Geschichtsschreibung und Kult: Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg. In der Übersetzung von Klaus R. Böhme [1 ed.] 9783428480401, 9783428080403

133 94 38MB

German Pages 323 Year 1994

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Geschichtsschreibung und Kult: Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg. In der Übersetzung von Klaus R. Böhme [1 ed.]
 9783428480401, 9783428080403

Citation preview

SVERKER OREDSSON

Geschichtsschreibung und Kult

Historische Forschungen Band 52

L' Archeveques Reiterstandbild Gustav Adolfs auf dem Gustav-Adolf-Markt in Stockholm.

Geschichtsschreibung und Kult Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg

Von

Sverker Oredsson In der Übersetzung von

Klaus R. Böhme

Duncker & Humblot · Berlin

Die schwedische Originalfassung des Textes erschien 1992 in Lund unter dem Titel ,.Gustav Ado1f, Sverige och Trettioäriga kriget. Historieskrivning och kult".

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Oredsson, Sverker:

Geschichtsschreibung und Kult : Gustav Adolf, Schweden und der Dreissigjährige Krieg I von Sverker Oredsson. In der Übers. von Klaus R. Böhme. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Historische Forschungen ; Bd. 52) ISBN 3-428-08040-8 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-08040-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier gemäß der ANSI-Norm für Bibliotheken

Vorwort Am 9. Dezember 1894 feierte man in Schweden das bis jetzt größte patriotische Fest. Es war der 300. Geburtstag Gustav Adolfs. Auch in Deutschland fand das Jubiläum sehr große Beachtung. Unter anderem erschienen aus diesem Anlaß Arbeiten von Dietrich Schäfer, Max Lehmann, Heinrich von Treitschke und Franz Mehring. Es freut mich, daß die deutsche Ausgabe meines Buches im Jubiläumsjahr 1994 erscheint. Ich danke dem Verlag Duncker & Humblot, daß er daran interessiert ist, schwedische Geschichtsforschung im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. Vor allem danke ich meinem Freund Klaus-Richard Böhme, daß er seine großen Sprach- und Geschichtskenntnisse für die Übersetzung eingesetzt hat. Humanistiska-samhällsvetenskapliga forskningsrädet hat durch seine finanzielle Unterstützung zur Finanzierung der deutschen Auflage beigetragen. Das Bild von L'Archeveques Reiterstandbild Gustav Adolfs, das auf dem Gustav-Adolf-Markt in Stockholm steht, hat mir das Stockholmer Stadtmuseum zur Verfügung gestellt. Lund, im Dezember 1993

Sverker Oredsson

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . .. . .. . . .. .. . .. . .. . . . . .. . .. . .. . .. .. .. .. . . . . . . . .. .. . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . .. .

11

I. Ausgangspunkte und Zielsetzung .. .. . . . .. . . . . .. .. .. . .. . .. .. . .. . . . . .. . . .. . .. .

11

II. Präzisierungen ... ... .. . . . . .. ... .. . . .... ... .. . . .. .. .. ... .. ... ... .. . . . . . .. . .. . ...

13

III. Der theoretische Rahmen .. . .. . .. . .. .. .. . .. . . . . . . .. .. . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. .

17

IV. Abgrenzungen und Gliederung .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .

20

V. Historiographische Arbeiten über Gustav II. Adolf .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... ..

23

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert) .... .. .. .. .... .. .

26

I. Unter dem Eindruck des Krieges .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

26

II. Die ersten Geschichtswerke . .. . .. .. . .. . . . . . . .. . . .. .. . .. .. . .. . .. .. .. . . . . . . . .. .

30

C. Ausländer schildern die schwedische Geschichte (18. Jahrhundert) . . . . . .

35

I. Das Ausland und Gustav Adolf .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

35

II. Gustav Adolf und Schweden im 18. Jahrhundert

41

D. Geschichtsschreibung und Kult (1800-1850) ...... .. .......... .... .. .. .. .. .. .

45

I. Deutschland . . .. .. . .. .. . . . . . . .. . .. .. .. . .. . . . . . . . .. . . . .. . .. .. . . . . .. .. . . . . . .. . . . . .

45

II. Schweden . .. . . .. .. . .. .. . . . . .. . .. . . . . .. . .. . . . . .. . .. .. .. . .. . .. . .. .. .. . .. . .. .. .. . . .

53

E. Die Debatte über und der Kult um Gustav Adolf erreichen ihren Höhepunkt (1850-1914) .. ........... ..... . ........ ...... ................................

65

I. Deutschland .. . . . . .. . .. . . . . . . .. . . . . . .. . .. . .. . . . . .. . . .. . .. . .. . . .. . .. . . . . .. . . . . .. .

65

1. Katholische Geschichtsschreibung .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. . .. .. .. .

65

2. Gustav Adolf -

Idealist oder Realpolitiker? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

3. Der Gustav Adolf der Apologeten .. .. .. . .. . .. .. .. . .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .

73

4. Neue Gesichtspunkte .. . . . .. . . . . . . .. .. . .. .. . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . .. ..

80

5. In der Belletristik .. .. . .... ... .. .. .... .. .. .. . .. ... .. .. ...... .. .. .. . .. .. .... .

85

6. Zusammenfassung . . . . .. . . .. . . . . .. . .. . . . . . . . . . .. .. . .. . .. .. .. . .. . . . .. .. . .. ..

89

II. Die Beiträge Frankreichs und Englands .. . .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . . . . .. .. ..

91

8

Inhaltsverzeichnis III. Schweden und Finnland 1. Schwedische und finnische Gustav-Adolf-Forschung um die Mitte des

96

Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

2. Die große Debatte über und der große Kult um Gustav Adolf . . . . . . .

100

3. Die Gustav-Adolf-Forschung um die Jahrhundertwende .. . . . . . . . . . .. .

119

4. In der Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

5. Die schwedische Kirche und Gustav Adolf .. .. .. .... .. .... .. .. .. .. .. ...

125

6. Gustav Adolf wird gefeiert und inspiriert als Heldenkönig . . . . . . . . . . .

131

7. Die deutsch-schwedischen Beziehungen. Zusammenfassung . .. . . . .. . .

138

F. Im gleichen Sinne weiter (1914-1945) ................................... .. .....

146

I. Deutschland .. . .. . . . . .. . . . . .. . .. . .. . .. .. . .. . .. . . . . . .. .. . . . .. . .. . . .. . .. . .. .. . .. . .

146

1. Heldenkult und Nationalsozialismus -

eine Richtung der deutschen Geschichtsforschung . . . .. . .. . .. .. . .. . .. .. . . . .. .. .. . .. . .. . .. . . .. .. . . . . .. .. . .

146

2. In den Fußstapfen der katholischen Tradition .. .. .... .. ...... . .. .. . . .. .

159

3. Milch, Brandi und Hegemann .. ... . .. ... .. .. .. .. ... ...... ... ... .... .. .. ..

162

II. England und Frankreich

164

III. Schweden und Finnland

166

1. Immer noch eine idealisierende Geschichtsschreibung ......... . . . . . .. .

166

2. Die marxistische Geschichtsschreibung . ...... .... .. ............... . . . . . .

177

3. Curt Weibull, Ingvar Anderssan ....................................... ..

180

4. Das Gustav-Adolf-Jubiläum 1932 .................................... . .. .

183

IV. Zusammenfassung ................................. . ......................... ..

190

G. Der Kult wird schwächer (1945-1990) ....... ....... .. . .... .................. ..

193

I. Deutschland ............ . . . .. .... ..... .. .... .. ........ .. .. .. .............. . ... ..

193

1. Die deutsche idealistische Geschichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

2. Die marxistische Geschichtsschreibung .. .. .. .. .. .... ... ... ... .. .. .. .. ...

201

3. Die übrige deutsche Gustav-Adolf-Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Übersichtswerke .. . . . . .. . .. . .. . .. .. . . . . .. . .. . . .. .. . .. . . . . .. .. . .. . .. . .. . .. . ..

208

5. Zusammenfassung . . . . .. .. . .. . .. .. . .. . ... .. . . . . .. . . . .. . ... ... .. ... . . . . . . . ..

216

II. Die Geschichtsschreibung außerhalb Deutschlands und Schwedens . . . . . 217 1. Michael Roberts .. . . . . . .. .. . .. . .. .. . . . . .. . .. .. .. . . . .. . .. . .. .. . .. . .. .. .. . . . ..

217

2. Ein großes internationales Interesse .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. . 223 3. Die Krise des 17. Jahrhunderts und der absolutistische Staat .........

234

111. Schweden .. . .. .. . . . . .. . . . . . .. . . . .. . .. .. . . .. . .. . . . . .. . . . .. . .. . .. .. . .. . .. .. .. . . . ..

237

1. Geringeres Interesse . . .. .. . .. .. . .. . . . . .. . .. . . .. .. . . . .. . . .. .. . .. . .. .. . . . . . . .

237

2. Grundzüge der schwedischen Debatte . .. . .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. . .. .. .. ..

249

Inhaltsverzeichnis H. Zusammenfassungen

9 256

I. Die Beurteilung des Eingreifens Gustav Adolfs und Schwedens in den

Dreißigjährigen Krieg. Die Geschichte der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

II. Die verschiedenen Erklärungen für das Eingreifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 III. Die Folgen des schwedischen Eingreifens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 IV. Eigene Antworten auf die gestellten Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 V. Wie sich die verschiedenen ,.Wahrheiten" gruppieren .... .. . . ... . . . . . .. . ..

277

Anhang Anlage 1: Chronologie .. ... . .. . . .. ... .. . .. .. .. . .. . . ... .... . .. .. . .. .. ..... ... .. .. . .. .. . . 283 Anlage 2: Das schwedische Kriegsmanifest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286

Anlage 3: Die hier behandelten Verfasser, die sich über Schweden und den Dreißigjährigen Krieg geäußert haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Anlage 4: Die Stellungnahme der Verfasser zu den verschiedenen Erklärungen der Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311

Abkürzungen DHT

Dansk Historisk Tidsskrift

HT

Svensk Historisk Tidskrift

RAP

= Ridderskapet och Adeins Protokoll

SBL

Svenskt Biografiskt Lexikon

Sc

Scandia, Tidskrift för Historisk Forskning

SMoK

Svenska Män och Kvinnor

Die Abkürzungen der Zeitungen siehe im Quellen- und Literaturverzeichnis.

