die Frage der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung unter ordnungspolitischen Aspekten untersucht, wobei vor allem die Gründe für eine Verbandsbeteiligung erörtert werden. Daran anschließend wird die Notwendigkeit der Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung geprüft, wobei auch auf die Gefahren einge­ gangen wird, die durch eine institutionalisierte Verbandsbeteiligung für den Staat oder die Verbände möglicherweise entstehen können. Die Ausführungen des zweiten Abschnitts befassen sich mit dem verfassungsrechtlichen Rahmen, der durch das Grundgesetz der institu­ tionalisierten Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung gezogen ist. Um Möglichkeiten und Grenzen rechtspolitischer Institutionalisierungs­ vorschläge von einem einheitlichen verfassungsrechtlichen Fundament aus bestimmen zu können, wird die Frage der Einräumung eines ver­ fassungsrechtlichen Beteiligungsanspruchs de lege ferenda im Zusam­ menhang mit den verfassungsrechtlichen Erwägungen de lege lata erörtert. Der dritte Abschnitt gibt einen Überblick über die derzeit in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Institutionalisierungsformen der Verbandsbeteiligung. Die Beteiligung der Verbände an der Ge­ setzgebung ist in der Bundesrepublik Deutschland bereits in erheb­ lichem Umfang und durch detaillierte Einzelregelungen institutiona-

1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

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lisiert. Diese umfangreiche institutionalisierte Beteiligung ist in der staatsrechtlichen Literatur bisher nicht in ihrem tatsächlichen Ausmaß zur Kenntnis genommen worden1 •

Erster Abschnitt

Zur Problematik der Verbandsbeteiligung und ihrer Institutionalisierung Für die nachfolgenden Ausführungen wird davon ausgegangen, daß die Verbände als notwendige legitime Faktoren unserer pluralistischen Demokratie anerkannt sind. Zwar gibt es auch heute noch Positionen einer grundsätzlichen Pluralismuskritik, die den Verbänden die Exi­ stenzberechtigung absprechen und eine Überwindung des pluralisti­ schen Systems postulieren2 ; da diese Positionen aber keine realistischen Alternativen zu einem pluralistischen System anbieten3 , braucht eine nähere Auseinandersetzung mit ihnen nicht zu erfolgen. Mit der Anerkennung der Notwendigkeit der Verbände ist noch nicht die Frage beantwortet, inwieweit sie an der staatlichen Willensbildung zu beteiligen sind. 1 So konstatiert z. B. Rudolf Steinberg, Das Verhältnis der Interessen­ verbände zu Regierung und Parlament, in : ZRP 1972, S. 207, ,,In der deut­ schen staatsrechtlichen Literatur ist die Ansicht immer noch weit verbreitet, daß die Interessenverbände bis heute nicht oder nur unzureichend staats­ rechtlich institutionalisiert seien". 1 Vor allem die Kritik der sog. Neuen Linken, vgl. z. B. Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie, in : Johannes Agnoli und Peter Brück­ ner, Die Transformation der Demokratie, 1967 ; zur Pluralismuskritik von links und rechts vgl. Heribert Kohl, Pluralismuskritik in der Bundes­ republik - Zur Pluralismusdebatte, in : aus politik und zeitgeschichte, B 12/70 vom 21. März 1970 ; Gerhard A. Ritter, Der Antiparlamentarismus und der Antipluralismus der Rechts- und Linksradikalen, in : Kurt Sontheimer u. a., Oberdruß an der Demokratie, 1970, S. 43 ff. ; Kurt Lenk, ,,Rechte und linke Parlamentarismuskritik", in : ders., Wie demokratisch ist der Parla­ mentarismus?, 1972, S. 44 ff. ; Hans Kremendahl, Parlamentarismus und marxistische Kritik, in : aus politik und zeitgeschichte, B 32/72 vom 5. August 1972 ; Alexander Schwan, Die Herausforderung des Pluralismus durch den Marxismus, in : Klassenjustiz und Pluralismus. Festschrift für Ernst Fraen­ kel zum 75. Geburtstag, 1973, S. 444 ff. 1 Dies gilt vor allem für rätedemokratische Modelle, vgl. dazu z. B. die Beiträge in : PVS-Sonderheft 2/1970 „Probleme der Demokratie heute", S. 53 ff. ; Klaus König, Verwaltungsreform und Demokratiediskussion, in : Demokratie und Verwaltung. 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissen­ schaften Speyer, 1972, S. 271 ff., 282 ff. ; vgl. ferner die prägnanten Ausfüh­ rungen einer der Sympathie mit dem Kapitalismus so unverdächtigen Autorin wie Helge Prass, in: Kapitalismus und Demokratie, 1973, S. 120 ff.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

Die Entscheidungen des Staates sind am Gemeinwohl orientiert4 ; der Bestimmung des Gemeinwohls kommt deshalb für die staatliche Wil­ lensbildung entscheidende Bedeutung zu. In einer pluralistischen De­ mokratie ist das Gemeinwohl nicht vorgegeben, sondern aufgegeben5 • Es muß in einem offenen Prozeß bestimmt werden, an dem alle in der Gesellschaft bestehenden Interessen und Wertvorstellungen zu betei­ ligen sind. Der Staat kann das Gemeinwohl nicht von sich aus, sozu­ sagen selbstherrlich, in inhaltlicher Hinsicht bestimmen und die ver­ meintlich wohlverstandenen Interessen seiner Bürger in eigener Macht­ vollkommenheit definieren. Abgesehen von einem Mindestbestand an normativen Grundvorstellungen6 , über den in der Gesellschaft jeweils Konsens bestehen muß, damit die Einheit des politischen Systems ge­ währleistet werden kann, gibt es für das Gemeinwohl keine fraglose Richtigkeit. Da das jeweils Richtige erarbeitet werden muß, kommt dem Verfahren zur Bestimmung des Gemeinwohls besondere Bedeutung zu. Es muß sich um ein rechtsstaatlich-demokratisches Gemeinwohlver­ fahren handeln7, das dem einzelnen Mitwirkungsmöglichkeiten ein­ räumt, wenn auch die Entscheidung letztlich der demokratischen Ent­ scheidungsinstanz vorbehalten ist, die gegebenenfalls eine Mehrheits­ entscheidung treffen muß. An dem Prozeß der Bestimmung des Gemeinwohls sind die Ver­ bände zu beteiligen, damit die von ihnen vertretenen Interessen nicht übersehen werden. Die Auseinandersetzung der Interessengruppen führt aber für sich allein nicht zu richtigen Lösungen. Zu berücksichti­ gen sind auch die nichtorganisierten und die nichtorganisierbaren In­ teressen, wobei zu beachten ist, daß die organisierten Interessen schon aufgrund ihrer Organisation gegenüber den nichtorganisierten oder nichtorganisierbaren im Vorteil sind, was zu einer einseitigen Beto­ nung organisierter Interessen bei der Bestimmung des Gemeinwohls führen könnte. Hier erwächst eine Aufgabe für den Staat, der die nichtorganisierten Interessen in den Prozeß der Bildung des Gemein4 Vgl. zum folgenden vor allem Hans Ryffel, Öffentliche Interessen und Gemeinwohl. Reflexionen über Inhalt und Funktion, in : Wohl der Allge­ meinheit und öffentliche Interessen, 1968, S. 13 ff. 5 So auch für das Verfassungsbild des Grundgesetzes Peter Häberle, Öf­ fentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 709. 8 Dazu vgl. Hans Ryffel, Recht und Politik, in : ZSR, NF Bd. 91 (1972), S. 459 ff., 468 f. ; Ernst Fraenkel, Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie, in: Deutschland und die westlichen Demokratien, 5. Aufl. 1973, S. 197 ff., 200. 7 So Peter Häberle (Fn. 5), S. 710; Hans Ryffel (Fn. 4), S. 30. Bedenken dagegen, daß durch ein solches Verfahren die Bestimmung des Gemein­ wohls gegen nichtdemokratische Verfälschungen abgesichert werden kann, äußert Michael Stolleis, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, in : Verwaltungsarchiv 1974, S. 1 ff., 28.

1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

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wohls einbringen und bei der Abstimmung mit den anderen Interessen angemessen berücksichtigen muß. Der Staat muß gegenüber den pluralistischen Kräften der Gesell­ schaft relativ unabhängig sein. Er muß Entscheidungen treffen können, die auch für die pluralistischen Kräfte bindend sind und gegebenen­ falls gegen den Widerstand dieser Kräfte durchgesetzt werden können. Nur auf diese Weise kann er den von ihm einzubringenden nicht­ organisierten Interessen angemessene Beachtung verschaffen8 • Grund­ lage der Demokratie sind nicht Gruppen und Verbände, sondern alle einzelnen; deshalb müssen die Ungleichheiten, die durch die Mängel des pluralistischen Systems entstehen und zu einer Benachteiligung des einzelnen führen können, durch einen unabhängigen Staat ausge­ glichen werden. Dies darf auf der anderen Seite nicht dazu führen, daß die Vorzüge des Pluralismus, insbesondere die Definition des Gemein­ wohls als eines ständigen Suchens nach Konsens und Kompromiß mög­ lichst breiter Volksgruppen, aufs Spiel gesetzt werden. Damit ist ein Hauptproblem der pluralistischen Demokratie ange­ sprochen: einerseits muß der Staat der pluralistischen Gesellschaft gegenüber so selbständig sein, daß er auf sie einwirken kann, ,,anderer­ seits von ihr möglichst so abhängig, daß er seine Funktion nicht als ein ihr Fremder, gar Feindlicher ausübt" 9 • Der Staat muß unabhängig ge­ nug sein, um als Ordnungsfaktor in die Gesellschaft eingreifen zu kön­ nen, andererseits muß er von der Gesellschaft so abhängig sein, daß seine Regelungen und Beschlüsse von dem einzelnen akzeptiert oder wenigstens hingenommen werden können10 • Unabhängigkeit und Ab­ hängigkeit des Staates von der Gesellschaft müssen daher in einem ausgewogenen Verhältnis stehen11 • Das politische System der pluralistischen Gesellschaft ist gefährdet, wenn das ausgewogene Verhältnis zwischen Unabhängigkeit und Ab­ hängigkeit des Staates von der Gesellschaft gestört ist. Gerät der Staat in die Abhängigkeit der gesellschaftlichen Kräfte, besteht die Gefahr der Überbetonung partikulärer Interessen. Ein Ausnutzen der einge­ räumten Unabhängigkeit kann dazu führen, daß sich der Staat gegen8 Vgl. Fritz Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, 1970, S. 75 : ,,Verlangt wird also zugleich eine höhere Entscheidungsfähigkeit und ein höheres Wertberücksichtigungspotential als es in einem rein plura­ listischen Modell vorausgesetzt werden kann." 9 So Martin Drath, Der Staat der Industriegesellschaft. Entwurf einer sozialwissenschaftlichen Staatstheorie, in : Der Staat 1966, S. 273 ff., 275. Vgl. auch Wilhelm Henke, Das demokratische Amt der Parlamentsmitglie­ der, in : DVBl. 1973, S. 553 ff., 560; ähnlich Wilhelm Wertenbruch, Die recht­ liche Einordnung wirtschaftlicher Verbände in den Staat, in : Gedächtnis­ schrift Hans Peters, 1967, S. 614 ff., 623. 10 In diesem Sinne Martin Drath (Fn. 9), S. 277. 11 Vgl. Wilhelm Henke (Fn. 9), S. 560.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

über der Gesellschaft abschließt und die in ihr sichtbaren Bedürfnisse und Interessen nicht zur Kenntnis nimmt12 • Gegen diese beiden Fehl­ entwicklungen müssen Sicherungen vorgesehen werden. Eine wirksame Kontrolle durch die Öffentlichkeit ist dabei nur möglich, wenn der staatliche Entscheidungsprozeß weitestgehend transparent gemacht wird. Für die vorliegende Untersuchung kann davon ausgegangen werden, daß die Verbände an der staatlichen Willensbildung zu beteiligen sind. Die letzte Entscheidung obliegt dabei den zuständigen staatlichen Or­ ganen, deren Unabhängigkeit gewahrt bleiben muß. Diese müssen aber die Verbände im Entscheidungsprozeß zu Wort kommen lassen und dürfen sich gegenüber den Verbandsargumenten nicht von vornherein verschließen. Ausgehend von der grundsätzlichen Legitimität der Beteiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung werden im folgenden zu­ nächst die einzelnen Gründe für eine Verbandsbeteiligung an der Ge­ setzgebung erörtert (1). Anschließend werden die Ziele behandelt, die mit Institutionalisierungsmaßnahmen verfolgt werden können (II), be­ vor auf die möglichen Gefahren einer Institutionalisierung eingegangen wird (III).

I. Gründe für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung Unter Bedachtnahme auf die grundsätzliche Legitimität der Ver­ bandsbeteiligung sprechen eine Reihe von einzelnen Gründen für die funktionale Zweckmäßigkeit einer Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung. Durch die Nutzbarmachung des Sachverstandes der Ver­ bände kann die Qualität der politischen Entscheidung verbessert wer­ den (1). Es kann ein Interessenausgleich zwischen den Verbänden und den betroffenen staatlichen Organen erfolgen (2). Die Durchführung von Gesetzen kann durch die Beteiligung erleichtert werden (3). Der staatliche Entscheidungsprozeß wird kontrolliert (4) 13• Diese Gründe für eine Verbandsbeteiligung sind folgerichtige Konkretisierungen, die sich aus der Rolle der Verbände im politischen Entscheidungsprozeß einer pluralistischen Demokratie ergeben. Sie können aber eine „ge­ setzgebungstechnische Notwendigkeit" 14 auch dann darstellen, wenn 11 Vgl. dazu Fritz Scharpf (Fn. 8), S. 77. 13 Zu den Funktionen der Beteiligung s. a. Renate Mayntz, Funktionen der Beteiligung bei öffentlicher Planung, in : Demokratie und Verwaltung. 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972, S. 341 ff. ; Prodromos Dagtoglou, Partizipation Privater an Verwaltungsentscheidungen, in: DVBl. 1972, S. 712 ff. u Der Ausdruck stammt von Brigitte Conradi: Die Mitwirkung außerstaat­ licher Stellen beim Erlaß von Rechtsverordnungen, 1962, S. 21.

I. Gründe für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung

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man der Beteiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung kritisch gegenübersteht. 1. Sachverstand

Die Nutzbarmachung des Sachverstandes der Verbände mit dem Ziel einer qualitativen Verbesserung der Gesetzgebung steht als Grund für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung außer Dis­ kussion15 . Es wird vor allem darauf hingewiesen, daß es heute zahlreiche Materien gibt, die ohne Mitwirkung des Sachverstandes der betroffenen Kreise gar nicht geregelt werden könnten. Dabei wird davon ausge­ gangen, daß der besondere Sachverstand oft nur dadurch erworben werden kann, daß die Betroffenen eben ständig mit der Materie zu tun haben und mit ihren Problemen leben 16 . Entscheidend für die Notwen­ digkeit der Heranziehung des in den Verbänden gespeicherten Sach­ verstandes ist die Tatsache, daß die Gesetzgebung in ständig zuneh­ mendem Ausmaß komplizierter und spezialisierter wird, und das um so mehr, als die Gesetzgebung nicht nur zur Konfliktregulierung, son­ dern auch zur Daseinsgestaltung eingesetzt wird. Als Beispiele hierfür brauchen nicht nur Wirtschaftsgesetze zu gelten, die eine besondere fachliche Vorbereitung erfordern. Immerhin ist hier die große Bandbreite besonders beeindruckend : sie reicht von der Landwirtschaft - man denke etwa an die Weingesetzgebung - bis hin zu industriellen Einzelmaßnahmen. Besondere technische Probleme stellen sich vor allem bei der Gesetzgebung zum Umweltschutz. Dabei ist es vielfach so, daß nur der Anwender eines bestimmten Verfahrens entscheiden kann, wie schädliche Nebenwirkungen abgewendet werden können 17 . Es darf aber nicht vergessen werden, daß heute jegliche Gesetzgebung mit einer Sorgfalt und einem Fachwissen vorbereitet werden muß, für die der Sachverstand in Verwaltung und Ministerien nicht ausreicht, will man nicht riskieren, daß die Gesetzgebung „ein Schuß ins Dunkle" (Ernst E. Hirsch) bleibt. Dies gilt auch und gerade für die klassischen Rechtsmaterien wie etwa das Strafrecht. Eine Straf­ rechtsreform, ja eine Änderung einzelner Bestimmungen, ist ohne die Heranziehung von behördenexternem Sachverstand kaum möglich. 15 Vgl. z. B. Herbert Krüger, Von der Notwendigkeit einer freien und auf lange Sicht angelegten Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft, 1966, S. 20 ; Werner Weber, in : Wilhelm Beutler, Gustav Stein und Hellmuth Wagner (Hrsg.), Der Staat und die Verbände, 1957, S. 1 9 ; Horst Ehmke, in : VVDStRL 24, S. 96. 18 Vgl. Herbert Krüger (Fn. 15), S. 20 ; ebenso Brigitte Conradi (Fn. 14), S. 20/21 ; ähnlich Prodromos Dagtoglou (Fn. 13), S. 718. 17 Zur Problematik bei technischen Vorschriften vgl. Herbert Krüger, Rechtsetzung und technische Entwicklung, in : NJW 1966, S. 617 ff.

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1 . Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

Der geschilderte Tatbestand wird heute nicht bestritten. Bei aller Anerkennung der fachlichen Qualitäten des Beamtenapparates, die durch weitere Bemühungen bei der Rekrutierung und Aus- und Fort­ bildung noch eine Steigerung erfahren können, bleibt die Notwendig­ keit der Heranziehung externen Sachverstandes. Dafür gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten : die Heranziehung unab­ hängiger Sachverständiger oder die Beteiligung von Verbandsfach­ leuten. Wenn es allerdings zutrifft, daß aus der direkten Betroffenheit die größte Sachkunde erwächst 18 , dann sind die Interessenvertreter die besten Fachleute 19 • Den unabhängigen Sachverständigen, die nicht In­ teressenvertreter sind, geht oft die letzte Sachkunde ab 20 • Die Nutzbar­ machung des Sachverstandes der Verbände ist deshalb notwendig, um eine sachlich richtige Gesetzgebung zu gewährleisten. Es ist freilich zu bedenken, daß sich die Verbände nicht immer ledig­ lich als Informationsquelle benutzen lassen werden, sondern die Betei­ ligung auch als Möglichkeit für die Durchsetzung ihrer Interessen­ standpunkte ansehen werden. Es sind deshalb Vorkehrungen zu tref­ fen, die eine Abhängigkeit des Staates vom Sachverstand der Verbände verhindern helfen. Dazu gehören z. B. Wissenschaftliche Dienste21 , Da­ tenbanken, Integrierte Planungs- und Entscheidungssysteme etc. Außerdem ist die Beteiligung so transparent zu gestalten, daß eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit möglich ist. 2. Interessenausgleich

Die Beteiligung von Verbänden wird oft auch mit der Erwartung verbunden, daß es hierdurch zu einem Interessenausgleich komme, der wenigstens zu einem für alle Seiten tragbaren Kompromiß führe22 • Der Interessenausgleich kann auf zwei Ebenen erwartet werden : horizontal als Ausgleich der Verbände untereinander und vertikal im Verhältnis Staat-Verbände. 18 Davon geht auch der Gesetzgeber aus : vgl. z. B. die amtliche Begrün­ dung zu §§ 24 ff. GewO, BT-Drucksache I/4170, S. 1 1 : ,,Auf den Gebieten, auf denen die Anforderungen technischer Art in besonderen technischen Vor­ schriften zusammengefaßt werden müssen, liegen derart schwierige Ver­ hältnisse vor, daß eine dem jeweiligen Stand der Technik entsprechende Regelung nur unter Mitwirkung der beteiligten Fachkreise gefunden werden kann." 1 · 9 So Prodromos Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, S. 130; ähnlich Renate Mayntz (Fn. 13), S. 347. 20 Prodromos Dagtoglou (Fn. 13), S. 718 unter Berufung auf Carl Schmitt. 21 Dazu Jens Odewald, Der parlamentarische Hilfsdienst in den USA und in der Bundesrepublik Deutschland, 1967 ; Helmut Quaritsch, Die wissen­ schaftlichen Dienste des Bundestages, in : Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, s. 303 ff. 22 Vgl. Prodromos Dagtoglou (Fn. 19), S. 135.

I. Gründe für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung

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Die Annahme eines innerverbandlichen Interessenausgleichs geht davon aus, daß eine beabsichtigte Regelung regelmäßig die Interessen mehrerer Verbände berühren wird. Dabei ist es wahrscheinlich, daß die Interessen der verschiedenen Verbände nicht von vornherein in die­ selbe Richtung gehen, sondern sich vollständig oder teilweise gegen­ überstehen. In diesen Fällen hofft man, daß einerseits durch eine Aussprache der betroffenen Kreise alle für den Erlaß der Regelung relevanten Gesichtspunkte diskutiert werden, und daß andererseits mögliche Differenzen, die zwischen den Verbänden bestehen, so doch durch Kompromiß beigelegt werden können. Es leuchtet ein, daß das Ziel des zwischenverbandlichen Interessenausgleichs nur bei einer Beteiligungsform erreicht werden kann, bei der die Vertreter der Verbände gleichzeitig beteiligt werden (z. B. gemeinsame Anhörung, gemeinsame Beratung, institutionalisiert : Beiräte, Ausschüsse, Wirt­ schaftsräte) 23; mit Einzelanhörungen kann dieser Zweck kaum verfolgt werden. Neben dem zwischenverbandlichen Interessenausgleich dient aber die Heranziehung der Verbände auch der Abstimmung der Vorstellun­ gen des Staates mit denjenigen der Verbände24 • Ohne diese Abstim­ mung bestünde die Gefahr, daß staatliche Maßnahmen rigoroser sind als nötig und bei den Betroffenen eher Abwehrreaktionen hervorrufen als Verständnis25 • Damit dient die Abstimmung der Verbesserung des politischen Klimas. Ein gelungener Interessenausgleich zwischen den Verbänden und den staatlichen Organen stellt im Ergebnis auch einen zwischenverbandlichen Interessenausgleich dar. Die Suche nach einem Ausgleich aller Interessen war oben als Ziel des staatlichen Entscheidungsprozesses gekennzeichnet worden. Dem hat die Beteiligung der Verbände zu dienen, wobei zu beachten ist, daß der in der Gesetzgebung angestrebte Interessenausgleich möglichst alle Interessen berücksichtigen und abwägen muß. Es darf also nicht zu einem Ausgleich zwischen Verbänden und Staat zu Lasten Dritter kommen. Ein bargaining zwischen Staat und Verbänden zu Lasten Dritter muß vermieden werden. Auch hier kann vor allem die Offen­ legung der Verbandsbeteiligung als Sicherung wirken. 23 Der Interessenausgleich ist deshalb auch immer ein Argument für die Bildung von Wirtschaftsräten, vgl. z. B. die „Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes über den Reichswirtschaftsrat", abgedruckt bei Friedrich Glum, Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, 1929, S. 125/126. 24 Auf diesen Aspekt weist besonders Brigitte Conradi, (Fn. 13), S. 22 hin. 25 Damit wurde z. B. die Notwendigkeit der Konzertierten Aktion begrün­ det, vgl. Rudolf Henschel, Konzertierte Aktion - Autonomie und Planung, in : Gewerkschaftliche Monatshefte 1967, S. 200 f., 201 .

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung 3. Erleichterung der Durchsetzung

Die Abstimmung der Vorstellungen von Staat und Verbänden ist bereits ein konkretes Beispiel dafür, wie eine weitere Funktion der Beteiligung erreicht werden kann, die in der Bereitschaft zur Durch­ führung von Normen besteht. Eine Mitwirkung der Verbände an der Gesetzesvorbereitung kann nicht nur Widerstände gegen eine Regelung verhindern28, sondern vor allem deren Effektivität, also die tatsächliche Befolgung und Durchsetzung, wesentlich verbessern27 • Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß mit der Heranziehung des Sachverstandes der Verbände gewährleistet wird, daß nichts normiert wird, was die Betroffenen gar nicht leisten können28 • Außerdem kann eine Befolgung von Regeln eher erwartet werden, wenn der durch sie Betroffene an der Aufstellung beteiligt war, während umgekehrt eine Mitarbeit an der Verwirklichung gesetzgeberischer Vorstellungen „schon moralisch" 29 nicht oder doch in geringerem Ausmaß erwartet werden kann, wenn der Gesetzgeber von der Beiziehung der betroffe� nen Verbände abgesehen hat. Wenn auch in der Literatur zu Partizipationsproblemen zu Recht darauf hingewiesen wird, daß bereits eine vorherige schlichte Informa­ tion die Bereitschaft zur Mitarbeit bei der Durchsetzung von Normen fördern kann, sind doch in diesem Punkt Vorbehalte angebracht. So sind eher Schwierigkeiten bei der Durchsetzung zu vermuten, wenn eine Beteiligung kein sichtbares Resultat gehabt hat, der eigene Stand­ punkt also in keiner Weise in die Entscheidung einging. Andererseits besteht die Gefahr, daß zugunsten einer reibungslosen Durchsetzung ,,faule" Kompromisse geschlossen werden. 4. Kontrolle

Durch die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung wird der Entscheidungsprozeß der staatlichen Organe kontrolliert. Dadurch kann frühzeitig festgestellt werden, ob der Staat die Interessen der Verbände bei seinen Entscheidungen in die Abwägung miteinbezieht oder ob er seine Unabhängigkeit in selbstherrlicher Weise ausnützt. Dieser Aspekt der Verbandsbeteiligung wird in der Literatur insbe­ sondere für die Beteiligung im Verwaltungsbereich betont. Der ent26 Darauf weist Renate Mayntz (Fn. 13), S. 348 hin. 27 Dieser Gesichtspunkt ist vor allem von Rechtssoziologen, vgl. z. B. Uwe Krüger, Der Adressat des Rechtsgesetzes, 1969, S. 72 ff. ; Hans Ryffel, Rechts­ soziologie. Eine systematische Orientierung, 1974, S. 313 f. und von Planern, vgl. z. B. Renate Mayntz (Fn. 13), S. 348 betont worden. 28 Dazu Herbert Krüger (Fn. 15), S. 20 ; ähnlich ders. (Fn. 17), S. 620. 29 So Herbert Krüger (Fn. 15), S. 21.

II. Ziele von Institutionalisierungsmaßnahmen

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scheidende Gesichtspunkt wird darin gesehen, daß durch die Beteili­ gung die Verwaltung als „unparteiische Instanz" erkannt und akzep­ tiert wird30 • Dieser Gesichtspunkt ist auch für eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung maßgebend. Durch die Beteiligung werden der Entscheidungsprozeß und die Kriterien für die vorgenom­ mene Interessenabwägung sichtbar gemacht. Damit kann die Beteili­ gung zur Stiftung von Loyalität gegenüber dem Staat beitragen. Bei der Beurteilung der Kontrollfunktion der Verbandsbeteiligung darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Kontrolle durch die Verbände nur hinsichtlich der Berücksichtigung der Verbandsinteressen wirksam ist. Wenn die Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit zugute kommen soll, muß sich die Beteiligung der Verbände in Formen voll­ ziehen, die das Tageslicht nicht scheuen. Die Kontrolle muß also selbst öffentlich sein. Die Erörterung der einzelnen Gründe für eine Verbandsbeteiligung hat nicht nur deren Notwendigkeit, sondern auch die darin liegenden Risiken aufgezeigt. Im folgenden ist zu untersuchen, ob diese Risiken durch Institutionalisierungsmaßnahmen ausgeschlossen oder wenig­ stens verringert werden können. II. Ziele von lnstitutionalisierungsmaßnahmen Im wesentlichen können mit der Institutionalisierung der Verbands­ beteiligung drei Ziele erreicht werden: Die Eröffnung eines formellen Zugangs für die Verbände (l) ; die formalisierte Inanspruchnahme des Sachverstandes der Verbände durch die staatlichen Organe (2) ; die Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses (3). 1. Formeller Zugang für die Verbände

Oben habe ich dargelegt, daß die Teilnahme der Verbände am Pro­ zeß der staatlichen Willensbildung legitim ist. Grundsätzlich ändert sich an dieser prinzipiellen Legitimität nichts durch die Einrichtung be­ stimmter Beteiligungsverfahren. Was einmal legitim ist, wird dadurch nicht legitimer. Doch darf nicht übersehen werden, daß die Anerken­ nung der Legitimität der Verbandsbeteiligung eben nur im Grundsatz gilt, aber sich nicht auf die Einwirkungen im einzelnen erstreckt. So­ bald nämlich die Verbände von den ihnen zustehenden Möglichkeiten der Einflußnahme Gebrauch machen, haftet ihren Einwirkungen so­ gleich der Geruch des Illegitimen an. Ein persönliches Treffen von Ge30 Vgl. Prodromos Dagtoglou (Fn. 13), S. 718.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

werkschaftsführern oder Vertretern der Arbeitgeberverbände mit dem Bundeskanzler, die informellen Kontakte eines Lobbyisten zur Mini­ sterialbürokratie, die Ausübung von Druck, in welcher Form auch immer, auf Parteien oder Staatsorgane werden weithin als „Hinter­ treppe" abqualifiziert und sind dazu angetan, in den Augen der Öffent­ lichkeit an sich Legitimes als illegitim erscheinen zu lassen. Dabei wird allzu leicht übersehen, daß derj enige, dem der Schlüssel für den Haupt­ eingang versagt wird, gar keine andere Wahl hat als die „Hintertreppe" zu benutzen. Freilich soll nicht bestritten werden, daß es Fälle gibt und gab, in denen sich Verbände zur Durchsetzung bzw. Einbringung ihrer Interessen in den Prozeß der staatlichen Willensbildung illegiti­ mer Mittel bedienten bzw. bedienen31 • Es soll nicht behauptet werden, daß durch lnstitutionalisierungsmaß­ nahmen die der Form und der Sache nach illegitimen Einwirkungen der Verbände automatisch aufhören würden32 • Eine solche Vorstellung würde zweifellos an der Wirklichkeit vorbeigehen und die Wirksam­ keit von Institutionalisierungsmaßnahmen weit überschätzen. Dennoch ist die These nicht von der Hand zu weisen, daß illegitime Wege und Mittel u. a. auch deshalb eingeschlagen werden, weil legitime Einwir­ kungsmöglichkeiten nicht oder nur in unzureichendem Maße zur Ver­ fügung stehen. Hinweise darauf, daß die Verbände die Möglichkeit haben, die öffentliche Meinung zu beeinflussen oder ihre Vorstellung in Form von Petitionen anzubringen, verweisen zwar auf wesentliche Möglichkeiten für das Verbandswirken ; diese Möglichkeiten allein tragen aber der Stellung der Verbände im politischen Prozeß nicht Rechnung, denn in diesem Prozeß sind sie eben nicht nur Obj ekte, sie wirken vielmehr als Subj ekte mit. Deshalb müssen mit Hilfe von Institutionalisierungsmaßnahmen akzeptable, der Bedeutung der Ver­ bände angemessene Beteiligungsalternativen angeboten werden, die den Weg über die „Hintertreppe" unattraktiv werden lassen. Ein wesentlicher Vorteil ergibt sich aus Institutionalisierungsmaß­ nahmen für die Beamten und Staatsfunktionäre, die als Adressaten der Einflußnahme der Verbände in Frage kommen; denn auch sie sind in einer schwierigen Lage. Solange nämlich keine institutionalisierten Zugangsmöglichkeiten für die Verbände bestehen, sind sie dem ver­ stärkten Druck der organisierten Interessen ausgesetzt und müssen selbst im Einzelfall entscheiden, inwieweit eine Einflußnahme legitim 31 Vgl. ebenso Hans Ryffel, Staat und Wirtschaftsverbände im nationalen und übernationalen Bereich, in : Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht, 1964, S. 159 ff., S. 167 ; ders., Staat und Gesellschaft im Zeichen des Pluralismus, in : WuR 1962, S. 184 ff. ; s. a. die Beispiele bei Theo­ dor Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, 1956. 3 2 Viel zu optimistisch deshalb Helmut Immesberger, Zur Problematik der Unabhängigkeit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag, 1962, S. 143.

II. Ziele von Institutionalisierungsmaßnahmen

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ist und sie mit Verbandsvertretern ins Gespräch kommen dürfen. Eine in irgendeiner Form „verkrampfte" Haltung gegenüber den Verbän­ den ist ebenso die Folge wie ein permanent „schlechtes Gewissen" . Hier können formelle Beteiligungsmöglichkeiten z u einer wesentlichen Klimaänderung und Entlastung des einzelnen Adressaten der Ver­ bandseinwirkung führen. Die Unabhängigkeit des einzelnen Ange­ sprochenen wird erheblich gesteigert, wenn die Möglichkeit für ihn besteht, den Verbandsvertreter, der sich informell oder gar in illegi­ timer Weise, durch die Ausübung von Druck, z. B. durch die Androhung persönlicher Nachteile (,,Ich kenne ihren Minister persönlich") an ihn wendet, auf den Weg der formellen Einflußnahme zu verweisen. Das Vorhandensein rechtlich geordneter Zugangswege für die Verbände verschafft damit gleichzeitig den potentiellen Adressaten eine größere Standfestigkeit gegenüber illegitimen Einflußversuchen - wenigstens dann, wenn sie standfest bleiben wollen. Der eben aufgezeigte Zusammenhang ist so bedeutsam, daß er auch und gerade für denjenigen überzeugend sein müßte, dessen Bestreben dahin geht, die „Herrschaft der Verbände" (Eschenburg) möglichst zu beschneiden und einzuschränken. Allerdings soll hier der Gesichtspunkt einer Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung aus Mißtrauen gegenüber den Verbänden nicht im Vordergrund stehen. Aufgrund ihrer Stellung im politischen Prozeß haben die Verbände einen Anspruch darauf, daß ihrem legitimen Beteiligungsstreben auch legitime institutionalisierte Beteiligungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wenn man die notwendige Funktion der Verbände für die Bildung des Staatswillens anerkennt, muß man auch Sorge dafür tra­ gen, daß diese Funktion sich in Formen vollziehen kann, die nicht notwendigerweise im Zwielicht stehen. Eine wesentliche Voraussetzung für das richtige Funktionieren unserer Demokratie besteht darin, daß die Staatswillensbildung sich im ständigen Kontakt mit den sozialen Kräften bildet; daraus ergibt sich eine Verpflichtung für die staatlichen Organe, Wege zu eröffnen, auf denen die Kontaktnahme in angemes­ sener Weise möglich ist. Dies ist aber nur möglich über formalisierte Beteiligungsverfahren. Dies ist der entscheidende Gesichtspunkt für Institutionalisierungs­ maßnahmen: wenn auf die Beteiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung und damit bei der Gesetzesvorbereitung nicht verzich­ tet werden kann, müssen Formen der Beteiligung vorhanden sein, die über den Zweifel der Illegitimität erhaben sind. Nur so wird man der Aufgabe der Verbände im politischen Prozeß gerecht.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung 2. Formalisierte lnansprudmahme des Sachverstandes der Verbände

Der Staat ist bei der Gesetzgebung in großem Umfang auf den Sach­ verstand der Verbände angewiesen. Die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung ist nicht lediglich eine Forderung der Verbände, sie ist, wie oben näher ausgeführt wurde, eine Notwendigkeit, um zu ,,richtigen" Gesetzen zu kommen. Es ist deshalb für den Staat uner­ läßlich, Informationen aus dem Verbandsbereich zu beziehen. Informelle Kontakte zwischen Staat und Verbänden, die vom Staat ausgehen, um sich für anstehende Entscheidungen die notwendigen Informationen zu besorgen, werden von der Öffentlichkeit mit demsel­ ben Argwohn betrachtet wie informelle Verbandseinflußnahmen auf den Staat. Insoweit befindet sich der Staat in der gleichen Situation wie die Verbände. Institutionalisierungsmaßnahmen können dazu beitra­ gen, staatlichen Organen legitime Möglichkeiten der Kontaktnahme mit den Verbänden zu verschaffen. Diese formalisierten Verfahren der Konsultierung der Verbände sind notwendig, damit der Staat der ihm obliegenden Pflicht nachkommen kann, die Verbände an der Entschei­ dungsbildung zu beteiligen. 3. Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses

Die Institutionalisierung von Kontakten zwischen Staat und Ver­ bänden wird aber nur dann den Ruf des Illegitimen verlieren, wenn sie zu einer Offenlegung des Verbandseinflusses führt. Die Kritik an manchen Institutionalisierungsformen, die auf die Öffentlichkeit keine Rücksicht nehmen, sondern eher den Anstrich von Geheimverhand­ lungen haben, ist vollauf berechtigt33 • Man braucht sich nicht zu wun­ dern, daß solchen Praktiken von vornherein der Verdacht von „Ab­ machungen zu Lasten Dritter" anhaftet. Deshalb ist es eine selbstver­ ständliche Forderung, daß Institutionalisierungsmaßnahmen tatsächlich zur Offenlegung von Verbandseinflüssen beitragen. Die Transparenz von Verbandseinflüssen ist dabei in zwei Richtun­ gen von Bedeutung. Zum einen hat die Öffentlichkeit im ganzen ein Interesse daran zu erfahren, in welcher Weise und mit welchem Erfolg die Verbände ihre Vorstellungen einbringen und durchsetzen können und welche Motive und Argumente bei der Entscheidungsbildung eine Rolle gespielt haben. Zum anderen aber müssen auch die Verbände selbst an der Publizität interessiert sein, mindestens soweit es die 33 So z. B. die vielfach geäußerte Kritik an den Sitzungen der Konzertier­ ten Aktion, vgl. Kurt H. Biedenkopf, Ordnungspolitische Probleme der neuen Wirtschaftspolitik, in: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 1968 (19), S. 308 ff., 323.

II. Ziele von Institutionalisierungsmaßnahmen

33

Einflußnahmen der j eweils anderen Verbände angeht. Es kann davon ausgegangen werden, daß insgesamt die Tätigkeit der Verbände ratio­ neller sein kann, wenn sie wissen, was die anderen Verbände an Infor­ mationen und Argumenten gegeben haben. Dies könnte damit auch zu einer Arbeitsentlastung der als Adressaten in Frage kommenden Staatsstellen führen. Es ist interessant festzuhalten, daß bei einer Befragung der Verbände über ihre Bedeutung für die wirtschaftspolitische Willensbildung, die im Auftrage des Vereins für Socialpolitik in den Jahren 1961/63 durch­ geführt wurde34, vor allem die Gewerkschaften sich für Verbesserungs­ vorschläge aussprachen, die die Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Verbänden einer größeren Publizität unterwerfen sollen35 • Gleich­ zeitig wurde die damals verbreitete Praxis von geheimen Verhand­ lungen zwischen Ministerien und Verbänden kritisiert. Bei den be­ fragten Arbeitgeberverbänden war eine ähnliche Tendenz feststellbar, wenngleich bei weitem nicht so ausgeprägt wie bei den Gewerkschaften, und mehr als ein Viertel hielten eine Kritik nicht für berechtigt. Ver­ gleichszahlen mit Wirtschaftsverbänden und Kammern bezüglich der Berechtigung der Kritik liegen nicht vor, da diesen Verbänden diese Frage nicht vorgelegt wurde36• Bei der Interpretation dieser Erhebungen sind freilich zwei Anmer­ kungen zu machen: einmal hat sich die Publizität von Kontakten zwi­ schen Verbänden und Ministerien mittlerweile verbessert37, zum ande­ ren könnte es sein, daß sich das Verhältnis von Gewerkschaften zur Regierung heute gegenüber damals gewandelt hat. Damals könnte das besondere Anliegen der Gewerkschaften an Publizität dadurch begrün­ det gewesen sein, daß der CDU-Regierung, vor allem unter dem Kanz­ ler Konrad Adenauer, eher besonders gute Kontakte zur Industrie und ihren Verbandsvertretern nachgesagt wurden38, was den Wunsch nach einer verstärkten Publizität der Kontakte zwischen Regierung und Wirtschaftsverbänden auf Seiten der Gewerkschaften verständlich macht. Nachdem sich mittlerweile ein Regierungswechsel zu einer sozial-liberalen Koalition vollzogen hat, könnten sich auch die Bezie84 Ergebnisse veröffentlicht in : Günter Schmölders (Hrsg.), Das Selbstbild der Verbände, 1965 mit beigefügtem vollständigem Tabellenteil. 3 5 Auf dieses Ergebnis macht vor allem Felix Sand, Die Geltendmachung wirtschaftspolitischer Interessen im demokratischen Staat, 1964, S. 75 auf­ merksam. Felix Sand war neben Karl Otto Hondrich und Günter Petzold Mitarbeiter Schmölders bei der im Auftrag des Vereins für Socialpolitik durchgeführten Untersuchung. 81 Die entsprechende Frage lautete : ,,An der Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Verbänden wird kritisiert, daß sie geheim bleibt und daß deshalb nicht zu erkennen ist, von wem im einzelnen die Initiative bei einem Gesetzesentwurf ausgegangen ist. Welchem der bekannten Verbesserungs­ vorschläge würden Sie zustimmen? "

8 Speyer 58

1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

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hungen der Gewerkschaften zur Ministerialbürokratie und das Bedürf­ nis nach Publizität von Verhandlungen zwischen beiden geändert haben. Auf die Gültigkeit der damals erhobenen Ergebnisse für die heutige Zeit kommt es aber nicht entscheidend an. Sie sollten vielmehr nur als Hinweis darauf dienen, daß die Verbände selbst ein Interesse an Publi­ zität haben. Dieses Interesse der Verbände ergibt sich daraus, daß sie um des guten Eindrucks bei der öffentlichen Meinung willen allen Anlaß haben, aus dem Zwielicht geheimer Kontakte in das Licht der Öffentlichkeit überzuwechseln. Freilich. müßte noch eine weitere Voraussetzung erfüllt sein, um zu verhindern, daß die Publizität einzelner Institutionalisierungsmaßnah­ men nicht nur als taktisch.es Manöver angesehen werden kann. Es müßte versucht werden, möglichst alle Einflußnahmen der Verbände publik zu machen bzw. dafür zu sorgen, daß es neben den sich in der Öffentlichkeit vollziehenden Einwirkungen keine weiteren gäbe. Nur unter dieser weiteren Voraussetzung können Institutionalisierungs­ maßnahmen wirklich. zur Transparenz des Verbandseinflusses führen. 304 Organisationen Wirt­ Kamme,·n Arbeit­ Gewerk­ Wirt­ schafts­ schafts­ geber­ schaften verbände verbände verbände (Land) (Bund) 0/o ¼ 0/o

.,,

Bundeswirtschaftsrat mit nur beratender Funktion Bundeswirtschaftsrat für Beratung und Gesetzesinitiative Einführung der amerikanischen Lobbygesetzgebung Ausführlichere Begrün­ dung der Gesetzesentwürfe seitens der Regierung, aus der die Verbandsinitiative hervorgeht Beifügung der Stellung­ nahmen. der Verbände als Anlagen zu den Gesetzesentwürfen Häufiger öffentliche Hearings Kritik ist nicht berechtigt Keine derartige Änderung Keine Angabe

,,,

zusam­ men­ fassung '!,

8

13

5

8

7

7

7

13

8

3

20

7

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25

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33

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13

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6 31

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26 19

7 13

(Summe infolge Mehrfachnennungen über 100 °/o) 118

114

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130

194

(5) (22)

26

23 22

Que!te : Gilnther Schmölders (Hg.), S. 367, auch bei Felix Sand (Fn. 35), s. 74. Eine genauere Analyse der Daten, die zu einigen Differenzierungen führen dürfte, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich.

Vgl.u. S. 82. Vgl. Gerhard Braunthal, Wirtschaft und Politik : Der Bundesverband der Deutschen Industrie, in : PVS 1963, S. 369 ff. 37

38

II. Ziele von Institutionalisierungsmaßnahmen

35

Freilich könnten auch dazu die Adressaten der Einflußnahme auf staat­ licher Seite entscheidend beitragen, indem sie einmal auf Offenlegung sehen39 und zum anderen dafür sorgen, daß nur die formalisierten Einflußnahmen in die staatlichen Entscheidungsprozesse eingehen. Auf diese Weise würden die Verbände veranlaßt, einen institutionalisierten Weg zu beschreiten, wenn sie nicht in Kauf nehmen wollen, überhaupt nicht gehört zu werden. In engem Zusammenhang mit der durch formalisierte Beteiligungs­ verfahren erreichten Publizität steht die Möglichkeit der Kontrolle der Verbandsbeteiligung. Die Kontrollfunktion von Institutionalisierungsmaßnahmen ist für die Verbände, für die Öffentlichkeit und für die staatlichen Organe von Bedeutung. Die Verbände können feststellen, welche anderen Verbände an der Gesetzesvorbereitung mitgewirkt haben und welche Standpunkte ver­ treten worden sind. Eine nichtberücksichtigte Organisation, die von der beabsichtigten Gesetzgebung betroffen ist, kann sich dann zu Wort melden und auf ihre Interessen hinweisen. Auf diese Weise kann dafür gesorgt werden, daß die gegensätzlichen Interessen eingebracht und keine organisierten Interessen übersehen werden. Die Kontrolle der Einflußnahmen der Verbände erlaubt der Öffent­ lichkeit, auf die Berücksichtigung der nichtorganisierten Interessen zu achten und eine einseitige Bevorzugung der Verbandsinteressen zu verhindern. Schließlich ist die Kontrollfunktion auch wesentlich für die staat­ lichen Organe. Ohne institutionalisierte Beteiligungsformen ist die Ver­ bandsmitwirkung an staatlichen Entscheidungen auch für staatliche Organe nicht abschätzbar. So weiß bei einem Regierungsentwurf in der Regel schon das Kabinett nicht, ob auf Referentenebene Kontakte zu Verbänden stattgefunden haben, und welche Auswirkungen sie auf den Inhalt der Vorlage hatten oder haben konnten. Das Parlament, das über den Regierungsentwurf zu entscheiden hat, kann das Ausmaß der Verbandsbeteiligung schon gar nicht mehr absehen. Um die Einwir­ kungen der Verbände auf den verschiedenen Stufen des Gesetzge­ bungsverfahrens auf die staatlichen Organe kontrollierbar zu machen, bedarf es entsprechender Vorkehrungen. Die Zwangsläufigkeit, die für die Einführung von Institutionalisie­ rungsmaßnahmen spricht, wird ohne weiteres deutlich, wenn man sich die Alternativen überlegt. Von der Einrichtung formalisierter Beteili­ gungsverfahren könnte nur abgesehen werden, wenn davon ausgegan39 Das setzt freilich voraus, daß die staatlichen Stellen ihrerseits an der Publizität ihrer Kooperation mit den Verbänden interessiert sind.

s•

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

gen werden dürfte, daß es keine Einwirkungsmöglichkeiten und -ver­ suche der Verbände auf die staatliche Willensbildung geben würde oder daß man Versuche der Einflußnahme wirksam unterbinden könnte. Abgesehen davon, daß diese beiden Möglichkeiten - freiwilli­ ger Verzicht der Verbände auf Einflußnahme bzw. deren Verhinde­ rung - schon vom normativen Konzept her nicht zu billigen sind, er­ scheint beides in hohem Maße unrealistisch. Alle bisherigen Unter­ suchungen zu einzelnen Gesetzgebungsverfahren haben gezeigt, daß Verbände den Weg zum Entscheidungsträger gefunden haben - gleich­ gültig, ob formalisierte Verfahren zur Verfügung standen oder nicht. Die Möglichkeit, diesen Zugang durch staatliche Maßnahmen zu ver­ hindern, ist angesichts der vielfältigen personellen Verflechtungen, die zwischen Verbänden, Parteien, Parlament und Regierung bestehen, kaum denkbar40, zumal sie in keiner Weise wünschenswert ist. Das heißt aber nichts anderes, als daß sich die Verbände in j edem Fall Zugang zu den Makroentscheidungen und damit zu den staatlichen Entscheidungsträgern verschaffen werden41 • Wer deshalb gegen eine institutionalisierte Beteiligung der Verbände bei der Gesetzgebung plädiert42 , muß wissen, daß er damit das Problem der Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung nicht aus der Welt schafft. Mit der Ablehnung der Institutionalisierung hören die Ver­ bände und ihre Einflußnahme nicht auf zu existieren. Die Alternative zu einer institutionalisierten Beteiligung ist deshalb nicht etwa die Nicht-Beteiligung. Sie besteht vielmehr im ungeregelten, freien Spiel der gesellschaftlichen Kräfte, die apokryphe Einflußnahmen ermöglicht, die Publizität erschwert und eine Kontrolle nahezu unmöglich macht. Selbst wenn man unterstellt, daß durch lnstitutionalisierungsmaß­ nahmen der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung nicht in vol­ lem Umfang erfaßt werden kann, darf man sich nicht der Möglichkeit begeben, legitime Verbandseinflußnahme aus dem Zwielicht des Apo­ kryphen, des Illegalen, herauszuführen, an die Öffentlichkeit zu brin­ gen und damit kontrollierbar zu machen. III. Gefahren einer Institutionalisierung Die Gefahren, die von einer institutionalisierten Beteiligung der Ver­ bände ausgehen können, sollen an dieser Stelle nur insoweit erörtert werden, als sie sich aus der Absicht der Institutionalisierung überhaupt ,o Ähnlich schon mein Beitrag, Die konzertierte Aktion - Modell für eine Zusammenarbeit von Staat und Verbänden?, in : Demokratie und Verwal­ tung, S. 438. 4 1 Vgl. Otto Schlecht, Konzertierte Aktion als Instrument der Wirtschafts­ politik, 1958, S. 21 unter Berufung auf Fran!;ois Perroux.

III. Gefahren einer Institutionalisierung

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ergeben. Einzelprobleme, die sich aus einer bestimmten Ausformung einzelner Beteiligungsverfahren ergeben können, sind bei der Erörte­ rung dieses jeweiligen Verfahrensmodells abzuhandeln. Von einer Institutionalisierung können Gefahren für den Staat (1) und für die Verbände (2) ausgehen. 1. Gefahren für den Staat Soweit Befürchtungen für die Stellung des Staates ausgesprochen werden, indem z. B. gefragt wird, inwieweit der Staat, der mit den Verbänden in ein enges Verhältnis der Kooperation tritt, überhaupt noch Staat genannt werden könne43 , kann hier weitgehend auf bereits Gesagtes verwiesen werden. Der politische Prozeß in unserem Gemein­ wesen kann so gedacht werden, daß durch die Mitarbeit der Verbände an der staatlichen Willensbildung die Unabhängigkeit und die Ent­ scheidungsfreiheit der staatlichen Organe prinzipiell gewahrt werden. Das schließt nicht aus, daß Einzelregelungen getroffen werden können, die das Verhältnis von Staat und Verbänden zu Lasten des Staates verschieben. Auf diese Einzelregelungen ist aber dann erst bei ihrer Behandlung einzugehen. Festzuhalten ist hier, daß unter der Voraussetzung, daß eine Betei­ ligung der Verbände an der Gesetzgebung überhaupt normativ bejaht wird, gegen eine institutionalisierte Regelung dieser Beteiligung nichts vorzubringen ist, es sei denn, man wende sich ganz allgemein gegen eine Verrechtlichung dieser Beteiligung, wobei dann freilich die Mo­ mente der Offenlegung und der Kontrolle aus dem Blickwinkel geraten. 2. Gefahren für die Verbände Die Auswirkungen, die von einer Institutionalisierung auf die Ver­ bände befürchtet werden, beziehen sich vor allem auf das Selbstver­ ständnis der Verbände und auf das Verhältnis Basis-Verbandsspitze. Nach ihrem Selbstverständnis seien die Verbände dazu geschaffen, Partikularinteressen zu vertreten. Bei einer Institutionalisierung werde aber von ihnen die Berücksichtigung des Gesamtinteresses verlangt. Damit würden die Verbände eine neue Funktion erhalten, für die nicht ohne weiteres ein Mandat der Basis vorliege". 41 Soweit die Kritik an einer institutionalisierten Zusammenarbeit von einer altliberalen Position vorgenommen wird, dürfte sie der heutigen Reali­ tät nicht ausreichend Rechnung tragen; vgl. Hans Ryffel, Staat und Wirt­ schaftsverbände im nationalen und übernationalen Bereich, in : Staat und Wirtschaft im nationalen und übernationalen Recht, 1964, S. 171. 43 Vgl. Ernst Forsthoff, Von der Staatsrechtswissenschaft zur Rechtsstaats­ wissenschaft, in : Studium Generale 1968 (21), S. 692 ff., 698.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

Die Verbandsvertreter seien nach einer Einigung in den Abstim­ mungsgesprächen verpflichtet, den ausgehandelten Kompromiß nach ,,unten" weiterzugeben und zu vertreten. Daraus könnten sich Konse­ quenzen für die Attraktivität der Verbände ergeben; denn ein fried­ licher Verband müsse mit Lethargie und Apathie seiner Mitglieder rechnen, die ihre Interessen nicht mehr mit entsprechendem Nachdruck vertreten sähen45 • Mitgliederschwund und eine Loyalitätskrise zwischen Basis und Führung könnten die Folge sein. Außerdem sei zu untersuchen, inwieweit die Verbandsvertreter durch ihre Mitglieder überhaupt zu Verhandlungen legitimiert seien, die nicht nur ihre Einzelinteressen, sondern auch das Gesamtinteresse berücksichtigten. Dies bedinge auf jeden Fall eine demokratische Wil­ lensbildung innerhalb der Verbände, die bisher, wenigstens bei den Unternehmerverbänden, nicht vorliege46 • Schließlich wird die Frage gestellt, wieweit die Verbände in ihrem Handeln noch frei seien, wenn sie vorher bestimmten Maßnahmen oder Gesetzen zugestimmt hätten. Durch die vorherige Mitarbeit könnte ein an sich legitimer Widerstand in der Durchführungsphase, z. B. durch Arbeitskampfmaßnahmen oder die Einlegung von Rechtsmitteln, illegitim werden47• Diese kritischen Überlegungen zu den Auswirkungen der Institutio­ nalisierung auf die Verbände darf man nicht unterschätzen, jedoch gibt es gute Argumente, die die Bedenken weitgehend zerstreuen können. Auch hier müssen die oben angestellten Überlegungen zur Aufgabe der Verbände im politischen Prozeß unseres Gemeinwesens voraus­ gesetzt werden. Wenn man dies voraussetzt, kann nicht davon ausge­ gangen werden, daß die Verbände entweder nur Partikularinteressen - dann keine Institutionalisierung - oder vorwiegend Gesamtinter­ essen - so bei Institutionalisierung - vertreten. Hier ist auf eine kurz­ schlüssige Annahme hinzuweisen, die vielfach auch bei der Geburt von Wirtschaftsräten oder ähnlichen Einrichtungen Pate stand und nicht unwesentlich zu deren Mißerfolg beigetragen hat: die Annahme, daß sich die Verbände bei einer institutionalisierten Beteiligung am Ge­ samtinteresse auszurichten hätten. Dabei wird übersehen, daß so etwas wie ein Gesamtinteresse nur erreicht werden kann, wenn die partiku" Vgl. Hans- Günther Naumann, Der neue „contrat social", in : Michael Hereth (Hrsg.), Junge Republik - Beiträge zur Mobilisierung der Demo­ kratie, 1966, S. 153 ff., 156. 46 Vgl. Hans- Günther Naumann (Fn. 44), S. 157. 48 Vgl. z. B. Kurt H. Biedenkopf (Fn. 33), S. 324. 47 Vgl. Christian Watrin, Die Demokratisierung der Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in : Arthur F. Utz und Heinrich B. Streit­ hofen (Hrsg.), Demokratie und Mitbestimmung, 2. Aufl. 1971, S. 124 ff., 140.

III. Gefahren einer Institutionalisierung

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laren Interessen eingebracht werden. Auch über den Umweg einer Institutionalisierung kann nicht ein Gesamtinteresse vorgegeben wer­ den, an dem sich die Verbände auszurichten hätten ; vielmehr ist gerade die Präsentation der partikularen Interessen für die Bildung des Ge­ samtinteresses unabdingbar. Allerdings wäre eine politische Gemein­ schaft nicht bestandsfähig, wenn jeder sein partikuläres Einzelinteresse verabsolutieren und mit allen Mitteln durchsetzen wollte. Um zu einem für alle akzeptablen Leben in Gemeinschaft zu kommen, muß davon ausgegangen werden, daß j eder bereit ist, zum Zwecke eines umfassen­ den Interessenausgleichs auch Kompromisse einzugehen. Damit wird nicht ein absoluter Maßstab durch die Hintertüre wieder eingeführt; denn auch der Maßstab für den konkreten Interessenausgleich muß bei der Abwägung erst erarbeitet werden. Allerdings wird vorausgesetzt, daß jeder ein Interesse daran hat, sich in der Welt wie sie nun einmal ist, in Gemeinschaft zu erhalten und deshalb von dem eigensüchtigen Streben, auf Kosten des andern zu leben, aus der Erkenntnis abläßt, daß ein Kampf aller gegen alle nicht zu einem lebenswerten Leben führt. Auch bei einer institutionalisierten Beteiligung der Verbände kann es also nicht darum gehen, partikuläre Interessen an einem Ge­ samtinteresse auszurichten, sondern es geht in erster Linie darum, die partikularen Interessen zu verdeutlichen und in den Entscheidungs­ prozeß einzubringen. Die institutionalisierte Beteiligung der Verbände an der staatiichen Willensbildung muß deshalb nicht notwendigerweise zu einem Verlust an Attraktivität führen. Eher ist das Gegenteil der Fall, wenn den Verbandsmitgliedern deutlich gemacht wird, daß damit eine besondere Plattform für die Vertretung der Verbandsinteressen geschaffen wird. Freilich müssen dabei auch die Bedeutung der Verbände insgesamt für die staatliche Willensbildung und die Verantwortung eines j eden Inter­ essenträgers für das Wohl und Wehe unseres Gemeinwesens bewußt gemacht werden. Es muß klar sein, daß insoweit auch durch die Gel­ tendmachung der Verbandsinteressen ein „Stück Staat" verwirklicht wird48, wodurch die Verantwortung für die anderen Stücke Staat sichtbar wird. Dies bedingt, daß man es mit Verbandsführern zu tun hat, die selbst die Rolle der Verbände für das politische Gemeinwesen begriffen haben und die gewillt sind, ihren Mitgliedern diese „staats­ tragende" Funktion der Verbände bewußt zu machen und ihnen gegen­ über zu vertreten und damit allzu radikalen Forderungen seitens der Basis entgegenzutreten. Ein Blick auf die gegenwärtige deutsche Verbandsszene, vor allem auf die Gewerkschaften, zeigt, daß der Bewußtseinsstand der Ver48 Vgl. Herbert Krüger, Die Stellung der Interessenverbände in der Ver­ fassungswirklichkeit, in : NJW 1956, S. 1217 ff., 1220.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

bandsführung die Rolle der Verbände für den Staat in weit größerem Umfange erkannt und akzeptiert hat, als der der Mitgliederbasis. Hier muß mit einem Vorurteil aufgeräumt werden, das sich auch noch in der neueren wissenschaftlichen Literatur findet, obwohl es auf einer Plau­ sibilitätserwägung beruht, um deren empirische Bestätigung man sich kaum bemüht hat. Es geht um die Annahme, daß die Radikalisierung von Verbandsforderungen durch die Verbandsspitze und nicht durch die Mitglieder erfolge. Die Plausibilität dieser Annahme wird daraus hergeleitet, daß die Verbandsfunktionäre die Interessenvertretung als Broterwerb betrieben und deshalb, schon um ihre Existenzberechtigung zu rechtfertigen, geneigt seien, ,,noch rücksichtsloser als ihre Mandanten zu sein" 49• So plausibel die Annahme der Radikalisierung der Verbände durch die Verbandsführung sein mag, nach dem empirischen Befund läßt sie sich kaum mehr halten60 . Vielmehr ist eher davon auszugehen, daß die Verbandsführung in der Regel mäßigend auf die Gruppeninteressen und ihre Durchsetzung einwirkt. Gerade das zeigen auch die inner­ gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahre in der Bundesrepublik, angefangen von den wilden Streiks im Herbst 1969, die seither Schule gemacht haben, bis hin zu der ständig spürbareren Aufforderung seitens der Basis, aus der Konzertierten Aktion auszu­ ziehen61 . Alles deutet auf eine Loyalitätskrise zwischen der Führung und der Basis hin. Für die Basis sind die Gewerkschaften weithin schon „Ordnungsfaktoren" geworden. Wer angesichts dieser innergewerkschaftlichen Krise Schadenfreude empfindet, sollte sich daran erinnern, daß es auf eine verantwortungs­ bewußte Verbandsführung für das Funktionieren unseres politischen Systems ankommt und Radikalisierungen, die keinen Verhandlungs­ spielraum mehr zulassen, tunlichst vermieden werden sollten. Zudem führt jeder Loyalitätskonflikt zwischen Mitgliederbasis und Verbands­ spitze nahezu zwangsläufig auch dazu, daß die Verbandsspitze radikaler wird, um den Vertrauensschwund auszugleichen. Die deutlichere Sprache einiger Gewerkschaftsführer in letzter Zeit scheint in diese Richtung zu gehen. Nicht in der institutionalisierten Beteiligung der Verbände liegt also eine Gefahr für die Attraktivität eines Verbandes, sondern in der " Wilhelm Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, 3. Aufl. 1961 ,

s. 209.

so So FTitz W. SchaTpf (Fn. 8), S. 30 mit Anm. 53 ; vgl. die Hinweise bei Stanley Rothman, Systematic Theory : Observations on the Group Approach, in : APSR 1960, S. 15 ff ., 23. 61 Vgl. dazu neuestens die Aufforderung der IG Druck und Papier an den DGB, die Konzertierte Aktion zu verlassen, s. FAZ Nr. 244 vom 21. Oktober 1974 , 2.

s.

III. Gefahren einer Institutionalisierung

41

mäßigenden Haltung der Verbandsführer, die mit der Institutionali­ sierung nicht im Zusammenhang stehen muß. Allerdings setzt die Be­ teiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung einen Ver­ bandsvertreter voraus, der in gewissen Grenzen flexibel sein und Kompromisse abschließen kann52 • Daraus ergibt sich ein mögliches Dilemma der Institutionalisierung. Die Schwierigkeit liegt in der Reali­ sierung der innerverbandlichen Demokratie. Wenn man davon ausgehen kann, daß die Mitglieder in ihren For­ derungen in der Regel radikaler sind als die Verbandsspitze, würde die Verwirklichung der innerverbandlichen Demokratie, verstanden als eine Willensbildung von unten nach oben, mit hoher Wahrscheinlich­ keit dazu führen, daß der Verbandsvertreter bei dem j eweiligen Betei­ ligungsverfahren nur einen geringen oder gar keinen Verhandlungs­ spielraum hätte. Das heißt aber, daß wenigstens im gegenwärtigen Zeitpunkt um so weniger mit Kompromißmöglichkeiten gerechnet wer­ den kann, je ausgebildeter und direkter die innerverbandliche Demo­ kratie ist und umgekehrt der Verhandlungsspielraum eines Verbands­ vertreters um so größer ist, je weniger er von Beschlüssen der Basis abhängt. Wenngleich der Fall in der Praxis kaum vorkommen dürfte, weil auch im innerverbandlichen Bereich Demokratie in der Regel vermittelt ist, zeigt sich doch, daß die Ermächtigung von der Mitglie­ derbasis her für einen Kompromiß oft nur fingiert werden kann, aber nicht real vorhanden ist. In diesem Fall wird die fehlende Ermächti­ gung, die nicht gleichzusetzen ist mit einer fehlenden demokratischen Legitimation, die formal regelmäßig gegeben sein wird, ersetzt durch das Vertrauen darauf, daß derjenige, der an einem Kompromiß mit­ gewirkt hat, diesen Kompromiß auch in seinem Verband kraft seiner Autorität begründen und durchsetzen kann. Die Zustimmung der Ver­ bandsmitglieder wird hier durch eine Genehmigung ersetzt53 • Gerade dieses Dilemma macht deutlich, daß die Verbandsführung alles daran setzen muß, die Rolle des Verbandes im demokratischen Prozeß den Mitgliedern zu erklären. Keinesfalls darf es so sein wie z. B. bei der Konzertierten Aktion, bei der die Nichtöffentlichkeit der Sitzungen u. a. auch darin begründet sein soll, daß die beteiligten Ver­ bandsvertreter ihre Meinung auch gegenüber den eigenen Verbands­ mitgliedern geheimhalten wollen, um innerverbandliche Diskussion 61 Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in : Gisela Kress und Dieter Seng­ haas (Hrsg.), Politikwissenschaft, 3. Aufl. 1971, S. 170 f. betont zu Recht das Erfordernis negotiabler Verbandsziele. 63 Dabei wird vorausgesetzt, daß die innerverbandliche Demokratie ihrem Wesen nach ein freies Mandat der Verbandsvertreter nicht zuläßt; die Bin­ dun� an den Mitgliederwillen muß freilich einen gewissen Verhandlungs­ spielraum belassen.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

und Kritik zu vermeiden54 • Mindestens im Verhältnis Verbandsfüh­ rung-Verbandsmitglieder ist weitgehende Transparenz geboten. Die Durchsetzung eines erzielten Kompromisses gegenüber den Ver­ bandsmitgliedern ist eines der wichtigsten Erfordernisse, das an die Verbandsbeteiligung zu stellen ist. Denn bei dem Interessenausgleich, der unter Mitwirkung der Verbandsvertreter gebildet werden soll, kommt es nicht nur darauf an, daß diese tatsächlich die Interessen ihrer Mitglieder - nur für diese sprechen sie ! - vertreten, sondern daß darüber hinaus davon ausgegangen werden kann, daß der Vertre­ ter für den Verband spricht. Dies muß gerade auch in dem Sinne gel­ ten, daß er den Verband auf die Einhaltung von Kompromissen ver­ pflichten kann. Freilich ist das nicht zivilrechtlich zu verstehen, so als ob aus einer Nichteinhaltung nun Ansprüche hergeleitet werden könn­ ten. Mit dem rechtlichen Instrumentarium sind diese Phänomene nicht angemessen zu erfassen. Hier geht es vielmehr um die politische Glaub­ würdigkeit, um ein Kapital an Vertrauen, das durch jeden Vertrauens­ bruch drastisch verringert wird. Deshalb kann die Frage auch nicht so gestellt werden, ob ein Verbandsvertreter seinen Verband juristisch verpflichten kann, z. B. in dem Sinne, daß Verbandsmaßnahmen, die dem Kompromiß zuwiderlaufen, illegal seien. Es geht hier nicht um rechtliche Zusammenhänge, sondern um sehr viel kompliziertere Ab­ hängigkeiten, bei denen Vertrauen und Zuverlässigkeit eine entschei­ dende Rolle spielen. Wenn einmal ein Verband das Vertrauen der an­ deren durch Nichteinhaltung einer getroffenen Vereinbarung ent­ täuscht hat, wird es künftig schwerer sein, haltbare Kompromisse zu finden, weil auch die anderen Verbandsvertreter sich an die Verbind­ lichkeit nicht mehr so gebunden fühlen könnten. Bei Verbandsvertre­ tern ist eine hohe Konstanz in den Personen festzustellen, praktisch treffen sich fast immer dieselben Verbandspartner. Die gute persön­ liche Kenntnis ist dazu angetan, Vorurteile auch gegenüber dem Ver­ band als solchem abzubauen und das Klima zu schaffen, in dem über­ haupt ein Interessenausgleich möglich ist. Bei solchen Verhandlungen weiß man dann, daß man sich auf die Loyalität des konkreten Ver­ handlungspartners verlassen kann, wie ja überhaupt Vertrauen und Zuverlässigkeit sich in erster Linie mit der Vorstellung von konkreten Personen verknüpfen. Es soll nicht verkannt werden, daß hier die Ge­ fahr der Herausbildung einer „Machtelite" (C. Wright Mills) besteht, aber es ist doch deutlich zu machen, daß die langdauernde Zusammen­ arbeit jeweils derselben Personen aus verschiedenen Lagern eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Möglichkeit eines Interessenaus­ gleichs ist, dem sich alle anschließen können. Es kommt also ganz weu Vgl. Hans Tietmeyer, ,,Konzertierte Aktion" - Konzept,- · Praxis und Erfahrungen, in : Kredit und Kapital, 1969, S. 179 ff., 197.

III. Gefahren einer Institutionalisierung

43

sentlich auf die Persönlichkeiten an, die als Verbandsvertreter fungie­ ren. Von ihnen wird letztlich eine Art doppelter Loyalität verlangt: einmal müssen sich die Verhandlungspartner aus den anderen Ver­ bänden darauf verlassen können, daß sie zu den ausgehandelten Kom­ promissen stehen und sie ihren Verbänden gegenüber vertreten, zum anderen müssen die Verbandsmitglieder davon überzeugt sein können, daß sie im Prozeß des Interessenausgleichs die Verbandsinteressen einbringen und die Mitgliederinteressen nicht um ein Linsengericht preisgeben. Nur wenn diese beiden Loyalitäten angenommen werden können, ist eine gewisse Verbindlichkeit der ausgehandelten Verein­ barungen gesichert. So beunruhigend es für viele sein mag, die sich ein eher technisches Ablaufen politischer Prozesse wünschen möchten, in dem der Einzel­ mensch eine allenfalls bedienende Rolle einnimmt, muß hier auf die Qualität und das Verantwortungsbewußtsein der Verbandsvertreter abgestellt werden, die für das Funktionieren unserer Demokratie we­ sentliche Bedeutung haben66 • Mit den vorstehenden Ausführungen sind die Bedingungen für das praktische Funktionieren des politischen Prozesses aufgezeigt; das Problem der innerverbandlichen Demokratie ist damit noch keiner be­ friedigenden Lösung zugeführt. Wenn davon ausgegangen werden muß, daß die Verbandsmitglieder ihre Interessen radikaler vertreten als die Verbandsführung und außerdem die Kenntnis vom demokratischen Prozeß und seinen Spielregeln bei den Funktionären größer ist als bei den Mitgliedern, wäre eine stärkere Beteiligung der Mitglieder an der Verbandsentscheidung derzeit eher eine Gefahr für die Demokratie, während die Dominanz der Verbandsfunktionäre als demokratieför­ dernd erscheint. Man könnte deshalb auf die Idee kommen, einer zeit­ lich begrenzten „Diktatur der Demokraten" oder „Oligarchie der Demo­ kraten" in den Verbänden das Wort zu reden. Freilich käme es wesent­ lich auf die zeitliche Begrenzung an, da es die dringende Aufgabe der Verbandsführer wäre, bei den Mitgliedern eine Aufgeschlossenheit für die Anforderungen der Demokratie zu wecken. Nunmehr kann auch die Frage eines Verlustes an Attraktivität für die Verbände bei einer institutionalisierten Mitarbeit wenigstens an­ deutungsweise beantwortet werden: je mehr es der Verbandsspitze gelingt, deutlich zu machen, daß gerade eine institutionalisierte Betei­ ligung der Verbände an der Entscheidungsbildung des Staates der Rolle der Verbände im demokratischen Gemeinwesen entspricht und je mehr es dem Staat gelingt, direkte Einflußnahmen, die nicht auf in­ stitutionalisiertem Wege erfolgen, auszuschalten, um so geringer ist die 55 Vgl. dazu auch Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 74. Dasselbe gilt für die Vertreter der Parteien und des Staates.

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1. Teil, A. Verbandsbeteiligung und Institutionalisierung

Gefahr eines Attraktivitätsverlustes, um so größer ist vielmehr die Chance eines Zuwachses an Attraktivität. Freilich setzt das voraus, daß den Mitgliedern eine Absage an radikale, auf den Zusammenhalt des politischen Gemeinwesens im ganzen keine Rücksicht nehmende For­ derungen plausibel gemacht wird, damit grundsätzlich ein Verhand­ lungsspielraum offenbleibt. Wenn aber einsichtig gemacht werden kann, daß gerade in einem solchen Verhandlungsklima die partikularen Interessen letztlich am besten berücksichtigt werden, weil sie mit den anderen abgestimmt werden können, ist nicht zu befürchten, daß Institutionalisierungsmaßnahmen längerfristig den Verbänden zum Schaden gereichen. Im übrigen muß betont werden, daß mit der Erarbeitung formeller Beteiligungsverfahren die Verbände keineswegs in dem Sinne in den Staat inkorporiert werden sollen, daß sie nun verpflichtet wären, Zu­ bringerdienste zu leisten. Institutionalisierungsmaßnahmen können die Verbände nicht zur Teilnahme verpflichten, sie bieten ihnen vielmehr nur die Möglichkeit der Mitarbeit, die sie nutzen können, von der sie aber keinen Gebrauch machen müssen, wenn sie nicht wollen. Wenn man allerdings der Frage nachgeht, ob sich die Verbände be­ teiligen wollen und ob sie dabei eine institutionalisierte Beteiligung anstreben, kann man feststellen, daß alle Verbände auf formalisierte Mitwirkungsmöglichkeiten wert legen. Es gibt zahlreiche dahingehende Äußerungen z. B. des B. d. I. 58 Für die Gewerkschaften kann auf das von ihnen neuerlich vorgelegte Projekt eines Bundeswirtschafts- und So­ zialrates verwiesen werden57 • Aber auch über die Wirtschaftsverbände hinaus wird eine institutionalisierte Beteiligung angestrebt; hier sind z. B. die Bemühungen der kommunalen Spitzenverbände zu erwähnen, die bereits erste gesetzgeberische Fixierungen ihrer Beteiligung er­ reicht haben18• Aus alledem geht hervor, daß die Verbände selbst in der Institutio­ nalisierung offenbar keine Gefahr für ihre Attraktivität sehen, wobei man sich insoweit sicher getrost auf die zutreffende Einschätzung der Lage durch die Verbandsstrategen verlassen kann. Insgesamt sind keine Nachteile ersichtlich, die sich durch eine Insti­ tutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung ergeben könnten". Vgl. den Beleg bei Felix Sand (Fn. 35), S. 73. Vgl. ,,Die Konzeption des DGB zur gesamtwirtschaftlichen Mitbestim­ mung" vom 3. März 1971, abgedruckt in : Das Mitbestimmungsgespräch 1971, s. 70 ff. 68 Vgl. z. B. § 129 Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz vom 14. 12. 1973, § 65 Landkreisordnung für Rheinland-Pfalz vom 14. 12. 1973. 68 Ebenso Hans Ryffel (Fn. 42), S. 171. 58

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I. Grundgesetz und Verbände

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Zweiter Abschnitt

Möglichkeiten und Grenzen einer Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz Im folgenden geht es darum, den verfassungsrechtlichen Rahmen ab­ zustecken. Anhand des Grundgesetzes soll untersucht werden, inwie­ weit eine Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung verfassungs­ rechtlich möglich ist. Dabei wird unterschieden zwischen einer Mitwir­ kung am Inhalt der Gesetzgebung und einer Beteiligung am Gesetz­ gebungsverfahren. Zunächst ist die Stellung der Verbände im Grundgesetz zu beleuch­ ten (1). Anschließend wird kurz auf das grundgesetzlich vorgesehene Gesetzgebungsverfahren eingegangen (II), bevor die Frage erörtert wird, ob es für die Verbände einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beteiligung an der Gesetzgebung (III) gibt. In einem vierten Kapi­ tel wird die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mitwirkung der Verbände an der inhaltlichen Ausgestaltung der Gesetzgebung unter­ sucht (IV), bevor abschließend die Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts zu Stellung und Aufgabe der Verbände kritisch heran­ gezogen wird, soweit sie für die vorliegende Untersuchung von Bedeu­ tung ist (V). I. Grundgesetz und Verbände Anders als die Parteien sind die Verbände im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt; ihnen ist nicht wie den Parteien in Art. 21 GG eine besondere Stellung zugewiesen worden, die ihrer tatsächlichen Bedeutung für das Funktionieren von Gesellschaft und Staat ange­ messen wäre. Dieser Tatbestand ist oft bedauert worden, wobei in der Regel darauf hingewiesen wird, daß den Verbänden damit heute das gleiche Schicksal widerfahre wie vor Erlaß des Grundgesetzes den Parteien80 • Wie damals die Parteien müßten heute die Verbände im extrakonstitutionellen Bereich operieren, da ihnen die verfassungs­ rechtliche Legitimation fehle8 1 • Die Nichterwähnung der Verbände im Grundgesetz bezieht sich freilich nur auf ihre Stellung in Staat und Gesellschaft. Es ist keines­ wegs so, daß die Verbände für ihre Existenz keine Verankerung im Grundgesetz haben. Allerdings werden, und das ist der Ausgangspunkt •0 Vgl. z. B. Herbert Krüger, Der Bundeswirtschaftsrat in verfassungspoli­ tischer Sicht, in : DÖV 1951, S. 545. • 1 So Theodor Maunz, in: Maunz / Dürig / Herzog, Grundgesetz 1970, Rdnr. 14 zu Art. 9 GG.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

der Kritik, die „Gründung und Existenz der Verbände . . . vom Grund­ gesetz als reines Grundrechtsproblem verstanden" 62 • Grundgesetzlicher Ausgangspunkt für die Verbände ist die in Art. 9 GG niedergelegte Vereinigungsfreiheit. Über die Vereinigungsfreiheit ist die Existenz der Verbande grundgesetzlich abgesichert. Der Vereinigungsfreiheit kommt damit für eine pluralistische, demokratische Ordnung eine ent­ scheidende Schlüsselfunktion zu. Hier ist, worauf zu Recht hingewiesen wird, ein allgemeines „Aufbauprinzip der Gesellschaft" (Maunz) fest­ gelegt. Danach soll die Gesellschaft der Bundesrepublik weder nach Art einer ständischen Ordnung noch im Sinne eines vom Staat diktier­ ten Einförmigkeitsideals organisiert werden63 ; sie soll vielmehr auf den freiwilligen Zusammenschlüssen aufbauen64 • Neben der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 GG66 ist die verfassungs­ rechtliche Stellung der Verbände vor allem auch bestimmt durch Art. 19 Abs. 3 GG, wonach die Grundrechte auch für inländische ju­ ristische Personen gelten, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese an­ wendbar sind. Da es sich bei vielen Verbänden um juristische Personen handelt, ist damit die Anwendbarkeit der meisten Grundrechte für die Verbände gewährleistet. Einer besonderen Begründung bedarf allerdings die Geltung der Grundrechte bei Verbänden, die keine juristischen Personen darstellen. Dies gilt z. B. für Gewerkschaften, die bei ihrer Gründung auf die Form des nichtrechtsfähigen Vereins angewiesen waren66 , sowie für alle Gruppierungen, die sich nicht oder noch nicht als juristische Per­ sonen konstituiert haben. Es besteht Einigkeit darüber, daß den nicht­ rechtsfähigen Verbänden gleichfalls Grundrechtsfähigkeit beikommt67 • Bei dieser Einmütigkeit hinsichtlich des Ergebnisses sind die verschie­ denen Begründungen zweitrangig. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Grundrechtsfähigkeit in diesem Falle bereits deshalb bejaht werden 62 So Theodor Maunz (Fn. 61), ebd. Zu der Kritik an der Behandlung der Verbände im GG s. Roman Herzog, Art. Grundgesetz, in : Evangelisches Staatslexikon, Sp. 7 14. 63 So Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepu­ blik Deutschland, 6. Aufl. 1973, S. 166. 64 Es geht also um „Assoziationen" im Gegensatz zu „Korporationen", vgl. dazu Konrad Hesse (Fn. 63), S. 8/9 ; eingehend Friedrich Müller, Korporation und Assoziation, 1965, S. 15 ff. 65 Zu Einzelheiten, die sich aus der Vereinigungsfreiheit, vor allem aus Art. 9 Abs. 3 GG, für einen eventuellen Anspruch der Verbände auf Beteili­ gung ergeben könnten, s. u. S. 55 ff. 66 Dies hatte seinen Grund darin, daß nach § 61 Abs. 2 BGB alter Fassung die Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung eines Vereins Einspruch er­ heben konnte, wenn dieser politische oder sozialpolitische Zwecke verfolgte. Somit wurden damals die Vereine einer „politischen Kontrolle" unterzogen, vgl. Staudinger / Coing, BGB, 11. Aufl. 1957, Rdnr. 1 zu § 54 BGB. 67 Vgl. BVerfGE 4, S. 7 ff., 12 allerdings ohne Begründung; BVerfGE 10, s. 89 ff., 99.

I. Grundgesetz und Verbände

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muß, weil die Mitglieder dieser Verbände Grundrechtsträger sind68, oder ob eine analoge Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG auch für Verbände erwogen wird, die nicht juristische Personen sind60, oder ob man die Grundrechtsfähigkeit unmittelbar aus Art. 9 Abs. 1 GG herleitet mit dem Hinweis, daß den aufgrund der Vereinigungsfreiheit entstandenen Verbänden notwendigerweise auch Grundrechtsfähigkeit zukomme, wenn die Ziele der Vereinigungsfreiheit erreicht werden sollen, und daß die Rechtsfähigkeit für die Stellung und Wirkungs­ weise der Verbände keinen Unterschied mache70 . Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, daß sowohl die rechts­ fähigen wie auch die nichtrechtsfähigen Verbände eine durch die For­ mel des Art. 19 Abs. 3 GG begrenzte weitgehende Grundrechtsfähig­ keit besitzen71 . Wir können demnach festhalten, daß die grundrechtliche Stellung der Verbände zwar zureichend umschrieben ist; sie gibt aber für die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung bzw. am Gesetzge­ bungsverfahren unmittelbar nur wenig her72 . Der besonderen Bedeu­ tung der Verbände für die politische Willensbildung ist damit nicht Rechnung getragen. Vorschriften in dieser Richtung finden sich nur im sekundären Verfassungsrecht, in den Geschäftsordnungen oberster Bundesorgane, und hier eher im Sinne einer administrativen Ord­ nung73 als einer Einräumung legitimer Mitwirkungsbefugnisse. Die Nichtberücksichtigung der besonderen Stellung der Verbände durch das Grundgesetz darf nicht zu der Annahme führen, daß deshalb eine Betätigung der Verbände an der politischen Willensbildung des Volkes oder eine Beteiligung an der Gesetzgebung verfassungswidrig seien. Aus dem Schweigen des Grundgesetzes ist nicht auf die Verfas­ sungswidrigkeit diesbezüglicher Verbandsbetätigungen zu schließen. Vielmehr ist von ihrer prinzipiellen Zulässigkeit auszugehen, soweit dadurch nicht in die Rechte von Verfassungsorganen eingegriffen wird und die grundgesetzliche Ordnung gewahrt bleibt. So der Abgeordnete Dr. Heuß, vgl. JÖR NF B. 1, S. 181. Vgl. Klaus-Jürgen Lange, Die Rechtsstellung der Interessentenverbände 1966, s. 97 ff. 7 0 So Günter Dürig, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 55 und 56 zu Art. 19. 71 Für die Einzeldarstellung kann auf bereits vorliegende Untersuchungen verwiesen werden, vgl. vor allem Gerhard W. Wittkämper, Grundgesetz und Interessenverbände, 1963, S. 80 ff. ; Klaus-Jürgen Lange (Fn. 69), S. 95 ff. je­ weils m. w. N. 72 Die Verbände haben grundrechtlich eine den Einzelpersonen vergleich­ bare Position, die das Petitionsrecht einschließt, ein in unserem Zusammen­ hang durchaus bedeutendes Grundrecht. 73 Vgl. Ulrich Scheuner, Politische Repräsentation und Interessenvertre­ tung, in : DÖV 1965, S. 578 und unten S. 74 ff. 98

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

Die Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes stellt insbesondere keine Beeinträchtigung der Parteien dar, da diesen über den Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gerade kein Willensbildungsmonopol eingeräumt wurde. Aus der Formulierung, daß die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, geht vielmehr aus­ drücklich hervor, daß es sich um eine Mitwirkung neben anderen Gruppen und Institutionen handelt, also gerade nicht um ein Monopol.

II. Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz Das Gesetzgebungsverfahren ist im Grundgesetz in den Art. 76 - 82 GG normiert. Art. 76 Abs. 1 GG regelt abschließend das Gesetzesinitia­ tivrecht74 . Gesetzesvorlagen werden danach beim Bundestag durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bun­ desrat über die Bundesregierung eingebracht. Während die Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages un­ mittelbar bei diesem eingebracht werden, ist für die Vorlagen von Bundesregierung und Bundesrat ein besonderes Verfahren vorgesehen. Vorlagen der Bundesregierung sind zunächst dem Bundesrat zuzu­ leiten, der berechtigt ist, innerhalb von sechs Wochen zu diesen Vorla­ gen Stellung zu nehmen. Nur Vorlagen, die als eilbedürftig bezeichnet werden, können nach drei Wochen dem Bundestag zugeleitet werden, auch wenn die Stellungnahme des Bundesrates noch nicht vorliegt; diese ist aber unverzüglich nach Eingang nachzureichen, Art. 76 Abs. 2 GG. Vorlagen des Bundesrates sind dem Bundestag durch die Bundes­ regierung binnen drei Monaten zuzuleiten, die dabei ihre Auffassung darzulegen hat, Art. 76 Abs. 3 GG. Neben der Bestimmung der Initiativberechtigten und der Art der Einbringung ist in Art. 77 GG das Verfahren bei Gesetzesbeschlüssen geregelt. Danach werden die Bundesgesetze vom Bundestag beschlos­ sen. Nach ihrer Annahme sind sie durch den Präsidenten des Bundes­ tages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten. Das weitere Verfahren hängt davon ab, ob es sich um ein Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz handelt. Die Einzelheiten sind in Art. 77 Abs. 2 - 4 GG geregelt. Wenn das Gesetz i. S. des Art. 78 GG zustande gekommen ist, wird es vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundes­ gesetzblatt veröffentlicht, Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG75. 7' Die Frage, ob außer den hier Genannten auch das Volk im Falle des Art. 29 GG Gesetzesinitiativrecht habe, ist umstritten (vgl. bejahend z. B. Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 1 zu Art. 76; ver­ neinend z. B. Andreas Hamann und Helmut Lenz, Grundgesetz, 3. Aufl. 1970, Anm. 3 zu Art. 76), für unseren Zusammenhang aber ohne Interesse. 75 Auf die Fälle der Art. 79 und 81 GG braucht hier nicht näher eingegan­ gen zu werden.

II. Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Grundgesetz

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Aus der Darstellung des grundgesetzlich geregelten Gesetzgebungs­ verfahrens wird deutlich, daß hierdurch lediglich ein verfahrensmäßi­ ger Rahmen abgesteckt wird. Im Grundgesetz werden neben der Be­ stimmung derer, die Vorlagen einbringen können, nur die verfahrens­ mäßigen Stationen von der Einbringung bis zum Zustandekommen geregelt und auch insoweit nur die hauptsächlichen Stationen. Die Einzelheiten des Verfahrens finden sich nicht im Grundgesetz, sondern in den Geschäftsordnungen der beteiligten obersten Bundesorgane, auf die ebenso noch einzugehen sein wird wie auf die tatsächliche Praxis des Gesetzgebungsverfahrens76 • Mit der Beschränkung auf die Zeitspanne ab Einbringung des Ge­ setzentwurfes verzichtet das Grundgesetz auf jede Regelung dahin­ gehend, wie ein Gesetzentwurf zustande kommt77 • Vielmehr wird ledig­ lich das Endstadium des staatlichen Willensbildungsprozesses verfah­ rensmäßig festgelegt78• Für die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung bzw. am Ge­ setzgebungsverfahren ergeben sich aus dieser Regelung des Gesetzge­ bungsverfahrens einige Folgerungen. So zeigt sich, daß den Verbänden für ihre Beteiligung an der Ent­ stehung des Gesetzentwurfes von der Regelung des Gesetzgebungsver­ fahrens im Grundgesetz her j edenfalls keine Hindernisse im Wege ste­ hen, weshalb der Gesetzgeber hierdurch nicht an der Aufnahme von Beteiligungsregelungen gehindert wäre. Durch die abschließende Auf­ zählung des Kreises derjenigen, die Vorlagen einbringen können, ist klargestellt, daß den Verbänden ohne Verfassungsänderung kein Ge­ setzesinitiativrecht gegeben werden kann. Aus diesem Grunde wäre etwa die Einführung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates mit dem Recht der Gesetzesinitiative nur über eine Grundgesetzänderung, nicht aber über ein einfaches Gesetz möglich. Mit der Bestimmung des Ini­ tiativberechtigten ist aber nicht j ede Mitwirkung an der Ausarbeitung einer Gesetzesinitiative für unzulässig erklärt; eine solche Auslegung würde nämlich dazu führen können, j ede Beteiligung an den Vorar­ beiten für ein Gesetz, wenigstens soweit sie als Anspruch auf Beteili­ gung ausgestaltet wäre, als Beeinträchtigung des Initiativrechts anzu­ sehen und damit für verfassungswidrig zu erklären. Demgegenüber enthält aber Art. 76 GG keine materielle, sondern eine formelle Rege­ lung. Art. 76 GG bestimmt lediglich, wer berechtigt ist, die Vorlagen einzubringen, ohne zu entscheiden, daß der Gesetzesentwurf aus71 s. dazu Ludger Anselm Versteyl, Der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung, 1972, S. 24 ff., 32 ff. sowie unten S. 74 ff. 77 So auch Gerhard W. Wittkämper (Fn. 71), S. 175. 78 Vgl. Hans-Joachim Konrad, Parlamentarische Autonomie und Verfas­ sungsbindung im Gesetzgebungsverfahren, in : DÖV 1971, S. 80.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

schließlich von den einbringenden Organen vorbereitet worden ist. Es geht eben nur um die Bestimmung desjenigen, der den Schlußpunkt unter den Willensbildungsprozeß setzen darf. Freilich ist damit noch nichts darüber ausgesagt, ob es einen verfas­ sungsrechtlichen Anspruch der Verbände auf Beteiligung gibt oder, wenn man das verneinen müßte, ob es möglich wäre, den Verbänden einen solchen Anspruch durch Gesetz oder Geschäftsordnung einzu­ räumen ohne gegen andere verfassungsrechtlich geschützte Positionen zu verstoßen, z. B. gegen die Parlamentsautonomie. Wenn man zwischen Gesetzgebung und Gesetzgebungsverfahren un­ terscheidet und dabei unter Gesetzgebung den Inhalt von Gesetzen versteht und unter Gesetzgebungsverfahren den verfahrensmäßigen Ablauf vom Einbringen der Vorlage bis zum Zustandekommen des Gesetzes, ist durch die Regelung der Art. 76 ff. GG den Verbänden eine Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren verwehrt. Umgekehrt ist ihnen eine Beteiligung am Inhalt der Gesetzgebung, auch soweit es um inhaltliche Fragen auf den jeweiligen Stufen des Gesetzgebungsverfah­ rens geht, durch Art. 76 ff. GG jedenfalls nicht verboten worden, so daß insoweit eine Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bestehen bleibt. III. Zur Frage eines verfassungsrechtlichen Anspruchs der Verbände auf Beteiligung an der Gesetzgebung

Die Frage nach einem verfassungsrechtlichen Anspruch der Verbände auf Beteiligung an der Gesetzgebung ist für die weitere Untersuchung von entscheidender Bedeutung. Würde sie zu bejahen sein, dann wäre damit gleichzeitig auch die Frage entschieden, ob eine Beteiligung zu institutionalisieren wäre, und es käme nur noch darauf an zu unter­ suchen, in welchen Formen und in welchem Umfang die Mitwirkung zu realisieren wäre. Soweit ersichtlich, ist ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Be­ teiligung bisher gestützt worden auf das rechtliche Gehör im Gesetz­ gebungsverfahren79, auf das Demokratieprinzip80 und, im speziellen Fall der Beteiligung der Spitzenorganisationen der zuständigen Be79 Vgl. Sigurd Schacht, Das rechtliche Gehör im Gesetzgebungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Verbände, 1969 ; Dagobert Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972, S. 79; ähnlich Uwe Krüger, Der Adressat des Rechtsgesetzes, 1969, S. 72 ; Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 623.

eo Vgl. die Andeutungen in dieser Richtung bei Werner Thieme, Empfiehlt es sich das Beamtenrecht unter Berücksichtigung der Wandlungen von Staat und Gesellschaft neu zu ordnen?, Gutachten D zum 48. Deutschen Juristen­ tag, 1970, S. 25.

III. Verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch der Verbände

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amtengewerkschaften bei der Vorbereitung beamtenrechtlicher Rege­ lungen, auf Art. 9 Abs. 3 GG z. T. i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip81 • 1. Rechtliches Gehör Die Auffassung, die den Beteiligungsanspruch auf das rechtliche Gehör stützt, geht davon aus, daß sich aus dem Rechtsstaatsprinzip für jeden das Recht ableiten lasse, an einer ihn betreffenden Gesetz­ gebung mitzuwirken. Aus Praktikabilitätsgründen werde dieses Recht von den Verbänden subsidiär für die einzelnen ausgeübt. Diese Ansicht vermag weder in ihrer Begründung noch in den von ihr selbst gezoge­ nen Konsequenzen zu überzeugen. Das Recht auf rechtliches Gehör ist in der Verfassung ausdrücklich festgehalten in Art. 103 Abs. 1 GG. Dort wird die Pflicht zur Gewäh­ rung rechtlichen Gehörs aber nur für Gerichte bestimmt. Es ist aner­ kannt, daß wegen der ausdrücklichen Bestimmung in Art. 103 Abs. 1 GG diese Vorschrift weder direkt noch im Wege der Analogie auf an­ dere Verfahren angewendet werden kann82 • Im Verwaltungsverfahren wird ein Anspruch auf rechtliches Gehör unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip mittlerweile weithin bejaht. Damit ist aber für die Anwendung auf das Gesetzgebungsverfahren noch nichts gesagt89 • Es entspricht dem Rechtsstaatsprinzip, dem einzelnen einen Anspruch auf rechtliches Gehör in allen Fällen zu geben, in denen in einem Verfahren die Staatsmacht dem einzelnen gegenübertritt und Beein­ trächtigungen seiner Rechtsposition zu befürchten sind. Dies kann prin­ zipiell auch gegenüber der Legislative zur Anwendung kommen, so­ weit Verfahren vorliegen, in denen sie dem einzelnen als Staatsmacht gegenübertritt, wie etwa bei Untersuchungsausschüssen84• Im Gesetz­ gebungsverfahren liegt aber die spezifische Situation, die zum An­ spruch auf rechtliches Gehör führt, nicht vor. Hier handelt es sich darum, daß der durch allgemeine Wahlen dazu legitimierte Bundestag ein Gesetz beschließt. Die Ausübung der Staatsmacht manifestiert sich 81 So z. B. Heinrich Nilges, Das Beteiligungsrecht der Beamtenkoalitionen bei der Regelung der beamtenrechtlichen Verhältnisse, 1964, S. 41 ; dazu jetzt grundlegend Hans-Werner Laubinger, Beamtenorganisationen und Gesetz­ gebung, 1974, S. 398 ff. 82 H. M. vgl. z. B. Günter Dürig, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 92 zu Art. 103. 88 Insoweit mißverständlich Andreas Hamann und Helmut Lenz (Fn. 74), Anm. 26 zu Art. 103, die einen Anspruch auf rechtliches Gehör gegenüber der Legislative befürworten, aber wohl nur für die Fälle, in denen die Legislative gerichtsähnlich auftritt. Von daher erklärt sich die Bezugnahme auf die Untersuchungsausschüsse. 84 So etwa die Richtung bei Andreas Hamann und Helmut Lenz (Fn. 74), Anm. 2 c zu Art. 103.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

erst im Vollzug des Gesetzes, in der Anwendung auf den Einzelfall. Man kann allenfalls sagen, daß die vielfältigen Formen der Anhörung und weiteren Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung zwar in ihrer Wirkung dem rechtlichen Gehör ähneln85, einen verfassungs­ rechtlichen Anspruch vermögen sie aber nicht zu begründen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß es eine verfassungsrechtlich begründete Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs im Gesetzgebungsverfahren nicht gibt88• überzeugt damit diese Auffassung schon nicht in grundsätzlicher Hinsicht, ist die Ausgestaltung des Anspruchs noch weniger einsichtig. Im Anschluß an Günther Küchenhoff wird zwischen vier Stufen der Beteiligung durch Rat entschieden : fakultativer Rat, einfacher obliga­ torischer Rat, obligatorischer Rat mit absolutem Veto, obligatorischer Rat mit begrenzter Entscheidungsteilhabe87 • Die beiden letzten Mög­ lichkeiten scheiden aus, da sie der im Grundgesetz geregelten Gesetz­ gebungskompetenz widersprechen würden. Die erste Alternative würde, weil fakultativ, keinen Anspruch darstellen88 • Verbleibt also nur die zweite Möglichkeit, nach der sich eine Verpflichtung ergeben würde, die betroffenen Verbände zu beteiligen. Diese Verpflichtung, die von dieser Ansicht im Prinzip bejaht wird, wird aber durch zwei Faktoren eingeschränkt, die ihr j ede Verbindlich­ keit nehmen. Einmal soll die Auswahlbefugnis den j eweils zuständigen staatlichen Organen und Stellen zustehen89, wobei ein Klagerecht bei Nichtberücksichtigung nicht gegeben werden soll96 • Zum anderen soll eine nichterfolgte Beteiligung nach dem Grundsatz „lex posterior dero­ gat legi priori" sanktionslos bleiben, sofern das Gesetz zustandegekom­ men ist. Gerade der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori" könnte aber nicht herangezogen werden, wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör im Gesetzgebungsverfahren auf Verfassungsrecht beruhen würde. Denn durch nachfolgendes einfaches Recht könnte jedenfalls kein Verfassungsrecht derogiert werden. Vielmehr würde sich die Frage stellen, ob das Gesetz in verfassungswidriger Weise zustande­ gekommen wäre und welche Konsequenzen das hätte. Die hier abgeVgl. Uwe Krüger (Fn. 79), S. 74. H. M. vgl. Gerd Roellecke, Politik und Verfassungsgerichtsbarkeit, 1961, S. 1 1 1 ; Bruno Schmidt-Bleibtreu und Franz Klein, Kommentar zum Grund­ gesetz, 3. Aufl. 1973, Rdnr. 6 a zu Art. 103. 87 Vgl. Günther Küchenhoff, Die Betriebsräte als Räte im Betriebe - ein Beitrag zum Ratsgrundsatz im Verfassungsrecht, in : RdA 1962, S. 370 ff. 88 Es steht hierbei „im Belieben des Entscheidenden, ob er den Rat über­ haupt in Anspruch nehmen will", vgl. Sigurd Schacht (Fn. 79), S. 68. 89 Sigurd Schacht (Fn. 79), S. 1 18. 00 Si urd Schacht (Fn. 79), S. 143. g 85 86

III. Verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch der Verbände

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lehnte Auffassung weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, daß nur eine Verletzung der im Grundgesetz niedergelegten Re:.. geln zum Gesetzgebungsverfahren ein Gesetz verfassungswidrig ma­ chen könne9 1 . Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei der Annahme einer Verletzung des Gesetzgebungsverfahrens zu­ rückhaltend92 . Die Nichtberücksichtigung eines Beteiligungsanspruches im dargelegten Sinne würde danach wohl nicht als verfassungswidrige Verletzung des Gesetzgebungsverfahrens anerkannt93 . Zieht man diese praktischen Vorbehalte und Einschränkungen in Betracht, dann kann von einem Anspruch auf Beteiligung schlechterdings nicht mehr ge­ sprochen werden. Zum Anspruch gehört wesensmäßig die Durchsetz­ barkeit. Klaglose Ansprüche gibt es nicht9'. Wir können demnach festhalten, daß ein verfassungsrechtlicher Be­ teiligungsanspruch der Verbände nicht auf den Grundsatz des rechtli­ chen Gehörs gestützt werden kann95 . 2. Demokratieprinzip

Ein Beteiligungsanspruch soll sich auch aus dem Demokratieprinzip herleiten lassen. Dazu wird darauf hingewiesen, daß es in der Demo­ kratie auf einen möglichst breiten Konsens zwischen Herrschenden und Beherrschten ankomme. Die Demokratie nach dem Grundgesetz sei auf die Herstellung eines sozialen Kompromisses angelegt, weshalb bei der Gesetzgebung eine möglichst große Übereinstimmung mit den Betroffenen gesucht werden müsse96 • Diese abstrakte Herleitung wird konkretisiert durch einen Hinweis auf Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Da die Gesetzesadressaten der eigentliche Souverain seien, müsse der Gesetzgeber berücksichtigen, daß er bei der Gesetzgebung die Staatsgewalt „für und über" (jeweils im Orig. kursiv) ihren eigentlichen Träger ausübe. Deshalb könne die Mitwirkung der Betroffenen an der Gesetzgebung auch als „Anliegen des demokratischen Rechtsstaats" angesehen werden97 • 91 So Sigurd Schacht (Fn. 79), S. 70. 91 Vgl. z. B. BVerfG 29, S. 221 ff., 233/234. 93 So Bruno Schmidt-Bleibtreu und Franz Klein (Fn. 86), Rdnr. 6 a zu Art. 103. 94 Wobei man freilich nicht an Begriffen hängen sollte. Für das Zivilrecht h. M. vgl. z. B. Enneccerus I Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1960, § 222 II 5, S. 1367. 95 So auch ausdrücklich BVerfG, in : DOV 1974, S. 485, allerdings ohne nähere Begründung; es wird lediglich darauf verwiesen, daß eine Anwen­ dung des Art. 103 GG schon nach dem Wortlaut nicht in Frage kommt. 98 So Werner Thieme (Fn. 80) für die Beamtenorganisationen, freilich ohne. ausdrücklich von einem verfassungsrechtlichen Anspruch zu sprechen. 97 Vgl. Uwe Krüg.er (Fn.. 79), S. 73; der aber ausdrücklich die verfassungs­ rechtlich zugewiesenen Gesetzgebungskompetenzen nicht antasten will.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

Auch diese Versuche einer Begründung eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung vermö­ gen nicht zu überzeugen, zumal sie bisher nur angedeutet, aber nicht konsequent zu Ende gedacht sind. Soweit vom Demokratieprinzip aus­ gegangen wird, wird dem Grundgesetz ein Bild von Demokratie unter­ legt, dem z. B. die eindeutige Zuweisung der Gesetzesinitiativrechte widerspricht. Keinesfalls kann man dem Grundgesetz entnehmen, daß die Übereinstimmung mit den Betroffenen zu Lasten einer sachlich richtigeren Entscheidung gehen dürfe, und daß hier eine Grenze für die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers liege. Was den Hinweis auf Art. 20 GG angeht, könnte man gerade vom demokratischen Rechts­ staat aus, wie er im Grundgesetz zum Ausdruck gekommen ist, zu dem Ergebnis gelangen, daß die Beteiligung der Betroffenen an der Ge­ setzgebung keineswegs den im GG niedergelegten demokratischen Anforderungen entspricht. Denn die Staatsgewalt, deren Träger das Volk ist, wird von diesem in den Organen der gesetzgebenden, regie­ renden und rechtsprechenden Gewalt ausgeübt. Durch diese Formulie­ rung wird eine Beteiligung einzelner Bürger oder Gruppen an der Gesetzgebung eher ausgeschlossen als gefordert. Jedenfalls begründen weder das demokratische Prinzip noch Art. 20 GG einen Anspruch auf Beteiligung nichtstaatlicher Gruppierungen an der Gesetzgebung. Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zur Legitimität der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung in der parla­ mentarischen Demokratie, die oben festgestellt wurde. Die legitime Verbandsbeteiligung muß die Unabhängigkeit der staatlichen Organe respektieren ; damit ist die Annahme eines generellen verfassungs­ rechtlichen Beteiligungsanspruchs, der gegebenenfalls durchsetzbar sein müßte, nicht zu vereinbaren. 3. Sonderfall: Beamtenverbände

Für den Sonderfall der Beteiligung der Beamtenverbände und -ge­ werkschaften an der Gesetzgebung ist ein verfassungsrechtlicher An­ spruch aus Art. 9 Abs. 3 GG, z. T. unterstützt durch die Berufung auf das Sozialstaatsprinzip, hergeleitet worden98 • Danach sollen die gesetz­ lichen Regelungen des Beteiligungsrechtes der Beamtenverbände in Bund und Ländern, §§ 94 BBG usw., nur deklatorischer Ausdruck des verfassungsrechtlich Geregelten sein99 • Vgl. Heinrich Nilges (Fn. 81). Heinrich Nilges (Fn. 81), S. 98/99 ; a. A. Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 403, nach dem Art. 9 Abs. 3 GG den Beamtenorganisationen nicht unmit­ telbar ein subjektives Recht auf Beteiligung einräumt, sondern den Gesetz­ geber verpflichtet, Vorschriften über die Mitwirkung der Beamtenorganisa­ tionen zu erlassen. 98 99

III. Verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch der Verbände

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Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Koalitionsfreiheit, die auch für Beamtenkoalitionen gilt und die Betätigung von Koalitionen garan­ tiert. Da aber den Beamtengewerkschaften der Abschluß von Tarif­ verträgen verwehrt sei, könne die Betätigungsgarantie nur dazu füh­ ren, den Beamtenkoalitionen ein Beteiligungsrecht an den allgemeinen beamtenrechtlichen Regelungen zu geben. Damit sei Art. 9 Abs. 3 GG die Grundlage des Beteiligungsrechts. Die Argumentation läuft letztlich darauf hinaus, daß den Koalitionen das Recht eingeräumt werden müsse, auf ihre Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Einfluß zu neh­ men, auch gegenüber dem Gesetzgeber. Es ist zu beachten, daß eine solche Argumentation für alle Koalitio­ nen Geltung beanspruchen müßte. So wird im Bereich der arbeits­ rechtlichen Koalitionen zwar vieles durch Tarifverträge geregelt, we­ sentliche Fragen werden aber auch hier durch den Gesetzgeber ent­ schieden. Hier sind beispielhaft so heterogene Materien wie der Mut­ terschutz, Kündigungsschutz, die Betriebsverfassung u. ä. zu nennen, die eben nicht durch Tarifverträge, sondern durch Gesetz entschieden werden. Das wirft die Frage auf, ob in diesen Fällen auch den arbeits­ rechtlichen Koalitionen ein Beteiligungsanspruch eingeräumt werden müßte. Art. 9 Abs. 3 GG gilt darüber hinaus seinem Wortlaut nach aber auch für alle anderen Vereinigungen, sofern sie sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bilden 100 • Hier wäre zu denken an Zusammenschlüsse von Medizinern, von Hochschul­ lehrern, von Gewerbetreibenden o. ä. 101 • Konsequenterweise müßte auch in allen diesen Fällen ein Beteiligungsanspruch erwogen werden. Mit der Verdeutlichung dieser Konsequenzen ist freilich die Ent­ scheidung darüber, ob die Auffassung zutrifft, die den Beamtenkoali­ tionen einen verfassungsrechtlichen Beteiligungsanspruch an den all­ gemeinen beamtenrechtlichen Vorschriften gibt, noch nicht getroffen. Für die arbeitsrechtlichen Koalitionen wird ein Anspruch auf Betei­ ligung an der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung, der aus Art. 9 Abs. 3 GG fließen würde, nur vereinzelt vertreten102 • Für andere Vereinigungen, 100 So Andreas Hamann und Helmut Lenz (Fn. 74), Anm. 8 a zu Art. 9 m. w. N. ; allerdings wird in der Literatur Art. 9 Abs. 3 GG z. T. nur auf die Koalitionen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezogen, vgl. Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 96 zu Art. 9, weshalb Wirt­ schaftsverbände und Kartelle nicht darunter fallen sollen, da Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kumulativ zu verstehen sind, vgl. Ingo von Münch, in : BK-Zweitbearbeitung, Rdnr. 122 zu Art. 9. 101 Andreas Hamann und Helmut Lenz (Fn. 74), Anm. 8 a zu Art. 9 nennen als Beispiel auch Verbraucherorganisationen. ioz Vgl. die Nachweise bei Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 357 f., wobei nicht von einem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beteiligung gespro­ chen wird. Zweifelnd Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 361.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

die sich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbe­ dingungen bilden, wird eine Beteiligung unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 3 GG nirgends erwogen. Dabei ist nicht zu bestreiten, daß z. B. die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren die Belange der Anwälte einschneidend berührt103 ; für andere Bereiche gilt ähnliches. Sowohl für die arbeitsrechtlichen Koalitionen wie für andere Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist aber ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Beteiligung aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht ersichtlich. Wenn man auf die Vergleichbarkeit der Beamtenorganisationen mit den arbeitsrechtlichen Koalitionen abstellen will, dann ohnehin nur für den Bereich, auf den sich für die arbeitsrechtlichen Koalitionen die Garantien des Art. 9 Abs. 3 GG beziehen. Mit der h. M. ist davon auszu­ gehen, daß es den Beamten und ihren Organisationen verwehrt ist, ihre Arbeitsbedingungen „durch Abschluß von Tarifverträgen und not­ falls unter Zuhilfenahme von Streiks zu ordnen" 104 ; der verfassungs­ rechtliche Beteiligungsanspruch wird als Kompensation für die ausge­ schlossenen Betätigungsmittel der Beamtenkoalitionen angesehen. Die­ ser Ersatz darf aber nicht über die durch die Betätigungsfreiheit der arbeitsrechtlichen Koalitionen eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit hinausgehen; er ist auf das begrenzt, was im Rahmen der Tarifauto­ nomie erreicht werden kann. Man kann die Auffassung vertreten, daß ein verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch an der sie betreffenden Gesetzgebung die Beam­ tenverbände weit besser stellt als die arbeitsrechtlichen Koalitionen; denn während in Tarifverhandlungen partikuläre Interessen aufein­ anderprallen, geht es bei der Gestaltung der beamtenrechtlichen Rege­ lungen um die Festlegung eines Gesamtinteresses, an dem die Sonder­ interessen der Beamtenverbände mitwirken können. Hier liegt ein we­ sentlicher Unterschied, der noch besonders dadurch akzentuiert wird, daß die Vorschriften in der Regel von Beamten selbst ausgearbeitet werden und daß im Bundestag und in den zuständigen Ausschüssen Beamte als Abgeordnete vertreten sind. Die Ausgangssituation einer Beteiligung im Gesetzgebungsverfahren dürfte daher besser sein als in einem tarifvertraglichen Verfahren. Außerdem kann man fragen, ob die Versagung von Tarifautonomie und Streikrecht nicht durch den besonderen Status der Beamten auf­ gewogen werden. 103 Vgl. dieses Beispiel bei Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 361, der aber z. B. Anwaltsvereine nicht als Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG ansieht, vgl. S. 334. 1 04 So Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 398.

III. Verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch der Verbände

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Es ist deshalb zweifelhaft, ob der Anspruch auf koalitionsmäßige Betätigung tatsächlich für die Beamten den Anspruch auf eine be­ stimmte Beteiligungsform begründet. Davon könnte man jedenfalls nur sprechen, wenn die Beamtenkoalitionen sonst keine Betätigungs­ möglichkeit zur Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen hätten und die Beteiligung an der Gesetzgebung die einzige Möglichkeit der Betätigung wäre. Davon kann aber keine Rede sein. Auch die Be­ amtenkoalitionen können, von Tarifvertrag und Streikrecht abgesehen, die ihnen aufgrund der hergebrachten Grundsätze des Beamtentums, Art. 33 Abs. 5 GG, verwehrt sind, alle Möglichkeiten der Betätigung ausschöpfen, z. B. Beeinflussung der öffentlichen Meinung, Eingaben an Regierung und Parlament, Mitwirkung in der Personalvertretung usw. Es ist aus Art. 9 Abs. 3 GG keine verfassungsrechtliche Notwen­ digkeit dafür ersichtlich, eine darüber hinausgehende Betätigung zu garantieren, da die Betätigungsfreiheit der Beamtenkoalitionen aus­ r eichend gewährleistet ist. Nur wenn die Betätigungsfreiheit über die 1:1ich aus Art. 33 Abs. 5 GG ergebenden Modifikationen hinaus einge­ schränkt wäre, wäre an eine Verletzung des Art. 9 Abs. 3 GG zu denken. Die Annahme eines verfassungsrechtlichen Anspruchs der Beamten­ verbände auf Beteiligung an der sie betreffenden Gesetzgebung er­ scheint mir daher sehr problematisch 165 • Wenn man einen solchen Anspruch begründen will, sollte dies durch eine ausdrückliche Auf­ nahme in das Grundgesetz erfolgen. Dazu brauchte lediglich Art. 33 Abs. 5 GG um einen zweiten Satz erweitert zu werden, der die Betei­ ligung der Spitzenorganisationen der Beamtenkoalitionen bei der Vor­ bereitung allgemeiner Regelungen der beamtenrechtlichen Verhält­ nisse statuierte10e . Selbst wenn man das Vorliegen eines verfassungsrechtlichen An­ spruchs ablehnt, bedeutet das noch nicht, daß der Gesetzgeber gehin­ dert wäre, den Beamtenverbänden einen solchen Anspruch durch ein­ faches Gesetz einzuräumen, wie er es in §§ 94 BBG, 58 BRRG getan hat. Denn wenn auch ein Beteiligungsanspruch nicht verfassungsrecht­ lich geboten ist, ist er doch durch Art. 9 Abs. 3 GG keinesfalls verboten, so daß der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit an die Einräumung eines Anspruchs auf Beteiligung für die Beamtenverbände 105 Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 400, entschärft das Problem, indem er den Beamtenkoalitionen keinen unmittelbaren Anspruch auf Beteiligung zuspricht, sondern den Gesetzgeber für verpflichtet hält, entsprechende gesetzliche Beteiligungsregelungen zu treffen. Zum Stand der Meinungen vgl. die Nachweise bei Laubinger, S. 402. 108 Ob eine praktische Notwendigkeit für die Statuierung eines verfas­ sungsrechtlichen Anspruchs angesichts der Regelung in §§ 94 BBG, 58 BRRG und der extensiven Beteiligungspraxis besteht, mag dahinstehen.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

denken könnte. Ein Anspruch kann durch einfaches Gesetz freilich nur begründet werden, wenn seine Einräumung nicht gegen andere verfas­ sungsrechtlich geschützte Positionen verstößt107 • 4. Verfassungsrechtlicher Anspruch de lege ferenda?

Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß ein verfassungsrecht­ licher Anspruch der Verbände auf Beteiligung am Gesetzgebungsver­ fahren nach geltendem Recht nicht besteht 108 • Es stellt sich aber die Frage, ob ein solcher Anspruch nicht in das Grundgesetz aufgenommen werden sollte, wenn man die Legitimität der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung bej aht. Da vielerorts beklagt wird, daß die legitime Mitwirkung an der politischen Willensbildung im extrakonstitutionel­ len Bereich erfolge, könnte man daran denken, diesen Bereich der Ver bandsbetätigung zu „ konstitutionalisieren" 109 • In der Literatur sind die verfassungsrechtliche Anerkennung der Tätigkeit der Verbände bei der politischen Willensbildung des Volkes 110 und die verfassungsrechtliche Verankerung eines Anspruchs auf An­ hörung im Gesetzgebungsverfahren 1 1 1 verschiedentlich vertreten wor­ den. Zur Begründung wird auf die Bedeutung der Verbände für den Willensbildungsprozeß hingewiesen, die zu einer ähnlichen Regelung führen müßte, wie sie für die Parteien bestehe, zumal diese kein Wil­ lensbildungsmonopol hätten 112 • Ein Anspruch auf parlamentarisches Gehör im Gesetzgebungsverfahren stärke darüber hinaus das Verant­ wortungsbewußtsein der Verbände und mache eine perfektionistische Gesetzgebung überflüssig, da die Verbände sich dann keiner illegalen Möglichkeiten mehr zu bedienen brauchten113 • Diesen Vorschlägen kann nur bedingt zugestimmt werden. Man könnte zwar erwägen, die Bedeutung der Verbände für die poli­ tische Willensbildung durch Verankerung im Grundgesetz zu unter­ streichen; dies hätte aber letzten Endes deklaratorischen Charakter und würde die Rechtsstellung der Verbände nicht verändern. Immerhin 107

Dazu unten S. 60 ff. Von den Beamtenverbänden, bei denen ein verfassungsrechtlicher An­ spruch immerhin erwogen werden könnte, kann hier abgesehen werden. 109 Der Ausdruck stammt von Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 630. 110 Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 630 f. ; Helmut Immesberger (Fn. 32), S. 140, der Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG durch den Zusatz „neben den Verbän­ den" ergänzen will. 111 Vgl. Helmut Immesberger (Fn. 32), S. 142, der die Einfügung eines Art. 21 a GG vorschlägt. 11 1 Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 630. 113 So die insgesamt allzu optimistische Vorstellung von Helmut Immes­ berger (Fn. 32), S. 139 ff., der davon ausgeht, daß ein verfassungsrechtlicher Anhörungsanspruch illegale Einflußversuche ausschließe. 108

III. Verfassungsrechtlicher Beteiligungsanspruch der Verbände

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könnte auf diese Weise sichtbar gemacht werden, daß es sich bei dieser Tätigkeit der Verbände um eine legitime und legale Aufgabe handelt. Eine entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes könnte deshalb von Nutzen sein. Gleichwohl kann die Aufnahme eines Anspruchs auf Anhörung im Gesetzgebungsverfahren nicht empfohlen werden. Der Einräumung eines solchen Anspruchs der Verbände steht zu­ nächst ein Vergleich mit der Rechtsstellung der Parteien entgegen. Die Parteien, die sich von den Verbänden vor allem dadurch unter­ scheiden, daß sie zur politischen Gestaltung des Gemeinwesens im gan­ zen bereit sind und dies durch die Aufstellung von Kandidaten zur Wahl ausdrücken, stehen der Gesetzgebung insofern näher als die Verbände, als sie die Rekrutierungsbasis für die Legislative darstellen. Hinsichtlich einer Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren könnten den Verbänden deshalb keine größeren Rechte als den Parteien ein­ geräumt werden. Die Parteien sind aber unmittelbar an der Gesetz­ gebung nicht beteiligt. Dabei darf man nicht nur die etablierten Par­ teien in Betracht ziehen, die durch Abgeordnete im Bundestag vertre­ ten sind ; vielmehr ist an die Parteien zu denken, die zwar Kandidaten aufstellen, aber an der 5-Prozent-Klausel bzw. Grundmandatsklausel scheitern. Diese Parteien haben keinerlei verfassungsrechtlichen An­ spruch auf Beteiligung an der Gesetzgebung ; ihnen steht vielmehr le­ diglich die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes offen. Aber auch die etablierten Parteien haben keinen verfassungs­ rechtlichen Beteiligungsanspruch, sondern können nur mitwirken, weil die Abgeordneten eben Parteimitglieder sind und personelle wie insti­ tutionelle Verbindungen zwischen Partei und Fraktion bestehen114 • Gegen die Normierung eines verfassungsrechtlichen Anspruchs spricht auch die damit konstitutionalisierte Bevorzugung organisierter gegenüber den nichtorganisierten Interessen 11 5 • Da nicht davon ausge­ gangen werden kann, daß alle Interessen organisiert sind, würde die Aufnahme eines Beteiligungsanspruches der Verbände die Tendenz zur Benachteiligung der nichtorganisierten Interessen verstärken. Die grundsätzliche Legitimität der Verbandsbeteiligung an der Ge­ setzgebung erfordert keinen verfassungsrechtlichen Anspruch. Der Grund für die Bejahung der Verbandsbeteiligung liegt darin, daß auch die Verbände am Zustandekommen „richtiger" Entscheidungen zu be­ teiligen sind. Diese Beteiligung kann auf vielfältige Weise realisiert werden; sie bedeutet nicht unbedingt eine Mitwirkung im Einzelfall. 1 1 4 Dabei ist immerhin zu beachten, daß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG eine unmittelbare Mitwirkung ausschließt. 11 5

s. Fritz Scharpf (Fn. 9), S. 49.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

So kann z. B. eine Diskussion über bestimmte Reformfragen von allen politischen Kräften geführt werden. Mündet diese Diskussion dann in konkrete Gesetzesvorhaben ein, ist eine nochmalige Konsultation der Verbände unter dem Gesichtspunkt der legitimen Beteiligung an der Gesetzgebung nicht unbedingt erforderlich, da sie am zugrundeliegen­ den Willensbildungsprozeß mitgewirkt haben. Die Zuerkennung eines verfassungsrechtlichen Beteiligungsanspruchs im Einzelfall würde dem­ gegenüber die Unabhängigkeit der staatlichen Organe tangieren. Die Bindung der Gesetzgebungsorgane an die gesellschaftlichen Kräfte sollte daher nicht über einen verfassungsrechtlichen Beteiligungsan­ spruch erfolgen. Die Aufnahme eines grundgesetzlichen Beteiligungsanspruchs der Verbände an der Gesetzgebung erscheint daher weder erforderlich noch wünschenswert. IV. Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Beteiligungsregelungen Im folgenden wird die Frage geprüft, ob der Gesetzgeber die Mög­ lichkeit hat, den Verbänden durch einfaches Gesetz einen Anspruch auf Beteiligung an der Gesetzgebung einzuräumen. Dabei geht es nur um die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Rege­ lungen. Die Frage, ob es bej ahendenfalls zweckmäßig wäre, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, ist damit noch nicht entschieden und wird erst bei den Einzelvorschlägen erörtert. Es ist die Auffassung vertreten worden, daß die Einräumung eines gesetzlichen Anspruchs der Verbände auf Beteiligung an der Gesetz­ gebung nicht nur bezüglich der Beamtenverbände, sondern für die Ver­ bände insgesamt verfassungswidrig sei 116 • Die Verfassungswidrigkeit eines solchen Gesetzes wird damit begründet, daß hierdurch in die Geschäftsordnungsautonomie und das Initiativrecht der drei mit dem Recht zur Gesetzesinitiative ausgestatteten Verfassungsorgane einge­ griffen werde. Einer Verleihung eines Rechtsanspruchs durch die Geschäftsordnungen dieser Organe stehe aber entgegen, daß die Ver­ bände damit nach Art. 93 Abs. 1 GG in den Rang von Verfassungsor­ ganen erhoben würden117• Bei der Frage, inwieweit ein Anspruch auf Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung in die verfassungsrechtlich geschützten Positionen der gesamten Verfassungsorgane eingreifen würde, sind grundsätzlich 1 11

1971,

So Martin G. Ammermüller, Verbände im Rechtsetzungsverfahren, 86 f.

s.

117 Martin G. Ammermüller (Fn. 116), S. 87.

IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

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zwei Stadien der Gesetzgebung zu unterscheiden, die auch zeitlich deut­ lich voneinander abgesetzt sind. Zum einen kann sich ein Anspruch auf Beteiligung erstrecken auf die Phase der Gesetzesvorbereitung bis zum Einbringen der Gesetze. Dabei handelt es sich um die Teilnahme bei der Vorbereitung der Initiativberechtigten (1). Zum anderen kann der Anspruch auf die Phase des Gesetzgebungsverfahrens vom Einbringen bis zum Zustandekommen des Gesetzes gehen (2). In diesem Falle richtet er sich gegen die Träger des Gesetzgebungsverfahrens. Für jede Phase sind die Verwirklichungsmöglichkeiten eines Anspruchs im einzelnen auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu untersuchen. 1. Gesetzesvorbereitung

Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages müssen von min­ destens soviel Mitgliedern des Bundestages unterstützt werden, wie einer Fraktionsstärke entspricht, § 97 Abs. 1 GeschOBT. Die Fraktions­ stärke beträgt dabei 5 0/o der Mitglieder des Bundestages, § 10 Abs. 1 Satz 1 GeschOBT. Die einzelnen Modalitäten der Gesetzesinitiative aus der Mitte des Bundestages können hier dahinstehen: so ist es vorliegend unerheblich, ob es sich um einen Antrag handelt, der von Abgeordneten mehrerer Fraktionen eingebracht wird, was grundsätzlich möglich ist, oder um den Antrag einer Fraktion, was die Regel darstellt, oder um den Ge­ setzesentwurf eines Teiles einer Fraktion. Unerheblich ist gleichfalls, woher die Gruppe der Abgeordneten die Anregung für den Gesetzes­ entwurf bekommen hat, ob es sich z. B. um einen Entwurf handelt, den ein interessierter Verband erstellt und lanciert hat oder ob die Regierungsfraktionen in Wirklichkeit einen Gesetzesentwurf der Re­ gierung einbringen, was häufig vorkommt, um z. B. das Verfahren nach Art. 76 Abs. 2 GG zu umgehen 118 • Hier geht es nur um die Frage, ob die einbringenden Abgeordneten durch einfaches Gesetz oder durch die Geschäftsordnung des Bundestages verpflichtet werden können, vor Einbringung eines Gesetzentwurfs die Verbände zu beteiligen. Daß diese Beteiligung jedenfalls nicht zu einer formellen Mitentscheidung 11 8

Diese Praxis wird von einigen für verfassungswidrig gehalten, vgl. z. B.

Michael Kirn, Die Umgehung des Bundesrates bei ganz besonders eilbedürf­ tigen Regierungsvorlagen, in : ZRP 1974, S. 1 ff. ; Hans Kutscher, Verfassungs­

rechtliche Fragen aus der Praxis des Bundesrats, in : DÖV 1952, S. 710 ff., 712 und Hans Schäfer, Der Bundesrat, 1955, S. 70, soweit es sich um Entwürfe handelt, die vom Kabinett beschlossen sind ; mit Ludger Anselm Versteyl (Fn. 76), S. 36 ist aber davon auszugehen, daß an der formellen Legalität eines solchen Vorgehens nicht zu zweifeln ist. Einigkeit besteht darüber, daß ein (mit Zustimmung des Bundesrates im zweiten Durchgang) verab­ schiedetes Gesetz nicht wegen dieses Verfahrensverstoßes verfassungswidrig ist, vgl. Michael Kirn, S. 5.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

führen darf, ist bereits gesagt worden. Immerhin würde aber die Ver­ pflichtung zu einer Beteiligung mindestens zu einer Beeinflussung im zeitlichen Ablauf führen. Es war bereits darauf hingewiesen worden, daß nach der Vorschrift über die Träger der Gesetzesinitiative, Art. 76 Abs. 1 GG, ein Anspruch auf Beteiligung bei der Gesetzesvorbereitung, der die Einbringung selbst nicht berührt, nicht verneint werden könnte. Das Initiativrecht könnte aber für den Abgeordneten auch in seinem materiellen Gehalt garantiert sein, insofern nämlich, als die Abgeordneten nicht ver­ pflichtet werden können, vor der Einbringung ihre Entwürfe irgend jemand zugänglich zu machen. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Recht zur Gesetzesinitiative in repräsentativen Demokratien eines der klassischen Abgeordneten­ rechte darstellt, ist es sicher nicht abwegig, dieses Initiativrecht in dem Sinne zu begreifen, daß die Abgeordneten sich nicht beraten lassen müssen, wenn sie nicht von sich aus die Beratung suchen119 • So gesehen gehört das Initiativrecht auch in materieller Hinsicht, d. h. was den In­ halt angeht, zum Statusrecht der Abgeordneten 120 , 1 2 1 • Eine Verpflich­ tung zur Einschaltung der Verbände würde auch noch anderen ver­ fassungsrechtlichen Regelungen betreffend die Stellung des Abgeord­ neten zuwiderlaufen. So soll der Abgeordnete nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG an Aufträge und Weisungen nicht gebunden, vielmehr nur seinem Gewissen unter­ worfen sein. Wenn auch eine Verpflichtung der Beteiligung der Ver­ bände nicht als formeller Eingriff in das freie Mandat angesehen wer­ den kann, weil eine Bindung an die Ansicht der Verbände nicht in Frage steht122 , würde doch die Pflicht zur Beteiligung dem Gedanken der Abgeordnetenfreiheit nicht entsprechen. Bedenken ergeben sich auch daraus, daß der Abgeordnete als „Ver­ treter des ganzen Volkes", als Repräsentant, angesehen wird und man ihn über eine gesetzliche Verpflichtung zur Beteiligung der Verbände an der Vorbereitung seiner Gesetzesinitiativen auf bestimmte Inter­ essengruppierungen verweisen würde. Dabei wäre das Problem der 119 Vgl. z. B. das Diktum von Leon Blum in der französischen National­ versammlung 1946, der dem Initiativrecht der Abgeordneten den „caractere rigoureusement personnel" zugesprochen hat, so Leon Blum am 17. 12. 1946, zit. bei Marcel Prelot, Institutions politiques et Droit constitutionnel, 5. Aufl. 1972, S. 817. 1 2 0 Zu den Statusrechten vgl. BVerfGE 10, S. 4 ff., 1 1 ; s. a. Heinhard Steiger, Organisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, s. 76 ff. 121 Im BVerfGE 1, S. 144, 158 ff. hat das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des Initiativrechts bereits darin gesehen, daß bei einer Gesetzes­ initiative die Vorlage eines Deckungsvorschlages zur Auflage gemacht war. 122 So auch Martin G. AmmermüHer (Fn. 116), S. 71 Anm. 4.

IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

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nichtorganisierten Interessen erst noch zu lösen. Jedenfalls könnte eine Beteiligung bestimmter Verbände zu einer Kollision mit der verfas­ sungsrechtlichen Verpflichtung des Abgeordneten führen, Vertreter des ganzen Volkes zu sein und die Interessen aller Gruppierungen zu berücksichtigen. Die Normierung eines Beteiligungsanspruchs an Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages ist deshalb verfassungsrechtlich unzu­ lässig. Das Stadium der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen der Bundes­ regierung ist in dem besonderen Teil der Gemeinsamen Geschäftsord­ nung der Bundesministerien, GGO II, festgehalten, der auch den § 23 GGO II enthält, der von der Beschaffung von Unterlagen durch die Spitzenverbände handelt123 • Zu klären ist, ob, wie in der Literatur ver­ treten wird 124 , die Einräumung eines gesetzlichen Beteiligungsanspruchs wegen eines Eingriffs in die grundgesetzlich garantierte Geschäftsord­ nungsautonomie der Bundesregierung verfassungswidrig wäre. Soweit zur Unterstützung dieser Auffassung darauf hingewiesen wird, daß ,,das Initiativrecht und die Vorbereitung der Entwürfe durch die In­ haber des Initiativrechts . . . zum Gesetzgebungsverfahren zu zählen" seien125 , kann unter Bezugnahme auf bereits Gesagtes festgehalten werden, daß erst die Ausübung des Initiativrechts den Beginn des Gesetzgebungsverfahrens darstellt und in formeller Hinsicht solange nicht verletzt ist, als die Entscheidung über die Einbringung des Gesetzentwurfs dem Initiativberechtigten verbleibt. Gegenstände sind nicht bereits deshalb der Regelung durch Gesetz entzogen, weil eine dahingehende Vorschrift in die aufgrund des Art. 65 Satz 4 GG zu erlassende Geschäftsordnung aufgenommen ist. Die Grenzen der Geschäftsordnungsautonomie können nicht von dem­ jenigen bestimmt werden, der sich die Geschäftsordnung gibt; diese Grenzen müssen vielmehr objektiv bestimmbar sein. Den Rahmen für die Geschäftsordnungsautonomie gibt letztlich Art. 20 Abs. 3 GG ab, wonach die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist. Prinzipiell kann sich damit die Geschäftsordnung nur im Rahmen von Grundgesetz und Gesetzen bewegen, so daß einer gesetzlichen Rege­ lung der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung durch den Gesetz­ geber prinzipiell nichts im Wege steht. Nicht die Tatsache, daß die Bun­ desregierung die Möglichkeit hat, sich eine Geschäftsordnung zu geben, kann deshalb der Regelung eines Beteiligungsanspruchs der Verbände an der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung durch Gesetz ent123 124

s. dazu unten S. 74 ff.

Martin G. Ammermüller (Fn. 1 16), S. 85. n5 Martin G. Ammermüller (Fn. 1 1 6), ebd.

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

gegenstehen, sondern allenfalls der Eingriff in den grundgesetzlich der Regierung zugewiesenen und garantierten Bereich. Es kommt demnach darauf an, ob der Bereich der Gesetzesvorbereitung durch die Bundes­ regierung dieser verfassungsrechtlich in einer Weise garantiert ist, die eine Regelung durch den einfachen Gesetzgeber ausschließt126 • Man kann vergleichsweise an Fälle denken, in denen ebenfalls der Bundestag der Bundesregierung in Angelegenheiten Pflichten aufer­ legt, die die Autonomie der Bundesregierung berühren. Zu erinnern ist hierbei an die Verpflichtung, bestimmte Beiräte oder Kommissionen zu bilden, Berichte zu erstatten u. ä. Obwohl diese durch Gesetz oder Beschluß angeordneten Verpflichtungen in die Richtlinienkompetenz und in das Ressortprinzip eingreifen, hat bisher niemand Anstoß daran genommen127 • Im vorliegenden Falle würde aber weder in die Richt­ linienkompetenz noch in das Ressortprinzip eingegriffen, denn es geht nicht darum, die Regierung von seiten des Gesetzgebers in bestimmter Weise inhaltlich festzulegen, sondern ihr lediglich bei der Vorbereitung von Gesetzen eine verfahrensmäßige Auflage zu machen. Sowohl die inhaltliche Initiative für ein Gesetz als auch die inhaltliche Fassung des Gesetzentwurfs verbleiben bei der Bundesregierung128• Nachdem diese Abgrenzung vorgenommen ist, spitzt sich die Frage dahin zu, ob die Bundesregierung ebenso wie die Abgeordneten im Bereich der Gesetzesvorbereitung verfassungsrechtlich autonom ist, und der einfache Gesetzgeber aus diesem Grunde keine Möglichkeit hat, in diese Autonomie einzugreifen. Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß das Grundgesetz selbst keine ausdrücklichen Regeln über die Art und Weise der Gesetzesvorbereitung enthält, sondern lediglich den Kreis der Initiativberechtigten festlegt und das Verfahren nach der Einbringung der Gesetzesentwürfe regelt. Für eine verfassungsrechtlich geschützte Autonomie hinsichtlich des Ver­ fahrens bei der Gesetzesvorbereitung ist aber nur soviel zu entnehmen, wie sich aus dem Initiativrecht ergibt. Im übrigen unterscheidet sich die Bundesregierung von den Abge­ ordneten gerade dadurch, daß bei diesen die Gesetzgebung die zentrale Aufgabe darstellt, während die Regierung im Bereich der formellen Gesetzgebung auf das Initiativrecht beschränkt ist. Sie steht damit der Gesetzgebung nicht so nah, daß eine obligatorische Beteiligung von Verbänden ihre zentrale von der Verfassung zugewiesene Aufgaben128 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 294 : ,,Dem gesetzgeberischen Zugriff entzogen sind die materiellen Geschäftsordnungsangelegenheiten (im Original kursiv : Verf.) der Regierung." 127 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 294. 128 Dies würde auch gelten, wenn z. B. die Stellungnahmen der Verbände dem Gesetzentwurf beigefügt würden.

IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

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stellung berühren könnte129 • Dies spricht dafür, daß der Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit hat, durch Gesetz die Bundesregierung zu verpflichten, die Verbände an der Gesetzesvorbereitung zu beteili­ gen. Die Grenzen für eine solche Verpflichtungsmöglichkeit liegen in einer Beeinträchtigung des Initiativrechts. Jede inhaltliche Mitentschei­ dung ist ausgeschlossen. Die obligatorische Beteiligung der Verbände in Form einer Anhörung oder Beratung könnte aber durch einfaches Ge­ setz angeordnet werden 130 • Freilich ist hier nur die verfassungsrecht­ liche Zulässigkeit einer solchen gesetzgeberischen Regelung erörtert worden; ob es zweckmäßig ist, daß der Gesetzgeber den Verbänden einen Beteiligungsanspruch gegen die Regierung einräumt, wird an anderer Stelle zu erwägen sein. Dort ist dann auch auf die Modifikatio­ nen der Regelung, die Möglichkeit der Durchsetzung sowie auf den Spielraum einzugehen, den auch eine gesetzliche Regelung der Aus­ gestaltung durch die Geschäftsordnung der Bundesregierung bzw. der Bundesministerien beläßt. Die Möglichkeit eines Beteiligungsanspruchs der Verbände bei Ge­ setzentwürfen des Bundesrates ist bisher kaum untersucht worden131 • Dies mag dadurch begründet sein, daß Gesetzentwürfe des Bundes­ rates in der Praxis quantitativ nahezu bedeutungslos sind; sie machen kaum 2 0/o der verabschiedeten Gesetze aus 1 32• Wie Untersuchungen zu einem einzelnen Gesetzesvorhaben ergeben haben, ist demgegenüber die Phase des Gesetzgebungsverfahrens, in der sich der Bundesrat mit den Gesetzesentwürfen des Bundestages und der Bundesregierung zu befassen hat, auch hinsichtlich der Einflußnahmen der Verbände we­ sentlich wichtiger133 • Gleichwohl ist der Vollständigkeit halber auch die Möglichkeit der gesetzlichen Anordnung einer Beteiligung der Ver­ bände bei Vorlagen des Bundesrates zu untersuchen. Vorlagen des Bundesrates kommen in der Regel dadurch zustande, daß ein Land oder mehrere Länder den Antrag stellen, einen bestimm­ ten Gesetzentwurf als Gesetzesvorlage beim Bundestag einzubringen, und über diesen Antrag abgestimmt wird, § 30 Abs. 1 GeschOBR. Tech­ nisch wäre es also ohne weiteres möglich, vor der Abstimmung über die Gesetzesvorlagen die Verbände zu beteiligen. 129 Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß die weitaus meisten der ver­ abschiedeten Gesetze von der Regieurng eingebracht wurden, vgl. z. B. die Zusammenstellung bei Ludger Anselm Versteyl (Fn. 76), S. 37 f. 130 Im Ergebnis ebenso Hans- Werner Laubinger (Fn. 81), S. 294 ff. 131 Knapp bei Martin G. Ammermüller (Fn. 1 16), S. 72 ff. 132 So für die Zeit vom 20. 10. 1969 bis 25. 6. 1971 der 6. Legislaturperiode lt. Das Parlament v. 24. 7. 1971, S. 2. 133 Vgl. z. B. die Untersuchung des Zustandekommens des Personalvertre­ tungsgesetzes von Karl-Heinz Diekershoff, Der Einfluß der Beamtenorgani­ sationen auf die Gestaltung des Personalvertretungsgesetzes vom 5. 8. 1955, 1960/61, s. 79 f.

6 Speyer 58

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

Die Geschäftsordnung des Bundesrates sieht bislang keine Regelung über die Beteiligung von Verbänden an Plenarsitzungen vor. § 18 Abs. 1 Halbsatz 2 GeschOBR ist in erster Linie eine Möglichkeit, den Personenkreis des Art. 53 Satz 1 GG auszuweiten, und kann nur in Ausnahmefällen zur Anhörung von Verbandsvertretern führen134 • Im­ merhin ist damit auch jetzt schon eine formelle Möglichkeit eingeräumt, Verbandsvertreter an Verhandlungen des Bundesrates teilnehmen zu lassen. Allerdings soll hier gleich eine deutliche Einschränkung gemacht werden. § 18 Abs. 1 Halbsatz 2 GeschOBR ist schon deswegen nicht der geeignete „Aufhänger" für eine Beteiligungsregelung, weil diese nicht notwendig die Teilnahme an den Verhandlungen des Bundes­ rates zum Gegenstand haben muß. Wer an den Verhandlungen teil­ nimmt, ist im Grundgesetz festgelegt und unterliegt im übrigen der Geschäftsordnungshoheit, die dem Bundesrat eingeräumt ist, wie sich aus Art. 52 Abs. 3 Satz 2 GG ergibt. Ein Beteiligungsanspruch ist aber ohne weiteres auch ohne Teil­ nahme an den Verhandlungen des Plenums zu realisieren, z. B. durch Anhörung in den Ausschüssen nach § 40 Abs. 3 GeschOBR oder durch die Möglichkeit schriftlicher Stellungnahmen. Es ist deshalb auch hier zu prüfen, ob durch die gesetzliche Statuie­ rung des Beteiligungsanspruchs die Grenzen der Geschäftsordnungs­ autonomie des Bundesrates, die mit dem gegenwärtigen Inhalt der Geschäftsordnung nicht identisch sein müssen, berührt werden. Dies wäre der Fall, wenn dadurch in eine verfassungsrechtlich geschützte Position des Bundesrates eingegriffen würde. Die Aufgabe des Bundesrates ist im Grundgesetz dahingehend um­ schrieben, daß durch ihn die Länder bei der Gesetzgebung und Ver­ waltung des Bundes mitwirken, Art. 50 GG. Die Mitwirkung bei der Gesetzgebung zeigt sich einmal im Initiativrecht, zum anderen aber in der intensiven Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren, wo das Haupt­ gewicht des Bundesrates liegt. Hier geht es nur um das Initiativrecht, d. h. die Vorbereitung der Initiative. Dieses Initiativrecht ist allerdings insofern vermittelt13 5, als die Vorlagen des Bundesrates binnen drei Monaten durch die Bundesregierung einzureichen sind, die dabei ihre Auffassung darzulegen hat, Art. 76 Abs. 3 GG. In der Sache handelt es sich um ein ähnliches Verfahren wie bei den Vorlagen der Bundes­ regierung, die auch zunächst dem Bundesrat zuzuleiten sind, der zu ihnen binnen sechs Wochen Stellung nehmen kann; freilich werden diese dann von der Bundesregierung selbst eingebracht136 • Man wird 134

Insoweit zutreffend Martin G. Ammermüller (Fn. 1 16), S. 74. So Hans Schäfer (Fn. 118), S. 61 ; Hans Ulrich Scupin, in : BK, Art. 50 Anm. II, 2. 136 Z u Eilvorlagen vgl. Art. 76 Abs. 2 Satz 3 GG. 135

IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

67

allerdings eine Beteiligungsmöglichkeit der Verbände nicht darauf stützen können, daß der Bundesrat seine Initiativen vor dem Einbrin­ gen in den Bundestag der Stellungnahme der Bundesregierung aus­ setzen muß. Dagegen spricht einmal der prinzipielle Unterschied zwi­ schen einer Beteiligung, die den Entwurf selbst beeinflussen will, und der Abgabe einer Stellungnahme, die den Entwurf zum Gegenstand hat. Dagegen spricht aber vor allem in grundsätzlicher Hinsicht, daß ein qualitativer Unterschied zu machen ist zwischen der Heranziehung anderer Verfassungsorgane, die jeweils selbst das Recht zur Gesetzes­ initiative haben, und den Verbänden, denen die Verfassung nicht aus­ drücklich ein Beteiligungsrecht am Gesetzgebungsverfahren eingeräumt hat. Immerhin erweist sich aber, daß auch das Grundgesetz einen Unter­ schied macht zwischen dem Initiativrecht aus der Mitte des Bundes­ tages und demjenigen von Bundesregierung und Bundesrat. Im Sinne der oben herausgearbeiteten Charakterisierung ist damit das direkte Initiativrecht der Bundestagsabgeordneten ein Hinweis darauf, daß diese der Gesetzgebung näher stehen als Bundesrat und Bundesregie­ rung. Freilich ist zwischen Bundesregierung und Bundesrat insofern noch ein entscheidender Unterschied, als der Bundesrat auch im wei­ teren Gesetzgebungsverfahren noch eine entscheidende Rolle spielt, während die Bundesregierung auf die Verabschiedung der Gesetze formell keinen Einfluß mehr hat. Ähnlich ist die Situation allerdings insofern, als es sich bei den Mitgliedern des Bundesrates um Mitglie­ der der Regierungen der Länder handelt, also nicht etwa um Abge­ ordnete. Von daher läßt sich eine entsprechende Behandlung rechtfer­ tigen. Wenn man eine Reihenfolge aufstellen will, kann man das Initiativ­ recht der Abgeordneten an die Spitze stellen. Hier ist der einfache Gesetzgeber gehindert, eine verpflichtende Beteiligung von Verbänden an der Erarbeitung der Gesetzesinitiative zu statuieren137 • Umgekehrt ist das Initiativrecht der Bundesregierung materiell am wenigsten ab­ gesichert, so daß eine obligatorische Beteiligung der Verbände durch einfaches Gesetz ohne weiteres zulässig ist. Der Bundesrat nimmt eine Zwischenposition ein. Weil aber auch in diesem Fall eine Beteiligung grundsätzlich nicht in das „Statusrecht" eingreift, ist die Normierung eines gesetzlichen Anspruchs zulässig. Es ist aber fraglich, inwieweit ein Anspruch durch die Geschäftsord­ nung des jeweiligen Verfassungsorgans gegeben werden kann. Dabei ist zu klären, ob einem solchen Vorhaben entgegenstände, daß dadurch die Verbände in den Rang von Verfassungsorganen gehoben würden 137 Im Ergebnis übereinstimmend Hans-Werner Laubinger (Fn. 81 ) , S. 502.

1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

68

und gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG die Möglichkeit hätten, bei Streitig­ keiten Verfassungsklage zu erheben138. Voraussetzung dafür wäre, daß die Verbände durch die Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten aus­ gestattet werden könnten. Dabei ist von der Rechtsqualität der Ge­ schäftsordnungen der betroffenen Bundesorgane auszugehen. Die Geschäftsordnung des Bundestages wird von der herrschenden Meinung als autonome Satzung angesehen1 39. Damit entfaltet sie Sat­ zungsgewalt nur über die Mitglieder des Bundestages und wirkt im übrigen als Selbstverpflichtung 1 40. Außenstehende, die nicht Mitglieder des Bundestages sind, können durch die Geschäftsordnung weder be­ rechtigt noch verpflichtet werden14 1 . Dies ergibt sich für Verpflichtun­ gen ausdrücklich aus Art. 44 Abs. 2 GG1 42 . Aber auch eine Berechtigung, ein Anspruch auf Beteiligung der Verbände, kann durch das autonome Parlamentsrecht nicht eingeräumt werden. Aus diesem Grund ist z. B. die Regelung des Art. 43 Abs. 2 GG notwendig und hätte nicht durch eine Geschäftsordnungsvorschrift ersetzt werden können. Ähnliches gilt für die Geschäftsordnung des Bundesrates, wie sich aus Art. 52 Abs. 3, 53 Satz 1 GG ergibt. Bezüglich der Geschäftsordnungen im Regierungsbereich ist zu un­ terscheiden zwischen der Rechtsqualität der Geschäftsordnung der Bundesregierung und der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundes­ ministerien. Während die erstere in ihren Wirkungen wohl den Ge­ schäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates ähnlich ist, ist die letztere, wenigstens in ihrem Teil II, praktisch ohne Normcharak­ ter 1 43. Sie enthält vielmehr lediglich interne Regeln für den Geschäfts­ ablauf und Richtlinien für die praktische Arbeit. Damit ist es aber aus­ geschlossen, einem Außenstehenden durch eine Regelung in der GGO II einen Anspruch zu verleihen144 • Es kann deshalb festgehalten werden, daß durch Geschäftsordnungs­ regelungen den Verbänden kein Anspruch auf Beteiligung eingeräumt werden kann, vielmehr nur eine Selbstverpflichtung derer erreicht wird, die der Geschäftsordnungsbefugnis unterfallen. Damit können 138 So Martin G. Ammermüller (Fn. 116), S. 69 u. ö. So im Anschluß an BVerfGE 1/144 ff. die herrschende Meinung; a. A. Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 40, der sie als „inneres Organisationsrecht" bezeichnet. 14 ° Klaus F. Arndt, Parlamentarische Geschäftsordnungsautonomie und autonomes Parlamentsrecht, 1966, S. 143. 141 Klaus F. Arndt (Fn. 140), S. 119; ähnlich Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 18 zu Art. 40. 1 42 Axel Saipa, Politischer Prozeß und Lobbyismus in der Bundesrepublik und in den USA, 1971, S. 115. 1 48 Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 127. 1 44 Ebenso Axel Saipa (Fn. 142), S. 140. 139

IV. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit

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den Verbänden über die Geschäftsordnungen keine Rechte verliehen werden, weshalb sich die Frage nach einer Aktivlegitimation im Or­ ganstreitverfahren durch Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG nicht stellt. 2. Gesetzgebungsverfahren Ein Anspruch auf Beteiligung wäre aber auch denkbar, wenn sich der Gesetzentwurf im formellen Gesetzgebungsverfahren befindet. Freilich geht der Anspruch auch hier nicht auf Teilnahme am eigent­ lichen Verfahren, sondern auf Beteiligung am Inhalt der Gesetzgebung, da das Verfahren im Grundgesetz abschließend geregelt ist. Bei der Beteiligung der Verbände handelt es sich eben um Mitwirkung, nicht um Mitbestimmung 145 • Der Anspruch auf Beteiligung im Zeitraum des Gesetzgebungsverfahrens ist von besonderer Bedeutung für Initiativ­ gesetzentwürfe, da insoweit vor Einbringung die gesetzliche Anordnung einer Beteiligung der Verbände verfassungsrechtlich unzulässig ist. Adressat dieses Anspruchs ist der Bundestag. Einern gesetzlichen Beteiligungsanspruch gegenüber dem Bundestag kann nicht entgegengehalten werden, daß dadurch „im Grundgesetz nicht vorgesehene Kräfte einen Anspruch (erhalten) im Gesetzgebungs­ verfahren mitzuwirken" 14 6 • Diese Auffassung ist verfassungsrechtlich nicht haltbar. Zwar sind die Beteiligten am Gesetzgebungsverfahren in Art. 76 ff. GG abschließend genannt. Diese Vorschriften betreffen aber nur die formelle Seite des Entscheidungsverfahrens ; die Mitwir­ kung der Verbände im Stadium des Gesetzgebungsverfahrens darf nicht zu einer formellen Mitentscheidung werden. Solange diesem Er­ fordernis Rechnung getragen ist, sind Bedenken aus Art. 76 ff. GG nicht zu erheben. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG bestimmt lediglich, daß die Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen werden. Wie der Beschluß des Bundestages im einzelnen vorbereitet wird, ist durch diese Vorschrift nicht geregelt; hierüber entscheidet allein der Bundestag 147 • Nach der grundgesetz­ lichen Regelung des Gesetzgebungsverfahrens ist es dem Bundestag nicht verwehrt, den Verbänden einen Anspruch auf Beteiligung an der Vorbereitung der Entscheidung über die Gesetzesvorlage zu geben; lediglich die Entscheidung selbst inuß vom Bundestag allein getroffen werden 148• So ·die Unterscheidung bei Hans�Werner Laubinger (Fn. 81), S. 298. So Martin G. Ammermüller (Fn. 116), S. 67 . . 14 7 So für Initiativgesetzentwürfe Andreas Hamann und Helmut Lenz (Fn. 74), Anm. 2 zu Art. 76 ; dies gilt auch für alle anderen Vorlagen. Die Gestaltungsfreiheit des Bundestages ist lediglich durch Art. 43 Abs. 2 GG eingeschränkt. 148 Im Ergebnis übereinstimmend Hans- Werner Laubinger (Fn. 81), S. 292. 1 45 148

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1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

Dem gesetzlichen Beteiligungsanspruch könnte aber entgegenstehen, daß das Verfahren der Gesetzesvorbereitung durch den Bundestag nicht durch einfaches Gesetz geregelt werden kann. Die Ausgestal­ tung des Verfahrens der Gesetzesberatung im Parlament unterfällt der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages 149 • Die Einräumung eines Beteiligungsanspruchs durch einfaches Gesetz setzt deshalb vor­ aus, daß in die Geschäftsordnungsautonomie mit einem einfachen Ge­ setz eingegriffen werden könnte. Nach herrschender Meinung steht die Geschäftsordnung des Bundes­ tages den gewöhnlichen Gesetzen im Range nach150 • Damit ist aber die Kollision zwischen Geschäftsordnungsrecht und Gesetzesrecht noch nicht entschieden; denn dabei handelt es sich nicht um ein Rang-, son­ dern um ein Kompetenzproblem151 • Auszugehen ist von Art. 40 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach der Bundestag sich eine Geschäftsordnung gibt. Man kann die Auffassung vertreten, daß damit der Bereich der Ge­ schäftsordnungsangelegenheiten der Regelung durch Gesetz entzogen ist152 • Durch Gesetz könnte also nur geregelt werden, was nicht zur Geschäftsordnung im materiellen Sinne gehört, oder was eine „gegen­ ständliche Zuweisung durch das Grundgesetz" erfahren hat 153 , wie z. B. die Wahlprüfung, Art. 41 Abs. 3 GG. Auch die Durchbrechung der Parlamentsautonomie durch Art. 43 Abs. 2 GG sowie die grundgesetz­ liche Regelung der Art. 44 Abs. 2 GG sprechen dafür, daß die Ge­ schäftsordnungsautonomie nur durch Verfassungsrecht ergänzt wer­ den kannm . Eine gegenteilige Auffassung würde die Geschäftsordnungsautonomie des Bundestages unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt stellen. Für diese Ansicht spricht, daß die Gründe, die für vorbehaltslose Auto­ nomie des Bundestages angeführt werden, nicht voll zu überzeugen vermögen. Zur Zeit des Konstitutionalismus ergab sich die Notwendig­ keit der Autonomie aus der Mitwirkung des Souverains am Gesetz­ gebungsverfahren. Heute sollen die Bindung des Parlaments über die Legislaturperiode hinaus sowie die Einwirkungsmöglichkeiten anderer Verfassungsorgane bei der Gesetzgebung die Autonomie rechtfertiVgl. Axel Saipa (Fn. 142), S. 232; Klaus F. Arndt (Fn. 140), S. 66. Ve:l. Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig I Herzog (Fn. 61), Rdnr. 22 zu Art. 40 m. w. N. 1 6 1 Vgl. Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 44145; für die Regierungsgeschäftsordnung Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 124. m So Klaus F. Arndt (Fn. 140), S. 120 ff.; Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 45. 163 Vgl. Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 45. m Vgl. für die Beweisbefugnisse des Art. 44 Abs. 2 GG Theodor Maunz, in: Maunz I Dürig I Herzog (Fn. 61), Rdnr. 7 zu Art. 44 m. w. N.; a. A. (von Maunz als „abwegig" bezeichnet) BayVerfGH in BayVerwGHE 8, S. 91 ff., 102, wo­ nach ein Zeugniszwangsverfahren einem Parlamentsorgan durch einfaches Gesetz übertragen werden könne. 149

160

V. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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gen155 . Beide Gründe sind wenig stichhaltig : ein neu gewähltes Parla­ ment kann ein Gesetz, das ihm nicht gefällt, aufheben oder ändern, wobei freilich ein anderes Verfassungsorgan, der Bundesrat, mitwirken muß 1 56 ; außerdem liegt es beim Bundestag selbst, ob er eine Geschäfts­ ordnungsangelegenheit durch Gesetz regeln will. Niemand, auch kein anderes Verfassungsorgan, kann ihn zu einem solchen Schritt zwin­ gen 157 . Die Frage stellt sich also letztlich danach, ob der Bundestag daran gehindert ist, sich durch einfaches Gesetz seiner Geschäftsord­ nungsautonomie zu begeben und außenstehenden Kräften Ansprüche gegen sich einzuräumen. Selbst wenn man Bedenken haben sollte, muß man letztlich diese Möglichkeit im vorliegenden Falle bejahen; es wäre nicht vertretbar, einen gesetzlichen Beteiligungsanspruch der Verbände an Gesetzes­ entwürfen der Bundesregierung und des Bundesrates für verfassungs­ rechtlich zulässig zu halten, diese Zulässigkeit bei Vorlagen aus der Mitte des Bundestages gegenüber dem Parlament aber zu verneinen. Dadurch würde eine Umgehungsmöglichkeit geschaffen, die nicht ak­ zeptiert werden kann. Es kann festgehalten werden, daß es verfassungsrechtlich zulässig ist, den Verbänden durch einfaches Gesetz einen Anspruch auf Beteili­ gung an der Gesetzgebung zu geben. Dieser Anspruch kann sich gegen die Bundesregierung, den Bundesrat und den Bundestag richten. Eine andere Frage ist es, ob die Einräumung eines solchen Anspruchs zweck­ mäßig ist. V. Die Stellung der Verbände nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht ist von Anbeginn an nicht mit dem grundsätzlichen Mißtrauen an die Verbände herangegangen, wie es aus einem - soweit bekannt glücklicherweise vereinzelt gebliebenen Urteil des Bundesgerichtshofs in Strafsachen spricht, wenn ausgeführt wird, daß „Interessenverbände . . . ebenso gefährlich wie kommuni­ stische Aktionen oder neofaschistische Bestrebungen seien" 1 58 . 155 Vgl. Klaus F. Arndt (Fn. 140), S. 124; Axel Saipa (Fn. 142), S. 231/232 ; Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 45. 168 Dies unterschätzt offenbar Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 293. 157 So zu Recht Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 293 ; hier liegt ein ent­

scheidender Unterschied zwischen der Geschäftsordnung des Bundestages und der Regierungsgeschäftsordnung, was Heinhard Steiger (Fn. 120), S. 44, zu übersehen scheint. Der Hinweis auf die Möglichkeit des Gesetzgebungs­ notstands, vgl. Klaus F. Arndt (Fn. 140), S. 124, erscheint mir in diesem Zu­ sammenhang weit hergeholt. 158 Vgl. BGHSt vom 18. 12. 1958, Az. 9 St. E 3/58 zitiert bei Walter Menzel, Grundgesetz und Verfassungswirklichkeit, DVBI. 1959, S. 346 ff., 352.

72

1. Teil, B. Verbandsbeteiligung nach dem Grundgesetz

Neben Entscheidungen, die sich grundsätzlich mit der Zulässigkeit der Wahrnehmung besonderer Interessen befassen und sich vor allem auf die Koalitionsfreiheit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisa­ tionen beziehen 159 , hat sich das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von Urteilen u. a. auch mit der Stellung der Verbände im poli­ tischen Prozeß und gegenüber anderen Staats- und Verfassungsorganen befaßt. Bereits im KPD-Urteil vom 17. 8. 1956 ist festgehalten160 : ,,Denn es ist eine der Grundanschauungen der freiheitlichen Demokratie, daß nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen und damit auch den sie vertretenden politischen Parteien der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist, nicht in dem Sinne, daß er immer objektiv richtige Ergebnisse liefere, denn dieser Weg ist a process of trial and error (J. B. Talmon), aber doch so, daß er durch die ständige gegenseitige Kon­ trolle und Kritik die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultante und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften gibt." Wenngleich die Verbände hier nicht ausdrücklich genannt sind, ist ihnen mit dieser Vorstellung von der Bildung des Staatswillens in einer Demokratie ein legitimer Platz bei der staatlichen Willensbildung ein­ geräumt; denn schließlich sind es die Verbände, die die im Volk vor­ handenen Interessen bündeln und zum Ausdruck bringen161 . Während in früheren Entscheidungen die Staatswillensbildung als umfassender demokratischer Willensbildungsprozeß aufgefaßt wurde162 , unterscheidet das Bundesverfassungsgericht seit dem Urteil über die Volksbefragungsgesetze in Hamburg und Bremen zwischen der poli­ tischen Willensbildung des Volkes, die nicht mit staatlicher Willens­ bildung identifiziert werden könne, und der Bildung des Staatswil­ lens 163. Die eine gehöre dem gesellschaftlich-politischen, die andere dem staatsorganschaftlichen Bereich an. Von dieser Unterscheidung gehe auch das Grundgesetz aus: „Einerseits handelt Art. 21 Abs. 1 GG von der politischen Willensbildung des Volkes, andererseits handelt Art. 20 Abs. 2 GG von der Bildung des Staatswillens . . . " 1". 1 59 Vgl. z. B. BVerfGE 4, S. 96 ff. ; für die Koalitionsbetätigung im Personalvertretungswesen BVerfGE 19, 303 (319). 1 80 Vgl. BVerfGE 5, S. 85 ff., 135. 181 Vgl. z. B. Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 614 ff., 621, 625. 182 s. dazu auch Peter Häberle, Unmittelbare staatliche Parteienfinanzie­ rung unter dem Grundgesetz - BVerfGE 20, 56, in : Jus 1967, S, 64 ff., 66 Anm. 14. 1 83 Vgl. BVerfGE 8, S. 104 ff., 1 1 3 ; ebenso BVerfGE 20, S. 56 ff., 98. 18' So BVerfGE 8, S. 1 1 3 ; dazu ausführlich auch Wilhelm Neyses, Die Be­ teiligung von Interessenverbänden an der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung, 1968, S. 24 ff.

V. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Die Unterscheidung zwischen der Staatswillensbildung und der poli­ tischen Willensbildung des Volkes ist in der Literatur auf Kritik ge­ stoßen 165 . Diese Kritik übersieht aber, daß das Bundesverfassungs­ gericht nicht von einer Trennung, von einem unverbundenen Neben­ einanderstehen, dieser beiden Bereiche ausgeht : ,,Willensbildung des Volkes und staatliche Willensbildung sind auf vielfältige Weise mit­ einander verschränkt166 . " Das Bundesverfassungsgericht anerkennt die Legitimität des Bestre­ bens der Verbände, die Staatswillensbildung zu beeinflussen; die Verbände wirken „auf die Maßnahmen der Regierung und die Be­ schlüsse der gesetzgebenden Körperschaften im Interesse ihrer Mit­ glieder" 167 ein. Dabei werden selbst ein „moralischer" Druck auf die Regierung 168 oder Einwirkungen auf das Parlament bzw. einzelne Ab­ geordnete16 9 für legitim angesehen. Im ersten Abschnitt war die Legitimität der Verbandsbeteiligung an der Staatswillensbildung dargelegt worden; gleichzeitig war betont worden, daß die eigentliche Entscheidung bei den staatlichen Organen liegen müsse. Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichtes, die einerseits die Entschei­ dungskompetenz der Staatsorgane betont, andererseits auf die Ver­ schränkung von Staatswillensbildung und Volkswillensbildung hin­ weist. Zusammenfassend kann deshalb festgehalten werden, daß das Ver­ fassungsrecht der Bundesrepublik einer Beteiligung der Verbände in dem Rahmen, wie sie im ersten Abschnitt begründet worden ist, nicht entgegensteht: eine Beteiligung am Inhalt der Gesetzgebung, dessen endgültige Festlegung freilich den dazu berufenen staatlichen Instan­ zen vorbehalten bleibt170 •

185 Vgl. z. B. Peter Häberle (Fn. 162), S. 66 ; dazu insgesamt auch Claus Die politischen Vereinigungen, 1970, S. 69. 188 So BVerfGE 20, S. 56 ff., 99 ; Peter Häberle (Fn. 162), S. 66 mit Anm. 23, hält dies lediglich für eine „Art Zugeständnis an die Wirklichkeit". Zu Recht weist Häberle allerdings die Vorstellung des Bundesverfassungsgerichtes zurück, daß es den Staatsorganen grundsätzlich verwehrt sei, sich in Bezug auf den Prozeß der Meinungs- und Willensbildung zu betätigen; denn die Willensbildung des Volkes wird auch durch die Entscheidungen des Staates beeinflußt, vgl. BVerfGE 8, S. 104 ff., 113. 187 BVerfGE 20, S. 56 ff., 99. 188 BVerfGE 3, S. 52 ff., 56. 189 B VerfGE 5, S. 85 ff., 232. 170 Vgl. auch Wilhelm Wertenbruch (Fn. 9), S. 636, der davon ausgeht, daß das entscheidende Staatsorgan die Verbände anzuhören habe, aber das letzte Wort behalten müsse. Gastroph,

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Dritter Abschnitt Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung in der Bundesrepublik Deutschland Bevor an Vorschläge „de lege ferenda" gedacht wird, empfiehlt es sich, von den auf Bundesebene bestehenden Institutionalisierungsrege­ lungen der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung Kenntnis zu nehmen. Nach der bereits oben in der Einleitung eingeführten Unter­ scheidung werden zunächst die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne behandelt, die neben Offenlegung und Kontrolle eine Beteiligung der Verbände beabsichtigen (1). Die Erörterung der Insti­ tutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne, die ausschließlich die Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses sicherstellen sollen, schließt sich an (II). I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne Bei den Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne handelt es sich um die Beteiligung der Verbände bei der Vorbereitung der Gesetzentwürfe durch die Bundesregierung, § 23 GGO II, um die Son­ derregelung des § 94 BBG, um die Heranziehung von Verbandsvertre­ tern in Beiräten, § 62 GGO I, um die sog. Konzertierte Aktion nach § 3 StabG und um die Einrichtung der Hearings gemäß § 73 GeschOBT. Dazu gehört auch die institutionalisierte Beteiligung der Kommunen an der Bundesgesetzgebung, die in einem Exkurs dargestellt wird. Die Darstellung folgt der Reihenfolge der Aufzählung. Man könnte zwar daran denken mit der Regelung des § 94 BBG zu beginnen, da diese Regelung als einzige einen gesetzlichen Anspruch auf Beteiligung verleiht; da aber die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesmini­ sterien Verfahrensvorschriften enthält, die auch im Falle des § 94 BBG anwendbar sein könnten, soll mit der Beteiligungsmöglichkeit der Gemeinsamen Geschäftsordnung begonnen werden. 1. Die Beteiligung nach § 23 GGO Il

Die Beteiligung der Verbände an der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung ist in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bun­ desministerien - Besonderer Teil (GGO II) geregelt. § 23 GGO II in der gegenwärtigen Fassung lautet 171 : 171

GGO II i. d. F. vom 7. 3. 1975, s. GMBl. 1975, S. 387.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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§ 23 Beschaffung von Unterlagen (1) Zur Beschaffung von Unterlagen für die Vorbereitung von Gesetzen können die Vertretungen der beteiligten Fachkreise herangezogen wer­ den. Zeitpunkt, Umfang und Auswahl bleiben, wenn nicht Sondervor­ schriften bestehen, dem Ermessen überlassen. Soll der Entwurf ver­ traulich behandelt werden, ist es zu vermerken. (2) Bei Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung ist, bevor mit den Vertretern der Fachkreise Fühlung genommen wird, eine Ent­ scheidung des Bundeskanzlers einzuholen. Im übrigen ist darauf zu achten, daß mit den Vertretungen der Fachkreise nicht in einer Weise Fühlung genommen wird, die dem Kabinett die Entscheidung erschwert. (3) Verbände, deren Wirkungskreis sich nicht über das gesamte Bundes­ gebiet erstreckt, sind im allgemeinen nicht heranzuziehen.

Um die Bedeutung des § 23 GGO II richtig beurteilen zu können, ist es notwendig, auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift einzugehen 172 • Die Vorschrift geht zurück173 auf § 27 der Gemeinsamen Geschäfts­ ordnung der Reichsministerien, Besonderer Teil (GGO RMin II), aus dem Jahre 1926. Damals hieß die Überschrift „Beteiligung der Fach­ kreise". Der erste Absatz lautete folgendermaßen : ,,Bei der Vorberei­ tung von Gesetzen und wichtigen Verordnungen sind möglichst die Vertretungen der beteiligten Fachkreise rechtzeitig heranzuziehen." Nach Absatz 3 ist es in der Regel den Landesregierungen vorbehalten, Verbände heranzuziehen, deren Wirkungskreis sich nicht über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Der Autor der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Reichsministe­ rien, Arnold Brecht, hat dazu klargestellt, daß mit der Aufnahme dieser Vorschrift keineswegs die Anerkennung der Berufs- und Fach­ verbände beabsichtigt war. Vielmehr sollte durch sie eine Barriere insoweit aufgerichtet werden, als der Verkehr mit den Verbänden auf die Spitzenverbände beschränkt werden sollte, was für die Ministerien eine große Entlastung bedeutete174 • Nachdem bis dahin jeder sich an die Reichskanzlei und die Ministerien wenden konnte, bedeutete dies eine wesentliche Einschränkung. 172 Vgl. dazu Wilhelm Hennis, Verfassungsordnung und Verbandseinfluß, in : PVS 1961, S. 23 ff., 25 f. ; Carl Böhret, Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, in : Heinz Josef Varain (Hrsg.), Inter­ essenverbände in Deutschland, 1973, S. 216 ff. 173 Carl Böhret (Fn. 172), S. 217 /218 weist darauf hin, daß die Spitzenver­ bände der Privatwirtschaft schon 1921 die Aufstellung von Richtlinien über eine Beteiligung an der Vorbereitung von Gesetzentwürfen verlangten. 174 Vgl. den bei Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 28 Anm. 20 zitierten Brief Arnold Brechts ; ebenso Carl Böhret (Fn. 172), S. 218.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Die Beschränkung der Heranziehung auf die Spitzenverbände, die mit ursächlich für die Hierarchisierung des deutschen Verbandswesens ist 175 , hat sich bis heute erhalten. Sie ist in § 77 GGO I als Grundsatz festgelegt, wonach die Ministerien grundsätzlich nur mit Zentral- oder Gesamtverbänden verkehren. Insofern stellt § 23 Abs. 3 GGO II nur eine Konkretisierung dieses Prinzips für die Vorbereitung von Geset­ zesentwürfen dar. Die Vorgeschichte macht demnach deutlich, daß es bei dieser Rege­ lung darum ging, den Verbandsdruck auf die Ministerien durch Be­ schränkung der Beteiligung auf die Spitzenverbände abzuwehren. Immerhin ging es aber damals noch um die „Beteiligung der Fach­ kreise". Diese waren möglichst heranzuziehen. Die Verpflichtung der Ministerien einerseits und die Art der Beteiligung andererseits waren dem Wortlaut nach umfassender als dies heute der Fall ist. Heute ist die Beteiligung als „Beschaffung von Unterlagen" konkretisiert. Die Formulierung des § 23 Abs. 1 S. 1 GGO II enthält nicht mehr eine Verpflichtung, sondern stellt die Heranziehung in das Ermessen (,,kön­ nen") des Ministeriums. Ohne hier auf die Rechtsqualität der GGO II einzugehen, scheint die Neufassung der Beteiligungsregelung noch mehr als die ursprüngliche Vorschrift auf die Abwehr der Verbände hin angelegt zu sein176 • Eine Anerkennung der Verbände und ihrer legitimen Funktion der Mitwirkung an der Staatswillensbildung ist damit allenfalls dem Ansatz nach erfolgt. Die Formulierung spricht eher für die realistische Einschätzung der Situation, wonach eine sach­ lich richtige Gesetzgebung oft genug ohne den Sachverstand der Verbände nicht zustande kommen kann, wobei jedoch in unrealistischer Weise davon ausgegangen wird, daß man die Beteiligung der Verbände auf die Beschaffung von Unterlagen begrenzen müsse. Sie sind damit in der Rolle eines bloßen Faktenlieferanten gesehen. Am Prozeß der Willensbildung aufgrund dieser Fakten sollen sie nicht beteiligt sein. Entgegen dieser sich aus Ratio und Wortlaut des § 23 GGO II ergeben­ den Folgerung wird diese Vorschrift allgemein als besonders wichtige Regelung des Zugangs der Verbände zum staatlichen Bereich177 , als rechtliche Anerkennung der Verbände im Bereich der Exekutive178 , 175

So Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 28. Auf die in § 23 GGO II sichtbar werdende abwehrende Haltung gegen­ über der Verbandsbeteiligung weisen auch Egon Tuchtfeld, Heutiger Stand und künftige Perspektiven der Verbandsdiskussion, in : ders. (Hrsg.), Die Verbände in der pluralistischen Gesellschaft, 1962, S. 77, und Hans Ryffel (Fn. 42), S. 171, hin. 177 Vgl. Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 207. 178 So Horst Ehmke, ,,Staat " und „Gesellschaft" als verfassungstheoreti­ sches Problem, in : Staatsverfassung und Kirchenordnung. Festgabe für Rudolf Smend zum 80. Geburtstag, 1962, S. 23 ff., 43. 178

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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angesehen. Dabei wird darauf hingewiesen, daß die neue Fassung nichts an der Beteiligung der Fachkreise geändert habe 179 . Zum Ablauf des Verfahrens der Beschaffung von Unterlagen selbst ist in § 23 GGO II nicht viel ausgesagt. Vielmehr sind Zeitpunkt, Um­ fang und Auswahl der Verbände, soweit nicht Sondervorschriften bestehen, dem Ermessen überlassen, § 23 Abs. 1 Satz 2 GGO II. Es ist lediglich darauf zu achten, daß mit den Vertretungen der Fachkreise nicht in einer Weise Fühlung genommen wird, die dem Kabinett die Entscheidung erschwert, § 23 Abs. 2 Satz 2 GGO II. Der tatsächliche Ab­ lauf des Verfahrens kann daher nur empirisch durch Untersuchung konkreter Gesetzesvorhaben bzw. durch Befragung von Ministerial­ verwaltung und Verbänden festgestellt werden1 80 . In der Praxis ist § 23 GGO II „ein geradezu klassisches Beispiel" ,,für die Umwandlung einer ursprünglich wesentlich abwehrend gemeinten in eine berechtigende Vorschrift" 18 1 . Die Heranziehung der beteiligten Fachkreise ist „praktisch obliga­ torisch " 1 82 . Sie geht normalerweise über die Beschaffung von Unter­ lagen weit hinaus, wobei das Verfahren uneinheitlich ist. In der Regel wird den Spitzenverbänden ein Entwurf des geplanten Gesetzes zuge­ leitet1 83. Die angeschriebenen Verbände haben dann die Möglichkeit der schriftlichen Stellungnahme zu dem Entwurf; sie können zusätzliche Informationen liefern, Abänderungsvorschläge, Alternativentwürfe o. ä. einreichen oder an dem vorgelegten Entwurf Kritik üben. Zuwei­ len kommt es auch zu Besprechungen zwischen den zuständigen Refe­ renten und Verbandsvertretern. Dabei kann eine solche mündliche Anhörung in der Weise vor sich gehen, daß den Verbandsvertretern Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt vorzutragen, ohne daß in eine Diskussion über die Verbandsstellungnahme eingetreten wird; es kann aber auch zu einem Gedankenaustausch zwischen dem Referenten und dem bzw. den Verbandsvertretern kommen. 110

Vgl. Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 29. Hier fehlt es noch an breiter angelegten empirischen Untersuchungen, zumal die bisher vorliegenden Fallstudien für das Verfahren im Falle des § 23 GGO II nicht so viel hergeben, daß Verallgemeinerungen zulässig wären. Auch die Verbandsbefragung unter Leitung Günter Schmölders ist für Hinweise auf das Verfahren unergiebig. Eine umfangreiche empirische Be­ standsaufnahme hinsichtlich der Beteiligung nach § 94 BBG und den ent­ sprechenden Landesgesetzen jetzt bei Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), s. 580 ff. 181 Vgl. Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 28 Anm. 20. 182 Vgl. Hans-Joachim von Merkatz, Regiert die Lobby? Parlament, Regie­ rung und Interessenverbände, in : Der Bundestag von innen gesehen, 1969, S. 196 ff., 204; ebenso Peter Alexander Philipp, Die Offenlegung des Ein­ flusses von Interessenverbänden auf die Staatswillensbildung in der BRD. Vier Fallstudien zum Wettbewerbsrecht, 1974, S. 219. 183 Von diesem Regelfall geht § 25 Abs. 2 GGO II ausdrücklich aus, vgl. dazu u. S. 82. 180

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Es ist nicht ungewöhnlich, daß ein unter Berücksichtigung der Anhö­ rungsergebnisse überarbeiteter Entwurf noch einmal den Verbänden zur Stellungnahme übersandt wird. Auch der Zeitpunkt der Anhörung ist nicht generell festgelegt. Nach der Absicht der Regelung wäre die Stellungnahme der Verbände in einem möglichst frühen Stadium einzuholen. Dem entspricht es, wenn in § 25 Abs. 3 GGO II davon ausgegangen wird, ,,daß es sich um einen vom federführenden Minister und von der Bundesregierung noch nicht gebilligten unverbindlichen Referentenentwurf handelt". Die Bedeutung des § 23 GGO II für die tatsächliche Beteiligung der Verbände an der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung kann kaum überschätzt werden184 , 185 • Diese Bedeutung in faktischer Hin­ sicht kontrastiert in auffallender Weise mit der rechtlichen Verbind­ lichkeit der Regelung. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist dem zuständigen Mini­ sterialbeamten ein Ermessen sowohl dahingehend eingeräumt, ob er überhaupt die Vertretungen der beteiligten Fachkreise heranziehen will, als auch dahingehend, welche Verbände er beteiligen will. Von daher könnte den Verbänden also allenfalls ein Anspruch auf ermes­ sensfehlerfreie Entscheidung zustehen. Dabei ist zu trennen zwischen einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bezüglich der Hinzuziehung und einem solchen hinsichtlich der Auswahl. Voraussetzung für einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Ent­ scheidung bezüglich der Hinzuziehung der Verbände wäre, daß § 23 GGO II eine Rechtsvorschrift darstellen würde, die die Interessen der Spitzenverbände wenigstens mitschützen wollte. Die rechtliche Qualität der Vorschriften der GGO II ist umstritten186 ; es kann aber dahinstehen, ob ein Anspruch der Verbände bereits wegen des unverbindlichen Rechtscharakters der GGO II abzulehnen wäre; denn jedenfalls will § 23 GGO II nicht die Interessen der Verbände mit184 Dies gilt auch, wenn berücksichtigt wird, daß die Verbände aufgrund des Petitionsrechtes, Art. 17 GG, die Möglichkeit haben, sich jederzeit mit Anregungen und Denkschriften an die Ministerien zu wenden. 185 Vor allem auch deshalb, weil die Vorschrift für Rechtsverordnungen und Allgemeine Verwaltungsvorschriften entsprechend anwendbar ist, §§ 62, 74 GGO II. 188 Axel Saipa (Fn. 142), S. 140, spricht der GGO II jeden Normcharakter ab ; ähnlich Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 127 ; Klaus Lange (Fn. 69), S. 291, qualifiziert sie als Verwaltungsanordnung, Günter Brenner, Zum Mitwirkungsrecht der Verbände und Vereinigungen bei der Gesetzgebung des Bundes und beim Erlaß von Verordnungen, in : BB 1960, S. 873 ff., 875, als Verwaltungsverordnung ; ebenso Gerhard Semar, Die gesetzlich vorge­ sehene Mitwirkung der wirtschaftlichen Interessenverbände beim Zustande­ kommen und bei der Ausführung von Bundesrecht, 1969, S. 48.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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schützen187 . Dies ergibt sich vor allem aus der Formulierung der Rege­ lung, die, wie oben dargelegt wurde, den Verbandseinfluß nicht begün­ stigen, sondern abwehren will. Die Verbände werden nur zur „Be­ schaffung von Unterlagen", d. h. ausschließlich im Interesse des jewei­ ligen Ressorts, herangezogen. Aus diesem Grunde scheidet ein Anspruch der Verbände auf fehlerfreie Ermessensbetätigung bei der Frage der Hinzuziehung der Fachkreise aus. Anders verhält es sich bei der Auswahlentscheidung. Auch hier kann die Frage nach der Rechtsqualität der GGO II unentschieden bleiben; denn jedenfalls muß das Ermessen in einer den Gleichheitsgrundsatz der Art. 3 Abs. 1 GG berücksichtigenden Weise ausgeübt werden188. Damit verbietet sich aber eine willkürliche Auswahl der zu beteiligen­ den Verbände. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Entscheidungen in diesem Rahmen die Interessen der betroffenen Verbände erheblich tangieren. Hinzu­ weisen ist hier darauf, daß eine einseitige Berücksichtigung bestimm­ ter Verbände von Einfluß für die Attraktivität von Konkurrenzver­ bänden sein kann 1 89 . Zudem erschiene es willkürlich, wenn die Ministe­ rialverwaltung nur eine Seite der organisierten Interessen heran­ ziehen würde, die andere aber nicht. Der Grundsatz einer paritä­ tischen Beteiligung gilt vor allem für Arbeitgeber- und Arbeitnehmer­ interessen1 90 . Auch die Auswahlentscheidungen im Rahmen des § 23 GGO II müssen deshalb unter dem Willkürverbot stehen, wobei es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob man darauf abstellt, daß Maßnah­ men, die aufgrund von Verwaltungsanweisungen ergehen, keine (hö­ herrangigen) Normen des Grundgesetzes verletzen dürfen1 9 1 oder ob darauf hingewiesen wird, daß der Ministerialverwaltung in diesem Bereich kein schrankenloses Ermessen zusteht1 92 . Im Einzelfall dürfte es allerdings schwierig sein festzustellen, wann die Nichtberücksichtigung eines Verbandes willkürlich ist. Daß die Berücksichtigung nur zu erfolgen braucht, wenn der infrage stehende Verband überhaupt in den von ihm vertretenen Interessen betroffen ist, ist selbstverständlich. Die Kriterien für die Auswahl unter mehre­ ren betroffenen Verbänden sind allerdings kaum exakt festzulegen. Ebenso Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 275. Vgl. Hans Julius Wolff / Otto Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl. 1974, § 24 II d; Christian-Friedrich Menger, Verwaltungsrichtlinien - autonome Rechtsetzung durch die Exekutive?, in : Demokratie und Verwaltung, 1972, s. 299 ff., 300. 189 So Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 2 1 1 ; ähnlich Günter Brenner (Fn. 186), 187

188

s. 876. 190

191 192

So schon Ulrich Scheuner, in : (Fn. 15), S. 12. Vgl. BVerwGE 2, S. 163, 1 66 f., 7, S. 180, 187. So offenbar Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 2 1 1 .

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Sachgerecht dürfte die Beschränkung auf Verbände sein, deren Wir­ kungskreis sich über das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Ob eine unterschiedliche demokratische Legitimation als Auswahlkriterium herangezogen werden kann 193, erscheint zweifelhaft; dies kann wohl nur für die seltenen Fälle einer offenkundigen Abweichung der Ver­ bandsführung von den geäußerten Mitgliederinteressen angenommen werden194 . Im übrigen ergibt sich aus der Formulierung des § 23 Abs. 1 GGO II, daß den für die Anhörung zuständigen Referenten die größt­ mögliche Freiheit bei der Auswahl eingeräumt werden sollte195 . Da sich zudem die Ministerialverwaltung auch neben § 23 GGO II ihre notwendigen Informationen dort holen kann, wo sie wi11196, darf die Ermessensbildung nicht zu eng gesehen werden. Ist so ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung schon sach­ lich schwer zu begründen, wenn man von Extremfällen absieht, ist auch die Durchsetzung eines solchen Anspruchs nicht unproblematisch197 . Voraussetzung ist die Zulässigkeit des verwaltungsprozessualen Ver­ fahrens 198 . Hält man es für zulässig, ist für die Klageart zu unterschei­ den, ob der Gesetzentwurf sich noch im Vorbereitungsstadium befin­ det - nur dann ist eine Anhörung möglich -, oder ob er bereits im Bundestag eingebracht ist 199, dann ist eine Anhörung durch die Ministe­ rialverwaltung nicht mehr möglich. Im ersten Falle ist an eine Ver­ pflichtungsklage zu denken, im letzteren, der praktisch - wenn über­ haupt - häufiger sein dürfte, an eine Klage auf Feststellung, daß die Nichtbeteiligung des betreffenden Verbandes auf fehlerhafter Ermes­ sensausübung beruhte. Weitergehende rechtliche Konsequenzen sind nicht ersichtlich; dies folgt nicht etwa erst aus dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori 11 200, sondern daraus, daß eine unter fehlerhafter Beteiligung der Verbände zustandegekommene Gesetzesinitiative der Regierung jeden­ falls nicht nichtig ist und Grundlage für einen dem Verfassungsrecht entsprechenden Gesetzesbeschluß durch das Parlament sein kann. 103 Dies meint Günter Brenner (Fn. 186), S. 876. 1 94 So zu Recht Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 211. 10s Ähnlich Axel Saipa (Fn. 142), S. 141. 198 Darauf weist Gerhard Semar (Fn. 186), S. 51, hin. 197 Vgl. Günter Brenner (Fn. 186), S. 374 ; Klaus-Jürgen Lange (Fn. 69), s. 287 f. 198 z. T. wird in der Beteiligung nach § 23 GGO II ein nicht justiziabler Regierungsakt gesehen, so Gerhard Semar (Fn. 186), S. 83, anders aber S. 89. 199 Eigentlich schon mit der Zuleitung an den Bundesrat, da dann die Regierungsvorlage nicht mehr geändert werden kann, vgl. § 42 Abs. 3, S. 2 GGO II ; auf den Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes, auf den Gün­ ter Brenner (Fn. 186), S. 874 abstellt, kann es deshalb nicht ankommen. 200 So aber Günter Brenner (Fn. 186), S. 374; Klaus-Jürgen Lange (Fn. 69), S. 288 u. a.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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Rechtlich ist daher die Situation für die Verbände nicht gerade gün­ stig. Die Ministerien sind völlig frei in der Frage, ob sie überhaupt Verbände hinzuziehen wollen; sie haben ein weitgehendes Ermessen hinsichtlich der Auswahl der zu beteiligenden Verbände. Zudem genie­ ßen die Verbände hinsichtlich des § 23 GGO II keinerlei Bestandschutz. Diese Regelung kann vielmehr ohne weiteres, somit auch ohne Betei­ ligung der Verbände, geändert werden. Die schwache Rechtsposition, die den Verbänden durch diese Rege­ lung zuerkannt ist, hat aber gegenüber der überragenden Bedeutung in der täglichen Praxis für die Beteiligung der Verbände an der Ge­ setzgebung keine Rolle gespielt. Zu einem Rechtsstreit ist es - soweit ersichtlich - bisher nicht gekommen20 1 • In der Praxis wird auch zu­ meist ein großer Kreis von Spitzenverbänden beteiligt, so daß es kaum Unstimmigkeiten gab. Daß die Regelung insgesamt doch auf eine Pri­ vilegierung der Verbände hinausläuft, zeigt die Bestimmung des § 61 GGO I über die Heranziehung von unabhängigen Sachverständigen202 • Die Verbände werden aus vielen Gründen bevorzugt an der Vorberei­ tung der Entwürfe beteiligt. Gerade weil es viele gute Gründe für eine Beteiligung der Verbände bei der Vorbereitung der Regierungsentwürfe gibt, richtete sich die Kritik an dieser Regelung nicht gegen die Tatsache der Beteiligung als solche, sondern vor allem dagegen, daß sie sich, von einer Befassung der Länder in bestimmten Fällen abgesehen, vgl. § 24 GGO II, praktisch unter „vollständiger Aussperrung von Parlament und allgemeiner Öffentlichkeit" 203 vollzog. Die Kritik entzündete sich an § 25 GGO II a. F., wonach es einer besonderen Entscheidung des betroffenen Mini­ sters, in Fällen von grundsätzlicher politischer Bedeutung sogar des Bundeskanzlers bedurfte, wenn anderen Stellen, also Abgeordneten oder der Presse, Entwürfe aus den Bundesministerien zugänglich ge­ macht werden sollten. Die Regel bestand darin, außer den Verbänden und in einigen Fällen den Landesministerien, niemand von dem Ent­ wurf oder dem Gesetzesvorhaben in Kenntnis zu setzen. Diese Regelung hat vor allem bei den Abgeordneten selbst großen Unmut ausgelöst, da sie es unerträglich fanden, daß die Verbände eher über Gesetzesvorhaben informiert waren als sie selbst204• Auf diese 201 Klaus von Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, 4. Aufl. 1974, S. 171 berichtet von einer Klage des DGB, der sich in seinem Anhörungsrecht übergangen fühlte. Diese Klage wurde aber nach einer öffentlichen Ent­ schuldigung des damaligen Wirtschaftsministers Erhard zurückgenommen. 202 Vgl. Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 343. zoa So Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 29. 204 Darüber wird auch heute noch Klage geführt, vgl. Hugo Brandt, Stoß­ seufzer eines desinformierten MdB, in : ZParl 1974, S. 117 f.

6 Speyer 68

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Weise würden sie im Bundestag mit einer „verbandsfesten" Gesetzes­ vorlage konfrontiert. In verschiedenen Anträgen der Fraktionen der Großen Koalition während der 5. Legislaturperiode wurde die Bundes­ regierung ersucht, sicherzustellen, daß den Mitgliedern des Bundes­ tages eine Kenntnisnahme der Referentenentwürfe ermöglicht werde, sobald und soweit sie den Verbänden zugeleitet würden205 • Die Regierung ist diesem Wunsch, wenn auch mit einiger Verzöge­ rung, gefolgt und hat durch Bekanntmachung des BMI vom 8. 10. 1971 § 25 der GGO II geändert206 • § 25 GGO II in bisheriger Form wurde Abs. 1. Nach dem neu aufgenommenen Abs. 2 ist ein Gesetzentwurf den Geschäftsstellen der Fraktionen des Bundestages und auf Wunsch den Mitgliedern des Bundestages zur Kenntnis zu geben, sobald und soweit er beteiligten Fachkreisen oder Verbänden (§ 23) zugeleitet worden ist. Dies gilt nicht, sofern der Unterrichtung besondere Umstände ent­ gegenstehen. Zweifelsfälle haben die Minister bzw. bei besonderer politischer Bedeutung der Kanzler zu entscheiden. Gemäß einer weite­ ren Änderung der GGO II vom 18. 8. 1972 207 gilt die gleiche Regelung für das Sekretariat des Bundesrates und auf Wunsch für Mitglieder des Bundesrates. Nach einem Abs. 3 hat bei der Unterrichtung der Hinweis zu erfolgen, daß es sich noch um einen unverbindlichen Refe­ rentenentwurf handle. Mit dieser Änderung des § 25 GGO II, die bisher in der Literatur kaum zur Kenntnis genommen wurde208 , ist einem berechtigten Wunsch der Abgeordneten grundsätzlich entsprochen worden. Unverständlich ist die Einschränkung, wonach eine Unterrichtung bei Entgegenstehen besonderer Umstände unterbleibt209 • So können also Fälle verbleiben, in denen der Abgeordnete zwar als Verbandsfunktionär, aber nicht in seiner Eigenschaft als Abgeordneter unterrichtet wird. Eine Information der Presse bzw. der Öffentlichkeit ist nach wie vor nicht vorgesehen. Bisher unerfüllt blieb auch eine weitere in der Literatur und von den Fraktionen des Bundestages geforderte Ergänzung der GGO II in die­ sem Zusammenhang. Immer wieder wurde gefordert, in der Begrün­ dung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung die Stellungnahmen Vgl. ET-Drucksache V/2955 ; ET-Drucksache V/4373. s. GMBl. 1971, S. 483. 201 s. GMBl. 1972, S. 563. 208 Die Änderung ist berücksichtigt bei Karl Matthias Meessen, Berater­ verträge und freies Mandat, in : Festschrift für Ulrich Scheuner, 1973, S. 431 ff., 446 ; ob dadurch eine Änderung der bisherigen Praxis eingeleitet wurde, ist angesichts der Äußerung Hugo Brandts (Fn. 204), S. 117 zweifel­ haft. 200 Auch Karl Matthias Meessen (Fn. 208), S. 446 Anm. 51 stellt fest : ,,Der letzte Halbsatz gestattet wenig faßbare Ausnahmen." 205

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der Verbände zu ihm deutlich zu machen210 • Zwar ist § 37 Abs. 3 GGO II geändert; in der Begründung sind nunmehr andere wesentliche Lösungsmöglichkeiten darzustellen und die Erwägungen zu erläutern, die zu ihrer Ablehnung geführt haben. Der Forderung nach einer Ver­ deutlichung der Verbandsauffassungen ist damit aber nicht entsprochen worden. Insgesamt stellt damit § 23 GGO II eine Regelung dar, die in der Praxis zu einer intensiven Mitarbeit der Verbände an der Gesetzes­ vorbereitung der Bundesregierung führt. Bundestag und Bundesrat werden zwar grundsätzlich über den Entwurf, nicht aber über den Gang und das Ergebnis der Heranziehung der Verbände unterrichtet; sie können dies nur aus dem endgültigen Entwurf zu schließen ver­ suchen. Die Öffentlichkeit hat an den Entwürfen und der Zusammen­ arbeit zwischen Ministerialbeamten und Verbandsvertretern keinen Anteil. 2. Der Sonderfall der Beteiligung der Beamtenverbände, § 94 BBG

Nach § 94 BBG sind die Spitzenorganisationen der zuständigen Ge­ werkschaften bei der Vorbereitung allgemeiner Regelungen der beam­ tenrechtlichen Verhältnisse zu beteiligen. Diese Vorschrift, die in ähn­ licher Form über § 58 BRRG in alle Landesbeamtengesetze übernommen wurde, stellt in doppelter Hinsicht einen Sonderfall dar. Zunächst ist dies der einzige Fall, in dem bundesgesetzlich bestimmten Verbänden ein Anspruch auf Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung eingeräumt ist211 • Zum anderen ist es eine spezifisch beamtenrechtliche Regelung, die einen Ausgleich für die fehlende Tariffähigkeit der Beamten her­ stellen soll. In der folgenden Darstellung soll die spezifisch beamtenrechtliche Problematik ausgeklammert werden, da sie über das allgemeine Pro­ blem der Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung hinausführt212 • Uns interessiert die Regelung nur als Beispiel für einen gesetzlichen Anspruch auf Beteiligung. Bereits bei der generellen Prüfung der Zulässigkeit der Einräumung von Ansprüchen auf Beteiligung war festgestellt worden, daß ein sol210 So schon Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 34 ; ET-Drucksache V/2955 ; V/4373 ; ebenso Wolfgang Piepenstock, Politische Vereinigungen unter dem Grundgesetz, 1971, S. 89 ; ähnlich Martin G. Ammermüller (Fn. 116), S. 81. 211 Landesrechtlich sind auch anderen Organisationen Mitwirkungsrechte gesetzlich zuerkannt, vgl. z. B. den kommunalen Spitzenverbänden in Rhein­ land-Pfalz, vgl. §§ 129 Gemeindeordnung, 65 Landkreisordnung. 212 s. dazu Heinrich Siedentopf, Funktion und allgemeine Rechtstellung Analyse der Funktionen des öffentlichen Dienstes, o. J. (1973), S. 181 ff. ; jetzt ausführlich Hans Werner Laubinger (Fn. 81), S. 623 ff.

