Aktuelle Steuerpolitik und Gesetzgebung 2012 9783504383275

Aus dem Inhalt: Rödder Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht? Schönfeld Wichtige Änderungen zum U

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Aktuelle Steuerpolitik und Gesetzgebung 2012
 9783504383275

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Rödder/Schönfeld (Hrsg.) Aktuelle Steuerpolitik und Gesetzgebung 2012

.A.CH DSteuer-

symposium Band 1

Aktuelle Steuerpolitik und Gesetzgebung 2012 Herausgegeben von

Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Bonn

Dr. Jens Schönfeld Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn unter redaktioneller Mitwirkung von

Dr. Nils Häck Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn

Verfasser

Diskutanten

Dr. Xaver Ditz

Gerald Gahleitner, LL.M.

Steuerberater, Bonn

Steuerberater, LeitnerLeitner, Linz

Dr. Tim Guldimann

Mathias Gerner

Botschafter der Schweizerischen Eidgenossenschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Leiter Hauptabteilung Steuern, Dr. August Oetker KG, Bielefeld

Prof. Dr. Frank Hannes

Vorsitzender Richter am BFH, München

Prof. Dr. Dietmar Gosch

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater, Bonn

Gerda Hofmann

Mag. Reinhard Leitner

Ministerialrätin, Referatsleiterin, Bundesfinanzministerium, Berlin

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Linz

Peter Riedweg

Dr. Berend Holst

Dipl.-Wirtschaftsprüfer, Zürich

Leiter Steuern, Volkswagen AG, Wolfsburg

Prof. Dr. Thomas Rödder

Franz Hruschka

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn

Leitender Regierungsdirektor, Finanzamt München

Dr. Jörg Schauf Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn

Dr. Jens Schönfeld Dipl.-Kaufmann, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn

Berthold Welling Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Dr. Monika Wünnemann Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Dr. Rolf Möhlenbrock Ministerialrat, Referatsleiter, Bundesfinanzministerium, Berlin

und die Beitragsverfasser

Bibliografische Information

der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ht1p://dob.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto SchntidtKG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221/93738-01, Fax 0221193738-943 [email protected] www.otto-schntidt.de ISBN 978-3-504-20006-0 ©2013 byVerlag Dr. Otto Schntidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist

urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorhetigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfihnungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbestiindig und umweltfreundlich. Satz: A. Quedoau, Hasn Druck: Betz, Darmstadt PrintedinGermany

Vorwort Wir leben in einer bewegten Zeit. Europa befindet sich in der schwersten Staatsschuldenkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Grund dafür liegt darin, dass die westlichen Demokratien über Jahrzehnte mehr Geld ausgegeben haben als sie eingenommen haben. Dieses fiskalische Gebärden hat auch in Deutschland zu einer erdrückenden Zins- und Tilgungslast geführt, und dies, obwohl das nationale Steueraufkommen stetig gestiegen ist und gegenwärtig ein noch nie da gewesenes Niveau erreicht hat. Die politischen Akteure fühlen sich dadurch zunehmend in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund erleben wir gegenwärtig eine Debatte zu der Frage, wie die Einnahmen des Staates weiter erhöht werden können. Es liegt nahe, dass das Steuerrecht dabei eine zentrale Rolle spielen wird. Doch in welchen Bereichen haben wir Änderungen zu erwarten? Der vorliegende Tagungsband geht dieser Frage nach. Er versucht, erste Antworten darauf zu geben, wohin sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht entwickeln wird. Dabei werden gegenwärtig diskutierte Maßnahmen vorgestellt und kritisch hinterfragt. Im Bereich der Einkommenund Körperschaftsteuer sind es die geplanten Änderungen durch das JStG 2013. Gleiches gilt für die geplanten Änderungen des Außensteuergesetzes. Es wird auch der Frage nachgegangen, wohin das deutsche Unternehmenserbschaftsteuerrecht angesichts der zunehmenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verschonung betrieblichen Vermögens geht. Und: Wird eine Vermögensteuer kommen und wenn ja, wie wird diese aussehen? Um bei der Beantwortung dieser Fragen nicht in der reinen (deutschen) Innensicht zu verharren, soll der Blick über die nationalen Grenzen hinaus auch auf das Steuerrecht unserer Nachbarn Österreich und Schweiz geworfen werden. Dieser Blick ist auch deshalb wichtig, weil sich beide Staaten insbesondere aufgrund ihrer steuerlichen Rahmenbedingungen sowie ihrer räumlichen, kulturellen und sprachlichen Nähe zu Deutschland als interessante Alternativ-Standorte etabliert haben, um wirtschaftliche Aktivitäten zu entfalten. Für etwaige Anpassungsreaktionen deutscher Steuerpflichtiger wird man daher insbesondere Österreich und die Schweiz im Blick haben müssen. Wie sieht daher das Unternehmenssteuerrecht dieser

VII

Vorwort

beiden Staaten im Vergleich zu Deutschland aus und wie gehen diese mit den aktuellen Herausforderungen um? Im Verhältnis zur Schweiz ist darüber hinaus von besonderem Interesse, wie es um das deutschschweizerische Steuerabkommen steht. Bonn, Berlin, Wien, Zürich, im Oktober 2012 Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer Steuerberater

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Dr. Jens Schönfeld Diplom-Kaufmann Rechtsanwalt Fachanwalt für Steuerrecht

Inhaltsverzeichnis* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Thomas Rödder Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht? .

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A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wohin entwickelt sich die deutsche Unternehmenssteuerpolitik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Wohin entwickeln sich die europäischen steuerpolitischen Rahmenbedingungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8 11

Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Thomas Rödder Kleine Organschaftsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht des Fiskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ziele einer neuen Gruppenbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Das Scheitern der Gruppenbesteuerungsreform . . . . . . . . . . . . . E. Angedachte Kleine Organschaftsreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Jens Schönfeld Wichtige Änderungen zum Unternehmenssteuerrecht im KStG und EStG durch das Jahressteuergesetz 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Fallmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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_____________ * Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhaltsverzeichnis

Dr. Jörg Schauf Das deutsch-schweizer Steuerabkommen – Stand und aktuelle Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. B. C. D. E. F. G. H. I.

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ratifizierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergangenheitsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgeltungswirkung für die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergänzungsprotokoll vom 5. April 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerberechnung nach dem Abgeltungsmodell . . . . . . . . . . . . . Tendenzaussagen zur Abgeltungsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstanzeige nach § 371 AO oder Steuerabkommen? . . . . . . . . Ausgewählte Beispielsfälle Abgeltungslösung vs. Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J. Fazit Vergleichsrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . K. Verfassungsrechtliche Zweifel aus deutscher Sicht . . . . . . . . . . L. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Tim Guldimann Das deutsch-schweizer Steuerabkommen: Stand und aktuelle Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Xaver Ditz Quo vadis Außensteuergesetz? – Die geplanten Änderungen des AStG durch das JStG 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Anwendung des § 1 AStG bei Personengesellschaften . . . . . . . . B. Neue Definition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Transformation des AOA in § 1 AStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Änderungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . E. Neufassung der Zurechnung bei Familienstiftungen . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X

78

Inhaltsverzeichnis

Prof. Dr. Frank Hannes Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer? – Die geplanten Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2013 und aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. JStG 2013: Regelungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Vom gemeinen Wert der Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert des Anteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Erweiterung der „Katalog-Nr. 4“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Neuberechnung der Verwaltungsvermögensquote bei nachträglicher Investition von Finanzmitteln in begünstigtes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Beschränkung des jungen Verwaltungsvermögens auf Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Keine Deckelung auf den Beteiligungswert bei jungem Verwaltungsvermögen auf unteren Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . H. Konzernbezogene Prüfung der 20 %-Beschäftigten-Grenze . . . . I. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

Berthold Welling/Dr. Monika Wünnemann Renaissance der Vermögensteuer – Die ersten Entwürfe eines Vermögensteuergesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. B. C. D.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuelle Steuerpolitische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Mag. Reinhard Leitner Vor- und Nachteile des österreichischen Steuerrechts für Unternehmen und natürliche Personen im Vergleich zum deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Besteuerung auf Unternehmensebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Besteuerung auf Gesellschafterebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI

Inhaltsverzeichnis

Peter Riedweg Vor- und Nachteile des schweizerischen Steuerrechts für Unternehmen und natürliche Personen im Vergleich zum deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. B. C. D.

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XII

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinn- und Kapitalsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkommens- und Vermögenssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschafts- und Schenkungssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?* Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn

Inhaltsübersicht A. Ausgangslage .................................... 1 B. Wohin entwickelt sich die deutsche Unternehmenssteuerpolitik? .............................................. 2 I. Rückblick: Deutsche Steuerpolitik und internationale Wettbewerbsfähigkeit, Europafreundlichkeit und Neutralität ... 2 II. Suche nach neuen Einnahmequellen und nach Gerechtigkeitssymbolen, Renationalisierung und Inkaufnahme des Abbaus internationaler Wett-

bewerbsfähigkeit als neue Koordinaten deutscher Steuerpolitik? ........................................ 3 C. Wohin entwickeln sich die europäischen steuerpolitischen Rahmenbedingungen? ...................... 8 I. Rückblick: Europäische Steuerpolitik mit dem Ziel der Binnenmarktförderung ............... 8 II. Closing the European Tax Gap als neue Hauptaufgabe europäischer Steuerpolitik? ............... 9 D. Zusammenfassung ......................... 11

A. Ausgangslage Wir leben in wirtschaftlich unruhigen Zeiten. Auf der einen Seite befinden wir uns in einer massiven Staatsschuldenkrise. Europa steht am Scheideweg. Auf der anderen Seite befinden wir uns in der Situation historisch hoher Steuereinnahmen. Wir haben eine prosperierende Konjunktur und historisch niedrige Zinsen. Die Lösung der Staatsschuldenkrise soll in der Euro-Zone vor allem durch Stützungsmaßnahmen (letztlich auch in Form von Zahlungen) der starken Staaten, insbesondere auch durch Deutschland, gegen das Versprechen von Struk_____________ * Vortragsfassung.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

turreformen in den Nehmerstaaten gesucht werden. Realistischerweise bedeutet dies gravierende Transfers insbesondere in südeuropäische Staaten. Weniger sicher ist es dagegen, ob und inwieweit bei den involvierten Bürgern und Staaten die Bereitschaft zur Unterstützung und zum Verzicht auf Souveränitätsrechte besteht. Vor diesem Hintergrund wird, auch wenn wir derzeit noch keine gesteigerten Staatshaushaltsdefizite haben, allgemein erwartet, dass es in den nächsten Jahren auch in Deutschland zu gesteigerten Staatshaushaltsdefiziten kommen wird. Deshalb wird mit einem Druck auf höhere Steuereinnahmen, einem Druck auf die Staatsausgaben und – da auch zunehmende Notenbankfinanzierung von Haushaltsdefiziten zu erwarten ist – mit mehr Inflation gerechnet. Das ist die Grundlage, auf der sich die derzeitige Debatte über die Entwicklung des Unternehmenssteuerrechts und der Unternehmenssteuerpolitik entfaltet. Aus der Sicht eines steuerlichen Beraters soll mit Blick darauf nachstehend folgenden zentralen Fragen nachgegangen werden: Wohin entwickelt sich die deutsche Unternehmenssteuerpolitik? Wohin entwickeln sich die europäischen steuerpolitischen Rahmenbedingungen? Wo sind die Befindlichkeiten und Sorgen in der Praxis der Wirtschaft besonders groß?

B. Wohin entwickelt sich die deutsche Unternehmenssteuerpolitik? I. Rückblick: Deutsche Steuerpolitik und internationale Wettbewerbsfähigkeit, Europafreundlichkeit und Neutralität Kardinal in der Entwicklung der deutschen Unternehmenssteuerpolitik war die Steuerreform 2000/2002 mit der Etablierung des neuen Körperschaftsteuersystems. Die Einführung von § 8b KStG und – verzögert – des vollen Beteiligungsaufwandsabzugs waren ebenso wie die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens Ausdruck internationalen Denkens und von Europafreundlichkeit. Der Steuergesetzgeber hat dadurch einen der wichtigsten Beiträge zur erfolgreichen Globalisierung der deutschen Wirtschaft geleistet. Außerdem wurde zu Beginn des neuen Jahrtausends die Rechtsformneutralität der Besteuerung verbessert. In der Folge ist dann auch noch das Steuersatzniveau als Ausdruck des Bemühens um das Gewinnen internationaler Wettbewerbsfähigkeit vor allem für Kapitalgesellschaften abgesenkt worden. 2

Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

Den Höhepunkt der Europafreundlichkeit der deutschen Steuerpolitik bildete die Europäisierung des Umwandlungssteuerrechts durch das SEStEG 2006. Der zwischenzeitlich zu verzeichnende Paradigmenwechsel – pointiert gesprochen die steuerpolitische Abkehr von Europafreundlichkeit und steuerrechtlichem Systemdenken – wurde in 2008 eingeleitet. Der Körperschaftsteuersatz wurde zwar unter der großen Koalition im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit weiter gesenkt. Auch wurden mit der „fremderzwungenen“ Änderung des Erbschaftsteuerrechts (großzügige) Präferenzen für Unternehmen eingeführt. Daneben sind aber auch zentrale Verschärfungen zu nennen, etwa die Einführung von § 8c KStG, der Zinsschranke und der Regeln zur Funktionsverlagerungsbesteuerung. Der Druck auf den EuGH nahm zu, und es war eine zunehmende Abwehrgesetzgebung gegen europäische Einflüsse zu beobachten. Die Steuerrechtskultur nahm Schaden, indem jeder Steuerpflichtige, sobald er sich gestaltend auf die steuerlichen Rahmenbedingungen einzustellen versucht, als Gegner des Staates begriffen wurde, und steuerlich grundlegende Prinzipien, wie etwa das Nettoprinzip, steuerpolitisch als belanglos eingestuft wurden1. Dementsprechend verband die Wirtschaft mit dem Regierungswechsel zur jetzigen Koalition die durch den Koalitionsvertrag bestärkte Hoffnung einer Rückkehr zu mehr steuerrechtlichem Systemdenken, einem internationaleren Blick, größerer Europafreundlichkeit und einem kooperativeren Miteinander mit den Steuerpflichtigen. Umgesetzt wurden jedoch bisher lediglich gewisse Erleichterungen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz, vor allem bei § 8c KStG, der Zinsschranke und der Funktionsverlagerungsbesteuerung (s. auch sogleich).

II. Suche nach neuen Einnahmequellen und nach Gerechtigkeitssymbolen, Renationalisierung und Inkaufnahme des Abbaus internationaler Wettbewerbsfähigkeit als neue Koordinaten deutscher Steuerpolitik? Der Koalitionsvertrag enthielt neben den im Wachstumsbeschleunigungsgesetz umgesetzten Punkten drei wesentliche Vorhaben: Die Neustrukturierung der Verlustverrechnung durch Abschaffung oder zumindest Entschärfung der Mindestbesteuerung, durch Ersetzung von § 8c _____________ 1 Exemplarisch s. die Thesen von Staatssekretär im BMF Nawrath, DStR 2009, 2 ff.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

KStG und durch Etablierung einer Regelung zu Auslandsverlusten, die Einführung einer modernen Gruppenbesteuerung und die Neuordnung der Gemeindefinanzierung, insbesondere die Ersetzung der Gewerbesteuer durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie einen kommunalen Anteil an der Lohnsteuer und/oder einen höheren Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer. Dies alles ist nicht umgesetzt worden. Stattdessen wurden neue Steuern geschaffen oder wird über solche nachgedacht (z. B. Brennelementesteuer, Luftverkehrsabgabe, Bankenabgabe, Finanztransaktionssteuer). Es gibt den Ruf nach einer Vermögensteuer, nach einmaligen Vermögensabgaben, einer Verschärfung der Erbschaftsteuer, die Forderung nach Steuersatzerhöhungen beim Einkommensteuerspitzensatz und Abgeltungssteuersatz (auch im geplanten Steuerabkommen mit der Schweiz), die Debatte über die teilweise Abschaffung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes und die z. T. drastische Erhöhung der GrundsteuerHebesätze. Erörtert werden Maßnahmen zur Bekämpfung von Verlusten und Fremdfinanzierung (beispielhaft seien aus dem sog. 12-Punkte-Plan die Nichtanerkennung des debt push down auf die erworbene Gesellschaft beim sog. Leveraged Buyout [LBO] und die Versagung des Verlustübergangs bei Verschmelzung einer Gewinn- auf eine Verlustgesellschaft genannt). Und zunehmend zu beobachten ist der Versuch, die Steuerwälle bei internationalen Sachverhalten zu verstärken. Dies zeigt sich etwa in der im 12-Punkte-Plan beabsichtigten Regelung zur (weitgehenden Nicht-)Berücksichtigung von Auslandsverlusten, aber auch bei den geplanten Verschärfungen der Entstrickungsregelungen, dem geplanten separate-entity-approach bei Betriebsstätten (§ 1 Abs. 5 AStG), der Hinzurechnungsbesteuerung und den verschiedenen abkommens-überschreibenden Regelungen (Treaty Overrides) in § 50d EStG. Hinzu kommt eine spürbare Verschärfung der DBA-Politik. Erkennbar wird dies bspw. an den jüngeren wichtigen Abkommen (z. B. DBA Großbritannien), bei denen die Anwendung der Freistellungsmethode unter subject-to-tax-Vorbehalten steht und umfangreiche switch-over-Klauseln enthalten sind. Das angekündigte deutsche (nicht: europäische) Musterabkommen wird voraussichtlich ebenfalls in diese Richtung weisen. 4

Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

Zur weiteren Verdeutlichung der beschriebenen Tendenz sind aus dem Kreis der aktuell in der Diskussion stehenden Gesetzesentwürfe und Gesetzesvorhaben folgende wichtige Beispiele zu nennen (die zum Teil auch noch in den weiteren Vorträgen des heutigen Tages vertieft behandelt werden): Der Vorschlag des Bundesrats, im JStG 2013 die Anwendung von § 8b Abs. 1 und Abs. 2 KStG für Streubesitzanteile auszuschließen2 Beteiligungen einer Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft unter 10 % würden danach nicht mehr von § 8b Abs. 1 und Abs. 2 KStG profitieren. Dies soll nach dem Gesetzesvorschlag rückwirkend ab dem 1.1.2012 gelten. Allein durch diesen Vorschlag ist es in der Praxis bereits zu massiven Anpassungsreaktionen gekommen. Folge einer solchen Regelung wird sein, dass die (Streubesitz-)Anteile künftig über Auslandsholdings gehalten werden. Die Verschärfung bei der Unternehmenserbschaftsteuer im JStG 20133 Auslöser ist die auch über die Tagespresse kommunizierte Gestaltung mit sog. Cash-GmbHs, die natürlich von der Intention der Präferenzierung für Unternehmensvermögen im Erbschaftsteuerrecht nicht gedeckt ist. Die geplanten Änderungen schießen aber weit über ihr Ziel hinaus. Familienunternehmen werden es mit einer solchen Regelung schwer haben, die Unternehmenspräferenz zu erhalten (zumal es zusätzlich auch noch denkbar ist, dass der BFH in Kürze die ErbSt-Präferenz für Unternehmensvermögen dem BVerfG vorlegen wird). Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil die Unternehmenserbschaftsteuer ein ganz kritischer Punkt für viele Familienunternehmer ist, der sehr emotional betrachtet und als Symbol gewertet wird, an dem deutlich wird, wie der Steuerstaat mit den Steuerpflichtigen, die Wertschöpfung im Land generieren, umgeht. Der angekündigte Entwurf eines Gesetzesvorschlags zur Wiedereinführung der Vermögensteuer4 durch die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hamburg Ein erster Entwurf ist der Fachöffentlichkeit seit etwa Februar 2012 bekannt. Geplant ist danach ein Steuersatz i. H. v. 1 % auf den Verkehrswert (i. S. d. BewG), der jährlich wie bei der Erbschaftsteuer ermittelt _____________ 2 Siehe hierzu den Beitrag von Schönfeld, S. 27. 3 Siehe dazu den Beitrag von Hannes, S. 119. 4 Siehe dazu den Beitrag von Welling/Wünnemann, S. 139.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

werden soll. Steuersubjekte sind natürliche und juristische Personen, während Personengesellschaften transparent behandelt werden. Bei inländischen Kapitalgesellschaften und deren Gesellschaftern kommt es jeweils zu einem halben Vermögensansatz (Halbvermögensprinzip). Eine Schachtelbefreiung ist nur für Anteile von inländischen Kapitalgesellschaften an inländischen Kapitalgesellschaften vorgesehen. Anders als bei der Erbschaftsteuer findet sich keine Präferenzierung für Unternehmensvermögen. Der persönliche Freibetrag für natürliche Personen beträgt 2 Mio. Euro, der jedoch (um 50 % des übersteigenden Betrags) bis auf 0,5 Mio. Euro abgeschmolzen wird. In internationalen Sachverhalten unterfällt der unbeschränkt Steuerpflichtige mit seinem Weltvermögen der Vermögensteuer. Er kann eine ausländische Vermögensteuer aber grds. anrechnen. Im DBA-Fall findet i. d. R. eine Freistellung von der deutschen Vermögensteuer bei ausländischem Betriebsvermögen, ausländischem Grundbesitz und bei ausländischen Schachtelbeteiligungen statt. Beschränkt Steuerpflichtige sind mit ihrem Inlandsvermögen i. S. v. § 121 BewG vermögensteuerpflichtig, wobei auch hier ggf. Beschränkungen durch ein DBA zu beachten sind. Das VStG soll ab 2014 erstmalig Anwendung finden. Geplant wird mit einem steuerlichen Mehraufkommen i. H. v. 11,5 Mrd. Euro. Der Gesetzesentwurf prognostiziert insoweit keinen Verwaltungsmehraufwand. Der Entwurf zur Wiedereinführung der Vermögensteuer wirft eine ganze Reihe von Fragen und Problemen auf. Zunächst ist das auf die Beteiligung an inländischen Kapitalgesellschaften begrenzte Schachtelprivileg offensichtlich europarechtswidrig. Es scheint, als sei die europarechtliche Debatte der letzten 15 Jahre an den vorschlagenden Bundesländern vorbeigegangen. Ein weiteres Problem bringt die fehlende vermögensteuerliche Organschaft mit sich. Stellt man sich den typischen DAXKonzern vor, hat dieser in der Muttergesellschaft organschaftlich verbundene Beteiligungen und Schulden. Der Schuldenabzug läuft hier ins Leere, da (jedenfalls) die Inlandsbeteiligung schachtelprivilegiert und eine vermögensteuerliche Organschaft nicht vorgesehen ist. Die Verkehrswertermittlung von Unternehmen, aber auch von vielen privaten Vermögensgegenständen ist massiv streitanfällig. Aber auch abgesehen davon wäre der administrative Aufwand zur Ermittlung und Erhebung der Vermögensteuer enorm, führt man sich einmal die in der Praxis nicht seltene mehrjährige Dauer der finanzamtsseitigen Abwicklung der erbschaftsteuerlichen Bewertung bei komplizierten Unternehmensvermögensübertragungen vor Augen. Dies gilt umso mehr, wenn das Gesetz letztlich tatsächlich eine jährliche Bewertung vorsehen würde. 6

Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

In ihrer Wirkung führt die Vermögensteuer zu einer erheblichen Substanzbesteuerung. Bestenfalls wirkt sie wie eine massive Erhöhung der Ertragsteuer, im schlechtesten Fall ist sie ein Krisenbeschleuniger par excellence. Die Auswirkungen lassen sich anhand einfacher Beispiele illustrieren: Der Privatvermögende erhält auf seine Anleihe heute eine Verzinsung von 1 %. Hierauf zahlt er 25 % Ertragsteuern (ohne Solidaritätszuschlag) und zusätzlich dann 1 % Vermögensteuer. Die Gesamtsteuerbelastung beträgt wirtschaftlich betrachtet 125 % auf den Ertrag. Außerdem können je nach Fall Erbschaftsteuer (ohne Unternehmenspräferenz) und Vermögensteuer innerhalb einer Generation zu einer 60-prozentigen Steuer auf die Substanz führen, nämlich 30 x 1 % Vermögensteuer und 30 % Erbschaftsteuer. Die Vermögensteuer, so wie sie in dem Entwurf ausgestaltet ist, würde deshalb massive Anpassungsreaktionen auslösen. Natürliche Personen werden sich durch einen steuerlichen Wegzug aus Deutschland verabschieden, um zumindest die unbeschränkte Vermögensteuerpflicht zu vermeiden. Der Wegzug wird auch Unternehmensspitzen betreffen oder Zwischenholdings. Vermögen wird aus Deutschland abgezogen werden. Zur Nutzung abkommensrechtlicher Schachtelprivilegien wird zunehmend die deutsche Unternehmensaktivität fremdfinanziert und das Eigenkapital in die ausländischen Tochtergesellschaften verlagert werden. Die Umsetzung des separate-entity-approach für Betriebsstätten im JStG 20135 Geregelt werden soll die Anwendung des § 1 AStG auf sog. anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Für den Fremdvergleich ist die Betriebsstätte danach wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung. Konsequenz dieser Rechtsänderung wird eine deutlich gesteigerte Rechtsunsicherheit sein. Die (wenigen) Unternehmen, die mit Betriebsstättenstrukturen arbeiten, werden ihre Situation überdenken und ggf. den Aufbau einer Kapitalgesellschaftsstruktur vorantreiben. Angesichts der von den Fisci beklagten „Gestaltbarkeit“ von (angemessenen) Verrechnungspreisen zwischen Kapitalgesellschaften ist die geplante „Annäherung“ von Betriebsstätten an Kapitalgesellschaften auch eher überraschend. _____________ 5 Siehe hierzu den Beitrag von Ditz, S. 77.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

Die geplante sog. kleine Organschaftsreform Aus Sicht der Wirtschaft hinsichtlich ihrer Zielsetzung im Kern positiv zu bewerten ist die geplante sog. kleine Organschaftsreform (im Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung)6. Dort finden sich v. a. Formalerleichterungen zur Frage der Formulierung des Ergebnisabführungsvertrags und dessen Durchführung, aber auch – durch die BFH-Rechtsprechung ausgelöste – neue Regelungen zu Fragen der grenzüberschreitenden Organschaft. Allerdings gibt es im Detail noch umfassenden zwingenden Nachbesserungsbedarf. Und: Die Diskussion um eine Gruppenbesteuerungsreform wird hierdurch keineswegs obsolet.

C. Wohin entwickeln sich die europäischen steuerpolitischen Rahmenbedingungen? I. Rückblick: Europäische Steuerpolitik mit dem Ziel der Binnenmarktförderung Die europäische (Unternehmens-)Steuerpolitik war bislang v. a. geprägt durch das Ziel der Förderung des Binnenmarkts, aber auch den Abbau der steuerlichen Benachteiligung internationaler (hier: europäischer) Wirtschaftstätigkeit und den Abbau von Doppelbesteuerungen. Als sekundäres Unionsrecht ist hier etwa die Fusions- und Mutter-TochterRichtlinie aus 1990 und die Zins- und Lizenzgebühren-Richtlinie aus 2003 hervorgebracht worden. Und auch der EuGH hat seit Anfang der 90er-Jahre die nationalen Unternehmenssteuerrechte durch seine Urteile zu den Auswirkungen der Grundfreiheiten gravierend beeinflusst. Die europäischen Impulse sind inzwischen allerdings deutlich schwächer geworden. Die wichtigen Richtlinien sind verhältnismäßig alt. Dass gewichtige neuere Vorhaben in absehbarer Zeit umgesetzt werden könnten, ist nicht absehbar. Und auch in der Rechtsprechung des EuGH ist inzwischen eine deutlich größere Zurückhaltung aufgrund des Drucks wichtiger Mitgliedstaaten zu verspüren. Insbesondere hat das Projekt der Common Consolidated Corporate Tax Base (CCCTB) derzeit keine realistische Umsetzungsperspektive, auch wenn der Richtlinienentwurf unter der dänischen Präsidentschaft fortentwickelt worden ist. Und auch die deutsch-französische Körperschaft_____________ 6 Siehe hierzu den Beitrag von Rödder, S. 15.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

steuer-Initiative mit der (politischen) Aussage der Angleichung der Bemessungsgrundlagen in beiden Staaten ist inzwischen praktisch leerläufig gestellt.

II. Closing the European Tax Gap als neue Hauptaufgabe europäischer Steuerpolitik? Die vorstehend skizzierte, eher retardierende Tendenz in der Verfolgung des ursprünglichen Kernziels der europäischen Steuerpolitik, der Förderung des Binnenmarkts, geht einher mit einer Trendwende auf europäischer Ebene. Die Bekämpfung von als ungerechtfertigt angesehenen Steuerausfällen gerät mehr und mehr auch in das Zentrum der europäischen Steuerpolitik. So haben die europäischen Staatschefs im März 2012 betont, dass Steuerpolitik ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung sei und es steuerpolitisch primär um die Beseitigung ungerechtfertigter Steuerbegünstigungen, die Verbreiterung von Bemessungsgrundlagen und um die Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung gehe. Daran anknüpfend hat die EU-Kommission im Mai 2012 auf den Report „Closing the European Tax Gap“7 Bezug genommen. In diesem Bericht wird von geschätzten 860 Mrd. Euro Mindersteuereinnahmen durch Steuerhinterziehung und -umgehung gesprochen sowie davon, dass durch die Schließung der Steuerlücke die staatlichen Haushalte ohne Steuererhöhungen saniert werden könnten. Dies ist nicht unproblematisch. Zwar ist die Bekämpfung von Steuerhinterziehung eine Selbstverständlichkeit und jede Unterstützung wert. Problematisch ist aber, was als Steuerumgehung und Steuerbegünstigung gelten soll. Im unternehmerischen Bereich werden diese Themen vor allem mit den Themen Verrechnungspreise, weiße Einkünfte und Verlagerung von Einkünften in Niedrigsteuerländer in Verbindung gebracht. Und die Grundfreiheiten werden zum Teil als Ursache für Steuerumgehung und -begünstigung angesehen, was geändert werden müsse. Dies würde, wenn so die neue Hauptaufgabe europäischer Steuerpolitik verstanden würde, eine gravierende Änderung der Koordinaten bedeuten. Dann wäre nämlich nicht mehr die Förderung des Binnenmarktes, _____________ 7 http://www.socialistsanddemocrats.eu/gpes/media3/documents/3842_EN_richard_ murphy_eu_tax_gap_en_120229.pdf.

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Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

des Abbaus der steuerlichen Benachteiligung internationaler (hier: europäischer) Wirtschaftstätigkeit und des Abbaus von Doppelbesteuerungen das Hauptziel europäischer Steuerpolitik. Vielmehr würde der Ruf nach höheren nationalen Steuerbarrieren den Binnenmarkt und die Internationalisierung der Unternehmen beschädigen. Der Blick auf Einkünfteverlagerung und weiße Einkünfte etc. würde den Blick für Doppelbesteuerungsrisiken, überbordende Exit Taxation, vagabundierende Aufwendungen etc. versperren. Der bisherige europäische Gedanke würde umgekehrt. Das Risiko, dass sich die Dinge zunehmend in diese Richtung entwickeln werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Weniger realistisch ist dagegen das Begründen von die Unternehmensbesteuerung betreffenden Steuererhebungsrechten auf europäischer Ebene. Zwar wäre es in Anbetracht der europäischen Staatsschuldenkrise und der Diskussion um einen Fiskalpakt eigentlich nicht fernliegend, auch darüber nachzudenken (z. B. über einen EU-Steuerzuschlag zu den nationalen Ertragsteuern o. Ä.). Aktuell ist dafür aber keine politische Bereitschaft erkennbar. Lediglich über eine europäische Finanztransaktionssteuer in einigen Staaten der Euro-Zone wird geredet. Auch läge es angesichts der Schritt für Schritt erfolgenden Verabschiedung von Elementen einer europäischen Transferunion eigentlich naheliegend, wenn zu den Auflagen, die man einem Empfängerstaat macht, eine Mindestanpassung seines Steuersystems bezogen auf die Mindeststeuersätze und die Steuererhebungsrealität gehören würde. Aber auch solche Ideen sind derzeit in der politischen Diskussion nur in Ansätzen erkennbar. Aus heutiger Sicht ist es vielmehr wahrscheinlich, dass die Fiskalunion noch auf viele Jahre eine steuerliche Leerformel bleibt. Es gilt: The power to tax is the power to govern. Deutschland wird voraussichtlich lediglich versuchen, den Steuerwettbewerb in Europa weiter einzudämmen und insoweit vor allem Symbolpolitik betreiben. Die Tendenz geht eher in Richtung einer Enteuropäisierung der Steuerpolitik. Dies könnte zu einem echten Problem werden, da die Enteuropäisierung der Steuerpolitik nicht mit einer Transferunion kompatibel sein dürfte. Eine Transferunion könnte eine Mindestanpassung des Steuersystems in Bemessungsgrundlage und Steuersätzen incl. der Steuererhebungsrealität in den Empfängerstaaten voraussetzen, da ansonsten Steuererhöhungen in den Geberländern (auch) zur Finanzierung des Transfers nicht vermittelbar sein könnten. 10

Rödder – Wohin entwickelt sich das deutsche Unternehmenssteuerrecht?

D. Zusammenfassung Die europäische Staatsschuldenkrise wird zu einer gesteigerten Beanspruchung der nationalen Haushalte führen. Für die deutsche Unternehmenssteuerpolitik bedeutet dies zweierlei: Die Zeit der Steuerreduktionen aus Wettbewerbsgründen ist vorbei. Zentrales Thema wird die Suche nach neuen Einnahmequellen des Staates sein. Die aktuelle Debatte über die Wiedereinführung der Vermögensteuer steht sozusagen stellvertretend für diese Tendenz. Auch Europafreundlichkeit der deutschen Unternehmenssteuerpolitik gehört eher der Vergangenheit an. Parallel besteht auf europäischer Ebene das Risiko, dass nicht mehr die Förderung des Binnenmarkts, des Abbaus der steuerlichen Benachteiligung internationaler (hier: europäischer) Wirtschaftstätigkeit und des Abbaus von Doppelbesteuerungen das Hauptziel europäischer Steuerpolitik ist, sondern die Bekämpfung von als ungerechtfertigt angesehenen Steuerausfällen. Eine verstärkte Europäisierung der Steuerpolitik ist derzeit nicht zu erwarten. Die Fiskalunion wird voraussichtlich noch viele Jahre eine steuerliche Leerformel bleiben. Deutschland wird lediglich versuchen, Steuerwettbewerb in Europa weiter einzudämmen und insoweit vor allem Symbolpolitik betreiben. Die Tendenz geht eher in die Richtung einer Enteuropäisierung und Renationalisierung der Steuerpolitik.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Möhlenbrock berichtete, dass sich dem Vernehmen nach die „Vier-Präsidenten-Gruppe“1 zwar wohl nicht mit der Frage der Einführung von „EU-Steuern“, wohl aber mit den Themen Unternehmenssteuern und insbesondere Steuerharmonisierung und Mindeststeuersätze beschäftigen wird. Erste Ergebnisse seien hier bis Jahresende zu erwarten. Dem von Rödder bezeichneten möglichen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit durch die Erhöhung von Steuern in Deutschland entgegnete Möhlenbrock, dass Steuererhöhungsdiskussionen in vielen Mitgliedstaaten geführt würden und die Zeichen eher für eine Steuerharmonisierung sprächen, die auch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit vermeiden könne. Steuerharmonisierung bedeute im Übrigen einen Akt zur Stärkung des Binnenmarkts. Weiter wies Möhlenbrock darauf hin, dass die Diskussion um die CCCTB auf europäischer Ebene weitergeführt werde, die Schwerpunktbildung im Rahmen der Diskussion der Ratsarbeitsgruppen aber von den jeweiligen Präsidentschaften abhänge.

_____________ 1 Die Gruppe besteht bislang aus van Rompuy (Präsident des Europäischen Rates), José Manuel Barroso (Präsident der EU-Kommission), Jean-Claude Juncker (Vorsitzender der Euro-Gruppe) und Mario Draghi (Präsident der EZB). Die Gruppe hatte von den Mitgliedstaaten der Euro-Zone am 29.6. den Auftrag erhalten, einen Fahrplan für eine Wirtschafts- und Währungsunion zu entwickeln.

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Kleine Organschaftsreform* Prof. Dr. Thomas Rödder Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Bonn

Inhaltsübersicht A. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht der Wirtschaft ....................................... 15 B. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht des Fiskus .............................................. 16 C. Ziele einer neuen Gruppenbesteuerung .................................... 16 D. Das Scheitern der Gruppenbesteuerungsreform ........................ 17 E. Angedachte Kleine Organschaftsreform ............................................. 17 I. Gesetzesvorschlag zur Formulierung der Verlustübernahmeverpflichtung in EAV mit GmbH ........................................ 18

II. Gesetzesvorschlag zur erforderlichen Durchführung des EAV ............................................ III. Eigener Vorschlag zu den Anforderungen an Formulierung und Durchführung des EAV bzw. allgemeiner die Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen .................................. IV. Gesetzesvorschlag zu Sonderfragen der grenzüberschreitenden Organschaft ........................ V. Gesetzesvorschlag zum Verfahrensrecht ..............................

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A. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht der Wirtschaft Das derzeit geltende Organschaftsrecht ist aus Sicht der Wirtschaft mit verschiedensten Problemen behaftet. Im Mittelpunkt steht, dass die Wirksamkeit einer steuerlichen Organschaft von der international unüblichen Voraussetzung des Gewinnabführungsvertrags (GAV) abhängt, der streitanfälligen Formalerfordernissen genügen muss und hierdurch als Organschaftsvoraussetzung eine enorme Komplexität bewirkt hat. Die Voraussetzung eines GAV führt zudem zu einem zivilrechtlichen (begrenzten) Haftungsverbund in Form der handelsbilanziellen Verlustausgleichspflicht und einem nach_____________ * Vortragsfassung.

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vertraglichen Gläubigeranspruch auf Sicherheitsleistung. Über das Erfordernis eines GAV besteht auch ein grds. handelsrechtlicher Ergebnisverwendungszwang sowie ggf. die Pflicht zu Abfindungsangeboten und Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter. Wegen vor- und innerorganschaftlich verursachter Mehr- und Minderabführungen, die in der Praxis immer bedeutsamer werden, wird überdies die Bestimmung der steuerlichen Folgen des Ergebnistranfers zunehmend komplexer. Die Begrenzung der Organschaft auf das Inland führt insbes. mit Blick auf Auslandsverluste zu Nachteilen.

B. Hauptprobleme des derzeitigen Organschaftsrechts aus Sicht des Fiskus Aus Sicht des Fiskus ergibt sich im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH1 das Risiko der Einkommens- und Gewerbeertragszurechnung zu einem in Deutschland nicht steuerpflichtigen Organträger. Auch die denkbare Zurechnung von Verlusten aus ausländischen EU-/EWRTochterkapitalgesellschaften ist aus Fiskalsicht ein Risiko. Und im Bereich der innerorganschaftlich verursachten Mehrabführungen wird die steuerfreie temporäre Vollausschüttungsmöglichkeit mit passiven Ausgleichsposten genauso als Problem angesehen wie das Risiko der unvollständigen einkommensteuerlichen Nachversteuerung körperschaftsteuerlich vorbelasteter Gewinne.

C. Ziele einer neuen Gruppenbesteuerung Aus den aus Sicht der Wirtschaft und des Fiskus bestehenden Problemen und Risiken der Organschaft ergeben sich die Ziele für eine neue Gruppenbesteuerung2. Die neue Gruppenbesteuerung sollte möglichst weitgehend von gesellschaftsrechtlichen Anforderungen entkoppelt sein und eine sachgerechte Vereinfachung der Besteuerung des Ergebnistransfers bei Vermeidung der aus Fiskalsicht problematischen Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringen. Angestrebt ist überdies einerseits die Sicherstellung des deutschen Besteuerungsrechts, wo dies gerechtfertigt ist, andererseits die _____________ 1 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106, dazu stv. Rödder/Schönfeld, DStR 2011, 886; Gosch, BFH-PR 2011, 266. 2 S. nur stv. Rödder, Ubg 2011, 473.

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Berücksichtigung von (finalen) Auslandsverlusten, wo dies steuersystematisch geboten ist. Auch im Übrigen sollte eine möglichst weitgehende Vereinfachung der Gruppenbesteuerung geschaffen werden.

D. Das Scheitern der Gruppenbesteuerungsreform Eine Gruppenbesteuerungsreform schien in greifbarer Nähe, bevor das steuerpolitische Vorhaben – leider – letztlich im Juli 2012 scheiterte. Bereits der Koalitionsvertrag enthielt das Ziel, das derzeitige Organschaftsrecht durch eine moderne Gruppenbesteuerung zu ersetzen. In der Folgezeit wurden drei Modelle zur Reform der Gruppenbesteuerung entwickelt (sog. IFSt-Modell3, Einkommenszurechnungsmodell und Gruppenbeitragsmodell), die von der Finanzverwaltung in ihren sog. Prüfergebnissen vom 10.11.2011 beurteilt wurden. Das Grünbuch der Deutsch-Französischen Zusammenarbeit „Konvergenzpunkte bei der Unternehmensbesteuerung“ aus dem Februar 2012 sah die Abschaffung des GAV als eine der Maßnahmen vor, um deutsches und französisches Körperschaftsteuerrecht einander anzugleichen. Entsprechende Ausführungen fanden sich auch im Zwölf-Punkte-Papier vom 14.2.2012. Dann aber entschwand der politische Wille für eine Gruppenbesteuerungsreform.

E. Angedachte Kleine Organschaftsreform Statt einer Gruppenbesteuerungsreform gibt es aktuell den BMF-Diskussionsentwurf4 eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung, der formale Erleichterungen bei der Formulierung und Durchführung des GAV sowie neue Regelungen zu Fragen der grenzüberschreitenden Organschaft enthält. Der Entwurf ist zum Teil gelungen, zum Teil aber mit Gewissheit in gravierenden Punkten nachbesserungsbedürftig. Da er erst wenige Tage alt ist, wird er nachfolgend vorgestellt und nur initial kommentiert.

_____________ 3 S. z. B. IFSt-Schrift Nr. 471 (2011) und Rödder, Ubg 2011, 473. 4 Jetzt: Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP v. 25.9.2012, BTDrs. 17/10774 (aus diesem wird hier zitiert).

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I. Gesetzesvorschlag zur Formulierung der Verlustübernahmeverpflichtung in EAV mit GmbH Die im Diskussionsentwurf vorgesehene Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG betrifft die Frage, wie eine Verlustübernahmeverpflichtung im Rahmen des GAV mit GmbH formuliert sein muss, damit eine Organschaft zustande kommt. Die vorgeschlagene Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 lautet: „… eine Verlustübernahme durch Verweis auf die Vorschriften des § 302 des Aktiengesetzes in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart wird.“

Die Neufassung verlangt damit für die Wirksamkeit der steuerlichen Organschaft einen dynamischen Verweis auf den gesamten § 302 AktG. Dies stellt eine deutliche Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage. In der Praxis findet sich in den GAV überwiegend keine solche dynamische Verweisung. Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und sieht hierfür folgende Übergangsregelung vor: „§ 17 Satz 2 Nummer 2 n. F. ist erstmals auf Gewinnabführungsverträge anzuwenden, die nach dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes abgeschlossen oder geändert werden. Fehlt einem Gewinnabführungsvertrag, der vor diesem Zeitpunkt wirksam abgeschlossen wurde, der Verweis auf § 302 des Aktiengesetzes in der jeweiligen gültigen Fassung, steht dies der Anwendung der §§ 14 bis 16 für Veranlagungszeiträume, die vor dem 31. Dezember 2014 enden, nicht entgegen, wenn eine Verlustübernahme entsprechend § 302 des Aktiengesetzes tatsächlich erfolgt ist und der Gewinnabführungsvertrag bis zum Ablauf des 31. Dezember 2014 wirksam korrigiert wird.“

Dennoch bedeutet die Neuregelung einen erheblichen Formalaufwand, da die meisten GAV derzeit keinen dynamischen Verweis auf § 302 AktG enthalten und diese entsprechend bis Ende 2014 geändert werden müssen. Das ist vor allem für börsennotierte Organträger unangenehm, da der GAV grds. durch die Hauptversammlung muss. Sog. „räuberische Aktionäre“ könnten dies auszunutzen versuchen.

II. Gesetzesvorschlag zur erforderlichen Durchführung des EAV Eine weitaus komplexere Neuregelung wird zur Frage vorgeschlagen, wann ein GAV durchgeführt ist. Die vorgeschlagene Neufassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG lautet:

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„Der Gewinnabführungsvertrag gilt auch als durchgeführt, wenn der abgeführte Gewinn oder ausgeglichene Verlust auf einem Jahresabschluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze enthält, sofern a) der Jahresabschluss wirksam festgestellt ist, b) die Fehlerhaftigkeit bei Erstellung des Jahresabschlusses unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkannt werden können und c) der Fehler spätestens in dem nächsten nach dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Fehlers aufzustellenden Jahresabschluss der Organgesellschaft und des Organträgers korrigiert und das Ergebnis entsprechend abgeführt oder ausgeglichen wird. Die Voraussetzung des Buchstaben b gilt bei Vorliegen eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks nach § 322 Absatz 3 des Handelsgesetzbuches oder der Bescheinigung eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers über die Erstellung eines Jahresabschlusses mit umfassenden Beurteilungen als erfüllt.“

Nach der begleitenden Übergangsregelung soll § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG n. F. auch für VZ vor 2013 anzuwenden sein. Das Bemühen um eine gesetzliche Regelung in der Frage der „Durchführung“ des GAV ist zwar grds. positiv zu werten. Der Lösungsvorschlag ist jedoch deutlich zu eng und z. T. unklar geraten. Bspw. stellt sich die Frage, was „fehlerhafte Bilanzansätze“ sind. Wäre z. B. auch die Frage der schädlichen Rücklagenbildung in der Organgesellschaft erfasst? Wie sähe es in dem Fall aus, dass ein Jahresüberschuss ohne vorherigen Ausgleich vororganschaftlicher Verluste abgeführt wird (soll nach der Begründung des Diskussionsentwurfs erfasst sein – m. E. zweifelhaft)? Probleme bei der zivilrechtlichen Wirksamkeit des GAV wie auch bspw. bei der Vereinbarung und Durchführung von Ausgleichszahlungen, bei der Vereinbarung atypisch stiller Beteiligungen mit der Organgesellschaft und bei der Erfüllung von Gewinnabführungs- bzw. Verlustübernahmeverpflichtung dürften eindeutig nicht erfasst sein. Außerdem soll nach der Entwurfsfassung wohl auch ein subjektiv richtiger, aber objektiv fehlerhafter Bilanzansatz in der Handelsbilanz korrigiert werden müssen. Dies ist weit überschießend, da eine subjektiv richtige, aber objektiv fehlerhafte Handelsbilanz handelsbilanzrechtlich zutreffend ist und gerade nicht korrigiert werden muss. Der Entwurf würde insoweit ohne Not eine neue Form einer umgekehrten Maßgeblichkeit schaffen, was völlig unverständlich wäre.

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Auch das Merkmal des „Bekanntwerden des Fehlers“ wirft verschiedene Auslegungsfragen auf: Wann ist ein Fehler bekannt? Wer stellt das fest? usw. Hier bedarf es einer operationalen und justiziablen Regelung. Nicht zu unterschätzen ist auch der Aufwand, die Handelsbilanz zu korrigieren.

III. Eigener Vorschlag zu den Anforderungen an Formulierung und Durchführung des EAV bzw. allgemeiner die Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen Nach der hier vertretenen Auffassung ist der vorstehend erläuterte Angang des Diskussionsentwurfs zu eng. Die Formalhürden bei der Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen sollten möglichst abgebaut werden und es sollte für das Gros der Fälle der verunglückten Formulierung und Durchführung des GAV genauso eine „Reparaturmöglichkeit“ gegeben sein wie für andere Formalhürden bei der Erfüllung der Organschaftsvoraussetzungen. Die entsprechenden Regelungen könnten bspw. wie folgt aussehen:5 § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 2 und 3 KStG n. F.: Die Verpflichtung zur Abführung des ganzen Gewinns gilt als erfüllt, wenn der abgeführte Gewinn oder der übernommene Verlust auf einem Jahresabschluss der Organgesellschaft beruht, der einer Prüfung oder prüferischen Durchsicht durch einen Abschlussprüfer, der die Voraussetzungen des § 319 des Handelsgesetzbuchs erfüllt, unterzogen wurde und für den ein Bestätigungsvermerk oder eine entsprechende Bestätigung aufgrund einer prüferischen Durchsicht erteilt wurde. Die Verpflichtung zur Abführung des ganzen Gewinns gilt auch dann als erfüllt, wenn eine unzutreffende Gewinnabführung oder Verlustübernahme rückwirkend oder in laufender Rechnung berichtigt wird; die Berichtigung kann auch nach Beendigung der Organschaft erfolgen. § 17 Satz 2 und 3 KStG n. F.: Weitere Voraussetzung ist, dass 1. … (unverändert) und 2. eine Verlustübernahme entsprechend des § 302 Abs. 1 des Aktiengesetzes vereinbart und während der gesamten Geltungsdauer des Gewinnabführungsvertrages durchgeführt wird. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. § 18a KStG n. F.: Die Voraussetzungen für die Begründung, Aufrechterhaltung und für die Vergangenheit unschädliche Beendigung der _____________ 5 S. auch IFSt-Schrift Nr. 481 (2012).

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Organschaft nach den §§ 14 bis 18 gelten als erfüllt, wenn die Organgesellschaft und der Organträger nach den Maßstäben eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters davon ausgehen konnten, dass sie die Voraussetzungen erfüllt haben. Müssen in den Fällen des Satzes 1 die Organgesellschaft und der Organträger nach den Maßstäben eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters erkennen, dass die nach §§ 14 bis 18 geforderten Voraussetzungen für die Begründung und Aufrechterhaltung der Organschaft nicht oder nicht mehr erfüllt sind, müssen die erforderlichen Änderungen bis zum Ende des darauf folgenden Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft erfolgen. Inkrafttreten: §§ 14, 17 und § 18a n. F. sind alle noch nicht bestandkräftigen Veranlagungen anwendbar. Das Ende des darauf folgenden Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft i. S. d. § 18a Satz 2 ist im Jahr des Inkrafttretens der §§ 14, 17 und § 18a n. F. das Ende des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft, das dem Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft folgt, in dem der Tag des Inkrafttretens liegt.

IV. Gesetzesvorschlag zu Sonderfragen der grenzüberschreitenden Organschaft Im Zusammenhang mit Sonderfragen zur grenzüberschreitenden Organschaft sieht der Diskussionsentwurf an verschiedenen Stellen Änderungen vor. Dies sind im Einzelnen: Neufassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG: Die Wörter „mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland“ werden durch die Wörter „mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens“ ersetzt.