A. Einleitung I. Ausgangspunkte und Zielsetzung Am 26. Juni 1630 landete das schwedische Heer unter Gustav Adolf auf der Insel Usedom vor der pommerseben Küste. Damit griff Schweden in den großen Krieg ein, der seit 12 Jahren in den verschiedenen Teilen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation tobte. Daß Schweden gerade am 26. Juni eingriff, ist oftmals symbolisch gedeutet worden, denn genau 100 Jahre zuvor hatten die Protestanten das Augsburgische Bekenntnis angenommen. Schwedens Eingreifen in den Konflikt, der sich allmählich zum Dreißigjährigen Krieg entwickelte, ist ein wichtiges Ereignis in der schwedischen und der europäischen Geschichte. Es legte den Grundstein für die kurz währende schwedische Großmachtstellung. Das Machtverhältnis zwischen den verschiedenen christlichen Bekenntnissen verschob sich. Die Vormachtstellung des Hauses Habsburg in Europa wurde gebrochen. An seiner Stelle übernahm Frankreich eine führende Rolle. Die Macht der deutschen Territorialstaaten wurde auf Kosten der Reichsgewalt gestärkt. Der Krieg und damit das Leiden des deutschen Volkes wurden verlängert. Warum griff Schweden in den Krieg ein? Und welche Folgen hatte das schwedische Eingreifen? Vor allem die erste Frage ist seit 1630 immer wieder gestellt worden. Keine andere Frage der schwedischen Geschichte ist so oft behandelt worden. Gleichzeitig hängen beide Fragen eng miteinander zusammen. Sowohl wenn man die Gründe für das schwedische Eingreifen als auch - und in noch höherem Maße - wenn man dessen Folgen untersucht hat, sind die Antworten weitgehend von den oftmals sehr grundsätzlichen Wertungen der Verfasser gefärbt worden. In dieser Arbeit versuche ich, den Antworten auf beide Fragen durch die Jahrhunderte hindurch zu folgen. Einige Antworten auf die zweite Frage sind selbstverständlich. Im folgenden Unterabschnitt gebe ich näher an, was mich an der Frage interessiert. Ein führender schwedischer Historiker, lngvar Andersson, hat gesagt: "Der sich ändernden Einstellung Gustav Adolf gegenüber von den zeitgenössischen Huldigungen und Streitschriften über 300 Jahre bis in unsere Tage zu folgen, ist schon für sich genommen, eine Forschungsaufgabe, die niemals in Angriff genommen worden ist. Sie könnte es wert sein, denn Gustav Adolf ist einer der

12

A. Einleitung

wenigen Schweden, die man den weltgeschichtlichen Persönlichkeiten zurechnen kann". 1 Ich versuche also hier, diesen Wunsch Ingvar Anderssous teilweise zu erfüllen. Das schwedische Eingreifen in den großen deutschen Krieg ist das Ereignis, das während der Regierung Gustav Adolfs die größte europäische Bedeutung hatte, und es hat daher besonders viele Versuche veranlaßt, es zu erklären und auszulegen. Wie im folgenden hervorgehen wird, war das deutsche Interesse an beiden Fragen mindestens ebenso groß wie das schwedische. Außerdem werden uns britische, französische, amerikanische, österreichische, schweizerische, sowjetrussische und tschechoslowakische Versuche begegnen, sie zu klären. Während schwedische Historiker auch die Rolle Gustav Adolfs für die innerschwedische Entwicklung untersucht haben, hat sich das "nicht schwedische" Interesse vor allem auf Gustav Adolfs und Schwedens Eingreifen in den deutschen Krieg konzentriert. Es ist hinreichend bekannt, daß Klio eine gefesselte Muse ist. 2 Diese Fesseln bestehen in zeitgenössischen geistigen Vorstellungen, den Traditionen und den Wertungen, denen Historiker und andere Verfasser unterliegen. Die Person Gustav Adolfs verlockt zur Untersuchung, da es eine in Schweden gängige Vorstellung ist, daß über ihn, anders als über Karl XII., Einigkeit besteht. Eine zeitliche und geographische Umschau zeigt jedoch, daß über Gustav Adolf und Schwedens Eingreifen in den Krieg erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. In dieser Frage sind die Fesseln Klios verschiedener Art. Sie sind durch nationale, konfessionelle und politische Unterschiede geprägt. Außerdem fällt auf, daß es einige Jahrhunderte dauerte, ehe sie wirklich als Streitfragen diskutiert wurden. Diese Diskussion wurde dann weitere 100 Jahre intensiv geführt, ehe sie allmählich abklang. Es ist recht natürlich, daß die "wissenschaftliche", "objektive" Geschichtsschreibung Schwierigkeiten hat, diese genannten Fesseln nationaler, konfessioneller und politischer Art abzustreifen. Diese Schwierigkeiten werden im Teilabschnitt über den theoretischen Rahmen eingehender behandelt. Mir geht es in erster Linie darum zu untersuchen, ob man ein Muster für die verschiedenen Auffassungen über Schwedens Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg ausmachen kann, ein Muster, festgelegt durch Traditionen und Wertungen. Weitere Ergebnisse der Untersuchung müßten sein: -

Eine Übersicht über die sehr reichhaltige Literatur zu diesem Thema.

-

Wie Gustav Adolf, Schweden und der Dreißigjährige Krieg gesehen werden, ermöglicht es gleichzeitig, einen Ausschnitt der schwedischen und deutschen Ideengeschichte zu studieren.

I lngvar. Andersson, Nachwort zur Taschenbuchausgabe von Nils Ahnlunds Arbeit "Gustav Adolf der Große". 2 Der Ausdruck "die gefesselte Clio" ist in Schweden dank der ausgezeichneten Arbeit Hugo Valentins mit dem gleichnamigen Titel zum Begriff geworden.

II. Präzisierungen

-

13

Die unterschiedlichen Antworten auf die Frage, warum Schweden in den Dreißigjährigen Krieg eingriff und welche Folgen dies hatte, können vielleicht auch dazu beitragen, die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Gründen und Folgen zu vertiefen.

II. Präzisierungen Wenn man fragt, weshalb Schweden in den Krieg eingriff, liegt es nahe, diese Frage zunächst an die zeitgenössischen schwedischen Machthaber zu stellen, vor allem an den König selber. Gustav Adolf läßt uns nicht im Stich. Er hat seine Antworten gegeben. Ehe er sich nach Deutschland einschiffte, ließ er ein Kriegsmanifest auf deutsch, schwedisch, lateinisch, französisch und englisch veröffentlichen. Das Manifest erschien in 23 Auflagen. 3 In dem Manifest wird ausgeführt, der König hätte sich stets um Frieden bemüht, vor allem in Deutschland. Sowohl Deutsche als auch andere hätten ihn gebeten, in den deutschen Krieg einzugreifen, um den Kriegsbrand zu löschen. Der König wäre dazu früher nicht bereit gewesen, aber andere Umstände wären eingetreten. Seine Gegner in Deutschland hätten 1626 einen schwedischen Kurier, der auf dem Weg zu Bethlen Gabor, dem Fürsten von Siebenbürgen, war, gefangengenommen und ins Gefängnis geworfen. Außerdem hätten die deutschen Kriegstreiber Polen aufgefordert, keinen Frieden mit Schweden zu schließen und versprochen, Hilfe zu leisten, sowie die deutschen Stände besiegt wären. Schweden wäre die Werbung von Soldaten in Deutschland verweigert worden. Dagegen wäre Herzog Adolf von Holstein 1627 unter kaiserlicher Falute den Polen zu Hilfe geeilt. Schwedische Kaufleute wären in deutschen Hafenstädten trakassiert worden. Der Feind hätte begonnen, eine Flotte zu schaffen und den unerhörten Titel "Genral über das baltische Meer" verliehen. All dies wäre unerträglich, da der Schutz dieser Gewässer seit altersher Sache des schwedischen Königs wäre. Abgesandte der Stadt Stralsund hätten 1628 den schwedischen König aufgesucht und ilut um Hilfe gebeten. Die Stadt hätte dem Kaiser nichts getan. Dennoch würde sie von den kaiserlichen Truppen als Feindin behandelt. Der schwedische König hielte Stralsunds Sache für gerecht und wollte die Stadt nicht in ein Seeräubernest verwandelt sehen. Daher unterstütze der König Stralsund. Da der schwedische König Frieden wünsche, wollte er, daß die Streitigkeiten wegen Stralsunds auf den Friedensverhandlungen zwischen dem Kaiser und dem König von Dänemark in Lübeck beigelegt würden. Aber die schwedischen Delegaten wären schimpflich behandelt worden. Auf das von iluten überreichte Schrei3 K. Repgen, Kriegslegitimation in Alteuropa. Entwurf einer historischen Typologie. Historische Zeitschrift, Bd. 241 , Heft 1, S. 44.

A. Einleitung

14

ben hätten sie keine Antwort erhalten, und ihnen wäre mitgeteilt worden, daß sie sich nicht in Deutschland aufhalten dürften. Der Freiherr Sten Bielke, den der schwedische Reichsrat entsandte, um zu verhandeln, hätte mit eigenen Augen feststellen können, wie in allen Häfen Vorbereitungen für einen Raubzug gegen Schweden getroffen wurden, und ein Heer unter dem kaiserlichen Feldmarschall Arnim wäre ausgeschickt worden, um Polen gegen Schweden zu helfen. Der Herzog von Friedland (Wallenstein) wollte nicht verhandeln. In dieser Situation stünde dem schwedischen König das ius defensionis zu. Er dürfe Gewalt mit Gewalt begegnen. 4 Die Frage nach den Gründen für das schwedische Eingreifen in den Krieg hätte somit als beantwortet gelten können, hätte sich die Nachwelt völlig mit den Ausführungen des Königs begnügt. Nach und nach sind aber viele andere Erklärungen für diese Gründe gegeben worden. Im Folgenden werden die im-Laufe der Jahrhunderte vorgebrachten Erklärungen für diese Gründe zusammengefaßt. 1. Historiker haben sich teilweise oder völlig darauf berufen können, was der König in dem schwedischen Kriegsmanifest selbst gesagt hat. 2. Schweden griff zugunsten des Protestantismus in Deutschland, Europa und der Welt ein. Das geschah, weil der Protestantismus, wäre er in Deutschland vernichtet worden, überall sonst, auch in Schweden, bedroht gewesen wäre. 3. EineVariante letztgenannter Erklärung lautet, Gustav Adolf trat in den Krieg ein, um für Glaubens- und Gewissensfreiheit zu kämpfen. 4. Gustav Adolf griff als Werkzeug Gottes in den Krieg ein oder im Namen der Geschichte. Er und sein Volk verstanden zu handeln und erkannten ihre Berufung. 5. Das Eingreifen geschah, um die deutsche Verfassung mit der starken Stellung der Territorialstaaten und der Stände zu retten. Die deutsche "Libertät" sollte gerettet werden. 6. Das Eingreifen war durch die Sorge um das europäische Gleichgewicht bedingt. Die Hegemonie Österreichs sollte gebrochen werden. 7. Gustav Adolf griff ein, weil ein Sieg des katholischen Deutschlands seine Stellung und die seines Geschlechts gefährdet hätte. 8. Schweden griff ein, weil ihm aufgrund der Erfolge der kaiserlichen und katholischen Heere in Deutschland Gefahr drohte. Besonders gefährlich waren die Pläne, in der Ostsee eine kaiserliche Flotte zu schaffen. 9. Es war ein Angriffs- und kein Verteidigungskrieg. Einer der Gründe dafür könnte der Ehrgeiz des Königs gewesen sein. Auch ist die Frage gestellt 4

Kriegsmanifest auf deutsch. Hier in der Anlage gedruckt.

