Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter in den Gilden Europas [1 ed.] 9783428499342, 9783428099344

Bereits am Ausgang des Mittelalters waren die Sozial- und Individualversicherung gut ausgebildet. In der Literatur sind

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Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter in den Gilden Europas [1 ed.]
 9783428499342, 9783428099344

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DIETER SCHEWE

Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter in den Gilden Europas

Sozialpolitische Schriften

Heft 80

Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter in den Gilden Europas

Von Dieter Schewe

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schewe, Dieter: Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter in den Gilden Europas / von Dieter Schewe. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Sozialpolitische Schriften; H. 80) ISBN 3-428-09934-6

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0584-5998 ISBN 3-428-09934-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Vorwort Diese Geschichte der sozialen und privaten Versicherung im Mittelalter ist in fünffaeher Hinsicht erstmalig und ohne Vorgängerin: - Sie faßt Sozial- und Individualversicherung in ihrer Entwicklung zusammen. - Sie erfaßt alle damaligen Risiken und Versicherungsbereiche, die Sach- wie die Personenversicherung, z. B. die der Schiffe wie die der Krankheit. - Sie bezieht die Entwicklung der Versicherung in den dafür wichtigsten Ländern Europas ein, so in England, Flandern, Dänemark und Italien, also nicht nur die in Deutschland, weil die Schwerpunkte der Versicherung in mehr als einem halben Jahrtausend von Land zu Land gewandert sind. - Sie bemüht sich, Entstehung und Entwicklung der Versicherung in die allgemeine Geschichte und die Zeitabläufe einzufügen, insbesondere in die der Gilden, Zünfte und ähnlicher Vereinigungen, weil diese für alle Versicherungen die Wurzeln oder den Rahmen gebildet haben. - Sie kann aufgrund von Urkunden eine zusammenhängende, schrittweise Entwicklung der Versicherung durch sechs Jahrhunderte (900-1500) nachzeichnen. Diesen neuen Ansatz umfassend und auf einmal zu verwirklichen, ist schon deswegen ein Wagnis, weil - der Verfasser unterstellen muß, daß die Angaben über Urkunden in der Sekundärliteratur einschließlich deren Wortlaut nicht verfälscht wiedergegeben sind, vor allem nicht die Zeit ihrer Abfassung - ein für das Mittelalter nicht geringes Wagnis; - durch einige wenige Urkunden, die neu auftauchen oder nur in anderen Ländern als Deutschland bekannt sind, manche hier gefundenen Zeitverhältnisse beträchtlich geändert werden könnten; - die vielen Tatsachen über Versicherungen, die schon das 19. Jahrhundert ans Licht gebracht hat, von den damals zeitbedingten Fehldeutungen zu befreien waren, die ohne erneute Prüfung bis in die Gegenwart mitgeschleppt wurden; allerdings tritt diese Arbeit in diesem Buch in den Hintergrund, vielmehr die neuen Ergebnisse der Untersuchungen in den Vordergrund. Diese Wagnisse konnten in Kauf genommen werden, weil aufgrund des umfassenden Ansatzes jetzt erstmalig neue regionale Vergleiche angestellt, die überlieferten Urkunden in den Zeitablauf eingeordnet und gleiche Wortlaute und Begriffe

6

Vorwort

miteinander in Beziehung gesetzt und mit diesen in der allgemeinen Geschichte längst üblichen Methoden neue Verhältnisse aufgedeckt werden konnten. Diese Geschichte der Versicherung im Mittelalter ist eine solche der Versicherungspraxis, der Fakten also, und der daraus abgeleiteten Beweggründe. Sie hat das Ziel, für heutige Erscheinungsformen der Versicherung die Vorbilder und Vorgänger zu finden, aber nicht solche zu erfinden, die es geistesgeschichtlich hätte geben müssen. Der Verfasser hofft, daß jüngere Historiker diese Geschichte der Versicherung im Mittelalter nicht nur vervollständigen, sondern auch auf die Zeit nach dem Jahre 1500 ausdehnen werden. Dieter Schewe

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Versicherungen in historischer Sicht

25

I. Ein Blick über die Neuzeit zurück ..................................................

25

2. Geld, Gilden, Versicherung .........................................................

25

3. Versicherungsverträge in der Antike? ........................................ . ......

26

4. Elemente der Versicherung ..... . ...................................................

27

5. Zwei Wurzeln der Versicherung? ...................................................

28

6. Wesen und Namen der frühen Gilden...............................................

29

Zweites Kapitel

Fränkische und karolingische Gilden und HUfsgemeinschaften vor dem Jahre 1000 - Vonorge oder Venicherung?

31

I. Rechtsverfolgung und Diebstahlsausgleich im Frankenreich vor 561 ................

31

2. Karolingische Gilden und das Gildeverbot 779 .....................................

32

2.1 Das Capitulare Heristalense ....................................................

32

2.2 Die gildonia der Sachsen - Gildenrecht oder Königsherrschaft? ............. '. . .

34

3. Bruderschaften, Feuerwehren und Schiffsgemeinschaften als begrenzte Hilfsgemeinschaften 779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

3.1 Zweckverbände ....... . ..................... . ..................................

35

3.2 Die Risiken ....................................................................

35

3.3 Persönliche Beistandspflichten .................................................

37

8

Inhaltsverzeichnis

4. Gilden und Gildenverbote im 9. Jahrhundert................................. . ......

38

5. Gilden in der Zeit der sächsischen Könige im 10. Jahrhundert - das Schweigen der Quellen über Gilden ................................................................

39

Drittes Kapitel

Gilden und Versicherungen in England

41

1. Frühe Gildetexte seit 700 .................. . ....................................... .

41

2. Die sogenannte Londoner Friedensgilde von 930 ............................ . ......

42

2.1 Risiken, Haftpflichtverband, Umlage ...........................................

42

2.2 Elemente der Versicherung .....................................................

44

2.3 Das Verhältnis von Gilden zur Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

2.4 Zweckabgabe oder Versicherung? ..............................................

46

2.5 Rechtsdurchsetzung mittels Diebstahls- oder Haftpflichtversicherung? . . . . . . . . . .

46

3. Die angelsächsischen Gilden - Exeter vor 950 .............. . . . .............. . ......

46

3.1 Das Brand-Risiko ..............................................................

47

3.2 Das Risiko des Todesfalls ......................................................

48

3.3 Das Risiko der Südfahrt ........................................................

48

3.4 Der Versicherungscharakter der Gilde ..........................................

49

4. Drei weitere angelsächsische Gilden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

4.1 Great Bedwyn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

4.2 Cambridge .....................................................................

50

4.3 Abbotsbury ....................................................................

51

5. Vergleich der Aufgaben der Gilden-Geldwirtschaft

51

6. Die spätere Gildenentwicklung in England .........................................

52

6.1 Kaufmannsgilden seit 1087 ................................... . . . . .. . . . . . . . . . . . .

53

6.2 Die Kaufmannsgilde von Lincoln 1328/1388

54

6.3 Weitere Kaufmannsgilden im 14. Jahrhundert

55

Inhaltsverzeichnis

9

Viertes Kapitel

Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jahrhundert auf dem Festland

57

1. Gilden im 11. und 12. Jahrhundert ..................................................

57

2. Die Konzentration der Gilden auf drei Regionen ....................................

60

2.1 Die fundleeren Gebiete und die Gildeverbote ...................................

60

2.2 Das Fehlen überlieferter Gildenstatute in Deutschland ..........................

62

3. Gilden am Rhein und im Weser-/Elbegebiet ........................ ~...............

62

3.1 Tiel- 1020 ............................................. . .......................

62

3.2 Köln - ab 1074 . .. ... . . . . . . . . . .. . ... . . . ... .. . . . ... . . . ... .. . . .. . . . ... . . . . . ...... .

63

3.3 Begräbniskosten in Gilden ............................. . . . ..... . ........ . ......

64

3.4 Gilden am mittleren Rheinlauf .............. . .......... . ..... . .................

65

3.5 Gilden im Weser-/Elbegebiet ..................................................

65

4. Gilden und Versicherungen in Flandern .............................................

66

4.1 In Valenciennes - 1050/1114 ..................................................

66

4.2 In St. Orner - 1127/1168 .......................................................

67

4.3 In Aire - 110011188 ...........................................................

68

4.4 In anderen Städten .............................................................

69

4.5 Keuren - ab 1128 ... . . . .......... . .............................................

69

4.6 Gilden in Brügge .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

4.7 Das Gesamtbild der Versicherungen in Flandern................................

71

4.8 Verbindungen zwischen England und Flandern als Grundlage für Versicherungen............... ......... ...... ...... ........ ...... ...... ...... ........ ... ....

72

5. Nordfranzösische Gilden ...........................................................

73

6. Gilden und Versicherungen im 13. Jahrhundert in deutschen Landen................

74

6.1 Verbreitung der Gilden.........................................................

74

6.2 Gildeverbote und das Nachlassen ihrer Wirksamkeit............................

76

6.3 Das Fehlen von besonderen Gildeleistungen in Deutschland ....................

78

10

Inhaltsverzeichnis Fünftes Kapitel

Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jahrhundert

80

1. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten ...........................

80

1.1 Die frühesten Angaben über Gildegenossen in Schweden 950-1050 ...........

80

1.2 Die Schleswiger Schutzgilde, die Knuts-Gilden in Schleswig und Dänemark bis 1200 ...........................................................................

81

1.3 Bruderschaften in Holstein 1180 - 1192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

1.4 Die Knuts-Gilden in Dänemark 1200-1300 ....................................

83

1.5 Die Olafs-Gilden in Norwegen ab 1250.........................................

84

1.6 Die hrepps in Island ............................................................

86

1.7 Gilden in Schweden und Finnland ab 1301 .....................................

86

1.8 Berufliche Gilden an der Ostseeküste 1239 - 1397 ..............................

87

2. Versicherungen in den Knutsgilden in Dänemark ...................................

88

2.1 Im Statut von F1ensburg 1200 ..................................................

88

2.1.1 Inhalt und Dreiteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2.1.2 Die karitativen Pflichten .................................................

89

2.1.3 Der gemeinsame Ersatz von Unterstützungen in Notfällen. .. . .. . . . ... . . . .

89

2.1.4 Vorbilder für Unterstützungen in Notfällen ...............................

90

2.2 Versicherungen im Statut von Odense 1245 .....................................

90

2.2.1 Brand, Schiffbruch, Pilgerreise und Vorläufer............................

91

2.2.2 ,.südfahrt" oder Seedarlehen? ............................. . ..............

91

2.2.3 Schiffbruch-Versicherung................................................

91

2.3 In den Statuten von Store Hedinge und Kallehave 1256/1266 ..................

92

2.3.1 Brand....................................................................

93

2.3.2 Lösegeld und Schiffbruch ............................... :................

93

2.3.3 Seeversicherung .........................................................

93

2.3.4 Die Gildenmitglieder als Haftende ................ . ......................

94

2.4 Im Statut von Malmö 1256/1300 ..............................................

94

Inhaltsverzeichnis

11

3. Die schrittweise Entstehung der Seeversicherung an der Ostsee .....................

95

3.1 Die Entwicklung der dänischen Gildeversicherung .............................

95

3.2 Erklärungen für die Entstehung der dänischen Gildeversicherungen ............

95

3.3 Die Seeversicherung in den dänischen Gilden als Vorgängerin der gegenwärtigen.... ....................... .............. .............. ............ ..........

97

4. Die Bartholinische Skraa in Norwegen als Versicherung ............................

98

5. Gesetzliche Haftungsgemeinschaften in Island . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100

6. Gesetzliche Haftungsgemeinschaften in Schweden ................................. 101

7. Nordische Gildestatuten mit Versicherungen - Zusammenhänge im Zeitverlauf ..... 102 7.1 Unterschiede zwischen deutschen und nordischen Gilden - das Fehlen germanischer Einheitlichkeit ........................................................... 102 7.2 Die Übernahme angelsächsischer Versicherung durch die dänischen Gilden . . . .. 103 7.3 Die Versicherung als neue Rechtskonstruktion aus der Natur der Gilden ........ 106 7.4 Die stufenweise Entstehung der Versicherung an Nord- und Ostsee ............. 107 7.5 Abstufungen bei Schadensersatz - Armut? ..................................... 108 7.6 Gesetzliche Haftungsgemeinschaften ........................................... 108

Sechstes Kapitel Versicherungen im mittelalterlichen Bergbau

110

1. Entwicklung der Arbeitsorganisation im Bergbau ................................... 110

2. Arbeitsunfälle und Genossenschaften in Goslar 1050 - 1500 ........................

111

3. Knappschaften im Erzgebirge 1300 - 1500 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

4. Haftpflichtversicherungen der Arbeitgeber und paritätische Krankenversicherungen

114

12

Inhaltsverzeichnis Siebentes Kapitel

Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden im 14. und 15. Jahrhundert

117

l. Die Gesellenfrage im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 2. Arbeitsrechtliche Anspruche von Gesellen.......................................... 118 3. Entstehung und Verbreitung der Gesellenverbände .................................. 119 3.1 Die Entstehung der Gesellenverbände .......................................... 119 3.2 Die Statuten der Gesellenverbände .......................................... . .. 121 3.3 Die Zugehörigkeit zum Gesellenverband ............... . . . ..................... 122 4. Leistungen und Beiträge der Gesellenverbände ..................................... 123 4.1 Bei Krankheit und Tod ......................................................... 123 4.2 Bei Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung .. ... ... . . . ... . . . . . . ... . . ... . .. . . .. 125 4.3 Bei Gefangenschaft - Lösegeld..... .. .... . . ... .. . . .. .. . ... . . . ... .. . . .... . .. .. .. 126 4.4 Beiträge und Finanzierung ..................................................... 126 5. Die Versicherungen in den Gesellenverbänden .......... . ........................... 127 6. Die Sterbekasse der Brauergesellen in Hamburg im 15. Jahrhundert................. 129 7. Leistungen der Zünfte I Gilden an Gesellen ......................................... 130 7.1 Statuten der Zünfte I Gilden mit Leistungen an Gesellen ........................ 131 7.2 Die Versicherungen der Zunftleistungen - Haftpflichtversicherungen ........... 132 7.3 Vergleich zum Bergbau......................................................... 133 8. Entwicklungslinien der Sozialversicherungen im Mittelalter ........................ 133 8.1 Die Reihenfolge der Versicherungsarten ........................................ 134 8.2 Der Fortschritt im Versicherungscharakter ................ . .............. . ...... 135

Inhaltsverzeichnis

13

Achtes Kapitel

Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jahrhundert in Dänemark, Deutschland und Nachbarländern

137

I. Gilden ohne Versicherungen in Deutschland ........................................ 137

1.1 Die Entwicklung von Gilden und Städten in Deutschland ....................... 137 1.2 Die Entwicklung von andersartigen Vorsorgen in Deutschland ..... . ............ 138 1.2.1 Feuerordnungen ............................................ . ............ 138 1.2.2 Marktregelungen .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 1.2.3 Spitäler .................................................................. 139 1.2.4 Kirchliche Bruderschaften ............................................... 140 1.3 Gildepflichten beim Begräbnis ................................................. 140 1.4 Das Fehlen von Regelleistungen an Meister bei Krankheit...................... 141 1.5 Das Fehlen von Versicherungen für Meister .... . ................ . . . . . .......... 142 2. Gildeversicherungen an der Ostseeküste ............................................ 144 2.1 Regionale Unterschiede hinsichtlich Gildeversicherungen ...................... 144 2.2 Neue Gildeversicherungen in Dänemark und Schleswig-Holstein - Die Nachfolge der dänischen Gildeversicherungen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145 2.3 1404 St. Gertruds-Gilde in Hollested ........................................... 146 2.4 1435 St. Gertruds-Gilde in Odense ............................................. 147 2.5 1446/48 St. Nikolai-Gilde in F1ensburg ........................................ 147 2.6 Ende 14. Jahrhundert: St. Marien-Kaufmannsgilde in F1ensburg ................ 147 2.7 Gilden von Priestern (Kalande) ........ . ........................................ 148 3. Gildeversicherungen nach nordischem Vorbild in Deutschland...................... 149 3.1 Das Statut des Stifts St. Gereon in Köln 1316 ................................... 149 3.2 Anfang 15. Jahrhundert: Polycarpus-Gilde in Delmenhorst ..................... 150 4. Die Brandgilden in Schleswig-Holstein im 15.116. Jahrhundert..................... 151 5. Die Schützengilden in Flandern, Deutschland und Dänemark....................... 153

14

Inhaltsverzeichnis

6. Versicherungen durch Leibrenten................................................... 154 6.1 Die Leibrente als Tausch von kurzfristigem Geld in Ratenzahlung.............. 154 6.2 Frühe Leibrentenverträge im 13. bis 15. Jahrhundert in Europa ..... . ........... ISS 6.3 Die Städte unter dem Gildenregiment als "Versicherer" ......................... 157 6.4 Gestaltungen der Rentenverträge ............................................... 157 6.5 Leibrentenverträge im Vergleich zur Versicherung...... . ....................... 158 7. Rentenzahlungen bei Invalidität u. ä. ............................................... 158 7.1 Rentenzahlungen ............................................................... 158 7.2 1397: Die erste Rentenversicherung bei Invalidität in der Kölner Böttcher-Zunft

159

8. Der Tod als Versicherungsfall ...................................................... 162 8.1 Der Mangel der Hinterbliebenenversorgung .................................... 162 8.2 Die (erste) Hinterbliebenenversicherung der ,,Reitenden Diener" in Lübeck 1497 ........................................................................... 163 8.3 Exkurs: Eine Witwenversicherung in der Londoner Kaufmannsgilde 1698 - die erste Lebensversicherung? ..................................................... 164 8.4 Erste Todesfallversicherungen im 15. Jahrhundert in Europa.................... 164 9. Die drei Zeitabschnitte der Versicherungsentwicklung im Mittelalter und ihre Personenkreise ........................................................................... 166 9.1 Risiken und ihre Ausbreitung................................................... 166 9.2 Die ersten zwei Zeitabschnitte.................................................. 167 9.3 Das "fahrende Volk" ..................................................... . ..... 168 9.4 Der dritte Abschnitt der Versicherungsentwicklung von 1350 bis 1500 .......... 168 9.5 Einfluß der Reformation auf Gildeversicherungen .............................. 169

Neuntes Kapitel

Seewurf und Schißbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

170

1. Der Seewurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170

1.1 Der Seewurf im Seerecht ....................................................... 170

1.2 Der Seewurf in der Geschichte des Seerechts am Mittelmeer ................... 171

Inhaltsverzeichnis

15

2. Der Seewurf in den nordischen Rechten ................. . .......................... 172 2.1 Seerechte an Nord- und Ostsee ................................................. 172 2.2 Der Seewurf zur Rettung Schiffbrüchiger in Flensburg 1200 ............. . . . . . .. 173 2.3 Die Seewurf-Versicherung in Flensburg 1200 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 2.4 Die Seewurf-Versicherung als Transport- und Haftpflichtversicherung ...... . ... 174 2.5 Die Rechtskonstruktion der Seewurf-Versicherung ............................. 174 3. Der Schiffbruch in der Gildeversicherung .. . . . .. ... . .. . . . ... . . . . . . ... ... . . . . . ..... .. 175 3.1 Die Schiffbruch-Versicherung in Odense 1245 .................................. 175 3.2 Die Schiffbruch-Versicherung in der Tabula de Amalfa ......................... 175 3.3 Zusammenhänge zwischen beiden Schiffbruch-Versicherungen? ................ 176 3.4 Seewurf und Schiffbruch - ein europäischer Anfang der Seeversicherung ....... 176 4. Schiffbruch-Versicherungen in BTÜgge 1310 ................................. . . . . . .. 177 5. Die portugiesische Gildeseeversicherung für Schiffe 1367 -1383 ................... 178 5.1 Entstehung und Inhalt .................. .. ............................... .. ..... 179 5.2 Vorbilder der portugiesischen Seeversicherung

182

6. Seeversicherungen in Gilden ....................................................... 183

Zehntes Kapitel Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

185

1. Gilden in Italien seit 599 ........................................................... 185 2. Seetransporte in Gefahrengemeinschaften .......................................... 187 3. Statuten der Gilden und Städte ..................................................... 188 3.1 Das Vorkommen des Worts "assecurare" in Statuten ............................ 188 3.2 Das Dekret von 1369 in Genua................................................. 190

16

Inhaltsverzeichnis

4. Gildeeinfluß auf Handels- und Versicherungsgesetze der Stadtstaaten............... 191 4.1 Gerichtszuständigkeiten ........................................................ 192 4.2 Verbote für Fremde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 192 5. Ungenutzte Ausgangspunkte für die private Seeversicherung ....................... 193 5.1 Sicherungsbedürfnis und -fahigkeit . . .. ... .. . . . ...... . . . . . . ... . . . ... . . ... . . . .... 193 5.2 Der direkte Weg und die Umwege zur privaten Seeversicherung ................ 194 5.3 Das Wiederaufleben des Römischen Rechts, sein Typenzwang und die 200jährige Verhinderung der Versicherung ............................... . . . . . . . . . . . . . .. 194

Elftes Kapitel

Die römisch-rechtlichen Vorläufer der privaten Seeversicherung im 12. bis 14. Jahrhundert am Mittelmeer

197

1. Die antike Überlieferung ........................................................... 197 1.1 Commenda (anvertrautes Vermögen) und societas maris, die See-(handels-)ge-

sellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 1.2 Das Seedarlehen - pecunia traiectitia (foenum nauticum) ....................... 198 1.3 Klauseln und Abwandlungen des Seedarlehens im Mittelalter .................. 199 2. Gefahrenverteilungen und Versicherungen - veröffentlichte Vertragstexte . . . . . . . . . .. 200 2.1 Verträge über Gefahrtragung bei Fernkäufen - Untersuchungen von Perdikas ... 200 2.2 Bisherige Ansichten über das Entstehungsjahr der Seeversicherung............. 201 3. Verträge über Gefahrverteilung aus dem 12.114. Jahrhundert....................... 205 3.1 1154-1164 in Genua vor Notar Scriba ......................................... 205 3.2 1200-1263 in Marseille insbesondere vor Notar Almaric ...................... 207 3.3 1287 -1326 in Palermo vor den Notaren Ignoto und di Citella .................. 208 3.4 Die beginnende Trennung von Geld- und Warengeschäft ....................... 209 4. Verträge von 1298 -1400 in Genua................................................. 209 4.1 1298 in Genua terminierte Kauf-/ Rückkauf-Verträge. . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. 209 4.2 Verträge von 1343 -1397 in Genua............................................. 211

Inhaltsverzeichnis

17

4.3 1347: Seedarlehen mit Nichtigkeitsklausel ..................................... 212 4.4 1370: Seedarlehen durch Genueser in Brügge .................................. 214 4.5 Die spätere Vertragsentwicklung in Genua - Vergleiche ........................ 215 4.6 1390-1435 in Genua, Gutachten des Bosco .................................... 216 4.7 Erklärungen aus der politischen Geschichte Genuas ............................ 217 4.8 Spezialisierung auf Versicherung? - Die Cattaneo in Genua .................... 218 5. Verträge in Italien um 1340 ......................................................... 219 5.1 1334 in Lucca .................................................................. 219 5.2 1336-1341 und 1350 vor Notar de Rusticis in Palenno ................ . ....... 219 5.3 1338 Pegolotti in Prato bei Florenz............................................. 219 6. Die Unterlegenheit der römisch-rechtlichen Verträge ............................... 220 6.1 Vergleich des Kauf-/ Rückkaufvertrags mit Versicherung ....................... 220 6.2 Die Überforderung des "Versicherers" und das Glücksspiel der Genueser ....... 221 6.3 Die Einordnung in den (genaueren) Versicherungsbegriff ....................... 222 6.4 Die Hinderung der Versicherung ............................................... 223 7. Die geringe Wirkung des päpstlichen Verbots des Seedarlehens ..................... 223

Zwölftes Kapitel

Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385 in einer Lücke der Gildeversicherungen

226

I. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage ............................. 227 1.1 1350 in Palenno vor Notar Stefano d' Amato ................................... 227 1.2 Die vier Seeversicherungsverträge im März 1350 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227 1.3 Der Schiffsversicherungsvertrag vom 24. März 1350 ........................... 231 1.4 Vergleich der Schiffsversicherung 1350 und in Portugal nach 1367

233

2. Verträge in der Übergangszeit ...................................................... 234 2.1 1377 in Brügge - vanzecgger-scepe ............................................ 234 2.2 1384 in Prato bei Florenz - Fr. di Marco .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 2 Schewe

18

Inhaltsverzeichnis

3. 1379-1400 Seeversicherungen in Pisa und Florenz ................................. 236 3.1 Seeversicherungen in Pisa...................................................... 236 3.2 1385 -1400 Florenz: Das neue Vorbild ......................................... 237 3.3 Veränderungen der Kaufmannstechnik (Buchführung, Wechsel, italienische statt lateinische Urkunden) .......................................................... 238 3.4 Politische Veränderungen in Italien. . .. .. . .. . . . ... . .. ... . .. . . . ... . .. .. . . . .... ... 239 4. Generalisierende Risikoklauseln der Seeversicherungsverträge im Vergleich ........ 240 4.1 1340 Pegolotti ................................................................. 241 4.2 1350 in Palermo................................................................ 241 4.3 1367 in Portugal ............................................................... 242 4.4 1379 in Pisa.................................................................... 243 4.5 1436/1477 in Palermo......................................................... 243 4.6 riscio di Dio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 244 5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge ........................... 244 5.1 1385 und 1388: Die Florentiner Risikoklausel .................................. 244 5.2 Die Herkunft der konkreten Risiken aus den dänischen Gildestatuten 12001300 ........................................................................... 245 5.3 Die einzelnen Risiken.......................................................... 247 5.3.1 Das Brandrisiko ...................................... . . . ... . ............. 247 5.3.2 Der Seewurf ................................................. . ........... 247 5.3.3 Die Zurückhaltung von Schiffen, Waren und Personen ....... . ........... 248 5.3.4 Schiffbruch und Piraterie................................................. 249 5.4 Die zeitliche Reihenfolge und der Weg der konkreten Risikoklausel ............ 249 5.5 Entwicklung und Verbreitung der Florentiner Risikoklausel um das Mittelmeer 250 5.6 Das Wagnis als zentraler Begriff der Versicherung.............. . ..... . ......... 252 5.7 Die Risikoklausel im deutschen Handelsgesetzbuch

253

6. Weitere Vertragsinhalte der Seeversicherungsverträge .............................. 253 6.1 Versicherungssummen ......................................................... 253 6.2 Die Kosten in der Seeversicherung ............................................. 254

Inhaltsverzeichnis

19

6.3 Die Prämie ..................................................................... 255 6.4 Die Streuung der Risiken ............................... . ....................... 255 7. Die Schritte zur privaten Seeversicherung .......................................... 256 8. Die Entstehung der Strukturen der privaten Seeversicherung ........................ 257 8.1 Die Isolierung der versicherten Risiken durch Seeverkehr und Seerecht ......... 257 8.2 Die Untergliederung der versicherten Objekte.................................. 258 8.3 Erweiterung und Begrenzung der Risiken - ein Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 258 8.4 Die Bemessung der Beiträge ................................................... 259 8.5 Die Isolierung des Geldgeschäfts vom Warenhandel .... . ....................... 260 8.6 Die Zahlungsfahigkeit von Gilden und Einzelversicherer ....................... 260 8.7 Die gleichartige Bedrohung vieler.............................................. 261 8.8 Die Gilden als Rahmen der privaten Seeversicherung............... . . . . . ....... 261 9. Elemente der Seeversicherung im Zeitablauf in Dänemark und Italien .............. 262 9.1 Übersicht .......................................................... . ........... 262 9.2 Zusätzliche Sicherheiten in Dänemark und Italien .............................. 263

Dreizehntes Kapitel

Die Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jahrhundert 265 I. Veränderungen im Seeverkehr und in der Organisation der Transporte .............. 265 2. Die gleichzeitige Ausbreitung der Seeversicherung in den Ländern Süd- und Westeuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 2.1 In Venedig ..................................................................... 266 2.2 In Florenz und Genua .......................................................... 267 2.3 Schiffsversicherungsverträge und staatlicher Schiffsersatz ...................... 267 2.4 Die Wege der Verbreitung der Seeversicherung ................................. 268 2.5 Seeversicherungen und stadtstaatliche Regelungen darüber nach 1393 und im 15. Jahrhundert................................................................. 270 2*

20

Inhaltsverzeichnis

3. Weiterentwicklungen der Seeversicherungsverträge ................................. 272 3.1 Beispiele und Prozesse ......................................................... 272 3.2 Die Seeversicherungsverträge am Ende des 15. Jahrhunderts