Neufassung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG: „Organträger muss eine natürliche Person oder eine … Körperschaft … sein. Organträger kann auch eine Personengesellschaft … sein … Die Beteiligung im Sinne der Nummer 1 an der Organgesellschaft oder, bei mittelbarer Beteiligung an der Organgesellschaft, die Beteiligung im Sinne der Nummer 1 an der vermittelnden Gesellschaft, müssen ununterbrochen einer inländischen Betriebsstätte im Sinne des § 12 der Abgabenordnung des Organträgers zuzuordnen sein. Ist der Organträger mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften an der Organgesellschaft beteiligt, gilt Vorstehendes sinngemäß. Das Einkommen der Organgesellschaft ist der inländischen Betriebsstätte des Organträgers zuzurechnen, der die Beteiligung im Sinne der Nummer 1 an der Organgesellschaft oder, bei mittelbarer Beteiligung an der Organgesellschaft, die Beteiligung im Sinne der Nummer 1 an der vermittelnden Gesellschaft zu-

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zuordnen ist. Eine inländische Betriebsstätte im Sinne der vorstehenden Sätze ist nur gegeben, wenn die dieser Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte sowohl nach innerstaatlichem Steuerrecht als auch nach einem anzuwendenden Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der inländischen Besteuerung unterliegen.“

Neuer § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG: „Negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bleiben bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden.“

Neufassung des § 17 Satz 1 KStG: In Satz 1 werden die Wörter „mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland“ durch die Wörter „mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens“ ersetzt.

§ 18 KStG wird gestrichen. Die Neuregelungen sollen in allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen anwendbar sein. Nach der geplanten Neufassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG kann – wie bereits im BMF-Schreiben vom 28.3.2011 abgebildet6 – die Organgesellschaft nicht nur eine sein, die Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Inland hat, sondern auch eine solche mit Geschäftsleitung im Inland und Sitz in einem EU-/EWR-Staat. Bedeutender ist hingegen die Neufassung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG, die auf die BFH-Entscheidung vom 9.2.20117 zielt. Nach Ansicht des BFH soll – gestützt auf das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot – eine Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland im Rahmen einer gewerbesteuerlichen Organschaft Organgesellschaft eines in Großbritannien ansässigen gewerblichen Unternehmens als Organträger sein. Hieraus ergibt sich evtl. die Möglichkeit der Einkommens- und Gewerbeertragszurechnung zu einem ausländischen Organträger, der hiermit in Deutschland nicht steuerpflichtig ist. Die vorgeschlagene Neufassung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG sieht nun bzgl. des Organträgers keine einschränkenden Voraussetzungen hinsichtlich seiner Ansässigkeit mehr vor. Er kann seinen Sitz und seinen Ort der _____________ 6 BStBl. I 2011, 300. 7 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106; dazu Nichtanwendungserlass v. 27.12.2011 – IV C 2 - S 2770/11/10002 – DOK 2011/0965132, BStBl. I 2012, 119.

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Geschäftsleitung überall haben. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beteiligung an der Organgesellschaft einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen ist und die Einkommens- und Gewerbeertragszurechnung dort – auch abkommensrechtlich – steuerlich erfasst wird. Nur unter diesen Voraussetzungen qualifiziert die Muttergesellschaft als geeigneter Organträger. Dies dürfte dem abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbot, welches an Sitz und/oder Ort der Geschäftsleitung anknüpft, Rechnung tragen.8 Der Diskussionsentwurf sieht auch eine Erweiterung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG vor. Nach der geltenden Fassung wird ausgeschlossen, dass Verluste des Organträgers mehrfach berücksichtigt werden können, z. B., weil der Organträger in verschiedenen Ländern in eine Gruppenbesteuerung einbezogen ist. Da als Folge der Aufgabe des doppelten Inlandsbezugs der Organgesellschaft nun auch auf der Ebene der Organgesellschaft eine doppelte Verlustnutzung denkbar ist, soll die Regelung auf Organgesellschaften ausgedehnt werden.

V. Gesetzesvorschlag zum Verfahrensrecht Die von der Praxis schon lange geforderte Herstellung einer verfahrensrechtlichen Grundlagenbescheid-Folgebescheid-Beziehung zwischen der Feststellung des Einkommens der Organgesellschaft und der Besteuerung des Organträgers wird durch die Neuregelung von § 14 Abs. 5 KStG aufgegriffen. Der Vorschlag des Diskussionsentwurfs lautet: „Das dem Organträger zuzurechnende Einkommen der Organgesellschaft und damit zusammenhängende andere Besteuerungsgrundlagen werden gegenüber dem Organträger und der Organgesellschaft gesondert und einheitlich festgestellt. Die Feststellungen nach Satz 1 sind für die Körperschaftsteuerbescheide des Organträgers und der Organgesellschaft bindend. Sätze 1 und 2 gilt entsprechend für von der Organgesellschaft geleistete Steuern, die auf die Steuer des Organträgers anzurechnen sind. Zuständig für diese Feststellungen ist das Finanzamt, das für die Einkommensbesteuerung der Organgesellschaft zuständig ist. Die Erklärung zu den gesonderten und einheitlichen Feststellungen nach Satz 1 und 3 soll mit der Körperschaftsteuererklärung der Organgesellschaft verbunden werden.“

Nach der Übergangsregelung gilt § 14 Abs. 5 KStG n. F. erstmals für Feststellungszeiträume, die nach dem 31.12.2012 beginnen. _____________ 8 Vgl. nun Gesetzesentwurf v. 25.9.2012, BT-Drs. 17/10774, 30.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Die mit der kleinen Organschaftsreform verbundenen Formalerleichterungen zur Formulierung des GAV wurden von Hruschka als angemessene und klare Regelungen beurteilt. Holst wies jedoch angesichts der hohen Zahl von GAV bei Konzernen darauf hin, dass die zur Neufassung des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG vorgesehene Übergangsregelung, die eine Korrektur von Ergebnisabführungsverträgen bis zum 31.12.2014 notwendig macht, praktikabler geregelt werden sollte. Zudem sei ein besonderer Aufwand zu berücksichtigen, da bei Aktiengesellschaften die Änderung eines GAV einen Beschluss der Hauptversammlung erfordere und, um dies zu vermeiden, der GAV häufig auf einer unteren Ebene abgeschlossen und durch eine nicht zustimmungspflichtige Aufwärtsverschmelzung bis zur Konzernmutter transferiert werde. Im Hinblick auf die grenzüberschreitende Organschaften betreffende Neufassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG wies Gosch darauf hin, dass auf den ersten Blick hierdurch ggf. das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot umschifft werden könnte, da es dort auf Sitz und Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft ankomme und der BFH auch hierauf abgestellt habe. Die in § 14 Abs. 5 KStG vorgesehene verfahrensrechtliche Regelung (Grundlagen-, Folgebescheidverhältnis) stellt nach Gosch eine sachgerechte Änderung dar, um die Bindungswirkung im Verhältnis Organgesellschaft/Organträger herzustellen. Möhlenbrock wies abschließend darauf hin, dass es aus jetziger Sicht nicht absehbar sei, ob und wann der Gesetzesvorschlag tatsächlich in eine gesetzliche Regelung münden könnte.

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Wichtige Änderungen zum Unternehmenssteuerrecht im KStG und EStG durch das Jahressteuergesetz 2013 Dr. Jens Schönfeld Dipl.-Kaufmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Allgemeines .................................... 27 B. Fallmaterial .................................... I. Fall 1: „Die hybride Finanzierung“ .......................................... II. Fall 2: „Die abzugsfähige Dividende (Teil 1)“ ................... III. Fall 3: „Die abzugsfähige Dividende (Teil 2)“ ................... IV. Fall 4: „Das Ende des Finanzunternehmens“ .........................

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V. Fall 5: „Die Steuerpflicht der Streubesitzbeteiligung (Teil 1)“ .................................... VI. Fall 6: „Die Steuerpflicht der Streubesitzbeteiligung (Teil 2)“ .................................... VII. Fall 7: „Das fehlende Besteuerungsrecht“ .............................. VIII. Fall 8: „Das verlorene Besteuerungsrecht“ .............................. IX. Fall 9: „Das Finale zu den finalen Verlusten“ ...................

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A. Allgemeines Die im Einführungsreferat dargestellten steuerpolitischen Entwicklungstendenzen haben bereits ihren konkreten Niederschlag im Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2013 (JStG 2013)1 sowie in der Stellungnahme des Bundesrates2 hierzu gefunden. Das Gesetzgebungsverfahren steht ganz im Zeichen der Verhinderung von (vermeintlichen) Steuervorteilen im grenzüberschreitenden und rein inländischen Kontext. Die praktisch relevantesten Änderungsüberlegungen mit Bezug zum Unternehmenssteuerrecht sollen anhand der nachfolgenden Beispielsfälle in knapper Form diskutiert werden. Das Podium wird dabei im Anschluss an jeden Fall die Möglichkeit _____________ 1 Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 19.6.2012, BT-Drucks. 17/10000. 2 Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Schönfeld – Wichtige Änderungen zum Unternehmenssteuerrecht

haben, diese Diskussion aus Sicht der Rechtsprechung, der Finanzverwaltung und der Praxis anzureichern.

B. Fallmaterial I. Fall 1: „Die hybride Finanzierung“

Sachverhalt: Die in Deutschland ansässige D-AG ist alleinige Gesellschafterin der in Luxemburg ansässigen LuxCo. Die D-AG verfügt daneben über ein (hybrides) Genussrecht an der LuxCo, welches in Deutschland als steuerliches Eigenkapital qualifiziert, während es in Luxemburg als Fremdkapital qualifiziert und daher zum Betriebsausgabenabzug zugelassen ist. Das Genussrechtskapital hat die LuxCo dazu verwendet, um andere Gruppengesellschaften zu finanzieren. Die LuxCo besteht den „Cadbury-Test“. Fallen die Vergütungen für das (hybride) Genussrecht unter § 8b Abs. 1 KStG? Lösung: Die Frage wird bislang nach ganz herrschender (und zutreffender) Auffassung verneint. Das in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG niedergelegte „Korrespondenzprinzip“ gilt bislang nur für die verdeckte Gewinnausschüttung, die bei der leistenden Körperschaft nicht korrigiert wird und damit das Einkommen gemindert hat.3

Der Bundesrat sieht in seiner Stellungnahme zum JStG 20134 folgende Änderung des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG vor: „Satz 1 gilt nur für Bezüge, soweit sie das Einkommen der leistenden Körperschaft nicht gemindert haben.“

_____________ 3 So z. B. Gosch in Gosch, § 8b KStG Rz. 144; Dötsch/Pung in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, § 8b KStG Rz. 36; Pung in Preißer/Pung, Besteuerung der Personen- und Kapitalgesellschaften, 2009, 918; Rengers in Blümich, § 8b KStG Rz. 124; Schnitger/ Bildstein, IStR 2009, 629; a. A. aber Stein in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8b KStG Rz. 194, wenn auch in sich widersprüchlich; Grotherr, RIW 2006, 898 (900). 4 Nr. 3 Buchst. b Doppelbuchst. aa der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Begründet wird diese Ausweitung des Korrespondenzprinzips wie folgt: „Bei einer sogenannten hybriden Finanzierung handelt es sich um die Hingabe von Kapital, das wegen der Konditionen der Kapitalhingabe in einem Staat als Fremdkapital, im anderen Staat als Eigenkapital qualifiziert wird. Die unterschiedliche Einordnung führt dazu, dass die Vergütungen für die Kapitalüberlassung im Quellenstaat als Betriebsausgaben (Fremdkapitalzinsen) abgezogen und im Empfängerstaat als Dividenden ermäßigt oder gar nicht besteuert werden. Qualifikationskonflikte dieser Art werden häufig zur Schaffung unbesteuerter sogenannter „weißer Einkünfte“ genutzt. Diese Finanzierungsinstrumente sind international bekannt und auch Gegenstand von Erörterungen von internationalen Gremien. So beschäftigt sich beispielsweise auch die Gruppe Verhaltenskodex des Rates der Europäischen Union mit der Problematik. Die dortigen Erörterungen führten zu der Empfehlung, dass die Qualifikationskonflikte durch nationale Regelungen im Empfängerstaat gelöst werden sollten. Diese Empfehlung wird nun durch die Ausdehnung der korrespondierenden Besteuerung umgesetzt. Zahlungen, die nach deutscher Qualifizierung Dividenden darstellen, werden nur noch vor der Bemessungsgrundlage freigestellt, wenn sie im Quellenstaat keine Betriebsausgaben darstellen. Die eingeführte Regelung wird auch im Rahmen der Abgeltungsteuer nachvollzogen. Der Abgeltungsteuersatz von 25 % kommt nur noch in den Fällen zur Anwendung, in denen die Zahlung bei der leistenden Körperschaft das Einkommen nicht gemindert hat. Sofern die Zahlung bei der leistenden Körperschaft als Betriebsausgabe berücksichtigt wurde, unterliegen die Erträge beim Anteilseigner dem tariflichen Einkommensteuersatz.“

Aus rein fiskalischer Sicht mag man Verständnis für das Regelungsanliegen haben. Die Regelung stellt jedoch einen weiteren systematischen Bruch im Entlastungskonzept für zwischengesellschaftliche Dividenden dar. Dabei hat man sich zu vergegenwärtigen, dass die Steuerfreiheit des § 8b Abs. 1 KStG zu Beginn dieses Jahrhunderts eingeführt wurde, um eine Doppelbesteuerung von Einkünften einer Körperschaft 29

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zu vermeiden, die daraus resultieren kann, dass die Einkünfte zum einen auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft und zum anderen anlässlich der Ausschüttung auf Ebene der die Dividenden empfangenden Gesellschaft besteuert werden. Im Inland unterstellte man dabei, dass die Einkünfte auf Ebene der ausschüttenden (inländischen) Gesellschaft stets einer angemessenen steuerlichen Vorbelastung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer unterliegen. Bei einer ausländischen Gesellschaft hat man der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG die Aufgabe zugewiesen, für diese angemessene steuerliche Vorbelastung zu sorgen. Darin kommt zugleich zum Ausdruck, dass man die Besteuerungssituation auf Ebene der ausländischen Gesellschaft grundsätzlich akzeptieren und nur bei passiven niedrigbesteuerten Einkünften eine Ausnahme davon machen wollte. Die geplante Erweiterung des Korrespondenzprinzips löst sich von diesem Konzept, indem es unabhängig vom Besteuerungsniveau und von der Tätigkeit der ausschüttenden Gesellschaft die Dividenden in Deutschland steuerpflichtig stellt, sofern diese bei der ausschüttenden Gesellschaft steuerlich abzugsfähig sind. Deutschland will damit die im ausländischen Staat (ggf. bewusst; siehe Fall 2) unterlassene Besteuerung nachholen. Die steuersystematische Merkwürdigkeit dieses Ansatzes wird besonders deutlich, wenn man sich einen ausländischen Staat vorstellt, der ungeachtet der Abzugsfähigkeit der Dividende die Einkünfte auf Ebene der ausländischen Gesellschaft nicht besteuert (z. B. Steuersatz von 0 %). In diesem Fall wirkt sich die Abzugsfähigkeit steuerlich überhaupt nicht aus, weshalb für den Begründungsansatz des erweiterten Korrespondenzprinzipes kein Raum ist. Die Herstellung der ausreichenden steuerlichen Vorbelastung ist allein Aufgabe der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG. Diese Aufgabe nimmt die Hinzurechnungsbesteuerung übrigens auch im Fall 1 wahr, nur scheitert die Anwendung an § 8 Abs. 2 AStG. Es ist fraglich, ob dem Gesetzgeber diese Zusammenhänge wirklich klar sind. Podiumsdiskussion: Gosch verwies zunächst auf das Urteil des BFH vom 6.6.20125 zur abkommensrechtlichen Anwendung des Schachtelprivilegs für brasilianische Eigenkapitalverzinsung als Dividende, wonach es ein derartiges Korrespondenzgebot im Abkommensrecht grds. nicht gebe. Zudem beinhalte die vorgeschlagene Regelung insoweit einen Systembruch, als ein umfassendes Korrespondenzgebot als Verstoß gegen das Trennungs_____________ 5 BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11 u. I R 8/11, noch nicht veröffentlicht.

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prinzip zu werten sei. Möhlenbrock wies darauf hin, dass die Diskussion auch in die andere – spiegelbildliche – Richtung gehe. Er widersprach der Ansicht von Gosch, da es dem Gesetzgeber gewährt sein müsse, vom Trennungsprinzip teilweise zugunsten eines solchen Korrespondenzprinzips abzuweichen. Gahleitner bemerkte aus österreichischer Sicht an, dass zum 1.1.2011 eine solche Korrespondenzregelung in das österreichische Steuerrecht eingefügt worden sei. Nach den Ausführungen von Riedweg besteht ein solches innerstaatliches Korrespondenzgebot auch nach schweizerischem Steuerrecht.

II. Fall 2: „Die abzugsfähige Dividende (Teil 1)“

Sachverhalt: Die in Deutschland ansässige D-AG hält auch eine Beteiligung an einer im Ausland ansässigen DivCo. Von dieser Gesellschaft bezieht sie Dividenden, die die DivCo bei ihrer Gewinnermittlung abziehen kann. Damit soll aus Sicht des ausländischen Staates eine Doppelbesteuerung vermieden werden, die daraus resultiert, dass die Einkünfte auf Ebene der DivCo einer vollständigen Besteuerung unterliegen (klassisches Körperschaftsteuersystem). Ist auf die Dividende § 8b Abs. 1 KStG anwendbar? Lösung: Der Fall zeigt die überschießende Wirkung der geplanten Erweiterung des Korrespondenzprinzips in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG. Die Regelung erfasst nicht nur „hybride Finanzierungen“, sondern auch völlig normale Ausschüttungen von ausländischen Gesellschaften, wenn bei diesen zur (legitimen) Vermeidung einer Doppelbesteuerung die Dividenden abzugsfähig sind. In diesem Zusammenhang ist auch auf die jüngste Entscheidung des BFH vom 6.6.20126 zum Schachtelprivileg für brasilianische Eigenkapitalverzinsung als Dividende hinzuweisen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich für die vorliegende Fragestellung, dass derartige „Dividenden“ von brasilianischen Gesellschaften nach

_____________ 6 BFH v. 6.6.2012 – I R 6/11 u. I R 8/11, noch nicht veröffentlicht.

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dem Willen des Gesetzgebers künftig voll steuerpflichtig sein sollen. Dass dies über das Ziel deutlich hinausschießt, liegt auf der Hand, weil die brasilianische Eigenkapitalverzinsung ebenfalls nur ein Instrument zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ist. Man kann nur hoffen, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des Korrespondenzprinzips in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG noch etwas zielgenauer ausrichtet.

Podiumsdiskussion: Rödder wies ergänzend darauf hin, dass bei einer Thesaurierung und späteren Veräußerung der Beteiligung die geplante Regelung ins Leere liefe, der Verlauf daher über § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei erfolgen könne.

III. Fall 3: „Die abzugsfähige Dividende (Teil 2)“

Sachverhalt: Wie Fall 2, nur sind anstelle der D-AG einkommensteuerpflichtige Inländer an der DivCo beteiligt. Ist § 3 Nr. 40 EStG bzw. § 32d EStG auf die Dividenden anzuwenden? Lösung: Der Fall ist nur nachrichtlicher Natur, um zu verdeutlichen, dass die geplanten Änderungen des § 8b Abs. 1 KStG auch im Bereich der Einkommensteuer vorgesehen sind.7 Auf die Ausführungen zu Fall 1 und 2 kann daher verwiesen werden.

Podiumsdiskussion: (keine)

_____________ 7 Nr. 3 Buchst. a der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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IV. Fall 4: „Das Ende des Finanzunternehmens“

Sachverhalt: Die in Deutschland ansässige M-GmbH ist eine reine Holdinggesellschaft. Die M-GmbH hat eine Beteiligung an der T-GmbH erworben, die sie bereits nach kurzer Zeit mit einem erheblichen Verlust weiterveräußert. Die Betriebsprüfung ist der Auffassung, dass der Veräußerungsverlust unter § 8b Abs. 2 und 3 KStG fällt und damit steuerlich nicht zu berücksichtigen ist. Die M-GmbH vertritt die Auffassung, dass § 8b Abs. 7 KStG anzuwenden ist. Lösung: Der Fall ist ein schönes Beispiel dafür, dass alles im Leben zwei Seiten hat. Bei Einführung des § 8b Abs. 7 KStG gingen eigentlich alle Beteiligten davon aus, dass es sich dabei um eine Sonderregelung für Banken handelt. Der in § 8b Abs. 7 KStG enthaltene Begriff des „Finanzunternehmens“ sollte daher mit Blick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift eigentlich einschränkend ausgelegt werden.8 Der BFH9 und die Finanzverwaltung10 hielten von einer derart einschränkenden Auslegung wenig. Vielmehr sei dem Begriff des „Finanzunternehmens“ ein weites Verständnis mit der Folge beizulegen, dass auch reine (Industrie-)Holdinggesellschaften in den Anwendungsbereich von § 8b Abs. 7 KStG gelangen sollen. Aus fiskalischer Sicht hat dies natürlich den Vorteil, dass Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen (ebenso wie Dividenden) unter bestimmten Voraussetzungen nicht mehr steuerfrei sind. Für die Praxis war dieses Ergebnis wenig glücklich, weil die weiteren Voraussetzungen von § 8b Abs. 7 KStG (z. B. Absicht des kurzfristigen Eigenhandelserfolges) z. T. sehr unbestimmt und damit streitanfällig waren. Aber wie gesagt, alles hat zwei Seiten: § 8b Abs. 7 KStG gilt nicht nur für Gewinne, sondern auch für Verluste. In der Praxis fanden sich daher zunehmend Überlegungen, § 8b Abs. 7 KStG bewusst für die Nutzbarmachung von Verlusten einzusetzen. Bei richtiger Ausgestaltung konnten Verluste aus der kurzfristigen (konzerninternen) Veräußerung einer Beteiligung unter § 8b Abs. 7 KStG

_____________ 8 Zur Diskussion vgl. nur Gosch in Gosch, § 8b KStG Rz. 563 m. w. N. 9 BFH v. 14.1.2009 – I R 36/08, BStBl. II 2009, 671. 10 BMF v. 25.7.2002 – IV A 2 - S 2750a-6/02, BStBl. I 2002, 712.

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fallen und ein späterer Gewinn aus der Veräußerung derselben Beteiligung unter § 8b Abs. 2 KStG.

Diese Verlustüberlegungen dürften es wohl gewesen sein, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, den Begriff des „Finanzunternehmens“ aus § 8b Abs. 7 KStG zu streichen. Der Bundesrat sieht in seiner Stellungnahme zum JStG 201311 folgende Änderung des § 8b Abs. 7 KStG vor: „(7) Die Absätze 1 bis 6 sind nicht auf Anteile anzuwenden, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1a des Kreditwesengesetzes dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Satz 1 gilt auch für Anteile, die von Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des EWR-Abkommens mit dem Ziel der kurzfristigen Erzielung eines Eigenhandelserfolges erworben werden.“

Lesenswert ist auch die Begründung, bei der man sich fragen kann, ob betroffene Steuerpflichtige davon zu ihren Gunsten auch für VZ vor Inkrafttreten der Neuregelung Gebrauch machen können (z. B. im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme): „Der bisher in § 8b Absatz 7 Satz 2 und 3 sowie in § 3 Nummer 40 Satz 3, 2. Halbsatz und Satz 4 EStG verwendete Begriff „Finanzunternehmen“ ist infolge der uneingeschränkten Bezugnahme auf das Kreditwesengesetz im Hinblick auf die gesetzgeberische Zielsetzung zu weitgehend. Eine einschränkende Auslegung ist im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut ausgeschlossen (BFH-Urteil vom 14. Januar 2009, BStBl. II 2009, 671). Insbesondere die demnach bisher gebotene Einbeziehung von Finanz- und Industrieholdingunternehmen sowie von vermögensverwaltenden (Familien-)Kapital- und Personengesellschaften in § 8b Absatz 7 KStG bzw. § 3 Nummer 40 Sätze 3 und 4 EStG ist steuersystematisch und rechtspolitisch nicht gerechtfertigt. Für diesen Personenkreis wird künftig Rechtssicherheit geschaffen, weil neben dem Tatbestandsmerkmal „Finanzunternehmen“ auch das streitanfällige Tatbestandsmerkmal der „kurzfristigen Eigenhandelserfolgsabsicht“ entfällt. Diese Absicht als subjektives Merkmal der genannten Ausnahmetatbestände („innere Tatsache“) ist nur indirekt anhand des äußeren Geschehensablaufs feststellbar und verursacht regelmäßig nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand im Bereich der Sachverhaltsermittlung. Die Neuregelung beseitigt ferner die Gefahr einer faktischen „Option“ derartiger Finanzunternehmen zur Steuerpflicht mit der daraus resultierenden steuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Veräußerungsverlusten und Teilwertabschreibungen für Anteile an Kapitalgesellschaften.“

_____________ 11 Nr. 4 der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Aus Sicht der Unternehmenspraxis ist die geplante Neuregelung zu begrüßen. Podiumsdiskussion: Die geplante einschränkende Änderung des § 8b Abs. 7 KStG wurde allgemein begrüßt und sowohl aus Sicht der Beratungspraxis (Rödder) als auch der Rechtsprechung (Gosch) als sachgerecht empfunden.

V. Fall 5: „Die Steuerpflicht der Streubesitzbeteiligung (Teil 1)“

Sachverhalt: Die M-GmbH aus Fall 4 hält auch eine Streubesitzbeteiligung (< 10 %) an der P-GmbH. Zum 30.9.2012 verkauft sie die Anteile an der P-GmbH mit einem erheblichen Veräußerungsgewinn. Am 14.12.2012 verabschiedet der Bundestag das JStG 2013 mit einer Regelung in § 8b Abs. 4 KStG, wonach die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG für Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen mit einem Beteiligungsumfang von weniger als 10 % rückwirkend für den VZ 2012 nicht mehr gelten soll. Zu Recht? Lösung: Der Regierungsentwurf des JStG 2013 enthielt noch keine Regelung zu Streubesitzdividenden. Diese ist erst durch den Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren eingeführt worden. Der Bundesrat sieht in seiner Stellungnahme zum JStG 201312 folgende Änderung des § 8b Abs. 4 KStG vor: „(4) Bezüge im Sinne des Absatzes 1 und Gewinne im Sinne des Absatzes 2 sind abweichend von Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Veranlagungszeitraums unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat […].“

_____________ 12 Nr. 34 der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Die Neuregelung des § 8b Abs. 4 KStG soll rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2012 greifen (Einfügung eines § 34 Abs. 7a KStG).13 Insofern würden nach dem Willen des Bundesrates grds. sämtliche im Veranlagungszeitraum 2012 erzielten Gewinnausschüttungen und Veräußerungsgewinne, die aus Streubesitzbeteiligungen herrühren, in voller Höhe steuerpflichtig.

Begründet wird dies u. a. wie folgt: „Seit dem Systemwechsel vom Vollanrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren durch das Steuersenkungsgesetz sind in- und ausländische Beteiligungserträge (Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen) bei Körperschaften nach § 8b KStG steuerfrei. Der Kapitalertragsteuerabzug wird bei Dividenden unabhängig von der Steuerbefreiung nach § 8b Absatz 1 KStG durchgeführt (§ 43 Absatz 1 Satz 3 EStG). Bei unbeschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen kann die einbehaltene Kapitalertragsteuer im Rahmen der Körperschaftsteuerveranlagung in voller Höhe angerechnet werden (§ 8 Absatz 1 KStG i. V. m. § 36 Absatz 2 Nummer 2 EStG). Bei beschränkt Körperschaftsteuerpflichtigen ohne inländische Betriebsstätte hat der Kapitalertragsteuereinbehalt grundsätzlich abgeltende Wirkung (§ 32 Absatz 1 Nummer 2 KStG). Der EuGH hat mit Urteil vom 20. Oktober 2011 (Az. C-284/09) entschieden, dass die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer bei ausländischen Dividendenempfängern mit Streubesitzbeteiligungen eine nicht zu rechtfertigende

_____________ 13 Vgl. BR-Dr. 302/12, S. 64. Wortlaut: „§ 8b Absatz 4 und 10 in der Fassung des Gesetzes vom … (BGBl. I S. …) sind erstmals für den Veranlagungszeitraum 2012 anzuwenden. Bei vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahren sind § 8b Absatz 4 und 10 in der Fassung des Gesetzes vom … (BGBl. I S. …) erstmals für den Veranlagungszeitraum anzuwenden, in dem das Wirtschaftsjahr endet, das nach dem 31. Dezember 2011 begonnen hat.“

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Diskriminierung und somit einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit darstellt. Die mögliche Anrechnung der Kapitalertragsteuer im Empfängerstaat ist nicht ausreichend, um die Diskriminierung zu rechtfertigen. Dem deutschen Gesetzgeber verbleiben verschiedene Alternativen: 1. Er gewährt die Steuerbefreiung für Dividenden auch für ausländische Gesellschaften, soweit diese als Gesellschafter an inländischen Kapitalgesellschaften beteiligt sind. Dies führt zu erheblichen Steuermindereinnahmen. 2. Die inländische Steuerbefreiung für Kapitalerträge aus Streubesitz bis zu einer Beteiligungshöhe von 10 % wird aufgehoben. Dividenden und Veräußerungsgewinne bei Beteiligungen von unter 10 % sind zukünftig nicht mehr nach § 8b KStG steuerbefreit. Angesichts der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung für die öffentlichen Haushalte ist nur die 2. Alternative sinnvoll. Dadurch entstehen keine Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Investoren. Denn durch die Gewährung der Steuerfreiheit auch für ausländische Gesellschaften würden nicht die Unternehmen bzw. die ausländischen Investoren begünstigt, sondern in erster Linie die ausländischen Fisci, die zukünftig die in Deutschland einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht mehr als Quellensteuer anrechnen müssten. Mit der Einführung einer Steuerpflicht für die Streubesitzdividenden und Veräußerungsgewinne nähert sich Deutschland im Übrigen den internationalen Gepflogenheiten an. Nahezu alle Staaten in Europa gewähren die Steuerfreiheit für Dividenden und Veräußerungsgewinne nur bei Überschreiten einer Mindestbeteiligungsquote. Viele Staaten kennen zusätzlich Mindesthaltefristen für die Beteiligungen. Mit der nun beabsichtigten Änderung führt Deutschland somit seine überaus großzügige Befreiungsregel auf das international übliche Maß zurück.“

Die Begründung vermittelt den Eindruck, als hätte der deutsche Gesetzgeber keine andere Möglichkeit, um auf die Entscheidung des EuGH zu reagieren. Das Gegenteil ist richtig. Unsere österreichischen Nachbarn haben gezeigt, dass es auch weniger einschneidende Lösungsmöglichkeiten gibt. So wird die Kapitalertragsteuer zwar erstattet, aber nur insoweit, als im Staat des Dividendenempfängers keine Anrechnungsmöglichkeit besteht. Dies ist durch den Steuerpflichtigen durch geeignete Unterlagen nachzuweisen. Insoweit kann es auch nicht überzeigen, wenn die rückwirkende Steuerpflicht von Streubesitzdividenden nach § 8b Abs. 4 KStG-E damit gerechtfertigt wird, diese sei zwingend erforderlich, um einen EU-rechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Dieses Argument überzeugt im Übrigen auch deshalb nicht, weil es sich 37

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um eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung handelt14 und ein Verfassungsbruch nicht mit der Beseitigung eines EU-rechtswidrigen Zustandes gerechtfertigt werden kann (zumal es mildere Maßnahmen gibt und das Problem über Jahre bekannt ist, siehe weiter unten). Die rückwirkende Anwendung von Steuergesetzen ist anhand der vom BVerfG insbesondere in seinen Grundlagenbeschlüssen vom 7.7.2010 entwickelten Maßstäbe zu beurteilen.15 Danach liegt in den vorliegend zu beurteilenden gesetzlichen Regelungen jeweils eine unechte Rückwirkung vor. Eine solche unechte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich unzulässig, wenn (i) zu der (nicht geschützten) allgemeinen Kontinuitätserwartung des Steuerpflichtigen, dass sich die Gesetzeslage nicht ändere, „besondere Momente der Schutzwürdigkeit“ hinzutreten, (ii.) er sich auf einen Vertrauensschutztatbestand berufen kann und (iii) nicht ein spezifisch die Rückwirkung legitimierendes Änderungsinteresse des Gesetzgebers das Vertrauensschutzinteresse des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit überwiegt. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist eine rückwirkende Neuregelung der Steuerpflicht von Streubesitzdividenden in § 8b Abs. 4 KStG verfassungsrechtlich unzulässig. Insbesondere besteht ein Vertrauensschutz aufgrund einer bereits „konkret verfestigten Vermögensposition“, die dem Steuerpflichtigen zugesteht, die bis zur Verkündung des JStG 2013 entstandenen Wertzuwächse in seinen Anteilen entweder als Beteiligungsveräußerungsgewinne oder als Gewinnausschüttungen zu vereinnahmen und diese nach altem Recht (zu 95 % steuerfrei) zu versteuern. Der Vertrauensschutztatbestand ist insofern sehr weitreichend, als die dem Anteilsinhaber bis zur Verkündung des fraglichen Gesetzes in seinem Anteil entstandenen Wertsteigerungen grds. unabhängig davon geschützt sind, ob die Wertsteigerungen noch vor der Verkündung tatsächlich realisiert werden oder erst danach.16 Es ist auch kein spezifisch die Rückwirkung legitimierendes Änderungsinteresse des Gesetzgebers zu erkennen. Zwar wird die rückwirkende Neuregelung des § 8b Abs. 4 KStG-E – wie bereits dargestellt – mit der Beseitigung eines EU-rechtswidrigen Zustandes gerechtfertigt. Hieraus _____________ 14 Vgl. Schönfeld/Häck, DStR 2012, 1725 m. w. N. 15 BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u. a., BVerfGE 127, 1 – Rückwirkung im Steuerrecht I; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u. a., BVerfGE 127, 61 – Rückwirkung im Steuerrecht II; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 1/03 u. a., BVerfGE 127, 31 – Rückwirkung im Steuerrecht III. 16 Zu den Einzelheiten vgl. Schönfeld/Häck, DStR 2012, 1725, m. w. N.

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lässt sich jedoch kein zugunsten des Steuergesetzgebers spezifisch die unechte Rückwirkung legitimierendes Änderungsinteresse entnehmen. Einerseits mag der Gesetzgeber zwar wegen der EuGH-Rechtsprechung gezwungen sein, die Rechtslage zu ändern. Dies allein legitimiert ihn jedoch nicht, eine entsprechende Gesetzesänderung mit „unechter“ Rückwirkung vorzunehmen. Zunächst ist zu sehen, dass dem Gesetzgeber neben den genannten Handlungsalternativen auch weitere (weniger restriktive) Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um der EuGH-Rechtsprechung zu genügen. So könnte z. B. die Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Inbound-Streubesitzdividenden nur insoweit erfolgen, als im Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers keine Möglichkeit der Anrechnung besteht. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überzeugen, wenn in den Empfehlungen die Handlungsalternativen derart verengt werden. Auch ist zu berücksichtigen, dass die zitierte Rechtsprechung des EuGH aufgrund früherer Entscheidungen17 vorhersehbar war, sodass der Fiskus für die vergangenen Jahre erhebliche Kapitalertragsteuererstattungen an ausländische Anteilseigner wird vornehmen müssen. Dem hätte der Gesetzgeber schon in früheren Jahren mit einer entsprechenden Gesetzesänderung begegnen können, was auch diskutiert wurde: Die Europäische Kommission hatte bereits in 2007 Deutschland im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens förmlich ersucht, seine Rechtsvorschriften für Dividendenzahlungen an Unternehmen im Ausland zu ändern.18 Dies führte bereits Mitte 2008 im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG 2009 zu konkreten Diskussionen über eine entsprechende Einfügung eines neuen § 8b Abs. 4 KStG, der inhaltlich der nun vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung entspricht19, aber nicht Eingang in das JStG 2009 fand. War aber eine Einführung einer Neuregelung in 2009 nicht als dringlich erkannt worden, obwohl sich die unionsrechtswidrige Rechtslage bereits damals abzeichnete, lässt sich ein solches spezifisches „Rückwirkungsinteresse“ auch heute nicht feststellen. Soweit der Gesetzgeber versucht sein sollte, die Rückwirkung damit zu rechtfertigen, dass er ansonsten für 2012 erhebliche Steuermindereinnahmen hinnehmen müsste, weil den ausländischen Anteilseignern die _____________ 17 Vgl. EuGH v. 14.12.2006 – Rs. C-170/05 – Denkavit, IStR 2007, 62; v. 8.11.2007 – Rs. C 379/05 – Amurta, IStR 2007, 853. 18 Presseveröffentlichung der Europäischen Kommission v. 23.7.2007 – IP/07/1152. 19 Vgl. zu der damals als „Formulierungshilfe“ festgehaltenen Neuregelung, die letztlich keinen Eingang in das JStG 2009 fand, Schmidt, NWB 2008, 2311 ff.; Patzner/ Frank, IStR 2008, 433.

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(bei Dividenden) unrechtmäßig einbehaltene Kapitalertragsteuer erstatten müsse, setzt sich dies als Rechtfertigungsgrund nicht durch. Der Steuergesetzgeber hat, da er die sich aufdrängende unionswidrige Rechtslage nicht bereits früher beseitigt hat, bereits in den vergangenen Jahren das erhebliche – und sich jetzt verwirklichende – Risiko hingenommen, die Kapitalertragsteuer in den fraglichen Fällen erstatten zu müssen. Insoweit dürften etwaige Steuermindereinnahmen in 2012 nicht eine Größe erlangen, die nun eine rückwirkende Anwendung rechtfertigen könnten. Soweit das BVerfG im Rahmen der verfassungsrechtlichen Abwägung das Gewicht des schutzwürdigen Vertrauens auch daran orientiert, ob eine Rechtsänderung vorhersehbar war20, führt dies vorliegend nicht zu einer Abwägung zu Lasten des Anteilsinhabers. Nach der Nichteinführung einer Neuregelung im Zuge des JStG 2009 trotz der intensiven Diskussionen (s. o.) musste er mit einer solchen Regelung nicht konkret rechnen. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Regierungskoalition eine solche Neuregelung offenbar nicht beabsichtigt(e).21 Im Beispielsfall kann der Veräußerungsgewinn daher nach altem Recht gemäß § 8b Abs. 2 KStG steuerfrei vereinnahmt werden. Podiumsdiskussion: Zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Rückwirkung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Regelung gab Gosch zu bedenken, die verfassungsrechtliche Problematik erscheine hier weniger durchschlagend, da die Herstellung eines EU-widrigen Zustands des Steuergesetzes eine ausreichende Rechtfertigung liefern könne. Zum möglichen weiteren Umgang mit dem Vorschlag im Gesetzgebungsverfahren berichtete Möhlenbrock, dass es keineswegs sicher sei, ob die vom Bundesrat in das Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Gesetzesänderung vom Bund in dieser verschärften Form tatsächlich gewollt sei. Hier würde ggf. im Vermittlungsverfahren darüber entschieden. Letztlich sei die Lösung, wie der EU-widrige Zustand herzustellen sei, letztlich noch offen. _____________ 20 Vgl. BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvL 14/02 u. a., BVerfGE 127, 1, Rückwirkung im Steuerrecht I; BVerfG v. 7.7.2010 – 2 BvR 748/05 u. a., BVerfGE 127, 61, Rückwirkung im Steuerrecht II. 21 Die Bundesregierung hatte erst kürzlich betont, dass die „Einführung einer Regelung zur Besteuerung von Streubesitzdividenden in § 8b KStG […] aus Sicht der Bundesregierung nicht zu den Maßnahmen zur Modernisierung und Vereinfachung des Unternehmenssteuerrechts [zählt]“, vgl. Bundesregierung v. 29.3.2012, BT-Drs. 17/9216, 8.

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Gahleitner wies auf die Rechtslage in Österreich hin, wo ab 2011 für entsprechende Fälle eine Rückerstattung der Kapitalertragsteuern vorgesehen ist, wenn im Ausland keine Anrechnung der Kapitalertragsteuer möglich ist.

VI. Fall 6: „Die Steuerpflicht der Streubesitzbeteiligung (Teil 2)“

Sachverhalt: Wie Fall 5, nur schüttet die P-GmbH zum 30.9.2012 die bereits Anfang des Jahres beschlossene Dividende für 2011 aus. Ist § 8b Abs. 1 KStG anzuwenden? Lösung: Da Dividendenausschüttungen und Veräußerungsgewinne grds. nur zwei technisch unterschiedliche Arten der Realisierung von in der fraglichen Beteiligung angesammelten Wertsteigerungen sind, sind beide verfassungsrechtlich gleich zu beurteilen. Die Ausführungen zu Fall 5 gelten daher mit der Folge entsprechend, dass auch die Dividende nach altem Recht gemäß § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei vereinnahmt werden kann.

Podiumsdiskussion: (keine)

VII. Fall 7: „Das fehlende Besteuerungsrecht“

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Sachverhalt:22 Die HoldCo ist alleinige Kommanditistin der deutschen D-KG. Sie hat der D-KG eine Marke zur Nutzung überlassen, für die ein fremdübliches Entgelt entrichtet wird. Die Verwaltung der Marke erfolgt nachweislich im Ansässigkeitsstaat der HoldCo, mit dem Deutschland ein dem OECD-MA entsprechendes DBA abgeschlossen hat. Darf Deutschland die Lizenzzahlungen besteuern? Lösung: Die Finanzverwaltung hat ein solches Besteuerungsrecht in der Vergangenheit beansprucht. Begründet wurde dies damit, dass die Lizenzzahlungen als Sondervergütungen zu den gewerblichen Einkünften der D-KG gehören, für die Deutschland auch abkommensrechtlich (Betriebsstättenprinzip) das Besteuerungsrecht beanspruchen darf.23 Die Rechtsprechung ist dem nicht gefolgt. Lizenzzahlungen werden abkommensrechtlich nicht (allein) dadurch zu Unternehmensgewinnen einer deutschen Betriebsstätte, dass sie zum Sonderbetriebsvermögen einer GmbH & Co KG gehören. Die innerstaatliche Fiktion von Unternehmensgewinnen schlägt nicht auf DBA durch.24 Der Gesetzgeber hat darauf mit der Einfügung von § 50d Abs. 10 EStG reagiert, der Sondervergütungen in Unternehmensgewinne umqualifiziert. Der BFH hat dem Gesetzgeber mit seiner Entscheidung vom v. 8.9.201025 attestiert, dass die Regelung des § 50d Abs. 10 EStG das legislative Ziel nicht erreicht. Zwar mögen die Sondervergütungen zu abkommensrechtlichen Unternehmensgewinnen werden. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob diese Unternehmensgewinne auch tatsächlich einer deutschen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Dies ist indes Voraussetzung dafür, dass Deutschland das Besteuerungsrecht nach Art. 7 Abs. 1 OECD-MA beanspruchen kann. Die Zurechnung zu einer Betriebsstätte entscheidet sich wiederum danach, wo das Recht verwaltet wird, welches der Sondervergütung zugrunde liegt. Im Entscheidungsfall erfolgte dies ebenso wie im vorliegenden Beispielsfall nachweislich in einer ausländischen Betriebsstätte, sodass ein deutsches Besteuerungsrecht ausscheidet.

Der Bundesrat bittet zu prüfen, ob die Regelung des § 50d Absatz 10 EStG im Hinblick auf die jüngste BFH-Rechtsprechung geändert werden muss, um der gesetzgeberischen Zielsetzung Rechnung zu tragen.26 Die Frage an das Podium, wird etwas kommen und wenn ja, was?

_____________ 22 Nachgebildet BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138. 23 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003 (2009/0716905), BStBl. I 2010, 354 Tz. 2.2.1. 24 Vgl. z. B. BFH v. 7.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356. 25 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138. 26 Nr. 27 der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Podiumsdiskussion: Möhlenbrock gab an, dass die Argumente der Länder auf Ebene des Bundes sehr ernst genommen würden und eine Änderung von § 50d Abs. 10 EStG noch im Jahressteuergesetz 2013 denkbar sei. Hruschka wies auf die Schwierigkeiten hin, die sich ergäben, wenn § 50d Abs. 10 EStG künftig – bspw. per Fiktion – Sonderbetriebsvermögen für abkommensrechtliche Zwecke rechtlich dem Gesamthandsvermögen zuordne, es also nicht mehr auf die tatsächliche Zuordnung ankäme. Insbesondere in Fällen, in denen das Wirtschaftsgut durch mehrere Personengesellschaften in verschiedenen Staaten genutzt wird, stellte sich dann die Frage, ob eine solche Fiktion nicht kontraproduktiv werden könnte. Letztlich plädierte Hruschka für ein Beibehalten der Zuordnung nach tatsächlichen Gesichtspunkten. Gosch warf ein, dass eine weiter gehende Fiktion, die ggf. auch die Zurechnung zur deutschen Betriebsstätte herstellt, denkbar sei, sich aber die Frage nach der Erforderlichkeit einer weiteren Fiktion auch vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses des BFH zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Treaty Overrides27 stelle. Zur möglicherweise abkommensüberschreibenden Wirkung einer Erweiterung des § 50d Abs. 1 EStG erklärte Möhlenbrock, dass man zwar den Vorlagebeschluss des BFH und das Verfahren vor dem BVerfG im Blick habe, es ungeachtet dessen dem Gesetzgeber aber möglich sein müsse, einer bestehenden Norm, die vom BFH als wirkungslos erkannt wurde, Wirkung zu verleihen. Gosch entgegnete, dass es angesichts eingeforderter Steuergesetzgebungsethik oder Rechtsprechungsethik fraglich sei, einen solchen Katalog immer weiter zu verbreiten. Dies insbe_____________ 27 BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09 (Az. BVerfG: 2 BvR 1/12), IStR 2012, 426.

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sondere vor dem Hintergrund, dass Sondervergütungen eine Besonderheit des germanischen Rechtskreises seien und man versuchen sollte, dem international Rechnung zu tragen. Hruschka entgegnete unter Hinweis auf den OECD-Partnership-Report, dass das Mitunternehmerkonzept auch international durchaus Geltung beanspruchen könne.

VIII. Fall 8: „Das verlorene Besteuerungsrecht“

Sachverhalt: A ist im Jahre 2006 aus persönlichen Gründen in einen Staat gezogen, mit dem Deutschland ein dem OECD-MA entsprechendes DBA abgeschlossen hat. Zur Vermeidung einer Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG hat er seine Beteiligung mit verbindlicher Auskunft des Finanzamtes (alternativ: ohne verbindliche Auskunft) in eine gewerblich geprägte GmbH & Co KG eingelegt und ist dann weggezogen. Die Betriebsprüfung fragt sich, was mit den im Wegzugszeitpunkt vorhandenen stillen Reserven geschieht, nachdem der BFH die Fiktion des § 15 EStG nicht auf das DBA durchschlagen lassen will. Lösung: Früher war es eine gängige Praxis, die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG dadurch zu vermeiden, dass die wegzugssteuergefährdeten Anteile i. S. v. § 17 EStG in eine in Deutschland ansässige gewerblich geprägte GmbH & Co KG eingelegt wurden. Die Finanzverwaltung hat dies regelmäßig mit verbindlichen Auskünften begleitet, teilweise nur davon abhängig gemacht, dass auch das Ausland für abkommensrechtliche Zwecke der deutschen Vorstellung folgt und ein deutsches Besteuerungsrecht nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA bejaht. Insoweit bestand Einigkeit zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen.

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Der BFH hat diese Vorstellung zunehmend infrage gestellt und abschließend in seiner Entscheidung vom 25.5.201128 unmissverständlich festgestellt, dass die Fiktion des § 15 EStG zumindest nicht vollständig29 auf Art. 13 Abs. 2 OECD-MA durchschlägt.30 Nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA ist ein deutsches Besteuerungsrecht nur dann gegeben, wenn die Anteile „Betriebsvermögen einer Betriebsstätte [sind], die ein Unternehmen eines Vertragsstaats im anderen Vertragsstaat hat“. Der BFH stellt dazu fest, dass eine bloße gewerblich geprägte Personengesellschaft keine abkommensrechtliche „Betriebsstätte“ i. S. v. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA begründet. Vielmehr ist neben dem Unterhalten einer festen Geschäftseinrichtung erforderlich, dass ein „Unternehmen“ vorliegt, was nur bei der Ausübung einer originären „gewerblichen Tätigkeit“ der Fall ist.31 Der Bundesrat32 nimmt diese Rechtsprechung zum Anlass, um auf folgenden Aspekt hinzuweisen: „Wendet die Finanzverwaltung die Rechtsprechung des BFH zur Behandlung der gewerblich geprägten Personengesellschaft im Abkommensrecht für die Zukunft an, muss zur Verhinderung größerer Steuerausfälle gleichzeitig eine

_____________ 28 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602 m. w. N. auch zu früheren Entscheidungen, aus denen sich diese Tendenz bereits ergab. 29 Zu den Besonderheiten des in Art. 13 Abs. 2 OECD-MA enthaltenen Begriffs des „Betriebsvermögens“ vgl. aber BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 sowie Gosch in Gosch/Kroppen/Grotherr, Art. 13 OECD-MA Rz. 82. 30 Zu den Zweifeln noch Schönfeld, IStR 2011, 142 m. w. N. 31 Vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; für echte Holdinggesellschaften bejaht durch BFH v. 28.10.2008 – VIII R 73/06, BStBl. II 2009, 647. 32 Nr. 31 der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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Regelung geschaffen werden, die die Besteuerung späterer Veräußerungsgewinne in den Fällen ermöglicht, in denen aufgrund des bisherigen Rechtsverständnisses der Finanzverwaltung im Zeitpunkt des Wegzugs ins Ausland, einer Umstrukturierung oder Überführung von Wirtschaftsgütern auf die Besteuerung verzichtet wurde.“

Er bittet daher zu prüfen, „ob eine Regelung eingeführt werden soll, die die Besteuerung späterer Veräußerungsgewinne in den Fällen ermöglicht, in denen aufgrund des bisherigen Rechtsverständnisses der Finanzverwaltung im Zeitpunkt des Wegzugs ins Ausland, einer Umstrukturierung oder Überführung von Wirtschaftsgütern auf die Besteuerung verzichtet wurde.“

Eine derartige Regelung wird zu berücksichtigen haben, dass die Steuerpflichtigen im Zeitpunkt des Wegzuges auf die bisherige Rechtsauffassung vertrauten. Im Falle verbindlicher Auskünfte ist dieses Vertrauen sogar Gegenstand eines Verwaltungsaktes geworden, sodass jedenfalls bis zur tatsächlichen Realisierung der stillen Reserven (z. B. durch Verkauf der Anteile) keine Besteuerung in Betracht kommen dürfte. Eine andere Frage ist die, ob sich der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der tatsächlichen Realisation der stillen Reserven darauf berufen kann, dass Deutschland kein Besteuerungsrecht zusteht und eine Korrektur im Zeitpunkt des Wegzuges bereits festsetzungsverjährt ist. Sofern der Wegzug mit verbindlicher Auskunft erfolgte, so hängt die Antwort davon ab, ob man die Wirkungen einer verbindlichen Auskunft auch zu Lasten des Steuerpflichtigen zulassen will.33 Dies ist allenfalls nach Einführung des § 89 Abs. 2 AO denkbar, weil die verbindliche Auskunft nunmehr Verwaltungsakt ist und damit sog. Tatbestandswirkung entfaltet.34 M. a. W. die Finanzverwaltung kann durch eine verbindliche Auskunft unmittelbar Recht setzen. Selbst wenn sich daher später herausstellen sollte, dass die Festschreibung des deutschen Besteuerungsrechtes rechtswidrig war, so regelt der bestandskräftige Verwaltungsakt ggf. das Rechtsverhältnis zwischen Steuerpflichtigen und Finanzbehörde verbindlich. Allerdings wird auch zur verbindlichen Auskunft nach Einführung des § 89 Abs. 2 AO vertreten, dass diese nur zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt.35 In diesem Zusammenhang wird man aber zu beachten haben, dass die verbindliche Bestätigung des deutschen Besteuerungsrechtes gerade im Interesse und auf ausdrück_____________ 33 Streitig, vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 52. 34 Hendricks/Rogall/Schönfeld, Ubg 2009, 197. 35 Vgl. z. B. Seer in Tipke/Kruse, § 89 AO Rz. 52.