6•

1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

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eher Anspruch sich in erster Linie auf Beteiligung an der Gesetzes­ vorbereitung durch die Bundesregierung und allenfalls des Bundes­ rates richten könne; gegenüber einem Anspruch gegen den Bundestag bestehen verfassungsrechtliche Bedenken, die nur aus der Erwägung zurückgestellt werden, daß sonst eine Umgehungsmöglichkeit geschaf­ fen werden könnte213 • Jedenfalls hat aber der Gesetzgeber die Möglich­ keit, den Anspruch auf die Beteiligung an der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung zu beschränken214 • Bei dieser Sachlage erscheint es nicht zufällig, wenn § 58 BRRG den Anspruch auf Beteiligung bei der Vorbereitung gesetzlicher Regelun­ gen durch die obersten Landesbehörden präzisiert215 • Hier soll ein An­ spruch auf die Beteiligung also nur an der Gesetzesvorbereitung der Regierung bestehen216 • Der Anspruch richtet sich - unspezifisch genug - auf Beteiligung, was die unterschiedlichsten Formen der Heran­ ziehung der zuständigen Gewerkschaften zuläßt. In der Regel kommt es zu Verhandlungen über Referentenentwürfe. Werden die Entwürfe nach der Beteiligung in wesentlichen Punkten geändert, erfolgt eine erneute Kontaktaufnahme mit den Gewerkschaften, es sei denn, die Änderung berücksichtigte nur die verbandliche Stellungnahme. Mitt­ lerweile liegt eine großangelegte Untersuchung der Beteiligungspraxis vor, auf die für Einzelheiten verwiesen werden kann217• Im übrigen ist eine gewisse Parallele zu § 23 GGO II zu sehen, obwohl die Beteiligung umfassender ist als die „Beschaffung von Unterlagen". Die Anknüpfung an die GGO II ist aber insofern gegeben, als die Unterrichtung der Fraktionen und Abgeordneten des Bundestages sowie des Sekretariates und der Abgeordneten des Bundesrates nach § 25 Abs. 2 GGO II auch für die beamtenrechtlichen Referentenentwürfe gilt. Die zu § 23 GGO II ff. bestehenden Probleme der Unterrichtung der Abgeordneten über die Stellungnahmen der Verbände und der feh­ lenden Öffentlichkeit der Verhandlungen tauchen auch hier auf. Da § 94 BBG als Anspruch auf Beteiligung ausgestaltet ist, kommt der prozessualen Durchsetzung dieses Anspruchs besondere Bedeutung zu. s. o. s. 71. Der Bundestag selbst geht offenbar davon aus, daß er durch § 94 BBG nicht zur Beteiligung der Beamtenverbände verpflichtet sei, vgl. das Er­ gebnis der Befragung Hans Werner Laubingers (Fn. 81), S. 676. 21 5 Diese Beschränkung hält Laubinger (Fn. 81), S. 457, für unvereinbar mit. Art. 9 Abs. 3 GG; dies ist von seiner Position aus konsequent. Wenn man aber, wie hier, die Beteiligungsregelung nicht als durch Art. 9 Abs. 3 GG gefordert ansieht, vgl. o. S. 57 f., ist eine solche Beschränkung zulässig und wirft die Frage auf, ob sie nicht auch für § 94 BBG angenommen werden muß. 218 Vgl. die vergleichbare Formulierung für den Beteiligungsanspruch der kommunalen Spitzenverbände in Rheinland-Pfalz, §§ 129 Gemeindeordnung, 65 Landkreisordnung. 217 Vgl. Hans- Werner Laubinger (Fn. 81), S. 581 ff. 21 3

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I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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Auch hier ist hinsichtlich der Verwirklichung des Anspruchs danach zu unterscheiden, ob die Gesetzesvorbereitung bereits abgeschlossen ist oder nicht. Solange der Regierungsentwurf noch nicht dem Bundesrat zugeleitet ist, ist eine Beteiligung der Verbände noch möglich. Eine eventuelle Klage müßte dann dahingehen, die Regierung zur Beteiligung des be­ troffenen Verbandes zu verpflichten. Ist der Regierungsentwurf bereits dem Bundesrat zugeleitet, kann eine Beteiligung durch die Regierung nicht mehr stattfinden. Möglich ist dann nur noch die Feststellung, daß die Regierung den betreffenden Verband hätte beteiligen müssen218• Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, ob ein Verstoß gegen die Beteiligungspflicht die Wirksamkeit eines verabschiedeten Geset­ zes beeinflußt. Dabei können mehrere Fallgruppen unterschieden wer­ den : ein Gesetz kann ohne jegliche Beteiligung an der Vorbereitung zustandekommen; es kann sich aber auch nur ein bestimmter Verband übergangen fühlen. Schließlich kann die Beteiligung in fehlerhafter Weise erfolgt sein, wenn sie z. B. nicht zu allen Vorschriften des Ent­ wurfs gewährt wurde oder eine weitere Beteiligung nach wesentlicher Änderung des Entwurfs unterblieb. Die herrschende Meinung löst den Fall unterschiedslos nach dem Grundgesetz : ,,Lex posterior derogat legi priori21 9 . " Danach ist der Verstoß gegen die Beteiligungspflicht ohne Einfluß auf die Gültigkeit des verabschiedeten Gesetzes. Nach einer beacht­ lichen Mindermeinung ist das ohne ordnungsmäßige Beteiligung der Beamtenverbände erlassene Gesetz nichtig220 , weil die Verletzung der Beteiligungspflicht einen Verfahrensmangel darstelle, der zugleich einen Verstoß gegen das durch das Rechtsstaatsprinzip garantierte Gebot der Rechtssicherheit impliziere221 • Sowohl die herrschende Mei­ nung wie die Mindermeinung können in ihrer Begründung nicht über­ zeugen. Der herrschenden Meinung ist zuzugeben, daß grundsätzlich die Möglichkeit besteht, durch ein später verabschiedetes einfaches Gesetz 218 I m Ergebnis ähnlich Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 568 ff., auf den für Einzelheiten verwiesen werden kann, wenn auch manche Frage gleichwohl offenbleibt. Probleme ergeben sich vor allem dann, wenn man von einer Beteiligungspflicht des Parlaments sowie von einem Anspruch auf wiederholte Beteiligung bei Änderung des Entwurfs ausgeht. · uu Vgl. Günter Brenner (Fn. 186), S. 874 ; Carl Hermann Ule, Welche Rechtsfolgen hat das Fehlen der Beteiligung der Spitzenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften bei der Vorbereitung der allgemeinen Rege­ lungen der beamtenrechtlichen Verhältnisse?, in : ZBR 1 962, S. 1 7 1 ff. ; Klaus Jürgen Lange (Fn. 69), S. 288, Gerhard Semar (Fn. 186), S. 85. 220 Vgl. Carl Hermann Ule, Beamtenrecht, 1970, § 58 BRRG Rdnr. 4, S. 261 ; Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 553 ff. 221 So Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 562.

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eine früher durch einfaches Gesetz getroffene Regelung aufzuheben oder zu ändern. Dabei wird aber immer davon ausgegangen, daß es sich um eine sachliche Änderung handelt, z. B. wenn im Strafrecht ein Tatbestand neu gefaßt wird, oder wenn das Beamtengesetz in einigen Punkten geändert wird. Im vorliegenden Fall aber handelt es sich bei § 94 BBG um eine Re­ gelung, die das Vorverfahren der Gesetzgebung betrifft. Diese Rege­ lung steht bei der Verabschiedung eines das Beamtenverhältnis be­ treffenden Gesetzes regelmäßig nicht zur Diskussion ; denn durch ein solches Gesetz soll normalerweise nicht die Beteiligungsregelung grundsätzlich beseitigt werden. Die Anhänger der Auffassung der derogierenden Wirkung des neuen Gesetzes gehen davon aus, daß die Beteiligungsregelung durch die Verabschiedung des Gesetzes implizit aufgehoben worden sei. Zweifelhaft ist zunächst, ob es rechtlich möglich ist, eine Verfahrens­ vorschrift, die allgemein für die Vorbereitung gesetzlicher Regelungen erlassen wurde, für einen Einzelfall außer Kraft zu setzen. Diese Rege­ lung könnte zwar durch eine einfachgesetzliche Abänderung des § 94 BBG generell beseitigt werden222 • Eine Außerkraftsetzung für einen Einzelfall erscheint aber nicht unbedenklich, da die Vorschrift als Verfahrensregelung eben doch eine zusätzliche Qualität hat. Sie hat eine höhere Bindungswirkung als andere Normen, auch wenn sie nur durch einfaches Gesetz statuiert ist223 • Selbst wenn man davon ausgeht, daß § 94 BBG im Einzelfall außer Kraft gesetzt werden kann, stellt sich die Frage, ob dann nicht die Nichtberücksichtigung des § 94 BBG in dem zu verabschiedenden Gesetz ausdrücklich festgelegt werden müßte. Es sollte wohl zum Ausdruck kommen, daß das neue Gesetz sein Entstehungsverfahren in Abwei­ chung zu § 94 BBG regeln will. Nur unter dieser Voraussetzung könnte der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori" gelten. In allen ande­ ren Fällen ist nämlich auch nicht feststellbar, ob die Regierung die Be­ teiligung bewußt oder versehentlich unterlassen hat und ob Bundesrat und Bundestag den Mangel durch Verabschiedung des Gesetzes heilen wollten. Rechtsfolge der unterbliebenen Beteiligung ist aber nicht die Nichtig­ keit des Gesetzes. Die Nichtbeteiligung der Beamtenverbände bei der 222 Dabei wäre noch zu prüfen, ob die Beamtenverbände in diesem Falle nicht ein letztes Mal beteiligt werden müßten. 223 Vgl. Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog (Fn. 61), Rdnr. 139 zu Art. 20, der allerdings nur bei Verstößen gegen Verfassungsnormen Ungül­ tigkeit annimmt ; Hans-Werner Laubinger (Fn. 81), S. 556, der auf die Rechts­ sicherheit abstellt ; a. A. Günter Püttner, Unterschiedlicher Rang der Ge­ setze?, in : DÖV 1970, S. 322 ff.

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Gesetzesvorbereitung begründet keine Verfassungswidrigkeit. Viel­ mehr kommt das Gesetz verfassungsgemäß zustande. Die Gesetzesinitiative der Regierung leidet zwar an einem rechtlichen Mangel, weil bei ihrer Vorbereitung die gesetzlich vorgesehene Betei­ ligung der Beamtengewerkschaften nicht oder unzureichend statt­ gefunden hat. Dies macht aber die Initiative nicht nichtig, was beson­ ders daraus hervorgeht, daß der Anspruch der Verbände nur auf Be­ teiligung, aber nicht auf sachliche Berücksichtigung der Stellungnah­ men geht. Zwar ist die Regierung wohl zu einer sachlichen Prüfung verpflichtet, kann aber bei ihrem Konzept bleiben, ohne daß die Ver­ bände den Inhalt der Gesetzesinitiative beeinflussen könnten. Dies spricht dafür, daß die Nichtberücksichtigung des Beteiligungsanspruchs zwar rechtswidrig ist, die Gesetzesinitiative der Regierung aber nicht unwirksam macht. Vielmehr liegt es jetzt am Bundesrat und Bundes­ tag, die fehlende Beteiligung hinzuzunehmen oder zu monieren224 • Wenn der Bundesrat und Bundestag den Gesetzentwurf in der Sache behandeln und verabschieden, kommt das Gesetz auf verfassungsmäßi­ gem Wege rechtsgültig zustande225 • Ein etwaiger Rechtsmangel der Gesetzesinitiative im Stadium der Gesetzesvorbereitung wird durch die weitere korrekte Behandlung im Gesetzgebungsverfahren geheilt. Ent­ scheidend für die Gültigkeit des neuen Gesetzes ist also nicht dessen Verabschiedung, sondern die formell korrekte Behandlung im eigent­ lichen Gesetzgebungsverfahren. Das Ergebnis unterscheidet sich nicht von demjenigen, das die h. M. durch den Satz „Lex posterior etc." erzielt. Die Begründung macht aber deutlich, daß die derogierende Wirkung des neuen Gesetzes nicht fin­ giert zu werden braucht, wenn man zwischen der Gesetzesvorberei­ tung und dem Gesetzgebungsverfahren unterscheidet. Der Hinweis auf die Rechtssicherheit führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Gerade die Rechtssicherheit gebietet die Annahme der Gül­ tigkeit verfassungsmäßig zustandegekommener Gesetze, denen man nicht ansieht, ob das Beteiligungsverfahren korrekt war22 6 • m Dabei können die Verbände die gesetzgebenden Organe auf die man­ gelnde Beteiligung aufmerksam machen. Da Gesetzentwürfe als BT-Druck­ sachen veröffentlicht werden, gelangen sie den Verbänden zur Kenntnis. Es liegt an ihnen, dann politisch aktiv zu werden. m Das Bundesverfassungsgericht ist mit der Annahme eines zur Nichtig­ keit des Gesetzes führenden Verfahrensfehlers sehr zurückhaltend. Wenn das verfassungsrechtlich vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren eingehal­ ten ist, wird grundsätzlich von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes aus­ gegangen, vgl. BVerfGE 29, S. 221 ff., 233/234 ; noch weitergehend BVerfGE 34, s. 9 ff., 21 ff. 229 Wollte man jede Verletzung des Beteiligungsanspruchs mit der Nichtig­ keit sanktionieren, wäre die Geltung beamtenrechtlicher Vorschriften höchst ungewiß. Findet wirklich einmal überhaupt keine Beteiligung statt, müssen eben die Verbände auf der Hut sein.

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Damit verbleibt als wesentliche Möglichkeit der Geltendmachung des Beteiligungsanspruchs nur die Feststellungsklage, deren Wirkung für die Öffentlichkeit nicht unterschätzt werden sollte. Im übrigen entspricht auch in diesem Fall der Aufwand, der für eine dogmatisch saubere Lösung einer prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit aufzu­ wenden ist, keineswegs der praktischen Bedeutung dieser Frage. In der Praxis werden regelmäßig die betroffenen Verbände beteiligt, und sollte eine Beteiligung wirklich einmal versäumt werden bzw. nicht so ausfallen, wie es den Verbänden vorschwebt, ist der Weg in die Öffent­ lichkeit in der Regel wesentlich attraktiver und effektiver als der Rechtsweg. 3. Die Beteiligung der Verbände in Beiräten und Kommissionen Die Beteiligung der Verbände in Beiräten, Ausschüssen und ähn­ lichen Institutionen ist auch in der Bundesrepublik weit verbreitet. Deren Bildung ist in § 62 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bun­ desministerien - Allgemeiner Teil (GGO I) vorgesehen. Die Vorschrüt lautet: Beiräte (1) Beiräte sollen bei einem Ministerium nur für Arbeitsgebiete von grö­ ßerer Bedeutung gebildet werden. (2) Wenn für Mitglieder eines Beirates nichts anderes bestimmt wird, ist die Zugehörigkeit zu ihm ein persönliches Ehrenamt, das keine Vertre­ tung zuläßt. Sie sind, soweit nötig, auf gewissenhafte und unparteiische Erfüllung der Aufgaben sowie auf Verschwiegenheit zu verpflichten. (3) Mitglieder der Beiräte nehmen zu den ihnen vorgelegten Fragen nach bester überzeugung Stellung und sind nur sich selbst verantwortlich. Sie sind, wenn sie von Organisationen kommen, weder als deren Ver­ treter tätig noch an Weisungen gebunden. In der Bundesrepublik war das Geflecht von Beiräten, Kommissionen u. ä. zwar lange als Tatsache in seinen Umrissen bekannt, es fehlte aber an einer zusammenfassenden Darstellung über Anzahl, Zusammenset­ zung und Funktion der Beiräte im einzelnen. Eine erste Zusammen"'. stellung erfolgte aufgrund einer kleinen Anfrage aus dem Jahre 1969227 • Damals gab die Bundesregierung die Zahl der bei Bundesministerien und Bundesoberbehörden bestehenden Beratungsgremien mit 206 an, die insgesamt 4368 Mitglieder hatten228 • Eine zur Vervollständigung der Erfassung der Beratungsgremien durch den Bundesminister des Innern durchgeführte Nacherhebung führte zu einer Erhöhung dieser Zahlen. Danach bestanden am 1. Mai 1969 insgesamt 264 Beratungsgremien, Vgl. BT-Drucksache V/4137. us Vgl. BT-Drucksache V/4585 vom 14. Juli 1969.

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davon 190 bei Bundesministerien und 74 bei nachgeordneten Bundes­ behörden. Diese 264 Beratungsgremien hatten insgesamt 5914 Mit­ glieder229 . Nicht alle der 190 Beratungsgremien bei den Bundesministerien sind auch mit Verbandsvertretern besetzt; teilweise bestehen sie ausschließ­ lich aus Wissenschaftlern und Sachverständigen230 . Immerhin ist aber in einem großen Teil von ihnen das organisierte Interesse vertreten23 1 ; in einigen Gremien verfügen die Verbandsvertreter über die Majorität der Sitze. Es gibt sogar Gremien, die nur mit Interessenten besetzt sind2s2 . In einer zweiten Einschränkung ist darauf hinzuweisen, daß nicht alle Beratungsgremien mit der Gesetzgebung zu tun haben. Immerhin dürfte es aber kaum übertrieben sein, wenn man davon ausgeht, daß es eine große Anzahl von Beratungsgremien bei Bundesministerien gibt, die mit Verbandsvertretern besetzt und bei der Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben beteiligt sind. Im folgenden soll deshalb ein Überblick über die Beratungsgremien bei Bundesministerien gegeben werden. Ein solcher Überblick wird nicht nur dadurch erschwert, daß die Beratungsgremien untereinander kaum vergleichbar sind und ein brei­ tes Spektrum von Gestaltungsformen aufweisen, sondern auch dadurch, daß es empirische Gesamtuntersuchungen oder auch Einzeluntersuchun­ gen bisher - soweit ersichtlich - nicht oder nur in Ansätzen gibt233 , 234 • 228 Vgl. einen Bericht des Bundesministers des Innern vom 14. Mai 1970 V II 1 - 131 216/3 - zur „Erfassung der bei den Bundesministerien und Bundesbehörden bestehenden Beiräte, Ausschüsse, Arbeitskreise, Kommis­ sionen und ähnlichen Gremien", S. 2, 8; im folgenden zit. Bericht; darauf daß „offenbar auch bei den Behörden selbst die genaue Übersicht verloren­ gegangen ist", weist Winfried Brohm, Sachverständige und Politik, in : Fest­ schrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 37 ff., 38, hin ; kennzeichnend dafür ist, daß in einem Schreiben des Bundesministeriums vom 3. 2. 1971 die Zahl der Beiräte bei Ministerien für das Jahr 1967 mit ungefähr 130 - 140 angegeben wurde, vgl. Franz Knöpfle, Länderbericht : Allemagne Federale, in : Georges Langrod (Hrsg.), La Consultation dans 1' Administration contemporaine, 1972, S. 637 ff., 658 Anm. 30, obwohl damals sowohl die BT-Drucks. V/4585 als auch der Bericht vom 14. Mai 1970 bereits vorlagen. 280 Dabei ist freilich die Einteilung der Besetzung der Beratungsgremien in Wissenschaftler, Verbandsvertreter und sonstige Sachverständige, wie sie in BT-Drucksache V/4585 vorgenommen ist, nicht ganz unzweifelhaft, da die Abgrenzungskriterien unklar bleiben. 23 1 Renate Mayntz (Fn. 1.3), S. 341, 344 beziffert die Anzahl der Beiräte, in denen Verbandsvertreter offiziell mitwirken, auf „fast 130". 282 Beispiele bei Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 253 f. ; dort auch eine Typologie der Beiräte. 233 Für die Beteiligung von Wirtschaftsverbänden in Beiräten s. Dagobert Völpel, Rechtlicher Einfluß von Wirtschaftsgruppen auf die Staatsgestaltung, 1972, S . . 84 - 131, der aber in seiner Darstellung kaum über das hinausgeht, was sich aus BT-Drucksache V/4585 ergibt; für die Beiräte im Bereich des

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Die einzige eingehendere Gesamtstudie besteht in einer „Erfassung der bei den Bundesministerien und Bundesoberbehörden bestehenden Bei­ räte, Ausschüsse, Arbeitskreise, Kommissionen und ähnlichen Gre­ mien" 235, deren Ergebnisse der nachfolgenden Darstellung zugrunde­ liegen. Besonders interessant sind die Angaben über die Zuordnung der Be­ ratungsgremien und ihre Aufgaben, Einzelheiten der Errichtung und Zusammensetzung, Struktur, Anzahl und Häufigkeit der Sitzungen, Öffentlichkeitsarbeit und Kosten. Betrachtet man die Zuordnung von Beratungsgremien zu einzelnen Ministerien in der VI. Legislaturperiode, ergibt sich, daß die Ministe­ rien für Wirtschaft (27), Arbeit (27) und Landwirtschaft (25) mit der Zahl der ihnen zugeordneten Beiräte an der Spitze stehen, gefolgt von den Ministerien für Inneres (22), Verkehr (20) und Jugend, Familie, Ge­ sundheit (19). Dem entspricht in etwa auch die Zuordnung der Bera­ tungsgremien zu Aufgaben, wobei sich z. B. 70 Gremien mit Wirt­ schaftsfragen befassen236 . Freilich sind die absoluten Zahlen für die Gewichtung der Bedeutung der Beiräte wenig aussagekräftig; dafür müßte eine nähere Analyse der Tätigkeit der einzelnen Beiräte er­ folgen. Die Errichtungsgrundlagen für die Beratungsgremien sind außer­ ordentlich vielfältig. Fast 20 0/o sind aufgrund einer gesetzlichen Fest­ legung ins Leben gerufen worden; allerdings handelt es sich hierbei in erster Linie um die Beiräte bei Bundesoberbehörden, nicht aber um die zur Beratung an der Gesetzesvorbereitung bei Ministerien geschaffenen Gremien. Die Beiräte können sich auf einen Erlaß oder ein Schreiben Wissenschaftsministeriums s. den Artikel „Mumien drin", in : Der Spiegel Nr. 13/71 vom 22. 2. 1971, S. 74 f. 234 Unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Beratung der Politik, nicht der Interessenvertretung, sind die Beiräte behandelt worden von Doris Dreitzel, Die Bundesregierung und ihre Wissenschaftler, in : atomzeitalter 1966, S. 295 ff., dies., Das Institut des wissenschaftlichen Beirats auf Bundes­ ebene, in : Loccumer Protokolle 21/1967, Der Sachverständige in der Politik, S. 53 ff., vorwiegend aus der Sicht der Wissenschaftler; Hannes Friedrich, Staatliche Verwaltung und Wissenschaft, in : atomzeitalter 1966, S. 300 ff. ; ders., in : Loccumer Protokolle 21/1967, S. 58 ff. ; ders., Staatliche Verwaltung und Wissenschaft, 1970, aus der Sicht der Ministerialbürokratie; auch Franz Knöpfle (Fn. 229), S. 677, konstatiert das Fehlen empirischer Untersuchungen ; bei ihm finden sich einige Hinweise auf die praktische Arbeit der Beiräte ; die Untersuchung Winfried Brohms (Fn. 229) befaßt sich mit den rechtlichen Aspekten der Beratung. 235 Vgl. Bericht (Fn. 229) ; bereits die Anzahl der unterschiedlichen Bezeich­ nungen deutet die Vielfalt der Beratungsgremien an ; eine teilweise Aus­ wertung des Berichts findet sich auch bei Peter Alexander Philipp (Fn. 182), s. 226 ff. 238 Bei dieser Zahl ist aber nicht zwischen den Beratungsgremien bei Ministerien und Bundesoberbehörden unterschieden.

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des Ministeriums ebenso gründen, wie auf eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Stellen oder auf eine Entscheidung des Ministers, um nur die häufigsten Fälle zu nennen237 • Nur für 8 der 190 Beratungs­ gremien der Ministerien ist § 62 GGO I als Errichtungsgrundlage genannt. Während die Ernennung der Mitglieder von Beiräten und Kommis­ sionen in fast 80 0/o beim Ministerium liegt und nur in 4,5 0/o der Fälle von Verbänden vorgenommen wird238 , ist das Vorschlagsrecht in den wenigsten Fällen verbindlich festgelegt und obliegt in der Regel der entsendenden S telle. Wesentlich ist daher, welche Stellen nach der An­ zahl der Mitglieder besonders stark vertreten sind. Es sind dies die Bundesministerien selbst, wissenschaftliche Institutionen und Ver­ bände, wobei die Verbände, relativ gesehen, zahlenmäßig am stärksten vertreten sind239 • Fast alle Beratungsgremien sind erst nach 1949 entstanden. Aller­ dings datieren 12 von 256 noch aus der Zeit vor 1949; die ältesten sind in den Jahren 1900, 1902 und 1919 errichtet worden. Fast 31 0/o aber sind erst in der Zeit von 1965 - 1969 ins Leben gerufen worden, was darauf hindeuten könnte, daß eine Ausdehnung des Beirätewesens derzeit im Gange ist oder noch bevorsteht. Dabei ist zu beachten, daß bei den meisten Gremien eine Auflösung nicht vorgesehen ist. Nur 3 1 der erfaßten Beiräte sehen eine Auflösung ausdrücklich vor; von diesen datieren 22 aus der Zeit zwischen 1965 bis 1969. Erst in jüngerer Zeit beginnt man sich anscheinend davon Rechen­ schaft zu geben, daß es auch die Möglichkeit geben muß, Ausschüsse wieder aus der Welt zu schaffen. Daß diese Möglichkeit bestehen sollte, zeigt eine Untersuchung der Angaben über die letzte Sitzung. Von 212 der 1969 erfaßten Beiräte hatten immerhin 21 seit 1966 nicht mehr getagt, in drei Fällen lag die letzte Sitzung vor 1961. Die Häufig­ keit der Sitzungen schwankt sehr stark von Beirat zu Beirat. So haben 1968 immerhin 41 von 253 Gremien mehr als viermal getagt ; die höchste Anzahl der Sitzungen lag bei 34. Umgekehrt haben allerdings 52 Bei­ räte im selben Jahr überhaupt nicht getagt. Diese Zahlen deuten dar­ auf hin, daß einige Beiräte ohne allzu großen Schaden aufgelöst werden könnten. 237 Vgl. zu den Errichtungsgrundlagen auch Doris Dreitzel, Die Bundes­ regierung und ihre Wissenschaftler, in : atomzeitalter 1966, S. 295 ff., 296 ; Franz Knöpfte (Fn. 229), S. 658 f. ; die verfassungsrechtliche Seite der Bildung von Beiräten im Ministerialbereich ist unbestritten, vgl. Ernst- Wolfgang Böckenförde (Fn. 126), S. 255. 238 Bezogen auf 197 Gremien. 239 Immerhin sind von 4467 Mitgliedern aber auch 315 Vertreter von Pri­ vatfirmen.

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Bei den meisten Beratungsgremien gibt es keine zeitliche Begrenzung der Mitgliedschaft. Nur bei 68 der erfaßten Gremien ist die Mitglied­ schaft zeitlich begrenzt. Von daher ist der Satz zu verstehen, daß in einigen Ausschüssen „Mumien" sitzen246 • Es muß mindestens bezweifelt werden, ob bei einer solchen Praxis gewährleistet ist, daß der erforder­ liche Sachverstand immer auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ist241 • Im übrigen spricht diese große Konstanz auch für eine erhebliche Stabilität in der Struktur der entsendenden Stellen. Zwar ist die Zuge­ hörigkeit zu einem Beirat nach § 62 Abs. 1 GGO I ein persönliches Ehrenamt, das ad personam vergeben wird. Dennoch ist kaum anzu­ nehmen, daß ein entsendender Verband tatenlos zusehen würde, wenn einige seiner Beiratsmitglieder etwa nach Ausscheiden aus dem Ver­ band ihren Platz im Beirat behaupten würden. Daß es hier augen­ scheinlich noch kaum zu Kontroversen gekommen ist, zeigt, daß auch die Struktur der Verbände, sowohl hinsichtlich ihrer Mitgliedschaft als auch hinsichtlich ihrer Hierarchie, sehr stabil ist. Denn der Wunsch auf Ablösung eines Beiratsmitgliedes wäre wohl auch denkbar, wenn dieses Mitglied seine besondere Funktion im Verband verlieren würde. Die Mitgliederzahl der einzelnen Gremien ist sehr unterschiedlich. Etwa 20 0/o haben weniger als 10 Mitglieder, ca. 40 0/o zwischen 1 1 - 20 und weitere 20 0/o zwischen 21 - 30 Mitglieder. Die übrigen Gremien haben eine höhere Mitgliederzahl, wobei dann freilich die Arbeit häufig von Unterorganisationen übernommen wird242 • Den Vorsitz der Gremien haben in der Regel Angehörige der Mini­ sterien bzw. Bundesoberbehörden, bei denen sie gebildet sind. Aller­ dings liegt in 62 Fällen der Vorsitz außerhalb dieses Personenkreises, dabei in 9 Fällen bei einem Verbandsvertreter243 • Hinsichtlich der Geschäftsführung ist nur bei 8 Gremien angegeben worden, daß sie außerhalb des staatlichen Bereichs liegt; bei allen übrigen dürfte sie bei den Ministerien bzw. Bundesoberbehörden liegen. Es sei angemerkt, daß auch insgesamt 112 Bundestagsabgeordnete als Mitglieder von Be­ ratungsgremien gezählt wurden. 240 s. Der Spiegel (Fn. 233), S. 74. m Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Altersstruktur. Bezo­ gen auf 997 Mitglieder (was die Repräsentativität des Ergebnisses freilich in Frage stellt) sind nach dem Bericht 583 über 55 Jahre alt, davon immerhin noch 70 über 70 Jahre alt ; auf die Altersgruppe zwischen 55 und 70 ent­ fallen mit 513 Mitgliedern mehr als 50 0/o. Nur 63 Berater sind unter 40 Jahre alt. Diese Zahlen entsprechen den Feststellungen Doris Dreitzels, Loccumer Protokolle 21/67 (Fn. 234), S. 54, die bei 120 befragten Wissenschaftlern einen Anten von 44 0/o über 65, 50 0/o über · 60 und nur 2,5 0/o unter 40 Jahren her­ ausfand ; freilich sind auch diese Zahlen nicht repräsentativ. 242 Ebenso Doris Dreitzel (Fn. 241), S. 53 ; Franz Knöpfle (Fn. 229), S. 661. 248 Auf 234 Gremien ; die Anzahl von nicht näher bestimmbaren Sonstigen wird mit 23 angegeben ; auch darunter könnten sich noch Verbandsvertreter befinden.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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Mehrfachmitgliedschaften kommen vor; es handelt sich dabei aber zumeist um Beamte, die von ihrer Funktion her zweckmäßigerweise in mehreren korrespondierenden Ausschüssen tätig sind. Demgegenüber wurde eine erhebliche Mitgliedschaftshäufung bei außenstehenden Mit­ gliedern nicht festgestellt. Ein wesentliches Moment für die Beurteilung von Beiräten gerade in Bezug auf ihre Geeignetheit zur Institutionalisierung der Verbands­ beteiligung an der Gesetzgebung ist ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit. Die Möglichkeit, daß ein Beratungsgremium seine Sitzungen öffent­ lich abhalten könnte, ist offenbar so abwegig, daß eine dahinzielende Frage nicht einmal in den Fragebogen aufgenommen ist, mit dessen Hilfe der Ist-Zustand des Beiratswesens erfaßt werden sollte. Die dahingehenden Fragen befassen sich vielmehr mit der Anfertigung und Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle bzw. mit der Veröffent­ lichung von Gutachten und mit sonstigen Veröffentlichungen. Die Nichtveröffentlichung der Ergebnisse ist die Regel bei der ins­ gesamt unterschiedlichen Behandlung der Arbeitsergebnisse244 • Einige Gremien benutzen einschlägige Fachzeitschriften als Veröffentlichungs­ organe, wobei nähere Angaben nicht gemacht sind. Im einzelnen wurde folgendes festgestellt: 1 1 Gremien führen überhaupt keine Sitzungs­ protokolle, bei 187 weiteren werden sie zwar geführt, aber nicht ver­ öffentlicht, wobei über Form und Fundstelle keine Angaben gemacht sind. 57 Gremien haben sonstige Veröffentlichungen angegeben. In 82 Fällen finden sich Aussagen über das Recht zur Auswertung von Gutachten. Dieses steht normalerweise der Behörde zu; nur in wenigen Fällen ist jeder zur Auswertung des Gutachtens befugt. Aus der zusammenfassenden Darstellung lassen sich keine Korrela­ tionen ableiten. Es dürfte jedoch anzunehmen sein, daß die Fälle, in denen jeder das Gutachten auswerten kann, mit denen identisch sind, in denen die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden. Insgesamt muß jedoch davon ausgegangen werden, daß sich die Tätigkeit der Bera­ tungsgremien nichtöffentlich abspielt, und daß die Ergebnisse in den meisten Fällen nicht veröffentlicht werden. Man kann auch nicht davon sprechen, daß durch die Teilnahme von Verbandsvertretern wenigstens eine „Teilöffentlichkeit der interessierten Kreise" 245 ent­ stehe. Dagegen spricht nicht nur, daß die Mitglieder von Beiräten nach § 62 Abs. 2 GGO I zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sondern auch, daß Verbandsvertreter in Beiräten selber durchaus nicht unbedingt den Drang haben, ihre eigenen Mitglieder über die Beratungen zu 244 Peter Alexander Philipp (Fn. 182), S. 232. m So Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 208.

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unterrichten. Dies erklärt sich zum einen daraus, daß sie einem mög­ lichen Druck von der Basis her ausweichen wollen, also sich selbst einen möglichst großen Verhandlungsspielraum erhalten wollen, zum anderen aber auch daraus, daß nur eine von allen Seiten eingehaltene Vertraulichkeit die Chance des offenen Gedankenaustausches zu bieten scheint, die keiner der Beteiligten leichtfertig aufs Spiel zu setzen gewillt sein dürfte. Nur so besteht auch die Möglichkeit, eigene Inter­ essen wirksam in die Diskussion zu bringen und durchzusetzen. Die Verbandsvertreter haben daher in der Regel kein Interesse, zur Öffent­ lichkeit, sei es auch nur für die eigenen Mitglieder, beizutragen246 • Die Kosten der Beratungsgremien spielen für unseren Zusammen­ hang nur eine geringe Rolle. Immerhin sei vermerkt, daß dem Bund im Jahre 1968 durch die Tätigkeit der Gremien ca. 3,7 Millionen DM an Kosten entstanden sind. Dieser Betrag enthält nicht die Gehälter der Beamten und die Kosten für die Geschäftsführung, soweit sie im staatlichen Bereich liegt. Hinzuzurechnen wäre auch noch ein Betrag, der sich daraus ergibt, daß in manchen Fällen die Reisekosten von den entsendenden Stellen gezahlt werden. Interessant ist noch die Einschätzung, mit der die befragten Ministe­ rien und Bundesoberbehörden die Arbeit der Beiräte, Kommissionen, Ausschüsse u. ä. bedachten. Hier ist eine allgemein positive Beurteilung der geleisteten Arbeit feststellbar247 • Die Erfassung der Beratungsgremien durch den Bericht des Bundes­ ministers des Innern gibt nicht auf alle Fragen Antwort, die für eine Beurteilung dieser Gremien aufzuwerfen sind. Hierzu wären weitere Befragungen und Untersuchungen von einzelnen Beiräten und Kom­ missionen notwendig. Vor allem bleiben die Ergebnisse oft im Formalen stehen. So interessant z. B. die Erhebungen über die Errichtungsgrund­ lage sind, für eine weiterreichende Beurteilung wäre wichtig zu wis­ sen, was den Anlaß für die Einrichtung des Gremiums gab und von wem die Initiative zur Gründung ausging. Ähnlich ist es im Bereich der Mitgliedschaft. Hier wäre die Frage besonders wichtig, nach wel­ chen Kriterien die Verbände ausgewählt und bestimmt werden, von denen Vertreter zur Mitarbeit in Beratungsgremien eingeladen werden, und wer diese Bestimmung trifft. Diese Frage wäre deshalb besonders wichtig, weil man auch in diesem Bereich an eine Ermessensbindung nach Art. 3 GG denken könnte. Auf diesem Umweg könnte dann in 248 Die Nichtöffentlichkeit der Beiräte wird deshalb in der Literatur zu Recht kritisiert. Auf die Rechtspflicht zur Herstellung der formellen Publizi­ tät, die verdeutlicht, welche Beiräte in welcher Besetzung an der staatlichen Willensbildung mitwirken, verweisen z. B. Ernst- Wolfgang Böckenförde

(Fn. 126), S. 284/285 ; Winfried Brohm (Fn. 229), S. 59/60.

247 Zu diesem Ergebnis kam auch und Wissenschaft, 1970, S. 196.

Hannes Friedrich,

Staatliche Verwaltung

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gewissen Fällen sogar ein Recht auf Beteiligung an einem Beirat kon­ struiert werden248 • Auf andere spezifische Fragen, die sich im Hinblick auf die Taug­ lichkeit der Beiräte zur Institutionalisierung des Verbandseinflusses ergeben könnten, gibt der Bericht ebenfalls keine Auskunft. Hier sind weitere Untersuchungen erforderlich, zumal durch die Zusammen­ fassungen, die für die Auswertung der Fragebogen erstellt wurden, manches interessante Detail vernachlässigt werden mußte. Wie der Bericht selbst an einigen Stellen betont, ist das Erscheinungsbild der Beiräte, Kommissionen, Ausschüsse u. ä. außerordentlich vielfältig. Um zu vergleichbaren Ergebnissen zu kommen, war deshalb für die Aus­ wertung ein grobes Raster erforderlich, wobei die Feinheiten auf der Strecke blieben. Bei allen Vorbehalten, die man anbringen kann, darf aber nicht ver­ kannt werden, daß im Bericht des Bundesministers des Innern der erste größere Versuch unternommen worden ist, die Wirklichkeit der Beratungsgremien zusammenfassend darzustellen. Auch wenn damit für die speziellen Bedürfnisse der vorliegenden Fragestellung nicht in jeder Hinsicht tragfähige Ergebnisse erreicht wurden, vermag der Überblick doch einen Eindruck von der Wirklichkeit der Beratungs­ gremien zu vermitteln, zumal einige hier interessierende Punkte, wie Vorschlagsrecht und vor allem Öffentlichkeitsbezug, verdeutlicht werden. Es muß beachtet werden, daß der Bericht die Erfassung der Gremien zum Stand vom 1. 5. 1969 wiedergibt. Da das Beiratswesen immer im Fluß ist, kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich in der Zwischen­ zeit erhebliche Veränderungen ergeben haben. Allerdings erscheint auch im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Gründungszahlen eine Erweiterung der Anzahl der Gremien wahrscheinlicher als deren Verminderung. Dies gilt mit hoher Wahrscheinlichkeit hinsichtlich einer Verminderung der Beratungsgremien, in denen Verbandsver­ treter beteiligt sind; diese Gremien dürften ein besonders hohes Be­ harrungsvermögen zeigen, da die entsendenden Verbände ein erheb­ liches Interesse daran haben dürften, daß für sie die Möglichkeit des unmittelbaren Zugangs zum Ministerium und seinen Mitarbeitern und damit auch der Ausgangspunkt für darüber hinausgehende informelle Kontakte besteht. Abschließend wäre noch zu untersuchen, welche Funktion die Beiräte ihrer ursprünglichen Bestimmung nach für das Verhältnis Regierung248 Franz Knöpfle (Fn. 229), S. 703, folgert aus dem Rechtsstaatsprinzip die Verpflichtung der staatlichen Organe, im Falle einer Beteiligung von Ver­ bänden auch die jeweils konkurrierenden Verbände zu berücksichtigen; a. A. Winfried Brohm (Fn. 229), S. 57, der eine solche rechtliche Pflicht ablehnt.

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Verbände haben sollten. Grundsätzlich versprechen sich beide Seiten von einer Zusammenarbeit Vorteile : die Regierung, weil sie sich den Sachverstand der Verbände nutzbar machen will und weil sie auf Zustimmung zur beabsichtigten Gesetzgebung und auf Unterstützung bei ihrer Durchführung hofft, die Verbände, weil sie sich die Berück­ sichtigung ihrer Interessen versprechen. Wie aber § 23 GGO II, der eine ähnliche Motivationslage der Beteiligten voraussetzt, prinzipiell eine abwehrende Haltung der Regierung zu den Verbänden an den Tag legt, sollen auch die Beiräte der Regierung eher als „Auffanglinie gegen die Verbände" 24 9 dienen, denn als Öffnung zu ihnen. Indiz für diese Auffassung ist die Bestimmung in § 62 Abs. 3 Satz 2 GGO I, wonach Mitglieder der Beiräte, wenn sie von Organisationen kommen, weder als deren Vertreter tätig noch an Weisungen gebunden sind. Mit dieser Bestimmung wird versucht, die Verbandsvertreter von der Interessenvertretung wegzubringen und zu unabhängigen Beratern werden zu lassen. Auf diese Weise soll ihnen eine andere Qualität zuteil werden. Diese Auffassung, die in der Praxis kaum von allzu viel Erfolg ge­ krönt sein dürfte, übersieht, daß die Darlegung der unterschiedlichen Interessen häufig geradezu notwendig ist, um den Wert und die Aus­ sichten einer zu treffenden Entscheidung abzusehen. Immerhin kann festgehalten werden, daß die Beiräte formell nicht als Beteiligung von Verbänden an der staatlichen Willensbildung kon­ zipiert sind, mag auch die tägliche Praxis weit über die vorgesehene Regelung hinausgegangen sein250 • 4. Die Konzertierte Aktion, § 3 StabG Ohne Übertreibung kann man feststellen, daß keine andere Form der Beteiligung der Verbände an der staatlichen Willensbildung mit einem solchen publizistischen Aufwand gewürdigt und kritisiert wor­ den ist, wie die Konzertierte Aktion25 1 • Dabei gibt nicht in erster Linie der empirische Befund zu Bemerkungen Anlaß. Vielmehr sind theoreSo Wilhelm Hennis (Fn. 172), S. 31. Hier könnte der Grund dafür liegen, daß die Beiräte häufig nur unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Beratung der Politik behandelt werden. m Vgl. aus der bereits nahezu unübersehbaren Literaturfülle aus neuerer Zeit Hermann Adam, Die Konzertierte Aktion in der Bundesrepublik, 1972 ; ders., Zur Problematik der Konzertierten Aktion, in : aus politik und zeit­ geschichte, B 39/73 v. 22. 9. 73; Ernst Dürr und Erich Hoppmann (Hrsg.), Kon­ zertierte Aktion, Kritische Beiträge zu einem Experiment, 1971 ; Ernst Dürr (Hrsg.), Neue Wege der Wirtschaftspolitik, 1972 ; ferner die Nachweise in meinem Beitrag : Die Konzertierte Aktion - Modell für eine Zusammen­ arbeit von Staat und Verbänden?, in : Demokratie und Verwaltung, 25 Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, 1972, S. 419 ff. 249

250

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tische Möglichkeiten, die sich aus dieser Einrichtung ergeben könnten, bevorzugte Diskussionsthemen. Die Konzertierte Aktion befaßt sich nach ihrer Zielsetzung nicht mit der Vorbereitung gesetzgeberischer Maßnahmen. Sie ist vielmehr ein informatives Steuerungsinstrument der Bundesregierung mit der Ab­ sicht, eine Gefährdung der in § 1 StabG genannten Ziele abzuwenden. Von dieser Aufgabenstellung her scheint die Konzertierte Aktion, mag sie auch auf einer Zusammenarbeit von Staat und Verbänden beruhen, aus dem Kreis der hier zu behandelnden Formen der Verbandsbetei­ ligung auszuscheiden. Dennoch ist die Behandlung der Konzertierten Aktion aus drei Gründen angebracht: einmal ist eine Kooperation von Staat und Verbänden in einem umfassenden Sinne erstmals mit der Konzertierten Aktion gesetzlich vorgesehen252 . Die „Heranführung der Gruppen und Verbände an den Staat" ist in diesem Falle wesentlich enger als in den oben behandelten Regelungen des § 23 GGO II und des § 94 BBG2 53 . Insofern könnte einer solchen Regelung Modellcharak­ ter für das Verhältnis von Staat und Verbänden auch hinsichtlich des Gesetzgebungsverfahrens zukommen. Zweitens ist die tatsächliche Ge­ staltung der Konzertierten Aktion über den engen gesetzlichen Rahmen hinausgegangen, so daß nicht auszuschließen ist, daß bei der „Vorfor­ mung" 254 der Wirtschaftspolitik, an der die autonomen Gruppen der Gesellschaft in ihr mitwirken, auch einmal Gesetzesvorhaben der Re­ gierung zur Debatte stehen. Schließlich ist, drittens, die Konzertierte Aktion als mögliche Vorstufe für einen Bundeswirtschafts- und Sozial­ rat bezeichnet worden255 . Auch dies rechtfertigt die Behandlung in der vorliegenden Arbeit. Nach der Legaldefinition des § 3 StabG ist die Konzertierte Aktion keine Einrichtung, sie ist vielmehr ein „gleichzeitiges aufeinander ab­ gestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmerverbände zur Erreichung der Ziele des § 1 ", wofür die Bundesregierung im Falle einer Gefährdung eines der Ziele des § 1 Orientierungsdaten zur Verfügung stellt. Aber schon § 3 Abs. 2 StabG, wonach der Bundesminister für Wirtschaft die Orien­ tierungsdaten auf Verlangen eines der Beteiligten zu erläutern hat, verdeutlicht, daß eine gewisse Institutionalisierung in konferenzieller Form von vornherein ins Auge gefaßt war256 • Diese institutionalisierte 252 168

S. 15.

Vgl. Ernst Forsthof!, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 124. So Klaus Stern, Grundfragen der globalen Wirtschaftssteuerung, 1969,

2 54 So Karl Schiller, Konjunkturpolitik auf dem Wege zu einer Affluent Society, 1968, S. 14. 1 65 Vgl. Willi Thiele, Reichswirtschaftsrat - Konzertierte Aktion - Bun­ deswirtschafts- und Sozialrat?, in : DVBl. 1970, S. 529 ff.

7 Speyer 68

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Form, für die sich ebenfalls die Bezeichnung „Konzertierte Aktion" eingebürgert hat, interessiert uns im vorliegenden Zusammenhang. Demgegenüber können andere Probleme vernachlässigt werden, ins­ besondere die wirtschaftspolitische Problematik257 , also der Fragen­ komplex der Notwendigkeit einer staatlichen Einkommenspolitik und der wirtschaftspolitischen Zweckmäßigkeit eines informativen Steue­ rungsinstrumentes wie der Konzertierten Aktion im Rahmen einer konjunkturpolitischen Globalsteuerung des Makrobereichs. Hier kann der Streit zwischen Monetaristen und Fiskalisten nur registriert258, aber nicht behandelt werden, zumal er für das in der Ausgestaltung der Konzertierten Aktion zu Tage tretende Verhältnis von Staat und Verbänden, auf dessen Regelung es uns in erster Linie ankommt, keine Bedeutung hat. Bisher haben mehr als 30 Gespräche im Rahmen der Konzertierten Aktion stattgefunden. Dabei haben sich sowohl hinsichtlich des Teil­ nehmerkreises als auch hinsichtlich des Gesprächsablaufs gewisse Re­ gelmäßigkeiten ergeben. Zu den Zusammenkünften werden praktisch immer dieselben Organisationen eingeladen259 ; neben den Spitzen­ verbänden der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen gehören dazu z. B. der Präsident des Bundeskartellamtes, Mitglieder des Sach­ verständigenrates, Vertreter der Deutschen Bundesbank sowie zuwei­ len das Finanzministerium und das Arbeitsministerium. Die Konstanz der beteiligten Organisationen führt dazu, daß praktisch auch der Personenkreis immer derselbe ist. Die Gespräche sind vertraulich; nach den Angaben eines Kenners erfolgt nicht einmal eine umfassende Protokollführung260 • Allerdings wird zum Abschluß eines jeden Ge­ sprächs ein Kommunique veröffentlicht, das über das Gespräch orien­ tiert und in der Regel die Gemeinsamkeit der Standpunkte hervorhebt. Nachdem verschiedentlich von Teilnehmern gerügt wurde, daß im Kommunique die Auffassungsunterschiede nicht deutlich geworden seien, werden in letzter Zeit mehr die gegenseitigen Meinungen dar­ gelegt und Auffassungsunterschiede angeführt. 258 Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 209, weist darauf hin, daß wirtschaftspoli­ tische Gesprächsrunden schon zu Zeiten der Wirtschaftsminister Erhard und Schmücker existierten. 257 Vgl. dazu aus der neueren Literatur z. B. Joachim Klaus, Die Konzer­ tierte Aktion als Instrument der Neuen Wirtschaftspolitik, in : Ernst Dürr (Hrsg.) (Fn. 251), S. 11 ff. 258 Zur wirtschaftspolitischen Bedeutung des StabG s. Karl-Heinrich Hans­ meyer, in : Klaus Stern, Paul Münch und Karl-Heinrich Hansmeyer, Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft, 2. Aufl. 1972, s. 35 ff. 259 Vgl. Wolfgang Mathias, Die Konzertierte Aktion - einkommenspoliti­ sches Experiment?, in : Zeitschrift für Sozialreform, 1971, S. 65 ff., 72 ; Zur Zusammensetzung auch Christian Watrin, Die Demokratisierung der Wirt­ schaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in : (Fn. 47), S. 134 Anm. 35. 280 Vgl. Hans Tietmeyer (Fn. 54), S. 179 ff., 189.

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Nach allem was bekannt ist, kommt es bei den Gesprächen nicht zu Verhandlungen unter den Teilnehmern; dies soll sowohl für die So­ zialpartner untereinander gelten als auch für die Beziehung zwischen Sozialpartnern und Regierung. Entscheidungen werden nicht getrof­ fen; es gibt keine formellen Abstimmungen. Es können zwar Absichts­ erklärungen abgegeben werden, diese haben aber nicht den Charakter verbindlicher Zusagen. Die Unverbindlichkeit folgt einmal daraus, daß es sich bei den Orientierungsdaten nur um Entscheidungshilfen, nicht aber um verbindliche Leitlinien handelt, zum anderen daraus, daß die beteiligten Sozialpartner regelmäßig nicht die konkreten Tarifpartner sind und auch nicht die Befugnis haben, für sie zu sprechen261. Die Gespräche gehen regelmäßig von den Orientierungsdaten aus, die von der Bundesregierung aufgestellt werden und an deren Erar­ beitung die Sozialpartner trotz vielfach geäußerter Bereitschaft bis­ lang - soweit bekannt - nicht beteiligt sind. Im Anschluß an die Erläuterung der Orientierungsdaten kommt es zu einer Erörterung der gesamtwirtschaftlichen Lage. In dieses Gespräch, das als sozialer Dialog aufgefaßt wird, bringen die Sozialpartner ihre Ansichten und Stand­ punkte ein und haben so die Möglichkeit, an der Vorformung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung mitzuarbeiten. Die Konzertierte Aktion bringt nur für die Bundesregierung eine rechtliche Verpflichtung mit sich. Diese ist gehalten, im Falle der Ge­ fährdung eines der Ziele des § 1 StabG Orientierungsdaten zur Verfü­ gung zu stellen und sie auf Verlangen zu erläutern. Demgegenüber ist die Beteiligung der Sozialpartner an der Konzertierten Aktion rechtlich nicht sanktioniert. Niemand ist verpflichtet bzw. kann rechtlich dazu gezwungen werden, sich an dem „gleichzeitigen aufeinander abge­ stimmten Verhalten" zu beteiligen oder an den Gesprächen im Rahmen der Konzertierten Aktion teilzunehmen. Ebenso wenig entwickeln sich rechtliche Bindungen aus den Gesprächen selbst2 62. Nach alledem ist die Konzertierte Aktion der Versuch, autonome Partner zu einem aufeinander abgestimmten Verhalten zu bewegen, wobei die Autonomie der Partner rechtlich nicht angetastet werden soll. Dabei wird davon ausgegangen, daß es genügend Anreize gibt, die die Sozialpartner zur Teilnahme am sozialen Dialog veranlassen können: Das Kennenlernen der gegenseitigen Absichten und der Ab­ sichten der Regierung, die Übereinstimmung hinsichtlich bestimmter wirtschaftspolitischer Zielsetzungen, vor allem derjenigen des § 1 StabG usw. Kurz, es wird die Möglichkeit eines Verhaltensklimas vor­ ausgesetzt, durch das eine Änderung der „gesellschaftspolitischen Land­ schaft" 2 63 stattfinden soll. 261 262

Vgl. mein Beitrag (Fn. 251), S.427. s.aber u.S. 104 f.

100

1. Teil,

c.

Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Es hat sich gezeigt, daß die Erwartungen, die an die Konzertierte Aktion geknüpft wurden, nur zum Teil in Erfüllung gingen. Während in der Anfangsphase, die mit der Überwindung der Rezession von 1966/67 ausgefüllt war, die Arbeit der Konzertierten Aktion positiv beurteilt wurde, mehrten sich in der Folgezeit, vor allem seit dem Herbst 1969 mit seinen wilden Streiks, die kritischen Stimmen. Die Arbeitgeber erkannten, daß die Konzertierte Aktion auf die Dauer nicht die Gewerkschaften dazu bringen würde, mit niedrigen Lohnab­ schlüssen zufrieden zu sein. Für die Gewerkschaften wurde offenbar, daß die Gespräche im Rahmen der Konzertierten Aktion ihnen die For­ derung und Durchsetzung höherer Lohnforderungen eher erschweren würden, zumal prinzipielle Forderungen nach Veränderung im gegen­ wärtigen Wirtschaftssystem, wie z. B. die Frage einer gleichberechtig­ ten Mitbestimmung oder einer Vermögensumverteilung, im Rahmen der Konzertierten Aktion nicht realisierbar erschienen. Immer deut­ licher wurde daher in letzter Zeit der Ruf der Mitgliederbasis der Gewerkschaften spürbar, an den Gesprächen im Rahmen der Konzer­ tierten Aktion nicht mehr teilzunehmen264 bzw. wenigstens eine ent­ schiedenere Tonart anzuschlagen und gewissen Harmonisierungsten­ denzen, die in den Gesprächen und insbesondere in den veröffent­ lichten Kommuniques sichtbar geworden waren, entgegenzutreten. Zu dieser Ernüchterung auf gewerkschaftlicher Seite in pragmati­ scher Hinsicht treten zunehmend strategische Erwägungen theoretischer Art, die grundsätzlich die Mitarbeit der Gewerkschaften in der Kon­ zertierten Aktion in Frage stellen. Diese Überlegungen knüpfen daran an, daß ein Instrument für ein abgestimmtes Verhalten von Sozial­ partnern eine Wirtschaftsgesellschaft voraussetzt, in der die Gegen­ sätze nicht zu groß sind. Eine Konzertierte Aktion erkennt die vorhan­ dene Wirtschaftsstruktur als Rahmen an und führt damit zu einer Stabilisierung des gegebenen Systems; der Weg für eine grundlegende Gesellschaftsreform, mit der prinzipielle Gegensätze überwunden werden könnten, ist damit verbaut bzw. wird durch eine solche Mit­ arbeit eher erschwert265 • Dies zeigen die bereits angeführten Beispiele Vermögensumverteilung und Mitbestimmung. Von dieser Warte aus kann eine Mitarbeit in der Konzertierten Aktion allenfalls unter taktischem Gesichtspunkt im Rahmen eines Krisenmanagements erwägenswert sein. Bei Vorliegen einer wirt2ea Vgl. Karl Schmer (Fn. 254), S. 14. 264 Vgl. dazu die entsprechende Aufforderung der IG Druck und Papier (Fn. 51). 2 65 Vgl. z. B. Eike Hennig, Zur Kritik der Konzertierten Aktion, in : Blätter für deutsche und internationale Politik 1970, S. 508 ff. ; Otto Jacobi, Instru­ mente eines global-gesteuerten Wirtschaftsablaufs im staatlich regulierten Kapitalismus, in : KJ 1972, S. 310 ff.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

101

schaftlichen Rezession kann folglich ein temporäres Eingehen auf eine Konzertierte Aktion taktisch klug sein. Solange die Konzertierte Aktion sich im Rahmen des rechtlich Un­ verbindlichen bewegt und auch nach Abschluß der j eweiligen Ge­ spräche die Entscheidungsautonomie der Beteiligten nicht angetastet ist, kann sie nicht zu einer Verschiebung des derzeitigen Verhältnisses von Staat und Gesellschaft beitragen, es sei denn, man betrachte allein die Kontaktaufnahme des Staates zu den Verbänden bereits als Sym­ ptom für die Schwäche des Staates. Freilich erscheint auch der prak­ tische Nutzen von unverbindlich bleibenden Gesprächen nicht allzu groß. An dieser Tatsache setzt die Kritik an266 • Sie hält es für unwahr­ scheinlich, daß die Teilnahme an der Konzertierten Aktion auf die Dauer für die Wirtschaftsverbände attraktiv wäre, wenn die Gespräche nur unverbindlichen Charakter hätten. Vielmehr sei ein gegenseitig abgestimmtes Verhalten nur zu erreichen, wenn gegenseitig Zuge­ ständnisse gemacht würden. Nur über die Einräumung echter Mitbe­ stimmung bei der Wirtschaftspolitik könne die Regierung erreichen, daß die Verbände zu einer Konzertierten Aktion bereit seien. Damit werde aber der Spielraum der Regierung eingeengt; gesellschaftliche Gruppen seien unmittelbar an staatlichen Entscheidungen institutio­ nell beteiligt. Hierdurch ergebe sich eine Verschiebung des Verhält­ nisses zwischen Staat und Verbänden zu Lasten des Staates und zu­ gunsten der Verbände, so daß sich faktisch die Entscheidungen im Rah­ men der Wirtschaftspolitik aus der Regierung wegverlagerten in die Gesprächsrunde der Konzertierten Aktion, die auf diese Weise zu einer Nebenregierung auf wirtschaftspolitischem Gebiet werde. Die Gefahr eines Austauschgeschäfts zwischen der Regierung und den an der Konzertierten Aktion beteiligten Verbänden dürfte aller­ dings in der Vorstellung größer sein als in der Realität. Denn da sie nur greifbar wird im Hinblick auf das abgestimmte Verhalten aller beteiligten Partner, kann ein Austauschgeschäft zwischen Regierung und Verbänden auch immer nur auf den Gebieten in Frage kommen, bei denen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften gleichermaßen an einer Lösung in ein und demselben Sinne interessiert sind - eine Kon­ stellation, die vorkommen kann, aber nicht allzu häufig sein dürfte. In dem Maße, in dem die Interessen der beteiligten Verbände divergieren, sie also auch gegenseitig Kompromisse schließen müssen, wächst der Spielraum der Regierung. Immerhin besteht die Gefahr, daß eine Regierung bereit ist, Konzessionen in der Wirtschaftspolitik zu machen, um die Verbände zur Teilnahme an der Konzertierten Aktion zu beHa Vgl. zum folgenden meinen Beitrag (Fn. 251) m. w. N. ·

102

1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

wegen. Die Handhabung dieses Steuerungsinstruments bei autonomen Partnern ist in jedem Falle schwierig und stellt an die Regierung hohe Anforderungen. Sie setzt voraus, daß die Regierung Ziele setzt, die glaubwürdig sind und von den Partnern anerkannt werden, und daß sie überzeugende Argumente für die Notwendigkeit staatlicher Maß­ nahmen findet. Auf diese Weise kann die Regierung eine funktionale Autorität beweisen, die auch gegenüber den Verbänden Eindruck ma­ chen kann287• Solange die Regierung nicht aus den Augen läßt, daß es sich bei der Konzertierten Aktion um ein Steuerungsmittel handelt, das in ihrer Hand liegt, ist eine Überlassung der Regierungsentschei­ dung an die Verbände eigentlich kaum zu befürchten. Davon zu unterscheiden ist freilich, und das ist Sinn und Zweck j eder Verbandsbeteiligung an der staatlichen Willensbildung, daß der Entscheidungsspielraum der Bundesregierung dadurch geringer wird, daß sie von den Verbänden zusätzliche Informationen erhält, durch die mögliche Entscheidungsalternativen als unzweckmäßig erkannt und deshalb ausgeschieden werden. Durch ein solches Vorgehen wird die Entscheidungsautonomie der Regierung nicht angetastet. Die Kritiker sehen aber nicht nur die Gefahr einer Abwertung der Regierung, sondern vor allem auch eine unzulässige und unkontrollier­ bare Präjudizierung des Parlaments. Es sei nämlich kaum vorstellbar, daß das Parlament durch haushaltspolitische Entscheidungen die Kon­ zertierte Aktion gefährden werde. Hinter allen diesen Bedenken stehen verfassungsrechtliche Erwä­ gungen. Wenn man davon ausgehen müßte, daß tatsächlich die Wirt­ schaftspolitik des Staates oder wesentliche Teile von ihr, durch die Sozialpartner unter Ausschaltung von Regierung und Parlament be­ stimmt würde, müßte dies auf erhebliche demokratietheoretische Be­ denken stoßen. Es gehört zu den unverzichtbaren Prinzipien einer Demokratie, daß Entscheidungen ihres Staatsapparates nicht nur de­ mokratisch kontrollierbar, sondern auch legitimierbar sind. Das Votum der Staatsbürger hat den staatlichen Organen auf Zeit die Lenkung der politischen Gemeinschaft anvertraut. Damit ist unvereinbar, daß außerstaatliche Kräfte staatliche Entscheidungen treffen, da sie sowohl der demokratischen Kontrolle entzogen sind als auch ihnen die demo­ kratische Legitimation fehlt288 • Der demokratischen Kontrolle sind die außerstaatlichen Organisa­ tionen auch dann entzogen, wenn man in Erwägung zieht, daß formell 267 Vgl. dazu Hermann-Josef Wallraff, Die Konzertierte Aktion - Analyse ihrer Leitideen, in : GM 1969, S. 337 ff., 341. 268 Vgl. dazu Hans Heinrich Rupp, Konzertierte Aktion und freiheitlich­ rechtsstaatliche Demokratie, in : Ernst Dürr und Erich Hoppmann (Hrsg.) (Fn. 251), S. 1 ff., 13/14.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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die Staatsorgane die Verantwortung für diese Entscheidungen tragen. Man könnte zwar daran denken, daß der demokratischen Kontrolle Genüge getan werde, wenn gegebenenfalls die Regierung durch das Parlament bzw. das Parlament durch den Wähler zur Rechenschaft gezogen werde. Eine solche mittelbare Kontrolle würde aber doch nicht darüber hinwegtäuschen können, daß die eigentlich Verantwortlichen nicht kontrolliert werden könnten. Sie würden zwar die Entscheidun­ gen fällen, brauchten dafür aber keine Verantwortung zu übernehmen. Vor allem aber fehlt den beteiligten Verbänden die demokratische Legitimation. Diese kann auch nicht dadurch ersetzt werden, daß die beteiligten Organisationen selbst demokratisch strukturiert sind wovon keinesfalls bei allen Beteiligten ungeprüft ausgegangen werden kann. Selbst in diesem Fall wäre höchstens gewährleistet, daß die geäußerte Verbandsmeinung der Auffassung der Verbandsmitglieder entspräche. Für die demokratische Legitimation staatlicher Entschei­ dungen genügt aber nicht die Zustimmung einer Verbandsmitglied­ schaft; dazu bedarf es der Legitimation durch die gesamte Aktivbür­ gerschaft. In der Mitbestimmung von Verbänden an staatlichen Entscheidungen wäre ein Moment der „Vergesellschaftung staatlichen Handelns" 269 oder, wenn man die Mitbestimmung als Hineinziehen der Verbände in den staatlichen Bereich ansieht, der „Verstaatlichung der Gesell­ schaft" 270 zu sehen, das die Grenzen zwischen Staat und Gesellschaft verwischen und über das unkontrollierbare Einfließen gesellschaft­ licher Machtpositionen den Freiheitsspielraum des einzelnen in nicht vorgesehener und rechtlich nicht zulässiger Weise einengen würde. Ins­ besondere wäre aber der Grundsatz der Demokratie, wonach „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht" in Frage gestellt271 . Wie aber je nach der tatsächlichen Ausgestaltung der Beziehungen der Partner der Konzertierten Aktion untereinander Gefahren für den Staat befürchtet werden können, sind auch Bedenken im Hinblick auf negative Auswirkungen für die Verbände erhoben worden. Diese Be­ denken gehen davon aus, daß die Verbände durch ihre Mitarbeit in der Konzertierten Aktion auf eine radikale Vertretung ihrer Interessen verzichten müssen. Dies könne zu einem Nachlassen der Attraktivität führen ; außerdem sei fraglich, ob sich das Mitgliedermandat auf Ver­ handlungen im Rahmen der Konzertierten Aktion erstrecke. Auf diese So Kurt Biedenkopf, Rechtsfragen der konzertierten Aktion, in : BB s. 1005 ff., 1009. 270 Vgl. Christian Watrin (Fn. 47), S. 124. 271 In diese Richtung gehen die verfassungsrechtlichen Bedenken von Hans-Heinrich Rupp, in : (Fn. 251), S. 7 ff. 289

1968,

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Bedenken ist, da sie alle Beteiligungsmaßnahmen gleichermaßen be­ treffen, bereits oben näher eingegangen worden272 • Beachtenswert sind aber Befürchtungen hinsichtlich der Legitimität von Arbeitskämpfen, die entgegen einem in der Konzertierten Aktion erzielten Konsens durchgeführt werden. Oben ist bereits darauf hinge­ wiesen worden, daß es nicht die Tarifvertragsparteien selbst sind, die an den Gesprächen teilnehmen, sondern Vertreter der Spitzenorganisa­ tionen der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften. Diese sind kei­ nensfalls befugt, etwas Verbindliches über Tarifabschlüsse bzw. Arbeits­ kampfmaßnahmen zu vereinbaren oder zuzusichern. Dennoch kann der Meinungsaustausch zu einer einheitlichen, übereinstimmenden Beur­ teilung der gesamtwirtschaftlichen Situation führen. In diesem Falle könnte man an das Bestehen eines Vertrauenstatbestandes insoweit denken, als jeder der Beteiligten davon ausgehen darf, daß die Ge­ sprächsteilnehmer sich bemühen werden, ihre nicht anwesenden, aber für die Tarifpolitik letztlich zuständigen Unterorganisationen zu infor­ mieren und für die Einhaltung des getroffenen Konsenses zu gewinnen. Dieser Vertrauenstatbestand ergibt sich vor allem daraus, daß es sich bei den Gesprächsteilnehmern jeweils um die Spitzenfunktionäre han­ delt, bei denen im Regelfall davon ausgegangen werden kann, daß ihre Stellung auch gegenüber den autonomen Unterorganisationen ihrer Verbände Gewicht hat. Tatsächlich wird in der arbeitsrechtlichen Lite­ ratur vereinzelt die Auffassung vertreten, daß Orientierungsdaten, auf die man sich geeinigt habe, für die Frage der rechtlichen Zulässig­ keit von Arbeitskampfmaßnahmen von Bedeutung seien273• Eine solche Auffassung übersieht nicht nur die Grenzen der recht­ lichen Bindungswirkung der Gespräche im Rahmen der Konzertierten Aktion, sondern wird auch ihrem Zweck als Steuerungsmittel bei auto­ nomen Partnern nicht gerecht; denn die Folge wäre, daß die Bereit­ schaft zur Konzertierten Aktion sinken würde. Die Konzertierte Aktion ist nur zu erreichen über die Vernunft, das Verantwortungsbewußtsein und das gegenseitige Vertrauen der Partner. Mit rechtlichen Sanktio­ nen kann die beabsichtigte Steuerung gerade nicht erfolgen. Wer aus den Orientierungsdaten Lohnleitlinien macht, braucht nicht mehr an die Bereitschaft der Beteiligten zur Mitarbeit zu appellieren; er bem s. o. 178

s. 36 ff.

Vgl. Franz-Jürgen Säcker, in : Alfred Hueck und Hans Carl Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Zweiter Band, Kollektives Arbeits­ recht, Zweiter Halbband, 1970, S. 1032 : ,,Ein Arbeitskampf, der durch gröb­ liche Mißachtung dieser Daten die Konzertierte Aktion und damit das Ge­ meinwohl gefährdet, ist nicht fair, daher sozial inadäquat und rechtswidrig." Dabei knüpft Säcker allein an die von der Regierung zur Verfügung gestell­ ten Orientierungsdaten an ; ein Konsens · der Gesprächspartner wird nicht einmal vorausgesetzt!

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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schränkt aber auch die marktwirtschaftliche Freiheit und die Tarif­ autonomie274 . Zusammenfassend muß zur erörterten Kritik an der Konzertierten Aktion darauf hingewiesen werden, daß nach ihrem derzeitigen Er­ scheinungsbild die befürchteten Gefahren nicht aktuell sind276 . Sie könnten aber zutage treten, wenn Regierung und Verbände die Gren­ zen in ihrer Zusammenarbeit überschreiten, die für die Mitwirkung außerstaatlicher Organisationen an staatlichen Entscheidungen beste­ hen müssen: die Mitwirkung darf sich nur auf die Vorformung der staatlichen Willensbildung beziehen; die Entscheidung zu treffen muß dem Staat überlassen sein, und dies nicht als notarieller Akt, sondern in eigenverantwortlicher, autonomer Entscheidung, die auch vor einer unpopulären Maßnahme nicht zurückschreckt, wenn sie zur Erreichung eines für richtig erkannten Zieles notwendig ist. Neben diesen grundsätzlichen, aber derzeit nicht aktuellen Einwän­ den gegen die Zusammenarbeit von Staat und Verbänden in der Kon­ zertierten Aktion, gibt es noch einige andere juristische Bedenken, ins­ besondere die Frage des Zugangs und die der Öffentlichkeit der Gespräche. Bei der Frage des Zugangs sind zwei Aspekte zu unterscheiden : der eine ergibt sich aus dem Ziel der Konzertierten Aktion als Mittel der Globalsteuerung. Die Auswahl der Verbände durch die Bundesregie­ rung muß daher vom angestrebten Effekt bestimmt sein. Ein gleich­ zeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten kann nur erreicht werden, wenn alle wesentlichen Wirtschaftsverbände mitmachen. Der zweite Aspekt ergibt sich daraus, daß die beteiligten Verbände einen erheb­ lichen Informationsvorsprung gegenüber den nichtbeteiligten Verbän­ den bekommen, zumal die Gespräche nicht öffentlich sind. Das Postulat der Öffentlichkeit der Gespräche oder wenigstens der Veröffentlichung des Gesprächsinhaltes muß deshalb erhoben werden, um mögliche Nachteile, die sich aus der zahlenmäßigen Begrenzung des Teilnehmer­ kreises ergeben, auszugleichen. Versucht man die Konzertierte Aktion in den Rahmen der bisheri­ gen Modelle für eine institutionalisierte Verbandsbeteiligung einzu­ ordnen, wird die Sonderstellung deutlich, die sie einnimmt. Sie trägt Züge eines Beirates, da die Gespräche auch zur Beratung der Wirt274 Zum Verhältnis von Tarifautonomie und Konzertierter Aktion aus öko­ nomischer Sicht s. Bernhard Külp, Der Einfluß der Konzertierten Aktion auf das Verhalten der Tarifpartner, in : Ernst Dürr (Fn. 326), S. 53 ff. ; Joa­ chim Klaus, Die mißverstandene Tarifautonomie, in : Wirtschaftswoche Nr. 1/2 vom 5. 1. 1973, S. 23 ff. 275 Diese Feststellung kann ernstlich kaum bestritten werden, vgl. z. B. Christoph Böckenförde, Konzertierte Aktion. Zu institutionellen Problemen der Globalsteuerung, in : Der Staat 1972, S. 367 ff., 373.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

schaftspolitik der Bundesregierung dienen. Der wesentliche Unter­ schied besteht aber darin, daß es nicht nur um die Vorbereitung staat­ licher Entscheidungen geht, sondern gleichzeitig um die damit abge­ stimmten Entschließungen der Verbände. Die Konzertierte Aktion ist in der derzeitigen Form auch kein Wirtschaftsrat. Von einem Wirt­ schaftsrat unterscheidet sie sich vor allem darin, daß wesentliche for­ melle Voraussetzungen, wie z. B. die rechtliche Festlegung der Zusam­ mensetzung etc., nicht oder nur global geregelt sind276 • Im übrigen ist die inhaltliche Rolle der Verbände eine andere. Während die Verbände in Beiräten oder Wirtschaftsräten eine Hilfsfunktion im Hinblick auf die Bildung des Staatswillens haben, müssen im vorliegenden Fall ihre autonomen Entscheidungen mit denen des Staates korrespondieren, damit es zu einer Konzertierten Aktion kommt. Der Staat ist in einem Bereich seiner Wirtschaftspolitik auf das loyale Verhalten der Ver­ bände angewiesen. Staat und Verbände begegnen sich als autonome Partner auf der Ebene der Gleichordnung. Anders als bei ihrer Mit­ arbeit in Beiräten tragen aber auch die Verbände für ihre Entscheidun­ gen im Rahmen der Konzertierten Aktion das volle Risiko und die Verantwortung für die Richtigkeit. Die Konzertierte Aktion sprengt deshalb den Rahmen der Verbands­ beteiligung an der Gesetzgebung. 5. Die öffentlichen Anhörungen des Deutschen Bundestages, § 73 GeschOBT Obwohl die Möglichkeit von Untersuchungen durch das Parlament auch in der deutschen Parlamentstradition ihre weit zurückreichenden Wurzeln hat277 , war die Aufnahme einer Vorschrift über die Abhaltung von „öffentlichen Informationssitzungen" durch Ausschüsse des Bun­ destages in die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 6. Dez. 1951 eine Neuerung im Geschäftsordnungsbereich278 • Als Vorbild gelten allgemein die Hearings des amerikanischen Kongresses279, wenn­ gleich die Beiziehung von Verbandsvertretern, Sachverständigen oder anderen Auskunftspersonen zu nichtöffentlichen Sitzungen schon vor­ her praktiziert wurde280 • Die Regelung in § 73 Abs. 2 der Geschäftsordnung vom Dezember 1951 bestimmte lapidar, daß der nichtöffentlichen Sitzung auf BeZur Diskussion um einen Bundeswirtschaftsrat s. u. S. 155 ff. Dazu Friedrich Walter Appoldt, Die Öffentlichen Anhörungen (,,Hea­ rings") des Deutschen Bundestages, 1971, S. 44 f. 278 Vgl. Heinrich G. Ritzel und Helmut Koch, Geschäftsordnung des Deut­ schen Bundestages, 1952, Anm. 1 a zu § 73. 279 Vgl. Sten. Ber. Dt. Bt., 1. WP, 179. Sitzung vom 6. 12. 1951, S. 7412 B. 280 s. Heinrich G. Ritzel und Helmut Koch (Fn. 278), Anm. 6 c zu § 73. 278

2 77

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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schluß des Ausschusses öffentliche Informationssitzungen vorausgehen könnten. Zu diesen seien nach Bedarf Interessenvertreter, Auskunfts­ personen und Sachverständige, die Presse sowie sonstige Zuhörer zuge­ lassen, soweit es die Raumverhältnisse gestatteten. Es fehlen Vor­ schriften darüber, wie das Verfahren im einzelnen auszugestalten sei. In den ersten Legislaturperioden wurde von der Möglichkeit der öffentlichen Informationssitzungen praktisch kein Gebrauch gemacht. Bis zur fünften Legislaturperiode gab es insgesamt nur 8 Hearings. Erst in der fünften Legislaturperiode erlebten die öffentlichen Infor­ mationssitzungen einen, dann allerdings gleich explosionsartigen, An­ stieg auf 58 Hearings28 1 • Seither hält die Beliebtheit dieses Instrumentes an; im 6. Bundestag wurden trotz der verkürzten Amtsdauer 80 öffent­ liche Anhörungen durchgeführt282 • Es lassen sich keine sicheren Angaben dazu machen, was zur Wand­ lung der Ausschüsse in ihrer Einstellung zu den öffentlichen Informa­ tionssitzungen geführt hat. Denkbar wäre, daß der Einstellungswandel mit der Einsicht in die Ziele der öffentlichen Anhörungen zusammen­ hängt. Mit den öffentlichen Anhörungen können primär zwei Ziele verfolgt werden : die Information der Ö ffentlichkeit und damit eine „Ausweitung der parlamentarischen Publizität" 283 sowie die Information der Parlamentarier selbst. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß mit den Anhörungen beide Ziele verfolgt werden sollen284 • Man könnte vermuten, daß die plötzlich aufgetretene Sympathie für die öffentlichen Anhörungen mit einem gesteigerten Publizitätsbewußtsein der Abgeordneten zusam­ menhängt. Die Unterrichtung der Abgeordneten allein ist auch ohne das verhältnismäßig aufwendige Verfahren einer öffentlichen Anhörung möglich, und gerade der befürchtete Zeitaufwand wurde häufig als Grund für die Scheu der Abgeordneten vor öffentlichen Informations­ sitzungen genannt285 • Demgegenüber scheint die Möglichkeit, der Öf­ fentlichkeit einen wesentlichen Ausschnitt der Gesetzgebungsarbeit sichtbar und ihrer Kontrolle zugänglich zu machen, in den letzten Jahren verstärkt erkannt und ausgenutzt zu werden. 281 VP-1. Peter Schindler, Materialien zur Bilanz der fünf Bundestage, in : ZParl 1 969, S. 5 ff. 282 Vgl. Peter Schindler, Öffentliche Anhörungen und Aktuelle Stunden des 6. Bundestages , in : ZParl 1973, S. 10 ff. ; die Zahlen finden sich auch in : Deutscher Bundestag - Parlamentsarchiv (Hrsg.), Statistik über die Tätig­ keit und die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages in der 1. - 6. Wahlperiode vom 8. 1. 1 973, S. 3. 283 So Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 45. 284 So schon Heinrich G. Ritzel und Helmut Koch (Fn. 278), Anm. 1 b, 6 c zu § 73. 285 Vgl. Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 389 ; ähnlich Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 48.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Im übrigen war für § 73 Abs. 2 GeschOBT a. F. unbestritten, daß damit den Verbänden kein Anspruch auf Vornahme einer Informa­ tionssitzung oder auf Teilnahme an ihr gegeben war286. In verfahrens­ mäßiger Hinsicht handelte es sich bei den Anhörungen darum, die Auskunftspersonen berichten zu lassen. Zu einem Kreuzverhör oder zu einer Debatte zwischen Ausschußmitgliedern und Auskunftsperso­ nen kam es in der Regel nicht287. Auf die geringe Beachtung der Möglichkeiten der öffentlichen Anhö­ rungen in den ersten vier Legislaturperioden dürfte es u. a. zurückzu­ führen sein, daß gegenüber dem Hearing in der Literatur über die deutschen Verhältnisse eine eher reservierte Stellung bezogen wird und man ihm keine große Bedeutung im Gesetzgebungsprozeß ein­ räumt288. Dabei wird selbst in der neueren Literatur häufig nicht nur die erhebliche Zunahme der Anhörungen, sondern auch die aufgrund bisheriger Erfahrungen und unter Beachtung von Reformvorschlägen vollzogene Änderung der Geschäftsordnung vom 25. 6. 1969 übersehen, durch die die öffentlichen Anhörungen eine neue, wesentlich einge­ hendere Regelung erfahren haben289. Die Vorschriften der Geschäftsordnung zu den öffentlichen Anhö­ rungen in der jetzt geltenden Form lauten: § 73 Durchführung der Ausschußsitzungen ,,(3) Zur Information über einen Gegenstand seiner Beratung kann ein Ausschuß öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessen­ vertretern und anderen Auskunftspersonen vornehmen. Bei überwie­ senen Vorlagen oder Anträgen ist der federführende Ausschuß auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder dazu verpflichtet ; bei nicht überwiesenen Gegenständen im Rahmen des § 60 Abs. 2 Satz 3 erfolgt eine Anhörung auf Beschluß des Ausschusses. Die Beschlußfassung ist 289 Dies folgt schon daraus, daß durch die Geschäftsordnung Rechte für Außenstehende nicht begründet werden können, s. dazu o. S. 67 ff. 287 Vgl. Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 390 ; dies ist heute anders, vgl. § 73 Abs. 4 GeschOBT n. F. 288 Vgl. z. B. Klaus v. Beyme (Fn. 201), S. 175 ; ähnlich Gerhard Loewenb erg (Fn. 202), S. 390. 289 Klaus v. Beyme (Fn. 201) zitiert auch in der 4. ,,umgearbeiteten und er­ gänzten Auflage" von 1974 noch § 73 Abs. 2 GeschOBT in der alten Fassung, S. 174; Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 210 geht in seinem Aufsatz vom Septem­ ber 1972 noch davon aus, ,,daß die Ausschußmitglieder die Verbandsvertreter lediglich anhören und - wenn nötig - Fragen stellen, j edoch nicht in eine Debatte und Verhandlungen mit ihnen eintreten". Selbst Friedrich Walter Appoldt, (Fn. 277), dem wir eine insgesamt sehr verdienstvolle Darstellung über die Anhörung des Deutschen Bundestages verdanken, zitiert § 73 n. F. nach der Änderungsbekanntmachung vom 25. 6. 1969 und nicht nach der Neu­ fassung vom 22. Mai 1970, bei der auch eine neue Numerierung der Ab­ sätze des § 73 GeschOBT erfolgte.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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nur zulässig, wenn ein entsprechender Antrag auf der Tagesordnung des Ausschusses steht. (4) Der Ausschuß kann in eine allgemeine Aussprache mit den Auskunfts­ personen eintreten, soweit dies zur Klärung des Sachverhaltes erforder­ lich ist. Hierbei ist die Redezeit zu begrenzen. Der Ausschuß kann ein­ zelne seiner Mitglieder beauftragen, die Anhörung durchzuführen ; dabei ist jede im Ausschuß vertretene Fraktion zu berücksichtigen. (5) Zur Vorbereitung einer öffentlichen Anhörung übermittelt der Aus­ schuß den geladenen Ausschußpersonen die jeweilige Fragestellung und fordert sie zur Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme auf."

In § 73 Abs. 6 GeschOBT ist schließlich noch der Ersatz von Auslagen an Auskunftspersonen geregelt, wobei die bereits bestehende Regelung des § 73 Abs. 3 GeschOBT a. F. übernommen wurde. Im folgenden sollen zunächst einige Erläuterungen zu der Geschäfts­ ordnungsvorschrift gegeben werden, bevor auf die Bedeutung der Hearings für die Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung einge­ gangen wird. Die neue Fassung bringt gegenüber der bisherigen Lage eine aus­ führlichere Darstellung des Verfahrens bei Anhörungen und eine Präzisierung hinsichtlich der Art der Maßnahmen. Während in der alten Fassung von „öffentlichen Informationssitzungen" gesprochen wurde, wird nunmehr dahin konkretisiert, daß „zur Information . . . öffentliche Anhörungen", § 73 Abs. 3 Satz 1 vorgenommen werden können. Damit wird klargestellt, daß die Informationen durch Anhö­ rung gewonnen werden können. Weitergehende Beteiligungsmöglich­ keiten sollen den Auskunftspersonen nicht eingeräumt werden. Aller­ dings kann der Ausschuß mit ihnen in eine allgemeine Aussprache ein­ treten, jedoch nur insoweit, als dies zur Klärung des Sachverhaltes er­ forderlich ist, vgl. § 73 Abs. 4 Satz 1 GeschOBT. Damit soll erreicht werden, daß die Debatte nur den Zweck hat, zur sachlichen Aufklärung beizutragen, damit die Anhörung ihren vollen informatorischen Wert hat200 • Die in diesem Fall vorgesehene Begrenzung der Redezeit kann verhindern, daß die Anhörung von der Tatbestandsaufnahme weg zum Plädoyer führt. Bei überwiesenen Vorlagen, also bei allen Gesetzesentwürfen, ist der federführende Ausschuß auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder zu einem Hearing verpflichtet. Damit wird bei der Ausschußarbeit auch der parlamentarischen Minderheit die Möglichkeit eingeräumt, eine öffentliche Anhörung zu verlangen und ggfs. zu erzwingen. Da das Hearing als Kontrollmittel der Opposition verwendet werden kann, ist mit dieser Bestimmung ein wesentliches Minderheitenrecht eingeführt no Entgegen Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 210, ist daher eine Debatte sehr wohl möglich ; er weist allerdings zu Recht darauf hin, daß es nicht um Verhandlungen geht.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

worden. Dieses Minderheitenrecht gilt aber nur bei überwiesenen Vor­ lagen und im federführenden Ausschuß291 , 292 • In Fällen, in denen der Ausschuß auf eigene Initiative hin tätig wird, § 60 Abs. 2 Satz 3 GeschOBT, ist für die Abhaltung einer Anhörung ein Ausschußbeschluß erforderlieh. Nach der neuen Fassung des Anhörverfahrens können die Ausschuß­ mitglieder auch untereinander in die Debatte eintreten und zu einer Beschlußfassung kommen. Eine Beschlußfassung ist allerdings nur zulässig, wenn ein entsprechender Antrag auf der Tagesordnung des Ausschusses steht. Aus der Stellung in § 73 Abs. 3 Satz 3 GeschOBT könnte man schließen, daß die Regelung der Beschlußfassung nur die Fälle umfas­ sen sollte, in denen es darum geht, bei nicht überwiesenen Gegen­ ständen über die Anberaumung eines Hearings zu entscheiden. Dies könnte vor allem auch aus der zweimaligen unmittelbar aufeinander folgenden Verwendung des Ausdrucks „Beschluß" folgen, was auf eine beabsichtigte Anknüpfung schließen lassen könnte. Gegen eine Bezie­ hung des Satzes 3 auf Satz 2 des § 73 Abs. 3 GeschOBT spricht aber, daß diese Bezugnahme nur für den 2. Halbsatz des § 73 Abs. 3 Satz 2 gelten würde; dann hätte es aber nahegelegen, die Einschränkung, die in der besonderen Regelung über die Beschlußfassung zu sehen ist, unmittelbar anzuschließen, um jeden Zweifel zu beseitigen. Bei näherer Prüfung muß man deshalb davon ausgehen, daß Satz 2 und Satz 3 voneinander unabhängig sind. Es zeigt sich dann eine Ver­ bindung zwischen Satz 1 und Satz 3. In § 73 Abs. 3 Satz 1 GeschOBT ist festgestellt, daß die Sitzungen, die eine öffentliche Anhörung zum Gegenstand haben, der Information dienen. Satz 3 macht deutlich, daß damit eine Beschlußfassung in dieser Sitzung nicht automatisch ausge­ schlossen ist; sie stellt aber auch nicht die Regel dar. Vielmehr soll sie nur möglich sein, wenn ein entsprechender Antrag auf der Tagesord­ nung steht. § 73 Abs. 3 Satz 3 GeschOBT läßt damit eine Beschlußfassung in öf­ fentlicher Sitzung zu293 • § 73 Abs. 4 Satz 2 GeschOBT sieht die Möglichkeit vor, die Anhörung durch einige Ausschußmitglieder an Stelle des gesamten Ausschusses Auch dadurch wird keinem Außenstehenden ein Anspruch eingeräumt. Die Möglichkeit der Abhaltung von Hearings durch Ausschüsse, die neben dem federführenden Ausschuß beteiligt sind, ist damit nicht ausge­ schlossen; ihnen gegenüber gibt es aber kein Minderheitenrecht für die Ab­ haltung. 293 Ebenso, wenn auch praktisch ohne Begründung, Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 48 f., der in Anm. 30 nachweist, daß dies selbst einzelnen Abgeordneten unbekannt ist. 291

292

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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durchführen zu lassen. Damit kann der mit der Anhörung verbundene Zeitaufwand etwas verteilt werden. Um Ungleichheiten zu vermeiden, ist auch bei der Auswahl der mit der Anhörung beauftragten Aus­ schußmitglieder jede der im Ausschuß vertretenen Fraktionen zu be­ rücksichtigen. In deutlicher Entsprechung zur Vorschrift des § 133 (e) LRA für das amerikanische Hearing ist in § 73 Abs. 5 GeschOBT nunmehr vorge­ sehen, den geladenen Auskunftspersonen vorher die Fragestellung zu übermitteln und sie zur Einreichung einer schriftlichen Stellungnahme zu veranlassen. Auf diese Weise ist eine gezielte Vorbereitung der Aus­ schußmitglieder auf die öffentliche Anhörung möglich; andererseits ist sichergestellt, daß die Auskunftspersonen ihrerseits eine abgewo­ gene Stellungnahme vorbereiten und abgeben können. Hervorzuheben ist, daß auch die Verwertung der in den Hearings vorgetragenen Ansichten der Interessen- und Fachverbände in der Geschäftsordnung geregelt ist. Die Ausschüsse sind gehalten, Berichte über die Ergebnisse ihrer Arbeit für das Plenum zu erstellen. Diese Ausschußberichte sind bei Gesetzentwürfen in der Regel schriftlich zu erstatten. Sie sollen die wesentlichen Ansichten der angehörten Per­ sonen wiedergeben, sofern Informationssitzungen stattgefunden haben, § 74 Abs. 2 2. Halbsatz GeschOBT. Damit wird gewährleistet, daß auch das Plenum von dem Ergebnis einer Anhörung, an der Vertreter von Interessen- und Fachverbänden beteiligt waren294, unterrichtet wird, was die Bedeutung einer Anhörung von Verbandsvertretern im Aus­ schuß erhöht. Trotz der relativ ausführlichen Regelung der öffentlichen Anhörun­ gen sind einige Dinge nach wie vor nicht oder nicht unzweifelhaft ge­ regelt. Dabei sind drei Punkte besonders bedeutsam, vor allem auch im Hinblick auf die Rolle der Hearings als institutionalisierter Verbands­ beteiligung : die fehlenden Zwangsmittel gegenüber den Auskunftsper­ sonen; der offene Verfahrensablauf; das Problem der Inside-Lobby. Die Ausschüsse können zwar Auskunftspersonen einladen; diesen steht es aber frei, zu kommen oder abzusagen. Es gibt keine Möglich­ keit, Auskunftspersonen gegen ihren Willen vor den Ausschuß zu brin­ gen. Ebensowenig können sie, wenn sie erschienen sind, zur Aussage gezwungen werden. Die Vorschriften der Strafprozeßordnung sind nach Art. 44 Abs. 2 GG nur bei Untersuchungsausschüssen sinngemäß anzuwenden. Des weiteren gibt es keine Sanktion für falsche Angaben 294 § 74 Abs. 2 GeschOBT ist entsprechend der ET-Drucksache 7/3747 (neu) vom 10. 6. 1975 geändert worden ; bis zu diesem Zeitpunkt bezog sich die Berichtpflicht nur auf die „wesentlichen Ansichten der angehörten Inter­ essen- und Fachverbände", nicht auf die anderer Auskunftspersonen.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

einer Auskunftsperson295 • Insbesondere ist § 153 StGB nicht anwendbar, da hier nur die uneidlich falsche Aussage vor einer zur eidlichen Ver­ nehmung zuständigen Stelle unter Strafe gestellt ist; ein mit der Ab­ haltung einer öffentlichen Anhörung befaßter Bundestagsausschuß kann aber keine eidlichen Vernehmungen durchführen. Hinsichtlich des Verfahrens bei einer öffentlichen Anhörung ist so­ wohl bei der Vorbereitung wie bei der Durchführung manches offen. Für die Vorbereitung ist zwar die Übermittlung von Fragen an die Auskunftspersonen zur Gelegenheit schriftlicher Stellungnahme vor­ gesehen. Es fehlen aber Hinweise darauf, nach welchen Gesichtspunk­ ten die Auskunftspersonen ausgewählt werden und wer die Auswahl trifft. Mangels anderer Vorschriften obliegt die Vorbereitung in dieser Hinsicht dem Vorsitzenden, § 69 Abs. 2 GeschOBT, bzw. den Bericht­ erstattern, § 70, wobei jeweils ein Ausschußsekretariat hilfreich zur Seite steht296 • Auch die Art der Verhandlungsführung hängt sehr vom Vorsitzenden ab, der es in der Hand hat, den Verlauf des Hearings zu steuern. Ein wesentlicher Punkt für den Ablauf des Verfahrens ist die Anwesenheit von Beauftragten der Bundesregierung, die durch Art. 43 Abs. 2 GG grundgesetzlich ermöglicht ist. Die Beamten müssen jeder­ zeit gehört werden. Das kann dazu führen, daß bei Anhörungen durch die Fragen der Ministerialbeamten, die häufig als zuständige Referen­ ten den Gesetzentwurf erstellt haben, die materielle Leitung des Hearings von den Ausschußmitgliedern auf die Ministerialbeamten übergeht. Insgesamt ist freilich zu beachten, daß ein nicht allzu streng durchgeregeltes Verfahren der Spontaneität und Flexibilität Rechnung trägt, die dem Ablauf der Anhörungen zugute kommen können. Nicht einmal angesprochen ist in der Geschäftsordnung das Problem der sog. Inside-Lobby. Gerade die Ausschüsse stellen häufig „Verbands­ inseln" dar. Dies erklärt sich z. B. daraus, daß sich die jeweiligen Fach­ leute der Fraktionen für bestimmte Ausschüsse unter den Verbands­ vertretern befinden und es naheliegt, sich deren speziellen Sachver­ stand im Ausschuß nutzbar zu machen. Es seien hier nur einige mög­ liche Konsequenzen angedeutet, die sich aus diesem Sachverhalt für die öffentlichen Anhörungen ergeben können: so kann die Inside-Lobby sicher von Bedeutung sein für die Auswahl der Auskunftspersonen; außerdem kann sie auch entscheidend sein für die Frage, ob überhaupt eine öffentliche Anhörung erfolgen soll. 2 95 Vgl. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 76), S. 145 f., dort auch ein Regelungs­ vorschlag, S. 149. 298 Die ausreichende Besetzung dieser Sekretariate ist Grundvoraussetzung für ein effektives Hearing, vgl. Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 52 m. w. N.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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Bei den rechtspolitischen Erwägungen287 wird auf diese Fragen ein­ gegangen werden müssen. Hinsichtlich der gegenwärtigen Situation muß aber noch untersucht werden, welchen Stellenwert die öffent­ lichen Anhörungen für die Institutionalisierung der Verbandsbeteili­ gung an der Gesetzgebung haben. Dabei werden die anderen Funk­ tionen der Hearings für unsere Zwecke bewußt vernachlässigt288• Der Wert der Hearings des Deutschen Bundestages als Möglichkeit institutionalisierter Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung ist um­ stritten. Zunächst wird darauf hingewiesen, daß in den USA die Verneh­ mungspraxis bei den Hearings einer Gerichtstradition entstamme, die in Deutschland fehle299 • Diese Bedenken, die das Verfahren betreffen, scheinen mir nicht unüberwindlich zu sem. Es ist kein Grund dafür vorhanden, der uns veranlassen müßte, davon auszugehen, daß die Ausschußmitglieder auf Dauer nicht in der Lage wären, ein Verfahren zu entwickeln, das zur effektiven Gestaltung der Anhörung beiträgt. Ein zweites Bedenken ist grundsätzlicher Art. Es geht davon aus, daß die Praxis der Hearings nur dann ihren eigentlichen Sinn habe, wenn sie in einem frühen Stadium der Gesetzgebung Platz greife. Im Vergleich zu den Ausschüssen des Kongresses in den USA seien die Bundestagsausschüsse erst in einem relativ späten Zeitpunkt mit der Gesetzgebungsarbeit befaßt300 • Die Ausschüsse sähen dann keinen An­ laß mehr, die Stellungnahme der Interessenverbände einzuholen, zu­ mal die Verbände regelmäßig bereits ihren Einfluß geltend gemacht und von sich aus kaum den Wunsch hätten, ihre Vorstellungen noch­ mals in der Öffentlichkeit zu wiederholen301 • Voraussetzung für dieses Bedenken ist, daß die Ausschüsse des Bun­ destages regelmäßig mit einem Gesetzentwurf befaßt werden, bei des­ sen Erstellung bereits die wesentlichen Verbandsinteressen abgeklärt und berücksichtigt sind. Dies dürfte in der Tat weitgehend zutreffen. Bei den Regierungsentwürfen, die immerhin in ungefähr 75 0/o der Fälle den verabschiedeten Gesetzen zugrunde lagen, ist regelmäßig davon auszugehen, daß eine Verbandsbeteiligung stattgefunden hat, sei es durch eine Anhörung im Referentenstadium, sei es über einen Beirat oder informelle Kontakte. Ähnliches gilt auch bei den EntwürDazu unten S. 258 ff. s. dazu Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 62 ff. 299 Vgl. Ernst Fraenkel, Das amerikanische Regierungssystem, 2. Aufl. 1962, S. 306/307 ; Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 338 ; Klaus v. Beyme (Fn. 201), S. 175. aoo Vgl. Klaus v. Beyme (Fn. 201), S. 176; ebenso schon Gerhard Loewen­ berg (Fn. 202), S. 388. 301 s . Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 388/389. 297

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8 Speyer 58

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

fen des Bundesrates, die den Regierungsentwürfen insofern ähnlich sind, als sie regelmäßig von einer Landesregierung ausgearbeitet sind. Bei Initiativen aus der Mitte des Bundestages schließlich kann davon ausgegangen werden, daß die Inside-Lobby302, die Abgeordneten, die den Interessenverbänden nahestehen oder von ihnen angesprochen werden, die Berücksichtigung wenigstens der stärksten Interessen durchsetzen werden. Der angesprochene Tatbestand ist so offenkundig, daß er nicht eigens überprüft zu werden braucht. Untersucht werden muß lediglich, welche Interessen regelmäßig auf diese Weise bereits ihre Berücksichtigung im Gesetzgebungsverfahren gefunden haben. Dabei werden Gewerkschaf­ ten und Arbeitgeberverbände nicllt übergangen. Damit behält aber die öffentliche Anhörung in Ausschußsitzungen als Zugang zur Gesetz­ gebung nur für diejenigen Verbände ihre Bedeutung, die bis dahin an der Erarbeitung des Entwurfs nicht beteiligt waren. Die anderen Orga­ nisationen, die am Gesetzentwurf bereits vorher und - wie oben ge­ zeigt wurde - auf weitgehend apokryphe Weise mitgewirkt haben, werden häufig gar kein Interesse daran haben, sich am Hearing zu beteiligen, weil die Durchsetzung ihrer Forderungen in der Öffentlich­ keit eher auf Schwierigkeiten stoßen könnte303 • Allerdings sind hier zwei andere Konstellationen denkbar: einmal kann das Hearing auf jeden Fall interessant sein für einen Verband, der zwar im Entwurfstadium beteiligt wurde, aber mit seinen Ansich­ ten nicht durchgedrungen ist. Er hat hier 1m Hearing die Möglichkeit, noch einmal seine Forderungen anzumelden und zu begründen. Zum anderen kann gerade die fehlende Öffentlichkeit der Beteiligung im Regierungsbereich dazu führen, daß bereits beteiligte Verbände nun­ mehr in der öffentlichen Anhörung mit neuen und weitergehenden Forderungen auftreten. Es kommt ihnen dabei zunutze, daß nicht nur die Anhörungsergebnisse einer Beteiligung im Regierungsbereich der­ zeit den Parlamentariern unbekannt sind, sondern daß diese darüber hinaus nicht einmal wissen, welche Verbände bereits vorher an der Erstellung des Gesetzentwurfs beteiligt waren. Sie können daher den Eindruck zu erwecken versuchen, als würden auch sie erstmals mit dem Entwurf konfrontiert. Es ist einzuräumen, daß die beiden letztgenannten Konstellationen vielleicht keine allzu große Wahrscheinlichkeit haben, weil vor allem die großen Verbände immer noch die Möglichkeit einer informellen Einflußnahme haben, z. B. über ihnen nahestehende Abgeordnete, und deshalb den Weg in die Öffentlichkeit eher sclleuen werden. Immerhin 302 Rudolf Steinberg (Fn. 1), S. 210 spricht auch von „eingebauter Lobby", in Anlehnung an die „bunt-in-Lobby" (L. W. Milbrath). 303 Darauf weist Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 389 hin.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

115

sollte man die öffentlichen Anhörungen als Mittel einer institutionali­ sierten Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung nicht zu gering ver­ anschlagen304 • Selbst wenn man die Bedeutung der Hearings für die Beteiligung der Verbände nicht allzu hoch einschätzen dürfte, könnte dieser Ge­ sichtspunkt nicht etwa dazu führen, von öffentlichen Anhörungen ab­ zusehen. Wir hatten oben herausgestellt, daß die Institutionalisierung neben der Eröffnung einer Beteiligung der Verbände die Ziele der Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses verfolgt. Sowohl zur Offenlegung des Verbandseinflusses wie zu seiner Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit eignet sich aber das Hearing vorzüglich. Die öffentlichen Anhörungen sind bei entsprechender Vorbereitung und Auswahl der Auskunftspersonen durchaus in der Lage, die Inter­ essenzusammenhänge aufzudecken und damit kontrollierbar zu machen, die in einem bestimmten Gesetzentwurf ihren Niederschlag gefunden haben. Voraussetzung ist freilich, daß die Ausschußmitglieder selbst ein Interesse an der Offenlegung der Verbandsinteressen haben. Der Hin­ weis darauf, daß die Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Ver­ treter des ganzen Volkes seien, bietet sich zwar an, dürfte aber kaum allzu große Hoffnungen begründen, da in diesem Punkt die Kluft zwi­ schen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit besonders groß sein dürfte. Auch die Tatsache, daß die im Bundestag vertretenen Par­ teien prinzipiell nicht bzw. nicht in erster Linie partikulare Interessen vertreten, sondern sich vielmehr um einen Ausgleich der Interessen innerhalb der Partei bemühen, besagt noch nicht viel über die Haltung der Ausschußmitglieder im konkreten Fall305 • Es besteht, trotz einiger Skandale306 , allerdings auch kein Anlaß, die Abgeordneten oder die jeweiligen Ausschußmitglieder pauschal einer interessengebundenen Voreingenommenheit zu verdächtigen. Dennoch dürften Überlegungen dahingehend angebracht sein, wie die Inside­ Lobby im Ausschuß irgendwie kontrolliert werden kann307 • Im übrigen gehören zur Effektuierung der Offenlegungs- und Kontrollfunktion auch Überlegungen, wie man gegebenenfalls die Verbände auch gegen ihren Willen vor den Ausschuß und zur Aussage bringen kann. 304 So aber m. E. Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 59 ff., in dem an sich berechtigten Bemühen, den Kontrollaspekt des Hearings in den Vordergrund zu stellen. 305 In diese Richtung gehen die Überlegungen von Friedrich Walter Ap­ poldt (Fn. 277), S. 61. 308 Man denke z. B. an die Geldner-Affäre oder an die Diskussion um die Beraterverträge. 307 s. dazu Nr. 8 der Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bun­ destages, u. S. 127 ff.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Insgesamt dürften die öffentlichen Anhörungen im Gesetzgebungs­ verfahren · hinsichtlich der institutionalisierten Verbandsbeteiligung ganz wesentliche Aufgaben für die Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses haben308 • Es scheint allerdings so, als ob diese Funk­ tionen der öffentlichen Anhörungen bislang nicht hinreichend erkannt wurden309 , vielmehr wird das Hearing primär als Eröffnung einer Be­ teiligung für die Verbände gesehen. Diese Funktion hat es ebenfalls, wenn auch im Gesetzgebungsverfahren der Bundesrepublik den beiden erstgenannt"n Aufgaben ein größeres Gewicht beikommen dürfte. Exkurs: Zur Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Bundesgesetzgebung

Die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände an der Gesetz­ gebung stellt ein Sonderproblem dar. Einerseits handelt es sich auch hierbei um die Betätigung von Kräften, die von Verfassungs wegen nicht an der Gesetzgebung mitwirken. Andererseits unterscheiden sich die kommunalen Spitzenverbände von allen anderen Verbänden so grundlegend, daß sie eine Sonderstellung einnehmen. Lösungen, die für die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände gefunden werden, können nicht ohne weiteres auf die anderen Verbände übertragen werden3 1 0 • Die Sonderstellung der kommunalen Spitzenverbände gegenüber anderen Verbänden ergibt sich vor allem daraus, daß die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Art. 28 GG einen besonderen verfas­ sungsrechtlichen Status genießen, der sie von allen übrigen Verbänden unterscheidet. Ihre Forderung nach intensiver Beteiligung an der Ge­ setzgebung resultiert aus der Tatsache, daß die Ausführung der Ge­ setze in großem Ausmaß den Gemeinden obliegt und durch Gesetz häufig Vorgaben für gemeindliches Handeln gesetzt werden. Die Gemeinden verstehen sich als dritte Ebene des Staates nach Bund und Ländern3 1 1 • Diesem Gedanken entsprechend ist die Auffassung vertreten worden, daß die Gemeinden als dritte Säule des Staates in einer dritten Kammer neben Bundesrat und Bundestag an der Gesetzsos So zu Recht Friedrich Walter Appoldt (Fn. 277), S. 62. 309 Darauf weist auch Gerhard Loewenberg (Fn. 202), S. 389 hin. 310 So ausdrücklich der Bericht und Antrag des Ausschusses für Wahl­ prüfung, Immunität und Geschäftsordnung vom 10. 6. 1975, ET-Drucksache 7/3747 (neu), S. 4. 3 1 1 Vgl. das Schreiben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes vom 18. 6. 1973 betr. ,,Forderungen der Gemeinden zum Standort des kommunalen Bereichs nach dem Grundgesetz" an die Enquete-Kommiss. Verfassungsre­ form, Kommissionsdrucksache Nr. 060, S. 1 ; ebenso das Schreiben des Deut­ schen Städtetages und des Deutschen Landkreistages vom 19. 6. 1973, Kom­ missionsdrucksache 061, S. 1.