274

4. Regionale Regelungen über Seeversicherung ....................................... 274 4.1 Überblick...................................................................... 274 4.2 Die Stadtgesetzgebung Barcelonas 1435 -1484 . .. . .. . . . ... . .. .. . .. . . . ... . . . .. .. 275 4.3 Die Stadtgesetzgebung von Burgos 1494-1538 ................................ 277 4.4 Die Stadtgesetzgebung in Florenz 1522 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278 4.5 Die spätere Stadtgesetzgebung in London .................. . ................... 279 5. Die spätscholastische Rechtfertigung der Seeversicherung (seit 1403) ............... 279 6. Seeversicherung am Ende des 15. Jahrhunderts..................................... 281 7. Das Fehlen der privaten Seeversicherung in der Hanse im 15. Jahrhundert.......... 282 8. Versicherungen von Transporten über Land und von Menschen am Ende des 14. und im 15. Jahrhundert ................................................................. 282 8.1 Zusammenhänge von See- und Landtransporten ................................ 282 8.2 Landtransporte von Menschen und Reisen ................................ . ..... 283 8.3 Transport- oder Todesfallversicherungen? ...................................... 284 8.4 Versicherungen oder Wetten auf ein Leben? .................................... 285 8.5 Transportversicherung als Vorgängerin der Todesfallversicherung? ............. 286

Vierzehntes Kapitel

Schritte zur und der Venicberung - Zusammenfassung

288

1. Elemente der Versicherungen im Mittelalter - Gilden als Voraussetzung von Versicherungen .......................................................................... 288 2. Gilden in ihrer Bedeutung für die Versicherung ..................................... 289 2.1 Gilden in allen europäischen Ländern .......................................... 289 2.2 Gilde und Königsherrschaft - Gildeverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 290

Inhaltsverzeichnis

21

2.3 Gesetzliche Zusammenschlüsse gegen Gefahren. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .. 290 2.4 gildonia 779 - keine natural-wirtschaftliche Versicherung ...................... 291 3. Gildeversicherungen im 1. Zeitabschnitt (vor 1250) ................................. 291 3.1 Risiko und Umlage in einer Haftungsgemeinschaft ............................. 291 3.2 Das Gilde-Seedarlehen - Exeter vor 950 ....................................... 292 3.3 Die Brandversicherung in Exeter als Muster... .. . ... . . . .. . .. . ... ... . . ... ....... 293 3.4 Die Versicherung des Begräbnisses (Sterbekasse) in Exeter ..................... 293 3.5 Die Weitergabe der Versicherung durch Abschreiben angelsächsischer Rechtstexte ........................................................................... 294 3.6 Gildeversicherungen auf Handelswegen ........................................ 294 3.7 SeewurflSchiffbruch in dänischen Gildestatuten ab 1200 ....................... 295 3.8 Der Stand der Versicherung um 1250 ........................................... 295 4. Gildeversicherungen im zweiten Zeitabschnitt, 1250-1400 ........................ 296 4.1 Gildearten ohne Einfluß auf Versicherungen .................................... 296 4.2 Verbreitung der G.i1deversicherungen um die Ostsee ............................ 296 4.3 Das Fehlen von Versicherung im Binnenland ................................... 297 4.4 Gildeversicherungen im Bergbau ab 1250 ...................................... 297 4.5 Gildeversicherungen der Handwerksgesellen 1329-1500 ...................... 298 4.6 Der Ersatz von Seeschäden im Mittelmeer unter dem Römischen Recht: Seedarlehen und nichtige Verträge als Glücksspiele ................................... 299 4.7 Die ersten vertraglichen Seeversicherungen 1350 in Palermo und 1377 in Brügge sowie die gesetzliche nach 1367 in Portugal................................. 301 4.8 Die Seeversicherung 1379 in Pisa und die florentinische Seerisikoklausel 1385 aus Dänemark .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 302 4.9 Private Versicherungen im 15. Jahrhundert (dritter Zeitabschnitt) ............... 302 5. Gildeversicherungen im 15. Jahrhundert............................................ 303 5.1 Gildeversicherungen für Invalidität und den Todesfall - Köln 1397 ............. 303 5.2 Besondere Gildeversicherungen für Brand u. a. ................................. 303

22

Inhaltsverzeichnis

6. Das Gesamtbild der Versicherungsgeschichte ....................................... 304 6.1 Strukturen der Versicherungsentwicklung ...................................... 304 6.2 Die Tendenz zur Vermehrung der Zahl der Risiken ............................. 305 6.3 "Genealogie" der gesetzlichen Haftungsgemeinschaften ........................ 307 6.4 Einige Probleme der Versicherungsgeschichte im Mittelalter ................... 307 7. Rechtsfortschritte in der Entwicklung der Versicherung............................. 308 7.1 Risikobewältigung - Risikotrennung ........................ . ..... . ............ 309 7.2 Schadensausgleich statt Rechtsdurchsetzung ................................... 309 7.3 Vom Rechtsschutz in Gilden zum Versicherungsprinzip ......................... 309 7.4 Gilde als juristische Person - besondere Kassen ................................ 310 7.5 Der Salto vom Glücksspiel zur Versicherung ...................... . ............ 3 \0 7.6 Rechtsdurchsetzung durch Gerichtsbarkeiten für Kaufleute ..................... 311 7.7 Rechtsanspruch auf Versicherungsleistungen und Armut ...... . . . . . . . . . . . . . . . . .. 311 7.8 Risiko- und Schadensbegrenzungen ............................................ 312 8. Zu Theorien in der Versicherungsgeschichte ........................................ 313 8.1 Überholte Auffassungen in der Versicherungsgeschichte ........................ 313 8.2 Das Fehlen religiöser und theoretischer Einflüsse auf die Entwicklung der Versicherung ...................................................................... 315 9. Der Stand der Versicherung am Ende des 15. Jahrhunderts .......................... 316

Nachwort ............................................................................. 325

Literaturverzeicbnis .................................................................. 326 Sachregister .......................................................................... 336 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 341

Zeitübersichten zur Entwicklung der Versicherungen und der Gilden Aufgaben der Gilden nach den vier angelsächsischen Gildestatuten ....................

52

Gilden von 1000-1200 im Deutschen Reich...........................................

58

Gilden im 13. Jahrhundert in Deutschland..............................................

74

Zeittafel - Die Entwicklung der dänischen Gildeversicherung ..........................

95

Nordische Gildestatuten und -versicherungen von 1000 bis 1400 nach ihren Arten ..... 105 Versicherungen im Bergbau............................................................ 116 Frühe Gesellenverbände und ihre Statuten 1329-1400 ................................. 119 Zeittafel - Statuten der Zünfte I Gilden mit Leistungen an Gesellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 Die Entstehung der mittelalterlichen Sozialversicherungen ............................. 134 Neue Gilden besonderer Art mit Versicherungen in Dänemark und Schieswig-Holstein/Hamburg 1382-1500 ........................................................ 146 Zeittafel- Frühe Leibrentenverträge im 13. -15. Jahrhundert in Europa................ 156 Zeittafel- Erste Todesfallversicherungen im 15. Jahrhundert in Europa................ 165 Versicherungen bei Todesfallen und Erlebensfällen .................................... 166 Zeittafel - Seeversicherungen in Gilden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 Veröffentlichte Vertragstexte über Fernkäufe, Seedarlehen, Kauf-/Rückkäufe und Seeversicherungen von 1154 - 1400 in zeitlicher Reihenfolge ........................... 203 Zeittafel- Verträge von 1343-1397 in Genua ......................................... 212 Vier Verträge vor Notar d' Amato 1350 in Palermo ..................................... 228 Die Beschreibungen der Risiken ....................................................... 233 Risikofalle Florenz 1385 und Dänemark 1256 im Vergleich............................ 246 Elemente der Seeversicherung im Zeitablauf in Dänemark und Italien ........... . . . . . .. 262

24

Zeitübersichten zur Entwicklung der Versicherungen und der Gilden

Zeittafel - Seeversicherungen und stadtstaatliche Regelungen darüber nach 1393 und im 15. Jahrhundert.................................................................. 270 Inhalte der Ordonnanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. 277 Namen und Lebensdaten von Gelehrten mit Äußerungen zur Versicherung 1400-1500

280

Versicherungen über Landtransporte und Reisen ....................................... 284 Zeittafel - Erstmalige Versicherung von Risiken 950 - 1497 I Nachfolgende Regelungen in der Gegenwart ................................................................... 306 Zeittafel - "Genealogie" der gesetzlichen Haftungsgemeinschaften .................... 307 Unzutreffende frühere Auffassungen in der Versicherungsgeschichte ................... 314 Versicherungen in Gilden und durch private Versicherer, die Vorläufer und die Risiken 319

Erstes Kapitel

Versicherungen in historischer Sicht 1. Ein Blick über die Neuzeit zurück In hundert Jahren, kurz vor dem Jahre 2100, wird man vermutlich das 20. Jahrhundert, an dessen Ende dieses Buch erscheint, als das ,,Jahrhundert der Versicherung" bezeichnen; zum einen sind die gesetzlichen Grundlagen für die Sozialversicherung in den letzten Jahrzehnten vor 1900 und die der privaten Versicherung in den ersten Jahrzehnten nach 1900 gelegt worden, zum andem haben beide Versicherungsarten von 1900 bis 2000 einen gewaltigen Aufschwung genommen und ihre Bereiche enorm ausgeweitet l . Weiter zurückblickend setzt eine starke Entwicklung der Versicherung erst im Lauf des 19. Jahrhunderts ein, und eine Erfindung der Versicherung wird meistens in der Neuzeit, also im 16. bis 18. Jahrhundert, vermutet werden; dieses Buch endet aber bereits mit dem Beginn der Neuzeit 14922 , genau mit dem Jahre 1500. Daß z. B. die heutige Seeversicherung, geregelt im Handelsgesetzbuch, Formulierungen der Florentiner Risikoklausel von 1385 verwendet und daß die Sozialversicherung ihre Vorgänger in denen der Gesellengilden des Mittelalters hat, gehört nicht einmal zum Allgemeingut der Historiker. Dabei kann die Versicherungsgeschichte auf überlieferte Beispiele der Versicherung zwischen den Jahre 930 und 1500 zurückgreifen und hat sogar versucht, die erste Erwähnung, allerdings unberechtigt, auf Karl den Großen (768 - 814) zurückzuführen 3 •

2. Geld, Gilden, Versicherung In den fast 600 Jahren (von 930 bis 1500) des Mittelalters war eine Versicherung natürlich eine seltene Erscheinung, schon deswegen, weil sie voraussetzt, daß Geld im Umlauf war. Versicherung ist nicht erst heute ein Geldgeschäft, und vom Worte "Geld" stammt das Wort "gilde" ab und beide vom Wort "gelten,,4. I Siehe die Skizze des Verfasser "Die ,Erfindung' der Versicherung und die Bedingungen für ihre Entwicklung in den letzten 150 Jahren" in Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, 1991, Heft 1 S. 155 ff. 2 1492/93: Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, Humanismus, Reformation 1517. 3 So noch Koch, 1988, S. 225. 4 Eine ausführliche Wortentstehung bei K. Obst, S. 142 ff.

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1. Kap.: Versicherungen in historischer Sicht

Die Bezeichnung "Gilde" taucht zum ersten Mal im Jahre 779 auf, und damit treten auch Zusammenschlüsse in Erscheinung, die diesen Namen tragen. Da Versicherungen im Mittelalter ausschließlich in Gilden, Zünften u. ä. gefunden werden, erscheint es müßig, vor dem ersten Auftreten des Wortes "Gilde" nach Versicherungen zu suchen, es hat aber gleichartige Zusammenschlüsse ohne diesen Namen schon früher gegeben, z. B. eine Berufsgilde der Seifensieder 599 in Neapels; karolingische Gilden werden sogar auf örtliche Priesterkollegien des 6. Jahrhunderts zurückgeführt6 , und mit der Haftung für Diebstahl in fränkischen Hundertschaften beginnt auch hier die Geschichte von Vorgängern der Versicherung. Mit der Ausweitung des Vorkommen von Gilden ist allerdings der Geschichte der Versicherung noch nicht genügend gedient, da von den frühen Vereinigungen noch weniger als von den späteren bekannt ist und eine so ausgeprägte Spezialisierung wie die Versicherung außerhalb unserer Vorstellungen über die einfachen Zustände im Frühmittelalter liegt. Wenn die erstmalige Verwendung des Wortes gildonia im Jahre 779 hier im Zusammenhang der Versicherungsgeschichte aufgegriffen wird, dann deswegen, weil bisherige Darstellungen derselben daraus auch die Versicherungen ableiteten. Immerhin gibt die Untersuchung der Urkunde des Jahres 779 Gelegenheit und Notwendigkeit, die Versicherung ein für allemal von andem Formen der kollektiven Vorsorge abzugrenzen, die im Lauf des Mittelalters immer wieder Versicherungen gleichgeachtet werden. Aus einem ähnlichen Grund wird auch der Inhalt einer Urkunde aus der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts vorgestellt 7 , der wahrscheinlich das Vorbild einer Regelung aus dem Jahre 930 gewesen ist, die wiederum von der versicherungsgeschichtlichen Literatur als erste Versicherung ausgegeben wird. Tatsächlich enthalten beide Urkunden Elemente der Versicherung, sind jedoch noch keine; beide sind aber geeignet, die Entstehung der Versicherung aus Vorläufern zu erklären. Der Zeitrahmen für die Existenz von Versicherungen - 930 bis 1500 - wird dadurch nicht erweitert.

3. Versicherungsverträge in der Antike? Mit dem Beginn der Untersuchungen dieses Buches im frühen Mittelalter entfallen Fragen nach einer Versicherung in der ausgehenden Antike, insbesondere die Frage nach dem Charakter von Gesellschaften für Begräbnisstätten, die wie Versicherungen konstruiert gewesen sein sollen. Nach allgemeiner Ansicht 8 sind heutzutage jedenfalls "alle Versuche, den Versicherungsvertrag schon im antiken römischen Recht nachzuweisen, als gescheitert anzusehen." Dagegen haben andere Rechtsinstitute des römischen Rechts im Mittelalter überlebt und / oder sind im s Oexle, Conjuratio, S. 191. In Gilden als soziale Gruppen, S. 348. 7 Siehe 2. Kap. 1. 8 So Ziegler, a. a. 0., mit Nachweisen; ähnlich Friedrich Ebel, Anfange, S. 8 Anm. 3 a).

6

4. Elemente der Versicherung

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Mittelalter rezipiert worden und haben die Entwicklung insbesondere der Seeversicherung beeinflußt, so der sog. Seewurf und das Seedarlehen (siehe unten 9. und 11. Kapitel).

4. Elemente der Versicherung Im Mittelalter stand die Notwendigkeit, den Unterhalt für das tägliche Leben zu gewinnen, unvergleichlich stärker im Vordergrund als heute und die Vorsorge für die nächste Periode des Lebens entsprechend viel weiter im Hintergrund, aber auch von den verschiedenen Möglichkeiten der Vorsorge genossen diejenigen, die mit Diensten und Sachen zu bewerkstelligen waren, bei weitem den Vorrang vor denen, für die Geld aufzubringen war, und so nahm die Versicherung innerhalb möglicher Vorsorgemaßnahmen die letzte Stelle ein. Um Versicherungen im Mittelalter zu erfassen, sind sie von anderen Vorsorgearten möglichst deutlich abzugrenzen, was wegen der geringen Überlieferungen schwierig ist. Wie bei jeder Grenzziehung bestimmen Begriffe auch den Grenzverlauf der Versicherung in der Geschichte. Die heute gebräuchliche Definition - Deckung eines ungewissen Mittelbedarfs durch Risikoausgleich im Kollektiv und in der Zeit - ist für das Mittelalter zu weit, um Unterscheidungen zu treffen. Auch setzen Rechtsansprüche auf Beiträge und Leistungen ein funktionierendes staatliches Rechtssystem voraus, wie es in Deutschland erst seit 50 Jahren existiert9 , für das Mittelalter können Ansprüche nur als Reflexwirkung von Pflichten ermittelt werden, und deren Durchsetzung hing vom Stand der Personen und der Gewalt der Organisation, der diese angehörte, ab, so daß ein Rechtsanspruch noch keinen Erfolg garantierte und nicht als alleiniger Maßstab verwendet werden kann 10. So ist bei der Einordnung von Regelungen als Versicherung danach zu fragen, ob sich einzelne Elemente, die in ihrer Gesamtheit eine Versicherung ausmachen, im Einzelfall nachweisen lassen. Dabei ist insbesondere auf folgende Elemente zu achten: - Die Isolierung des Risikos; - die vorherige Übernahme alle bedrohender oder fremder Gefahr; - eine Pflicht zum Ersatz eines versicherten Schadens, die nicht ohnehin besteht, und als Reflex darauf ein Ersatzanspruch; - ein Beitritt zu einer Gefahrengemeinschaft, ein Vertrag oder eine automatische Zugehörigkeit aufgrund eines Statuts;

9 Noch 1938 wurden nach der sog. Reichskristallnacht die Rechtsansprüche der jüdischen Geschäftsinhaber auf Ersatz ihrer Glasschäden von den Sachversicherungsuntemehmen anerkannt, die Entschädigungen in Höhe von ca. eine Mrd. Reichsmark jedoch an den Staat ausgezahlt. 10 Siehe unten 2. Kap. und 5. Kap. 7.5 sowie 14. Kap. 7.6 und 7.7.

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1. Kap.: Versicherungen in historischer Sicht

- die Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit vertretbarer, besonderer Leistungen; - eine Pflicht zur Zahlung von Beiträgen einschl. von Umlagen. Als Elemente einer Versicherung genügen u. a. nicht: - Die Verwandtschaft, Sippschaft, Nachbarschaft, Zugehörigkeit zu Grundbesitzern; - die christliche Nächstenliebe (caritas); - die Verpflichtung zu Diensten, die in Person geleistet werden müssen, z. B. zur Teilnahme am Begräbnis, Totenwache, Mithilfe beim Hausbau; - der Einsatz bei Feuerwehren und akuten Rettungen; - ausschließlich Sachleistungen, es sei denn als Geldersatz. Hinzu tritt im Mittelalter noch die Notwendigkeit und Schwierigkeit, die Versicherung von anderen Rechtsinstituten mit ähnlichen Zielen, wenn sie in großer Zahl auftreten, zu unterscheiden, so von Bürgschaften, Leibrentenversprechen, Gewährleistungen für Pfander, von treuhänderisch übertragenen Gütern oder Geldern und von Seedarlehen. Wegen der großen Verschiedenartigkeit und Unklarheit der Rechtsformen ist in jedem Fall, in dem eine Einordnung als Versicherung in Betracht zu ziehen ist, eine gesonderte Urteilsbildung erforderlich, wie sie im weiteren Verlauf jeweils vorgenommen wird. Im Gang der Versicherungsgeschichte erscheint es wichtiger, die Stufen zu erkennen, mittels derer die Anfange zu einem komplexen Gebilde, eben einer Versicherung, aufgebaut wurden.

5. Zwei Wurzeln der Versicherung? Die überkommene Versicherungsgeschichte geht von zwei "Wurzeln" der Versicherung aus, die in ihrem Entstehungsgrund und ihrer Ausgestaltung verschieden seien, nämlich dem "antiken Seedarlehensrecht, welchem die Seeversicherung auf Prämie, und das Recht der genossenschaftlichen, überwiegend germanischen Verbindung, welcher die Gegenseitigkeitsversicherung entsprungen ist"ll. Noch deutlicher wurde dies 1937 ausgedrückt: "Die Erwerbsversicherung geht auf das schon sehr früh ausgeprägte kaufmännische Denken der Romanen zurück, während die Versicherung auf Gegenseitigkeit dem besonders stark ausgebildeten sozialen Denken der Germanen entsprungen iSt.,,12 Die Versicherungen in den von Germanen besiedelten Ländern im Westen und Norden Europas seien jeweils neu als "Ur11 So Büchner, Versicherungsgeschichtliche Betrachtungen, unter Berufung auf Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, Stuttgart 1891. 12 Helmer, Die Gegenseitigkeitsversicherung, S. 3. Im weiteren führt Helmer die Gegenseitigkeitsversicherung auf die gemeinsame Abstammung der Germanen und deren besonderes Verhältnis zum Boden zurück.

6. Wesen und Namen der frühen Gilden

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schöpfungen aus gennanischem Geist" entstanden, keineswegs durch Weitergabe von Land zu Land. Noch 1980 wird der "unerschöpfliche gennanische Assoziationsgeist" (Otto von Gierke 1888) für die angebliche Verbreitung der Gegenseitigkeitsversicherung in karolingischen Gilden vor dem Jahre 779 verantwortlich gemacht l3 . Abgesehen davon, daß die Zuschreibung von Versicherungsarten an Sprachgruppen viel zu grob ist, vernachlässigt die überkommene Versicherungsgeschichte die Einflüsse der geographischen Lage der Länder, des Seeverkehrs und der Wanderungen, des Handels, der Wirtschaftskräfte und der Herrschaftsunterworfenheiten. Die Vorstellung, daß im europäischen Wirtschafts geschehen und im mittelalterlichen "sacrum imperium Romanum" (so zuerst 1254), das auch Italien und Flandern umfaßte, ein- und dieselbe Wirtschaftsbetätigung, eben die Versicherung von Wagnissen, mindestens zweimal nebeneinander erfunden worden sein soll, hätte spätestens nach 1950 überprüft werden müssen, da mit Zwischengliedern zu rechnen war. Auch die neue Beurteilung des Gildewesens im Mittelalter, die die allgemeine Geschichtswissenschaft am Ende der 70er Jahre erarbeitet hat l4 , ist an der deutschen Versicherungsgeschichte ebenso wie die Entthronung des Seedarlehens als Ursprung der privaten Seeversicherung in Italien durch Perdikas lS um die gleiche Zeit vorübergegangen. Schon 1870 mokierte sich der Versicherungsgeschicht1er Reatz l6 : "Um die Seeversicherung recht ehrwürdig erscheinen zu lassen, hat man ihr ein hohes Alter beigelegt". So wie Kaiser und Könige aus neuen Geschlechtern ihre Stammbäume bis auf Karl den Großen zurückverlegten, so führte man die Institution Versicherung auch auf ihn zurück. Stattdessen ist es erforderlich, das Zusammenfinden der einzelnen Elemente des gegenwärtigen Endzustands der Versicherung erkennen zu lassen, damit man diesen besser verstehen kann.

6. Wesen und Namen der frühen Gilden

Alle Urkunden des Mittelalters, in denen Anhaltspunkte für die Existenz von Gegenseitigkeitsversicherungen gefunden wurden, sind solche aus oder über Gilden. Die Vorstellung, die man sich von Gilden macht, wird durch das Bild der spätmittelalterlichen Stadt beeinflußt, in der Gilden und Zünfte nach Berufen organisiert waren. Für Gilden vor dem 12. Jahrhundert trifft dies nicht zu, vielmehr waren diese in ihren Zielen umfassend und übten (noch) in ottonischer Zeit "Tischgemeinschaft, Rachepflicht, Brudertreue und Sühnegemeinschaft" aus 17 • Heute wird die Gilde definiert als eine Personenvereinigung "zu gegenseitigem Schutz und Koch, HdV, S. 225. Durch Oexle, Schwineköper, Schmidt-Wiegand u. a., siehe unten 2. Kap. IS Veröffentlicht in der Zeitschrift f. d. gesamte Versicherungswissenschaft 1966 - 1980; siehe unten 11. Kap. 16 Reatz, S. 14. 17 Planitz, Rechtsgeschichte, S. 173. 13

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1. Kap.: Versicherungen in historischer Sicht

Beistand, zu religiöser und gesellschaftlicher Tätigkeit, sowie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder,,18. Für die karolingischen Gilden fügt Oexle l9 "die latenten und notfalls auch manifesten ,politischen' Funktionen der Gilde" hinzu. Dazu gehörte auch die selbst erteilte Fähigkeit zur Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung. Was eine Gilde von andern Zusammenschlüssen unterscheidet, war nicht eine Abgrenzung als "soziale Gruppe" und auch nur vordergründig das gemeinsame Gildemahl, sondern die besonders enge Beziehung der Gildegenossen untereinander, die alle Lebensbereiche umfaßte, und die Intensität, mit der diese an der Gemeinschaft festhielten. Während die Belege des frühen Mittelalters in lateinischer Sprache lateinische Bezeichnungen für die Zusammenschlüsse verwenden, erscheint das germanische, aber latinisierte Wort "gildonia" erstmals 779. Seine germanische Herkunft ist unbestritten. Die Bezeichnung "gilde" kommt nur nördlich der Linie Brüssel- Frankfurt/Oder einschl. der westsächsischen Gebiete Englands und in Dänemark vor20 . Gilde, von geld (Geld) abgeleitet, bedeutet Zahlung, Abgabe, woraus sich über die gemeinsame Gabe zum gemeinsamen Mahl auch die Bedeutung "Opfermahl" entwickelt haben könnte, jedoch stehen neuere Forschungen der früher behaupteten Herkunft der Gilde aus germanischen Opfermahlen skeptisch gegenüber. Zahlung/ Abgabe 21 sind z. B. als Buße für getötetes oder gestohlenes Vieh oder Wergeld (Waregeld) oder für den Totschlag, als Entgelt für Söldner oder als Geldsammlung (collecta) zu verstehen, erst danach als sakralgesetzliche Abgabe 22 . Aus dem Wort läßt sich allenfalls ableiten, daß solche Vereinigungen sich Gilden nannten, die ihre Gastmahle und Vorhaben aus allgemeinen Abgaben ihrer Mitglieder finanzierten. Für die späteren Jahrhunderte hat die Sprachforschung geklärt, daß die Einteilung in Gilden für Kaufleute und Zünfte für Handwerker nicht zutrifft, sondern beide Bezeichnungen und Innung (einung), handwerk, zeche, werk, ampt, Verband u. ä. regional und zeitlich unterschiedlich verwendet wurden, aber durchweg den gleichen Inhalt beschreiben. Für alle wird in diesem Buch die Bezeichnung Gilde gebraucht, da Affinitäten zwischen bestimmten Bezeichnungen und der Existenz von Versicherungen in ihnen nicht festgestellt worden sind.

18 Stradal, zitiert bei Oexle, Conjuratio, S. 156. Oexle, Conjuratio, S. 156. Schmidt-Wiegand, Die Bezeichnungen Zunft und Gilde, S. 31. 21 Düwel, Handel, S. 404/405. 22 Düwel, Handel, S. 450. 19

20

Zweites Kapitel

Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften vor dem Jahre 1000Vorsorge oder Versicherung? Im Rahmen der Geschichte der Versicherung fallen aus der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends zwei Dokumente ins Auge, deren Regelungen lange, jedoch gegensätzliche Einflüsse auf die Versicherung im Mittelalter gehabt haben; das erste nämlich aus den Jahren 511 bis 561 bahnte deren Entstehung an, das zweite aus dem Jahre 779 beeinträchtigte ihre Entfaltung.

1. Recbtsverfolgung und Diebstablsausgleicb im Frankenreicb vor 561 Schon bei dem ersten Vorkommen von Zahlungen für Schäden ist es schwierig, solche der Versicherungsmethode oder einer allgemeinen öffentlichen Lastenverteilung, ähnlich einer Steuer, zuzuordnen. Es handelte sich dabei darum, die Einwohner begrenzter Regionen dafür einzuspannen, dem königlichen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen und, wenn dies nicht gelingt, die Gesamtheit für die Folgeschäden haften zu lassen. Der fränkische König Chlotar I. (511 - 561) erläßt den .. pactus pro tenore pacis" (Vereinbarung über den dauerhaften Verlauf des Friedens)23 und ordnet darin die Bildung von Centenen (Hundertschaften) der Freien als Unterbezirke von Grafschaften an. Diese Centenen beauftragt er auch mit der Verfolgung von Dieben. Wird ein Diebstahl nicht aufgeklärt oder der Dieb nicht gefaßt, so haftet die Centene dem Bestohlenen für den Wert des Gutes und muß es ersetzen. Flieht der Dieb in eine andere Centene, ist diese ersatzpflichtig. Wird der Tater von der Centene ergriffen, so kann sie sich an ihm für den geleisteten Schadensersatz schadlos halten und erhält zusätzlich als Belohnung die halbe Diebstahlbuße, die andere Hälfte erhält der Graf als Vertreter des Königs. Hier wird also die bäuerliche Landgemeinde zur Mithilfe bei der Rechtsverfolgung eingespannt24 , aber auch der Schaden eines einzelnen auf hundert Schuldner verteilt. Zugleich wird den Zahlern bei Ermittlung des Taters eine Art Rückvergütung in Aussicht gestellt. Diese Regelung 23 24

Monumenta Germaniae Historica, Capitularis Regum Francorum I, 3 (S. 3, 5). Landwehr, S. 56.