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lichen Wunsch des Steuerpflichtigen erfolgte, weil anderenfalls zumindest die Gefahr einer Entstrickung drohte. Anders dürfte es demgegenüber liegen, wenn der Steuerpflichtige ohne verbindliche Auskunft (oder mit einer verbindlichen Auskunft vor Einführung des § 89 Abs. 2 AO) weggezogen ist. In diesem Fall dürfte regelmäßig Festsetzungsverjährung mit der Folge eingetreten sein, dass eine Besteuerung zum Wegzugszeitpunkt nicht mehr in Betracht kommen dürfte. Danach besteht regelmäßig kein deutsches Besteuerungsrecht, sodass der Zeitpunkt der tatsächlichen Realisation nicht zum Anlass genommen werden kann, eine deutsche Besteuerung durchzuführen. Podiumsdiskussion: Hruschka verdeutlichte aus Sicht der Finanzverwaltung die Folgeprobleme, die sich ergäben, wenn die Rechtsprechung des BFH durch Aufnahme in die BStBl. von der Finanzverwaltung allgemein angewendet würde. Zwar könne die Finanzverwaltung insoweit gegenüber dem Steuerpflichtigen wegen Entstrickung einen Steuerbescheid erlassen. Nach Ansicht von Hruschka ließe sich hierbei aber voraussichtlich nur entweder an den Zeitpunkt der Rechtsprechungsänderung oder den Zeitpunkt bei echter Realisation der stillen Reserven anknüpfen. Dem könnte der BFH wiederum entgegenhalten, dass nicht zu diesen Zeitpunkten, sondern bereits im Wegzugszeitpunkt entstrickt wurde. Dann stellte sich zudem die Frage der Festsetzungsverjährung.

IX. Fall 9: „Das Finale zu den finalen Verlusten“

Sachverhalt: Der in Deutschland ansässige A hat in einem EU-Staat von 2002 bis 2006 eine Betriebsstätte unterhalten, die erhebliche Verluste erwirtschaftet hat. In 2006 stellt A die Geschäftstätigkeit im Ausland ein und begehrt die Verrechnung

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der nunmehr finalen Betriebsstättenverluste mit seinen positiven inländischen Einkünften. Zu Recht? Lösung: Zu finalen Betriebsstättenverlusten ist eigentlich so ziemlich alles gesagt und geschrieben worden. Die Frage, ob und unter welchen Umständen das EURecht eine grenzüberschreitende Verrechnung von Verlusten erzwingt, hat den EuGH erstmals im Jahre 2005 in der Rechtssache „Marks & Spencer“ beschäftigt.36 Das Schrifttum hatte sich bereits früher eingehend damit auseinandergesetzt, im Zuge dieser Rechtssache hatte die Diskussion aber noch einmal deutlich an Fahrt gewonnen.37 Der EuGH entwickelte die in „Marks & Spencer“ aufgestellten Grundsätze für ausländische Betriebsstättenverluste fort. Die Rechtssachen „Lidl Belgium“38 und „Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt“39 stehen hier maßgeblich für diese Entwicklung. In der Rechtssache „X-Holding“40 hatte der EuGH erneut die Gelegenheit, die Diskussion um Verluste ausländischer Tochtergesellschaften weiter voranzubringen. Auch deutsche Finanzgerichte haben sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt.41 Die in der Sache wohl zutreffende, aber deutlich hinter den öffentlichen Erwartungen zurückbleibende Entscheidung des BFH vom 9.11.201042, wonach grenzüberschreitende Verluste (ausländischer Tochtergesellschaften) allenfalls im Jahre ihrer Finalität für eine Verrechnung mit inländischen Gewinnen in Betracht kommen sollen, hat einen vorläufigen Schlusspunkt unter diese Diskussion gesetzt.

Der Bundesrat greift diese Diskussion im JStG 2012 auf und bittet die Bundesregierung unter Berücksichtigung aktuell zur Entscheidung anstehender EuGH-Verfahren zu prüfen, ob eine gesetzliche Lösung erforderlich ist, die die inländische Verrechnung endgültiger ausländischer Betriebstättenverluste auf das unionsrechtlich Erforderliche beschränkt.43 Der Bundesrat begründet diese Initiative wie folgt: _____________ 36 EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-446/03 – Marks & Spencer, Slg. 2005, 10837. 37 Aus der „Flut“ von Beiträgen vgl. Dörr, EWS 2006, 34; Dötsch/Pung, Der Konzern 2006, 130; Englisch, IStR 2006, 22; Gosch, BFH-PR 2006, 112; Graw, DB 2010, 2469; Herzig/Wagner, Der Konzern 2006, 176; Hey, GmbHR 2006, 113; Jochum, IStR 2006, 621; Mitschke, DStR 2010, 1368; Saß, DB 2006, 123. 38 EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-414/06 – Lidl Belgium, Slg. 2008, I-3601. 39 EuGH v. 23.10.2008 – Rs. C-157/07 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Slg. 2008, I-8061. 40 EuGH v. 25.2.2010 – Rs. C-337/08 – X-Holding, DStR 2010, 427. 41 FG Rh.-Pf. v. 17.3.2010 – 1 K 2406/07, EFG 2010, 802; FG Niedersachsen v. 11.2.2010 – 6 K 406/08, EFG 2010, 815. 42 BFH v. 9.11.2010 – I R 16/10, BFH/NV 2011, 524; dazu Gosch, BFH/PR 2011, 142; Heinsen, BB 2011, 614; Homburg, IStR 2011, 111; Lieber, jurisPR-SteuerR 15/2011 Anm. 1; Mitschke, IStR 2011, 185. 43 Nr. 34 der Stellungnahme des Bundesrates v. 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12 (Beschluss).

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„Der Bundesfinanzhof geht unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH (z. B. in der Rechtssache C 414/06 „Lidl-Belgium“) davon aus, dass Verluste eines inländischen Unternehmens aus dessen ausländischer Betriebstätte im Inland berücksichtigt werden müssen, soweit sie ansonsten „endgültig“ nicht mehr verrechnet werden können. Ein solcher endgültiger Betriebsstättenverlust kann nach der sehr weitgehenden Rechtsprechung des BFH in zahlreichen Fallgestaltungen entstehen. Eine großzügige Auslegung des Begriffs „endgültig“ eröffnet erhebliches Gestaltungspotenzial und erhöht die Gefahr einer doppelten Verlustnutzung. Daher sollte geprüft werden, ob die Berücksichtigung ausländischer Betriebsstättenverluste im Inland gesetzlich auf das unionsrechtlich Erforderliche beschränkt werden sollte. In die Überlegungen sollte die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH einfließen.“

Die Frage nach einer möglichen Regelung kann direkt an das Podium weitergebenen werden. Podiumsdiskussion: Hruschka hielt eine Regelung zum jetzigen Zeitpunkt für nicht sinnvoll, da zunächst die Entscheidung des EuGH in der Rs. A Oy44 abgewartet werden sollte. Die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 19.7.201245 ließen aus Sicht der Finanzverwaltung hier eine gewisse Neujustierung erhoffen. Welling entgegnete dem, dass das bisherige Zuwarten des Gesetzgebers haushaltspolitisch riskant sei und der Gesetzgeber angehalten sei, die bisherigen EuGH-Entscheidungen ernst zu nehmen. Im Übrigen würde der Steuerausfall bei einer engen Auslegung des Begriffs der „finalen“ Betriebsstättenverluste lediglich im zweistelligen MillionenBetrag liegen.

_____________ 44 Az. C-123/11. 45 IStR 2012, 618.

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Das deutsch-schweizer Steuerabkommen – Stand und aktuelle Diskussion* Dr. Jörg Schauf Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Einleitung ....................................... 52 B. Ratifizierungsprozess ..................... 52 C. Vergangenheitsbesteuerung ........... 53 D. Abgeltungswirkung für die Zukunft .......................................... 55 E. Ergänzungsprotokoll vom 5. April 2012 ................................................ I. Änderung des Anwendungsbereichs des Abkommens (Art. 5 Abs. 1 Satz 1) ................. II. Erhöhung des pauschalen Nachversteuerungssatzes (Art. 7 Abs. 2) ............................ III. Einführung einer Regelung zur Pauschalversteuerung von Erbschaften (Art. 31) ................. IV. Erhöhung der Anzahl der Auskunftsersuchen, sog. „kleine Auskunftsklausel“ (Art. 32 Abs. 9) ........................................

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V. Klarstellung zur Reichweite des EU-Zinsbesteuerungsabkommens (Art. 1 Abs. 3) ....... 59 VI. Gemeinsame Verwaltungsanweisungen zu Missbrauchsbestimmungen .......................... 59 F. Steuerberechnung nach dem Abgeltungsmodell .......................... 59 G. Tendenzaussagen zur Abgeltungsformel ............................................. 60

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H. Selbstanzeige nach § 371 AO oder Steuerabkommen? ......................... 61

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I. Ausgewählte Beispielsfälle Abgeltungslösung vs. Selbstanzeige ... 61

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J. Fazit Vergleichsrechnungen .......... 65 K. Verfassungsrechtliche Zweifel aus deutscher Sicht ........................ 66

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L. Ausblick ......................................... 68

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Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten und dementsprechend auf Literaturnachweise im Fließtext verzichtet. Hingewiesen sei auf folgende weiterführende Literatur: Degen, Das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz – eine Alternative zur Selbstanzeige?, BB 2012, 28; Holenstein, Steuerabkommen Schweiz-Deutschland, PStR 2012, 263; Joecks, Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen – verfassungsgemäß?, wistra 2011, 441; Korts, Das Steuerabkommen Deutschland-Schweiz i. d. F. des Änderungsprotokolls vom 5.4.2012: Wird jetzt alles gut?, StBg 2012, 269; Schauf in Kohlmann, Steuerstrafrecht (46. Ergänzungslieferung), Vorbemerkungen § 371 AO, Ausblick: deutsch-schweizerisches Steuerabkommen; Tippelhofer, Überblick über das Steuerabkommen Schweiz-Deutschland, IStR 2011, 945; Wessing, Das Steuerabkommen mit der Schweiz – Untätigkeit kann teuer werden, SAM 2012, 53.

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A. Einleitung Am 21. September 2011 haben die Bundesrepublik Deutschland und die Schweizerische Eidgenossenschaft ein Abkommen zur Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt unterzeichnet. Durch das am 5. April 2012 unterzeichnete Ergänzungsprotokoll hat das Steuerabkommen bereits eine erste Änderung erfahren. Das Steuerabkommen sieht im Wesentlichen vor, dass Personen mit Wohnsitz in Deutschland ihre bestehenden Bankbeziehungen in der Schweiz nachversteuern, indem sie entweder eine anonyme Einmalzahlung leisten oder ihre Konten im Wege einer sog. freiwilligen Meldung offenlegen. Für zukünftige Kapitalerträge sieht das Abkommen eine anonyme Abgeltungsteuer zu einem einheitlichen Steuersatz vor. Das Steuerabkommen soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten. Bislang ist jedoch völlig ungewiss, ob das entsprechende Umsetzungsgesetz1 im Bundesrat die erforderliche absolute Mehrheit findet.

B. Ratifizierungsprozess Das Bundeskabinett hat am 25. April 2012 den Gesetzesentwurf zur Umsetzung des Steuerabkommens beschlossen.2 Die öffentliche Anhörung zu dem Gesetzesentwurf im Finanzausschuss des Bundestages hat am 24. September 2012 stattgefunden. Die abschließende Lesung im Bundestag ist für den 26. Oktober 2012 vorgesehen, wobei die Zustimmung des Bundestages als sicher gelten dürfte. Ungewiss ist dagegen die Zustimmung des Bundesrates, da insbesondere die SPD angekündigt hat, das Abkommen im Bundesrat „scheitern zu lassen“. In seiner Sitzung am 15. Juni 2012 konnte sich der Bundesrat nicht auf _____________ 1 BT-Drucks. 17/10059, Entwurf eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012, abrufbar unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/ 17/100/1710059.pdf. 2 BT-Drucks. 17/10059.

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eine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf einigen. Kritisiert werden insbesondere die „zu milde“ Abgeltungsteuer sowie die Möglichkeit, der Nachversteuerung durch rechtzeitigen Vermögensabzug zu entgehen. Derzeit ist vorgesehen, dass sich der Finanzausschuss des Bundesrates am 8. November 2012 mit dem Gesetzesentwurf befasst. Die abschließende Beratung im Bundesrat soll am 23. November 2012 stattfinden. Das Bundesfinanzministerium geht daher derzeit davon aus, dass sich das Ratifizierungsverfahren in Deutschland noch bis in den November hinziehen wird. Demgegenüber hat der Schweizerische Nationalrat das Abkommen am 3. Mai 2012 gebilligt. Die Vertretung der Kantone hatte bereits zuvor zugestimmt, sodass das Abkommen von Schweizer Seite wie geplant in Kraft treten könnte, wenn es nicht doch noch im Rahmen einer Volksabstimmung über das Abkommen im Laufe des November abgelehnt werden sollte.

C. Vergangenheitsbesteuerung „Herzstück“ des Abkommens ist die Vergangenheitsbesteuerung. Der Steuerpflichtige hat die Wahl zwischen einer anonymen Einmahlzahlung zum 31. Mai 2013 und einer freiwilligen Meldung gegenüber den deutschen Finanzbehörden. Vom Abkommen werden natürliche Personen erfasst, die am 31. Dezember 2010 und am 1. Januar 2013 ein Konto bzw. Depot bei einer Schweizerischen Bank oder einer anderen dortigen Zahlstelle unterhalten und am 31. Dezember 2010 einen Wohnsitz in Deutschland hatten. Deutsche Bankkunden, die ihr Vermögen vor dem 1. Januar 2013 aus der Schweiz abziehen, fallen daher nicht unter das Abkommen, wohingegen die Verlegung des Wohnsitzes ohne Auswirkung bliebe. Erfasst werden alle Formen bankfähiger Vermögenswerte, die auf Konten oder Depots in der Schweiz verwahrt werden, wie z. B. Aktien, Optionen, Schuldtitel, Wertpapiere, Zertifikate oder Edelmetalle. Ausgeschlossen sind dagegen in Tresorfächern verwahrte Vermögenswerte. Dabei wird nicht auf die formale Berechtigung, sondern die wirtschaftliche Nutzungsberechtigung an den Vermögenswerten abgestellt, sodass auch indirekte Vermögenswerte wie Stiftungen, Trusts und Sitzgesellschaften unter das Abkommen fallen, wenn ihr wirtschaftlich Berechtigter der deutschen Steuerpflicht unterliegt. Das Steuerabkommen sieht für die Vergangenheitsbesteuerung zwei Möglichkeiten vor. Der Betroffene hat die Wahl zwischen einer anony-

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men pauschalen Einmalzahlung3 und der freiwilligen Meldung4, welche zur Versteuerung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung führt. Ein „Weiter so“ und Nichtstun ist den Betroffenen – sofern das Abkommen in Kraft tritt – nicht mehr möglich, da sie sich für einen Weg entscheiden müssen. Selbstverständlich bleibt es aber unbenommen, im Vorfeld des Abkommens eine Selbstanzeige nach § 371 AO abzugeben und so der pauschalen Nachversteuerung durch das Abkommen zu entgehen. Die Einmalzahlung erfolgt zu einem pauschalen Steuersatz von 21–41 % des Vermögensstands zum 31. Dezember 2010 bzw. zum 31. Dezember 2012, wobei der höhere Kapitalbestand maßgebend ist. Der individuelle Steuersatz ist anhand einer komplexen Formel zu ermitteln.5 Hierfür werden u. a. die Dauer der Kundenbeziehung als auch die Depotanfangs- und Depotendbestände herangezogen. Ein wesentlicher Unterschied der Pauschalversteuerung nach dem Abkommen zur Selbstanzeige besteht darin, dass bei dem Abkommen weder die persönlichen Verhältnisse noch erzielte Verluste Berücksichtigung finden. Die Durchführung der pauschalen Nachversteuerung führt dazu, dass die deutschen Steueransprüche im Zeitpunkt ihres Entstehens als erloschen gelten.6 Dies gilt im Übrigen auch für Steueransprüche, die vor dem 31. Dezember 2002 entstanden sind. Insoweit findet keine Verfolgung von Steuerstraftaten oder Steuerordnungswidrigkeiten statt7, sodass der Nachversteuerung strafbefreiende Wirkung zukommt. Straffreiheit tritt jedoch nicht ein, wenn die Vermögenswerte aus Verbrechen im Sinne des StGB herrühren oder vor Unterzeichnung des Abkommens – also vor dem 21. September 2011 – ein Anfangsverdacht hinsichtlich nicht versteuerter Vermögenswerte in der Schweiz bestand und die betroffene Person dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen müsste. Dies betrifft insbesondere DatenCDs, deren Ankauf vor dem 21. September 2011 publik gemacht wurde. Nach erfolgter Zahlung erhält der Betroffene von der Schweizer Zahlstelle eine Bescheinigung, die er später zum Nachweis der Besteuerung gegenüber der Finanzverwaltung verwenden kann. Anders als bei der anonymen Einmalzahlung werden gegenüber dem deutschen Fiskus im Fall der freiwilligen Meldung persönliche Informa_____________ 3 4 5 6 7

Abkommen Art. 7. Abkommen Art. 9. Vgl. nachstehend Gliederungspunkt F. Abkommen Art. 7 Abs. 6. Abkommen Art. 8.

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tionen zur Identifizierung des Steuerpflichtigen offengelegt. Die freiwillige Meldung gilt als wirksame Selbstanzeige nach § 371 AO bezogen auf die gemeldeten Konten und Depots.8 Diese Formulierung legt nahe, dass für Zwecke des Abkommens – anders als bei § 371 AO – eine Teilselbstanzeige weiterhin möglich sein soll. Ferner überrascht, dass eine freiwillige Meldung als Selbstanzeige gelten soll, wenngleich der Fiskus allein anhand der aus der Schweiz erlangten Informationen die Steuer nicht festsetzen kann. Die vorstehend bei der Einmalzahlung beschriebenen Ausschlussgründe gelten entsprechend. Den Weg der freiwilligen Meldung müssen alle Steuerpflichtigen wählen, die ihre Erträge in der Vergangenheit ordnungsgemäß deklariert haben oder im Vorfeld eine Selbstanzeige nach § 371 AO abgegeben haben, da andernfalls eine doppelte Versteuerung durch die pauschale Einmalzahlung erfolgt.

D. Abgeltungswirkung für die Zukunft In einem zweiten Teil sieht das Abkommen vor, dass die nach dem 1. Januar 2013 erzielten Erträge in der Schweiz einer Abgeltungsteuer von 26,375 % unterliegen, was der Abgeltungsteuer in Deutschland zuzüglich des Solidaritätszuschlags entspricht.9 Der einbehaltene Betrag wird von der Schweiz nach Deutschland abgeführt. Damit würden in der Zukunft Kapitalerträge in Deutschland und der Schweiz gleich belastet. Neben dieser Abgeltungsteuer in anonymisierter Form können die Steuerpflichtigen aber auch in Zukunft die freiwillige Meldung und damit die Versteuerung im Veranlagungswege wählen.10

E. Ergänzungsprotokoll vom 5. April 2012 Nach Unterzeichnung des Abkommens im September 2011 hatten sowohl die Europäische Kommission als auch einige Bundesländer politische und rechtliche Bedenken geäußert. Daraufhin wurden Nachver_____________ 8 Abkommen Art. 10. 9 Abkommen Art. 18. 10 Abkommen Art. 21.

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handlungen geführt, welche als Resultat den Abschluss des Ergänzungsprotokolls vom 5. April 2012 ergaben. Vornehmlich wurden Erweiterungen der bestehenden Regelungen vorgenommen. Trotz noch nicht vollständig beigelegter Streitigkeiten scheint es Annäherungen bezüglich eines Konsenses zu geben.

I. Änderung des Anwendungsbereichs des Abkommens (Art. 5 Abs. 1 Satz 1) Insbesondere wurde die Sorge aufgenommen, dass sich der Bankkunde in der ursprünglichen Fassung des Abkommens mit dem Abzug seines Vermögens bis zum sog. Stichtag 3, dem letzten Tag des fünften Monats nach Inkrafttreten, Zeit lassen konnte. Die Regelungen des Ergänzungsprotokolls vorverlegen diesen Termin auf den Stichtag 2, den 31. Dezember 2010. Das heißt, von dem Steuerabkommen werden Personen erfasst, die sowohl am Stichtag 2, dem 31. Dezember 2010, und dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Steuerabkommens bei derselben schweizerischen Zahlstelle ein Konto oder Depot haben. Die Verlagerung von Kapitalvermögen aus der Schweiz in Drittstaaten wird damit bereits mit Inkrafttreten zum 1. Januar 2013 nicht mehr ohne Meldung möglich sein. Bezüglich des persönlichen Anwendungsbereichs ist die Entwicklung der OECD zu beobachten: Es wird diskutiert über die Einführung einer Gruppenanfrage, sodass u. U. eine namentliche Identifizierung hinfällig wird und künftig bei bezeichneten Personengruppen nur noch ein bestimmtes Verhaltensmuster Suchkriterium sein soll. Bis zur tatsächlichen Veröffentlichung der Kommentierung zur Auslegung dieser Kriterien kann keine zuverlässige Aussage darüber gemacht werden, ob diesbezügliche Angaben in späteren Amtshilfeverfahren zu offenbaren sind.

II. Erhöhung des pauschalen Nachversteuerungssatzes (Art. 7 Abs. 2) Die ursprüngliche Fassung des Abkommens sah eine Mindestversteuerung des relevanten Kapitals von 19 % vor. Dieser Eingangssteuersatz wurde durch das Ergänzungsprotokoll auf 21 % angehoben. Der Höchststeuersatz wurde parallel von 34 % auf maximal 41 % angehoben. Beläuft sich die Steuerbelastung auf 34 % und beträgt das rele56

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

vante Kapital mindestens eine Million Euro, bestimmt das Abkommen, dass die auf das gesamte relevante Kapital anwendbare Steuerbelastung je Million Euro relevantes Kapital um jeweils einen Prozentpunkt steigt, bis eine Spitzensteuerbelastung von 41 % erreicht ist. Beläuft sich die Steuerbelastung auf mindestens 34 % und besteht ein relevantes Kapital von mindestens sieben Millionen Euro, beträgt die Steuerbelastung 41 % des relevanten Kapitals. Das relevante Kapital besteht aus dem Kapitalbetrag am 31. Dezember 2010 oder am 31. Dezember 2012; entscheidend ist generell der höhere der beiden Beträge. Um die Zusammenfassung von Vermögen zu unterbinden gilt, dass wenn der Kapitalbestand am 31. Dezember 2012 höher ist als der Bestand am 31. Dezember 2010, das relevante Kapital prinzipiell auf das 1,2-Fache des Kapitalbestands am 31. Dezember 2010 beschränkt ist, es sei denn, eine mögliche Wertzunahme sei auf Wertsteigerungen oder Zuflüsse zurückzuführen, die frühere Abflüsse ausgleichen.

III. Einführung einer Regelung zur Pauschalversteuerung von Erbschaften (Art. 31) Weiter wurde eine wesentliche Lücke des ersten Entwurfs im Hinblick auf zukünftige Überträge von Vermögen geschlossen, die im Entwurf durch die vorgesehene Anonymität noch vorhanden war. Die ursprüngliche Fassung des Abkommens sah insoweit keinerlei Regelungen zur Erbschaftsteuer vor, sodass das in der Schweiz befindliche Vermögen ohne Erbschaftsteuerabzüge hätte vererbt werden können. Dieser zu Recht stark kritisierten Regelungslücke wurde mit Schaffung des Artikels 31 im Rahmen des Ergänzungsprotokolls entgegengetreten. Erhält eine schweizerische Zahlstelle nach Inkrafttreten des Abkommens Kenntnis vom Tode eines Kunden, sperrt sie die Vermögenswerte, an denen der Verstorbene zum Zeitpunkt des Todes nutzungsberechtigt war. Den Erben steht es frei, innerhalb eines Jahres ab Zeitpunkt des Todes des Erblassers eine freiwillige Meldung der Erbschaft zu machen. Die Sperrung des Kontos oder Depots wird erst aufgehoben, nachdem entweder die pauschale Besteuerung oder die Meldung bzw. die Ermächtigung zur Meldung der Erbschaft erfolgt ist. Wird innerhalb dieses einen Jahres ab dem Zeitpunkt des Todes des Erblassers keine Ermächtigung durch die Berechtigten erteilt, die Identität des Erblassers sowie den Kontostand zum Todeszeitpunkt mitzuteilen, wird eine Steuer von 50 % des Vermögens erhoben. Über die ver57

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

bleibenden 50 % des Vermögens des Erblassers können die Berechtigten derweil verfügen. Den Erben wird von der Bank eine Bescheinigung über die einbehaltene Steuer ausgehändigt, welche dann den deutschen Behörden vorgelegt werden kann. Die deutsche Behörde kann dann den effektiven Erbschaftsteuerbetrag errechnen und die Differenz an die Erben zurückerstatten. Sollten die Erben die Anonymität wahren und die Erbschaft den deutschen Behörden nicht offenbaren wollen, gilt der Erbschaftsteueranspruch des deutschen Staates als mit der 50 %-Zahlung abgegolten. Da der 50 %-Satz deutlich über dem effektiv geschuldeten Erbschaftsteuerbetrag liegt, besteht für die Erben ein faktischer Zwang zur Offenlegung der Erbschaft. Da Art. 31 nicht auf Art. 8 Abs. 1 verweist, dürfte die Meldung der Erbschaft und ebenfalls die pauschale Versteuerung der Erbschaft gegenüber den deutschen Behörden keine strafbefreiende Wirkung entfalten bzw. die Verfolgung der etwaigen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten verhindern. Besondere Vorsicht ist auch in Bezug auf eine Art mögliche „Doppelbesteuerung“ für Vermögenswerte geboten, die zu Lebzeiten (nach dem Abkommen) legalisiert worden sind.

IV. Erhöhung der Anzahl der Auskunftsersuchen, sog. „kleine Auskunftsklausel“ (Art. 32 Abs. 9) Das Abkommen sieht zur Sicherung seines Zwecks die Möglichkeit von Auskunftsersuchen seitens der Bundesrepublik vor. In der ursprünglichen Fassung wurden diese bis zu 999 Auskunftsersuche der deutschen Steuerbehörden innerhalb der ersten zwei Jahre durch das Ergänzungsprotokoll auf bis zu 1.300 Gesuche aufgestockt. Die Regelung soll ferner, durch Angabe des Namens und des Anlasses der Anfrage, verhindern, dass Anfragen „ins Blaue hinein“ gestellt werden. Nicht erforderlich ist hingegen die Nennung des Kreditinstituts, bei dem eine Kontobeziehung vermutet wird. Die Anforderungen sind insoweit geringer als im Rahmen von Amtshilfeersuchen nach dem OECD-Standard und Art. 27 DBA Schweiz. Diese verlangen grundsätzlich auch eine Identifikation der entsprechenden Bank. Die Schweiz hat sich überdies in Art. 16 des Abkommens zur Angabe der zehn Staaten und Territorien verpflichtet, in die bis zum 31. Dezember 2012 – gemessen am Volumen – der größte Teil von Vermögenswerten derjenigen betroffenen Personen, die ihr Konto oder Depot zwi58

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

schen der Unterzeichnung und dem Inkrafttreten des Abkommens aufgelöst haben, überwiesen wurde. Je nach Abkommen mit den in Rede stehenden Staaten und Territorien wird danach eine weiterführende steuerrechtliche Verfolgung möglich.

V. Klarstellung zur Reichweite des EU-Zinsbesteuerungsabkommens (Art. 1 Abs. 3) Schließlich wurde Bedenken der EU-Kommission gegenüber einer bilateralen Reduzierung des Abgeltungsteuersatzes i. H. v. 35 % auf 26,375 % dadurch entgegengetreten, dass klargestellt wurde, dass Zinszahlungen, die unter das EU-Zinsbesteuerungsabkommen11 fallen, vom Anwendungsbereich ausgenommen sind.

VI. Gemeinsame Verwaltungsanweisungen zu Missbrauchsbestimmungen Deutschland und die Schweiz werden ferner gemeinsame Verwaltungsanweisungen erlassen, um die in Art. 33 aufgeführten Missbrauchsbestimmungen zu definieren.

F. Steuerberechnung nach dem Abgeltungsmodell Die exakte individuelle Belastung bemisst sich anhand einer komplexen finanzmathematischen Formel, die durch zahlreiche Parameter ausgefüllt wird:

– Kr ist das sog. „relevante Kapital“ (Kernstück der Berechnung), im Regelfall handelt es sich hierbei um den Depotwert per 31. Dezember 2010 oder per 31. Dezember 2012 (je nachdem, welcher Wert höher ist); _____________ 11 Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Genossenschaft über Regelungen, die den in der Richtlinie 2003/48/EG des Rates im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen festgelegten Regelungen gleichwertig sind.

59

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

– SB ist der abzuführende Steuerbetrag, der im Minimum (Smin) 21 % des relevanten Kapitals beträgt; – s steht für einen Steuersatz in Höhe von 34 %, der auf einen individuellen Teilbetrag des relevanten Kapitals angewendet wird; – SB' ist der erhöhte Steuerbetrag: Sobald die Steuerbelastung > 1 Mio. Euro ist, ist auch das relevante Kapital (Kr) mit einem individuellen Steuersatz zu multiplizieren, z. B. falls 1 Mio. = K < 2 Mio., dann gilt sl' (erhöhte Steuerbelastung) = 0.35; – n ist die Anzahl der Jahre der Bankbeziehung zwischen dem 31. Dezember 2002 und dem 31. Dezember 2010 (maximal 8); – Kb ist der Kapitalbestand per 31. Dezember 2002, bei späterer Einrichtung der Kapitalbestand am Ende des Jahres der Einrichtung; – K9'und K10' stehen für fiktive Kapitalstände per 31. Dezember 2011 und 31. Dezember 2012, zu deren Ermittlung eine jährliche 3-prozentige Rendite auf das relevante Kapital unterstellt wird. Die Einmalzahlung wird mittels vorstehender Formel standardisiert berechnet. Berücksichtigt werden in erster Linie die Vermögenswerte der betroffenen Person und die Dauer der Kundenbeziehung. Die Art der Anlagen und die effektiv erzielten Erträge fließen nicht in die Berechnung ein. Vereinfacht gilt, dass je länger die Dauer der Kundenbeziehung zwischen 2003 und 2010 (Anzahl Jahre) und je höher das Startkapital im Verhältnis zum relevanten Kapital ist, desto tiefer fällt die Steuerbelastung für die betroffene Person aus (mind. 21 %).

G. Tendenzaussagen zur Abgeltungsformel Es lassen sich darüber hinaus folgende Tendenzaussagen treffen: – Maßgeblich für die Ermittlung der Steuerbelastung sind im Regelfall die Depotwerte per 31. Dezember 2002 und per 31. Dezember 2010 (da der Depotwert per 31. Dezember 2012 in der Zukunft liegt, kann dieser durch gezielte Entnahmen beliebig gesteuert werden); – Je größer die Wertentwicklung zwischen den o. g. Stichtagen ist, desto mehr nähert man sich der Maximalbelastung von 41 % des relevanten Kapitals an (41 % erst bei ca. 200-facher Wertsteigerung); – Die theoretische Maximalbelastung in Höhe von 41 % des relevanten Kapitals wird in der Praxis nur in Ausnahmefällen erreicht werden; – In allen Fällen, in denen sich das Vermögen im Zeitraum zwischen 31. Dezember 2002 und 31. Dezember 2010/2012 um nicht mehr als 60

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

50 % vermehrt hat, kommt der Mindestsatz in Höhe von 21 % des relevanten Kapitals zur Anwendung; – Bei den meisten Steuerpflichtigen liegt die Abgeltungsteuerbelastung zwischen 21 % und 25 %.

H. Selbstanzeige nach § 371 AO oder Steuerabkommen? In der Beratungspraxis besteht derzeit die Schwierigkeit, dass jeweils abzuwägen ist, ob dem Mandanten zur Abgabe einer Selbstanzeige nach § 371 AO oder aber zur Pauschalversteuerung nach dem Abkommen zu raten ist, wobei sowohl die Möglichkeit des Inkrafttretens als auch des Scheiterns des Abkommens in die Überlegung mit einzubeziehen ist. Die exakte steuerliche Belastung lässt sich nur anhand einer Vergleichsrechnung zwischen Selbstanzeige und Abkommen im Einzelfall ermitteln. Eine generelle Aussage, wann die eine und wann die andere Möglichkeit günstiger ist, lässt sich nicht treffen. Gleichwohl sind Fallkonstellationen auszumachen, in denen die Selbstanzeige regelmäßig günstiger ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Vermögen seit dem 31. Dezember 2002 nur durch die Zinserträge gewachsen ist und darüber hinaus keine nennenswerten Zuflüsse erfolgt sind. Daneben ist die Abgeltung nach dem Steuerabkommen bei Hinterziehungen von Einnahmen einer Kapitalgesellschaft von Anfang an ausgeschlossen, da die Körperschaftsteuer nicht vom Anwendungsbereich des Abkommens erfasst ist. Ist dem Depot seit dem 31. Dezember 2002 versteuertes Kapital in größerem Umfang zugeflossen, ist in der Regel ebenfalls die Selbstanzeige günstiger. Demgegenüber ist die Abgeltung vorteilhaft bei größeren Schwarzgeldzuflüssen. Je größer der Zufluss nicht versteuerter Einnahmen seit dem 31. Dezember 2002 ist, umso größer ist der Steuervorteil bei Anwendung des Abkommens. Im Übrigen ist zu bedenken, dass derjenige, der nicht rechtzeitig eine Selbstanzeige abgegeben hat und bei dem sich zum Jahresende ein Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 AO realisiert – wie etwa die Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung –, die Wahlmöglichkeit zwischen der Selbstanzeige und dem Abkommen einbüßt.

I. Ausgewählte Beispielsfälle Abgeltungslösung vs. Selbstanzeige Die unterschiedliche Belastungswirkung durch das Abgeltungsmodell auf der einen und die Selbstanzeige auf der anderen Seite soll im Folgenden anhand von Praxisbeispielen verdeutlicht werden. 61

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

Dabei steht die Berechnung, ob die Abgeltungslösung im Vergleich zur regulären Nachversteuerung attraktiv ist, in Abhängigkeit zu den individuellen Besonderheiten des Einzelfalles (Anlagestrategie, Vermögenszuflüsse, involvierte Steuerarten). Insoweit können im Folgenden nur stark schematisierte Fallgruppen/Tendenzen aufgezeigt werden. In den nachfolgenden Beispielsfällen wird dabei von folgenden vereinfachten Annahmen ausgegangen: – Selbstanzeige wird im Jahr 2013 abgegeben; zu diesem Zeitpunkt sind die Jahre 2002 bis 2012 steuerlich noch nicht festsetzungsverjährt; – Investition in Anleihen (80 %) und Aktien (20 %) mit unterstellten jährlichen Renditen in Höhe von 3,5 % bzw. 2 % des Vorjahresendbestands; – Jährliche Veräußerungsgewinne (außerhalb der Spekulationsfrist) in Höhe von 1 % des Vorjahresendbestands (bis einschl. 2008); – Zins- und Dividendenerträge sind nicht quellensteuerbelastet; – Der durchschnittliche Steuersatz in den Jahren bis 2008 beläuft sich auf den jeweiligen Spitzensteuersatz (Reichensteuer inkl. Solidaritätszuschlag); – Verzinsung gem. § 233a AO. Fall 1: Typisches Depot Die Ehegatten unterhalten seit 30 Jahren ein Wertpapierdepot in der Schweiz. Seit dem 1. Januar 2003 haben keine Zu- und Abflüsse stattgefunden. Das Vermögen hat aus sich heraus gearbeitet. Berechnungsparameter: Depotbestand 31. Dez. 2001

5.000.000 EUR

Depotbestand 31. Dez. 2002

5.210.000 EUR

≈ Kb

Depotbestand 31. Dez. 2010

7.102.372 EUR

≈ K8

Depotbestand 31. Dez. 2012

7.564.196 EUR

≈ K10 und Kr

Wertzuwachs Kb - Kr

2.354.196 EUR

Steuerpflichtige Einkünfte 2002–2012

2.087.412 EUR

62

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

Vergleichsrechnung Abgeltungsteuer/Selbstanzeige Gesamtbelastung

in % d. akt. Verm.

Selbstanzeige

1.043.119 EUR

13,79 %

Anonyme Abgeltung:

1.588.481 EUR

21,00 %

Delta

545.351 EUR

Der Beispielsfall 1 stellt den Standardfall in der Beratungspraxis dar. Es handelt sich hierbei um die ca. 80 % der Selbstanzeigefälle, in denen zum 1. Januar 2002 gemachte Vermögen nur noch aus sich heraus gearbeitet haben. Das Beispiel deckt sich mit der allgemeinen Erfahrung, dass die durchschnittliche Selbstanzeige ca. 10–12 % des heutigen Vermögensstands kostet. Damit ist offensichtlich, dass in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle die Selbstanzeige gegenüber der pauschalen Abgeltung das wirtschaftlich günstigere Instrument zur Vergangenheitsbewältigung ist.

Fall 2: Verkauf Immobilie Noch deutlicher verhält es sich, wenn versteuerte bzw. nicht steuerpflichtige Zuflüsse auf dem schwarzen Konto zu verzeichnen sind: Die Ehegatten besitzen seit 30 Jahren eine Immobilie in St. Moritz, die aus versteuerten Einnahmen angeschafft wurde. Zum Unterhalt des Domizils unterhalten sie von jeher ein kleines Sparkonto, dessen Zinserträge nicht deklariert wurden. Ende des Jahres 2010 veräußern sie die Immobilie zu einem Preis von 2,5 Mio. Euro. Den Kaufpreis lassen sie sich auf das Sparkonto überweisen. Berechnungsparameter: Depotbestand 31. Dez. 2001

50.000 EUR

Depotbestand 31. Dez. 2002

51.600 EUR

≈ Kb

Depotbestand 31. Dez. 2010

2.566.388 EUR

≈ K8

Depotbestand 31. Dez. 2012

2.733.264 EUR

≈ K10 und Kr

Wertzuwachs Kb - Kr

2.681.664 EUR

Steuerpflichtige Einkünfte 2002–2012

232.440 EUR

63

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

Vergleichsrechnung Abgeltungsteuer/Selbstanzeige Gesamtbelastung Selbstanzeige

in % d. akt. Verm.

69.889 EUR

2,56 %

Anonyme Abgeltung:

920.402 EUR

33,67 %

Delta

850.513 EUR

Das Abgeltungsmodell kommt hier zu einem willkürlichen Ergebnis, indem es nicht zwischen weißen und schwarzen Zuflüssen differenziert. Der Steuerpflichtige muss hier geradezu vor dem Abkommen in die Selbstanzeige flüchten, will er nicht eine massive Schlechterstellung in Kauf nehmen.

Fall 3: Laufende Schwarzeinnahmen Daneben gibt es die Fälle, in denen das Abkommen attraktiv ist. Das sind jene Fälle, in denen das Vermögen nicht nur aus sich heraus gearbeitet hat, sondern neben den schwarzen Erträgen auch nicht versteuerte weitere Einnahmen erzielt wurden: Der Freiberufler unterhält seit über 10 Jahren ein Konto, auf dem er in dem Zeitraum 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2010 jährlich 150.000 Euro Schwarzeinnahmen vereinnahmt. Berechnungsparameter: Depotbestand 31. Dez. 2001

1.000.000 EUR

Depotbestand 31. Dez. 2002

1.192.000 EUR

≈ Kb

Depotbestand 31. Dez. 2010

2.994.740 EUR

≈ K8

Depotbestand 31. Dez. 2012

3.189.470 EUR

≈ K10 und Kr

Wertzuwachs Kb - Kr

1.997.470 EUR

Steuerpflichtige Einkünfte 2002–2012

2.053.553 EUR

Vergleichsrechnung Abgeltungsteuer/Selbstanzeige

Selbstanzeige Anonyme Abgeltung: Delta

64

Gesamtbelastung

in % d. akt. Verm.

1.189.296 EUR

37,29 %

817.486 EUR

25,63 %

-371.810 EUR

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

Fall 3 entspricht den Fällen, mit denen in den Medien das Vorurteil vom Geschenk für Steuersünder genährt wird. In der Tat ist insoweit zu kritisieren, dass gerade die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung privilegiert werden. Allerdings ist diese Fallgruppe verglichen mit der Gesamtgruppe an Selbstanzeigenden der geringste Teil, die statistische Häufigkeit dürfte im einstelligen Prozentbereich liegen.

Fall 4: Konsumierte Schwarzeinnahmen Wie Beispielsfall 3 mit dem Zusatz, dass der Freiberufler die eingenommenen Schwarzeinnahmen unterjährig jeweils in voller Höhe verkonsumiert hat. Berechnungsparameter: Depotbestand 31. Dez. 2001

100.000 EUR

Depotbestand 31. Dez. 2002

103.200 EUR

≈ Kb

Depotbestand 31. Dez. 2010

132.775 EUR

≈ K8

Depotbestand 31. Dez. 2012

141.409 EUR

≈ K10 und Kr

Wertzuwachs Kb - Kr

38.209 EUR

Steuerpflichtige Einkünfte 2002–2012

1.694.059 EUR

Vergleichsrechnung Abgeltungsteuer/Selbstanzeige Gesamtbelastung Selbstanzeige Anonyme Abgeltung: Delta

in % d. akt. Verm.

880.692 EUR

622,80 %

29.969 EUR

21,00 %

-850.723 EUR

J. Fazit Vergleichsrechnungen Die Beispielsfälle zeigen, dass für die überwiegende Anzahl der Steuersünder die Selbstanzeige günstiger ist als die anonyme Abgeltung. Die in der Öffentlichkeit vorhandene Kritik am Abkommen als Steuergeschenk für Steuersünder trifft ganz überwiegend nicht zu. Insofern wird das Institut der klassischen Selbstanzeige von großer oder sogar noch größerer Bedeutung sein. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Abgeltung über das Abkommen ausgeschlossen bzw. nicht sinnvoll ist, wenn 65

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

– das Vermögen seit 31. Dezember 2002 nur aus sich heraus gewachsen ist; – eine Hinterziehung von Einnahmen einer Kapitalgesellschaft vorliegt; – länderübergreifende Hinterziehungssachverhalte (weitere Konten außerhalb der Schweiz); – ein Zufluss von versteuertem Kapital (ab dem 31. Dezember 2002) erfolgte; – Verlustvorträge genutzt werden können oder sonstige steuermindernde individuelle Merkmale vorliegen (niedrige Progression [Rentner], Quellensteuerguthaben etc.). Die Korrektur über das Abgeltungsmodell ist hingegen vorteilhaft, – im Falle nennenswerter Zuflüsse (z. B. Speisung durch gewerbliche Schwarzeinnahmen, Schenkungen o. Ä.); – hier gilt: je größer die nicht versteuerten Einnahmen, umso größer der Steuervorteil; – bei uneinigen Personengruppen (z. B. Erbengemeinschaft); – bei nachteiligen Besteuerungsgrundlagen, wie z. B. einem hohen Anteil sog. „schwarzer“/„intransparenter“ Fonds; – bei stark verschachtelten Sachverhalten mit Beweis- und Nachweisschwierigkeiten; – wenn eine Sperre bei der Selbstanzeige eingetreten ist, z. B. wegen laufender Betriebsprüfung.

K. Verfassungsrechtliche Zweifel aus deutscher Sicht Neben politischen Bedenken werden auch die Stimmen nicht leiser, die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken erheben und eine nicht zu rechtfertigende gleichheitswidrige Begünstigung der Steuerunehrlichen und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt. Die ist z. B. der Fall, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können. Vor diesem Hintergrund sind aus verfassungsrechtlicher Sicht insbesondere die Besser66

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

stellung von Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung (vgl. Beispielsfall 3) sowie die Ungleichbehandlung gegenüber Anlegern in anderen Steueroasen (gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss) problematisch. Denn anders als bei früheren Steueramnestien werden durch das Abkommen nunmehr erstmals auch Steuerunehrliche untereinander unterschiedlich behandelt, da demjenigen, der sein Schwarzgeldkonto in einem anderen Staat als der Schweiz führt, der Weg der anonymen Abgeltung nicht offensteht. Weil das Abgeltungsmodell faktisch eine Amnestieregelung darstellt, kann man sich hierzu an den Maßstäben orientieren, die das Bundesverfassungsgericht zu früheren Steueramnestien aufgestellt hat. Dies waren zum einen die sog. Zinsamnestie12 Ende der 80er-Jahre und die große Steueramnestie 2004/200513. Beide sahen eine Besserstellung des Steuerunehrlichen gegenüber dem Steuerehrlichen vor. Beide wurden ausnahmsweise als gerechtfertigt angesehen. Argument war jeweils, dass sie einer Vergangenheitsbewältigung dienen und gleichzeitig durch eine Systemänderung für die Zukunft ergänzt wurden. Bei der Zinsamnestie war dies die sog. kleine Kapitalertragsteuer auf Zinsen. Bei der Amnestie 2004/2005 wurde flankierend durch Einführung des Kontenabrufverfahrens zum 1. April 2005 das Bankgeheimnis letztlich abgeschafft und es wurden eine Vielzahl von Regelungen eingeführt, die für die Zukunft Steuerhinterziehungstaten anders als in der Vergangenheit deutlich erschweren sollten. Diese Rechtsprechung kann auf das Abgeltungsmodell nicht uneingeschränkt übertragen werden. Anders als bei den vorherigen Amnestien ist hier das Abkommen anonym ausgestaltet. Es wird damit gerade kein Schlussstrich in der Form gezogen, dass für die Zukunft der Steuerpflichtige bekannt ist. Denn es bleibt ihm unbenommen, in der Zukunft seine Vermögenswerte in Drittstaaten zu transferieren. Das Steuerabkommen kommt damit im Zweifel auch dem zugute, der den endgültigen Weg in die Steuerehrlichkeit nicht geht. Im Rahmen des Steuerabkommens bleibt es bei der Hoffnung, der Nachversteuernde erwirtschafte auch künftig seine Erträge in der Schweiz und die jeweilige Abzugsteuer werde für sie abgeführt. Lässt man diese Hoffnung genügen, ist die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen nicht zu besorgen. Ist man _____________ 12 Gesetz über die strafbefreiende Erklärung von Einkünften aus Kapitalvermögen – StrBEG BVerfG v. 27.6.1991 – 2 BvL 3/89. 13 Strafbefreiungserklärungsgesetz – StraBEG; BVerfG v. 25.2.2008 – 2 BvL 14/05.

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Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

der Auffassung, nur ein Schlussstrich inklusive einer gesicherten zukünftigen Besteuerung rechtfertige erhebliche Verzichte auf geschuldete Steuern, führt dies zur Unvereinbarkeit der Regelungen des Abkommens mit der Verfassung. Nimmt man schließlich an, der Gesetzgeber dürfe den Regelungen des Abkommens entsprechend mit dem Steueranspruch verfahren und auf künftige Zuflüsse hoffen, rückt das Problem der Ungleichbehandlung der Anleger vergleichbarer „Steueroasen“, wie z. B. Liechtenstein oder Luxemburg, wieder entscheidend ins Licht. Ob für die Ungleichbehandlung der Gruppen der Anleger rechtfertigende Unterschiede gewichtiger Art bestehen, ist fraglich. Am Ende spricht gleichwohl viel dafür, dass das Modell verfassungsrechtlich Bestand haben wird. Wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei, dass auf diese Weise ein jahrelanges Vakuum beendet werden kann. Die Neuregelung ermöglicht nach schweren Verhandlungen den Übergang zu einer gleichmäßigen Besteuerung. Das Bundesverfassungsgericht räumt dem Gesetzgeber insoweit einen breiten Ermessensspielraum ein, auf Bestrafung oder auch Steuern für die Vergangenheit, sei es auch nur teilweise, zu verzichten. Trotz verbesserter Amts- und Rechtshilfemöglichkeiten wäre alternativ eine Vergangenheitsaufbereitung durch eigenes Tätigwerden des Fiskus nur mit einem Ermittlungsaufwand möglich, den der Staat gar nicht leisten könnte. Wenn aber dem Gesetzgeber eine verteilungsgerechtere Alternative nicht zur Verfügung steht, ist eine Amnestieregelung eine verfassungsrechtlich zulässige Maßnahme. Dennoch bleibt damit zu rechnen, dass das Abkommen bzw. das entsprechende Umsetzungsgesetz noch einer verfassungsrechtlichen Klärung zugeführt werden wird. Richtiger Weg hierfür ist die abstrakte Normenkontrolle.

L. Ausblick Angesichts der politischen Diskussion bleibt es spannend, ob und in welcher Form das Abkommen umgesetzt wird. Sollte sich das Abkommen doch noch durchsetzen, haben insbesondere Luxemburg und Liechtenstein angekündigt, vergleichbare Abkommen mit Deutschland schließen zu wollen. Scheitert das Abkommen, ändert dies nichts am eingeschlagenen Prozess der Weißgeldstrategie. Die Schweizer Banken werden im Rahmen ihrer Finanzplatzstrategie 2015 die Steuersituation ihrer Kunden im Einklang mit den bankeigenen Weißgeldstrategien 68

Schauf – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

durchleuchten. Mit der Konsequenz, dass bei Wegfall des Bausteins Abkommen die Steuersituation durch Nacherklärung zu bereinigen ist. Für den Steuerhinterzieher stellt sich angesichts des in den vergangenen Jahren massiv gestiegenen Entdeckungsrisikos und Fahndungsdrucks ohnehin nicht mehr die Frage, „ob“ er sein Schwarzgeld legalisiert, sondern nur noch die Frage, „wann“ und „wie“ er dies tut. Bleibt ihm der Weg über das anonyme Abgeltungsmodell versagt, wird er den Weg der klassischen Selbstanzeige wählen müssen. Da bis zum Inkrafttreten des Steuerabkommens weiterhin mit dem Ankauf von DatenCDs gerechnet werden muss, ist die Selbstanzeige nach § 371 AO derzeit der sicherste – und in vielen Fällen auch der billigste – Weg zur Straffreiheit.