li. Präzisierungen

15

und mit "ja" beantwortet worden, ob er deutsch-römischer Kaiser oder Kaiser über ein Ostseeimperium werden wollte. 10. Der schwedische Angriffskrieg hatte vor allem wirtschaftliche Gründe, die Bestrebung, die Oder- und auch die Wesermündung zu beherrschen. Der Wunsch, Absatz für das schwedische Kupfer zu finden, könnte auch eine Rolle gespielt haben. 11. Es war ein Angriffskrieg, aber es war weniger Gustav Adolf, der auf ihn hinsteuerte, als vielmehr die feudale schwedische Oberschicht, die so ihre Interessen verfolgte. Natürlich können diese verschiedenen Erklärungen miteinander kombiniert werden und derartige Kombinationen sind auch vorgenommen worden. Wenn im Folgenden von der idealistischen Geschichtsschreibung gesprochen wird, ist damit die gemeint, die die unter 2 bis 5 genannten Erklärungen anführt. Entsprechend können die unter 6 bis 9 gebotenen Erklärungen hauptsächlich als machpolitischer Art gelten und die unter 10 und 11 genannten vor allem als wirtschaftlicher. In der Gruppe machtpolitischer Erklärungen unterscheidet sich jedoch die unter 9 aufgeführte grundsätzlich von den anderen, indem sie nämlich von einem Angriffs- und nicht von einem Verteidigungskrieg spricht und zwischen ihr und den unter 10 und 11 gebotenen Erklärungen besteht somit ein Zusammenhang. Zwei Erklärungen unterscheiden sich ihrem Wesen nach von den übrigem, nämlich 4 und 11. Sie sagen weniger über die Gründe sondern stellen vor allem die Behauptungen auf, Gustav Adolf wäre das Werkzeug Gottes, der Geschichte oder der schwedischen feudalen Oberschicht gewesen. In einem zusammenfassenden Abschnitt werde ich auf die verschiedenen hier aufgeführten Erklärungen der Gründe zurückkommen. Die zweite Frage, auf welche dit! gegebenen Antworten untersucht werden sollen, lautet: Welche Folgen hatte das schwedische Eingreifen? 18 Jahre nach dem schwedischen Eingreifen in den Krieg wurde der Westfälische Frieden geschlossen. Schweden erhielt Vorpommern und Teile Hinterpommerns, einschließlich der Inseln Rügen, Usedom und Wollin, das Erzbistum Bremen (ohne die Stadt Bremen), das Stift Verden und die Stadt Wismar mit umliegendem Gebiet. Durch den deutschen Krieg setzte sich Schweden in Deutschland fest und konnte damit Dänemark erfolgreich von Süden her angreifen. Dadurch wiederum erhielt Schweden 1645 im Frieden von Brömsebro Jämtland und Härjedalen, Gotland und Ösel sowie auf dreißig Jahre Halland. 13 Jahre später, im Frieden von Roskilde 1658, trat Dänemark Halland endgültig an Schweden ab, das außerdem Schonen, Blekinge und Bohuslän erhielt.

16

A. Einleitung

Die französischen Gebietsansprüche waren bescheidener als die Schwedens. Aber im Westfälischen Frieden erhielt es etliche Brückenköpfe am Rhein, die Hoheitsrechte im Elsaß und die schließliehe Bestätigung des Besitzes der 1552 in Lothringen erworbenen Hochstifte Metz, Toul und Verdun. Frankreichs Kampf mit den spanischen Habsburgern ging weiter und wurde erst durch den Pyrenäenfrieden 1659 beendet. Frankreich erhielt nun die Grafschaften Artois und Hennegau in den Spanischen Niederlanden und die Grafschaft Roussillon in den östlichen Pyrenäen. Was die übrigen territorialen Veränderungen durch den Dreißigjährigen Krieg betrifft, dürfte es in diesem Zusammenhang genügen, darauf hinzuweisen, daß Brandenburg den größeren Teil Hinterpommerns und damit eine recht lange Ostseeküste erhielt. Was das Verhältnis zwischen den christlichen Konfessionen betraf, legte der Friede von 1648 fest, daß der Stand vom 1. Januar 1624 gelten sollte. Das war für die Protestanten erheblich günstiger, als wenn 1629, der Zeitpunkt des bei ihnen verhaßten Restitutionsedikts, als Stichjahr bestimmt worden wäre, wonach der Stand des Religionsfriedens von Augsburg 1555 gegolten hätte. Nach 1555 hatte der Protestantismus sich nämlich erheblich ausgebreitet. Noch wichtiger unter religiösem Gesichtspunkt jedoch war, daß nun Reformierte mit Katholiken und Lutheranern gleichgestellt wurden. Deutschlands Zersplitterung wurde durch den Westfälischen Frieden verstärkt. Das galt sowohl in religiöser als auch in machtpolitischer Hinsicht. Die deutschen Territorialstaaten erhielten eine derart starke Stellung, daß sie sogar das Recht hatten, mit ausländischen Staaten Bündnisse abzuschließen. Es ist natürlich einfach, die Friedensbedingungen zu nennen. Sie an sich haben auch keine Diskussion unter den Historikern veranlaßt Hier soll auch nicht erörtert werden, welche innenpolitischen Konsequenzen der Krieg für Schweden hatte, und auch nicht, inwieweit er dazu beitrug, Schweden in den europäischen Kulturkreis zu integrieren, und wie die schwedische Kultur durch die ungeheure Menge der in Deutschland geraubten Kunstschätze Impulse erfuhr. Hier werden andere Beurteilungen der Historiker behandelt: 1. Wurde der Protestantismus durch das schwedische Eingreifen gerettet? 2. Wurden Gedanken- und Glaubensfreiheit durch die Stärkung des Protestantismus gerettet? Die meisten meinen, Deutschlands Zersplitterung wurde durch Schwedens Eingreifen und durch den Frieden von 1648 weiter verstärkt. 3. War diese verstärkte Zersplitterung positiv? Viele haben die Frage mit ,ja" beantwortet und die Auffassung vertreten, es wäre ein Glück für das Land gewesen, daß es auf die Weise geeint wurde, in

III. Der theoretische Rahmen

17

der es unter Preußen als führendem Staat geschah. Und natürlich haben viele die Frage verneint. Wir wissen, daß der Dreißigjährige Krieg ungeheure Leiden über das deutsche Volk brachte. Darüber, wie groß sie waren, ist eine eingehende Diskussion geführt worden. Durch Krieg, Mord, Hunger und Epidemien konnten die Bevölkerungsverluste in manchen Gegenden zwischen 60 und 70% betragen, während andere Gebiete günstiger davonkamen und sogar aufblühen konnten. Aber dennoch ist Günther Franz, der wohl beste Kenner dieser Frage, der Ansicht, daß etwa 40% der Bevölkerung auf dem flachen Land dem Krieg und den während ihm rasenden Seuchen zum Opfer fielen, während sich die Bevölkerungsverluste in den Städten auf 33% beliefen. 5 Der Krieg verursachte auch ungeheure materielle und kulturelle Schäden. Die Debatte darüber, wie groß Verluste und Schäden waren, wird hier nur gestreift. 4. Von größerem Interesse ist hier, ob Historiker und andere Verfasser Ansichten darüber haben, ob die eventuellen Gewinne des Krieges dieses Sterben und Leiden wert waren. Damit sind sowohl Fragen als auch Antworten für diese Untersuchung genannt worden. Es bleibt herauszufinden, welche Personen die verschiedenen Antworten gegeben haben und - falls ersichtlich - mit welcher Begründung. Zunächst sollen jedoch der theoretische Rahmen der Untersuchung sowie weitere Abgrenzungen angegeben werden.

111. Der theoretische Rahmen Für den theoretischen Rahmen habe ich mich von Michel Foucault und seinem Interesse dafür, wie "Wahrheit" produziert wird, inspirieren lassen. Der 1984 verstorbene französische Kulturhistoriker und Philosoph Michel Foucault hat während der letzten Jahrzehnte unter den Intellektuellen eine große Rolle gespielt. Er ist dort gleichsam einer der führenden Gurus geworden, eine Ironie, denn eine seiner wichtigen Thesen war gerade, den Intellektuellen sollte eine derartige Rolle nicht zugeschrieben werden. Mit dieser Auffassung unterschied er sich z.B. von Sartre. Foucaults Philosophie ist weitgehend durch Gespräche mit Studenten und Kollegen vermittelt worden. Daher wechseln ihre Aussagen und sie sind mitunter schwer zu bestimmen. Das dürfte vermutlich völlig im Sinne Foucaults sein, der die Bedeutung von Theorien nicht zu stark betonen wollte. Das wichtigste an 5 G. Franz, Der Dreißigjährige Krieg und das deutsche Volk. Zur Bevölkerungs- und Agrargeschichte S. 52.

2 Oredsson

18

A. Einleitung

Theorien müßte sein, daß man sie anwenden könnte, andernfalls müßten neue Theorien entwickelt werden. Foucault spricht von dem "spezifischen Intellektuellen", der die Wahrheit nicht gepachtet hat sondern danach strebt, die Wahrheit der Macht und der Privilegien zu entdecken. Foucault gibt an, er wolle darüber schreiben, wie "Wahrheit" produziert wird. "Wahrheit" in Anführungszeichen zu setzen ist wichtig, denn laut Foucault ist es die Macht, die die "Wahrheit" hervorbringt. In einem Gespräch von 1977 mit Bernhard-Henri Levy sagt Foucault, die Historiker würden bald einsehen, daß die Geschichte der westlichen Welt nicht von ihrer Form "Wahrheit" zu produzieren, die dann wiederum eigene Wirkungen hat, isoliert werden könnte. In anderem Zusammenhang sagt er, jede Gesellschaft hätte "its regime of truth ,general politcs' of truth; that is, the types of discourse which it accepts and makes function as true.- ,Truth' is linked in a circular relation with systems of power which produce and sustain it and to effects of power which it induces and which extend it. ,A regime of truth.' " 6 Ich halte die Gedanken Foucaults für fruchtbar für eine Analyse und Schilderung wie Historiker und andere Verfasser einen geschichtlichen Verlauf dargestellt haben, an dem sie aus tiefstem Herzen Anteil nehmen, wenn sie "mit ihrem Herzblut" schreiben. Allgemeine, tiefsitzende Vorstellungen spielen dabei eine größere Rolle als wissenschaftlich spezifische Paradigmen. Wie der Dreißigjährige Krieg und Schwedens Teilnahme an ihm gesehen werden, enthüllt grundlegende Vorstellungen. Das gilt für die Sicht des Kampfes zwischen Protestantismus und Katholizismus, die Schwedens, die des Kampfes zwischen Nord und Süd in Deutschland, die dieses Krieges und die des Krieges im allgemeinen und für die Auffassung, ob gerade dieser Krieg gerechtfertigt war oder nicht. Unter dem Einfluß der Gedanken Foucaults unterscheide ich zwischen drei "Wahrheiten": 1. Die protestantisch-nordgermanische "Wahrheit", 2. Die katholische "Wahrheit" sowie 3. Die Antikriegs-"Wahrheit". 1. Die protestantantisch-nordgermanische "Wahrheit" läßt sich ungefähr so umreißen: Aus guten und ehrenwerten Gründen griff Gustav Adolf in den großen deutschen Krieg ein. Es war die Sorge um "die reine Lehre" in Schweden und Deutschland, vielleicht in Europa. Auch der Verteidigungsaspekt war wichtig, denn Schweden war bedroht. Handelspolitische Aspekte können ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Das Eingreifen hatte nicht nur für Schweden 6 M. Foucault, Language, Counter-Memory, Practice. Selected Essaysand Interviews, S. 207 f . Ders., Politics, Philosophy, Culture, Interviews and other Writings 1977-84, S. XIV, 110 ff. Ders., Power I Know1edge, Interviews and other Writings 1972-1977, S. 131 und 133. Auf der zuletzt angegebenen Seite auch das Zitat.