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2. Kap.: Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften

ist im Rahmen der Bemühungen des "Staates" zu sehen, die Geschädigten, bei Totschlag auch die Erben und die Sippschaft, von der Rache des Bestohlenen und der (späteren) Fehde abzuhalten; der König erließ das Dekret eben als Garant des Friedens. Die Belastung der regionalen Gruppe mit einer zweckbestimmten Abgabe diente dem Ziel, den Frieden im Innern zu sichern. Den Preis dafür zahlte der Freie durch seinen Anteil am Ersatz des Schadens. Der Diebstahl war ein von den Centenen unbeeinflußtes, zufälliges Ereignis und könnte einen Versicherungsfall abgeben, und die gemeinsame Autbringung der Mittel für den Schadensersatz war eine Umlage wie in einer Schadensversicherung; man könnte wegen der der Centene zwangsweise auferlegten Haftung darin auch eine Haftpflichtversicherung sehen. Gleichwohl steht hier der Vorrang der Rechtsverfolgung vor dem Schadensersatz und die Abhängigkeit vom königlichen Gebot so sehr im Vordergrund, daß keine Versicherung angenommen werden kann; die Ersatzpflicht erscheint als Drohung und als Druck zwecks Ergreifung des Diebs und nur notfalls als Nebenzweck. Auch gleicht die Umlage einer heutigen öffentlich-rechtlichen Abgabe für einen Zweckverband. Wohl aber ist diese Regelung die erste, in der Elemente der Versicherung, - der Ersatz eines zufälligen Schadens durch eine Umlage verteilt auf eine größere Gesamtheit derer, die nicht selbst vom Schaden betroffen sind - erprobt und damit erfunden wurde. Zwar war diese Methode noch nicht der Hauptzweck, aber in verbesserter Fonn werden wir dieser Wurzel im ganzen Mittelalter immer wieder begegnen. Auch das Verhältnis vom König zur Centene, vom Gewaltinhaber zur Gruppe, und die Zusammenfassung von Grundbesitzern zu einer Gruppe hat später Nachahmung gefunden.

2. Karolingische Gilden und das Gildeverbot 779 2.1 Das Capitulare Heristalense

Das älteste Zeugnis über Gilden und ihren Namen ist im Kapitular Karls des Großen von Herstal aus dem Jahre 779 enthalten 2s • Das Capitulare Heristalense hat seinen Namen von der Pfalz Heristal, die schon König Pippin bewohnte, das heutige Herstal in Belgien bei Lüttich an der Maas. Dem Erlaß des Kapitulars war die Beratung auf einer Synodalversammlung vorhergegangen. Dementsprechend befaßt sich dieses Kapitular in den meisten Vorschriften mit den Aufgaben und Rechten der Bischöfe und Priester und dem Zehnten, auch mit den Aufgaben der Grafen und hängt eine Reihe von Verboten an. Kapitularien werden die königlichen Erlasse der Karolingerzeit genannt, die mit Gesetzeskraft gelten. Sie regeln Rechtsgebiete nicht vollständig, sondern lassen Lücken. Ihre Sätze darf man nicht ohne weiteres verallgemeinern, weil sie z. T. nur als Beispiele dienten. 25 Monumenta Germaniae Historica, Leges Sectio 11, Capitu1aria regnum Francorum, Tomus I, hrsg. v. A. Borethius, 1883, S. 51 Nr.20.

2. Karolingische Gilden und das Gildeverbot 779

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Im Capitularis Heristalense lautet Kapitel 16: De sacramentis per gildonia invicem coniurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de illorum elemosinis aut de incendio aut de naufragio, quamvis convenentias faciant, ut nemo in hoc jurare praesumat. Nahe am lateinischen Text bleibt die folgende Übersetzung 26 : "Über die, die mit Eiden um einer Gilde willen wechselseitig schwören: Niemand darf dies tun. Über die Almosen, die Feuersbrunst und den Schiffbruch von Leuten ist, obschon auch sie Übereinkommen geschlossen haben, in anderer Weise zu urteilen, aber auch in diesen Angelegenheiten darf niemand schwören."

Aus diesem Text ist im Umkehrschluß gefolgert worden, daß, weil Gilden verboten werden, sie vordem bestanden haben müssen, und, weil Vereinbarungen über Armenpflege, Brandbekämpfung und Bergung bei Schiffbruch ausdrücklich erwähnt wurden, auch diese vorher in den Statuten der Gilden enthalten gewesen müssen. Der zweite Teil dieser Folgerung ist nicht zwingend 27 , vielmehr läßt die Gegenüberstellung in Satz 2 darauf schließen, daß die drei dort genannten Tlitigkeiten schon vor 779 in gesonderten Zusammenschlüssen ausgeübt worden sind, wenn auch Gilden sie ursprünglich in ihre Aufgaben einschlossen28 • Ein Kaufmann konnte schon damals z. B. gleichzeitig einer Gilde, einer Bruderschaft rur die Armenpflege, einer Feuerwehr und auf Reisen einer Schiffsgefahrgemeinschaft angehören, dazu noch seiner Familie und Sippe. Ohne Spezialisierung kommen die karolingischen Gilden als Wurzel einer Versicherung nicht in Betracht; bestanden aber spezielle Vereinigungen, waren diese keine Gilden mit allumfassendem Schutzzweck. Die Isolierung einer besonderen Gefahr, die eine der Voraussetzungen der Versicherung ist, und erst recht eine gesonderte Rechnungsführung (besondere Kasse) hätte die umfassende Funktion der Gilde durchbrochen. Später, 852, setzt Hinkmar von Reims Gilde und Bruderschaft gleich ("de collectis, quas geldonias vel confratrias vocant") und ruhrt mit dieser Unklarheit die Begriffsüberschneidung29 des späteren Mittelalters herbei.

Vom Verfasser, weitere Übersetzungen bei Schewe, Die Gilde, S. 516 f. Siehe Schewe, Die Gilde, S. 518 f. 28 Die von Koch a. a. O. hinzugefügten "anderen Gefahren" sind im Text des Kap. 16 nicht enthalten, ebenso nicht die Hilfeleistung "durch Geldzahlung", die Koch in "Versicherungsgeschichte in Stichworten" hinzufügt; sie kann auch nicht aus der Gildepflicht, allgemeine Abgaben zu zahlen, hergeleitet werden, zumal jeder Zusammenhang mit den drei genannten Tätigkeiten fehlt. 29 Oexle, Gilden als soziale Gruppen, S. 327 f. 26

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3 Schewe

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2. Kap.: Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften

2.2 Die gi/donia der Sachsen - Gildenrecht oder Königsherrschaft?

Obwohl es in den karolingischen Gilden vor und nach 779 keine Anzeichen von Versicherungen gibt, hat das Gildeverbot des Capitularis Heristalense dem Entstehen von Versicherungen entgegengestanden; denn es verhinderte auch eine Wandlung des Verhältnisses von König und Gilden. Diese hatten 779 und im ganzen Mittelalter das Ziel, den einzelnen vor Übergriffen, auch rechtmäßigen, zu schützen und ihm zur Durchsetzung eigener Rechte zu verhelfen, deutlich besonders an der Hanse. In einem Raum mit geringer Regelungsdichte, wie um 779, muß die Neigung stark gewesen sein, die Rechte der Gruppe selbst zu definieren und die Wege der Durchsetzung von Rechten selbst auszuwählen (vergleichbar beim Streikrecht der Gewerkschaften vor und um 1900). Dieses Streben jenseits des Rechts mußte mit der Auffassung des Königtums als Quelle des Rechts und dem königlichen Monopol der Rechtsprechung und Rechtsdurchsetzung kollidieren. Die Gefährlichkeit der Gilde für die Herrschaft bestand nicht nur, wenn die Gilde einen Konflikt mit der Herrschaft ansteuerte, sondern indirekt auch dann, wenn sie sich gegenüber Mitgliedern oder als Kollektiv gegenüber Dritten ein Regelungsrecht herausnahm. Otto von Gierke 30 hat schon 1868 die Stoßrichtung des genossenschaftlichen gegen das Herrschaftsprinzip festgestellt. Deswegen war die Gilde auch dann gefährlich, wenn keine konkrete Geflihrdung der Rechtsordnung bestand; das Verbot der Gilde ersetzte, ähnlich wie heute das der terroristischen Vereinigungen, die Strafbarkeit von gemeinsamen Vorbereitungshandlungen und Versuchen, die das germanische Recht nicht kannte 31 . Das latinisierte Wort "gildonia" ist Beweis dafür, daß 779 der königliche Hof und die Synodalen die gesellschaftliche Erscheinung, die sie treffen wollten, nicht mit einem lateinischen Wort identifizieren konnten. Sie gab es jedenfalls in dem Bereich, in dem die Sprachforschung den Namen "Gilde" später feststellt, also nördlich einer Linie Brüssel - Frankfurt/Oder. Mit Gilde wurde also ein Zusammenschluß bezeichnet, den man damals als für den Norden des Frankenreichs typisch ansah, so wie die Mafia als etwas typisch Sizilianisches registriert wird. Deswegen werden mit "gildonia" 779 die Zusammenschlüsse der Sachsen mit dem Ziel des aktiven und passiven Widerstands gegen den Eroberer Karl gemeint gewesen sein, gleichzeitig sollte mit dem Eidesverbot für Gilden im gesamten Karolingerreich Zusammenschlüssen mit Eigengesetzlichkeit vorgebeugt werden, um eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Machtveränderungen zu verhindern. In der Entwicklung der Gilden wird in den nächsten 1000 Jahren die Furcht der Gefahrdung der Macht durch jene immer wieder auftreten. Das politische Wesen der ursprünglichen Gilden und das königliche Vorgehen gegen diese schließen die Entstehung einer Versicherung in den karolingischen Gilden aus. Die schon 150 Jahre alten Versuche, die Jahrhunderte später genannten Gilden mit denen aus 779 gleichzusetzen und daraus eine "germanische Kontinuität" der Gilden - und der 30 31

Gierke, Bd. I, S. 220 ff. Planitz, Rechtsgeschichte, S. 36.

3. Bruderschaften, Feuerwehren und Schiffsgemeinschaften 779

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Versicherung 32 - abzuleiten, übersehen die Wandlungen im Verhältnis von Herrschaft und Gilde, die erst Versicherungen in Gilden möglich gemacht haben. Mit dem gleichen Namen "gilde" 779 wie um 1500 ist noch keine Wurzel der Versicherung gefunden.

3. Bruderschaften, Feuerwehren und Schiffsgemeinschaften als begrenzte Hilfsgemeinschaften 779 ,,Auf andere Weise" wollten die Verfasser des Kap. 16 die Zusammenschlüsse gewertet wissen, die sich für die Armenpflege, den Brandschutz und die Rettung aus Schiffbruch gebildet hatten. 3.1 Zweckverbände

Diese Zusammenschlüsse waren keine karolingischen Gilden, nämlich vom Wortlaut deutlich von jenen unterschieden und ihrem Wesen nach nicht auf alle Lebensbereiche umfassend ausgerichtet, sondern auf besondere Aufgaben begrenzt 33 ; es waren also Zweckverbände. Auf sie darf man deswegen Eigenschaften, die man den Gilden zuschreibt, nicht ohne Anhaltspunkte übertragen, also weder das Gildemahl noch Abgaben dafür oder rlir andere Gildezwecke. Andererseits werden gerade deswegen aus den Schickssalschlägen des Lebens drei herausgehoben und damit als Ansatzpunkte für besondere Hilfen verselbständigt. Seitdem sind Armut, Brand und Schiffbruch als spezielle Gefahren erkannt und die jeweiligen Hilfen als spezielle Arten der Vorsorge anerkannt. Aus Brand und Schiffbruch werden später Risiken der Versicherung (siehe 3. Kap. 3.1). Aus der bloßen Nennung von Vereinigungen, die sich mit den drei genannten Gefahren befassen, können und dürfen nur wenige Folgerungen über deren Aufgaben und Eigenschaften gezogen werden. Zwar werden im Kap. 16 Satz 2 ausdrücklich Abmachungen (convenentiae) angesprochen, aber von Beiträgen und Leistungen ist keine Rede, sondern nur vom Ziel der Hilfen.

3.2 Die Risiken

So ist für die Armenpflege es schon unklar, ob die Bruderschaften die Armen aus ihren Reihen oder andere Arme oder beide unterstützen wollten. Ähnliche Fragen stellen sich auch für die Brände und den Schiffbruch: Stand der Schutz des 32 Die Versicherungsgeschichte hat von 1868 bis 1988 aus einer "Vermutung" von karolingischen Gilden als Versicherungen eine Gewißheit gemacht und diese phantasievoll ausgeschmückt; Zitate siehe Schewe, Gilden und Hilfsgemeinschaften, S. 919 f. 33 Koch, HdV, S. 225, hat den Unterschied übersehen.

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2. Kap.: Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften

Hauses der Mitglieder im Vordergrund oder wurde eine allgemeine Feuerwehr gebildet? War beim Schiffbruch die Gemeinschaft derjenigen gemeint, die als Schiffer, Schiffsbesatzung, Passagiere und Kaufleute sich in einem Boot befanden oder eine Küstenwache? Handelte es sich um gemeinnützige Vereinigungen oder um eigennützige? Beim Brand ergibt sich die Antwort aus der Bauweise: Angesichts der Holzbauweise und der Rohr- / Stroheindeckung der Häuser war ein Zusammenschluß zur Brandbekämpfung, der sich nur auf Häusern von Mitgliedern bezog, von vornherein ohne Erfolgsaussichten, eine Brandbekämpfung war nur durch die gesamte Nachbarschaft möglich. Der Zusammenschluß diente wie noch im 19. Jahrhundert dazu, die nachbarschaftlichen Löschtrupps zu organisieren. Die genossenschaftlich organisierte Nachbarschaft hatte bei Bränden die selbstverständliche Pflicht, diese zu verhüten, sie zu löschen, sie einzudämmen und den Schaden zu beschränken, außerdem Personen und Gut zu retten, auch wohl die Personen vorläufig unterzubringen und bei Bedarf das Lebensnotwendige für die nächsten Tage zu beschaffen. Ob eine Mithilfe beim Wiederaufbau des Hauses gerade noch in Betracht kam 34, muß offen bleiben. Wer meint, daß schon 779 die Genossen einen Ersatz von verbranntem Gut oder andere geldwerte Leistungen aufzubringen verpflichtet waren, muß Anhaltspunkte dafür dartun. Von einer Teilung des geretteten Guts wird ohnehin keine Rede sein können. Der Zusammenschluß bei Schiffbruch, der in Kap. 16 angesprochen wird, bezog sich auf den Schiffer, die Schiffsbesatzung, Passagiere, Kaufleute: Diese bildeten nach germanischem Seerecht - anders als nach römischem - eine Schiffsgemeinschaft3s ; so berichtet z. B. Einhard, der ,,Bau- und Kultusminister" und Geschichtsschreiber Karls des Großen, in seinen Wundergeschichten 36 , daß 828 ein Schiff Kölner Kaufleute eine gebrechliche Frau von Köln nach Seligenstadt am Main befördert habe, damit sie dort Heilung finde; die Kaufleute übernehmen gemeinschaftlich die Rückbringung der Frau. Eine Schiffsgemeinschaft trug die Verantwortung für das Schiff, die Rettung der Mitreisenden und bei Strandung der Bergung der Waren, aber mehr als der persönliche Einsatz im Zeitpunkt des Unglücks konnte nicht erwartet werden. Auf eine Teilung der geretteten Güter oder einen Ersatz oder Teilersatz des Schadens läßt nichts schließen. Es bleibt also im Wortsinn ein ,,Bei"-standsgebot. 34 Noch im 15. Jahrhundert begnügten sich die Brand- und Feuergilden in Holstein damit, "Holz, Stroh, Bettfedern u. dgl. m." an die Brandgeschädigten zu liefern; so Manes, Stichwort ,,Feuerversicherung". 3S Krieger, Entwicklung, S. 256. 36 Translatio et miraculi Sanctorum Marcellini et Petrus, MGH Scriptores 15,1 S. 238264; ,,Die Übertragung und Wunder der Heiligen Marcellinus und Petrus", übersetzt von Karl Esselbom, Darmstadt 1925, S. 83/84. Siehe dazu vom Verfasser ,,Der Einfluß der Reichspolitik Ludwigs des Frommen und der Wundergläubigkeit seiner Zeit auf die Gründung von St. Kastor in Koblenz zwischen 815 und 836, Parallelen zu Einhards Reise- und Wundererzählungen" , in Altarweihe in Koblenz St. Kastor, Hrsg. Kirchengemeinde 1990.

3. Bruderschaften, Feuerwehren und Schiffsgemeinschaften 779

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Vor allem war die versprochene Leistung unbestimmt und persönlicher Natur; Helfer und Hilfeempfänger konnten sich, besonders klar beim Schiffbruch, nicht vertreten lassen. Unvertretbare Dienste können aber nicht Gegenstand einer Versicherungsleistung sein. Auch kam es nur auf die Hilfe im Augenblick des Schadensereignisses an, von einem nachträglichen Schadensausgleich ist nicht die Rede. Über beide Einschränkungen kann auch die Benennung mit "naturalwirtschaftliche" Versicherung nicht hinweghelfen, die ohnehin nur eine Mischung aus persönlichen Diensten und Sachleistungen ist.

3.3 Persönliche Beistandspflichten

Was unter gegenseitigen Beistandspflichten verstanden worden sein kann, zeigt ein Beispiel aus dem 11. Jahrhundert, also 300 Jahre später als die Entstehung des Kapitulars 779. In der Legenda aurea des Jacobus von Voragine, Predigennönch und Erzbischof von Genua, 1230-1298, wird geschildert 37 , wie 30 Pilger nach Santiago de Compostela um das Jahr 1070 "einander Treu und Hilfe in allen Dingen" schwuren, einer von ihnen 15 Tage krank und reiseunflihig war, sie dann weiterzogen und der Kranke am 16. Tage starb. Ihnen wurde aus dem Munde von St. Jacobus in Gestalt eines Reiters gesagt, "daß ihre Wallfahrt nichts gelte, weil sie ihr Gelübde hätten gebrochen". So fügte erst das kirchliche Recht dem Beistandsversprechen eine Sanktion hinzu, die im weltlichen fehlte, allerdings erst in weit späterer Zeit. Auch diese Sanktion machte aber aus dem Beistandsversprechen keine "Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit". Diese Schilderung verdeutlicht, daß aus der Erwähnung von Brand und Schiffbruch nur auf einen tatsächlichen Beistand geschlossen werden darf, der - auf Schadensverhütung, -beschränkung und -venninderung ausgerichtet war, - persönliches Füreinander-Einstehen in aktuellen Gefahren war, aber nicht mehr, - einen Einsatz von Sachen in allenfalls unbestimmter Höhe und nur in dem Umfang verlangte, wie er bei Bruderschaften für die Annenpflege erwartet wurde, - sich nach der Hilfskraft des Reisegeflihrten/Nachbarn richtete. Richtig und wichtig bleibt es allerdings, daß schon 779 das Bewußtsein einer wenn auch begrenzten Gefahrengemeinschaft für Annut, Brand und Schiffbruch ausgebildet, die Eignung der genossenschaftlichen Vorsorge erkannt und die Bereitschaft dazu vorhanden und erprobt war. Diese zusammen bildeten schon in der Zeit Karls des Großen einen guten Nährboden für eine Art der Vorsorge 38 in einer Gemeinschaft, aus der Versicherungen jedoch erst später hervorgegangen sind. Für sie paßt der Begriff "soziale Vorsorge,,39: er greift über die Sozialversicherung hin37 38 39

Übersetzung von R. Benz, Heidelberg 1979. Siehe Schewe, Vorsorge in der Sozialversicherung, in HdV, S. 1291, unter I. 3. Vgl. Zacher, Was ist Sozialrecht?, S. 249 ff. und Einführung, S. 20 ff.

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2. Kap.: Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften

aus. Das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit öffnet einer Gemeinschaft den Weg zu vielen Formen von Hilfen. Nicht nur Versicherungen - die Sozialversicherung und die Gegenseitigkeitsversicherung am leichtesten - können sich Zusammenschlüsse, die wie Nachbarschaften und Schiffsgemeinschaften ohnehin existieren, zunutze machen. Für die Annahme einer Versicherung hätten aber damals mehr an Elementen der Versicherung hinzutreten müssen.

4. Gilden und Gildenverbote im 9. Jahrhundert Das Verbot der Gilden 779 und die Erlaubnis für nichtbeeidete Hilfsgemeinschaften wurde in der folgenden Karolingerzeit mehrfach wiederholt, und aus der Wiederholung kann man schließen, daß immer wieder Gilden mit dem Ziel der Selbsthilfe und der Behauptung gegenüber der Herrschaft gegründet wurden40 • Schon 785 erläßt Karl der Große im Capitulare saxonicum ergänzende Verbote gegen gemeinsame Planungen von Heiden gegen Christen und gegen das gemeinsame Gildenmahl. 789 erstreckt er das Kapitular von 779 auf Aquitanien und führt ausdrücklich die "geldonia" auf. Um 800 wendet sich Alkuin, der Angelsachse am kaiserlichen Hof, gegen coniurationes. Im Kapitular von Diedenhofen 805 werden die conspiratio (mit und ohne Eid, durch Handschlag) verboten, worunter auch die Gilden fielen. 821 verbietet ein Kapitular Ludwigs des Frommen coniurationes servorum in Küstengebieten, also Gilden von Hörigen. 832 wiederholt Lothar I. das Verbot von 805. Erzbischof Hinkmar von Reims wendet sich in seinem Kapitular vom 1. November 852 gegen das Treiben "von den Gruppen, die die Leute Gilden oder Bruderschaften nennen" und die sich aus Laien und Klerikern, Männern und Frauen zusammensetzten. 859 bildete die Bevölkerung zwischen Loire und Seine eine eidliche Verbindung gegen die Dänen, die verboten wurde. 862 verbietet Karl der Kahle im Kapitular von Pitres Gruppen, die in deutscher Sprache herizuph genannt werden, und coniurationes. 884 ordnet der westfränkische König Karlmann in einem Kapitular an, daß den Leuten in Dörfern verboten werde, eine Gruppe (collecta) zu bilden, die in der Sprache des Volks gelda heißt und sich gegen Räubereien richtet (quam vulgo geldam vocant), weil sie die Sicherung von Frieden und Recht selbst in die Hand nahmen 41 • Obwohl die Verbote in jedem Jahrzehnt einmal überliefert sind, kann daraus nicht geschlossen werden, daß es "zahlreiche" Gilden gab42 • Auch kirchliche Schriftsteller wie Hrabanus Maurus (780-856) und ihm folgend Regino von Prüm (vor 892-915) in einem kirchlichen Handbuch43 nehmen gegen Gilden Stellung.

40 Die folgenden Angaben sind zusammengestellt aus Jankuhn, u. a.; Schwineköper, Gilden und Zünfte, Sigmaringen 1985; Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 154 (auch zu Alkuin). 4. Oexle, Conjuratio, S. 153. 42 Büchner, Begriff, S. 121 f.; Koch, HdV, S. 225. 43 Oexle, Conjuratio, S. 153 Anm. 12.

5. Gilden in der Zeit der sächsischen Könige im 10. Jh.

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Von versicherungsähnlicher Unterstützung ist in keinem Fall die Rede. Man mag dagegen einwenden, daß nur solche Gilden in Kapitularien u. a. verboten und genannt wurden, die als politisch gefährlich angesehen wurden, andere aber nicht auftauchen, obwohl sie bestanden, aber es fehlt an einem belegten Beispiel für (hannlose) Gilden mit Unterstützungsaufgaben. Aus den Gildenverboten von 779 bis 884 lassen sich über die Pflichten innerhalb der Gilden mit Ausnahme beim Gildemahl keine anderen Aufschlüsse als aus dem ersten 779 gewinnen. Andere geduldete Vereinigungen, also Bruderschaften, Feuerwehren und Schiffsgemeinschaften können zwischen 779 - 900 weiterbestanden haben, aber für die letzten bei den fehlen Belege, die etwas über ihre Aufgaben aussagen. Die Kaufleute der karolingischen Zeit standen unter königlichem oder bischöflichem Schutz und bildeten damals noch keine örtlichen Vereinigungen44 , gegebenenfalls aber kurzlebige Wander- und Schiffsgemeinschaft. Eine von deren Aufgaben war der Widerstand gegen das "Strandrecht" der Küstenbewohner und gegen die Beschlagnahme von Waren bei Bodenberührung, z. B. bei Achsbruch eines Wagens, eine Ausdehnung des sog. Grundruhrrecht. Über die freie Handelstätigkeit haben die Karolinger sogar internationale Verträge mit gegenseitigen Privilegien geschlossen45 , und zwar mit Venedig schon vor 840, dem Jahr, seit dem Urkunden darüber erhalten sind, und mit dem dänischen König 873 in Bürstadt (nach den Annales Fuldensis). Das sonstige Schweigen der Quellen über solche Hilfsgemeinschaften könnte sich aus den Umständen während der Auflösung des Karolingerreichs, besonders den Einfällen der Nonnannen in Nordwesten und der Ungarn im Südosten, erklären. Für die Annahme Otto von Gierkes46 , die zeitliche Lücke dadurch zu schließen, daß er die Regelungen der sog. Londoner Friedensgilde von 930 um 80 Jahre vorzieht, fehlt jede Begründung aus der Situation des 9. Jahrhunderts im Karolingerreich; sie fehlt auch für jeden sonstigen Ansatz zu Versicherungen.

5. Gilden in der Zeit der sächsischen Könige im 10. Jahrhundertdas Schweigen der Quellen über Gilden Wie Widukind von Corvey in seiner Sachsengeschichte47 berichtet, legte König Heinrich I. um 930 im Zusammenhang mit dem Burgen- und Städtebau zur Abwehr der Ungarneinfalle Wert darauf, daß in den Städten gemeinsame Beratungen, Zusammenkünfte und Gastmähler stattfanden. Hierin wird eine Aufforderung zur Bildung von Gilden gesehen oder sogar eine Kaufmannsgilde vorausgesetzt. Auf-

Planitz, Stadt, S. 59. Johanek, S. 36 f. 46 von Gierke, S. 230. 47 Verfaßt 967-973,1.,35, hrsg. von Hirsch, 1935 S. 49; siehe Oexle, Gilden als soziale Gruppen, S. 360. 44

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2. Kap.: Fränkische und karolingische Gilden und Hilfsgemeinschaften

fällig ist, daß in dieser Zeit von Gildeverboten nicht mehr die Rede ist, vielmehr werden Gilden in die Verteidigung des Landes einbezogen und dadurch anerkannt und integriert. Die Privilegierung der Kaufleute durch den König richtete sich nun nicht mehr an einzelne, sondern "an die gesamte Kaufmannschaft des einzelnen Wiks,,48 (Handelsniederlassung am Rand der Städte), so in Bremen 965, in Magdeburg 975 und in den führenden Handelsstädten Köln, Mainz und Regensburg wohl schon früher, so durch Otto I. ab etwa 936, allerdings wird in den Privilegien weder das Wort "Kaufmannschaft" noch das Wort "Gilde verwendet, wohl aber das Recht der Kaufleute, das sie sich selbst gesetzt haben, anerkannt und damit ein gewisser Organisationsgrad erkennbar. Auch die Salinarii cuncti (Salzherren) in Reichenhall im 10. Jahrhundert waren vermutlich gildenartig zusammengeschlossen 49 . Ähnliche Zusammenschlüsse dürften an allen Orten mit früher Salzgewinnung bestanden haben, so in Bad Sooden (-Allendorf)" die Beuren von Sooden, die geerbt sind aus dem salzwerk" (erst 1300 genannt). Ob es sich bei diesen Zusammenschlüssen um Gilden oder um Erwerbsgenossenschaften mit anteiligen Rechten gehandelt hat, kann hier dahingestellt bleiben. Auch die fiscalini servi in Worms, 897 vom König an den Bischof übertragen, bilden eine societas parafridorum 5o. Auch das gemeinsame Gastmahl, das als ein deutliches Merkmal für eine Gilde angesehen wird, wird erwähnt51 : Der arabische Kaufmann At-Tartuschi aus Cordova besucht auf einer Reise über Soest, Paderborn, Merseburg und Fulda um 973 auch Haithabu, den Handelsort an der Schlei und der Schleswiger Förde; er beschreibt "ein Fest, an dem die Kaufleute alle zusammenkamen, um den Gott zu ehren und zu essen und zu trinken", also ein Opfermahl; daraus wird auf die Existenz einer Kaufmannsgilde in Haithabu geschlossen. Aus allen Nachrichten über Gilden im 10. Jahrhundert erfahren wir nichts über die internen Aufgaben der Zusammenschlüsse und über die Regeln der Kaufmannschaften, die über das für alle gleiche Handelsrecht hinausgehen. Das allgemein geltende Füreinander-Einstehen hat sicherlich verschiedene Formen der Hilfen umschlossen, aber es tritt keine daraus hervor, von der man eine Weiterentwicklung zu einer Versicherung erwarten könnte. Zwischen den Jahre 779 und 1000 sind also - trotz der Imagination der bisherigen Versicherungsgeschichte - im deutschen Raum keine Spuren von Versicherungen auszumachen, nicht einmal solche von Vorläufern.