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Das deutsch-schweizer Steuerabkommen: Stand und aktuelle Diskussion1 Tim Guldimann Schweizerischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin

Mit dem Steuerabkommen, das Deutschland und die Schweiz am 21. September 2011 unterzeichnet haben, kann ein wichtiger Streitpunkt zwischen zwei befreundeten Staaten gelöst werden. Dahinter steht die klare neue Position der schweizerischen Regierung und auch der Schweizer Banken: „Der schweizerische Finanzplatz soll keine unversteuerten Vermögen verwalten.“ Das nennt sich Weißgeldstrategie. Jetzt sagen Sie: „Gab es denn vorher eine Schwarzgeldstrategie?“ Es war sicher keine Strategie, aber es gab Missbräuche. Als das Bankgeheimnis 1934 in die Schweizerische Verfassung hineinkam, spielten die Steuern noch keine Rolle, aber die existenzielle Gefährdung der Vermögen über die Wirtschaftskrisen. Damit verbunden war zum Teil auch die existenzielle Gefährdung der Konteninhaber aus politischen Gründen. Das heißt, damals ging es darum, die Existenz von Vermögen zu sichern, davon hing manchmal auch das Schicksal der Konteninhaber selbst zusammen. Vor einem Jahr wurde das Steuerabkommen zwischen beiden Regierungen abgeschlossen. Seither hatte ich mit vielen Interessenvertretern, darunter auch der SPD und den Grünen, Kontakt. Von den Grünen wurde gesagt, ein solches Modell komme nicht infrage, das alles müsse europaweit über den automatischen Informationsaustausch gelöst werden. Bei der SPD war das anders. Die SPD sagte: „Ja, aber …“ Sie seien nicht prinzipiell gegen die Abgeltungsteuer, aber es gebe noch gewisse sogenannte Stolpersteine. Es kam zu Gesprächen, an denen sowohl die SPD als auch die CDU vertreten war. Da wurden die sogenannten Stolpersteine präsentiert und _____________ 1 Es handelt sich um einen Vortrag einschließlich Frage- und Diskussionsbeiträge vom 20.9.2012 im Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin.

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Guldimann – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

Lösungen unter anderem für die Erbschaftsfälle gefunden. Wir sind davon ausgegangen, dass, nachdem wir diese Stolpersteine weitgehend entfernt hatten, die SPD zustimmen könnte. Heute spüren wir aber Widerstand. Jetzt die Frage: Wie geht es weiter? Was sind die Einwendungen oder die Kritikpunkte vor allem seitens der SPD? Man sagt, die Besteuerung sei zu niedrig für die Vergangenheit. In der Mehrheit der Fälle ist die Besteuerung über das Abkommen aber tatsächlich höher als die Besteuerung über eine Selbstanzeige. In den Ausnahmefällen aber, wenn jemand mit einer Selbstanzeige einen Steuersatz von 70 % oder mehr zu bezahlen hätte, glaube ich, wäre das ein starker Anreiz zu verschwinden, falls das Abkommen nicht zustande käme. Damit komme ich zum zweiten Punkt: die sogenannten Verschwinder. Das war und ist ein Kritikpunkt seitens der SPD. Nach unserer Einschätzung aufgrund der Informationen, die wir von der Bankiervereinigung und von einzelnen Banken haben, bewegen sich diese in einem sehr, sehr geringen Ausmaß. Dann ist noch die Frage, ob diese bösen Schweizer Banker, die in der Vergangenheit im Ruf standen, Steuerhinterziehung gefördert zu haben, plötzlich zu Gut-Menschen mutiert sind. Es geht hier nicht um GutMenschentum, sondern um Interessen, konkret um das Argument, dass Fehlverhalten einen hohen Reputationsschaden verursachen kann. Gehen Sie mal davon aus, ein Finanzinstitut, eine Bank, eine dieser 330 in der Schweiz, setzt sich heute aktiv dafür ein, gegen die klaren Anweisungen, gegen die Verpflichtung gegenüber der Bankiervereinigung zur Sorgfaltspflicht, das Gegenteil zu tun. Würde dies öffentlich, dann hätte diese Bank einen viel größeren Reputationsschaden als die möglichen Gewinne. Nota bene wurde ja auch das Gerücht gestreut, dass die UBS Schulungsunterlagen gebraucht habe, die das Abschleichen ermöglichen und dass diese Information über eine angekaufte CD mit gestohlenen Bankdaten bekannt geworden sei. Es kam dann heraus, der Spiegel hat nachgefragt, dass diese Hinweise aus der Zeit 2005 oder 2006, also vor der erwähnten Positionsänderung, stammen. Was sagt die kritische Debatte zum Steuerabkommen über das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland aus? Wir dürfen diese Wolken im gegenseitigen Verhältnis nicht überschätzen. Wir können in Deutschland ganz generell auf ein weit verbreitetes Wohlwollen zählen, das zeigt sich auch in Umfragen. Ich habe nicht Angst, dass diese Sympathie für unser Land einbricht. Wie ist es in der Schweiz? Ich glaube, 72

Guldimann – Das deutsch-schweizer Steuerabkommen

unsere Haltung gegenüber Deutschland hat sich etwas versachlicht. Das zwanzigste Jahrhundert hat in der Schweiz eine Abgrenzung in unserer nationalen und politischen Identität vor allem gegenüber Deutschland geschaffen, die nur langsam überwunden werden kann. Aber es besteht nach wie vor eine historisch geprägte Sensibilität gegenüber Deutschland. Hinzu kommt, dass sich die deutsche Einwanderung stark im Raum Zürich konzentriert. Dort sind mit dieser Einwanderung auch Animositäten verbunden, die ernst zu nehmen sind. Natürlich verstehen wir, dass unser Wirtschaftswachstum der letzten Jahre vor allem auch dank der Einwanderung möglich gewesen ist und dass unser Gesundheitssystem ohne deutsche Ärzte und Krankenschwestern nicht mehr gut funktionieren würde. Wenn das jetzt schiefginge mit dem Steuerabkommen mit einer Ablehnung im deutschen Bundesrat, dann wäre die Schweizer Haltung wohl: Wir haben die Lösung ja gewollt, aber ihr wollt sie nicht. Für Danach aber auf deutscher Seite zu hoffen, dass man von den Schweizern mehr bekommt, wäre illusionär. Was nicht bedeutet, dass der internationale Druck in einigen Jahren nicht in Richtung automatischer Informationsaustausch gehen könnte. Man macht sich aber Illusionen, wenn man glaubt, dass dieser fiskalisch mehr bringt, als das, was das Abkommen insbesondere mit seiner Nachversteuerung der Vergangenheit bringt. Zum Thema Steuergerechtigkeit, das in Deutschland gerne diskutiert wird: Wenn man das Steuerabkommen nicht mit dem Paradies, sondern mit der Realität vergleicht, kommt man rasch zum Schluss, steuergerechter ist eine Situation, wo die Vergangenheit flächendeckend besteuert wird und für die Zukunft die gleichen Steuersätze wie in Deutschland angewendet werden. Dazu kommt noch, dass es für zahlreiche Steuerpflichtige zweckmäßig oder vielmehr wünschenswert sein kann, die Anonymität zu behalten und dafür auch mehr Steuern zu bezahlen. Ansonsten würde ja das Abkommen zu massiven Selbstanzeigen führen. Ich glaube nicht, dass das passiert, weil insbesondere auch Familienvermögen daran interessiert sind, weiterhin diskret zu bleiben und zu sagen, dafür bezahlen wir lieber gegebenenfalls auch höhere Steuern. Ein oft gehörter Vorwurf sagt, die Schweiz habe im Steuerstreit den USA bedeutend mehr zugestanden als der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt im Moment noch keine Vereinbarung mit den USA. Das, was geplant ist, geht in fast allen Punkten weniger weit als das deutsche Abkommen. Bei dem Abkommen mit den USA geht es lediglich um Ein73

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zelinformationen, nicht um eine flächendeckende Nachversteuerung für die Vergangenheit und nicht um eine Abgeltung in der Zukunft. Die OECD hat zudem am 18. Juli den Beschluss verabschiedet, dass der Art. 26 (Amtshilfe) in Finanzfragen auf Gruppenanfragen erweitert wird. Die Schweiz hat diese Bestimmung übernommen. Allein in diesem Punkt würde das Abkommen mit den USA etwas weitergehen, da es zeitlich etwas früher greifen würde als die OECD-Bestimmung. Stichwort Liechtenstein: Hier wurde die Äußerung des Ministerpräsidenten von Liechtenstein, wie mir mein liechtensteinischer Kollege gesagt hat, falsch ausgelegt. Es war keine Ankündigung, Liechtenstein gehe auf den automatischen Informationsaustausch. Er habe vielmehr gesagt, sie müssen schauen, wie sich die Zukunft entwickelt, und schließen verschiedene Möglichkeiten nicht aus. Es ist also nicht so, dass die Liechtensteiner uns in den Rücken gefallen sind. Stichwort EU: Die europäische Kommission hat schriftlich klar zum Ausdruck gegeben, dass das Steuerabkommen nicht mit EU-Recht kollidiert. Wir haben auch in den Verhandlungen darauf geschaut, dass ein „carving out“ (Ausgliederung) des Bereichs des Zinsbesteuerungsabkommens sichergestellt ist. [Auf Frage aus dem Publikum:] Das Abkommen klammert punkto Straffreiheit und steuerlicher Regelung natürlich jegliche Tätigkeiten aus, die nach Strafgesetzbuch verboten sind. Hier kommt nach wie vor die traditionelle Rechtshilfe zur Anwendung. Eine weitere Frage geht dahin, was mit den Einkommenssteuern und Mehrwertsteuerbeträgen, die am Fiskus vorbei in die Schweiz gelangen, passiert. Die erste Frage ist: Wie kommen diese Beträge in die Schweiz? Versuchen Sie doch einmal, Bares in die Schweiz in einem Koffer zu bringen. Dann haben Sie sofort Probleme wegen der Sorgfaltspflicht der Banken. Angenommen, Sie fänden trotzdem noch ein Schlupfloch, dann gibt es ja immer noch das Mittel, dass gemäß Abkommen die deutschen Behörden 1.300 Anfragen in zwei Jahren für die Offenlegung von Konten stellen können. Jetzt sagen Sie, dass ist ganz wenig, pro Steueramt eine Anfrage. Im Grunde genommen ist es so: Sie haben 1.300 Schuss, aber allein schon die Pistole als Drohung einzusetzen ist wirksam. Deshalb kann man davon ausgehen, dass hier ein beachtlicher Multiplikator der 1.300 möglichen Anfragen substanzielle Auswirkungen hat. 74

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Fazit: Mit dem Abkommen Schweiz–Deutschland werden drei Ziele erreicht: – Gerechtigkeit: Alle deutschen Steuerpflichtigen mit einem Konto in der Schweiz werden flächendeckend für Vergangenheit und Zukunft besteuert – anstatt nur Einzelne nach dem Zufallsprinzip. – Geld: Anders als der automatische Informationsaustausch sichert das Abkommen selbst die konkrete Besteuerung und nicht nur Millionen von Daten, die schwierig auszuwerten sind. – Lösung der wichtigsten Streitfrage im Verhältnis zwischen zwei befreundeten Nachbarstaaten, die auf vielen Gebieten eng zusammenarbeiten.

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Quo vadis Außensteuergesetz? Die geplanten Änderungen des AStG durch das JStG 2013

Dr. Xaver Ditz Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Anwendung des § 1 AStG bei Personengesellschaften .................. I. Derzeitige Rechtslage ............... 1. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge des § 1 AStG ...................................... 2. Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG auch bei Personengesellschaften möglich .................................. 3. Personengesellschaft kann eine nahestehende Person sein ........................................ 4. Einkünfteminderung im Inland ..................................... 5. Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu anderen Einkünftekorrekturvorschriften II. Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG durch das JStG 2013 ........ 1. Darstellung der neuen Regelung ................................ 2. Kritische Würdigung ............. B. Neue Definition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG ... I. Darstellung der neuen Regelung ............................................ II. Kritische Würdigung ................. 1. Aufhebung des § 1 Abs. 4 AStG ...................................... 2. Neue Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG ...........................

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C. Transformation des AOA in § 1 AStG ............................................... 91 I. Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem AOA ...... 91 1. Grundlegendes ...................... 91 2. Funktionsanalyse unter Berücksichtigung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte (Stufe 1) .......... 92 a) Funktions- und Risikoanalyse ............................... 92 b) Zuordnung von Risiken .... 93 c) Zuordnung von Wirtschaftsgütern ..................... 94 d) Kapitalausstattung der Betriebsstätte .................... 95 e) Anerkennung von Innentransaktionen .................... 95 3. Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz (Stufe 2) .......................... 97 a) Anwendung der OECDLeitlinien 2010 .................. 97 b) „Dealings“ bei materiellen Wirtschaftsgütern ....... 97 c) „Dealings“ bei immateriellen Wirtschaftsgütern . 98 d) Erbringung von unternehmensinternen Dienstleistungen .......................... 99 e) Dokumentation .............. 100 II. Implementierung des Authorized OECD Approach in § 1 AStG .............................. 100 1. Darstellung der neuen Regelung .............................. 100

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Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz? 2. Kritische Würdigung ........... 103 a) Aufnahme des AOA in § 1 AStG .......................... 103 b) Ermächtigung für eine Rechtsverordnung gemäß § 1 Abs. 6 AStG ............... 106 D. Änderungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung ................. 106

I. Darstellung der neuen Regelung .................................. 106 II. Kritische Würdigung ............... 107 E. Neufassung der Zurechnung bei Familienstiftungen ....................... 109 I. Darstellung der neuen Regelung .................................. 109 II. Kritische Würdigung ............... 112

A. Anwendung des § 1 AStG bei Personengesellschaften I. Derzeitige Rechtslage 1. Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge des § 1 AStG § 1 Abs. 1 AStG bildet im innerstaatlichen Steuerrecht die einzige Einkünftekorrekturvorschrift, die den Grundsatz des Fremdvergleichs explizit erwähnt und – insbesondere nach den Änderungen durch das UntStRefG 20081 – konkretisiert. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG sind Einkünfte eines Steuerpflichtigen aus einer Geschäftsbeziehung zum Ausland mit einer ihm nahestehenden Person zu berichtigen, wenn sie aufgrund von Bedingungen – insbesondere Verrechnungspreisen – gemindert worden sind, die zwischen voneinander unabhängigen Dritten unter gleichen oder ähnlichen Verhältnissen nicht vereinbart worden wären. Ist dies der Fall, so sind die „Einkünfte unbeschadet anderer Vorschriften so anzusetzen, wie sie unter den zwischen voneinander unabhängigen Dritten vereinbarten Bedingungen angefallen wären“. Die Einkünftekorrektur erfolgt dabei durch die außerbilanzielle Korrektur der vereinbarten, aber unangemessenen Verrechnungspreise bis zu der Höhe, die zwischen unabhängigen Unternehmen üblich wäre.2 Für die Durchführung einer Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 1 AStG müssen die drei folgenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein: – Es muss sich um eine Geschäftsbeziehung zum Ausland handeln (§ 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 AStG). _____________ 1 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912; vgl. dazu auch Baumhoff/ Ditz/Greinert, DStR 2007, 1461. 2 Vgl. BMF v. 12.4.2005 – IV B 4 - S 1341-1/05, BStBl. I 2005, 570 Rz. 5.3.3; v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/2004, Rz. 1.1.1.

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– Die Geschäftsbeziehung muss zwischen einem inländischen Steuerpflichtigen und einer ihm „nahestehenden Person“ bestehen (§ 1 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 AStG). – Die vereinbarte Geschäftsbeziehung muss zu einer Einkünfteminderung bei dem inländischen Steuerpflichtigen führen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AStG). 2. Geschäftsbeziehungen i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG auch bei Personengesellschaften möglich Die Tatbestandsvoraussetzung der Geschäftsbeziehung wird in § 1 Abs. 5 AStG3 definiert. Danach ist eine Geschäftsbeziehung jede den Einkünften zugrunde liegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die Vorschriften des EStG über die Besteuerung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit oder Vermietung und Verpachtung anzuwenden sind. Mit der gesetzlichen Neufassung der Geschäftsbeziehung im Rahmen des StVergAbG4, die erstmals für den VZ 2003 anzuwenden ist,5 wird – als Reaktion auf das sog. „Patronatsurteil“ des BFH6 – klargestellt, „dass eine nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs zu würdigende Geschäftsbeziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und einem ihm Nahestehenden immer dann anzunehmen ist, wenn es sich um eine auf schuldrechtlichen Vereinbarungen beruhende Beziehung handelt“.7 Eine schuldrechtliche Vereinbarung ist indessen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich, da es der Betriebsstätte an einer rechtlichen Verselbstständigung fehlt. Deswegen kann eine Betriebsstätte auch keine nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG sein. § 1 Abs. 1 AStG ist folglich nach h. M. im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht anwendbar.8 _____________ 3 4 5 6

I. d. F. des UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. Vgl. Steuervergünstigungsabbaugesetz v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660. Vgl. § 21 Abs. 11 Satz 1 AStG. Vgl. BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720, und den dazu ergangenen Nichtanwendungserlass BMF v. 17.10.2002 – IV B 4 - S 1341-14/02, BStBl. I 2002, 1025. 7 So die Begründung zur Neufassung des damaligen § 1 Abs. 4 AStG (jetzt § 1 Abs. 5 AStG), vgl. BT-Drucks. 15/119 v. 2.12.2002, 53. 8 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 894; Ditz, IStR 2005, 42; Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstättenhandbuch, Rz. 2.61; Kaminski/Strunk, DB 2008, 2502.

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Im Verhältnis zwischen einem Mitunternehmer und seiner Personengesellschaft ist dies jedoch anders: Zwar ist die Betriebsstätte der Personengesellschaft abkommensrechtlich den jeweiligen Mitunternehmern zuzuordnen;9 jedoch kann daraus nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass zwischen dem Mitunternehmer und seiner Personengesellschaft keine Geschäftsbeziehungen i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG möglich sind.10 Dies gilt bereits deswegen, weil der BFH schon zu Zeiten der sog. Bilanzbündeltheorie bei Rechtsgeschäften – außerhalb des Regelungsbereichs von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG – die Rechtssubjekteigenschaft der Personengesellschaft betont, womit sich steuerlich anerkanntermaßen zwei Rechtssubjekte (Gesellschaft und Gesellschafter) gegenüberstehen.11 Ist eine schuldrechtliche Beziehung zwischen dem Mitunternehmer und seiner Personengesellschaft vereinbart, so kann insoweit eine Geschäftsbeziehung i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG vorliegen. Dies gilt auch dann, wenn die Geschäftsbeziehung mit einer ausländischen Personengesellschaft besteht und diese ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens betrifft. Allerdings stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob eine Einkünfteminderung im Inland vorliegt.12 Beiträge des Mitunternehmers, die seine Gesellschafterstellung begründen, können keine Geschäftsbeziehung sein. Solche liegen insbesondere vor, wenn sich der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag zur Erbringung von Sach- oder Dienstleistungen verpflichtet und diese Leistungen unentgeltlich oder gegen Beteiligung am Gewinn (sein „Gewinnvorab“) erbracht werden. Denn insofern liegt eine gesellschaftsrechtliche Gewinnverteilungsabrede besonderer Art vor,13 die nicht zu einer Geschäftsbeziehung i. S. d. § 1 Abs. 5 AStG führen kann. Dies gilt im Übrigen auch für die Zuführung von Nominalkapital oder die Übertragung von Wirtschaftsgütern gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten durch einen Mitunternehmer in seine ausländische Personengesellschaft in Form einer gesellschaftsrechtlichen Einlage (Einbringungsvorgänge). _____________ 9 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 2.8. 10 So wohl Schmidt, IStR 2008, 290; Gocksch, IStR 2002, 183; a. A. Wassermeyer, DK 2008, 339. 11 Vgl. nur BFH v. 28.1.1976 – I R 84/74, BStBl. II 1976, 744 sowie Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 13.32. 12 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.34. 13 Vgl. Hopt in Baumbach/Hopt33, § 110 HGB Rz. 19; Förschle in Beck’scher Bilanzkommentar6, § 247 Rz. 680 ff.; Wacker in Schmidt28, § 15 EStG Rz. 440.

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Denn auch insofern liegt keine schuldrechtliche Beziehung, sondern eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung vor.14 Beispiel: Eine gesellschaftsvertragliche Abrede, nach der ein Gesellschafter seiner ausländischen Personengesellschaft ein Wirtschaftsgut gegen einen Gewinn vorab überlässt, stellt eine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung und damit keine Geschäftsbeziehung dar.

Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG muss die Geschäftsbeziehung ferner „zum Ausland“ bestehen. Der Begriff Ausland ist dabei weniger unter geographischen Gesichtspunkten als vielmehr unter dem Aspekt der Zuordnung der Einkünfte zu den in die Geschäftsbeziehung involvierten Staaten zu verstehen.15 Daher ist maßgeblich, dass die Geschäftsbeziehung einerseits im Inland zu einer Einkünfteminderung führt und es andererseits im Ausland zu einer korrespondierenden Einkünfteerhöhung kommt. Tritt die Einkünfteminderung hingegen im Ausland ein (z. B. aufgrund einer Zuordnung der Einkünfteminderung in den Sonderbetriebsvermögensbereich der ausländischen Personengesellschaft)16, findet § 1 AStG keine Anwendung. § 1 AStG ist ferner – mangels Einkünfteminderung im Inland – dann im Falle eines im Ausland ansässigen Mitunternehmers nicht anwendbar, wenn ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens zu einem fremdüblichen Entgelt an die inländische Personengesellschaft überlassen wird. 3. Personengesellschaft kann eine nahestehende Person sein Nach § 1 Abs. 2 AStG steht eine Person dem Steuerpflichtigen u. a. nahe, wenn die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt (d. h. wesentlich beteiligt) ist oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist. Bei Personengesellschaften ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass sie nicht „Steuerpflichtiger“ i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG sein können.17 Allerdings können Personengesellschaften aufgrund ihrer eigenen _____________ 14 Diese Auffassung wird auch durch den BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464, bestätigt. Vgl. Ditz, IStR 2009, 120. Vgl. ferner BFH v. 15.7.1976 – I R 17/74, BStBl. II 1976, 748; v. 25.11.1980 – VIII R 32/77, BStBl. II 1981, 419; v. 29.10.1987 – IV R 93/85, BStBl. II 1988, 374. 15 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 231. 16 Vgl. dazu Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.34. 17 Vgl. BFH v. 17.12.1997 – I B 96/97, BStBl. II 1998, 321; Kaminski, StuW 2008, 339.

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Rechtssubjektivität Personen i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG sein, die dem Steuerpflichtigen (= Gesellschafter) nahestehen.18 Deshalb ist auch eine Beteiligung an einer Personengesellschaft i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG möglich. Von einem „Nahestehen“ ist grundsätzlich allerdings nur dann auszugehen, wenn eine wesentliche Beteiligung von mindestens 25 % an der Personengesellschaft besteht.19 Ob auch eine vermögensverwaltende Personengesellschaft eine nahestehende Person sein kann, ist zweifelhaft. Denn nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO ist das Vermögen der vermögensverwaltenden Personengesellschaft ihren Gesellschaftern zuzurechnen. Ferner werden die zwischen der vermögensverwaltenden Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern bestehenden Vertragsbeziehungen nicht anerkannt, soweit das Vermögen der Gesellschaft dem entsprechenden Gesellschafter zuzurechnen ist.20 Beide Argumente sprechen gegen eine Einordnung einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft als nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 AStG. Schließlich sollte auch eine atypisch stille Gesellschaft nicht als nahestehende Person i. S. d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG qualifiziert werden können. Denn bei der atypisch stillen Gesellschaft handelt es sich um eine reine Innengesellschaft, die nach außen nicht auftritt. Daher kann der atypisch beteiligte Gesellschafter nur mit dem Geschäftsinhaber Geschäftsbeziehungen eingehen. Allerdings kann in diesem Fall der Geschäftsinhaber eine nahestehende Person sein (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG). 4. Einkünfteminderung im Inland Die Anwendung des § 1 Abs. 1 AStG setzt schließlich voraus, dass die vereinbarten Geschäftsbedingungen zu einer Einkünfteminderung bei dem inländischen Steuerpflichtigen führen. § 1 AStG lässt somit eine Einkünftekorrektur nur zu Ungunsten des Steuerpflichtigen zu, nicht aber eine zu seinen Gunsten.21 Die Einkünfteminderung kann sich auf eine unmittelbare Einkünfteminderung (z. B. durch verringerte Betriebseinnahmen oder erhöhte Betriebsausgaben) oder auf eine nur mittelbare Einkünfteminderung (z. B. durch Verzicht auf eine Einnahmeerzielung) beziehen. Es muss sich dabei immer um eine Minderung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte handeln. Diese Voraussetzung ist z. B. nicht _____________ 18 Wohl a. A. Kaminski in Strunk/Kaminski/Köhler, § 1 AStG Rz. 625. 19 So auch Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 833; a. A. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung7, 864. 20 Vgl. H 21.6 EStH 2008 Stichwort „Mietverhältnis zwischen GbR und Gesellschafter“ mit Verweis auf BFH v. 18.5.2004 – IX R 83/00, BStBl. II 2004, 898. 21 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 231.

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erfüllt, wenn ein Wirtschaftsgut, das dem Sonderbetriebsvermögen des Gesellschafters bei einer ausländischen Personengesellschaft zuzuordnen ist, der ausländischen Personengesellschaft zu einem unangemessen geringen Entgelt überlassen wird. Denn in diesem Fall wirkt sich die Einkünfteminderung im Inland nicht aus. Etwas anderes kann sich allerdings ergeben, wenn § 50d Abs. 10 Satz 2 i. V. m. § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG einschlägig sind.22 5. Konkurrenzverhältnis des § 1 AStG zu anderen Einkünftekorrekturvorschriften Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG tritt seine Rechtsfolge „unbeschadet anderer Vorschriften“ ein. Folglich schließt § 1 AStG die Rechtsfolgen anderer Einkünftekorrekturvorschriften (z. B. Entnahmen, Einlagen, fiktive Entnahmen i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, fiktive Veräußerungen i. S. d. § 12 Abs. 1 KStG, Buchwertverknüpfung i. S. d. § 6 Abs. 5 EStG, verdeckte Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen) nicht aus. In welchem Konkurrenzverhältnis allerdings § 1 AStG zu diesen Einkünftekorrekturvorschriften steht, ist umstritten. Dabei geht die h. M. davon aus, dass § 1 AStG subsidiär zu den weiteren Einkünftekorrekturvorschriften anzuwenden ist (sog. Subsidiaritätstheorie).23 Vor diesem Hintergrund gehen die Einkünftekorrekturvorschriften der Entnahme, Einlage, fiktiven Entnahme, fiktiven Veräußerung, Buchwertverknüpfung des § 6 Abs. 5 EStG, verdeckten Einlage und verdeckten Gewinnausschüttung dem § 1 AStG vor. Dies setzt freilich voraus, dass die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen der jeweils einschlägigen Einkünftekorrekturvorschrift erfüllt sind. Letztlich werden damit durch § 1 AStG nur die Bereiche abgedeckt, die bei Geschäftsbeziehungen ins Ausland durch die o. g. Einkünftekorrekturvorschriften nicht erfasst werden. Dies gilt z. B. für Einkünftekorrekturen im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen eines im Inland ansässigen Mitunternehmers an seine ausländische Personengesellschaft.24 Denn in diesem Fall sind weder die Voraussetzungen der Entnahme _____________ 22 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.34. 23 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, § 1 AStG Rz. 76 ff.; Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen, 241 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht2, Rz. 18.68; Klein, BB 1995, 227; Günkel, WPg 1996, 849; Wörner, BB 1983, 849 f. 24 Vgl. Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.36.

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noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG bzw. des § 12 Abs. 1 KStG erfüllt. Folglich kann sich eine Einkünftekorrektur nur auf § 1 AStG erstrecken, wobei die potenzielle EU-Rechtswidrigkeit des § 1 AStG zu beachten ist.25 Nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG i. d. F. des UntStRefG 200826 ist darüber hinaus ab dem Veranlagungszeitraum 200827 zu beachten, dass, soweit die Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG zu weiter gehenden Berichtigungen als andere einschlägige Einkünftekorrekturvorschriften führt, die weiter gehenden Berichtigungen des § 1 Abs. 1 AStG neben den Rechtsfolgen der anderen Vorschriften durchzuführen sind. Diese Regelung spielt insbesondere im Zusammenhang mit der Besteuerung von grenzüberschreitenden Funktionsverlagerungen eine Rolle.28 Sind die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung nach § 1 FVerlV erfüllt,29 ist gemäß der Regelungen in § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG und §§ 2 ff. FVerlV die Bewertung eines Transferpakets „als Ganzes“ im Rahmen der Übertragung der Funktion durchzuführen.30 Die Entstrickungsregelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG sehen indessen eine solche Gesamtbewertung nicht vor; vielmehr erfolgt hier eine Einzelbewertung der ins Ausland übertragenen Wirtschaftsgüter. Sollten demnach die Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung im Einzelfall erfüllt sein, sind nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AStG die weiter gehenden Rechtsfolgen des § 1 AStG gegenüber den Entstrickungsregelungen anzuwenden. Dies setzt freilich voraus, dass im Rahmen der Funktionsverlagerung die allgemeinen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 AStG erfüllt sind.31

_____________ 25 Vgl. insoweit Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.23. 26 Vgl. UntStRefG 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 27 Vgl. § 21 Abs. 16 AStG. 28 Vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG; Verordnung zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes i. S. d. § 1 des Außensteuergesetzes in Fällen grenzüberschreitender Funktionsverlagerungen (Funktionsverlagerungsverordnung – FVerlV), BGBl. I 2008, 1680. 29 Vgl. dazu im Einzelnen Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1650 ff. m. w. N.; Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2008, 1946 ff. m. w. N.; Ditz/Just, DB 2009, 141 ff. 30 Dazu kritisch Baumhoff/Ditz/Greinert, DStR 2007, 1651 m. w. N. 31 Vgl. dazu Ditz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Rz. 14.19 ff.

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II. Änderung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG durch das JStG 2013 1. Darstellung der neuen Regelung Mit dem JStG 2013 wird § 1 Abs. 1 AStG um einen weiteren Satz ergänzt. Dieser weitet den Anwendungsbereich des § 1 AStG auf Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften aus, sodass der Fremdvergleichsgrundsatz auch unmittelbar für diese gilt. Dazu stellt § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E Personengesellschaften für Zwecke ihrer Einkünfteabgrenzung mit Kapitalgesellschaften gleich. Nach dem Gesetzesentwurf zum JStG 2013 lautet § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E wie folgt: „Steuerpflichtiger im Sinne dieser Vorschrift ist auch eine Personengesellschaft oder eine Mitunternehmerschaft; eine Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft ist selbst nahestehende Person, wenn sie die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt.“

Der Gesetzgeber beabsichtigt mit dieser Änderung, die Verrechnungspreisthematik bei internationalen Personengesellschaften in dem Sinne „klarzustellen“, jedenfalls insofern es das Verhältnis zwischen einer Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern anbelangt, dass diese für Zwecke des § 1 AStG Kapitalgesellschaften gleichstehen. Erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers ist es, „die Besteuerung grenzüberschreitender Vorgänge im Hinblick auf die Gewinnabgrenzung bzw. Gewinnverteilung klar und für alle Investitionsalternativen (Kapitalgesellschaften, Personengesellschaften, Betriebsstätten) einheitlich zu regeln“32. Insoweit es die Eignung einer Personengesellschaft anbelangt, nahestehende Person i. S. v. § 1 Abs. 2 AStG sein zu können, wird die langjährige Auffassung der Finanzverwaltung33 in das Gesetz aufgenommen. Insofern geht der Gesetzgeber auch nur von einer lediglich klarstellenden Regelung aus. Gleiches gilt allerdings nicht für die Fiktion des ersten Halbsatzes, wonach Personengesellschaften oder Mitunternehmerschaften Steuerpflichtige i. S. v. § 1 AStG sind. Der Gesetzgeber meint, sich hierbei auf die Rechtsprechung des BFH stützen zu können, nach der bekanntlich eine Personengesellschaft partielles Steuerrechtssubjekt für Zwecke der Einkünfteerzielung, der Einkünftequalifikation und der Gewinnermittlung ist34. Diese Rechtsprechung ist allerdings insoweit nur kursiv auf die Gewinnermittlung reduziert, als sie die partielle Steuerrechtsubjektivität im Kern darauf stützt, dass die Personen_____________ 32 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 62. 33 Vgl. BMF v. 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/2004, Rz. 1.4.3. 34 Vgl. BFH v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617.

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gesellschaft in der „Einheit der Gesellschafter“ bzw. durch die Gesellschafter in ihrer gesellschaftsrechtlichen „Verbundenheit als Personengesellschaft“ verwirklicht wird35. Wesentliche Änderung ist, dass die Rechtsfolgen des § 1 AStG nicht mehr nur für den oder die Mitunternehmer greifen, auf die bezogen die Voraussetzungen des § 1 AStG vorliegen. Bisher war es so, dass auf Ebene der Personengesellschaft gewissermaßen gewinnermittlungstechnisch nur die Rechtsfolgen des § 1 AStG für den jeweiligen Beteiligten als den Steuerpflichtigen gezogen wurden. Nunmehr soll die Einkünftekorrektur auf Ebene der Personengesellschaft zulasten aller ihrer Gesellschafter gezogen werden. Von der Neuregelung sind sowohl Personengesellschaften und Mitunternehmerschaften erfasst, die Einkünfte nach § 13, § 15 oder § 18 EStG erzielen, als auch Personengesellschaften, die keine Mitunternehmerschaften sind, weil sie z. B. ausschließlich Einkünfte nach § 21 erzielen.36 Für die zeitliche Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E sind zwei Zeitpunkte zu berücksichtigen. Der erste Halbsatz, nach dem Steuerpflichtiger i. S. d. § 1 AStG auch eine Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft sein kann, gilt erst ab dem Veranlagungszeitraum 2013. Hingegen führt die Einordnung der Personengesellschaft oder Mitunternehmerschaft als nahestehende Person, so wie es der zweite Halbsatz vorsieht, bereits dazu, dass diese Anwendung noch für alle offenen Veranlagungen Anwendung finden soll. 2. Kritische Würdigung Ob die bisherige Fassung der Vorschrift auch im Hinblick auf die internationale Einkünfteabgrenzung bei Personengesellschaften einschlägig ist, ist im Schrifttum umstritten. Die Finanzverwaltung hat hingegen bereits bislang die Auffassung vertreten, dass § 1 AStG auch im Hinblick auf die Einkünfteabgrenzung bei in- oder ausländischen Personen_____________ 35 Vgl. BFH v. 25.6.1984 – GrS 9/82, BStBl. II 1984, 751; v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617. Bekanntlich besteht im Gefolge der Konzeptionen „Einheit der Gesellschaft“ und „Vielheit der Gesellschafter“ die rechtsdogmatische Kontroverse darin, ob der Einkünfteerzielungstatbestand durch die Personengesellschaft (in der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit ihrer Gesellschafter) oder deren Gesellschafter verwirklicht wird, wobei auch letztere Konzeption die Einkünftezurechnung auf die „gemeinschaftliche Tatbestandsverwirklichung“ stützt; vgl. hierzu nur Pinkernell, Einkünftezurechnung bei Personengesellschaften, Berlin 2001, 85 ff. und 140 ff.; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, Köln 2010, 820 f. 36 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 62.

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gesellschaften anwendbar ist37. Diese Auffassung der Finanzverwaltung ist wohl – zumindest in der Mehrzahl der praxisrelevanten Sachverhalte – durch den Wortlaut des § 1 AStG nicht gedeckt. Daher erscheint es sachgerecht, auch die Einkünfteabgrenzung bei inoder ausländischen Personengesellschaften am in § 1 AStG niedergelegten Fremdvergleichsgrundsatz auszurichten. Die dahingehende entsprechende Ergänzung der Vorschrift, dass § 1 AStG auch bei Personengesellschaften Anwendung finden soll, ist somit zu begrüßen. Nicht überzeugen kann hingegen die unterschiedliche Ausgestaltung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Neuregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E38. Hier ist nicht nachvollziehbar, warum § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AStG-E erstmals für den Veranlagungszeitraum 2013 und § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AStG-E für alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen gelten soll. Sachgerecht ist vielmehr, den zeitlichen Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 und 2 AStG-E erstmals für den Veranlagungszeitraum 2013 vorzusehen. Gründe für eine zeitliche Differenzierung sind nicht zu sehen.

B. Neue Definition der Geschäftsbeziehung i.S.d. § 1 Abs. 5 AStG I. Darstellung der neuen Regelung Durch das JStG 2013 soll der jetzige § 1 Abs. 4 AStG gestrichen werden. Damit wird der bisherige § 1 Abs. 5 AStG zum neuen § 1 Abs. 4 AStG, der in diesem Zusammenhang neu gefasst wird. § 1 Abs. 4 AStG-E definiert die Geschäftsbeziehung neu, sodass im Ergebnis eine schuldrechtliche Beziehung nicht mehr notwendig ist. Dies erfolgt, indem nun nicht mehr von „schuldrechtlicher Beziehung“, sondern von „wirtschaftlichem Vorgang“ in § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG-E die Rede ist. § 1 Abs. 4 AStG-E ist wie folgt gefasst: „Geschäftsbeziehungen im Sinne dieser Vorschrift sind 1. einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwischen einem Steuerpflichtigen und einer nahestehenden Person,

_____________ 37 Vgl. BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341-4/83, BStBl. I 1983, 218 Rz. 1.3.2.2; BMF vom 14.5.2004, BStBl. I 2004, Sondernr. 1/2004, Rz. 1.4.3. 38 Vgl. dazu § 21 Abs. 20 AStG-E.

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a) die Teil einer Tätigkeit sind, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Falle einer ausländischen nahestehenden Person anzuwenden wären, wenn sich der Geschäftsvorfall im Inland ereignet hätte, und b) denen keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt; 2. Geschäftsvorfälle zwischen einem Unternehmen eines Steuerpflichtigen und seiner in einem anderen Staat gelegenen Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen). Liegen einer Geschäftsbeziehung keine schuldrechtlichen Vereinbarungen zugrunde, ist davon auszugehen, dass voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen hätten oder bestehende Rechtspositionen geltend machen würden, die der Besteuerung zugrunde zu legen sind, es sei denn, der Steuerpflichtige macht im Einzelfall etwas anderes glaubhaft.“

Der Gesetzgeber führt in seiner Begründung zu § 1 Abs. 4 AStG a. F. an, dass dieser für die Praxis keine Bedeutung mehr hat, da die allgemeinen Schutzregelungen in § 162 Abgabenordnung enthalten sind.39 Aus diesem Grunde wird § 1 Abs. 4 AStG a. F. mit der Einführung des JStG 2013 aufgehoben. Mit den Änderungen in § 1 Abs. 4 AStG-E will der Gesetzgeber die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um auch die Betriebsstättenfälle des § 1 Abs. 5 AStG-E zu erfassen. Daher ändert er den Begriff „schuldrechtliche Beziehung“ in „wirtschaftlicher Vorgang“, da schuldrechtliche Beziehungen zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte nicht möglich sind. Unabhängige Unternehmen würden vergleichbare wirtschaftliche Vorgänge untereinander durch schuldrechtliche Beziehungen ausgestalten. Da solche wirtschaftlichen Vorgänge auch zwischen Unternehmen und ihren Betriebsstätten vorliegen, sollen diese somit genauso Berücksichtigung finden wie bei unabhängigen Unternehmen. Vom Begriff „wirtschaftlicher Vorgang“ sind nach Ansicht des Gesetzgebers alle rechtlichen Beziehungen und tatsächlichen Handlungen erfasst. Darüber hinaus soll durch § 1 Abs. 4 Satz 1 AStG-E verdeutlicht werden, dass Geschäftsbeziehungen sowohl aus einem als auch aus mehreren Geschäftsvorfällen bestehen können. Dies ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit hinsichtlich des Fremdvergleichs, da zur Bestimmung des Verrechnungspreises eines einzelnen Geschäfts auch mehrere Geschäftsvorfälle berücksichtigt werden müssen. _____________ 39 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 63.

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Schließlich wird in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG-E geregelt, dass wirtschaftliche Vorgänge zwischen einem Unternehmen und seiner im Ausland belegenen Betriebsstätte von § 1 AStG erfasst werden. Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und ihrer Betriebsstätte werden hierbei als „anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen“ definiert. Diese Regelung zählt sowohl für inländische Unternehmen mit ausländischer Betriebsstätte wie auch für ausländische Unternehmen mit inländischer Betriebsstätte.40 Mit Einführung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG-E stellt der Gesetzgeber die Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und deren Betriebsstätten mit denen von unabhängigen Personen gleich, die in der Regel zur Bestimmung ihrer Geschäftsbeziehungen eine schuldrechtliche Vereinbarung abgeschlossen haben. Damit wird die Geschäftsbeziehung zwischen einem Unternehmen und dessen Betriebsstätte auch ohne eine schuldrechtliche Vereinbarung anerkannt. Jedoch kann der Steuerpflichtige die gesetzliche Vermutung im Einzelfall widerlegen.41

II. Kritische Würdigung 1. Aufhebung des § 1 Abs. 4 AStG § 1 Abs. 4 AStG sieht im Hinblick auf Fälle einer Schätzung gemäß § 162 Abs. 2 AO vor, dass eine solche auf Basis einer durchschnittlichen Umsatzrendite oder Verzinsung für das im Unternehmen eingesetzte Kapital anzusetzen ist, die unter Berücksichtigung der ausgeübten Funktionen, eingesetzten Wirtschaftsgüter und übernommenen Risiken zu erwarten ist. Die Vorschrift hat erfahrungsgemäß eine praktische Bedeutung dahingehend, dass sie in Betriebsprüfungen oftmals eine „Brücke“ zur Erzielung eines Kompromisses zwischen den Finanzbehörden und dem Steuerpflichtigen bildet. Gründe, die für eine Aufhebung der Vorschrift sprechen, existieren nach meiner Einschätzung nicht. Vielmehr kann der Wegfall der Vorschrift in der Praxis zur Folge haben, dass in Betriebsprüfungen keine Rechtsgrundlage für die Erzielung eines Kompromisses auf (pauschalierte) Schätzungen von Umsatzrenditen oder Kapitalverzinsungen gesehen wird. Vor diesem Hintergrund ist das Beibehalten dieser Vorschrift empfehlenswert. _____________ 40 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 63. 41 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 63.

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2. Neue Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG Hintergrund der Anpassung des § 1 Abs. 5 AStG (§ 1 Abs. 4 AStG-E) ist – so die Gesetzesbegründung – die Ausweitung des § 1 AStG auf die Einkünfteabgrenzung bei Betriebsstätten. Die insoweit in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG-E vorgesehene (fiktive) Behandlung unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen mit einer Betriebsstätte (anzunehmende schuldrechtliche Beziehung) ist zur Umsetzung des „Authorized OECD Approach“ notwendig und sachgerecht. Entgegen der Gesetzesbegründung, welche davon ausgeht, dass die Neudefinition der Geschäftsbeziehung im Wesentlichen nur erfolgt, um auch Betriebsstättenfälle durch § 1 AStG zu erfassen, enthält § 1 Abs. 4 AStG-E auch eine grundlegend neue Definition der Geschäftsbeziehung im Hinblick auf die Korrektur von Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen. Eine solche Neudefinition der Geschäftsbeziehung ist weder systematisch korrekt noch praktisch sinnvoll. Im Einzelnen: Während bislang § 1 Abs. 5 AStG die Geschäftsbeziehung im Kern als schuldrechtliche Beziehung definiert, wird dieses Kriterium nunmehr nicht mehr explizit erwähnt, sondern die Geschäftsbeziehung allgemein als „einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle)“ definiert. Diese Definition der Geschäftsbeziehung, welche im Hinblick auf die Verrechnungspreispraxis erhebliche Bedeutung hat, ist nicht praxistauglich. Denn weder der Begriff „wirtschaftliche Vorgänge“ noch „Geschäftsvorfälle“ sind geeignet, die Geschäftsbeziehung zu definieren. Die derzeit vorliegende Entwurfsfassung des § 1 Abs. 4 AStG hat demnach eine erhebliche Rechtsunsicherheit für die Praxis zur Folge, was unter einer Geschäftsbeziehung konkret zu verstehen ist. Letztendlich kann im wirtschaftlichen Leben alles als „wirtschaftlicher Vorgang“ und damit als Geschäftsbeziehung betrachtet werden. Dies ist allerdings im Hinblick auf die Ermittlung und Dokumentation angemessener Verrechnungspreise nicht sachgerecht, da hier – auch nach internationalen Grundsätzen – die schuldrechtliche Leistungsbeziehung von dem gesellschaftsrechtlichen Vorgang zu trennen ist. Im Übrigen steht die sehr weite Definition der Geschäftsbeziehung in § 1 Abs. 4 AStG-E nicht im Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Dieser bezieht sich in seinem Wortlaut auf „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“, welche nach Auffassung der OECD sowie der herr-

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schenden Meinung in Deutschland eine schuldrechtliche Beziehung voraussetzt. Der Anwendungsbereich des neuen § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG-E bleibt darüber hinaus völlig offen. Auch die Gesetzesbegründung gibt insoweit keine für die Praxis brauchbaren Hinweise. Im Übrigen ist die Vorschrift in sich unlogisch: So ist nicht verständlich, warum voneinander unabhängige ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter schuldrechtliche Vereinbarungen treffen würden, wenn sie einer Geschäftsbeziehung gar nicht zu Grunde liegen42. Schließlich ist die (nicht verständliche) Vorschrift mit einer Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen verbunden und verstößt damit gegen den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz, dass die Finanzverwaltung die Beweislast für Einkünftekorrekturen trägt. Im Ergebnis bedarf es einer grundlegenden Überarbeitung des § 1 Abs. 4 Nr. 1 AStG-E § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG-E sollte gestrichen werden.

C. Transformation des AOA in § 1 AStG I. Betriebsstättengewinnabgrenzung nach dem AOA 1. Grundlegendes Die OECD hat im Rahmen ihres Betriebsstättenberichts v. 17.7.200843 den „Functionally Separate Entity Approach“ als sog. „Authorised OECD Approach“ („AOA“) definiert.44 Mit dem AOA wurde erstmals ein ganzheitliches Konzept zur Auslegung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer Gewinnabgrenzung definiert. Kernthese ist eine uneingeschränkte Umsetzung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte gem. Art. 7 Abs. 2 OECD-MA.45 _____________ 42 Dies ist Tatbestandsvoraussetzung der Vorschrift. 43 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 17.7.2008, Paris 2008. Vgl. dazu auch Kroppen in FS Herzig, 1072 ff.; Kosch, IStR 2010, 42 ff.; Bennett, ET 2008, 467 ff. 44 Zur Entwicklung des AOA vgl. auch Ditz, IStR 2002, 210 ff.; Förster/Naumann, IWB 2004, F. 10 International Gr. 2, 1777 ff.; Bennett/Dunahou, Intertax 2005, 51 ff.; Ditz, IStR 2005, 37 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1929 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1939 ff.; Förster, IWB 2007, F. 10 International Gr. 2, 1947 ff.; Bennett/Russo, ITPJ 2007, 279 ff. 45 Vgl. Rz. 85 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2008; Ditz/Schneider, DStR 2010, 82 f.

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Die Umsetzung des AOA erfolgte in zwei Schritten: In einem ersten Schritt wurde der OECD-MK zu Art. 7 in 2008 insoweit an den AOA angepasst, als dessen Interpretation nicht im Widerspruch zu der bereits bestehenden Musterkommentierung stand. Allerdings ist der OECDMK 2008 weiterhin von einer eingeschränkten Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte geprägt. In einer zweiten Stufe wurden dann zur vollständigen Umsetzung des AOA Art. 7 OECD-MA und der entsprechende OECD-MK im Rahmen des „Update 2010“ völlig neu konzipiert. Darüber hinaus wurde am 22.7.2010 der OECD-Betriebsstättenbericht 201046 veröffentlicht. Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 beschreibt Einzelheiten der Anwendung und Umsetzung des nunmehr in Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 eindeutig niedergelegten AOA.47 2. Funktionsanalyse unter Berücksichtigung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte (Stufe 1) a) Funktions- und Risikoanalyse Im Rahmen der Funktionsanalyse werden die von dem Stammhaus und der Betriebsstätte wahrgenommenen Funktionen und Risiken, die von ihnen eingesetzten Wirtschaftsgüter sowie ihre Kapitalausstattung analysiert und die daraus resultierenden unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen identifiziert (Stufe 1 des AOA).48 Im Rahmen der Funktionsanalyse sind die beteiligten Unternehmensteile (Stammhaus und Betriebsstelle) als fiktiv selbstständige und unabhängige Unternehmen zu behandeln. Vor diesem Hintergrund sollen – so die OECD – die für die Funktionsanalyse bei verbundenen Unternehmen in den OECD-Leitlinien 2010 dargestellten Grundsätze Anwendung finden.49 Ziel der Funktionsanalyse ist eine gewissenhafte und detaillierte50 Analyse der durch die Unternehmensteile ausgeübten Funktionen, wobei auch die entsprechende Funktionsausprägung (Routineunternehmen _____________ 46 Vgl. OECD, Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments as of 22 Jul. 2010. Vgl. dazu auch Kahle/Mödinger, IStR 2010, 757 ff.; Kußmaul/ Ruiner/Delarber, Ubg 2011, 840 ff. 47 Vgl. Art. 7 Rz. 8 OECD-MK 2010. 48 Vgl. Rz. 60 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010; Kahle/Mödinger, IStR 2010, 759; Kroppen in FS Herzig, 1075 ff. 49 Vgl. Rz. 60, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010 mit Verweis auf Rz. 1.42 ff. OECD-Leitlinien 2010. 50 Vgl. Rz. 67, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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versus Strategieträgerschaft) zu untersuchen ist.51 Darüber hinaus steht die Identifikation der wesentlichen Personalfunktionen („Significant People Functions“) im Zentrum der Funktionsanalyse.52 Denn nach Auffassung der OECD bilden die wesentlichen Personalfunktionen die Grundlage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken zu den unternehmerischen Teileinheiten. Die Analyse von Personalfunktionen bezieht sich insbesondere darauf, welche Personen in welchen Teilen des Unternehmens welche Tätigkeiten ausüben bzw. welche Verantwortungsbereiche übernehmen. Die Personalfunktionen können sich auf rein unterstützende und vorbereitende Tätigkeiten sowie auf übergeordnete und wesentliche Funktionen, welche die Übernahme von Risiken implizieren, beziehen.53 b) Zuordnung von Risiken Auf Grund der zivilrechtlichen Einheit zwischen Stammhaus und Betriebsstätte können – im Gegensatz zu verbundenen Unternehmen – Risiken zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht auf Basis vertraglicher Vereinbarungen zugeordnet werden. Infolgedessen sind die Risiken des Gesamtunternehmens – genannt werden etwa Vorrats-, Kredit-, Währungs-, Zins-, Markt-, Produkt- und Gewährleistungsrisiken – unter Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen.54 Einem Unternehmensteil sind daher solche Risiken zuzuordnen, für welche das Personal der Betriebsstätte verantwortlich ist.55 Mithin hat sich damit die Zuordnung von Risiken zu den betrieblichen Teileinheiten an den von ihnen ausgeübten Funktionen auszurichten. Werden vor diesem Hintergrund Produkte, welche vom Stammhaus hergestellt werden, zum Vertrieb in die Betriebsstätte geliefert, sind der Betriebsstätte in der Regel die aus der Vorratshaltung resultierenden Inventarrisiken sowie das aus möglichen Forderungsausfällen resultierende Inkassorisiko zuzuordnen.56 Die der Betriebsstätte zuzuordnenden Risiken haben nach Auffassung der OECD Auswirkungen auf das ihr zuzuordnende Dotationskapital _____________ 51 52 53 54 55 56

Vgl. Rz. 60, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 62, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 62, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 70, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 68, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 23 bis 25, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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(„Capital follows Risk“)57 sowie auf die Ermittlung eines angemessenen Fremdvergleichspreises im Rahmen der Stufe 2 des AOA. c) Zuordnung von Wirtschaftsgütern Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 beschäftigt sich intensiv mit der Frage der Zuordnung von Wirtschaftsgütern.58 Da das zivilrechtliche Eigentum als Kriterium nicht tauglich ist, soll das Konzept des wirtschaftlichen Eigentums („Economic Ownership“) Anwendung finden.59 Das wirtschaftliche Eigentum wird dabei als „equivalent of ownership for income tax purposes by a separate enterprise, with the attendant benefits and burdens (e.g. the right to the income attributable to the ownership of the asset, such as royalties; the right to depreciate a depreciable asset; and the potential exposure to gains or losses from the appreciation or depreciation of the asset)“ definiert.60 Infolgedessen sollen derjenigen betrieblichen Teileinheit die aus einem Wirtschaftsgut resultierenden Einnahmen und Ausgaben zugeordnet werden, die auch die Chancen und Risiken aus der Wertänderung eines Wirtschaftsgutes trägt.61 Praktisch nicht unproblematisch ist dabei, dass innerhalb der ersten Stufe der Gewinnabgrenzung auch zu analysieren ist, ob das Wirtschaftsgut einer betrieblichen Teileinheit (alleiniges wirtschaftliches Eigentum) oder mehreren betrieblichen Einheiten gemeinsam (gemeinschaftliches wirtschaftliches Eigentum) zuzuordnen ist.62 Darüber hinaus ist denkbar, dass das Wirtschaftsgut von seinem wirtschaftlichen Eigentümer an einen anderen Unternehmensteil zur Nutzung überlassen wird.63 Insoweit sind Abgrenzungsprobleme vorprogrammiert.