III. Der theoretische Rahmen

19

günstige Folgen. Der Protestantismus in Schweden, in Deutschland und in der Welt wurde gerettet. Aber damit nicht genug. Auch die Gedankenfreiheit in der Welt wurde gerettet. Zwar wurde Deutschland zerschlagen, aber daß war, in größerem Zusammenhang gesehen, ein notwendiges Opfer. Eine Einheit unter Habsburg wäre äußerst unglücklich gewesen. Es war viel besser, daß Deutschland so geeint wurde, wie es Ende des 19. Jahrhunderts unter preußischer Führung geschah. 2. Die katholische "Wahrheit": Für Schweden gab es keinen stichhaltigen Grund, sich in den deutschen Krieg einzumischen. Schweden war nicht bedroht. Keine deutsche Gruppierung von irgendwelcher Bedeutung wünschte eine schwedische Kriegsteilnahme. Auch war der Protestantismus als solcher in Deutschland nicht bedroht. Die schwedische Teilnahme war nichts weiter als ein Eroberungskrieg. Die Folgen der schwedischen Teilnahme waren verheerend. Nicht nur brachten die 18 Jahre, die Schweden in Deutschland Krieg führte, unerhörtes Leid über das deutsche Volk. Die Reichseinheit wurde zerschlagen. Das deutsche Volk wurde erniedrigt und spürte jahrhundertelang diese Erniedrigung. Gustav Adolf war sicher ein guter König für Schweden. Er war tapfer und fromm. Aber für Deutschland war er ein großes Unglück. 3. Die Antikriegs-"Wahrheit": Krieg ist überhaupt ein Unglück. Krieg löst keine Probleme. Besonders Angriffskriege sind zu verurteilen. Schwedens Teilnahme am deutschen Krieg war ein Eroberungskrieg. Damit verstieß Gustav Adolf gegen die erste Pflicht eines Königs, den Frieden zu bewahren und das friedliche Wirtschaftsleben zu fördern. Der eigentliche Gewinner des Krieges war die feudale schwedische Oberschicht. Selbstverständlich gibt es innerhalb jeder Gruppe viele Nuancen. Das gilt besonders für die protestantisch-nordgermanische Gruppe, zu der sehr viele Verfasser gehören. In einem zusammenfassenden Abschnitt werde ich auf diese Fraktionen zurückkommen und überprüfen, ob die Einteilung befugt war, (oder ob die Forscher und Verfasser anderen Gruppen zugeordnet werden können.) Die Gruppen 2 und 3 stehen sich insofern nahe, als sie beide das schwedische Eingreifen in den Krieg negativ beurteilen. Dennoch scheint es nötig, sie zu unterscheiden. Die katholische Gruppe schätzt das alte Heilige Römische Reich Deutscher Nation hoch ein. Das tut die Antikriegs-Gruppe nicht, oder sie nimmt zu dieser Frage nicht Stellung. Bezeichnend für die Antikriegs-Gruppe ist, daß sie den Krieg und insbesondere die schwedische Teilnahme an ihm verurteilt. Ein weiterer Punkt muß besonders hervorgehoben werden. Man entscheidet sich nicht, wenn man seine Forschungen beginnt, ob man sich der einen oder anderen Gruppe anschließen will. Man ist - um einen theologischen Ausdruck zu gebrauchen - nahezu für seine Gruppe prädestiniert. Ist man Schwede oder Norddeutscher, gehört man ganz natürlich zur ersten Gruppe. Umgekehrt gehört ein süddeutscher Katholik selbstverständlich zur zweiten Gruppe. Und es verwun2*

20

A. Einleitung

dert nicht, in der dritten Gruppe Pazifisten zu finden. Es zeigt sich, daß zur letzten Gruppe auch radikale Marxisten gehören. Der Prozeß der Sozialisierung findet für die jeweilige Gruppe durch Erziehung im Elternhaus, in Schule und Kirche und durch die Wissenschaft statt. Gewiß ist es möglich, die Gruppe zu wechseln, aber das ist nicht leicht. Es hat etwas von Bekehrung an sich, religiös und politisch. Die Schwierigkeit ist desto größer, je mehr "Herzblut" den Text durchtränkt. Das bedeutet, daß es z.B. 1880 erheblich schwerer war von einer Gruppe zu einer anderen zu wechseln als in den 1990er Jahren, in denen das "Herzenblut" oftmals recht verdünnt ist, wenn über diese Zeit und diese Ereignisse geschrieben wird. 7

IV. Abgrenzungen und Gliederung Die zeitliche Abgrenzung ist am einfachsten zu begründen. Ich untersuche die gesamte Geschichtsschreibung von 1630 bis 1990. Was die Propaganda während des Dreißigjährigen Krieges betrifft, stütze ich mich auf neuere Arbeiten, die diese Literatur behandelt haben. Hinsichtlich der geschichtlichen Arbeiten, bin ich vor allem an solchen interessiert, die von professionellen Historikern stammen. Das sind Biographien, Dissertationen, Übersichten und Aufsätze. Unter letzteren finden sich ziemlich viele, die aus Reden anläßtich von Jubiläen hervorgegangen sind. Viele sind daher Huldigungen für die Personen oder die Ereignisse, denen das Jubiläum galt. Das macht sie nicht weniger interessant. Eigentlich sollte ein Historiker auf dem Jubiläum nicht mehr sagen, als er auch danach vertreten kann. Entscheidender aber ist, daß die Wertungen in diesen Festreden besonders deutlich werden. Für gewöhnlich festigen die Wertungen des RednersNerfassers auch die der Zuhörer/Leser. Da Gustav Adolf eine Kultfigur ist, finden wir auch eine Vielzahl von Werken und Aufsätzen anläßlich der großen Jubiläen, und die größten Jubiläen wurden 1894 und 1932 gefeiert. Auch die nichtprofessionellen Historiker sind aufgrund ihrer Qualiftkationen und/oder ihrer gesellschaftlichen Stellung in vielen Fällen von Bedeutung. Hier können Voltaire, Friedrich der Große, Clausewitz, Moltke und Adlersparre genannt werden. Viele an den Universitäten benützte Lehrbücher sind berücksichtigt worden, aber nur ein Schulbuch, nämlich das von C. T. Odhner verfaßte Lärobok i Fäderneslandets historia (Schulbuch zur Geschichte des Vaterlandes). Es nimmt auch eine Sonderstellung ein. Es erschien nämlich erstmals 1870 und dann in 32 Auflagen, von denen die letzte 1964 herauskam. Im übrigen bin ich mir 7 Meine eigene Aufassung zu den konkreten Fragestellungen geht aus den Zusammenfassungen dieser Arbeit hervor.

IV. Abgrenzungen und Gliederung

21

natürlich völlig darüber im klaren, daß die Schulbücher ein sehr wichtiges Instrument zur lndoktinierung der Gesellschaft sind, aber hier mußte eine Grenze gezogen werden. Gedankengang und Wertungen der professionellen Historiker finden ohnehin, wenn auch vereinfacht, allmählich Eingang in die Schulbücher. Selbstverständlich konnte keine vollständige Übersicht über alles, was von den Historikern für erwachsene Leser geschrieben wurde, geboten werden. Aber ein umfassendes Studium der einschlägigen Literatur macht deutlich, welche Historiker, die oft zustimmend oder ablehnend zitiert werden, eine Rolle gespielt haben. Wie aus folgender Tabelle hervorgeht behandle oder streife ich insgesamt 166 Arbeiten, in welchen sich Urteile über Schweden und den Dreißigjährigen Krieg finden. Um welche Verfasser es sich handelt, ist aus einer besonderen Anlage ersichtlich. Die Tabelle zeigt, daß Deutschland und Schweden eindeutig überwiegen. Schweden habe ich - etwas imperialistisch - auch Finnland zugerechnet. Es handelt sich um finnländische Historiker, die als in der schwedischen Tradition stehend betrachtet werden können, Schybergsons und Eirik Hornberg sowie um den schönliterarischen Verfasser Zacharias Topelius. In der Gruppe ,,Andere" finden wir zunächst nur Engländer und Franzosen, aber in der letzten Periode kommen Historiker aus Österreich, der Schweiz, der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und den USA hinzu. 8 Tabelle Behandelte Werke aus verschiedenen Perioden und Ländern

Schweden/ Finnland

Deutschland

17. Jahrhundert 18. Jahrhundert 1800-1850 1850-1914 1914-1945 1945-1990

2 1 6 24 18 14

1 4 7 18 18 23

4 2 21

3 8 13 46 38 58

Insgesamt

65

71

30

166

Andere 3

Insgesamt

8 Schweden I Finnland sind auch Chemnitz und Pufendorf zugerechnet worden, da sie, obwohl Deutsche und deutsch schreibend, im schwedischen Staatsdienst standen. Deutschland wurden Khevenhüller und Schmidt zugerechnet, die Österreicher waren, aber lebten, als noch das alte Deutsche Reich existierte. Dagegen wurden die Österreichischen Historiker, die in der jüngsten Periode schrieben, in die Gruppe "Andere" eingereiht.

22

A. Einleitung

Die besondere Bedeutung jeder dieser 166 Arbeiten ist natürlich sehr unterschiedlich. Bei etwas grober Einteilung ließe sich sagen, daß die Hauptwerke von Chemnitz, Khevenhüller, Schiller, Geijer, Gfrörer, Droysen, Odhner, Mehring, Ahnlund und Roberts bei der Herausbildung der Auffassungen über Schwedens Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg, die Gründe für diesen Eintritt und seine Folgen, eine besonders wichtige Rolle gespielt haben. Außer auf geschichtswissenschaftliehe Arbeiten gehe ich auch auf schönliterarische Werke ein, die das Thema behandeln. Es sind 14 Verfasser und ihre Werke, bei denen es sich um Gedichte, Erzählungen, Romane oder Theaterstücke handeln kann. Hier überwiegen die schwedischen Werke stark, doch hier finden sich auch Arbeiten von Hölderlin, Meyer und Ricarda Huch. Der Kult äußert sich auch in Denkmälern und anderen Werken der darstellenden Kunst. Sieben davon werden behandelt. Einigen Jubiläen, nämlich denen von 1832, 1894, 1932 und 1982, wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Einige Akteure, führende Persönlichkeiten der schwedischen Kirche mit Nathan Söderblom und J. A. Eklund an der Spitze, passen nicht so recht in eine der genannten Kategorien. Die Einteilung in Perioden ist recht einfach und schematisch. Die Geschichtsschreibung in mehreren Ländern, in erster Linie die in Deutschland und Schweden wird untersucht. Das bedeutet, daß jede Periodisierung, die von einem Land ausgegangen wäre, zu Eigenartigkeiten geführt hätte. Hauptsächlich deshalb wurde nach Jahrhunderten bzw. mit 50jährigen Intervallen periodisiert. Allerdings sind die beiden Weltkriege in einem eigenen Zeitabschnitt 1914- 1945 zusammengeführt worden. Tatsächlich handelt es sich dabei hauptsächlich um die Zeit zwischen den Weltkriegen. Während der Kriege entsteht gleichsam eine Lücke in der geschichtswissenschaftliehen Produktion. Es erschien natürlicher, die Grenze 1914 statt 1900 zu ziehen. Entsprechendes gilt für das Jahr 1945 statt 1950. Es ist auffällig, wie fest verwurzelt die Verfasser in der Tradition ihres jeweiligen Heimatlandes stehen. Daher hat ihre Nationalität bei der Gliederung des Stoffes eine wichtige Rolle gespielt. Selbstverständlich gibt es gegenseitige Impulse, die vielleicht vor allem von Deutschland nach Schweden wirken, und ich habe versucht, diese Einflüsse, die in Übersetzungen oder Hinweisen auf gewisse Werke deutlich werden, herauszuarbeiten Eine Frage, die gestellt werden kann, ist, ob ich mich bei der Gliederung des Stoffes zu sehr an Chronologie und Nationalität gehalten habe. Eine andere Möglichkeit der Gliederung hätte darin bestanden, Verfasser und Werke zusammenzuführen, die gleiche Auffassungen vertreten. Doch durch die gewählte Einteilung werden Verfasser und Werke nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen. Auch kann ich so besser den Nuancierungen ihrer Gedankenführung gerecht werden. Durch viele zusammenfassende Abschnitte und abschließende Zusammenfassungen bemühe ich mich, die Übersichtlichkeit weiter zu verbessern.