Planitz, Stadt S. 72. Störmer, S. 373. so Dilcher, S. 81 Anm. 35. SI Oexle, Gilden als soziale Gruppen, S. 351; Planitz, Stadt, S. 77 und 371 Anm. 4.

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Drittes Kapitel

Gilden und Versicherungen in England Angesichts des Fehlens von Versicherungen im deutschen Raum vor dem Jahre 1000 hat die deutsche Versicherungsgeschichte als Brücke auf Ansatzpunkte für Versicherungen zugegriffen, die sich in England fanden. Der Sprung über den Kanal lag für die Zeit der sächsischen Könige im Deutschen Reich - Otto I. heiratete um 929 die angelsächsiche Königstochter Edith, Schwester König AtheIstans auch angesichts der damals noch weitgehend gemeinsamen Sprache nahe, führt aber in eine andere Verfassungswirklichkeit mit anderen Bedingungen für Gilden und damit für Versicherungen.

1. Frühe Gildetexte seit 700 In England bildeten sich Gilden früh vor der Eroberung durch die Normannen 1066 in den von Sachsen besiedelten Gebieten, ihre Statuten sind z. T. überliefert 52 . Nach 540 gründeten Jüten, Angeln und Sachsen sieben Königsreiche, zwischen denen die Oberhoheit wechselte. Nach 802 erringt König Egbert von Wessex die Oberhoheit. Egberts Enkel, Alfred der Große, besiegt zwar 878 die eingefallenen Dänen, seine Herrschaft bleibt aber auf die Hälfte der Insel beschränkt. Erst die Könige Athelstan (924 - 949) und Edgar (959 - 975) drängen die Dänen weiter zurück, Edgar regiert schließlich ganz England, aber unter König Ethelred 11. (978-1016) beginnen neue Däneneinfälle, die zur Dänenherrschaft unter Knut dem Großen (1016-1035) führen. Diese uneinheitliche und wechselhafte Geschichte verhinderte eine so starke zentrale Königsrnacht wie in Deutschland. In dem Zeitraum von etwa 700-1050 finden sich 13 Texte, die von Gildemitgliedern spreChen53 • Insbesondere die frühen unter ihnen vom westsächsischen König Ine am Ende des 7. Jahrhunderts und aus König Alfreds Gesetzessammlung Ende des 9. Jahrhunderts bezeugen nu~4, daß dort "gegilden" zu Rechtshandlungen zugelassen waren und diese ähnlich wie Nachbarn in einer besonderen Beziehung zueinander standen, sei es als Zahlungsverpflichtete für eine gemeinsame 52 Die Statuten bei B. Thorpe (Hrsg.), Diplomaticum Anglicum aeri Saxonici, London 1865, S. 605-614; Liebermann, Bd. I "Die Gesetze der Angelsachsen"; Withelock, Nr. 37, 136,137. 53 Grinda, S. 371. 54 Gross, S. 171 ff., Grinda. S. 373.

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3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

Haftung, sei es als Mitglieder einer Haftungsgenossenschaft. Das Wort "Gilde" kommt nicht vor. Ähnlich wie bei anderen Nennungen von zusammengesetzten Wörtern mit dem Teil "gild-", wie gildbeorg, guildhall, kann man daraus allenfalls auf die Existenz von frühen Zahlstellen schließen, ohne deren Charakter zu kennen. So bleibt die Gilde im Kapitular Karls des Großen von 779 die früheste Nennung. Ihr folgt die nächste im Jahre 800, als sich Alkuin als geistlicher Berater Karls des Großen von Aachen aus in zwei Schreibenss an angelsächsische Bischöfe gegen die dortigen Gilden wendet, vor allem gegen das Gildemahl; sonstige Kenntnisse sind daraus nicht zu gewinnen.

2. Die sogenannte Londoner Friedensgilde von 930 Aus der Zeit von 930-1050 sind fünf Gildestatuten überliefert, die die Aufgaben von angelsächsischen Gilden erkennen lassen. Die früheste davon, die sogenannte Londoner Friedensgilde von 930 - 940 ist in die Versicherungsgeschichte als das Musterbeispiel für frühe Versicherungen von Diebstählen eingegangenS6, jedoch hat die neuere Gildenforschung eine abweichende Charakterisierung herausgearbeitet S7 , wobei sie auf älteres8 , aber übergangene zurückgreifen konnte: - Deren Regelung ist ein Gesetz, das König Aethelstan mit Zustimmung der Betroffenen als ,,Judicia civitatis Lundoniae" erlassen oder bestätigt hat. - Der ihr erst 1908 zuerteilte Name "Friedensgilde" ist irreführend; sie läßt sich als eine Zusammenfassung von mehreren "Gildschaften" deuten, die für bestimmte Geldschulden gemeinsam hafteten und I oder lokal um London organisiert waren. - Der Name "gilda" selbst kommt nicht vor, vielmehr ist von "genossenschaftlichen Abgaben" die Rede, die der Wahrung des Landfriedens und der Eigentumssicherung dienten.

2.1 Risiken. Haftpflichtverband. Umlage

Die Judicias9 enthält zunächst das Landfriedensrecht König Aethelstans (925940) zur Verfolgung von Dieben. Diese sollen ergriffen und hingerichtet werden, Oexle. Mittelalterliche Gilden. S. 154. Büchner, Begriff, S. 122. 57 Grinda, a. a. 0., und Landwehr, a. a. 0., S. 57 ff.; dagegen geben die Übersetzung in das Englische und die Deutung derselben von Withelock gelegentlich zu Zweifeln Anlaß. 58 Hegel, S. 30. 59 Die folgenden zwei Absätze sind aus Landwehr, S. 60, entnommen. 55

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2. Die sogenannte Londoner Friedensgilde von 930

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ihr Hab und Gut soll eingezogen und daraus zunächst dem Bestohlenen Ersatz geleistet werden; das restliche Vermögen aber soll - nachdem vorher ein Anteil an die unwissende Witwe des Diebes ausgekehrt worden ist - je zur Hälfte dem König oder dem sonstigen Grundherrn des Täters und der Genossenschaft zufallen. "Sodann wird festgesetzt, daß jeder von uns in je zwölf Monaten 4 Pfennig einschieße zu unserem gemeinschaftlichen Nutzen und daß wir das Vieh ersetzen werden, welches künftig, nachdem wir dieses Geld eingeschossen haben, entwendet wird". Die Verfolgung des Diebes, die Spurfolge, wird zur gemeinsamen Angelegenheit der Gildegenossen erklärt und das dem Bestohlenen zustehende Ersatzgeld für die Gildekasse beansprucht. Sodann folgen ausführliche Bestimmungen über die Durchführung und die Pflichten der Genossen bei der Spurfolge, wobei - auch für die Verwaltung der Gildegelder - eine Einteilung der Gilde in Zehntschaften erfolgt, deren zehn wiederum eine Hundertschaft unter einem Vorsteher bilden. Wer den Täter ohne Mithilfe der Gildegenossen ergreift und tötet, wird aus der Gildekasse belohnt, "und d~r frühere Eigentümer des Viehes, das wir ihm ersetzen, lasse die Nachforschung samt Geldforderung nicht fallen bei Geldbuße für Ungehorsam gegen uns, bis daß wir zum Geldgewinn aus Diebesgut gelangen"; für seine bei der Verfolgung des Diebes aufgewendeten Mühen erhält er ebenfalls eine Zuwendung aus der Gildekasse. Weiterhin werden Taxen für die Höhe des Ersatzgeldes beim Diebstahl von Pferden, Ochsen, Kühen, Schweinen, Schafen und Knechten festgesetzt. Bei dem Verlust von Knechten werden zwei Fälle unterschieden, nämlich der Diebstahl eines Knechtes und das Entlaufen eines solchen; der erste Fall wird innerhalb der Grundeigentümer, der zweite innerhalb der Gildegenossen geregelt: "Und über unsere unfreien Leute haben wir denen, welche unfrei Leute halten, bestimmt: wenn jemand einen (unfreien) Menschen stiehlt, daß man ihn (aus unserer Kasse) mit einem halben Pfunde (dem Herrn) ersetze; wenn wir aber (den Dieb nachweisen und gerichtlichen) Ersatz erheben, daß man ihm (dem Herm) über das (1/2 Pfund) hinaus, je nach Werte der Beschaffenheit jenes (Unfreien, Geld zum Ersatz) hinzulege; und daß wir für uns den Überschuß behalten, den wir hierbei (gerichtlich) erlangen. Wenn aber der (Unfreie) sich selbst wegstahl, daß man ihn zur Steinigung führe, wie es vorher bestimmt worden ist; jedermann, der Unfreie hält, schieße entweder einen Pfennig oder einen halben ein, je nach der Mitgliederzahl der Genossenschaft, so daß man ihn (dem Herrn) ersetze nach Wert seiner Beschaffenheit; und daß wir alle die Nachforschung übernehmen. Wenn wir ihn dann bekommen können, tue man ihm dasselbe, was man dem nicht Englischfreien Dieb tut, oder man hänge ihn auf'.

Schließlich enthält das Statut auch noch Bestimmungen über gemeinsame Gildefeste und Seelenmessen für verstorbene Gildebrüder. Der Text der ludicia, insbesondere die Rechtssätze über die Entschädigungen und die Einrichtung der Hundertschaften sind dem Dekret des fränkischen Königs Chlotars II. (511 - 561) entnommen, auf deren Ähnlichkeit mit einem Haftpflichtverband oben (2. Kap. 1.) hingewiesen wurde. Die königliche ludicia legte also die Haftung für Diebstähle der Gesamtheit der Grundbesitzer einer bestimmten

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3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

Region auf, verknüpfte damit eine Ausgleichspflicht und eine Umlage, vermied damit Streitigkeiten unter jenen und interessierte sie finanziell an der Verfolgung des Diebes, sogar unter Verzicht auf einen Teil der dem König zustehenden Bußen. Um die Durchführung zu erleichtern, schaltete sie in den Vollzug die vorhandene Organisation der Gilde ein und dieser trug sie zusätzlich, also ohne Beteiligung der Grundbesitzer, die nicht der Gilde angehörten, die Pflicht zu einer besonderen Umlage für einen Sklaven auf, der nicht gestohlen, sondern entlaufen war. Dadurch ersparte der König sich und allen Beteiligten einen Streit darüber, ob ein Sklave gestohlen oder entlaufen war; denn der Kreis der zu Umlagen Verpflichteten dürfte in beiden Fällen sich nur wenig voneinander unterschieden haben. In der modemen Rechtssprache würde man von einem durch Gesetz gebildeten Zweckverband sprechen und von der Umlage als einer öffentlich-rechtlichen Abgabe; ersetzt man in Gedanken den Schaden durch Diebstahl in der Gegenwart durch die Beschädigung von vielen Leuchten an einer Gemeindestraße, so kann die Bezahlung von deren Ersatz durch neue Lampen von den anliegenden Grundbesitzern auch dann verlangt werden, wenn das öffentliche Interesse das eigene überwiegt, so wie in der Iudicia die Wahrung des Rechtsfriedens mit dem wohlverstandenen Interesse der Grundbesitzer zusammentraf. Die auferlegte Diebstahlshaftung und die Umlage können also als Vorläufer der heutigen öffentlich-rechtlichen Abgaben erklärt werden, und König Aethelstan hat die Iudicia-Gilde 9301 940 als "Organ des Landfriedens" eingesetzt60•

2.2 Elemente der Versicherung

Allerdings: Läßt man das Gesamtbild der Iudicia civitates Lundoniae beiseite und die Einzelheiten der Durchführung Revue passieren, so findet man in dem vom König Aethelstan für sein Ziel eingesetzten Instrumentarium fast alle Elemente der Versicherung: - Den abgeschlossenen Personenkreis einer Gefahrengemeinschaft in der Gilde; - die Pflichtzugehörigkeit der Beitragszahier wie in der heutigen Sozialversicherung; - die Pflicht zur Zahlung von Beiträgen mittels einer Umlage; - sogar im Vorschuß eine vorherige Beitragszahlung; - die recht genaue Beschreibung der Risiken, nämlich des Diebstahls von Vieh und Sklaven sowie deren Entlaufen; - die Pflicht zum Ersatz des Schadens (und damit den Anspruch darauf);

60

Landwehr, S. 61.

2. Die sogenannte Londoner Friedensgilde von 930

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- die festgesetzte Höhe des Ersatzes; - die gemeinsame Kasse, aus verschiedenen Einnahmen gespeist, und als Zahlungsstelle bestimmt. Auch die Anknüpfung der Beitragspflicht an den Grundbesitz ist der Versicherung nicht völlig fremd und findet sich mannigfach wieder61 . Insgesamt erreicht also die Judicia das Ziel der königlichen Wahrung des Rechtsfriedens durch den Einsatz der Gilde und der in ihr üblichen Verfahren, die auch die Versicherung verwendet. Der Grund dafür, daß die sog. Londoner Friedensgilde zwar eine Einrichtung genossenschaftlicher Rechtsverfolgung, aber keine ,,Assekuranzcompagnie gegen den Diebstahl gewesen ist"62, liegen im Wesen der Versicherung; denn für diese ist es erforderlich, daß die Versicherung das Eigeninteresse der Versicherten verfolgt und mindestens dieses das des Staates überwiegt; dies ist für die Privatversicherung selbstverständlich und steht nur bei der Versicherung auswärtiger Kredite infrage, aber selbst Bismark hat, als er 1881 die Sozialversicherung initiierte, erkennen müssen, daß die Aussöhnung der Industriearbeiterschaft mit dem Kaiserreich mit dem Eigeninteresse der Versicherten verbunden werden mußte. Hinzutritt in der Londoner Gilde, daß für den König die Rechtsverfolgung, für die Gildemitglieder die Gleichheit untereinander bekräftigt wurde; sie war die Grundlage jeder Gilde. Deswegen war die Londoner Gilde noch keine Versicherung, aber schon eine Schule zu Versicherungen.

2.3 Das Verhältnis von Gilden zur Herrschaft

König Aethelstan setzt zwar die Londoner Gilde für sein Ziel des Rechtsfriedens ein, erkennt sie dadurch aber auch an und arbeitet mit ihr zu beiderseitigem Wohl zusammen. Vergleicht man damit die Gildeverbote der Karolinger, dann erkennt man, daß diese die Gilden als Staatsfeinde gesehen und behandelt haben. Diese unterschiedliche Einschätzung der Gilden seitens der Herrschaft63 prägt deren Geschichte in den 1000 Jahren von 779 bis 1794. Nur in "staatstragenden", mindestens in vom "Staate" geduldeten Gilden konnten und werden sich Versicherungen in Weiterentwicklung der Londoner Friedensgilde finden.

61 Es ist nicht verwunderlich, daß bei einer isolierten Betrachtung des Gesetzes über die Londoner Friedensgilde in der versicherungsgeschichtlichen Literatur (Büchner, Begriff, S. 122 mit Hinweisen) vielfach deren Versicherungscharakter bejaht wurde, allerdings durchweg ohne Untersuchung der historischen Zusammenhänge und der ,,herrschaftlichen Dominanz", so Grinda, S. 395. 62 Landwehr, S. 61, gegen ältere Auffassungen. 63 Darauf weist schon Oexle, Gilden als soziale Gruppen, S. 305 Anm. 122, hin.

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3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

2.4 Zweckabgabe oder Versicherung?

Konstruktionen der öffentlichen Zweckabgaben werden im Verlauf der Versicherungsgeschichte immer wieder Anlaß zu der Frage ,.zweckabgabe oder Versicherung" geben, so - bei den Keuren gegen Brand in Flandern (siehe 4. Kap. 4.5); - den hrepps in Island (siehe 5. Kap. 1.6); - den häradsgemeinden in Schweden (siehe 5. Kap. 1.7); - den Brandgilden in Schleswig-Holstein64 (siehe 8. Kap. 4.) und - der Seeversicherung in Portugal 1367 (siehe 9. Kap. 5.). Gerade in der letzteren bringt der portugiesische König seine eigenen Schiffe in die Gildeverpflichtung ein, so wie seinerzeit König Aethelstan "unsere Hintersassen" in die der Londoner Gilde.

2.5 Rechtsdurchsetzung mittels Diebstahls- oder Haftpflichtversicherung?

Die Judicia richtete sich gegen den Diebstahl von Vieh und Sklaven. Wer sie als Versicherung angesehen hat, hat sie als Diebstahlsversicherung eingeordnet. Die Gilde haftet für den Diebstahlsschaden allerdings nur dann, wenn sie den Dieb nicht ermittelt oder faßt, und die Umlagen werden nur für die Fälle erhoben, in denen die Gilde die Haftung für den Diebstahl nicht in natura erfüllt, bei genauer Betrachtung also im Falle des Versagens der Gilde gegenüber der Rechtslage. In Wahrheit wird die Umlage also zur Deckung einer Haftpflicht erhoben, es liegt gegebenenfalls eine Haftpflichtversicherung vor. Darin zeigt sich, daß Entstehungsgrund für die Versicherungen ein Versagen bei der Rechtsdurchsetzung und Rechtsverwirklichung war, gerade dies war sonst die Aufgabe der Gilden, wie sich an weiteren Beispielen zeigen wird.

3. Die angelsächsischen Gilden - Exeter vor 950 Von der Londoner Judicia heben sich die vier anderen überlieferten Gilden deutlich ab, obwohl zwei davon nur knapp zwei Jahrzehnte jünger sind; in diesen zwei Jahrzehnten war durch mehrfachen Königswechsel die Zentralgewalt geschwächt. Die vier Gilden haben sich - im Unterschied zu der Londoner - selbst organisiert. Es handelt sich um die Gildestatuten von 64 Bei der Verfolgung von Dieben durch den holsteinischen Brandgilden am Ende des 16. Jahrhunderts handelt es sich nicht um Zwischenschritte und "eine historische Besonderheit", sondern um einen bewußten Rückgriff einzelner dortiger, namentlich bekannter Amtsträger; siehe Landwehr, S. 67.

3. Die angelsächsischen Gilden

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a) Exeter / Devon vor 950; b) Great Bedwyn/Wiltshire vor oder um 950; c) Cambridge vom Ende des 10. Jahrhunderts und d) Abbotsbury / Dorset aus der Mitte des 11. Jahrhunderts. Dieses Statuten ermöglichen den frühesten Einblick in das innere Leben von Gilden und enthalten eine Reihe von eingehenden und zugleich präzisen Regelungen über das Gemeinschaftsleben, so über die Sitzordnung, das Verfahren bei Beleidigungen zwischen Mitgliedern und eben die Pflichten der Mitglieder bei "WechseWillen des Lebens". Dagegen fehlen bei allen die Regeln der Londoner Judicia über Viehdiebstahl u. ä. und die Haftung für fremde Schäden. Das Gildestatut für Exeter legt den Mitgliedern Pflichten bei Brandschaden, Südfahrt und Tod von Genossen auf; dies sind also die Risiken und "Versicherungsfälle". Das Brandrisiko war schon 779 im Capitulare Heristalense als Vorsorgefall aufgeführt und auch in der Veranstaltung einer Südfahrt auf dem Meer klingt der Schiffbruch aus dem Capitulare an; der Tod löst schon in der Londoner Judicia Hilfen aus; jedenfalls handelte es sich um Verabredungen, die nicht von den Königen verboten waren.

3.1 Das Brand-Risiko

Bei Brand eines Hauses hatte jeder Genosse einen Pfennig Abgabe für den Geschädigten zu leisten, es war also eine Umlage aufgrund einer vorher bestehenden Anspruchsgrundlage. Diese Bestimmung ist die erste genossenschaftliche Brandschadenversicherung. Die Höhe der Versicherungssumme war von der Zahl der Gildenmitglieder abhängig. Eine kollektive Umlage war schon in der Londoner Judicia-Gilde enthalten und wurde hier auf den Brand bezogen. Im Vergleich zu den karolingischen Gilden von 779 wird der Fortschritt deutlich: Es war nicht nur das Risiko Brand isoliert, sondern es war auch ein gesonderter Beitrag dafür festgesetzt. Leistung und Beitrag waren in einem Zusammenhang, gesondert von anderen Risiken, geregelt. Die Leistung besteht auch nicht nur aus einem Beistand während des Brands, sondern aus der Zahlung von Geld. Als Alkuin, der angelsächsische Gelehrte am Hof Karls des Großen, um 800 wegen der Gilden an den Erzbischof von Canterbury schrieb, standen ihm andere Eigenschaften der Gilden als eine Brandversicherung vor Augen. Zwischen 800 und 950 muß sich also in England ein Prozeß der Domestikation der Gilden vollzogen haben, also eine Wandlung der Gilden zu Organisationen zur Bewältigung wirtschaftlicher Schwierigkeiten durch Hilfe untereinander. Diese Wandlung kann den Zeiten gemeinsamer Not oder einem freieren Verhältnis zu den englischen Königen oder einer Einbindung der Gilden in die Städte oder einer Vielfalt von Faktoren und mehreren Vorstufen zuzuschreiben sein.

48

3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

3.2 Das Risiko des Todesfalls

Für den Todesfall von Mitgliedern verpflichtet das Gildestatut von Exeter die überlebenden Mitglieder zu dreierlei Leistungen, nämlich - zur Sorge für das Begräbnis; - zu Gebeten für das Seelenheil und - zu der Bezahlung der Begräbnisriten an Priester und Kirche. Angesichts der damaligen kurzen Lebenserwartung und des festen Glaubens an eine körperlich unversehrte Auferstehung am Jüngsten Tage kann die damalige Bedeutung der Sorge für das Begräbnis kaum überschätzt werden. Diese Sorge wurde in erster Linie durch persönliche Beteiligung erfüllt, wie sie heute noch auf dem Lande mit dem Tragen des Sarges durch die Nachbarn geübt wird. Diese "naturalwirtschaftliche" Leistung geht vorwiegend auf religiöse Motive zurück und ist als religiös-bruderschaftlichen Verpflichtung zu verstehen. Diese Verpflichtung geht in der Folgezeit unter kirchlichem Einfluß in so gut wie alle Statuten in England und auf dem Festland über und wird in zahlreiche, einzelne Pflichten aufgespalten, so schon beim Statut von Abbotsbury (s. u.). Die Pflichten zur Mitsorge für das Seelenheil finden ihre Vorläufer in den Totengebets-Bruderschaften an Klöstern, die schon im achten Jahrhundert, auch im Frankenreich, weit verbreitet waren. Die Abgabe für Begräbnisriten sind sicherlich auf Betrieben der Priester in das Statut aufgenommen worden, sind aber, weil Geldzahlungen, als Gegenleistung für den Vollzug der Begräbnisriten und als Entlastung für die Hinterbliebenen nicht versicherungsfremd. Insoweit erfüllt die gemeinsame Autbringung derselben die gleiche Funktion, die in der Gegenwart die Sterbekassen und damit Versicherungen ausüben.

3.3 Das Risiko der Südfahrt

Mit dem Todesfall wird auch die Bestimmung des Gildenstatuts in Exeter in Verbindung gebracht, nach der jedennann in diesem Fall fünf Pfennig Abgabe zu leisten habe: "oet supfore". Diese Stelle wird 1840 als bildliche Umschreibung "Todesfahrt", ähnlich der Fahrt des Fährmanns Charon über den Hades, ins Englische übersetzt 65 und ist noch 1976 im deutschen Versicherungsschrifttum66 als Begräbniskostenversicherung nachzulesen. In Dänemark wird 1256 daraus eine Pilgerreise nach Rom und Jerusalem; damit wird auch der hohe Betrag der Vorauszahlung erklärt: ,,Die angeführten Quellen machen den gravierenden Charakter einer solThorpe, Ancient Law; vgl. Grinda, S. 384. Über Ouo von Gierke 1868 bei Büchner, Begriff, S. 122 Anm. 5, dort weitere Quellenangabe. 65

66

3. Die angelsächsischen Gilden

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chen Pilgerreise, welche die Auflösung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage mit sich bringen konnte, deutlich." "Vielleicht darf man vermuten, daß dieser Zuschuß eine Treuhänderschaft der Gilde (für das zurückgelassene Eigentum) andeutete?"67 Die Übersetzung "auf Südfahrt" bedarf keiner Erklärung. In der Gilde in Exeter ging es in Wahrheit darum, den Schiffer und die Kaufleute, die sich auf eine Fahrt um Spanien herum durch die SeestraBe von Gibraltar ins Mittelmeer begeben wollten, mit Geld für die Ausrüstung des Schiffes und den Einkauf von Waren, z. B. Wolle und Tuchen, auszustatten und das erforderliche Kapital durch eine finanzielle Beteiligung aller Gildemitglieder aufzubringen, also um ein gemeinsames Seedarlehen (foenus nauticum) oder um eine Gesellschaft (societas) nach römischem Recht. Kehrte das Schiff etwa nach einem Jahr wohlbehalten und mit fremden Waren, z. B. Alaun und Gewürze, beladen zurück, waren die Anteile mit Gewinn zurückzuzahlen oder wurden gemeinsam beim Gildemahl vertrunken, aber darüber schweigt das Statut, wohl aber finden sich ähnliche Regelungen im 12. Jahrhundert in Tiel / Köln. Kehrte das Schiff nicht zurück, war auch das Seedarlehen verloren. Das Seedarlehen ist seit dem 11. Jahrhundert am Mittelmeer ein viel verwendetes Finanzierungsinstrument (näheres siehe 11. Kap.) und wird auch dort häufig von einer Reihe von Gläubigem gemeinsam aufgebracht. Für den Nordwesten Europas dürfte es in Exeter (vor 950) zum ersten Mal genannt und erst recht zum ersten Mal den Gildemitgliedern als Pflicht auferlegt worden sein. Diese Regelung geht in der Folgezeit in andere Statuten, zunächst in das normannische Seerecht Wilhelm des Eroberers vor 106668 , sodann auch auf andere Küsten über und kann geradezu als zeitliches ,,Leitfossil" dafür dienen, die Wanderung des ExeterStatus zu verfolgen. Auch wenn das gemeinsame Seedarlehen die Seegefahr auf viele Schultern verteilte, bleibt es eine Gefahrverteilung innerhalb eines Darlehensgeschäfts und ist noch keine Versicherung (näheres siehe 11. Kap.).

3.4 Der Versicherungscharakterder Gilde Die Regelungen des Status von Exeter tauchen so unvermittelt auf, daß Zweifel bestehen könnten, ob sie nicht später in das Statut von 950 eingefügt wurden. Diese Frage kann hier nicht anhand der Urkunden untersucht, jedoch kann am Beispiel der "Südfahrt" dargelegt werden, daß diese Regelung mindestens vor 1100 existiert haben muß, weil sie zu dieser Zeit in ähnlichem Wortlaut in das Gildenstatut in Aire, einer Stadt in Flandern in der Nähe von Amiens, aufgenommen wurde. Näheres unten. Diese Bestätigung der frühen Entstehungszeit kann auch auf die Brandversicherung und die Sterbekasse erstreckt werden. Die Regeln des Gildestatuts von Exeter bilden die ersten gemeinschaftlichen Gefahrübernahmen in den Fällen des Brands und des mit dem Tod einhergehenden

67

68

Grinda, a. a. 0., S. 385. In Pardessus, Bd. 1/140.

4 Schewe

3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

50

Geldbedarfs, also Versicherungen, sowie bei "Südfahrt" mit dem Seedarlehen eine Gestaltung, die später von der Versicherung verdrängt werden wird. Im Unterschied zur Londoner Judicia fehlen in Exeter Anzeichen für hoheitliche oder kirchliche Einflüsse auf die Gilde. Die Regelungen dienen dem Eigeninteresse der Mitglieder, besonders deutlich beim Seedarlehen. Die Zugehörigkeit zur Gilde beruhte nicht wie in London auf einer auferlegten Pflicht oder Haftung, sondern war frei. Auch ist die Entstehung der Versicherung auf dem Weg über eine Rechtsschutzgemeinschaft nicht mehr erkennbar. Durch die für jedes Risiko getrennte Berechnung der Umlage wurde die Spartentrennung gewährleistet und die Leistung in Abhängigkeit vom Beitrag definiert und damit Streit über den Wert des abgebrannten Hauses vermieden; damit nahm man allerdings eine Unter- oder Überdeckung in Kauf. Wegen der Südfahrt ist anzunehmen, daß die Gildemitglieder überwiegend Kaufleute und sogar Fernkaufleute waren. Von den Elementen der Versicherung, die als Ausgangspunkt oben 1. Kap. 4. aufgezählt wurden, ist nur der Fonds nicht genannt, aber wegen der Beitragszahlungen auch nicht ausgeschlossen. Ein Rechtsanspruch auf Leistung ist nicht ausdrücklich genannt, aber indirekt mit der Pflicht zur Zahlung der Pfennige vorgegeben.