_____________ 57 58 59 60 61 62

Vgl. Rz. 71, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 72 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 18 ff. und 73, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 14 Fn. 4, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Kahle/Mödinger, IStR 2010, 760. Vgl. Rz. 72, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. So auch Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 2.44; a. A. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076 Rz. 2.4. 63 Vgl. Rz. 72, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010; siehe ferner Ditz/ Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff.

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d) Kapitalausstattung der Betriebsstätte Der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 widmet der Bestimmung des Dotationskapitals der Betriebsstätte ein umfangreiches Kapitel.64 Als Grundsatz geht die OECD davon aus, dass der Betriebsstätte genügend Eigenkapital zuzuordnen ist, damit diese die von ihr wahrgenommenen Funktionen und Risiken sowie die ihr zugeordneten Wirtschaftsgüter angemessen finanzieren kann.65 Die Dotation einer Betriebsstätte mit „freiem Kapital“ ist folglich der Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Risiken nachgelagert. Mithin basiert sie damit im Wesentlichen auf der Funktionsanalyse. Dabei geht die OECD davon aus, dass alle betrieblichen Teileinheiten über dieselbe Kreditwürdigkeit verfügen.66 Die Verrechnung von unternehmensinternen Garantien wird von der OECD nicht zugelassen,67 sodass insofern ein Unterschied zur Gewinnabgrenzung zwischen verbundenen Unternehmen besteht. Im Hinblick auf die Ermittlung des „freien Kapitals“ (verstanden als Dotationskapital der Betriebsstätte) legt sich die OECD nicht auf eine einzige Methode fest, sondern beschreibt verschiedene Methoden mit ihren Vor- und Nachteilen (Kapitalaufteilungsmethode, wirtschaftliche Kapitalaufteilungsmethode, Fremdvergleichsmethode, „Safe haven“-Methode, Unterkapitalisierung des Gesamtunternehmens).68 Nach Auffassung der OECD sind externe Finanzierungsaufwendungen zwischen den betrieblichen Teileinheiten aufzuteilen. Die Verrechnung von marktüblichen Zinsen oder Avalen ist infolgedessen nicht möglich. Dabei stellt die OECD heraus, dass verschiedene Methoden zur Aufteilung von Finanzierungsaufwendungen denkbar sind, soweit sie sich am Fremdvergleichsgrundsatz orientieren.69 e) Anerkennung von Innentransaktionen Eine der zentralen Aussagen des AOA ist, dass für Zwecke der Gewinnabgrenzung unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen _____________ 64 65 66 67 68

Vgl. Rz. 99 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 107, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 99, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 101 und 103, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. In Rz. 147, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010 gesteht die OECD in diesem Zusammenhang offen ein, dass es nicht möglich war, einen internationalen Konsens im Hinblick auf eine angemessene Bestimmung des der Betriebsstätte zuzuordnen Eigenkapitals zu finden. 69 Vgl. Rz. 150, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzuerkennen und mit einem Fremdvergleichspreis zu vergüten sind.70 Die OECD spricht insofern von „Dealings“, die als äquivalent zu schuldrechtlichen Geschäftsbeziehungen zwischen rechtlich selbstständigen, verbundenen Unternehmen zu verstehen sind.71 Insofern erkennt die OECD an, dass es zwischen Stammhaus und seiner Betriebsstätte zu einem Liefer- und Leistungsaustausch wie zwischen unabhängigen, rechtlich selbstständigen Unternehmen kommen kann. Entsprechende Innentransaktionen sind folglich unmittelbarer Ausfluss der Selbstständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte.72 Die Anerkennung unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen beschränkt sich indessen auf die Anwendung der Art. 7 und 23A/B OECD-MA; auf die weiteren Vorschriften des OECD-MA haben sie keine Auswirkungen.73 Die Erhebung von Quellensteuer auf unternehmensinterne Leistungsverhältnisse (insbesondere auf fiktive Lizenzzahlungen) ist daher nicht möglich.74 Im Übrigen sind an ihre steuerliche Anerkennung – mangels schuldrechtlicher Verträge75 – weitergehende Anforderungen zu stellen. So müssen im Rahmen eines „Dealing“ wirtschaftlich wesentliche Risiken, Verantwortlichkeiten und Vorteile zwischen den Unternehmensteilen transferiert werden.76 Innentransaktionen sind ferner buchhalterisch zu dokumentieren, wobei nach dem OECD-Betriebsstättenbericht 2010 die interne Korrespondenz bzw. weitere Kommunikationsunterlagen als Dokumentationsgrundlagen herangezogen werden können.77 Dabei sollen die Finanzbehörden der Vertragsstaaten unternehmensinterne Transaktionen anerkennen, wenn ihre Dokumentation mit den Ergebnissen der Funktionsanalyse im Einklang steht, die Dokumentation der Innentransaktion nicht von dem abweicht, was unabhängige Unternehmen in einer vergleichbaren Situation vernünftigerweise vereinbart hätten und die dokumentierte Innentransaktion die Grundsätze des OECD-Betriebsstättenberichts 2010 nicht verletzt, indem z. B. ein _____________ 70 Zur Anerkennung von sog. „Dealings“ im Einzelnen vgl. Rz. 172, Part I OECDBetriebsstättenbericht 2010. 71 Vgl. Rz. 14, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 72 Vgl. Rz. 172, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 73 Vgl. Art. 7 Rz. 28 und 29 OECD-MK 2010. 74 Vgl. Rz. 203, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 75 Vgl. Rz. 279, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 76 Vgl. Rz. 178, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 77 Vgl. Rz. 1879, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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Risiko unabhängig von der zugrunde liegenden Funktion übertragen wird.78 3. Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz (Stufe 2) a) Anwendung der OECD-Leitlinien 2010 Die im Rahmen der Funktionsanalyse identifizierten unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen sind unter Berücksichtigung der Grundsätze der OECD-Leitlinien 2010 fremdvergleichskonform zu vergüten (Stufe 2 des AOA).79 Zur Bestimmung einer fremdvergleichskonformen Vergütung ist eine Vergleichbarkeitsanalyse vorzunehmen.80 Zur konkreten Bepreisung der unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen kommen die klassischen Verrechnungspreismethoden (d. h. die Preisvergleichs-, die Wiederverkaufspreis- und die Kostenaufschlagsmethode) sowie die geschäftsvorfallbezogenen Gewinnmethoden (d. h. die geschäftsvorfallbezogene Gewinnaufteilungsmethode sowie die geschäftsvorfallbezogene Nettomargenmethode) in Betracht. Die noch im OECD-MK 2008 zu Art. 7 vorgesehene Beschränkung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf die Überführung von Wirtschaftsgütern wird damit von der OECD ab 2010 abgelehnt. Insofern kommt es zu einer uneingeschränkten Anwendung der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer Gewinnabgrenzung, wobei die reine Belastung von Kosten nur in Ausnahmefällen vorgesehen ist (z. B. im Rahmen der Kostenumlage). b) „Dealings“ bei materiellen Wirtschaftsgütern Wird das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut, welches zunächst dem Stammhaus zugeordnet war, auf die Betriebsstätte übertragen, liegt nach Auffassung der OECD eine mit dem Fremdvergleichspreis zu bewertende unternehmensinterne Transaktion vor.81 Da die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf Basis von schuldrechtlichen Verträgen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht erfolgen kann, kommt es – so die OECD – auf die Übertragung der aus dem _____________ 78 Vgl. Art. 7 Rz. 26 OECD-MK 2010. Gem. Rz. 181, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010 sollen die Rz. 1.48 bis 1.54 sowie 1.64 bis 1.69 OECD-Leitlinien 2010 zur Anwendung kommen. 79 Vgl. Rz. 183, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 80 Vgl. Rz. 189 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010 mit Verweis auf die OECD-Leitlinien 2010. 81 Vgl. Rz. 195 f., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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Wirtschaftsgut resultierenden Risiken und des insoweit übergehenden Nutzens an.82 Wenngleich die OECD die konkreten steuerlichen Konsequenzen des Ansatzes des Fremdvergleichspreises im Rahmen der Überführung von materiellen Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte nicht konkretisiert, ist davon auszugehen, dass sie insoweit dem Stammhausstaat ein Besteuerungsrecht auf die im Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven zusteht. Im Übrigen bildet der Fremdvergleichspreis die Basis zur Bewertung von Abschreibungen, welche die Betriebsstätte im Hinblick auf das überführte Wirtschaftsgut zum Ansatz bringt. Dabei sind allerdings die innerstaatlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu berücksichtigen.83 Neben der Überführung von Wirtschaftsgütern hält die OECD auch eine anteilige Zuordnung des Wirtschaftsguts zum Stammhaus und der Betriebsstätte – unter Berücksichtigung der Grundsätze für Kostenumlagen – für möglich.84 Diese Alternative kommt insbesondere in den Fällen zum Tragen, in welchen Wirtschaftsgüter gemeinsam von verschiedenen Unternehmensteilen entwickelt oder genutzt werden.85 Schließlich ist auch der Ansatz einer (fiktiven) Miet-, Pacht- oder Lizenzgebühr denkbar.86 c) „Dealings“ bei immateriellen Wirtschaftsgütern Was die Ermittlung einer fremdvergleichskonformen Vergütung in Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter betrifft, enthält der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 keine Vorgaben; vielmehr wird auf die OECDLeitlinien 2010 verwiesen.87 Damit sind auch im Rahmen der Betriebsstättengewinnabgrenzung die Grundsätze für verbundene Unternehmen anzuwenden, wobei zu berücksichtigen ist, dass Verträge (insbesondere Lizenzverträge)88 zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht abgeschlossen werden können. Infolgedessen ist von entscheidender Bedeutung, welchem Unternehmensteil das immaterielle Wirtschaftsgut unter _____________ 82 Vgl. Rz. 195, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 83 Vgl. Rz. 196, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 84 So auch Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, Rz. 2.44; a. A. BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 2.4. 85 Vgl. Rz. 197 f., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 86 Vgl. auch Ditz/Tcherveniachki, Ubg 2012, 101 ff. 87 Vgl. Rz. 200 ff., Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 88 Vgl. Rz. 203, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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Berücksichtigung der wesentlichen Personalfunktionen zuzuordnen ist.89 So kann das wirtschaftliche Eigentum an dem immateriellen Wirtschaftsgut einem Unternehmensteil alleine oder mehreren Unternehmensteilen zusammen zuzuordnen sein. Die OECD lässt es damit ausdrücklich zu, immaterielle Wirtschaftsgüter mehreren Unternehmensteilen zuzuordnen.90 Ist ein immaterielles Wirtschaftsgut mehreren Unternehmensteilen zuzuordnen, sind die Grundsätze der Kostenumlage zu beachten.91 Daneben ist auch denkbar, dass das wirtschaftliche Eigentum an einem immateriellen Wirtschaftsgut von einem Unternehmensteil auf einen anderen überführt wird. Ist dies der Fall, ist der Marktpreis („fair market value“) anzusetzen, sodass dem Vertragsstaat das Recht eingeräumt wird, die in dem immateriellen Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven zu besteuern.92 Darüber hinaus kann ein Lizenzverhältnis zwischen den Unternehmensteilen anzunehmen sein, wenn ein solches auch zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbart worden wäre.93 Schließlich kann die Betriebsstätte auch als sog. Auftragsforscher für das Stammhaus tätig werden, wobei die entsprechende Dienstleistung i. d. R. auf Basis der Kostenaufschlagsmethode zu bestimmen ist.94 In Bezug auf immaterielle Wirtschaftsgüter werden dem Steuerpflichtigen damit zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten angeboten. d) Erbringung von unternehmensinternen Dienstleistungen In Bezug auf die unternehmensinterne Erbringung von Dienstleistungen stellt der OECD-Betriebsstättenbericht 2010 klar, dass der Fremdvergleichsgrundsatz uneingeschränkt Anwendung finden soll. Infolgedessen sind unternehmensinterne Dienstleistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte grundsätzlich auf Basis eines Fremdvergleichspreises (d. h. einschließlich Gewinnelement) zu verrechnen.95 Eine Ausnahme gilt, wenn die Grundsätze der Kostenumlage Anwendung finden.96

_____________ 89 90 91 92 93 94

Vgl. Rz. 210, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 201, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Kap. VIII OECD-Leitlinien 2010. Vgl. Rz. 208, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 209, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. Vgl. Rz. 201, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010 mit Verweis auf Rz. 7.4.1 OECD-Leitlinien 2010. 95 Vgl. Rz. 216, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 96 Vgl. Rz. 219, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010.

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e) Dokumentation Wenngleich die Frage der Dokumentation der Abrechnung unternehmensinterner Lieferungen und Leistungen eine wesentliche praktische Frage der Anwendung des AOA darstellt, sind die Ausführungen zu dieser Thematik im OECD-Betriebsstättenbericht 2010 sehr spärlich.97 So wird im Wesentlichen auf Kap. V OECD-Leitlinien 2010 verwiesen. Insofern verkennt die OECD, dass die Identifikation und Ausgestaltung von (schuldrechtlichen) Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen verbundenen Unternehmen in der Regel über Verträge dokumentiert werden kann, was indessen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht möglich ist. Insofern unterscheidet sich die Gewinnabgrenzung im internationalen Einheitsunternehmen erheblich von derjenigen zwischen verbundenen Unternehmen.

II. Implementierung des Authorized OECD Approach in § 1 AStG 1. Darstellung der neuen Regelung Mit Einführung der Fiktion von Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte in § 1 Abs. 4 Nr. 2 AStG-E hat der Gesetzgeber die Grundlage für den § 1 Abs. 5 AStG-E gelegt. § 1 Abs. 5 AStG-E sieht eine Einkünftekorrektur vor, wenn der Fremdvergleichsgrundsatz für unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht beachtet wird. Dabei ist die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung. Daher betrifft § 1 Abs. 5 AStG-E nur rechtlich unselbstständige Betriebsstätten, unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens.98 In Satz 3 ff. wird der AOA kurz beschrieben. Mit Einführung des § 1 Abs. 6 AStG-E soll darüber hinaus das BMF ermächtigt werden, mit Zustimmung des Bundesrates, alle Einzelheiten in einer Rechtsverordnung zu regeln. Konkret sind § 1 Abs. 5 und Abs. 6 AStG-E wie folgt gefasst: „(5) Die Absätze 1, 3 und 4 sind entsprechend anzuwenden, wenn für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des Absatzes 4 Satz 1 Nummer 2 die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwi-

_____________ 97 Vgl. Rz. 224–226, Part I OECD-Betriebsstättenbericht 2010. 98 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 62.

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schen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens steuerlich zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung. Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, sind ihr in einem ersten Schritt zuzuordnen: 1. die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen), 2. die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt, 3. die Chancen und Risiken des Unternehmens, die sie aufgrund der ausgeübten Funktionen und zugeordneten Vermögenswerte übernimmt, sowie 4. ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital). Auf der Grundlage dieser Zuordnung sind in einem zweiten Schritt die Art der Geschäftsbeziehungen zwischen dem Unternehmen und seiner Betriebsstätte und die Verrechnungspreise für diese Geschäftsbeziehung zu bestimmen. Die Sätze 1 bis 4 sind entsprechend auf ständige Vertreter anzuwenden. Die Möglichkeit, einen Ausgleichsposten nach § 4g des Einkommensteuergesetzes zu bilden, wird nicht eingeschränkt. Auf Geschäftsbeziehungen zwischen einem Gesellschafter und seiner Personengesellschaft oder zwischen einem Mitunternehmer und seiner Mitunternehmerschaft sind die Sätze 1 bis 4 nicht anzuwenden, unabhängig davon ob die Beteiligung unmittelbar besteht oder ob sie nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes mittelbar besteht; für diese Geschäftsbeziehungen gibt Absatz 1. Ist ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden und macht der Steuerpflichtige geltend, dass dessen Regelung den Sätzen 1 bis 7 widersprechen, so hat das Abkommen nur insoweit Vorrang, als sich nach dessen Bestimmungen kein oder ein geringerer Berichtigungsbedarf als nach den Sätzen 1 bis 7 ergibt und der Steuerpflichtige nachweist, dass der andere Staat sein Besteuerungsrecht entsprechend diesem Abkommen ausübt. (6) Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes im Sinne der Absätze 1, 3 und 5 und Einzelheiten dessen einheitlicher Anwendung zu regeln sowie Grundsätze zur Bestimmung des Dotationskapitals im Sinne des Absatzes 5 Satz 3 Nummer 4 festzulegen.“

Der Gesetzgeber begründet die Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 und 6 AStG damit, dass dies in Übereinstimmung mit den Überlegungen der 101

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OECD steht. Somit ist nun der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz bei der Aufteilung von Gewinnen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzuwenden. Dabei kann es passieren, dass die rechtlich unselbstständige Betriebsstätte einen Gewinn erzielt, obwohl das Gesamtunternehmen einen Verlust generiert oder umgekehrt die Betriebsstätte einen Verlust hinnehmen muss, obwohl das Unternehmen insgesamt Gewinne erzielt. Da es mit Ansatz des Fremdvergleichspreises zur Aufdeckung stiller Reserven kommen kann, soll dies nach Ansicht des Gesetzgebers durch Beibehaltung der Anwendbarkeit des § 4g EStG abgemildert werden. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass sich Differenzen zwischen der Summe der Einzelergebnisse verschiedener Betriebsstätten und dem Gesamtergebnis des Unternehmens im Laufe der Zeit wieder ausgleichen. Als Nachweis für die fehlenden schuldrechtlichen Vereinbarungen werden Aufzeichnungen über die wirtschaftlichen Vorgänge und Protokolle als Ersatz anerkannt.99 Ebenfalls legt der Gesetzgeber fest, dass § 1 Abs. 5 AStG-E Vorrang vor DBA hat, die dem bisherigen Artikel 7 OECD-MA oder dem Artikel 7 VN-MA entsprechen.100 Damit soll das deutsche Steueraufkommen gewahrt werden und gleichzeitig sollen unbesteuerte Einkünfte vermieden werden, da ältere DBA noch nicht den AOA enthalten. Mit § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E werden die Fälle völkerrechtskonform gelöst, in denen es zu internationalen Besteuerungskonflikten kommt. Hierbei treten die Regelungen des § 1 Abs. 5 Sätze 1 bis 7 AStG-E zurück, wenn der andere Staat sein Besteuerungsrecht ausübt. Somit bleiben die Besteuerungsrechte des anderen Staates gewahrt und eine Doppelbesteuerung wird vermieden. Mit Einführung der Verordnungsermächtigung in § 1 Abs. 6 AStG-E will der Gesetzgeber klar erkennen lassen, dass die Regelungen für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes für den gesamten § 1 AStG zählen. Im Ergebnis führt dies zu Regelungen, die auf den international anerkannten Grundsätzen für die Gewinnaufteilung bei Betriebsstätten basieren. Diese Regelungen sichern das deutsche Besteuerungsrecht und vermeiden darüber hinaus Besteuerungskonflikte. Eine umfassende Regelung hinsichtlich der Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Gesetz wäre zum einen zu umfangreich und zum anderen erlaubt eine _____________ 99 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 100 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64.

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Rechtsverordnung eine kurzfristige Anpassung an internationale Entwicklungen.101 2. Kritische Würdigung a) Aufnahme des AOA in § 1 AStG Die Gesetzesbegründung beschreibt zutreffend die Tatsache, dass die OECD die Einkünfteabgrenzung bei in- und ausländischen Betriebsstätten nunmehr stringent an dem international anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz ausrichtet. Das insoweit durch Art. 7 Abs. 2 OECDMA 2010 bzw. die darauf aufbauenden deutschen Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehene Besteuerungsrecht auf Unternehmensgewinne wird indessen durch innerstaatliches Recht de lege lata nicht vollständig ausgeschöpft. Daher ist es – bereits aus fiskalischen Gründen – sachgerecht, eine innerstaatliche Rechtsgrundlage zu schaffen, welche das in Art. 7 OECD-MA 2010 vorgesehene Besteuerungsrecht in innerstaatliches Recht transformiert. Die Umsetzung (alleine) in § 1 AStG ist jedoch nicht sachgerecht; vielmehr handelt es sich bei der Einkünfteermittlung der Betriebsstätte um einen Tatbestand der Einkommensermittlung (sowohl für in- als auch ausländische Betriebsstätten), welcher im Einkommensteuergesetz geregelt werden muss. § 1 AStG ist demgegenüber eine Einkünftekorrekturvorschrift102, welche nur dann greift, wenn die deutsche Finanzverwaltung einkünfteerhöhende Korrekturen vornehmen möchte. Der Authorized OECD Approach bezieht sich auf originäre Themen der Einkommensermittlung, welche im Einkommensteuergesetz zu regeln sind: – Definition eines Ersatzrealisationstatbestandes im Hinblick auf die „Abrechnung“ unternehmensinterner Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte („Durchbrechung“ des Realisationsprinzips); – Regelungen zur bilanziellen Zuordnung von Wirtschaftsgütern zur Betriebsstätte; – Regelungen zur bilanziellen Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte; – Anerkennung eines Betriebsausgabenabzugs fiktiver Leistungsentgelte bei in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Betriebsstät_____________ 101 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 64. 102 So auch die Idee des § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E.

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ten, bei welchen in der derzeitigen Entwurfsfassung des Gesetzes ein Betriebsausgabenabzug nicht sichergestellt ist103. Für den Fall, dass Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung (z. B. Aufstellen einer Betriebsstättenbilanz) in einer Rechtsverordnung geregelt werden, wird wohl die Ermächtigung des § 1 Abs. 6 AStG-E überschritten (s. u.). Sollten entsprechende Themen in der Rechtsverordnung geregelt werden, besteht damit das Risiko, dass der Inhalt der Rechtsverordnung durch den BFH oder das Bundesverfassungsgericht als rechtswidrig qualifiziert werden könnte. Im Übrigen würde durch eine Regelung des Authorized OECD Approach im Einkommensteuergesetz das – derzeit noch völlig offene – Verhältnis des § 1 Abs. 5 AStG-E zu den Entstrickungsregelungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und des § 12 Abs. 1 KStG klargestellt werden. Mithin könnten diese Entstrickungsregelungen sogar entfallen, wenn im Einkommensteuergesetz eine allgemeine Vorschrift zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes im Rahmen der Betriebsstättengewinnermittlung verankert werden würde. Dies würde zu einer (erheblichen) Vereinfachung der Rechtsgrundlagen der Betriebsstätteneinkünfteermittlung führen. Darüber hinaus ist Folgendes zu beachten: § 1 Abs. 5 AStG-E sieht derzeit keine allgemeine Stundungsregelung im Hinblick auf die Gewinnrealisierung bei unternehmensinternen Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte vor. Damit stellt sich die Frage, ob § 1 Abs. 5 AStG-E, der nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte Anwendung findet, gegen die Diskriminierungsverbote des AEUV verstößt. In diesem Zusammenhang geht die herrschende Meinung davon aus, dass die sog. „Entstrickungsregeln“ des § 4 Abs. 1 Satz 3 f. EStG und des § 12 Abs. 1 KStG gegen die europarechtlichen Grundfreiheiten – insbesondere gegen die Niederlassungsfreiheit – verstoßen, weil vergleichbare inländische Vorgänge keiner Besteuerung unterliegen. Überzeugende Rechtfertigungsgründe für einen solchen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit existieren keine. Dies zeigt bereits die aktuelle Rechtsprechung des EuGH104. Unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben ist damit lediglich die Besteuerung des tatsächlich realisierten Veräußerungsgewinns legitimiert, was zur Folge hat, dass eine Besteuerung der im Inland belegenden stillen Reserven euro_____________ 103 Vgl. § 50 Abs. 1 EStG. 104 Vgl. EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus BV, DStR 2011, 2334.

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parechtlich nicht zulässig ist, wenn diese tatsächlich nicht realisiert werden. Im Ergebnis ist es daher erforderlich, den Authorized OECD Approach in die Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuergesetzes aufzunehmen; eine reine Beschreibung des Authorized OECD Approach in § 1 Abs. 5 AStG ist nicht ausreichend. Schließlich sollte noch darauf hingewiesen werden, dass in § 1 Abs. 5 AStG-E unklare bzw. inkonsistente Begrifflichkeiten verwendet werden, die seine praktische Anwendung äußerst problematisch machen: – Während Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010 von der Fiktion eines „selbstständigen“ Unternehmens spricht, wird in § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG-E der Begriff des „eigenständigen“ Unternehmens verwandt. Die Verwendung verschiedener Begrifflichkeiten ist in diesem Zusammenhang nicht notwendig, sondern führt nur zu Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Begriffsauslegung. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG-E spricht nur von „Personalfunktionen“, während die OECD von „wesentlichen Personalfunktionen“ („significant people functions“) ausgeht. Auch insofern wäre wünschenswert, wenn die gleichen Begrifflichkeiten verwendet würden. – § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG-E verwendet den Begriff „Vermögenswerte“. Dies ist für das deutsche Ertragsteuerrecht ein völlig neuer Begriff, welcher die Anwendung und Auslegung der Vorschrift unnötig verkompliziert. Vielmehr sollte – wie von der OECD („Assets“) – hier der Begriff des Wirtschaftsguts verwendet werden. – § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E regelt eine Selbstverständlichkeit, wonach der Vorrang eines Doppelbesteuerungsabkommens zu beachten ist. Dieser Abkommensvorrang wird allerdings an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, sodass es sich bei § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E im Ergebnis um ein sog. treaty override handelt. Ein solches ist verfassungsrechtlich problematisch105. Im Übrigen erfolgt durch die Nachweispflicht des Steuerpflichtigen eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten. § 1 Abs. 5 Satz 8 AStG-E sollte daher ersatzlos gestrichen werden. Die neuen Regelungen des § 1 AStG sollen ab dem Veranlagungszeitraum 2013 gelten. Es wäre indessen nicht sachgerecht, wenn die Einführung des § 1 Abs. 5 AStG-E ohne Veränderungen des Funktions- und _____________ 105 Vgl. Vorlagebeschluss des BFH v. 10.1.2012 – I R 66/09, DStR 2012, 949.

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Risikoprofils bereits bestehender Betriebsstätten unternehmensinterne Liefer- und Leistungsbeziehungen auslösen würde. Dies ist etwa denkbar, wenn Wirtschaftsgüter nach dem Grundsatz der funktionalen Betrachtungsweise z. B. dem Stammhaus und unter Berücksichtigung des Kriteriums der „significant people functions“ der Betriebsstätte zuzuordnen wären. Vor diesem Hintergrund sollte eine Übergangsregelung aufgenommen werden, welche bereits bestehenden Betriebsstättenstrukturen einen Bestandsschutz gewährleistet. b) Ermächtigung für eine Rechtsverordnung gemäß § 1 Abs. 6 AStG Es ist begrüßenswert, dass Einzelheiten der Einkünfteermittlung bei Betriebsstätten in einer Rechtsverordnung geregelt werden sollen. Es ist allerdings fraglich, ob der Ermächtigungsrahmen des § 1 Abs. 6 AStG-E im Hinblick einer Konkretisierung der Einkünftekorrekturvorschrift des § 1 AStG nicht durch die Regelung von Einzelheiten der Betriebsstättengewinnermittlung verlassen wird. Insoweit bestünde das Risiko, dass die Rechtsverordnung rechtswidrig erlassen und in Folge dessen unwirksam ist. Wie bereits vorstehend dargestellt, ist daher eine Regelung der Einkommensermittlung bei in- und ausländischen Betriebsstätten im Einkommensteuergesetz unerlässlich.

D. Änderungen bei der Hinzurechnungsbesteuerung I. Darstellung der neuen Regelung Mit dem JStG 2013 soll § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG-E dahingehend geändert werden, dass der Anwendungsbereich der Gegenbeweismöglichkeit des § 8 Abs. 2 AStG auch auf Kleinstbeteiligungen erweitert wird, die einer Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 6 AStG unterliegen. Im Ergebnis kann damit der Motivtest auch bei den Gesellschaften angewendet werden, die nicht inländisch beherrscht sind, jedoch Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen. Dieser Gegenbeweis war bisher nur bei sog. Inländerbeherrschung i. S. d. § 7 Abs. 2 AStG möglich. Nach dem Motivtest i. S. d. § 8 Abs. 2 AStG unterbleibt eine Zurechnungsbesteuerung, wenn nachgewiesen wird, dass die beherrschte ausländische Gesellschaft einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht und weitere Voraussetzungen – insbesondere das Bestehen eines zwischenstaatlichen Auskunftsanspruchs – erfüllt sind.106 _____________ 106 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 66.

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Um diese Erweiterung der Gegenbeweismöglichkeit umzusetzen, wird § 8 Abs. 2 AStG wie folgt geändert: In Satz 1 werden die Wörter „im Sinne des § 7 Abs. 2“ durch die Wörter „im Sinne des § 7 Absatz 2 oder Absatz 6“ ersetzt.

Mit der Erweiterung des Motivtests auf Gesellschaften, die nicht inländisch beherrscht sind, aber Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen, will der Gesetzgeber Konflikte mit der Rechtsprechung des EuGH107 vermeiden.108 Dabei soll § 8 Abs. 2 AStG-E erstmals für den Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum angewendet werden, in dem Zwischeneinkünfte hinzugerechnet werden, die auf das Wirtschaftsjahr der Zwischengesellschaft zurückgehen, das nach dem 31.12.2012 beginnt109. Da Hinzurechnungsbeträge in der logischen Sekunde nach Ablauf des Wirtschaftsjahres der Zwischengesellschaft als zugeflossen gelten, kommt § 8 Abs. 2 KStG-E somit – Rumpfwirtschaftsjahre der Zwischengesellschaft ausgenommen – erstmals für den Veranlagungsbzw. Erhebungszeitraum 2014 zur Anwendung.

II. Kritische Würdigung Die Änderungen hinsichtlich der erweiterten Anwendung der Gegenbeweismöglichkeiten sind grundsätzlich zu begrüßen. Jedoch ist nicht klar ersichtlich, welches bestehende Konfliktpotential mit dem EuGH der Gesetzgeber mit der Einführung des § 8 Abs. 2 AStG-E genau beseitigen will. Noch in der Gesetzesbegründung zum JStG 2008 hat der Gesetzgeber dezidiert begründet, dass er eine Anwendung nur in den Fällen des § 7 Abs. 2 AStG vorsieht. Dadurch sollten Fälle von der Gegenbeweismöglichkeit ausgeschlossen werden, die nur unter die Kapitalverkehrsfreiheit fallen können. Zur Begründung stützte sich der Gesetzgeber wie auch im JStG 2013 auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes110 und übernahm diese Entscheidungsgrundsätze. Aufgrund derselben Entscheidungsgrundsätze sieht sich der Gesetzgeber nun veranlasst, auch die erweiterte Hinzurechnungsbesteuerung für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der unions_____________ 107 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, IStR 2006, 670. 108 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 66. 109 Vgl. § 21 Abs. 21 Satz 2 AStG-E. 110 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, IStR 2006, 670.

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rechtlichen Gegenbeweismethode zugänglich zu machen.111 Möglicherweise resultiert die jetzige Änderung daher, dass der Gesetzgeber mittlerweile doch einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit sieht. Diese Ansicht kann durch die Entscheidung des BFH beeinflusst sein, der die Herauslösung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter aus dem Motivtest weiterhin für unionsrechtswidrig hielt112. Eine Hinzurechnungsbesteuerung kann gem. § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG-E nur dann vermieden werden, wenn der Steuerpflichtige den Nachweis erbringt, dass die in einem EU/EWR-Staat domizilierende Gesellschaft „einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht.“ Mit diesem Kriterium sollte der entscheidende Aspekt der Niederlassungsfreiheit zum Ausdruck gebracht werden.113 Ebenfalls enthielt die Begründung zum JStG 2008 eine solche restriktive Haltung. Danach musste es sich um eine „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ in Form einer „stabilen und kontinuierlichen Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedsstaates“ handeln. An einer solchen Tätigkeit fehlt es, „wenn sich die Funktionen der Gesellschaft in gelegentlicher Kapitalanlage oder Verwaltung von Beteiligungen ohne gleichzeitige Ausübung der geschäftsleitenden Funktionen erschöpfen.“114 Auch die Finanzverwaltung legt tendenziell das Erfordernis der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ restriktiv aus.115 Somit ist die Regelung zwar unionsrechtskonform, wird aber in der Praxis zu keiner nennenswerten Änderung führen, da der Steuerpflichtige an der Erbringung der erforderlichen Nachweise scheitern wird.116 Eine solche enge Auslegung der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ widerspricht dem EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes117. Daher können auch vermögensverwaltende Tätigkeiten durchaus den Schutz der Grundfreiheiten beanspruchen, sodass Kapitalanlage- und Vermögensverwaltungsgesellschaften nicht per se als künstliche Gestaltungen einzustufen sind. Es bleibt zu hoffen, dass sich die zukünftigen Anforderungen der Finanzverwaltung hinsichtlich der physischen Präsenz von Zwischengesellschaften an die _____________ 111 112 113 114 115

Vgl. Quilitzsch, IStR 2012, 646. Vgl. BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774. Vgl. Schönfeld, IStR 2012, 217. Vgl. JStG 2008 v. 20.12.2007, BGBl. I 2007, 3150. Vgl. Kraft in Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht im DAV (Hrsg.), Steueranwalt 2011/2012, 32. 116 Vgl. Quilitzsch, IStR 2012, 647. 117 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, IStR 2006, 670.

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Art der ausgeübten Tätigkeit der Gesellschaft anpassen. Folglich muss das Kriterium der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ deutlich zurückhaltend ausgelegt werden.118 Kritisch ist ebenfalls der Zeitpunkt der Anwendung der neuen Regelung zu hinterfragen. Der Gesetzgeber hat in seiner Begründung zum JStG 2013 angefügt, dass er Konflikte mit der Rechtsprechung des EuGH aus dem Jahre 2006 vermeiden will.119 Daher erklärt sich nicht, wieso die Anwendung des § 8 Abs. 2 AStG-E de facto erst für den Veranlagungsbzw. Erhebungszeitraum 2014 erfolgen soll. Bereits mit den Änderungen im JStG 2008 hatte der Gesetzgeber versucht, eine EuGH-verträgliche Regelung umzusetzen. Da sich der Gesetzgeber bei der nun einzuführenden Änderung immer noch auf das EuGH-Urteil aus dem Jahre 2006 beruft, scheint er noch Konfliktpotenzial in der aktuellen Regelung erkannt zu haben.120 Im Ergebnis wäre eine Anwendung auf alle noch offenen Fälle zielgerichteter.

E. Neufassung der Zurechnung bei Familienstiftungen I. Darstellung der neuen Regelung Durch das JStG 2013 will der Gesetzgeber umfangreiche Änderungen im Bereich des § 15 AStG vornehmen. Dabei verschärfen viele dieser Neuregelungen die Zurechnungsbesteuerung bei sog. Familienstiftungen.121 Grundsätzlich wird mit § 15 AStG das Einkommen einer ausländischen Familienstiftung dem Stifter oder Begünstigten zugerechnet. Bisher wurde für die Zurechnungsbesteuerung auf das Einkommen abgestellt. Mit der geplanten Neufassung der Zurechnungsbesteuerung i. S. d. § 15 AStG-E soll zukünftig auf die Einkünfte abgestellt werden. Damit kommt es zu einem Paradigmenwechsel, der teilweise in der Literatur gefordert war122 und vereinzelt sogar de lege lata vorweggenommen wird123. Im Ergebnis sind damit Stiftungseinkünfte auf Ebene des Zurechnungsadressaten einer Einkunftsart oder mehreren Einkunftsarten i. S. d. § 15 Abs. 8 AStG-E zuzuordnen. Dabei werden sämtliche aus der ausländischen Familienstiftung erzielten Einkünfte auf Ebene _____________ 118 119 120 121 122 123

Vgl. Quilitzsch, IStR 2012, 647. Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 66. Vgl. Quilitzsch, IStR 2012, 648. Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2278. Vgl. Wassermeyer, IStR 2009, 191. Vgl. Felix, DB 1972, 2275; Helmert, IStR 2005, 272.

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Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

des Zurechnungsadressaten im Wege einer fiktiven Vollausschüttung nur einer einzigen Einkunftsart zugerechnet. Der Zurechnungsbetrag gehört bei einem Körperschaftssteuersubjekt, auf das § 8 Abs. 2 KStG anzuwenden ist, zu Einkünften aus Gewerbebetrieb i. S. d. § 15 Abs. 8 Satz 3 1 Hs. AStG-E. Bei anderen Zurechnungsadressaten gehört der Zurechnungsbetrag zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Mit dem Gesetzesentwurf passt der Gesetzgeber den § 15 AStG-E an die §§ 7–14 AStG an. Des Weiteren wird festgelegt, dass die Besteuerungsgrundlagen in allen Fällen gesondert festzustellen sind. Darüber hinaus wird mit diesen Regelungen die Erfassung von Zwischeneinkünften sichergestellt, die in Gesellschaften thesauriert werden, an denen eine ausländische Stiftung beteiligt ist. Ebenfalls werden die Fälle erfasst, in denen eine ausländische Familienstiftung selbst Begünstigte einer anderen ausländischen Stiftung ist. Diese geplanten Änderungen sollen erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2013 gelten. Mit dem JStG 2013 wird § 15 AStG hinsichtlich der Abs. 1, 5, 6 und 7–11 angepasst. In diesem Zusammenhang werden die Abs. 1 und 5 wie folgt gefasst: „(1) Vermögen und Einkünfte einer Familienstiftung, die Geschäftsleitung und Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat (ausländische Familienstiftung), werden dem Stifter, wenn er unbeschränkt steuerpflichtig ist, sonst den unbeschränkt steuerpflichtigen Personen, die bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet. (5) § 12 Absatz 1 und 2 ist entsprechend anzuwenden. Für Steuern auf die nach Absatz 11 befreiten Zuwendungen gilt § 12 Absatz 2 entsprechend.“

Der Abs. 6 wird wie folgt geändert: In Nummer 2 werden die Wörter „Richtlinie 77/799/EWG“ durch die Wörter „Amtshilferichtlinie gemäß § 2 Absatz 2 des EU-Amtshilfegesetzes“ ersetzt.

Darüber hinaus wird folgender Satz eingefügt: „Satz 1 gilt nicht für die der ausländischen Familienstiftung nach den Absätzen 9 und 10 zuzurechnenden Beträge.“

Des Weiteren wird der alte Abs. 7 durch die Abs. 7 bis 11 ersetzt: „(7) Die Einkünfte der Stiftung nach Absatz 1 werden in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Körperschaftssteuergesetzes und des Einkommensteuergesetzes ermittelt. Bei der Ermittlung der Einkünfte gilt § 10 Absatz 3 entsprechend. Ergibt sich ein negativer Betrag entfällt die Zurechnung.

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Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

(8) Die nach Absatz 1 dem Stifter oder der bezugs- oder anfallsberechtigten Person zuzurechnenden Einkünfte gehören bei Personen, die ihre Einkünfte nicht nach dem Körperschaftsteuergesetz ermitteln, zu den Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 9 des Einkommensteuergesetzes. § 20 Absatz 8 des Einkommensteuergesetzes bleibt unberührt; § 3 Nummer 40 Satz 1 Buchstabe d und § 32d des Einkommensteuergesetzes sind nur insoweit anzuwenden, als diese Vorschriften bei unmittelbarem Bezug der zuzurechnenden Einkünfte durch die Personen im Sinne des Absatzes 1 anzuwenden wären. Soweit es sich beim Stifter oder der bezugs- oder anfallsberechtigten Person um Personen handelt, die ihre Einkünfte nach dem Körperschaftssteuergesetzes ermitteln, bleibt § 8 Absatz 2 des Körperschaftssteuergesetzes unberührt; § 8b Absatz 1und 2 des Körperschaftsteuergesetzes ist nur insoweit anzuwenden, als diese Vorschrift bei unmittelbarem Bezug der zuzurechnenden Einkünfte durch die Personen im Sinne des Absatzes 1 anzuwenden wäre. (9) Ist eine ausländische Familienstiftung oder eine andere ausländische Stiftung im Sinne des Absatzes 10 an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Absatz 1 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), beteiligt, so gehören die Einkünfte dieser Gesellschaft in entsprechender Anwendung der §§ 7 bis 14 mit dem Teil zu den Einkünften der Familienstiftung, der auf die Beteiligung der Stiftung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt. Auf Gewinnausschüttungen der ausländischen Gesellschaft, denen nachweislich bereits nach Satz 1 zugerechnete Beträge zugrunde liegen, ist Absatz 1 nicht anzuwenden. (10) Einer ausländischen Familienstiftung werden Vermögen und Einkünfte einer anderen ausländischen Stiftung, die nicht die Voraussetzungen des Absatzes 6 Satz 1 erfüllt, entsprechend ihrem Anteil zugerechnet, wenn sie allein oder zusammen mit den in den Absätzen 2 und 3 genannten Personen zu mehr als der Hälfte unmittelbar oder mittelbar bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt ist. Auf Zuwendungen der ausländischen Stiftung, denen nachweislich bereits nach Satz 1 zugerechnete Beträge zugrunde liegen, ist Absatz 1 nicht anzuwenden. (11) Zuwendungen der ausländischen Familienstiftung unterliegen bei Personen im Sinne des Absatzes 1 nicht der Besteuerung, soweit die den Zuwendungen zugrunde liegenden Einkünfte nachweislich bereits nach Absatz 1 zugerechnet worden sind.“

Mit den aufgeführten Änderungen des § 15 AStG will der Gesetzgeber – ausweislich der Gesetzesbegründung – die Systematik der Vorschrift fortentwickeln. Dies resultiert aus der Rechtsprechung des BFH, nach dem sich die Zurechnung auf das Einkommen der Stiftung und nicht 111

Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

auf die in ihm enthaltenen Einkünfte bezieht.124 Auf dieser Grundlage hat der Gesetzgeber die Neufassung fortentwickelt und stellt nun vergleichbar mit § 10 AStG auf die Einkünfte der Stiftung ab. Dabei sollen steuerliche Vergünstigungen oder Steuerbefreiungen unberücksichtigt bleiben, womit die gesamten Einkünfte der ausländischen Stiftung der inländischen Besteuerung zugeführt werden.125 Mit dem Abstellen auf die Einkünfte wird nach Ansicht des Gesetzgebers vermieden, dass ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte vortragsfähig ist, obwohl sich nach Zurechnung des Betrages nach Abs. 1 ein positiver Einkommensbetrag ergibt.126 Dieses Vorgehen begründet der Gesetzgeber mit der Rechtsprechung des BFH, der das zuzurechnende Einkommen erst bei der Ermittlung des Einkommens und nicht bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte sieht.127 Der zuzurechnende Betrag soll den Einkünften aus Kapitalvermögen zugewiesen werden, soweit er nicht gemäß § 8 Abs. 2 KStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb gilt bzw. gemäß § 20 Abs. 8 EStG zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehört. Mit diesen vorgesehenen Änderungen soll die Grundkonzeption der Vorschrift, nämlich die Zurechnung des Einkommens ausländischer Stiftungen an unbeschränkt steuerpflichtige Stifter bzw. Begünstigte, nicht berührt werden.128

II. Kritische Würdigung Mit der Neufassung des § 15 AStG-E wird künftig auf die Einkünfte und nicht mehr auf das Einkommen abgestellt. Diese Umstellung ist im Ansatz zu begrüßen. Jedoch ist die systematische Rechtfertigung der Zurechnung nicht abschließend geregelt. Denn die Neufassung des § 15 AStG-E widerspricht sich diesbezüglich. § 15 Abs. 7 Satz 2 AStG-E sieht vor, dass § 10 Abs. 3 AStG angewendet werden soll und somit insbesondere § 8b KStG für unanwendbar erklärt wird. Darüber hinaus schränkt § 15 Abs. 8 Satz 3 AStG-E die Anwendung von § 8b KStG, § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d und § 32 EStG ein, da diese Vorschriften nur _____________ 124 Vgl. BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388; v. 8.4.2009 – I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437. 125 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 67. 126 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 67. 127 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 67 oder BFH v. 5.11.1992 – I R 39/92, BStBl. II 1993, 388. 128 Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 67.

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Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

Anwendung finden sollen, wenn diese Vorschriften bei unmittelbarem Bezug der Einkünfte Anwendung finden würden. Damit wird für diese begünstigten Normen durch die Stiftung durchgeblickt. Jedoch sollen nach § 15 Abs. 8 Satz 1, 2 AStG-E die Einkünfte zu den Einkünften nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG gehören, soweit diese nicht zu § 8 Abs. 2 KStG oder § 20 Abs. 8 EStG gehören. Damit wird von einer Ausschüttungsfiktion bei § 15 Abs. 8 Satz 1, 2 AStG-E ausgegangen. Somit widerspricht sich § 15 AStG-E hinsichtlich der systematischen Rechtfertigung.129 Darüber hinaus bleibt unklar, wie § 20 Abs. 8 EStG auf eine Bezugsberechtigung angewandt werden soll.130 Vielmehr läuft dieser Verweis ins Leere, sodass der Gesetzgeber an dieser Stelle nochmal nachbessern sollte.131 Hingegen wird die Zurechnung im Privatbereich des Zurechnungsadressaten in der Regel durch die Abgeltungssteuer günstiger sein. Bei der Ermittlung der Einkünfte gem. § 15 Abs. 7 Satz 2 AStG-E ist § 10 Abs. 3 AStG anzuwenden. Dieser sieht den Ausschluss des § 8b KStG vor, was dazu führt, dass zukünftig Dividenden und Veräußerungsgewinne in voller Höhe in den Zurechnungsbetrag mit einfließen. Somit kommt es zu einer Verschlechterung für den Steuerpflichtigen, da bisher lediglich 5 % der Dividenden oder Veräußerungsgewinne der Zurechnung unterlagen. Ebenfalls ist das Verhältnis zwischen bestehenden DBA und § 15 AStG nicht abschließend geklärt. § 29 Abs. 1 AStG sieht vor, dass § 15 AStG durch ein DBA nicht berührt wird. Dies könnte dazu führen, dass nach § 15 AStG Einkünfte hinzugerechnet werden, die jedoch bei Direktbezug des Steuerpflichtigen durch ein DBA steuerfrei zu stellen sind. Um diese Benachteiligung zu vermeiden, sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass das jeweilige DBA so anzuwenden ist, als wären die Einkünfte dem Steuerpflichtigen direkt zugeflossen.132 § 15 Abs. 9 AStG-E sieht eine Zurechnung der Einkünfte einer Zwischengesellschaft in entsprechender Anwendung der §§ 7 ff. AStG zu den nach § 15 Abs. 1 AStG gehörenden Einkünften vor. Voraussetzung ist hierbei, dass eine ausländische Stiftung an der Zwischengesellschaft beteiligt ist. Damit wird der Zurechnungsbetrag um niedrig besteuerte, _____________ 129 130 131 132

Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2279. Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2279. Vgl. Kirchhain, IStR 2012, 603. Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2279.

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Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

passive Einkünfte einer Zwischengesellschaft erhöht.133 Grund für diese Einführung ist, dass der Gesetzgeber eine Umgehung der Zurechnungsbesteuerung durch Zwischenschaltung einer Stiftung verhindern will.134 Jedoch wäre eine Formulierung des § 15 Abs. 9 AStG-E dahingehend zweckmäßiger, dass Einkünfte einer Zwischengesellschaft der Stiftung nur dann hinzugerechnet werden, wenn die Stiftung alleine oder zusammen mit dem Steuerpflichtigen zu mehr als der Hälfte an dieser beteiligt sind. In allen anderen Fällen kann es sonst für den Zurechnungspflichtigen zu unüberwindbaren Schwierigkeiten und Vollzugsdefiziten kommen, da er die erforderlichen Informationen nicht beschaffen kann.135 Die Bezugsgröße der Beteiligung i. S. d. § 15 Abs. 9 AStG-E stellt die Beteiligung der Stiftung am Nennkapital der Zwischengesellschaft dar. Dies kann jedoch zu unzutreffenden Ergebnissen führen, wenn die tatsächliche Gewinnverteilung abweichend von der Nennkapitalbeteiligung geregelt ist. Da der Gesetzgeber dieses Probleme bereits im Rahmen des §§ 7–14 AStG erkannt hat, erklärt es sich nicht, wieso dieses bei § 15 Abs. 9 AStG-E nicht berücksichtigt wurde. Denn ohne eine solche Regelung besteht die Möglichkeit die neue Regelung auszuhebeln. Daher wäre der Gesetzgeber gut beraten, einen Verweis auf die Regelung des § 7 Abs. 5 AStG aufzunehmen.136 Ebenfalls sollte eine Klarstellung zu § 15 Abs. 10 AStG-E erfolgen. Gem. § 15 Abs. 10 AStG-E werden den Einkünften der ausländischen Stiftung die Einkünfte aus einer anderen Stiftung anteilig zugerechnet, wenn sie alleine oder mit den in § 15 Abs. 2 AStG genannten Personen zu mehr als der Hälfte beteiligt ist. Jedoch erfolgt die Zurechnung entgegen dem Wortlaut nicht bei der ausländischen Stiftung, sondern bei dem Betrag, der den Anfallsberechtigten der Stiftung zugerechnet wird.137 Eine Klarstellung sollte dahingehend erfolgen, dass eine Hinzurechnung nur dann zu erfolgen hat, wenn an beiden Stiftungen unmittelbar oder mittelbar die gleichen Familien beteiligt sind.138 Die Einschränkung des unionsrechtlichen Vorbehalts in § 15 Abs. 6 Satz 2 AStG-E ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Der unionsrecht_____________ 133 134 135 136 137 138

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Vgl. Kirchhain, IStR 2012, 604. Vgl. BT-Drucks. 17/10000 v. 19.6.2012, 68. Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2280. Vgl. Kraft/Moser/Gebhardt, DStR 2012, 1778. Vgl. Kirchhain, IStR 2012, 605. Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2280.