V. Historiographische Arbeiten über Gustav II. Adolf

23

Falls der Leser wünscht, sich schnell ein Bild von den Linien zu machen, nach denen sich die Bewertung von Gustav Adolf und von Schwedens Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg entwickelten, kann er von der Einleitung sogleich zum Kapitel ,,Zusammenfassungen" übergehen. Dort erfährt er auch, welcher Verfasser sich welcher der verschiedenen Erklärungen der Gründe für Schwedl'n' Eingreifen in den Krieg anschließt und wie er dessen Folgen beurteilt. Wer nicht so zielstrebig vorgeht sondern es mit der schwedischen Dichterio Karin Boye hält, wonach unsere Reise ein Ziel und einen Sinn hat, daß aber gerade der Weg der Mühe wert ist, ist eingeladen, auch die Kapitel zwischen Einleitung und Zusammenfassungen zu lesen.

V. Historiographische Arbeiten über Gustav II. Adolf Auch wenn es keine neuere vollständige beschreibende Bibliographie der Literatur über Gustav Adolf und über den schwedischen Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg gibt, ist diese Literatur natürlich von Zeit zu Zeit zusammengefaßt worden. Oftmals ist eine derartige Zusammenfassung die Einleitung zu einer größeren Arbeit, mitunter liegt sie als selbständige Arbeit vor. Eine der ersten Zusammenfassung stammt von Bernhard Erdmannsdörfer. Er war Schüler von Gustav Droysen und gehörte selber zur preußischen Schule. In Historische Zeitschrift schrieb er 1865 einen Beitrag Zur Geschichte und Geschichtsschreibung des dreißigjährigen Krieges. In dem Artikel läßt sich Erdmannsdörfer über den Unterschied zwischen dem 18. Jahrhundert und seiner Zeit aus. Während des 18. Jahrhunderts wurde der Dreißigjährige Krieg ohne Leidenschaft und im wesentlichen übereinstimmend beurteilt. Die neuere Literatur enthielte dagegen viel mehr leidenschaftliche Beurteilungen des deutschen Kaisers Ferdinand und des schwedischen Königs Gustav Adolf. Erdmannsdörfer ist der katholischen Geschichtsschreibung gegenüber kritisch. 1914 publizierte Ludvig Stavenow, Professor in Uppsala, in Nordisk Tidskrift einen Artikel Gustav Adolfsproblemet och den svenska historieforskningen. Der Beitrag ist sehr übersichtlich und die Forscher werden nicht namentlich genannt. Stavenow führt aus, die schwedische Geschichtsforschung über Schwedens Teilnahme am Dreißigjährigen Krieg, wäre eingeschlafen und hätte das Thema im wesentlichen der deutschen Wissenschaft überlassen. Auf den internationalen Historikertagen in Oslo 1928 hielt Johannes Paul einen Vortrag über Gustav Adolf in der deutschen Geschichtsschreibung. Paul war, wie viele andere Gustav-Adolf-Forscher auch, Greifswalder Historiker und arbeitete zu dieser Zeit an einer Biographie über Gustav Adolf, die in drei Bänden erschien. Paul schätzt Gustav Adolf äußerst positiv ein und ist sehr kritisch gegenüber denen, die er als "ultramontane" Geschichtsschreiber bezeichnet. 9

24

A. Einleitung

Im selben Jahr, 1928, erschien die bis dahin bedeutendste Arbeit über Gustav Adolf in der Literatur. Es war jedoch keine geschichtswissenschaftliehe sondern eine germanistische Dissertation, Gustav Adolf in der deutschen und schwedischen Literatur, die Wemer Milch von der Universität Breslau verfaßt hatte. Wie der Titel sagt, steht die Literatur und nicht die Geschichtsschreibung im Mittelpunkt der Untersuchung, aber Milch geht auch auf sie ein. Außerdem enthält die Arbeit eine ausgezeichnete Bibliographie der Arbeiten über Gustav Adolf. Kurz bevor die Dissertation erschien, versuchte sich Milch auch als Historiker und schrieb Gustav Adolf und der Dreißigjährige Krieg. 1945 veröffentlichte Gustaf Jacobson sein Buch Frdn Geijer till Hjärne. Studier i svensk historieskrivning under 1800-talet Jacobson schildert u.a. die sieben großen wissenschaftlichen Streitfragen im 19. Jahrhundert. Eine galt Gustav Adolf. Gegner waren der Militärhistoriker und liberale Politiker Julius Mankell und der Geschichtsprofessor C. T. Odhner. Jacobson nimmt uneingeschränkt für Odhner Stellung und spricht davon, wie leicht es diesem fiele, Mankeils Gesichtspunkte zurückzuweisen. In The Journal of Modem History 1966 faßt Ernst Ekman, Professor an der University of Carolina, Three Decades on Gustavus Adolphus zusammen. Dort fertigt er die großen Fragen des 19. Jahrhunderts und teilweise auch die der hier vorgelegten Untersuchung ab: "The big questions ofthe nineteenth century carried over especially in Germany until the twentieth century such as: Why did Gustavus Adolphus intervene in Germany? Was he religiously or politically motivated? Was Swedish policy in Germany carefully planned out in advance? etc arenot likely to find any more reasonable answers than we now have. Such questions are so intimately bound up in the psychology of the man and the spirit of his age that they are likely to remain in the last analysis unanswerable." Es dürfte bereits hervorgegangen sein, daß ich im Gegensatz zu Ekman meine, gute Gründe zu haben, die Frage, warum Gustav Adolf in den deutschen Krieg eingriff, zu untersuchen und auch zu erforschen, wie andere Historiker diese Frage behandelt haben. Michael Roberts, der berühmte britische Gustav-Adolf-Forscher, unternimmt in The Swedish Imperial Experience 1560-1718 ( 1979) den Versuch, die schwedischen Geschichtsforscher in verschiedene Schulen einzuordnen. Die "alte Schule" versteht den Aufstieg Schwedens zur Großmacht als Fortsetzung des Kampfes für die Unabhängigkeit von Dänemark und der Hanse. Die "neue Schule" erklärt die Entstehung der schwedischen Großmacht mit wirtschaftlichen Motiven. Schließlich spricht Roberts noch von einer dritten Schule, welche die These vertritt, die feudale Oberschicht hätte die schwedische Expansion vorangetrieben. - Es gibt allen Anlaß, auf diese Einteilung in Schulen zurückzukommen. 9 J. Paul, Gustav Adolf in der deutschen Geschichtsschreibung. Historische Vierteljahrschrift XXV. Jahrgang (1928), Dresden 1931.

V. Historiographische Arbeiten über Gustav II. Adolf

25

1987 hat Werner Buchholz in der Historischen Zeitschrift einen Beitrag veröffentlicht Der Eintritt Schwedens in den Dreißigjährigen Krieg in der schwedischen und deutschen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts. Buchholz meint, das alte, religiös gefarbte Bild von Gustav Adolf wäre seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland weit verbreiteter gewesen als in Schweden. Er geht jedoch nicht auf die katholische Geschichtsschreibung ein und auch nicht auf die ostdeutsche. Vor allem meint Buchholz, die neuere schwedische Geschichtsforschung über die Zeit Gustav Adolfs, nicht zuletzt die von Sven A. Nilsson in Uppsala geleitete, müßte in Deutschland stärker bekannt werden.

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert) I. Unter dem Eindruck des Krieges Es gibt eine Vielzahl von Propagandaschriften zu Gustav Adolf, die zu seinen Lebzeiten oder kurz nach seinem Tod erschienen. Über diese Literatur liegen einige ausgezeichnete Untersuchungen vor. Hier sollen einige ihrer Hauptmotive genannt werden, die ein Licht auf das geistige Klima in Schweden und Deutschland zur Zeit von Schwedens Eintritt in den großen deutschen Krieg werfen. Drei Motivkreise dominieren: der biblische, besonders der alttestamentliche, mit einem Zug von Chiliasmus, der gotische und der klassische. Ich bin der Löw von Mitternacht. Mit dir wil ich frisch fechten, Ich streite ja durch Gottes Krafft, Gott helfe den Gerechten. Das rief nach einem nach dem schwedischen Sieg bei Breitenfeld in Deutschland verbreiteten Flugblatt Gustav Adolf seinem besiegten Gegner Tilly zu. Gustav Adolf war also der Löwe aus Mitternacht, der Löwe aus dem Norden. Damit knüpfte die protestantische Propaganda an eine schicksalsträchtige Symbolik an. Sehr bekannt ist eine Paracelsus ( gest. 1541) zugeschriebene Prophezeihung, wonach ein gelber Löwe aus dem Norden den Adler (d. h. den Kaiser) angreifen und besiegen werde. Vor dem Sieg werden alle möglichen Plagen und Heimsuchungen über die Völker ergehen. Der "mächtige Löwe wird mit seinem kleinen Haufen Gerechter, bestärkt durch den allmächtigen Gott, das Reich des Bösen besiegen, das Zepter des Adlers an sich reißen und sich ganz Europa sowie Teile Afrikas und Asiens unterwerfen. Die Völker werden diesem gottesfürchtigen Herrscher, mächtig durch Wunder- und Großtaten, mit Freuden huldigen." In der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges wurde dieses Löwensymbol der Reihe nach Friedrich V. von der Pfalz, dem böhmischen "Winterkönig", dann dem dänischen König Christi an IV. und danach auf lange Zeit Gustav Adolf zugeschrieben, für den es besonders oft verwandt wurde. Nicht einmal in dem apokalyptisch gesinnten beginnenden 17. Jahrhundert hätte eine Weissagung des Paracelsus größere Beachtung erlangt, wäre sie nicht

I. Unter dem Eindruck des Krieges

27

als fest auf die Bibel fußend aufgefaßt worden. Jesaja spricht von einem Mann, der im Norden erweckt wird und "er hat Statthalter zertreten wie Lehm." Jeremia prophezeit, daß ein Volk aus dem Norden kommen wird und bringt gleichzeitig das Gleichnis von einem Löwen, der aus dem Dickicht der Gegend am Jordan in die fruchtbaren Weiden einbricht. Im Buch Daniel ist die Rede von einem König im Südland, der mächtig werden wird, aber der König im Nordland wird gegen ihn zu Felde ziehen und niemand wird ihm widerstehen können. "Er wird im Prachtlande festen Fuß fassen, und Verwüstung wird von ihm ausgehen," Im vierten Buch Esras, das allerdings nicht zu den kanonischen Schriften gehört, ist von einem Löwen die Rede, der im Wald erweckt wird, um das Urteil des Herren über die ungerechte und grausame Herrschaft des Adlers zu verkünden.1 Daniel hatte von vier Weltreichen gesprochen, von denen das letzte aus Eisen wäre. Das entsprach der Auffassung der klassischen Autoritäten. Sie glaubten an vier Weltreiche, von denen das letzte das römische wäre. Im Mittelalter und bis ins 17. Jahrhundert meinte man, immer noch im römischen Zeitalter zu leben. 2 Der Glaube, daß Gustav Adolf ein von Gott gesandter Löwe wäre, erlitt natürlich durch den Tod des schwedischen Königs Schaden, aber es war möglich, die Symbolik etwas anders auszulegen, so daß die Schweden insgesamt und nicht nur Gustav Adolf als Löwe galten. Nach dem Tod des Königs wurde er nicht nur in den Predigten schwedischer Pfarrer sondern auch in der Dichtung mit den altestarnentliehen Helden verglichen. Als Johannes Bothvidi am 22. Juni 1634 anläßtich der Beisetzung Gustav Adolfs in der ehemaligen Franziskanerkirche predigte, wählte er als Predigttext das erste Makkabäerbuch über Makkabäus' Tod. Dort heißt es, daß ganz Israel viele Tage lang seinen Tod beklagte und daß man rief: "Wie ist der Held gefallen, der Retter Israels!" Gustav Adolf wird auch mit Gideon und Simson aus der Periode der Richter in Israel verglichen und auch mit König Josia in Judäa. Josia ergriff die Waffen, um den Assyriern gegen Pharao Neko beizustehen. Diesen Vergleich stellt u. a. Johannes Rudbeckius in seiner Totenpredigt über Gustav Adolf auf dem Schloß Nyköping an. t Für das Löwen-Motiv wird auf J. Nordström , Lejonet frän Norden, Samlaren 1934 verwiesen. ZitatS. 10. Ahn/und vertritt in seinem Artikel Gustav Adolf, Lejonprofetian och astrologien, HT 1939, die These, Gustav Adolf wäre nicht abergläubisch gewesen und hätte selber diese Prophezeiung nicht ausgenützt. Die Bibelstellen: Jesaja 41: 25, Jeremia 50: 9 und 41 ff. sowie Danielll. Das vierte Buch Esra, Kap. 10 und 12. 2 Die vier Weltreiche waren das assyrisch-babylonische, das medisch-persische, das griechisch-mazedonische und das römische. Die Autorität war vor allem Claudius Ptolemäus (1. Jahrhundert n. Ch.). Siehe Spangenberg, Die Perioden der Weltgeschichte, Historische Zeitschrift 1923.