4. Drei weitere angelsächsische Gilden 4.1 Great Bedwyn

Das Gildenstatut von Great Bredwyn, landeinwärts von Exeter gelegen, ist nur wenig später als in Exeter entstanden. Es enthält fast gleiche Regelungen wie in Exeter, deckt aber nicht die Zahlungen "bei Südfahrt" ab, weil Great Bedwyn mitten im Land ohne Zugang zur See liegt, also das Risiko der Seefahrt nicht auftrat. Im übrigen hat Great Bedwyn das Gildenstatut von Exeter übernommen.

4.2 Cambridge

Das Gildenstatut von Cambridge, etwa fünf Jahrzehnte jünger als das von Exeter, enthält Regelungen über weit mehr Risiken, indem zu denen in Exeter die Leistungen bei Todesfällen stärker aufgegliedert werden, vor allem bei gewaltsamen. Dazu gehören - Heimholung Toter zwecks Begräbnis und Kranker, - Grabgeleit, - Bezahlung I Anrichten des Leichenschmauses, - Rachepflicht für Gildenbrüder, - Buße oder Hilfe bei Totschlag.

5. Vergleich der Aufgaben der Gilden

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Es fehlt außer der Zahlung bei "Südfahrt" auch das Risiko des Brandschadens. Die Regelungen über Rachepflicht u. ä. lassen vennuten, daß in das Cambridger Statut ältere Vorstellungen und Gepflogenheiten eingingen. Eigenartig ist, daß die Gilde in Cambridge die Hälfte des Leichenschmauses beisteuert; die andere Hälfte fällt der Sippschaft zur Last. Hier ist noch ein Rest der Bedeutung des gemeinsamen Gildenmahls zwecks Stärkung der Gemeinschaft lebendig. Im Vergleich zum Statut von Exeter weist das von Cambridge im Bereich der Versicherung keine Fortschritte auf. Die Mitglieder der Cambridge-Gilde waren Gefolgsleute des Königs (Begnas oder Thanes), die man mit den Ministerialen in Deutschland vergleichen könnte 69 ; sie gehörten also einer herausgehobenen und herrschaftlichen Schicht an; auch daraus mag sich erklären, daß die Statuten Rachepflicht und Totschlagfolgen eingehend regeln. Ob das Statut vor der Nonnannenherrschaft 1066 aus Nordfrankreich beeinflußt ist, kann hier offen bleiben, jedoch überdauerten angelsächsische Rechte z. T. die nonnannische Invasion. Das Gildenstatut von Cambridge hat auf andere englische Gilden Einfluß ausgeübt, die erst ein Jahrhundert später, um 1100, auftauchen, z. B. auf die knights-Gilde in Exeter. Auch in dänischen Gildestatuten finden sich ab 1200 ähnliche Regelungen (näheres unten 5. Kap.).

4.3 Abbotsbury

Das Gildestatut von Abbotsbury aus der Mitte des 11. Jahrhunderts, also schon 150 Jahre von dem für Exeter entfernt, enthält die Vorsorge einer Bruderschaft für Sterbefälle, nämlich für Begräbnis, Seelenheil, Heimholung Kranker, Grabgeleit und Kirchengebühren. Hier ist eben der Einfluß der Kirche zu spüren'o, und wegen dieses Motivs kommt das Statut allenfalls teilweise als Vorläufer für eine Versicherung in Betracht.

5. Vergleich der Aufgaben der Gilden-Geldwirtschaft Die folgende Übersicht über Inhalte der vier Gildestatuten, diese in zeitlicher Reihenfolge, zeigt die Risiken, für die Leistungen zugesagt worden waren, teils als Dienst- und Sachleistungen, teils in Geld. In England sind also in einem frühen, verhältnismäßig kurzen Zeitabschnitt eine Reihe von Schritten auf Versicherungen hin vollzogen worden, die Nachahmung verdienten und erhielten. Die Regelungen im Statut von Exeter vor 950 enthalten mit der Zahlung bei Brand und Begräbniskosten schon die Kerne fast jeder Versicherung, und auch die anderen zeigen, daß 69 70

4"

Hegel I, S. 32. Gross, S. 188.

3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

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das Bewußtsein der gleichen Gefahren und der Wille zu gemeinsamer Gefahrbewältigung und darüber hinaus zum Gefahrausgleich innerhalb einer Gemeinschaft die Wurzeln der Versicherung waren. Aufgaben der Gilden nach den vier angelsächsischen Gildestatuten Great Exeter vor 950 Bedwyn

Sorge für Begräbnis Sorge für Seelenheil

x x

x x

Heimholung Toter und Kranker Grabgeleit Leichenschmaus Abgaben an die Kirche

x

x

x x

x

Rachepflicht Totschlag-Buße Brandschaden Südfahrt

Cambridge

Abbotsbury

x x

x x

x x x x x x

x x

Versicherungsarten

Sterbe- / Krankenkassen Sterbekassen

x

Sterbekassen

Brandversicherung Seedarlehen

Die Fortschritte der Exeter-Gilde gegenüber der Londoner Judicia zeigen, daß die Versicherung nicht auf einmal erfunden worden ist, sondern in Schritten und eine Erfindung der Praxis und nicht der Theorie war. Wieweit die Bedeutung der Schritte den Gildemitgliedern im Gildestatut zu Bewußtsein gekommen ist, muß offen bleiben. In den Statuten der angelsächsischen Gilden werden die Leistungen in Geld gefordert. Es muß also in der Mitte des 10. Jahrhunderts in England genügend Geld im Umlauf gewesen sein, so daß die Gildenmitglieder einen gewissen Teil davon für die aufgeführten Versicherungsfälle und die Seedarlehen erübrigen konnten. Das Geld kommt in England in erster Linie aus der Erzeugung und dem Handel mit Wolle und der Tuchfertigung.

6. Die spätere Gildenentwicklung in England Die englischen Gilden des Mittelalters werden in der älteren Literatur in drei Gruppen aufgeteilt, nämlich in - die angelsächsischen Gilden von 900-1050, deren Statuten vorstehend ausgewertet wurden; - die cniths-(Ritter-)Gilden vom 9. bis zum 11. Jahrhundert und - die sog. Kaufmannsgilden nach der normannischen Eroberung 1066.

6. Die spätere Gildenentwicklung in England

53

Von den cniths-Gilden, die in drei der damals bedeutendsten Städte Englands, in London, Winchester und Canterbury bestanden, ist wenig von der inneren Verfassung bekannt. Die älteste cniths-Gilde in London wird 1042-44 erwähnt.

6.1 Kaufmannsgilden seit 1087

Als erste sog. Kaufmannsgilde wird die von Burford nach 1087, dann die cepmannegilde von Canterbury nach 1093 aufgeführt. Im 12. Jahrhundert werden Kaufmannsgilden dann in Winchester, Lincoln, Oxford und Wallingford angegeben 71, nach anderer Quelle 72 weitere 15 bis zum Jahre 1200: 1107 1119 1130 1130 1147 1163 1175 1176 1188 1189 1190 1198 1200 1200 1200

in Leicester, in Beverly (auch früheste Hanse), in York, in London (Weber und Tuchmacher), in Petersfield, in Marlborough, in Andover, in Salisbury, in Bristol, in Bath, in Chester, in Bury St. Edmunds, in Dunwich, in Glocester und in Ipswich. 73

In Wales7\ 1277 / 82 von England erobert, entstehen die ersten Gilden nach 1225, die meisten im 14. Jahrhundert. In Irland, ab 1171 erobert, wird vor 1200 nur eine Kaufmannsgilde in Dublin errichtet, wenige andere folgen nach 1200. Auch Schottland weist nur eine Kaufmannsgilde in Perth 1165, dann erst ab 1222 einige wenige andere auf75 , darunter Berwick. An diese Gründungswellen schließen sich Fragen an, nämlich nach - der Ableitung aus den angelsächsischen Gilden oder den normannischen Gilden, - der Zusammensetzung der Mitglieder (nur Kaufleute?) und - dem Verhältnis zur Obrigkeit.

71

Hegel I, S. 64.

n Gross, S. 9 ff. 73 Hegel I, S. 68; Gross, S. 42 ff. 74

75

Gross, S. 16 ff. und 203; dort auch für Irland. Gross, S. 203.

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3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

In den Statuten der Kaufmannsgilden werden regelmäßig als Leistungen ,.Beistand beim Begräbnis von Mitgliedern, Gebete bei Tod, Hilfe bei Krankheit, Armut und Unglück, Werke der Nächstenliebe" u. ä. aufgeführt, aber "gute Werke und religiöse Übungen machen in den Kaufmannsgilden ein weniger übliches Element aus76 ." Damit ist aber noch nicht gesagt, daß dort Versicherungen bestanden. Die Kaufleutegilde in Lynn Regis77 (Kings Lynn, Norfolk), eine Gilde mit reicher Überlieferung, schreibt in ihren Statuten (vor 1300) Hilfe für Gildebrüder in Armut oder Unglück vor (Art. 6), gleich aus welcher Ursache, ähnlich bei einem Begräbnis (Art. 16). Derartige Regelungen lassen nicht genügend Anklänge an Versicherungen erkennen und bleiben hinter denen der frühen angelsächsischen Gilden zurück. Die Vorschriften der Statuten über die Unterstützungen seitens der Gilden sind recht unterschiedlich. Das Statut von Berwick78 (1283; Schottland) - ein Modell für andere Statuten - sieht vor (Art. 12), daß, wenn ein Gildenbruder sich dem lebensende nähert oder in Armut fällt oder an einer unheilbaren Krankheit leidet, er Unterstützungen erhält, wenn er kein Eigentum hat oder sich selbst nicht unterhalten kann, und zwar nach den Möglichkeiten der Gilde gemäß einer Anweisung des Gildenältesten. Unter ähnlichen Voraussetzungen wird auch eine Waise, eine Tochter aus ehelicher Verbindung, versorgt (Art. 13). Die Verbindung von Generalklauseln und sehr speziellen Voraussetzungen läßt darauf schließen, daß die Leistung wie bei einer Versicherung gehandhabt wurden, aber die Gilde sich aus Vorsicht nicht binden wollte, also eine Übergangsregelung vorliegt. Die Gilde nimmt sich auch der Leprosen an, auch wenn diese nicht Mitglieder sind, und übernimmt damit eine Regelung aus dem Statut von St. Omer in Flandern von 1127/1168, aber dies ist eben kein Ansatz zu einer Versicherung.

6.2 Die Kaufmannsgilde von Lincoln 1328/1388

Andrerseits überleben aber auch die Versicherungen aus den angelsächsischen Statuten in anderen Städten, wie aus einer späteren Quelle hervorgeht: Im Jahre 1388 fordert König Richard 11. alle Gilden, aber nicht die Bruderschaften auf, ihre Statuten einzureichen, um sie unter Kontrolle zu halten. Daraufhin gehen 500 Statuten ein 79 • Unter diesen Gildestatuten befinden sich sowohl solche, die die Regeln der frühen angelsächsischen Gilden übernommen haben, wie solche, die sich auf den Grundsatz des Hilfsgebots der Gildebrüder untereinander beschränken. Auch die Schneider-Gilde von Lincoln (nordöstlich von Nothingham), wohl die vornehmste Gilde der Stadt, reicht, angeblich erst 1328 gegründet, aber doch schon 76 77

78 79

Gross, S. 212. Gross, S. 160 f. Gross, S. 231 f. Hegel I, S. 101; Borst. Lebensformen. S. 261.

6. Die spätere Gildenentwicklung in England

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mit einem Vorläufer im 12. Jahrhundert genannt (siehe oben), ein Statut in Latein ein 8o , das Muster der Thanes-Gilde von Cambridge vor dem Jahre 1000 aufgreift, Leistungen im Todesfall vorsieht, aber auch ausgeschmückt und die Regelung des Seedarlehens aus Exeter vor 950 umwandelt. Mittel für das Begräbnis werden ,je nach Rang des Verstorbenen" in Aussicht gestellt, also auch die Kirchengebühren: - bei Tod innerhalb der Stadt sollen eine Seelenmesse gehalten und ein Opfer für die Seele (an die Kirche) gegeben werden, - bei Tod außerhalb der Stadt zwar keine Rückführung der Leiche - so in Cambridge -, aber Sorge für das Seelenheil, wie wenn das Gildemitglied in seiner eigenen Pfarre gestorben wäre, - bei Pilgerfahrt nach Jerusalem soll jeder einen Pfennig geben - wie in Exeter vor 950 -, aber nach Santiago oder Rom nur einen halben, aber der Pilger soll immer einen guten Empfang erhalten, - bei Armut eines Gildenbruders jede Woche sieben Pfennige "aus dem Gildevermögen" - eine neue Regelung mit einer Rentenzahlung. Ob die Regeln aus Cambridge und Exeter nach vier Jahrhunderten immer noch angewendet, ob sie 1328 wiederentdeckt oder 1388 zur Täuschung des Königs aufgeschrieben wurden, muß offenbleiben 81 , jedenfalls werden sie ab 1389 befolgt worden sein, und damit handelt es sich dann zum Teil um Versicherungen wie in Exeter. 6.3 Weitere Kaufmannsgilden im 14. Jahrhundert

Auch die Kaufmannsgilde in Southampton82 knüpft in ihren Statuten aus dem 14. Jahrhundert teilweise an alte Satzungen an, indem sie eine Auslösung bei Gefangenschaft, wie in der Gilde von Aire in Flandern, vorsieht, allerdings nur bei Gefangenschaft innerhalb von England; weiter wird auch Pflege bei Krankheit in Aussicht gestellt. Eine Ableitung aus der Lösegeld-Versicherung enthält auch das Statut der Bruderschaft zu Garlekith 83 in London von 1375, das den ungerechter Weise in Gefan80 Borst, Lebensfonnen, S. 261, hat dieses Statut übersetzt und als Beispiel für die Darstellung einer "nonnalen" Gilde des Jahres 1388 verwendet, obwohl es dazu wegen der Übernahme aus den 400 Jahre älteren Statuten von Cambridge und Exeter, die er nicht bemerkt hat, nicht geeignet ist. Auch hat Borst nicht erkannt, daß die Schneider-Gilden i. a. die vornehmsten Gilden einer Stadt waren, jedenfalls in Deutschland; so erklärt es sich auch, daß ein Zusatz das Fehlen von Vennögen besonders beteuern mußte, aber die Unterstützungen hoch ausfallen. 81 Diese Fragen sind anscheinend noch nicht aufgefallen und nicht untersucht. 82 Hegel I, S. 454 f. 83 Hegel I, S. 105.

3. Kap.: Gilden und Versicherungen in England

56

genschaft gehaltenen Gildegenossen eine wöchentliche Unterstützung zusagt, ebenso den Kranken und Armen; diese werden allerdings stets von einer siebenjährigen Mitgliedschaft und der Beitragszahlung in dieser Zeit abhängig gemacht, also von einer Wartezeit und einer Anwartschaft. Damit wird erstmals eine bemerkenswerte Risikobegrenzung in der Versicherung erreicht. In den hier ausgewählten Gilden finden sich bestimmte Geldleistungen teils bei Armut, teils aber auch schon bei Gebrechen u. ä. und Wegfall des Einkommens, und zwar früher als in Deutschland; es könnten Ansätze zu Versicherungen sein (siehe unten 8. Kap. 7.). Aus den Statuten der englischen Kaufmannsgilden, die um 1300 in 92 Städten bestanden haben 84 , könnten sich "Familien" mit gleichartigen Regelungen auch für Versicherungen herausgebildet haben, jedoch fehlt es insoweit noch an Durchsicht. Andrerseits ist auffällig, daß ähnliche Versicherungen wie die gegen Brand in Exeter nicht genannt werden. Die frühe Versicherung in Exeter wird auf andere Risiken, wie z. B. den SeewureBs , nicht ausgedehnt. Im Vergleich mit Deutschland allerdings weist England eine kontinuierliche Entwicklung von Gilden und Versicherungen auf, schon weil Verbote von Gilden nicht um sich griffen.

84

85

Hegel, wie vor. Dies geschieht schon 1200 in Dänemark, siehe unten 5. Kap. 5.2.1.

Viertes Kapitel

Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jahrhundert auf dem Festland Nach dem Untergang des Karolingerreichs am Ende des 9. Jahrhunderts und im 10. Jahrhundert schlugen die Randgebiete desselben, darunter die an den Küsten der Nordsee, unterschiedliche politische und wirtschaftliche Entwicklungen ein, die sich auch auf die Existenz von Gilden und ihnen ähnliche Vereinigungen auswirkten. Infolge der Aufteilung der Nordseeküste an verschiedene heutige Staaten hat die frühere Versicherungsgeschichte die flandrischen, nordfranzösischen, deutschen und dänisch-nordischen Gilden getrennt untersucht. Sie hat im 10. Jahrhundert in Deutschland keine Gilden, Feuerwehren oder Schiffsgemeinschaften mit Versicherungsregeln feststellen, auch keine sonstigen Angaben über die Struktur derselben machen können, dennoch aber für das 11. Jahrhundert Ergebnisse aus den anderen Ländern zu einem gemeinsamen Bild "germanischer Kontinuität" zusammengefaßt86, allerdings unter Überbrückung der zeitlichen Unterschiede, und auch auf Deutschland erstreckt. Ist dieses Verfahren ohnehin fragwürdig geworden, so trübt es erst recht den Blick für die großen regionalen Unterschiede in der Versicherungsgeschichte, weil die Existenz von Gilden nicht ohne weiteres auch das Vorhandensein von Versicherungen beinhaltet. Wenn im folgenden Abschnitt ungeachtet dessen zuerst das Vorkommen von Gilden und deren regionale Verteilung vorgestellt wird, dann nur deswegen, weil Gilden im Mittelalter die Voraussetzung für Versicherungen bilden und Kräfte, die Gilden verhindert haben, sich auch gegen Versicherungen in Gilden gewandt haben.

1. Gilden im 11. und 12. Jahrhundert Eine Zusammenstellung der Nennungen von Gilden u. ä. im Raum des deutschen Reiches zwischen den Jahren 1000 und 1200 ergibt das Bild einer Konzentration der Gilden auf drei Gebiete und einer Leere für die anderen. Die drei Gebiete sind in der Liste mit Buchstaben gekennzeichnet, nämlich für Gilden Rh Fl WE

86

arn Lauf des Rheins in Flandern zwischen Weser und Eibe.

Dazu eingehend und mit Recht kritisch: Oexle, Die mittelalterlichen Gilden, S. 334.

58

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland Gilden von 1000 -1200 im Deutschen Reich

F1

Jahr 1001 1020 1023/25

Ort Calais Tiel arn Niederrhein Worms

Art I Name I Statut Statut; Kaufmannsgilde 1190 Kaufleute societas parafridorum (Fiskalinen) Gewandschneider 1183 (älteste Gilde Mitteldeutschlands) (Gewandschneidergilde 1214) 11 08/1120 als Gilde anerkannt "Caritas"-Statut 1114 Statut

1. 2. 3.

Rh Rh

4.

WE 1025/1136/1183

Magdeburg

5. 6.

WE 1036-1059/1068/1168 WE 1038

Halberstadt Goslar

7. 8.

F1 F1

Valenciennes Gerardsbergen (südlich von Gent) Kaufmannsgilden Köln Worms Erbfischer Carnbrai 1101 Statut St. Omer Sithiu St. Statut 1127 Bertin England Kaufmannsgilden

1051/1067/1070 1067-1070

9. Rh 10. Rh 11. F1 12. F1

1074/1080/1130 1074/1106 1077/1101-1107 1082/1097

13.

Rh

Nachrichtlich: 10871 1093 1099/1175

14.

F1

1100/1188

15. 16. 17. 18. 19. 20.

F1 F1 F1

im 11. Jahrhundert 1103 1106 1110 1121 vor 1127 (11101)

Aire aan de Leie (sur la Lys) Dortmund Köln Worms Poperinghe Namur Brügge

21.

F1

vor 1127 (11 \01)

Gent

22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.

F1 F1 F1 -

vor 1127 vor 1127 1125 1128 WE 1128 F1 1144 Rh 1149150

Ypem Douai LilIe Würzburg Halle Foumes Köln

29. 30. 31.

F1

Rouen Stendal Harburg

Rh Rh

1150 WE 1151/1214 WE 1152

=

Mainz

=

Weber - erste Berufsgilde in Deutschland ,.Amicitia"-Statut 1188 maior gilda, Statuten vor 1240 Gewandschneider, Krämer Fischhändler Bruderschaft Bruderschaft 1151 Kaufmannsgilde, in Keure aufgeführt, 1144 Aufstand Kaufmannsgilde, 1164 Wollweber, Tuchwirker, Fischer, Fleischer Kaufmannsgilde Kaufmannsgilde ,.Amicitia"-Statut 1235 Schuhmacher-Innung Kaufmannsgilde Aufstand I Keure 1240 Bettziechenweber, Wolltuchweber, Goldschmiede, Bäcker, Gewandschneider, Kürschner, Schuhmacher Statut 1231 Gildebrief Heinrich des Löwen

1. Zeittafel: Gilden im 11. und 12. Jh. Jahr

32. 33. 34. 35. 36.

WE 1l5611160/1l80 1158 1158 Il 66 FI 1170/1190

37. 38. 39. 40. 41.

-

42. 43.

-

Il 70 Il 67 -1l88 Rh 1176-1l82 Rh 1179 WE 118311197

44. 45. Rh

46.

-

1180 1l86/1l89 Il 92 Il 94 1201

Ort

Art/Name/Statut

Braunschweig

Leineweber

59

Lübeck Wisby auf Gotland

Hanse deutscher Kaufleute

Aachen

Kaufleute Bruderschaften der Kaufleute, Schneider, Münzer, Schuster

Arras München

Kaufmannsgilde

Salzburg

Zecha

Köln Köln

Drechsler Richerzeche

Magdeburg

Gewandschneider, Krämer, Schild- und Sattelmacher

Stranding / Holstein

Kaufmannsgilde

Kiel

Kaufmannsgilde

Oldenburg / Holstein

Kaufmannsgilde

London

Abgabenfreiheit der Kölner Kaufleute in England

Dordrecht

Kaufmannsgilde

FundsteIlen - zu 1.: ftir 1190: Hegel 11 S. 175; zu 2.: Angabe u. a. bei Planitz, Stadt, S. 74 f. u. 78; Groß S. 293; zu 3.: K. Schulz S. 312; zu 4.: Doren S. 103; H. K. Schulze S. 404 f.; zu 5.: H. K. Schulze S. 394 f.; zu 6.: Planitz 130; Doren S. 96: Kaufmannsgilde 1200, zu 7.: Warnkönig 11. S. 25; Doren S. 64; zu 8.: Warnkönig 11 S. 120; K. Schulz S. 313; zu 9.: Planitz; zu 10.: Planitz; zu 11.: Pirenne S. 211; zu 12.: Doren S. 59; zu 13.: Planitz 467 Nr. 5; zu 14.: Warnkönig; zu 15.: Planitz, S. 76; Doren S. 91; zu 16.: Wemet, Perspektiven S. 54; zu 17.: Wemet, Perspektiven S. 54; zu 18.: Wamkönig III. 7. Kapitel; zu 19.: Helmer, Gegenseitigkeitsversicherung, S. 7; zu 20.: Wamkönig 11. S. 146. Anm.; zu 21.: Wamkönig III. I. Kap.; zu 22.: Wamkönig III. 4. Kap.; zu 23.: Warnkönig III. 14. Kap. § 10; zu 24.: Wamkönig III. 14. Kap. §§ 1-8; Hegel 11 S. 170; zu 25.: Planitz S. 110 u. Anm. 8; Wemet. Perspektiven. S. 54; Dilcher S. 100 Anm. 97 u. 98; zu 26.: Planitz S. 132; zu 27.: Wamkönig 11. S. 146; zu 28.: Planitz; zu 29.: Wamkönig 11; zu 30.: Planitz; zu 31.: Pleticha. Bd. 4. S. 358; zu 32.: Planitz; zu 33.: Planitz S. 143: "gildenartige Vereinigung"; zu 35.: Meuthen. Aachener Urkunden Nr. 3; zu 36.: Wamkönig 11; Doren S. 66. Hegel 11. S. 161 ff.; zu 37.: Planitz S. 139; zu 39.: Kleudgen S. 175; v. Loesch. Zunfturkunden S. 34; zu 40.: Kleutgen S. 177; zu 42.: Planitz S. 132; zu 43.: Helmer S. 114-124; zu 44.: Helmer S. 114-124; zu 45.: Helmer; zu 46.: Gross S. 293. v. Loesch S. 7.

Eine Liste der Gilden im 11. und 12. Jahrhundert im genannten Bereich existierte bisher nicht. Zusammenstellungen der Sprachwissenschaft87 mit den Begriffen Gilde, Zunft, Innung, Zeche, Amt setzen erst mit den ersten Jahren des 12. Jahrhunderts ein. In der vorstehenden Aufstellung von Gilden werden dann verschiedene Gründungsjahre aufgeführt, wenn Umstände, die auf die Existenz einer Gilde in der jeweils ersten Jahreszahl schließen lassen, nicht eindeutig sind, insbesondere sich nicht erkennen läßt, ob eine Gruppe z. B. von Kaufleuten bereits eine 87 Erst die Namenserfassung, genauer die Rechtssprachgeographie und die dazugehörige Rechtskartographie (siehe Schmidt-Wiegand und Obst) hat in mühsamen Arbeit 1600 Fundstellen aus den Jahren Il 00 -1700 überprüft und 1982 fast 1200 Gilden u. a. zusammengestellt, leider ohne Angabe der Berufe.

60

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

feste Organisation erreicht hat 88 . Unterschiede zwischen Gilden von Kaufleuten und Handwerkern sind nicht sicher auszumachen; denn von den Handwerkern haben diejenigen zuerst Gilden gebildet, die die von ihnen hergestellten Waren auch selbst verkauften. Zuerst treten die Gilden derer in Erscheinung, die sich mit der Herstellung und Verarbeitung von Geweben befaßten.

2. Die Konzentration der Gilden auf drei Regionen Nach Regionen konzentrieren sich die 46 aufgeführten Gilden aus zwei Jahrhunderten auf die drei Gebiete am Rhein, in Flandern und im Land zwischen Weser und Eibe, und dabei in 27 Städten89 . Die meisten frühen Gilden finden sich in Flandern. Auffallig ist die zeitliche Reihenfolge ungefähr entsprechend der geographischen von der Teilung des Rheins bei Tiel bis nach Basel, aber fast gleichzeitig in Köln, Mainz und Worms.

2.1 Die fundleeren Gebiete und die Gildeverbote

Im Vergleich mit den flandrischen Gilden im 11. Jahrhundert, deren Gründungen sich im 12. Jahrhundert unvermindert fortsetzen, fallt die Fundleere im damaligen deutschen Reich auf. Vorkommen von Gilden (nicht von Städten) fehlen von der west- und ostfriesischen Küste, aus Bremen und Hamburg, aus Westfalen, aus dem damaligen Lothringen, dem Maingebiet, aus Südwest- und Süddeutschland (außer 88 Die verschiedenen Jahresangaben für ein- und dieselbe Stadt hängen davon ab, ob man die Erteilung von Privilegien an Kaufleute, insbesondere das ausschließliche Marktrecht, als Beweis für die Existenz einer Gilde ansieht oder ob man dafür die Nennung der Gilde oder der GildehaBe oder das Bestehen eines Gildestatuts verlangt. Galt das ZoBprivileg der Wormser Fernkaufleute von 1074 schon für eine Gilde oder nur für einen Stand? Kann aus der Privilegierung der Aachener Kaufleute durch Friedrich I. Barbarossa am 9. Januar 1166 auf die Existenz einer Gilde geschlossen werden? Betraf die Urkunde für die Halberstädter Kaufleute 1168 von Heinrich IV. eine Gilde derselben oder jene als Teil einer Bürgergemeinde? Ist die Gilde der Magdeburger Kaufleute erst 1183 bezeugt durch "den ältesten Beleg für eine Gilde im mitteldeutschen Raum überhaupt" - oder schon durch die Privilegierungen Ottos 11. 975 oder Lothars von Supplinburg 1136? So interessant solche Fragen für die Geschichte der Gilden sind, so ist nicht damit zu rechnen, daß bei den frühesten Jahresangaben interne Regelungen überliefert sind. 89 In das 11. und 12. Jahrhundert faBen auch die Anerkennung und die Gründung einer Reihe von Städten. Diese durchlaufen dabei vielfach ein Stadium, in dem eine Eidgenossenschaft (coniuratio) aBer Bürger (gegen den Stadtherren) gebildet wird, so die berühmte von 1112 in Köln. In ihnen sicherten sich die Bürger (auch) gegenseitige Hilfe zu. Derartige "Kommunen" entstanden 1101 in Cambrai, 1112 in Köln, St. Quentin 1081, Beauvais 1099, St. Omer und Aire aan de Leie um 1100. Kommuneprivilegien wurden erteilt in Cambrai 1101, Valenciennes 1114, St. Omer 1127, Laon 1128, Beauvais 1144 und in Soest, Medebach, Worms, Speyer, Mainz und Trier in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Derartige Eidgenossenschaften wurden in die AufsteBung nicht aufgenommen.