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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gebung zu beteiligen seien3 12 • Die Anregung einer Gemeindekammer auf Bundesebene hat aber keine Anhängerschaft gefunden. An ihrer Stelle wird seit einiger Zeit der Vorschlag einer Beteiligung der Ge­ meinden am Bundesrat diskutiert313 • Außerdem wird die verfassungs­ rechtliche Einräumung eines Beteiligungsanspruches der kommunalen Spitzenverbände durch Ergänzung des Art. 28 GG gefordert314 • Auf eine Auseinandersetzung mit diesen verfassungspolitisch brisan­ ten Forderungen kann in der vorliegenden Untersuchung verzichtet werden; insoweit ist ausschließlich die besondere Situation der Gemein­ den angesprochen, die für andere Verbände nicht zutrifft. Um dem be­ rechtigten Beteiligungsverlangen der kommunalen Spitzenverbände zu entsprechen, sind aber in letzter Zeit Geschäftsordnungsregelungen in der GGO II und in der Geschäftsordnung des Bundestags ergangen, deren Erörterung auch für die Verbandsbeteiligung generell interessant ist. Bisher waren die kommunalen Spitzenverbände an der Bundes­ gesetzgebung nicht anders beteiligt als andere Verbände auch. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 GGO II in der bis zum 7. 3. 1975 geltenden Fassung konnten auch die Spitzenverbände der Gemeinden und Gemeinde­ verbände zur Beschaffung von Unterlagen herangezogen werden3 15 • Entsprechend einem Wunsch des Geschäftsordnungsausschusses des Bundestages wurde die GGO II am 7. 3. 1975 geändert. Der bisherige § 23 Abs. 1 S. 2 wurde gestrichen und folgender § 23 a eingefügt31 8•

Unterrichtung der kommunalen Spitzenverbände (1) Vorbereitende Entwürfe zu Gesetzen, durch die die Belange der Ge­ meinden und Gemeindeverbände berührt werden, sollen den auf Bun­ desebene bestehenden kommunalen Spitzenverbänden möglichst frühatz Vgl. dazu Jockel Fuchs, Dritte Säule - oder was? Zur politischen Ver­ tretung der kommunalen Selbstverwaltung im Bund, in : Die Verwaltung 1971, 385 ff., 393 f. 313 Vgl. das Schreiben des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (Fn. 311), S. 7, mit detaillierten Vorschlägen zur Änderung der Grundgesetz­ artikel 51 und 52 ; vgl. dazu Theodor Eschenburg, Sinnvolle Reform? Ein Vorschlag : Mitwirkung der Kommunen, in : Die Zeit, Nr. 30 vom 1 9. Juli 1974, S. 4; Peter Beckert, Platz der Gemeinden im Gefüge des Staates, in : FAZ, Nr. 178- vom 5. August 1974, S. 4. 8 14 Dieser Vorschlag wird sowohl vom Deutschen Städte- und . Gemeinde­ bund, wie vom Deutschen Städtetag und Deutschen Landkreistag gemacht, vgl. die Schreiben (Fn. 311). 31 5 Dies führte zu einer regelmäßigen Anhörung der kommunalen Spitzen­ verbände bei Regierungsvorlagen, vgl. dazu die Antwort der Bundesregie­ rung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der Städte, Gemeinden und Kreise, BT-Drucksache 7/2409 vom 22. 7. 1974, S. 3 ff. ate Abgedruckt im GMBl. 1975, S. 387.

s.

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1. Teil,

c.

Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

zeitig zugeleitet werden. § 23 Abs. 2 gilt entsprechend. Soll der Entwurf vertraulich behandelt werden, ist es zu vermerken. (2) Bevor ein Bundesministerium den kommunalen Spitzenverbänden Ge­ setzentwürfe mitteilt, soll es feststellen, ob eine der beteiligten obersten Bundesbehörden, mit deren abweichender Meinung in wesentlichen Punkten zu rechnen ist, Widerspruch gegen die Unterrichtung der kom­ munalen Spitzenverbände erhebt." § 23 a GGO II unterscheidet sich von § 23 GGO II in drei wesentlichen Punkten. Schon die Überschrift spricht von „Unterrichtung" gegenüber ,,Beschaffung von Unterlagen". Damit ist ausgedrückt, daß die Ministe­ rien zu den kommunalen Spitzenverbänden ein ganz anderes Verhält­ nis haben als zu den anderen Verbänden. Während andere Verbände lediglich zur Informationsbeschaffung herangezogen werden können, dient § 23 a GGO II primär der Informierung der kommunalen Spitzen­ verbände. Diese haben die Möglichkeit, zu den vorbereitenden Ent­ würfen Stellung zu nehmen. Dies ergibt sich, das ist der zweite Unter­ schied, aus der möglichst frühzeitigen Zuleitung der Entwürfe. Es folgt auch aus einer weiteren Änderung der GGO II, durch die dem § 37 Abs. 3 folgender Satz 2 angefügt wurde: ,,Weiterhin sind wesentliche abweichende Meinungen, die die kommunalen Spitzenverbände im Rahmen ihrer Beteiligung nach § 23 a vorgetragen haben, kurz darzu­ legen. " Daraus geht hervor, daß die frühzeitige Unterrichtung den kommunalen Spitzenverbänden eine Meinungsäußerung ermöglichen solls11. Mit der Einfügung des § 37 Abs. 3 Satz 2 ist im übrigen einer Anre­ gung entsprochen worden, die auch für die Stellungnahmen der Ver­ bände nach § 23 geäußert wurde. Wenn man § 23 GGO II allerdings strikt auf die Beschaffung von Unterlagen beschränkt, kann es abwei­ chende Meinungen gar nicht geben. Der dritte Unterschied zwischen § 23 und § 23 a liegt darin, daß nach § 23 a die Entwürfe zugeleitet werden „sollen" . Auch damit ist zwar den kommunalen Spitzenverbänden kein Anspruch eingeräumt. Es ist aber doch zum Ausdruck gebracht, daß die Zuleitung die Regel dar­ stellen soll. § 23 a GGO II gewährleistet den kommunalen Spitzenverbänden praktisch eine Beteiligung an allen sie betreffenden Gesetzentwürfen der Bundesministerien. Eine weitere Regelung der Beteiligung der kommunalen Spitzen­ verbände ist auf Vorschlag des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu­ nität und Geschäftsordnung318 durch Einfügung des folgenden Abs. 3 a in § 73 GeschOBT erfolgt: 817

1975, 818

Zur Praxis der frühzeitigen Unterrichtung vgl. FAZ, Nr. 138 v. 19. 6. s. 7. BT-Drucksache 7/3747 (neu).

I. Die Institutionalisierungsmaßnahmen im engeren Sinne

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,,(3 a) Berät der Ausschuß einen ihm überwiesenen Gegenstand, durch den wesentliche Belange von Gemeinden und Gemeindeverbänden berührt wer­ den, soll den auf Bundesebene bestehenden kommunalen Spitzenverbänden vor Beschlußfassung im Ausschuß Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Dies gilt insbesondere bei Entwürfen von Gesetzen, die ganz oder teilweise von den Gemeinden oder Gemeindeverbänden auszuführen sind, deren öffentliche Finanzen unmittelbar betreffen oder auf ihre Verwaltungs­ organisation einwirken. Von der Bestimmung des Satzes 1 kann bei Regie­ rungsvorlagen abgesehen werden, wenn aus der Begründung der Vorlagen die Auffassungen der kommunalen Spitzenverbände ersichtlich sind. Die Rechte des Ausschusses aus Abs. 3 bleiben unberührt." Durch § 73 Abs. 3 a GeschOBT ist sichergestellt, daß die kommunalen Spitzenverbände in der Praxis zu allen Gesetzesentwürfen, die wesent­ liche Belange der Gemeinden oder Gemeindeverbände betreffen, ihre Stellungnahme abgeben können. Während § 23 a GGO II nur die Ent­ würfe der Ministerien betrifft, gilt § 73 Abs. 3 a GeschOBT für alle Vorlagen, ob sie von der Regierung oder aus der Mitte des Bundestages • eingebracht wurden. Durch die Formulierung „soll . . . gegeben werden" soll der Ausschuß zur Beteiligung verpflichtet werden319 , er „muß besondere Gründe an­ führen können, wenn er von dieser Bestimmung keinen Gebrauch macht" 320 • Zu diesen Gründen gehört z. B. der Fall des § 73 Abs. 3 a S. 3 GeschOBT. Die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände muß nicht in Form einer öffentlichen Anhörung erfolgen; allerdings ergibt sich aus Satz 4 der Regelung, daß die Spitzenverbände auch in öffentlichen Informationssitzungen gehört werden können. Der Mangel an Trans­ parenz bei Stellungnahmen, die nicht in einem Hearing erfolgten, wird aber teilweise durch eine Neufassung des § 74 Abs. 2 Satz 2 GeschOBT ausgeglichen, wonach die dargelegten Ansichten in ihren wesentlichen Punkten im Ausschußbericht wiedergegeben werden müssen, wenn kommunale Spitzenverbände im Rahmen des § 73 Abs. 3 a GeschOBT Stellung genommen haben. Mit den erörterten Geschäftsordnungsvorschriften ist den Beteili­ gungsforderungen der kommunalen Spitzenverbände weitgehend Rech­ nung getragen worden. Zwar haben sie keinen formellen Rechtsan­ spruch auf Beteiligung, die in den Regelungen zum Ausdruck gebrach­ ten Selbstbindungen der staatlichen Organe dürften in der Praxis aber eine umfassende Beteiligung gewährleisten.

31 9 Ein Rechtsanspruch der kommunalen Spitzenverbände entsteht da­ durch nicht, s. o. S. 68 f. 320 E T-Drucksache 7/3747 (neu), S. 3.

1 20

1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung 6. Zusammenfassung

Die Darstellung der derzeit bestehenden Beteiligungsformen hat gezeigt, daß die Verbände auf verschiedenen Stufen des Gesetzgebungs­ verfahrens und in unterschiedlicher Weise die Möglichkeit haben, an der Bundesgesetzgebung mitzuwirken. Dabei ist zu berücksichtigen, daß hier nur formell eingeräumte Beteiligungsmöglichkeiten geschil­ dert wurden. Schon danach ist die Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung ganz erheblich. Rechnet man nun noch die informellen Einflußmöglichkeiten hinzu, kann jedenfalls die These aufgestellt werden, daß die Verbände an der staatlichen Willensbildung im Be­ reich der Gesetzgebung in einem Umfang beteiligt sind, der insgesamt ihrer Bedeutung entspricht. Hier muß allerdings differenziert werden. Von einer dem Verhältnis von Staat und Verbänden, wie es im ersten Abschnitt gefordert wurde, entsprechenden Beteiligung der Verbände kann vermutlich nur für eine Handvoll Spitzenverbände gesprochen werden (DGB, BdI, BdA, kommunale Spitzenverbände u. a.). Es bedürfte genauerer empirischer Untersuchungen um festzustellen, welche Spitzenverbände im einzel­ nen in welchem Umfang an der Gesetzgebung beteiligt sind. Das heißt aber, daß im Einzelfall eben keine ausreichende Beteiligung vorhanden zu sein braucht, auch wenn, im ganzen gesehen, die Möglichkeit der Mitwirkung durch die vorhandenen Beteiligungsmechanismen gegeben ist. Es kann deshalb im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, daß die Verbandsbeteiligung im wesentlichen von einem kleinen Kartell von Spitzenverbänden betrieben wird und daß andere organisierte Interessen genauso viel und genauso wenig in den Ent­ scheidungsprozeß eingehen wie nichtorganisierte Interessen. Dabei trägt die fehlende Publizität der Beteiligung im Entwurfstadium nicht unwesentlich dazu bei, an die Möglichkeit ungleichgewichtiger Interes­ senbeteiligung zu denken, da die nicht mitwirkenden Verbände auch nicht wissen, ob ihre Interessen vorgebracht wurden. Insgesamt drängt sich die Annahme auf, daß es in der Bundesrepu­ blik zwar eine ganze Reihe institutionalisierter Beteiligungsmöglich­ keiten gibt, die auch eine mehr oder weniger umfassende Verbands­ beteiligung ermöglichen, daß aber der Durchsichtigkeit des Verfahrens bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nach dem vorlie­ genden Material könnte also weniger die Frage nach verbesserten Be­ teiligungsmöglichkeiten bei rechtspolitischen Erwägungen im Vorder­ grund stehen, als vielmehr die Frage der Öffentlichkeit und der Kon­ trolle.

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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Daß den Fragen der Öffentlichkeit und der Kontrolle des Verbands­ einflusses gerade in jüngerer Zeit in der Bundesrepublik verstärkte Aufmerksamkeit zuteil wird, ergibt sich aus einigen Regelungen, die ausdrücklich die Sichtbarmachung von Verbandseinflüssen auf die staatliche Willensbildung und damit auch auf die Gesetzgebung zum Inhalt haben.

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne Vor allem drei Regelungen dienen dazu, den Verbandseinfluß auf den Staat bzw. auf die den Staat konstituierenden Kräfte offenzulegen. Dabei handelt es sich um die Registrierung von Verbänden und deren Vertreter (1), die Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bun­ destages (2) und die Regeln zur Parteienfinanzierung (3). 1. Registrierung der Verbände Zu den letzten Amtshandlungen des 6. Bundestages gehörte die Verabschiedung einer Regelung über die „Registrierung von Verbän­ den und deren Vertreter", die als Anlage 1 a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages mit Wirkung vom 1. November 1972 angenom­ men wurde321 • Danach führt der Präsident des Bundestages eine öffentliche Liste, in der alle Verbände eingetragen werden, die Interessen gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung vertreten. Eine Anhörung ihrer Vertreter findet nur statt, wenn sie sich in diese Liste eingetragen und dabei folgende Angaben gemacht haben: - Name und Sitz des Verbandes - Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsführung - Interessenbereich des Verbandes - Mitgliederzahl - Namen der Verbandsvertreter sowie - Anschrift der Geschäftsstelle am Sitz von Bundestag und Bundesregierung. Der hier verwendete Begriff „Anhörung" läßt die Frage offen, ob damit nur die Heranziehung zu den öffentlichen Anhörungen der 321 E T-Drucksache VI/3807 ; Sten. Ber. BT 6. Wahlper. 198. Sitzung vom 21. September 1972, S. 11 699; der 7. Bundestag hat sie bei seinem Zusammen­ treten übernommen, vgl. Sten. Ber. 7. Wahlperiode 1. Sitzung am 13. Dez. 1972, S. 1 B.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Bundestagsausschüsse gemeint ist oder auch die Beteiligung nach § 23 GGO II, wo nicht von „Anhörung" sondern von „Beschaffung von Unterlagen" gesprochen wird. Im 5. Bundestag gab es einen Antrag, der dahin abzielte, nur diejenigen Verbände für § 23 GGO II heranzu­ ziehen, die sich in eine beim Präsidenten des Deutschen Bundestages geführte öffentliche Liste eingetragen haben322 • Aus der Tatsache, daß die Verbände eingetragen werden sollen, die gegenüber Bundestag oder Bundesregierung Interessen vertreten, darf man wohl annehmen, daß auch die Heranziehung bei der Bundesregierung von der vorheri­ gen Eintragung abhängt323 • Hausausweise für Interessenvertreter werden nur ausgestellt, wenn die erforderlichen Angaben gemacht wurden, allerdings begründet die Eintragung keinen Anspruch auf Anhörung oder Ausstellung eines Hausausweises. Dieser ausdrückliche Hinweis hat gegenüber den Ver­ bänden nach hier vertretener Auffassung nur deklaratorischen Charak­ ter, da durch eine solche Regelung Ansprüche für Außenstehende un­ mittelbar ohnehin nicht eingeräumt werden können. Es handelt sich hierbei vielmehr rechtlich nur um Richtlinien, die Verbindlichkeit für den Personenkreis haben, der der Satzungsgewalt des Bundestages unterworfen ist, also für die Abgeordneten. Nicht einmal die Bundes­ regierung kann durch eine Anlage zur Geschäftsordnung des Bundes­ tages unmittelbar verpflichtet werden. Die Regelung, nach der eine Anhörung nur stattfindet, wenn eine Eintragung erfolgt ist, hat deshalb gegenüber der Bundesregierung nur empfehlenden Charakter324 • Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, daß über Art. 3 GG versucht werden könnte, einen Anspruch zu konstruieren. Die Liste ist vom Präsidenten des Bundestages jährlich im Bundes­ anzeiger zu veröffentlichen, was im Frühjahr 1974 zum ersten Male erfolgte325 • Das Präsidium des Deutschen Bundestages hat den Ver­ bandsbegriff dahin eingeengt, daß Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des Öffentlichen Rechts nicht registrierungspflichtig seien. Dennoch haben sich weit über 600 Verbände eintragen lassen326 • Bereits bei Verabschiedung der Registrierungsvorschriften im Bun­ destag wies der Berichterstatter des für Geschäftsordnungsangelegen­ heiten zuständigen Ausschusses darauf hin, daß sich die vorgesehene Vgl. BT-Drucksache V/2955. Bei Beiräten stellt sich das Problem nicht, weil dort die Mitglieder ad personam berufen werden. 324 Um verbindlich zu sein, müßte sie in GGO II aufgenommen werden. 325 Vgl. Beilage 3/74 zum Bundesanzeiger Nr. 16 vom 14. Januar 1974: ,,Be­ kanntmachung der öffentlichen Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertreter." 328 Eine übersichtliche Aufstellung nur der Verbände findet sich in wib v. 20. Juni 1973, S. 27 - 34. 322

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II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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Regelung erst bewähren müsse, bevor man an einen Einbau in die Geschäftsordnung selbst denken könne. Nachdem die Liste gerade zum ersten Mal veröffentlicht ist, ist es zu früh, um den praktischen Wert der Regelung bereits beurteilen zu können327 • Immerhin läßt sich gegenüber der amerikanischen Regelung, die in gewisser Weise Vor­ bild und Maßstab für alle Registrierungsvorschriften darstellt321a, doch eine Reihe von erheblichen Unterschieden feststellen : Der erste wesentliche Unterschied besteht darin, daß sich die deut­ sche Regelung gegen eine Pflichtregistrierung entschieden hat. Der Gedanke an eine Pflichtregistrierung ist zwar in den Diskussionen, die zur Verabschiedung einer Registrierungsvorschrift führten, erwo­ gen, aber schließlich aus vornehmlich zwei Gründen fallengelassen worden328 : zum einen wollte man j eden Anschein einer Tangierung des Petitionsrechtes, Art. 17 GG, vermeiden, zum anderen hätte man dann die Registrierungspflicht gesetzlich verankern und mit Sanktionen versehen müssen, was aber mit Sicherheit die Möglichkeit kaschierter Interessenvertretung nicht ausgeschlossen hätte. Realistischer erschien eine freiwillige Registrierung, für die Anreize zu schaffen seien. Diese Anreize sind dadurch geschaffen worden, daß die Eintragung in die Liste zur Voraussetzung der Anhörung und der Ausstellung eines Hausausweises gemacht wurde. Eine konsequente Handhabung vor allem bei der Anhörung kann auf diese Weise eine Registrierung aller interessierten Verbände erreichen . Wenn Abgeordnete oder Ministerialbeamte informell von Verbands­ vertretern angesprochen werden, haben sie die Möglichkeit, auf die Eintragung zu verweisen und damit die vorgängige Offenlegung des Interesses zu verlangen. Damit könnte auch bei informellen Kontakten, die von der Regelung nicht ausdrücklich erfaßt sind, eine gewisse Publizität erreicht werden. Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß die deutsche Regelung keine Angaben bezüglich der Geldmittel fordert, die zu lobbyistischen Zwecken verwendet werden. Dabei mag die Erwägung eine Rolle ge­ spielt haben, daß man bei einer freiwilligen Registrierung den finan­ ziellen Angaben ohnehin nicht zu sehr trauen könne, und daß deshalb 327 Peter Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, in : DÖV 1974, S. 325 ff., 335, erscheint die Regelung „wenig wirkungsvoll, um unlautere Einflüsse zu verhindern". ma Zur amerikanischen Regelung vgl. die immer noch grundlegende Monographie von Volker Langbein, Die rechtliche Regelung des Lobbyismus in den Vereinigten Staaten, 1967. 328 Vgl. II der Empfehlungen der Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft vom 14. Oktober 1965 „Zur Regelung der Interessen­ vertretung", abgedruckt in : Recht und Organisation der Parlamente, heraus­ gegeben im Auftrag der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft, GO/ AN, 0999 89 ff.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

die Angaben wenig aussagekräftig wären; dies zeigt sich selbst in den USA, wo eine Registrierungspflicht besteht. Des weiteren wäre die Kontrolle sehr schwierig. Im übrigen ist die Geldsumme nicht unbe­ dingt ausschlaggebend für den Erfolg einer Lobby. So kann ein großer Verband, dem z. B. zahlreiche Abgeordnete oder Beamte angehören, mit einem kleineren Büro und geringerem Aufwand auskommen als ein kleinerer Verband, der erst noch die erforderlichen Kontakte an­ knüpfen muß. An der amerikanischen Regelung ist kritisiert worden, daß die Re­ gistrierung zu wenig deutlich mache, wer der Auftraggeber des Lobby­ isten sei. Zwar müßten Name und Anschrift der Person, die den Lobby­ isten beschäftigt, angegeben werden. Nicht erforderlich seien aber Angaben über den Interessenbereich des Verbandes, seine Führungs­ struktur und die Mitgliederzahl329 • Gerade diese Angaben können aber für die Einschätzung der Bedeutung des Verbandes von erheblichem Wert sein. Es ist deshalb zu begrüßen, daß die deutsche Regelung hier einen Versuch zur größeren Durchsichtigkeit der Verbandseinfluß­ nahme unternimmt, indem sie neben dem Namen und Sitz des Ver­ bandes auch die Zusammensetzung von Vorstand und Geschäftsfüh­ rung, den Interessenbereich des Verbandes und die Mitgliederzahl als Angaben für die Eintragung verlangt. Die große Zahl der Verbände, die sich um Aufnahme in die Liste bemüht hat, zeigt, daß das Erfor­ dernis dieser Angaben j edenfalls nicht abschreckend gewirkt hat. Ohne den praktischen Erfahrungen vorgreifen zu wollen, die mit der Regelung erst noch gemacht werden müssen, läßt sich doch vermuten, daß sie zu einer größeren Transparenz des Verbandseinflusses beitra­ gen wird330 • Voraussetzung ist allerdings, daß nicht nur der Bundestag und seine Ausschüsse, sondern auch die Regierung und die einzelnen Abgeordneten und Ministerialbeamten diesen Weg zur Offenlegung von Verbandseinflüssen benutzen. 2. Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages

Nach § 22 GeschOBT kann sich der Bundestag eine Ehrenordnung geben. Diese Fassung, die bereits in der Geschäftsordnung von 1951 enthalten war, wurde aufgenommen, weil man sich schon damals nicht darüber einigen konnte, wie eine solche Ordnung konkret aussehen sollte33 1 • Vor allem die Diskussion um die Beraterverträge gegen Ende Vgl. Hermann Finer, Der moderne Staat, Bd. 2, 1958, S. 361 ; Volker (Fn. 327 a), S. 130. 330 Eine erste Stellungnahme der Bundestagspräsidentin Renger ist eher pessimistisch, weil durch die große Zahl der registrierten Verbände nicht die gewünschte Transparenz erreicht werde, vgl. FAZ Nr. 135 v. 14. 6. 1975, S. 4. 329

Langbein

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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des 6. Bundestages führte schließlich zur Verabschiedung von „Verhal­ tensregeln für die Mitglieder des Deutschen Bundestages", die als Anlage 1 der Geschäftsordnung am 1. November 1972 in Kraft getreten sind332. Die „Verhaltensregeln" bestehen aus zwei Abschnitten. Der erste Ab­ schnitt regelt in 10 Punkten die Pflichten der Abgeordneten, während der zweite Abschnitt die Folgen im Falle von Beanstandungen zum Gegenstand hat. Nr. 1 des ersten Abschnitts befaßt sich mit Angaben zu Beruf und ausgeübter Tätigkeit, die jeder Abgeordnete zu machen hat und die im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages veröffentlicht werden. Gerade die Berufsbezeichnungen der Abgeordneten im Amtlichen Handbuch waren häufig Anlaß der Kritik, weil sie der ausgeübten Tä­ tigkeit nicht mehr entsprachen333 . Nunmehr hat der Abgeordnete den Beruf einschließlich der Personen, Firmen, Institutionen oder Vereini­ gungen, für die er beruflich tätig ist, genau anzugeben. Dasselbe gilt für eine entgeltliche Tätigkeit in einem Organ eines Unternehmens oder als Treuhänder. Angehörige beratender Berufe haben die Art der Beratung anzugeben. Dies soll bei Rechtsanwälten aber z. B. nicht die Angabe der Klientel im einzelnen bedeuten334 • Mit den Angaben zur beruflichen Tätigkeit sollen berufsbedingte Verbindungen mit parti­ kularen Interessen offengelegt werden. Die Pflicht des Abgeordneten ist nicht zeitlich beschränkt; es ist daher davon auszugehen, daß auch Veränderungen der beruflichen Tätigkeit, die während einer Legisla­ turperiode eintreten, anzugeben sind335• 831 So Abg. Schoettle in seinem Bericht (Fn. 321) ; der Abgeordnete Evers legte am 3. Juli 1951 den Entwurf einer Ehrenordnung vor, dem der Abge­ ordnete Dr. Mende entgegentrat. Die jeweiligen Begründungen sind auszugs­ weise abgedruckt bei Joseph Bücker, in : Ritzel / Bücker, Handbuch für die parlamentarische Praxis mit Kommentar zur Geschäftsordnung des Deut­ schen Bundestages, 1970 ff., Anm. 2 zu § 22 GeschOBT ; dort auch zur Vor­ geschichte in der Weimarer Zeit, Anm. 3 ; zur Vorgeschichte s. auch Karl­ Heinz Hansen, Parlamentsgeschichtliche Dokumente zur Ehrenordnung für Abgeordnete in Bund, Ländern und Gemeinden, in : ZParl 1973, S. 342 ff. 332 Zu den Vorschlägen der letzten Jahre vgl. Peter Schindler, Eine „Ehren­ ordnung" für die Abgeordneten? Konsequenzen aus dem „Fall Geldner", in : ZParl 1971, S. 153 ff., ders., Umstrittene „Ehrenordnung" für den Deutschen Bundestag, in : ZParl 1972, S. 140 ff., Friedrich Karl Fromme, Publizität für ,,Beraterverträge" von Abgeordneten?, in : ZRP 1972, S. 225 ff. 833 Vgl. dazu Ludger Anselm Versteyl, Plädoyer zur Vereinheitlichung der Berufsbezeichnungen der Abgeordneten, in : ZParl 1972, S. 27 ff. ; ders., Auf­ gaben, Stellung und Sozialstruktur der Abgeordneten des Bundestages und der Volkskammer, in : Jahrbuch für Ostrecht, 1974, S. 47 ff., 65. 334 So Abg. Schoettle in seinem Bericht (Fn. 331), S. 11 699. 835 Sollte man das verneinen, wäre mindestens eine Anzeigepflicht nach Nr. 3 anzunehmen.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Nach Nr. 2 ist dem Präsidium jede vergütete Nebentätigkeit anzu­ zeigen. Nr. 3 sieht eine Anzeigepflicht vor, auch für Verträge mit Verbänden, Firmen, Organisationen oder Einzelpersonen und Personenvereinigun­ gen über die Beratung, Vertretung oder ähnliche Tätigkeiten. Diese Anzeigepflicht gilt nicht für Abgeordnete, die zu Nr. 1 einen beraten­ den Beruf angegeben haben, im Rahmen der üblichen Tätigkeit dieses beratenden Berufs. Damit ist ein „Anwaltsprivileg" geschaffen, das sicher durch die geltenden Berufsgeheimmsse mitbedingt ist336• Schließ­ lich ist in Nr. 3 Abs. 3 vorgesehen, daß entgeltliche Tätigkeiten für Verbände, die gegenüber dem Bundestag und der Bundesregierung tätig sind, veröffentlicht werden. Aus der Präzisierung der Veröffent­ lichungsvorschrift auf „entgeltliche" Tätigkeiten, geht hervor, daß auch unentgeltliche Verträge, sofern es sie geben sollte337 , mindestens anzei­ gepflichtig sind. Damit wird jegliche finanzielle Tätigkeit für einen Verband, der gegenüber dem Bundestag oder der Bundesregierung tätig ist, entweder nach Nr. 1 oder nach Nr. 3 veröffentlicht, bei Ange­ hörigen beratender Berufe allerdings nur im Rahmen der Nr. 1. Gemäß Nr. 4 sind Einnahmen aus Gutachten, aus publizistischer oder Vortragstätigkeit anzeigepflichtig, wenn sie die nach Nr. 9 festgesetz­ ten Beträge übersteigen. Nach Nr. 9 werden Umfang und Grenzen der Anmeldepflicht gemäß Nr. 2 bis 5 jährlich vom Ältestenrat auf Vor­ schlag des Präsidenten festgelegt. Für 1973 smd für die Nr. 2 und Nr. 3 keine besonderen Festlegungen erfolgt; es bleibt insoweit bei den Vorschriften der Verhaltensregeln. Einnahmen nach Nr. 4 sind anzeige­ pflichtig, wenn sie DM 1500,- monatlich übersteigen3 38 • Gemäß Nr. 5 hat jeder Abgeordnete über alle Spenden gesondert Rechnung zu führen, die ihm als Kandidaten für eine Bundestagswahl oder als Mitglied des Bundestages für seine politische Tätigkeit zur Verfügung gestellt werden. Spenden, die im Einzelfall den nach Nr. 9 für 1973 festgesetzten Höchstbetrag von DM 10 000,- übersteigen, sind dem Präsidium anzuzeigen. Die getroffene Regelung erfaßt neben den Mitgliedern des Bundestages nur die erfolgreichen Kandidaten, da sie nur für Mitglieder des Bundestages gilt339 • Unklar ist, ob sie lediglich diejenigen Kandidaten erfaßt, die sich als Abgeordnete erneut zur Wahl stellen, oder auch diejenigen, die zum ersten Male ein Mandat anstreben und dabei erfolgreich sind. Nach dem Wortlaut ist nur der erste Personenkreis erfaßt; dem Sinn der Vorschrift - Einbeziehung 336 Zu den beratenden Berufen gehört der in § 300 Abs. 1 StGB aufgezählte Personenkreis. 337 Dies hängt von der Auslegung des Wortes „entgeltlich" ab. 888 Vgl. ,,Verhaltensregeln konkretisiert", in : wib vom 30. Mai 1973, S. 33. 339 So ausdrücklich der Abg. Schoettle in seinem Bericht (Fn. 331), S. 11 699.

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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aller erfolgreichen Kandidaten - entspricht aber nur eine Auslegung, die auch die „neuen" Abgeordneten einschließt, wobei für diese die Anzeigepflicht entsteht, sobald sie Abgeordnete geworden sind. Die Anzeigepflicht gilt dann auch für den Zeitraum, in dem sie noch kein Mandat hatten340• Nr. 6 sieht den Erlaß besonderer Richtlinien für Mitglieder des Bundestages vor, die in Rechtsstreitigkeiten für oder gegen die Bun­ desrepublik auftreten wollen. Diese Richtlinien sind bisher noch nicht ergangen. Nach Nr. 7 sind Hinweise auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bun­ destag in beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten zu unter­ lassen. Eine für die Offenlegung von Interessenbindungen ganz wesent­ liche Regelung enthält Nr. 8. Danach hat jedes Mitglied des Bundes­ tages, das beruflich oder auf Honorarbasis mit einem Gegenstand be­ schäftigt ist, der in einem Ausschuß des Bundestages zur Beratung an­ steht, als Mitglied dieses Ausschusses vor der Beratung eine Interes­ senverknüpfung offenzulegen, soweit sie nicht aus den Angaben nach Nr. 1 ersichtlich ist. Damit wird ein Schritt zur Publizität der Inside­ Lobby in den Ausschüssen getan, der für die Beurteilung der Aus­ schußergebnisse von Bedeutung sein kann. Eine Einschränkung des Rede- oder Stimmrechts dieser Abgeordneten ist freilich nicht vorge­ sehen. Man vertraut darauf, daß die Offenlegung der Interessenver­ flechtungen eine zusätzliche psychologische Bedeutung für die Unab­ hängigkeit des Abgeordneten habe. Auch hier muß die Praxis zeigen, ob durch die Regelung mehr Klarheit erreicht wird. Eine gewisse Ein­ schränkung erfährt sie dadurch, daß sie diejenigen von der Offenle­ gungspflicht ausnimmt, bei denen sich die Interessenverknüpfung aus den Angaben zu Nr. 1 ergibt. Dies kann in der Praxis dazu führen, daß gerade die Verbandsfunktionäre ihre Interessenverbindung nicht offenzulegen brauchen, während der Abgeordnete mit einem Berater­ vertrag zur Offenlegung gehalten ist. Da kaum jemand ständig das Amtliche Handbuch konsultieren wird, kann dies zu einer falschen Einschätzung der Interessenvertretung im Ausschuß führen. Dies leitet über zu der Frage, wem gegenüber die Offenlegung zu erfolgen hat. Die Offenlegungspflicht könnte gegenüber den anderen Ausschußmitgliedern oder gegenüber der Öffentlichkeit bestehen. Aus der Art der Offenlegung (,,vor der Beratung") dürfte sich ergeben, daß sie für die anderen Ausschußmitglieder, nicht aber für eine weitere Öffentlichkeit gedacht ist341 ; denn die Beratungen der Ausschüsse sind 340 Die rechtliche Verbindlichkeit für die Kandidaten ist freilich sehr zweifelhaft, da die Satzungsgewalt sich nur auf seine Mitglieder erstreckt. 341 So auch Peter Krause (Fn. 327), S. 336.

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

grundsätzlich nicht öffentlich, vgl. § 73 Abs. 2 GeschOBT; außerdem ergibt sich auch aus früheren Erwägungen parlamentarischer Gremien, daß die Offenlegungspflicht gegenüber den Ausschußkollegen statuiert werden sollte342 • Eine derart begrenzte Pflicht zur Publizität ist freilich auch nur von begrenztem Wert. Denn da manche Ausschüsse „ Ver­ bandsinseln" darstellen und es nicht eben selten ist, daß Angehörige desselben Verbandes in den verschiedenen Parteien sitzen, ist in der Regel wohl davon auszugehen, daß vorliegende Interessenverknüpfun­ gen bekannt sind; dann genügt auch der Hinweis auf Eintragungen nach Nr. 1, der lediglich durch die Anzeigen nach Nr. 3 ergänzt zu werden brauchte. Nr. 10 statuiert die Verpflichtung der Mitglieder des Bundestages, sich in Zweifelsfällen durch Rückfragen beim Präsidenten bzw. beim Präsidium über die Auslegung der Bestimmungen zu vergewissern. Auf diese Weise wird der psychologische Druck vergrößert, sich entspre­ chend den Verhaltensregeln zu benehmen; denn niemand kann sich nunmehr mit Anstand darauf berufen, daß nach seiner Auffassung sein Verhalten nicht unter die getroffenen Regeln falle. Der zweite Abschnitt regelt das Verfahren für den Fall, daß Bean­ standungen gegenüber einem Mitglied des Bundestages erhoben wer­ den. Dafür ist folgendes vorgesehen: Im Falle von Beanstandungen „in bezug auf" die Verhaltensregeln hat das Präsidium den Abgeordneten anzuhören. Hält es einen Vorwurf für möglicherweise berechtigt, be­ nachrichtigt es die Fraktion des Abgeordneten mit der Bitte um Stel­ lungnahme. Einstimmig getroffene Feststellungen des Präsidiums kön­ nen veröffentlicht werden. zweifelhaft ist allerdings, ob lediglich die Verletzung der durch die Verhaltensregeln statuierten Anzeigepflichten beanstandet und ggf. publiziert werden kann, oder ob diese Möglichkeit auch hinsichtlich des Inhalts der Anzeigen besteht (z.B. Mißbilligung eines Vertrages). Unter Berufung auf die Vorgeschichte und die Formulierung (,,Bei Beanstan­ dungen in bezug auf" anstelle „Bei Verletzung") wird die Auffassung vertreten, daß das Präsidium auch den Inhalt angezeigter Verträge beanstanden könne343 • Die Vorgeschichte, die zu diesem Punkt nicht eindeutig ist344, hat aber in der Formulierung keinen Niederschlag ge­ funden. Aus den Worten „Bei Beanstandungen in bezug auf diese Ver­ haltensregeln" kann man keine Befugnis auf materielle Prüfung der Anzeigen ablesen. Vielmehr müssen sich die Beanstandungen auf das von den Verhaltensregeln Geforderte beziehen; diese regeln aber nur 342 Vgl. VI der Empfehlungen der Mitglieder der Interparlamentarischen Arbeitsgemeinschaft (Fn. 328). 343 Vgl.Karl Matthias Meessen (Fn. 208), S. 452 mit Anm. 64. 344 Vgl. dazu die Darstellung bei Friedrich Karl Fromme (Fn. 332), S. 227.

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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die Anzeigepflicht und besagen nichts darüber, wann Geldzuwendun­ gen oder Verträge legitim oder illegitim smd346 • Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß es lediglich um Beanstandungen geht, die die Einhaltung der Verhaltensregeln betreffen346 • Zwei Dinge sind hinsichtlich des Verfahrens noch besonders hervor­ zuheben: zum einen muß die Initiative für die Einleitung eines Verfah­ rens nicht notwendigerweise vom Präsidium ausgehen, das von einem vermeintlichen Verstoß eines Bundestagsmitgliedes Kenntnis erhält. Die Regelung ist vielmehr so gehalten, daß der betroffene Abgeordnete das Verfahren auch von sich aus in Gang setzen kann, um z. B. eine Überprüfung von Vorwürfen zu erreichen, die in der Öffentlichkeit gegen ihn erhoben werden. Das Präsidium hat ihn in diesem Fall an­ zuhören. Zum anderen kann eine Veröffentlichung von Feststellungen des Präsidiums nur erfolgen, wenn diese einstimmig getroffen wurden347 • Auf diese Weise soll verhindert werden, daß das Präsidium zu einem, möglicherweise parteipolitisch ausgerichteten, politischen Tribunal wird348 • Freilich kann auf diese Weise auch die Feststellung eines kor­ rekten Verhaltens eines betroffenen Abgeordneten erschwert werden; denn auch in diesem Fall ist die Veröffentlichung an die Einstimmig­ keit gebunden. In der Öffentlichkeit kann aber leicht die Tatsache der Nichtveröffentlichung, die Zeugnis davon gibt, daß das Präsidium nicht zu einstimmigen Feststellungen gelangt ist, als Bestätigung der Vor­ würfe angesehen werden349 • Die Erfahrungen mit diesem Verfahren werden zeigen müssen, ob die Absicht, die mit der Einstimmigkeit ver­ folgt wurde - politische Verurteilungen zu vermeiden - nicht gerade zu dem unerwünschten Effekt führt. Im übrigen sind weitergehende Sanktionen nicht vorgesehen360 • Mit den Verhaltensregeln ist in erster Linie der Zweck verbunden, die Mitglieder des Bundestages an ihre Verantwortung für den Staat vor der Öffentlichkeit zu erinnern. Die Folgezeit muß zeigen, ob im we345 So zu Recht Peter Krause (Fn. 327), S. 336. 348 Vgl. auch den Bericht des Abg. Schoettle (Fn. 331), S. 11 699, der von ,,Vorwürfen wegen eines Verstoßes gegen diese Verhaltensregeln" spricht. 347 Karl Matthias Meessen (Fn. 208), S. 452/453, äußert verfassungsrecht­ liche Bedenken gegen diese Möglichkeit; allerdings geht er davon aus, daß das Präsidium die Anzeigen auch inhaltlich prüfen kann. 348 Vgl. den Bericht des Abg. Schoettle (Fn. 331), S. 11 699. 849 Dies gilt freilich nur dann, wenn von dem Verfahren überhaupt etwas an die Öffentlichkeit dringt, was nur durch Indiskretion möglich ist; die Benachrichtigung an die Fraktion muß keineswegs notwendigerweise, wie Friedrich Karl Fromme (Fn. 322), S. 227 annimmt, den „Prozeß der absoluten Offenlegung" einleiten. 850 Peter Krause (Fn. 327), S. 336, hält die Verhaltensregeln insgesamt für ,,Augenwischerei". 9 Speyer 58

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

sentlichen sanktionslose Regeln ausreichen, um die Verbandszugehörig­ keit von Abgeordneten im Hinblick auf abgewogene politische Ent­ scheidungen zu neutralisieren35 1 • 3. Die Regelung der Parteienfinanzierung

Die Parteienfinanzierung interessiert uns im vorliegenden Zusam­ menhang nur insoweit, als sie mit der Einflußnahme der Verbände auf die Gesetzgebung in Berührung steht. Die grundsätzliche Diskussion um die staatliche Parteienfinanzierung kann deshalb beiseite bleiben362 ; sie hat in der Regelung des Parteiengesetzes über die Erstattung von Wahlkampfkosten (§§ 18 - 22 ParteiG) ihren vorläufigen Abschluß ge­ funden. Immerhin hängt die Frage einer staatlichen Parteienfinanzie­ rung mit der Einflußnahme der Verbände insofern zusammen, als Par­ teien, deren finanzielle Ausstattung vom Staat garantiert ist, weniger auf Zuwendungen von Verbänden angewiesen sind als solche, die für ihre Finanzierung keine Staatsmittel erhalten. Dieser Tatbestand er­ hält seine besondere Bedeutung dadurch, daß eine geldliche Zuwen­ dung seitens der Verbände häufig an ganz konkrete Gegenleistungen geknüpft ist353 • Man kann also aus der Herkunft der Gelder einer Partei Anhaltspunkte für die Haltung der Partei und ihrer Fraktion zu Ge­ setzgebungsvorhaben gewinnen. Dabei soll hier keineswegs die Sache so vereinfacht gesehen werden, als bestehe ein direkter Kausalzusammenhang zwischen einer Zuwen­ dung und einer politischen Entscheidung354 • Der gesamte Ablauf ist viel komplizierter : in der Regel sind es die verschiedenartigsten, auch ge­ gensätzlich orientierten Verbände, die sich in einer Partei engagieren; reine Interessenparteien einseitiger Interessen gibt es heute in der Bundesrepublik nicht. Es ist deshalb der innerparteiliche Integrations­ prozeß zu beachten, der auch für die Willensbildung in der Fraktion gilt. In den Parteien bestehen Vereinigungen, Arbeitskreise bzw. Aus351 Hier liegt auch eine Aufgabe der politischen Parteien, worauf Schoettle (Fn. 331), S. 11 698 zu Recht hinweist ; diese müssen dafür Sorge tragen, daß sie nur solche Kandidaten präsentieren, die den Anforderungen des Abge­ ordnetenstatus entsprechen; ebenso Joseph Bücker (Fn. 331), Rdnr. 3 zu § 22 GeschOBT. 352 Vgl. dazu neuerlich die umfangreiche Untersuchung von Uwe Schleth, Parteifinanzen. Eine Studie über Kosten und Finanzierung der Parteien­ tätigkeit, zu deren politischer Problematik und zu den Möglichkeiten einer Reform, 1973. 353 U. W. Kitzinger, Wahlkampf in Westdeutschland, 1960, S. 37, schildert z. B. einen Fall, in dem ein bestimmter Verband für eine entsprechende Summe einen sicheren Listenplatz für sich reklamierte. 354 Ebenso Hermann Adam, Pluralismus oder Herrschaft des Kapitals? in : aus politik und zeitgeschichte B 14/1974, S. 26 ff., 35.

II. Institutionalisierungsmaßnahmen im weiteren Sinne

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schüsse unterschiedlicher organisatorischer Festigkeit, die sich z. T. auch nach gemeinsamen Interessen bilden. So gibt es in der CDU z. B. sieben organisatorisch besonders abgegrenzte Vereinigungen, darunter die Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmer­ schaft, die Mittelstandsvereinigung und die Wirtschaftsvereinigung. Bei der SPD haben die Interessen keine so starke organisatorische Ver­ selbständigung gefunden wie in der CDU. Immerhin gibt es auch hier eine Reihe von interessemäßig ausgerichteten Arbeitsgemeinschaften, z. B. die Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen. Daneben gibt es zahl­ reiche Ausschüsse, Beiräte und Kommissionen, vgl. z. B. den Beirat für Arbeitnehmerfragen oder den Beirat für Fragen der Selbständigen, die hier allerdings regelmäßig dem Parteivorstand zugeordnet sind356• Der Einfluß eines Verbandes ist deshalb in jedem Fall in den Par­ teien nur vermittelt wirksam; aus diesem Grunde suchen die Verbände ja gerade den direkten Zugang zu den staatlichen Entscheidungsorga­ nen. Immerhin darf die Bedeutung der über die Partei durchgesetzten Interessen, die ihren sichtbaren Ausdruck in dem Abgeordneten-Inter­ essenvertreter haben, nicht unterschätzt werden. Eine Möglichkeit zur Kontrolle des Verbandseinflusses in diesem Bereich ist die Offenlegung der Finanzquellen der Parteien. Bereits Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG bestimmt, daß die Parteien über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft geben müssen. Diese Rechenschafts­ pflicht wurde konkretisiert durch die Vorschriften des Parteiengesetzes zur Rechenschaftslegung, §§ 23 - 31 ParteiGa56 • Danach ist j ährlich ein geprüfter Rechenschaftsbericht beim Präsidenten des Deutschen Bun­ destages einzureichen, der ihn im Bundesanzeiger zu veröffentlichen hat. Nach § 25 ParteiG sind dabei Spenden an eine Partei, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr 20 000 Deutsche Mark übersteigt, unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende im Rechenschaftsbericht zu verzeichnen. Be­ sonders diese Vorschrift könnte neben der weniger aussagekräftigen Registrierung der sonstigen Einnahmen dazu beitragen, Gelder sicht­ bar zu machen, die von Verbänden an die Parteien gezahlt werden. In der Praxis haben sich aber die Rechenschaftsberichte der Parteien gerade im Hinblick auf die Benennung der Spender als sehr dürftig erwiesen. Bei weitem nicht alle Spender werden genannt; teilweise sind gerade bei großen Beträgen die Spender als „anonym" bezeichnet. Nicht zu Unrecht ist deshalb eine eingehende Analyse der Rechenschafts­ berichte für 1969 zu dem Schluß gekommen, daß durch die gehandhabte 355 Vgl. zum Vorstehenden Heino Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, 1971, S. 545 ff. 356 Kritisch dazu Rupert Breitling, Offene Partei- und Wahlfinanzierung, in : PVS 1968, S. 223 ff.

9•

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1. Teil, C. Zum gegenwärtigen Zustand der Institutionalisierung

Praxis die Vorschriften des Parteiengesetzes ad absurdum geführt werden357 • Eine zum Vergleich heranzuziehende Analyse der Rechen­ schaftsberichte für das Jahr 1972 ergibt, daß sich insoweit nichts geän­ dert hat368• Eine genauere Kontrolle der Einnahmeseite ist ohnehin dadurch er­ schwert, daß die Parteien zwar hinsichtlich ihrer Einnahmen, nicht aber für ihre Ausgaben zur Rechenschaft verpflichtet sind369 • Dies ver­ hindert vor allem die Abschätzung des tatsächlichen Finanzbedarfs der Parteien360 • Erst dadurch wäre es aber abzusehen, inwieweit die Par­ teien auf Fremdmittel angewiesen sind. Nicht offengelegt werden in der Regel die Unterstützungen der Verbände, die nicht unmittelbar in Geldzuwendungen bestehen. Hier­ her gehören die Bereitstellung von Sach-, Werk- und Dienstleistungen oder die Übernahme von Veranstaltungen und Maßnahmen der Partei­ werbung. Dabei handelt es sich zwar regelmäßig auch um Einnahmen, § 26 ParteiG; diese können aber nach § 27 Abs. 3 ParteiG unberücksich­ tigt bleiben, wenn sie üblicherweise von einer der Partei nahestehen­ den Organisation außerhalb eines Geschäftsbetriebes unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Hier ist eine Möglichkeit der apokryph bleibenden Unterstützung der Parteien durch Verbände eröffnet.

357 s. Uwe Schleth, Analyse der Rechenschaftsberichte der Parteien für 1969, ZParl 1971, S. 147 f. ; für die Rechenschaftsberichte 1968 ebenso schon ders., in : ZParl 1970, S. 128 ff. 358 Vgl. die Rechenschaftsberichte für 1972, veröffentlicht im Bundes­ anzeiger Nr. 22/74 vom 1. Februar 1974; dazu u. S. 232 ff. 359 Vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 ParteiG: ,,Der Rechenschaftsbericht besteht aus einer Einnahmerechnung." 880 Vgl. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 76), S. 84; eine Zusammenstellung der Kosten der Parteientätigkeit für die Jahre 1970/71 gibt Uwe Schleth (Fn. 352), S. 102; sie beruht allerdings auf teilweise groben Schätzungen.

ZWEITER TEIL

Rechtspolitische Vorschläge zur institutionalisierten Verbandsbeteiligung an der Gesetz gebung Im folgenden wird versucht, auf der Grundlage der Ergebnisse des ersten Teils Änderungsvorschläge für die institutionalisierte Verbands­ beteiligung an der Gesetzgebung des Bundes in der Bundesrepublik Deutschland zu machen. Diese Änderungsvorschläge müssen beachten, daß alle lnstitutionalisierungsmaßnahmen in diesem Bereich drei An­ forderungen genügen müssen: - dem legitimen Beteiligungsbestreben der Verbände - dem Informationsbedürfnis des Staates - der Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses1 • Die Darstellung der derzeit in der Bundesrepublik bestehenden und praktizierten Beteiligungsformen hat gezeigt, daß in Deutschland das legitime Beteiligungsstreben der Verbände bereits in vielfältiger Form seinen organisatorischen Ausdruck gefunden hat. Wenigstens die Spit­ zenverbände sind heute formell an der deutschen Gesetzgebung auf Bundesebene in einer Weise beteiligt, die durchaus der legitimen Betei­ ligung organisierter Interessen an der staatlichen Willensbildung nahe­ kommt. Für die deutschen Verhältnisse geht es also primär nicht darum, den Verbänden überhaupt erst einmal einen legalen Zugang zu den staat­ lichen Entscheidungsträgern zu schaffen. Hier bestehen nämlich auch für das Gesetzgebungsverfahren formelle Beteiligungsmöglichkeiten, deren praktische Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Insoweit stellt sich allenfalls die Aufgabe, die Art der formellen Beteiligungs­ regelungen in ihrem Satzungscharakter qualitativ zu ändern, also z. B. an eine gesetzliche Regelung statt einer geschäftsordnungsmäßigen zu denken, oder aber vorhandene Mechanismen durch andere, zweckmäßi­ gere zu ersetzen bzw. in irgendeiner Weise fortzuentwickeln oder zu ergänzen. 1

s. o.

s. 29 ff.

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2. Teil : Rechtspolitische Vorschläge

Das Problem besteht darin, daß bis auf die öffentlichen Anhörungen in Sitzungen der Parlamentsausschüsse alle anderen bestehenden Be­ teiligungsformen ein Defizit an Publizität aufweisen. Obschon so we­ sentliche Mitwirkungsverfahren wie die Beschaffung von Unterlagen, zumindest in ihrer tatsächlichen Bedeutung, die Beteiligung in Beiräten oder die Konzertierte Aktion nicht der formellen Legalität entbehren, sehen sie sich doch wegen des regelmäßig vertraulichen und nicht­ öffentlichen Charakters dem Vorwurf der Illegitimität ausgesetzt. Da man wegen der fehlenden Transparenz nicht genau weiß, was im ein­ zelnen sich bei den derart institutionalisierten Kontakten zwischen Staatsstellen und Verbänden abspielt, werden diese Beziehungen grundsätzlich mißtrauisch beargwöhnt und mit dem Stigma der Ille­ gitimen versehen. In erster Linie müssen daher Änderungsvorschläge dahin gehen, die Publizität und die Kontrollmöglichkeit zu verbessern. Im staatsrechtlichen Schrifttum mehren sich die Stimmen, die eine Offenlegung des Verbandseinflusses auf staatliches Handeln grund­ sätzlich für verfassungsrechtlich geboten ansehen2 • Diese verfassungs­ rechtliche Pflicht ergebe sich aus der Notwendigkeit der Erhaltung eines dauernden legitimierenden Vertrauensverhältnisses zwischen den Bürgern und den Staatsorganen in einer repräsentativen Demokratie3 ; außerdem ermögliche sie dem Volk die Kontrolle staatlichen Handelns4 ; schließlich sei die Offenlegung der Verbandseinflüsse auch vom egali­ tären Prinzip gefordert5 • Während die beiden erstgenannten Gesichtspunkte die Publizität staatlichen Handelns generell betreffen, betrifft der Hinweis auf das Gleichheitsprinzip vor allem die Einflußnahmen der Verbände. Mit der Annahme einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht zur Offenlegung der Verbandseinflüsse sind Art und Umfang im Einzelfall noch nicht festgelegt6 • Im übrigen ist zu beachten, daß 2 Vgl. z. B. Hans-Ulrich Jerschke, Öffentlichkeitspflicht der Exekutive und Informationsrecht der Presse, 1971, S. 71, 74 u. ö. ; ders., Rechtliche Ver­ pflichtung zur Öffentlichkeit der Regierungsarbeit, in : ZParl 1972, S. 516 ff. ; Karl Matthias Meessen, Beraterverträge und freies Mandat, in : Festschrift für Ulrich Scheuner, 1973, S. 431 ff., 449 f. ; Wilhelm Neyses, Die Beteiligung von Interessenverbänden an der Gesetzesvorbereitung durch die Bundes­ regierung, 1968, S. 94 ff. ; a. A. Wolfgang Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 168, der eine verfassungsrechtliche Pflicht, die Verbandseinflüsse auf staatliches Handeln sichtbar zu machen, verneint. So Karl Matthias Meessen (Fn. 2), S. 450 ; Hans-Ulrich Jerschke, Recht­ liche Verpflichtung (Fn. 2), S. 518/519. 4 Vgl. Hans-Ulrich Jerschke (Fn. 3), S. 520. -;- Vgl. Karl Matthias Meessen (Fn. 2), S. 450 ; Wilhelm Neyses (Fn. 2), s. 94 ff. 9 Für die Beteiligung nach der GGO II vgl. z. B. Wilhelm Neyses (Fn. 2), S. 102; für Beiräte s. Winfried Brohm, Sachverständige und Politik, in : Fest­ schrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 37 ff., 59 ff.

-r

2. Teil : Rechtspolitische Vorschläge

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hierdurch nur die Mindestanforderungen bestimmt werden. Rechtspoli­ tische Vorschläge können, wenn gute Gründe vorliegen, eine weiter­ gehende Offenlegung befürworten. Im folgenden kommt es darauf an, der bisherigen Praxis der insti­ tutionalisierten Beteiligung unvoreingenommen entgegenzutreten und sie einer Überprüfung zu unterziehen. Grundsätzlich stehen dabei auch bisher gehandhabte Beteiligungsformen zur Disposition. Freilich muß hier die Grenze des politisch Realisierbaren beachtet werden. Da die Beteiligung der Spitzenverbände an der Gesetzgebung in den oben geschilderten Formen eine seit Jahren gut funktionierende und einge­ spielte Praxis darstellt, ist eine vollständige Beseitigung der einen oder anderen Mitwirkungsform politisch kaum realisierbar, es sei denn, sie würde durch eine äquivalente Regelung ersetzt. Die ersatz­ lose Beseitigung wäre auch nicht wünschenswert, da sie nur zu neuen informellen Kontakten führen müßte, deren Illegalität nicht hingenom­ men werden könnte. Eine solche Berücksichtigung des politisch Mach­ baren hat nichts mit Opportunismus zu tun und bedeutet auch nicht das Aufgeben unverzichtbarer Standards : der Rahmen für Regelungen, die zur Formalisierung der Verbandsbeteiligung in rechtlich zulässiger Weise denkbar sind, ist außerordentlich weit. Die zahlreichen Realisie­ rungen im In- und Ausland geben dafür ein gutes Beispiel. Das bedeu­ tet aber, daß innerhalb dieses Rahmens die Freiheit der Gestaltungs­ möglichkeiten besteht; letztlich geht es darum, die Regelung zu finden, die am zweckmäßigsten ist und den oben aufgestellten Institutionalisie­ rungszielen am nächsten kommt. Die Kriterien für die Zweckmäßigkeit sind vielfältig. Dabei sind zwei Kriterien hervorzuheben: die Arbeits­ ökonomie des Gesetzesinitianten und die Dauer des Gesetzgebungs­ verfahrens. Die Arbeitsökonomie des Gesetzesinitianten verlangt nach einer mög­ lichst frühzeitigen Heranziehung der Verbände. Da die Motivation der Erarbeiter eines Gesetzentwurfs für die Beteiligung von Verbänden u. a. darin besteht, deren Sachverstand zu nutzen und sich mit den ver­ schiedenen Interessenpositionen vertraut zu machen, ist es unzweck­ mäßig, die Verbände erst in einem Zeitpunkt zu beteiligen, in dem ein Gesetzentwurf nur noch unter großem Aufwand geändert werden kann. Dies sei an einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung exemplifiziert. Wenn hier eine Beteiligung der Verbände z. B. erst erfolgte, nachdem der Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet ist7 , würde eine not­ wendige Änderung dazu führen, daß dann nicht nur eine Umarbeitung des Entwurfs durch den verantwortlichen Referenten des Fachministe7 So aber z. B. die Vorstellung für die Beteiligung eines Bundeswirtschafts­ und Sozialrates, wie ihn Dichgans u. a. in der VI. Legislaturperiode vorge­ schlagen hatte, vgl. BT-Drucksache VI/25 14, § 2 Abs. 2.

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2. Teil : Rechtspolitische Vorschläge

riums zu erfolgen hätte, sondern auch der Abstimmungsprozeß mit anderen Ministerien neu aufgerollt werden müßte, was in vielen Fällen zur doppelten Arbeit und zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung führen würde. Von daher erscheint es geboten, die Beteiligung der Ver­ bände bereits auf Referentenebene vorzunehmen und so ansonsten notwendig werdende Wiederholungen bereits absolvierter Arbeitsgänge zu vermeiden. Es braucht nicht betont zu werden, daß auch für die Verbände die Beteiligung in einem möglichst frühen Stadium der Gesetzgebung er­ strebenswert ist. So können sie erreichen, daß ihr Wissen und ihre Ansichten von Anfang an bei der Gesetzgebung Berücksichtigung fin­ den. Hier liegt freilich auch die Befürchtung begründet, daß auf diese Weise letztlich die Verbände den Inhalt der Gesetzgebung maßgeblich bestimmten. Diese Befürchtung muß bei den einzelnen Regelungen berücksichtigt werden. Gerade ihr könnte aber durch weitergehende Publizität begegnet werden. Sicher ist jedenfalls, daß aus Gründen der Arbeitsökonomie eine frühzeitige Einschaltung der Verbände in das Gesetzgebungsverfahren zweckmäßig erscheint. Zweitens sollte die Dauer der Gesetzesvorbereitung und des Gesetz­ gebungsverfahrens durch die Beteiligung von Verbänden nicht wesent­ lich verlängert werden. Die Verbandsmitwirkung sollte also nicht zu einer Verzögerung von Gesetzesvorhaben führen. Es ist ein oft gehör­ tes, bei j eder Form der Beteiligung außerstaatlicher Kräfte an staat­ lichen Entscheidungen wiederkehrendes Argument, daß damit die Entscheidungen nur verzögert würden. Demgegenüber muß die Vor­ stellung korrigiert werden, daß Gesetzentwürfe ohne Verbandsbeteili­ gung ohne jegliche zeitliche Verzögerung bearbeitet würden. Auch dann ist oft ohne externe unabhängige Sachverständige nicht auszu­ kommen und auch die Mobilisierung des behördeninternen Sachver­ standes erfordert in der Regel einen nicht unerheblichen Zeitaufwand. Gesetzgebungsprojekte nehmen auch ohne Verbandsbeteiligung zu­ meist längere Zeit der Vorbereitung in Anspruch. Dennoch sind Maß­ nahmen zu treffen, die eine weitere erhebliche Verzögerung der Gesetz­ gebung durch die Verbandsbeteiligung verhindern. Für die nachfolgenden Vorschläge muß es schließlich darauf ankom­ men, die einzelnen Institutionalisierungsmaßnahmen im Gesamtzusam­ menhang zu sehen. Dieser besteht in dreifacher Hinsicht: einmal müs­ sen die verschiedenen Beteiligungsregelungen aufeinander abgestimmt werden8 • Zweitens sind sie in den Zusammenhang mit anderen Rege­ lungen zu stellen, welche die Offenlegung und die Kontrolle des Ver­ bandseinflusses auf die Gesetzgebung zum Inhalt haben. Zum dritten 8 Dies kann auch in der Weise geschehen, daß man schließlich zu einem einheitlichen Beteiligungsorgan, z. B. einem Wirtschaftsrat, kommt.

2. Teil : Rechtspolitische Vorschläge

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sind darüber hinaus alle anderen Rahmenbedingungen wenigstens an­ deutungsweise in Betracht zu ziehen, die dazu geeignet sind, Verbands­ einwirkungen auf die Gesetzgebung zu verstärken oder zu behindern. Die Darstellung geht von der Annahme aus, daß die Verbände grund­ sätzlich auf alle Stadien der Gesetzgebung Einfluß auszuüben ver­ suchen. Zwar ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß in unserem politischen System, das von einem Übergewicht der Exekutive geprägt ist, Adressaten der Verbandseinflußnahmen in erster Linie Regierung und Ministerialbürokratie sind9 • Das bedeutet, daß die Gesetzvorbe­ reitung der Bundesregierung im Mittelpunkt des Verbandsinteresses steht, zumal ca. 75 °/o der verabschiedeten Gesetze auf Initiative der Bundesregierung zurückgehen. Die Verbände suchen die Möglichkeit, auf das früheste Stadium der Gesetzgebung einzuwirken, d. h. auf die Referentenentwürfe. In diesem Stadium ist der Inhalt der Gesetz­ gebung zudem noch am wenigsten festgelegt; die Beeinflussung ver­ spricht am ehesten Erfolg. Dennoch hat vor allem die von Stammer und seinen Mitarbeitern durchgeführte Analyse der Entstehung des Perso­ nalvertretungsgesetzes von 1955 ergeben, daß die Verbände in jedem Stadium der Gesetzgebung, versuchen, ihre Interessen einzubringen10 • Wenn daher das Hauptaugenmerk der Verbände dahin gehen mag, mit ihren Gesichtspunkten bereits in der Entwurfsphase, vor allem der Regierung, Berücksichtigung zu finden, darf doch angenommen wer­ den, daß sie auch an einer Einflußnahme in allen anderen Stadien in­ teressiert sind. Dies gilt vor allem dann, wenn ihre Vorstellungen noch keinen Ein­ gang in den Entwurf gefunden haben. Dann werden sie solange die Beeinflussung versuchen, bis sie Erfolg hatten bzw. bis das Gesetz verabschiedet ist. Ist also das Beteiligungsinteresse der Verbände grundsätzlich auf die gesamte Dauer des Gesetzgebungsablaufs gerichtet, hat umgekehrt auch der staatliche Partner ein Beteiligungsinteresse zu verschiedenen Zeit­ punkten der Gesetzgebung. Auch bei ihm steht die Entwurfsphase aus arbeitsökonomischen Gründen, wie oben dargestellt wurde, im Mittel­ punkt. Mindestens aber im Stadium der parlamentarischen Beratung besteht nochmals ein Interesse an der Heranziehung der Verbände. Die­ ses Interesse hat mehrere Motive: die Kontrolle der Regierung, falls der Entwurf von ihr stammt, ebenso wie die Offenlegung von Interessen, die in den Entwurf eingegangen sind; schließlich sollen auch bisher 9 Vgl. Wilhelm Hennis, Verfassungsordnung und Verbandseinfluß, in: PVS 1961, S. 23 ff., 25; Heinz Josef Varain, Parteien und Verbände, 1964, S. 306 ff.; Rudolf Steinberg, Die Interessenverbände in der Verfassungsord­ nung, in : PVS 1973, S. 27 ff., 31. 10 Vgl. Otto Stammer u.a., Verbände und Gesetzgebung, 1965, S. 21, 201 ff.

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

nicht berücksichtigte Interessen noch die Gelegenheit finden, sich Gehör zu verschaffen. Eine Gesamtregelung der Institutionalisierung der Verbandsbetei­ ligung an der Gesetzgebung muß deshalb von den einzelnen Stadien der Gesetzgebung ausgehen und fragen, wo sich die Verbandseinflüsse jeweils heute auswirken. Sodann muß festgestellt werden, welche Mög­ lichkeiten zur Kanalisierung, Offenlegung, Kontrolle und gegebenen­ falls Eindämmung der Verbandseinflüsse bestehen. Im ersten Abschnitt ist daher zunächst der tatsächliche Ablauf der Gesetzgebung mit den dabei wesentlichen Stationen aufzuzeigen, um herauszufinden, wo die eigentlichen Schwerpunkte einer Verbands­ beteiligung liegen. Daran anschließend ist in einem zweiten Abschnitt die Frage zu erörtern, ob die Verbandsbeteiligung von einem einzigen, zu diesem Zweck zu schaffenden Organ bewältigt werden kann, oder ob es zweckmäßig ist, für die jeweiligen Gesetzgebungsphasen beson­ dere Beteiligungsformen vorzusehen. Hierbei ist auf das neuerlich wieder stark diskutierte Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozial­ rates einzugehen. Der dritte Abschnitt befaßt sich mit Beteiligungsmöglichkeiten in der vorparlamentarischen Phase der Gesetzgebung (Bundesregierung, Bun­ desrat: erster Durchgang). Im abschließenden vierten Abschnitt wer­ den Vorschläge für Verbandsmitwirkung im parlamentarischen Sta­ dium untersucht. Die Einzelvorschläge für die Verbandsmitwirkung an der Gesetz­ gebung auf den jeweiligen Gesetzgebungsphasen werden sich im Sinne der oben angestellten Erwägungen11 nicht auf Beteiligungsmechanismen beschränken, sondern auch der Offenlegung und Kontrolle der Ver­ bandseinflüsse Beachtung schenken.

Erster Abschnitt

Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung Bevor untersucht werden kann, ob es möglich und zweckmäßig ist, die Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung einem einzigen Ver­ bändeorgan zu übertragen, ist zunächst der tatsächliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens darzustellen. Nur die Sichtbarmachung der Verfahrensabschnitte, die sich für die Mitwirkung der Verbände eig­ nen oder die von den Verbänden für die Einflußnahme genutzt wer11

s . o.

s. 18 ff.

I. Die Vorbereitung der Entwürfe der Bundesregierung

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den, kann zur Klärung der Frage beitragen, ob die Verbandsbeteili­ gung von einem einzigen Organ geleistet werden kann oder ob ein System verschiedener Beteiligungsformen vorzuziehen ist, das auf den jeweiligen Verfahrensabschnitt abgestimmt ist. Art. 76 ff. GG regeln nur das Gesetzesinitiativrecht sowie die we­ sentlichen Stationen des Gesetzgebungsverfahrens. Das gesamte Vor­ verfahren der Gesetzgebung ist ebenso wie die Ausgestaltung des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens im einzelnen im Grundgesetz nicht geregelt. Hier greifen vielmehr zum Teil Geschäftsordnungsvor­ schriften ein, z. T. haben sich auch in der Praxis bestimmte Verfahrens­ abläufe herausgebildet, die noch keinen Niederschlag in den Vorschrif­ ten der Geschäftsordnungen gefunden haben 12 • Für die Frage der Ver­ bandsbeeinflussung auf die Gesetzgebung ist aber der tatsächliche Ab­ lauf von entscheidender Bedeutung. Es kommt daher auf den Gesetz­ gebungsablauf „in der Verfassungspraxis" 13 an, um aufzeigen zu kön­ nen, wo die Einfallschleusen für die organisierten Interessen sind und wo Beteiligungsverfahren einsetzen können. Um den Gesetzgebungsablauf in der Praxis aufzuzeigen, soll von einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung ausgegangen werden. Dies rechtfertigt sich einmal aus der Erwägung, daß die weitaus größte Anzahl der letztlich verabschiedeten Gesetze auf Regierungsvorlagen beruht, zum anderen können auf diese Weise exemplarisch alle Stadien der Gesetzgebung behandelt werden. I. Die Vorbereitung der Entwürfe der Bundesregierung

Bei der Vorbereitung von Gesetzesinitiativen der Bundesregierung lassen sich drei Abschnitte unterscheiden: der Anstoß für die Ausar­ beitung eines Entwurfs (1), die Phase der Ausarbeitung selbst (2) und schließlich die Beratung und Beschlußfassung durch das Kabinett (3). Zu beachten ist dabei die personelle Verflechtung von Ministerien und Verbänden, sowie der direkte Zugang zum Bundeskanzler. 1. Der Anstoß für die Ausarbeitung

Formell können die Anstöße für die Ausarbeitung eines Gesetzent­ wurfs von einem Ministerium oder vom Kabinett ausgehen, was für Projekte von größerer Bedeutung die Regel darstellt. Mit dieser for1 2 Auf die Bedeutung dieser informellen Geschäftsordnung für den Bun­ destag weist vor allem Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politi­ schen System der Bundesrepublik Deutschland, Sonderausgabe 1971, S. 251 ff., hin. 13 So der Ausdruck Ludger Anselm Versteyls, Der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung, 1972, S. 32 ff.

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

mellen Festlegung des Beginns der Gesetzesvorbereitung ist aber kei­ neswegs geklärt, woher materiell die Anregung zur Inangriffnahme eines neuen Vorhabens kommt. Diese läßt sich häufig auf eine Ver­ bandsinitiative zurückführen, mindestens in den Bereichen, an deren Regelung Verbände interessiert sind. Diese Anregungen müssen dabei nicht unbedingt die Form detaillierter Regelungsvorschläge haben, die zuweilen bereits als Gesetzesentwürfe abgefaßt an ein Ministerium, das Kabinett oder den Kanzler gerichtet werden14 • Häufiger ist der Fall, daß die Anregung eines Verbandes von einer Partei oder von einem Regierungsmitglied als eigene übernommen wird. Auch gesetzliche Regelungen, die von der „Öffentlichkeit" verlangt und deshalb von der Regierung aufgegriffen werden, sind häufig letztlich von bestimmten Verbänden in die Öffentlichkeit gebracht worden. Bereits bei der Anregung zur Ausarbeitung eines Entwurfs spielt die Frage der personellen Verflechtung zwischen Regierung und Ver­ bänden eine Rolle. Die Ämterpatronage durch Verbände ist als Problem geläufig, wenn sie sich auch der genauen Einschätzung entzieht, da es exakte Zahlen über das tatsächliche Ausmaß bisher nicht gibt und die wenigen besonders hervorgetretenen Fälle eher Anlaß geben, die Bedeutung der Einflußnahme der Verbände auf Personalentscheidun­ gen der Ministerien zu überschätzen. Immerhin läßt sich verdeutlichen, daß in einigen Fällen mindestens bei der Auswahl der Minister Ver­ bandserwartungen erfüllt wurden 15 • So ist das Bundesarbeitsministe­ rium regelmäßig von einem Minister geleitet, der einer Gewerkschaft angehörte; die Minister des Bundeslandwirtschaftsministeriums waren regelmäßig Mitglieder des Deutschen Bauernverbandes oder ähnlicher Organisationen16 ; auf die Besetzung der Ministerposten im Vertriebe­ nenministerium haben die Vertriebenenverbände immer Einfluß aus­ geübt. So haben sie z. B. 1953 die Benennung Oberländers als Vertrie­ benenminister bei Adenauer durchgesetzt, obwohl Oberländer politisch vorbelastet war17 • Im übrigen kann davon ausgegangen werden, daß zahlreiche Beamte entweder Mitglieder der Gewerkschaft ÖTV oder des Beamtenbundes sind. Diese personelle Verflechtung von Ministerien und bestimmten Ver­ bänden führt zu der Annahme, daß einige Verbände mit ihren Vor­ stellungen eher eine Chance haben, die Ausarbeitung von Gesetzes­ entwürfen anzuregen als andere. Beispiele bei Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 63 f. Beispiele bei Klaus von Beyme, Interessengruppen in der Demokratie, 4. Aufl., 1974, S. 113. 18 Mit Ausnahme von Hermann Höcherl. 17 Vgl. Felix Eckardt, Ein unordentliches Leben, 1967, S. 274; zu den Ver­ triebenenverbänden s. im übrigen Max Wambach, Verbändestaat und Par­ teienoligopol, 1971. 14

15

I. Die Vorbereitung der Entwürfe der Bundesregierung

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2. Die Ausarbeitung des Entwurfs

An der Ausarbeitung der Gesetzesentwürfe durch den Referenten sind die Verbände über die Beiziehung nach § 23 GGO II bzw. über die Mitarbeit in einem oder mehreren Beiräten beteiligt. In diesem Sta­ dium, zu dem auch die Beteiligung der anderen Ministerien, §§ 22, 36 GGO II, und soweit Belange der Länder berührt werden, die Unter­ richtung der Landesministerien gehört, wird die eigentliche Vorent­ scheidung für den Inhalt des Gesetzes getroffen. Diese Phase ist des­ halb für die Verbände nicht nur besonders wichtig, um inhaltliche Vorstellungen einzubringen und durchzusetzen; hier entscheidet es sich auch, ob es überhaupt zu einem Entwurf kommt. Denn der Einfluß der Verbände auf die Gesetzgebung darf nicht allein daran gemessen wer­ den, in welchem Ausmaß sie auf ein später verabschiedetes Gesetz ein­ gewirkt haben; am deutlichsten ist der Einfluß dann, wenn es den Verbänden gelingt, ein Gesetzesvorhaben im Ministerium „abzuwür­ gen " 1 8. Auch in diesem Stadium spielt eine bestimmte verbandliche Präferenz des j eweiligen Referenten sicher eine gewisse Rolle, wenn diese auch nicht allgemein festgelegt werden kann; letztlich kann die Verbandszugehörigkeit eines Beamten sowohl zum Vorteil wie zum Nachteil dieses Verbandes ausschlagen, je nachdem in welcher Weise der Referent glaubt, der Neutralität seines Amtes entsprechen zu müssen. Jedenfalls verbietet sich hier wie auch anderswo die Annahme einer direkten Kausalität zwischen Verbandszugehörigkeit und ver­ bandsfreundlicher Entscheidung. 3. Die Behandlung im Kabinett

Die dritte Phase der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregie­ rung, die Beratung und Beschlußfassung durch das Kabinett, wird entscheidend mitbestimmt durch das Bundeskanzleramt. Die Gesetzes­ vorlagen, die von einem Ministerium erarbeitet werden, sind zur Be­ ratung und Beschlußfassung der Bundesregierung mit Begründung als Kabinettvorlage an das Bundeskanzleramt zu senden, § 37 Abs. 1 Satz 1 GGO II. Das Bundeskanzleramt nimmt eine entscheidende Schaltstelle ein. Bei politisch wichtigen Gesetzesvorlagen ist es bereits bei der Vor­ bereitung eingeschaltet, § 21 GGO II; ihm obliegt die Zusammenstellung eines Gesetzgebungsprogramms der Bundesregierung nach den Ent­ würfen und Anmeldungen der Ministerien. Schließlich hat das Bundes­ kanzleramt zu prüfen, ob bei eingereichten Gesetzentwürfen die vor­ gesehenen Beteiligungen anderer Ministerien stattgefunden haben, und ob die rechtsförmliche Prüfung des Entwurfs durch das Justizministe18 Vgl. Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1965, S. 211.

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

rium erfolgt ist. Ihm obliegt sodann die Aufgabe, die Gesetzentwürfe in die Tagesordnung der Kabinettsitzung einzubeziehen19 • Besondere Bedeutung hat das Bundeskanzleramt auch für die direk­ ten Kontakte zwischen dem Bundeskanzler und den Verbänden. Solche Kontakte sind in der Geschäftsordnung der Bundesregierung vorge­ sehen, sie sollen aber die Ausnahme bleiben. Nach § 10 GeschOBReg. sollen Abordnungen in der Regel nur von dem federführenden Fach­ minister oder seinem Vertreter empfangen werden. Nach § 10 Abs. 2 GeschOBReg. empfängt der Bundeskanzler Abordnungen nur in beson­ deren Fällen. Der Sinn dieser Regelung liegt neben einer Entlastung des Bundeskanzlers vor allem darin, eine Aushöhlung der Ressortver­ antwortlichkeit der Bundesminister zu vermeiden. Der Bundeskanzler soll nicht in direkten Zusagen an Verbände den j eweiligen Ressort­ minister binden20 • Dennoch haben bisher alle Bundeskanzler der Bundesrepublik ge­ rade auch in Gesetzgebungsverfahren unmittelbare Kontakte mit Ver­ bandsvertretern unterhalten. Dabei ist vor allem darauf aufmerksam zu machen, daß die Initiative für die Kontaktaufnahme durchaus nicht in allen Fällen von den Verbänden ausging. Von Adenauer ist bekannt, daß er einmal 1954 den damaligen DGB-Vorsitzenden aufsuchte, um ihn für seine Außenpolitik zu gewinnen. In der Regel aber ist das Gespräch mit dem Kanzler der letzte Versuch der Verbände, eine Re­ gierungsentscheidung noch zu beeinflussen, wenn die Gespräche mit Ministerialbeamten und Ministern noch nicht zum gewünschten Erfolg geführt haben. Diese Praxis, die unter der Ära Adenauer begonnen wurde21 , wurde unter der Kanzlerschaft Erhard geradezu institutiona­ lisiert, indem eine besondere Abteilung des Kanzleramts geschaffen wurde, mit der Aufgabe, unmittelbaren Kontakt zu den Verbänden zu unterhalten22 • Auch unter der Kanzlerschaft Helmut Schmidts sind unmittelbare Gespräche zwischen dem Bundeskanzler und den Vertre­ tern der Spitzenverbände der Industrie, Arbeitgeber und Gewerk­ schaften an der Tagesordnung. In diesen unmittelbaren Gesprächen, welche die Richtlinienkompetenz des Kanzlers auf Kosten der Ressort­ verantwortlichkeit der Minister nicht unerheblich verstärken können, besteht die Möglichkeit, vor dem Beschluß des Kabinetts die Gesetz­ gebung noch zu beeinflussen. Bei der Beratung und Beschlußfassung im Kabinett sind schließlich besondere Verfahrensformen für den Fall vorgesehen, daß bestimmte 19

Zu Einzelheiten s. Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 344 f. Vgl. dazu Wilhelm Hennis (Fn. 9), S. 35. 21 Für Einzelheiten s. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 68 f. ; Klaus v. Beyme (Fn. 15), S. 110 f. 22 s. Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 345 Anm. 53. 20

II. Der erste Durchgang im Bundesrat

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Minister, z. B. der Finanzminister bei Fragen von finanzieller Bedeu­ tung, Widerspruch einlegen. Dieser Widerspruch kann nur durch eine erneute Abstimmung in Anwesenheit dieses Ministers oder seines Stell­ vertreters überwunden werden, wenn die Mehrheit der Bundesminister und mit ihnen der Bundeskanzler am Entwurf festhalten, § 26 GeschOBReg. Den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf leitet sodann der Bundeskanzler mit Begründung nach Art. 76 Abs. 2 GG dem Bundesrat zu, § 39 Abs. 1 GGO II. II. Der erste Durchgang im Bundesrat Sofern die Bundesregierung eine Vorlage nicht für besonders eilbe­ dürftig erklärt hat und sie dann nach drei Wochen dem Bundestag zuleiten kann, auch wenn eine Stellungnahme des Bundesrates noch nicht vorliegt, ist der Bundesrat berechtigt, innerhalb von sechs Wo­ chen zu der Vorlage Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahmen werden in der Regel von den Bundesratsausschüssen erarbeitet, in denen häu­ fig Beamte der mit der Durchführung des beabsichtigten Gesetzes befaßten Länderministerien sitzen. Wegen der Kürze der zur Verfü­ gung stehenden Zeit folgt der Bundesrat in der Regel der Ausschuß­ empfehlung, die zumeist in Abänderungsvorschlägen im Detail besteht. Diese Phase des Gesetzgebungsverfahrens war solange politisch weit­ gehend unproblematisch, als der Regierungsmehrheit im Bundestag eine korrespondierende Mehrheit der Regierungspartei im Bundesrat zur Seite stand, wie das bis 1969 der Fall war. Bis dahin erfuhren Gesetzentwürfe der Bundesregierung zwar Kritik im einzelnen, aber fast nie im Grundsätzlichen. Nachdem seit 1969 die Opposition die Bundesratsmehrheit innehat, hat sich das Bild etwas verschoben. Es braucht hier nicht auf die grundsätzliche Problematik dieser Situation eingegangen zu werden. In unserem Zusammenhang könnte diese Lage von Bedeutung für den Verbandseinfluß sein. Bisher war die erste Bundesratsphase - schon wegen der Kürze der Zeit - relativ frei von Verbandseinflüssen23 • Nachdem die Stellungnahme des Bundesrates der Bundesregierung zugeleitet ist, arbeitet das federführende Ministerium, wenn nötig, eine Gegenäußerung aus, die vom Kabinett beschlossen wird; der Gesetz­ entwurf darf nicht geändert werden, § 42 Abs. 3 GGO II. Anschließend übersendet der Bundeskanzler den Gesetzentwurf mit Begründung, der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bun­ desregierung dem Präsidenten des Bundestages, § 43 Abs. 1 GGO II. 23 Vgl. aber das Zusammenwirken der Automobilverbände mit der Opposi­ tion im Bundesrat bei der Festlegung der Richtgeschwindigkeit auf Auto­ bahnen.

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

m. Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundestag Nach Eingang in der Annahmestelle des Bundestages beginnt die parlamentarische Phase des Gesetzgebungsverfahrens. Bei dieser par­ lamentarischen Phase lassen sich zwei voneinander unterscheidbare, wenn auch im zeitlichen Ablauf sich manchmal überschneidende Ab­ schnitte feststellen, die gesonderter Beachtung bedürfen: die Behand­ lung der Entwürfe im Plenum und die Ausschußberatungen (2), die beide im wesentlichen in der Geschäftsordnung des Bundestages vorge­ zeichnet sind, und die Bearbeitung in den einzelnen Fraktionen des Bundestages und deren Untergremien sowie von Gruppen Abgeord­ neter, die sich ad hoc oder dauernd zur Diskussion der anstehenden Probleme zusammengefunden haben (1) ; die Tätigkeit der Fraktionen ist in der Geschäftsordnung des Bundestages nicht geregelt, sie be­ stimmt sich nach den Fraktionsgeschäftsordnungen. Im übrigen haben die Beratungen in den Fraktionen, deren Untergliederungen bzw. Abgeordnetengruppen eher informellen Charakter, wenn auch die Be­ deutung gerade der Fraktionen für die Behandlung der Gesetzentwürfe gar nicht überschätzt werden kann24 • 1. Fraktionen, Untergliederungen, Abgeordnetengruppen

Die Fraktionen kennen den Gesetzentwurf in der Regel schon lange bevor er der Annahmestelle des Bundestages zugeleitet und auf deren Veranlassung gedruckt und an die Mitglieder des Bundestages verteilt wird. Dies ergibt sich für die Regierungsfraktionen daraus, daß in aller Regel schon im Entwurfsstadium eine Abstimmung mit Fraktionsver­ tretern erfolgt, um die parlamentarische Durchsetzbarkeit der geplan­ ten Regelung möglichst frühzeitig abschätzen zu können und zu sichern. Die übrigen Fraktionen erhalten von der beabsichtigten Gesetzgebung spätestens mit der Überweisung an den Bundesrat Kenntnis25 • Spä­ testens seit diesem Zeitpunkt können sich die Fraktionen mit dem Entwurf beschäftigen. Von diesem Augenblick an können auch Inter­ essenvertreter bzw. -organisationen versuchen, den Gesetzentwurf gegenüber den Fraktionen im Sinne ihrer Vorstellungen zu beein­ flussen, sofern sie im bisherigen Verlauf des Verfahrens noch nicht berücksichtigt wurden oder aber erzielte Erfolge gegen nunmehr be­ ginnende Interventionen anderer Verbände verteidigen müssen. Mittel zur Einflußnahme in diesem Stadium ist neben der Lobby, die von 24 Hier ist vor allem an die Rolle der Fraktionen bei der Stimmabgabe der Abgeordneten und bei der Besetzung der Ausschüsse zu denken. 2 5 Vgl. Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 365; sofern eine Beteiligung von Verbänden nach § 23 GGO II stattgefunden hat, sind gleichzeitig auch die Fraktionen unterrichtet worden, § 25 Abs. 2 GGO II.

III. Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundestag

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außen auf den Bundestag einwirkt, in erster Linie die Inside-Lobby, d. h. die Abgeordneten, die bestimmten Interessengruppierungen zuge­ rechnet werden können, die Abgeordneten-Interessenvertreter. Bevor das offizielle parlamentarische Verfahren mit der Aufnahme des Entwurfs als Beratungsgegenstand auf die Tagesordnung zur Vor­ bereitung der ersten Lesung beginnt, haben sich also die Fraktionen bereits mit dem Entwurf befaßt. Die Fraktionen sind aber, mit Aus­ nahme einer kleineren Fraktion wie etwa die F.D.P., nicht in der Lage, alle Entwürfe im Plenum vorzubereiten. Vielmehr geschieht die Vor­ bereitung der Fraktionsentscheidung in Untergruppen. Daneben be­ ginnt in dieser Phase die Diskussion in Vereinigungen von Abgeord­ neten einer Fraktion, die formell von der Fraktion unterschieden sind, sowie ad-hoc-Abgeordnetengruppen. Außerdem sind Diskussionen von Abgeordnetengruppen zwischen den Fraktionen möglich (vgl. z. B. die sog. ,,Grüne Front" oder die Vertriebenen). Versucht man die verschiedenen Abgeordnetengruppierungen zu katalogisieren, kommt man etwa zu folgender Einteilung28 : Es gibt - Fraktionsarbeitskreise in jeder der im Bundestag vertretenen Frak­ tionen. Sie werden nach großen politischen Tätigkeitsfeldern aus­ gewiesen27. - Fraktionsarbeitsgruppen. Diese bestehen aus den Ausschußmitglie­ dern einer Fraktion. Regelmäßig gehören die Mitglieder der Frak­ tionsarbeitsgruppen auch den Arbeitskreisen an, zu deren Aufga­ benbereich ihr Ausschuß zuzurechnen ist. - ad hoc Fraktionsarbeitsgruppen für bestimmte Fragen. Sie werden häufig dann eingerichtet, wenn bestimmte Vorhaben besonders ein­ gehend untersucht werden sollen; sie bestehen nur für Dauer der Untersuchung. - Gesprächskreise, Arbeitsgemeinschaften, Diskussionsgruppen von Mitgliedern ein und derselben Fraktion. Solche Gruppen bilden sich in der CDU/CSU z. B. nach den in der Partei bestehenden Vereini­ gungen. Sie existieren aber auch bei der SPD (z. B. ,,Kanalarbeiter"). - Interfraktionelle Gruppierungen von Abgeordneten, die durch ge­ meinsame Interessen verbunden sind. Während die ersten drei Gruppierungen von der Fraktion ausgehen und sich ihre Einteilung und Abgrenzung weitgehend aus objektiv28 Vgl. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 91 ff. 17 Zu den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen s. Hans Apel, Die Willens­ bildung in den Bundestagsfraktionen - Die Rolle der Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, in : ZParl 1970, S. 223 ff. ; Wolfgang F. Dexheimer und Max Hartmann, Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und -gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in : ZParl 1970, S. 232 ff. 10 Speyer 68

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

sachlichen Kriterien ergeben, handelt es sich in den beiden letzten Fäl­ len um Vereinigungen, die von gemeinsamen Interessen getragen sind. Die von der Fraktion gebildeten Vereinigungen, vor allem die Arbeits­ kreise, sind offiziell zur Vorbereitung der Willensbildung der Frak­ tion bestimmt. Ihre Bedeutung gegenüber der Fraktion kann man vergleichen mit der Stellung, die den Bundestagsausschüssen gegenüber dem Plenum zukommt28 • Wenn sie selbst auch keine Entscheidungs­ funktion haben, programmieren sie doch die Entscheidungen der Frak­ tionen vor. Regelmäßig folgen die Fraktionen deshalb den Empfehlun­ gen der Arbeitskreise29 • Bei dieser Schlüsselrolle der Arbeitskreise, die ihnen neben dem Fraktionsvorstand hinsichtlich der Gesetzgebung zukommt, ist es be­ greiflich, daß sie zum bevorzugten Objekt der Interessenbeeinflussung werden. Dabei geht das Bestreben der großen Verbände vor allem dahin, wichtige Funktionen innerhalb der Arbeitskreise zu besetzen, insbesondere den Vorsitz mit einer Persönlichkeit ihres Vertrauens auszustatten. Dies ist häufig eine Aufgabe, die sich die informellen Gesprächskreise zum Ziel gesetzt haben30 • Die Zusammensetzung der Arbeitskreise zeigt, daß je nach Sachgebiet die großen Verbände bzw. Abgeordnete, die ihnen zuzurechnen sind, deutlich überrepräsentiert sind. Dies soll hier zunächst ohne jede Wertung festgehalten werden; es beruht nicht zuletzt auf der Tatsache, daß die betreffenden Abge­ ordneten auch über den erforderlichen spezifischen Sachverstand ver­ fügen. Die Tendenz der Überrepräsentation verbandszugehöriger Ab­ geordneter in den Arbeitskreisen zeigt sich in allen Fraktionen31 ; aller­ dings ist sie bei der CDU/CSU-Fraktion deutlicher als bei der SPD­ Fraktion. Bereits bis zur ersten Lesung des Gesetzentwurfs haben sich demnach die Fraktionen eine Meinung zu dem Entwurf gebildet - wenigstens wenn es um Vorhaben von einiger Wichtigkeit geht. Es muß allerdings der Eindruck vermieden werden, als wäre diese erste Meinungsbildung nun ausschließlich von Verbänden bestimmt, woran man wegen der Zusammensetzung der Arbeitskreise und wegen der großen Zahl der 28

So Heribert Schatz, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß, 1970,

s. 54.

29 Nachweise u. a. bei Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 96; ein Beispiel bei Hans Apel (Fn. 27), S. 223. 30 Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 102, zitiert aus einem Bericht des Vorsitzenden des Diskussionskreises Mittelstand der CDU/CSU, worin es als sehr wichtig bezeichnet wird, ,,daß alle wesentlichen Positionen in der Fraktion durch Mitglieder des Diskussionskreises Mittelstand besetzt sind. Dies gilt insbesondere für die Arbeitskreise der Fraktion". (Hervorhebungen im Original). 31 Hans-Joachim von Merkatz, Regiert die Lobby? Parlament, Regierung und Interessenverbände, in : Der Bundestag von innen gesehen, 1969, S. 200.

III. Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundestag

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Abgeordneten-Interessenvertreter denken könnte. Dieser Eindruck wäre falsch. Hier ist nur eine Möglichkeit der Einbringung von Inter­ essen gegeben, die nicht mit der erfolgreichen Durchsetzung derselben verwechselt werden darf. Die Durchsetzung wird zunächst einmal be­ hindert durch die Eigenart des pluralistischen Systems selbst, minde­ stens soweit Gegenkräfte vorhanden sind. Zum anderen gibt es auch eine Anzahl anderer Faktoren, die eine einseitige Interessenabhängig­ keit verhindert oder doch weitgehend neutralisiert. Hierzu zählen wir vor allem die Schranken, die durch das Parteiprogramm und das Ar­ beitsprogramm der Fraktion gezogen sind, sowie die maßgebliche Rolle des Fraktionsvorstandes. Bei allen Gesetzesvorhaben von besonderer politischer Bedeutung liegt die Generallinie weitgehend fest und kann durch Verbandseinwirkungen nur unwesentlich beeinflußt werden. Hier ist dann nur Raum für kosmetische Korrekturen32 • Andererseits ist auch zu beachten, daß die Interessengebundenheit eines einzelnen Abgeordneten in der Regel dann keine Rolle mehr spielt, wenn die Gesamtfraktion zu einer Willensbildung gekommen ist. Zwar ist der Fraktionszwang nicht nur rechtlich unzulässig, sondern auch praktisch verpönt; dennoch ist die Fraktionsdisziplin recht groß, ein abweichendes Stimmverhalten einzelner Abgeordneter in Fällen, in denen sich die Fraktion auf eine einheitliche Linie festgelegt hat, ist nicht die Regel. Der einzelne Abgeordneten-Interessenvertreter ist also weniger bei der Abstimmung als vielmehr bei der vorgängigen Willensbildung dazu in der Lage, etwas für die von ihm vertretenen Interessen zu tun. 2. Plenum und Ausschüsse

Bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Plenum ist eine all­ gemeine Aussprache nicht üblich; sie kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 78 GeschOBT anberaumt werden. Die erste Be­ ratung dient vielmehr der Überweisung des Entwurfs an einen oder mehrere Ausschüsse33 • Bereits die Entscheidung darüber, an welchen Ausschuß bzw. an welche Ausschüsse die Vorlage überwiesen wird, ist für deren weiteres Schicksal von erheblicher Bedeutung. Hier spielen die Fragen der Zusammensetzung der Ausschüsse, der Parteizugehörig­ keit des Vorsitzenden, der Interessenzugehörigkeit etc. eine wesent32 Dabei darf freilich nicht übersehen werden, daß auch die Arbeiten, die schließlich zur Abfassung eines Parteiprogramms führen, ihrerseits von Interessen mitbeeinflußt sind. 33 Allerdings kann eine Aussprache in der ersten Beratung dann infrage kommen, wenn es darum geht, den Verhandlungsspielraum der Ausschuß­ mitglieder einer Fraktion abzustecken, vgl. Gerhard Loewenberg (Fn. 12), s. 368.

10•

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

liehe Rolle. Im übrigen braucht zur Bedeutung der Ausschußphase kein Wort mehr verloren zu werden. Hier sitzen die Experten der Frak­ tionen und bemühen sich darum, einen für alle Fraktionen tragbaren Kompromiß zu erreichen, was freilich nicht immer gelingt. Gelingt es aber, dann ist mit einer Änderung der Ausschußvorlage im Plenum nachher kaum mehr zu rechnen34 • In der Regel ist deshalb die Aus­ schußphase die wichtigste Phase im parlamentarischen Gesetzgebungs­ verfahren. Deshalb sind die Bundestagsausschüsse auch eine der bevor­ zugten Zielscheiben für den Verbandseinfluß, nicht nur wegen der Mög­ lichkeit der öffentlichen Anhörungen, sondern vor allem auch wegen der Einflußmöglichkeit auf die Zusammensetzung (Ausschüsse als „Ver­ bandsinseln"). Nach Abschluß der Ausschußarbeit und Erstattung des Ausschuß­ berichtes wird die zweite Beratung angesetzt. Hier bereiten sich die Fraktionen unter Mitwirkung der Arbeitskreise und ihrer Ausschuß­ mitglieder vor. Wenn die Ausschußmitglieder ein Ergebnis erreicht haben, das der Gesamtlinie der Fraktion entspricht, folgen Arbeits­ kreise und Fraktion in der Regel der Empfehlung ihrer Ausschuß­ mitglieder. Dies hängt freilich von vielen Faktoren ab, u. a. in beson­ derer Weise davon, ob z. B. mehrere Ausschüsse beteiligt waren, die zu kontroversen Ergebnissen gelangt sind. Die zweite Beratung erhält ihre besondere Bedeutung dadurch, daß hier der Gesetzentwurf, der Ausschußbericht und der Vorschlag des Ausschusses im Detail debat­ tiert werden. Anders als in der ersten Beratung können in der zweiten Beratung auch Änderungsanträge gestellt werden. Außerdem ist auch eine ganze oder teilweise Zurückverweisung an einen Ausschuß mög­ lich. Schließlich kann der Gesetzentwurf auch ganz zu Fall gebracht werden, wenn in der zweiten Beratung alle Teile abgelehnt werden. Für die Einwirkung von Verbänden ist vor allem die Möglichkeit be­ deutsam, Änderungsanträge zu stellen, zumal diese keiner Unterstüt­ zung bedürfen, also auch von einem einzelnen Abgeordneten gestellt werden können. Dadurch ist allerdings auch die Möglichkeit gegeben, daß ein Abgeordneter einen Änderungsantrag nur einbringt, um gegen­ über seinem Verband sein Soll zu erfüllen, obwohl er mit der Ableh­ nung seines Antrages rechnen muß. Auch hier ist aber eine differen­ zierende Betrachtungsweise angebracht: kein Abgeordneter kann auf die Dauer Änderungsanträge formulieren und einbringen, die nicht mit der Fraktion abgestimmt sind; er würde seiner Sympathien in der Fraktion verlustig gehen und damit seiner Sache im Endeffekt mehr schaden als nützen. 34 Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, wie das Zustandekommen des Personalvertretungsgesetzes beweist, vgl. Otto Stammer u. a. (Fn. 10), 116 ff.

s.

IV. Der zweite Durchgang im Bundesrat

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Der zweiten Beratung folgt die abschließende dritte Beratung. Sind in der zweiten Beratung keine Änderungen beschlossen worden, schließt sich die dritte Beratung unmittelbar an; im Falle von Ände­ rungen erfolgt sie am zweiten Tage nach Verteilung der Drucksachen mit den erfolgten Änderungen, früher nur, wenn nicht zehn anwesende Mitglieder des Bundestages widersprechen, vgl. § 85 GeschOBT36 • Auch in der dritten Beratung können noch Änderungsanträge gestellt wer­ den, allerdings müssen sie von mindestens so vielen Abgeordneten unterstützt werden, wie einer Fraktionsstärke entspricht. Von dieser Möglichkeit machen die Fraktionen Gebrauch, wenn auch nach Ab­ schluß der zweiten Lesung eine Annäherung der gegensätzlichen Stand­ punkte nicht erreicht wurde, wie z. B. bei der Reform des § 218 StGB, wo das Indikations-Modell der Opposition auch in der dritten Beratung noch einmal dem Fristen-Modell der Mehrheit gegenübergestellt wurde. Das Erfordernis der Fraktionsstärke für die Einbringung von Abänderungsvorschlägen bewirkt aber, daß die Abänderungsanträge in diesem Stadium nur selten von den Verbänden initiiert werden könn­ nen ; dies ist praktisch nur noch dann möglich, wenn eine ganze Frak­ tion sich zu einem Änderungsantrag entschließt, der den Vorstellungen eines oder mehrerer Verbände entspricht Die dritte Beratung schließt mit der Schlußabstimmung ; dabei wird, vor allem bei wesentlichen Gesetzesvorhaben, eine große Fraktions­ geschlossenheit bei der Abstimmung sichtbar, wenngleich Abgeordnete, die Gruppeninteressen vertreten, häufiger abweichend abstimmen als andere38 • IV. Der zweite Durchgang im Bundesrat Nachdem eine Vorlage den Bundestag passiert hat, wird sie dem Bundesrat zugeleitet, wobei es gleichgültig ist, wer die Initiative zu der Vorlage ergriffen hatte, ob Regierung, Bundestag oder Bundesrat selbst. Bei den Gesetzentwürfen, die dem Bundesrat zugeleitet werden, ist zu unterscheiden zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht zu­ stimmungsbedürftigen. Bei den ersteren, die mehr als die Hälfte aller Gesetze ausmachen, hängt das Zustandekommen des Gesetzes von der Zustimmung des Bundesrates ab ; bei den übrigen Vorlagen kann der Bundesrat nach Anrufung des Vermittlungsausschusses Einspruch ein­ legen, der durch Beschluß des Bundestages zurückgewiesen werden kann37 • 35 Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 418, weist darauf hin, daß die Frak­ tionsgeschäftsführer von dieser Möglichkeit, die Frist abzukürzen, häufig Gebrauch machen. 39 Vgl. Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 426 Tabelle 35. 37 Für Einzelheiten vgl. Art. 77 Abs. 2 - 4 GG.

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

Für das Verhalten des Bundesrates in dieser Phase des Gesetz­ gebungsverfahrens spielt es eine wesentliche Rolle, inwieweit seine Vorstellungen bereits berücksichtigt wurden. Da bei allen Regierungs­ vorlagen der Bundesrat schon vor Einbringung der Vorlage in den Bun­ destag Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ist die Versagung der Zu­ stimmung bzw. die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit an­ schließendem Einspruch um so weniger zu erwarten, je mehr den Vor­ stellungen des Bundesrates Rechnung getragen wurde. Ferner ist eine Annäherung auch dann eher zu erwarten, wenn der Regierungsmehr­ heit im Bundestag auch eine entsprechende Mehrheit im Bundesrat entspricht; dies gilt freilich nicht für alle Fälle, da die spezifischen Länderinteressen häufig den Parteiinteressen vorgehen. Allerdings ist die Versuchung, Parteiinteressen über den Bundesrat durchzusetzen, dann ungleich größer, wenn, wie derzeit in der Bundesrepublik, die im Bundestag in der Opposition stehenden Parteien im Bundesrat über die Mehrheit verfügen38 • Die endgültige Haltung des Bundesrates zu einer Gesetzesvorlage hängt entscheidend von den Ergebnissen ab, die im Vermittlungsaus­ schuß erzielt werden. Der Vermittlungsausschuß wird fast immer ange­ rufen, wenn der Bundesrat mit einer Vorlage nicht übereinstimmt. Er kann dann binnen drei Wochen nach Eingang der Gesetzesvorlage die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen. Bei nicht zustim­ mungsbedürftigen Gesetzen ist dies Voraussetzung für das Recht, Ein­ spruch einzulegen. Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen, die der Bun­ desrat ablehnen könnte, ohne vorher den Vermittlungsausschuß anzu­ rufen, haben auch Bundestag und Bundesregierung das Recht, die Einberufung zu verlangen. Der Vermittlungsausschuß besteht aus je 11 Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates, § 1 Geschäftsord­ nung des Vermittlungsausschusses, wobei die vom Bundesrat entsand­ ten Mitglieder nicht weisungsgebunden sind, Art. 77 Abs. 2 Satz 3 GG. Kommt es im Vermittlungsausschuß zu einem Einigungsvorschlag auf Änderung oder Aufhebung des vom Bundestag beschlossenen Gesetzes, so hat der Bundestag erneut Beschluß zu fassen, Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG. Der Einigungsvorschlag ist alsbald auf die Tagesordnung des Bun­ destages zu setzen. Der Bundestag stimmt nur über den Einigungsvor­ schlag ab. In der Regel haben die Vorschläge des Vermittlungsausschus­ ses Aussicht, vom Bundestag akzeptiert zu werden. Bisher ist es immer so gewesen, daß die Mehrheit des Vermittlungs­ ausschusses parteipolitisch der Mehrheit des Bundestages entsprach. 38 Auch hier soll allerdings die Zahl der Gesetze, die lediglich um der Opposition willen im Bundesrat blockiert werden, verschwindend gering sein, so Roman Herzog, Die innerparteiliche Willensbildung im Verhältnis Bund, Länder und Gemeinden, in : Politikverflechtung zwischen Bund, Län­ dern und Gemeinden, 1974, S. 82.

IV. Der zweite Durchgang im Bundesrat

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Dies mag mit dazu beigetragen haben, daß die dort erarbeiteten Eini­ gungsvorschläge einerseits zwar die Belange des Bundesrates berück­ sichtigen, andererseits aber die Zustimmung des Bundestages zu den Einigungsvorschlägen selten versagt wurde. Dies könnte sich ändern, wenn sich durch eine parteipolitische Veränderung des Bundesrates zugunsten der Opposition im Bundestag die parteiliche Konstellation im Vermittlungsausschuß verschieben würde und die Opposition die Mehrheit bekäme. Allerdings brauchen auch dann nicht allzu über­ triebene Befürchtungen hinsichtlich einer „destruktiven" Rolle seitens der Opposition im Vermittlungsausschuß gehegt zu werden, da letztlich die Parteien auf ein gewisses gegenseitiges Entgegenkommen ange­ wiesen sind. Einerseits kann der Bundestagsmehrheit nicht daran lie­ gen, daß alle zustimmungsbedürftigen Gesetze im Bundesrat scheitern; zum anderen würde eine parteipolitische Ausrichtung der Einigungs­ vorschläge des Vermittlungsausschusses, die mit der ständigen Ableh­ nung im Bundestag rechnen müßte, diesen abwerten. Mit einer krassen Polarisierung ist daher kaum zu rechnen. Wenn dennoch derzeit im Bundesrat zuweilen Abstimmungen mit der einen Stimme Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder getroffen werden, geschieht dies nach Ansicht eines Kenners manchmal auch deshalb, weil die Ablehnung „gesichert" war und die einheitliche Haltung der SPD-regierten Länder nichts „kostete", obwohl sie in der Sache bei einer anderen Konstella­ tion möglicherweise anders abgestimmt hätten39 • Immerhin hat aber die derzeitige Zusammensetzung des Bundesrates die Machtverhältnisse im Gesetzgebungsverfahren etwas verschoben; dies würde durch eine Änderung im Vermittlungsausschuß noch ver­ stärkt. Diese Entwicklung ist keineswegs verfassungsrechtlich bedenk­ lich40 ; sie ist vielmehr in der Rolle des Bundesrates im Gesetzgebungs­ verfahren angelegt, die eine gegenseitige Kooperation und Kontrolle zwischen Bundestag und Bundesrat voraussetzt. Daß demgegenüber 20 Jahre lang die Bundestagsmehrheit einer Mehrheit im Bundesrat entsprach, beweist keineswegs, daß dies immer so sein sollte. Die unterschiedliche politische Konstellation in Bundestag und Bun­ desrat gibt aber den Verbänden nochmals die Möglichkeit der Ein­ flußnahme, um die Berücksichtigung ihrer Interessen zu erreichen, wenn auch in diesem Stadium die Erfolgschancen relativ gering sind4 1 . 39

So Roman Herzog (Fn. 38), S. 84. Die Entscheidung des BVerfG vom 25. 6. 1974, in : NJW 1974, S. 1751 ff., steht dieser Auffassung nicht entgegen. Der Anteil der zustimmungsbedürf­ tigen Gesetze beträgt derzeit ca. 50 0/o, vgl. Fritz Ossenbühl, Die Zustimmung des Bundesrates beim Erlaß von Bundesrecht, in : AöR 99 (1974), S. 369 ff., 371. 4 1 In diesem Stadium sind die Standpunkte der beteiligten Gesetzgebungs­ organe weitgehend abgeklärt, und es geht nur noch um eine Annäherung der vertretenen Positionen. Verbandsinteressen können dabei allenfalls 40

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

Kommt es bei nicht zustimmungsbedürftigen Gesetzen nach ergebnis­ loser Arbeit des Vermittlungsausschusses zu einem Einspruch des Bundesrates, kann der Bundestag diesen Einspruch zurückweisen. Dem Zustandekommen des Gesetzes steht dann nichts mehr im Wege.

V. Ergebnis Die vorstehende Schilderung des Gesetzgebungsverfahrens der Bun­ desrepublik erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit in allen Ein­ zelheiten. Der Ablauf in der Praxis ist zu komplex und wird so sehr durch informelle Strukturen bestimmt, daß man auf wenigen Seiten kein genaues Bild geben kann. Die gesamte Komplexität kann letztlich nur durch Fallstudien zum Entstehen einzelner Gesetze sichtbar gemacht werden42 • Trotz zahlreicher Einzelstudien, die in den letzten Jahren zu Ge­ setzen in der Bundesrepublik entstanden sind, ist das vorliegende Material noch nicht ausreichend, um weittragende Schlüsse zu erlauben. Dies hat mehrere Gründe : Einerseits liegt es daran, daß die vorliegenden Untersuchungen häu­ fig nur bestimmte Aspekte zum Gesetzgebungsverfahren erörtern, ohne den Gesamtzusammenhang deutlich zu machen. Dies gilt z. B. für viele Untersuchungen, die die Aktivität bestimmter Verbände bei einer Gesetzgebung untersuchen43 • Damit wird zwar ein wesentlicher Aspekt behandelt; eine gewisse Einseitigkeit liegt hier aber schon im Forschungsinteresse. Freilich ist zuzugeben, daß bereits die Rekon­ struktion eines einzigen Gesetzgebungsverfahrens nach allen Richtun­ gen hin auf erhebliche Schwierigkeiten stößt. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß der kaum zu überschätzende Einfluß der informellen Strukturen auf den Verfahrensablauf auch bei sorgfältigster Arbeit nur unzureichend nachkonstruiert werden kann. Gerade über die ent­ scheidenden Motive für einen Einstellungswandel zu einem vorliegen­ den Entwurf gibt es häufig keinerlei schriftliche Aufzeichnungen; In­ terviews mit den opinion-leaders, falls diese überhaupt bekannt sind, enthüllen aber nicht in jedem Fall die wirklichen Motive. Der Schluß dann zum Zuge kommen, wenn sie sich mit der Auffassung einer Seite decken. 41 Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 319 ff., der das Gesetzgebungsverfahren ausführlich behandelt, verfolgt deshalb auch fünf Gesetze in ihrer Ent­ stehung, ohne freilich alle Einzelheiten zu erfassen. Vgl. im übrigen die zahl­ reichen Einzelstudien zu den Gesetzgebungsverfahren, die o. S. 15 Anm. 8 angegeben sind. 43 Hier liegt der Akzent auf der Einflußnahme der Verbände, vgl. z. B. die o. S. 15 Anm. 8 genannten Arbeiten von Diekershoff und Ackermann.

V. Ergebnis

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von den in Interviews genannten Motiven auf den wirklichen Beweg­ grund ist stets problematisch. Andererseits muß neben diesen Einschränkungen, die in der Natur des Untersuchungsgegenstandes begründet sind, für die Generalisier­ barkeit von Ergebnissen noch ein weiterer Umstand beachtet werden: j edes Gesetzgebungsverfahren nimmt einen anderen Verlauf und hängt von anderen Gegebenheiten ab. Dies kann die vielfältigsten Ursachen haben. Der Entwurf kann auf besonderes Interesse der Öffentlichkeit stoßen, mitgliederstarke Verbände können betroffen sein, es kann sich um besonders heikle Materien handeln (z. B. Schulpolitik) ; schließlich kann auch der Zeitpunkt eine Rolle spielen, wenn z. B. ein Gesetz am Ende der Legislaturperiode noch durchgebracht werden soll. Zu be­ rücksichtigen sind auch viele persönliche Unwägbarkeiten, so etwa, wenn die maßgeblichen Meinungsführer in der Fraktion, aus welchen Gründen auch immer, durch die Materie eines Entwurfes persönlich berührt werden und sich deshalb für oder gegen ihn engagieren; diese ganz persönlich-emotionelle Seite darf keinesfalls unterschätzt werden, obgleich sie kaum genau einberechnet werden kann. Aus all dem ergibt sich, daß die Vergleichbarkeit von Verfahrensabläufen bei Gesetzent­ würfen nur bedingt gegeben ist. Um so eher kann hier auf die Darstel­ lung von Einzelheiten verzichtet werden. Es kam lediglich darauf an, auf die Komplexität des Gesetzgebungs­ verfahrens aufmerksam zu machen ; alle an der Gesetzgebung beteilig­ ten Personen stehen in einer Vielfalt von Abhängigkeiten. Dabei spielt der Einfluß der Partei eine wesentliche Rolle44 • Daneben sind es vor allem die Verbände und die Ö ffentliche Meinung, die auf die Entschei­ dung einwirken. Zu beachten ist, daß informelle Kontakte, Absprachen und Vereinbarungen wesentlich den Ablauf des Verfahrens und die Entscheidung in der Sache selbst mitbestimmen. Das verabschiedete Gesetz beruht auf einem Zusammenspiel aller dieser Faktoren. Eine Untersuchung, die davon ausginge, daß ein bestimmter Faktor, wie z. B. der Verbandseinfluß, allein oder hauptsächlich ausschlaggebend wäre, würde deshalb ein einseitiges Bild ergeben. Für die Einflußnahme der Verbände auf die Gesetzgebung, um deren Institutionalisierung es uns geht, ergibt sich aus dem Vorstehenden folgendes: Einerseits können die Verbände ihre Vorstellungen zu einer Gesetz­ gebung in allen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens zur Geltung bringen. Dabei kommt ihnen die Komplexität des Verfahrens entgegen; denn sie können ihre Einwirkungsversuche auch auf alle die Kräfte 44 Dies wurde deutlich in den Referaten der Speyerer Frühjahrstagung (Fn. 38).

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2. Teil, A. Zum tatsächlichen Ablauf der Gesetzgebung

geltend machen, die ihrerseits wieder die am Fortgang der Gesetz­ gebung unmittelbar Beteiligten beeinflussen. Die Aktivität der Ver­ bände braucht sich also nicht nur in formeller und informeller Weise auf die unmittelbar Beteiligten, Regierung, Bundestag und Bundesrat, zu beschränken, vielmehr setzt sie auch bei Parteien und Öffentlicher Meinung an, um sowohl unmittelbar wie mittelbar den Gang der Ge­ setzgebung mitzubestimmen. Zwar ist die Annahme gerechtfertigt, daß die Verbände vor allem das Vorbereitungsstadium zum Ziel ihrer Einflußnahme machen45 , weil dort der wesentliche Inhalt einer Gesetz­ gebung festgelegt wird; es ist aber erwiesen, daß sie auch alle übrigen Stadien des Gesetzgebungsverfahrens zur Durchsetzung ihrer Vorstel­ lungen benutzen, vor allem, wenn sie noch nicht die Berücksichtigung ihrer Wünsche erreicht haben46 • Die Vorbereitung im Bereich der Regierung (Referentenstadium, Kabinettberatung), die Beratungen im Bundestag und seinen Aus­ schüssen, der Durchgang im Bundesrat und schließlich die Phase im Vermittlungsausschuß mit anschließender endgültiger Abstimmung im Bundestag : alle diese Abschnitte des gesamten Gesetzgebungsverfah­ rens sind Ziele verbandlicher Interessenpolitik. Rechnet man hinzu, in welchem Maße der informelle Bereich ausschlaggebend für den Fort­ gang des Gesetzgebungsverfahrens ist, der sich weitgehend im Vorfeld der offiziellen und öffentlichen Vorgänge abspielt und das Haupt­ betätigungsfeld der Verbände darstellt, scheinen der Effektivität der Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung von vornherein Grenzen gesetzt. Vor allem muß der Gefahr begegnet werden, daß Institutiona­ lisierungsformen nur zum Schein eingerichtet werden und als Alibi dafür dienen, in ihrem Schatten auf informellen Wegen die eigent­ lichen Wünsche einzubringen und durchzusetzen. Dies hat zur Folge, daß die Publizität der Verbandseinwirkungen, die ein Ziel der Institutionalisierungsmaßnahmen ist, nicht isoliert nur für die Beteiligungsformen angestrebt werden darf. Vielmehr muß der gesamte Entscheidungsprozeß, der den Ablauf eines Gesetzgebungsver­ fahrens betrifft, möglichst transparent und der Öffentlichkeit zugäng­ lich gemacht werden. Nur in diesem Rahmen ist auch eine Offenlegung der Verbandsbeteiligung zu erreichen. Soweit und solange wesentliche Vorentscheidungen in Beiräten und Kommissionen, in den Dienstzim­ mern der Referenten, hinter den verschlossenen Türen von Fraktionen und Arbeitskreisen, getroffen werden und die Öffentlichkeit mit den Ergebnissen konfrontiert wird, deren offizielle Begründung oft genug Vgl. z. B. Rudolf Steinb erg (Fn. 9), S. 31. So z. B. das Ergebnis der Studie Otto Stammers u. a. (Fn. 10), S. 21, 201 ff. 45

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V. Ergebnis

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von den eigentlichen Motiven abweicht, ist auch das tatsächliche Aus­ maß der Verbandsbeteiligung nicht sichtbar zu machen. Andererseits macht die Tatsache, daß der Gang einer Gesetzgebung von vielen Faktoren abhängt, die Einflußnahme der Verbände auch schwieriger. Die oft gegensätzlichen Verbandsinteressen hemmen sich nicht nur untereinander (countervailing powers), sondern auch wo das nicht der Fall ist, wirken neben den Verbandsinteressen so viele an­ dere Interessen ein, wie Parteiinteressen, vor allem aber Rücksicht­ nahme auf die öffentliche Meinung und die Wähler und persönliche Präferenzen, daß die Verbandsinteressen in der Regel nur ein, freilich wichtiger, Faktor unter mehreren sind. Der kurze Abriß des Ganges der Gesetzgebung in der BRD von der Erarbeitung des Entwurfs bis zum Zustandekommen des Gesetzes hat deutlich gemacht, daß die Verbände in allen Verfahrensabschnitten Einwirkungsmöglichkeiten haben. Vorschläge für eine institutionali­ sierte Beteiligung der Verbände müssen also den gesamten Ablauf des Verfahrens betreffen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Offen­ legung und Kontrolle von Verbandseinflüssen. Man kann zwar die for­ melle Beteiligung der Verbände aus Zweckmäßigkeitsgründen auf bestimmte Phasen des Verfahrens beschränken, wobei sich insbeson­ dere die Vorbereitungsphase und das Stadium des Bundestages und seiner Ausschüsse wegen ihrer besonderen Bedeutung für die inhalt­ liche Festlegung der Gesetzgebung anbieten. Die Offenlegung von Ver­ bandseinflüssen stellt sich aber als dauernde Aufgabe.

Zweiter Abschnitt

Zum Proj ekt eines Bundeswirtschafts­ und Sozialrates ( BWSR) Die Verbandsbeteiligung durch ein einziges Verbändeorgan, z. B. einen BWSR, könnte grundsätzlich in zweierlei Hinsicht erfolgen : Die­ ses Verbändeorgan könnte entweder in einer bestimmten Phase des Gesetzgebungsverfahrens einmalig eingeschaltet werden, um zu der beabsichtigten Gesetzgebung aus der Sicht der Verbände Stellung zu nehmen, oder es könnte alle Funktionen der bisherigen Zusammen­ arbeit zwischen Staat und Verbänden für die Verbandsseite überneh­ men. Das zentrale Organ der Verbandsbeteiligung würde dann in jeder Phase des Gesetzgebungsverfahrens eingeschaltet, in der auch gegen-

156 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) wärtig schon die Mitarbeit der Verbände institutionalisiert ist. Der Staat würde es nur noch mit einer Stelle zu tun haben, die für Bewer­ tung, Anhörung und Mitarbeit der Verbände an der Gesetzgebung zu­ ständig wäre. Die Aussicht, die Verbandsbeteiligung durch die Schaffung eines einzigen Gremiums zu institutionalisieren und damit die Beziehungen zwischen Staat und Verbänden eindeutig und übersichtlich zu lösen, ist so verlockend, daß die Möglichkeit genauer Überprüfung bedarf, bevor sie vorschnell verabschiedet wird. Allerdings kommt eine solche Lösung nur in Frage, wenn dieses Gremium tatsächlich die Funktion aller bisherigen Beteiligungsmechanismen übernimmt. Zwar könnte ein Bundeswirtschaftsrat auch noch kumulativ zu den bereits existie­ renden Verfahren hinzutreten; dies wäre aber nur zu befürworten, wenn dadurch eine Verbesserung der Verbandsbeteiligung erwartet werden könnte, die nicht zu Lasten des Gesetzgebungsverfahrens ginge. Ein solcher Vorschlag wäre erst nach Prüfung der anderen bestehenden Möglichkeiten zu erwägen. An dieser Stelle geht es um die Frage, ob die Einrichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates als Alternative zu den bisherigen Verfahren gelten kann, die durch ihn aufgesogen würden. Jeglicher Kontakt zwischen Staat und Verbänden müßte sich dann über den Bundeswirtschaftsrat abwickeln. Dem entspricht die Regelung des Conseil Economique et Social (CES) in Frankreich, wo­ nach alle bei der Verwaltung und den Ministerien bestehenden Bera­ tungsgremien aufzulösen sind, deren Aufgaben sich mit denen des CES überschneiden47 • Auch das im Rahmen der Konzeption des DGB zur Gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung48 vorgelegte Modell eines Bun­ deswirtschafts- und Sozialrates sieht unter Nr. 12 vor, daß bestehende Beiräte und Anhörungsrechte abgeschafft bzw. auf den BWSR über­ tragen werden49 • Für unsere Zwecke geht es nur um die Funktion der Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung, die durch die Einrichtung eines BWSR erreicht werden soll. Andere Ziele, die ebenfalls von einem Wirtschaftsrat verfolgt werden können50 , bleiben deshalb außer Be­ tracht. 47 Vgl. Art. 27 des Organgesetzes (loi organique, ordonnance 58 - 1360, vom 29. 12. 1958). 48 Vom 3. März 1971, abgedruckt in : GM 1971, S. 569 ff. ; auch in : Das Mit­ bestimmungsgespräch Jg. 17 (1971), S. 70 ff. 49 Näheres s. u. S. 177. so Vgl. die Zusammenstellung möglicher Aufgaben von Wirtschaftsräten bei Hans Ballreich, Die Wirtschaftsräte in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, in : Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völ­ kerrecht, 1952, S. 743 f.

I. Zur Vorgeschichte der gegenwärtigen Diskussion um den BWSR

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I. Zur Vorgeschichte der gegenwärtigen Diskussion um den BWSR Wirtschaftsräte sind in der neueren deutschen Geschichte nicht un­ bekannt51 . Bereits 1880 hat Bismarck den Preußischen Volkswirtschafts­ rat ins Leben gerufen. 1918 wurde die Einrichtung eines Reichswirt­ schaftsrates in Art. 165 Abs. 3 der Weimarer Verfassung aufgenom­ men. Es kam allerdings nur zu einem „ vorläufigen Reichswirtschafts­ rat", der von 1920 an seine Arbeit aufnahm52 • Ein Gesetzentwurf zur Errichtung eines „endgültigen" Reichswirtschaftsrates wurde nicht mehr verabschiedet; der Vorläufige Reichswirtschaftsrat wurde formell am 23. 3. 1934 beseitigt. Im Grundgesetz ist die Errichtung eines Wirtschaftsrates nicht vor­ gesehen. Die Diskussionen im parlamentarischen Rat zeigen, daß der Gedanke an die Errichtung eines Wirtschaftsrates oder an die Beteili­ gung von Berufsvertretern in einer zweiten Kammer bewußt fallen­ gelassen wurde. Der sozialdemokratische Abgeordnete Menzel führte in der 3. Sitzung des Parlamentarischen Rates am 9. September 1948 aus53 : ,,Die Erfahrungen, die wir früher mit dem Reichswirtschaftsrat ge­ macht haben, verlocken nicht dazu, dieses Experiment zu wiederholen, und es scheint mir, daß er, wenn man ständische Vertretungen in Er­ wägung zieht, einen Rückfall in die romantischen Vorstellungen des früheren Zunftstaates bedeuten würde. Aber das wäre vielleicht noch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende dürfte sein, daß die Ver­ treter der Berufe auch bei ehrlichstem Willen gezwungen werden, Stan­ desinteressen zu folgen, und versuchen werden, diese wahrzunehmen, daß sie also offen oder versteckt an Aufträge gebunden sind, während wir in unserem parlamentarischen und demokratischen Leben mit Recht davon ausgehen, daß der Abgeordnete nach der Wahl Vertreter der Gesamtinteressen sein muß . . . . Ich bin daher der Meinung, wir sollten von der Idee einer ständischen Vertretung absehen." Der Reichswirtschaftsrat war zwar nicht lediglich ein ständisches Organ, wie diese Ausführungen unterstellen. Vielmehr bemühte sich die Konstruktion des Reichswirtschaftsrates, mehreren Strömungen 61 Zur Geschichte der Wirtschaftsräte in Deutschland s. Dieter Sperling, Wirtschaftsräte im Europäischen Verfassungssystem, in : JöR NF 14 (1965), s. 195 ff., 199 ff. 62 s. dazu vor allem Friedrich Glum, Der deutsche und der französische Reichswirtschaftsrat, 1929 ; Walter Strauß, Die Erfahrungen mit dem Vorläu­ figen Reichswirtschaftsrat und der Wirtschaftsenquete, in : Ratgeber von Parlament und Regierung, 1951, S. 45 ff. ; Günter Papperitz, Geschichte und Problematik des Reichswirtschaftsrates, 1956; ferner Dietrich Sperling (Fn. 51), S. 201 ff., m. w. N. 63 Abgedruckt in : Parlamentarischer Rat, Stenographische Berichte über die Plenarsitzungen, Bonn 1948/49, S. 29.

158 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) gerecht zu werden. Sie wollte ebenso den Rätevorstellungen der Links­ sozialisten entgegenkommen wie der Stände-Ideologie der Konserva­ tiven. Die gemäßigten Sozialisten sahen in ihr demgegenüber ein Instrument auf dem Wege zur Wirtschaftsdemokratie54 • Festzuhalten ist aber, daß die Väter des Grundgesetzes keinen Anlaß sahen, einen Wirtschaftsrat ins Auge zu fassen. Schon kurze Zeit nach Verabschiedung des Grundgesetzes ist aber der Gedanke an einen Bundeswirtschaftsrat aufgekommen. Die Diskus­ sion ist seither in Gang geblieben. Bereits im Jahre 1950 hat der DGB einen Gesetzentwurf zur Neu­ ordnung der deutschen Wirtschaft vorgelegt, in dessen Rahmen die Forderung nach einem Bundeswirtschaftsrat erhoben wurde. Dieser Entwurf wurde von der SPD-Bundestagsfraktion aufgenommen und im selben Jahr im Bundestag eingebracht55 • Zahlreiche Aufsätze und Stellungnahmen aus dieser Zeit beweisen, daß die Probleme, die mit einem Wirtschaftsrat verbunden sind, damals eingehend erörtert wur­ den. Es gab Befürworter und Gegner, aber die Diskussion führte schließlich zu keinem greifbaren Ergebnis56 • In der Folgezeit wurden die Bemühungen um einen Bundeswirtschaftsrat mit unterschiedlicher Intensität fortgesetzt. In der wissenschaftlichen Literatur ist die Pro­ blematik immer wieder behandelt worden57 • In der politischen Dis­ kussion waren es vor allem der DGB und die Sozialausschüsse der CDU/CSU, welche an der Forderung nach Einführung eines Bundes­ wirtschafts- und Sozialrates festhielten58 • Die Arbeit der Konzertierten Aktion gab der Diskussion um den BWSR neuen Auftrieb. Die Konzertierte Aktion wird zuweilen als Vorstufe zu einem Wirtschaftsrat angesehen. Halten die einen eine solche Entwicklung für bedenklich5 9, erscheint für andere der Ausbau der Konzertierten Aktion zu einem Wirtschaftsrat wünschenswert80 • 5 ' Vgl. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 14. Aufl. 1933, s. 743 ff. 66 Vgl. ET-Drucksache 1/1229. 66 Vgl. z. B. Ernst Forsthoff, Zur Problematik des Bundeswirtschaftsrates, in: DOV 1952, S. 714 ff.; Herbert Krüger, Der Bundeswirtschaftsrat in ver­ fassungspolitischer Sicht, in: DOV 1952, S. 545 ff. 67 Vgl. z. B. Harald Dehmer, Das Problem der Errichtung eines Bundes­ wirtschaftsrates, 1955; Hubert Tebbert, Das Problem der berufsständischen Mitwirkung an der Gesetzgebung, 1957; Rolf Geberth, Bundeswirtschaftsrat und Conseil Economique, 1961; H. St. Seidenfus, Gedanken zur Errichtung eines Bundeswirtschaftsrates, 1962. 68 Vgl. als Beispiel für die Diskussion innerhalb der Sozialausschüsse Heribert Blens, Es geht nicht ohne Wirtschafts- und Sozialrat, in: Soziale Ordnung, Beilage zu Nr. 3/1964, S. 61 - 68. 69 Vgl. Willi Thiele, Reichswirtschaftsrat - Konzertierte Aktion - Bun­ deswirtschafts- und Sozialrat?, in: DVBl. 1970, S. 529 ff.; ders., Wirtschafts­ räte - eine Forderung unserer Zeit, in: DVBl. 1971, S. 773 ff.

I. Zur Vorgeschichte der gegenwärtigen Diskussion um den BWSR

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Schließlich ist auch für die Bundesrepublik die Forderung nach Schaffung eines zur Hälfte aus Interessenvertretern zusammengesetz­ ten Senates erhoben worden61 • Bei dem Versuch, eine solche Vorstellung in Frankreich zu realisieren, ist De Gaulle 1969 gescheitert. Mit der hier für legitim erachteten Beteiligung der Verbände an der Gesetz­ gebung ließe sich ihre Inkorporierung in eine zweite Kammer nicht vereinbaren. In jüngster Zeit haben zwei konkrete Regelungsvorschläge die Dis­ kussion um den BWSR wieder belebt : der bereits erwähnte Vorschlag des DGB vom 3. März 1971, der bisher nicht als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht wurde, und ein Initiativgesetzentwurf über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates der Abgeordneten Dichgans und Genossen vom 16. August 1971 62 • Dieser in der 6. Legisla­ turperiode eingebrachte Entwurf, über den nicht entschieden wurde, ist bisher in der 7. Legislaturperiode nicht wieder vorgelegt worden. Beide Entwürfe sind Gegenstand neuerlicher Untersuchungen zum Problem eines BWSR geworden6 3 • Bevor auf diese beiden Modelle ein­ gegangen wird, sind aber zunächst die grundsätzlichen Probleme anzu­ sprechen, die mit dem Proj ekt eines BWSR zusammenhängen. Die Auffassungen in der Literatur reichen von entschiedener Ab­ lehnung bis zur energischen Forderung eines BWSR. Einige Befür­ worter erwarten von einem Wirtschaftsrat eine Inpflichtnahme der Verbände, die zu einer Bändigung der bisher „ungebändigten" gesell­ schaftlichen Vereinigungen führe64 • Andere sehen ihn als oberstes Organ einer gesamtwirtschaftlichen Mitbestimmung65 • Wieder andere halten ihn für ein zweckmäßiges Hilfsmittel zur Verbesserung der Gesetzgebung66 • Schließlich spielen auch ständestaatliche Gesichts80 Vgl. dazu Joachim Klaus, Lohnpolitik und gesamtwirtschaftliche Ziel­ setzungen, in : Arndt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, 1969, S. 99 ff., der einen Koordinierungsrat befürwortet, S. 128 ff. 61 Vgl. Helmut Lindemann, Das antiquierte Grundgesetz, 1966, S. 224 ff. 62 E T-Drucksache VI/2514. 83 Für das DGB-Modell s. Kurt Ballerstedt, Zum Programm des DGB für eine gesamtwirtschaftliche Mitbestimmung, in : GM 1971, S. 514 ff. ; Wilhelm Kaltenborn, Über die Notwendigkeit gesamtwirtschaftlicher Mitbestimmung, in : GM 1971, S. 521 ff. ; Günter Triesch, Keine wirtschaftliche Sekundärver­ fassung, in : GM 1971, S. 535 ff. ; Wilhelm Kaltenborn, Probleme gesamtwirt­ schaftlicher Mitbestimmung, in : GM 1973, S. 634 ff. ; zu beiden Modellen : Willi Thiele, Wirtschaftsräte - eine Forderung unserer Zeit, in : DVBl. 1971, S. 773 ff. ; Rudolf Steinberg, Zur Institutionalisierung des Verbandseinflusses in einem Bundeswirtschafts- und Sozialrat, in : DÖV 1972, S. 837 ff. 84 Vgl. Ernst Forsthof! (Fn. 56), S. 716; Herbert Krüger (Fn. 56), S. 555. 85 So die Gewerkschaften und ihre Vertreter, vgl. z. B. Wilhelm Kalten­ born, Probleme gesamtwirtschaftlicher Mitbestimmung, in : GM 1973, S. 634 ff. 86 Vgl. Hans Dichgans, Vom Grundgesetz zur Verfassung, 1970, S. 79 ff. ; Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 199 ff.

160 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) punkte bzw. der Gedanke einer funktionalen Repräsentation als Er­ gänzung zur Volksrepräsentation eine Rolle67 . Außerdem ist die Errichtung eines BWSR auch als konjunkturpoli­ tisches Mittel der Globalsteuerung in Weiterentwicklung der Konzer­ tierten Aktion verlangt worden68 . Die Gegner sehen in einem Wirtschaftsrat vor allem eine Gefährdung der Machtverteilung im Staat. Durch eine solche Institution würden die gesetzgebenden Organe ausgehöhlt und Entscheidungen der Regierung von nicht demokratisch legitimierten außerstaatlichen Kräften getrof­ fen69 . Dies.e grundsätzliche Kritik ist z. T. abhängig davon, welche Rechte einem Wirtschaftsrat eingeräumt werden sollen. So wird eine Verschiebung in ordnungspolitischer Hinsicht vor allem durch Einräu­ mung eines Gesetzesinitiativrechtes bzw. von Auskunfts- und Unter­ suchungsansprüchen gegenüber den staatlichen Organen befürchtet70 • Abgelehnt wird die Einrichtung eines Bundeswirtschaftsrates aber auch mit dem Hinweis, daß ein Gebilde, wie es den Erwartungen der Befürworter entsprechen würde, praktisch gar nicht realisierbar wäre. So könnte in einem Bundeswirtschaftsrat nicht der spezifische Sach­ verstand akkumuliert werden, der bei den vielfältigen j eweils anste­ henden politischen Entscheidungen gebraucht werde71 • Die durch ihn erhoffte Transparenz des Verbandseinflusses werde nur scheinbar erreicht, da direkte Beziehungen zwischen Staat und einzelnen Verbän­ den bestehen blieben. Das Hauptproblem bestehe aber in der Zusam­ mensetzung des Bundeswirtschaftsrates. Es sei nämlich kein Schlüssel denkbar, nach welchem die Verbändevertreter in einem BWSR aufge­ teilt werden könnten. Die Verbände wären in einem solchen Gremium daher nie gleichmäßig repräsentiert72 • In diesem Zusammenhang stelle 87 So Helmut Lindemann (Fn. 61), S. 225 ; einer solchen Lösung gilt häufig der Bayerische Senat als Beispiel. 88 Vgl. Joachim Klaus (Fn. 60), S. 99 ff. 89 So z. B. Willi Thiele (Fn. 63), S. 775 ; vgl. auch Peter Badura, Wirt­ schaftsverwaltungsrecht, in : Ingo von Münch (Hrsg.), Besonderes Verwal­ tungsrecht, 1969, S. 264. 70 So z. B. Manfred Luda, Wirtschaftsräte - keine demokratische Lösung, in : FAZ vom 24. 5. 1971. 71 So Rudolf Steinb erg (Fn. 63), S. 842 ; Brun- Otto Bryde, Zentrale wirt­ schaftspolitische Beratungsgremien in der Parlamentarischen Verfassungs­ ordnung, 1971, S. 124 ff., bej aht demgegenüber die Sachverstandsfunktion, wobei er allerdings den Sachverständigenrat, nicht einen BWSR, zur Beur­ teilung heranzieht. 72 Dies wird allgemein als das Hauptproblem angesehen ; Hans Apel, Der deutsche Parlamentarismus, 1968, S. 173, versucht das Problem mit dem Hinweis darauf zu entschärfen, daß der Rat keine verbindlichen Entschlüsse fasse ; ähnlich wohl Hans Dichgans (Fn. 66), S. 81 f. ; ebenso schon Horst Bartholomeyczik, Diskussionsbeitrag, in : H. St. Seidenfus (Fn. 57), S. 31.

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

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sich dann auch die Frage nach der demokratischen Legitimation der Verbandsvertreter im Bundeswirtschaftsrat73 • Die Beurteilung der Stellungnahmen zu einem BWSR muß beachten, daß Befürworter und Gegner von den Aufgaben und der Stellung des BWSR im Staat unterschiedliche Vorstellungen haben74 • Man muß des­ halb genau festlegen, was ein BWSR leisten soll. Für unsere Zwecke kann auf eine Auseinandersetzung mit rätedemokratischen und stände­ staatlichen Erwägungen verzichtet werden. Vielmehr geht es um die Frage, ob ein BWSR in der Lage ist, die Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung im Rahmen des nach den Ausführungen im ersten Teil Zulässigen zu institutionalisieren. Wesentliches Gewicht muß dabei der Frage zufallen, ob diese Form der Institutionalisierung zweckmäßiger ist als andere Formen. II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände an der Gesetzgebung - Einzelprobleme Um ein wirksames Institutionalisierungsinstrument für die Ver­ bandsbeteiligung an der Gesetzgebung zu sein, durch das die Mitwir­ kung der Verbände in diesem Bereich bewerkstelligt werden könnte, müßte der BWSR mehrere Voraussetzungen erfüllen. Diese Vorausset­ zungen knüpfen an die oben erörterten Gründe für die Verbandsbetei­ ligung und ihre Institutionalisierung an75 ; denn der BWSR müßte alle Erwartungen erfüllen, die an die Verbandsbeteiligung geknüpft wer­ den. Zunächst müßte er in der Lage sein, dem Informationsbedürfnis des Staates zu genügen. Er müßte den gesetzvorbereitenden und gesetz­ beratenden staatlichen Organen den zusätzlichen Sachverstand liefern können, der für die Ausarbeitung von Gesetzesvorhaben notwendig ist. Weiterhin müßte er zum Interessenausgleich zwischen den Verbänden und dem Staat beitragen, ohne die Entscheidungsbefugnis des Staates zu tangieren. Schließlich müßte er die Offenlegung des Verbandsein­ flusses garantieren, die bei Einzelverhandlungen zwischen Staat und Verbänden vermißt wird.

73 Vgl. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 206, der das Problem anspricht, ohne eine Lösungsmöglichkeit anzubieten. 74 Darauf macht zu Recht das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundeswirtschaftsministerium vom 20. Juni 1964 „Zusammenwirken von staatlichen und nichtstaatlichen Kräften in der Wirtschaftspolitik" auf­ merksam; abgedruckt in : Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirt­ schaftsministerium, 6. Band, Gutachten vom April bis März 1966, S. 59 ff. 75

s . o.

s. 24 ff.

11 Speyer 68

162 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) 1. Sachverstand Der BWSR müßte das Informationsbedürfnis des Staates befriedigen können. Dieses Informationsbedürfnis bezieht sich sowohl auf das Fach­ wissen wie auf die Interessenlage. Es kann nicht ausgeschlossen wer­ den, daß qualifizierte Fachleute seitens der Verbände für den Rat benannt werden, die sowohl über die Materie wie über die Interessen ihres Verbandes bestens orientiert sind76 • Dennoch dürfte es fraglich sein, ob es möglich ist, das jeweils geforderte Spezialwissen im Rat zu akkumulieren77 • Bestehende Beispiele von Wirtschaftsräten zeigen, daß das Spezialwissen nicht von den ständigen Mitgliedern geliefert wird, sondern von ad hoc beizuziehenden „technischen" Beratern etc.78 • Dies führt zu einer Verschiebung der Arbeit in Ausschüsse; die Funk­ tion des Plenums wird in Frage gestellt. Im übrigen sind auch bei der Vermittlung von Informationen unheilige Allianzen einiger Gruppen auf Kosten der anderen nicht ausgeschlossen79 , da nicht ausgeschlossen werden kann, daß sich verschiedene Verbände zur Verfolgung ihrer Interessen auf die Vermittlung bestimmter Informationen einigen. Immerhin könnte man den Wirtschaftsrat so ausstatten und organi­ sieren, daß die gewünschten Informationen der jeweils darum nach­ suchenden staatlichen Stelle zugänglich gemacht werden. Aller Voraus­ sicht nach ist aber der damit verbundene organisatorische und zeitliche Aufwand weit größer als er bei direkten Kontakten zwischen den ge­ setzgebenden Organen und einzelnen Verbänden wäre. 2. Interessenausgleich Voraussetzung für die Möglichkeit eines Interessenausgleichs ist zu­ nächst, daß der Rat als Vertretungsorgan für alle organisierten Interes­ sen gelten kann80 • Damit sind zwei Probleme angesprochen: einmal geht es um die Frage, wieviele bzw. welche Verbände im Rat vertreten sein sollen, zum anderen muß ein Schlüssel für die Gewichtung der einzelnen Verbände gefunden werden, d. h. es müssen Kriterien dafür entwickelt werden, wieviele Vertreter den einzelnen Verbänden in diesem Gremium zustehen. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, daß 76 Zwischen der Informationsfunktion und der Anzahl der Mitglieder des Rates besteht ein Zusammenhang, vgl. dazu im einzelnen Dieter Sperling (Fn. 51), S. 286. 77 Berechtigte Zweifel bei Rudolf Steinberg (Fn. 63), S. 842. 78 So z. B. im Wirtschafts- und Sozialausschuß der EWG und der Euratom, vgl. dazu Dieter Sperling (Fn. 51), S. 290. 79 Dies ist vor allem die Befürchtung von H. St. Seidenfus (Fn. 57), S. 28. 80 Dies gilt sowohl für den Interessenausgleich der Verbände untereinander als auch mit dem Staat, vgl. dazu Brun-Otto Bryde (Fn. 71), S. 126 ff.

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

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eine bestimmte zahlenmäßige Größenordnung für die Zusammenset­ zung des BWSR nicht überschritten werden darf, will man nicht eine totale Verlagerung der Arbeit vom Plenum auf die Ausschüsse be­ wirken, mit der unvermeidlichen Folge, daß die Repräsentativität der Empfehlungen leidet und der Zeitaufwand wächst. Es ist unmöglich, alle Verbände bei der Zusammensetzung des Rates zu berücksichtigen. Die Gesamtzahl der Verbände in der BRD beläuft sich auf ca. 6000. Selbst wenn man nur die Verbände berücksichtigen wollte, die sich in die öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertreter eintragen ließen, verbleibt eine Zahl von weit über 600 Verbänden. Dabei sind alle regionalen Verbände, deren Interessen auf überregionaler Basis vertreten werden, bereits ausgeschieden. Selbst wenn man jedem dieser überregional bedeut­ samen Verbände nur einen Sitz einräumen würde, würde ein Gremium entstehen, das bereits von seiner Größe her kaum arbeitsfähig wäre. Bei dieser Rechnung wird zudem davon ausgegangen, daß die Ver­ bandsstruktur mindestens zeitweise statisch ist. Diese Voraussetzung ist unrichtig. Das Verbandssystem ist dynamisch. Ständig entstehen neue Verbände; alte lösen sich auf oder bilden sich um. Wenn der Wirt­ schaftsrat deshalb ein Spiegelbild der Verbände sein soll, müßte er so konstruiert sein, daß er auf die sich im Fluß befindliche Verbandstruk­ tur reagieren kann81 , s2. Bei allen bisher realisierten Wirtschaftsräten war die Zusammen­ setzung immer ein besonders umstrittener Punkt, wobei trotz oder gerade wegen ausgeklügelter Regelungen im allgemeinen eine hohe Gesamtzahl nicht zu vermeiden war83 • Es sind allerdings Modelle ent­ wickelt worden, die eine möglichst umfassende Berücksichtigung aller Verbände bei gleichzeitiger Begrenzung der Mitgliederzahl ermöglichen sollen. Gedacht ist hier z. B. an die Aufteilung zwischen Verbänden, die ständige Vertreter entsenden dürfen, und solchen, denen nicht­ ständige Vertreter zuerkannt werden84 • Das Problem der „richtigen" Zusammensetzung des Wirtschaftsrates spielte aber immer eine große Rolle und ist bisher nirgends in unkontroverser Weise gelöst worden85 • 81 Es soll freilich nicht bestritten werden, daß es auch in der Verbands­ gesellschaft einige nahezu konstante Gebilde gibt, z. B. die Gewerkschaften, die Arbeitgeberverbände etc. 82 Lediglich im Gesetzentwurf für den „endgültigen" Reichswirtschaftsrat und im französischen CE von 1936 finden sich Verfahren für die Überprüfung der Sitzverteilung, vgl. Dieter Sperling (Fn. 51), S. 285. 83 Vorläufiger Reichswirtschaftsrat 325 Mitglieder ; Conseil Economique et Social 205; Wirtschafts- und Sozialausschuß 144; allerdings kommt z. B. der Sozial-ökonomische Rat in den Niederlanden mit 45 Mitgliedern aus. 'T4"""Vgl. z. B. den diesbezüglichen Vorschlag von Heribert Blens (Fn. 58), s. 63. 85 Vgl. Dieter Sperling (Fn. 51), S. 285.

164 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) Wenn das Problem der Repräsentation der verschiedenen Interessen im Rat nicht zufriedenstellend gelöst werden kann, ist die Wahrscheinlich­ keit von direkten Kontakten zwischen staatlichen Organen und nicht im Rat vertretenen Verbänden groß. Neben der „richtigen" Zusammensetzung des Bundeswirtschaftsrates wird auch seine demokratische Legitimation gefordert86 • Die Forderung nach demokratischer Legitimation kann zweierlei bedeuten : die Über­ tragung der Demokratieforderungen des staatlichen Bereichs im enge­ ren Sinne auf den Wirtschaftsrat oder das Erfordernis innerverband­ licher Demokratie. Die Übertragung der Demokratieerfordernisse des staatlichen Be­ reichs würde die allgemeine Wahl der Mitglieder des BWSR voraus­ setzen. Das wäre technisch nicht unbedingt undurchführbar, wie die sog. Sozialwahlen im Bereich der Sozialversicherung beweisen; aller­ dings wäre eine Reihe schwieriger organisatorischer Fragen zu lösen. Entscheidend ist aber, daß damit ein nach Interessen besetztes Gre­ mium nach Spielregeln gebildet würde, die für diesen Bereich nicht angemessen sind, es sei denn, man betrachte den Wirtschaftsrat als zweite Kammer. Als solcher ist er aber in einer parlamentarischen Demokratie nicht vertretbar. Ein aus allgemeinen Wahlen hervorge­ gangenes Wirtschafts- und Sozialparlament neben dem Bundestag kann deshalb mit der Forderung nach demokratischer Legitimation der Rats­ mitglieder nicht gemeint sein. Es verbleibt das Postulat nach inner­ verbandlicher Demokratie in dem Sinne, daß die Vertreter im Rat befugt sein müssen, für ihre Verbandsmitglieder zu sprechen. Dies ist aber Voraussetzung für jede Verbandsbeteiligung überhaupt. Das Problem der Gewichtung der Verbände hängt eng zusammen mit der Frage des zwischenverbandlichen Interessenausgleiches, zu dem der BWSR nach Auffassung seiner Befürworter gelangen soll8 7 • Im Gesetz­ gebungsverfahren darf es aber nicht zu einem zwischenverbandlichen Interessenausgleich ohne Mitwirkung des Staates kommen. Die Verbände sollen die Möglichkeit haben, ihre Interessen in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen, da ein Gesetzentwurf immer über Interessen entscheidet und notwendigerweise einen Kompromiß darstellt. Die Entscheidung darüber, wie dieser Kompromiß aussehen soll, muß aber in einer parlamentarischen Demokratie dem Parlament der gewählten Volksvertreter verbleiben88 • Wenn die Funktion des Interessenausgleichs in einem Wirtschaftsrat so aufzufassen ist, daß es Vgl. z. B. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 206 f. Vgl. dazu Brun-Otto Bryde (Fn. 71), S. 126 ff. 88 Vgl. dazu Kurt Biedenkopf, Ordnungspolitische Probleme der neuen Wirtschaftspolitik, in : Jahrbuch für Sozialwissenschaft, 1968 (19), S. 308 ff., 325. 86

87

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

165

zu einheitlichen Stellungnahmen gegenüber den gesetzgebenden Or­ ganen kommt, ist eine Interessenabwägung durch diese Organe vielfach nicht mehr möglich. Ganz automatisch würde der Rat dann eine Herr­ schaftsfunktion erhalten, die ihm nicht zukommen kann. Über die widerstreitenden Interessen müssen die Parlamentarier entscheiden; ist aber eine Interessenabwägung bereits durch die Verbände erfolgt, werden die zugrundeliegenden Interessenkonflikte gar nicht mehr deutlich. Aufgabe eines Wirtschaftsrates dürfte deshalb nur die Sammlung und Aufbereitung der Interessenstandpunkte sein, nicht aber der Ver­ such, zu einer einheitlichen Stellungnahme zu kommen89 • Daraus ergibt sich aber, daß Schwierigkeiten, die der Erarbeitung einheitlicher Stel­ lungnahmen üblicherweise entgegenstehen, gerade nicht als Argument gegen die Wirksamkeit eines BWSR herangezogen werden können90 • Wenn man im übrigen weiß, wie solche einheitlichen Stellungnahmen zustandekommen können, sei es durch Einigung auf den kleinsten ge­ meinsamen Nenner, sei es durch die Bildung unheiliger Allianzen, wird die Fragwürdigkeit eines solchen Vorgehens besonders deutlich. Ein Verzicht auf das Erfordernis des verbandlichen Interessenaus­ gleiches löst auch die immer wieder aufgeworfene Frage nach den Mehrheitsentscheidungen und der Zulässigkeit von Minderheitsvoten. Zwar kommt es in der Praxis der heute bestehenden Wirtschaftsräte in der Regel nicht zu Mehrheitsentscheiden, da alle Gruppen um die grö­ ßere Durchschlagskraft eines einmütigen Votums wissen, die, soweit irgend möglich, nicht durch abweichende Stellungnahmen verwässert werden soll ; gerade die darin liegende Machtausübung kann aber nicht hingenommen werden91 • Vielmehr kann es nur Aufgabe eines BWSR sein, die zu bestimmten Sachfragen in ihm vertretenen Interessen auf­ zuspüren, zu sammeln und übersichtlich darzustellen. Wie der Interes­ senausgleich im einzelnen zu erfolgen hat, muß den parlamentarischen Instanzen überlassen bleiben. Wenn der Zwang zum Interessenaus­ gleich von den Mitgliedern des BWSR weggenommen ist, wird auch das Problem der Gewichtung der Verbände bei der Zusammensetzung ent­ schärft. Die Bedeutung der vorgetragenen Interessenstandpunkte hängt dann nicht von der Anzahl der Vertreter im Rat ab 92 • 89 Hans Dichgans (Fn. 66), S. 81, verlangt zu Recht, daß strittig gebliebene Fragen an das Parlament gehen müßten. 90 So aber H. St. Seidenfus (Fn. 57), S. 19. 91 Hans Dichgans (Fn. 66), S. 81 hält eine Einigung im BWSR für eine „ideale Lösung, die weit öfter erreicht wird, als man meint". Ob diese Lösung immer „ideal" genannt werden kann, muß bezweifelt werden. 92 Dabei wird dann freilich eine Rolle spielen, von welchen Verbänden die Stellungnahmen ausgehen ; auf das Gewicht der Gruppe, nicht der Zahl der Delegierten, weist zu Recht Hans Dichgans (Fn. 66), S. 82, hin.

166 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) Gegen eine Interessenausgleichsfunktion eines BWSR ist grundsätz­ lich auch anzuführen, daß nicht alle Interessen im BWSR vertreten sind. Bei der großen Bedeutung, die einem einheitlichen Verbands­ votum praktisch zukommt, besteht damit eine gewisse Wahrscheinlich­ keit, daß nicht vertretene Interessen bei der endgültigen Entscheidung vernachlässigt werden, um den zwischenverbandlichen Kompromiß nicht zu gefährden93 • Auch dies läßt die Möglichkeit verfälschter Ent­ scheidungen befürchten. Mit diesen Vorbehalten soll ein zwischenverbandlicher Interessen­ ausgleich nicht grundsätzlich negativ bewertet werden. Es darf nur nicht in Fragen der Gesetzgebung zu einem Interessenausgleich der Verbände gegen den Staat kommen; vielmehr muß hier mit den staat­ lichen Organen der Ausgleich gesucht werden, wobei die Entscheidung dem Staat vorbehalten bleibt. Dies ist der Weg, den die Konzertierte Aktion zu gehen versucht, wenn unter wesentlicher Mitwirkung des Staates ein gemeinsames aufeinander abgestimmtes Verhalten ange­ strebt wird. Daß der dabei inganggesetzte Dialog mindestens in Be­ reichen, in denen keine grundsätzlichen Differenzen bestehen, auch zu einem Ausgleich der Interessen führen kann, ist zu begrüßen und be­ wirkt keine Verschiebung in der Gewaltenaufteilung zuungunsten des Staates. In der Möglichkeit eines zwischenverbandlichen Interessenausgleichs ohne Mitwirkung des Staates liegt aber das Hauptbedenken, das Geg­ ner eines BWSR vortragen. Sie befürchten ein übergroßes politisches Eigengewicht, das einer solchen Einrichtung zwangsläufig zukäme94• Seidenfus hat dies als die Herrschaftsfunktion eines Bundeswirtschafts­ rates bezeichnet96 • Selbst wenn dem Wirtschaftsrat nur die Beratungsfunktion zuge­ wiesen wird, die ihm legitimerweise allein zukommen könnte96 , ist nicht auszuschließen, daß die Entscheidungsträger seinem Rat und seinen Stellungnahmen eine größere Bedeutung beimessen als zulässig ist. Dies liegt daran, daß die Wirkungen eines Gesamtorgans stärker sind als die seiner einzelnen Mitglieder. Die Gefahr liegt also nicht in erster Linie darin, daß derjenige, der über Informationen verfügt, damit immer zugleich auch die Entscheidung beeinflußt. Sie ist viel­ mehr darin begründet, daß sich der Entscheidungsträger von den 98 Demgegenüber meint Hans Apel (Fn. 72), S. 171, daß in einem Wirt­ schaftsrat gerade die Schwächeren zu Wort kommen könnten ; Apel geht folgerichtig von häufigen Minderheitsvoten aus. 94 Vgl. z. B. WiHi Thiele, Reichswirtschaftsrat - Konzertierte Aktion Bundeswirtschafts- und Sozialrat?, in : DVBl. 1970, S. 531. 9 6 Vgl. H. St. Seidenfus (Fn. 57), S. 288. 98 Dies betonen zu Recht z. B. Hans Apel (Fn. 72), S. 171 ; Hans Dichgans

(Fn. 66), S. 81.

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

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Äußerungen eines Organs, das für alle Verbände spricht, mehr beein­ drucken lassen könnte, als von Äußerungen einzelner Verbände. Neben der Gefahr für die Entscheidungsfreiheit der staatlichen Organe liegt in diesem Tatbestand auch die Möglichkeit der Benachteiligung der nicht im Wirtschaftsrat vertretenen Interessen. Bei der großen Bedeu­ tung, die man dem Wirtschaftsrat zuschreiben wird, werden dort nicht berücksichtigte Interessen kaum mehr die Chance haben, sich auf an­ dere Weise Gehör zu verschaffen. Das hier beschriebene besondere politische Gewicht eines Bundes­ wirtschaftsrates könnte sich unabhängig davon entwickeln, welche Rechte und Kompetenzen man diesem Gremium einräumen würde und wie der rechtliche Status seiner Mitglieder aussähe. Je nach Ausgestal­ tung steigt aber die Gefahr, daß der Wirtschaftsrat zu einem Wirt­ schaftsparlament wird oder sich dafür hält bzw. von den staatlichen Organen und der Öffentlichkeit als solches angesehen wird. Dabei ist zunächst darauf zu verweisen, daß Gremien dieser Art leicht parlamentsähnliche Züge annehmen97 • Dies liegt wohl vor allem daran, daß mangels geeigneter anderer Vorbilder Geschäftsordnung und organisatorischer Aufbau vom Parlament übernommen werden, wie dies z. B. beim Vorläufigen Reichswirtschaftsrat der Fall war. Diese Tendenz wurde noch dadurch verstärkt, daß seine Mitglieder mit einem freien Mandat ausgestattet wurden. Dieser, den Parlamentsabgeord­ neten nachempfundene Status, der z. B. auch den Vertretern im Wirt­ schafts- und Sozialausschuß der EWG eingeräumt ist, ist mit den Auf­ gaben, die dem Wirtschaftsrat als institutionalisierte Verbandsbeteili­ gung an der Gesetzgebung zugewiesen sind, nicht zu vereinbaren. Da­ durch könnte zwar auf die Sachverständigenfunktion, auf die Pflicht zur objektiven Information, der Ratsvertreter hingewiesen werden. Dabei würde aber übersehen, daß es nicht nur um die Erlangung sach­ verständiger Informationen geht, sondern auch um die Bewertung von Sachverhalten aus der Sicht der Verbände. Es muß deshalb gewähr­ leistet sein, daß die Verbandsvertreter im Rat tatsächlich die Ver­ bandsinteressen vertreten. Deshalb ist eine Anbindung der Vertreter an ihren Verband selbstverständlich. Dazu bedarf es nicht der aus­ drücklichen Statuierung des imperativen Mandats, sondern lediglich eines Verzichts auf das freie Mandat. Die Festlegung des Verhand­ lungsspielraumes der einzelnen Ratsvertreter ist Sache der Verbände selbst. Die Vorsorge dagegen, daß von den Vertretern im Rat unrichtige Informationen gegeben werden, muß auf andere Weise sichergestellt werden. Auch Rechte, die über die Beratungsfunktion hinausgehen, sind ge­ eignet, die Tendenz zum Wirtschaftsparlament zu fördern. Dazu ge97 Vgl. Dieter Sperling (Fn. 51),. S. 288 . . .

168 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) hören insbesondere das Recht der Gesetzesinitiative und Auskunfts­ ansprüche gegenüber Regierung und Verwaltung. Das Recht zur Gesetzesinitiative eines Wirtschaftsrates wird von eini­ gen Autoren, die einen Wirtschaftsrat befürworten, für absolut notwen­ dig gehalten98 • Eine solche Auffassung übersieht aber, daß damit die Grenze der legitimen Mitwirkungsbefugnis der Verbände an der Ge­ setzgebung überschritten wird. Damit würde das Verhältnis Staat­ Verbände in diesem Bereich teilweise umgekehrt. Während es sonst darum geht, daß die Verbände zu Vorlagen, Entwürfen oder Proj ekten staatlicher Organe Stellung nehmen, wäre es jetzt so, daß das Gesetz­ gebungsverfahren von den Verbänden inganggesetzt werden könnte und damit das Parlament zur Verhandlung und Entscheidung gezwun­ gen würde. Auch wenn die Entscheidung über die Initiative der Ver­ bände formell beim Parlament verbliebe, wäre doch eine Einengung der Gestaltungsfreiheit des Parlaments zu befürchten. Dabei muß man auch entfernter liegende Möglichkeiten in Betracht ziehen, die sich aus einer solchen Regelung ergeben können. So könnte ein Wirtschaftsrat seine Hauptbetätigung in der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen sehen und darüber die Beratungsfunktion hintansetzen. Mangels zureichender Informationen wären dann die staatlichen, zur Gesetzgebung legiti­ mierten Organe in vielen Bereichen kaum in der Lage eigene, sachlich fundierte, Gesetzentwürfe vorzulegen. Bei dem entscheidenden Ge­ wicht, das einem vorgelegten Entwurf beikommt, würden weite Ge­ biete der Gesetzgebung vom Wirtschaftsrat bestimmt. Die Arbeit der staatlichen Organe könnte dadurch ausgehöhlt werden. Das Gesetzesinitiativrecht eines Bundeswirtschaftsrates, das ohnehin nur über eine Änderung des Grundgesetzes eingeführt werden könnte, würde in unserem System einen Bruch darstellen99 • Es ließe sich keines­ falls mit einer Gesetzesinitiative durch Volksbegehren vergleichen, die im Grundgesetz nur im Verfahren nach Art. 29 GG vorgesehen ist. Bei einem Gesetz, das nach einem Volksentscheid ergeht, handelt es sich darum, daß der Souverain anstelle der ihn repräsentierenden Organe selbst entscheidet. Eine solche Direkt-Kompetenz des Souverains kann vorgesehen werden, ohne das demokratische Prinzip in Frage zu stel­ len. Ein Bundeswirtschaftsrat aber ist weder der Souverain, noch repräsentiert er ihn. Er ist nicht der Souverain, weil er eine Vertreterversammlung dar­ stellt, die keinesfalls alle Interessen erfaßt. Er repräsentiert ihn aber 98 Vgl. z. B. Ludger AnseZm VersteyZ (Fn. 13), S. 207, sowie die Autoren des DGB-Entwurfs. 89 Peter Badura (Fn. 69), S. 264 meint, daß die „quasi-parlamentarische Repräsentation der organisierten Interessen der Wirtschaft in einem „Bun­ deswirtschaftsrat" . . . zu den Grundsätzen der parlamentarischen Demokratie in einen gewissen Widerspruch" treten würde.

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

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auch nicht, weil dem Rat keine demokratische Legitimation zukommt, für den Souverain zu sprechen. Er ist kein Bundestag auf wirtschaft­ lichem oder sozialem Gebiet. Selbst die innerverbandliche Demokratie vermag nicht darüber hinwegzuhelfen, daß in einem Wirtschaftsrat weder alle Gruppen erfaßt sind, noch daß die Gruppen mitgliedermäßig exakt abgrenzbar sind 100 , noch daß es eine ausgewogene Aufteilung der Sitze im Rat gibt. Jedes Ratsmitglied vertritt nur seine Verbands­ mitglieder; nur darauf erstreckt sich auch die demokratische Legitima­ tion. Die Summierung der Verbandsvertreter schafft keine Grundlage dafür, die Repräsentation des gesamten Volkes in funktioneller Hin­ sicht anzunehmen. Eine Mitentscheidungsbefugnis des Bundeswirt­ schaftsrates, gleich welcher Art, läßt sich demnach mit dem demokra­ tischen Prinzip, wie es im Grundgesetz verwirklicht ist, nicht verein­ baren. Neben diesen grundsätzlichen Bedenken gegenüber der Einräumung des Rechts zur Gesetzesinitiative an den Bundeswirtschaftsrat ist aber auch aus anderen Gründen keine Notwendigkeit für eine solche Maß­ nahme ersichtlich. Dabei ist davon auszugehen, daß auch nach derzei­ tigem Rechtszustand alle Verbände die Möglichkeit haben, eine be­ stimmte Gesetzgebung anzuregen; diese Möglichkeit ist letztlich durch das Petitionsrecht grundrechtlich abgesichert 101 • Tatsächlich gehen viele Gesetze auf Anregungen von Verbänden zurück. Nur ist es derzeit not­ wendig, daß die Verbandsanregung von einem zur Gesetzesinitiative berechtigten Staatsorgan aufgenommen wird. Die Bundesregierung, Bundestagsabgeordnete oder der Bundesrat müssen also den Vorschlag übernehmen und als eigenen einbringen. Auf diese Weise ist doch be­ reits ein erster Filter vorhanden ; denn Anregungen der Verbände, für die sie keine Unterstützung bei einem Initiativberechtigten finden, kommen erst gar nicht in das Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag wird dadurch bereits vorgeprüft und auf seine „Gemeinverträglichkeit" hin untersucht. Nur ein solches Verfahren ist der Stellung der Ver­ bände zur Gesetzgebung angemessen, zumal es sie in keiner Weise ein­ schränkt. Denn die personelle Verflechtung zwischen Verbänden und staatlichen Organen wie die Bedeutung der Verbände führen dazu, daß ihre Anregungen nicht ungeprüft beiseite geschoben werden. Dies gilt vor allem für Vorschläge einflußreicher Verbände, wie Gewerk­ schaften, Arbeitgeber- oder Bauernverbände. Die Chance eines unbe­ deutenden Verbandes, mit seinem Anliegen durchzudringen, ist ohne Zweifel wesentlich geringer; sie würde sich aber über den Umweg des Gesetzesinitiativrechtes des Bundeswirtschaftsrates nicht vergrößern. Problem der Mehrfachmitgliedschaften. Mit der Petition kann auch der Erlaß eines Gesetzes erbeten werden, vgl. Hermann von Mangoldt und Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, Band I, 2. Aufl., unveränderter Nachdruck 1966, Anm. III, zu Art... 17, S. 510; 100

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170 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) Für ein Recht zur Gesetzesinitiative des Wirtschaftsrates könnte sprechen, daß damit Urheberschaft und Verantwortung der Verbände für einen Gesetzentwurf deutlich gemacht würde102 • Mit dieser Begrün­ dung allein kann aber das Gesetzesinitiativrecht des Wirtschaftsrates nicht gebilligt werden. Es sollte vielmehr selbstverständlich sein, daß ein Initiativberechtigter, der einen Vorschlag von Verbänden zu einem Gesetzentwurf aufgreift, dafür die Verantwortung übernimmt; zugleich müßte er aber der Klarheit halber bei der Begründung des Entwurfs angeben, ob, bzw. von welchen Verbänden der Anstoß zu der Vorlage ausgegangen ist 103 • Da die formelle Verantwortung für ein Gesetz ohne­ hin bei demjenigen liegt, der es verabschiedet, wäre mit der Kenn­ zeichnung der geistigen Urheberschaft das Notwendige getan. Dies müßte gegebenenfalls durch geeignete Regelungen vorgeschrieben werden. Ein deutlicher Vorbehalt ist auch gegenüber Auskunftsrechten zu machen, die dem Wirtschaftsrat gegen Regierung und Verwaltung zu­ stehen sollen. Hierbei sind allerdings Unt�rschiede zu beachten: sofern die Auskunftsrechte lediglich in Zusammenhang stehen mit den Ent­ würfen, zu denen die staatlichen Organe die Verbände um Information und Stellungnahme bitten, sind sie anders zu beurteilen als ein gene­ relles Auskunfts- und Zitierrecht. Wenn den Verbänden ein Gesetzentwurf zur Stellungnahme zugeht, brauchen sie alle Auskünfte, die erforderlich sind, um den Entwurf beurteilen und ihrerseits zusätzliche Hinweise geben zu können. Dies gilt für Einzelstellungnahmen der Verbände ebenso wie für einen Bundeswirtschaftsrat. Die Bundesregierung müßte deshalb dem Bun­ deswirtschaftsrat die Auskünfte erteilen, die dieser zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt 104 ; dies gilt auch für alle anderen staatlichen Stellen, welche die Verbände an der Gesetzgebung beteiligen. Eine solche Handhabung liegt im Interesse der staatlichen Organe, da sie nur auf diese Weise zu brauchbaren Informationen kommen und die Mitarbeit der Verbände von der zureichenden Auskunftserteilung ab­ hängen wird. Man kann daher von einer Verpflichtung des Staates zur Auskunftserteilung sprechen. Dieser Verpflichtung des Staates darf aber kein Recht der Verbände auf Auskunftserteilung entsprechen105 • Dadurch würde den Verbänden ein Einfluß auf das Gesetzgebungs­ verfahren eingeräumt, der ihnen nicht zukommt. So wohl Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 207 f. In ähnlichem Sinne vgl. Jacques Michel Grossen, L'organisation des travaux preliminaires de legislation, in : ZSR NF 93 (1974), II. Halbband, Heft 1, S. 349 ff., 368. 104 Vgl. die Formulierung des § 17 des Dichgans-Entwurfs; dazu u. S. 180. 105 Zu Recht beschränkt sich der Dichgans-Entwurf deshalb auf eine dekla­ ratorische Formulierung. 102

103

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

171

Dies wird besonders deutlich, wenn man dem Wirtschaftsrat auch un­ abhängig von konkreten anstehenden Gesetzesvorhaben Auskunfts­ rechte gegen die Bundesregierung oder obere Bundesbehörden ein­ räumen würde, vor allem in Verbindung mit Zitierrechten106 • Abge­ sehen davon, daß selbst das Zitierrecht des Parlaments eine ausdrück­ liche grundgesetzliche Regelung erfahren hat, Art. 43 Abs. 1 GG, und ein diesbezügliches Recht des Wirtschaftsrates gleichfalls ohne Grund­ gesetzänderung nicht eingeführt werden könnte, würde mit einer sol­ chen Regelung weit über das Ziel einer institutionalisierten Verbands­ beteiligung an der Gesetzgebung hinausgeschossen. Der Wirtschaftsrat könnte auf diese Weise zum Kontrollorgan der Regierung werden und damit in eine Position hineinwachsen, die dem Parlament zusteht. Wegen der großen Sachkenntnis in wirtschaftlichen Fragen würde sich die Verantwortung der Regierung gegenüber dem Parlament zu einer Verantwortung gegenüber dem Wirtschaftsrat verschieben können 107 • Eine Aushöhlung des Parlaments könnte die Folge sein. Es muß betont werden, daß alle bisherigen Erfahrungen mit Wirt­ schaftsräten gegen die Befürchtung eines übergroßen politischen Eigen­ gewichts sprechen 108 • Allerdings kann die theoretische Möglichkeit einer Machtverschiebung auf den BWSR nicht geleugnet werden. 3. Offenlegung

Die Offenlegung der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung könnte durch einen Wirtschaftsrat hergestellt werden. Es erscheint ein­ leuchtend, daß hier die Öffentlichkeit über öffentliche Plenar- und Ausschußsitzungen am leichtesten zu gewährleisten sein müßte. Dies steht freilich unter der Voraussetzung, daß sich alle Kontakte über den Wirtschaftsrat abwickeln. Angesichts der Verbandsmitgliedschaft von Beamten und Abgeordneten kann auch hier immer nur eine Teilpubli­ zität erreicht werden. Diese ist insgesamt kaum größer als die Publizi­ tät, die durch institutionalisierte Einzelbeteiligungsregelungen zu er­ reichen wäre. Zu Recht wird deshalb vor übertriebenen Erwartungen gegenüber der Publizitätsfunktion eines Wirtschaftsrates gewarnt 109 • 4. Praktische Erfahrungen mit Wirtschaftsräten

Bisher sind die möglichen Vor- und Nachteile eines einheitlichen Beteiligungsorgans der Verbände in Form eines BundeswirtschaftsDies sieht Nr. 15 der Gewerkschaftskonzeption vor. In diese Richtung gehen die Bedenken Manfred Ludas (Fn. 70) ; ebenso Willi Thiele (Fn. 59) . 106 s. u. s. 172. 109 Vgl. z. B. Rudolf Steinb erg (Fn. 63) , S. 842 f. 106

107

172 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) und Sozialrates mehr oder weniger abstrakt, d. h. ohne Bezugnahme auf praktische Erfahrungen mit Wirtschaftsräten, dargestellt worden. Zieht man die praktischen Erfahrungen heran, kann man feststellen, daß die Erwartungen, die an einen Wirtschaftsrat als Organ der insti­ tutionalisierten Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung gestellt wur­ den, nur im Ausnahmefall erfüllt wurden110 • Vor allem ist es praktisch nie gelungen, den Rat zum einzigen Beteiligungsorgan zu machen. Vielmehr blieben direkte Kontakte zwischen den gesetzesvorbereiten­ den staatlichen Stellen und einzelnen Verbänden bestehen1 1 1 • Zwar wird nicht abgestritten, daß die Gutachten und Stellungnahmen der Wirtschaftsräte durchweg von hoher Qualität sind 112 ; andererseits er­ fordern sie einen erheblichen Zeitaufwand 113 • Die Schwerfälligkeit der meisten Wirtschaftsräte macht ein rasches Reagieren sehr schwierig. Im übrigen führt das Problem der Zusammensetzung des Rates allent­ halben zu Schwierigkeiten. Andererseits wird die Publizität der Ver­ bandseinflüsse auf die Gesetzgebung durch den Wirtschaftsrat nicht im erhofften Maße hergestellt. In keinem Fall hat aber ein Wirtschaftsrat bisher zu einer Aushöh­ lung staatlicher Organe geführt. Vielmehr wird in der Regel die man­ gelnde Wirksamkeit von Wirtschaftsräten konstatiert. ,,In conclusion, I believe the real danger of such councils is not that they will streng­ then pressure groups, but that they may not work114 . " Diesem 1958 ge­ troffenen Urteil ist nach wie vor beizupflichten. Gegenüber diesen Erfahrungen, die durch umfangreiche verglei­ chende Untersuchungen belegt sind 115 , kann man freilich einwenden, daß es doch erst in einem Versuch möglich sei festzustellen, ob nicht 110 Vgl. die günstige Beurteilung des niederländischen Sozial-ökonomi­ schen Rates ; dazu Marita Estor, Der Sozial-ökonomische Rat der nieder­ ländlichen Wirtschaft, 1965, S. 180 ff. ; Hubertus L. Jansen, Die Wirtschafts­ demokratie nach dem Modell der Niederlande, in : Demokratie und Mit­ bestimmung, 1970, S. 181 ff. 111 Für den CES in Frankreich vgl. z. B. Jean Meynaud, Nouvelles etudes sur les groupes de pression en France ; 1962, S. 238 ; auch der Vorläufige Reichswirtschaftsrat konnte direkte Kontakte zwischen Verbänden und der Ministerialverwaltung nicht ausschalten ; die Gemeinsame Geschäftsordnung der Reichsministerien - Besonderer Teil, die die Beteiligung der Fachkreise regelte, ist bezeichnenderweise während des Bestehens des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates zustande gekommen. 112 Für die französischen Wirtschaftsräte vgl. z. B. Rolf Geberth (Fn. 57), S. 117 ff. ; für den Vorläufigen Reichswirtschaftsrat s. Walter Strauß (Fn. 52), S. 59 ; Günter Papperitz (Fn. 52), S. 73. 11 3 Vgl. zum Zeitfaktor die Bedenken Werner Grussendorfs, in : H. St. Seidenfus (Fn. 57), S. 53. 11 4 So Francesco Vito, in : Henry W. Ehrmann (Hrsg.), Interest groups on four continents, 1958, S. 276. m Vgl. Dieter Sperling (Fn. 51), S. 282 ff.

II. Der BWSR als Beteiligungsorgan der Verbände

173

gerade in der Bundesrepublik Deutschland die Verhältnisse für einen Wirtschafts- und Sozialrat günstig seien 116 • Dabei wird von einigen auf den Bayerischen Senat verwiesen, der ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit eines mit Verbandsvertretern be­ setzten Organs abgebe 117 • Der Bayerische Senat hat das Recht der Ge­ setzesinitiative; er begutachtet die Gesetzesvorlagen der Staatsregie­ rung 118 und kann Einwendungen gegen die vom Landtag beschlossenen Gesetze erheben 11 9 • In der Literatur ist unbestritten, daß vor allem Änderungsvorschläge des Bayerischen Senats an der ihm zugeleiteten Gesetzgebung häufig Berücksichtigung finden120 • Die insgesamt positive Beurteilung könnte an die Übertragung dieses Modells auf die Bundes­ republik denken lassen. Gegen die Übertragbarkeit dieses Modells auf die Bundesrepublik sprechen aber zwei Gründe: einmal ist der Senat nach seinem tatsäch­ lichen Erscheinungsbild kein Wirtschaftsrat. Zwar sind in ihm die Repräsentanten großer Verbände vertreten, aber die durchschnittlich langdauernde Mitgliedschaft eines jeden einzelnen, sowie das Bemühen um äußerste Objektivität, verbunden mit einem freien Mandat, lassen den Senat eher als einen Rat der Weisen, als ein Honoratiorenparla­ ment, erscheinen12 1 denn als Organ organisierter Interessen. Die Ver­ tretung von Interessenstandpunkten in den Sitzungen des Senats ent­ spricht nicht den Usancen122 • Zum anderen aber ist die relativ günstige Beurteilung der Arbeit des Bayerischen Senates auch von der Zuständigkeit der Länder in der Gesetzgebung bestimmt. Denn gerade für die Wirtschaftsgesetzgebung, bei der die meisten Kontroversen zu erwarten wären, sind die Länder nicht zuständig 123 • Damit ist aber gerade der Bereich für die Arbeit des Senates ausgeklammert, der bei einem Bundeswirtschafts- und Sozial­ rat den Hauptgegenstand bilden würde. 116 So auch H. .St. Seidenfus (Fn. 57), S. 46, der aber auch auf die möglichen Nachteile hinweist. 117 Vgl. z. B. Günter Dürig, in : VVDStRL 24, S. 79 f. 118 Seit 1958 besteht die Übung, den Senat auch zur Begutachtung von Ge­ setzesinitiativen aus der Mitte des Landtags zu ersuchen, vgl. Peter Corne­ lius Mayer-Tasch, Struktur- und Funktionsprobleme des Bayerischen Sena­ tes, in : PVS 1972, S. 71 ff., 80. 119 Zu den Rechten des Bayerischen Senates und ihrer Handhabung in der Praxis vgl. Peter Cornelius Mayer-Tasch (Fn. 1 1 8), S. 77 ff. 120 Vgl. Günter Dürig, in : VVDStRL 24, S. 79/80 ; Günther Küchenhoff, in : VVDStRL 24, S. 87, u. v. a. 121 Dem entspricht die Feststellung von Paui Wilhelm, Der Bayerische Se­ nat nach der Verfassung von 1946, 1963, S. 54, daß viele Senatoren keine Interessenvertreter sein wollen. 122 Vgl. dazu Peter Cornelius Mayer-Tasch (Fn. 1 1 8), S. 74 f. ; ebenso Gün­ ther Küchenhoff (Fn. 120), S. 89. 123 Darauf weist Hans F. Zacher, in : VVDStRL 24, S. 90, hin.

17 4 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) Es ist deshalb nicht möglich, von den Ergebnissen des Senates auf die Brauchbarkeit eines BWSR zu schließen. 5. Ergebnis

Nach dem bisher Ausgeführten kann es nicht ausgeschlossen werden, daß die Institutionalisierung der Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung auch von einem zentralen Verbändeorgan übernommen werden könnte. Es wäre ein Organ denkbar, das entweder einmalig oder auf den jeweiligen Stufen des Gesetzgebungsverfahrens seinen Sachver­ stand und die Interessen seiner Mitglieder den mit der Gesetzesvor­ bereitung betrauten staatlichen Stellen zukommen lassen könnte. Bis­ herige Erfahrungen mit vergleichbaren Einrichtungen haben aber ge­ zeigt, daß eine Konzentration der Verbandsbeteiligung an der Gesetz­ gebung auf ein zentrales Organ wenig erfolgversprechend ist; sowohl die Verbände wie die gesetzesvorbereitenden Staatsstellen ziehen Ein­ zelkontakte vor. Die mit einem solchen zentralen Organ zusammen­ hängenden organisatorischen Probleme sind schwer lösbar. Die mit der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung erstrebten Ziele lassen sich mit einem Wirtschaftsrat nicht so verwirklichen, daß seine Errichtung empfohlen werden könnte.

III. Die derzeit aktuellen Vorschläge für einen BWSR Die derzeitige Diskussion um einen BWSR ist durch die Vorstellun­ gen des DGB zur „Mitbestimmung im gesamtwirtschaftlichen Bereich" vom 3. März 1971, die das Projekt eines BWSR enthalten1 24 , sowie durch eine von Hans Dichgans u. a. in der 6. Legislaturperiode einge­ brachte Initiative „Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates" vom 16. August 1971 125 neu belebt worden. Die Vorstellungen der beiden Entwürfe über Zusammen­ setzung, Aufgaben und Rechte eines BWSR sollen im folgenden unter­ sucht werden. 1. Der DGB-Entwurf eines BWSR

Der Vorschlag des DGB für einen BWSR entspricht nicht den Auf­ gaben, die ein zentrales Beteiligungsorgan der Verbände zu erfüllen hätte. 124 Abgedruckt in : GM 1971, S. 569 ff. ; Das Mitbestimmungsgespräch 17 (1971), S. 70 ff. ; dabei handelt es sich um einen Beschluß des Bundesaus­ schusses des DGB. 125 ET-Drucksache VI/2514 ; da die Vorlage den Vorstellungen zahlreicher Parlamentarier aller Fraktionen entspricht - vgl. z. B. den Vorschlag Hans Apels (Fn. 72), S. 170 ff. - ist sie immer noch interessant, wenn sie auch in der laufenden Legislaturperiode noch nicht wieder eingebracht wurde.

III. Die derzeit aktuellen Vorschläge für einen BWSR

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a) Zusammensetzung Der DGB-Entwurf regelt die Zusammensetzung nach dem Grundsatz der Parität, Nr. 3 Abs. 4. Zum Rat gehören nur Mitglieder der Arbeit­ nehmer- und Unternehmerseite. Auf Repräsentanten des „öffentlichen Interesses" wird verzichtet, ,,weil dieses Interesse vorrangig in den parlamentarischen Gremien vertreten wird", Nr. 3 Abs. 4. Bereits die Zusammensetzung macht deutlich, daß es hier um ein Organ der über­ betrieblichen Mitbestimmung geht. Es sind keineswegs alle, sondern nur die Arbeitnehmer- bzw. Unternehmerinteressen vertreten. b) Aufgab en Zu den Aufgaben des BWSR gehören Stellungnahmen oder Gutach­ ten auf Verlangen der Bundesregierung oder der gesetzgebenden Kör­ perschaften. Außerdem soll der BWSR berechtigt sein, zu j eder Frage Stellung zu nehmen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fällt, und dabei insbesondere Gutachten über Gesetzentwürfe zu machen, wenn sie in den Ausschüssen des Bundestages beraten werden, und diese Gutachten durch Vertreter vor dem Bundestagsausschuß zu erläutern. Die Bundesregierung soll verpflichtet sein, dem BWSR rechtzeitig Ge­ legenheit zur Stellungnahme zu geben, wenn rechtliche Regelungen vorbereitet werden, die den Zuständigkeitsbereich des BWSR berüh­ ren, Nr. 16. Diese Aufgabenstellung umfaßt die Beteiligung an der Gesetzgebung. Mit Ausnahme des Rechtes, Gutachten vor den Bundestagsausschüssen erläutern zu lassen, was einen Eingriff in die Parlamentsautonomie darstellt, hält sich die Aufgabenstellung im zulässigen Rahmen. Auch die Verpflichtung der Bundesregierung, den BWSR rechtzeitig zu be­ teiligen, wäre durch einfaches Gesetz zu statuieren. c) Rechte Der BWSR soll das Recht zur Gesetzesinitiative haben; damit wird aber, wie oben ausgeführt, das ordnungspolitisch Vertretbare bei der Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung überschritten 126 • Um seine Aufgaben erfüllen zu können, soll der BWSR besondere Rechte haben, vor allem das Enqueterecht und das Auskunfts- und Zitierrecht gegenüber Bundesministern, Präsidenten von Bundesober­ behörden und Leitern von Anstalten und Körperschaften des öffent­ lichen Rechtes, Nr. 14, 15. Sowohl das Enqueterecht als auch das Auskunfts- und Zitierrecht gehen weit über das hinaus, was zur Beteiligung an der Gesetzgebung 128

Dazu auch Günter Triesch (Fn. 63), S. 538.