28

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert)

Sowohl durch die Löwensymbolik als auch durch den Vergleich mit den Gestalten aus dem Alten Testament wurde ausgedruckt, daß er ein Held, aber auch ein Streiter Gottes wäre und daß er für eine gerechte Sache kämpfte. Noch einen Schritt weiter gehen die Dichter, die Gustav Adolf mit einem Pelikan vergleichen, z. B. der finnländische Pfarrer Jacob Petrejus: Ah Swea Götha Pelicaan Konung Gustaf Adolphus För wär wälfärd hans Blood utrahn. (Ach svea-gotischer Pelikan König Gustav Adolf, dessen Blut für unser Heil verrann.) Es ist möglich, besser zu dichten, aber kaum, einen höheren Vergleich zu finden. Vom Pelikan glaubte man, er ernähre seine Jungen mit seinem Blut, so wie Jesus sein Blut und Leben für die Völker der Welt hingegeben hatte. Entsprechend opferte Gustav Adolf sein Leben für sein Volk. Die gustavianische Gruftkapelle in der Riddarholmskirche wird denn auch u. a. von einem goldenen Pelikan geschmückt. 3 Nach Johan Nordström erreichte die gotische Romantik während der Epoche Gustav Adolfs "ihre stärkste Stellung als inspirierende Kraft im Leben der Nation."4 Anläßlich der Krönungsfeierlichkeiten 1617 wurde ein allegorisches Spiel aufgeführt, in dem Gustav Adolf als der gotische Erobererkönig Berik auftrat. Als Gustav Adolf seine Geschichte schreibt, betont er Schwedens Vorrang anderen Königreichen gegenüber, seine Macht werde durch die langen Kriege, die es geführt hätte, unterstrichen. Als Gustav Adolf sich vor der Eröffnung des deutschen Feldzuges 1630 von den Ständen verabschiedete, wandte er sich mit verschiedenen Botschaften an die einzelnen Stände. Dem Adel sagte er: " ... er hat sich tapfer verhalten und stets weder Leben noch Blut gespart, womit ihr gezeigt habt, daß ihr die Nachfahren der alten Goten und ihrer Nachkommen seid, die sich nahezu die ganze Welt und viele Königreiche untertan gemacht und viele hundert Jahre beherrscht haben." Als Gustav Adolf 1631 in Deutschland zu siegen begann, wurden in den Lobreden Vergleiche zwischen den alten Goten und dem neuen Siegeszug der Schweden angestellt. Der Vergleich mit den alten Goten mahnte zur Tapferkeit und Verwegenheit: Was den Vorvätern gelang, sollte auch der neuen Generation glücken. Ein Leben 3 L. Gustafsson, Virtus politica, S. 75 ff. u. 141 ff. Siehe auchA. Friberg, Den svenske Herkules, S. 44 ff. Bibelstellen: 1. Makkabäerbuch 9 und 2. Könige 23. 4 J. Nordström, Götisk historierornantik och stormaktstidens anda. In De yverbomes

ö,

s. 64 f.

I. Unter dem Eindruck des Krieges

29

voller kriegerischer Heldentaten konnte als der einzig richtige Lebensstil geschildert werden, und der kriegerische konnte dem erotischen Lebensstil gegenübergestellt werden, wobei dem kriegerischen selbstverständlich der Vorzug gegeben wurde. 5 Die Anknüpfung an die Klassik geschah vor allem durch einen Vergleich mit Kaiser Augustus. Zunächst, so z. B. bei den Feiern anläßlich der Krönung 1617, scheint besonders die Ähnlichkeit des Namens gelockt zu haben: Gustavus Augustus. Der Vergleich mit Augustus wird vor allemidenlateinischen Huldigungsschriften angestellt. Vom Inhalt her ist dieser Vergleich problematisch, da Augustus als Friedensfürst bekannt ist, während Gustav Adolf sein ganzes Leben lang Krieg führte. Nach dem Sieg bei Breitenfeld kommt man wieder auf den Vergleich mit Augustus zurück. Jetzt erinnert der König dadurch an Augustus, daß er an der Spitze eines großen Imperiums steht. Außerdem führt er Krieg, um Frieden zu schaffen, und kann daher mit dem Friedensfürsten verglichen werden. Als Lars Wiwallius 1631 im Gefangnis saß, schrieb er über Gustav Adolf als Augustus. Er koppelt das eschatologische Löwenmotiv mit dem Augustusmotiv. Augustus wäre der erste Herrscher des vierten Weltreiches gewesen und Gustavus, der neue Augustus, werde sein letzter sein, ehe der Jüngste Tag anbräche. 6 Fassen wir die drei Motivkreise im Hinblick auf die Fragestellung der Untersuchung zusammen, zeigt sich, daß sowohl die Koppelung mit der gotischen Ideologie als auch die mit den Gestalten des Alten Testaments besagt, daß es sich um Heldentaten handelt. Die Anknüpfung an die Bibel besagt weiter, daß es sich um einen gerechtfertigten Krieg handelt und daß Gustav Adolf der Krieger Gottes ist. Der Vergleich mit Augustus klärt weiter darüber auf, daß er einen gerechtfertigten Krieg führt, um einen dauernden Frieden zu erreichen. Die Heldenverehrung in Anknüpfung an die gotische Ideologie wird veredelt, indem sie mit dem biblischen und dem augustinischen Motivkreis verbunden wird. Natürlich haben Theateraufführungen und lateinische Lobreden die Allgemeinheit nur in begrenztem Maße beeinflussen können, aber Flugblätter mit der schwedischen Propaganda wurden in großen Mengen in Deutschland verbreitet. In Schweden war sicher die Verkündigung von den Kanzeln der Kirchen die beste Möglichkeit der Beeinflussung. Besonders ernst war die Stimmung an den allgemeinen Bet-, Buß- und Fastentagen. Durch besondere Flugblätter aus Anlaß der Bettage wurde das schwedische Volk darauf vorbereitet, daß es in den großen deutschen Krieg verwickelt werden könnte. 1623 und 1624 hieß es, die Papisten wären dazu übergegangen, die Protestanten allgemein zu verfolgen, sie führten s Konung Gustafii Adolfs skrifter, S. 73. RAP I, S. 141. L . Gustafsson, S. 99 f., 135, 186 f., 192. Gustafsson polemisiert S. 173 ff. etwas gegen Axel Strindberg, Bondenöd och stormaktsdröm. 6 L. Gustafsson, S. 121 ff., 135 f., 146 ff.

30

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert)

somit offensichtlich einen Religionskrieg. Dieser Krieg nähere sich immer mehr Schwedens Nachbarn und Schweden könnte leicht in ihn hineingezogen werden. 1626 und 1627 heißt es in den Flugblättern, die Papisten hielten Eintracht und arbeiteten zusammen, während die Evangelischen entzweit wären. Daher erhöhten sich die "Gefahren", für Schweden, ja sie wüchsen täglich. Alles deutet darauf hin, daß die königliche Propaganda erfolgreich war. Sverker Arnoldsson stellt fest, als Gustav Adolf "den größten, den bis dahin umfassendsten Krieg, den Schweden in seiner Geschichte auskämpfte," begann, "wußte er, daß dieser nahezu unfaßbar verwegene Beschluß von einem Schweden getragen wurde, dessen Volk nach 70 Jahren ununterbrochenen Kriegführens kriegsmüde und belastet, aber dennoch von dem eisernen Willen zu siegen zusammengehalten wurde." 7

II. Die ersten Geschichtswerke Schweden veröffentlichte schnell das erste große Geschichtswerk über seine Teilnahme an dem großen Krieg. Sein Verfasser war Bogistaus Phitipp von Chemnitz, der in Stettin geboren wurde, in Rostock studierte und seit 1630 in schwedischem Dienst stand. 1644 wurde Chemitz zum Reichshistoriographen ernannt. Er arbeitete in der Nähe Axel Oxenstiemas und war auch der Schützling des Reichskanzlers. Über den Kanzler erhielt Chemnitz Zugang zu wichtigen Akten und Briefen. 8 1648 erschien Königlich Schwedischen in Teutschland geführten Krieges erster Theil worin nechst umständlicher Ausführung deren Ursachen dieses Krieges, dessen völligen Verlauf von Anfang bis auf des Glorwürdigsten Königs Gustaf Adolph, des Anderen und Großen, tödlichen Abgang und zu Ende des tausend sechhundert zwey und dreyßigsten Jahres beschrieben wird. Der lange Titel wird noch durch den Zusatz ergänzt, das Werk, das aus vier Teilen bestehe, wäre aus glaubwürdigen, hauptsächlich originalen Urkunden/Dokumenten und Berichten zusammengestellt worden. Gleichzeitig mit der deutschen erschien eine lateinische Fassung. Chemnitz nennt die Ursachen für den Ausbruch des großen Krieges. Die Freiheit, das Ansehen und die Macht der Kurfürsten und Stände hätte dem Machstreben des Hauses Österreich im Wege gestanden. Daher hätte dieses Fürstenhaus die Macht der deutschen Kurfürsten und Stände brechen, ihre Freiheit unterdrücken und sie dem Joch einer absoluten "Dominatio" unterwerfen wollen. 7 S. Arnoldsson, Krigspropagandan i Sverige före trettioäriga kriget, Göteborgs högskolas ärsskrift XLVII, 1947: 7 sowie in Historia kring trettioäriga kriget. Dort S. 39 das Zitat. 8 G. Jacobson über Chemnitz in SBL.