2. Die Konzentration der Gilden auf drei Regionen

61

Salzburg und München). Das Fehlen und eine mögliche Unterrepräsentation erklären sich aus - der schlechten Überlieferung von Nachrichten und Urkunden aus den deutschen Gebieten, - den Verheerungen und Verarmungen durch die Einfälle der Wikinger /Normannen und der Ungarn, - den Verlusten an Menschen auf den Kreuzzügen und durch die Italien-Politik der deutschen Könige, - der verzögerten Bildung selbständiger Städte. Vor allem geht das Fehlen von Gilden in den deutschen Gebieten darauf zurück, daß für die karolingischen Gildenverbote weiterhin Beachtung verlangt wurde90 und sich seit dem 9. Jahrhundert kirchliche Handbücher ebenfalls gegen Gilden ausgesprochen hatten, die unverständige Schilderung des Mönchs Alpert von Metz 1020 über die Gilde von Tiel sollte in der gleichen Richtung wirken. Für Frankreich und Burgund beginnt eine Reihe kirchlicher Verbote der Gilden mit dem für Rouen von 119091 . Staufer und Welfen verhielten sich zu den Gilden verschieden. Von 1152 - 1190 war im deutschen Reich Friedrich I. Barbarossa König und Kaiser, der nach Planitz92 "den Eidgenossenschaften der Städte i. a. aus seiner herrschaftlich orientierten Staatsauffassung ablehnend gegenüberstand." 1158 hat Friedrich Barbarossa in der Constitutio pacis von Roncaglia die Gilden der oberitalienischen Städte verboten 93 . Die oben beschriebene Eidgenossenschaft aller Bürger (Kommune) in Trier verbot Barbarossa auf Betreiben des Erzbischofs 1157 und dann wieder 1161 94 . Er greift auch in das Goslarer Stadtregiment durch Gildeverbote mehrfach ein. Da er durch die renovatio imperii an die königliche Gewalt Karls des Großen anknüpfen wollte, wird er dessen Gildeverbot von 779 als geltendes Recht angesehen und angewendet haben. Bei allen Unterschieden der Gilden von 779 und 1161 war der Gegensatz zwischen Autonomie und Herrschaft in Deutschland bestehengeblieben, während in "Reichsflandern" (seit 1012) in Auseinandersetzungen mit den Grafen von Flandern ein Weg gefunden wurde, die wirtschaftliche Kraft der Gilden auch für die Herrschaft zu nutzen, indem die Gildestatuten der gräflichen Genehmigung bedurften. Den deutschen Gilden, die schon vor 1152 bestanden, wurde durch die 90 Schon Ooren, Kaufmannsgilden, S. 56 f. weist als Grund auf die "stärkere Centralgewalt" in "Oberdeutsch land während des ganzen Mittelalters" hin. Als Grund für Unterrepräsentation wird im Schrifttum ein Stadium der tatsächlichen Existenz der Gilden vor der schriftlichen Fixierung angenommen, so z. B. durchweg W. Wernet. Vorverlegungen der Gründung um mehr als zwei Jahrzehnte bedürfen jedoch besonderer Begründung, wie der Bauzeit des Gildehauses. 91 Oexle, Conjuratio, S. 154, und Die mittelalterlichen Gilden, S. 205 Anm. 7. 92 Planitz, Stadt, S. 151. 93 Oexle, Conjuratio, S. 154. 94 Planitz, Stadt, S. \07 u. Anm. 46.

62

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

Gildeverbote der Staufer eine gleiche Weiterentwicklung abgeschnitten und die Gründung neuer Gilden um 100 Jahre hinausgeschoben. Die gleichwohl in der Aufstellung enthaltenen Gründungen neuer Gilden in derselben Zeit bestätigen als begründbare Ausnahmen die reguläre Wirkung der staufischen Gildeverbote. Die 1156/ 1180 genannte Gilde der Leineweber, eine Kaufmannsgilde, in Braunschweig verdankt ihre Entstehung der Absicht des welfischen Doppelherzogs Heinrichs des Löwen, seine Residenzstadt zu einem HandeIsmittelpunkt zu machen und neue Bürger zum Zuzug zu veranlassen. Ab 1160 zogen in einen neuen Stadtteil flandrische Woll- und Tuchhändler und Weber95 , die ihre Vorstellung von Stadt- und Vereinigungsfreiheit mitbrachten. Ähnliche Motive sind für den Gildebrief Heinrich des Löwen für die Gewandschneider in Harburg schon 1152 anzunehmen. Auch die Gilden in Stendal, in dem um 1151 ein Markt gegründet wurde, verdankten ihre Existenz ähnlichen Motiven der Askanier (AIbrecht der Bär). Auch hier waren Einwanderer aus Flandern angelockt worden. 2.2 Das FehLen überLiefener Gildenstatute in Deutschland

Für die Versicherungsgeschichte genügt es nicht, nur die Nennungen von Gilden festzustellen, vielmehr bedarf es zusätzlich der Kenntnis der in den Gilden bestehenden Regelungen, diese sind aber nur in den Statuten der flandrischen Gilden festgehalten und am Niederrhein in beschränktem Umfang zu ermitteln. Wie es historisch unzulässig war und ist, frühe Gilden in Gebieten zu vermuten, in denen Gilden erst in späteren Jahrhunderten vorkommen, so dürfen in Gilden nachgewiesene versicherungsähnliche Regelungen auf andere Gilden nicht oder nur bei Nachweis der gleichen Struktur und Zeit ausgeweitet werden, weil, wie bei den frühen angelsächsischen Gilden zu erkennen, die Unterschiede im einzelnen gewichtig sein können. Aus diesen Gründen kann die Versicherungsgeschichte, nachdem mit der Aufstellung über die Gildenorte der mögliche Kreis abgesteckt ist, auf eine noch größere Vollzählichkeit der Gilden verzichten, weil nur von wenigen Gilden die innere Verfassung bekannt ist und der Kreis der möglichen Versicherungen dadurch verengt wird. 3. Gilden am Rhein und im Weser-/Elbegebiet 3.1 1iel - 1020

Die älteste deutsch-niederländische Gilde, die der Kaufleute von Tiel am Niederrhein, ist von dem Mönch Alpert von Metz frühzeitig, nämlich um 1020, beschrieben96 , aber mißverstanden 97 worden. Tiel war seit etwa 972 Reichszollstätte Planitz, Stadt, S. 145. Oe diversitate temporum 11, 20, hrsg. von A. Hulshoff, 1916, S. 50; dazu Oexle, Conjuratio, S. 352. 95

96

3. Gilden am Rhein und im Weser-/Elbegebiet

63

am Rhein, 1006 noch einmal gebrandschatzt von den Normannen, 1174 durch Kaiserswerth abgelöst. Der Mönch beschreibt die Sitten der Kaufleute als abschrekkende Beispiele, z. B. das Gildemahl als Völlerei, die frühzeitige Wiederheirat der Witwen verschollener Kaufleute als Bigamie und Versuche, das Schicksal zu meistem, als mangelndes Vertrauen in Gott. Aus diesem verzerrten Spiegelbild ist auf die tatsächlichen Rechtsgebräuche der Gilde zurückzuschließen. Daraus ergibt sich eine starke Zusammengehörigkeit dieser Kaufleute und das Gebot der Gleichheit der Mitglieder. Hieraus konnte sich dann auch eine gemeinsame Kasse entwickeln, aus der die Mitglieder Kredite für ihre Geschäfte erhalten konnten ("ad lucra"), aufgrund deren die Kasse mit am Gewinn teilhatte 98 . Ob es sich dabei um ein Seedarlehen (foenus nauticum) oder um societas maris gehandelt hat, ist noch nicht untersucht. Bemerkenswert ist die Aufbringung des Darlehens durch eine Gilde, ähnlich der in Exeter 950.

3.2 Köln - ab 1074

Nach dem Jahre 1000 war Köln die volkreichste Stadt nördlich der Alpen. Schon 940 hatte sie sich um die Rheinvorstadt, eine Niederlassung von Kaufleuten am Hafen um die Kirche Groß-St. Martin, erweitert. Im Jahre 1066 unterstützen der Erzbischof Anno ll. und die Kölner Kaufleute die normannische Invasion in England und begründen einen umfangreichen Handel mit England; dieser führt hundert Jahre später, 1157, zur Errichtung einer guildhall in London. Im Jahre 1074 kommt es zu einem Aufstand von reichen Kölner Kaufleuten gegen den Erzbischof Anno ll., der aus Anlaß einer Schiffsrequirierung ausbricht. Er wird zwar niedergeschlagen, aber zum Beginn einer 200jährigen Auseinandersetzung zwischen den Erzbischöfen und der Bürgerschaft wird (bis 1288 Schlacht bei Worringen). Auch taucht im 1080 die Pfarrgemeinde Klein-St. Martin auf, in der man einen Zusammenschluß von Kaufleuten vermutet99 . 1112 wird in Köln eine "Schwurgemeinschaft für die Freiheit" der Bürgerschaft (coniuratio pro libertate) gegründet. Listen von "Gildemitgliedern" aus Klein-St. Martin sind für die Jahre 1130 bis 1170 erhalten 1oo. 1149 sind die ersten Zünfte genannt, aus diesem Jahr ist auch das früheste Stadtsiegel Kölns, das älteste Europas, nachgewiesen. Um 1179 wird die "Richerzeche", eine Vereinigung der Patrizier, gegründet, die die Stadtleitung beansprucht. 1194 stellt der englische König Richard Löwenherz ein Privileg für die Kölner Kaufleute der Londoner guildhall aus lOl (erst 1266/67 wird Hamburger und Lübecker Kaufleuten eine Hanse in London erlaubt). Aus dem Überblick ergeben sich Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 213. Nach Oexle, wie vor, S. 218, könnten die Gewinne auch zur Finanzierung der Gildenmähler gedient haben. 99 Jakobs, S. 302 f. 100 Jakobs, S. 298 f. 101 Zerlett, S. 48. 97

98

64

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

zahlreiche Anhaltspunkte für das erfolgreiche Wirken von frühen Gilden in Köln im 11. Jahrhundert und ihre Verbindungen nach England. Für die Mitte des 13. Jahrhunderts wird mit bis zu 20 Zünften in Köln gerechnet lO2 • Die Kölner Kaufmannsgilden spielten in der städtischen Entwicklung Kölns eine wichtige Rolle, jedoch sind frühe Statuten und damit der größte Teil ihrer frühen inneren Ordnung nicht überliefert. Von Loesch 103 (gegen Hegel 104) ist der Auffassung, daß ihre Verfassung mehr Berührungspunkte mit niederländischen als mit den englischen Gilden gehabt habe. Jakob 105 stellt Übereinstimmungen der Kölner Gilden mit der von St. Omer fest. In den Bruderschaften der Gewandschneider (seit 1103) und der Waidhändler (kurz nach 1300) in Köln taucht später die Regelung aus Tiel wieder aue 06 , nach der die Vereinigung Darlehen an Mitglieder gibt und aus dem Gewinn die Trinkgelage bezahlt. Dagegen geht es 1149 bei den Bettziechenwebern 107 um ein für die Gilden typisches Problem, nämlich um die Errichtung eines gemeinsamen Verkaufsstands, also um ein kartellartiges Verhalten. Frühe gegenseitige, versicherungsähnliche Einrichtungen sind aus Köln mangels der Statuten nur für Einzelfälle überliefert lO8 •

3.3 Begräbniskosten in Gilden

Nur für Begräbnisse sind Regelungen in Gilden bekannt, so bei den Mainzer Webern 1099, wenn die Urkunde nicht verfälscht ist 109 , die Sorge für Begräbnisse, ähnlich dann 1149 bei sieben Gilden in Köln 11 O. In der Drechsler-Bruderschaft 1178 - 82 in Köln wird bestimmt, daß bei Tod eines Mitglieds vier Wachslichter aufzustellen sind 111, sechs Mitglieder Totenwache halten und alle Männer und Frauen am Begräbnis teilnehmen sollen. Die Regelungen betreffen kirchliche Pflichten, verlangen mit Ausnahme der Bezahlung von Lichtem tatsächliche Hilfen, nicht Geldzahlungen und damit unvertretbare Leistungen. Aus dem 12. Jahrhundert ist kein Beispiel dafür bekannt ll2 , daß Gilden über den kirchlich bestimmten Bereich des Begräbnisses hinaus Unterstützungen in Unglücksfällen versprochen haben, wenn es solche Hilfen auch bei Armut oder fallweise gegeben haben 102 103 104

lOS

106 107 108 109

110

111 112

Jacobs, S. 298. von Loesch, Dissertation, S. 45. Hegel, S. 72. Jakobs, S. 303. von Loesch, S. 5 u. S. 48. von Loesch, S. 5. Doren, S. 88; siehe aber folgend 3.3. Planitz, Stadt, S. 380 Anm. I. Planitz, Stadt, S. 289. Planitz, Stadt, S. 467 Anm. 293/4. W. Wemet, 1939, S. 51.

3. Gilden arn Rhein und im Weser-/Elbegebiet

65

wird. Ob man das Bezahlen von vier Wachslichtern um den Toten herum, zweifellos eine geldwerte und damals teure Leistung, dem kirchlichen Bereich oder einer gegenseitigen Pflicht zu einer Umlage zuordnen soll, ist wegen des Zusammenhangs mit den englischen Begräbnisgepflogenheiten auch in der Kölner Drechslergilde als Rest aus Gemeinschaftsleistungen zugunsten einer Versicherung zu entscheiden. 3.4 Gilden am mittleren Rheinlauf

Für die Handelsschiffahrt auf dem Rhein gab es immer Anlässe zu gemeinschaftlicher Vorsorge, so für das Treideln (Ziehen) der Schiffe stromaufwärts, für Anländerechte, gegen Rheinzölle und gegen Angebotspflichten. Mit den Schiffen und Waren wurden auch Gepflogenheiten und das Wissen um sie den Strom entlang transportiert. Daher ist es nicht erstaunlich, daß 1074 gleichzeitig mit Köln eine Gilde in Worms genannt wird 1\3 und 1099 die Weber-Gilde in Mainz der Nennung der Gewandschneider in Köln (1103) vorausgeht. In Worms wird 1106 eine Gilde der Erbfischer (Fischhändlerzunft) genannt 114• Basel am Oberlauf des Rheins wird von Zunftgründungen erst 1226/28 errei cht. Die unterschiedliche Ausbreitung der Gilden 1Zünfte am Rhein entlang mag auch darauf zurückzuführen sein, daß sich Städte und mit ihnen die Gilden erst allmählich von der Herrschaft der Bischöfe befreien konnten, teils erst im 13. Jahrhundert. Abgesehen von den gemeinschaftlich gegebenen Seedarlehen, die in Italien der Seeversicherung zeitlich vorangehen, sind auch im 12. Jahrhundert weder in Tiel noch in Köln (mit Ausnahme bei Drechslern) noch sonst am Rhein in den Gilden Versicherungen zu entdecken.

3.5 Gilden im Weser-/Elbegebiet

Als Städte im Weser-/Elbegebiet und in deren Nachbarbereichen, in denen im 11. und 12. Jahrhundert Gilden genannt sind, sind in der obigen Aufstellung Magdeburg, Halberstadt, Goslar, Halle, Stendal, Harburg, Braunschweig sowie Lübeck aufgeführt. Statuten davon sind aus dem 11. und 12. Jahrhundert nicht überliefert, erst recht nicht aus etwaigen Gilden außerhalb des Weser-/Elbegebiets. Deswegen hat die Gildengeschichte und ihr folgend die frühere Versicherungsgeschichte die Aufgaben dieser Gilden aus denen hergeleitet, die um die gleiche Zeit in Nordeuropa oder früher bei den Sachsen oder Franken bestanden haben. Die Hauptaufgaben der Gilden wurden im 11. Jahrhundert nach früher allgemeiner Auffassung 115 in "Tischgemeinschaft, Rachepflicht, Brudertreue und Sühnegericht" gesehen. 113 114

IIS

Planitz, Stadt, S. 106. Planitz, Stadt, S. 291. Planitz, Rechtsgeschichte, S. 102.

5 Schewe

66

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im I!. bis 13. Jh. auf dem Festland

Demgegenüber hat Oexle 1l6 deren Beitrag zur Friedensordnung herausgestellt. Die Gilden haben sich im 12. Jahrhundert mehr darauf konzentriert, wirtschaftlich günstige Vorbehalte für Kaufleute durchzusetzen, z. B. Marktrechte, und Zollfreiheit und gemeinsame Verkaufsstellen in "Gewandhäusern" u. ä. zu errichten, woraus später vielfach Rathäuser wurden. Dementsprechend werden sie jeweils zuerst in königlichen oder sonstigen Privilegien erwähnt. Vielfach sind die Gilden an der Vertretung gegenüber dem Stadtherrn und der Herausbildung des Stadtregiments beteiligt, auch am kirchlichen Leben. Insbesondere aus dem Weser-/Elbegebiet sind keine Ansätze zu Umlagen wie in Flandern bekannt, und dies wundert umsomehr, als die Gilden dort im Unterschied zu denen der karolingischen Zeit ein besseres Verhältnis zu König und Herrschaft gehabt haben müssen, wurden sie doch von den sächsischen Königen und Herzögen durch Privilegien gefördert und teils sogar in die Landesverteidigung eingebunden. Gleichwohl hat sich das andere Umfeld anscheinend nicht auf die Entstehung von gegenseitigen Pflichten der Gildemitglieder bei Eintritt bestimmter Risiken wie Brandschäden ausgewirkt; denn es finden sich auch später keine Spuren davon, es sei denn, in Lübeck. Erst recht fehlen Spuren in den andern deutschen Gebieten, weil dort keine Gilden existierten oder ihre Existenz nur vereinzelt und ohne Aufgabenbeschreibung nachgewiesen ist, so in Aachen, München, Salzburg. 4. Gilden und Versicherungen in Flandern

Im hohen Mittelalter gliedert sich das hier als Wirtschaftsraum einbezogene Flandern 117 in die Grafschaft Flandern, von Dünkirchen fast bis VIissingen an der Nordsee gelegen, in Reichsflandern zwischen jener und Brabant, in das südwestliche Flandre Gallicante und weitere nordfranzische Gebiete von Calais, um St. Omer, Lilie, Arras bis Cambrai. Den frühen Gründungen von Gilden, aus der Übersicht ersichtlich, schloß sich eine starke Vermehrung derselben im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts an. So bestehen 1228-1280 in Gent acht Gilden allein im Tuchgewerbe, in dem damals 40000 Personen tätig waren 1l8 • In Brügge werden 1309 dreißig Zünfte gezählt 119. 4.11n Valenciennes - 1050/1114

Von der Gilde in Valenciennes (1114 bestätigt), im französischen Flandern gelegen, sind die ältesten Statuten in Flandern erhalten 120, mit einer Friedensordnung

116 117 118 119

Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 209. Landkarte bei Wamkönig 1., Anhang. Wamkönig 11., S. 25. Warnkönig, Anhang 70.

4. Gilden und Versicherungen in Flandern

67

nach innen, der Wahrung der Rechte ihrer Mitglieder nach außen, der eigenen Gerichtsbarkeit, den Wahlen der Vorsteher, den Regeln für das Gildemahl und dem Totenkult, natürlich auch den Rechten und Pflichten der Kaufleute. Ebenso gehörte dazu der Beistand aus "Christlicher Brüderlichkeit in allen nur möglichen Situationen des Alltagslebens.. 121 , z. B. bei Verarmung und bei Gefangenschaft (Lösegelder). Die Kaufmannsgilde von Valenciennes nennt sich "caritas". Das Gildenstatut in Valenciennes besteht aus drei Teilen. In dem ältesten (Art. 1 - 26) aus der Zeit 1050 - 1070 schreibt Art. 16 vor, daß die Kaufleute als Gildenbrüder gemeinsam auf Reisen gehen und sich gegenseitig helfen sollen. In den bei den angehängten, also späteren Abschnitten findet sich, wohl erstmalig auf dem Festland 122, die Bestimmung, daß Gildenbrüder für den, der unterwegs in Gefangenschaft gerät oder dem seine Waren weggenommen werden, zu seiner Auslösung zusammen Geld aufbringen sollen. Die Regelung ist eine Konkretisierung des gegenseitigen Hilfeversprechens der Gildenbrüder und enthält eine Pflicht zur Umlage, auch wenn sich sämtliche Reisenden in einer ähnlichen Gefahr befanden. Eine bestimmte Höhe des Zuschusses oder der Umlage festzulegen, verbot sich, um Lösegeldforderungen nicht hochzuschrauben. In der Zahlungspflicht der Gildebrüder unterwegs kann ein Vorläufer einer Versicherung erkannt werden, aber bei Rückkehr der Gildebrüder ergab sich sofort die Frage, ob nur sie oder alle Gildemitglieder den Aufopferungsaufwand tragen sollten, darauf geben erst spätere Satzungen die Antwort. Jedenfalls schreibt Art. 43 der Statuten vor, daß für den, der in Armut oder Gefangenschaft geraten ist, nichts aus dem Vermögen der Caritas selbst aufgewendet werden sollI23, sicherlich auch, um die Kasse der Caritas nicht zu überfordern. Zwar ist damit ein Gleichstand mit den Versicherungen in den frühen angelsächsischen Gilden noch nicht erreicht, aber die Risiken Gefangenschaft und Warenbeschlagnahme sind erstmals isoliert und dem Ausgleich durch eine Umlage zugänglich gemacht - ein Ansatz, der in Aire wirksam werden wird.

4.2/n Sr. Omer-1/27/ 1/68 Der Stadt St. Omer (= villa Sithiu = Abtei St. Bertin), südlich von Dünkirchen gelegen, werden 1127/28 Privilegien und Freiheitsrechte eingeräumt und 1168 bestätigt l24 . Sie dienen als Muster für viele andere Städte. In ihnen werden auch Aufgaben und Rechte der Kaufmannsgilde geregelt, deren Statuten aus der gleichen 120 Doren, S. 60; Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 204 u. 209 Anm. 6 u. 39; HegelI., S. 149 ff. 121 Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 215. 122 Doren, Kaufmannsgilden, S. 164, "Karavanenreisen". 123 Hegel H., S. 149 ff. 124 Heget H., S. 154 ff.

68

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

Zeit erhalten sind. Von der inneren Ordnung der Gilde entfällt ein beträchtlicher Teil auf die Regeln für das Verhalten beim Gildemahl. Dem Gebot der Nächstenliebe gilt nur der letzte Satz, nach dem alle Armen und die an Lepra Erkrankten Mitleid verdienen. Die Hilfe für Leprose war auch anderwärts, so in Valenciennes, eine Aufgabe von Gilden. Die Gilde von St. Omer ist also ein frühes Beispiel für Statuten ohne Ansätze zu Versicherungen.

4.3 In Aire -1100/1188 Die Gilde in Aire (Arin) besteht ab dem Jahre 1100, ihre Statuten stammen aus dem Jahre 1188 (Bestätigung) 125. Sie nennt sich "amicitia"126. Ihre Regelungen sind, wie vermutet wird, von der Gilde im benachbarten St. Omer beeinflußt, jedoch unterscheiden sich ihre Statuten durch eine Regelung der gegenseitigen Hilfeleistung, die mehr ins einzelne geht. "Wenn einem Genossen sein Haus abgebrannt, oder wenn einer gefangen und zu schwach sein wird, sich loszukaufen, soll jeder dem verarmten Genossen einen Nummus (Silbermünze = 1 denar = 1 Pfennig) zu Hilfe geben." In dieser Regelung sind zwei Risiken zusammengefaßt, nämlich der Brandschaden und die Gefangenschaft mit Lösegeld-Forderung. Die Regelung der Brandversicherung entspricht derjenigen im Statut der Gilde von Exeter in England aus den Jahren vor 950, ist also daraus nach eineinhalb Jahrhunderten übernommen. In Exeter war die Brandversicherung zusammen mit der Geldsammlung für eine Südfahrt in einem Artikel zusammengefaßt, hier in Aire mit der Autbringung des Lösegelds aus einer Gefangenschaft, also einer Gefahr, mit der eine "Südfahrt" enden konnte. Auch die Rechtsfolge für beide, eine Umlage, ist beibehalten, und wie in Exeter für beide Risiken gleich hoch festgesetzt, obwohl der Wert von Haus und Freiheit / Leben nur zuf.Hlig gleich sein kann. Daß die Regelung von England nach Aire übernommen wurde, zeigt auch die selten verwendete Bezeichnung "nummus" für den Pfennig (denar). Anscheinend ist die Regelung der Brandversicherung direkt von Exeter in England ohne Zwischenträger übernommen worden; sie zeigt allerdings auch, daß in den eineinhalb Jahrhunderten keine Fortentwicklung der Brandversicherung, etwa von der nachträglichen Umlage zur vorherigen Beitragserhebung oder zur genaueren Beschreibung des abgebrannten Objekts (Wohnhaus, Scheune?) stattgefunden hat. Wohl aber ist mit dem Einschub der Regelung über das Lösegeld bei Gefangenschaft und damit auch bei Sklaverei erstmalig eine Übertragung der Versicherung von der Sach- auf die Personenversicherung erfolgt, vermutlich unter der Vorstellung, daß Sklaven und Gefangene rechtlich als Sachen wie ein Haus anzusehen sind und bei diesen das Lösegeld einen Maßstab für den Wert eines Menschen bietet. Es handelt sich damit um eine später so genannte "Freiheitsversicherung", die 12~ 126

HegellI., S. 165 ff.; Achery, Specil III. p. 553, § 14. Eine gleichnamige Gilde existiert 1125 in Lilie mit Statut von 1235, siehe Übersicht.

4. Gilden und Versicherungen in Flandern

69

hier auftritt und zwar als genossenschaftliche Umlageversicherung für Reise/ Transport. Die Hilfeleistung der Gildegenossen bei Gefangenschaft war schon einige Jahrzehnte vorher in der Gilde in Valenciennes vorgeschrieben worden (siehe oben), jetzt tritt der Ausgleich durch alle Gildenmitglieder und damit eine Versicherungsregelung hinzu. Im Unterschied zu der Geldsammlung vor der ,,südfahrt" in Exeter wird in Aire nachher gesammelt und nicht mehr für jede Pilger- oder Kaufmannsfahrt, sondern nur für die, die in Gefangenschaft endet: Es entsteht also durch die Konzentration auf das Risiko eine Versicherung, und diese sichert die Hilfspflicht der Gildemitglieder bei Gefangenschaft zusätzlich ab.

4.4 In anderen Städten

Ähnliche Brandversicherungen wie in Aire sollen sich in den Gildestatuten von (Gerardsberghe) Grammont, Gent, Brügge, Namur und Poperinghe finden, diese Statuten sind bedeutend früher angesetzt. Für die Fragestellung nach Versicherungen genügt es festzuhalten, daß Regelungen über den Schadensersatz bei Brand bei älteren Regelungen unvollkommener und unverbindlicher als in Aire waren.

4.5 Keuren - ab 1128

Als Brandversicherungen oder Vorläufer davon in Flandern werden gelegentlich auch die ,,Keuren", von "erkoren" abgeleitet, angeführt; sie enthalten, wie ihr Name besagt, von den Städten autonom gesetztes, also erkorenes Recht. Nach ihren in der Versicherungsgeschichte beschriebenen Regelungen soll ein Brandschaden von den Gemeinden (Städten) ersetzt werden, wobei die Gemeinden und die Gilden irrtümlich gleichgesetzt werden. Keuren sind in erster Linie Stadtverfassungen. Die älteste Keure ist die von Gerardsberghe (Grammont) von 1068 - 1086, sie wurde bei der Stadtgründung durch den Grafen Balduin VI. erlassen, "um der neuen Stadt schnell Bewohner zu verschaffen,,127. Sie und die andern Keuren in Brügge, Ypern, Arras, LilIe, Douai usw. enthalten Zusagen an die Bürger und Freiheitsrechte derselben und führen städtische Gerichtsbarkeiten ein. Im Zusammenhang damit regeln sie auch den Landfrieden während der Kreuzzüge und das Strafrecht und enthalten einzelne Regelungen des Privatrechts, insbesondere über die Rechte an Grund und Boden und die Erbfolge. Soweit sie z. B. in Gent 128 , Teile von Statuten der Kaufmannsgilde übernommen haben, betreffen diese die Zuständigkeiten von Kaufmannsgilden oder der Stadtregierung. Die Keuren enthalten seit 1128 Regelungen 127 Warnkönig 11. 1., S. 120 f., mit Angabe der Quelle von 1190/1200 und des Textes der Keure S. 163. 128 Warnkönig 11. 1., S. 25 u. 72 f.