Ditz – Quo vadis Außensteuergesetz?

liche Vorbehalt soll für Einkünfte der Stiftung, jedoch nicht für Einkünfte, die der Stiftung nach § 15 Abs. 9, 10 AStG-E zugerechnet werden, gelten. Damit unterliegen diese Einkünfte der Zurechnungsbesteuerung, wenn sie nicht selbst die Voraussetzungen für die unionsrechtliche Zwischenbesteuerung erfüllen. In solch einer Vorgehensweise wird wohl ein Unionsrechtsverstoß liegen, da den Begünstigten einer inländischen Stiftung die Einkünfte einer Zwischengesellschaft oder einer anderen ausländischen Stiftung nicht zugerechnet würden.139 Begrüßenswert ist die Aufnahme der Regelung in § 15 Abs. 11 AStG-E, dass Zuwendungen an einen Begünstigten nicht der Besteuerung unterliegen, wenn die zugewendeten Einkünfte nachweislich bereits der Hinzurechnungsbesteuerung unterlagen. Mit dieser Aufnahme schreibt der Gesetzgeber die bisherige Verwaltungspraxis fest und regelt somit die Vermeidung einer Doppelbelastung. Jedoch wäre es auch hierbei wünschenswert, wenn der Gesetzgeber darüber hinaus noch festlegen würde, dass dieses auch dann zählt, wenn die Hinzurechnung zum Stifter erfolgte und die Leistung an einen Bezugsberechtigten geht. Denn nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 11 AStG-E ist eine Doppelbelastung nur ausgeschlossen, wenn der Zuwendungsempfänger gleichzeitig zum Personenkreis der unbeschränkt steuerpflichtigen Stifter oder Bezugsund Anfallsberechtigten gehört.

_____________ 139 Vgl. Werder/Dannecker, BB 2012, 2280.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Zur Änderung der Definition des Begriffs der „Geschäftsbeziehung“, der künftig nicht mehr eine „schuldrechtliche Beziehung“, sondern einen „wirtschaftlichen Vorgang“ voraussetzen soll, verwies Ditz einleitend auf die möglichen Auswirkungen der Neuregelung auf Sachverhalte, die von der derzeitigen Regelung nicht erfasst seien, aber in der Betriebsprüfung diskutiert würden. Typisch sei hier die Neuakquisition über eine ausländische Tochtergesellschaft und das Entstehen von Erwerbsaufwendungen (z. B. Beratungskosten) bei der deutschen Muttergesellschaft. Die Betriebsprüfung versuche, diesen Aufwand über § 1 AStG der ausländischen Tochtergesellschaft zuzuordnen, obwohl mit dieser keine schuldrechtliche Beziehung bestehe. Insoweit könne die weit formulierte Neuregelung („wirtschaftlicher Vorgang“) künftig ggf. eine Rechtsgrundlage bieten. Möhlenbrock vermutete, dass die Änderungen auch auf diese Sachverhalte anzuwenden seien. Denn, so Möhlenbrock, es sei gerade das Ziel der geplanten Neuregelung des § 1 Abs. 5 AStG, den Gleichlauf der Behandlung zwischen Betriebsstätten zu eigenständigen Kapitalgesellschaften herzustellen. Insoweit mache es wenig Sinn, hier zu unterscheiden. Rödder wies vor diesem Hintergrund darauf hin, dass die neue Rechtslage auch Argumente für den reinen Inlandsfall bringen könne, d. h., dass etwa Veräußerungskosten ggf. nicht zwingend weiter belastet werden müssten. Im Hinblick auf die geplante Neuregelung des § 1 Abs. 5 AStG wurde vor allem die Frage diskutiert, ob bspw. bei der Zuordnung von Lizenzgebühren zu einer Betriebsstätte auch ein entsprechender Betriebsausgabenabzug zuzulassen sei. Bei konsequenter Anwendung des Grundgedankens der Verselbstständigung der Betriebsstätte könne nach Ansicht Möhlenbrocks die geplante Neuregelung in § 1 Abs. 5 AStG bspw. auch als Rechtsgrundlage für

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion

einen solchen Abzug von (fiktiven) Betriebsausgaben der Betriebsstätte dienen. Insoweit könne § 1 Abs. 5 einen Betriebsausgabenabzug fingieren. Dem widersprach Hruschka unter Hinweis auf die notwendige, aber in § 4 EStG fehlende ausdrückliche gesetzliche Regelung.

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Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer? Die geplanten Änderungen durch das Jahressteuergesetz 2013 und aktuelle Entwicklungen*

Prof. Dr. Frank Hannes Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Einleitung ..................................... 120 B. JStG 2013: Regelungsbereiche ..... I. Wert des steuerpflichtigen Erwerbs .................................... II. Verschonung unternehmerischen Vermögens .................... III. Verfahren .................................

122 122 123 124

C. Vom gemeinen Wert der Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert des Anteils .................................... 124 D. Erweiterung der „Katalog-Nr. 4“ . I. Anlass und Zielsetzung .......... II. Umsetzung und Unzulänglichkeiten ................................ 1. „… soweit deren Wert nicht geringfügig ist. Davon ist auszugehen …“ ................... 2. „Soweit deren Wert“ – „wenn deren Wert“ .............

3. „des nach § 203 BewG kapitalisierten Jahresertrags (§ 201 Abs. 1 Satz 4 des Bewertungsgesetzes)“ ......... 4. „hilfsweise“ ........................ 5. „mindestens des Substanzwerts“ .................................. 6. „andere Forderungen“ ........ 7. Auswirkungen auf die allgemeine Reinvestition ....

127 128 129 129 130

127

E. Neuberechnung der Verwaltungsvermögensquote bei nachträglicher Investition von Finanzmitteln in begünstigtes Vermögen ........................................... 131 I. Zielsetzung .............................. 131 II. Umsetzung und Unzulänglichkeiten ................................ 132

127

F. Beschränkung des jungen Verwaltungsvermögens auf Einlagen ...... 132

125 126 127

_____________ * Die Vortragsform wurde weitgehend beibehalten und dementsprechend auf konkrete Literaturnachweise verzichtet. Hingewiesen sei noch auf die folgende weiterführende Literatur: Korezkij, Geplante Verschärfung der Erbschaftsteuer: Zum Sinn und Unsinn der neuen Missbrauchsvorschriften, DStR 2012, 1640; Baßler/ Stalleiken, Änderung beim jungen Verwaltungsvermögen durch das Jahressteuergesetz 2013?, Ubg 2012, 530; Geck, Geplante Änderung des ErbStG im Rahmen des JStG 2013 – Gute und schlechte Nachrichten aus dem Bundesrat, ZEV 2012, 399; Steger/Zipfel/Dijkstra, Entwurf des Jahressteuergesetzes (JStG) 2013 – Wichtige Änderungen des ErbStG und des BewG, ErbStB 2012, 277; Felten, (Teil)Reform des Erbschaftsteuerreformgesetzes 2008?, BB 2012, 2275.

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Hannes – Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer? G. Keine Deckelung auf den Beteiligungswert bei jungem Verwaltungsvermögen auf unteren Ebenen .......................................... 133

H. Konzernbezogene Prüfung der 20 %-Beschäftigten-Grenze ......... 135 I. Resümee ....................................... 136

A. Einleitung Über die Erbschaftsteuer wird wieder heftig und zuweilen auch recht emotional diskutiert. Dies, obwohl das mit der Erbschaftsteuer erzielbare Steueraufkommen eher gering, der mit ihrer Erhebung verbundene Verwaltungsaufwand aber eher groß ist. Die Erbschaftsteuer ist aber auch und vor allem eine politische Steuer. Die auch steuerpolitische Diskussion um die Erbschaftsteuer hat eigentlich wieder so richtig begonnen mit dem Beitrittsbeschluss des Bundesfinanzhofs vom 5.10. 2011. Es sei deshalb noch einmal daran erinnert, dass der BFH die Verschonung des Erwerbs unternehmerischen Vermögens keineswegs für zu großzügig und deshalb für verfassungswidrig hält. Der BFH hat lediglich und durchaus zu Recht an die Voraussetzungen erinnert, die das Bundesverfassungsgericht an Begünstigungsnormen stellt. Hiernach bedarf es nämlich einer besonderen Rechtfertigung der jeweiligen entlastenden Regelung durch Gemeinwohlgründe. Dabei ist darauf zu achten, dass die Begünstigung zielgenau erfolgt, wozu auch gehört, dass bei einer Verfehlung des Leistungszwecks korrigiert werden kann. Der BFH sah deshalb die Verfassungswidrigkeit, konkret einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, vor allem darin, dass die Verschonungsregelungen es zulassen, „durch bloße Wahl bestimmter Gestaltungen die Steuerfreiheit des Erwerbs von Vermögen gleich welcher Art und unabhängig von dessen Zusammensetzung und Bedeutung für das Gemeinwohl“ zu erlangen. Belegen konnte er dies mit drei Gestaltungsmöglichkeiten: Mit der nicht mehr nur in Fachkreisen bekannten Cash-GmbH soll es auch nach Auffassung des BFH gelingen, Geld oder Festgeld unter Ausnutzung der Vollverschonung und somit steuerfrei auf die nächste Generation zu übertragen. Denselben 120

Hannes – Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer?

Effekt erreicht man nach Ansicht des BFH, wenn eine GmbH, die Wertpapiere hält, diese an eine vom Erblasser gegründete Schwester-GmbH verkauft und man beide GmbHs, also die GmbH mit der nicht zum Verwaltungsvermögen zählenden Kaufpreisforderung und die GmbH mit den Wertpapieren und der neu begründeten Kaufpreisverbindlichkeit, auf die nächste Generation überträgt. Mit einer Betriebsaufspaltungskonstruktion soll sich schließlich die Lohnsummenkontrolle vermeiden lassen, die gerade die Zielgenauigkeit der Verschonung gewährleisten soll. Neue Impulse erhielt die Diskussion um die Erbschaftsteuer dann durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF, welcher sich konkret mit der Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer beschäftigte. Der Wissenschaftliche Beirat hält nicht viel von dem mit der letzten Erbschaftsteuerreform eingeführten erbschaftsteuerlichen Verschonungssystem und empfiehlt daher eine Abschaffung der Verschonung und stattdessen eine – bereits vor Jahren diskutierte – „Flat-Rate-Besteuerung“ sowie, soweit nötig, eine Entlastung durch Steuerstundung. Die Bundesregierung hat sowohl auf den Beschluss des BFH als auch die Äußerungen des Wissenschaftlichen Beirats zunächst mit einer gewissen Gelassenheit reagiert und jedenfalls keinen Anlass für eine grundsätzliche Änderung des Erbschaftsteuergesetzes gesehen. Im Sommer dieses Jahres haben dann aber einige Bundesländer die Initiative ergriffen und über mehrere Ausschüsse des Bundesrates im Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 Vorschläge zur Änderung des aktuellen Erbschaftsteuerrechts unterbreitet. Diese Änderungsvorschläge werden im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen. Die Bundesregierung unterstützt zwar die Zielrichtung der Bundesratsvorschläge, sieht bei der konkreten Ausgestaltung aber noch Prüfungsbedarf. Dass ein solcher Prüfungsbedarf tatsächlich noch besteht, soll im Folgenden gezeigt werden. Die Erbschaftsteuer ist zwischenzeitlich auch zum Wahlkampfthema geworden. Wer in den letzten Wochen Zeitung gelesen oder sich im Fernsehen Talkshows angesehen hat, kam an der Erbschaftsteuer gar nicht mehr vorbei. Aus berufenem und unberufenem Munde werden immer neue Vorschläge zur Besteuerung von Erbschaften vorgebracht. Dabei geht es kaum noch um eine Abschaffung der Erbschafteuer, wie dies noch vor einigen Jahren der Fall war und beispielsweise in unserem Nachbarland Österreich auch tatsächlich umgesetzt wurde. Im Mittel121

Hannes – Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer?

punkt der Diskussion steht vielmehr, in welchem Umfang und auf welche Art eine Erhöhung erfolgen könnte. Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass sich solch radikale Vorschläge, wie Erbschaften ab 1 Mio. Euro zu 100 % zu versteuern und bei der Vererbung von Unternehmen an die Belegschaft zu verteilen, tatsächlich durchsetzen werden, so muss doch spätestens nach den Wahlen mit einer Verschärfung der Erbschaftsbesteuerung gerechnet werden. Dies gilt angesichts der aktuellen Rechtslage auch und vor allem für Unternehmen.

B. JStG 2013: Regelungsbereiche Die Erbschaftsteuer wird im Wesentlichen bestimmt durch drei Faktoren: den Wert des steuerpflichtigen Erwerbs, dessen Minderung durch Freibeträge und Begünstigungen und schließlich den progressiv gestalteten Steuersatz. In dem Entwurf des JStG 2013 findet sich eine kleine Änderung im Bereich der Bewertung, es handelt sich lediglich um die Hinzufügung eines Wortes. Umfangreiche Änderungen sind hingegen im Bereich der Verschonung unternehmerischen Vermögens vorgesehen. Änderungen zum Steuersatz finden sich nicht, wohl aber noch eine kleine ergänzende Regelung beim Besteuerungsverfahren. Im Folgenden soll zunächst für diejenigen, die seltener mit erbschaftsteuerlichen Fragen befasst sind, ein kurzer Überblick über das erbschaftsteuerliche Regelungssystem gegeben und dabei konkret auf die Regelungsbereiche hingewiesen werden, zu denen der Entwurf des JStG 2013 Änderungen vorsieht.

I. Wert des steuerpflichtigen Erwerbs Zur Ermittlung des Werts des steuerpflichtigen Erwerbs verweist das Erbschaftsteuergesetz auf das Bewertungsgesetz. Dort finden sich insbesondere auch Regelungen zur Bewertung von Unternehmen, zum einen zur Ermittlung des Unternehmenswerts, zum anderen aber auch, da nicht immer ganze Unternehmen, sondern in der Regel Beteiligungen an Unternehmen in Form von Gesellschaftsbeteiligungen geschenkt und vererbt werden, Vorschriften zur Wertaufteilung. Zu Letzterem, konkret zur Aufteilung des Wertes von Kapitalgesellschaften, findet sich der erste Änderungsvorschlag der Bundesratsausschüsse (§ 97 Abs. 1b Satz 1 BewG-E).

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Hannes – Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer?

II. Verschonung unternehmerischen Vermögens Das erbschaftsteuerliche Verschonungssystem kennt im Wesentlichen fünf Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um die erbschaftsteuerliche Verschonung zu erlangen und behalten zu dürfen. Drei dieser Voraussetzungen sind zum Stichtag, also dem Zeitpunkt des Erbfalls oder der Schenkung, zu erfüllen, zwei weitere in der sich an den Erwerb anschließenden Nachsorgephase, die bei der Regelverschonung mit 85-prozentigem Verschonungsabschlag fünf Jahre und bei der Vollverschonung mit 100-prozentigem Verschonungsabschlag sieben Jahre beträgt. Die erste Voraussetzung ist, dass es sich bei dem geschenkten oder vererbten Vermögen überhaupt um begünstigungsfähiges Vermögen handelt, wozu land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen, also Einzelunternehmen und mitunternehmerische Personengesellschaften, sowie – mit der bekannten 25 %-Grenze – Anteile an Kapitalgesellschaften gehören. In diesem Bereich sieht das Jahressteuergesetz keine Änderungen vor. Die zweite Voraussetzung ist, dass dieses begünstigungsfähige Vermögen den Verwaltungsvermögenstest besteht, was nur dann der Fall ist, wenn in dem Vermögen nicht mehr als die Hälfte Verwaltungsvermögen steckt. Was Verwaltungsvermögen ist, bestimmt nicht etwa ein abstrakter Obersatz, sondern ein konkreter und abschließender Katalog. Der Katalog enthält fünf Nummern. Jede Nummer beschreibt eine Gruppe von Verwaltungsvermögen. Vereinfacht sind dies (i) Dritten zur Nutzung überlassene Immobilien, (ii) Beteiligungen an Kapitalgesellschaften von 25 % oder weniger, (iii) Beteiligungen an Gesellschaften, wenn diese ihrerseits beim Verwaltungsvermögenstest durchfallen, (iv) Wertpapiere und Wertpapieren vergleichbare Forderungen und (v) Kunst, Edelmetalle u. Ä. Im JStG 2013 finden sich Änderungen zur Katalog-Nr. 4, also zu Wertpapieren und vergleichbaren Forderungen (vgl. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG-E sowie § 13a Abs. 5a ErbStG-E). Wird der Verwaltungsvermögenstest bestanden und kann die Begünstigung somit grundsätzlich in Anspruch genommen werden, ist noch in einem dritten Schritt auf den Zeitpunkt des Stichtags zu untersuchen, ob im Betrieb sog. junges Verwaltungsvermögen enthalten ist, da dieses nach der Anordnung des Gesetzes von der Begünstigung auszunehmen ist. Auch hierzu enthalten die Entwürfe des Bundesrates Änderungsvor123

Hannes – Wohin geht es mit der Unternehmenserbschaftsteuer?

schläge, so zum einen zur Definition des jungen Verwaltungsvermögens (§ 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG-E) und zum anderen zur wesentlich durch die Richtlinien der Finanzverwaltung geprägten Behandlung von jungem Verwaltungsvermögen auf unteren Ebenen, also in Tochter- und Enkelgesellschaften (§ 13b Abs. 2 Satz 7 ErbStG-E). In der Nachsorgephase ist der Unternehmensnachfolger verpflichtet, eine bestimmte Mindestsumme an Löhnen und Gehältern zu zahlen, was nach Ablauf der fünf- oder siebenjährigen Nachsorgefrist im Rahmen einer sog. Lohnsummenkontrolle geprüft wird. Das Gesetz regelt zum einen, unter welchen Voraussetzungen überhaupt eine Lohnsummenkontrolle stattfindet und zum anderen, wie diese dann durchzuführen ist. Zu den Voraussetzungen der Lohnsummenkontrolle finden sich als Klarstellung gemeinte Änderungen im Entwurf des JStG 2013 (§ 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG-E). Dagegen enthalten die Vorschläge der Bundesratsausschüsse keine Änderungen zu den Behaltenspflichten in der Nachsorgephase, weder zu den Behaltenspflichtverstößen und deren Rechtsfolgen noch zur Heilung von Behaltenspflichtverstößen durch Reinvestition.

III. Verfahren In verfahrensrechtlicher Hinsicht findet sich noch eine Erweiterung des Beteiligtenkreises in § 154 Abs. 1 und § 205 Abs. 5 BewG, worauf hier und im Folgenden aber nicht weiter eingegangen werden soll.

C. Vom gemeinen Wert der Kapitalgesellschaft zum gemeinen Wert des Anteils Der Änderungsvorschlag zu § 97 Abs. 1b BewG lautet: „Der gemeine Wert eines Anteils an einer in § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 genannten Kapitalgesellschaft bestimmt sich regelmäßig nach dem Verhältnis des Anteils am Nennkapital (Grund- oder Stammkapital) der Gesellschaft zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens der Kapitalgesellschaft im Bewertungsstichtag.“

Mit dem Wort „regelmäßig“ wird die bisherige Regelung zur Wertaufteilung für Ausnahmen geöffnet. Nach der Gesetzesbegründung soll eine abweichende Aufteilung insbesondere dann notwendig und nun gestattet sein, wenn die „Beteiligung am Nennkapital nicht mit der Gewinn- und Verlustverteilung übereinstimmt“. Fraglich bleibt nach 124

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diesem Hinweis in der Gesetzesbegründung, ob es auch noch andere Gründe für eine abweichende Aufteilung geben soll. Hierzu könnten beispielsweise Sonderstimmrechte eines Gesellschafters gehören, deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung bisher vorrangig im Rahmen des § 9 Abs. 2, 3 BewG diskutiert wurde. Auch könnte das Wort „regelmäßig“ nunmehr eine abweichende Aufteilung bei unterschiedlichen Anteilsgrößen erlauben, denn unzweifelhaft dürfte am Markt für einen mehrheitsvermittelnden 51-prozentigen Anteil mehr gezahlt werden als für einen 49-prozentigen Anteil. Misslich ist, dass im Gesetz die Art der abweichenden Verteilung nicht konkretisiert wird. Bei Personengesellschaften erfolgt die Aufteilung bekanntlich nach dem Gewinnverteilungsschlüssel. Denkbar wären aber, je nach Anlass für eine abweichende Aufteilung, auch Zu- oder Abschläge. Bei Kapitalgesellschaften wird der Fall abweichender Gewinnverteilung ohnehin seltener sein, da die Finanzverwaltung für disquotale Gewinnverteilungen eine Rechtfertigung durch besondere Leistungsbeiträge verlangt. Gerade aber, wenn es solche gibt, kann dies in der Regel nicht zu einer Erhöhung des Anteilswerts führen. Die durch das Wort „regelmäßig“ geschaffene Öffnung für Ausnahmen mag zwar ein Weg hin zu einer verkehrswertnäheren Anteilsbewertung sein. Nicht zu verkennen ist aber, dass die dadurch geschaffene Freiheit für den Steuerpflichtigen gleichzeitig auch Unsicherheit bedeutet.

D. Erweiterung der „Katalog-Nr. 4“ Die Änderungsvorschläge zur Katalog-Nr. 4 stellen, jedenfalls im Bereich der Erbschaftsteuer, sicherlich eine Kernregelung des JStG 2013 dar. Der neue § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG soll nach dem Vorschlag wie folgt lauten: „Zum Verwaltungsvermögen gehören 4. Wertpapiere sowie vergleichbare Forderungen, Zahlungsmittel, Sichteinlagen, Bankguthaben und andere Forderungen, soweit deren Wert nicht geringfügig ist. Davon ist auszugehen, wenn deren Wert insgesamt 10 % des nach § 203 des Bewertungsgesetzes kapitalisierten Jahresertrags (§ 201 Abs. 2 Satz 4 des Bewertungsgesetzes), oder hilfsweise des gemeinen Werts im Sinne des § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes, mindestens des Substanzwerts (§ 11 Abs. 2 Satz 3 des Bewertungsgesetzes) nicht übersteigt. Hierzu gehören auch Forderungen, die aus der Veräußerung von Verwaltungsvermögen stammen. Forderungen aus der eigentlichen Unternehmenstätigkeit bilden kein Verwaltungsvermögen. Hierzu gehören beispielsweise Forderungen aus Lieferungen und Leistungen.“

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I. Anlass und Zielsetzung Anlass für den Änderungsvorschlag war ganz offensichtlich die aktuelle Rechtslage und die auf dieser Basis derzeit möglichen Gestaltungen. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG zählt zum Verwaltungsvermögen „nur“ Wertpapiere und vergleichbare Forderungen. Nicht zum Verwaltungsvermögen gehört insbesondere Geld. Dieser Befund dürfte eindeutig sein und ist auch historisch belegbar. In den ersten Gesetzentwürfen war nämlich in der Katalog-Nr. 4 auch Geld genannt und ist – somit bewusst – aus dem Katalog wieder herausgenommen worden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in H E 13b.17 ErbStR gehören neben Geld auch Sichteinlagen, Sparanlagen, Festgeldkonten und Forderungen an verbundene Unternehmen nicht zu den Wertpapieren und vergleichbaren Forderungen. Auf der Grundlage dieses aktuellen Rechts sind insbesondere die vom BFH in seinem Beitrittsbeschluss vom 5.10.2011 beschriebenen Gestaltungen, mit denen auch „Privatiers“ klassisches Kapitalanlagevermögen steuerfrei verschenken können, entwickelt worden. Wer von seinem Vater oder seiner Mutter 10 Mio. Euro geschenkt erhält, hat hierauf bei unterstelltem Verbrauch der persönlichen Freibeträge 2,3 Mio. Euro Steuern zu zahlen. Wer hingegen eine „Cash-GmbH“ geschenkt erhält, zu deren Vermögen ausschließlich 10 Mio. Euro gehören, zahlt hierauf keine Steuer. Wer eine GmbH geschenkt erhält, zu deren Vermögen Wertpapiere im Wert von 10 Mio. Euro gehören, zahlt ebenfalls 2,3 Mio. Euro Erbschaftsteuer, denn die Wertpapiere gehören zum Verwaltungsvermögen. Er zahlt hingegen nichts, wenn sein Vater oder seine Mutter eine zweite GmbH gründet, die erste GmbH die Wertpapiere an die zweite GmbH verkauft und dann beide GmbHs verschenkt werden. Die erste GmbH hält nur die Kaufpreisforderung, die auch nach Auffassung der Finanzverwaltung kein Verwaltungsvermögen darstellt, die zweite GmbH mit den Wertpapieren ist aufgrund der Kaufpreisverbindlichkeit in gleicher Höhe wertlos, sodass die Zuwendung beider GmbHs keine Steuern auslöst. Ausdrückliches Ziel der für die Katalog-Nr. 4 vorgeschlagenen Änderungen ist es, beide Gestaltungen zu unterbinden. Hierzu soll das Verwaltungsvermögen nach der Katalog-Nr. 4 auf alle Finanzmittel erweitert werden, die nicht betriebsnotwendig sind und nicht aus der Betriebstätigkeit entstanden sind. Dies ist sozusagen der abstrakte Obersatz der Gesetzesbegründung. Wie er konkret umgesetzt wurde, ist im Folgenden zu untersuchen. 126

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II. Umsetzung und Unzulänglichkeiten 1. „… soweit deren Wert nicht geringfügig ist. Davon ist auszugehen …“ Bereits der zweite Satz des Änderungsvorschlags, der den ersten konkretisieren soll, ist verwirrend. „Davon“, nämlich dass der Wert der in Satz 1 genannten Finanzmittel „nicht geringfügig“ ist und sie deshalb Verwaltungsvermögen sind, ist eigenartigerweise auszugehen, wenn ihr Wert 10 % des Unternehmenswerts „nicht übersteigt“. Fragt man nach dem Sinn dieser Aussage, stellt man schnell fest, dass der mit „davon“ eingeleitete Satz nicht Satz 1 konkretisiert, sondern lediglich den Begriff „geringfügig“, also den Fall, dass kein Verwaltungsvermögen vorliegt. Auf diese Unklarheit wird an späterer Stelle noch einmal zurückzukommen sein. 2. „Soweit deren Wert“ – „wenn deren Wert“ Der Steuerjurist verbindet üblicherweise den Begriff „soweit“ mit einem Freibetrag und den Begriff „wenn“ mit einer Freigrenze. Der Wortlaut spricht vorliegend eher für eine Freigrenze. Denn „wenn“ die Finanzmittel 10 % des Unternehmenswertes übersteigen, sind sie insgesamt nicht mehr geringfügig und gehören „soweit“, also insgesamt, zum Verwaltungsvermögen. Der Sinn und Zweck der Regelung dürfte demgegenüber für den für den Steuerpflichtigen günstigeren Freibetrag sprechen. Dahinter steht nämlich der Gedanke, dass jedes Unternehmen auch Finanzmittel, vor allem Geld und Bankguthaben, zum Wirtschaften braucht, weshalb es angemessen ist, einen pauschalen Betrag, nach dem Vorschlag 10 %, generell als unschädlich anzusehen. Eine Klarstellung bei der Überarbeitung des Entwurfs wäre jedenfalls angezeigt. Der Unterschied ist von hoher praktischer Relevanz: Hält ein Unternehmen im Gesamtwert von 100 Mio. Euro beispielsweise Finanzmittel von insgesamt 11 Mio. Euro, so hat es, wenn man die Regelung als Freibetrag begreift, lediglich Verwaltungsvermögen von 1 Mio. Euro und damit eine Verwaltungsvermögensquote von 1 %. Begreift man hingegen die Regelung als Freigrenze, so liegt die Verwaltungsvermögensquote bei 11 % und eine Vollverschonung kommt nicht mehr in Betracht. 3. „des nach § 203 BewG kapitalisierten Jahresertrags (§ 201 Abs. 1 Satz 4 des Bewertungsgesetzes)“ Verwiesen wird lediglich auf den kapitalisierten Jahresertrag, nicht also auf den „Vereinfachten Ertragswert“, also auf den gemeinen Wert, der 127

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sich nach dem Vereinfachten Ertragswertverfahren i. S. d. §§ 199 ff. BewG ergibt. Nach dem Vereinfachten Ertragswertverfahren setzt sich der Wert des Unternehmens zusammen aus dem kapitalisierten Jahresertrag des betriebsnotwendigen Vermögens, dem Wert der Beteiligungen, dem Wert des jungen Betriebsvermögens und dem Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens. Für Beteiligungen, junges Betriebsvermögen und nicht betriebsnotwendiges Vermögen ist der gemeine Wert somit gesondert zu ermitteln. Die hieraus fließenden Erträge und darauf entfallenden Aufwendungen bleiben deshalb bei der Ermittlung des Jahresertrags unberücksichtigt. Mit dem Verweis lediglich auf den kapitalisierten Jahresertrag entfallen diese Sonderbewertungen und dies, ohne dass gleichzeitig klargestellt ist, dass bei der Ermittlung des Jahresertrags auch die entsprechenden Hinzurechnungen und Abzüge zu unterbleiben haben. Der Verweis auf § 201 Abs. 2 Satz 4 des Bewertungsgesetzes ist mehr als dünn. Dort steht lediglich „Das Ergebnis stellt den Jahresertrag dar“. Es liegt nahe, dass damit sämtliche Vorschriften zur Ermittlung des Jahresertrags einbezogen werden sollen und damit auch sämtliche Hinzurechnungen und Abzüge. Mangels Verweises auf § 199 BewG ist schließlich auch davon auszugehen, dass der kapitalisierte Jahresertrag selbst dann maßgeblich werden kann, wenn er offensichtlich nicht den zutreffenden Wert des Unternehmens abbildet. 4. „hilfsweise“ Der Änderungsvorschlag enthält die Regelung, dass für die Frage, ob die Finanzmittel die 10 %-Grenze überschreiten, statt des kapitalisierten Jahresertrags hilfsweise auch der gemeine Wert i. S. d. § 11 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BewG, mindestens der Substanzwert, herangezogen werden kann. Es fragt sich, wann eine solche Hilfe erforderlich wird. Üblicherweise ist dies der Fall, wenn man – Sie kennen das von Hilfsanträgen in gerichtlichen Verfahren – mit dem ersten Satz – dem Hauptantrag – nicht weiterkommt. Der erste Satz, also der Hauptantrag, lautet hier vereinfacht: „Die Finanzmittel übersteigen nicht 10 % des kapitalisierten Jahresertrags.“ Machen also hier die Finanzmittel bspw. 9 % des kapitalisierten Jahresertrags aus, so ist die Prüfung beendet. Dem „Hauptantrag“ ist stattzugeben, die Finanzmittel sind als geringfügig anzusehen und stellen deshalb kein Verwaltungsvermögen dar. Machen die Finanzmittel hingegen 11 % des kapitalisierten Jahresertrags aus, kann dem „Hauptantrag“ nicht stattgegeben werden, die Geringfügigkeit der Finanzmittel ist also (noch) nicht belegt, weshalb nun der Hilfsantrag erforderlich wird. Dieser lautet leicht vereinfacht: 128

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„Die Finanzmittel übersteigen nicht 10 % des gemeinen Werts nach § 11 BewG.“ Im Ergebnis bietet dies dem Steuerpflichtigen eine zweite Chance, die Geringfügigkeit der Finanzmittel nachzuweisen. Eine solche zweite Chance kann z. B. wichtig sein für börsennotierte Unternehmen mit hohem Kurswert, aber geringem Ertrag. An dieser Stelle ist noch einmal auf den etwas unverständlichen Bezug des „Davon“ zurückzukommen. Der unklare Bezug könnte nämlich im Gesetzgebungsverfahren auf zweierlei Arten repariert werden. Zum einen könnte man klarstellend formulieren: „Von einer Geringfügigkeit ist auszugehen, wenn …“ Dann wäre klar, dass der zweite Satz den Begriff der Geringfügigkeit konkretisiert. Genauso könnte eine Korrektur aber auch in der Weise erfolgen, dass am Satzbeginn das „Davon ist auszugehen“ bleibt und lediglich am Satzende das „nicht“ gestrichen wird. Die Aussage des Satzes 2 würde dann lauten, dass die Finanzmittel nicht geringfügig und somit als Verwaltungsvermögen zu qualifizieren sind, wenn sie 10 % des kapitalisierten Jahresertrags und hilfsweise des gemeinen Werts nach § 11 BewG übersteigen. Das oben beschriebene System des Haupt- und Hilfsantrags würde dann aber dazu führen, dass die Finanzverwaltung eine zweite Chance erhalten würde, nämlich nachzuweisen, dass es sich bei den Finanzmitteln doch um Verwaltungsvermögen handelt, weil diese zwar nicht 10 % des kapitalisierten Jahresertrags, wohl aber 10 % des gemeinen Werts nach § 11 BewG überschreiten. 5. „mindestens des Substanzwerts“ Nach aktueller Auffassung auch der Finanzverwaltung hat der Substanzwert nur Vorrang vor dem Ertragswert und dem Marktwert nach branchenüblicher Methode. Die Formulierung im Änderungsvorschlag legt es hingegen nahe, dass für die Katalog-Nr. 4 auch dann ein Substanzwert zu ermitteln ist, wenn ein Kurswert oder Marktvergleichswert vorliegt, womit nicht nur die bisherige Bewertungshierarchie durchbrochen, sondern darüber hinaus auch weiterer Aufwand produziert wird, der sich allerdings auch für den Steuerpflichtigen lohnen kann („2. Chance“). 6. „andere Forderungen“ Die Neudefinition zählt zum Verwaltungsvermögen neben den vergleichbaren Forderungen auch andere Forderungen. Es kann sich hierbei somit nur um Forderungen handeln, die Wertpapieren nicht vergleich129

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bar sind. Da es neben Forderungen, die Wertpapieren vergleichbar sind, und Forderungen, die Wertpapieren nicht vergleichbar sind, keine weiteren Forderungen geben dürfte, ist zunächst davon auszugehen, dass nach Satz 1 der Katalog-Nr. 4 alle Forderungen zum Verwaltungsvermögen gezählt werden. Insoweit ist es auch in keiner Weise weiterführend, wenn in dem ersten der drei den Begriff der Forderung konkretisierenden Sätze gesagt wird, dass zu Forderungen auch solche aus der Veräußerung von Verwaltungsvermögen gehören. Der Satz wurde offenbar in den Gesetzestext aufgenommen, um zu signalisieren, dass man keine Gestaltungen – wie die vom BFH beschriebene Gestaltung mit der Schwester-GmbH – mehr zulassen will. Wichtiger ist demgegenüber der dann folgende Satz, der einen Teil der Forderungen wieder aus dem Verwaltungsvermögen ausnimmt, nämlich solche, die „aus der eigentlichen Unternehmenstätigkeit“ stammen. Nach der Neuregelung ist also nicht mehr von Bedeutung der Unterschied zwischen Forderungen, die mit Wertpapieren vergleichbar sind, und Forderungen, die mit Wertpapieren nicht vergleichbar sind. Maßgebliches Entscheidungsmerkmal wird vielmehr, ob eine Forderung aus der eigentlichen Unternehmenstätigkeit stammt oder eben nicht. Der Begriff der „eigentlichen Unternehmenstätigkeit“ erhält damit eine ganz zentrale Bedeutung. Gehören hierzu konzerninterne Forderungen, Gesellschafterdarlehen (SBV) oder Steuerforderungen? Oder sind diese Forderungen wiederum daraufhin zu untersuchen, wie sie entstanden sind oder, bei Darlehen, was mit dem Geld gemacht wurde, ob etwa Steuererstattungsansprüche aus einem Wirtschaften mit Verwaltungsvermögen oder mit unternehmerischem Vermögen resultieren? Das am Ende des Änderungsvorschlags angesprochene gesetzliche Regelbeispiel, wonach zu den aus der eigentlichen Unternehmenstätigkeit stammenden Forderungen jedenfalls Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zählen, spricht wohl eher für einen engen Anwendungsbereich, was aber für auch klassische mittelständische Unternehmen fatal wäre. 7. Auswirkungen auf die allgemeine Reinvestition Die Ausdehnung der Katalog-Nr. 4 auf nahezu alle Finanzmittel führt dazu, dass die für eine Heilung durch Reinvestition zur Verfügung stehenden Reinvestitionsobjekte stark reduziert werden. So lässt insbesondere bisher die Finanzverwaltung in den Erbschaftsteuerrichtlinien 2011 als Reinvestition auch den Aufbau von Liquiditätsreserven zu. Das dürfte dann nicht mehr möglich sein, wenn diese zusammen mit den anderen Finanzmitteln der Katalog-Nr. 4 die 10 %-Grenze überstei130

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gen. Praktisch hat das zur Auswirkung, dass ein „Katalog-Nr. 4-Test“ nicht nur zum Stichtag durchzuführen ist, sondern immer auch bei Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen für die Frage der Reinvestition.

E. Neuberechnung der Verwaltungsvermögensquote bei nachträglicher Investition von Finanzmitteln in begünstigtes Vermögen Die Verfasser der Änderungsvorschläge haben offenbar erkannt, dass es auch Fälle geben kann wie diesen: Ein Unternehmer plant in seinem Unternehmen (Wert 8 Mio. Euro) eine größere Investition und legt hierzu 2,5 Mio. Euro in sein Unternehmen ein. Eine Woche später, die Investition ist noch nicht getätigt, hat er einen Autounfall und stirbt. Auch wenn man die 10 %-Grenze der Neuregelung als Freibetrag auslegt, kommt für die Erben eine Vollverschonung nicht mehr in Betracht. Diesem, sicherlich misslichen Ergebnis wird durch die Neuregelung des § 13a Abs. 5a ErbStG vorgebeugt. Sie lautet: „Soweit der Steuerpflichtige Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 innerhalb von zwei Jahren nach dem Erwerb in begünstigtes Vermögen nach § 13b Abs. 1 investiert, das nicht zum Verwaltungsvermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 gehört und bis zum Ende der Behaltensfrist im Betrieb verbleibt oder verbraucht wird, erfolgt auf Antrag eine rückwirkende Neuberechnung der Quote des Verwaltungsvermögens dieser wirtschaftlichen Einheit ohne Einbeziehung dieses Vermögens. Dies gilt auch, wenn Vermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 innerhalb der Frist von zwei Jahren zur Tilgung betrieblicher Schulden eingesetzt wird, die im Zusammenhang mit begünstigtem Vermögen nach § 13b Abs. 1 stehen, das nicht zum Verwaltungsvermögen i. S. d. § 13b Abs. 2 gehört.“

I. Zielsetzung Die neue Vorschrift findet zwar ihren Platz unmittelbar nach den Nachsteuertatbeständen mit den Heilungsmöglichkeiten durch Reinvestition, hat mit diesen letztlich aber gar nichts zu tun. Die Regelung ist vielmehr speziell für die Katalog-Nr. 4 geschaffen und soll das für die Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote geltende strenge Stichtagsprinzip lockern. Gleichzeitig sollen damit laut der Gesetzesbegründung Investitionen in begünstigtes Vermögen gefördert werden.

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II. Umsetzung und Unzulänglichkeiten Angesichts der vorgenannten Zielsetzung fragt man sich, warum die Regelung auf Finanzmittel i. S. d. § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG beschränkt und nicht auf den gesamten Verwaltungsvermögenskatalog erstreckt wird. Zudem erscheinen die zwei Jahre angesichts der aktuellen Bearbeitungszeiten erbschaftsteuerlicher Verfahren eher knapp. Insbesondere Betriebsprüfungsfälle sind hierüber nicht mehr zu retten. Problematisch ist sicherlich die Formulierung, dass das Investitionsobjekt bis zum Ende der Behaltensfrist im Betrieb „verbleiben“ muss oder „verbraucht“ wird. Dieses Erfordernis überlagert die Nachsteuerund Reinvestitionsregelung des § 13a Abs. 5 ErbStG und schließt deren Anwendung aus. Denn wird ein solches Investitionsobjekt, das zur Verbesserung der Verwaltungsvermögensquote gedient hat, später als wesentliche Betriebsgrundlage verkauft, lässt dies die Neuberechnung der Verwaltungsvermögensquote wieder entfallen, ohne dass dies durch Reinvestition in Betriebsvermögen geheilt werden könnte. Problematisch ist die Formulierung aber vor allem auch im Hinblick auf Investitionen in Umlaufvermögen, insbesondere in Vorräte, die nicht verarbeitet oder verbraucht, sondern veräußert werden. Sollte die Veräußerung von Umlaufvermögen nicht dem „Verbrauch“ gleichgestellt werden, hätten vor allem klassische Handelsunternehmen nur geringe Chancen, eine schädliche Verwaltungsvermögensquote durch Investitionen zu heilen. Fraglich ist schließlich, ob die rückwirkende Neuberechnung der Quote des Verwaltungsvermögens ohne Einbeziehung dieses Vermögens auch bedeutet, dass junges Verwaltungsvermögen (siehe den Einlagefall von eben) geheilt werden kann. Nach Sinn und Zweck wäre dies konsequent, eine Klarstellung aber angebracht.

F. Beschränkung des jungen Verwaltungsvermögens auf Einlagen Nach aktueller Rechtslage gehört zum jungen Verwaltungsvermögen solches Verwaltungsvermögen, das dem Betrieb im Besteuerungszeitpunkt weniger als zwei Jahre „zuzurechnen“ war. Hierunter fasst die Finanzverwaltung in extensiver Auslegung der Vorschrift über neu eingelegtes Vermögen hinaus auch Verwaltungsvermögen, das durch die Veräußerung von betrieblichem Vermögen oder durch die Umschich132

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tung von schon vorhandenem Verwaltungsvermögen entstanden ist. Zu Letzterem gehört bspw. auch die Umschichtung eines schon seit vielen Jahren im Betriebsvermögen gehaltenen Wertpapierdepots. Es wird also nicht auf die Gattung Verwaltungsvermögen oder auch nur die Gattung Wertpapiere abgestellt, sondern auf das einzelne Wertpapier. Gehört dieses einzelne Wertpapier noch nicht länger als zwei Jahre zum Betriebsvermögen, wird es von der Begünstigung ausgenommen, ohne dass die Umschichtung in irgendeiner Weise als missbräuchlich angesehen werden könnte. Wie schon im Rahmen der Initiative zum JStG 2010 empfehlen deshalb die Ausschüsse des Bundesrates erneut und zu Recht, diese Regelung zu entschärfen und auf ihren ursprünglichen Sinn und Zweck, nämlich die Verhinderung von Missbrauch, zurückzuführen. § 13b Abs. 2 Satz 3 ErbStG soll hierzu wie folgt neu gefasst werden: „Kommt Satz 1 nicht zur Anwendung, gehört solches Verwaltungsvermögen im Sinne des Satzes 2 Nr. 1 bis 5 nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des Abs. 1, das aus einer Einlage innerhalb von zwei Jahren vor dem Besteuerungszeitpunkt stammt (junges Verwaltungsvermögen) und im Besteuerungszeitpunkt noch vorhanden ist.“

Es ist zu hoffen, dass die Bundesregierung diesmal dem Vorschlag folgt und einer entsprechenden Gesetzesänderung zustimmt. Geradezu unerlässlich erscheint die Rückführung auf echte Missbrauchsfälle, wenn es tatsächlich auch zur Umsetzung der Ausdehnung des Verwaltungsvermögens auf Geld- und Bankguthaben kommen sollte. Ansonsten würde jeder Verkauf von Wirtschaftsgütern des Unternehmens zu jungem Verwaltungsvermögen führen, wenn der Erlös zusammen mit den schon vorhandenen Kapitalanlagen und Geldmitteln die 10 %-Schwelle überschreitet und innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Schenkung oder dem Erbfall erzielt wurde.

G. Keine Deckelung auf den Beteiligungswert bei jungem Verwaltungsvermögen auf unteren Ebenen Nach aktueller Auffassung auch der Finanzverwaltung wird von der Begünstigung nur solches junge Verwaltungsvermögen ausgenommen, welches dem Betrieb der Obergesellschaft, also dem eigentlichen Schenkungsgegenstand, zuzurechnen ist. Für junges Verwaltungsvermögen auf unteren Ebenen, also in Tochter- und Enkelgesellschaften, hat die Finanzverwaltung hingegen ein ganz eigenständiges, zwar in der Geset133

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zesbegründung zum JStG 2010 angelegtes, mit dem Gesetz aber schlicht nicht begründbares Verfahren entwickelt. Hiernach wird nämlich das junge Verwaltungsvermögen in einer Untergesellschaft – auch wenn diese den Verwaltungsvermögenstest besteht und deshalb auf nächsthöherer Ebene als „gutes Betriebsvermögen“ gilt – beim allgemeinen Verwaltungsvermögenstest der Obergesellschaft zusätzlich berücksichtigt. Den fünf Katalog-Nummern des Verwaltungsvermögenskatalogs wird also faktisch eine Nr. 6 hinzugefügt, die lautet: Zum Verwaltungsvermögen gehört junges Verwaltungsvermögen unterer Ebenen. Nun sind Fälle denkbar, in denen das junge Verwaltungsvermögen, das bekanntlich nur mit seinem Aktivwert, also unter Außerachtlassung der mit ihm in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten, angesetzt wird, höher ist als der Gesamtwert der das junge Verwaltungsvermögen haltenden Gesellschaft, der bekanntlich durch Verbindlichkeiten gemindert sein kann. Nach bisheriger Lesart konnte aber das junge Verwaltungsvermögen der unteren Ebene maximal mit dem Wert der Untergesellschaft auf der nächsthöheren Ebene beim allgemeinen Verwaltungsvermögenstest berücksichtigt werden. Mit der Neuformulierung des § 13b Abs. 2 Satz 7 soll diese Deckelung auf den Beteiligungswert aufgehoben werden: „Soweit zum Vermögen der Kapitalgesellschaft Wirtschaftsgüter gehören, die nach Satz 3 nicht in das begünstigte Vermögen einzubeziehen sind, ist der Teil des Anteilswert nicht begünstigt, der dem Verhältnis der Summe der Werte dieser Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert des Betriebs der Kapitalgesellschaft entspricht; bei der rechnerischen Ermittlung der Quote des Verwaltungsvermögens erfolgt keine Beschränkung auf den Wert des Anteils.“

Die Auswirkungen der Regelungen auf der Grundlage des bisherigen Verständnisses der Finanzverwaltung macht folgendes Beispiel deutlich: Die fragwürdige These vom Hochschleusen jungen Verwaltungsvermögens auf die nächsthöhere Ebene wird durch diese Neuregelung weiter verfestigt. Bei gleichzeitiger Beschränkung der Missbrauchsvorschrift auf Einlagefälle würde ihr Anwendungsbereich allerdings deutlich geringer.

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H. Konzernbezogene Prüfung der 20 %-Beschäftigten-Grenze Nach aktueller Regelung kommt es zu einer Lohnsummenkontrolle nur, wenn „der Betrieb nicht mehr als 20 Beschäftigte hat“. Als Betrieb wird nach allgemeinem Verständnis nur die Obergesellschaft, also der Schenkungsgegenstand gesehen. Nach dem Wortlaut würde somit keine Lohnsummenkontrolle stattfinden, wenn in einer Beteiligungsholding lediglich zwei Arbeitnehmer beschäftigt sind, in den von der Holding gehaltenen Tochter- und Enkelgesellschaften aber bspw. 10.000. Die Finanzverwaltung hatte deshalb schon bisher für die Frage des Überschreitens der 20-Beschäftigten-Grenze die Beschäftigten des Gesamtkonzerns berücksichtigt. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung kann man hierfür durchaus ein gewisses Verständnis aufbringen. Der Änderungsvorschlag des Bundesrates will die bisherige Handhabung der Finanzverwaltung mit folgender Neuregelung in § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG klarstellen: „Gehören zum Betriebsvermögen des Betriebs, bei Beteiligungen an einer Personengesellschaft und Anteilen an einer Kapitalgesellschaft des Betriebs der jeweiligen Gesellschaft, unmittelbar oder mittelbar Beteiligungen an Personengesellschaften, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, oder Anteile an Kapitalgesellschaften, die ihren Sitz oder

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ihre Geschäftsleitung im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums haben, wenn die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung mehr als 25 % beträgt, sind die Lohnsummen und die Anzahl der Beschäftigten dieser Gesellschaften einzubeziehen zu dem Anteil, zu dem die unmittelbare und mittelbare Beteiligung besteht.“

Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht nur um eine Klarstellung, sondern um eine materielle Rechtsänderung. Denn selbst wenn man – wie die Finanzverwaltung – den Begriff des Betriebs weit ausgelegt und die Ermittlung der Beschäftigten auf den ganzen Konzern erstreckt hat, fand die Regelung des § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG bisher keine Anwendung. Es gab also keine Beschränkung auf den EU/EWR-Raum und auf Gesellschaften, an denen eine Beteiligung von über 25 % besteht. Die Neuregelung erstreckt nunmehr diese Grenzen auch auf die Beschäftigtenermittlung, was aber für den Steuerpflichtigen insoweit nur günstig ist. Schade ist, dass die Entwurfsverfasser es versäumen, in § 13a Abs. 4 Satz 5 ErbStG gleichzeitig klarzustellen, dass die 25 %-Grenze nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – auch für Personengesellschaften gilt. Zweck sowohl der Begrenzung auf den EU/EWR-Raum als auch der 25 %-Grenze ist hier nämlich ganz offensichtlich die Vereinfachung der Ermittlung und damit eine Reduzierung des die Unternehmen belastenden Prüfungsaufwands. Es ist nicht einzusehen, warum dieser Prüfungsaufwand in Personengesellschaftskonzernen deutlich höher sein soll als in Kapitalgesellschaftskonzernen.