II. Die ersten Geschichtswerke

31

Die Religion diente hierfür als Vorwand. Es sei bemerkt, daß Chemnitz bereits 1640 Dissertatio de ratione status in imperio Romano-Germanico veröffentlichte. Die Tendenz dieser Schrift ist antihabsburgisch und für die ständische Freiheit. 9 Nachdem Chemnitz verschiedene Übergriffe des Kaisers gegen die Fürsten beschrieben hat, geht er auf die Ursachen des schwedischen Eingreifens in den Krieg ein. Die im schwedischen Kriegsmanifest genannten Kriegsgründe werden angeführt. Chemnitz referiert die Beratungen Gustav Adolfs mit dem schwedischen Reichsrat und mit Axel Oxenstiema, ob der Krieg gerechtfertigt wäre. Schweden wäre sehr daran gelegen gewesen, Frieden zu halten, aber der Kaiser hätte dem König noch nicht einmal seinen rechtmäßigen Titel zugestehen wollen. Die für das späte Frühjahr 1630 vorgesehenen Friedensverhandlungen in Danzig wären seitens des Kaisers lediglich Spiegelfechterei gewesen. Nach Chemnitz hätte Schweden keine formale Kriegserklärung abgeben müssen, da es sich in einer "defensio-Lage" befunden hätte. Chemnitz bietet auch eine Zusammenfassung, in der er die seiner und vermutlich Axel Oxenstiemas Meinung nach wichtigsten Argumente für den Krieg betont. Der Krieg beruhte auf der Ruhmsucht des Hauses Österreich. Die Kaiserlichen hätten sich der Ostseeküste genähert und so Schweden und dessen König bedroht, und die Kaiserlichen hätten Polen in seinem Krieg mit Schweden Hilfe geleistet. 10 Chemnitz Arbeit ist natürlich äußerst proschwedisch, aber sie ist sachlich und ihr ist anzumerken, daß sie sich auf Dokumente stützt. Nach der Beschreibung über den Tod des Königs wird Gustav Adolf charakterisiert. Gottesfurcht, Gerechtigkeit und Milde wären ihm eigen gewesen. Er wird mit Alexander dem Großen verglichen. Beide wären im 38. Lebensjahr gestorben. Aber Gustav Adolf wäre Alexander allemal vorzuziehen. Während Alexander ein schimpfliches Ende gefunden hätte, wäre Gustav Adolf ehrenvoll in einer großen Schlacht gegen seine Feinde gefallen. 11 Chemnitz gab drei weitere Teile seines Werkes heraus, welche die schwedische Kriegführung unter Axel Oxenstiema, Johan Baner und Lennart Torstensson behandeln. 1677 wurde Chemnitz von Samuel von Pufendorf, Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Lund und einer der bedeutendsten Professoren in der Geschichte dieser Universität, als Reichshistoriograph abgelöst.

1688 erschien Pufendorfs Schwedisch- und Deutsche Kriegsgeschichte. Chemnitz' Arbeit war Königin Christina gewidmet, Pufendorfs König Karl XI. Der König hatte Pufendorfbeauftragt, die Geschichte seines Vaters, Karls X. Gustav, zu schreiben. Pufendorf wollte früher ansetzen. Nach Pufendorf bedeutete der F. Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, S. 164 und 168. Chemnitz, S. 6 ff., 17, 36 ff. ll lbid. s. 473.

9

10

32

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert)

Feldzug Gustav Adolfs einen Neuanfang der schwedischen Geschichte. Die Ausländer wären an dieser Geschichte sehr interessiert. Pufendorf verweist auf Chemitz' Arbeit. Er behandelt die Innenpolitik nicht. Im ersten Buch schildert er die Lage im religiös gespaltenen Deutschland. Dann geht er auf die schwedische Situation und die Überlegungen von 1628 ein. Er betont, daß Gustav Adolf dem Kaiser lieber in Deutschland als in Schweden entgegentreten wollte. Schweden schuf eine große Flotte, um Seeräuberei zu verhindern, aber auch, um zu verhindern, daß Engländer und Holländer sich in Schlüsselstellungen in der Ostsee festsetzten. Pufendorf betont auch, daß die schwedischen Delegaten nicht an den Verhandlungen zwischen dem Kaiser und Dänemark in Lübeck teilnehmen durften. Pufendorf nennt diese Gründe und schreibt, daß sie "nebst der IncHnation des Königs selbst" diesen lieber etwas wagen ließen als sich auf einen unsicheren und schädlichen Frieden einzulassen. 12 Natürlich wurde der Krieg auch aus der Sicht der anderen Seite geschildert. Frantz Christoph Khevenhüller verfaßte Annales Ferdinandei. Es ist eine strikt chronologische Schilderung der Ereignisse während des Lebens Kaiser Ferdinands II., d. h. von 1578 bis 1637. Das Werk wurde zwischen 1640 und 1646 verfaßt und dem regierenden Kaiser Ferdinand III. gewidmet. Es scheint damals jedoch keine weitere Verbreitung gefunden zu haben. Dazu kam es erst, als es ab 1721 in Leipzig erschien. Khevenhüller war Gesandter des Kaisers in Madrid gewesen und hatte danach dem kaiserlichen Rat angehört. Wie Chemitz hatte er Zugang zu wichtigen Dokumenten. Es sei hinzugefügt, daß sein Vater den Protestantismus in Kärnten gefördert hatte. Annales F erdenandei ist eine sehr sachliche Arbeit. Ihr ist anzumerken, daß sie sich auf Dokumente stützt. Der Leser mag davon überrascht sein, wie ausführlich die schwedischen Argumente wiedergegeben werden. So werden alle Argumente des schwedischen Kriegsmanifestes in den Armales aufgeführt. Außerdem wird z. B. das ganze Gebet, das Gustav Adolf nach der Landung in Deutschland gesprochen haben soll, geboten. Dieses Gebet soll die Zuhörer so gerührt haben, daß sie begonnen hätten zu weinen. Doch da hätte Gustav Adolf gesagt: "Weinet nicht sondern betet - je mehr Betens je mehr Siegs, denn fleißig gebetet ist halb streiten und gesiegt". Die Schilderung über den Tod des Königs erwähnt das Gerücht, Herzog Franz Albrecht von Lauenburg hätte den König getötet. Khevenhüller spendet Gustav Adolf sehr viel Lob. Er wäre tapfer und klug gewesen, und sowohl Freunde als auch Gegner hätten ihn als König und Helden gepriesen. Aber da er, wenn auch unter dem Vorwand, Religionsfreiheit und die Freiheit der deutschen Nation 12 Pufendorf, Schwedisch- und Deutsche Kriegsgeschichte, S. 38 f. Meinecke, S. 283 ff. G. Aspelin, Samuel Pufendorf, Sc. 1932, S. 153 ff.

Siehe auch

II. Die ersten Geschichtswerke

33

erhalten zu wollen, die Waffen gegen den Kaiser erhoben hätte und diesen von dem Thron, auf den ihn Gott gesetzt, hätte stürzen wollen, hätte ihn "die Göttliche Allmacht" in die Grube geworfen, die er dem Kaiser gegraben hätte. 13 Selbstverständlich erhält der Kaiser das meiste Lob. Bei seinem Tod 1637 wird er eingehend charakterisiert und es wird beschrieben, daß er dreißig vorzügliche Eigenschaften besessen hätte, beginnend mit Glauben an und Eifer für die katholische Lehre und abschließend mit dem Zeugnis berühmter Personen über seine Tugend. Hier sei genannt, daß es unter der 21. ,,Liebe gegen seinen Nechsten, auch Feinden" heißt, Ferdinand hätte nach der Schlacht bei Breitenfeld über Gustav Adolf gesagt, er wäre ein tapferer Fürst und ein erfahrener Heerführer gewesen, doch es schmerze ihn, daß er eine schlechte Sache verteidigt hätte. Unter der 29. Eigenschaft ,,Augenscheinliche göttliche Beschutzung" heißt es, nachdem Gustav Adolf das kaiserliche Heer bei Breitenfeld geschlagen hätte, wäre er selber mit Blindheit geschlagen worden. Darum hätte er das wehrlose Österreich nicht angegriffen. 14 Etwas ist allen diesen hier behandelten Arbeiten aus dem 17. Jahrhundert gemeinsam. Ihre Tendenz tritt deutlich hervor. Chemnitz und Pufendorf sindfür Gustav Adolf und Schweden, Khevenhüller ist für den Kaiser. Abgesehen von der verherrlichenden Charakterisierung ihres jeweiligen Helden sind sie aber sachlich und stützen sich auf zeitgenössische Quellen. Wird Geschichte Jahr für Jahr erzählt, wird die Darstellung leicht zur Chronik. Andererseits ist sie dann konkret und ufert nicht aus. Es ist festzustellen, daß es Schweden gelang, zwei der damals besten Historiographen anzustellen. Das gilt auch im Hinblick darauf, was später geschah- oder richtiger, nicht geschah. Nach Pufendorf dauerte es nämlich nahezu 150 Jahre, ehe ein Schwede wiederum versuchte, Gustav Adolf, Schweden und den Dreißigjährigen Krieg zu schildern. Bei der Angabe der Gründe für die Teilnahme Schwedens am Dreißigjährigen Krieg ist eindeutig die Wirkung der schwedischen Propaganda festzustellen, vor allem so, wie sie uns im schwedischen Kriegsmanifest entgegentritt. Chemnitz sagt nicht viel mehr, als sich im Manifest findet. Er faßt aber die Gründe zusammen, die er für besonders wichtig hält. Pufendorf fügt dem eine sehr interessante Bemerkung hinzu, auch wenn das nebenbei geschieht - "nebst der Inclination des Königs selbst". Das bedeutet ja, daß der König den Krieg wollte, daß er begierig war, Krieg zu führen, und daß er vermutlich auch ruhmsüchtig war. Man kann annehmen, daß es einfacher war, dies unter den pfälzischen Königen als unter denen aus dem Hause Wasa zu behaupten. Khevenhüller berichtet ohne Kommentar, welche Kriegsgründe die Schweden angaben. Aber nach der Schilderung von Gustav Adolfs Tod sagt er, die Behauptung, der 13 Khevenhüller, Annales Ferdinandei, Teil 11, S. 1166 ff., 1290 ff. lbid., Teil 12, S. 192 ff. Siehe auch Khevenhüller, Conterfets zu den Annali Ferdinandi, S. 183. 14 Ibid., Teil 12, S. 238 ff.

3 Oredsson

34

B. Propaganda und Geschichtsschreibung (17. Jahrhundert)

schwedische König hätte Religionsfreiheit und Freiheit der deutschen Nation retten wollen, wäre ein Vorwand gewesen. Im Grunde genommen hätte Gustav Adolf Gott selbst herausgefordert, als er den Kaiser absetzen wollte.