70

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

über Schadensersatz bei Bränden, diese stehen in anderem Rechtszusammenhang als mit einer Versicherung, nämlich mit einer strafrechtlichen Buße: Nach einer Verordnung aus dem Jahre 1261 für das Land an der ScheIde zwischen Antwerpen und Gent, (die Vier Ämter I29 ), galt folgendes: Wer durch eine Brandstiftung Schaden erlitten hat, schwört, daß durch "fremdes Feuer" seine Habe verbrannt worden ist; daraufhin wird eine Untersuchung durch Sachverständige eingeleitet, es werden die Brandstifter gesucht, auch bei Fahrlässigkeit, diese verbannt und aus ihrem zurückgelassenen Vermögen der Schaden vergütet; reicht dieses nicht aus, so leisten die Gemeinden die Entschädigung. Eine ähnliche Regelung findet sich 1240 in Art. XI der Keure von Furnes = Veurne, zwischen Ostende und Dünkirchen 130. Danach werden diejenigen, die für die Verursachung des Brandes infragekommen, ausfindig gemacht, und die ganze Gemeinde muß sie notfalls auslösen, es sei denn, man findet den Brandstifter; bei einem Brand in der Nacht haftet der Angeklagte auch dann, wenn für ihn ein Reinigungseid geleistet wird. Diese Regelung gab auch das Muster für Aire und Poperinghe ab. Die Frage, wer bei eigener fahrlässiger Brandverursachung für den eigenen Schaden zahlt, wird in den Keuren nicht behandelt. Nach den geschilderten Regelungen trifft jene Gemeinden eine der Ausfallbürgschaft ähnliche Haftung deswegen, weil sie die Durchsetzung des Rechts übernommen haben. Vergleichbar ist dies mit der modemen Staatshaftung z. B. für die Schäden von Gewalttätern, hat aber mit einer Versicherung ,auch einer staatlichen, wenig zu tun, vielmehr ist es eine Versorgung aus Steuermitteln; besondere Beiträge, auch eine Umlage, wurden anscheinend nicht erhoben. Es gibt eben mehr Arten von Schadensausgleichen als den der Versicherung. Da nicht bekannt ist, daß sich aus derartigen Regelungen in Keuren eine Versicherung entwickelt hat - was nicht von vornherein auszuschließen wäre -, sollte man jene, auch wegen ihres strafrechtlichen Zusammenhangs, allenfalls als Vorläufer von Versicherungen bezeichnen. Die Bereitschaft der flandrischen Städte, im Zweifelsfalls die Gesamtheit der Bürger haften zu lassen, erinnert an die Gesamthaftung der Londoner Friedensgilde von 930 und hängt wahrscheinlich mit den Erfahrungen zusammen, die die Städte bei der Entwässerung von Aächen und der Anlage von Kanälen gemacht hatten; denn zu deren Erhaltung und Unterhaltung hatten in den Keuren alle beizutragen 131. 4.6 Gilden in Brügge

Die wirtschaftliche Entwicklung in Aandern griff von Nordfrankreich aus im Laufe mehrerer Jahrhunderte nach Norden aus, so nach Gent und Brügge. Brügge war um und nach 1300 die volkreichste und wirtschaftskräftigste Stadt Aanderns.

130

Warnkönig 11. 1., S. 137. Warnköni 11. 1., S. 74.

131

Vgl. Abs. 16 der Keure der vier Ämter von 1242, bei Warnkönig 11., 1. S. 136.

129

4. Gilden und Versicherungen in Flandern

71

In Brügge existierte schon vor 1127 eine Kaufmannsgilde, von deren Statut einige Bestimmungen in die Stadtordnung (Keure) eingegangen sind. Die Urkunden der Brügger Kaufmannsgilde sind im 13. Jahrhundert verbrannt, und ihre Inhalte konnten nur teilweise erschlossen werden. Im Jahre 1309 bestanden 30 Zünfte, und die Stadt hatte Handelsverkehr mit 36 Ländern 132 . Wie überall in Flandern bestand um diese Zeit schon lange ein städtischer, gemeinsamer Ausgleich für Brandschäden und in der Gilde auch eine Brandschadenversicherung nach dem Muster von Exeter. Die Kaufmannsgilde pflegte auch die üblichen Gebräuche für das Begräbnis, darin eine frühe Form von Sterbegeld. Von der Stadt Brügge ist auch ein Leibrentenvertrag von 1265 beim Ableben bis zu zwei Personen überliefert, ebenso ein Abrechnungsbuch vom Jahre 1281 mit einer Liste der Leibrentner der Stadt 133 , also eine Zusammenfassung einer Reihe von Zahlungsverpflichtungen aus Kapitaleinzahlungen, die wie eine Versicherung abgewickelt wurden. Mit Sterbegeld in einer Gilde und städtischem Rentenkauf trafen zwei Elemente zusammen, aus denen später die Todesfall-Versicherung entstanden ist (siehe unten 8. Kap. 6.). Auch in der Entwicklung der Seeversicherung nach 1300 spielt Brügge eine wichtige Rolle (siehe unten 11. Kap. 4. und 12. Kap. 2.1), allerdings verliert es in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts seinen wirtschaftlichen Vorrang an Antwerpen.

4.7 Das Gesamtbild der Versicherungen in Flandern

Nach Pirenne l34 bestanden schon 11. Jahrhundert in fast sämtlichen belgischen Städten Gilden, "frairies" oder "carites", Bruderschaften oder karitative Gilden genannt; zusätzlich galten noch die Keuren. Alle hatten mehr oder weniger die Aufgabe übernommen, Mitgliedern und / oder Dritten in Wechselfällen des Lebens in unbestimmtem Umfang zu helfen, aber es konkretisieren sich zwei isolierte Risiken heraus, nämlich a) das Einstehen der Mitglieder für Lösegelder und bei Warenverlust in der Fremde, wie in der Gilde in Valenciennes, b) die Pflicht zur Beteiligung an Umlagen bei Brandschäden und für Lösegelder wie bei der amicitia-Gilde in Aire. Allerdings kann bei der großen Zahl der Gilden in den hier sicherlich nicht vollzählig erfaßten Städten nicht ausgeschlossen werden, daß noch andere Hilfstypen existierten. Das Einstehen für Lösegelder und Warenverlust in der Fremde kann wegen der Abhängigkeit von der örtlichen Leistungsfähigkeit des Schuldners nur als ein Vorläufer einer Versicherung angesehen werden. Dagegen umfaßt die Umlagepflicht 132 133 134

Wamkönig H., S. 146 f. Braun, S. 22. Pirenne, S. 203.

72

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

in den ami ci ti ta-Gilden nicht nur die beiden Risiken des Brands und des Lösegelds, sondern stellt auch klare Zahlungspflichten auf, ohne mit christlicher Nächstenliebe zu rechnen. Damit bringen die flandrischen amicitia-Gilden die vor 950 entwikkelte Struktur einer Versicherung in das 12. Jahrhundert ein. Bestanden im 11. Jahrhundert in allen flandrischen Städten Statuten und zudem Keuren in vielen Städten, dann legte sich über Flanderns Städte ein Netz von Unterstützungen nach Bränden, zwar verschiedenartig, unterschiedlich intensiv und mit nur Teilentschädigungen, aber dennoch eine erstaunlich fortschrittliche Gemeinschaftsleistung. In deutschen Städten gab es um diese Zeit vermutlich auch eine Vorsorge gegen Brände, möglicherweise durch Baugepflogenheiten, z. B. durch die Vorschrift von Gassenbreiten, sicherlich durch nachbarliche Löschhilfen, aber ein Ersatz von Brandschäden ist nicht bekannt.

4.8 Verbindungen zwischen England und Flandern als Grundlage für Versicherungen

Die Entstehung zahlreicher Gilden und ihre frühzeitige Entwicklung in Flandern ist nur auf dem Boden der dortigen Produktion und des Handels zu erklären, vor allem von Wolle. Diese wurde von England eingeführt, teils aber auch im Lande erzeugt, zu Tuchen verschiedener Art verarbeitet und zu Lande und Schiff weitertransportiert 135 . Die ersten Nachrichten über die Einfuhr englischer Wolle nach Flandern stammen aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts (1113). Die technischen Möglichkeiten zur Herstellung von "panni", Tuchen von gleichmäßiger Größe und mit gleichmäßigem Rand im Unterschied zur Herstellung der unregelmäßigeren, einer primitiveren Produktionsstufe angehörenden "pallia", waren in Flandern schon seit Mitte des 11. Jahrhunderts gegeben. Seit Einführung des horizontalen Trittwebstuhls spätestens im 13. Jahrhundert und der englischen Wolle als neue Rohstoffbasis im 12. Jahrhundert zeichnete sich Flandern gegenüber anderen Tucherzeugungsregionen durch die Produktion besonders wertvoller Tuche aus. Diese fanden, entsprechend der Marktsituation und begünstigt noch durch Flanderns zentrale geographische Lage, über den Fernhandel Verbreitung in ganz Europa. Der günstigen Position Flanderns auf dem Absatzmarkt kam ferner zugute, daß manche Gebiete, wie z. B. Italien, Brabant und noch später Holland, erst seit Ende des 13. Jahrhunderts zu bedeutenden Tuchproduktionszentren aufstiegen. Anders als in England, wo sich die Tuchindustrie schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts zunehmend auf das Land verlagerte, vollzog sich in Flandern der Aufschwung der Tuchindustrie und die Spezialisierung auf Luxustuche in den Städten. Außer dem Seehandel im Mittelmeer und an den Nord- und Ostseeküsten entwickelt sich im 12. und 13. Jahrhundert über die Messen der Champagne in m Der folgende Absatz wurde aus Märtins, S. 30/31, zusammengestellt.

5. Nordfranzösische Gilden

73

Troyes, Lagny, Provins und Bar-sur-Aube 136 der Handel auf Landstraßen zwischen Brügge und Beaucaire (nördlich Arles), Mailand und Florenz. Zwischen England und Flandern war auch die politische Verbindung nicht abgerissen, seit Karl der Große 795 und I oder 804 Sachsen aus Niedersachsen in fränkisches Gebiet in Flandern umgesiedelt hatte. Seitdem waren "viele Orte an der südlichen Grenze Flanderns von sächsischen Colonisten bewohnt,,137, die die sächsische Sprache mindestens verstanden. Zwischen den angelsächsischen Königen in England und den sächsischen des Festlands 138 hatten die Heiratsverbindungen und auch die sonstigen angehalten, seit die Tochter Karls des Kahlen, des jüngsten Enkels Karls des Großen wie ihre Mutter Judith mit Namen, nacheinander zwei englische Könige 139, darunter Aithelwulf (Ethelwolf), heiratete und sich nach des letzten Tod 858 von Balduin entführen ließ, dem sie die Markgrafschaft Flandern einbrachte (863 - 878). Auch sein Sohn Balduin II. (878 - 919) war mit der englischen Königstochter Elstrude verheiratet, die 916 ihre Besitzungen in England dem Kloster St. Peter in Gent schenkte. Nach ihrem Sohn Amulph versetzte der Markgraf Balduin III. 960 Wollspinner und Tuchweber in die flandrischen Städte, insbesondere nach Gent l40 . Für die Verbreitung der Brandversicherung aus Exeter I England nach Aire in Flandern waren also gute Vorbedingungen gegeben. Dort trat das Lösegeld, in Valenciennes zuerst als Gildepflicht definiert, in die gleiche Versicherungsmethode wie in England ein. Besonders die Brandversicherung fand in verschiedenen Formen weite Verbreitung.

5. Nordfranzösische Gilden Französischen Gilden in Flandern, z. B. Valenciennes, sind wegen der gleichen wirtschaftlichen Verhältnisse wie in den andern Teilen Flanderns mit diesen zusammen vorgestellt worden. Westlich von ihnen bestanden Gilden in Calais, Rouen und Paris, die auch die Messen der Champagne beschickten. Eine alte Gilde ist auch aus Tour bekannt l41 . Von Calais in Flandern ist ein Gildestatut schon von 1001 überliefert, anscheinend das älteste auf dem Festland. In Paris werden Gilden 1121, 1170 und 1220 genannt 142. In Rouen 143 erhalten die Kaufleute (oder ihre Gilde) 1150 ein Privileg Heinrichs Plantagenets, ab 1154 König des angevinischen 136 137

138 139 140 141 142 143

Favier, S. 31. Warnkönig 1., S. 92. Warnkönig 1., S. 111 ff. Schieffer, S. 159. Wamkönig 11. I., S. 24. Mit Namensliste; Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 204 und 209 Anm. 6 u. 36. Doren, Kaufmannsgilden, S. 67. Doren, Kaufmannsgilden, S. 72.

74

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

Reichs, für den Handel mit England. Allerdings ergeht gerade in Rouen schon 1190 ein kirchliches Verbot von "coniurationes·.l 44 , dem weitere auf Synoden in Montpellier 1215, Toulouse 1220, Arles 1234, Cognac 1238, Valence 1248 und Avignon 1282, folgen. Für Frankreich in seinem damaligen Umfang (z. B. ohne Burgund) wird man hinsichtlich Versicherungen ähnliche Verhältnisse wie im deutschen Binnenland annahmen dürfen, also Weitergeltung der karolingischen und kirchlichen Gildeverbote bis zum Ende des 13. Jahrhunderts und in den gleichwohl existierenden Gilden Gebote zur gegenseitigen Hilfe in allen Lebenslagen ohne Konkretisierung auf einzelne Risiken, jedenfalls sind andere hier nicht bekannt.

6. Gilden und Versicherungen im 13. Jahrhundert in deutschen Landen 6.1 Verbreitung der Gilden

Sind bis zum Jahre 1200 in Deutschland rd. 20 Städte mit Gilden überliefert, so kommen im 13. Jahrhundert mehr als 30 hinzu, meistens aus der Sprachforschung bekannt. Zwar läßt die folgende Liste weite wichtige Gebiete mit Vorkommen von Gilden außer acht, aber sie gibt eine Vorstellung von der Zunahme der Gilden und den verschiedenen Namen, unter denen diese auftreten, so Innung (in der Hälfte der Nennungen), Zunft, Amt (officio), Werk (Handwerk), Zeche, Gaffel (Köln), Bruderschaft 14s • Zusammen sind rd. 50 Städte mit Gilden erfaßt; die Zahl derjenigen aus den nicht erfaßten Gebieten dürfte unter 50 liegen. Die Gilden in allen andem Städten sind erst im 14. Jahrhundert erstmalig genannt, auch wenn sie schon vorher bestanden haben mögen. Im zeitlichen Verlauf verteilt sich die Zahl der neuen Nennungen von Gildestädten einigermaßen gleichmäßig auf die Jahrzehnte, leicht stärker im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Gilden im 13. Jahrhundert in Deutschland Bezeichnung 1Berufe

1204/1209/1213

Passau

checha 1cecha

1208 1212

Wien Osnabrtick

Färber gylde, amte (Schmiede)

1217

Halberstadt Löwenberg

Gewandschneidergilde, inninche Innung

1219/1223/1252/1286

Goslar

gelde / Gelden, gildam, eninge

1219

Nürnberg

1214/1253/1258/1291

144 145

Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 205 Anm. 7 u. 8. Aus K. Obst, a. a. O.

6. Gilden und Versicherungen im 13. Ih. in deutschen Landen

75

Bezeichnung / Berufe 1221

Münster

1225

Köln

Zunft / Filzhutmacher

1226/1292

Hildesheim

officiorum, inninghe

1226/28/1247/1248/1260 Basel

zunfte (Kürschner / Schneider)

1227/1231/1240/1245/ Braunschweig um 125011265/1277/1293

werke / ininge / inninge, Goldschmiede / Schmiede, Lakenmacher

1231/ 1298

Mühlhausen / Thüringen

innung, Filzmacher

1231/1251/1254

Stendal

"Seefahrergilde" / Gewandschneidergilde / inige

1233/1246/1263

Bremen

Zunfte / zunft (Metzger, Maurer, Gipser, Zimmerer, Faßbinder, Wagner)

1233

Salzwedel

Gewandschneidergilde

1237 1237 -45

Tulln

Fleischer

Hameln

innige

1238

Güstrow

1239

Perleberg

ghelde, Kaufleute ininge

1239

Mainz

vor 1240

Dortmund

maior gilde

124411276

Magdeburg

innung

1245

Kyritz

gilde (Gewandschneider)

1245

Lemgo Dortmund

ghelde Kaufleute

Gersdorf Lüneburg

inunge inninge

Landshut Regensburg

einung

St. Pölten

operis

Erfurt

1250 etwa 13. Ih. Mitte 13. Ih. 1256 1259 1260 12641128811290

gylde

7 Textilgewerbe

1264 1272/1280/1284/ 128811295

Straßburg

innunge / gelden einung

Berlin

gulde / innynghe / werk / opus / inonghe

1273

Breslau

inonghe

1274 1277 vor 1278

Ulm Kolberg

zunftas Sülzherren, Kaufleute, Brauer

1279

Salzburg Duderstadt

amt inninghe / werkes

1279/1296

Würzburg

Zunft

1280

Höxter Salzwedel

ghildans gilde

1282

(Fortsetzung nächste Seite)

76

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

(Fortsetzung "Gilden im 13. Jahrhundert in Deutschland") Bezeichnung / Berufe 1285 1289

Trier Fritzlar

Bruderschaft der Eisenwarenhändler Michaelsbruderschaft

1289

Brilon

Bruderschaft der Kaufleute

1290

München

consortium, Schuster

1291

Schaffhausen

zunft

1292 1292

Hamburg Pirna

werke

1292

Wohlau

inninge iniungere

1294

Villingen

1297

Witzenhausen

nach 1250 um 1250-1299

Zürich

Zunft Zunft

vor 1300

Regensburg

Schuster

Überlingen

ainunge innunge

Im 11./12. Jahrhunden waren außer den aufgefühnen Städten schon folgende mit Gilden genannt: Worms, Halle, Harburg, Aachen, Kiel, Stranding, Oldenburg in Holstein. Jahr FundsteIle, soweit nicht aus K. Obst: 1208 Wemet, Perspektiven, S. 53; 1212 Wissel, Bd. I S. 113 (Text); 1214 H. K. Schulze, S. 412; 1219 Planitz, Stadt, S. 283/459, Anm. 9; 1225 K. Schulz S. 328; Loesch, Zunfturkunden; 1226/28 K. Schulz S. 313 (Schlüsselzunft schon seit 1015 genannt); 1221/1231 Wemet, Persp., S. 54; 1231 Planitz, Stadt, S. 284 Anm. 20; 1231 Planitz, Stadt, S. 283 Anm. 11; 1233 H. K. Schulze S. 412; 1231 Wemet, Persp, S. 54; Störmer S. 369; 1238 Planitz, Stadt, S. 283, Anm. 8; vor 1240 Doren S. 91; 1245 Planitz, Stadt, S. 283, Anm. 4; 1259 Störmer S. 313; 1211 Planitz Stadt, S. 283, Anm. 8; 1218 Störmer S. 361; 1285 K. Schulz S. 313; vor 1300 Störmer S. 311 f.; 1290 Störmer S. 312.

6.2 Gildeverbote und tkls Nachlassen ihrer Wirksamkeit

Der Grund für die Zunahme der Gildenzahlliegt in der politischen Entwicklung. Wie sein Großvater Friedrich I. Barbarossa verbietet Friedrich n. 1219 die Gilden der oberitalienischen Städte und dehnt das Verbot 1231 auf Deutschland aus 146. Beide hatten Städte gegründet, wenn sie die Städte als Gegengewicht gegen die erstarkenden Fürsten und Bischöfe verwenden wollten, aber gingen gegen die Gilden vor. Friedrich 11. fügte auch in Stadtrechte Gildeverbote ein, so 1219 in Nümberg l47 , und verbietet 1232 Bruderschaften und Vereinigungen der Handwerker l48 . Vorher hatte er 1226 die "commune" in Cambrai verboten 149. Priesterkollegien werden auf den Synoden von Mainz 1233, Fritzlar 1243, Mainz 1261 und 1310 verboten 150. Durch seinen Sohn Heinrich (VII): Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 205 Anm. 7. Planitz, Stadt, S. 283/459 Anm. 9. 148 MGH Const. 2 Nr. 299 und MGH Const. 2 Nr. 156; siehe Dilcher, S. 92 Anm. 72 mit weiteren Urkunden. 149 Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 211 Anm. 52. 150 Oexle, Conjuratio, S. 187. 146 147

6. Gilden und Versicherungen im 13. Jh. in deutschen Landen

77

Am Beispiel Goslars läßt sich die Verunsicherung der Gilden im 13. Jahrhundert besonders gut demonstrieren, allerdings spielen dort auch Auseinandersetzungen zwischen den Goslarer Kaufleuten und den Vereinigungen der Waldleute und der Berggewerken hinein: 1219 werden die Gilden von König Friedrich 11. verboten 151, aber 1224 von Friedrichs 11. Sohn, Königs Heinrich (VII.), wieder in ihre Rechte eingesetzt, aber das Verbot wird von Friedrich 11. wieder in Kraft gesetzt l52 . 1274, also nach dem Ende der Staufer und der königslosen Zeit, bestätigt König Rudolf von Habsburg dann die Gilde, und 1291 einigt sie sich mit den Zünften der Handwerker über das Stadtregiment. Nach dem Tod Kaiser Friedrichs 11. und dem Ausgang der Stauferherrschaft begann 1256 in Deutschland nach überkommener Geschichtsauffassung "die kaiserlose, die schreckliche Zeit,,153 (bis 1273), in der Fürsten und Städten Freiräume zuwuchsen. 1254 wird der Rheinische Städtebund gegründet, dem schließlich mehr als 70 Städte angehören. 1281 errichtet die Hanse in London eine allgemeine Vertretung. Die Hanse wird im 14. Jahrhundert 200 Städte umfassen. Das Erstarken der Städte muß auch ihren inneren Kräften neue Spielräume gebracht haben, so daß neue Vereinigungen hätten entstehen können, aber deren schriftliche Nachweise lassen sich erst mit Verzögerung im 14. Jahrhundert feststellen. Für die Geschichte der Gilden, Innungen, Zünfte u. a. bietet es sich an, die Gründung des Rheinischen Städtebunds 1254 als den frühesten Zeitpunkt anzusehen, in dem die Gildeverbote ihre Wirkung vennindert haben und ein Wachstum der Zahl der Vereinigungen beginnt. Die kirchliche Haltung zu Gilden und Zünften hatte sich schon kurz zuvor geändert l54 . Um 1246 verfaßt Sinibaldus Fiesci, der spätere Papst Innozenz IV., der Gegenspieler des Staufers Friedrich 11., einen Kommentar zu den Dekretalen der päpstlichen Konstitutionen und "geht davon aus, daß alle Menschen, gleich welchen Berufes, Schulmeister, Kaufleute oder Handwerker, das Recht haben, eine Gemeinschaft zu bilden, Gemeinschaftsorgane zu haben und eine gemeinsame Kasse zu führen, wenn dahinter nur ein klar erkennbarer Zweck steht", also "wenn es nur eines gerechten Grundes wegen oder zur Verteidigung der eigenen Rechte bzw. zur Abwehr von Schaden ... zur Sicherung ordnungsgemäß durchgeführter Geschäfte geht." Mit dem Zusatz, daß der Beitritt freiwillig sein müsse, setzt sich diese Auffassung in der Kirche durch. Damit war der Weg für die Vereinigungsfreiheit geöffnet und erlaubte den Gilden und Zünften jede Tatigkeit - bis zum Beweis des Gegenteils -, darunter auch den Ausgleich von Schäden innerhalb ihrer Gemeinschaft und auch Gewinne daraus, die über Zinserlöse hinausgingen. Vom kirchlichen Standpunkt aus wurde der Entwicklung von Versicherungen nichts mehr in den Weg gelegt. 151 152 153

154

Planitz, Stadt, S. 283 u. 459 Anm. 6. Doren, Kaufmannsgilden, S. 98; Dilcher, S. 89. Schiller, Der Graf von Habsburg (Gedicht). Das Folgende aus Sydow, S. 116 ff.

78

4. Kap.: Gilden und Versicherungen im 11. bis 13. Jh. auf dem Festland

Mit dem Ende der Stauferzeit war zwar ein Ende der allgemeinen königlichen Gildeverbote verbunden, aber es kam zu wirtschaftlich begründeten Verboten des Zunftzwangs insbesondere bei der Herstellung von Lebensmitteln. 1256 werden die Vereinigungen in der Marktordnung von Landshut verboten 155. In Erfurt 1264 und in Würzburg 1279 wurden die Bäcker- und Fleischerinnungen 156 wegen des Ausschlusses der Konkurrenz aufgelöst. In Wien hielt Rudolf von Habsburg 1278 aus den gleichen Gründen ein Innungsverbot aufrecht. Solcherart Verbote kommen in den nächsten Jahrhunderten im Zuge der Staatsaufsicht über die kartellartigen Gilden immer wieder vor, werden aber meist nur zeitweilig durchgehalten.

6.3 Das Fehlen von besonderen Gildeleistungen in Deutschland Im 13. Jahrhundert werden die Gilden, Zünfte, Innungen u. ä. meist nur in anderen Zusammenhängen erwähnt, es werden auch ihre Pflichten und Rechte innerhalb der städtischen Ordnung erkennbar, z. B. Marktrechte, Beteiligung an der Stadtregierung, Aufteilung des Wehrdienstes u. ä. Dazu gehörte es z. B. auch, daß die Bürger für Delikte und Schulden ihrer Mitbürger hafteten, so 1221 in Münster l57 . Das erste überlieferte Gildestatut in Deutschland ist das der Gilde der Gewandschneider von Stendal 1231. Es enthält gleich zu Anfang den Grundsatz, daß die Ausübung des Berufs der Gewandschneider an die Mitgliedschaft in dieser Bruderschaft gebunden war 158 , und wer in diese eintrat, seiner bisherigen Innung abschwören mußte (Monopolgilde), vor allem der konkurrierenden Weberinnung (seit 1233). Auch wurde ein Eintrittsgeld verlangt. Ein jährlich gewählter Gildemeister und vier Beisitzer leiteten die Gilde, dreimal jährlich wurde eine Morgensprache (Vollversammlung) der Gildebrüder abgehalten. Auch der Ausschluß aus der Gilde war geregelt. Fragen der Zugehörigkeit zur Gilde waren deswegen so wichtig, weil diese Gilde die vornehmste war und die Meliores im Stadtrat stellte. Bei der Regelung gegenseitiger Hilfen ist das Statut nicht über einen allgemeinen Grundsatz hinausgelangt. Bei diesem Stand verbleibt es bei den späteren Gilden des 13. Jahrhunderts. Selten sind auch Wohltätigkeitsstiftungen in den meist kurzen Urkunden festgehalten, Gilderegeln für gegenseitige Unterstützungen durchweg nur als Grundsatz und bei Armut. So übernehmen die Gilden in Basel 1271 bei Armut die Begräbniskosten "nach ehrbarer Gewohnheit,,159. Wie im 12. Jahrhundert bestanden im 13. möglicherweise ungeschriebene Verpflichtungen innerhalb der Vereinigungen zu gegenISS IS6 IS7

1S8 1S9

Keutgen, Ämter, S. 194. Planitz, Stadt, S. 293. Planitz, Stadt, S. 111 u. 385 Anm. 96. Planitz, Stadt, S. 284 u. 459 Anm. 20, 22, 23. Planitz, Stadt, S. 293 u. 467 Anm. 6.