I. Resümee Als Resümee kann man sich zumindest teilweise der Äußerung der Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren anschließen. Der „Zielrichtung“ der Bundesratsvorschläge ist insoweit zuzustimmen, als sie die vom Bundesfinanzhof genannten Gestaltungen unterbinden will. Die konkrete Ausgestaltung aber bedarf nicht nur einer umfänglichen Prüfung, sondern dringend der Überarbeitung. Insbesondere die Erweiterung der Katalog-Nr. 4 des Verwaltungsvermögenskatalogs weist noch zahlreiche Unzulänglichkeiten auf und hat darüber hinaus eine nicht hinzunehmende überschießende Tendenz, die insbesondere auch zahlreiche „echte“ mittelständische Unternehmen treffen wird.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Die Vorschläge zur Änderung des § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ErbStG („Finanzmitteltest“) bildeten den Schwerpunkt der Podiumsdiskussion. Gerner wies einleitend darauf hin, dass die geplante Regelung in § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 gegenüber dem eigentlichen Ziel eine deutlich überschießende Tendenz habe, wodurch nahezu alle mittelständischen Unternehmen aus dem Verschonungsabschlag herausfallen würden. Zu kritisieren sei insbesondere, dass der Verschonungsabschlag nur die Finanzmittel auf der Aktivseite betrachte, Schulden jedoch nicht berücksichtigt würden, sodass ggf. die durch Darlehensaufnahme vorhandenen Finanzmittel in den Finanzmitteltest einzubeziehen seien. Rödder fügte ergänzend hinzu, dass Familienunternehmen regelmäßig mehr als die im Gesetzesvorschlag genannte Grenze von 10 % an Finanzmitteln vorhielten, da diese zwingend für die Wirtschaftstätigkeit des Unternehmens benötigt würden. Zudem sei zu sehen, dass nach dem Gesetzeswortlaut auch Gesellschafterforderungen als schädliches Verwaltungsvermögen qualifizierten, sodass bei einer solchen Auslegung der Gesellschafter gezwungen wäre, Gewinne künftig nicht mehr im Unternehmensbereich „stehen zu lassen“. Aus Sicht des BMF wies Hofmann zunächst darauf hin, dass die Gesetzesvorschläge federführend durch die Länder entwickelt würden, denen auch das Steueraufkommen aus der Erbschaftsteuer zukomme (Art. 106 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG). Die Bundesregierung habe insoweit nur einen begrenzten Einfluss auf den Gesetzestext. Hofmann machte weiter deutlich, dass auch nach ihrer Ansicht der Gesetzesvorschlag zu weitgehend und undifferenziert sei. Insbesondere der Umstand, dass es sich bei Gesellschafterforderungen nach dem Wortlaut nicht um eine Forderung aus „unternehmerischer Tätigkeit“ handele, verleihe dem Gesetzesvorschlag eine über den Zweck hinausgehende Bedeutung. Auch die nach dem Wortlaut als Freigrenze formulierte 10 %-Quote dürfte nach der gesetzgeberischen Intention als Freibetrag gemeint sein. Zudem sei keine logische Erklärung für die Höhe der Quote erkennbar, diese dürfte vielmehr aus der Luft gegriffen sein.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion

Andererseits äußerte Hofmann Verständnis für die Bundesländer, eine Regelung zur Vermeidung der Steuerfreiheit der Übertragung von Anteilen an sog. „Cash-GmbHs“ zu unterbinden. Schönfeld warf unter Hinweis auf die Konzeption als typische Missbrauchsvermeidungsregelung die Frage in den Raum, ob man dem Steuerpflichtigen nicht den Gegenbeweis erlauben müsse. Welling schlug unter Hinweis auf die überschießende Tendenz des Regelungsgehalts als Kompromiss vor, eine Ausnahme bei Vorhandensein von Arbeitnehmern vorzusehen.

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Renaissance der Vermögensteuer – Die ersten Entwürfe eines Vermögensteuergesetzes Berthold Welling Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Dr. Monika Wünnemann Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

Inhaltsübersicht A. Einführung .................................... 139 B. Ausgangslage ................................ 139 I. Deutschland ............................ 139 II. Europa ...................................... 140 C. Aktuelle Steuerpolitische Entwicklung ....................................... 142 I. Konzepte zur Vermögensteuer und Vermögensabgabe ............ 142

1. Vermögensteuer .................. 2. Vermögensabgabe ............... II. Folgewirkungen ...................... III. Position der Wirtschaft ...........

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D. Ausblick ....................................... 147

A. Einführung Die Renaissance der Vermögensteuer zum Ausgleich von Haushaltsdefiziten ist in aller Munde – kaum eine steuerpolitische Veranstaltung oder Talkshow ohne das Thema Vermögensteuer auf der Tagesordnung. Selbst der aktuelle Armutsbericht löst eine Debatte aus: „Reichtum verpflichtet“ ist in vielen Kommentierungen das vordergründige Fazit einer Rechtfertigung für die Wiedererhebung einer Vermögensteuer.

B. Ausgangslage I. Deutschland In Deutschland wird die Vermögensteuer seit dem 1.1.1997 nicht mehr erhoben. Grund ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 139

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22.6.19951, mit dem die Vermögensteuer i. d. F. der Bekanntmachung vom 14.11.19902 für verfassungswidrig erklärt wurde. Begründet wurde dies zunächst mit einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG infolge der unterschiedlichen Belastung von Grundbesitz und sonstigem Vermögen. Haben sich die steuererheblichen Werte für bestimmte Gruppen wirtschaftlicher Einheiten deutlich auseinanderentwickelt (Einheitswerte und gemeine Werte), so dürfe das der Gesetzgeber nicht auf sich beruhen lassen.3 Darüber hinaus begründet das Gericht die Verfassungswidrigkeit der Vermögensteuer mit einem Verstoß gegen den sog. „Halbteilungsgrundsatz“. Danach „darf die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrags bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt. Dieser „Halbteilungsgrundsatz“ wurde allerdings mit Beschluss vom 18.1.20064 relativiert, mit dem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass es keine absolute Belastungsobergrenze in der Nähe einer hälftigen Teilung bei Einkommensteuer und Gewerbesteuer gebe und eine Besteuerung von ca. 60 % durch Einkommen- und Gewerbesteuer verfassungsgemäß sei. Allerdings betont das Gericht ausdrücklich, dass die Gesamtbelastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer nicht vergleichbar sei mit der Gesamtbelastung des Vermögens mit einer Vermögensteuer, die neben der Einkommensteuer erhoben wird. Ungeachtet dessen wird die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Vermögensteuer politisch im Ergebnis allerdings nicht als Hinderungsgrund für ihre Wiedereinführung gesehen.

II. Europa In Europa wurde die Vermögensteuer fast überall abgeschafft, im Jahr 2012 wird sie nur noch in Frankreich, Norwegen und in der Schweiz er_____________ 1 BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655. 2 BGBl. I 1990, 2467. 3 Vgl. auch BVerfGE 23, 242 (257); BVerfGE 25, 216 (226); BVerfGE 41, 269 (282 f.); zur Verschiedenheit zwischen einheitswertgebundenem und nicht einheitswertgebundenem Vermögen siehe auch BVerfGE 89, 329 (339), Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen „Die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland – Mängel und Alternativen“, 1989. 4 BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97.

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hoben. In der Schweiz ist die Vermögensteuer keine Bundessteuer, sondern die Kantone und ihre Gemeinden erheben die Vermögensteuer als Ergänzungssteuer zur Einkommensteuer.5 In Österreich wurde die Vermögensteuer bereits im Jahr 1993 abgeschafft. Eine Ausnahme bildet die Situation in Spanien, denn dort wurde die seit 2008 ausgesetzte Vermögensteuer befristet für die Jahre 2011 und 2012 wieder eingeführt.6 Reduziert man demnach den Blick auf die EU, gibt es die Vermögensteuer ab 2013 nur noch in Frankreich. Hier wurde allerdings erst kürzlich eine Erhöhung der unter der Sarkozy-Regierung sehr moderat ausgestalteten Steuersätze bei der Vermögensteuer beschlossen. Vermögensteuer in Europa weitgehend abgeschafft (Spanien befristet bis Ende 2012)

_____________ 5 Überblick zur Vermögensteuer, herausgegeben von der Schweiz. Steuerkonferenz SSK, Juli 2012. 6 Königliches Gesetzesdekret 13/2011 vom 16.9.2011, in Kraft getreten am 18.9.2011.

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C. Aktuelle Steuerpolitische Entwicklung Ungeachtet der weitgehenden Abschaffung der Vermögensteuer in Europa wird die Forderung nach ihrer Wiedereinführung von verschiedenen Seiten erhoben. Die SPD schlägt in ihrem Steuerund Finanzkonzept7 „eine moderate Erhöhung der Steuern für Besserverdienende als ein Beitrag zum sozialen Patriotismus“ vor. Bündnis 90/Die Grünen8 wollen „mit einer zeitlich befristeten Vermögensabgabe den krisenbedingten Anstieg der Staatsverschuldung aus Rettungspaketen, Schutzschirmen, Bürgschaften und Garantien zurückführen“. Daneben gibt es zahlreiche aktuelle Bürgerinitiativen zur Vermögensteuer, bei denen der Name schon Programm ist, wie zum Beispiel die Initiative „Vermögensteuer jetzt!“ oder die Initiative „umfairteilen – Reichtum besteuern“.

I. Konzepte zur Vermögensteuer und Vermögensabgabe 1. Vermögensteuer Ein erster Gesetzentwurf für eine Vermögensteuer („Vermögensteuergesetz 2014“ – VStG 2014), den die Länder Rheinland-Pfalz, BadenWürttemberg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen bereits erarbeitet haben9, sieht nach dem derzeitigen Stand eine Vermögensteuer in Höhe von einem Prozent auf das Gesamtvermögen vor (§ 12 VStG 2014). Die Steuer soll jährlich zum 1.1. jedes Jahres festgesetzt werden (§ 17 VStG 2014). Steuerpflichtig sind nicht nur natürliche Personen, sondern auch alle juristischen Personen. Damit sind alle Kapitalgesellschaften – bei mehrstöckigen Gesellschaften und Konzernen jede Gesellschaft gesondert – Steuersubjekt der Vermögensteuer. Eine besondere Begünstigung des Betriebsvermögens ist in dem ersten Arbeitsgruppenentwurf nicht vorgesehen, dies wird allerdings auf politischer Ebene bereits diskutiert. In Betracht käme in diesem Zusammenhang ein gespaltener Steuersatz, _____________ 7 Beschluss der SPD „Fortschritt und Gerechtigkeit: Wirtschaftlicher Erfolg, solide Finanzen und sozialer Zusammenhalt“ vom 6.12.2011. 8 Fraktionsbeschluss vom 17.1.2012. 9 Arbeitsgruppenentwurf für ein „Vermögensteuergesetz 2014“, Mai 2012.

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wie zum Beispiel im VStG 1990 ein Steuersatz für Betriebsvermögen in Höhe 0,5 % und ein Steuersatz für Kapitalgesellschaften in Höhe von 0,6 %10. Bemessungsgrundlage der Vermögensteuer soll das Gesamtvermögen sein. Hierzu zählt das gesamte Nettovermögen (Abzug von Schulden) im In- und Ausland: Land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen, Betriebsvermögen und sonstiges Vermögen. Das sonstige Vermögen umfasst beispielsweise alle Wertpapiere, Aktien, Ansprüche aus Lebens-, Kapital- und Rentenversicherungen sowie Antiquitäten, Schmuck oder Kunstwerke. Maßstab sind die Verkehrswerte, denn die Bewertung soll sich analog der Erbschaftsteuer nach den allgemeinen Vorschriften des Bewertungsgesetzes richten (§ 7 VStG 2014). Für alle Vermögensarten ist daher der gemeine Wert zugrunde zu legen, der nach §§ 1–16 BewG zu ermitteln ist. Beim Betriebsvermögen bedeutet dies, dass nicht wie bisher beim VStG 1990 die Steuerbilanzwerte gelten, sondern die Wertermittlung unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten (Ertragswertverfahren) vorgenommen werden muss (§ 109 i. V. m. § 11 Abs. 2 BewG), wobei als Mindestwert der Substanzwert nach § 11 Abs. 2 BewG angesetzt werden muss. Erfasst sind damit alle stillen Reserven und der für Unternehmen und Finanzverwaltung entstehende Aufwand einer jährlichen Bewertung jedes Unternehmens nimmt eine neue Dimension ein. Für jede Person ist ein Freibetrag in Höhe von 2 Mio. Euro vorgesehen (§ 9 Abs. 1 VStG 2014). Im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten verdoppelt sich der Freibetrag auf 4 Mio. Euro. Übersteigt das Vermögen allerdings einen Wert von 2 Mio. Euro, wird der Freibetrag bis auf 500.000 Euro abgeschmolzen (§ 9 Abs. 2 VStG 2014). Damit beträgt der Regelfreibetrag bei allen Vermögen von mehr als 5 Mio. Euro faktisch 500.000 Euro11. Bei Kapitalgesellschaften ist geplant, die Vermögensteuer zu je 50 % auf die Gesellschaft und die Gesellschafter aufzuteilen (sogenanntes Halbvermögensverfahren), um die Doppelbesteuerung von Gesellschaft und Gesellschafter zu vermeiden. Bei Kapitalgesellschaften soll eine Besteuerungsfreigrenze von nur 200.000 Euro gelten (§ 10 VStG 2014), um kleine Unternehmen von der Besteuerung auszunehmen. _____________ 10 Zur Rechtslage nach dem VStG i. d. F. der Bekanntmachung vom 14.11.1990 siehe Viskorf in Moench/Glier/Knobel/Viskorf, Bewertungs- und Vermögensteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1995. 11 Häuselmann, DStR 2012, 1678.

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2. Vermögensabgabe Daneben wird von Bündnis 90/Die Grünen die Erhebung einer sog. Vermögensabgabe vorgeschlagen.12 Anders als die Vermögensteuer handelt es sich hierbei um eine einmalige Abgabe, die zu einem bestimmten Stichtag festgesetzt, die Zahlung jedoch auf einen Zeitraum von zehn Jahren gestreckt wird. In der Geschichte Deutschlands wurde die Vermögensabgabe bisher zweimal, jeweils nach den beiden Weltkriegen, zur Finanzierung der Kriegsfolgen erhoben und soll nun zur Finanzierung der Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise eingeführt werden.13 Der Steuersatz soll zwischen 1 % und 1,5 % (Mittelwert) liegen und Bemessungsgrundlage wie bei der Vermögensteuer das Gesamtvermögen im In- und Ausland sein. Erfasst werden sollen rd. 340.000 natürliche Personen und ein Aufkommen – anders als bei der Vermögensteuer zugunsten des Bundes – von rd. 10 Mrd. Euro p. a. erzielt werden. Beim Betriebsvermögen ist zur Vermeidung einer Substanzbesteuerung eine Deckelung der Steuerlast auf max. 35 % des Gewinns vorgesehen.14

II. Folgewirkungen Die Vermögensteuer trifft nicht nur vermögende Privatpersonen, sondern auch alle Unternehmen. Für die Unternehmen entstehen steuerliche Belastungen der Erträge, die unterschätzt werden. Die Vermögensteuer ist ertragsunabhängig und belastet als Sollertragsteuer im Ergebnis die Wirtschaftskraft von Unternehmen, unabhängig davon, ob die entsprechenden Erträge bzw. Liquidität auch tatsächlich vorliegen. Gerade bei dem Betriebsvermögen ist das Kapital im Regelfall gebunden und insbesondere bei Personenunternehmen durch Thesaurierungsbeschränkungen o. Ä. festgeschrieben. Hinzu kommt, dass die Vermögensteuer nicht als Betriebsausgabe abzugsfähig ist. Je geringer die Rendite eines Unternehmens, desto stärker wirkt sich die Vermögensteuer aus. Für ertragsschwache Betriebe oder Unternehmen in der Krise wäre sogar ein Substanzverzehr die verheerende Folge. Erste Berechnungen zeigen, dass Einkommensteuer und eine zusätzliche Vermögensteuer zu einer überproportionalen Ertragsbelastung füh_____________ 12 Beschluss von Bündnis 90/Die Grünen, „Solide, solidarisch, Grün: Unsere Haushalts- und Finanzpolitik“ (Stand 5.12.2011). 13 Zur Verfassungsmäßigkeit der Vermögensabgabe siehe Kirchhof, StuW 2011, 189. 14 Einzelheiten siehe auch Bach/Beznoska/Steiner, DIW-Gutachten zur Vermögensabgabe, 2010.

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ren – bei 2 % Rendite entsteht eine Ertragsbelastung bis zu 98 %. Im Ergebnis entspricht 1 % Vermögensteuer bei 2 % Ertrag einer ertragsteuerlichen Belastung von 50 %. Zieht man einen Vergleich zur reinen Kapitalanlage, so ist die Ertragsbelastung einer unternehmerischen Beteiligung höher als bei der rein privaten Kapitalanlage.

III. Position der Wirtschaft Zunächst ist fraglich, ob vor dem Hintergrund der Steuereinnahmen auf Rekordniveau überhaupt eine Rechtfertigung aus haushaltspolitischen Gründen für die Erhebung der Vermögensteuer bzw. Vermögensabgabe besteht: Im Jahr 2012 sind die Einnahmen des öffentlichen Gesamthaushalts auf rd. 756 Mrd. Euro gestiegen. Im Jahr 2011 lagen diese noch in Höhe von rd. 573 Mrd. Euro und im Jahr 2005 bei nur rd. 432 Mrd. Euro. Die Vorgaben der Schuldenbremse werden übererfüllt und die Konsolidierungspolitik der öffentlichen Finanzen in Deutschland trägt Früchte15: Der Bund wird die ab 2016 geltende verfassungsrechtliche _____________ 15 BMF, Monatsbericht August 2012.

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Obergrenze für das strukturelle Defizit im Rahmen der Schuldenbremse von 0,35 % des Bruttoinlandprodukts bereits im Jahr 2014 einhalten und zum Ende des Finanzplanungszeitraums (2016) deutlich unterschreiten. Für deutsche Unternehmen entsteht ein Wettbewerbsnachteil, da die Vermögensteuer in Europa eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Mit der Wiedereinführung einer Vermögensteuer würde Deutschland damit einen Sonderweg einschlagen und auch den Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der EU, die auf die Schaffung vergleichbarer steuerlicher Standort- und Investitionsbedingungen gerichtet sind, zuwiderlaufen. Im internationalen Vergleich ist die Steuerbelastung deutscher Unternehmen nach wie vor vergleichsweise hoch: der Vergleich der nominalen Steuersätze zeigt Deutschland nach wie vor im oberen Drittel.16 Durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer mit der Folge einer zusätzlichen Belastung der Erträge entsteht eine Schieflage, die sich nachteilig für den Standort Deutschland auswirkt. Durch eine Vermögensteuer werden die Unternehmen signifikant belastet, bis hin zu einer Besteuerung der Substanz. Eine ertragsunabhängige Besteuerung unternehmerischen Vermögens kann insbesondere im Mittelstand zu einer existenzbedrohenden Belastung führen, wenn in Krisenzeiten keine Erträge oder sogar nur Verluste erwirtschaftet werden. Hinzu kommt die hohe Abhängigkeit der Vermögensteuer von der Rendite mit der Folge, dass die Belastung im Ergebnis höher wird, je niedriger die Rendite. Damit wird die dringend notwendige Bildung von Eigenkapital erschwert und standortschädliche Investitionshemmnisse geschaffen. Verstärkt wird dies dadurch, dass die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen im Regelfall eine Freistellung für ausländisches Betriebsstättenvermögen vorsehen. Schließlich wird die Erhebung einer neuen Vermögensteuer aufgrund der notwendigen jährlichen Bewertung des Vermögens zu Verkehrswerten zu unverhältnismäßigen Vollzugskosten für Finanzverwaltung und Steuerpflichtige führen. Aufgrund der Stichtagsbezogenheit der Erbschaftsteuerwerte ist ein schlichter Rückgriff auf diese Werte nicht möglich, sondern eine jährliche Fortschreibung dieser Werte notwendig. Neben der Wertermittlung von komplexen Unternehmensgruppen wer_____________ 16 Siehe BDI/VCI-Studie „Die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland“, 2011.

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den insbesondere auch die Bewertungen von Auslandsvermögen zu hohen Kosten führen. Ob dieser enorme Vollzugs- und Erhebungsaufwand für Steuerpflichtige und Finanzverwaltung in einem angemessenen Verhältnis zu dem erzielbaren Aufkommen aus der Vermögensteuer steht, ist höchst zweifelhaft.

D. Ausblick Trotz aller sachlichen Bedenken ist im Herbst 2012 mit einem offiziellen Entwurf zur Vermögensteuer zu rechnen. Angesichts der heutigen Mehrheitsverhältnisse ist eine Verabschiedung eines Gesetzes zwar derzeit unrealistisch, mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 kann sich hierbei jedoch eine andere Situation ergeben. In den Fokus geraten wird bei der Diskussion über die Vermögensteuer sicherlich die Besteuerung des Betriebsvermögens. Hierbei wird eine besondere Verschonung des Betriebsvermögens – zum Beispiel über einen gespaltenen Steuersatz oder im Rahmen der Freibeträge – relevant werden. Grund genug, die Gespräche mit den Initiatoren des Gesetzentwurfs zu vertiefen und hierbei die Standpunkte aus Sicht der Wirtschaft deutlich zu artikulieren.

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion Aus Sicht eines Familienunternehmens wies Gerner im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung einer Vermögensteuer, aber auch hinsichtlich der geplanten Verschärfung der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregeln darauf hin, dass durch die Kumulation der Besteuerung von (zukünftigen) Erträgen durch Einkommensteuer/ Körperschaftsteuer, Vermögensteuer und Erbschaftsteuer zukünftige Erträge praktisch wegbesteuert würden. Hofmann erläuterte aus Sicht des BMF, dass die Federführung für die Entwürfe eines Vermögensteuergesetzes bei den Bundesländern liege, denen das Aufkommen aus der Vermögensteuer zusteht (Art. 106 Abs. 2 Nr. 1 GG).

Nach Angaben von Hofmann gebe es derzeit fünf verschiedene Fassungen von Gesetzesvorschlägen zur Vermögensteuer. Mit der Veröffentlichung eines ersten Entwurfs sei voraussichtlich im Oktober/November zu rechnen. Gemein sei den Entwürfen jedenfalls, dass an den Verkehrswert angeknüpft werden soll. Die evtl. vorgesehene jährliche Bewertung sei für die Finanzverwaltung administrierbar. Hiergegen wandte sich Hruschka mit einem Beispiel aus der Betriebsprüfungspraxis, in dem die Bewertung eines Konzerns für Erbschaftsteuerzwecke seit über drei Jahren andauere. Eine jährliche Bewertung für Vermögensteuerzwecke sei mit dem bestehenden Personalapparat praktisch ausgeschlos-

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Zusammenfassung der Podiumsdiskussion

sen. Auch eine Bewertung – wie nach dem alten VStG – im Drei-JahresTakt sei nach seinem Empfinden nicht durch die Finanzverwaltung leistbar. Hofmann wies abschließend darauf hin, dass nach internen Erhebungen der Aufwand für die Vermögensteuer und die damit verbundenen Kosten nicht unverhältnismäßig zu den erwartbaren Steuereinnahmen seien.

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Vor- und Nachteile des österreichischen Steuerrechts für Unternehmen und natürliche Personen im Vergleich zum deutschen Steuerrecht Mag. Reinhard Leitner Wirtschaftsprüfer und Steuerberater LeitnerLeitner, Linz

Inhaltsübersicht A. Besteuerung auf Unternehmensebene ............................................. I. Steuersatz ................................ II. Konzernsteuerrecht ................. 1. Zinsabzug ............................ 2. Capital-Gains-Befreiung ..... 3. Verlustberücksichtigung .... 4. Finale Verlustberücksichtigung ..................................... 5. Ver- und Entstrickung ........ 6. Internationale Umwandlungen ..................................

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III. Hinzurechnungsbesteuerung .. 162 IV. DBA-Politik ............................. 164 V. Gesellschaftsteuer .................. 165 B. Besteuerung auf Gesellschafterebene ............................................. I. Keine Erbschaft- und Schenkungsteuer ..................... II. Keine Vermögensteuer ............ III. Wegzug in die Schweiz ...........

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A. Besteuerung auf Unternehmensebene I. Steuersatz Der Körperschaftsteuersatz in Österreich beträgt 25 %. Im Gegensatz zu Deutschland erhebt Österreich keine Gewerbesteuer.1 Aufgrund des bloß 15-prozentigen deutschen Körperschaftsteuersatzes sowie des der deutschen Gewerbesteuer innewohnenden Territorialitätsprinzips können sich für der österreichischen unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht unterliegende Kapitalgesellschaften Nachteile im Vergleich zur deutschen Rechtslage ergeben, wenn Betriebsstätten in Niedrigsteuerländern unterhalten werden, mit denen kein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) besteht oder ein DBA besteht, das für Betriebsstättengewinne die Anrechnungsmethode vorsieht. _____________ 1 Mit 1.1.1994 wurde die Gewerbesteuer in Österreich gänzlich abgeschafft, seither wird jedoch eine Kommunalsteuer i. H. v. 3 % der Lohnsumme eingehoben.

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Leitner – Österreichisches Steuerrecht im Vergleich zum deutschen Steuerrecht

II. Konzernsteuerrecht 1. Zinsabzug In Österreich existieren keine gesetzlich normierten Unterkapitalisierungsregeln, eine dem § 8a dKStG („Zinsschranke“) entsprechende Regelung ist dem österreichischen Ertragsteuerrecht fremd. Somit ist mangels belastbarer Aussagen über die notwendige Eigenmittelquote einer Körperschaft der Grundsatz der Finanzierungsfreiheit maßgeblich.2 Dieser Grundsatz findet seine Grenze im Rechtsinstitut des „verdeckten Eigenkapitals“. Verdecktes Eigenkapital erfordert nach der Rspr. des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs (VwGH)3 und Verwaltungspraxis4 das Vorliegen besonderer Umstände, deren Nachweis der Behörde obliegt. Nicht ausreichend für die Annahme von verdecktem Eigenkapital ist der alleinige Umstand, dass die Körperschaft das Darlehen zu gleich günstigen Bedingungen woanders nicht bekommen hätte. Bei der Qualifikation von Gesellschafterdarlehen als verdecktes Eigenkapital ist vielmehr auf das Gesamtbild der Verhältnisse abzustellen, wobei sowohl formale als auch inhaltliche Kriterien zu berücksichtigen sind. Im Wesentlichen sind dies: – Mangelnde Klarheit, Publizität und Transparenz der Darlehensvereinbarung; – Missverhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital; – Nicht fremdübliche Vertragsgestaltung (z. B. mangelnde Marktkonformität durch fehlende Besicherung oder nicht fremdübliche Verzinsung). Qualifiziert das Gesellschafterdarlehen als verdecktes Eigenkapital, sind allfällige Zinszahlungen auf das Darlehen als verdeckte Ausschüttung (§ 8 Abs. 2 öKStG) nicht abzugsfähig. § 11 Abs. 1 Z. 4 öKStG sieht seit dessen Änderung durch das BudBG 20115 eine Einschränkung des Zinsabzugs bei fremdfinanzierten Betei_____________ 2 3 4 5

Kirchmayr in Achatz/Kirchmayr, § 8 KStG Rz. 76. Z. B. VwGH v. 23.10.1984, 83/14/0257. KStR 2001, Rz. 709. BGBl. I 111/2010.

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ligungserwerben im Konzernverbund vor. Bis zum StRefG 20056 unterlagen Fremdfinanzierungskosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Beteiligungen i. S. d. § 10 öKStG grds. dem Abzugsverbot des § 12 Abs. 2 öKStG, das Aufwendungen und Ausgaben, soweit sie mit nicht steuerpflichtigen (steuerneutralen) Vermögensmehrungen und Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, erfasst. § 10 öKStG ist – ähnlich dem § 8b dKStG – eine systembedingte Befreiungsbestimmung, die der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von qualifizierten Beteiligungserträgen dient. Durch das StRefG 2005 wurde die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Z. 4 öKStG neu geschaffen. Ziel war dabei, Zinsen im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen von zum Betriebsvermögen gehörigen Kapitalbeteiligungen trotz der Steuerneutralität der laufenden Beteiligungserträge als Betriebsausgabe absetzbar zu machen. Diese Ausnahme vom Abzugsverbot des § 12 öKStG sowie die gleichzeitig eingeführte Gruppenbesteuerung führten zu unerwünschten Gestaltungen durch konzerninterne debt-push-down-Modelle.7 Als Reaktion versagte der Gesetzgeber mit dem BudBG 2011 die Abzugsfähigkeit von Fremdfinanzierungszinsen, wenn die Beteiligung unmittelbar oder mittelbar von einem konzernzugehörigen (oder beherrschenden) Unternehmen erworben worden ist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung,8 die insbesondere im Hinblick auf die unechte Rückwirkung geäußert wurden,9 wurden vom österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) nicht geteilt.10 2. Capital-Gains-Befreiung § 10 Abs. 3 öKStG sieht die Steuerneutralität internationaler Schachtelbeteiligungen vor. Demnach bleiben – neben laufenden Beteiligungserträgen – Veräußerungsgewinne, Veräußerungsverluste und sonstige Wertänderungen (Teilwertabschreibungen, Zuschreibungen, und Liqui_____________ 6 BGBl. I 57/2004. 7 Dazu etwa Plott, Einschränkung des Zinsenabzugs in § 11 Abs. 1 Z. 4 KStG – Auswirkung des Budgetbegleitgesetzes 2011 auf die Konzernfinanzierung, öStZ. 2011, 18. 8 Marchgraber, Die Einschränkung des Fremdkapitalzinsabzugs bei konzerninternen Beteiligungserwerben auf dem Prüfstand, SWK 14/2011, 608. 9 Die Regelung ist erstmals anzuwenden auf Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2010 enden; der Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs ist nicht maßgeblich. 10 VfGH v. 29.2.2012, B 945/11-11.

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dationsgewinne)11 bei Ermittlung der Einkünfte außer Ansatz, sofern nicht zugunsten der Steuerwirksamkeit optiert wurde.12 Eine internationale Schachtelbeteiligung setzt nach § 10 Abs. 2 öKStG voraus: – Rechnungslegungspflicht der inländischen Mutter (sog. „§ 7 Abs. 3 – Körperschaft“); – Vergleichbarkeit der ausländischen Tochter mit inländischer Kapitalgesellschaft oder EU-Körperschaft gem. Anlage 2 zum öEStG (EUKapitalgesellschaft); – Mindestbeteiligungsausmaß i. H. v. 10 % des Kapitals; – Mindestbeteiligungsdauer von einem Jahr. Anders als nach der korrespondierenden Regelung des § 8b dKStG sind demnach Gewinne aus der Veräußerung inländischer Beteiligungen (ungeachtet der Beteiligungshöhe) sowie (in- und ausländischer) Portfoliobeteiligungen in Österreich nicht steuerbefreit.13 Anzumerken ist, dass im Wege der Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe gem. § 9 öKStG beim die Beteiligung erwerbenden Gruppenmitglied oder Gruppenträger die Möglichkeit einer Firmenwertabschreibung nach Maßgabe des § 9 Abs. 7 öKStG besteht. 3. Verlustberücksichtigung Der VwGH hat im Jahr 2001 abweichend zur deutschen Rechtslage erkannt, dass Verluste ausländischer Betriebsstätten bei den inländischen positiven Einkünften auch dann zu berücksichtigen sind, wenn die ausländischen Gewinne gemäß einem DBA von der Steuer befreit sind.14 Als Begründung führte das österreichische Höchstgericht im Wesentlichen die Schrankenwirkung von DBA an. Nach einer erlassmäßigen Verankerung im Jahr 2002 wurden die Regelungen betreffend Berücksichtigung ausländischer Verluste durch das StRefG 2005 schließlich auf eine gesetzliche Basis gestellt. Dabei wurde nicht nur eine Verwertungspflicht ausländischer (Betriebsstätten-)Verluste in § 2 Abs. 8 Z. 3 öEStG, sondern mit § 9 Abs. 6 Z. 6 öKStG auch die Möglichkeit der _____________ 11 Zu tatsächlichen und endgültigen Vermögensverlusten unter A.II.4. 12 Die Option zugunsten der Steuerwirksamkeit berührt nicht die Befreiung der laufenden Gewinne nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 öKStG. 13 Zur geplanten Aufhebung der Befreiung für Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Portfoliobeteiligungen im Entwurf des JStG 2013 siehe Fraedrich, Das österreichische Erstattungsverfahren als Gestaltungsoption für die erforderliche Neuregelung der Streubesitzdividendenregelung in Deutschland, IStR 15/2012, 565. 14 VwGH v. 25.9.2001, 99/14/0217.

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anteiligen Verlustberücksichtigung ausländischer Gruppenmitglieder im Rahmen des neu eingeführten Gruppenbesteuerungsregimes geschaffen. Die Bestimmung des § 2 Abs. 8 Z. 3 öEStG dürfte dabei das Vorbild für die Bestimmung des § 9 Abs. 6 Z. 6 öKStG gewesen sein, sodass zahlreiche Parallelen bestehen.15 Beiden Regelungen ist gemein, dass die Auslandsverluste grds. im Jahr ihrer Entstehung in Österreich Berücksichtigung finden. Dazu sind diese in einem ersten Schritt auf österreichisches Steuerrecht umzurechnen; eine direkte Übernahme eines z. B. chinesischen Verlusts ist nicht möglich. Umrechnungsbedingt kann es dabei zu Differenzen kommen. So kann etwa ein nach österreichischen ertragsteuerlichen Bestimmungen umgerechneter Verlust höher oder niedriger als der nach ausländischem Recht ermittelte Verlust sein. Im Extremfall kann sich sogar aus einem ausländischen Gewinn umrechnungsbedingt ein inländischer Verlust ergeben. Zur Vermeidung einer doppelten Verlustberücksichtigung kommt es zur Nachversteuerung in Österreich, wenn und soweit die Verluste im Ausland (z. B. im Rahmen eines Verlustvortrags) verwertet werden oder verwertet werden könnten. Der Nachversteuerungsbetrag ist dabei doppelt gedeckelt: Einerseits mit dem im Ausland verwerteten, nicht umgerechneten ausländischen Verlust; andererseits mit dem vormals auf österreichisches Recht umgerechneten und in Österreich berücksichtigten Verlust. Damit erfolgt die Verlustberücksichtigung mittels Umrechnung nach österreichischem Steuerrecht, wohingegen die Nachversteuerung, die auf die Verlustverwertung im Ausland abstellt, auf das ausländische Steuerrecht blickt.16 Als Konsequenz kann es zu „quasipermanenten“ Differenzen zwischen dem Betrag des berücksichtigten Verlusts und dem Nachversteuerungsbetrag kommen.17 Um diese Lücken bei der Nachversteuerung zu schließen, wurde mit dem StabG 201218 der zu berücksichtigende ausländische Verlust gedeckelt: Die Berücksichtigung des ausländischen Verlusts erfolgt nunmehr höchstens in Höhe des nach ausländischem Steuerrecht ermittelten Betrags. Die Deckelung gilt sowohl für ausländische Betriebsstätten als auch für ausländische Gruppenmitglieder und gelangt erstmals ab _____________ 15 Urtz in Achatz/Kirchmayr, § 9 KStG Rz. 305. 16 Mayr, Gruppenbesteuerung: Ausländische Verluste mit ausländischem Ergebnis gedeckelt, RdW 2012, 308. 17 Vgl. Urtz in Achatz/Kirchmayr, § 9 KStG Rz. 347. 18 BGBl. I 22/2012.

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der Veranlagung für das Kalenderjahr 2012 zur Anwendung. Nach dem undifferenzierten Gesetzeswortlaut gelangt die neue Verlustdeckelung auch in Fällen zur Anwendung, in denen das mit dem Betriebsstättenstaat bestehende DBA die Anrechnungsmethode vorsieht. Nach zutreffender Auffassung von Mayr kann jedoch in derartigen Fällen die Verlustdeckelung aufgrund historischer und teleologischer Argumente nicht greifen, da diesfalls i. d. R. auch kein Anwendungsfall einer Nachversteuerung eintreten wird.19 4. Finale Verlustberücksichtigung Neben den skizzierten Regelungen zur Verwertung laufender Verluste kennt das österreichische Ertragsteuerrecht auch Regelungen zur Berücksichtigung finaler Verluste. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf § 10 Abs. 3 KStG zu verweisen, wonach für internationale Schachtelbeteiligungen der Grundsatz der Steuerneutralität gilt,20 der allerdings in zwei Fällen durchbrochen wird: Zum einen kann der Steuerpflichtige zugunsten der Steuerwirksamkeit optieren. Zum anderen besteht – auch im Falle der Nichtoption – eine Ausnahme hinsichtlich finaler Verluste. Nach dieser sind tatsächliche und endgültige Vermögensverluste anlässlich des Untergangs der ausländischen Tochtergesellschaft steuerlich abzugsfähig. Die Bestimmung soll unbillige Härten vermeiden und erlaubt die steuerliche Berücksichtigung sämtlicher die untergegangene Beteiligung betreffenden, den Liquidationserlös übersteigenden Anschaffungskosten im Jahr der Beendigung der freiwilligen oder insolvenzbedingten Liquidation.21 Der Verlust ist allerdings um steuerfreie Gewinnanteile jeder Art zu kürzen, die innerhalb der letzten fünf Wirtschaftsjahre vor dem Wirtschaftsjahr der Liquidationseröffnung oder des Eintritts der Insolvenz angefallen sind. Zudem ist die Verteilungsregel des § 12 Abs. 3 Z. 2 öKStG zu berücksichtigen, wonach der Verlust gleichmäßig auf sieben Jahre verteilt anzusetzen ist. In § 9 Abs. 6 Z. 6 öKStG wird eine Regelung hinsichtlich der steuerlichen Behandlung finaler Verluste ausländischer Gruppenmitglieder getroffen. Nach dieser erfolgt – anders als bei ausländischen Betriebsstätten – eine abschließende Nachversteuerung bei Ausscheiden des ausländischen Gruppenmitglieds aus der Unternehmensgruppe. Die Nachversteuerung im Falle des Ausscheidens ist im Gegensatz zur Nach_____________ 19 Mayr, RdW 2012, 311 mit Verweis auf EStR 2000, Rz. 198a. 20 Dazu bereits unter A.II.2. 21 KStR 2001, Rz. 570.

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versteuerung bei aufrechter Gruppenzugehörigkeit des ausländischen Gruppenmitglieds von einer Verlustverwertungsmöglichkeit im Ausland unabhängig. Die Nachversteuerung in Österreich erfolgt damit auch unabhängig davon, ob im Ausland ein endgültiger Vermögensverlust vorliegt.22 Ein Ausscheiden i. S. d. § 9 Abs. 6 Z. 6 Satz 3 öKStG liegt etwa bei Kündigung des Gruppenvertrags nur hinsichtlich des ausländischen Mitglieds, Kündigung der gesamten Unternehmensgruppe, (teilweiser) Veräußerung der Beteiligung am ausländischen Gruppenmitglied oder Verlust der finanziellen Verbindung vor. Um unerwünschten Gestaltungen durch wirtschaftliches Aushöhlen des ausländischen Gruppenmitglieds unter Weiterführung als „Mantelgesellschaft“ entgegenzuwirken, löst seit dem AbgÄG 2009 neben dem tatsächlichen auch ein wirtschaftliches Ausscheiden (Verlust der Vergleichbarkeit i. S. v. § 4 Z. 1 Buchst. c öUmgrStG) die Nachversteuerung aus.23 Schließlich ist der Tatbestand des Ausscheidens auch bei Untergang durch Liquidation oder Insolvenz des ausländischen Gruppenmitglieds erfüllt. Für diesen Fall besteht mit § 9 Abs. 6 Z. 6 Satz 5 öKStG insoweit eine Sonderregelung, als in Anknüpfung an die Systematik des § 10 Abs. 3 öKStG bei tatsächlichem und endgültigem Vermögensverlust der Nachversteuerungsbetrag um die während der Gruppenzugehörigkeit nicht steuerwirksamen Teilwertabschreibungen zu kürzen ist. Durch die Versagung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Teilwertabschreibungen und Veräußerungsverlusten aus Beteiligungen an (in- und ausländischen) Gruppenmitgliedern soll eine doppelte Verwertung von Verlusten, die bei Zurechnung der Verluste des Gruppenmitglieds und gleichzeitiger steuerwirksamer Teilwertabschreibung eintreten würde, vermieden werden. Im Zusammenwirken mit der zwingenden Nachversteuerung beim Ausscheiden würden damit aber ohne die Regelung des § 9 Abs. 6 Z. 6 Satz 5 öKStG Verluste aus dem Auslandsengagement überhaupt keine steuerliche Berücksichtigung in Österreich finden. Durch die Kürzung des Nachversteuerungsbetrags, der sich höchstens auf null reduzieren und somit gänzlich entfallen kann, sollen derartige Härten vermieden werden.24 Zentrale Voraussetzung für die Kürzung des Nachversteuerungsbetrags ist ein „tatsächlicher und endgültiger Vermögensverlust“. Dieser liegt _____________ 22 Vgl. Urtz in Achatz/Kirchmayr, § 9 KStG Rz. 360. 23 Dazu näher Mayr, Gruppenbesteuerung: wirtschaftliches Ausscheiden ausländischer Gruppenmitglieder, RdW 2009, 365. 24 Steiner/Vock in Quantschnigg/Renner/Schellmann/Stöger, § 9 KStG Rz. 648.

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vor, wenn im Ausland keine Verlustverwertungsmöglichkeit mehr besteht. Zu beurteilen ist dies im Zeitpunkt des Abschlusses der Liquidation.25 Zweifelhaft ist, ob vor dem Hintergrund der Rspr. des EuGH26 die alternative Verwertung „finaler“ ausländischer Verluste über die steuerwirksame Geltendmachung von Teilwertabschreibungen unionsrechtlichen Anforderungen genügt, da finale Auslandsverluste der Tochter, welche die historischen Anschaffungskosten der Beteiligung übersteigen, in Österreich keine Berücksichtigung finden können.27 5. Ver- und Entstrickung § 6 Z. 6 öEStG ist eine zentrale Norm des österreichischen Unternehmenssteuerrechts, deren detaillierte Darstellung die Grenzen dieses Beitrags bei Weitem sprengen würde. Diese sieht – ähnlich wie § 1 dAStG, ohne jedoch dessen Regelungsumfang und -dichte zu erreichen – die Sicherung und Erfassung im Inland entstandener stiller Reserven vor. Zu diesem Zweck sind bei der Überführung von Wirtschaftsgütern und Verlegung von (Teil-)Betrieben ins Ausland Fremdvergleichspreise anzusetzen (§ 6 Z. 6 Buchst. a öEStG). Korrespondierend ist bei der Überführung von Wirtschaftsgütern und Verlegung von (Teil-)Betrieben aus dem Ausland ins Inland ein Step-up auf den Fremdvergleichspreis vorzunehmen (und zwar unabhängig von einer Entstrickung im Herkunftsland), sodass im Ausland entstandene stille Reserven für österreichische steuerliche Zwecke neutralisiert werden (§ 6 Z. 6 Buchst. c öEStG). Dies gilt sinngemäß für sonstige Leistungen, sodass etwa auch für grenzüberschreitende Dienstleistungen der Fremdvergleichsgrundsatz gilt. § 6 Z. 6 öEStG stellt nach h. A. die primäre innerstaatliche Rechtsgrundlage für Gewinnerhöhungen zur Wahrnehmung des in Art. 9. OECD-MA verankerten arm’s length-Prinzips dar.28 Gleichzeitig bietet § 6 Z. 6 öEStG die innerstaatliche Rechtsgrundlage für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gem. Art. 7 OECDMA. Nach Auffassung der österreichischen Finanzverwaltung besteht dabei Kongruenz des innerstaatlichen und DBA-rechtlichen Fremdver_____________ 25 KStR 2001, Rz. 437. 26 Siehe insbesondere EuGH v. 13.12.2005, Rs. C-446/03 Marks & Spencer, FR 2006, 177; EuGH v. 29.3.2007, Rs. C-347/04 Rewe Zentralfinanz, IStR 2007, 291. 27 Dazu eingehend Hohenwarter, Verlustverwertung im Konzern (2009), 525 ff. 28 Daneben sind § 8 Abs. 2 öKStG (verdeckte Ausschüttung) und § 6 Z. 14 Buchst. b öEStG (Einlage) zu nennen.

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gleichsgrundsatzes, welcher dynamisch zu verstehen sei.29 Demzufolge seien die laufend erfolgenden Überarbeitungen des OECD-Kommentars sowie der OECD-Verrechnungspreisgrundsätze insofern zu berücksichtigen, als die revidierten Versionen des OECD-Kommentars und der OECD-Verrechnungspreisgrundsätze in ihrer jeweils geltenden Fassung auch auf vor den jeweiligen Überarbeitungen abgeschlossene DBA anzuwenden seien.30 Aufgrund der Deckungsgleichheit des innerstaatlichen und internationalen Fremdvergleichsgrundsatzes würden neue Erkenntnisse über die OECD-Verrechnungspreisgrundsätze – quasi reflexartig – auch auf die Auslegung des § 6 Z. 6 EStG durchschlagen.31 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die österreichische Finanzverwaltung in § 6 Z. 6 öEStG auch eine geeignete Rechtsgrundlage zur Umsetzung des Authorized OECD Approach (AOA) im originär innerstaatlichen Steuerrecht erblickt, ohne dass es einer Änderung des innerstaatlichen Rechts bedürfte. Zieht man die im Entwurf des JStG 2013 geplanten Neuregelungen in § 1 Abs. 5 dAStG in Betracht, die nach der Intention des deutschen Gesetzgebers eine uneingeschränkte Anwendung des AOA ermöglichen sollen, stellt sich die Frage, ob im Verhältnis zwischen Österreich und Deutschland der AOA in Zukunft bereits vollinhaltlich zur Anwendung gelangen kann. Dies dürfte letztlich daran scheitern, dass nach wohl zutreffender Auffassung der österreichischen Finanzverwaltung die vollinhaltliche Anwendung des AOA einer Neufassung des Art. 7 DBA bedarf. Ohne eine entsprechende Revision der abkommensrechtlichen Bestimmung des Art. 7 ist der AOA nur insoweit von Relevanz, als er mit dem OECD-Kommentar i. d. F. vor 2010 nicht in Widerspruch steht.32 Kommt es nach Maßgabe des § 6 Z. 6 öEStG sowie der einschlägigen abkommensrechtlichen Bestimmungen zur steuerlichen Entstrickung in Österreich, gilt im Verhältnis mit EU-Staaten sowie EWR-Staaten mit umfassender Amts- und Vollstreckungshilfe (derzeit nur Norwegen) das sog Nichtfestsetzungskonzept.33 Dieses wurde mit dem AbgÄG

_____________ 29 EStR 2000, Rz. 2511 f. sowie VPR 2010, Rz. 14 f. 30 Kritisch Lehner in Damböck/Galla/Nowotny, Verrechnungspreisrichtlinien, Praxiskommentar, K 34 m. w. N. 31 VPR 2010, Rz. 15. 32 VPR 2010, Rz. 181. 33 § 6 Z. 6 Buchst. b öEStG.

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200434 aufgrund unionsrechtlicher Erwägungen35 eingeführt und gewährt einen Aufschub hinsichtlich der Festsetzung der bereits mit der Überführung oder Verlegung entstandenen Steuerschuld. Der Besteuerungsaufschub ist antragsgebunden und kann für jedes einzelne Wirtschaftsgut in der Steuererklärung des Wirtschaftsjahres der Überführung bzw. Verlegung geltend gemacht werden. Aufgrund des Antrags wird über die entstandene Steuerschuld im Abgabenbescheid zwar abgesprochen, die Steuerschuld wird jedoch bis zur tatsächlichen Veräußerung oder dem sonstigen Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen nicht festgesetzt. Erst mit der tatsächlichen Veräußerung oder dem sonstigen Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen kommt es zur rückwirkenden Festsetzung der anlässlich des Wegzugs entstandenen Steuerschuld; eine spätere Überführung bzw. Verlegung außerhalb des EU/EWR-Raums gilt ebenfalls als Veräußerung. Verfahrensrechtliches Instrument hierzu ist die Abänderung des Bescheids aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses gem. § 295a BAO. Für diese sonstige Maßnahme zur Rechtskraftdurchbrechung sind die Verjährungsbestimmungen zu beachten, sodass nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Entstehung des Abgabenanspruchs eine rückwirkende Festsetzung des Abgabenanspruchs ausgeschlossen ist.36 Nachträgliche Wertminderungen zwischen Überführung (bzw. Verlegung) und tatsächlicher Veräußerung oder sonstigem Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen reduzieren die Bemessungsgrundlage bis auf maximal null, soweit die Wertminderungen nicht im anderen Staat Berücksichtigung finden. Damit ist zum einen sichergestellt, dass nur tatsächlich realisierte Wertsteigerungen besteuert werden. Zum anderen wird eine Doppelberücksichtigung von Wertminderungen der überführten Wirtschaftsgüter vermieden.37 Das österreichische Nichtfestsetzungskonzept dürfte vor dem Hintergrund der jüngsten Rspr. des EuGH38 über die unionsrechtlichen Anforderungen hinausgehen, wonach im betrieblichen Bereich die Verpflichtung zur Berücksichtigung späterer Wertminderungen allein im Aufnahmestaat besteht (Symmetrieargu_____________ 34 BGBl. I 180/2004. 35 Vgl. EuGH v. 11.3.2004, Rs. C-9/02 Hughes de Lasteyrie du Saillant, IStR 2004, 236, zur französischen Wegzugsbesteuerung. 36 § 209 Abs. 3 BAO. 37 Doralt/Mayr, § 6 EStG Rz. 391. 38 EuGH v. 29.11.2011, Rs. C-371/10 National Grid Indus, IStR 2012, 27.

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ment) und der Wegzugsstaat Stundungszinsen sowie eine Sicherung des Abgabenanspruchs verlangen kann.39 Nicht zur Anwendung gelangt das Nichtfestsetzungskonzept bei nicht entgeltlich erworbenen unkörperlichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, wenn für das Wirtschaftsgut im Ausland ein Aktivposten (derivativer Firmenwert) angesetzt wird.40 Damit soll eine doppelte Berücksichtigung von Aufwendungen durch die sofortige Absetzung in Österreich sowie die spätere Abschreibung des Aktivpostens im Ausland vermieden werden. Erfasst werden insbesondere die Überführung selbst geschaffener Patente, Lizenzen, Markenrechte, Urheber- und Verlagsrechte, Warenzeichen, Erfindungen, Rezepturen, Know-how, EDVProgramme sowie originärer Firmenwerte.41 Die Steuerschuld wird von jenen (Inlands-)Aufwendungen festgesetzt, die bereits als Betriebsausgaben zu berücksichtigen waren. Weist der Steuerpflichtige die Aufwendungen nicht nach, gelten 65 % des Fremdvergleichspreises, höchstens jedoch der im Ausland angesetzte Aktivposten, als Aufwendungen für das Wirtschaftsgut. 6. Internationale Umwandlungen Das öUmgrStG kennt keinen allgemeinen Ver- und Entstrickungstatbestand. Vielmehr existieren punktuelle, zum Teil nicht konsistente Regelungen in einzelnen Umwandlungstatbeständen.42 Im Wesentlichen werden dabei aber die einkommensteuerrechtlichen Ver- und Entstrickungsgrundsätze umgesetzt. Für grenzüberschreitende Fusionen innerhalb des EU-Raums stellt die Verschmelzungsrichtlinie43 die gesellschaftsrechtliche Rechtsgrundlage dar. Bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen mit Drittstaatsgesellschaften – also Gesellschaften mit EU-fremdem Personalstatut – ist _____________ 39 Vgl. Gurtner/Hofbauer-Steffel/Kofler, Die Wegzugsbesteuerung bei Gesellschaften, taxlex-EU 2012/9. Bei nachträglicher Festsetzung der Steuerschuld sind aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung keine Anspruchszinsen (§ 205 BAO) zu entrichten. Eine wie auch immer geartete Verpflichtung zur Sicherstellung des Abgabenanspruchs besteht nicht. 40 Nach § 4 Abs. 1 öEStG gilt für unkörperliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die nicht entgeltlich erworben wurden, ein Aktivierungsverbot. Mit derartigen Wirtschaftsgütern zusammenhängende Aufwendungen stellen somit sofort wirksame Betriebsausgaben dar. 41 Laudacher in Jakom5 EStG § 6 Rz. 155. 42 Siehe etwa § 1 Abs. 2 öUmgrStG, § 16 Abs. 1 Satz 2 öUmgrStG. 43 Richtlinie 2005/56/EG v. 26.10.2005, ABl. EG 2005 L 310, 1.