C. Ausländer schildern die schwedische Geschichte (18. Jahrhundert) I. Das Ausland und Gustav Adolf Aus natürlichen Gründen sind Schweden und Deutsche am fleißigsten gewesen, wenn es galt, die Geschichte Gustav Adolfs zu schreiben. Im 18. Jahrhundert jedoch erschienen die bedeutendsten Biographien über Gustav Adolf in England und Frankreich, verfaßt von William Harte bzw. von Eleazar Mauvillon. Beide wurden bald ins Deutsche übersetzt. Hartes Biographie, die 1759 erschien, trägt den Titel The History of the Life of Gustavus Adolphus, King of Sweden, Surnamed the Great. Harte, der Pfarrer war, ist hauptsächlich an der Kriegsgeschichte Gustav Adolfs interessiert. Über den König sagt er, er wäre ein Held und ein ehrlicher, moralischer und religiöser Mann gewesen. Da Gustav Adolf durch den Kaiser so schwer beleidigt und gekränkt worden wäre, hätte er es nicht für nötig gehalten, eine formale Kriegserklärung abzugeben. Er meint, daß der Einmarsch der kaiserlichen Armee unter dem Sachsen Arnim in Polen eine Kriegserklärung durch den Kaiser darstellte. 1 Mauvillons Biographie erschien fünf Jahre später. Ihr Verfasser ist kritisch gegenüber Harte, der seiner Auffassung nach ein Durcheinander an großen und weniger wichtigen Ereignissen biete. Mauvillons Lebensumstände sind von Interesse. Er war gebürtiger Franzose, wanderte aber seines reformierten Glaubens wegen aus und wurde zunächst Sekretär des polnischen Königs. Dann unterrichtete er in Braunschweig Französisch. Dort schrieb er auch seine Biographie über Gustav Adolf. In Deutschland traf Mauvillon Johan Arckenholz, der aus Helsinki stammte und später in Stockholm politisch tätig gewesen war. Als Politiker hatte er vor einem zu großen Einfluß Frankreichs auf Schweden gewarnt, wodurch er in Gegensatz zu den führenden Politikern geraten war, die während der 1740er Jahre zur Partei der sogenannten "Hüte" gehörten. Daher mußte er Schweden verlassen. Zwei Verbannungen, eine aus Schweden und eine aus Frankreich, resultierten in einer Biographie über Gustav Adolf auf französisch. Mauviiion gibt bereits im Titel an, daß er sich weitgehend auf Material stützt, das ihm Arckenholz zur Verfügung gestellt hatte. 2 1

2

W. Harte, The History of the Life of Gustavus Adolphus, Einleitung und S. 166. Über Mauviiion siehe La Grande Encyklopedie. G. Jacobson über Arckenholz in

SBL. 3*

36

C. Schilderungen durch Ausländer (18. Jahrhundert)

Mauvillon widmete seine Biographie dem damaligen schwedischen König, Adolf Friedrich. Ihm fehlen bei der Schilderung von Gustav Adolfs Größe und hervorragenden Eigenschaften sogar die französischen Worte. Gustav Adolf wäre ein Held gewesen, aber ein vom Evangelium durchdrungener christlicher Held. Wenn er zu den Waffen gegriffen hätte, dann nicht aus großem und gierigem Verlangen nach dem Besitz eines anderen, sondern um sein Recht auf den Thron, den er dank seiner Geburt und nach dem Willen seines ganzen Volkes bestiegen hätte, zu verteidigen. Außerdem wäre es darum gegangen, für die Freiheit einzutreten und die Religionswerwandten zu unterstützen sowie die Tyrannei zu brechen und das Joch abzuwerfen, das ein ungerechter Unterdrücker über ganz Deutschland gelegt hatte und über ganz Europa zu legen gedachte. Niemals hätte ein König besser den vollkommenen Helden personifiziert. Er wäre "un monarque incomparable" gewesen. Mauvillon spricht viel von Gustav Adolfs tiefer Religiosität und hebt mit Bewunderung hervor, daß er allen Einwänden Axel Oxenstiernas gegen den Krieg widerstanden hätte. 3 In Österreich erschien gegen Ende des Jahrhunderts eine Geschichte der Deutschen. Ihr Verfasser war der kaiserliche Hofrat und Direktor des königlichen Hausarchivs Michael Ignaz Schmidt. Der zehnte Teil des Werkes beginnt mit Gustav Adolf und Schwedens Eintritt in den deutschen Krieg. Schmidt leitet wirkungsvoll ein: "Daß ein Königreich Schweden und Finnen und Lappen auf unserer Halbkugel vorhanden wäre, wußten die nördlichen Deutschen von langer Zeit aus ihren Commercial-Verbindungen; den südlichen hingegen waren kaum die Namen bekannt, indem dieses Königreich zu keiner Zeit nur den geringsten Einfluß auf die inneren deutschen Angelegenheiten gehabt hatte". Schmidt meint, vielleicht wäre einer der Hauptgründe für den schwedischen Kriegseintritt gewesen, daß Gustav Adolf sein Reich Europa annähern wollte. Er fahrt fort, wer da glaube, Gustav Adolf wäre der Gedanke an den Kriegseintritt spät gekommen und aus den Gründen, die er in seinem Kriegsmanifest angab, täusche sich schwer. Schon 1615 hätte Gustav Adolf Kontakt zur protestantischen Union aufgenommen und diesen während der 1620er Jahre mehrmals erneuert. Schmidt beschreibt, wie sich Schweden die verschiedenen Ostseehäfen aneignete, daß es ein bevölkerungarmes Land war, aber daß Gustav Adolf dennoch den Krieg wollte, da "der Krieg, obgleich einer der ersten Feinde und Zerstörer aller Bevölkerung, seine Lieblingsneigung, ja was mehr ist, ein auf lange Zeit von ihm und seinem Kanzler Oxenstirn herrührender Staatsgrundsatz seiner Nation" war. Als Beweis dafür, daß Schweden kriegsbesessen und sehr geHihrlieh für seine Nachbarn war, beruft sich Schmidt auf Aussagen von Karl X. Gustav, Pufendorf, dem dänischen König Christian IV. und dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, "dem Großen Kurfürsten" . 3

(E. Mauvillion), Histoire de Gustave Adolphe, Einleitung und S. 204, 219.

I. Das Ausland und Gustav Adolf

37

In einem Satz nennt Schmidt die Gründe für Gustav Adolfs und Schwedens Kriegseintritt: "Brennende Ruhmbegierde, mit dem Bewußtsein großer, durch Erfahrung schon bewährter Eigenschaften eines Feldherren verknüpft, die Bedrückung der ihm so wehrten protestantischen Religion, der er selber seine Krone zu danken hatte, die Vorstellung der Gefahr, die dem ganzen Europa, besonders den nördlichen Reichen zuwachsen könnte, wenn sich die Kräfte des deutschen Staatskörpers in der Hand eines einzigen concentrieren, der durch die Kaiserlichen bereits genommene Besitz mehrerer Häfen an der Ostsee, und zugleich das Verlangen seine eigene Herrschaft an dieser See zu erweitern, wirkte zu mächtig auf ihn, als daß er sein Vorhaben leicht hätte aufgeben können." Außerdem wußte er, daß das kaiserliche Heer, zusammengewürfelt aus vielen Nationen und lange ohne Sold, nicht so stark war, wie behauptet wurde. Schmidt fügt sarkastisch hinzu, daß er von Richelieus Frankreich unterstützt wurde, auch wenn die französischen Verfolgungen der Hugenotten, in den Augen des Retters der Protestanten kaum eine Empfehlung sein konnten. Schmidt schätzt Gustav Adolfs Kriegskunst hoch ein. Er rühmt die schwedische Kriegszucht zu Beginn des schwedischen Krieges und betont, jedes Regiment hätte einen Pfarrer gehabt. Schmidt unterstreicht die Eroberungspläne des Königs. Er verweist auf den Vertrag mit Herzog Bogislaw von Pommern und bemerkt ironisch: "Welche sonderbare Contrast mit seiner Uneigennützigkeit und göttlichen Sendung um seine unterdrückten Glaubensgenossen zu retten, die Gustav bei jeder Gelegenheit schriftlich und mündlich äußerte" . Nach Schmidt kam Gustav Adolf durch seine großen Erfolge immer mehr zu der Überzeugung, er wäre von Gott ausgesandt. Nach seinem Tod wird der König zusammenfassend charakterisiert. Er hätte nicht zwischen Protestanten und Katholiken unterschieden. Sein Grundsatz wäre gewesen, jeder der sich in den Schranken des Gesetzes bewege, hinge dem rechten Glauben an. Die Menschen vor der Hölle zu bewahren, wäre nicht Aufgabe der Fürsten sondern der Pfarrer. Er strebte nach der Oberherrschaft in Deutschland, aber auch dessen Grenzen würde er als zu eng empfunden haben, ja vielleicht sogar die Europas. Es gebe nämlich Anzeichen dafür, daß er auch das Ottomanische Reich unterwerfen wollte. Wäre Gustav Adolf das gelungen, wäre es dennoch kein dauernder Erfolg gewesen. Auch die protestantischen Fürsten und Frankreich hätten sich nämlich vor so einer Entwicklung gefürchtet. 4 Zwei der berühmtesten Männer des 18. Jahrhunderts haben sich ebenfalls über den schwedischen König geäußert, nämlich Voltaire und Friedrich der Große von Preußen. Vor allem die Auffassung des Letztgenannten dürfte für die weitere Beurteilung Gustav Adolfs von großer Bedeutung gewesen sein.

4

M. J. Schmidt, Geschichte der Deutschen, 5. Buch, S. 1 ff., 12 ff., 93 und 121 ff.

C. Schilderungen durch Ausländer (18. Jahrhundert)

38

In dem umfangreichen Werk Voltaires findet sich Essai sur les Moeurs et

l' Esprit des Nations. Eines der ersten Exemplare dieser Arbeit erhielt übrigens

Voltaires Förderer, Friedrich II. von Preußen.

Im Hinblick auf Voltaires Auffassung in religiösen Fragen, verwundert es nicht, daß er in diesem Streit nicht viel für die katholische Kirche und auch nicht für die religiösen Motive übrig hat. Voltaire meint, der Kaiser hätte, indem er sich in den Krieg zwischen Polen und Schweden einmischte, seinen eigenen Untergang vorbereitet. Sein eigenes Unglück beschleunigte er außerdem dadurch, daß er die protestantischen Fürsten durch das Restitutionsedikt zur Verzweiflung trieb. Aus diesem Grund hätten die protestantischen Fürsten Gustav Adolf gerufen. Er wäre gekommen, um sie und sich selber zu rächen. Voltaire betont, daß sowohl Kardinal Richelieu als auch sogar der Papst befürchteten, der deutsch-römische Kaiser könnte zu mächtig werden. Daher wäre es nicht erstaunlich, daß der allerchristliche König (der französische) ein Bündnis mit den Protestanten abschloß. Sowohl Pranz I. als auch Heinrich II. hätten sich mit den Türken gegen Karl V. verbündet. "C'est Ia plus forte demonstration que la religion se tait quand l'interet parle". Voltaires Sympathien gelten Gustav Adolf. Er meint, tatsächlich hätte Ferdinand II. Schweden den Krieg erklärt. U. a. hätte der Kaiser Gustav Adolf den Königstitel verweigert, und Voltaire faßt Schwedens Gründe, in den Krieg einzugreifen, so zusammen: "L'Interet, Ia vengeance et la fierte appelaient Gustave en Allemagne."s Friedrich der Große behandelte in mehreren Arbeiten Gustav Adolf, vor allem in der Geschichte Brandenburgs und im Antimachiavelli. Die Geschichte Brandenburgs wurde 1758 abgeschlossen, also während des Siebenjährigen Kriegs. Der König verachtet den brandenburgischen Kurfürst Georg Wilhelm, den Zeitgenossen Gustav Adolfs, gründlich, und besonders wegen seines "verräterischen" Ministers Schwartzenberg. Über Schwedens Kriegseintritt sagt Friedrich, Gustav Adolf wollte in den Krieg eingreifen und von den durch ihn hervorgerufenen und durch das Restitutionsedikt verschlimmerten Schwierigkeiten profitieren. Der König macht sich über das Kriegsmanifest Gustav Adolfs lustig. Dort hieße es u. a. der Kaiser hätte Polen Hilfe geleistet und Stralsund Unrecht getan, mit dem Gustav Adolf verbündet war. Nach dieser Deklaration hätte die schwedische Flotte sämtliche pommerseben Häfen blockiert. Wenn man die von Gustav Adolf angeführten Gründe unter die Lupe nehme, wären sie nicht vernünftiger als die, welche Karl II. von England vorgab, um Holland Krieg zu erklären. Einer seiner wichtigsten Vorwürfe war, die Herren de Witt hätten ein skandalöses Porträt in ihrem Haus. s Voltaire, Essai sur les Moeurs et !'Esprit des Nation.