176 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) notwendig ist. Die Zielsetzung wird deutlich, wenn man die vorgese­ hene Regelung über Minderheitenrechte untersucht12 7. Danach sollen alle Rechte, die dem gesamten Wirtschaftsrat zustehen, auch einer qualifizierten Minderheit von etwa einem Drittel zugebilligt werden. ,,Im einzelnen handelt es sich dabei um das Recht, Sitzungen einzube­ rufen - auch Ausschußsitzungen -, das Recht, Enqueten einzuleiten und durchzuführen, staatliche Behörden zur Auskunft zu verpflichten, das Recht, Stellungnahmen abzugeben und Gutachten zu erstellen, das Recht der Gesetzesinitiative, das Recht abweichende Stellungnah­ men vor den legislativen Körperschaften zu vertreten, und das Recht, die abweichenden Stellungnahmen zu veröffentlichen", Nr. 18 Satz 2. Gerade bei einem paritätisch zusammengesetzten Arbeitnehmer/Un­ ternehmergremium erscheint die Statuierung von Minderheitenrechten nicht unbedingt notwendig, da durch die Parität der Zwang zur Eini­ gung eingeführt ist. Um eine Blockierung der Willensbildung zu ver­ meiden128, kann man zwar an eine Minderheitenklausel denken. Da ihre Anwendung aber nicht an den vorherigen (gescheiterten) Eini­ gungsversuch geknüpft ist, liegt die Vermutung nahe, daß in Zweifels­ fällen eine Konsensbildung gar nicht angestrebt wird129. Es soll damit auch ohne Beteiligung und gegen den Widerstand der anderen Hälfte des Rates möglich sein, Gesetzesinitiativen einzureichen130 und En­ queten durchzuführen. Hier geht es nicht nur um Beteiligung an der Gesetzgebung, sondern auch darum, ein politisches Druckinstrument zu haben. Der BWSR ist eben Organ der überbetrieblichen Mitbestim­ mung; darauf sind die ihm zugeschriebenen Rechte abgestimmt, die weit über das hinausgehen, was für die Beteiligung am Gesetzgebungs­ prozeß notwendig und zulässig ist. Daß ein so konzipierter BWSR nicht ohne Einfluß auf die Gewalten­ verteilung im Staat ist, wird besonders deutlich in Nr. 20 des DGB-Ent­ wurfs. Danach ist ein besonderer, aus Mitgliedern des Bundestages und des BWSR bestehender Vermittlungsausschuß anzurufen, wenn der BWSR initiativ wird und Bundesregierung oder gesetzgebende Körper­ schaften bestreiten, daß die betreffende Materie zum Aufgabenbereich des BWSR gehört. Gelingt keine Vermittlung, soll eine qualifizierte Bundestagsmehrheit den Konflikt endgültig entscheiden. Eine solche 127 Wilhelm Kaltenborn, Über die Notwendigkeit gesamtwirtschaftlicher Mitbestimmung, in : GM 1971, S. 521 ff., 534, setzt das Enqueterecht, sowie die Auskunfts- und Zitierrechte ausdrücklich in Zusammenhang mit der Minderheitsregelung. 128 Gegen das Prinzip der Parität deshalb Günter Triesch (Fn. 63), S. 539. 129 So auch Rudolf Steinberg (Fn. 63), S. 838. 130 Die politische Bedeutung des Initiativrechts für die Minderheit wird klar, wenn man bedenkt, das selbst Gesetzesinitiativen des Bundesrates mit Stimmenmehrheit beschlossen werden müssen, vgl. § 30 Abs. 1 GeschOBR, Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GG.

III. Die derzeit aktuellen Vorschläge für einen BWSR

177

Regelung muß von der Vorstellung ausgehen, daß der Bundestag oder die Bundesregierung irgendwie durch Initiativen des BWSR gebunden werden können; denn an sich ist eine solche Konfliktregelung überflüs­ sig. Wenn der Bundestag Initiativen des BWSR wegen Kompetenz­ überschreitung nicht für zulässig hält, kann er sie, wie jeden anderen Gesetzentwurf, zurückweisen. Aus der Aufnahme einer ausdrücklichen Regelung für den Konfliktfall geht hervor, daß dem BWSR neben den gesetzlichen Organen eine besondere Stellung im Gesetzgebungsver­ fahren eingeräumt werden soll, die ihm nicht zukommt. Ein BWSR in der vom DGB gewünschten Form kann nicht als zu­ lässige Institutionalisierungsmaßnahme angesehen werden. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, daß wesentliche Forderungen an eine Institutionalisierung erfüllt sind : So sollen Plenar- und Ausschuß­ sitzungen grundsätzlich öffentlich sein; alle Initiativen des BWSR sollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Bestehende Bei­ räte und Anhörungsrechte können aufgelöst und ihre Funktionen auf den BWSR übertragen werden. Hier ist allerdings eine wesentliche Abschwächung erfolgt: einmal ist die Auflösung nur ins Ermessen ge­ stellt; zum anderen gilt sie lediglich in den Fällen, in denen die Beiräte ausschließlich von Gewerkschaftlern und Unternehmern besetzt sind was nur ganz selten der Fall ist. Ansonsten soll die Auflösung im ein­ zelnen geprüft werden. Schließlich soll der Grundsatz der Diskonti­ nuität auch für den BWSR Geltung haben. Was vom Bundestag wegen Ablaufs der Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden konnte, soll auch neuerlich dem Rat zur Begutachtung zugehen. 2. Das Didlgans-Modell

Das Dichgansmodell verfolgt eine Zielrichtung, die der Aufgabe eines zentralen Verbändeorgans in der Gesetzgebung nahekommt. Es geht davon aus, daß der einzelne Bundestagsabgeordnete den vielfälti­ gen Stellungnahmen der Verbände zu Vorhaben der Gesetzgebung weitgehend hilflos gegenübersteht. Die Lösung wird in einem Bundes­ wirtschafts- und Sozialrat gesehen, der die verschiedenen Meinungen in einer Gesamtstellungnahme, mit Mehrheits- und Minderheitsvoten, für das Parlament übersichtlich aufarbeitet. Dieser Wirtschaftsrat ist also dem Bundestag zugeordnet; nach dem Willen seiner Urheber soll er „in erster Linie als ein Beitrag zur Parlamentsreform zu verste­ hen" 13 1 sein. 1a1

Vgl. BT-Drucksache VI/2514 Begründung A 1, S. 5.

12 Speyer 68

178 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR)

a) Zusammensetzung Der BWSR soll aus 60 Mitgliedern bestehen, davon je 24 Repräsen­ tanten der Unternehmerorganisationen und Gewerkschaften und 12 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, § 3. Wenigstens die Hälfte der Verbandsvertreter sollen gewählte Vorsitzende oder Präsidenten der jeweiligen Organisationen sein. Schwierigkeiten in der Verteilung der Sitze glauben die Autoren mit dem Hinweis ausräumen zu können, daß die Wirkung einer Gruppe von ihrem Einfluß auf die öffentliche Meinung abhänge, nicht aber von der Zahlenrelation im Wirtschaftsrat. Diese Begründung ist nicht dazu an­ getan, die Schwierigkeiten zu beseitigen; denn sie gilt höchstens für die Gruppen, die überhaupt im Rat vertreten sind. Im übrigen ist auch hier nur auf die Unternehmerorganisationen und die Gewerkschaften abge­ stellt; vor allem Verbände im Sozialbereich, u. a. auch die Kirchen, sind nicht berücksichtigt.

b) Aufgaben Bei den zugewiesenen Aufgaben wird deutlich, daß der BWSR aus­ schließlich beratende Funktion haben und nur auf Verlangen eines Gesetzgebungsorgans tätig werden soll. So soll der BWSR den Bundestag und den Bundesrat auf ihr Ver­ langen in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen beraten; ferner soll er Gutachten erstellen und zu Entwürfen von Gesetzen und Verord­ nungen Stellung nehmen, § 2 Abs. 1. Im Gesetzgebungsverfahren sollen damit sowohl Bundestag wie Bundesrat die Hilfe des Bundeswirt­ schafts- und Sozialrates in Anspruch nehmen können. Nach § 2 Abs. 2 des Entwurfs soll die Bundesregierung wirtschafts- und sozialpoli­ tische Entwürfe von grundlegender Bedeutung mit dem Einbringen beim Bundesrat dem Bundeswirtschafts- und Sozialrat zur Stellung­ nahme vorlegen. Mit dieser Regelung wird unterstrichen, daß der Rat ausschließlich als Hilfe für Bundestag und Bundesrat gedacht ist; nicht aber von der Bundesregierung in Anspruch genommen werden kann; denn der BWSR wird erst mit der Zuleitung des Regierungsentwurfes an den Bundesrat mit der Gesetzgebung befaßt. Dieser Regelungsvorschlag läßt viele Fragen offen: Erstens bleibt es ungeklärt, an wen die Stellungnahme des BWSR gehen soll. Da der BWSR zeitgleich mit dem Bundesrat mit der Vorlage befaßt wird, der seinerseits nur eine Frist von längstens sechs Wochen zur Behandlung des Entwurfs hat, ist es ausgeschlossen, daß die Stellungnahme des BWSR dem Bundesrat im ersten Durchgang noch zugeleitet und von ihm verwertet werden kann. Zwei Möglichkeiten bleiben bestehen: einmal könnte die Stellungnahme des BWSR ebenso behandelt werden

III. Die derzeit aktuellen Vorschläge für einen BWSR

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wie diejenige des Bundesrates. Sie würde dann wiederum der Bundes­ regierung zugehen, die gegebenenfalls eine Gegenäußerung ausarbeiten könnte. Stellungnahme des BWSR und Gegenäußerung der Bundes­ regierung könnten dann an den Bundestag weitergeleitet werden. Die Vorschriften der §§ 42, 43 GGO II müßten entsprechend erweitert wer­ den. Im Entwurf ist keine Frist für die Abgabe der Stellungnahme des BWSR vorgesehen. Man hätte daran denken können, die Frist derj eni­ gen des Bundesrates anzugleichen und damit dem Bundestag den Ge­ setzentwurf der Regierung zusammen mit den Stellungnahmen des Bundesrates und des BWSR und etwaigen Gegenäußerungen zuzu­ leiten. Als zweite Möglichkeit käme in Betracht, daß die Stellungnahme dem Bundestag unmittelbar zuginge. Das hätte aber den Nachteil, daß die Bundesregierung nicht mehr unmittelbar darauf antworten könnte, sondern auf eine Korrektur in den Ausschußverhandlungen ange­ wiesen wäre. Des weiteren bedeutet die vorgeschlagene Regelung keine strikte Verpflichtung der Bundesregierung, dem BWSR Gesetzentwürfe zuzu­ leiten; jedenfalls kann aus ihr kein Recht des Rates gegenüber der Bundesregierung auf Zuleitung ihrer Gesetzentwürfe zur Stellung­ nahme abgeleitet werden. Es sind auch keine Sanktionen für den Fall vorgesehen, daß die Regierung grundlegende Entwürfe nicht vorlegt. Die eingeschränkte Verpflichtung, die daraus folgt, daß die Regierung bestimmte Entwürfe vorlegen „soll", wird noch dadurch abgeschwächt, daß sie sich nur auf Entwürfe von grundlegender Bedeutung bezieht. Wann ein Entwurf von grundlegender Bedeutung vorliegt, kann wohl auch nur von der Regierung selbst entschieden werden. Insgesamt sollte der Regierung bei der Einschaltung des BWSR also weitgehend freie Hand gegeben werden132 • Schließlich bleibt nach der Aufgabenstellung des BWSR offen, auf welche Weise eine Verbandsbeteiligung bei der Erstellung der Regie­ rungsentwürfe erfolgen soll; jedenfalls ist der BWSR dafür nicht vor­ gesehen. Es fehlen im Entwurf allerdings auch j egliche Vorschriften dahingehend, ob der Rat als einziges Verbandsorgan bei der Gesetz­ gebung zu gelten hat oder wie eine Konkurrenz zu anderen bestehen­ den Institutionalisierungsformen, die den Autoren nicht unbekannt gewesen sein können, gestaltet werden soll.

c) Rechte Die Rechte des BWSR sind seiner lediglich beratenden Funktion an­ gepaßt. So hat er kein Recht der Gesetzesinitiative. Auch ein Anspruch 132 Immerhin kann ja auch der Bundestag den BWSR um Stellungnahme bitten ; es ist lediglich eine Zeitfrage, wenn der Rat bereits früher befaßt wird.

180 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) auf Auskunftserteilung besteht nicht; vielmehr erteilt nach § 17 des Entwurfs die Bundesregierung dem Bundeswirtschafts- und Sozialrat die Auskünfte, die dieser zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt. Diese Formulierung deutet eher auf eine politische, denn auf eine rechtliche Verpflichtung hin133 • Dem entspricht auch die Gesamttendenz des Entwurfs, die dahin geht, durch den BWSR keinesfalls in die Rechte anderer Staatsorgane einzugreifen. Ein Recht auf Auskunfts­ erteilung des BWSR gegenüber der Bundesregierung würde aber einen erheblichen Eingriff in die Autonomie der Regierung darstellen, der nach heutiger Rechtslage nur Bundestag und Bundesrat zusteht134 • Umgekehrt ist aber ein Zutritts- und Äußerungsrecht für Beauftragte des Bundestages, des Bundesrates und der Bundesregierung zu den Sitzungen der Vollversammlung und der Ausschüsse vorgesehen, § 16. Gegen eine solche Regelung wären keine Bedenken zu erheben. Zwar könnte man an eine Beeinträchtigung der Verbandsautonomie denken; aber hier geht es um die Mitarbeit der Verbände am politischen Prozeß, wobei den gesetzlichen Organen die Entscheidungsbefugnis zusteht. Das Zutritts- und Äußerungsrecht ist eine Möglichkeit zum Dialog zwischen Staat und Verbänden, auf die nicht verzichtet werden kann. Betrachtet man den Vorschlag von Dichgans u. a. für die Errichtung eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates zusammenfassend, kann er den eingangs aufgestellten Voraussetzungen für ein zentrales Ver­ bandsorgan zur Beteiligung der Verbände an der Gesetzgebung nicht voll entsprechen. Dies liegt nicht an der Beratungs- und Informations­ funktion, die er übernehmen soll; es liegt auch nicht daran, daß dem Publizitätserfordernis nicht Rechnung getragen würde: auch der Ent­ wurf geht grundsätzlich von der Öffentlichkeit der Sitzungen der Voll­ versammlungen, § 1 1 Abs. 3 S. 1, und der Möglichkeit öffentlicher Aus­ schußsitzungen, § 18, aus. Was den vorgeschlagenen BWSR als zentrales Organ der Verbandsbeteiligung letztlich untauglich erscheinen läßt, ist die ausschließliche Ausrichtung auf die gesetzgebenden Organe Bundestag und Bundesrat (letzterer im Verfahren nach Art. 77 GG) und die fehlende Vorstellung über das Verhältnis zu anderen Institu­ tionalisierungsmaßnahmen. Ungeklärt ist vor allem das Verhältnis des BWSR zur Verbands­ beteiligung an Regierungsentwürfen. Weder aus dem Entwurf noch 1 33 Die Bedenken Willi Thieles (Fn. 62), S. 775, gegen diese Regelung der Auskunftserteilung sind unbegründet. 1 34 Da der BWSR in der vorgeschlagenen Form lediglich Hilfsfunktion gegenüber den gesetzgebenden Organen hat, könnte man allenfalls daran denken, daß er ein Auskunftsrecht im Namen dieser Organe geltend macht; denn über den Umweg von Bundestag oder Bundesrat kann er ohnehin alle Auskünfte bekommen, die er braucht ; dies gilt freilich nur soweit, als diese Organe das für richtig halten.

IV. Ein Wirtschaftsrat als Informationsorgan des Parlaments?

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aus der beigegebenen Begründung können Anhaltspunkte gewonnen werden, die dafür sprächen, daß daran gedacht war, die Möglichkeiten auf dieser Ebene zu unterbinden oder zu erschweren. Ähnliches gilt für die Abgrenzung zwischen dem Tätigwerden des BWSR und der Möglichkeit des Bundestages, öffentliche Anhörungen in Ausschußsit­ zungen vorzunehmen. Auch diese Möglichkeit soll durch den vor­ geschlagenen BWSR offenbar nicht verstellt werden. Der BWSR in Form des Entwurfs wäre also ein zusätzliches Institu­ tionalisierungsorgan. IV. Ein Wirtschaftsrat als Informationsorgan des Parlaments?

Der von Dichgans und Genossen vorgelegte Entwurf stellt zwar keine Lösung für ein zentrales Organ der Verbandsbeteiligung dar; er weist aber auf eine Tatsache hin, die eine Inangriffnahme notwendig macht: Der einzelne Parlamentarier wird in der Tat von Stellungnahmen der Verbände und Gruppen zu Gesetzgebungsvorhaben überschüttet. Hinzu kommen weitere Informationen wie Sachverständigengutachten etc. Für den einzelnen Abgeordneten ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, sich durch den Wust der oftmals widersprüchlichen Ansich­ ten und Meinungen durchzuarbeiten135 • Deshalb wäre für die Abge­ ordneten eine Stelle wichtig, die die diffusen Stellungnahmen sammelt, ordnet und aufbereitet. Diesem Zweck soll der vorgeschlagene BWSR dienen 138 • Es fragt sich allerdings, ob der Rat nach der beabsichtigten Zusammensetzung diese Aufgabe erfüllen kann. Der Entwurf geht in seiner Begründung davon aus, daß der Rat politisch streitige Fragen nicht entscheiden soll. Dennoch wird die Machtposition . durchaus ge­ sehen, die darin liegen kann, daß der Rat zu einstimmigen Beschlüssen kommt, die dann erhebliche politische Wirkungen auslösen können. Bei der Beurteilung dieser Konsequenzen scheinen aber zwei Dinge verkannt zu werden : der Einfluß dieser Machtposition auf die Zu­ sammensetzung des Rates und die Kollisionsmöglichkeit dieses Macht­ problems mit der Informations- und Beratungsaufgabe, die dem BWSR zuerkannt ist. Einerseits entscheidet die jeweilige Zusammensetzung des Rates dar­ über, welche Informationen in die Stellungnahmen des R �tes einfließen und auf welche Weise dies geschieht. Insofern ist der Verband, der Vertreter im BWSR hat, immer in einer besseren Position als der, der 135 Dabei wird davon ausgegangen, daß ein Interesse daran besteht, daß der einzelne Abgeordnete sich nicht nur auf die Ansicht seiner Fraktion verläßt. 1 ae Vgl. (Fn. 131), S. 5.

182 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR) nur von außen einwirken kann. Dies gilt vor allem deshalb, weil der BWSR hinsichtlich der Information der gesetzgebenden Organe eine hervorgehobene Stellung einnehmen soll; seinen Stellungnahmen kommt ein wesentlich größeres Gewicht zu als den Stellungnahmen einzelner Verbände, die in ihm keinen Vertreter haben. Umgekehrt ist eine Beteiligung im BWSR für die Verbände auch deshalb erstrebens­ wert, weil sie ihrerseits in umfassenderer Weise von staatlichen Orga­ nen informiert werden, als dies für Außenstehende der Fall ist. Aus alldem folgt, daß die Beteiligung am BWSR eine Machtfrage für den einzelnen Verband darstellt. Die Verteilung der Sitze entscheidet dar­ über, wer seine Interessen effektiver durchsetzen kann als andere und wer früher als sie erfährt, welche gesetzgeberischen Vorhaben an­ stehen. Andererseits liegt in der Möglichkeit einheitlicher Stellungnahmen immer auch die Gefahr einer einseitigen Information, die lediglich durch die Beteiligung der unabhängigen zwölf Persönlichkeiten rela­ tiviert werden könnte. Die Autoren des Entwurfs postulieren zwar, daß politisch streitige Fragen vom Parlament zu entscheiden seien 1 37 ; bei einstimmigen Stellungnahmen werden sie aber de facto vom BWSR und nicht vom Parlament entschieden138 • Insgesamt liegt im Konzept von Dichgans u. a. eine Verkennung des Machtfaktors eines mit Verbandsvertretern besetzten BWSR. Man kann nicht davon ausgehen, daß die Verbandsvertreter sich ausschließ­ lich als unabhängige Sachverständige benehmen. Der im Entwurf vor­ geschlagene Rat ist also als „neutrale" Informationsquelle für die Ab­ geordneten kaum tauglich. Zur Konsultation der gesetzgebenden Organe hinsichtlich der Inter­ essenverknüpfung in Gesetzentwürfen ist deshalb eine Lösung zu suchen, die die Machtposition des Rates auf ein Minimum reduziert und einen Mißbrauch zugunsten von Sonderinteressen weitgehend aus­ schließt. In der Schweiz ist zu diesem Zweck die Bildung eines ständi­ gen konsultativen Wirtschaftsrates vorgeschlagen worden, der aus Wis­ senschaftlern und unabhängigen Fachleuten zusammengesetzt werden sollte139 • Dabei wird die begrenzte Wirkungsmöglichkeit eines solchen Rates durchaus gesehen, da die Verbände ihren Einfluß weiterhin un­ mittelbar geltend machen können. Als Korrektur wird die verstärkte Abhaltung von Hearings empfohlen. Vgl. (Fn. 131), S. 5. Willi Thiele (Fn. 63), S. 775, bezeichnet die diesbezüglichen Darlegungen als „ebenso überraschende wie gleichsam entwaffnende Argumentation". 139 Vgl. Rene L. Frey, Der Wirtschaftsrat - eine Möglichkeit zur Verbes­ serung der wirtschaftspolitischen Willensbildung in der Schweiz, in : WuR 1968, s. 224, 237 ff. 187

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IV. Ein Wirtschaftsrat als Informationsorgan des Parlaments?

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Ein solcher Vorschlag kommt dem erstrebten Ziel näher, wenn er auch nicht völlig zu überzeugen vermag; denn mit Wissenschaftlern und unabhängigen Fachleuten allein kann eine Verdeutlichung der Interessenstandpunkte kaum erfolgen, wenn man davon ausgeht, daß die besten Sachverständigen in den Verbänden selbst zu finden sind. Durch Hearings könnte diesem Mangel an Sachverstand zwar auch ab­ geholfen werden; die Hearings müßten dann aber vom Wirtschaftsrat vorgenommen werden, da er in der Regel besser als die Abgeordneten fachlich in der Lage ist, eine Anhörung vorzunehmen140 • Um den sachspezifischen Sachverstand in jeder Form verfügbar zu haben, dürfte es sich empfehlen, Verbandsvertreter in einen solchen Wirtschaftsrat aufzunehmen. Zur Neutralisierung von Sonderinteres­ sen müßten aber gewisse Vorkehrungen getroffen werden: einmal müßte die Aufgabe des Wirtschaftsrates darin bestehen, die Interessen­ lage aufzudecken. Hinsichtlich der Bewertungen der im Gesetzentwurf enthaltenen Interessenkompromisse müßte aber Zurückhaltung ge­ wahrt werden; hierbei könnten die möglichen Konsequenzen bestimm­ ter Kompromisse herausgestellt und Alternativen vorgeschlagen wer­ den. Zweitens müßte gewährleistet sein, daß die Zahl der Verbands­ vertreter diejenige der unabhängigen Fachleute nicht übersteigt, um ein zahlenmäßiges Übergewicht der Verbandsvertreter zu vermeiden. Wenn auch Abstimmungen in einem solchen Gremium keine entschei­ dende Bedeutung haben sollten, müßte jedenfalls die Möglichkeit der Abgabe von Mehrheits- und Minderheitsvoten garantiert werden. Drit­ tens müßte eine umfangreiche Liste von Verbandsspezialisten erstellt werden, für alle denkbaren Bereiche, aus denen jeweils die Mitglieder des Rates zur Beurteilung eines bestimmten Gesetzgebungsverfahrens auszuwählen wären. Die Auswahl müßte den unabhängigen Fachleuten obliegen. Damit wäre eine langfristige Verbandspolitik über die Mit­ gliedschaft im Rat nicht möglich141 • Ob es unbedingt die Spitzensprecher der Verbände sein müssen, die für diese Beteiligung gewonnen werden sollten, mag dahinstehen. Voraussetzung sind Sachverstand und Kennt­ nis der eigenen Interessenlage. Einern so konzipierten Rat dürfte nicht nur die Aufgabe zufallen, diejenigen Interessen aufzuspüren und den Abgeordneten offenzulegen, die in dem vorgelegten Gesetzentwurf irgendwie berücksichtigt worden sind142 ; vielmehr müßte er darüber hinaus auch feststellen, welche Interessen nicht berücksichtigt sind. Dabei macht es für diese Feststel1 40 Auch Rene L. Frey (Fn. 139), S. 239 schlägt deshalb die Vornahme von Hearings durch den konsultativen Wirtschaftsrat vor. 1 4 1 Die politische Durchsetzung von Interessen soll damit nicht ausge­ schlossen werden; nur ist ein BWR, konzipiert als Informationsorgan, dafür nicht vorgesehen. 142 So aber offenbar die Vorstellung Rene L. Freys (Fn. 139), S. 238.

184 2. Teil, B. Zum Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates (BWSR)

lung keinen Unterschied, ob die nicht berücksichtigten Interessen be­ wußt beiseite gelassen wurden oder ob sie gar nicht erkannt waren. Allerdings müßte gerade auch die Suche und Sichtbarmachung der nichtorganisierten Interessen zu den besonderen Aufgaben eines sol­ chen Rates gehören. Er müßte dafür sorgen, daß tatsächlich alle Inter­ essen, die mit einer Gesetzgebung verbunden sind, offengelegt und den gesetzgebenden Organen zugänglich gemacht würden. Auch die so umschriebene Tätigkeit des Rates ist nicht auf Informa­ tion beschränkt, sondern enthält zugleich eine Bewertung von Informa­ tionen; denn dem Rat obliegt in jedem Falle die Entscheidung darüber, welche Interessen durch eine beabsichtigte Gesetzgebung berührt wer­ den. Damit ist er immer auch dem Vorwurf der Manipulation ausge­ setzt. Dieser Gefahr kann auch nicht dadurch begegnet werden, daß der Kreis der berührten Interessen weit gezogen wird. Die hierdurch entstehende Schwierigkeit für die gesetzgebenden Organe, das Wesent­ liche vom Unwesentlichen zu scheiden, erschwert die Entscheidung ebenso sehr wie eine zu strikte Eingrenzung der Interessen. Man muß die Frage stellen, ob ein so konzipierter Wirtschaftsrat attraktiv genug ist, um eine Mitarbeit der Verbände sicherzustellen. Dies käme letztlich auf einen Versuch an. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, wie man den Rat im einzelnen ausgestaltet und welchem staatlichen Organ man ihn zuordnet. Der Rat würde zweck­ mäßigerweise beim Bundestag angesiedelt148 • Seine Aufgaben könnten z. B. vom Wissenschaftlichen Dienst übernommen werden; gedacht werden könnte auch an einen Beirat, der dem Bundestag zugeordnet wäre. Auch der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamt­ wirtschaftlichen Entwicklung" könnte als Vorbild dienen. Sollte es nicht möglich sein, geeignete Verbandsvertreter zu finden, bzw. sollten An­ hörungen des Rates nicht zum Erfolg führen, wäre an die Möglichkeit zu denken, daß der Rat bei der Vorbereitung der Hearings des Bundes­ tages eingeschaltet wird. Ein Wirtschaftsrat in der so vorgeschlagenen Form hätte demnach die Aufgabe, möglichst alle berührten Interessen in einer objektiven, die ungerechtfertigte Bevorzugung von Sonderinteressen möglichst aus­ schließenden Form144, zusammenzustellen und aufzubereiten. Er tritt damit nicht an die Stelle anderer Institutionalisierungsformen der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung, mit denen die Verbände 1 43 Einzelheiten s. u. S. 252 ff. 144 Ein ähnliches Organ schlägt Rudolf Werner Füßlein, Mensch und Staat, 1973, S. 169, vor ; er erwägt die Einrichtung einer Institution, die ein Beanstandungsrecht gegenüber den Gesetzgebungsorganen bei Verstößen gegen das Gemeinwohl haben sollte. Wenn auch die Vorstellung eines „Treu­ händers des Gemeinwohls" nicht unproblematisch ist, wird doch deutlich, daß eine Stelle, die zur Interessenklärung beiträgt, wünschenswert wäre.

IV. Ein Wirtschaftsrat als Informationsorgan des Parlaments?

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ihre Interessen in den Willensprozeß einbringen können; vielmehr han­ delt es sich um ein zusätzliches Organ, das als Entscheidungshilfe für die gesetzgebenden Stellen anzusehen ist. Keinesfalls ist dieses Beratungsgremium eine Realisierungsmöglich­ keit für das Projekt eines Bundeswirtschafts- und Sozialrates, der als zentrales Organ der Verbandsbeteiligung verstanden wird. Einern solchen zentralen Organ gegenüber sind vielmehr Vorbehalte ange­ bracht. Abgesehen von dem erheblichen finanziellen Aufwand, der zu Lasten der Allgemeinheit ginge14 5 , dürfte ein System von direkteren Kontakten zwischen den jeweils mit der Gesetzesvorbereitung bzw. -beratung befaßten staatlichen Organen und den Verbänden vorzu­ ziehen sein148 • Im folgenden ist zu untersuchen, wie die Institutionalisierungsmaß­ nahmen auf den einzelnen Stufen des Gesetzgebungsverfahrens (die Gesetzesvorbereitung eingeschlossen) aussehen müssen, um den Anfor­ derungen an eine institutionalisierte Verbandsbeteiligung zu genügen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem vorparlamentarischen Sta­ dium der Gesetzgebung (Dritter Abschnitt) und der Phase der Gesetzes­ beratung im Bundestag (Vierter Abschnitt).

Dritter Abschnitt lnstitutionalisierun gsmöglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium der Gesetzgebung Im vorparlamentarischen Stadium der Gesetzgebung kommt eine Verbandsbeteiligung an der Gesetzesvorbereitung der Bundesregierung und des Bundesrates in Frage. I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

Die Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung hat in der Praxis schon jetzt größte Bedeutung; es ist abzusehen, daß immer mehr Gesetzentwürfe der Regierung das Gesetzgebungsverfahren bestim1 46 Sowohl Nr. 13 des DGB-Entwurfs wie § 21 des Dichgans-Modells sehen eine Finanzierung aus dem Bundeshaushalt vor. 1 48 Die weitaus herrschende Meinung der deutschen Staatsrechtslehre be­ fürwortet deshalb ein flexibleres System von Einflußmaßnahmen und lehnt die Einrichtung eines BWSR ab ; vgl. z. B. Joseph H. Kaiser, Die Repräsen­ tation organisierter Interessen, 1956, S. 351 ff. ; Dieter Sperling (Fn. 51), S. 298 ; Rudolf Steinberg (Fn. 63), S. 845 m. w. N. ; Helmut Lemke, Über die Verbände und ihre Sozialpflichtigkeit, in : DÖV 1975, S. 253 ff., 256.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

men werden. Da aber ein Entwurf, wenn er nicht in toto abgelehnt wird, kaum grundlegende Änderungen mehr erfährt, sind Inhalt und Gestalt der Regierungsentwürfe von prägender Bedeutung für die Ge­ setzgebung. Dies ist der Grund dafür, daß die Verbände bereits in die­ sem Stadium eine Beteiligung anstreben. Es kann von zwei Beteiligungsformen ausgegangen werden, deren derzeitige Gestalt bereits in Abschnitt 3 des ersten Teils beschrieben wurde: das Verfahren nach §§ 23 ff. GGO II und die Bildung von Bei­ räten. Da es sich in beiden Fällen um Verfahren der Beteiligung han­ delt, die seit vielen Jahren praktiziert werden und eingeführt sind, empfiehlt es sich zu untersuchen, ob diese Verfahren verbessert und fortentwickelt werden können. 1. Die Beteiligung der Verbände durch die Ministerien, § 23 GGO II Nach § 23 GGO II können Verbände „zur Beschaffung von Unter­ lagen" für die Vorbereitung von Gesetzen herangezogen werden. Die Praxis ist zu Recht über diese eingeschränkte Regelung weit hin­ ausgegangen. Es gibt heute praktisch keinen Gesetzentwurf von einiger Bedeutung, der nicht den durch ihn berührten Verbänden zur Stel­ lungnahme zugeleitet wird147 , wobei der Kreis der Verbände eher wei­ ter als enger gezogen wird. Ergibt sich aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen eine wesentliche Änderung des Entwurfs, ist eine nochmalige Anhörung der Verbände üblich. Letzte Unklarheiten wer­ den schließlich oft durch mündliche Erörterungstermine zu beseitigen versucht. Diese Praxis, die der Rolle der Verbände im Gesetzgebungs­ verfahren entspricht, sieht in der „Beschaffung von Unterlagen" nicht den einzigen Zweck der Verbandsbeteiligung. Es muß daher eine Regelung geschaffen werden, die der tatsächlichen Bedeutung der Mitarbeit der Verbände bei der Gesetzesvorbereitung durch die Ministerien entspricht. Die Beteiligung der Verbände sollte als „Anhörung" bezeichnet wer­ den. Unter diesem Begriff sollte die Befugnis verstanden werden, zu einem vorgelegten „Entwurf Stellung zu nehmen" 148 • Die Anhörung sollte mündlich und/oder schriftlich erfolgen können. Eine schriftliche Anhörung ist zu befristen. 1 47 Vgl. Hans-Joachim von Merkatz, Regiert die Lobby?, in: Der Bundestag von innen gesehen, 1969, S. 196 ff., 204. 1 4 8 So die Formulierung in den „Empfehlungen der Konferenz der Präsi­ denten der deutschen Länderparlamente zu den Möglichkeiten und Formen der Beteiligung außerparlamentarischer Institutionen (Körperschaften, Ver­ bände, Gewerkschaften etc.) in Gesetzgebungsverfahren" vom 3. 5. 1973, ab­ gedruckt in ZParl 1973, S. 463.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

187

Die Kritik an der derzeitigen Regelung der §§ 23 ff. GGO II richtet sich weniger gegen die Beteiligung der Verbände, als vielmehr gegen die mangelnde Publizität dieser Beteiligung. Ein Bedürfnis hinsichtlich der Publizität der Beteiligung besteht für nichtbeteiligte Verbände, das Kabinett, den Bundestag (Fraktionen und Abgeordnete) sowie die Öf­ fentlichkeit. Dabei hat der Wunsch nach Offenlegung jeweils einen anderen Inhalt : Für die nichtbeteiligten Verbände geht es darum, den Gegenstand des Gesetzentwurfes zu erfahren, um entscheiden zu können, ob sie von sich aus - ohne Aufforderung des Ministeriums - Stellungnah­ men abgeben. Dabei wird hier im Grundsatz davon ausgegangen, daß die Auswahl der anzuhörenden Verbände dem Ministerium obliegt. Da lediglich eine Anhörung erfolgt, aber die Entscheidung darüber, ob und was von der Stellungnahme der Verbände in den Entwurf ein­ geht, beim Ministerium verbleibt, ist ein Anhörungsanspruch nicht ge­ boten1 49. Da das Petitionsrecht auch die Möglichkeit zur Abgabe von Anregungen und Stellungnahmen einschließt, wäre mit der Kundgabe des Gegenstandes des Gesetzentwurfes den nicht herangezogenen Ver­ bänden die Möglichkeit gegeben, sich an der Diskussion zu beteiligen. Technisch wäre eine Publizität insoweit z. B. dadurch zu verwirklichen, daß bei jedem Ministerium eine öffentliche Liste derjenigen Gesetzes­ vorhaben eingesehen werden kann, für die eine Anhörung der Ver­ bände inganggesetzt ist. Gegebenenfalls müßte ein Verband dann die Möglichkeit bekommen, den Entwurf selbst einzusehen bzw. sich Ab­ schriften oder Kopien anzufertigen. Dieselbe Regelung müßte auch für die Entwürfe gelten, die nach Einarbeiten der eingegangenen Ver­ bandsstellungnahmen diesen Verbänden zum wiederholten Male zur Anhörung übersandt werden. Das Kabinett, das darüber zu entscheiden hat, ob ein Entwurf als Regierungsvorlage dem Bundestag zugeleitet und so zur Gesetzes­ initiative der Bundesregierung werden soll, wird derzeit über die Er­ gebnisse der Verbandsbeteiligung und die Liste der angehörten Ver­ bände nicht informiert; selbst die Tatsache der Verbandsbeteiligung an der Gesetzesvorbereitung braucht beim Einbringen der Kabinetts­ vorlage nicht erwähnt zu werden, § 37 GGO II. So erfährt das Kabinett von einer Beteiligung der Verbände an der Erstellung des Gesetzent­ wurfes formell nur in den Fällen, in denen vor der Fühlungnahme der Fachkreise wegen der besonderen politischen Bedeutung eines Gesetz­ entwurfes eine Grundsatzentscheidung des Kabinetts einzuholen war. Im übrigen erfahren die Kabinettsmitglieder die Motivationen für eine 1 49 Allerdings stehen einem Beteiligungsanspruch hier keine rechtlichen Hindernisse im Wege, vgl. o. S. 65; Sonderregelungen wie § 94 BBG sind deshalb möglich.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Gesetzgebung lediglich aus der dem Entwurf beigegebenen Begrün­ dung. In der Praxis wird dieser Mangel freilich durch die Beteiligung verschiedener Ministerien bei der Vorbereitung der Gesetze gemildert. Dennoch müßte das Kabinett bei Einbringung der Kabinettsvorlage davon unterrichtet werden, daß eine Anhörung der Verbände statt­ gefunden hat, welche Verbände angehört wurden und welchen Einfluß die Stellungnahmen der Verbände auf den Gesetzentwurf hatten. Zum letzten Erfordernis sind mehrere Möglichkeiten denkbar : es könnte eine Sammlung oder Protokollierung der Anhörungen erfolgen und beige­ fügt werden, man könnte die wesentlichen Anhörungsergebnisse zu­ sammenfassen oder man könnte nur diejenigen Verbandsmeinungen noch einmal zusammenstellen, die im Entwurf unberücksichtigt blie­ ben. Am zweckmäßigsten erscheint eine Zusammenfassung der Anhö­ rungsergebnisse, da aus dem Vergleich zwischen dem vorgelegten Ge­ setzentwurf und dieser Zusammenfassung deutlich wird, welche Vor­ stellungen der Verbände im Entwurf verwirklicht sind; ob diese Vor­ stellungen erst aufgrund der Stellungnahmen der Verbände aufgenom­ men wurden, ist demgegenüber zweitrangig. Die schlichte Sammlung der Anhörungen hat den Nachteil, daß die Gefahr der Überinformation entsteht, und daß neben zahlreichen Wiederholungen Wesentliches vom Unwesentlichen nicht getrennt ist. Wenn nur noch das aufgeführt wird, was nicht berücksichtigt werden konnte, wird nicht deutlich, in welchem Umfang die Verbandsmeinungen mit dem Entwurf übereinstimmen. Eine Zusammenfassung der Anhörungsergebnisse dürfte demnach dem Informationsbedürfnis des Kabinetts am besten genügen. Der zeitliche Aufwand, der für die Zusammenfassung erforderlich ist, ist vertret­ bar, zumal der jeweilige Referent sich auch für die Berücksichtigung der Verbandsstellungnahmen in seinem Entwurf zunächst einmal einen Überblick über die vorgelegten Argumente und Standpunkte verschaf­ fen muß. Ein solches Vorgehen kann darüber hinaus zu einer abgewo­ genen Einstellung zu den Verbandsstellungnahmen erziehen; es kann der Gefahr vorgebeugt werden, daß der Referent den Argumenten ein­ zelner Verbände aus den unterschiedlichsten Gründen (Bedeutung der Verbände, Art des Vorgehens etc.} aufgeschlossener gegenübersteht als anderen. Das Publizitätsinteresse der Abgeordneten geht in eine zweifache Richtung: einmal in Richtung auf den Entwurf selbst, zum anderen auf die erfolgte Verbandsbeteiligung. Nach § 25 Abs. 2 GGO II wird den Fraktionen des Bundestages und auf Wunsch auch einzelnen Abgeordneten ein . Gesetzentwurf zur Kenntnis gegeben, sobald und soweit er den beteiligten Fachkreisen zugeleitet worden ist. Insoweit ist dem Publizitätsinteresse der Abge­ ordneten Rechnung getragen. Allerdings soll eine Unterrichtung nicht

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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erfolgen, wenn ihr besondere Umstände entgegenstehen. Ein Grund für diese Einschränkung ist nicht einzusehen. Bisher gibt es aber keine Regelung, die die Bundesregierung ver­ pflichtet, bei der Einbringung des Gesetzentwurfs darauf hinzuweisen, daß eine Anhörung der Verbände stattgefunden hat, welches Ergebnis die Anhörung hatte und welche Verbände angehört wurden. Die For­ derung nach der Bekanntgabe der Stellungnahme der Verbände zu einem Gesetzentwurf der Regierung wird bereits seit langem erho­ ben 150 . Die Argumente ihrer Vertreter smd so überzeugend, daß die Aufnahme einer entsprechenden Regelung unabdingbar notwendig erscheint. Zum einen wird darauf hingewiesen, daß auf diese Weise eine Ver­ antwortlichkeit der Verbände für ihre Stellungnahme geschaffen werde. Die Veröffentlichung würde die Verbände daran hindern, in einem späteren Stadium des Verfahrens von dem einmal Vorgetra­ genen abzurücken. Es entspricht nämlich der Praxis der Verbände, in einem späteren Stadium weitergehende oder auch gänzlich neue For­ derungen aufzustellen, auch oder gerade wenn ihre Vorstellungen im Entwurf der Regierung berücksichtigt waren151 . Eine Veröffentlichung der ursprünglichen Stellungnahmen würde solche Versuche erschweren, wenn nicht vereiteln. Zum anderen könnte eine Veröffentlichung der Stellungnahmen auch zur Mobilisierung bisher nicht berücksichtigter Gegenkräfte führen1 62 . Dies gilt auch deshalb, weil die Öffentlichkeit sich weniger mit vorge­ sehenen Regelungen einverstanden zeigen wird, wenn bekannt ist, daß sie den Sonderinteressen einer oder weniger Gruppen entsprechen. Man kann deshalb erwarten, daß die Gewißheit der Veröffentlichung der verbandlichen Stellungnahmen zu einer Mäßigung der Verbands­ forderungen führen wird. Die gegenteilige Annahme, die davon aus­ ginge, daß die Verbände dann zunächst extreme Forderungen aufstellen würden, weil die teilweise Nichterfüllung im Voraus als Spielraum für „Zugeständnisse" einkalkuliert wäre, ist wenig wahrscheinlich: eine solche Handlungsweise müßte zu einer Verschärfung der Gegensätze und zu einer Verschlechterung des gesamten politischen Klimas führen, wodurch die Durchsetzung verbandlicher Interessen eher verschlechtert als verbessert würde. 150 Zurückgehen dürfte sie vor allem auf Wilhelm Hennis, Verfassungs­ ordnung und Verbandseinfluß, in: PVS 1961, S. 34. 151 So Wilhelm Hennis (Fn. 150), S. 34. 152 Vgl. das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundeswirt­ schaftsministerium vom 31. Oktober 1964: ,,Zusammenwirken staatlicher und nichtstaatlicher Kräfte im Bereich der wirtschaftspolitischen Gesetzgebung", abgedruckt in: (Fn. 74), S. 67 ff., 70.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Der dritte und wesentlichste Grund für die Notwendigkeit der Ver­ öffentlichung der Liste der angehörten Verbände und ihrer Stellung­ nahmen liegt aber in der Information der Abgeordneten über das Zustandekommen eines Entwurfs, die ihnen eine sachlich fundierte Diskussion ermöglicht 153 • Vor allem wird dadurch die Vorbereitung öf­ fentlicher Anhörungen in Ausschußsitzungen erleichtert. Der betref­ fende Ausschuß erhält einen Überblick darüber, welcher Verband zur Gesetzgebung bereits angehört worden ist und welche Stellungnahme er abgegeben hat. Auf diese Weise sind einmal gezielte Fragen an bereits angehörte Verbände möglich, zum anderen können nicht ange­ hörte Gruppen herangezogen werden, um einen Interessenausgleich herbeizuführen154 • In diesem Zusammenhang ist an die Tätigkeit eines konsultativen Rates zur Abklärung der Interessen zu denken, der oben vorgeschlagen wurde. Zur praktischen Durchführung dieser Forderung stehen auch hier mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Sie reichen von dem Vorschlag, dem Entwurf die Anhörungen einfach beizufügen 155 , über die Empfeh­ lung, die Begründung müsse eine kurze Darlegung der Stellungnahmen der einzelnen nach § 23 herangezogenen Verbände beinhalten 158 , bis hin zu einer Begründung, die Auskunft darüber gibt, ,, wie die angehörten Gruppen sich geäußert haben und in welcher Weise die Regierung in der endgültigen Fassung des Entwurfs diesen Anregungen und Ein­ wendungen Rechnung getragen hat" 15 7, bzw. der Forderung, daß die Regierung dem Parlament das Anhörungsergebnis zusammen mit der Gesetzesbegründung vorlegt und dabei wesentliche Abweichungen zwi­ schen dem Entwurf und der Stellungnahme der Anhörungsberechtigten sichtbar macht158• Betrachtet man die Regeln zum schweizerischen Vernehmlassungs­ verfahren 15 9, die wegen ihrer langgeübten, insgesamt erfolgreichen Pra­ xis als Vorbild herangezogen werden können, läßt sich eine interessante So das Gutachten (Fn. 152). Darauf weisen die Empfehlungen der Mitglieder der IPA „Zur Rege­ lung der Interessenvertretung" vom 14. Oktober 1965 hin, abgedruckt in: Recht und Organisation der Parlamente, GO/AN, S. 999 98. 155 Vgl. Wilhelm Hennis (Fn. 150), S. 34. 168 Vgl. den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD vom 29. 5. 1968, BT-Drucks. V/2955, Nr. 3. 157 So das Gutachten (Fn. 152), Nr. 8. 168 Vgl. Nr. 3 der Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz (Fn. 148) ; Satz 2 der Nr. 3, wonach wesentliche Abweichungen zwischen dem Ent­ wurf und den Stellungnahmen sichtbar zu machen sind, ist in ZParl 1973, S. 463 nicht abgedruckt. 159 Vgl. dazu die vom Schweizerischen Bundesrat beschlossenen „Richtli­ nien über das Vorverfahren der Gesetzgebung" vom 6. Mai 1970 ; Max Flückiger, Die Anhörung der Kantone und der Verbände im Gesetzgebungs­ verfahren, 1968; Jacques Michel Grossen (Fn. 103), S. 349 ff. 153

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I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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Zweiteilung feststellen: In den Botschaften zu den Gesetzen werden der Ablauf des Vorverfahrens und dessen wesentliche Ergebnisse darge­ legt160 , während den vorberatenden parlamentarischen Kommissionen auf deren Verlangen oder auf Weisung des Departements das Ver­ zeichnis der zur Vernehmlassung eingeladenen Organisationen sowie die Zusammenstellung der Vernehmlassungsergebnisse oder die Ver­ nehmlassungen selbst ausgehändigt oder zur Einsichtnahme überlassen werden 161 . Auf deutsche Verhältnisse übertragen würde dies bedeuten, daß in der Begründung zum Gesetzentwurf eine Zusammenfassung der Anhörungsergebnisse aufgenommen würde, während den zuständigen Ausschüssen das Material im Detail zugänglich gemacht wird. Die Wahl der Veröffentlichungsform muß sich nach den damit ver­ folgten Zwecken richten. Dem Informationsbedürfnis der Abgeordne­ ten ist mit einer zusammenfassenden Darstellung der Anhörungsergeb­ nisse in der Begründung am besten gedient. Dabei wäre es zweckmäßig, wenn deutlich gemacht würde, welche Passagen des Entwurfs auf Verbandsanregungen beruhen. Welche Vorstellungen der Verbände nicht übernommen wurden, ergibt sich aus dem Vergleich mit dem Entwurfstext; der Klarheit halber könnte aber auch hier eine beson­ dere Hervorhebung erfolgen. Eine solche Darstellung in der Begrün­ dung ist dem schlichten Beifügen der Anhörungen vorzuziehen, da auf­ bereitetes Material dem ohnehin beschränkten Zeithaushalt der Abge­ ordneten entgegenkommt. Auch die Möglichkeit, etwaige Gegenkräfte auf den Plan zu rufen, ist mit einer solchen Darstellung in der Be­ gründung gegeben. Der Darstellung der Anhörungsergebnisse sollte eine Liste der an­ gehörten Verbände beigefügt sein162 ; dies erfordert keinen großen Auf­ wand, kann aber in Einzelfällen doch sichtbar machen, daß ein einschlä­ giger Verband übersehen wurde. Im Ausnahmefall könnte dies z. B. bei der Entscheidung im Bundestag darüber, ob überhaupt eine Ausschuß­ überweisung vorgenommen werden soll, eine Rolle spielen. Im übrigen wird mit der Veröffentlichung der Liste auch die Auswahlpraxis der Ministerialbürokratie transparent gemacht und damit einer Kritik zugänglich. Das Informationsbedürfnis der Mitglieder von Bundestagsausschüs­ sen kann über die vorgenannten Möglichkeiten nicht befriedigt wer­ den. Die Vorbereitung der Ausschußsitzungen, zu denen auch die Aus­ arbeitung von Fragenkatalogen an Auskunftspersonen gehört, machen 180 § 21 Abs. 1 der Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung (Fn. 159). 181 § 22 der Richtlinien (Fn. 159). 162 Diese Forderung bezeichnet Hans-Utrich Jerschke, Rechtliche Verpflich­ tung (Fn. 2), S. 524, als „verfassungsrechtliches Minimum".

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

die Einsichtnahmen in die Verbandsstellungnahmen selbst erforderlich. Nur so ist es möglich, bei Verbandsvertretern mit gezielten Fragen nachzuhaken und Punkte, die in der ersten Stellungnahme unklar ge­ blieben sind, aufzuklären. Den Bundestagsausschüssen sollten daher auf ihr Verlangen die Stellungnahmen der Verbände zugänglich ge­ macht werden. Auch für die Bundesrepublik Deutschland wäre deshalb ein zwei­ stufiges Modell der Veröffentlichung der Verbandsbeteiligung anzu­ streben, wobei allerdings gegenüber dem schweizerischen System die Modifikation anzubringen wäre, daß die Liste der angehörten Verbände bereits in der Drucksache mitaufzunehmen wäre. Eine Publizitätspflicht der Regierung gegenüber der Öffentlichkeit ist im Hinblick auf Art. 3 GG gefordert worden, da die einzelnen Bür­ ger nicht anders behandelt werden dürften als Verbände163 • Daraus sind drei Folgerungen gezogen worden : 1. wenn die Verbände von der Re­ gierung über eine beabsichtigte Gesetzgebung unterrichtet würden, müsse gleichzeitig eine Information der Öffentlichkeit erfolgen; 2. mit der Zuleitung von Referentenentwürfen an Verbände müsse deren In­ halt auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden; 3. Verhand­ lungen der Bundesregierung mit den Verbänden über den Inhalt eines geplanten Gesetzes dürften nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden 164• Man kann Bedenken haben, ob die Anwendung des Gleichheitsgebo­ tes im Verhältnis zwischen Verbänden und einzelnen Bürgern Platz greifen kann; denn Verbände sind anders zu beurteilen als einzelne Bürger, auch wenn sie ihr Mandat auf die einzelnen Mitglieder zurück­ führen und ihnen im Grundgesetz mit Ausnahme von Art. 9 GG kein besonderer Status beigemessen ist. Es ist aber zu berücksichtigen, daß es nicht darum geht, j edem einzelnen dieselben Beteiligungsmöglich­ keiten zu geben wie den Verbänden, sondern ihn in die Lage zu ver­ setzen, am Prozeß der Öffentlichen Meinung teilzunehmen. Wenn die Bundesregierung einem Teil der Öffentlichkeit, den Verbänden näm­ lich, die Möglichkeit gibt, am Prozeß der Staatswillensbildung mitzu­ wirken, darf sie die übrige Öffentlichkeit nicht ausschließen; dies folgt letztlich aus dem demokratischen Prinzip; insofern ist auch Art. 3 GG heranzuziehen. Der Anspruch der nichtorganisierten Öffentlichkeit geht auf dieselbe Information, wie sie den Verbänden zuteil wird. Die bisherige Praxis, wonach eine Information der Presse über einen Ent­ wurf oder seinen Inhalt nur erfolgt, wenn es „geboten" erscheint, und 183 Vgl. Wilhelm Neyses, Die Beteiligung von Interessenverbänden an der Gesetzesvorbereitung durch die Bundesregierung, 1968, S. 94 ff. 184 Vgl. Wilhelm Neyses (Fn. 163), S. 102, auch Hans-Ulrich Jerschke (Fn. 2), S. 524, verlangt „die Veranstaltung von öffentlichen Anhörungen im Mini­ sterialbereich".

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auch dann nur unter bestimmten Maßgaben, vgl. § 25 Abs. 3 GGO II, ist j edenfalls völlig unzureichend. Die Offenlegungspflicht der Bundesregierung geht dahin, die Öffent­ lichkeit zugleich mit den Verbänden über eine geplante Gesetzgebung zu informieren. Dabei genügt es, wenn z. B. den Massenmedien, vor allem der Presse, die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben wird. Eine darüber hinausgehende Veröffentlichungspflicht sollte nicht sta;­ tuiert werden. Wenn die Massenmedien einen Gesetzentwurf für nicht publizierungswürdig ansehen, besteht keine Verpflichtung der Regie­ rung, auf andere Weise, z. B. durch Anzeigen etc., eine Veröffent­ lichung herbeizuführen. M. E. geht eine Forderung zu weit, die öffentliche Kontaktnahmen zwischen Regierung und Verbänden verlangt. Dabei wird übersehen, daß es sich bei diesen Kontaktnahmen nicht um „Verhandlungen über den Inhalt eines geplanten Gesetzes" 165 handelt, auch wenn in der Pra­ xis die Anhörungen der Verbände oft diesen Anschein haben. Der In­ halt der Gesetzgebung wird aber nicht zwischen Regierung und Ver­ bänden ausgehandelt; die Regierung versucht vielmehr, durch Kontakt„ nahme mit den Verbänden und unter sorgfältiger Beachtung der öffent­ lichen Meinung, wenn eine solche besteht, den bestmöglichen Inhalt einer Gesetzgebung zu bestimmen. Die Entscheidung darüber obliegt allein der Regierung. Insoweit genügt es, wenn die Ergebnisse des Anhörungsverfahrens nebst der Liste der angehörten Verbände in die Begründung zum Gesetzentwurf aufgenommen und damit der Öffent­ lichkeit zugänglich gemacht werden. An dieser Stelle ist davor zu warnen, eine zu weitgehende Trans­ parenz des Regierungshandelns zu postulieren. Der Normierung einer weitergehenden Publizitätspflicht für das Anhörungsverfahren stün­ den zwar rechtliche Bedenken kaum im Wege. Der Hinweis auf die in den Beamtengesetzen vorgesehene Verschwiegenheitspflicht186 ist in diesem Zusammenhang nicht durchschlagend ; denn durch die Anhö­ rung wird ohnehin eine Teilöffentlichkeit geschaffen. Des weiteren zei­ gen neuere Tendenzen, z. B. zum Recht auf Akteneinsicht in Verwal„ tungsverfahren 167 , daß eine größere Transparenz der Regierungs- und 1 66 So aber Wilhelm Neyses (Fn. 163), S. 102. Vgl. den Hinweis bei Winfried Brohm, Sachverständige und Politik, in : Festschrift für Ernst Forsthoff, 1972, S. 37 ff., 61. 1 8 7 Die bisher h. M. ging davon aus, daß die Gewährung der Akteneinsicht in den nicht gesetzlich geregelten Fällen dem pflichtgemäßen Ermessen einer Behörde obliege, vgl. BVerwGE 30, S. 155 ff., 160 m. w. N. § 25 Abs. 1 des Entwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1973, BT-Drucksache 7 /910, sieht demgegenüber einen grundsätzlichen Anspruch auf Akteneinsicht für die am Verfahren Beteiligten vor. ,,Er bedeutet die grundsätzliche Ab­ kehr von dem bislang geltenden Prinzip der Aktengeheimhaltung im deut­ schen Verwaltungsverfahren . . . ", vgl. Begründung zu § 25. 196

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Verwaltungsarbeit grundsätzlich anerkannt wird. Es soll freilich nicht verkannt werden, daß im Einzelfall eine begründete Geheimhaltungs­ notwendigkeit bestehen kann168 • Gegen eine zu weitgehende Transparenz des Regierungshandelns spricht aber, daß damit das Interesse überschätzt würde, das von der Öffentlichkeit der Gesetzgebung entgegengebracht wird. Nur wenige Gesetzentwürfe finden das Interesse der gesamten Öffentlichkeit. Dies gilt selbst dann, wenn man eine bisher unzureichende Öffentlichkeits­ arbeit der Regierung einrechnet. Die meisten Vorhaben betreffen nur einen Teil der Öffentlichkeit und werden auch nur von den Betroffe­ nen mit einiger Aufmerksamkeit verfolgt, wobei vor allem die ent­ sprechenden Verbände, die für eine Beachtung und Diskussion sorgen, in Frage kommen. Wenn man nun dazu übergehen würde, unterschieds­ los alle Entwürfe der Öffentlichkeit zu präsentieren, könnte das eher dazu führen, daß der einzelne Bürger und auch die Massenmedien gegenüber der Flut der Gesetzesvorhaben abstumpfen und wichtige, allgemein interessierende Entwürfe nicht mehr die Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen zukommt. Die Transparenz der Öffentlichkeit gegenüber sollte daher grundsätzlich nur in der Bereitschaft der Re­ gierung bestehen, die Öffentlichkeit im gleichen Maße zu informieren, wie die von ihr ausgewählten Verbände. Es empfiehlt sich daher das­ selbe Verfahren, das auch für die nichtbeteiligten Verbände vorge­ schlagen wurde: eine Liste, die diejenigen Gesetzesvorhaben enthält, für die ein Anhörungsverfahren in Gang gesetzt wurde, verbunden mit der Möglichkeit der Einsichtnahme der Entwürfe. Die vorgeschlagenen Regeln über die Veröffentlichung der Entwürfe und der Stellungnahme der angehörten Verbände zu ihnen, gelten nur für den Fall, daß überhaupt eine Anhörung vorgenommen wird. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Regierung, abgesehen von den durch Gesetz begründeten Anhörungsrechten, gehalten ist, zu jedem Gesetzentwurf ein Anhörungsverfahren durchzuführen. Die Frage ist zu verneinen; wie oben bereits näher ausgeführt, gibt es keinen ver­ fassungsrechtlichen Anspruch auf Beteiligung der Verbände am Ge­ setzgebungsverfahren. Unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung der Verbandsbeteiligung erscheint es auch nicht sinnvoll, die Regierung zu verpflichten, bei jedem Gesetzentwurf eine Anhörung vorzuneh­ men. Zum einen gibt es Materien, bei denen der Sachverstand der Verwaltung ausreicht, um einen vertretbaren Inhalt zu gewährleisten, oder bei denen es keine Verbände gibt, die unmittelbar betroffen wä168 Diese Geheimhaltungsnotwendigkeit ist im Gesetzgebungsverfahren wohl nicht allzu häufig, da Gesetzesvorhaben spätestens mit Zuleitung an den Bundestag publik werden. Die Frage konzentriert sich auf das Geheim­ haltungsinteresse im Hinblick auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung (Schubladengesetze).

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ren, oder bei denen ein anderes Verfahren der Beteiligung, etwa in einem gemischten Beirat, sinnvoller erscheint. Zum anderen kann die Regierung auch einmal ein Interesse haben, einen Entwurf ins Gesetz­ gebungsverfahren zu leiten, der nicht mit den Verbänden abgestimmt ist; dies kann darauf beruhen, daß die Regierung versucht, einer Ver­ bandsforderung entgegenzuwirken oder daß sie über den Zeitpunkt der Bekanntgabe einer Initiative unabhängig entscheiden will. Man sollte deshalb die Entscheidung darüber, ob eine Anhörung durchge­ führt wird, dem Ermessen der Regierung bzw. des federführenden Ministeriums überlassen, wie das bisher schon geregelt ist. Nachteile für die Verbände haben sich schon bisher nicht ergeben, weil die Referenten der Ministerien in der Regel selbst an einem verbands­ festen Entwurf interessiert sind, bevor sie eine Kabinettsentscheidung bzw. das Einbringen der Vorlage ins Parlament in die Wege leiten. Wie bisher sollte auch die Auswahl der anzuhörenden Verbände dem Ermessen der Ministerialbürokratie überlassen bleiben. Diese ist von sich aus bestrebt, den Kreis der anzuhörenden Organisationen möglichst weit zu ziehen, um eine breite Basis des Konsenses der betroffenen Verbände zu erreichen. Von der Statuierung eines Anspruchs auf Be­ teiligung sollte man absehen. Angesichts der Vielzahl der Verbände und der Schwierigkeiten, ein brauchbares Abgrenzungskriterium für die Beteiligungsberechtigung zu finden, sollte man hier bei der der­ zeitigen Regelung bleiben. Es hat sich in der Schweiz, wo die Formulierung des Art. 32 Bundes­ verfassung einen Anspruch der Verbände statuiert, gezeigt, daß das Auswahlkriterium der Zuständigkeit (,,zuständigen Organisationen") keine scharfe Abgrenzung ermöglicht; dasselbe würde gelten, wenn man von Betroffenheit sprechen würde. Gerade das schweizerische Beispiel beweist aber auch, daß die Anspruchsqualität der Regelung praktisch keine Rolle spielt. Es kommt über die Beteiligung nicht zu einem Rechtsstreit. Die Nichtberücksichtigung wird mit politischen Mit­ teln ausgetragen, vor allem über eine Mobilisierung der öffentlichen Meinung. Ähnlich müßte auch die Lösung für die deutsche Regelung aussehen. Es ist zweifellos rechtsdogmatisch ein ebenso reizvolles wie schwie­ riges Problem, die Beteiligung eines nichtberücksichtigten Verbandes rechtlich durchzusetzen, wenn von dem Auswahlermessen der Ministe­ rialbürokratie ausgegangen werden muß 169 • Ebenso unzweifelhaft sind 189 Vgl. z. B. Günter Brenner, Zum Mitwirkungsrecht der Verbände und Vereinigungen bei der Gesetzgebung des Bundes und beim Erlaß von Ver­ ordnungen, in : BB 1960, S. 873 ff. ; Klaus-Jürgen Lange, Die Rechtsstellung der Interessentenverbände, 1966, S. 286 ff. ; Gerhard Semar, Die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung der wirtschaftlichen Interessenverbände beim Zu­ standekommen und bei der Ausführung von Bundesrecht, 1969, S. 77 ff. ;

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auch Fälle denkbar, in denen das Auswahlermessen auf Null zusam­ menschrumpft und die einzig mögliche Entscheidung die der Beteili­ gung eines bestimmten Verbandes ist170, so z. B. wenn zu einem arbeits­ rechtlichen Gesetz nur die Gewerkschaften, nicht aber auch die Arbeit­ geberverbände gehört würden. Dennoch bleibt es dabei, daß rechtliche Mittel für die Austragung eines Konflikts in diesem Bereich nicht angebracht sind. Dies folgt nicht nur aus der geringen Erfolgsaussicht rechtlicher Mittel: der Anspruch ginge ja höchstens auf Beteiligung, nicht aber auf sachliche Verwertung der Stellungnahme; vielmehr sind hier andere Möglichkeiten gegeben. Einmal kann auch ohne ministerielle Aufforderung eine Beteiligung durch Abgabe von Stellungnahmen erfolgen, da die anstehenden Gesetzesvorhaben, für die eine Anhö­ rung eingeleitet ist, nach hier vertretener Auffassung zu veröffent­ lichen sind. Zum anderen kann die Nichtberücksichtigung des Verban­ des spätestens nach Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundestag, wenn die Liste der angehörten Verbände veröffentlicht ist, durch Ein­ gaben gegenüber dem Parlament und seinen Ausschüssen gerügt wer­ den. Hierin liegt eine Möglichkeit, die in begründeten Fällen der Mini­ sterialbürokratie sehr peinlich sein dürfte. Beides kann unterstützt werden durch eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Diese politischen Möglichkeiten lassen eine besondere rechtliche Sanktion überflüssig erscheinen. Dies gilt für eine verwaltungsge­ richtliche Klage (z. B. Feststellungsklage) ebenso wie für den interes­ santen Vorschlag, für den Fall der Nichtanhörung ein öffentliches „Monierrecht" 171 vorzusehen, wobei die Prüfung und Feststellung einer Verletzung des Beteiligungsrechtes durch den Ältestenrat des Bundes­ tages erfolgen sollte. Die rechtliche Situation stellt sich etwas anders dar, wenn ein ge­ setzlicher Anspruch auf Beteiligung besteht 172 ; auch in diesem Falle ist aber für die Nichtbeteiligung die politische Lösung des Konflikts der rechtlichen Auseinandersetzung, deren tatsächliche Erfolgsaussichten nicht groß sind 173, vorzuziehen. Es muß betont werden, daß angesichts Axel Saipa, Politischer Prozeß und Lobbyismus in der Bundesrepublik und in den USA, 1971, S. 136 ff. 17° Franz Knöpfte, Länderbericht: Allemagne Federale, in : Georges Lang­ rod (Hrsg.), La Consultation dans l' Administration Contemporaine, 1972, S. 637 ff., 703, folgert bei der Zusammensetzung von Beiräten aus dem Rechtsstaatsprinzip die Verpflichtung der staatlichen Organe, im Falle einer Beteiligung von Verbänden auch die jeweils konkurrierenden Verbände zu berücksichtigen ; dies muß dann erst recht für die Anhörung gelten. 171 Vgl. Sigurd Schacht, Das rechtliche Gehör im Gesetzgebungsverfahren unter Berücksichtigung der Verbände, 1969, S. 144 ff. 172 Vgl. § 94 BBG; dazu ausführlich Hans Werner Laubinger, Beamtenorga­ nisationen und Gesetzgebung, 1974, S. 563 ff. 173 Nach h. L. sind sie nach Zustandekommen des Gesetzes auf einen Fest­ stellungsantrag beschränkt, s. o. S. 80.

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der derzeitigen Auswahlpraxis der Ministerien echte Konfliktfälle ohnehin selten sind. In engem Zusammenhang mit der Rechtsqualität der Verbandsbetei­ ligung (Auswahlermessen der Regierung, Anspruch der Verbände) steht die Frage, wo die Anhörung der Verbände bei Regierungsentwür­ fen zu regeln ist; in einem Gesetz oder in der Gemeinsamen Geschäfts­ ordnung der Bundesministerien, Besonderer Teil, wie bisher. Gegen die Stellung der Regelung in der GGO II ist vorgebracht wor­ den, daß damit die Situation der Verbände im Hinblick auf die Betei­ ligung zu unsicher sei. Die GGO II sei eine reine Verwaltungsanord­ nung, die jederzeit ohne besondere Vorkehrungen und ohne Beteiligung der Verbände, des Parlaments oder der Öffentlichkeit geändert wer­ den könne. Deshalb sei die Beteiligungsregelung in einem Gesetz zu verankern, um den Verbänden einen gewissen Bestandsschutz zu ge­ währleisten und eine unvorhergesehene Änderung zu erschweren174 . Eine solche Forderung verkennt aber den Stellenwert und die Be­ standskraft von Geschäftsordnungsvorschriften 175 . Gerade die in Frage stehende Vorschrift über die Beteiligung von Verbänden an Gesetz­ entwürfen ist ein Beispiel für die Konstanz solcher Regeln. Sie war in ähnlicher Form bereits Bestandteil der Geschäftsordnung der Reichs­ ministerien 178 , und während die Verfassungen sich gewandelt haben, blieb diese Geschäftsordnungsvorschrift nahezu unverändert bestehen. Angesichts der unbestrittenen Bedeutung, die diese Regelung für das Verhältnis von Regierung zu Verbänden hat, ist eine Abschaffung nicht zu befürchten. Umgekehrt könnte man daran denken, daß eher durch eine gesetzliche Regelung eine Beschneidung der Beteiligungs­ möglichkeiten der Verbände erfolgen würde, als durch die Regierung, die bei ihren Gesetzentwürfen oft genug Seite an Seite mit den Ver­ bänden gegen das Parlament antritt. Da die Regierung für ihre Gesetz­ entwürfe auf die Mitarbeit der Verbände in vielfacher Hinsicht ange­ wiesen ist, wird eine wesentliche Beschneidung der Verbandsbeteili­ gung durch Änderung der GGO II durch die Regierung nicht erfolgen. Zum Schutz der Verbände ist demnach keine gesetzliche Regelung erforderlich. 174 So Axel Saipa (Fn. 169), S. 229 f. m Dazu grundlegend Hans Schneider, Die Bedeutung der Geschäftsord­ nungen oberster Staatsorgane für das Verfassungsleben, in : Rechtsprobleme in Staat und Kirche, Festgabe für Rudolf Smend, 1952, S. 303 ff. ; Carl Böhret, Institutionalisierte Einflußwege der Verbände in der Weimarer Republik, in : Hans Josef Varain (Hrsg.), Interessenverbände in Deutschland, · 1973, S. 216 ff., 217, stellt fest, daß die Spitzenorganisationen der Privatwirtschaft von Anfang an den Geschäftsordnungen der obersten Staatsorgane große Bedeutung zugemessen haben. 178 Dazu Wilhelm Hennis (Fn. 150), S. 29 ; Carl Böhret (Fn. 175), S. 216 ff.

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Es gibt im übrigen gute Gründe dafür, die Regelung der Verbands­ beteiligung in der GGO II zu belassen. Dort ist die Entstehung von Regierungsvorlagen geregelt ; dazu gehört aber auch die Anhörung von Verbänden. Wollte man diese in einem Gesetz gesondert regeln, könnte sie leicht ein zu großes Gewicht bekommen. Durch die Aufnahme in die GGO II ist klargestellt, daß die Verbände für den Gesetzentwurf der Regierung Zubringerdienste leisten, aber nicht die Entscheidung formell mitbestimmen. Eine gesetzliche Regelung müßte diese Ge­ wichtsverteilung stören. Darüber hinaus ist die Geschmeidigkeit von Geschäftsordnungsregelungen, die leichter den tatsächlichen Bedürf­ nissen angepaßt werden können, der Starrheit gesetzlicher Regelungen vorzuziehen 177 • Im übrigen sind zur Anhörung nur solche Verbände heranzuziehen, die sich in die beim Präsidenten des Deutschen Bundestages geführte Liste der Verbände und ihrer Vertreter eingetragen haben178 • Regelungsvorschlag:

Die vorgeschlagenen Ergänzungen und Änderungen könnten zu folgender Fassung der entsprechenden Vorschriften der GGO II führen: § 23 (1)

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(3)

(4)

(5)

Anhörung der Verbände Bei der Vorbereitung von Gesetzen können die Vertreter der beteiligten Verbände angehört werden. Zeitpunkt, Umfang und Auswahl bleiben dem Ermessen überlassen. Die Anhörung gibt den Verbänden die Möglichkeit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen, eigene Regelungsvorschläge zu machen und diese zu begründen179 • Sie kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Die schrift­ liche Anhörung ist zu befristen. Die Frist soll so bemessen sein, daß die Verbände eine demokratische Willensbildung zu den anstehenden Pro­ blemen herbeiführen können. Bei Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung ist eine Entscheidung des Bundeskanzlers einzuholen, bevor mit den Vertre­ tern der Verbände Fühlung genommen wird. Im übrigen ist darauf zu achten, daß die Fühlungnahme nicht in einer Weise vorgenommen wird, die dem Kabinett die Entscheidung erschwert. Es sind nur solche Verbände heranzuziehen, die sich in die beim Präsi­ denten des Deutschen Bundestages geführte „Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertreter" eingetragen haben; Verbände, deren Wirkungskreis sich nicht über das gesamte Bundes­ gebiet erstreckt, sind im allgemeinen nicht zu berücksichtigen. Weitergehende Sondervorschriften werden hierdurch nicht berührt.

177 So für die schweizerischen Verhältnisse Max Flückiger (Fn. 159), S. 128 ff.; Jacques-Michel Grassen (Fn. 103), S. 376. 1 78 So schon der Antrag der CDU/CSU, SPD-Fraktionen in BT-Drucks. V/2955 Nr. 1. 170 Diese Definition der Anhörung entspricht Ziffer I Nr. 1 Satz 2 der Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz (F. 148), S. 463.

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§ 25 Unterrichtung anderer Stellen (1) unverändert. (2) Sobald und soweit ein Gesetzentwurf beteiligten Verbänden (§ 23) zuge­ leitet worden ist, ist er den Geschäftsstellen der Fraktionen des Bundes­ tages und auf Wunsch Mitgliedern des Bundestages zur Kenntnis zu geben ; in gleicher Weise sind das Sekretariat des Bundesrates und auf Wunsch Mitglieder des Bundesrates über den Entwurf zu unterrichten. (3) In den Pressestellen der Ministerien wird eine Liste derjenigen Geset­ zesvorhaben geführt, für die ein Anhörungsverfahren in Gang gesetzt ist. Die Presse und nichtbeteiligte Verbände können die Liste jederzeit einsehen. Auf Verlangen ist ihnen Einsichtnahme in den Entwurf selbst zu geben, wobei ihnen die Anfertigung von Auszügen, fotomechanischen Vervielfältigungen etc. gestattet ist.

§ 37 Einbringen der Gesetzesvorlage § 37 wird wie folgt geändert : § 37 Abs. 3 erhält folgende Fassung : (3) In der Begründung sind andere wesentliche Lösungsmöglichkeiten dar­ zustellen und Erwägungen, die zu ihrer Ablehnung geführt haben, zu erläutern. Wenn eine Anhörung von Verbänden stattgefunden hat (§ 23), sind außerdem die wesentlichen Anhörungsergebnisse aufzunehmen. Dabei ist deutlich zu machen, welche Passagen des Entwurfs auf Anre­ gung der Verbände beruhen und wo wesentliche Abweichungen beste­ hen ; eine Liste der angehörten Verbände ist der Begründung beizufügen. Die Sätze 2 und 3 gelten für die Beteiligung der kommunalen Spitzen­ verbände nach § 23 a entsprechend 180•

§ 45 Beschlüsse des Bundestages § 45 wird wie folgt ergänzt : Nach Abs. 1 wird folgender Abs. 2 eingefügt : (2) Auf Verlangen werden die Stellungnahmen und Regelungsvorschläge der Verbände, die im Verfahren nach § 23 zu einem Gesetzentwurf abge­ geben wurden, dem federführenden Ausschuß zur Verfügung gestellt. Dies gilt für das Verfahren nach § 23 a entsprechend. Die vorbezeichneten Änderungen und Ergänzungen der GGO II würden ausreichen, um die oben aufgestellten Forderungen zu erfüllen.

°

18 Für die Betätigung der kommunalen Spitzenverbände besteht, wie oben S. 1 18 dargelegt, schon jetzt die Pflicht, wesentliche abweichende Mei­ nungen darzulegen. Dem trägt Satz 4 Rechnung.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium 2. Die Beteiligung der Verbände in Beratungsgremien (Beiräten, Kommissionen u. ä.)

Beiräte sind in der Bundesrepublik nicht als Formen für eine insti­ tutionalisierte Verbandsbeteiligung konzipiert. § 62 GGO I spricht da­ von, daß die Zugehörigkeit zu einem Beirat ein persönliches Ehrenamt ist, daß die Mitglieder ihre Aufgaben unparteiisch zu erfüllen haben und daß sie, wenn sie von Organisationen kommen, weder als deren Vertreter tätig nach an Weisungen gebunden sind. Dennoch besteht auch für die Bundesrepublik Deutschland Einigkeit darüber, daß hier Anspruch und Wirklichkeit in der Regel weit auseinanderklaffen181 • Ansatzpunkt der Kritik ist auch in diesem Fall nicht die Form der Zusammenarbeit in Beratungsgremien als solchen; im Gegenteil wird durchweg anerkannt, daß ein kleinerer Kreis von Fachleuten zu inten­ siver Arbeit mit durchdachten Ergebnissen fähig ist. Kritisch wird vielmehr auch hier die fehlende Öffentlichkeit vermerkt. Die Schaffung von Beratungsgremien ebenso wie ihre Aufgaben und konkreten Ar­ beiten, ihre Zusammensetzung, ihre Beratungen und Beratungsergeb­ nisse, sowie die Bedeutung für die endgültige Entscheidung entziehen sich weitestgehend dem Licht der Öffentlichkeit. Da die Mitarbeit in Beratungsgremien die engste Form der Zusammenarbeit zwischen Ver­ bänden und Staat darstellt, muß gerade hierbei die fehlende Öffentlich­ keit zur Kritik Anlaß geben 182 • Sie ist auch der Hintergrund für die Kri­ tik, die dahingeht, daß eine Mitarbeit von Verbandsvertretern in Bera­ tungsgremien wegen der begrenzten Zahl der Mitglieder eines solchen Gremiums regelmäßig zu einer Bevorzugung der bedeutenderen Ver­ bände zu Lasten der unbedeutenderen führen werde 188 • Abhilfe kann nur dadurch erfolgen, daß das Beiratswesen durchsichtiger und kon­ trollierbarer gestaltet wird. Anregungen für eine Regelung kann man sich bei den Richtlinien des Schweizerischen Bundesrates für Expertenkommissionen holen183a, zumal die schweizerischen Expertenkommissionen speziell für das Vor­ verfahren der Gesetzgebung ins Leben gerufen werden, während die Beratungsgremien in der Bundesrepublik in der Regel dauernde Auf­ gaben der Beratung wahrnehmen, darunter vielfach auch Gesetzes­ vorhaben. Die schweizerischen Expertenkommissionen im Vorverfahren der Gesetzgebung, die jeweils ad hoc gebildet werden, eignen sich des181

Vgl. Wilhelm Hennis (Fn. 150), S. 31. Vgl. die treffende Kritik bei Winfried Brohm (Fn. 6), S. 60, der darauf verweist, daß eine derartige Arkanverwaltung ohne Beispiel ist. Er fordert deshalb mindestens formelle Publizität. 183 Vgl. Klaus v. Beyme (Fn. 15), S. 178. 183a Diese sind Teil der oben Fn. 159 zitierten „Richtlinien über das Vor­ verfahren der Gesetzgebung". 1 82

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halb in besonderer Weise als Vorbild für entsprechende deutsche Bera­ tungsgremien. Daneben sind auch die Anregungen und Vorschläge zu berücksichtigen, die als Schlußfolgerungen in dem bereits erwähnten184 Bericht des Bundesinnenministeriums vom 14. Mai 1970 enthalten sind 1 ss. Bei allen Vorschlägen muß beachtet werden, daß es vorliegend nur um Beratungsgremien geht, die mit der Gesetzesvorbereitung befaßt sind. Dabei macht es prinzipiell keinen Unterschied, ob ein Beirat nur mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, bei einem bestimmten Geset­ zesvorhaben beratend tätig zu werden, oder ob er ein ständiges Arbeits­ gebiet hat und die Gesetzesvorhaben auf diesem Arbeitsgebiet von ihm mitgestaltet werden. In beiden Fällen wird der Beirat in der Regel noch früher mit einem Gesetzesvorhaben befaßt als die Verbände im Anhörungsverfahren. Auch in der Schweiz befassen sich die Experten­ kommissionen bereits mit dem Vorentwurf, bevor das Vernehmlas­ sungsverfahren in Gang gesetzt wird 186 . Darüber hinaus kann auch der Vorentwurf selbst von einer Studienkommission ausgearbeitet sein, der ebenfalls von der Bundesverwaltung unabhängige Personen als Experten angehören können 1 87 . Ebenso ist auch für deutsche Verhält­ nisse denkbar, daß Anregungen für Gesetzentwürfe von ständigen Beratungsgremien ausgehen. Ferner können hier die Entwürfe schon beraten worden sein, die schließlich der Anhörung dann zugrundelie­ gen. Denkbar ist auch, daß ein Gesetzentwurf im Ministerium erstellt wird und anschließend unabhängig voneinander dem Beirat und den Verbänden zur Stellungnahme zugeht. Regelmäßig dürfte es aber so sein, daß der Beirat bereits vor der Anhörung mit dem Gesetzentwurf befaßt ist, sofern überhaupt ein Beirat eingeschaltet wird. Damit wird nicht nur besonders deutlich, wie unmittelbar die Einflußnahme der in den Beteiligungsgremien tätigen Verbandsvertreter auf den Inhalt des Gesetzentwurfs ist; es besteht darüber hinaus wie in der Schweiz die Möglichkeit, daß Verbände zu Gesetzentwürfen im Anhörungsver­ fahren Stellung nehmen, an deren Ausarbeitung sie bereits vorher beteiligt waren. Die erste Forderung geht dahin, daß Beratungsgremien nur für Sach­ gebiete geschaffen werden, in denen die Ministerien auf externen Sach1 84 Bericht des Bundesministers des Innern vom 14. Mai 1970 - V II 1 131 216/3 - zur „Erfassung der bei den Bundesministerien und Bundesober­ behörden bestehenden Beiräte, Ausschüsse, Arbeitskreise, Kommissionen und ähnlichen Gremien". 1 815 Die „Vorstellungen zur Reform der Beratung" bei Hannes Friedrich, Staatliche Verwaltung und Wissenschaft, 1970, S. 415 ff., sind für unsere Fragestellung weniger ergiebig. 188 Vgl. Nr. 6 ff. der Richtlinien über das Vorverfahren der Gesetzgebung vom 6. Mai 1970. 157 So Nr. 3 der Richtlinien.

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verstand angewiesen sind. Dabei sollte es sich um Sachgebiete größe­ rer Bedeutung handeln, wie es auch in der bisherigen Regelung vorge­ sehen ist; dazu kann freilich auch ein einzelnes Gesetzesvorhaben gehören 188 • Bisher liegt die Befugnis für die Schaffung von Beiräten bei den Ministern, § 62 Abs. 1 GGO ! 189 • Der Bericht des Innenministeriums schlägt zur Vereinheitlichung der Handhabung bei der Bildung von Beiräten vor, daß die Bildung eines Gremiums nur durch Kabinetts­ beschluß erfolgen sollte190 • Dieser Vorschlag ist zu befürworten. Der Beschluß durch das Kabinett entspricht dem Bestreben, Beiräte wirk­ lich nur für Arbeitsgebiete größerer Bedeutung einzurichten191 ; zudem wird auf diese Weise zugleich eine Information des Kabinetts erreicht, das sich dann im Einzelfall Rechenschaft davon geben muß, ob der in Frage stehende Beirat eingerichtet werden soll oder nicht. Allerdings müßte das Vorschlagsrecht den Ministerien zustehen. Es ist fraglich, ob eine solche Regelung nicht gegen die ministerielle Organisationsbefugnis verstößt, die sich aus der selbständigen Ressort­ gewalt der Minister herleitet192 ; aus dieser Organisationsbefugnis er­ gibt sich, daß das Recht zur Errichtung von Beiräten grundsätzlich den Ministern zusteht. Eine Bildung durch Kabinettsbeschluß ist zwar zu­ lässig, ,,aber nicht gegen den Willen des Ministers, bei dem der Beirat errichtet werden so11" 193 • Selbst wenn man von einem Vorschlagsrecht der Minister ausgeht, würde die generelle Übertragung der Errich­ tungsbefugnis auf das Kabinett der ministeriellen Organisationsgewalt zuwiderlaufen. Ob das Interesse an einer einheitlichen Handhabung des Beratungswesens 194 dazu führen kann, die Berechtigung für die Errichtung von Beiräten auf die Regierung zu übertragen, kann zwei­ felhaft sein. In einer entsprechenden Änderung der GGO I könnte man 188 Gerade für komplexere Gesetzesvorhaben könnte die Einrichtung von ad-hoc-Kommissionen erwogen werden ; ad-hoc-Kommissionen werden auch von den Ministerialbeamten befürwortet, vgl. Hannes Friedrich (Fn. 185), S. 431, da dann die Zusammensetzung jeweils nach den erforderlichen fach­ lichen Ausrichtung erfolgen kann. 189 Vgl. den Bericht des MdI (Fn. 184), S. 18. 190 Vgl. den Bericht ebd. 191 Dies entspricht der Regelung bei den Anhörungsvorschriften ; auch hier ist bei Gesetzentwürfen von besonderer politischer Bedeutung eine Ent­ scheidung des Bundeskanzlers notwendig. In der Schweiz obliegt die Ent­ scheidung über die Einrichtung einer Expertenkommission dem Departe­ ment; allerdings ist der Bundesrat vor der Einsetzung zu orientieren ; er kann über die Zusammensetzung Weisungen erteilen, vgl. Nr. 6 der Richt­ linien. 192 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 255. 193 So Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 192), S. 255. 19 4 Vgl. den Bericht des MdI (Fn. 184), S. 18.

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aber eine Überlassung der Ausübung der ministeriellen Organisations­ befugnis an das Kabinett sehen195 • Dies gilt jedenfalls für Beiräte, die sich ausschließlich mit der Ge­ setzesvorbereitung befassen; denn die Erarbeitung von Gesetzentwür­ fen ist eine Aufgabe, für die das Kabinett als ganzes zuständig ist1 96 • Mit der Entscheidung des Kabinetts über die Bildung eines Beirates würde auch die Festlegung des Aufgabenbereichs erfolgen. Hier müßte gegebenenfalls bereits beschlossen werden, ob der Beirat auf Dauer oder nur für ein bestimmtes Projekt eingerichtet werden soll. Ein wesentlicher Punkt ist die Zusammensetzung der Beratungs­ gremien. Dabei stellt sich zunächst die Frage, welcher Personenkreis in das Gremium berufen werden soll, wem die Auswahl der Personen obliegt und nach welchen Kriterien ausgewählt wird. Damit eng ver­ bunden ist der Status der Mitglieder. Der Personenkreis, aus dem ein Beirat zusammengesetzt werden könnte, kann grundsätzlich aus drei Gruppen bestehen : aus Angehörigen der Ministerialverwaltung, aus unabhängigen Sachverständigen (vor allem Wissenschaftlern, aber auch Abgeordneten) und aus verbandszugehörigen Sachverständigen. Angehörige der Ministerialverwaltung in die Beiräte mitaufzuneh­ men dürfte sich empfehlen, da sie regelmäßig über einen größeren Überblick über den Arbeitsbereich des Ministeriums verfügen und deshalb die Arbeit des Beirates einordnen können. Sie sind außerdem die notwendigen Informanten über die politischen Ziele, die mit der Arbeit verfolgt werden sollen etc. Ob ihnen in der Regel nur eine beratende Stimme zukommen soll, wie dies für die Mitwirkung von Bundesbeamten in Expertenkommissionen in der Schweiz vorgesehen ist 197 , scheint mir nicht von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, da die Tätigkeit der Beiräte ohnehin auf Beratung ausgerichtet ist und Mehrheitsentscheidungen nicht die Regel sein dürften. Die Beteiligung unabhängiger Sachverständiger braucht nicht be­ gründet zu werden. Sie bringen Sachverstand ein und können dazu beitragen, Interessenstandpunkte zu verdeutlichen und zu neutralisie­ ren. Ihnen zuzurechnen wären sachverständige Abgeordnete, die wegen ihrer besonderen fachlichen Qualifikation auch einmal in Beiräte be­ rufen werden könnten 198 • Daß sich dabei Schwierigkeiten aus der Par­ teiangehörigkeit ergeben können, sei hier nur angedeutet. Ähnlich Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 192), S. 149. Vgl. Winfried Brohm (Fn. 6), S. 54 mit Anm. 44 ; für Fragen, für die das Kabinett als Ganzes zuständig sei, komme diesem die Einrichtung von Bei­ räten zu. 197 Vgl. Nr. 7 Abs. 3 der Richtlinien. 198 Die schweizerische Regelung läßt ebenfalls die Teilnahme von Mit­ gliedern der Bundesversammlung in Ausnahmefällen zu, vgl. Nr. 7 Abs. 2 der Richtlinien. 195 196

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Problematisch wird es bei den verbandszugehörigen Sachverständi­ gen. Die bisherige Regelung hat als Kriterium für die Auswahl der Experten unterschiedslos die Qualifikation angesehen und im übrigen das Problem der Verbandszugehörigkeit mit den oben angeführten Formulierungen ausgeklammert. Nun fällt aber die Wahl auf den ver­ bandszugehörigen Experten nicht nur, weil der beste Sachverstand ohnehin nur bei den Verbänden zu finden ist; vielmehr interessiert in den Beratungen eines Beirates auch die Meinung eines Verbandes über die Sache. Wenn in einem verkehrspolitischen Beirat Vertreter der großen Autofahrerverbände sitzen, dann nicht nur, weil sie Verkehrs­ experten sind, sondern auch, weil man wissen will, wie geplante Neue­ rungen bei ihren Mitgliedern ankommen werden. Die Information über die zu einem Problem bestehenden Interessen sind für die Bera­ tung ebenso wichtig wie Informationen zur Sache selbst. Damit wird der Sachverstand des verbandsangehörigen Experten in zweifacher Hinsicht erwartet : im Hinblick auf die Sache selbst und im Hinblick auf die von seinem Verband in bezug auf die Sache vertretenen Inter­ essen 199 . Nicht erwünscht ist dagegen die aktive Interessenvertretung; gefragt ist nur die Kenntnis der Interessen. Auch für den verbands­ angehörigen Sachverständigen gilt daher die Auswahl nach Qualifika­ tion, nur setzt diese Qualifikation für die Kenntnis bestimmter Inter­ essen auch die Zugehörigkeit zu bestimmten Verbänden voraus. Das bedeutet aber, daß bei der Auswahl der verbandsangehörigen Sach­ verständigen nicht die fachliche Qualifikation allein eine Rolle spielt, sondern auch die Frage, welchem Verband sie angehören. Bei dieser Sachlage könnte es widersinnig erscheinen, wenn man dennoch auch die Verbandsexperten ad personam berufen, sie zu un­ parteiischer Tätigkeit anhalten und ihnen ein freies Mandat gegenüber ihrem Verband einräumen würde200 . Dennoch sollte man an der dies­ bezüglichen Regelung festhalten. Theoretisch ist es durchaus denkbar, daß jemand einen Interessenstandpunkt beschreibt, ohne ihn durch­ zusetzen zu versuchen20 1 . Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß der Verbandsvertreter das ihm eingeräumte freie Mandat gar nicht aus­ nutzen will, was die Regel sein wird202 , ist der Appell an die unpartei­ ische Erfüllung der Aufgaben dazu angetan, allzu hemmungslose In­ teressenvertretung im Beirat zu erschweren. Im übrigen darf nicht 1 09 Dazu eingehend Prodromos Dagtoglou, Der Private in der Verwaltung als Fachmann und Interessenvertreter, 1964, S. 55 f. m. w. N. 200 Prodromos Dagtoglou (Fn. 199), S. 56, plädiert deshalb für die Annahme eines imperativen Mandats der Interessenvertreter. 201 Prodromos Dagtoglou (Fn. 199), ebd., übersieht, daß die Ministerial­ verwaltung nicht den Vertreter der Interessen, sondern den Kenner der Interessen benötigt. 202 Die derzeitige Formulierung läßt offen, ob die Verbandsvertreter sich nicht freiwillig an Weisungen ihrer Organisationen halten können.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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übersehen werden, daß auch die bloße Schilderung der Interessen bereits Interessenpolitik darstellt. Aber durch die Beteiligung der Ministerialbeamten und vor allem der Wissenschaftler, auf deren Mit­ wirkung nicht verzichtet werden sollte, ist doch eine Ausgleichsmöglich­ keit geschaffen, die um so wirksamer ist, j e mehr Arbeit und Arbeits­ ergebnis transparent gemacht werden. Immerhin kommt mit der Zuziehung verbandsangehöriger Sachver­ ständiger die Interessenpolitik in die Beratung. Eine zusätzliche Ab­ sicherung gegen die Dominanz der Interessenpolitik könnte einmal in der prozentualen Beteiligung der Verbandsvertreter am Gesamtbeirat liegen. Es dürfte sich empfehlen, die Zahl der Verbandsangehörigen nicht über die der unabhängigen Sachverständigen ansteigen zu lassen. Die mitwirkenden Ministerialbeamten können gegebenenfalls ausglei­ chend wirken. Zum anderen gilt hier das Gebot, die Interessen mög­ lichst gleichmäßig zu berücksichtigen203 • Gerade wenn die Notwendig­ keit, die Gesamtpersonenzahl eines Beratungsgremiums möglichst klein und arbeitsfähig zu halten, nur eine kleine Anzahl verbandszugehöri­ ger Sachverständiger zuläßt, muß darauf geachtet werden, daß die widerstreitenden Interessen vertreten sind. Im engen Zusammenhang damit steht die Frage, wer die Auswahl­ befugnis für die Mitglieder eines Beirates hat. Ebenso wie für die Bildung des Beratungsgremiums selbst sollte auch hier der Vorschlag von dem Ministerium gemacht werden, bei dem der Beirat angesiedelt werden soll; die Entscheidung sollte aber beim Kabinett liegen. Damit könnte die Gleichartigkeit der Kriterien für die Auswahl gesichert werden; außerdem wäre auch leichter ein Überblick über die Auswahl­ praxis und den Kreis der beteiligten Sachverständigen zu behalten. Schließlich könnte auch eine einseitige Beteiligung bestimmter Ver­ bände verhindert werden. Dabei ist davon auszugehen, daß einige Ministerien eine starke Affinität zu bestimmten Verbänden aufweisen, die zu einer Bevorzugung bei der Auswahl der Sachverständigen füh­ ren könnte. Auch die verbandszugehörigen Sachverständigen sollten also nicht von den Verbänden bestimmt und ausgesucht werden; es ist allerdings fraglich, ob in der Praxis nicht doch eine Absprache mit dem sachlich zuständigen Verband nötig ist, um den kompetenten Ver­ bandsvertreter zu bestimmen. Die Bildung eines Beratungsgremiums, sein Aufgabenbereich sowie die Liste der ihm angehörenden Personen wäre zu veröffentlichen. Als Veröffentlichungsorgan empfiehlt sich der Bundesanzeiger. 208 Franz Knöpfle (Fn. 170), S. 703, folgert dieses Gebot aus dem Rechts­ staatsprinzip ; a. A. Winfried Brohm (Fn. 6), S. 57, nach dessen Auffassung die Regierung in der Wahl ihrer Berater grundsätzlich frei ist ; allerdings hält auch er eine ausgewogene Zusammensetzung für ein „Gebot der politischen Klugheit".