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fraglich, ob die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV zur Anwendung gelangen kann.44 Nach h. A. kommen jedoch § 219 öAktG und § 96 öGmbHG als gesellschaftsrechtliche Rechtsgrundlagen in Betracht, sofern das ausländische Verschmelzungsrecht eine vergleichbare Rechtswirkung sowie eine vergleichbare Dokumentation vorsieht. Wenngleich die Praxis der österreichischen Firmenbuchgerichte in diesem Zusammenhang uneinheitlich ist, kann auf zahlreiche Referenztransaktionen mit Drittstaaten (z. B. Schweiz, Liechtenstein) verwiesen werden. Aufgrund der zivilrechtlichen Anknüpfung des öUmgrStG kommt bei Eintragung der Verschmelzung im Firmenbuch Art. I öUmgrStG mit der Rechtsfolge der auch steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge zur Anwendung.

III. Hinzurechnungsbesteuerung Im österreichischen Ertragsteuerrecht gibt es keine den Regelungen des dAStG nachgebildete Hinzurechnungsbesteuerung. Die steuerliche Abschirmwirkung einer ausländischen Körperschaft setzt freilich auch nach österreichischen ertragsteuerlichen Grundsätzen voraus, dass das ausländische Rechtsgebilde als eigenes Steuersubjekt anzuerkennen ist. Die Beurteilung der Steuersubjektivität erfolgt anhand eines auf das Venezuela-Urteil des deutschen RFH45 zurückgehenden Typenvergleichs der ausländischen Gesellschaft mit einer inländischen Kapitalgesellschaft. Kommt man dabei zu dem Ergebnis, dass ein eigenständiges Körperschaftsteuersubjekt vorliegt, schließt das Trennungsprinzip einen Durchgriff auf die dahinterstehenden Gesellschafter grds. aus. Darüber hinaus sind die Grundsätze der Einkünftezurechnung sowie die Missbrauchsbestimmung des § 22 BAO zu beachten. Als mögliche Rechtsgrundlage, nach der die primäre Abschirmwirkung ausländischer Gesellschaften ausnahmsweise durchbrochen werden kann, kommt § 42 InvFG in Betracht. Nach dieser Regelung gelangt bei ausländischen Kapitalanlagefonds, also bei nach Grundsätzen der Risikostreuung angelegten Vermögen, ungeachtet der Rechtsform das Transparenzprinzip zur Anwendung.46 _____________ 44 BGH v. 13.9.2004, II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 für eine British Virgin Islands Gesellschaft. 45 RFH v. 12.2.1930, VI A 899/27, RStBl. 1930, 444, RFHE 27, 73. 46 Darüber hinaus ist eine in der überwiegenden Zahl der Fälle nachteilige Pauschalbesteuerung vorgesehen.

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Eine Missbrauchsvorschrift, die auf die Verlagerung passiver Einkünfte auf Tochtergesellschaften in Niedrigsteuerländern abstellt, ist § 10 Abs. 4 öKStG. Diese Regelung sieht eine Versagung der Befreiung sowohl für laufende Gewinnanteile als auch für Veräußerungsgewinne vor,47 wenn Umstände vorliegen, die den Verdacht von Steuerhinterziehung oder Missbrauch begründen.48 Ein Durchgriff durch die ausländische Kapitalgesellschaft findet dadurch nicht statt. Derartige Umstände liegen insbesondere dann vor, wenn – der Unternehmensschwerpunkt der ausländischen Gesellschaft darin besteht, sog. Passiveinkünfte (Zinsen, Mieten, Lizenzen, Veräußerungsgewinne) zu erzielen und – die ausländische Tochter keiner der öKSt vergleichbaren Steuer unterliegt (ausländische Durchschnittsteuerbelastung = 15 %). Liegt nach Maßgabe des § 10 Abs. 4 öKStG ein Missbrauchsverdachtsfall vor, kommt es anstelle der Befreiung zu einer Entlastung von der ausländischen Steuer im Wege der indirekten Anrechnung (§ 10 Abs. 6 öKStG).49 Ziel dieses sog. „Methodenwechsels“ von der Befreiungs- zur Anrechnungsmethode (auch „Switch-over“) ist die Herstellung einer Gesamtsteuerbelastung in Höhe der öKSt unter gleichzeitiger Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbelastung von Ausschüttungen.50 Scheitert eine vollumfängliche Anrechnung der ausländischen Körperschaftsteuer bei der dividendenempfangenden österreichischen Muttergesellschaft, ist seit dem AbgÄG 201151 als Reaktion auf die Rspr. des EuGH52 ein antragsgebundener Anrechnungsvortrag für die anrechenbare ausländische Körperschaftsteuer – nicht jedoch für die einbehaltene Quellensteuer – vorgesehen. Eine ähnliche – jedoch im Vergleich zu § 10 Abs. 4 öKStG verschärfte – Missbrauchsvorschrift stellt § 10 Abs. 5 öKStG für Portfoliobeteiligungen dar. Nach dieser kommt es zur Versagung der Befreiung für Gewinnanteile aus Beteiligungen an EU-Tochtergesellschaften sowie Toch_____________ 47 Die Missbrauchsvorschrift richtet sich also gegen die „sekundäre Abschirmwirkung“; Kolfler in Achatz/Kirchmayr, § 10 KStG Rz. 262. 48 Näher präzisiert durch VO, BGBl. II 2004, 295. 49 Der Wechsel zur Anrechnungsmethode gilt nur im Falle laufender Beteiligungserträge, nicht jedoch für Veräußerungsgewinne. 50 Kolfler in Achatz/Kirchmayr, § 10 KStG Rz. 312. 51 BGBl. I 2011/76. 52 EuGH v. 10.2.2011, Rs. C-436/08 u. C-437/08 Haribo und Salinen AG, IStR 2011, 299.

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tergesellschaften in Staaten, mit denen eine umfassende Amtshilfe besteht, sofern eine der folgenden Voraussetzungen zutrifft:53 – Die ausländische Tochter unterliegt im Ausland keiner der öKSt vergleichbaren Steuer; oder – Die Gewinne der ausländischen Tochter unterliegen im Ausland einer der öKSt vergleichbaren Steuer, deren anzuwendender Steuersatz < 15 % beträgt (im EU-Raum derzeit Bulgarien, Irland und Zypern); oder – Die ausländische Tochter ist im Ausland Gegenstand einer umfassenden persönlichen oder sachlichen Befreiung. Wie im Falle des § 10 Abs. 4 öKStG kommt es bei Versagung der Befreiung nach § 10 Abs. 5 öKStG zum Methodenwechsel. Auch hier gelangt o. a. Anrechnungsvortrag zur Anwendung.

IV. DBA-Politik Eine kleine Volkswirtschaft wie Österreich ist in besonderem Maße auf gut funktionierende internationale Wirtschaftsbeziehungen angewiesen. Ein dichtes Abkommensnetz ist dabei von großer Bedeutung. Österreich verfügt derzeit mit mehr als 90 Staaten über DBA auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen.54 Österreich präferiert in den Vertragsverhandlungen mit DBA-Partnerstaaten grds. die Befreiungsmethode.55 Bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa Art. 22 Abs. 2 Buchst. b DBA Bahrein und Art. 23 Abs. 1 Buchst. b DBA San Marino sind in den österreichischen DBA keine Aktivitätsvorbehalte enthalten. Darüber hinaus finden sich in der Mehrzahl der österreichischen DBA keine subject-to-tax-Klauseln.56 Eine prominente Ausnahme stellt etwa Art. 15 Abs. 4 DBA Deutschland dar, wonach im Falle der Nichtbesteuerung von Einkünften aus nicht selbstständiger Arbeit im Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht im Ansässigkeitsstaat besteht und Letzte_____________ 53 Auf das in § 10 Abs. 4 öKStG enthaltene Kriterium der Passivität wird nicht abgestellt. 54 Eine Liste der österreichischen DBA mit Vertragstexten ist zu finden unter www. bmf.gv.at/steuern/fachinformation/internationalessteu_6523/diesterreichischend_ 6527/_start.htm?q=Liste DBA. 55 Für eine eingehende Analyse der österreichischen DBA-Politik siehe Lang, Überlegungen zur österreichischen DBA-Politik, SWI 3/2012, 108. 56 Siehe dazu Schilcher, Subject-to-tax-Klauseln in der österreichischen Abkommenspraxis (2004) in Lang, Schriftenreihe zum Internationalen Steuerrecht, Band 33.

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rer die Einkünfte nicht nach Art. 23 freistellen muss. Nach gegenwärtiger Rechtslage sind keine Fälle eines sog Treaty-override bekannt.57

V. Gesellschaftsteuer Anders als Deutschland erhebt Österreich nach wie vor eine Gesellschaftsteuer. Diese erfasst die Zufuhr von Eigenkapital an inländische Kapitalgesellschaften. Neben dem im § 2 Z. 1 KVG geregelten Haupttatbestand des Ersterwerbs von Gesellschaftsrechten an einer inländischen Kapitalgesellschaft (Erwerb bei Gründung und Kapitalerhöhung) existieren zahlreiche Neben- und Ergänzungstatbestände. Bemessungsgrundlage ist gem. § 7 KVG der Wert der Gegenleistung, i. d. R. also der Geldbetrag, den der Gesellschafter für den Erwerb der Gesellschaftsrechte entrichtet; subsidiär ist der Wert der Gesellschaftsrechte maßgebend. Der Steuersatz beträgt 1 % (§ 8 KVG). In der Praxis bestehen zur Vermeidung der Gesellschaftsteuer Gestaltungsmöglichkeiten, z. B. im Wege eines sog. „Großmutterzuschusses.“58

B. Besteuerung auf Gesellschafterebene I. Keine Erbschaft- und Schenkungsteuer Der VfGH hat im Jahr 2007 die beiden Grundtatbestände des Erbschaftund Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) für gleichheitswidrig erachtet.59 Der Gesetzgeber hat die durch den VfGH eingeräumte Reparaturfrist ungenutzt verstreichen lassen und mit dem SchenkMG 200860 verfügt, dass die Erbschafts- und Schenkungsteuer seit dem 1.8.2008 nicht mehr erhoben wird. Das ErbStG wurde jedoch nicht in seiner Gesamtheit aufgehoben. Vielmehr knüpft der im Zuge der Aufhebung der Erbschaftund Schenkungsteuer neu geschaffene § 121a BAO, der eine Meldeverpflichtung für Schenkungen und Zweckzuwendungen unter Lebenden vorsieht, an das ErbStG an. Zudem verweist das Stiftungseingangssteuergesetz (StiftEG), das die Erbschaft- und Schenkungssteuer für pri_____________ 57 Zum historischen Fall der Außerkraftsetzung des Art. 11 Abs. 3 DBA Spanien durch innerstaatliches österreichisches Recht siehe Lang, Einführung in das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen2, Rz. 58 ff. 58 Vgl. Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II6, 408 f. m. w. N. 59 VfGH v. 7.3.2007, G 54/06 u. a.; VfGH v. 15.6.2007, G 23/07 u. a. 60 BGBl. I 2008/85.

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vatrechtliche Stiftungen und damit vergleichbare Vermögensmassen prolongiert, vereinzelt auf Bestimmungen des ErbStG.

II. Keine Vermögensteuer In Österreich werden keine substanziellen Vermögensteuern erhoben. Der Vollständigkeit halber ist auf die Grundsteuer, die u. a. inländische Betriebsgrundstücke erfasst, hinzuweisen.61

III. Wegzug in die Schweiz Bei einem Wegzug des Gesellschafters einer Kapitalgesellschaft in die Schweiz kommt es zur steuerlichen Entstrickung des Kapitalanteils nach Maßgabe des § 27 Abs. 6 Z. 1 Buchst. b EStG i. d. F. BudBG 201162.63 Anders als nach der Vorgängerbestimmung des § 31 EStG i. d. F. vor BudBG 2011 sind nicht nur wesentliche Beteiligungen, sondern auch Anteile mit einem Beteiligungsausmaß < 1 % betroffen. Der „Wegzug“ erfasst Umstände, die zum Verlust des Besteuerungsrechts Österreichs im Verhältnis zu anderen Staaten hinsichtlich des Kapitalanteils führen. Die Aufdeckung der stillen Reserven kann demzufolge durch zahlreiche unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen ausgelöst werden: Wohnsitzverlegung ins Ausland und Entfall der unbeschränkten Steuerpflicht oder Verlagerung des Mittelpunkts der Lebensinteressen in das Ausland, unentgeltliche Übertragung des Anteils an einen Steuerausländer, Einlage in einen ausländischen Betrieb, für den Österreich kein Besteuerungsrecht hat etc.64 Im Verhältnis zur Schweiz gibt es – anders als im Verhältnis mit EU-Staaten oder EWR-Staaten, mit denen eine umfassende Amts- und Vollstreckungshilfe besteht – nach originär innerstaatlichem Steuerrecht grds. keine Möglichkeit des Besteuerungsaufschubs bis zur tatsächlichen Veräußerung.65 Allerdings ist nach der revidierten Bestimmung des Art. 13 Abs. 4 DBA Schweiz (anwendbar seit 1.1.2004) eine Besteuerung in- und ausländischer Kapitalbeteiligungen anlässlich des Wegzugs untersagt. Gleichzeitig wird dem bisherigen Ansässigkeitsstaat (Österreich) die Möglich_____________ 61 Siehe dazu Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II6 (2011), 367 ff. 62 BGBl. I 111/2010. 63 Die Regelung erfasst nur im Privatvermögen gehaltenes Kapitalvermögen; im betrieblichen Bereich gelangt § 6 Z. 6 EStG (siehe unter A.II.5.) zur Anwendung. 64 Marschner in Jakom5, § 27 EStG Rz. 373. 65 Nichtfestsetzungskonzept; vgl. dazu A.II.5.

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keit der Besteuerung der bis zum Wegzug angewachsenen stillen Reserven eingeräumt.66 Damit kann im Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 4 DBA Schweiz ein Besteuerungsaufschub nach Maßgabe des originär innerstaatlichen Steuerrechts gewährt werden.67 Im Zuzugsstaat (Schweiz) ist ein Step-up zu gewähren.

_____________ 66 In Österreich ist eine Steuerfestsetzung hinsichtlich der im Wegzugsjahr entstandenen Steuerschuld nach Ablauf der absoluten zehnjährigen Verjährungsfrist nicht mehr möglich; EAS 3188 vom 9.12.2010. 67 Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/2, DBA Schweiz, 54; BMF v. 7.3.2012 – 010203/0107-VI/6/2012, Erlass zur Besteuerung von Kapitalvermögen, Rz. 1.2.2.5.1.

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Vor- und Nachteile des schweizerischen Steuerrechts für Unternehmen und natürliche Personen im Vergleich zum deutschen Recht Peter Riedweg Dipl. Wirtschaftsprüfer und Steuerexperte Homburger AG, Zürich

Inhaltsübersicht A. Einführung .................................... 169 B. Gewinn- und Kapitalsteuer ......... I. Gewinnsteuer .......................... 1. Steuersätze .......................... 2. Zinsabzug ............................ 3. Beteiligungsabzug für Dividenden und Kapitalgewinn . 4. Verlustberücksichtigung .... 5. Kapitaleinlageprinzip .......... 6. Hinzurechnungsbesteuerung ...................................... 7. Ver- und Entstrickung ........ II. Kapitalsteuer ...........................

170 171 171 172 173 174 175 177 178 179

C. Einkommens- und Vermögenssteuer ............................................ 180 I. Einkommenssteuer ................. 180 1. Steuersätze .......................... 180

2. Teilbesteuerungs- bzw. Teilsatzverfahren für die Besteuerung von Dividenden ................................. 3. Kapitalgewinne ................... 4. Wegzugssteuer .................... II. Vermögenssteuer .................... 1. Steuersätze .......................... 2. Bewertung von maßgeblichen Beteiligungen ...........

182 182 182 182 182 184

D. Erbschafts- und Schenkungssteuer ............................................ 184 I. Geltendes Recht ...................... 184 II. ErbschaftssteuerreformInitiative .................................. 185

A. Einführung Das schweizerische Steuersystem ist dadurch gekennzeichnet, dass der Bund, die Kantone und die Gemeinden, in einigen Kantonen zusätzlich Bezirke und Kreise aufgrund ihrer Hoheitsgewalt von ihnen unterstellten Personen Leistungen in Form von Steuern und Abgaben für die Erfüllung ihrer staatlichen Aufgaben und Ausgaben erheben. Diese Aufteilung ist geprägt von der geschichtlichen Entwicklung der Schweiz als föderal aufgebauter Staat (vgl. Schaubild 1).

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Riedweg – Schweizerisches Steuerrecht im Vergleich zum deutschen Steuerrecht

Schaubild 1: Hoheitsgebiet der Schweiz mit 26 Kantonen

Der Bund verfügt mittels des Steuerharmonisierungsgesetzes, welches am 1.1.1993 in Kraft trat, über die formelle Gesetzgebungskompetenz für die kantonalen und kommunalen Einkommens- und Vermögenssteuern und Gewinn- und Kapitalsteuern (Art. 129 BV). Das Steuerharmonisierungsgesetz legt die formellen Grundsätze für die Gesetzgebung der Kantone über Steuerpflicht, Steuergegenstand, zeitliche Bemessung der Steuern, Verfahrens- und Steuerstrafrecht fest. Demgegenüber sind die Kantone bezüglich der Festlegung der anzuwendenden Steuersätze frei (keine materielle Steuerharmonisierung).

B. Gewinn- und Kapitalsteuer Der Bund erhebt vom Gewinn der juristischen Personen die Gewinnsteuer. Die Kantone und Gemeinden besteuern sowohl den Gewinn (Gewinnsteuer) als auch das Kapital und die Reserven (Kapitalsteuer). Das kantonale Recht verleiht zudem auch den Kirchgemeinden die Befugnis, die juristischen Personen zu besteuern.

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Riedweg – Schweizerisches Steuerrecht im Vergleich zum deutschen Steuerrecht

I. Gewinnsteuer 1. Steuersätze Gegenstand der Gewinnsteuer ist der Reingewinn der juristischen Person (Art. 57 DBG). Dabei bildet der handelsrechtskonforme Jahresabschluss die Grundlage für die Steuerveranlagung (Maßgeblichkeit der Handelsbilanz). Zum steuerbaren Gewinn zählen sämtliche ordentlichen und außerordentlichen Erträge, wobei für qualifizierende Beteiligungserträge (Dividenden und Kapitalgewinne) der Beteiligungsabzug zur Anwendung gelangt (Art. 69 f. DBG). Als Eigenheit des schweizerischen Gewinnsteuerrechts sind sämtliche Gewinn- und Kapitalsteuern vom steuerbaren Gewinn abzugsfähig (Art. 59 Abs. 1 Buchst. a DBG).

Schaubild 2: Effektive Gewinnsteuersätze bei ordentlicher Gewinnbesteuerung einschließlich Bund, Kantone und Gemeinden

Wie erwähnt, sind die Kantone bezüglich der Festlegung der anzuwendenden Steuersätze frei (keine materielle Steuerharmonisierung). Ent171

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sprechend bestehen aufgrund der Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede bei der ordentlichen Gewinnbesteuerung (vgl. Schaubild 2). Der Trend der Gewinnsteuersatzentwicklung zeigt nach wie vor nach unten. Insbesondere kleinere und mittlere Kantone bezwecken mittels eines attraktiven Steuerklimas mit tiefen Gewinnsteuersätzen Unternehmen anzuziehen. Demgegenüber tun sich die bekannten Industriezentren wie Zürich, Basel und Genf schwer, sich diesem Trend anzuschliessen, da deren Einnahmeausfälle infolge der hohen Anzahl von steuerpflichtigen Unternehmen unvergleichlich grösser wären. 2. Zinsabzug Fremdkapitalzinsen gehören grundsätzlich zu den geschäftsmäßig begründeten Aufwendungen und sind abzugsfähig (Art. 58 Abs. 1 Buchst. a DBG). Eine dem § 8a dKStG („Zinsschranke“) entsprechende Regelung kennt das schweizerische Steuerrecht nicht. Die zweckmäßige und angemessene Finanzierung einer Gesellschaft ist grundsätzlich Sache der Unternehmung und ihrer Beteiligten unter Vorbehalt des Drittvergleichsgrundsatzes. Wenn nahestehende Personen der Unternehmung in ungewöhnlichem Ausmaß Fremdkapital zur Verfügung stellen, um der wirtschaftlichen Doppelbelastung auszuweichen, so kann derjenige Teil dieses Fremdkapitals, dem wirtschaftlich die Funktion von Eigenkapital zukommt, als verdecktes Eigenkapital qualifiziert werden. Das verdeckte Eigenkapital wird zum steuerbaren Kapital und der Zinsaufwand als verdeckte Gewinnausschüttung dem steuerbaren Gewinn hinzugerechnet (Art. 65 DBG). Die Berechnung des verdeckten Eigenkapitals erfolgt in der Praxis schematisch gemäß dem Kreisschreiben Nr. 6 vom 6.6.1997 der Eidgenössischen Steuerverwaltung (save harbor rules), wobei der betroffenen Unternehmung der Nachweis der Drittkonformität ihrer Finanzierungsstruktur offenbleibt. Das schweizerische Steuerrecht kennt mit Ausnahme der mehrwertsteuerlichen Gruppenbesteuerung (Art. 13 Abs. 1 MwStG) keine steuerliche Organschaft oder Konsolidierung.1 Entsprechend können insbesondere bei Firmenübernahmen die Fremdkapitalzinsen der teilweise fremdfinanzierten und einzig für den Erwerb errichteten Akquisitionsgesellschaft („acquisition company“) nicht gegen den steuerbaren Ertrag _____________ 1 Es ist denkbar, dass im Rahmen der nächsten Unternehmenssteuerrechtsreform III eine konsolidierte Besteuerung eingeführt wird.

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der erworbenen Gesellschaft („target“) verrechnet werden. Auch eine Verschmelzung der Akquisitionsgesellschaft mit der erworbenen Gesellschaft führt oft nicht zum erhofften Ziel, da die schweizerischen Steuerbehörden den Zinsabzug unter Vorgabe einer Steuerumgehung (ungewöhnliches Vorgehen, den wirtschaftlichen Gegebenheiten völlig unangemessen, Absicht der Steuerersparnis) i. d. R. nicht zulassen. Es verbleiben klassische „debt-push-down-Modelle“ mittels gesellschaftsrechtlich maximal möglichen Gewinnausschüttungen und dem Verkauf von Aktiven an die erworbene Gesellschaft, um deren Verschuldungsquote zu erhöhen oder aufwändige, mehrstufige Akquisitionsstrukturen. Eine weitere Schranke bei der Umsetzung von Umstrukturierungen und Finanzierungsmaßnahmen nach einem Beteiligungserwerb besteht in der sogenannten indirekten Teilliquidation (Art. 20a Abs. 1 Buchst. a DBG), wonach der für den Veräußerer (natürliche in der Schweiz ansässige Person) steuerfreie private Kapitalgewinn (Art. 16 Abs. 3 DBG) in steuerbaren Vermögensertrag umqualifiziert werden kann (Art. 20 Abs. 1 Buchst. c DBG). 3. Beteiligungsabzug für Dividenden und Kapitalgewinn Das schweizerische Gewinnsteuerrecht kennt ein attraktives Modell – den Beteiligungsabzug –, um Dividenden von Tochtergesellschaften und Kapitalgewinne aus dem Verkauf qualifizierender Beteiligungen steuerlich freizustellen: – Freistellung Dividendenertrag: Beteiligung mind. 10 % oder Verkehrswert 1 Mio. CHF (Art. 69 Abs. 1 DBG); – Freistellung Kapitalgewinne: verkaufte Beteiligung mind. 10 % und Halteperiode von mindestens einem Jahr (Art. 70 Abs. 4 Buchst. b DBG). Das schweizerische Steuersystem kennt keine Einschränkung der Anwendung des Beteiligungsabzugs für Dividenden von ausländischen Beteiligungsgesellschaften bzw. für Kapitalgewinne aus der Veräußerung ausländischer Beteiligungen, sei es infolge ausländischer passiver Erträge, Mindestbesteuerungsregeln oder subject-to-tax-Regeln (Ausnahme: Tatbestände der Steuerumgehung oder Simulation). Beteiligungsabschreibungen sind als Besonderheit des schweizerischen Steuersystems vom übrigen Ertrag abzugsfähig, soweit aus der abzuschreibenden Beteiligung im Abschreibungsjahr keine (Substanz-)Dividende fließt. Bei späterer finanzieller bzw. wirtschaftlicher Erholung der 173

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Tochtergesellschaft kommt es jedoch zu einer Nachversteuerung (Art. 62 Abs. 4 DBG); andernfalls ist die Abschreibung endgültig. Viele größere und insbesondere auch international tätige schweizerische Unternehmen haben diese Abschreibungsmöglichkeit genutzt, was zu erheblichen Ausnahmeausfällen für den Fiskus führte. Gleiches gilt grundsätzlich auch bezüglich des Schuldzinsenabzugs. Zwar sind anteilige Fremdkapitalzinsen (proportionale Aufteilung nach Aktiven zu Buchwerten) von den freizustellenden Dividendenerträgen in Abzug zu bringen (Art. 70 Abs. 1 DBG), jedoch nur insoweit, als eine Dividende von der jeweiligen Tochterbeteiligung auch tatsächlich zufließt. Ist dies nicht oder nicht in der Höhe der anteiligen Schuldzinsen der Fall, können die Schuldzinsen von dem übrigen steuerbaren Ertrag in Abzug gebracht werden. Diese Möglichkeit des Schuldzinsenabzugs wird steuerplanerisch oft zu einem „debt push down“ genutzt: Verkauf einer Beteiligung an schweizerische Gruppengesellschaft gegen verzinsliches Fremdkapital. Gemäß Art. 70 Abs. 1 DBG ist vom freizustellenden Beteiligungsertrag ein anteiliger Verwaltungsaufwand von 5 % in Abzug zu bringen, wobei der Nachweis des effektiv geringeren Verwaltungsaufwands vorbehalten bleibt. Neben dem Beteiligungsabzug kennt das schweizerische Steuerrecht auf Kantons- und Gemeindestufe zusätzlich den sogenannten Holdingstatus, wonach Kapitalgesellschaften, deren Aktiva zu Verkehrswerten mindestens zu zwei Dritteln aus Beteiligungen bestehen oder deren Erträge mindestens zu zwei Dritteln aus Beteiligungserträgen stammen, gänzlich von der Gewinnsteuer befreit sind (Art. 28 Abs. 2 StHG). 4. Verlustberücksichtigung Das schweizerische Steuerrecht kennt grundsätzlich keine betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung, weder prozentual noch der Höhe nach2, jedoch ist die zeitliche Vortragsmöglichkeit gemäß Art. 67 DBG auf sieben Jahre beschränkt3. Die bestehenden Verlustvorträge unterliegen auch keinerlei Einschränkungen bei Veräußerung oder Umstrukturierung der Unternehmung (keine „change-of-control“-Klauseln). Ausgenommen davon ist der Tatbestand des sogenannten Mantel_____________ 2 Eine Mindestbesteuerung kennt das schweizerische Steuersystem nicht. 3 Es ist denkbar, dass im Rahmen der Unternehmenssteuerrechtsreform III eine zeitlich unbefristete Verlustverrechnung eingeführt wird.

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handels; d. h. der Veräußerung einer wirtschaftlich liquidierten Gesellschaft4. Ausländische Betriebsstättenverluste sind gemäß Art. 52 Abs. 3 DBG im Entstehungsjahr abzugsfähig, soweit sie im Betriebsstättenstaat nicht bereits berücksichtigt werden konnten (z. B. durch Verlustrücktrag).5 Eine Nachversteuerung erfolgt jedoch, wenn in den nachfolgenden sieben Jahren diese Verluste im Betriebsstättenstaat steuerlich verrechnet bzw. verwertet werden konnten6. Insbesondere international tätige schweizerische Banken und Versicherungsgesellschaften haben in den letzten Jahren ausländische Betriebsstättenverluste in Milliardenhöhe „importiert“ und steuerlich genutzt. Infolge der zeitlichen Beschränkung auf sieben Jahre ist oft nicht mit einer Nachversteuerung zu rechnen. 5. Kapitaleinlageprinzip Mit Wirkung zum 1.1.2011 trat das Kapitaleinlageprinzip in Kraft. Demnach sind Rückzahlungen von Einlagen, die von den Inhabern der Beteiligungsrechte geleistet wurden, steuerlich freigestellt (Art. 20 Abs. 3 DBG, Art. 5 Abs. 1 VStG). Gestützt auf diese neue gesetzliche Basis haben insbesondere schweizerische, börsennotierte Gesellschaften in erheblichem Ausmaß ihre bisherigen steuerbaren Dividendenausschüttungen durch steuerfreie Kapitalrückzahlungen substituiert, was zu erheblichen Steuerausfällen in dreistelliger Millionenhöhe führte. Diese Steuerausfälle wurden in der schweizerischen Presse mehrfach (heftig) kritisiert und u. a. auch dem Bundesrat eine grobe Fehlinformation im Vorfeld der entsprechenden Volksabstimmung vom 24.2.2008 vorgeworfen. Politiker von links und rechts wie auch einige Steuerrechtswissenschaftler verlangten daraufhin eine Einschränkung des Kapitaleinlageprinzips – insbesondere wurde bzw. wird auch in Anlehnung an das deutsche Recht eine steuerliche Prioritätenregelung gefordert, wonach zuerst alle steuerbaren offenen Reserven (Bilanzgewinn, Gewinnvortrag, übrige Reserven etc.) auszuschütten wären und erst danach steuerfreie Kapitalrückzahlungen geleistet werden könnten. Zum heutigen Zeit_____________ 4 Einschränkend bezüglich Annahme Mantelhandel BGE v. 4.1.2012 – 2C_351/2011. 5 Ein Konzept der „finalen Verlustberücksichtigung“ kennt das schweizerische Steuersystem nicht. 6 Ausnahme Kanton Zürich (§ 57 Abs. 3 StG ZH) mit definitiver Verlustübernahme im Jahr des Betriebsstättenverlustes aufgrund internationaler quotenmäßiger Ausscheidung ohne Nachversteuerung.

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punkt beschäftigt sich der Ständerat mit dieser Thematik.7 Auf einen positiven Ausgang mit Beibehaltung der gegenwärtig liberalen Ausgestaltung des Kapitaleinlageprinzips ist zu hoffen, erscheint allerdings gegenwärtig als unsicher. Der Schaden einer restriktiven Lösung, wie beispielsweise einer Prioritätenregelung, wäre für den Unternehmensstandort Schweiz allerdings unter den Gesichtspunkten der Standortattraktivität, der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung sowie der Finanzierungsneutralität beträchtlich.8

_____________ 7 Der Autor dieses Artikels wurde im August als Experte zu den Hearings der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates eingeladen. 8 Vgl. dazu ausführlich Matteotti/Riedweg, Ausschüttungsschranke und Prioritätsregel für Kapitaleinlagen, ST 2011/10, 776 ff.

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Schaubild 3: Vergleichende Darstellung der Position der Schweiz nach Einführung des Kapitaleinlageprinzips9

6. Hinzurechnungsbesteuerung Das schweizerische Steuersystem kennt keine den Regelungen des deutschen Außensteuergesetzes vergleichbare oder nachgebildete Hinzurechnungsbesteuerung von Gewinnen ausländisch beherrschten Gesellschaften oder eine „Controlled Foreign Corporation (CFC)“-Gesetzgebung. Nach dem schweizerischen Steuerrechtsverständnis sind ausländische Staaten grundsätzlich souverän in ihrer Entscheidung, ob, wie und wann sie Unternehmensgewinne von in ihrem Land ansässigen Kapitalgesellschaften besteuern wollen. Entsprechend ist es auch nicht an der Schweiz, diese Souveränität durch einseitige schweizerische steuerrechtliche Maßnahmen aufzuheben bzw. zu beeinträchtigen. Ausgenommen davon sind Tatbestände wie Steuerumgehung und Simula_____________ 9 Gegenwärtige liberale gesetzliche Behandlung der Rückzahlung von Kapitaleinlagen ohne Beschränkung.

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tion.10 Einziger zu beachtender Vorbehalt ist derjenige der möglichen Ansässigkeit der ausländischen Gesellschaft (z. B. Tochtergesellschaft) infolge ihrer tatsächlichen Verwaltung in der Schweiz (Art. 50 DBG, Art. 9 VStG). 7. Ver- und Entstrickung Die Verlegung des Sitzes, der Verwaltung eines Geschäftsbetriebs oder einer Betriebsstätte einer Kapitalgesellschaft ins Ausland ist der Liquidation gleichgestellt (Art. 58 Abs. 1 Buchst. c DBG, Art. 4 Abs. 2 VStG). Dieser qualifizierte Übertragungssachverhalt löst die Wegzugsbesteuerung aus. Es erfolgt eine sogenannte steuersystematische Realisierung. Es stellt sich allerdings die Frage, in welchem Umfang über die stillen Reserven abzurechnen ist. Kommt der strenge gesetzliche Wortlaut der Liquidationsfiktion und damit der steuerlichen Abrechnung, gestützt auf Zerschlagungs- bzw. Liquidationswerte (ohne Goodwill), zur Anwendung? Oder ist vielmehr die Veräußerungsfiktion anzuwenden, wie dies der Wortlaut für die Besteuerung von Personengesellschaften vorsieht (Art. 18 Abs. 2 Satz 2)? Gemäß vorherrschender Lehre sowie der Praxis der Steuerbehörden ist eine Bemessung zu Fortführungswerten (einschließlich allfälligem Goodwill) anzuwenden, soweit die Gesellschaft, der Geschäftsbetrieb oder die Betriebsstätte im Ausland tatsächlich als Ging Concern weitergeführt wird.11 Die Wertbestimmung erfolgt grundsätzlich nach dem Drittvergleichsgrundsatz (Art. 9 Abs. 1 OECD-MA; OECD Transfer Pricing Guidelines, Chapter IX Business Restructurings). Verbleiben die Vermögenswerte der sitzverlegenden Gesellschaft in einer schweizerischen Betriebsstätte, kann die Gewinnbesteuerung unterbleiben.12 Demgegenüber erfolgt keine steuersystematische Realisation beim Zuzug eines ausländischen Unternehmens in die Schweiz. Gestützt auf das Prinzip der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Bilanz der zuziehenden Unternehmung sind deren bisherige (ausländische) Buch_____________ 10 Vgl. BGE v. 9.5.1995, Panama-Entscheid mit Unterstellung eines Treuhand- bzw. Auftragsverhältnisses, sowie v. 30.1.2006, zur Steuerumgehung und Verweigerung der Anerkennung der rechtlichen Persönlichkeit von Offshore-Gesellschaften. 11 Brülisauer/Poltera in Zweifel/Athanas, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht I/2b, Art. 58 N 280. 12 Kreisschreiben Nr. 5 Umstrukturierungen vom 1.6.2004 der Eidgenössischen Steuerverwaltung, Rz. 4.1.2.2.2 am Beispiel der Absorption einer schweizerischen Gesellschaft durch eine ausländische Gesellschaft.

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werte zu übernehmen und weiterzuführen. Diesbezüglich besteht eine Asymmetrie zwischen Wegzug und Zuzug (Art. 58 Abs. 1 Buchst. c DBG [Liquidationsfiktion] versus Art. 58 Abs. 1 Buchst. a DBG [Buchwertprinzip]). Gemäß der Beurteilung durch die schweizerischen Steuerbehörden verbiete sich beim Zuzug eine rein steuersystematische Aufwertung, da dazu eine gesetzliche Grundlage fehle. Nach Auffassung des Autors dieses Beitrags bedarf es allerdings einer solch expliziten gesetzlichen Grundlage gar nicht, da sich diese Rechtsfolge – nämlich die steuersystematische Aufwertung beim Zuzug und damit die spätere Nichtbesteuerung von im Ausland erwirtschafteten stillen Reserven – automatisch aus der Gesetzessystematik ergibt.13

II. Kapitalsteuer Gegenstand der Kapitalsteuer ist das Eigenkapital, das sich aus dem Grundkapital, den offenen und als Gewinn versteuerten stillen Reserven sowie aus dem verdeckten Eigenkapital zusammensetzt (Art. 29 Abs. 2 Buchst. a StHG). Für die Steuerberechnung ist das Eigenkapital am Ende der Steuerperiode aufgrund des handelsrechtskonformen Jahresabschlusses maßgebend (Art. 31 Abs. 4 StHG). Wie für die Gewinnsteuer legt das Steuerharmonisierungsgesetz die formellen Grundsätze für die Erhebung der Kapitalsteuer fest, während die Kantone bezüglich der Festlegung der anzuwendenden Steuersätze frei sind (keine materielle Steuerharmonisierung). Gleich wie für die Gewinnsteuer sind insbesondere kleinere und mittlere Kantone bestrebt, mittels eines attraktiven Steuerklimas mit tiefen Kapitalsteuersätzen kapitalkräftige Unternehmen anzuziehen (vgl. Schaubild 4). Zudem erlaubt das Steuerharmonisierungsgesetz seit dem 1.1.2009, die Gewinnsteuer an die Kapitalsteuer anzurechnen (Art. 30 Abs. 2 StHG). Von diesem Recht haben zwischenzeitlich die meisten Kantone Gebrauch gemacht (Ausnahme Kanton Zürich). Aufgrund der in den meisten Kantonen anwendbaren tiefen Steuersätze einerseits _____________ 13 Beispielsweise in Analogie zur steuerneutralen Kapitaleinlage nach Art. 60a DBG oder zur Aufdeckung und Besteuerung stiller Reserven beim Statuswechsel in eine privilegiert besteuerte Gesellschaft gemäß Art. 28 Abs. 2 bis 4 StHG (vgl. dazu auch BGE v. 12.3.2012 in STE 2012, B 72.19, Nr. 15 im umgekehrten Fall) oder zur Aufdeckung stiller Reserven bei Umwandlung eines steuerbefreiten Instituts des öffentlichen Rechts in eine ordentlich besteuerte Gesellschaft gemäß Kreisschreiben Nr. 5 Umstrukturierungen vom 1.6.2004 der Eidgenössischen Steuerverwaltung, Rz. 4.2.5.2.1.

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und aufgrund der Anrechnungsmöglichkeit der Gewinnsteuer andererseits hat die Kapitalsteuer für die meisten juristischen Personen keine große Bedeutung mehr. Es erscheint absehbar, dass die Kapitalsteuer als Substanzsteuer künftig weiter an Bedeutung verlieren und möglicherweise gänzlich abgeschafft wird.

Schaubild 4: Kapitalsteuersätze bei ordentlicher Besteuerung einschließlich Kantone und Gemeinden

C. Einkommens- und Vermögenssteuer Der Bund erhebt vom Einkommen der natürlichen Personen die Einkommensteuer. Die Kantone und Gemeinden besteuern sowohl das Einkommen (Einkommensteuer) als auch das Vermögen (Vermögenssteuer). Das kantonale Recht verleiht zudem auch den Kirchgemeinden die Befugnis, die natürlichen Personen zu besteuern.

I. Einkommenssteuer 1. Steuersätze Gegenstand der Einkommenssteuer ist das Einkommen, d. h. der Einkommensbetrag nach Berücksichtigung der Abzüge (Gesamtreinein180

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kommensbesteuerung). Darin kommt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zum Ausdruck. Auch bezüglich der Einkommenssteuer legt das Steuerharmonisierungsgesetz die formellen Grundsätze für die Gesetzgebung der Kantone fest. Demgegenüber sind die Kantone bezüglich der Festlegung des anzuwendenden Steuersatzes frei (keine materielle Steuerharmonisierung). Entsprechend bestehen aufgrund der Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede der Einkommensbesteuerung (vgl. Schaubild 5). Der Trend der Steuersatzentwicklung zeigt nach wie vor nach unten. Insbesondere kleinere und mittlere Kantone bezwecken mittels eines attraktiven Steuerklimas mit tiefen Einkommens- und Vermögenssteuersätzen potente Steuerpflichtige anzuziehen. Demgegenüber tun sich die größeren Zentrumskantone wie Zürich, Basel und Genf schwer, sich diesem Trend der Steuersatzreduktion anzuschließen, da diese mit hohen Zentrumslasten/Ausgaben belastet sind.

Schaubild 5: Steuersätze bezogen auf ein Bruttoeinkommen von 500.000 CHF einschließlich Bund, Kantone und Gemeinden14

_____________ 14 Dargestellt wird, welche Einkommensteuerlast bei einem Bruttoeinkommen von 500.000 CHF in den Kantonshauptstädten (Ausnahme Kanton SZ: Gemeinde Wollerau anstelle Hauptort Schwyz) unter Berücksichtigung von geschätzten Standardabzügen anfällt.

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2. Teilbesteuerungs- bzw. Teilsatzverfahren für die Besteuerung von Dividenden Seit dem 1.1.2009 kennt die Schweiz zum Zweck der Milderung der wirtschaftlichen Doppelbelastung das Teilbesteuerungs- bzw. Teilsatzverfahren (Art. 20 Abs. 1 DBG, Art. 7 Abs. 1 StHG) für die Besteuerung von Dividendeneinkünften aus maßgeblichen Beteiligungen von mindestens 10 %. Auf Bundesstufe beträgt die Entlastung 40 %, in den Kantonen variiert die Entlastung zwischen 40 bis 80 %.15 3. Kapitalgewinne Kapitalgewinne auf beweglichem Privatvermögen (inkl. Wertschriften und Beteiligungen) sind steuerfrei (Art. 16 Abs. 3 DBG, Art. 7 Abs. 4 Buchst. b StHG) mit Ausnahme der kantonalen und kommunalen Grundstücksgewinnsteuer auf Liegenschaften (Art. 12 StHG). Zu beachten sind allerdings Sondervorschriften bezüglich der indirekten Teilliquidation bei Unternehmensverkäufen und der Transponierung bei Beteiligungseinbringungssachverhalten (Art. 20a Abs. 1 Buchst. a und b DBG), welche beide auf eine Umqualifizierung des steuerfreien Kapitalgewinns in steuerbaren Vermögensertrag abzielen. 4. Wegzugssteuer Die Schweiz kennt keine Wegzugssteuer für natürliche Personen – weder auf Bundes-, Kantons- noch auf Gemeindeebene.

II. Vermögenssteuer 1. Steuersätze Gegenstand der Vermögenssteuer bildet das Reinvermögen (Art. 13 Abs. 1 StHG). Die Vermögenssteuer stellt auf die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ab. Entsprechend können Schulden vom _____________ 15 In vier wichtigen Urteilen vom 25.9.2009 (BGer v. 25.2.2009 – 2C.724/2008 [Kanton Bern], v. 25.9.2009 – 2C.30/2008 [Kanton Zürich], v. 25.9.2009 – 2C.62/ 2008 [Kanton Basel-Landschaft], v. 25.9.2009 – 2C.49/2008 [Kanton Schaffhausen]) entschied das Bundesgericht, dass das Dividendenprivileg von Art. 7 Abs. 1 Satz 2 StHG zwar verfassungswidrig ist, in den meisten Fällen aber aufgrund von Art. 190 der Bundesverfassung angewendet werden muss. Unzulässig sind dagegen der Ausschluss von ausländischen Beteiligungen vom Dividendenprivileg sowie summenmässig festgelegte Beteiligungsquoten. Vgl. dazu ausführlich Oesterhelt in ST 2010, 141 ff.

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Vermögen abgezogen werden. Der Vermögenssteuer kommt im Vergleich zur Einkommenssteuer eine eher untergeordnete Bedeutung zu (nur wenige Steuerpflichtige, die erhebliche Vermögenssteuerbeträge entrichten). Für die Steuerbehörden hat sie jedoch die Funktion eines Kontrollmittels, da die Angaben über das Vermögen Rückschlüsse auf das Einkommen eines Steuerpflichtigen erlauben. Auch bezüglich der Vermögenssteuer legt das Steuerharmonisierungsgesetz die formellen Grundsätze für die Gesetzgebung der Kantone fest, während dessen die Kantone bezüglich der Festlegung des anzuwendenden Steuersatzes frei sind (keine materielle Steuerharmonisierung). Entsprechend bestehen aufgrund der Steuerkonkurrenz zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede der Vermögensbesteuerung (vgl. Schaubild 6). Der Trend der Steuersatzentwicklung zeigt nach wie vor nach unten.

Schaubild 6: Steuersätze bezogen auf ein steuerbares Vermögen von 10 Mio. CHF einschließlich Kantone und Gemeinden16

_____________ 16 Vermögenssteuerbelastung in den Kantonshauptstädten (Ausnahme Kanton SZ: Gemeinde Wollerau anstelle Hauptort Schwyz).

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2. Bewertung von maßgeblichen Beteiligungen Das Vermögen ist grundsätzlich zum Verkehrswert zu bewerten, wobei der Ertragswert angemessen zu berücksichtigen ist (Art. 14 Abs. 1 StHG). So werden beispielsweise nicht börsennotierte Wertpapiere (einschließlich maßgeblicher Beteiligungen) zu ihrem inneren Wert bewertet. Zu diesem Zweck hat die Schweizerische Steuerkonferenz (Kantonale Steuerverwaltungen und Eidgenössische Steuerverwaltung) eine Wegleitung zur Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert für die Vermögenssteuer herausgegeben, welche die Bewertung schematisch regelt.17 Der steuerlich maßgebliche Wert von Beteiligungen wird i. d. R. aufgrund der zweimaligen Gewichtung des Ertragswerts (gewichteter Durchschnitt von zwei bis drei zurückliegenden Geschäftsjahren; Kapitalisierungszinssatz zurzeit 8.5 %) und der einmaligen Gewichtung des Substanzwerts berechnet. Bei Minderheitsanteilen kann i. d. R. ein Pauschalabzug von 30 % in Abzug gebracht werden.

D. Erbschafts- und Schenkungssteuer I. Geltendes Recht Die Steuerhoheit für die Erhebung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer steht einzig den Kantonen zu. Sie ist die wichtigste indirekte Steuer, die von den Kantonen erhoben wird. Die Erbschaft- und Schenkungssteuern sind in der Schweiz nicht harmonisiert. So erhebt beispielsweise der Kanton Schwyz keine Erbschafts- und Schenkungssteuern. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer erfasst den Rechtsübergang vom Erblasser bzw. Schenker auf den bzw. die Begünstigten. Steuersubjekt sind bei der Erbschaftssteuer die Erben und Vermächtnisnehmer, bei der Schenkungssteuer die Beschenkten. Von der Steuerpflicht ausgenommen sind insbesondere Zuwendungen an Institutionen mit gemeinnütziger Zwecksetzung. Zahlreiche Kantone sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, auch Zuwendungen und Nachlässe an den Ehegatten und an die Nachkommen von der Erbschaft- und Schenkungssteuer zu befreien.

_____________ 17 Wegleitung zur Bewertung von Wertpapieren ohne Kurswert für die Vermögenssteuer, Kreisschreiben Nr. 28 vom 28.8.2008.

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Nachfolgend sind als Beispiel die relevanten maximalen Steuersätze (ab 1.5 Mio. CHF steuerpflichtiger Betrag) für den Kanton Zürich dargestellt: – – – – – – – –

Ehegatte Nachkommen Eltern Großeltern Geschwister Stiefeltern Onkel/Tante Übrige

befreit befreit 6% 12 % 18 % 24 % 30 % 36 %

II. Erbschaftssteuerreform-Initiative Insbesondere die Befreiung der Nachkommen von der Erbschafts- und Schenkungssteuer in den vergangenen Jahren als Folge des Steuerwettbewerbs zwischen den Kantonen hat linke politische Kreise dazu geführt, eine Initiative zur Erhebung einer eidgenössischen Erbschaftssteuer zu lancieren.18 Die entsprechende Unterschriftensammlung – notwendig sind 100 000 Unterschriften von in der Schweiz stimmberechtigten Bürgern – läuft zurzeit. Die Initiatoren bezwecken, die von ihnen als intransparent und ungleich wahrgenommene Besteuerung von Kanton zu Kanton zu beseitigen, indem die Zuständigkeit für die Erbschafts- und Schenkungssteuer von den Kantonen auf den Bund übergeht. Erwartet wird von den Initiatoren ein künftiges jährliches Steueraufkommen von ca. 3 Mrd. CHF (man spricht von „Abschöpfung“). Davon sollen zwei Drittel in den Ausgleichsfonds der staatlichen Sozialversicherung (AHV) und ein Drittel an die Kantone fließen. Die wichtigsten Eckpunkte dieser Erbschaftssteuerreform-Initiative sind: – – – – – –

Ehegatte befreit alle Übrigen 20 % Freibetrag 2 Mio. CHF Übergang eines Unternehmens – Freibetrag 8 Mio. CHF Übergang eines Unternehmens – Steuersatz 10 % Faktische Vorwirkung ab 1.1.2012 für Schenkungen

_____________ 18 Eidgenössische Volksinitiative „Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)“.

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Es wird allgemein erwartet, dass die Initiative zustande kommt. Danach wird abzuwarten sein, ob der Bundesrat und/oder das Bundesparlament der Initiative einen Gegenvorschlag gegenüberstellen. Die eidgenössische Volksabstimmung wird aller Voraussicht nach nicht vor dem Jahr 2014 stattfinden und sofern diese oder ein Gegenvorschlag vom schweizerischen Volk angenommen werden sollte, wird ein neues schweizerisches Erbschafts- und Schenkungssteuerrecht wohl frühestens im Jahr 2016 in Kraft gesetzt. Bezüglich der Volksabstimmung bedarf es kumulativ einer Mehrheit der Stimmberechtigten sowie einer Mehrheit der Stände (Kantone). Letzteres – das Ständemehr – wird infolge der Beschneidung der kantonalen Souveränität nicht einfach zu erreichen sein.

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