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2.Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Um die Arbeit der Beratungsgremien durchsichtiger zu machen, sollte grundsätzlich vorgesehen werden, daß in den Sitzungen Protokoll ge­ führt wird. Die Sitzungen generell öffentlich abzuhalten204, dürfte nicht zweckmäßig sein. Neben Bedenken, die der praktischen Realisierung der Öffentlichkeit solcher Sitzungen entgegenstehen, kann die Durch­ sichtigkeit der Arbeit der Beiräte auch auf andere Weise gesichert werden. Dazu ist auch nicht die Veröffentlichung der Protokolle not­ wendig, die lediglich zu einer unübersichtlichen Papierflut beitragen würde205 • Zu denken wäre vielmehr an periodisch, z.B. j ährlich, zu er­ stellende Berichte, in denen über die Arbeit des Beirates Auskunft ge­ geben würde. Solche Berichte könnten in den Ministerien eingesehen werden, bei denen die Ausschüsse angesiedelt sind. Hat ein Beirat an der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs teilgenommen, müßten die Art und Weise und der Umfang dieser Beteiligung in der Begründung deutlich gemacht werden206 • Von den Beratungsgremien zu einem Ge­ setzentwurf erarbeitete Arbeitspapiere und Stellungnahmen wären auf Wunsch den Bundestagsausschüssen zugänglich zu machen, wie dies auch für die Stellungnahmen der Verbände im Anhörungsverfah­ ren vorgesehen wurde207 • Um schließlich einen Gesamtüberblick über die bei den Ministerien tätigen Ausschüsse, Beiräte etc. zu haben, wäre eine fortlaufende Liste zu führen, in der das Aufgabengebiet des Gremiums, das Ministerium, dem es beigegeben ist, sowie die Ausgabe des Bundesanzeigers, in dem die Errichtung des Beirats mit der Liste der Mitglieder veröffentlicht ist, anzugeben sind. Die Führung der Liste sollte dem Bundesinnen­ minister übertragen werden. Bisher ist die Bildung von Beiräten in der GGO I geregelt. Denkbar wäre auch die Verabschiedung eines Gesetzes über die Bildung von Beiräten, in dem die vorgenannten Grundsätze festgelegt werden könn­ ten. Eine Änderung dieser Grundsätze würde dann jeweils die Zu­ stimmung des Bundestages voraussetzen. Dieser Grund allein läßt es aber nicht angezeigt erscheinen, von der bisherigen Regelungsform ab­ zuweichen. Politisch gesehen ist die Änderung der GGO I in diesen Punkten ohne vorherige Abstimmung mit dem Parlament und den 204 Nach Winfried Brohm (Fn. 6), S. 61, steht die Öffentlichkeit der Bera­ tung im Ermessen der Exekutive. 205 Jacques-Michel Grassen (Fn. 103), S. 373, weist zutreffend darauf hin, daß das Transparenzideal nicht so weit getrieben werden darf, daß der Bund verpflichtet ist, Dokumente zu vertreiben, die zu 95 0/o ungelesen ver­ nichtet werden. 206 Wie bei der Anhörung, s. o. S. 198 f. 207 s.o. S. 199; zu weitgehend Peter Alexander Philipp, Die Offenlegung des Einflusses von Interessenverbänden auf die Staatswillensbildung in BRD, 1974, S. 233, der vorschlägt, die Veröffentlichung von Arbeitspapieren und Gutachten zur Regel zu machen.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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Verbänden ganz unwahrscheinlich. Die Verbindlichkeit und die Be­ standskraft etwaiger Vorschriften der GGO I sind deshalb ausreichend hoch. Zudem ist es Sache der Regierung, darüber zu befinden, ob sie überhaupt Beratungsgremien einrichten will; dann sollte auch die kon­ krete Ausgestaltung im Verantwortungsbereich der Regierung ver­ bleiben. Die Bildung bestimmter Beiräte, die Ministerien zugeordnet wären, durch Gesetz sollte schon aus Gründen der Gewaltentrennung vermie­ den werden208• Die formale Rechtsposition der Verbände hinsichtlich der Beteiligung in Kommissionen oder Beiräten ist schwach. Weder haben sie einen durchsetzbaren Anspruch darauf, daß ein Beirat zur Ausarbeitung oder Begutachtung eines Gesetzesvorhabens eingerichtet werde, noch können sie die Beteiligung an einem bestehenden Beratungsgremium verlan­ gen. Letzteres wird schon dadurch ausgeschlossen, daß auch die ver­ bandsangehörigen Sachverständigen ad personam ausgewählt werden. Wenn trotz dieser schlechten Rechtsposition die Mitarbeit der Verbände in Beratungsgremien auch für die Bundesrepublik Deutschland als besonders bedeutsam herausgestellt wird, ist dies ein neuerlicher Hin­ weis darauf, daß politische Sachverhalte nicht immer rechtlicher Sank­ tionsmechanismen bedürfen, um Ergebnisse zu garantieren. Regelungsvorschlag: Die vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen könnten zu folgender Regelung führen: § 62 GGO I - Beratungsgremien (1) Beratungsgremien (Beiräte, Kommissionen usw.) sollen nur für Ar­ beitsgebiete von größerer Bedeutung gebildet werden ; dazu können auch einzelne Gesetzgebungsvorhaben rechnen. Die Beratungsgremien werden dem Ministerium zugeordnet, zu dessen Bereich die Aufgabe des Bera­ tungsgremiums ganz oder überwiegend gehört. (2) Beratungsgremien werden auf Vorschlag der Bundesminister durch Beschluß der Bundesregierung errichtet. Die Bundesregierung befindet auch über den Aufgabenbereich, die Mitgliederzahl und die zu berufen­ den Sachverständigen. Die Errichtung eines Beratungsgremiums, sein Aufgabenbereich sowie die Liste der Mitglieder sind im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. 208 Vgl. den Bericht des MdI (Fn. 184), S. 19; Winfried Brohm (Fn. 6), S. 56, hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit solcher Gesetze. Dem ist zuzustimmen. Die gesetzlich statuierte Pflicht zur Beteiligung eines Beirats an der Gesetzesvorbereitung des Bundes unter­ scheidet sich nicht grundsätzlich von der gesetzlichen Einräumung eines Beteiligungsanspruchs an Verbände. Dennoch hält auch Brohm ein solches Verfahren für rechtspolitisch bedenklich. Nach Ernst-Wolfgang Böckenförde (Fn. 192), S. 294, stellt die Errichtung von Beratungsgremien durch Gesetz einen Übergriff in den Bereich der Regierungsfunktionen dar.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

(3) Die Beratungsgremien erhalten durch den zuständigen Minister eine Satzung. Gremien, die länger als drei Jahre keine Sitzungen abgehalten haben, sind aufzulösen209• (4) Die Beratungsgremien erstatten jährlich einen Tätigkeitsbericht, der in der Pressestelle des Ministeriums, dem sie zugeordnet sind, eingesehen werden kann. (5) Die Mitgliedschaft in einem Beratungsgremium ist ein persönliches Ehrenamt, das keine Vertretung zuläßt. Mitglieder nehmen zu den ihnen vorgelegten Fragen nach bester Überzeugung Stellung und sind nur sich selbst verantwortlich. Sie sind, wenn sie von Verbänden kommen, weder als deren Vertreter tätig, noch an Weisungen gebunden. § 37 GGO II § 37 Abs. 3 wird wie folgt ergänzt: Satz 1 - 4 unverändert. Es wird folgender Satz 5 angefügt : Hat ein Beratungsgremium (§ 62 GGO I) an dem Gesetzentwurf mitgear­ beitet, sind Art und Umfang seiner Beteiligung ebenfalls darzustellen. § 45 GGO II § 45 Abs. 2 wird folgender Satz 3 angefügt : Das gleiche gilt für Arbeitspapiere und Stellungnahmen, die von einem Beratungsgremium (§ 62 GGO I) zu einem Gesetzentwurf angefertigt worden sind. 3. Die unmittelbare Vorsprache bei Bundesministern und Bundeskanzler

§ 10 GeschOBReg befaßt sich mit der Möglichkeit des Empfangs von Abordnungen durch Bundesminister und Bundeskanzler. Danach sollen Deputationen in der Regel von dem zuständigen Fachminister oder sei­ nem Vertreter, nur in besonderen Fällen vom Bundeskanzler, emp­ fangen werden. Die Auswirkungen, die eine direkte Kontaktnahme zwischen dem Bundeskanzler und Verbandsvertretern haben können, sind bereits oben dargestellt worden210 • Wenngleich aus den dort genannten Grün­ den dem Bundeskanzler zu einer gewissen Zurückhaltung gegenüber direkten Kontakten mit Verbandsspitzen geraten werden muß, soll diese Möglichkeit keineswegs ganz ausgeschlossen werden. Es muß viel­ mehr dem politischen Takt des jeweiligen Regierungschefs überlassen bleiben, inwieweit er sich in direkte Gespräche mit Vertretern von Spitzenverbänden einläßt und dabei über Gegenstände verhandelt, die in die Zuständigkeit eines Ressortministers fallen. Zusagen des Bundes­ kanzlers, die einen Gesetzentwurf betreffen, können allenfalls bei der 209 2 10

Dies entspricht einem Vorschlag im Bericht des BMI (Fn. 184), S. 19. s. o. s. 142.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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Kabinettsberatung des Entwurfs eingelöst werden ; Weisungen im Einzelfall kann der Bundeskanzler seinen Ministern nicht erteilen211 • Andere Auswirkungen könnten sich von einem direkten Vortrag der Verbandsvertreter beim Fachminister für ein Gesetzesvorhaben er­ geben. Denkbar wäre z. B., daß der für die Ausarbeitung des Entwurfs zuständige Referent eine besondere Weisung erhält, wenn der Minister im direkten Kontakt zum Verbandsvertreter eine bestimmte Zusage gemacht hat, die nun eingehalten werden soll. Ein solches Vorgehen könnte alle Bemühungen über eine ausgewogene Beteiligung der Ver­ bände im Anhörungsverfahren empfindlich stören, zumal es sich oft unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzieht. Damit würde das Anhö­ rungsverfahren entwertet. Auch hier liegt letztlich die Lösung des Problems im politischen Ver­ halten des Ministers. Diesem kommt das formalisierte Anhörungsver­ fahren bei der Gesetzesvorbereitung zugute. Durch das Anhörungs­ verfahren in der hier vorgeschlagenen Form haben die Verbände die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu einer geplanten Gesetzgebung dar­ zulegen. Die zusätzlich erfolgende direkte Intervention bei Minister oder Kanzler kann daher, von den Fällen abgesehen, in denen ein an sich zuständiger Verband nicht bei der Anhörung beteiligt wurde, nur den Zweck haben, sich eine über die Anhörung hinausgehende Ein­ flußmöglichkeit zu verschaffen. Eines der Ziele des Anhörungsverfah­ rens, das in der möglichst gleichmäßigen Beteiligung der Verbände besteht, soll damit zugunsten eines oder weniger Verbände außer Kraft gesetzt werden. Gegenüber den anderen an der Anhörung beteiligten Verbänden bedeutet der unmittelbare Vortrag beim Minister eine un­ gerechtfertigte Verbesserung der Einflußchancen. Diese Feststellung ist nicht im formaljuristischen Sinn gemeint ; denn jeder Verband darf die Einflußmöglichkeiten ausnutzen, die sich ihm legalerweise bieten. Es ist aber zu fragen, ob das Verhalten eines Ministers korrekt ist, wenn er einem Verband die Möglichkeit zum unmittelbaren Vortrag gibt, obgleich ein Anhörungsverfahren stattgefunden hat. Korrekter­ weise müßte er wohl auf das erfolgte Anhörungsverfahren hinweisen bzw. auf die Möglichkeit dort, ebenso wie alle anderen beteiligten Ver­ bände, zu Gehör zu kommen. Die Tatsache, daß es ein Anhörungsver­ fahren gibt, erleichtert damit dem Minister seinen Umgang mit den Verbandsvertretern. Keinesfalls sollte er eine Zusage machen, die über die Erklärung hinausgeht, daß auch dieser Verband an der Anhörung beteiligt werde, sofern dies noch nicht erfolgt ist. Wenn der Minister gegenüber der Verbandsdeputation von der Mög­ lichkeit Gebrauch macht, auf den Vorrang des Anhörungsverfahrens 211

Vgl. Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, 19. Aufl., 1973, § 40 I 4,

s. 380.

14 Speyer 68

210

2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

hinzuweisen und sich im übrigen nicht auf eine Sachdiskussion zu einem bestimmten Entwurf einläßt, dürften sich die meisten Anwen­ dungsfälle im Gesetzgebungsverfahren lösen lassen. Es verbleiben die seltenen Fälle, bei denen es kein Anhörungsverfahren gegeben hat und Abordnungen zum Minister kommen. In diesem Fall sollte jedenfalls als Möglichkeit auch immer die nachträgliche Eröffnung eines Anhö­ rungsverfahrens in Betracht gezogen werden. Im übrigen müßte wenigstens die Tatsache, daß eine unmittelbare Begegnung zwischen Verbandsdeputationen und Bundeskanzler bzw. -minister stattgefunden hat, in irgendeiner Form veröffentlicht werden. Dies geschieht zwar indirekt bisweilen durch die Verbandsspitzen selbst. Manchmal kommt es sogar zu gemeinsamen Pressekonferenzen. Häufig genug aber besteht gerade von der Verbandsseite her der Wunsch, die Angelegenheit möglichst diskret zu behandeln. Um aber nicht einzelnen Verbänden bessere Einflußchancen einzuräumen als anderen, muß wenigstens die Tatsache des Gesprächs und sein Thema publik gemacht werden. Zu denken wäre z. B. an eine Veröffentlichung der Gespräche im „Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung", in dem auch die Kommuniques über die im Rahmen der Konzertierten Aktion geführten Gespräche publiziert werden. Auf diese Weise würden diese Gespräche wenigstens nicht der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen. Regelungsvorschlag: § (3)

10 GeschOBReg wird um folgenden Abs. 3 ergänzt : Der Empfang von Abordnungen, ihr Verhandlungsgegenstand sowie das Verhandlungsergebnis werden im Bulletin des Presse- und Informa­ tionsamtes der Bundesregierung veröffentlicht. 4. Besondere Maßnahmen zur Offenlegung und Kontrolle des Verbandseinflusses

Neben den Möglichkeiten offizieller Kontakte zur Mitarbeit an Ge­ setzentwürfen auf Ministerialebene, wie sie unter Nr. 1 - 3 dargestellt sind, gibt es noch andere Arten der verbandlichen Einflußnahme. Einige von ihnen sollen nachfolgend angesprochen werden, wobei sich hier das Problem stellt, wie sie offenzulegen, zu kontrollieren, oder, wenn sie illegal oder unerwünscht scheinen, zu verhindern sind. Im wesentlichen sind hier zwei Erscheinungen zu nennen: einmal können der Minister oder die Bediensteten selbst einem Verband angehören, der durch den Aufgabenbereich des Ministeriums, vor allem durch das Gesetzgebungsprogramm, betroffen ist (a) ; zum anderen kön­ nen informelle Kontakte zwischen Verbänden und Ministerialbeamten bestehen (b).

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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a) Die Verbandszugehörigkeit im Ministerialbereich

Die Verbandszugehörigkeit von Ministerialbeamten kann schon bei der Übernahme eines Anwärters in den öffentlichen Dienst bzw. bei der Einweisung in eine bestimmte Tätigkeit eine Rolle spielen. Es kann so sein, daß die Verbandszugehörigkeit eines Bewerbers bei der Ein­ stellung oder bei der Besetzung einer bestimmten Stelle überhaupt nicht bekannt war; es kann aber auch so sein, daß die Übernahme des Bewerbers in den öffentlichen Dienst bzw. die Einweisung in eine be­ stimmte Stelle von der Verbandszugehörigkeit beeinflußt war oder auf dem Wunsch eines Verbandes beruhte (Ämterpatronage). Wenn die Verbandszugehörigkeit eines Anwärters oder Beamten nicht bekannt war, hat sie für die Besetzung einer Stelle keine Bedeu­ tung gehabt und braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. War die Verbandszugehörigkeit bekannt, darf ihretwegen dem Be­ werber in der Regel kein Nachteil entstehen, Art. 3 Abs. 3 GG. Wesent­ licher im vorliegenden Zusammenhang ist aber die Frage, ob die Ver­ bandszugehörigkeit zum Vorteil des Bewerbers herangezogen werden kann. Man könnte daran denken, sie in bestimmten Fällen als zusätz­ liches Qualifikationsmerkmal anzusehen. Die Tätigkeit in einem Ver­ band kann fachlich auf die Tätigkeit in einem Ministerium vorberei­ ten. So kann für die Auswahl eines Sportreferenten im zuständigen Ministerium durchaus von Bedeutung sein, daß der in Aussicht genom­ mene Beamte ehrenamtlich Funktionär im Deutschen Sportbund ist und über die Organisation der Sportverbände Bescheid weiß. Hier ist also nicht die Tatsache der Verbandszugehörigkeit allein ausschlag­ gebend, sondern die im Verband erworbenen Kenntnisse und Fähig­ keiten. aa) Ämterpatronage Ämterpatronage liegt vor, wenn ein bestimmter Bewerber auf Wunsch eines oder mehrerer Verbände eine bestimmte Stelle bekom­ men soll212, 21 a. So offenkundig es ist, daß einige Ministerien in Entsprechung zu starken Verbänden ins Leben gerufen wurden und Minister und 212 Theodor Eschenburg, Ämterpatronage, 1961, S. 1 1 , sieht die maßgeb­ lichen Kriterien der Ämterpatronage zu Recht in der „Unzuständigkeit der Einwirkenden" und der „Amtsfremdheit der Motivation" ; ähnlich Hans Ryffel, Unparteilichkeit, in : Fritz Morstein Marx (Hrsg.), Verwaltung ; eine einführende Darstellung, 1965, S. 264 ff., 272 f. ; zur Ämterpatronage insge­ samt vgl. auch Walter Wiese, Der Staatsdienst in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 239 ff. 213 Dies gilt sowohl für die Einstellung wie für die Beförderung ; derjenige, zu dessen Gunsten die Einflußnahme erfolgt, muß nicht selbst Verbands­ mitglied sein.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Staatssekretäre, vor allem im Landwirtschafts- und Vertriebenen­ ministerium, nur mit Billigung oder sogar auf ausdrücklichen Wunsch von Verbänden in ihre Ämter berufen wurden, so schwierig ist die Situation in der Ministerialverwaltung. Zwar gibt es auch dort einige spektakuläre Fälle, die publik geworden sind; wirklich aussagekräfti­ ges Zahlenmaterial, das Verallgemeinerungen zuließe, gibt es aber bisher nicht. Sowohl von Seiten der Verbände wie von Seiten der Par­ teien gibt es Ämterpatronage. Es kann aber vermutet werden, daß das tatsächliche Ausmaß der Ämterpatronage durch Verbände wesentlich geringer ist als üblicherweise angenommen wird214 • Dies gilt j edenfalls für monokausale Patronagefälle, die ausschließlich auf Verbandsprotek­ tion zurückzuführen sind. Wahrscheinlicher sind demgegenüber poly­ kausale Fälle, in denen die Verbandspatronage mit einer Parteipro­ tektion und ggf. noch einem Konfessionsproporz zusammenfällt. In diesen Fällen kann aber nicht allgemein davon ausgegangen werden, daß die Verbandspatronage letztlich den Ausschlag gegeben hat. Prinzipiell spielt allerdings die Häufigkeit keine ausschlaggebende Rolle. Da es unbestritten ist, daß Ämterpatronage durch Verbände vorkommt, ist zu untersuchen, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hat. Lösungswege können nur in einem entsprechenden Verhalten der Verantwortlichen gesucht werden ; mit juristischen Regelungen kön­ nen allenfalls Auswüchse verhindert werden (Bestechung, Nötigung). Ämterpatronage durch Gesetz verbieten zu wollen, dürfte demgegen­ über wenig sinnvoll sein, zumal damit nur deklaratorisch festgehalten würde, was bereits geltendes Recht ist. Bei der Ämterpatronage sind drei Fälle zu unterscheiden : Der Ver­ bandsdruck kann zugunsten eines Bewerbers eingesetzt werden, der aufgrund seiner Qualifikation für den infragestehenden Posten am besten geeignet ist. Bei dieser Konstellation braucht die Einflußnahme eines Verbandes nicht zugunsten des Bewerbers berücksichtigt zu wer­ den, da dieser ohnehin qualifiziert ist. Es fragt sich vielmehr, ob sie zu seinem Nachteil herangezogen werden darf, da die Tatsache der Ver­ bandspatronage an der fachlichen Qualifikation nichts ändert. Die Behörde hat zu prüfen, ob sie sich ein troj anisches (Verbands-)Pferd in die Ministerialverwaltung holen will. Davon könnte aber nur ausge­ gangen werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß der Bewer­ ber sein Amt nicht in der nach den Grundsätzen des Beamtentums von ihm zu erwartenden Weise ausüben wird. Einschlägig ist hier § 52 214 Theodor Eschenburg (Fn. 212), S. 67 ff., nennt nur Einzelfälle; insge­ samt meint er, die Verbandspatronage trete erst „In Ansätzen in Erschei­ nung", S. 68 ; Hans Ryffel (Fn. 212), S. 273, hält Ämterpatronage für häufig, ohne allerdings nach Verbandspatronage zu differenzieren.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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Abs. 1 BBG215 • Danach dient der Beamte dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Er hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Bei einem hochqualifizierten Bewerber wird in der Regel auszuschließen sein, daß er sich bei Ausübung seines Amtes zum Werk­ zeug eines Verbandes degradiert. Die Verbandspatronage kann zugunsten eines Bewerbers versucht werden, der gleichqualifiziert neben anderen Bewerbern um dieselbe Stelle steht. In diesem Falle könnte der Bewerber mit dem zu besetzen­ den Amt betraut werden, ohne daß gegenüber seinen Mitbewerbern eine ungerechtfertigte Bevorzugung erfolgt wäre. Hier ist die Verwal­ tung ebenfalls in ihrer Entscheidung frei; sie kann dem protegierten Bewerber die Stelle übertragen, wobei bei ihrer Entscheidung mit­ spielen kann, daß sie dem unterstützenden Verband einen Gefallen tun oder ihn wenigstens nicht verärgern will. Sie kann aber auch einen Mitbewerber vorziehen und dabei die Verärgerung des Verbandes in Kauf nehmen. Die Einstellung oder Beförderung wäre jedenfalls dann abzulehnen, wenn der Interessenkonflikt zwischen der Unparteilichkeit und der Rücksichtnahme auf die Verbandsprotektion durch den Be­ amten sich abzeichnet. Eigentlich kritisch wird es, wenn die Unterstützung des Verbandes einem Bewerber gilt, der entweder nicht die Qualifikation für den vor­ gesehenen Posten besitzt oder einem Mitbewerber in fachlicher Hin­ sicht deutlich unterlegen ist. In diesem Fall darf die Entscheidung nicht anders ausfallen, als daß der Bewerber abgewiesen wird. Dennoch sind es gerade die Ausnahmen von dieser Regel, die das Wort . von der Ämterpatronage entstehen ließen. Von der Möglichkeit der Kollision zwischen Verband und Ministerialbürokratie einmal abgesehen, die nie gänzlich ausgeschlossen werden kann, wären Situationen denkbar, bei denen die Ministerialbürokratie glaubt, dem Druck der Verbände nach­ geben zu müssen, um einen politischen Schaden zu vermeiden. Es müß­ ten deshalb Verfahren oder Strategien entwickelt werden, die diesen tatsächlich oder vermeintlich eintretenden Schaden abwenden können216 • Eine Strategie könnte z. B. dahin gehen, die Entscheidung über die Stellenbesetzung von der Zustimmung mehrerer Organe abhängig zu machen. Von daher stellt z. B. die notwendige Mitwirkung des Perso­ nalrates bei Einstellung und Beförderung einen · Filter für die · Bestre­ bungen der Verbände dar. Wenn der Personalrat den begründeten Verdacht äußert, daß ein nicht geeigneter Bewerber nur mit Rücksicht 215

Zu den Folgerungen, die sich aus dieser Vorschrift ergeben, vgl. Beamtenrecht, 1970, Rdnr. 2 zu § 35 BRRG. Dazu auch Hans Ryffel (Fn. 212), S. 273.

Hermann Ule, 218

Carl

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auf die Verbandsbeziehungen bevorzugt werden solle, dürfte dies seine Wirkung nicht verfehlen. Der Personalrat hat bei Einstellungen und Beförderungen mitzubestimmen, § 76 Abs. 1 und 2 BPersVG, kann aber seine Zustimmung nur in den im § 77 Abs. 2 BPersVG genannten Fäl­ len verweigern. Immerhin wäre danach die Verweigerung der Zustim­ mung zu einer Beförderung möglich, durch die ein anderer Beschäftiger grundlos benachteiligt würde, § 77 Abs. 2 BPersVG. Ein weniger quali­ fizierter Verbandsprotege kann also nicht gegen den Widerstand des Personalrates einem besser qualifizierten anderen Beschäftigten vor­ gezogen werden. Diese verfahrensmäßige Sicherung kann allerdings in Einzelfällen nicht greifen : so z. B., wenn ein Bewerber auf Betreiben einer Gewerk­ schaft eingestellt werden soll und die Mitglieder des Personalrates ebenfalls jener Gewerkschaft angehören217 . Eine weitere Möglichkeit besteht in einer generellen Stellenaus­ schreibungspflicht, die über § 8 Abs. 1 S. 1 BBG hinausgehend auch für Beförderungsstellen gelten müßte218 . Abhilfe könnten auch „genaue Funktionsanalysen, Anforderungsprofile und davon abgeleitete Aus­ lesegrundsätze"2 1 9 schaffen. Des weiteren wäre an eine aggressive Öffentlichkeitspolitik zu den­ ken220 . Der Schaden, der dadurch entstehen könnte, daß sich ein Mini­ sterium gegenüber dem Verlangen eines Verbandes nicht willfährig zeigt, beruht letztlich auf der Erwartung, daß der Verband der Regie­ rung seine Unterstützung entzieht. Dem müßte man dadurch zu be­ gegnen versuchen, daß man dem Verband eine solche Handlungsweise unmöglich macht. Dazu müßte die Bereitschaft bestehen, das Ansinnen des Verbandes und ggf. die angedrohten Maßnahmen im Falle der Weigerung zu veröffentlichen. Dabei wäre darauf zu achten, daß die persönlichen Interessen des Bewerbers so wenig wie möglich berührt werden. In vielen Fällen wird der ernstzunehmende Hinweis auf diese Veröffentlichungsmöglichkeit bereits ausreichen, um die Verbände zum Einlenken zu bewegen. Andernfalls müßte mit der Veröffentlichung Ernst gemacht werden, um der Öffentlichkeit Gelegenheit zu geben, sich selbst ein Bild von dem Vorgehen eines Verbandes zu machen. Im übrigen ist wesentlich, daß alle Einmischungsversuche von Verbänden in die Personalplanung eines Ministeriums von vornherein ebenso ent­ schieden wie nachdrücklich zurückgewiesen werden. Von der Stand21 7 Auf die Möglichkeit des Einflusses der Beamtengewerkschaften über den Personalrat weist vor allem Theodor Eschenburg (Fn. 212), S. 68, hin. 218 Vgl. Walter Wiese (Fn. 212), S. 258. m So Peter Hubler, Probleme der Rekrutierung und der Selektion von Bewerbern für den öffentlichen Dienst, in : Studienkommissionen für die Reform des öffentlichen Dienstes, Band 10, 1973, S. 156. HO Ebenso Hans Ryffel (Fn. 212), S. 273.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

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festigkeit der für Personalentscheidungen zuständigen Beamten, Staats­ sekretäre und Minister hängt es ab, ob Ämterpatronage möglich bleibt. Die Ablehnung der Einmischungsversuche muß vor allem auch die Fälle einbeziehen, in denen die Verbände sich nicht für, sondern gegen einen in Aussicht genommenen Bewerber aussprechen. bb) Inkompatibilitäten Im Zusammenhang mit der Ämterpatronage und allgemein mit der Verbandszugehörigkeit von Bediensteten der Ministerialbürokratie stellt sich die Frage nach möglichen Unvereinbarkeiten. An eine grundsätzliche Inkompatibilität zwischen einer Verbands­ zugehörigkeit und einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst soll hier nicht gedacht werden221 • Vielmehr geht es darum, ob die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Verband, womöglich als Verbandsfunktionär, nicht mit der Übernahme eines bestimmten Amtes in der Ministerialbüro­ kratie unvereinbar sein kann. Soll z. B. der Vorsitzende eines Bauern­ verbandes ins Landwirtschaftsministerium berufen und mit der Aus­ arbeitung von Richtlinien zur Subventionierung der Landwirtschaft beauftragt werden können? Gegenwärtig bieten lediglich die Vorschriften des Beamtengesetzes über die Nebentätigkeit Anhaltspunkte darüber, wie der Gesetzgeber die rechtliche Lage de lege lata sieht. Danach ist die Übernahme einer Nebenbeschäftigung gegen Vergütung genehmigungspflichtig, wobei die Genehmigung nur versagt werden darf, ,,wenn zu besorgen ist, daß die Nebentätigkeit . . . die Unparteilichkeit oder die Unbefangen­ heit des Beamten beeinträchtigen würde", § 65 Abs. 2 Satz 1 BBG. Wer also in einem Verband gegen Vergütung arbeitet, bedarf der Genehmi­ gung, deren Erteilung zumindest dann nicht selbstverständlich ist, wenn die Verbandstätigkeit mit der dienstlichen Tätigkeit in Verbin­ dung steht. Allerdings macht § 66 Abs. 1 Nr. 4 BBG eine wesentliche Ausnahme: Nicht genehmigungspflichtig ist die Tätigkeit zur Wahrung von Berufsinteressen in Gewerkschaften oder Berufsverbänden oder in Selbsthilfeeinrichtungen der Beamten. Damit ist ein ganz wesentlicher Teil der Verbändetätigkeit von Beamten aus dem Bereich der geneh­ migungspflichtigen Nebentätigkeiten ausgeschieden. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, daß eine Inkompatibilität zwi­ schen Verbandszugehörigkeit und Beamtentätigkeit nach geltendem Recht nicht besteht; lediglich der bezahlte Funktionär braucht eine Nebentätigkeitsgenehmigung, sofern für ihn nicht § 66 Abs. 1 Nr. 4 BBG zutrifft. Ehrenamtliche Tätigkeiten in Verbänden sind in jedem 221 In diese Richtung tendiert Klaus-Jürgen Lange (Fn. 1 69), S. 279, der eine Trennung zwischen der Beamtenfunktion und der außerdienstlichen Verbandstätigkeit fordert.

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Fall genehmigungsfrei. Allerdings wäre die Regelung der Nebentätig­ keiten sicher nicht der rechte Ort, um Unvereinbarkeiten zu statuieren. Die Inkompatibilität von Verbandszugehörigkeit oder Verbandsfunk­ tion und Ministerialamt erscheint aber auch nicht wünschenswert, da ihr praktischer Nutzen gering wäre. Ihre Einführung würde darauf hinauslaufen, daß ein an der Übernahme einer Stelle im öffentlichen Dienst interessierter Verbandsfunktionär, der damit zugleich Ver­ bandsinteressen verfolgen will, eben sein Verbandsamt nur formell niederzulegen brauchte, um die Unvereinbarkeitsvorschrift zu um­ gehen222 . Sachlich wäre dadurch nichts gewonnen. Für das Nebeneinan­ der von bezahltem Funktionärsamt und Staatsfunktion genügen im übrigen die oben dargestellten Nebentätigkeitsvorschriften. Wenn aber Unvereinbarkeitsvorschriften nicht sinnvoll erscheinen, könnte wenigstens die Kenntnis der Verbandszugehörigkeit und -funk­ tion von Beamten für den Dienstherrn beim Personaleinsatz von Nut­ zen sein. Es könnte dann darauf geachtet werden, daß nicht gerade „der Bock zum Gärtner" gemacht würde. Voraussetzung für eine solche Per­ sonalsteuerung wäre aber, daß die Bediensteten verpflichtet wären, über ihre Verbandszugehörigkeit und die Funktionen, die sie in den Verbänden ausüben, Auskunft zu geben. Derzeit besteht eine solche Verpflichtung nicht. Es ist auch fraglich, ob der Dienstherr solche An­ gaben aus dem Privatbereich seiner Beamten verlangen kann oder ob er nicht darauf angewiesen ist, selbst Ermittlungen anzustellen. Das Problem ist nicht so gravierend, wie es scheinen könnte, denn bei Erst­ bewerbern bleibt die Verbandsfunktion jedenfalls dann nicht verbor­ gen, wenn der Versuch der Ämterpatronage unternommen wurde. Im übrigen ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß bedeutende Verbands­ funktionen, die ein Bewerber innehat, ohnehin nicht unbekannt blei­ ben. Es verbleiben die Fälle, in denen der Bedienstete erst während seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst in einem Verband aktiv wird. Auch hier dürfte aber die außerdienstliche Aktivität eines Beamten, wenn mit der Übernahme eine höhere Verbandsfunktion verbunden ist, kaum verborgen bleiben Die schlichte Verbandszugehörigkeit wird aber nur im Ausnahmefall zu einer echten Konfliktsituation mit der dienstlichen Tätigkeit führen. Im übrigen gilt hier der gleiche Einwand, der auch gegenüber Inkom­ patibilitätsvorschriften erhoben wurde: Bewerber, die es darauf an­ legen, könnten durch formales Ausscheiden aus dem Verband und ihren bisherigen Funktionen Vorschriften über die Offenlegung der Ver­ bandszugehörigkeit umgehen. Dabei muß davon ausgegangen werden, daß es sich bei unseren Überlegungen in erster Linie um die Beamten m Klaus-Jürgen Lange (Fn. 169), S. 279, hält demgegenüber an der Auf­ gabe der Verbandstätigkeit fest.

I. Die Verbandsbeteiligung in der Regierungsphase

217

handelt, die ihr Amt für Verbandsinteressen verwenden oder mitver­ wenden wollen. Solche Beamten würden dann aber auch Umgehungs­ versuche unternehmen. Ihrem Treiben ist nur mit Maßnahmen diszipli­ narrechtlicher und/oder strafrechtlicher Art zu begegnen. Die Fälle, in denen eine unbewußte Beeinflussung der Entscheidung durch Ver­ bandsinteressen stattfindet, weil der Beamte Verbandsmitglied ist, sind demgegenüber weniger wahrscheinlich. Im Gegenteil ist damit zu rechnen, daß ein gewissenhafter Beamter mögliche Konflikte zwischen Verbands- und Staatsinteressen zugunsten der letzteren entscheidet, schon weil er sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, seinen eigenen Verband zu bevorzugen. Auch hier kommt es also letztlich auf das Verhalten des Beamten an, dessen Anforderungen im geltenden Beamtenrecht niedergelegt sind und das darüber hinaus nicht normiert zu werden braucht. b) Informelle Kontakte Informelle Kontakte zwischen Verbandsvertretern und Ministerial­ beamten können vielfältige Gründe haben. Hierzu gehören gesellschaft­ liche Kontakte, freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehun­ gen ebenso wie Bestechungsangebote. Mit den Bestechungsvorschriften wird der Teil der Kontakte unter Strafe gestellt, durch die der Beamte gegen Gegenleistung zu einer pflichtwidrigen Handlung gebracht wird oder gebracht werden soll, § 333 StGB223 • Der Beamte selbst ist darüber hinaus auch dann von Strafe bedroht, wenn er sich für eine an sich nicht pflichtwidrige Handlung Geschenke machen oder versprechen läßt, § 331 StGB. Damit sind die Kontaktnahmen bzw. Versuche der Kontaktaufnahme erfaßt, die auf Korruption hinauslaufen. Die Einbeziehung der aktiven Be­ stechung als Straftatbestand gibt darüber hinaus einem redlichen, un­ bestechlichen Beamten die Möglichkeit „sich zu wehren", indem er entsprechende Versuche durch Anzeige abwehrt. Dennoch ist mit den Bestechungstatbeständen nur eine unvollkommene Erfassung der in­ formellen Kontakte erfolgt, selbst soweit diese auf Korruption basie­ ren; denn unter die aktive Bestechung nicht einbezogen sind die Kor­ ruptionsversuche, die den Beamten zu einer an sich nicht pflichtwidri­ gen Amtshandlung veranlassen sollen. Außerdem wird mancher mit einem Bestechungsangebot angegangene Beamte sich scheuen, gleich zum Mittel der Anzeige zu greifen. Es kann deshalb vermutet werden, daß die Dunkelziffer bei den Bestechungstatbeständen erheblich ist224 • 223 Die Anwendung der Vorschrift · über die aktive Bestechung wird aller­ dings dadurch erschwert, daß im Stadium der Gesetzesvorbereitung nicht leicht zu entscheiden sein dürfte, welche Handlungen des Beamten als ,,pflichtwidrig" anzusehen sind.

218

2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

Schließlich ist der ganze Bereich der Fälle nicht erfaßt, in denen die informellen Kontakte nicht auf das Angebot von Vorteilen hinauslaufen und in denen u. U. sogar ein gewisser Druck auf den Beamten ausgeübt wird, der sich unter der Schwelle der Nötigung vollzieht, z. B. Drohung damit, sich an den Dienstvorgesetzten oder Minister zu wenden oder den Abgeordneten einzuschalten. Um diesen Bereich mitzuerfassen, könnte man an die Einführung einer Meldepflicht gegenüber dem Dienstvorgesetzten denken. Diese könnte darin bestehen, daß der Beamte verpflichtet wäre, Einflußnahmen, die von außen, außerhalb der dafür vorgesehenen Verfahren, an ihn herangetragen werden, und die sich auf ein bestimmtes Gesetzesvorhaben beziehen, zu registrieren und zu melden. Dies müßte insbesondere für Kontaktnahmen im per­ sönlichen Bereich gelten, da solche im dienstlichen Bereich ohnehin der amtlichen Kenntnisnahme unterfallen. So plausibel der Gedanke an eine Meldepflicht des Beamten zur Sichtbarmachung von Verbands­ einflüssen auf den ersten Blick ist, kann seine Verwirklichung doch nicht vorgeschlagen werden. Die Pflicht liefe darauf hinaus, daß der Beamte sein Privatleben ständig kontrollieren und ggf. offenbaren müßte. Eine Parallele zu einer solchen Regelung gibt es in der Strafprozeß­ ordnung für die Staatsanwaltschaft. Nach dem Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO, haben Staatsanwälte und die Hilfsbeamten der Staats­ anwaltschaft auch gegenüber solchen strafbaren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, die ihnen in ihrem privaten Bereich zur Kenntnis gelangen. Die Nichteinhaltung dieser Pflicht ist prinzipiell nach § 346 StGB unter Strafe gestellt. Wegen der mit dieser Ver­ pflichtung verbundenen Möglichkeit des Loyalitätskonflikts ist aber die Verfolgungspflicht auf Straftaten von einiger Bedeutung begrenzt226 • Die Strafverfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft hat gegenüber der möglichen Meldepflicht des Beamten einen höheren Rang ; denn während die Nichtverfolgung einer Straftat zur Begünstigung des Straftäters führt, wäre die Mißachtung der Meldepflicht grundsätzlich folgenlos, da der angesprochene Beamte gleichwohl in der Sache unpar­ teiisch entscheiden kann. Deshalb ist es dem von Verbänden angespro­ chenen Beamten nicht zuzumuten, einen Teil seines Privatlebens offen­ zulegen, zumal Verbandskontakte auf familiären Bindungen beruhen können. Selbstverständlich bleibt es jedem Beamten unbenommen, von sich aus eine Meldung zu machen, vor allem in Fällen, in denen er sich selbst durch die persönliche Ansprache belästigt fühlt. 2 24 Zur Problematik der Bestimmung der Dunkelziffer, s. Hans Göppinger, Kriminologie, 2. Aufl. 1973, S. 81 ff. 226 Vgl. BGHSt. 5, S. 225 ff., 229 ; 12, S. 277, 281 ; Albert Mösl, in: Leipziger Kommentar, 9. Aufl. 1972, Rdnr. 5 zu § 346 StGB.

II. Die Gesetzesvorbereitung in der Bundesratsphase

219

Eine andere Möglichkeit, informelle Kontakte der Verbände zu neu­ tralisieren, könnte in der Einführung einer Selbstablehnung des Be­ amten stehen, durch die eine freiwillige Meldung von Verbandskon­ takten ergänzt würde. Diese würde darin bestehen, daß der Beamte, wenn er es für angebracht hält, seinem Dienstvorgesetzten gegenüber von seinen Beziehungen zu Verbänden oder Verbandsvertretern Kenntnis gibt und ihm anheimstellt, ihn von der Bearbeitung der Angelegenheit zu entbinden. Eine solche Möglichkeit der Selbstableh­ nung sehen alle gerichtlichen Verfahrensordnungen vor, vgl. §§ 30 StPO, 48 ZPO, 54 VwGO etc. Auch der derzeit dem Bundestag vorlie­ gende Entwurf eines Verwaltungsverfahrensgesetzes226 sieht in § 17 vor, daß bei Vorlage eines Grundes, der geeignet ist, Mißtrauen gegen eine unparteiische Amtsausübung zu rechtfertigen, der in einem Ver­ waltungsverfahren für eine Behörde Tätige den Leiter der Behörde zu unterrichten und sich auf dessen Anordnung der Mitwirkung zu enthalten hat. Das Beamtengesetz selbst verpflichtet den Beamten zu einer uneigennützigen Ausübung seines Amtes, § 54 Satz 2 BBG227 , und sieht die Möglichkeit vor, ihn von Amtshandlungen zu befreien, die sich gegen ihn selbst oder einen Angehörigen richten würden, § 59 Abs. 1 BBG. Deshalb sollte der Beamte auch im Vorverfahren der Gesetzgebung die Möglichkeit haben, auf die Besorgnis der Befangen­ heit, die in seiner Person begründet sein könnte, hinzuweisen228 • Dies hat zu seinem Schutz zu geschehen, um ihn vor nachträglichen Ver­ dächtigungen der Parteilichkeit zu bewahren. Auch hier können letztlich aber alle Vorschläge nur dazu dienen, dem Beamten Hilfen für sein Verhalten anzubieten. Sie bieten keinen Schutz gegenüber einem Bediensteten, der mit Verbänden und ihren Vertretern in kollusiver Weise zusammenarbeitet. Vielmehr gehen sie davon aus, daß der Beamte, wie es von ihm erwartet wird, ,,seine Aufgaben unparteiisch und gerecht" erfüllen und „bei seiner Amts­ führung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht" nehmen will, vgl. § 52 Abs. 1 Satz 2 BBG. II. Die Gesetzesvorbereitung in der Bundesratsphase Für die Phase der Gesetzesvorbereitung im Bundesrat ist im Hin­ blick auf die Verbandsbeteiligung zu untersuchen, ob der Bundesrat zu H8

Vgl. BT-Drucksache 7/910. Nach Carl Hermann Ule (Fn. 215), vor Rdnr. 1 zu § 59 BBG, sind dem Beamten Amtshandlungen, die ihm selbst oder einem Angehörigen einen Vorteil verschaffen würden, durch § 54 Satz 2 BBG verboten. 228 Dies müßte auch für den Fall einer „einschlägigen" Verbandszugehörig­ keit gelten. 227

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2. Teil, C. Möglichkeiten im vorparlamentarischen Stadium

einem Entwurf der Bundesregierung Stellung nimmt (1) oder ob er eine eigene Gesetzesinitiative vorbereitet (2). 1. Entwurf der Bundesregierung

Der erste Durchgang im Bundesrat bei Gesetzentwürfen der Bundes­ regierung ist wegen der Sechswochenfrist, die für die Stellungnahme des Bundesrates gesetzt ist, für Verfahren der Verbandsbeteiligung wenig geeignet. In diesem Zeitraum kann es nur darum gehen, die Position der Ländervertretung zu formulieren und dabei abweichende Vorstellungen vorzulegen, damit der Bundestag auch die Meinung der Länder bei seinen Beratungen berücksichtigen kann. Freilich wird der Bundesrat in der Regel nicht von einem Gesetzentwurf überrascht; denn solche Gesetzentwürfe, durch die Belange der Länder berührt werden, werden bereits im Vorbereitungsstadium den Vertretungen der Länder beim Bund zur Weitergabe an die betroffenen Landes­ ministerien „möglichst frühzeitig" zugeleitet, § 24 Abs. 1 Satz 1 GGO II. Gleichzeitig werden sie dem Sekretariat des Bundesrates nachricht­ lich im Abdruck übersandt, § 24 Abs. 1 Satz 2 GGO II. Berücksichtigt man, daß überdies der Bundesrat auch alle Gesetzentwürfe erhält, § 25 Abs. 2 Satz 3 GGO II, sobald und soweit sie den beteiligten Ver­ bänden zur Stellungnahme zugegangen sind, wird deutlich, daß die Länder in der Regel ausreichend Zeit zur Verfügung haben, um sich auf den ersten Durchgang im Bundesrat vorzubereiten. Eine Beteiligung der Verbände, die im Rahmen der Sechswochen­ frist nicht sinnvoll ist, könnte daher allenfalls in der Vorbereitungs­ phase dieser Frist erfolgen. So könnte z. B. jedes Landesministerium, das den Gesetzentwurf im vorbereitenden Stadium erhält, von sich aus ein Anhörungsverfahren durchführen und so die Verbände an seiner Entscheidung im Bundesrat beteiligen. Gegen ein solches Verfahren sind aber Bedenken vorzubringen : Zum einen handelt es sich beim ersten Durchgang im Bundesrat lediglich darum, die Stellungnahmen des Ländergremiums zu einem Entwurf der Bundesregierung abzu­ geben. Die Verbände haben, anders als die Länder, an dem Entwurf selbst mitgewirkt. Es geht j etzt darum, die Meinung der Länder zu hören. Hierbei ist eine Beteiligung der Verbände schon aus diesen grundsätzlichen Erwägungen nicht angebracht. Zum anderen würde eine solche Beteiligung einen nicht vertretbaren Aufwand _erfordern, da in allen Ländern Anhörungsverfahren durchzuführen wären. Dies ist um so mehr -zu berücksichtigen, als nicht alle Gesetzentwürfe der Ministerien vom Kabinett verabschiedet werden. Es ist aber zu ver­ hindern, daß im Bereich des Bundesrates eine Verbandsbeteiligung zu einem Ministerialentwurf erfolgt, der dann nicht · zur Gesetzesinitia-

II. Die Gesetzesvorbereitung in der Bundesratsphase

221

tive der Regierung erhoben wird, denn ein solcher Entwurf würde dem Bundesrat nicht zur Stellungnahme zugehen. 2. Gesetzesinitiative des Bundesrates

Anders stellt sich die Situation dar für Gesetzesinitiativen des Bun­ desrates. Wenn diese Initiativen auch zahlenmäßig keine große Rolle spielen, sind sie doch in die Überlegung einzubeziehen. Die Beteiligung von Verbänden an der Erarbeitung der Initiativen des Bundesrates wären an zwei Abschnitten denkbar. Da die Geset­ zesinitiative in der Regel auf dem Antrag eines oder mehrerer Länder beruht, könnte an ein Anhörverfahren des antragstellenden Landes gedacht werden. Möglich wäre aber auch die Beteiligung durch den Bundesrat selbst, z. B. durch öffentliche Informationssitzungen seiner Ausschüsse. Die Anhörung durch das antragstellende Land verdient den Vorrang. Dafür spricht vor allem, daß der Gesetzesvorschlag ohnehin in der Ministerialbürokratie des betreffenden Landes ausgearbeitet wird und hier eine Anhörung der Verbände in dem dafür vorgesehenen Verfah­ ren erfolgen kann. Auf diese Weise wird auch erreicht, daß ein ausge­ wogener, den Sachverstand der Verbände bereits enthaltender Vor­ schlag eingebracht wird. Hierbei ist auch an den, wenngleich seltenen Fall zu denken, daß ein Land den Antrag sogleich im Plenum behandelt wissen will und deshalb eine vorherige Ausschußberatung nicht mehr stattfindet, § 36 Abs. 2 GeschOBR. In diesem Fall ist es möglich, daß es überhaupt nicht zu einer Überweisung an den Ausschuß kommt. Die Beteiligung der Verbände durch die Anhörung beim antrag­ stellenden Land ist auch deshalb vorzuziehen, weil öffentliche Infor­ mationssitzungen der Ausschüsse des Bundesrates bisher in der Ge­ schäftsordnung nicht vorgesehen sind. Bisher können vielmehr die Ausschüsse lediglich Sachverständige oder andere Personen, deren Teilnahme sie für erforderlich halten, anhören, § 40 Abs. 3 GeschOBR, allerdings im Rahmen der normalen Sitzungen, die nicht öffentlich sind, § 37 Abs. 2 Satz 1 GeschOBR. Die Aufnahme der Möglichkeit öffent­ licher Sitzungen würde notwendigerweise von einer zahlenmäßigen Vermehrung des ständigen Ausschußpersonals begleitet sein, das für die Vorbereitung dieser Sitzungen verantwortlich wäre. Für öffent­ liche Informationssitzungen der Ausschüsse könnte allenfalls sprechen, daß auf Bundesratsebene die Spitzenverbände angesprochen würden, während auf Landesebene eben doch nur die regionalen Gliederungen der Verbände beteiligt würden. Dies ist aber lediglich ein Problem des Informationsflusses innerhalb der Verbände. Auch auf Landesebene

222

2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

kommen für eine Anhörung, von regionalen Besonderheiten abge­ sehen, nur die Verbände in Frage, die auch auf Bundesebene beteiligt würden. Allerdings wäre eine Beteiligung der Verbände durch den Bundesrat selbst auch anders als durch öffentliche Anhörungen seiner Ausschüsse zu realisieren. Zu denken wäre z. B. an schriftliche Anhörungen, die durch das Sekretariat des Bundesrates organisiert werden könnten. An eine solche Möglichkeit ist zu denken, wenn Verbänden ein gesetz­ liches Beteiligungsrecht eingeräumt ist, da sich in diesen Fällen die Verpflichtung zur Beteiligung gegen den Bundesrat als solchen rich­ tet229 . Im übrigen ist aber die Beteiligung durch das jeweilige Land vorzuziehen. Die Beteiligung der Verbände bei Initiativen des Bundesrates könnte daher durch die Aufnahme etwa folgender Regelung in die Geschäfts­ ordnung der Länderministerien geregelt werden: ,,Die Vorschriften über die Anhörung der Verbände finden auch Anwen­ dung auf Gesetzentwürfe, mit denen das Land eine Gesetzesinitiative des Bundesrates vorbereiten will."

Initiativen des Bundesrates sind dem Bundestag binnen drei Mona­ ten durch die Bundesregierung zuzuleiten, die dabei ihre Auffassung darzulegen hat, Art. 76 Abs. 3 GG. In diesem Zeitraum ist eine Beteili­ gung der Verbände an der Bildung der Stellungnahme der Bundes­ regierung in Form eines Anhörungsverfahrens mit den gleichen Erwä­ gungen abzulehnen, wie dies für die Beteiligung an Stellungnahmen des Bundesrates zu Vorlagen der Bundesregierung geschehen ist. Aller­ dings kann nicht ausgeschlossen werden, daß z. B. durch Einschaltung eines Beirats bei der Formulierung der Auffassung der Bundesregie­ rung auch in dieser Phase Verbandsvertreter am Gesetzgebungsverfah­ ren mitwirken.

Vierter Abschnitt

Möglichkeiten der Verbandsbeteili gung im parlamentarischen Stadium Im parlamentarischen Stadium ist eine Verbandsbeteiligung an den Beratungen des Bundestages im Plenum (1) und in den Ausschüssen (II) sowie im weiteren Verfahren (III) denkbar. 229 Vgl. Hans-Werner Laubinger, Beamtenorganisationen und Gesetzge­ bung, 1974, S. 507.

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

223

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum Bei der Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum ist zu unterschei­ den, ob es sich um die Beratung eines durch Bundesregierung oder Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfes handelt oder ob eine Initia­ tive aus der Mitte des Bundestages vorliegt. Im folgenden wird zu­ nächst von einer „von außen" eingebrachten Vorlage ausgegangen. An­ schließend werden die Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Zu­ sammensetzung und das Entscheidungsverhalten des Bundestages be­ handelt. Die besonderen Probleme, die sich bei einer Bundestagsinitia­ tive stellen, werden danach diskutiert. 1. Verbandsbeteiligung an Plenardebatten?

Eine institutionalisierte Beteiligung der Verbände an den Beratungen im Plenum des Bundestages bei Entwürfen der Bundesregierung oder des Bundesrates kann schon aus praktischen Gründen nicht in Frage kommen und wird deshalb - soweit ersichtlich - nirgendwo in Er­ wägung gezogen; sie würde die ohnehin beschränkte Redezeit der ein­ zelnen Abgeordneten weiter einschränken und die Arbeit der Aus­ schüsse unterhöhlen. Gegen sie sprechen aber auch verfassungspolitische Bedenken. Die unmittelbare Beteiligung von Verbandsvertretern an den Debatten des Bundestages würde, auch wenn sie auf eine Anhörung beschränkt bliebe, das Gewicht der Verbandsmeinungen bei der Gesetzgebung mindestens in den Augen der Öffentlichkeit erheblich verstärken. Wenn die Verbände in den Ausschüssen angehört werden, ist offenbar, daß ihre Stellungnahmen lediglich als Beitrag zur Beratung anzusehen sind. Eine Beteiligung im Plenum, dem die Entscheidung obliegt, und die der Entscheidung unmittelbar vorgeschaltet würde, müßte dagegen als unmittelbare Einflußnahme auf diese Entscheidung angesehen werden. Das Plenum ist der Ort, an dem die Abgeordneten unter sich die Entscheidung vorbereiten. Die Verbandspositionen können hier nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie von einer Fraktion oder einem Abgeordneten in die Argumentation aufgenommen wurden. Diese Er­ wägungen würden selbst dann gelten, wenn man davon ausgehen müßte, daß die tatsächliche politische Bedeutung einer Plenarbeteili­ gung für die Einflußnahme auf ein Gesetz geringer wäre als die Be­ teiligung in den Ausschüssen, weil vor den Plenardebatten in vielen Fällen die Fraktionsmeinung bereits festgelegt ist. Damit würde näm­ lich die Wirkung der Plenardebatten auf die Öffentlichkeit verkannt. Eine Verfassungsänderung wäre notwendig, um den Verbänden die Anhörung in den Plenarsitzungen zu ermöglichen, da nach geltendem

224

2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Recht eine Beteiligung nicht zulässig wäre230 . Eine solche Änderung kann nicht angeraten werden. Eine Beteiligung gegenüber dem Bundestagsplenum könnte freilich auch auf andere Weise erfolgen, z. B. durch eine schriftliche Anhö­ rung23 1 . Da jedoch in den vorliegenden Fällen bei der Gesetzesvorbe­ reitung durch die Bundesregierung oder den Bundesrat eine solche Anhörung regelmäßig stattgefunden hat und ihr Ergebnis nach unse­ ren Vorschlägen dem Bundestag vorliegt, ist eine Wiederholung dieser Prozedur in diesem Stadium nicht erforderlich. Wenn eine institutionalisierte Beteiligung im Plenum daher nicht in Frage kommt, müssen sich die Überlegungen darauf konzentrieren, wie die Verbandseinflüsse auf das Plenum sichtbar und kontrollierbar gemacht und ggf. verhindert werden können. Die Verbandseinflüsse machen sich in drei Richtungen hin bemerkbar : bei der Aufstellung der Wahlbewerber und den Wahlen (2), durch Kontakte zu einzelnen Abge­ ordneten (3) und durch Einflußnahmen auf die Fraktionen (4). 2. Zum Einfluß der Verbände auf die Bundestagswahlen

Die Verbände können bei der Kandidatenaufstellung aktiv werden (a), den Wahlkampf des einzelnen Abgeordneten finanzieren (b) oder zur Parteifinanzierung beitragen (c).

a) Kandidatenaufstellung Der Verbandseinfluß im Plenum zeigt sich zunächst deutlich daran, daß viele Abgeordnete Verbandsmitglieder sind232 . Von dieser Tat­ sache ausgehend, liegt die Vermutung nahe, daß die Verbandsmitglied­ schaft bei der Kandidatenaufstellung eine Rolle gespielt hat. Die Ver­ bände versuchen, ihren Einfluß im Bundestag dadurch zu sichern, daß sie einen der ihren, möglichst einen leitenden Funktionär, auf eine aus­ sichtsreiche Kandidatur bringen. Es soll hier nicht das komplexe Zusammenspiel zwischen Parteien und Verbänden im einzelnen untersucht werden, das erst die tat­ sächlichen Voraussetzungen dafür schafft, daß verbandsangehörige Kandidaten den für die Kandidatenauswahl zuständigen Parteigremien So Martin G. AmmermüHer, Verbände im Rechtsetzungsverfahren, s. 63. 231 So bei Initiativanträgen, dazu u. Nr. 6. 232 Vgl. z. B. für gewerkschaftlich organisierte Abgeordnete die Zusammen­ stellung von Walter Böhm, Gewerkschaftler im Deutschen Bundestag, in : ZParl 1974, S. 17 ff. 280

1971,

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

225

präsentiert werden. Die Vorstellung, daß aussichtsreiche Kandidaturen von den Verbänden „gekauft" werden könnten, würde jedenfalls eine unzulässige Vereinfachung darstellen, wenn auch die finanzielle Unter­ stützung neben der Aussicht auf die Stimmen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle spielt. Für den vorliegenden Zweck kommt es lediglich darauf an, zu zeigen, welche Faktoren eine solche Entwicklung begünstigen, wie ihr Einhalt geboten werden kann oder wie sie wenig­ stens sichtbar zu machen ist. Für die große Anzahl verbandszugehöriger Bundestagsabgeordneter wird vor allem unser Wahlrecht verantwortlich gemacht, nach dem j e die Hälfte der Abgeordneten nach Kreiswahlvorschlägen i n den Wahl­ kreisen und nach Landeslisten gewählt werden, § 1 Abs. 2 BWahlG. Während der Einfluß der Verbände auf die Kreiswahlvorschläge gering eingeschätzt wird, sieht man in den Landeslisten die eigentlichen Einfallstore für Verbandsbewerber233 • Die Abschaffung der Listenwahl wird als zwar radikale aber wirksame Abhilfe empfohlen. Betrachtet man hingegen die Praxis der Kandidatenaufstellung genauer, läßt sich diese vereinfachende Sichtweise nicht aufrechterhalten234 • Kandidaten, die ausschließlich auf der Landesliste, nicht aber gleichzeitig in einem Wahlkreis kandidieren, werden von Wahl zu Wahl seltener. Dies gilt besonders für die CDU, bei der reine Listenkandidaturen immer am häufigsten vorkamen. Gerade die reinen Listenkandidaturen boten sich aber dafür an, Personen in den Bundestag zu bringen, deren Nomi­ nierung durch die Wahlkreis- oder Delegiertenversammlung auf Schwierigkeiten gestoßen wäre. Dies galt nicht nur für Verbandsfunk­ tionäre, sondern auch für sachkundige Spezialisten, die für die Frak­ tion unentbehrlich schienen, dem Parteivolk im Wahlkreis aber nicht schmackhaft zu machen waren. Als zweiter Trend in der Wahlpraxis ist, bedingt durch die prozentuale Annäherung der beiden großen Parteien CDU und SPD, festzustellen, daß die Zahl der sicheren Wahlkreise ab­ genommen hat. Die CSU bildet hier eine Ausnahme. Während aber die CDU früher mit einer großen Anzahl sicherer Wahlkreise rechnen konnte, waren in den letzten Wahlen starke Einbrüche und eine Ver­ schiebung zur SPD festzustellen, wobei es eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat, daß F.D.P.-Wähler mit ihrer Erststimme den Direktkandi­ daten der SPD unterstützt haben. Damit ergab sich auch für die CDU eine Notwendigkeit, die bei SPD und F.D.P. schon früher bestand: Die Direktkandidaten mußten auf der Landesliste abgesichert werden. Der Trend in allen Parteien geht heute dahin, auf aussichtsreichen Vgl. z. B. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 212. Vgl. dazu meine Ausführungen in : Die Kandidatenaufstellung und das Verhältnis des Kandidaten zu seiner Partei in Deutschland und Frankreich, 1971, S. 104 ff., Heino Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Par­ teiensystems, 1971, S. 621 ff. 288

234

1li Speyer 68

226

2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Plätzen der Landeslisten nur solche Kandidaten zu nominieren, die auch in einem Wahlkreis als Direktkandidaten aufgestellt sind. Die geschilderte Praxis führt zu einer differenzierten Bewertung der Folgen unseres Wahlrechtes, denn die Verbandsvertreter, die als Ab­ geordnete in den Bundestag einziehen sollen, müssen den Weg über eine Wahlkreisversammlung oder Wahlkreisdelegiertenkonferenz de­ hen. Zwar muß in unsicheren Wahlkreisen diese Konferenz insofern auf die für die Aufstellung der Landesliste zuständige Landesdelegier­ tenkonferenz Rücksicht nehmen, als es in ihrem Interesse liegt, eine Absicherung ihres Kandidaten zu erreichen. Dennoch hat sich mit der oben aufgezeigten praktischen Entwicklung das Schwergewicht der Kandidatenaufstellung auf den Wahlkreis verlagert. Damit müssen verbandsangehörige Kandidaten auch für das im Wahlkreis zuständige Parteigremium akzeptabel sein. Dies muß keineswegs zu ungunsten der verbandsangehörigen Kandidaten ausschlagen; vielmehr ist es z. B. denkbar, daß die Verbandszugehörigkeit der Wahlkreisstruktur entspricht : in ländlichen Gebieten z. B. ein Vertreter des Bauernver­ bandes, in Großstädten Gewerkschaftler etc. Immer aber müssen die Kandidaten in etwa dem Interesse des Wahlkreisparteivolkes entspre­ chen. Eine Kandidatur wegen der Verbandszugehörigkeit allein ist schwieriger geworden. Insofern wirkt der Weg über den Wahlkreis als Filter gegen einseitige Verbandsinteressen. Eine grundlegende Änderung des Wahlsystems, z. B. die Abschaffung der Listenwahl, kann daher nicht mit dem Argument verlangt werden , daß nur auf diese Weise die Verbandsangehörigkeit von Kandidaten und Abgeordneten vermieden werden könne. Dabei kann hier dahin­ stehen, ob man überhaupt um j eden Preis verhindern muß, daß Kandi­ daten einem Verband angehören. Es geht lediglich darum , solche Kan­ didaten möglichst fernzuhalten, die befürchten lassen, daß sie als Ab­ geordnete einseitig Verbandsinteressen vertreten werden. Dies wird aber durch das derzeitige System weitgehend erreicht. Dies schließt nicht aus, daß nicht an Veränderungen des Wahlrechts gedacht werden könnte, um über eine Neuregelung der Kandidaten­ aufstellung auch eine Offenlegung der Verbandsabhängigkeiten eines Kandidaten zu erreichen. Dahin zielte ein Vorschlag der Jungsozialisten betr. die „Einordnung der Kandidaten in Abhängigkeitsverhältnisse", der folgendes vorsah235 : „Für eine Prognose über das zukünftige Verhalten des Abgeordneten müssen die verschiedenen Abhängigkeitsverhältnisse und Interessen­ verbindungen der Kandidaten offengelegt werden. Damit nicht der Eindruck einer inquisitorischen Befragung entsteht, sollte versucht 235

Abgedruckt in : Die Welt vom 17. Juli 1972, S. 6.

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

227

werden, auf dem Weg über Parteibeschlüsse Fragebogen für die Kan­ didaten zu entwerfen, die Auskunft geben über: Verbandszugehörig­ keit, Gewerkschaftszugehörigkeit, Vereinszugehörigkeit, Funktionen in der Partei und in den Verbänden. Ämter wie z. B. Betriebs- oder Personalrat, Mitgliederschaft in Auf­ sichts- und Verwaltungsräten, Gutachter- und Beratertätigkeiten, kirchliche oder genossenschaftliche Funktionen. In der mündlichen Befragung müssen unklare und nicht ausreichende Angaben präzisiert werden." Die Vorschläge der Jungsozialisten sind in der Folgezeit heftig kriti­ siert worden. Dennoch enthalten sie den richtigen Ansatzpunkt: Der Parteibürger, der in der Wahlkreisversammlung oder als Delegierter in der Wahlkreisdelegiertenkonferenz über die Nominierung eines Kan­ didaten zu entscheiden hat, muß darüber informiert werden, ob bzw. welche Verbandszugehörigkeit der Bewerber hat. Darüber hinaus muß auch der Wähler wissen, wen er wählt bzw. welchen Verband er ggf. ,,mitwählt". Es ist also mit der Angabe im Parteigremium nicht getan, vielmehr muß auch der Wähler informiert werden. Anhaltspunkt für eine Regelung könnten die „Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages" sein. Die Abgeordneten sind nämlich verpflichtet, bestimmte Angaben über ihre Verbindung zu Verbänden zu machen. Es darf aber keinesfalls so sein, daß der Partei­ bürger oder der Wähler im Nachhinein erst erfahren, in welchen Bezie­ hungen der von ihnen gewählte Kandidat zu Verbänden stand, zumal die Verbandszugehörigkeit durchaus ein Motiv gegen die Wahl sein könnte. Die Frage, ob die Verhaltensregeln nicht auch für die Kandi­ daten für eine Bundestagswahl Anwendung finden sollten, ist im zu­ ständigen Bundestagsausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Ge­ schäftsordnung im Zusammenhang mit Nr. 5 der Verhaltensregeln un­ tersucht worden, der die Rechnungsführungs- und Anzeigepflicht für Bundestagsmitglieder u. a. für Wahlspenden vorsieht. Der Ausschuß hat von der Erfassung der Kandidaten abgesehen, weil er die abschlie­ ßende Regelung einer Änderung des Parteiengesetzes überlassen wollte236 • Da die nicht erfolgreichen Kandidaten nicht dem Regelungs­ bereich der Geschäftsordnung unterliegen, wäre eine Einbeziehung der erfolglosen Kandidaten ohnehin ohne Rechtswirkung geblieben. Im­ merhin zeigen diese Erwägungen, daß der Ausschuß auch an eine Of­ fenlegungspflicht für Kandidaten gedacht hat. Die Pflicht zur Offenlegung von Verbandsbeziehungen greift auch nicht in unzulässiger Weise in die Privatsphäre des Bewerbers ein. Sie 28 6

So der Abg. Schoettle in : Dt. BT, Sten. Ber. 6. Wahlperiode, 198. Sitzung,

s. 11 699. 1 5*

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

dient vielmehr dazu, Aufschluß über das mögliche politische Verhalten zu geben. Dies gilt auch für die Bewerber, die von vornherein ohne echte Wahlchancen sind. Wer sich um ein Abgeordnetenmandat be­ wirbt, muß auch bereit sein, die Faktoren bekanntzugeben, die seine politische Einstellung beeinflussen können, da diese bei der Entschei­ dung für Nominierung und Wahl eine Rolle spielen können. Damit wird keineswegs unterstellt, daß ein Kandidat, wenn er gewählt wird, im Bundestag nur Verbandsinteressen vertrete, aber es wird von Anfang an eine Kontrollmöglichkeit gegeben. Vergleicht man die Offenlegungsforderungen der Jungsozialisten mit dem, was Nr. 1 und 3 der Verhaltensregeln für die Mitglieder des Bundestages vorschreiben, wird deutlich, daß die Vorstellungen der Jungsozialisten weitgehend erfüllt sind. Die Verhaltensregeln unter­ scheiden sich nur insofern, als sie die Anzeige einer schlichten Ver­ bandszugehörigkeit bzw. einer unentgeltlichen, nicht auf Vertrag be­ ruhenden Tätigkeit für Verbände nicht vorsehen. Auch insoweit sollte aber eine Anzeigepflicht vorgesehen werden. Die Aufstellung von Parteibewerbern ist, obwohl sie rechtssystema­ tisch zum Parteienrecht gehörte237, in § 22 BWahlG geregelt. Daran hat auch das Parteiengesetz nichts geändert, das in seinem § 17 ParteiG auf die Wahlgesetze und Satzungen verweist und lediglich den Grundsatz der geheimen Abstimmung festlegt. § 22 BWahlG trifft aber keine Be­ stimmungen darüber, welche Angaben ein Bewerber vor den für seine Nominierung zuständigen Gremien seiner Partei machen muß238 • Viel­ mehr überläßt § 22 Abs. 5 BWahlG „das Nähere . . . über das Verfahren für die Wahl des Bewerbers" der Regelung in den Parteisatzungen, wovon allerdings nur spärlich Gebrauch gemacht wird239 • Auch die da­ neben in einigen Parteien bestehenden Richtlinien zur Aufstellung von Wahlbewerbern240 befassen sich nicht mit dem Verfahren, sondern legen im wesentlichen nur Auswahlgesichtspunkte fest. Die Offenlegung von Verbandszugehörigkeit und -funktion kann aber nicht gänzlich der Regelung in der Parteisatzung überlassen bleiben; vielmehr muß eine gesetzliche Bestimmung erfolgen, die dann vom Satzungsrecht ausge­ füllt werden kann. Regelungsvorschlag: § 22 Abs. 5 BWahlG wird um folgenden Satz 2 erweitert : 237

Vgl. Wilhelm Henke, Das Recht der politischen Parteien, 2. Aufl. 1972,

s. 193/194.

238 Daß der Bewerber mindestens wählbar sein muß, § 16 BWahlG, versteht sich von selbst. 239 Vgl. meine Untersuchung (Fn. 234), S. 97. 240 Vgl. Heino Kaack (Fn. 234), S. 605, 611.

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

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Die Satzung muß Bestimmungen enthalten, die eine Offenlegung von Verbandszugehörigkeiten und -funktionen des Bewerbers vor seiner Nomi­ nierung gewährleisten. Die Information der Wähler müßte über die Wahlleiter erfolgen. Dazu wäre erforderlich, daß bei Einreichung der Kreiswahlvorschläge bzw. Landeslisten nicht nur der Beruf oder Stand des Bewerbers ange­ geben würde, sondern darüber hinaus auch Verbandszugehörigkeit und -funktion241 • Dies wäre durch entsprechende Ergänzungen der §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 Nr. 2 BWahlO zu erreichen. Dann könnte eine Bekanntmachung der Kreiswahlvorschläge bzw. Landeslisten er­ folgen, §§ 34, 39 BWahlO, in der diese Angaben enthalten wären. Weitergehend wäre an die Möglichkeit einer Unvereinbarkeit von Kandidatur und Verbandsfunktion zu denken (Ineligibilität) 242 • Selbst wenn man aber eine Inkompatibilität von Abgeordneten­ mandat und Verbandsfunktion in Erwägung ziehen sollte243 , müßte man zumindest dem Verbandsfunktionär die Möglichkeit geben, zunächst den Ausgang der Wahl abzuwarten und erst im Falle der erfolgreichen Kandidatur von seiner Verbandsfunktion zurückzutreten. Ein weiteres Mittel, neben bzw. zusammen mit der Aufstellung den Verbänden nahestehender Bewerber, um zu Einfluß auf den Bundes­ tag zu gelangen, besteht in der materiellen Unterstützung der Par­ teien, vor allem im Wahlkampf, durch die ein verbandsfreundliches Verhalten „erkauft" werden soll. Diese Unterstützung kann entweder einem Kandidaten unmittelbar zugute kommen oder der Partei ins­ gesamt.

b) Wahlkampfspenden an Kandidaten Eine Rechnungsführungs- bzw. Anzeigepflicht für Spenden, die einem Bewerber als Kandidat für eine Bundestagswahl zugeflossen sind, ist in Nr. 5 der Verhaltensregeln nur für die erfolgreichen Kandi­ daten normiert. Für die erfolglosen Kandidaten besteht eine solche Pflicht bisher nicht. Um aber deutlich zu machen, welche Kräfte die Wahlentscheidungen zu beeinflussen versuchen, müßte eine solche Re­ gelung grundsätzlich für jeden Bewerber gelten. Das Problem besteht darin, daß eine solche Vorschrift vom guten Willen der Kandidaten lebt, da eine Kontrolle kaum möglich ist und Verstöße nur durch Zufall m Ebenso Rainer Hensel, Mehr Transparenz für Verbandsabgeordnete, in: ZRP 1974, S. 177 ff., 180, der detaillierte Regelungsvorschläge für die ent­ sprechenden Vorschriften der Bundeswahlordnung macht. m Für die Unterscheidung zwischen „lneligibilität" und „Inkompatibilität" s. Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog, (1960), Rdnr. 15 zu Art. 137. 143 Dazu neuestens Rainer Hensel (Fn. 241), S. 177 ff., ebenso ders., Der Einfluß der wirtschaftspolitischen Verbände auf die parlamentarische Arbeit, 1973, S. 165 ff., dort (S. 174) allerdings wesentlich zurückhaltender hinsicht­ lich der Effektivität von Inkompatibilitätsvorschriften.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

ans Licht kommen können. Da in der Bundesrepublik Deutschland die materielle Unterstützung von Wahlkampfkandidaten nicht verboten ist, kann auch die Sanktion für einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht nicht übermäßig hart sein. Nach den Verhaltensregeln besteht sie für ein Bundestagsmitglied äußerstenfalls in der Veröffentlichung des Verstoßes. Für einen nicht erfolgreichen Kandidaten kann sie keines­ falls schwerer sein. Diese Art der Sanktionierung ist aber gerade für einen erfolglosen Kandidaten kaum beeindruckend. Man könnte allerdings versuchen, durch eine gesetzliche Regelung des Wahlkampfes den Wert solcher privaten Wahlkampfspenden zu verringern, wenn nicht gar überflüssig zu machen. Dies könnte dadurch geschehen, daß die offizielle Wahlwerbung nur mit den Mitteln (An­ zeigen, Plakaten, öffentlichen Veranstaltungen etc.) durchgeführt wer­ den darf, die vom Wahlleiter den Parteien bzw. Kandidaten zur Verfü­ gung gestellt werden. Eine ähnliche Regelung gibt es in Frankreich244 • Sie ist dort entstanden, um eine weitgehende Chancengleichheit der Kandidaten zu gewährleisten und um Wahlkämpfe nicht zu Material­ schlachten ausarten zu lassen, deren Ausgang letztlich von den finan­ ziellen Reserven abhängt. Der Erfolg einer solchen Regelung ist aber zweifelhaft. Sie führt schließlich nur zu einer Verlagerung von der unmittelbaren zur mittelbaren Wahlpropaganda. Man sollte deshalb eher den Versuch machen, eine der Nr. 5 der Verhaltensregeln entsprechende Vorschrift in das Bundeswahlgesetz aufzunehmen, und darauf vertrauen, daß auch der gescheiterte Kandi­ dat soviel Respekt vor den Bundestagswahlen und soviel Ehrlichkeit vor sich selbst aufbringt, daß er über Wahlkampfspenden Rechnung führt und im Einzelfall hohe Spenden anzugeben bereit ist. Die Regelung müßte im Bundeswahlgesetz erfolgen. Etwaige Anzei­ gen sollten nach Abschluß des Wahlkampfes gemacht werden; dann kann man das gesamte Ausmaß der Spenden übersehen, zumal keine Veranlassung besteht, jede einzelne Spende unmittelbar nach Erhalt zu melden, denn rechtliche Konsequenzen für den Wahlkampf oder die Kandidatur ergeben sich nicht. Anlaufstelle könnte der Bundeswahl­ leiter sein, der die gesammelten Anzeigen dem Präsidium des Bundes­ tages zu übermitteln hätte. Die Verhaltensregeln statuieren zwar eine Anzeigepflicht, enthalten aber keine Angaben darüber, ob die Angaben in irgendeiner Form veröffentlicht werden. Erst die Veröffentlichung macht jedoch sichtbar, wer sich bemüht hat, die Wahl mit finanziellen Mitteln zu beeinflussen. Da die Wahl der entscheidende Akt ist, in dem das Volk sich politisch artikulieren kann, gehört zur Transparenz des 244

Vgl. Art. L 165 ff. Code electoral; dazu meine Ausführungen (Fn. 234),

s. 45 f.

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Wahlvorgangs auch die Klarheit über finanzielle Unterstützungen von außen. Hier ist eine Parallele zu sehen zur Rechenschaftspflicht der Parteien, Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG, §§ 23 ff. ParteiG, die in das Grund­ gesetz aufgenommen wurde, um undemokratische Einflüsse abzuweh­ ren245 . Auch die Offenlegung der Finanzzuschüsse zu Kandidaturen dient diesem Zweck. Zudem ist zu berücksichtigen, daß die Spenden im Rechenschaftsbericht der Partei auftauchen müßten, ab 20 000,- DM sogar mit dem Namen des Spenders, wenn die finanzielle Zuwendung für einen Kandidaten über die Partei gelaufen wäre. Es ist kein Grund ersichtlich, den Kandidaten hier anders zu behandeln als die Partei, zumal die Kandidaten nahezu ausschließlich Parteibewerber sind. Es genügt deshalb auch nicht, nur die Tatsache der Spende anzugeben, es muß vielmehr, jedenfalls ab einer gewissen Höhe, auch die Herkunft genannt werden. Es sollte deshalb eine Regelung vorgesehen werden, die in etwa den Vorschriften über die Rechenschaftspflicht der Parteien entspricht. Gesetzestechnisch wäre die Regelung bei den Vorschriften des Bun­ deswahlgesetzes über die Wahlvorbereitung anzuordnen, da sie eine Pflicht des Bewerbers darstellt, die diesem bei seiner Bewerbung be­ wußt sein muß. Regelungsvorschlag:

Nach § 22 BWahlG wird folgender § 22 a BWahlG eingefügt : § 22 a Rechenschaftslegung der Bewerber (1) Jeder Bewerber hat über alle Spenden, die ihm als Kandidaten für die Bundestagswahl zur Verfügung gestellt werden, gesondert Rechnung zu führen. Spenden, deren Gesamtwert im Laufe der Wahlvorbereitung DM 20 000,- übersteigt, hat er unter Angabe des Namens und der An­ schrift des Spenders sowie der Gesamthöhe der Spende in der Rech­ nungsführung zu verzeichnen. (2) Die Rechnungsführung ist dem Bundeswahlleiter in Form eines Re­ chenschaftsberichtes innerhalb von 14 Tagen nach dem Wahltag zuzu­ leiten. Der Bundeswahlleiter sammelt die Berichte und übersendet sie dem Präsidium des neugewählten Bundestages. (3) Die Berichte werden veröffentlicht. über die Art und Weise der Ver­ öffentlichung entscheidet das Präsidiumm. Angesichts der „Ergiebigkeit" der Rechenschaftsberichte der Parteien sollte man sich auch hier vor allzu großen Hoffnungen hüten. Transpa­ renz wird nur in dem Maße erreicht werden, wie die Bewerber bereit sind, sie zu gewähren. us Vgl. Wilhelm Henke, in : Bonner Kommentar-Zweitbearbeitung (1965), Art. 21 Entstehungsgeschichte, S. 4. 248 Hierzu gehört etwa die Entscheidung darüber, ob die Rechenschafts­ berichte einzeln publiziert oder ob sie nach Parteien zusammengefaßt werden und nur veröffentlicht wird, welche Spenden den Kandidaten einer Partei insgesamt zugeflossen sind.

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c) Parteienfinanzierung durch Verbände Finanzielle Zuwendungen von Verbänden an Parteien sind in den finanziellen Rechenschaftsbericht aufzunehmen, den die Parteien nach §§ 23 ff. ParteiG j ährlich zu erstellen haben. Allerdings ist nur bei Spen­ den über DM 20 000,- der Spender mit Name und Adresse aufzufüh­ ren. Ansonsten erscheinen Zuwendungen der Verbände nur in der Gesamtsumme der Spenden. Immerhin ist hier eine gesetzliche Rege­ lung erfolgt, die auf die Offenlegung auch von Verbandszuwendungen abzielt. Die Praxis ist allerdings nicht dazu angetan, die geweckten Erwartun­ gen zu erfüllen. Zwar machen die Spenden in den Einnahmerechnungen aller Parteien einen erheblichen Betrag aus, einzelne Spender werden aber kaum genannt. Eine kurze Analyse der Rechenschaftsberichte der Parteien für das Jahr 1972 247 kann das Dilemma verdeutlichen: Die SPD hatte 1972 Gesamteinnahmen von DM 1 1 3 977 167,86. Davon waren 22 346 221,49 Spenden, wobei mehr als die Hälfte dem Parteivor­ stand zufloß. Nur zwei Spenden von je DM 30 000,- sind namentlich ausgewiesen. Die CDU hat bei einer Gesamteinnahme von fast 1 14 000 000,- Spen­ den in Höhe von DM 50 359 324,19 ausgewiesen. Namentlich genannt sind 23 Spender mit einem Gesamtbetrag von ca. 6,5 Millionen DM, eingerechnet 9 Spender „anonym". Die CSU beziffert die erhaltenen Spenden auf DM lO 221 005,44 bei Gesamteinnahmen von fast 23 Millionen. 3 Spender mit einer Summe von insgesamt ca. 4,5 Millionen sind namentlich ausgewiesen, darunter einer „anonym" . Bei der F.D.P. entfallen von Gesamteinnahmen i n Höhe von ca. 24 Millionen 8846 670,83 DM auf Spenden. Namentlich genannt ist ein Spender mit einer Spende von DM 360 000,-. Für alle Parteien läßt sich demnach feststellen, daß Spenden einen erheblichen Teil ihrer Gesamteinnahmen ausmachen. Bei CDU, CSU und F.D.P. machen sie ein Vielfaches der Mitgliedsbeiträge aus. Selbst bei der SPD beträgt der Anteil der Spenden an den Gesamteinnahmen fast 20 0/o. Nicht erfaßt sind bei den Spenden im übrigen die Sach-, Werk- und Dienstleistungen der Partei nahestehender Organisationen im Rahmen des § 27 Abs. 3 ParteiG. Die Analyse zeigt, daß nur ein Bruchteil der eingegangenen Spenden namentlich genannt wird, mit Ausnahme bei der CSU. Dies läßt zwei Schlußfolgerungen zu: entweder nehmen es die Parteien mit der Benennungspflicht der Spender nicht genau, oder sie leben tatsächlich von einer Vielzahl kleiner Spenden. 147

Veröffentlicht im Bundesanzeiger Nr. 22/74 vom 1. Februar 1974.

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Wenn man bedenkt, daß der Löwenanteil der Spenden jeweils bei der Bundesparteispitze registriert ist, sind Zweifel an der zweiten Alter­ native angebracht. Es kommt hinzu, daß die Namen der wenigen ausgewiesenen Spen­ der in den meisten Fällen nicht erkennen lassen, wer denn nun tat­ sächlich gespendet hat. Es ist auffallend, daß keiner der großen Ver­ bände unter den Namen auftaucht. Die Gewerkschaften fehlen ebenso wie der Bdl. Statt dessen finden sich „staatsbürgerliche Vereinigun­ gen e. V. ", die mit erheblichen Beträgen einsteigen, aber erst weitere Nachforschungen erfordern, um herauszufinden, wer sich hinter ihnen verbirgt. Nach den vorgelegten Rechenschaftsberichten scheinen die Verbände in finanzieller Hinsicht keine nennenswerten Aufwendungen für Par­ teien zu machen, denn Beträge unter DM 20 000,-248 , die der Benen­ nungspflicht nicht unterliegen, sind gemessen an den Gesamteinnahmen der Parteien nicht in einer Größenordnung, mit der politischer Einfluß „gekauft" werden könnte. Es fällt schwer zu glauben, daß von den großen Verbänden den Parteien keine nennenswerten Geldmittel zufließen und daß die beachtlichen Spendengesamtsummen auf kleinen Beträgen beruhen. Bisher ist eine Beanstandung der Prüfer noch nicht vorgekommen. Die Beanstandung wäre nicht folgenlos, denn der Prä­ sident des Deutschen Bundestages darf Zahlungen nach den §§ 18 - 20 ParteiG nicht leisten, solange ein den Vorschriften des Fünften Ab­ schnitts entsprechender Rechenschaftsbericht nicht eingereicht worden ist, § 23 Abs. 3 ParteiG. Da diese Zahlungen für alle Parteien bedeu­ tende Einnahmeposten darstellen, auf die sie nicht verzichten können, hat der Prüfervermerk für die Parteien entscheidende Bedeutung. Die Prüfer haben also durchaus die Möglichkeit, auf die Vorlage von Unter­ lagen zu drängen, wenn sie ohne deren Kenntnis eine pflichtgemäße Prüfung nicht durchführen zu können glauben. Über den tatsächlichen Ablauf solcher Prüfungen liegen bisher keine Untersuchungen vor. Wenn man sich fragt, aus welchem Grund in der Öffentlichkeit die Rechenschaftsberichte kaum Aufmerksamkeit finden, obwohl gleich­ zeitig allen Parteien finanzielle Abhängigkeiten von bestimmten Ver­ bänden unterstellt werden, lassen sich mehrere Gründe anführen. Vor allem haben die Parteien offenbar selbst keine Neigung, gegenseitig auf ihre Rechenschaftsberichte einzugehen, obwohl sie ansonsten mit wechselseitigen Mutmaßungen über das große Geld, das von der In­ dustrie oder von den Gewerkschaften gezahlt werde, nicht sparen. Die Berichte selbst sind nicht Gegenstand ihrer Kritik. Des weiteren haben 248 Dabei ist zu beachten, daß es um den „Gesamtwert in einem Kalender­ jahr" geht, vgl. § 25 ParteiG.

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sich die Massenmedien, insbesondere auch die Zeitungen, der Berichte bisher kaum angenommen, so daß eine Sensibilisierung der Öffentlich­ keit bisher nicht stattgefunden hat. Es ist der breiten Öffentlichkeit bisher nicht bewußt geworden, daß die Berichte der Ansatzpunkt sein könnten, finanzielle Abhängigkeiten der Parteien offenzulegen. Eine Diskussion in der Öffentlichkeit über die derzeitige Art der Erfüllung der Rechenschaftspflicht könnte vielleicht die Parteien dazu veranlas­ sen, ihre Spendenkasse etwas durchsichtiger zu machen249 • Es ist vorgeschlagen worden, die Abhängigkeit der Parteien von Spenden durch eine vollständige staatliche Parteienfinanzierung zu lösen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die Parteien nicht mehr auf die finanzielle Unterstützung von Verbänden angewiesen sind, wenn der Staat ihre Ausgaben aus dem Staatshaushalt finanziert250 • Es soll hier nicht die Diskussion über Umfang und Formen der staat­ lichen Parteienfinanzierung aufgenommen werden251 • Selbst wenn man sich über das bereits bestehende Ausmaß hinaus für sie entscheiden sollte, wäre damit das Problem einer Parteienfinanzierung durch Ver­ bände kaum gelöst, denn die staatliche Parteienfinanzierung muß not­ wendigerweise immer nach einer gewissen Schematisierung ablaufen, da sie die anspruchsberechtigten Parteien nach dem Gleichheitsgebot bedienen muß. Da aber Organisation und Arbeitsweise der Parteien untereinander unterschiedlich sind, kann eine staatliche Finanzierung niemals so aussehen, daß die Parteien nur ihre Ausgaben angeben, die dann übernommen werden. Selbst bei großzügigster staatlicher Finan­ zierung werden die Parteien für zusätzliche Mittel, die ihnen Aktivitä­ ten über das normale Maß hinaus erlauben, dankbar sein. Da der nor­ male Geschäftsbedarf in diesem Falle für alle Parteien in gleicher Weise vom Staat getragen würde, würde die Abhängigkeit bei den Spenden für den Zusatzbedarf beginnen. Gegenüber der Spendenab­ hängigkeit von heute würde sich damit wenig ändern. Konsequenter­ weise müßte deshalb eine staatliche Parteienfinanzierung von einem Verbot privater Zuwendungen an Parteien begleitet sein. Damit würde aber nicht nur der Weg für Umgehungen dieses Verbotes frei, auch die rechtlichen Auswirkungen für den Status der Parteien (Möglichkeit von Neugründungen etc.) wären kaum absehbar. Die Forderung nach einer verstärkten staatlichen Parteienfinanzierung stellt daher nicht ohne weiteres eine Lösung des angesprochenen Problems dar. Bei der Lösung ist davon auszugehen, daß finanzielle Zuwendungen von Verbänden an Parteien grundsätzlich legal sind. Jedem Verband 2 49 Vgl. die Bemerkungen Rudolf Augsteins, Gerechtigkeit für Gewandt !, in : Der Spiegel Nr. 50/74 vom 9. 12. 1974, S. 24. 250 Vgl. z. B. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 215. 2 5 1 Vgl. dazu ausführlich Uwe Schleth, Parteifinanzen, 1973.

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steht es ebenso wie jedem Privatmann frei, seine Zustimmung mit der Politik einer Partei durch finanzielle Zahlungen zu unterstreichen. Da­ bei ist nach deutschem Parteienrecht den Verbänden insofern ein direk­ ter Zugang zu den Parteien verwehrt, als korporative Mitgliedschaft in einer Partei nicht möglich ist252 • Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 ParteiG können Mitglieder einer Partei nur natürliche Personen sein. Immerhin wäre sonst hier eine Möglichkeit gewesen, z. B. über die Offenlegung kor­ porativer Mitgliedschaften in Parteien die Verbandsneigungen festzu­ stellen. Allerdings wäre es in vielen Fällen sicherlich zu Mehrfach­ mitgliedschaften der Verbände gekommen. Insgesamt gesehen scheint der Weg der Offenlegung der finanziellen Zuwendungen durch Benennung der Spender, die über einen gewissen Betrag hinaus gespendet haben, der zweckmäßigste zu sein, um Ver­ bandsabhängigkeiten sichtbar zu machen. Es muß allerdings dafür Sorge getragen werden, daß die Benennungspflicht ernst genommen wird. 3. Einflußnahmen der Verbände auf einzelne Abgeordnete

Die Einflußnahmen der Verbände auf einzelne Abgeordnete des Bundestages beruhen entweder darauf, daß der Abgeordnete einem Verband angehört bzw. Verbandsfunktionär ist, oder auf Kontakten zwischen Verbandsvertretern und nicht verbandsangehörigen Abge­ ordneten. Diese Kontakte können von Informationsgesprächen bis hin zu Beraterverträgen reichen und zu finanziellen Zuwendungen, um ein bestimmtes Abstimmungsverhalten zu bewirken. a) Inkompatibilitäten?

Die weitestgehende Forderung zur Eindämmung von Verbandsein­ flüssen im Plenum des Deutschen Bundestages besteht in „Überle­ gungen einer Inkompatibilität von Abgeordnetenmandat und - zu­ mindest höheren - Verbandsfunktionen" 253 • Die Einführung von Unvereinbarkeiten in diesem Bereich kann in­ dessen nicht empfohlen werden. Dies gilt vor allem, wenn man die Offenlegungsvorschläge für Verbandszugehörigkeit und -funktion bei der Bewerbung um das Mandat in Erwägung zieht, denn dann würde der Bewerber trotz seiner Verbandsfunktion gewählt. Wenn man be­ denkt, daß das Parlament der Ort ist, in dem die verbindliche Inter252

Dies ist z. B. in den französischen Parteien möglich. Vgl. Rudolf Steinberg, Das Verhältnis der Interessenverbände zu Re­ gierung und Parlament, in : ZRP 1972, S. 207 ff., 210; ähnlich Rainer Hensel (Fn. 241), S. 177 ff. m. w. N. ; ausführlich auch Gerd Sturm, Die Inkompatibili­ tät, 1967, s. 111 ff. 253

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essenabwägung stattzufinden hat, ist gegen die Verbandszugehörigkeit von Abgeordneten grundsätzlich nichts einzuwenden254, im Gegenteil müßte man ein Parlament, in dem überhaupt keine Verbandsangehöri­ gen säßen, als nicht repräsentativ bezeichnen. Es kommt hinzu, daß die Statuierung von Inkompatibilitätsvorschriften zu einem „System von Verschleierungen " 255 führen würde, indem sie dazu zwingen würde, die Verbandstätigkeit aufzugeben und nur noch inoffiziell einem Verband anzugehören256 • Mag auch in Einzelfällen das Mißtrauen begründet sein, das der Abgeordnetentätigkeit eines Verbandsfunktionärs im Hinblick auf das Anstreben von Entscheidungen, die dem Gemeinwohl ent­ sprechen, entgegengebracht wird, ist doch eine unverschleierte Ver­ bandszugehörigkeit, die kontrolliert werden kann, immer noch den ,,Wölfen im Schafspelz" vorzuziehen. Zudem sollte auch Verbandsfunk­ tionären nicht von vornherein das Bemühen um eine „richtige" Ent­ scheidung abgesprochen werden, zumal wenn davon auszugehen ist, daß diese nur in einer Interessenabwägung gefunden werden kann, wobei freilich alle Beteiligten auf die einseitige Durchsetzung ihrer Vorstellungen verzichten und die Orientierung an bestimmten Grund­ werten anerkennen müssen. Die finanzielle Abhängigkeit, die aus einer Verbandsfunktion zwi­ schen einem Verband und einem Abgeordneten entstehen kann, könnte man dadurch beenden, daß man dem Abgeordneten jede entgeltliche Tätigkeit neben dem Mandat untersagen würde257 • Die dadurch statu­ ierte Form der Inkompatibilität würde den bezahlten Verbandsfunk­ tionär treffen, es aber nicht ausschließen, daß ein Abgeordneter ehren­ amtlich in seinem Verband weiterarbeitet. Die hier in Erwägung gezo­ gene Regelung würde auf eine Vorschrift hinauslaufen, wie sie das Berufs- und Gewerbeverbot des Bundespräsidenten, Art. 55 Abs. 2 GG, und des Bundeskanzlers sowie der Bundesminister, Art. 66 GG, dar­ stellt. Es ist aber zu bedenken, daß ein solches Verbot alle Abgeord­ neten treffen würde, die freiberuflich Tätigen ebenso wie die Ange­ stellten der Privatwirtschaft. Sie alle dürften neben ihrem Abgeordne­ tenmandat keiner bezahlten Tätigkeit nachgehen, worunter u. a. auch Beraterverträge zu fassen wären. Damit würde nicht nur die Frage nach der Höhe der Diäten und einer wirksamen Versorgung neu zu stellen sein, entscheidend wäre, daß damit das Abgeordnetenmandat 264 Ähnlich Gerd Sturm (Fn. 253), S. 117. 256 Vgl. Carl Schmitt, Das Problem der innenpolitischen Neutralität des Staates, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 43 f., 44. 258 Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, Bd. 2, 1966, S. 170, beurteilt eine Verbandsinkompatibilität zu Recht sehr skeptisch. 267 Peter Krause, Freies Mandat und Kontrolle der Abgeordnetentätigkeit, in : DÖV 1974, S. 325 ff., 336, befürwortet die Untersagung der Berufstätigkeit des Abgeordneten.

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auch formell zum Beruf erklärt würde. Während bisher die Diskussion überwiegend darum ging, wie die Bemessung der Diäten beschaffen sein müßte, um finanzielle Ausfälle mit der Übernahme des Mandats im eigentlichen Beruf des Erwerbers auszugleichen258, müßte jetzt über­ legt werden, ob der Bewerber bereit ist, seinen Beruf zugunsten der Abgeordnetentätigkeit ganz aufzugeben. Es ist einerseits unbestritten, daß die Abgeordnetentätigkeit die ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt. Auf der anderen Seite wird das Mandat keineswegs als Beruf angesehen, und die Figur des Berufs­ politikers, die für den tatsächlichen Ablauf des parlamentarischen Ver­ fahrens unentbehrlich ist, genießt noch keineswegs das Ansehen, das sie ihrer Bedeutung nach verdient259 • Die Parlamentarier von heute werden immer noch am Bild eines Parlaments gemessen, dessen Mit­ glieder in der Regel wirtschaftlich unabhängig waren, was ihnen er­ laubte, ihre Tätigkeit in der Politik nicht als Broterwerb aufzufassen. Das Verbot einer entgeltlichen Tätigkeit neben dem Abgeordneten­ mandat würde dieser immer noch vorherrschenden Vorstellung wider­ sprechen259&. Daneben gibt es freilich auch andere Gründe, die nach wie vor einer gänzlichen Professionalisierung des Abgeordnetenmandats entgegen­ stehen. Dazu gehört z. B. der Hinweis darauf, daß eine Berufstätigkeit den Kontakt zur Lebenswirklichkeit erhalten helfe. Außerdem sichert sie die Möglichkeit einer sinnvollen Weiterbeschäftigung für den Fall, daß der Abgeordnete nicht wiedergewählt wird. Mit einer selbständi­ gen beruflichen Absicherung ist schließlich auch eine erhöhte Unabhän­ gigkeit verbunden. Wer Politik als Beruf betreibt, muß, wenigstens solange er noch keine leitende Funktion in seiner Partei innehat, immer auch mit der Möglichkeit des Mißerfolges rechnen. Dies kann dazu führen, daß der Berufspolitiker in die Abhängigkeit seiner Partei gerät. Insgesamt kann deshalb ein Verbot entgeltlicher Tätigkeit neben dem Abgeordnetenmandat nicht empfohlen werden, zumal eine unentgelt­ liche ohnehin dadurch nicht ausgeschlossen wäre. Unabhängig davon müßte aber eine Diätenregelung und Versorgung angestrebt werden, die den Abgeordneten gegenüber finanziellen Angeboten von Verbän­ den während seiner Mandatstätigkeit weitgehend unempfindlich macht und auch für einen Freiberufler ausreichend attraktiv erscheint260 . 258 Vgl. z. B. Ludger Anselm Versteyl, Verfassungsrechtliche Aspekte des Abgeordnetengehalts, in : DÖV 1972, S. 774 ff. 269 s. dazu Gerhard Loewenberg (Fn. 12), S. 68 ff. 259a Inwieweit durch das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. 11. 1975 - Z BvR 193/74, abgedruckt in NJW 1975, S. 2331 ff., ein Mei­ nungswandel eingeleitet wurde, ist noch nicht abzusehen. 260 Die Notwendigkeit ausreichender Diäten zur Immunisierung gegen ver­ lockende Verbandsangebote wird allenthalben betont ; vgl. z. B. Ludger An­ selm Versteyl (Fn. 13), S. 212 ff. ; Rainer Hensel (Fn. 243), S. 179 ff.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium b) Kein Stimmrecht b ei eigenem Interesse?

Eine Neutralisierung der Verbandszugehörigkeit bzw. -funktion von Abgeordneten könnte durch eine Regelung versucht werden, wie sie für Mitglieder des Gemeinderates in Gemeindeordnungen vorgesehen ist26 1 . Dort ist ein Gemeinderatsmitglied von der Mitberatung und Beschlußfassung in solchen Angelegenheiten ausgeschlossen, an denen es ein eigenes Interesse hat262 . Durch diese Vorschriften der Gemeinde­ ordnung soll die Bürgerschaft darauf vertrauen können, daß die Ge­ meinderäte in der Sitzung nicht ihre privaten Interessen verfolgen263 . Ebenso könnte man an den Ausschluß eines Verbandsfunktionärs von der Beratung und Beschlußfassung im Bundestag in den Fällen denken, in denen die Interessen des Verbandes, bei dem er beschäftigt ist, be­ rührt werden. Dennoch kann die Situation beider Ebenen nicht ver­ glichen werden. Dies ist zunächst schon durch die unterschiedlichen Größenordnungen bedingt. Auf der gemeindlichen Ebene ist das per­ sönliche Interesse leicht erkennbar, wenn z. B. ein Bebauungsplan be­ schlossen werden soll, der Grundstücke eines Ratsmitgliedes miter­ faßt264 . Dagegen ist schon für die Gemeindeebene der Ausschluß eines Mitgliedes von der Beschlußfassung über die Höhe des Hebesatzes für die Gewerbesteuer abgelehnt worden, wenn er Prokurist eines Unter­ nehmens ist, dessen Gewerbesteueraufkommen den größten Teil des gemeindlichen Steueraufkommens ausmacht265 . Bei der Gesetzgebung sind kaum Fälle denkbar, die ein unmittel­ bares eigenes Interesse eines Abgeordneten betreffen. Aber selbst wenn dies einmal zutreffen sollte, handelt es sich doch immer um Regelungen, die allgemeinen Charakter haben. In irgendeiner Form kann nämlich j eder Abgeordnete an einer Gesetzgebung interessiert sein. Die Abgrenzung wird hier so fließend, daß von einer derartigen Regelung abgesehen werden sollte. An sie könnte nur gedacht werden, wenn es um Interessen eines Abgeordneten ginge, die ihn allein be­ treffen, wenn also eine „Lex X" zur Debatte stünde. Schon wenn außer ihm noch andere in derselben Lage unmittelbar von dem Gesetz be­ troffen werden, muß es dem Abgeordneten möglich sein, die Interessen dieser anderen mit in die Diskussion zu bringen, auch wenn er dadurch sein eigenes Interesse mitverfolgt266 .

261 Vgl. dazu auch Peter Krause (Fn. 257), S. 334. 262 Vgl. § 22 Gemeindeordnung für Rheinland-Pfalz vom 14. 12. 1973. 263 Vgl. VGH Baden-Württemberg, in : ESVGH 20, S. 240 ff., 241. 264 Vgl. VGH Baden-Württemberg, in : DVBl. 1965, S. 366 ff. 265 Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, in : OVGE 10, S. 200 ff. 266 Dies wäre z. B. der Fall, wenn ein Abgeordneter sich für die Verjäh­ rung von NS-Verbrechen einsetzt, da er selbst auch noch die Strafverfolgung zu fürchten hat.

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Eine andere Frage ist es, ob der Abgeordnete nicht von sich aus, wenn er eine Interessenkollision verspürt, auf sein Stimmrecht verzich­ ten sollte, wie es anglo-amerikanischem Parlamentsbrauch entspricht. Ein solches Verhalten sollte aber nicht durch Regelungen erzwungen werden, zumal die Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschriften zu schwierigen Problemen führen würde. c) Offenlegungsmöglichkeiten Es bleiben Offenlegungsmöglichkeiten zu prüfen. Eine Offenlegung wäre z. B. in der Weise zu erreichen, daß ein Abge­ ordneter, bevor er in der Beratung das Wort ergreift bzw. bevor er seine Stimme abgibt, erklärt, welche Interessen er an dem Gegenstand hat. Ein solcher Vorschlag, wie er in Anlehnung an anglo-amerikanische Regelungen287 auch für den Deutschen Bundestag erwogen werden könnte, kann nicht befürwortet werden. Wenn ein Abgeordneter im Plenum das Wort ergreift, wird von ihm erwartet, daß er seine Stel­ lungnahme so abfaßt, wie es die Verantwortung für das ganze politische Gemeinwesen gebietet. Eine Rede, die einseitig die Interessen eines bestimmten Verbandes darstellen würde, würde der Aufgabe des Abgeordneten nicht ent­ sprechen. Wenn aber der Abgeordnete gehalten ist, vor Beginn seiner Rede seine Interessenbeziehungen zu dem anstehenden Gegenstand zu offenbaren, kann er dies als Alibi dafür auffassen, daß er nunmehr berechtigt sei, eine einseitige Stellungnahme abzugeben. Im amerika­ nischen Parlamentarismus, der das bonum commune im wesentlichen als Resultante unterschiedlicher Interessen ansieht, mag dieser Effekt als normal vorausgesetzt sein. Nach unserem Verständnis wird davon ausgegangen, daß sich jeder Abgeordnete bereits um die Bewertung der unterschiedlichen Interessen und damit um einen Interessenaus­ gleich bemüht. Im übrigen wird im Deutschen Bundestag in der Praxis eine einsei­ tige Interessendarstellung auch durch die Fraktionsdisziplin weitge­ hend verhindert. Die Abgeordneten sprechen in vielen Fällen nicht nur für sich, sondern auch für die Fraktion. Das bedeutet aber, daß sie sich von der Fraktionslinie, sofern sich eine solche gebildet hat, nicht allzu weit entfernen können. Im übrigen sorgt auch der begrenzte Zeithaus­ halt, der für Plenumsdebatten zur Verfügung steht, und der nicht zu­ letzt verhindert, daß j eder zu Wort kommen kann, für eine Abstim­ mung zwischen Redner und Fraktion. 287 Vgl. die Darstellung, in : Der Abgeordnete im Interessenkonflikt, Das Parlament v. 27. 2. 1971.

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Ist damit eine Erklärung über die Interessenverbindung schon vor einer Rede nicht angebracht, sprechen ähnliche Argumente auch gegen ein ausdrückliches Bekenntnis vor der Abstimmung. Auch hier dürfte der Regelfall nicht darin bestehen, daß der Abgeordnete einseitig den Interessen seines Verbandes nach abstimmt; vielmehr wird er auch dann normalerweise der Empfehlung seiner Fraktion folgen, an deren Erarbeitung er ja mitwirken konnte. Die Pflicht zur ausdrücklichen Offenlegung vor der Abstimmung könnte sich als Bumerang erweisen, denn sie erweckt in dem Verband, dem der Abgeordnete angehört, die Erwartung, daß er im Sinne der Interessen des Verbandes abstimmen werde. Wird diese Erwartung dann enttäuscht, kann gerade die vorher erfolgte Offenlegung den Verband dazu veranlassen, den Abgeordneten an die vermeintlichen Pflichten ihm gegenüber zu erinnern und ihn unter Druck zu setzen. Die Offenlegung muß also in einer Weise erfolgen, die den Verbands­ einfluß nicht fördert oder behindert, sondern lediglich transparent macht. Diesen Weg versuchen die „Verhaltensregeln für Mitglieder des Deutschen Bundestages" zu gehen268 • Die Verhaltensregeln sehen die Veröffentlichung einer beruflichen Tätigkeit für Verbände im Amtlichen Handbuch des Deutschen Bun­ destages sowie die Publizierung entgeltlicher Tätigkeit für Verbände und Organisationen, die gegenüber dem Bundestag oder der Bundes­ regierung tätig sind, vor. Damit ist die Offenlegung von Verbandsbin­ dungen eines Abgeordneten, soweit sie auf einer entgeltlichen Tätig­ keit beruhen, zumindest für die Einflußnahme der Verbände auf die Gesetzgebung weitgehend erfaßt. Nicht erfaßt ist die entgeltliche Tätig­ keit für Verbände, die ihrerseits auf eine unmittelbare Aktivität gegen­ über Bundestag oder Bundesregierung verzichten, weil sie sich durch ,,ihren" Abgeordneten ausreichend vertreten wissen. Anzeigepflichtig sind jede vergütete Nebentätigkeit sowie der Erhalt von Spenden für die politische Tätigkeit des Abgeordneten, die im Einzelfall einen festgelegten Höchstbetrag überschreiten. Für andere Spenden zum selben Zweck besteht die Pflicht zur Rechnungsführung. Diese Anzeigepflicht zieht keine Veröffentlichung nach sich. Auch hier sollte aber eine Offenlegung erfolgen. Nicht einmal anzeigepflichtig sind die schlichte Verbandszugehörig­ keit und die unentgeltliche Ausübung einer Verbandsfunktion. Eine Einflußnahme von Verbänden kann aber nicht nur durch Geld bewirkt werden. Gerade ein schlichtes Verbandsmitglied oder ein ehrenamt­ licher Funktionär, der von seiner Sache überzeugt ist, kann Verbands­ interessen besonders wirksam verfolgen, weil dieser Personengruppe 288

s . o.

s. 124 ff.

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nicht das Odium anhaftet, Interessen des unmittelbaren materiellen Vorteils wegen zu vertreten. Deshalb müßte man auch hier eine Re­ gistrierung und Veröffentlichung vorsehen. Von diesen beiden Vorschlägen zur größeren Transparenz abgesehen, sollte man freilich die Verhaltensregeln zunächst in der vorliegenden Form ausprobieren und feststellen, ob sie wirklich zu einer größeren Transparenz führen269 . Die Verhaltensregeln in ihrer derzeitigen Form stellen eine Chance für die Abgeordneten dar, ihre Interessen freiwillig und ohne Zwang offenzulegen. Es wird von ihnen abhängen, ob die Öffentlichkeit den Eindruck haben kann, daß die Integrität der Volks­ vertreter gewährleistet ist. Regelungsvorschlag:

Zu Nr. 1 : Vor dem letzten Absatz wird ein weiterer Absatz eingefügt : Anzugeben sind auch Verbandszugehörigkeit sowie ehrenamtliche Funk­ tionen innerhalb von Verbänden. Zu Nr. 9 : Es wird ein zweiter Absatz angefügt : Die Anzeigen nach Nummern 2 bis 5 werden vom Präsidium in geeigneter Form veröffentlicht. d) Abgeordnetenb estechung?

In den vorangegangenen Ausführungen wurden Formen der Einfluß­ nahme der Verbände auf die Gesetzgebung durch Maßnahmen gegen­ über dem Bundestag untersucht, die sich grundsätzlich im Rahmen des Erlaubten bewegen. Es ist unstreitig, daß auch finanzielle Unterstüt­ zung von Parteien oder von Abgeordneten zur besseren Ausübung ihrer politischen Tätigkeit (Nr. 5 der Verhaltensregeln) rechtlich zulässig ist. Problematisch wird es aber, wenn mit der Geldzahlung an einen Abge­ ordneten ein bestimmtes Verhalten bewirkt, also ein bestimmtes Ver­ halten des Abgeordneten „gekauft" werden soll. Das geltende Recht kennt keinen Tatbestand der Abgeordnetenbe­ stechung270 seit 1953 der damalige § 109 StGB durch den jetzigen 108 b StGB ersetzt wurde, der lediglich die Wahlen zur Volksvertretung, aber nicht diejenigen im Parlament betrifft. Da die Abgeordneten keine Beamten im strafrechtlichen Sinne sind, § 359 StGB, scheidet eine An­ wendung der Vorschriften über die aktive bzw. passive Beamtenbeste­ chung aus. Es besteht kein Streit darüber, daß die Abgeordnetenbestechung eine rechtlich nicht zulässige Form der Beeinflussung des Verhaltens eines 289 Vgl. die positive erste Stellungnahme der Bundestagspräsidentin Ren­ ger, FAZ Nr. 135 v. 14. 6. 1975. 270 Zur Literatur betr. Abgeordnetenbestechung s. aus neuerer Zeit Jörg­ Detlef Kühne, Die Abgeordnetenbestechung, 1971 ; Burkhard Schulze, Zur Frage der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung, in : JR 1973, S. 485 ff.

16 Speyer 58

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Abgeordneten darstellt. Unterschiedlich beurteilt wird lediglich die Frage, ob es zweckmäßig ist, die Abgeordnetenbestechung als Straf­ tatbestand wieder einzuführen oder ob von einer solchen Strafvor­ schrift abgesehen werden sollte. Seit 1953 hat es nicht an Vorschlägen gefehlt, wie der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung aussehen könnte271 • Jüngstes Beispiel dafür ist ein Initiativgesetzentwurf von Abgeordneten der CDU/CSU vom 27. März 1974, der eine Änderung der §§ 108 b, 108 d StGB vorsieht, bisher aber noch nicht behandelt worden ist272 • Schwierigkeiten bereitet vor allem die Abgrenzung des Tatbestandes sowohl der aktiven wie der passiven Abgeordnetenbestechung. aa) Aktive Abgeordnetenbestechung Bei der aktiven Abgeordnetenbestechung drängt sich der Vergleich zur aktiven Beamtenbestechung auf. Nach § 333 StGB ist die aktive Beamtenbestechung nur strafbar, wenn durch sie ein pflichtwidriges Handeln des Beamten erreicht werden soll. Dabei ist die Tatsache, daß der Beamte überhaupt Geschenke annimmt, kein pflichtwidriges Han­ deln in diesem Sinne. Nun sind die Vorschriften über die Beamten­ bestechung nicht notwendigerweise Vorbild für die Regelung der Ab­ geordnetenbestechung, aber es ist fraglich, ob an die aktive Abgeord­ netenbestechung höhere Anforderungen gestellt werden können als an die aktive Beamtenbestechung273• Das bedeutet, daß auch die aktive Abgeordnetenbestechung nur strafbar sein dürfte, wenn sie sich auf eine pflichtwidrige Handlung des Abgeordneten beziehen würde. Damit stellt sich die Frage, wann ein Abgeordneter pflichtwidrig handelt. Diese Frage ist für Beamte und Richter wegen ihrer Bindung an Gesetz und Recht, Art. 20 Abs. 3 GG, leichter zu beurteilen als bei Abgeordneten, deren Tätigkeit bei der Gesetzgebung lediglich an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden ist, wodurch ein weiterer Spielraum eröffnet wird. Dazu kommt, daß Abgeordnete bei ihrer Entscheidung nur ihrem Gewissen unterworfen sind, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, so daß die Überprüfung einer Abge­ ordnetenentscheidung mit den Kategorien pflichtgemäß oder pflicht­ widrig immer auch auf die Überprüfung hinauslaufen kann, ob eine Gewissensentscheidung pflichtgemäß oder pflichtwidrig ist. Damit würde aber das Gewissen des Abgeordneten selbst beurteilt, was durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG ausgeschlossen werden sollte. Hier liegt 271

Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Burkhard Schulze (Fn. 270),

s. 486 f. 272

Vgl. ET-Drucks. 7/1883 vom 27. 3. 1974. Darauf weist zu Recht Helmut Immesberger, Zur Problematik der Un­ abhängigkeit der Abgeordneten im Deutschen Bundestag, 1962, S. 147, hin. 278

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

243

der Grund dafür, wenn in der Begründung des vorliegenden Initia­ tivgesetzentwurfes davon ausgegangen wird, daß „die Motive eines Abgeordneten, sich bei der Rechtsetzung für diese oder j ene Möglich­ keit zu entscheiden, . . . grundsätzlich nicht justiziabel (sind)" 2 74 . Eine Untersuchung im einzelnen müßte hier sehr differenziert vor­ gehen275 . Für uns genügt es aber festzuhalten, daß die Berufung auf Gewissensfreiheit des Abgeordneten keinesfalls dazu führen darf, die Bestechung für legal anzusehen, weil es pflichtwidrige Entscheidun­ gen überhaupt nicht geben könne. Vielmehr muß hier auf das Verfah­ ren der Entscheidungsbildung abgestellt werden, das durchaus pflicht­ widrig sein kann, auch wenn die Entscheidung nachher nicht so ge­ nannt werden darf. Der Abgeordnete handelt pflichtwidrig, wenn er seine Entscheidung von dem zu erlangenden Vorteil abhängig sein läßt. Dies ist nicht nur der Fall, wenn er seine bereits getroffene Entschei­ dung zur Erlangung des Vorteils ändert, sondern auch dann, wenn er sich noch nicht festgelegt hatte und seine Entscheidung ausschließlich oder maßgeblich durch die Erwartung des materiellen Vorteils be­ stimmt wird. Hier wird die Entscheidung des Abgeordneten auf pflicht­ widrige Weise getroffen. Anders ist es, wenn der Abgeordnete seine Entscheidung auch ohne die Vorteilsgewährung in derselben Weise getroffen hätte. Dann ist die Entscheidungsbildung pflichtgemäß er­ folgt und wird auch durch das Bestechungsangebot nicht pflichtwidrig, gleichgültig, ob der Bestechende davon wußte, wie der Abgeordnete entscheiden würde. Der objektive Tatbestand muß also zum Ausdruck bringen, daß die Entscheidung des Abgeordneten in pflichtwidriger Weise durch die Inaussichtstellung des Vorteils bestimmt werden soll. Ein Vorschlag dazu ist folgendermaßen formuliert276 : ,,Wer es unternimmt, einen Ab­ geordneten mittels eines Geschenks zu einem Stimmverhalten ohne oder gegen dessen demokratische Überzeugung zu bewegen, wird . . . " 2 77 . Der Ausdruck „demokratische Überzeugung" mag schwer definierbar sein. Gemeint ist, daß der Abgeordnete sich nicht um eine sachbezogene Willensbildung bemüht hat, wie sie allein dem Demokratieprinzip ent­ spräche, sondern daß er aus unsachlichen Erwägungen heraus seine Stimme abgegeben hat. Der Vorschlag macht deutlich, daß von einer aktiven Bestechung jedenfalls dann nicht gesprochen werden kann, wenn lediglich die schon vorhandene Bereitschaft, in einem bestimmten Sinne abzustim274 Vgl. BT-Drucks. 7/1883, S. 3. 275 Vgl. dazu die eingehende Untersuchung Jörg-Detlef Kühnes (Fn. 270), s. 32 ff. 276 So Jörg-Detlef Kühne, (Fn. 270), S. 129. 277 Mit den Worten „zu bewegen" ist auch der Versuch erfaßt.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

men, durch finanzielle Zuwendungen oder andere materielle Vorteile honoriert wird. Diese Zuwendungen unterscheiden sich nämlich nicht von Spenden, die ein Mitglied des Bundestages für seine politische Tätigkeit erhält und von deren Zulässigkeit Nr. 5 der Verhaltensregeln ausdrücklich ausgeht. Zuwendungen, die an Abgeordnete erfolgen, weil der Spender sich mit der politischen Linie des betreffenden Bun­ destagsmitgliedes identifiziert, sind mindestens in dem Sinne zulässig, als der Spender sich keiner Bestechung schuldig macht. Es gibt keine Norm, die Zuwendungen an Abgeordnete generell verbietet. Selbst wenn über die Regelung der passiven Abgeordnetenbestechung den Mitgliedern des Bundestages die Annahme jeglicher Geschenke unter­ sagt würde, würde dies nur für sie gelten, nicht aber das Angebot der Zuwendungen verbieten. Der vorliegende Initiativgesetzentwurf geht weiter; danach soll der­ jenige bestraft werden, der einem Abgeordneten dafür, daß er in der Volksvertretung nicht oder in einem bestimmten Sinne wähle oder abstimme, Geld oder andere Vermögenswerte anbietet. Nach dieser Formulierung kommt es nicht darauf an, ob die Vermögenszuwendung für das Verhalten des Abgeordneten motivierend gewirkt hat. Dies dürfte nach dem oben Ausgeführten zu weit gehen, zumal dies gegen­ über der aktiven Beamtenbestechung eine erhebliche Verschärfung darstellte. Die Regelung soll bei Wahlen und Abstimmungen in der Volksver­ tretung gelten. Damit soll nach der Begründung auch die Abstimmung in Organen der genannten Gremien, die aufgrund der Satzung errichtet worden sind, geschützt sein2 78 • Während dies für Bundestagsausschüsse unproblematisch ist, ist fraglich, ob hier auch Wahlen und Abstimmun­ gen in Fraktionen erfaßt sind. Es kommt hier nicht darauf an, ob man die Fraktionen auch als Organe des Bundestages ansehen kann279 , son­ dern ob sie unter dem Begriff „Volksvertretung" subsumiert werden können. Volksvertretung kann so verstanden werden, daß, wie in den Ausschüssen, mindestens Vertreter aller Fraktionen vertreten sein müssen, um von „Volks"-Vertretung sprechen zu können; damit wären die Fraktionen nicht erfaßt. Gerade die Tätigkeit eines Abgeordneten in den Fraktionen müßte aber mitbetroffen sein; denn gelingt es einem Abgeordneten, seine Fraktion auf seine Linie einzuschwören, braucht er im Plenum nicht mehr tätig zu werden280 • 21s Vgl. (Fn. 272), S. 4. 279 Dagegen Theodor Maunz, in : Maunz / Dürig / Herzog, Rdnr. 14 zu Art. 40. 280 Vgl. das Beispiel bei Theodor Hartmann, Zur Straflosigkeit der Abge­ ordnetenbestechung, in : DVBI. 1964, S, 615 ff., 617.

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Im übrigen ist fraglich, ob der Tatbestand auf Wahlen und Abstim­ mungen beschränkt werden kann. Man denke an die Möglichkeit, daß ein Abgeordneter eine Rede im Sinne seines Auftraggebers hält, durch die er andere Mitglieder des Hauses zu einer bestimmten Abstimmung überzeugt, sich selbst aber der Stimmabgabe enthält oder nach seiner ursprünglichen Meinung abstimmt. Einzubeziehen wären auch die Fälle, in denen ein Fraktionswechsel eines Abgeordneten „erkauft" werden soll (Fall Geldner). Insgesamt ist der Tatbestand der aktiven Abgeordnetenbestechung aber wohl abgrenzbar. bb) Passive Abgeordnetenbestechung Die passive Abgeordnetenbestechung ist tatbestandsmäßig nur er­ faßbar, wenn auch die Vermögenszuwendungen als Bestechung einbe­ zogen werden, die für die Entscheidung nicht motivierend waren; denn, wenn sich der Abgeordnete darauf berufen kann, er hätte auch ohne den Vermögensvorteil seine Stimme wie geschehen abgegeben, wird eine Abgeordnetenbestechung praktisch unbeweisbar bleiben. Die zen­ trale Frage ist also die, ob der Abgeordnete Zuwendungen annehmen kann für Entscheidungen, die er ohnehin nicht anders getroffen hätte. Der vorgelegte Gesetzentwurf nimmt unterschiedslos Bestechung an, weicht aber dem Problem dadurch aus, daß er darauf abstellt, daß der Abgeordnete den Vermögensvorteil „für sich" erhalten wollen müsse. Mit den Worten „für sich" sei zum Ausdruck gebracht worden, daß von dieser Bestimmung nur Zuwendungen, die einem Abgeordneten im Zusammenhang mit einem bestimmten Stimmverhalten für seine per­ sönlichen Zwecke gemacht werden, erfaßt werden sollen281 • Passive Bestechung liegt danach vor, wenn der Abgeordnete Geld für sich persönlich annimmt, nicht aber, wenn er es für seine Partei verlangt. Diese Unterscheidung ist nicht tragfähig. Zunächst ist die Formulie­ rung unklar: ,,für sich" schließt auch den Fall ein, daß der Abgeordnete das Geld für seine eigene politische Betätigung im Rahmen seiner Par­ tei verwendet. Dies ist aber ein Verhalten, das grundsätzlich nicht miß­ billigt wird, wie Nr. 5 der Verhaltensregeln beweist. Sieht man, wie die Autoren des Entwurfs, das geschützte Rechtsgut im Ansehen der de­ mokratischen Einrichtungen, macht es im übrigen keinen Unterschied, ob das Geld für den Abgeordneten selbst oder für die Partei gezahlt wird. Eine kleine Fraktion, die zur Aufbesserung ihrer Parteifinanzen wider bessere Überzeugung gegen Geld geschlossen in einer vereinbar­ ten Weise abstimmt282 , ist moralisch um keinen Deut besser als der AbVgl. (Fn. 272), S. 3. Das Beispiel stammt von Hans Welzel ; Jörg-Detlef Kühne (Fn. 270), S. 107, hält in diesem Fall die Spende an die Parteikasse für zulässig. 281

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geordnete, der es zum eigenen Nutzen macht, wobei dieser Nutzen ja durchaus die eigene politische Karriere sein kann. Besonders proble­ matisch wären die Fälle, in denen das Honorar teilweise für Partei­ zwecke, teilweise für persönliche Zwecke verwendet würde. Der vorgelegte Tatbestand bewirkt durch Einfügung der Worte „für sich", daß es nicht darauf ankommt, ob der Abgeordnete von der Zu­ wendung für sein Stimmverhalten motiviert worden ist. Auch wenn er gegen seine Überzeugung abstimmt, liegt keine Bestechung vor, wenn er das Geld seiner Partei zukommen läßt. Dadurch wird eine wesent­ liche Einschränkung der Bestechungsvorschrift bewirkt, womit dem Ansehen des Parlaments kaum gedient sein dürfte. Wenn man den Un­ rechtsgehalt darin sieht, daß Stimmen „verkauft" werden, die Stimm­ befugnis zur Ware degradiert wird283 , darf es keinen Unterschied ma­ chen, zu wessen Nutzen der „Verkauf" geschieht. Man könnte daran denken, daß der Zusatz „für sich" seine Berechti­ gung hätte in den Fällen, in denen die Zuwendung nicht für die Ab­ stimmung motivierend war. In diesen Fällen könnte man eigensüch­ tiges Handeln gegenüber fremdnützigem Handeln poenalisieren. Da aber die Vermögenszuwendung an Dritte in ähnlicher Form eigennützig sein kann, ist hier kein prinzipieller Unterschied zu machen. Die Einführung des Tatbestandsmerkmals „für sich" kann deshalb das Problem der passiven Abgeordnetenbestechung nicht lösen; sie stellt vielmehr nur ein Privileg für eine äußerst fragwürdige Form der Parteienfinanzierung dar284 • Wenn man die passive Abgeordneten­ bestechung überhaupt unter Strafe stellen will, müssen jedenfalls die Fälle tatbestandsmäßig erfaßt werden, bei denen der Abgeordnete wegen einer Vorteilsgewährung eine Entscheidung getroffen hat. Dar­ über dürfte kein Streit bestehen. Zweifelhaft ist aber die Strafwürdig­ keit, wenn der Abgeordnete seine Entscheidung auch ohne die Vor­ teilsgewährung im selben Sinne getroffen hätte und die Zuwendung auf seinen Entschluß ohne ausschlaggebenden Einfluß ist285 • Hier helfen eingehende Überlegungen zum geschützten Rechtsgut bei der Abgeordnetenbestechung. Dieses besteht nicht nur im Ansehen oder in der Ehre des Parlaments, sondern auch darin, daß verhindert wer­ den soll, die demokratischen Entscheidungen des Parlaments durch un­ demokratische Mittel zu beeinflussen. Es geht darum, ,,eine demokra283 So z. B. § 404 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) - E 1962 (BT-Drucks. IV/650). 28' s. dazu Rudolf Augstein (Fn. 249). 285 Jeglichen Einfluß kann man ihr nur in den Fällen absprechen, in denen die Entscheidung bereits vor dem Bestechungsangebot feststand. Aber selbst da stellt sie ein Moment dar, das den Abgeordneten mitbeeinflußt, seine Entscheidung nicht zu ändern.

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tisch gleiche Beeinflußbarkeit der Legislative zu erhalten" 286 • Dies bedeutet aber, daß Zuwendungen, die eine Entscheidung des Abgeord­ neten nur unterstützen, aber nicht erst hervorrufen, grundsätzlich nicht unter diesem Aspekt strafbar sind. Bildet sich die Meinung des Abge­ ordneten unabhängig oder ohne entscheidenden Einfluß der Zuwen­ liegt keine undemokratische Beeinflussung vor. Man muß sich darüber hinaus fragen, ob die Annahme in diesen Fällen dem Ansehen des Parlaments schadet, wenn nur gewährleistet ist, daß sie letztlich nicht mehr ist als Ausdruck der Übereinstimmung mit der Haltung des Abgeordneten. Dies ist auf Parteiebene ein wesent­ liches Motiv für die Parteienfinanzierung durch Spenden. Im übrigen wären solche Abstimmungshonorare nach Nr. 5 der Verhaltensregeln anzeigepflichtig und müßten nach unserem Vorschlag veröffentlicht werden. Insofern läge auch ein „Verkauf" der Stimme wenigstens subjektiv nicht vor. Die bisherigen Erwägungen gelten für die Fälle, in denen der Abge­ ordnete sich Zuwendungen versprechen läßt oder sie annimmt. Anders könnte es sein, wenn er sie fordert, da hier bei dem Partner des Ge­ schäfts der Eindruck entstehen muß, daß das Stimmverhalten von der Zuwendung abhängt. Aber auch dann ändert die Zuwendung nichts an der Entscheidungsbildung im Parlament. Der Unterschied zur einfachen passiven Beamtenbestechung liegt darin, daß bei Abgeordneten die Annahme geldlicher Zuwendungen im Zusammenhang mit ihrer Abgeordnetentätigkeit nicht schlechthin ver­ boten ist. Der Verbandsfunktionär, der in einem besoldeten Arbeits­ verhältnis zu seinem Verband steht, bekommt sein Gehalt zumindest auch mit der Erwartung, daß er die Verbandsinteressen bei Abstim­ mungen berücksichtige. Dennoch sollten nach der Begründung zu dem eingebrachten Gesetzentwurf287 echte Arbeitsverhältnisse nicht als Vermögenswert angesehen werden, da der Entlohnung die Arbeits­ leistung gegenübersteht; erfaßt würden dagegen Scheinarbeitsverhält­ nisse. Wenn man berücksichtigt, daß die Tätigkeit als Abgeordneter die volle Arbeitskraft verlangt, wird die Fragwürdigkeit dieser in der Begründung vorgenommenen Unterscheidung deutlich. Das gleiche müßte folgerichtig auch für Beraterverträge u. ä. gelten. Wenn man an der grundsätzlichen Zulässigkeit privater Zuwendungen der Abgeord­ neten festhält, ist eine einfache passive Abgeordnetenbestechung nicht für strafbar zu erklären. Das Grundgesetz würde nicht entgegenstehen, wenn den Abgeord­ neten die Annahme jeglicher privater Zuwendungen durch einfaches 288 287

So richtig Jörg-Detlef Kühne (Fn. 270), S. 100. Vgl. (Fn. 272), S. 4.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Gesetz untersagt würde288 • Wenn ein solches Verbot wirksam sein sollte, müßte es aber durch eine vollständige wirtschaftliche Inkompatibilität ergänzt werden um zu verhindern, daß es durch arbeitsvertragliche Vereinbarungen irgendwelcher Art unterlaufen werden könnte. Damit wäre, wie oben bereits angedeutet, der Schritt zum Abgeordneten als Beruf vollzogen, der unserem Parlamentsverständnis trotz der bevor­ stehenden Besteuerungspflicht für Diäten nicht entspricht. Da zudem die private Finanzierung der politischen Arbeit keineswegs als anstö­ ßig gilt, sollte die einfache passive Abgeordnetenbestechung nicht unter Strafe gestellt werden. Erfaßt man aber nur die Tatbestände, in denen es darum geht, daß der Abgeordnete wegen der Zuwendung ohne oder gegen seine Über­ zeugung gestimmt hat (schwere passive Abgeordnetenbestechung), er­ geben sich schwer überwindbare Beweisprobleme; denn dann muß man dem Abgeordneten nachweisen, daß er ohne oder gegen seine Über­ zeugung gestimmt habe, was im Einzelfall sehr schwierig sein dürfte. Ob man diese Schwierigkeit z. T. wenigstens dadurch beheben kann, daß man von einer bestimmten Höhe der Zuwendung an die Rechts­ folge automatisch eintreten läßt und in diesem Falle in Umkehrung der Beweislast von dem Abgeordneten den Nachweis verlangt, daß sein Abstimmungsverhalten nicht durch die Zuwendung bedingt war289 , ist sehr zweifelhaft. Abgesehen davon, daß die Zulässigkeit einer solchen Beweislastumkehr nach unserem Strafrecht sehr zweifelhaft wäre, würde sie die Beweisnot lediglich auf den Abgeordneten abwälzen. Ebenso wie es schwierig ist zu beweisen, wann der Abgeordnete aus bloßer Gewinnsucht290 gehandelt hat, ist es auch für den Abgeordneten nahezu unmöglich, den Gegenbeweis zu führen. Angesichts der großen Probleme, die mit der Fassung der Tatbe­ stände der aktiven und passiven Beamtenbestechung verbunden sind, muß man sich fragen, ob dahingehende Vorschriften in ihrer Anwen­ dung wenigstens dem vordergründigen Ziel dienen können, das Anse­ hen des Parlaments in der Öffentlichkeit zu stärken291 • Es läßt sich nämlich voraussehen, daß in vielen Fällen die Verfahren an Beweis­ schwierigkeiten scheitern werden und letztlich mit einem für alle Seiten unbefriedigenden Freispruch enden werden. Dieser Freispruch Vgl. Jörg-Detlef Kühne (Fn. 270), S. 52. s. Jörg-Detlef Kühne (Fn. 270), S. 112 ff. 190 Auf die gewinnsüchtige Absicht stellen die geltenden landesrechtlichen Tatbestände ab ; dazu Jörg-Detlef Kühne (Fn. 277), S. 66 ff., der beachtliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Tatbestände erhebt; vgl. auch Peter Krause (Fn. 257), S. 331 ff. 'zii Die Fanalwirkung von dahingehenden Vorschriften spielte bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission eine Rolle; dazu Burkhard Schulze (Fn. 270), S. 487. 188

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bringt einem redlichen Abgeordneten nichts, denn an ihm bleiben der Makel des Verfahrens und die aufgetretenen Beweisschwierigkeiten hängen292 • Ob durch solche unbefriedigenden Verfahren das Ansehen des Parlaments in der Öffentlichkeit gestärkt werden könnte, erscheint sehr fraglich. Eher dürfte der Eindruck entstehen, daß der Korruption von Abgeordneten eben doch nicht wirksam begegnet werden kann. Dieser Gesichtspunkt spricht übrigens dafür, die passive Abgeordne­ tenbestechung in jedem Fall durch unabhängige Gerichte und nicht durch den Bundestag selbst293 untersuchen und ggf. ahnden zu lassen; ansonsten wäre, wie bei Untersuchungsausschüssen, der Vorwurf un­ ausweichlich, daß im Grunde keine Seite an der Aufklärung wirklich interessiert sei. Die Zweifel am Erfolg der Bestechungsverfahren lassen die Frage auftauchen, ob überhaupt eine solche Regelung vorgesehen werden sollte, oder ob nicht der bisherige Zustand - Nichtregelung - vorzu­ ziehen ist. In grundsätzlicher Hinsicht geht es darum, ob nicht eine politische Lösung des Problems der gesetzgeberischen überlegen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß eine politische Lösung nicht an starre Verfahrensformen gebunden ist und deshalb flexibles Vorgehen er­ möglicht. Eine politische Lösung würde die Abgeordnetenbestechung als Auf­ gabe der Selbstreinigung der Fraktionen bzw. Parteien ansehen294 , wo­ bei der Öffentlichkeit und der Öffentlichen Meinung erhebliches Gewicht beizumessen wäre. Wenn der Verdacht eines bezahlten Stimmverhal­ tens eines Abgeordneten ruchbar würde, wäre von ihm zu erwarten, daß er an seiner Rechtfertigung mitwirkt. Anders als im Strafverfah­ ren könnte er sich nicht darauf zurückziehen, daß ihm die Bestechung nachgewiesen werden müsse. Er müßte vielmehr die Vorwürfe ent­ kräften, wobei er ggf. das Strafrecht selbst zur Hilfe nehmen kann, indem er sich mit Verleumdungsanzeigen zur Wehr setzt. Bleibt in der Öffentlichkeit der Eindruck eines unredlichen Verhaltens des Abgeord­ neten haften, in der Weise, daß der Abgeordnete für nicht mehr poli­ tisch tragbar angesehen wird, sind die Parteien am Zug. Sie müssen dann entweder ihrem Abgeordneten nahelegen, von sich aus zurück­ zutreten, indem sie ihm deutlich machen, daß er für sie eine politische Belastung darstellt, oder sie müssen sich von ihm trennen, indem sie ihn aus Fraktion und Partei ausschließen. Eine Wiederaufstellung als Kandidat der nächsten Bundestagswahl sollte in jedem Fall ausge202 Zu Recht haben aus diesem Grund die Autoren des Gesetzentwurfs immaterielle Vorteile aus dem Tatbestand ausgeklammert, vgl. S. 3/4. 298 So aber Jörg-Detlef Kühne (Fn. 270), S. 126 f. 2 94 So schon Max Hachenburg, Juristische Rundschau, in : DJZ 1925, Sp. 411 ff., 412.

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schlossen sein. Die Reaktion der Partei wird hervorgerufen und unter­ stützt durch die Öffentliche Meinung und deren Vorstellung von der Integrität eines Abgeordneten. Bei einer solchen politischen Lösung besteht durchaus die Gefahr, daß auch ein „unschuldiger" Abgeord­ neter einmal abtreten muß, weil Verdachtsmomente gegen ihn beste­ hen, die nicht ausgeräumt werden können. Es ist aber nicht zu befürch­ ten, daß es zu einer Hexenjagd kommt; denn, wie die Erfahrung zeigt, sind es nur die spektakulären Fälle (Geldner, Steiner / Wienand etc.), denen von den Massenmedien soviel Aufmerksamkeit gewidmet wird, daß ein politischer Druck von Seiten der Öffentlichkeit auf die Par­ teien bzw. Fraktionen entsteht, der diese zur Reaktion zwingt. Insge­ samt dürfte durch einen solchen Selbstreinigungsprozeß das Vertrauen der Bevölkerung in die Intaktheit der demokratischen Organe besser gestärkt werden als durch gesetzgeberische Maßnahmen, deren Erfolg zweifelhaft ist. Eine gesetzliche Regelung der Abgeordnetenbestechung kann daher nicht vorgeschlagen werden. 4. Verbandliche Einwirkungen auf die Fraktionen

Die Einflußnahme der Verbände auf die Fraktionen und ihre Unter­ organe vollzieht sich auf zwei Wegen: über die verbandsangehörigen Abgeordneten und über Kontakte von außen zwischen Verbänden und Verbandsvertretern und der Fraktion bzw. ihren Unterorganen. Dabei ist die Situation durch zwei Merkmale besonders gekennzeichnet. Zum einen ist die Arbeit in den Fraktionen und ihren Unterorganen ent­ scheidend für die Haltung der Abgeordneten im Plenum und in den Ausschüssen, da der Fraktionsdisziplin große Bedeutung zukommt; zum anderen vollzieht sich gerade diese entscheidende Willensbildung in den Fraktionen und ihren Unterorganen weitgehend unter Aus­ schluß der Öffentlichkeit. Fraktionssitzungen sind ebenso wie Sitzungen der Arbeitskreise und Arbeitsgruppen nichtöffentlich. Die Einflußnahme der Verbände auf die Fraktion und ihre Unter­ gliederungen, deren Bedeutung für das Gesetzgebungsverfahren oben bereits beschrieben worden ist, wird nur in den Formen sichtbar, die den einzelnen Abgeordneten die Offenlegung von Verbandskontakten vorschreiben. Im übrigen gibt es keinerlei Regelung für die Organisa­ tion und Arbeitsweise der Fraktionen. Im Grundgesetz sind die Frak­ tionen nicht eigens erwähnt; ihr Vorhandensein wird lediglich voraus­ gesetzt, vgl. Art. 53 a GG. Die Geschäftsordnung des Bundestages ent­ hält zwar Vorschriften über die Bildung der Fraktionen, vgl. § 10 ff. GeschOBT; ihre innere Ordnung bleibt ihrer eigenen Regelung vorbe­ halten.

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Auch ein von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachter Gesetzentwurf befaßte sich nur mit der Rechtsstellung der Fraktionen, ohne auf die hier interessierenden Probleme einzugehen295 • Die in allen Fraktionen eixtierenden Fraktionsgeschäftsordnungen behandeln gleichfalls nicht die Beziehung zu Verbänden. Das Problem liegt vor allem in der Nichtöffentlichkeit der Sitzungen der Fraktionen und ihrer Untergliederungen. Diese Nichtöffentlichkeit läßt sich aber deshalb leicht begründen, weil die dort gefaßten Be­ schlüsse in den öffentlichen Sitzungen des Bundestages vertreten wer­ den, so daß die Öffentlichkeit der Ergebnisse gewährleistet ist. Aller­ dings kann sich der Einfluß der Verbände gerade in den internen Bera­ tungen vollziehen. Hier muß in erster Linie auf die Wirkungsweise von Veto-Gruppen innerhalb der Fraktion hingewiesen werden. Außerdem besteht ein Gegengewicht gegen zu starke Interessenvertretungen in den Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen innerhalb der Fraktion darin, daß die Fraktionsspitze ein Interesse daran haben muß, Beschlüsse zu fassen, die von der gesamten Fraktion getragen und von der Öffentlich­ keit akzeptiert werden können. Im übrigen sind die Massenmedien zu besonderer Aufmerksamkeit aufgerufen. Ihnen obliegt es, die Bildung und Zusammensetzung von Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen sowie ihre Tätigkeit besonders aufmerksam zu beobachten. Diese Arbeit würde erleichtert, wenn es regelmäßige Berichte über die Tätigkeit der Arbeitskreise und Ar­ beitsgruppen gäbe. Nicht befürwortet werden könnte eine dem französischen Geschäfts­ ordnungsrecht nachgebildete Regelung296 , mit der Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die das gleiche Interesse verfolgen, im Bereich des Parlamentsgebäudes untersagt würden. Dies würde die interessenbe­ dingten Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Fraktionen sowie ent­ sprechende interfraktionelle Gruppierungen von Abgeordneten be­ treffen. Abgesehen davon, daß ein solches Verbot den Status des ein­ zelnen Abgeordneten berühren und deshalb eine Verankerung in der Verfassung erfordern würde, ist es auch sachlich nicht begründet. Hier­ bei ist die unterschiedliche Struktur des Parlaments in Deutschland und Frankreich zu beachten. In Frankreich ist wegen des dort bestehenden Wahlsystems die Parteibindung der Abgeordneten geringer als in Deutschland. Die Fraktionen müssen deshalb nicht unbedingt Parteien entsprechen, wenn dies auch die Regel darstellt. Die Möglichkeit von Fraktionsbildungen nach gemeinsamen Interessen oder von Vereini­ gungen, die weitgehend unabhängig von bestehenden Fraktionen Ab295 Vgl. BT-Drucks. VI/3690. 296 Vgl. Art. 23 der Geschäftsordnung der französischen Nationalversamm­ lung vom März 1970, abgedruckt in : RDP 1970, S. 687 ff., 695.

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geordnete mit gleichen Interessen zusammenführen, ist denkbar. In Deutschland bilden sich die Fraktionen nach der Parteizugehörigkeit, § 10 GeschOBT; andere Zusammenschlüsse zu Fraktionen bedürfen der Zustimmung des Bundestages. Arbeitsgemeinschaften o. ä. bestehen aus Fraktionsmitgliedern, nehmen an der Willensbildung innerhalb einer Fraktion teil und müssen, wenn sie einen Interessenstandpunkt vertreten, diesen der Fraktion gegenüber verteidigen. Im übrigen ist ein offener Zusammenschluß in jedem Fall hinsichtlich der Offenle­ gung und Kontrolle der Verbandseinflüsse günstiger, als wenn die Ab­ geordneten in Hinterzimmer verbannt würden. Es ist festzuhalten, daß die Kontrolle des Verbandseinflusses auf die Fraktionen und ihre Untergliederungen durch gesetzgeberische oder ähnliche Maßnahmen kaum erreicht werden kann. Zwar wären Rege­ lungen denkbar, die gesetzlich abgesichert werden könnten, aber der Wunsch nach Transparenz hinsichtlich der Verbandseinflüsse kollidiert mit dem berechtigten Bestreben der Fraktionen nach einer möglichst ungestörten Willensbildung. Wenngleich in den Fraktionen wesent­ liche Vorentscheidungen für die Plenardebatte fallen, muß doch die Re­ gelung der Verbandsbeziehungen zu den Fraktionen den einzelnen Fraktionen selbst überlassen bleiben. 5. Mehr Transparenz durch einen konsultativen Wirtschaftsrat?

Zu einer wesentlichen Transparenz der in einem Gesetzentwurf be­ rücksichtigten Interessen könnte eine Instanz führen, wie sie oben als konsultativer Wirtschaftsrat o. ä. beschrieben worden ist297 • Gleichzeitig würde dadurch für die Öffentlichkeit eine Beurteilung der Beratungen im Plenum und der dort vertretenen Interessen leichter. Um bereits bei der Vorbereitung der ersten Beratung eines Gesetz­ entwurfs durch die Fraktionen ein möglichst klares Bild der in einem Entwurf berücksichtigten und nicht berücksichtigten Interessen zu haben, müßte diese Instanz schon mit der Einbringung im Bundestag angerufen werden können. Ein früherer Zeitraum empfiehlt sich nicht, weil auf diese Weise auch eine etwaige Stellungnahme des Bundes­ rates bereits berücksichtigt werden könnte. Es wäre unrealistisch, wenn man die Einschaltung dieser Stelle für jeden Gesetzentwurf obligatorisch vorsehen würde. Dies würde zu einem riesigen Personalapparat und langen Bearbeitungsfristen füh­ ren. Vielmehr kann nur eine fakultative Einschaltung erwogen werden, wobei die Initiative vom Bundestag ausgehen müßte. Allerdings sollte die Einschaltungsmöglichkeit als Minderheitenrecht ausgestattet wer1117

s. o. s. 181 ff.

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den, um zu verhindern, daß die Mehrheit des Bundestages die Auf­ deckung von Interessenzusammenhängen unmöglich macht; deshalb ist eine Einschaltung dann vorzusehen, wenn sie von ebensoviel Abgeord­ neten verlangt wird, wie der Fraktionsstärke entspricht. Daneben könnte die Möglichkeit vorgesehen werden, daß diese Stelle von sich aus Analysen vornimmt, freilich ohne den Ablauf des Gesetzgebungs­ verfahrens dadurch zu verzögern. Für die Arbeit dieser Stelle muß grundsätzlich eine Frist gesetzt werden, um das Gesetzgebungsverfahren nicht über Gebühr zu ver­ zögern. Hier könnte in Anlehnung an die für die Stellungnahme des Bundesrates gesetzte Zeitspanne an eine Frist von sechs Wochen ge­ dacht werden. In begründeten Einzelfällen müßte eine Verlängerung dieser Frist möglich sein. Die Analysen dieser Stelle müßten als Druck­ sache gedruckt und allen Abgeordneten zugänglich gemacht werden. Man kann sich fragen, ob eine solche Instanz die Erwartungen erfül­ len kann, die hier in sie gesetzt werden, denn sie soll in kurzer Zeit zu Analysen von Gesetzentwürfen kommen, die nicht nur die darin berücksichtigten, sondern auch die nicht berücksichtigten Interessen aufzeigen sollen. Die Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes zeigt aber, daß auch in begrenzter Zeit Positives geleistet werden kann. Es käme deshalb auf einen Versuch an. Da mehrere Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar wären, die eine solche Stelle haben könnte, wie oben bereits aufgezeigt wurde, wird von einem konkreten Vorschlag abgesehen. Es sei lediglich darauf hin­ gewiesen, daß die Stelle beim Bundestag anzusiedeln wäre. Ihre Mit­ glieder wären vom Bundestag zu bestellen. Die Einsetzung könnte in der Geschäftsordnung geregelt werden, da es sich um eine Einrichtung handelt, die dem Verfahren im Bundestag dient. 6. Die Verbandsbeteiligung bei Initiativen des Bundestages

Für die Beteiligung an Initiativanträgen ist zu unterscheiden, ob sie sich auf die Mitwirkung an der Vorbereitung oder auf Stellungnahmen nach Einbringung in den Bundestag beziehen soll. a) Beteiligung an der Vorbereitung Gesetzesinitiativen aus der Mitte des Bundestages unterscheiden sich hinsichtlich der Verbandsbeteiligung wesentlich von den Gesetzent­ würfen der Bundesregierung und des Bundesrates. Der Unterschied liegt vor allem darin, daß es bei der Vorbereitung der Initiativanträge keine Möglichkeit zur institutionalisierten Verbandsbeteiligung gibt. Eine Form der Beteiligung von Verbänden an Initiativgesetzentwür-

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

fen kann auch in Fällen, in denen die Verbände einen gesetzlichen An­ spruch auf Beteiligung haben, nicht vorgeschrieben werden298 • Darüber hinaus kann sie auch nicht empfohlen werden, wenn die Verbände kei­ nen Anspruch haben. Die notwendige Organisation, die für eine institu­ tionalisierte Mitwirkung notwendig wäre, würde, selbst wenn sie tech­ nisch zu ermöglichen wäre, doch das Initiativrecht der Abgeordneten beeinträchtigen, weil bereits das bloße Vorhandensein eines formali­ sierten Verfahrens eine tatsächliche Übung begründen würde, die spon­ tane Gesetzentwürfe ausschließen würde. Das heißt nicht, daß Gesetzesinitiativen von Abgeordneten von jedem Verbandseinfluß frei wären. Dabei muß man differenzieren zwischen Initiativen einer Fraktion oder mehrerer Fraktionen und Initiativen von Abgeordneten. Bei Entwürfen von Abgeordneten aus der Mitte des Bundestages, die von mindestens soviel Mitgliedern des Bundestages unterschrieben sein müssen, wie einer Fraktionsstärke entspricht, § 97 Abs. 1 Gesch­ OBT, kann der Einfluß der Verbände besonders sichtbar werden. Hier können Abgeordnete gleicher Interessenrichtung eine Gesetzesvorlage einbringen, die den Vorstellungen eines Verbandes entspricht. Es ist auch möglich, daß die Abgeordneten mit einzelnen Verbandsvertretern Kontakte aufnehmen, bevor sie die Initiative formulieren. Bei Frak­ tionsentwürfen kann man in der Regel davon ausgehen, daß eine gewisse Abstimmung des Entwurfsinhaltes mit den beteiligten Verbän­ den stattgefunden hat. Diese ergibt sich daraus, daß die Vorbereitung meist in den Arbeitskreisen erfolgt, in denen verbandsangehörige Ab­ geordnete tätig sind, die ihrerseits über Kontakte zu außenstehenden Verbandsvertretern verfügen. Auch ohne institutionalisiertes Verfah­ ren erfolgt damit mindestens bei Fraktionsentwürfen eine Verbands­ beteiligung. b) B eteiligung nach Einbringung

Da eine institutionalisierte Verbandsmitwirkung im Vorbereitungs­ stadium der Initiativen aus der Mitte des Bundestages nicht möglich ist, ist an Möglichkeiten der Beteiligung nach der Einbringung zu denken. Für Fälle eines gesetzlichen Anspruchs der Verbände auf Beteiligung ist der Vorschlag gemacht worden, dem Parlament nach der Einbrin­ gung von Initiativgesetzentwürfen die Möglichkeit zu geben, die Regie­ rung zu ersuchen, die Anhörung durchzuführen und ihm das Ergebnis mitzuteilen, wobei wesentliche Abweichungen zwischen dem Entwurf 298

s. o.

s. 63.

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

255

und der Stellungnahme der Anhörungsberechtigten sichtbar zu machen seien299• Dieser Vorschlag wirft zwei Probleme auf. Zum einen ist es fraglich, ob das Parlament mit einem solchen Ersuchen an die Regierung heran­ treten kann; zum anderen ist es zweifelhaft, ob ein solches Vorgehen politisch wünschenswert wäre; denn auf diese Weise würde die Regie­ rung in den Ablauf eines Gesetzesvorhabens hineingezogen, mit dem sie eigentlich nichts zu tun hat. Dem ist entgegenzuhalten, daß es hier nicht um die Vorbereitung eines Entwurfes geht, sondern lediglich darum, zu einem bereits eingebrachten Antrag die Verbandsstellungnahmen zu sammeln und zusammenzustellen. Hierbei wird lediglich der organi­ satorische Apparat der Regierung in Anspruch genommen, der über die notwendige Routine zur Durchführung solcher Anhörungen verfügt. Da der Vorschlag nur für die Anhörung von Verbänden gelten soll, die einen gesetzlichen Beteiligungsanspruch haben, würde für die Regie­ rung auch keine Auswahlbefugnis entstehen, über die sie das Ergebnis der Anhörung beeinflussen könnte. Die Entscheidung darüber, was ggf. in den Entwurf zu übernehmen ist, obliegt nicht der Regierung, son­ dern dem Parlament. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß die Mitglieder der Bundesregierung ein grundgesetzlich abgesichertes Recht haben, im Bundestag anwesend zu sein und jederzeit gehört zu werden, Art. 43 Abs. 2 GG. Die Bundesregierung kann daher ihre Stellungnahme zu Initiativgesetzentwürfen im Bundestag selbst und seinen Ausschüssen abgeben; sie ist auf diese Weise ohnehin schon mit solchen Gesetzgebungsverfahren befaßt. Die Übertragung der Anhö­ rung auf die Bundesregierung hat daher keine politisch unerwünschten Folgen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob die Bundesregierung einem Ersuchen des Bundestages nachkommen muß. Dies hängt mit der rechtlichen Ausgestaltung dieses Ersuchens zusammen. Es würde sich anbieten, eine solche Regelung in die Geschäftsordnung des Bun­ destages aufzunehmen. Damit könnte aber die Bundesregierung nicht verpflichtet werden, da die Geschäftsordnung des Bundestages gegen­ über der Bundesregierung keine Bindungswirkung erzeugt. Bedenken bestehen auch gegenüber einer Regelung durch Gesetz, da damit in die Autonomie der Bundesregierung eingegriffen würde, die nicht zu Hilfsdiensten dem Bundestag gegenüber verpflichtet ist. Letztlich bliebe dann nur der Weg, die Regierung über eine Verfassungsände­ rung zum Ausführen eines Ersuchens des Parlaments zu verpflichten. Eine Verfassungsänderung dürfte in ihrem Gewicht aber dem Anlaß nicht entsprechen. 299 Vgl. Nr. I, 4 der Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz (Fn. 148) ; ähnlich Hans- Werner Laubinger (Fn. 172), S. 506.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Es gibt Beispiele dafür, daß die Bundesregierung einem Ersuchen des Bundestages nachgekommen ist, ohne daß die Zulässigkeit solcher Ersuchen und die Konsequenzen einer Weigerung im einzelnen abge­ klärt worden wären300 • Es kann davon ausgegangen werden, daß auch im vorliegenden Fall die Bundesregierung sich nicht weigern würde, einer Bitte des Parlaments auf Durchführung eines Anhörungsverfah­ rens zu einem Initiativgesetzentwurf zu entsprechen. Dies würde es erlauben, eine entsprechende Regelung doch in der Geschäftsordnung vorzunehmen. Eine Form der institutionalisierten Mitwirkung der Verbände an Initiativgesetzentwürfen könnte also in dem Ersuchen an die Regierung bestehen, ein Anhörungsverfahren durchzuführen. Daneben wäre es dem Parlament unbenommen, die Mitwirkung der betreffenden Ver­ bände auf andere Weise zu bewerkstelligen, z. B. durch Anhörung in einem Ausschuß. Es genügt daher die fakultative Möglichkeit eines Ersuchens an die Regierung. Das erlaubt es, die Mitwirkungsmöglich­ keit auch für die Fälle vorzusehen, in denen kein gesetzlicher Anspruch auf Beteiligung besteht. Die Regelung könnte in der Geschäftsordnung bei den Vorschriften über die Beratungen von Gesetzentwürfen aufge­ nommen werden. Denkbar wäre folgende Regelung : Nach § 77 GeschOBT wird folgender § 77 a GeschOBT eingefügt : § 77 a Beteiligung der Verbände an Initiativgesetzentwürfen Bei Initiativgesetzentwürfen (§ 97 Abs. 1) kann nach der Einbringung unbeschadet der eigenen Anhörmöglichkeit - der Bundestag die Bundes­ regierung ersuchen, die Anhörung von Verbänden durchzuführen und ihm das Ergebnis mitzuteilen, wobei wesentliche Abweichungen zwischen dem Entwurf und der Stellungnahme der Anhörungsberechtigten sichtbar zu machen sind301 • In dem Ersuchen ist die Zeit für die Anhörung zu befristen. Zweckmäßiger wäre allerdings ein Verfahren, durch das die Beteili­ gung der Verbände vom Parlament selbst vorgenommen würde. Wenn auch die mündliche Anhörung der Verbände vor dem Plenum des Bundestages nicht zur Diskussion stehen kann302 , wäre doch eine schriftliche Anhörung durchaus realisierbar. Dabei ist zu beachten, daß selbst ein Anspruch auf Beteiligung kein Recht auf mündliche Anhörung gibt und daß auch die Anhörungsverfahren, welche die Ministerien durchführen, in der Regel schriftlich ablaufen. Aus dem 3 0 0 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 294 ; Martin G. AmmermüUer, Verbände im Rechtset­ zungsverfahren, 1971, S. 84. 301 Die Formulierung entspricht dem Vorschlag der Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz (Fn. 148). 3 02 Vgl. o. S. 223 f. ; ebenso lehnen die Empfehlungen der Landtagspräsiden­ tenkonferenz (Fn. 148) die Begründung eines Anspruchs auf mündliche Anhörung ab, vgl. I 6.

I. Die Verbandsbeteiligung im Bundestagsplenum

257

Wort „Anhörung" kann man deshalb nicht auf mündliche Anhörung schließen. Eine schriftliche Anhörung kann aber auch vom Bundestag selbst organisiert werden; die Übertragung dieser Aufgabe an die Regierung wurde nur in Erwägung gezogen, weil dann auf ein eingespieltes Ver­ fahren zurückgegriffen werden kann und deshalb arbeitsökonomische Gründe für die Übernahme durch die Regierung sprechen. Es ist aller­ dings fraglich, ob der arbeitsmäßige Aufwand wirklich so groß ist, daß nicht auch der Bundestag selbst die Anhörung übernehmen könnte. Die Durchführung der Anhörung könnte dem Präsidenten übertragen werden; denn es ist keinesfalls notwendig, daß der Bundestag als gan­ zer tätig wird, wie auch bei den Anhörungen zur Vorbereitung von Regierungsentwürfen nicht die Regierung als ganze, sondern lediglich ein Ministerium tätig wird. Die Aufgabe fällt dem Präsidenten zu, da er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 GeschOBT die Arbeiten des Bundestages zu fördern hat. Die Anhörung könnte auf dieselbe Weise durchgeführt werden wie von den Ministerien. Im übrigen wäre es durchaus denkbar, daß auch eine konferenzielle (mündliche) Anhörung neben oder anstelle der schriftlichen durchgeführt werden könnte. Das ist kein Widerspruch zu der Auffassung, daß eine mündliche Anhörung durch das Parlament nicht infrage komme. Hier handelt es sich nicht um die Gelegenheit zur mündlichen Stellungnahme vor dem Plenum des Bundestages, sondern darum, daß die vom Bundestag mit der Durchführung der Anhörung beauftragte Stelle den Verbänden die mündliche Darlegung ihrer Argu­ mente gestattet. Auch dies entspricht durchaus der Praxis des ministe­ riellen Beteiligungsverfahrens, wo eine mündliche Anhörung auch nicht durch die Regierung selbst, sondern durch das befaßte Ministerium bzw. den zuständigen Referenten erfolgt. Der Präsident könnte dem Bundestag die Anhörungsergebnisse mit­ teilen und dabei auf wesentliche Abweichungen zwischen dem Entwurf und den eingegangenen Stellungnahmen aufmerksam machen. Dieser Vorschlag einer vom Bundestag selbst organisierten Anhörung bei Initiativgesetzentwürfen dürfte dem oben diskutierten Modell der Einschaltung der Regierung vorzuziehen sein. Er vermeidet die recht­ lichen Schwierigkeiten, die im Konfliktfall zwischen Bundestag und Regierung entstehen können und läßt nicht den Eindruck aufkommen, als sei der Bundestag nicht selbst in der Lage, ein Gesetzgebungsver­ fahren durchzuführen. Andererseits erfordert er einen erhöhten Perso­ nalbedarf. Dennoch sollte die Stärkung der Unabhängigkeit des Parla­ ments den Ausschlag geben. Auch hier würde die Regelung in der Ein­ fügung eines § 77 a GeschOBT liegen. 17 S peyer 68

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Regelungsvorschlag:

§ 77 a Beteiligung der Verbände an Initiativgesetzentwürfen Bei Initiativgesetzentwürfen kann nach der Einbringung der Bundestag seinen Präsidenten ersuchen, die Anhörung von Verbänden durchzuführen und ihm das Ergebnis mitzuteilen, wobei wesentliche Abweichungen zwi­ schen dem Entwurf und den Stellungnahmen der Verbände sichtbar zu ma­ chen sind. Die Anhörung ist im Falle eines gesetzlichen Beteiligungsan­ spruchs obligatorisch. In dem Ersuchen ist die Zeit für die Anhörung zu be­ fristen. Einzelheiten könnten noch gesondert geregelt werden. So wäre z. B. daran zu denken, die Antragsbefugnis für die Durchführung eines Anhörungsverfahrens, das nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, als Min­ derheitenrecht auszugestalten. Im übrigen müßten auch Initiativgesetzentwürfe der Stelle zugeleitet werden, die vom Bundestag eingerichtet werden sollte, um Interessen aufzudecken und aufzuspüren. II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen Mit der Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen wird vor allem die Möglichkeit öffentlicher Informationssitzungen verbunden, durch die Interessenvertretern Gelegenheit gegeben werden kann, zu bestimmten Fragen im Zusammenhang mit einem Gesetzgebungsvorha­ ben Stellung zu nehmen. Daneben ist aber der Verbandseinfluß beson­ ders spürbar in der Zusammensetzung des Ausschusses selbst. Da von der Zusammensetzung des Ausschusses Auswirkungen darauf ausgehen können, ob und wie öffentliche Anhörungen abgehalten werden, sind die damit verbundenen Fragen zunächst zu behandeln. 1. Die Zusammensetzung der Ausschüsse

Die These, wonach in den Ausschüssen Vertreter bestimmter Inter­ essenrichtungen zusammenfinden, so daß sie gar als „Verbandsinseln" bezeichnet werden, ist empirisch bereits oft belegt worden303 • Bei dem großen Einfluß, den die Ausschußergebnisse für die abschließenden Beratungen im Plenum haben, ist die Frage zu untersuchen, wie ver­ hindert oder wenigstens kontrolliert werden kann, daß über die Aus­ schußbesetzung einseitige Verbandsinteressen durchgesetzt werden. Dabei ist davon auszugehen, daß die Parteiunterschiede allein keines­ wegs dazu ausreichen, um eine differenzierte Betrachtungsweise zu gewährleisten. Vielmehr ergibt sich vor allem bei längerer Zusammen3 63

Vgl. z. B. Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 112 ff.

II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen

259

arbeit im Ausschuß aus der gemeinsamen Interessenlage heraus ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das über die Parteigrenzen hinweg ver­ bindet. Der „esprit de corps" in Ausschüssen ist eine häufig beobachtete Erscheinung. Man könnte daran denken, die Massierung bestimmter Interessen­ vertreter dadurch zu verhindern, daß man die Ausschüsse spiegelbild­ lich zum Plenum besetzt. Dies hätte zur Folge, daß z.B. im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht wie bisher 2/s aller Ausschußmitglieder beruflich der Landwirtschaft verbunden wären, sondern allenfalls 1 /io, während die übrigen den anderen im Bundestag vertretenen Bereichen entnommen würden. Auf diese Weise könnte es nicht zu einer „Grünen Front" im Ausschuß kommen. In ähnlicher Weise könnte dann auch bei den anderen Ausschüssen vorgegangen werden. Ein solcher Vorschlag ist aber aus zwei Gründen abzulehnen: zum einen ist die einseitig scheinende Zusammensetzung von Ausschüssen in der Regel nicht das Werk einer im Verborgenen kämpfenden Ver­ bandsmafia, sondern beruht darauf, daß die Fraktionen bestrebt sind, die Ausschüsse möglichst mit Fachleuten zu besetzen. Dies führt aber fast zwangsläufig dazu, daß sich in den Ausschüssen Angehörige der durch sie besonders berührten Interessengruppen zusammenfinden. Zum anderen spricht gegen den Vorschlag auch ein prinzipieller Ein­ wand : wenn man die Ausschüsse spiegelbildlich zum Plenum besetzen würde, würde damit eine funktionale Aufgliederung vorgenommen, die bei einem auf dem gleichen Wahlrecht fußenden Parlament gerade keine Rolle spielen sollte. Das Parlament ist aufgrund des gleichen Wahlrechts keine funktionale Vertretung des Volkes. Zwar bemühen sich alle Parteien bei der Kandidatenaufstellung darum, den sozialen Gliederungen des Volkes Rechnung zu tragen304 ; dennoch wird von ihnen nicht angestrebt, in ihren Fraktionen die Sozialstruktur des Vol­ kes in ihren empirischen Dimensionen zu kopieren. Der Bundestag ist deshalb auch kein Spiegelbild der Sozialstruktur des Volkes. Dennoch oder gerade deshalb ist nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG j eder Abgeord­ nete Vertreter des ganzen Volkes, gleichgültig, welcher sozialen Schicht er selbst angehört. Es soll hier nicht der Konflikt dargestellt werden, der darin bestehen kann, daß ein Abgeordneter zugleich Verbands­ vertreter und Vertreter des ganzen Volkes ist, d. h. die Norm des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG darf sicher nicht unkritisch mit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden. Aber diese Norm gilt für den Abgeordneten nicht nur im Plenum, sondern auch in den Ausschüssen. Würde man deshalb für die Ausschüsse eine spiegelbildliche Besetzung vorschreiben, käme 304 Vgl. die Leitsätze der CDU Rheinland-Pfalz zur Kandidatenauswahl, abgedruckt bei Heino Kaack (Fn. 234), S. 605 ff.

17 *

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

dadurch zum Ausdruck, daß nicht davon ausgegangen würde, daß jeder Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sei, sondern daß nur eine bestimmte Mischung von Abgeordneten die Plenarsitzungen der Volks­ vertretung im Ausschuß vorbereiten könnte. Im übrigen wird eine einseitige Berichterstattung dadurch vermie­ den, daß bei nahezu allen Fragen von besonderer Wichtigkeit mehrere Ausschüsse mit einem Gesetzentwurf befaßt werden. Wenn auch der federführende Ausschuß eine dominierende Rolle innehat, sind doch die Stellungnahmen der anderen beteiligten Ausschüsse zu berücksichtigen und müssen in der Berichterstattung enthalten sein, vgl. § 74 Abs. 2 GeschOBT. Hier können die beteiligten Ausschüsse also dafür sorgen, daß Einseitigkeiten vermieden werden. Bereits die Bestimmung der Ausschüsse bei der Überweisung im Anschluß an die erste Lesung kann daher zur Neutralisierung möglicher Einseitigkeiten beitragen, so z. B. wenn ein Wirtschaftsgesetzentwurf gleichzeitig an die Aus­ schüsse für Wirtschaft sowie für Arbeit und Sozialordnung überwiesen wird. Darüber hinaus ist eine Offenlegung der Verbandszugehörigkeit der Ausschußmitglieder durch Nr. 8 der Verhaltensregeln erfolgt305 • Dabei ist allerdings zu überprüfen, ob es ausreicht, daß die Interessenbezie­ hungen �ediglich gegenüber den anderen Ausschußmitgliedern offen­ bart werden sollen. Eine wirksame Offenlegung und die Möglichkeit der Kontrolle durch die Öffentlichkeit wären erst dann gegeben, wenn auch diese Angaben publiziert würden. Andererseits würde dies zu einer Flut von Ausschußveröffentlichungen führen; denn je nach der Materie, die zur Beratung kommt, kann die besondere Offenlegungs­ pflicht nach Nr. 8 der Verhaltensregeln andere Ausschußmitglieder treffen. Man sollte es deshalb bei der derzeitigen Regelung belassen, zumal die Veröffentlichungen nach Nr. 1 und 3 der Verhaltensregeln in der oben vorgeschlagenen Form eine weitgehende Transparenz ermög­ lichen. 2. Zum Stellenwert der öffentlichen Anhörungen

Die öffentlichen Anhörungen, die von den Ausschüssen durchgeführt werden können, haben gegenüber dem derzeitigen Zustand einen an­ deren Stellenwert, wenn sie in dem System der Beteiligungen rangie­ ren, wie es hier im Teil 2 vorgeschlagen wird. Nach der bisherigen Praxis blieb den Abgeordneten die Beteiligung der Verbände an früheren Stadien der Gesetzgebung weitgehend ver­ borgen. Deren Mitarbeit an Gesetzentwürfen der Bundesregierung in Beiräten oder durch Anhörung wurde nicht veröffentlicht, eine Stelle, die Gesetzentwürfe auf Interessenzusammenhänge überprüft, existierte 305 Vgl. o. S. 127 f.

II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen

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nicht. Deshalb bot das Hearing den Abgeordneten die erste formelle Möglichkeit, sich über den Standpunkt von Verbänden zu einem Geset­ zesvorhaben zu informieren und eine Kontrolle dahingehend vorzu­ nehmen, welche Verbandsstandpunkte bereits in den Entwurf einge­ gangen waren. Daneben diente die Einrichtung des Hearings auch der Beteiligung von Verbänden an der Gesetzgebung. Unter Zugrunde­ legung der Vorschläge über die Offenlegung der Verbandsbeteiligung in der Vorbereitungsphase der Gesetzgebung wandelt sich die Funk­ tion der Hearings etwas. Sie brauchen nicht mehr der Offenlegung und Kontrolle der in den Gesetzentwurf bisher eingegangenen Verbands­ vorstellungen zu dienen, da diese Funktion bereits durch die Offen­ legungsregelungen bei der jeweiligen Beteiligung und durch die vor­ geschlagene Stelle zur Interessenabklärung ausreichend wahrgenom­ men wird. Das Hearing kann jetzt verstärkt auf die Informations­ beschaffung konzentriert werden, worin seine eigentliche Funktion besteht. Auch hierbei kommen ihm die Offenlegungsvorschläge zugute; denn erst wenn deutlich ist, was die Verbände in früheren Stadien an Stellungnahmen abgegeben haben, kann ein Hearing sowohl hinsicht­ lich der zu beteiligenden Verbände als der anzuschneidenden Fragen exakt vorbereitet werden. Es wird auch vermieden, daß die Verbände die Unkenntnis der Ausschußmitglieder über ihre bisherigen Stellung­ nahmen ausnutzen und nunmehr mit neuen und weiterreichenden For­ derungen auftreten, obwohl ihre ursprünglich angemeldeten Wünsche bereits erfüllt sind. Daneben können jetzt ebenfalls gezielt solche Grup­ pen beteiligt werden, die am bisherigen Verfahren nicht mitgewirkt haben, deren Interessen aber ebenfalls berührt werden. Hier könnten insbesondere die Ergebnisse der Stelle für Interessenabklärung (kon­ sultativer Wirtschaftsrat o. ä.) zur Vorbereitung der Hearings berück­ sichtigt werden. Die öffentlichen Anhörungen werden durch hier vorgeschlagene Än­ derungen nicht etwa überflüssig oder in ihrem Wert gemindert; im Gegenteil können sie gerade dadurch in der Lage sein, letzte Unklar­ heiten aufklären zu helfen. Nur sind sie eben nicht mehr notwendig, um den Abgeordneten einen Überblick über die Verbandsmeinung zu geben. Deshalb braucht bei der Auswahl der Verbandsvertreter auch nicht Vollständigkeit angestrebt zu werden; vielmehr brauchen nur die angehört zu werden, deren Anhörung zur zusätzlichen Aufklärung notwendig erscheint. 3. Änderungsvorscblige für die Abhaltung öffentlicher Anhörungen

Die öffentlichen Anhörungen haben durch die Neufassung des § 73 GeschOBT eine ausführliche Regelung erfahren, die insgesamt als ge­ lungen zu bezeichnen ist und sich in der Praxis bewährt. Drei Fragen

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

sind allerdings bei der Neuregelung offengeblieben oder reformbedürf­ tig : wann ein Hearing abzuhalten ist (a), wie das Verfahren im einzel­ nen aussieht (b) und wie die Auskunftspersonen zum Erscheinen vor dem Ausschuß und zur wahrheitsgemäßen Aussage angehalten werden können (c). a) Obligatorisches Hearing b ei Gesetzentwürfen?

Nach § 73 Abs. 3 GeschOBT ist der federführende Ausschuß bei überwiesenen Vorlagen oder Anträgen auf Verlangen eines Viertels seiner Mitglieder verpflichtet, eine öffentliche Anhörung vorzuneh­ men. Diese Regelung setzt also voraus, daß sich mindestens eine Min­ derheit des Ausschusses für die Abhaltung eines Hearings ausspricht. Wenn mehr als 75 Prozent der Ausschußmitglieder glauben, auf eine Anhörung verzichten zu können, kommt kein Hearing zustande. Demgegenüber ist vorgeschlagen worden, in der Geschäftsordnung vor der Beratung eines Gesetzentwurfs im Ausschuß eine öffentliche Anhörung obligatorisch zu machen. ,,Hiervon sollte ein Ausschuß nur durch einstimmigen Beschluß seiner Mitglieder absehen können, der im Bericht an das Plenum zu begründen wäre306 . " Während derzeit der Ausschuß den Beschluß zur Abhaltung eines Hearings fassen muß, könnte er nach diesem Vorschlag nur mit einem einstimmigen Beschluß von der Abhaltung absehen. So begrüßenswert dieser Vorschlag an sich ist, ist doch fraglich, ob wirklich bei jedem Gesetzentwurf eine Anhörung vorgeschrieben sein sollte, zumal bei der Menge der Ent­ würfe auch die Zeit für die technische Abwicklung der Anhörungs­ verfahren knapp würde, die ja alle einer gründlichen Vorbereitung bedürfen, wenn sie sinnvoll sein sollen. Der Vorschlag weist aber auf folgende Überlegungen hin : wenn man die Ansetzung von Hearings den Ausschußmitgliedern überläßt, könnte eine einseitige Interessenausrichtung dieser Mitglieder dazu führen, daß eine Anhörung überhaupt nicht stattfindet, um Verbandsinteressen nicht decouvrieren zu müssen. Es könnte immerhin einmal der Fall eintreten, daß die Ausschußmitglieder ein Hearing verhindern wollen. Dies wäre ihnen erschwert, wenn die Anhörung obligatorisch wäre und nur durch einstimmigen, dazu noch zu begründenden Beschluß, zu vermeiden wäre. Diese, wenn auch etwas entfernt liegende Möglichkeit könnte da­ durch vermieden werden, daß man eine Regelung vorsähe, durch die ein Quorum der Mitglieder des Bundestages bereits bei der Überwei­ sung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß den Antrag stellen könnte, 306 Vgl. Karl-Heinz Mattern, Grundlinien des Parlaments, 1969, S. 67 Anm. 27.

II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen

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eine öffentliche Anhörung im Ausschuß durchzuführen. Eine solche Regelung könnte ein Korrektiv darstellen, das auch die Ausschüsse vor ungerechtfertigten Verdächtigungen aus der Öffentlichkeit bewahren hilft. Deshalb sollte eine solche Regelung keinesfalls als Ausdruck des Mißtrauens gegenüber der Unparteilichkeit der Ausschußmitglieder angesehen und gehandhabt werden. Sie ist vielmehr eher als Hinweis zu verstehen, daß hinsichtlich der öffentlichen Anhörungen auch das Plenum selbst einmal seine Wünsche äußern kann. Aus diesem Grund sollte das Quorum auch nicht klein bemessen sein, damit den Aus­ schüssen nicht durch kleine Minderheiten das Anhörungsverfahren auf­ gezwungen wird ; vielmehr erscheint die einfache Mehrheit der Stim­ men angemessen, wobei freilich schon ein einzelner Abgeordneter die Entscheidung beantragen können sollte. Regelungsvorschlag:

§ 79 Abs. 1 GeschOBT könnte wie folgt ergänzt werden: Gleichzeitig mit der Überweisung kann der Ausschuß beauftragt werden, zu dem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung (§ 73 Abs. 3 ff.) durchzufüh­ ren; der Antrag kann von einem einzelnen Abgeordneten gestellt werden. Dieser Vorschlag geht weiter als eine Empfehlung der Interparla­ mentarischen Arbeitsgemeinschaft, nach der das Plenum auf Antrag eines bestimmten Quorums der Ausschußmitglieder über eine Anhö­ rung entscheiden sollte, wenn ein Antrag auf Anhörung abgelehnt worden war307 • b) Zum Verfahren der Hearings

Das Verfahren ist in § 73 Abs. 4 und 5 GeschOBT geregelt. Die Vor­ bereitung der Hearings obliegt dem Vorsitzenden, § 69 Abs. 2 Gesch­ OBT oder dem Berichterstatter, § 70 GeschOBT, denen ein Sekretariat zur Seite steht. Keine Regelung besteht darüber, nach welchen Ge­ sichtspunkten Auskunftspersonen ausgewählt werden und wer über die Auswahl befindet. Im Zweifelsfall ist hier die Mehrheit des Aus­ schusses zuständig. Man könnte daran denken, das Quorum von einem Viertel der Ausschußmitglieder, das für die Vornahme einer öffent­ lichen Anhörung ausreicht, auch bei der Benennung bestimmter Aus­ kunftspersonen vorzusehen. Insgesamt aber darf man für das Verfah­ ren wohl darauf vertrauen, daß die Ausschußmitglieder selbst Kontro­ versen, die untereinander entstehen, in geeigneter Form lösen werden. Eine einseitige Auswahl der Auskunftspersonen, die von allen Aus­ schußmitgliedern gedeckt wird, wäre durch Verfahrensvorschriften ohnehin kaum zu verhindern. Hier kommt es darauf an, daß die Öf­ fentlichkeit die öffentlichen Anhörungen aufmerksam verfolgt und auf 307

Vgl. die Empfehlungen der IPA (Fn. 154), Nr. III.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Einseitigkeiten hinweist. Auf die Reaktion nicht eingeladener Verbände kann man sich hier nicht immer verlassen, da nicht auszuschließen ist, daß die Nichtberücksichtigung mit dem Einverständnis des betref­ fenden Verbandes erfolgte. Außerdem könnte man an eine Protokollpflicht für die öffentlichen Anhörungen denken. Zwar sind die Ausschüsse gehalten, Berichte zu erstellen, die auch die wesentlichen Ansichten der Interessen- und Fachverbände wiedergeben sollen, sofern Informationssitzungen statt­ gefunden haben, § 74 Abs. 2 GeschOBT, eine Protokollpflicht oder gar die Führung eines Wortprotokolls ist aber nicht vorgeschrieben. Nach der derzeitigen Regelung ist die Entscheidung über das „Ob" und „Wie" der Protokollführung dem Ausschuß überlassen. Bei Überlegungen hierzu ist in Empfehlungen der Interparlamentarischen Arbeitsge­ meinschaft ausgeführt, ,,daß eine solche Vorschrift durchaus geeignet sein könnte, äußerst wertvolle Äußerungen von Sachverständigen aus Furcht vor der Öffentlichkeit zu unterdrücken" 888 • Dieses Argument ist aber kaum verständlich, da die Anhörungspersonen in jedem Fall in öffentlichen Sitzungen aussagen. Auch technische Bedenken sollten einer exakten Protokollführung nicht im Wege stehen, wenn diese Schwierigkeiten auch nicht unterschätzt werden dürfen. Auf eine Protokollführung sollte daher keinesfalls verzichtet werden. Freilich ist zweifelhaft, ob ein Wortprotokoll geführt werden muß. Es genügt, wenn das Wesentliche festgehalten wird. Unverzichtbar ist allerdings, daß in dem Bericht an das Plenum die Namen der ange­ hörten Verbandsvertreter aufgenommen werden, um den Abgeord­ neten, die nicht Ausschußmitglieder sind, sowie der Öffentlichkeit, Aufschluß darüber zu geben, welche Interessenbereiche herangezogen wurden. Dazu müßte § 74 Abs. 2 GeschOBT um folgenden Zusatz er­ gänzt werden: ,, ; eine Liste mit den Namen der angehörten Interessenvertreter ist dem Bericht beizufügen". c) Sanktionen gegen Auskunftspersonen?

Nach der bisherigen Regelung steht es eingeladenen Auskunftsper­ sonen frei, ob sie der Einladung folgen oder nicht. Sie sind nicht ver­ pflichtet, vor dem Ausschuß auszusagen. Sanktionen für eine falsche Aussage sind nicht vorgesehen. Die deutsche Regelung steht damit z. B. im Gegensatz zur amerikanischen Auffassung, die eine Aussage­ erzwingung ermöglicht. Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat sich mit den Fragen befaßt, ob der Ausschuß das Erscheinen der Auskunftspersonen ··aus Vgl. die Empfehlungen der IPA (Fn. 154), Nr. III.

II. Die Verbandsbeteiligung in den Bundestagsausschüssen

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und ihre Aussage erzwingen könne und ob Sanktionen für vorsätzliche Falschaussagen vorzunehmen seien. Sie hat es abgelehnt, derartige Änderungen zu empfehlen308 • Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, wenn auch die Begründung nicht überzeugen kann. Die IPA hat ihre Ablehnung damit begründet, daß nicht ohne wei­ teres die anglo-amerikanische Regelung übernommen werden könne, da sie dem deutschen Rechts- und Verfassungssystem völlig neu wäre. Zudem würden Vorladung, Aussagepflicht und Vereidigung von Aus­ kunftspersonen weitreichende gesetzliche Neuregelungen erfordern, die man ablehne. Diese Rechte sollten den Untersuchungsausschüssen vorbehalten bleiben. Hinsichtlich einer Sanktionierung der Falsch­ aussagen sei zudem zu bedenken, daß die Interessenvertreter vor den Ausschüssen keine reinen Tatsachendarstellungen abgäben, sondern Meinungen äußerten. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung dürfe aber nicht eingeschränkt werden. Alle diese Argumente erscheinen wenig stichhaltig : wenn man schon die Hearings selbst, die in dieser Form gleichfalls für die deutsche Rechts- und Verfassungstradition neu waren, von Amerika importiert, könnte dasselbe auch für die Zwangsmittel gelten. Daß dabei gesetz­ liche Regelungen, voraussichtlich sogar eine Verfassungsänderung, not­ wendig wären, ist kein Hinderungsgrund. Es ist auch nicht einzusehen, wieso diese Rechte den Untersuchungsausschüssen vorbehalten bleiben sollten, zumal die Verwandtschaft zwischen den Untersuchungsaus­ schüssen und den öffentlichen Anhörungen nicht übersehen werden kann. Schließlich könnte eine Strafvorschrift, mit der Falschaussagen geahndet werden sollen, unschwer so abgefaßt werden, daß das Grund­ recht der freien Meinungsäußerung nicht berührt wird. Dennoch sollte man es bei der derzeitigen Regelung belassen. Es ist kaum zu erwarten, daß ein eingeladener Verband309 der Einladung zur öffentlichen Anhörung nicht Folge leistet. Eine mangelnde Koopera­ tionsbereitschaft müßte politische Folgen für die Berücksichtigung des Verbandes in der Zukunft nach sich ziehen. Das Verhalten des Verban­ des kann im Bericht an das Plenum erwähnt werden. Im übrigen müs­ sen die Verbände ein eigenes Interesse an der Gestaltung der sie (mit-)betreffenden Gesetze haben; dies um so mehr als die Ausschuß­ mitglieder die früheren Stellungnahmen der Verbände zu einer Geset­ zesvorlage kennen und die Verbände deshalb befürchten müssen, daß ihre Argumente übergangen werden, wenn sie der Einladung nicht Folge leisten. Vorsätzliche Falschaussagen sind ebenfalls nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Für eine Korrektur können bereits die anderen Verbands309 Die Situation der unabhängigen Sachverständigen braucht hier nicht behandelt zu werden.

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2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

vertreter sorgen, vor allem, wenn sie von gegensätzlichen Verbänden kommen. Hier ist aber auch daran zu denken, daß der Ausschuß auch Mitglieder der Bundesregierung in der öffentlichen Anhörung befra­ gen kann, vgl. Art. 43 Abs. 1 GG, 73 Abs. 1 GeschOBT. Oftmals wird die Befragung der Minister oder ihrer Beauftragten dazu beitragen können, die sachliche Richtigkeit einer Verbandsstellungnahme zu überprüfen. Außerdem ist dies eine Funktion der Sachverständigen, die zur Anhörung herangezogen werden. Selbstverständlich sollte allerdings sein, daß der Versuch eines Verbandes, den Ausschuß mit falschen Angaben zu täuschen, politische Folgen haben müßte: der betreffende Verbandsvertreter müßte für längere Dauer als nicht mehr präsentabel angesehen werden310 ; die Öffentlichkeit müßte über das Verhalten des Verbandes unterrichtet werden. Mit diesen politischen Maßnahmen wäre ein korrektes Verhalten der Verbände voraussicht­ lich eher zu erreichen als durch strafrechtliche Sanktionen, deren Wert in diesem Bereich begrenzt ist. 4. Grundsätzliche Offentlichkeit der Ausschußsitzungen?

Eine Forderung, die zur Sichtbarmachung der Verbandseinflüsse in den Ausschüssen erhoben wird, besteht in der grundsätzlichen Öffent­ lichkeit der Ausschußsitzungen311• § 73 Abs. 2 Satz 1 GeschOBT bestimmt, daß die Beratungen der Aus­ schüsse grundsätzlich nicht öffentlich sind. Die Zulassung der Öffent­ lichkeit kann durch den Ausschuß zwar beschlossen werden, stellt aber die Ausnahme dar. Zwar ist für die Verhandlungen des Bundestages die Öffentlichkeit grundsätzlich vorgesehen, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG; diese Vorschrift betrifft aber nur das Plenum. Die Nichtöffentlichkeit der Ausschußsitzungen wird vor allem damit begründet, daß der Ausschluß der Öffentlichkeit eine freiere Diskus­ sion ermögliche312 • Außerdem könne die Zulassung der Öffentlichkeit die Verlagerung der eigentlichen Beratung in informelle Gesprächs­ kreise zur Folge haben313 • 310 Vgl. den Regelungsvorschlag bei Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13),

s. 149.

311 So Ludger Anselm Versteyl (Fn. 13), S. 221 f.; Heinrich Oberreuter, Scheinpublizität oder Transparenz? Zur Öffentlichkeit von Parlaments­ ausschüssen, in: ZParl 1975, S. 77 ff. 312 Vgl. die Zusammenfassung der Argumente bei Heinhard Steiger, Orga­ nisatorische Grundlagen des parlamentarischen Regierungssystems, 1973, S. 142. 3 1 3 So Herbert Frost, Die Parlamentsausschüsse, ihre Rechtsgestalt und ihre Funktionen, dargestellt an den Ausschüssen des Deutschen Bundestages, in: AöR 95 (1970), S. 38 ff., 85.

III. Die Verbandsbeteiligung im weiteren Gesetzgebungsverfahren

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Ohne die Berechtigung dieser Argumente gänzlich in Frage stellen zu wollen, ist doch darauf hinzuweisen, daß durch die Nichtöffentlich­ keit der Ausschüsse dem Bürger die maßgebliche parlamentarische Willensbildung verborgen bleibt. Auch die Beratungen der Ausschüsse müßten daher in vermehrter Weise öffentlich stattfinden314 • Die Problematik der fehlenden Öffentlichkeit der Ausschüsse zeigt sich vor allem im Zusammenhang mit den öffentlichen Anhörungen; denn während die Anhörungen öffentlich erfolgen, ist die Beratung über die bei der Anhörung erfolgten Stellungnahmen und Informatio­ nen der nichtöffentlichen Sitzung vorbehalten. Praktisch kann nur an den Ausschußberichten abgelesen werden, in welcher Weise die Anhö­ rungsergebnisse vom Ausschuß verwendet worden sind. Die Öffentlichkeit der Ausschußarbeit könnte viel dazu beitragen, dem Bürger das Funktionieren des parlamentarischen Mechanismus und seiner Entscheidungsbildung durchsichtiger zu machen. Allerdings wird man eine generelle Öffentlichkeit aller Ausschußsitzungen nicht verlangen können. Ein Fortschritt wäre es bereits, wenn das derzeitige Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt würde. Die Öffentlichkeit der Ausschußsitzungen wäre dann die Regel, während der Ausschuß der Öffentlichkeit von Fall zu Fall vom Ausschuß beschlossen werden könnte. Im Zusammenhang mit den Hearings der Ausschüsse des Deutschen Bundestages ist an die Vorschriften über die Registrierung von Ver­ bänden und deren Vertreter zu erinnern, die oben dargestellt wurden. III. Die Verbandsbeteiligung im weiteren Gesetzgebungsverfahren

Die restlichen Stationen des Gesetzgebungsverfahrens, die zweite und dritte Lesung im Bundestag, der Durchgang im Bundesrat, ggf. der Vermittlungsausschuß und der letzte Durchgang im Bundestag können hinsichtlich der Verbandsbeteiligung zusammengefaßt behandelt wer­ den. Für diese Phasen des Gesetzgebungsverfahrens kann die Einrich­ tung einer formalisierten Verbandsbeteiligung nicht empfohlen werden. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Verbände in den vorangegan­ genen Stadien der Gesetzgebung Gelegenheit hatten, ihre Standpunkte darzulegen, so daß kein Bedürfnis nach weiterer Beteiligung besteht. Dies gilt auch für den Durchgang im Bundesrat. 314 Vgl. Karl-Heinz Mattern (Fn. 306), S. 65 ; Heinhard Steiger (Fn. 312), S. 144; Heinrich Ob erreuter (Fn. 311), S. 81 ff., 86, weist nach, daß durch die Erfahrungen des Bayerischen Landtages, der als einziges deutsches „Parla­ ment die grundsätzliche Ausschußöffentlichkeit kennt, die üblichen Beden­ ken gegen öffentliche Ausschußarbeit nicht erhärtet" werden können.

268

2. Teil, D. Möglichkeiten im parlamentarischen Stadium

Etwas anderes könnte allerdings gelten in den Fällen, in denen den Verbänden ein Anspruch auf Beteiligung zusteht. Für diese Fälle wird die Auffassung vertreten, daß eine erneute Beteiligung durchzu­ führen sei, wenn eine Gesetzesvorlage im Parlament wesentliche Än­ derungen erfahre, sofern die vom Parlament gewählten Lösungen nicht bereits Gegenstand einer früheren Anhörung waren316 • Im Extremfall würde dies bedeuten, daß eine Anhörung selbst dann noch einmal durchgeführt werden müßte, wenn im Vermittlungsausschuß eine neue Lösung gefunden worden ist. Das Beispiel zeigt, wie problematisch es ist, wenn man von einem Beteiligungsanspruch gegenüber dem Parlament ausgeht. Dies spricht dafür, den Beteiligungsanspruch auf die Vorbereitung des Entwurfs zu beschränken. Das bedeutet, daß er nicht gegen das Parlament als Trä­ ger des Gesetzgebungsverfahrens gerichtet sein kann, sondern lediglich gegen die Inhaber des Rechtes zur Gesetzesinitiative. Die Verbände sind in diesem Falle an der Gesetzesinitiative zu beteiligen. Nur wo dies, wie bei Initiativanträgen aus der Mitte des Bundestages, vorher nicht möglich ist, muß eine nachträgliche Beteiligung erfolgen. Diese sollte aber gegeben sein, bevor der Bundestag in die Beratung des Initiativantrages eintritt. Ein weitergehender Anspruch auf Mitwir­ kung würde das Gesetzgebungsverfahren selbst berühren. Dies wäre nur über eine Verfassungsänderung möglich, die nicht empfohlen werden kann.

315

Vgl. die Empfehlungen der Landtagspräsidentenkonferenz (Fn. 148), I 7.

Schlufibemerkungen Es wäre eine Illusion zu glauben, daß mit der vorgelegten Unter­ suchung das Problem der Verbandsbeteiligung an der Gesetzgebung gelöst würde. Kein noch so ausgeklügeltes System von Vorschriften kann die Einflußnahme der Verbände j emals ganz erfassen und zu einer vollständigen Regulierung, Offenlegung und Kontrolle aller Verbandseinflüsse auf die Gesetzgebung verhelfen. Dafür sind die Möglichkeiten der direkten und indirekten Einflußnahme zu vielfältig. Es kann daher nur versucht werden, den Strom an Einwirkungen auf die Gesetzgebung, der von den Verbänden ausgeht, zu kanalisieren und sichtbar zu machen. Das Beteiligungsstreben der Verbände ist legitim. Institutionalisierte Beteiligungsformen sollen dazu beitragen, der Bevölkerung die grundsätzliche Legitimität der Verbandsbeteili­ gung zu verdeutlichen und die Verbände von dem Odium des Illegiti­ men zu befreien, das ihnen um so eher anhaftet, wenn sie sich nur auf dem Weg über die Hintertreppe an staatlichen Entscheidungen beteili­ gen können. Das Angebot, in aller Öffentlichkeit ihre Interessen ver­ treten zu können, erlaubt auch einen schärferen Trennungsstrich zwi­ schen legalen und illegalen Formen des Verbandseinflusses. Wer in seinem Vorgehen das Licht der Öffentlichkeit scheut, obgleich ihm ein öffentlicher Zugang zur Verfügung steht, braucht sich über den Ver­ dacht des Illegitimen nicht zu wundern und trägt - prozessual ausge­ drückt - die Beweislast dafür, daß seine Handlungsweise trotzdem legitim war. Graue Zonen, in denen die Übergänge zwischen den recht­ lich noch zulässigen und den bereits unzulässigen Beeinflussungsmit­ teln und -wegen verfließen, wird es gleichwohl immer geben. Entscheidend kommt es auf das Verhalten der Beteiligten an. Die vorgeschlagenen Regelungen sollen das Verhalten der Verbandsvertre­ ter ebenso beeinflussen wie dasj enige der Verbandsadressaten in Re­ gierung und Parlament. Das Angebot rechtmäßiger Zugangswege muß die unrechtmäßigen unattraktiv werden lassen. Wer auf unzulässige Weise angegangen wird, muß auf den zulässigen Weg verweisen. Be­ sonders den Adressaten des Verbandseinflusses in Regierung und Par­ lament fällt hier die Aufgabe zu, die Verbände auf die zulässigen Einflußmöglichkeiten zu verweisen und so illegale Praktiken zu ver­ hindern und langfristig zum Verschwinden zu bringen. Es ist kein Grund für die Annahme vorhanden, daß sich über die vorgeschlagenen

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Schlußbemerkungen

Regelungen das Verhalten der Beteiligten kurzfristig ändern läßt. Widerstände z. B. gegen die Offenlegung der Beteiligung gibt es nicht nur bei den Verbänden, sondern auch bei Vertretern von Regierung und Parlament. Erst ein anderes Verhältnis zur Öffentlichkeit, das aber im Entstehen begriffen ist, kann hier eine Verhaltensänderung bewirken. Mit der Eröffnung institutionalisierter Beteiligungsformen zur Mit­ wirkung an der Gesetzgebung ist die Anerkennung der Verbände und ihrer Bedeutung für das politische Gemeinwesen verbunden. Die Ver­ bände, die offiziell an der Gestaltung der Gesetzgebung beteiligt wer­ den, tragen für die inhaltliche Gestaltung, soweit sie auf ihre Stel­ lungnahmen zurückgeht, die Verantwortung, zwar nicht im rechtlichen aber doch im politischen Sinn. Juristisch ist mit der Beteiligung nach vorgeschlagenem Muster keine Inpflichtnahme der Verbände erfolgt; diese sind nicht in den Staat eingebunden. Sie bleiben außerhalb des Staatsapparates, beteiligen sich aber legitimerweise an der Bildung des Staatswillens. Die damit erfolgte Anerkennung der Rolle der Ver­ bände bei der Gesetzgebung kann ihrer Verteufelung entgegenwirken, die gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten hier und dort laut wird. Unser politisches Gemeinwesen ist jetzt und in Zukunft auf Ver­ bände und besonnene Verbandsführer angewiesen. Durch ein funktio­ nierendes Verbändesystem wird die Fülle der Entfaltungsmöglichkei­ ten des einzelnen am besten gewährleistet. Wenn das Verbandssystem nicht mehr funktioniert, droht entweder das Chaos oder eine Auswei­ tung der Befugnisse des Staatsapparates ; in beiden Fällen würde ein Stück Freiheit auf der Strecke bleiben.

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