6. Gilden und Versicherungen im 13. Jh. in deutschen Landen

79

sei tiger Unterstützung in Notfällen, aber es erscheint unzulässig, derartige Funde aus andern Ländern auf Deutschland auszudehnen, weil die wichtigsten Aufzeichnungen l60 , nämlich die ersten erhaltenen Gildestatuten in Deutschland, das von Stendal, der Gildebrief der Schmiedemeister in Osnabrück und das Dortmunder Statut vor 1240, über Unterstützungsleistungen schweigen, und der Osnabrücker Meisterbrief schreibt nur die Teilnahme am Begräbnis vor. Dementsprechend "stellt die schriftliche Aufzeichnung von Unterstützungsregeln im 13. Jahrhundert offenbar noch eine besondere Ausnahmeerscheinung dar", und "soziale Beistandspflichten" sind "in den älteren Zunfturkunden" bisher nicht gefunden worden l61 . Deswegen trifft es auch nicht ZU 162 , daß die deutschen Gilden vor allem in Notlagen wie Brand und Schiffbruch, Krankheit, Gefangenschaft und Pilgerfahrt einsprangen, allenfalls bei Armut. Damit soll allerdings nicht gesagt werden, daß Gilden in Deutschland ihre Mitglieder in Not im Stich ließen, vielmehr werden Hilfen fallweise und unverbindlich und / oder in christlichen Bruderschaften gewährt worden sein, aber im Vergleich z. B. zum flächendeckenden Brandschadensersatz in Flandern wirkt die Vorsorge in den deutschen Gilden bis über das Jahr 1300 hinaus zurückgeblieben. Der Grund dafür liegt vor allem in den Gildeverboten, diese unterbrachen gerade in der Zeit, in der in ,,Reichsflandern", das weniger fest an den König gebunden war, Schritte in Richtung auf Versicherungen getan wurden, die gleiche Entwicklung. Von 779 angefangen bis 1300, also fast 500 Jahre lang, sind die in der Versicherungsgeschichte behaupteten Versicherungen in Deutschland nicht zu finden. Auch war die Zeit nach dem Ende der Stauferzeit vermutlich zu kurz, um neue Ansätze aus England oder Flandern zu übernehmen. Die Ostkolonisation im Gefolge des Deutschen Ritterordens seit 1226 und die Ausbreitung der Hanse setzten andere Akzente als den Ausbau des Unterstützungswesens der Gilden. Deren Übergang vom 13. in das 14. Jahrhundert vollzieht sich ohne Einschnitt.

Siehe die Aufstellung oben. W. Wernet, Handwerksordnung, S. 50 f. 162 Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 215; der Hinweis auf das damals dänische F1ensburg trifft für die deutschen Gilden nicht zu, siehe unten 8. Kap. 1. 160 161

Fünftes Kapitel

Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jahrhundert Nordische Gilden aus den Ländern Schleswig-Holstein, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland sowie an der Ostseeküste von Flensburg bis Reval werden in der Versicherungs geschichte als frühe Organisationen mit Versicherungscharakter vorgestellt, und dabei wird vielfach von gemutmaßten Entstehungsjahren ausgegangen. Auch ist die Geschichte der Gilden in Skandinavien kompliziert, weil die frühen Zusammenhänge mit England und der spätere deutsche Einfluß (Hanse) manche Entwicklungen unterbrachen oder überlagerten. Auch die Übergänge zwischen Olafs-, Knuts- und Eriksgilden, die durch die Politik der Könige verursacht wurden, haben das Bild verwirrt 163 . So stellen eine Reihe der überlieferten Gildestatuten zeit- und ortsbedingte Beispiele - diese allerdings hervorragend - dar, die sich jedoch oft nicht verallgemeinern lassen.

1. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten

Von nordischen Gilden aus dem 10. und 11. Jahrhundert liegen keine hier verwertbaren Nachrichten hervor, obwohl solche zu vermuten sind, so vor allem in Haithabu an der Schlei gegenüber von Schleswig l64 .

1.1 Die frühesten Angaben über Gildegenossen in Schweden 950- 1050

In Schweden sind die frühesten Zeugnisse überhaupt Inschriften in Runensteinen, die als Grabdenkmäler gesetzt wurden 165 . In Mälar-Gebiet bei Birka u. Sigtuna wurden zwei solcher Steine gefunden, die den Auftraggeber für die Steinsetzung erkennen lassen. Die Inschrift des ersten lautet: "Die G (= Gildenbrüder) der Friesen ließen diese Runen ritzen nach Albod, dem Handelspartner. Der hl. Christus helfe seinem Geist."

163 164 165

Nyberg, S. 33 ff. Siehe oben 2. Kap. 5. Die anschließende Darstellung folgt der von Düwel, Handel, S. 334 ff.

I. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten

81

Auch die Inschrift des zweiten Steins fängt mit "Der Friesen Gildebrüder" an. Von einem dritten Stein aus Bjäbo ist umstritten, ob ihn Händler oder Krieger oder Händler-Krieger gesetzt haben. Die drei Steine sind dem 11. Jahrhundert, etwa vor der Jahrhundertmitte, zuzuordnen, also der gleichen Zeit, in der in Flandern und am Rhein (Tiei) die dauerhafte Tätigkeit von Gilden näher bekannt ist. Hier dürfte es sich um "Ge1egenheitsgesellschaften" gehandelt haben, der Sitz der Genossenschaft der Gildemitglieder geht aus keinem Fund hervor l66 . In der Inschrift auf den Sigtuna-Steinen handelt es sich bei beiden um eine Gilde der Friesen, die als Kaufleute zu Schiff nach Schweden kamen, nicht also um eine schwedische Gilde; das Wort "Gilde" kommt auch nicht vor. Der gegenwärtige Kenntnisstand über die Tätigkeit der Friesen in Schweden geht also nicht über den hinaus, der über die Nennung der Gilden im Capitulare Heristalensis 779 besteht. In eine Geschichte der Versicherung gehören die Runeninschriften offensichtlich nicht hinein 167.

1.2 Die Schleswiger Schutzgilde. die Knuts-Gilden in Schleswig und Dänemark bis 1200

Die Schleswiger Schutzgilde, drei Bruderschaften in Holstein und sechs KnutsGilden bilden eine Gruppe früher Ortsgilden um die westliche Ostsee. In Dänemark existierten ca. 40 weitere Knutsgilden 168. Die Schleswiger Schutzgilde, wohl um das Jahr 1080 entstanden, wird als erste dänische Gilde 1134 genannt l69 . Sie wird als ,,Muttergilde" al1er dänischen Knutsgilden bezeichnet 170. Schleswig wurde 1025 vom salischen König Konrad 11. an den Dänenkönig Knut den Großen, der auch König von England war, abgetreten. Das Recht der Gilde wird um 1200 teilweise in das Schleswiger Stadtrecht übernommen l71 . Die Gilde steht damit zeitlich in einer Reihe mit den ersten flandrischen Gilden. Das nicht überlieferte, aber über das Stadtrecht erschließbare Statut enthielt Regeln über die besondere Gerichtsbarkeit der Gilde, die Eidhelfer, die Friedenswahrung innerhalb der Gilde, die Wahl der Alderrnänner (Vorsteher), die Trink- und Gastmahle, die Marktkontrol1e, die Pflicht zur Blutrache bei Tötung von Gildebrüdern und die Hilfe für einen Gildebruder, der einen Totschlag begangen hat. Auch finden sich im Schleswiger Stadtrecht mehr Regeln über Gäste und Kaufleute als in jedem andern sowie Rechtsverwandtschaften mit dem niederdeutschen Rechtssystem 172. Als Mitglieder haben der Gilde deutsche Femkaufleute, Schmidt-Wiegand. S. 44. Werden aber im versicherungsgeschichtlichen Schrifttum als interessant angeführt. so bei Büchner. 16R Kraack. S. 130 Anm. 80. 169 Hegeli.. S. 124. 170 Hoffmann. S. 52. 171 Hegeli.. S. 163. 172 Hoffmann. S. 60 f. 166

167

6 Schewe

82

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

vor allem Friesen, und einheimische eingewanderte und dänische Kaufleute, auch dänische Herzöge und Könige angehört. Die Schleswiger Gilde weist vermutlich neue westliche und verchristliche Formen der Gemeinschaft auf173 . Andrerseits zeigt sich an der folgenden geschilderten "Ereigniskeue", wie ernst noch die Rachepflicht bei der Erschlagung von Gildemitgliedern genommen wurde: 1131

wird das Gildemitglied Herzog Knut Laward in Ringsted in Seeland ermordet l74 •

1134

wird König Niels in Schleswig als ,,Entgelt" für Knut Lawards Tod in Schleswig von Gildegenossen erschlagen 17S.

1170 -1177 Gründung einer Knuts-Gilde mit Sitz in Gotland und Verlegung des Gildesitzes nach Ringsted mit der Verwendung von Eintrittsgeldern zur Gilde für die dortige Benediktinerabtei. 1177

Beitritt des Sohnes von Knut Laward, König Waldernar 1., zur Knuts-Gilde (Urkunde erhalten), wohl als Vorsitzender 176 .

Diese ,,Ereigniskeue" und deren Nachwirkung auf die Entstehung der dänischen Gilden und der besonders enge Zusammenhalt innerhalb der Gildemitglieder gehören auch in eine Geschichte der Versicherung hinein; denn aus dem gegenseitig bindenden Gildenrecht erklärt sich auch die strikte Einhaltung von Verpflichtungen zur Entrichtung von Abgaben zum Ausgleich von Schäden, wie sie für Versicherungen wesentlich ist. Der Gildesitz für alle Knuts-Gilden wird von Ringstedt nach Skanör verlegt und 1256 ergänzen die Gilden ihre Statuten.

1.3 Bruderschaften in Holstein 1180-1192 Aus einer Liste von 152 Vereinigungen in Schleswig-Holstein 177 sind als nächste Bruderschaften (fraternitas) aus Holstein, also aus deutschem Gebiet, zu nennen: 1180

Stranding (fraternitates Noe et Salvatoris)

1186

Kiel, ebenso 1189 (fraternitas Calendarurn rniliturn), 1190, 1200

1192

Oldenburg in Holstein.

Ihnen gingen schon die Gründung einer Hanse der deutschen FernhandeIskaufleute in Wisby auf Gotland im Jahre 1158 voraus. Hier lag das Vorbild für die Bildung von Hansen im nordischen Raum. Die Gilden im Deutschen Reich und von 173 174 17S 176 177

Hoffmann, S. 108 f. Nyberg, S. 29. Hoffmann, S. 54. Horby, S. 44. Helmer, Feuer, S. 97 u. 114-124.

I. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten

83

Deutschen in den nordischen Ländern unterscheiden sich gerade in der Ausgestaltung der gegenseitigen Hilfen von den dänischen.

1.4 Die Knuts-Gilden in Dänemark 1200-1300 Nördlich von den obigen Orten mit Bruderschaften entlang der Küsten entsteht von 1200 an die Reihe der Knuts- und Erichs-Gilden an der westlichen Ostsee in Dänemark: 120 I

in Flensburg an der Flensburger Förde in Ringstedt

1245

in Odense auf Fünen

1256

in Store Hedinge auf Sjaeland, südlich von Kopenhagen

1200

1266/1300 Erichs-Gilde in Kallehave (Kalvehave) auf Sjaeland an der Stegebugt 1292

in Hadersleben am Kleinen Belt

1300

in Malmö, heute Schweden, und

1300

in Reval an der Ostsee in Estland, das der dänische König Waldemar 11. von Dänemark auch nach seiner Niederlage in der Schlacht bei Bomhöved 1227 behält.

Die - offensichtlich planmäßigen - Gründungen dieser Gilden an den Durchfahrten zwischen den dänischen Inseln in der westlichen Ostsee sollten ein Gegengewicht zu dem Vordringen der Hanse unter Führung Lübecks nach Schweden bilden. Die Schiffe aus den Knuts-Gilden bildeten vielfach einen Fahrverband, ähnlich den Hansen 178 . Die Knuts-Gilden trugen ursprünglich den Namen Herzogs Knut Lawards, später 179, seit ca. 1300 den Namen König Knuts IV. 0080- 1086), eines Förderers des Christentums, der. nachdem sich seine Rotte zur Wiedereroberung Englands eigenmächtig aufgelöst hat, strenge Bußen eintreibt und deshalb in Odense erschlagen wird; er gilt als Schutzheiliger Dänemarks. Die Erichs-Gilden sind später nach König Erich I. Ejegod (Immergut) von Dänemark (1095-1103) benannt, der 1098 die Kanonisation seine Bruders Knut (HI.) betrieb und auf einer Jerusalemfahrt auf Zypern starb. Die Statuten dieser Gilden sind 1256 in einem Bündnis in Skanör aufeinander abgestimmt worden und daher trotz unterschiedlicher Reihenfolgen zu großen Teilen gleichlautend 180. Das Statut von Odense beruft sich ausdrücklich auf den Schutz des Königs Erich Plovpennig, 1241 - 1250, Sohn Waldemars 0202-1241). Das Statut von Malmö, wie die anderen in Latein abgefaßt. beruft sich in einer späteren Fassung auf den König Waldemar IV. Atterdag l81 . 178 179 180 181



Kraack, S. 21. Kraack, S. 127 Anm. 60. Pappenheim, Schutzgilden, S. 168. Regierte von 1340-1370.

84

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh. ,,Drei Entwicklungsphasen lassen sich aus den Statuten ablesen 182, 1. eine frühe Phase, gekennzeichnet durch die Statuten von F1ensburg (ca. 1200) und Oden se (ca. 1245)

2. eine mittlere Phase um die Mitte des 13. Jahrhunderts, gekennzeichnet durch die Knutsgildestatuten von Malmö und Storehedinge von 1256 und das Statut der Eriksgilde von Kallehave aus dem Jahre 1266 und 3. eine Spätphase, nach dem entscheidenden Umbruch um 1300, gekennzeichnet durch die jüngeren Statuten von Malmö (ca. 1300; ca. 1350) und das Statut von Reval (Beginn des 14. Jahrhunderts."

In den Knuts-Gilden setzten sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts immer stärker kirchliche Einflüsse durch 183 . Der Bischof von Kopenhagen verbietet sogar 1294 als Stadtherr die dortige Gilde. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts wandeln sich die Knuts-Gilden zu Genossenschaften des Großbürgertums in den Städten. Von 1177 -1599 werden 33 Knuts-gilden genannt l84 . Sie gehen sämtlich nach der Reformation unter 185 • Zu den neuzeitlichen Knuts-Gilden fehlt es an Kontinuität. Im 14. Jahrhundert werden infolge der Zuwanderung Deutscher deutsche Kaufmannsgilden in Malmö, Kopenhagen und weiteren vier dänischen Städten gegründet, außerdem kirchliche Bruderschaften Deutscher andernorts.

1.5 Die Olafs-Gilden in Norwegen ab 1250

In Norwegen, in dem schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts Gilden bestanden haben, werden im 13. Jahrhundert St. Olafs-Gilden überliefert. Diese Gilden sind nach dem König Olaf dem Heiligen (1016-1028) benannt, der Norwegen endgültig mit Hilfe englischer und deutscher Kleriker christianisiert hat, möglicherweise auch nach König Olaf Kyrre (= der Stille) 1066-1093. Der dänische und englische König Knut der Große erobert 1028 Norwegen, und Olaf fallt bei einem Rückeroberungsversuch 1030. Er wird zum Schutzheiligen Norwegens. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Olafs-Gilden, die anscheinend aus Kaufleuten bestanden, ein Vorbild für dänische Gilden abgegeben hätten 186 . In der Mitte des 13. Jahrhunderts bestanden in Norwegen drei Gilden, von denen Satzungen bekannt sind 187 , nämlich a)

die Tröndelagsskraa aus der Zeit vor 1200, aber erst 1250 aufgeschrieben (Umgebung Trontheim), 182 183 184 18S

186

187

Kraack, S. 19. Kraack, S. 21. Helmer, Geschichte, S. 130. Kraack, S. 131 Anm. 107. Biom, S. 24. Pappenheim, Altnorwegen, S. 5 ff.; BIom, S. 6 ff.

1. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten

85

b) die Bartholinische Gilde, eine Olafsgilde, deren Ort nicht bekannt ist und deren Skraa nach der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden und noch im 13. Jahrhundert aufgezeichnet ist, c) eine Gilde in Onarsheim (Drontheim) mit einer Skra (= Statut) von 1394, die eine Nachfolgegilde zur Bartholinsskraa sein könnte. Weiter existierte eine Gilde von deutschen Schuhmachern in Bergen und Drontheim, die ein Zunftstatut von 1412 besaßen, wonach ihr Nebenzweck wie in Deutschland die Fürsorge für ein ordentliches Begräbnis gewesen ist. Schließlich ist auch ein Statut der geistlichen St. Katharinen- und Dorotheengilde in Bergen von 1502 überliefert, die 1397 gegründet worden ist. Von weiteren Gilden ist nur ihre Existenz seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts bekannt l88 , nämlich - beruflich gegliederte Gilden in Bergen, - zwei Gilden in Nidaros (= Drontheim), die aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts stammen, darunter die Mikla-Gilde, - Bruderschaften in Oslo und Tonsberg, meist unter kirchlichem Einfluß (St. Annengilde 1461, HI. Leichnamsgilde 1437, Schuhmachergilde vor 1319), aber auch eine Gilde deutscher Kaufleute und eine alte norwegische Gilde um 1264. Im Jahre 1293/94 verbietet König Erich Magnusson 189 nach den Beispielen des Deutschen Reichs acht Gilden in Bergen, weil sie Befugnisse zur Rechtssetzung beanspruchen, und läßt nur drei Gilden mit kirchlichem Charakter bestehen (= Bruderschaften). Über die Zwecke dieser Gilden in Norwegen ist Genaues nicht bekannt. Die Tröndelaghskraa war die urtümlichste und schrieb die Rache eines getöteten oder verwundeten Gildebruders vor; die Rächer erhielten von den Erben und von jedem Gildemitglied eine Entlohnung, eben eine Gildenabgabe l90 . Die Bartholinische Skraa nach 1250 hat drei Teile 191 , nämlich - die Artikel 1 - 24 über die Gildemahle und die Gildeversammlung, - die Art. 25 - 34 über die gegenseitigen Beistandspflichten, die weiter unten (4.) untersucht werden, - die Art. 35 -45, die später mit verschiedenen Einzelregelungen hinzugefügt wurden.

188 189 190 191

Pappenheim, Altnorwegen, S. 129-142; Biom, S. 20 f. Pappenheim, Altnorwegen, S. 124; Biom, S. 16. Biom, S. 9. Pappenheim, Altnorwegen, S. 6 ff.

86

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

Der Aufbau des Statuts entspricht also dem der dänischen Gilden 192. Der Gilde konnten Hausbesitzer beitreten, nicht nur Kaufleute, wenngleich bestimmte Beistandspflichten nur für diese in Betracht kamen l93 . Näheres unten 4. Das Statut der Gilde in Onarsheim aus dem Jahre 1394 trägt schon "den Stempel einer religiösen Genossenschaft"I94, weil (nicht näher bekannte) Vorschriften über Seelsorge und Krankenpflege im Vordergrund stehen sowie solche über das gemeinsame Mahl. Über die gegenseitige Unterstützung in allen Lebenslagen gibt es nur eine Generalklausel (Art 17): Jeder Gildebruder soll jedem andern Gildebruder "zu Gesetz und zu Recht innen Landes und außen verhelfen"; sie entspricht dem Art. 7 des F1ensburger Gilderechts von 1200 195 .

1.6 Die hrepps in Jsland

In Island, ab 860 besiedelt und um 1000 christlich geworden, entstanden aus Gruppen von Gehöften Bezirke, sog. hrepps, denen mindestens 20 Hofeigentümer angehören sollten, die sich untereinander als Nachbarn unterstützten und Aufgaben wie Brückenbau u. ä. erfüllten, möglicherweise auch zu Opfermahlen zusammenkamen. Die Entstehung der hrepps liegt sicherlich weit zurück, aber ihre Ausbildung zu Organisationen, in denen gegenseitige Verpflichtungen faßbar werden, wird viel später erfolgt sein, erst recht deren schriftliche Fixierung. In Island wurden schon früh, nämlich um 930 und um 1117 Landrechte vom Althing beschlossen, die z. T. in die gragas, im 13. Jahrhundert entstandene Zusammenfassungen von Gesetzen, eingegangen sind. Island hatte um 1200 bei nur 12 000 Einwohnern eine auch für damals sehr geringe Siedlungsdichte. 1264 wurde Island von Norwegen erobert; 1380 kam es an Dänemark. Eine Existenz beruflicher Gilden, insbesondere solcher von Schiffern, ist nicht bekannt. Auch die hrepps waren keine freiwilligen Zusammenschlüsse, sondern örtlich-regionale, vergleichbar etwa der sog. Londoner Friedensgilde von 930 (siehe unten 5.). 1.7 Gilden in Schweden und Finnland ab 1301

Gilden in Schweden werden erst von 1301 an genannt. Sie stehen unter deutschem Einfluß, ihre späteren Statuten sind aber von Dänemark übertragen l96 . Die schwedischen Gilden wiederum nehmen Einfluß auf die in Finnland, die ab der Mitte des 14. Jahrhunderts entstehen. 192 193 194

195 196

Hegeli.. S. 434. Pappenheim, Altnorwegen. S. 60 u. 74; Biom S. 10. Pappenheim, Altnorwegen, S. 5. Pappenheim, Altnorwegen, S. 5. Hegel I. 328 u. 344.

I. Die Entstehung der nordischen Gilden und ihrer Statuten

87

Außerdem bestanden sog. Häradsgemeinden, die als örtliche Zusammenschlüsse gegen Brandgefahr vom Erzbischof von Lund, Andreas Sunesön (1201-1223) in der Provinz Schonen (zwischen Kattegat und Ostsee) gegründet worden sind l97 . Hierin wird zum ersten Mal in den Nordländern das Risiko Brand aufgeführt. Sunesön, auf Seeland (Dänemark) geboren, hat u. a. die Gesetzessammlung Antiquae leges Scaniae angelegt. 1347 wurden die Häradsgemeinden und ihre Brandhilfen durch ein königliches Gesetz für ganz Schweden geregelt. Auch hier kommt ein Vergleich mit der sog. Londoner Friedensgilde von 930 und den flandrischen Keuren in Betracht (siehe unten 6.), die der weitgereiste Sunesön gekannt haben wird.

1.8 Berufliche Gilden an der Ostseeküste 1239- 1397 Berufliche Gilden sind in den Städten an der Küste der Ostsee erst im 14. Jahrhundert festzustellen, und zwar an der deutschen Ostseeküste in zeitlicher Reihenfolge von West nach Nordostl 98 : 1321 1330 1346 1377 1397

Stralsund (gilde) Anklam (innung; 1350 gilde) Wismar (amt) Danzig (gilde), aber 1365 Gesellenverband l99 Greifswald.

Sie unterscheiden sich wenig von denen im deutschen Binnenland, es fehlen also besondere gegenseitige Hilfen. In Skandinavien folgt "mit dem 14. Jahrhundert und erst recht seit 1400 die Gilde der europäischen Entwicklung, die Zahl der Gilden und der Gildepatrone vervielfältigt sich, während ihre Rolle als Rechtssicherung für ihre Mitglieder im Rückgang ist.,,2oo "Die Gilde wird überall die normale Form des sozialen Zusammenschlusses, besonders in den wohlorganisierten Handwerkszweigen 201 ." So finden sich in Dänemark an Gilden/Zünften u. a.: - 1268/1422 Bäcker in Roskilde 20 2 - 1349 Schneider und Tuchhändler in Ripen 203 - im 14. Jahrhundert Schneider-, Schmiede-, Schuster- und PelzergiIden in Odense, dazu der Verband der Schmiedegesellen - 1424 Schuhmacher in Hadersleben - 1484/1488 Schuhmacher in Sonderborg.

197 198 199

200 201 202 203

Schaefer I.,S. 77, unter Berufung auf Wilda. Aus K. Obst zusammengestellt. Aus Reininghaus, siehe Übersicht 7. Kap. 3.1. Nyberg, S. 36. Nyberg, S. 38. Nyberg, S. 38. Planitz, Stadt, S. 313.

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5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

Aus Sonderborg 1484 ist das älteste Statut einer Berufsgilde in Dänemark überliefert; es enthält die gegenseitige Verpflichtung zur Hilfe bei Bränden; sie wird 1620 unverändert in eine neue Fassung übernommen 204 . Vermutlich werden auch die andern dänischen beruflichen Gilden einzelne gegenseitige Hilfen aus der Tradition der Knuts-Gilden übernommen haben.

2. Versicherungen in den Knutsgilden in Dänemark 2.1 1m Statut von Flensburg 1200

2.1.1 Inhalt und Dreiteilung Das Statut der Flensburger Knutsgilde 205 von 1200 ist in drei Teile aufzuteilen, nämlich in die - Artikel I - 22 mit den Pflichten der Gildebrüder untereinander - Artikel 23 - 43 mit der Verfassung der Gilde und dem Gildemahl - Artikel 44 - Ende mit karitativen-kirchlichen Pflichten.

Der dritte Teil ist offensichtlich später, möglicherweise 1256, als Konkretisierung des Hilfegebots, das allgemein in Art. 19 enthalten ist, angehängt worden. Im ersten Teil werden u. a. geregelt: - Der Ersatz eines bei der Flucht eines Gildebruders verendeten Pferdes (Art. 15) - der Ersatz für die Aufopferung von Waren bei Schiffbruch eines Gildebruders (Art. 17) - der Ersatz des Lösegelds bei Gefangenschaft eines Gildebruders im Gewahrsam eines Heiden (Art. 18) - die Hilfe bei Armut von Gildebrüdern nach Belieben (Art. 19). Im dritten Teil sind u. a. geregelt: - Die Pflege am Krankenbett (Art. 44) mit Auslosung der Pflegepersonen - die Teilnahme am Begräbnis und die Bezahlung der Seelenmesse (Art. 45) - die Teilnahme an der Messe (Art. 47). Eine Hilfe bei Brand ist nicht erwähnt.

204 Wissel, 1. S. 112 Anm. 19 mit Quelle, jedoch hat Wissel Sonderborg in Deutschland gewähnt. 205 Abgedruckt mit deutscher Übersetzung von Pappenheim, Altdänische Schutzgilden.

2. Versicherungen in den Knutsgilden in Dänemark

89

2.1.2 Die karitativen Pflichten Die karitativen Pflichten finden ihre Rechtfertigung in der christlichen Nächstenliebe, die sich hier allerdings nur auf den Gildenbruder richtet. "Wenn ein Bruder sein Vermögen verliert, so daß er ganz arm wird, kommt er zu seinen Brüdern, dann sollen sie ihm helfen mit so viel als sie wollen." (so das Statut der Flensburger Gilde, Art. 19). Eine solche allgemeine und unbestimmte Regelung entspricht denen in gleichzeitigen deutschen Bruderschaften und bietet keinen Ansatz für Versicherungen. Das Flensburger Satzungs gebot zur Krankenpflege zeigt, daß es sich um eine persönliche Pflicht handelt: "Liegt ein Bruder oder eine Schwester im Krankenbett, so soll man losen, wer bei dem Kranken wachen soll." Die Bezahlung der Seelmesse durch das "Opfern" eines Pfennigs ist eine Umlage, wie sie schon 950 in Exeter vorkommt, wenn auch unter kirchlichem Einfluß aufgenommen, aber mit einer Buße bewehrt.

2.1.3 Der gemeinsame Ersatz von Unterstützungen in Notfällen Eine andere Motivation kommt bei den drei Vorschriften über den Schadensersatz in Notf.illen zum Zuge, hier wird das Einstehen der Gildebrüder füreinander nicht nur als Grundsatz, sondern für bestimmte Situationen festgeschrieben. In drei Fällen wird von jedem Gildebruder verlangt, eigenes Gut und Geld für einen in Not geratenen Gildebruder zu verwenden, nämlich ein Pferd zur Flucht des Totschlägers zur Verfügung zu stellen, Waren aus dem Schiff zu werfen, um einen schiffbrüchigen Gildebruder aufzunehmen, und Lösegeld zum Freikauf eines Gildebruders aus Gefangenschaft aufzuwenden. Für die Verluste des Nothelfers aus diesen Hilfen haben alle Gildebrüder einzustehen. Pappenheim 206 hat darin 1895 eine "Gegenseitigkeitsversicherung mit beschränktem Risiko bereits im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts gesehen, die ihrer ganzen Ausbildung nach auf eine noch erheblich vor dieser Zeit begonnene Entstehung der Versicherung überhaupt hinweist." Eine genauere Analyse zeigt allerdings, daß hier zuerst jedem Gildebruder eine Pflicht zur Hilfe auferlegt wird, und der Aufwand, wie bei jeder Geschäftsführung und sogar bei der Geschäftsführung ohne Auftrag, von dem in Not B>!findlichen später zu ersetzen ist; kann dieser den Aufwand nicht tragen, weil "er nicht genug Vermögen hat", so sollen es alle Brüder bezahlen, aber nur bis zu Höchstgrenzen. Hier werden also bei Vermögensverlust des einen Dritte als Schuldner zugunsten des Vorleistenden herangezogen, und zwar mittels einer nachträglichen Umlage.

206

Pappenheim. S. 417.

90

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

Damit ist eine Versicherung für "Nothelfer" gefunden, wie sie seit 1928 in der sozialen Unfallversicherung besteht (§ 539 Abs. I Nr. 9 Reichsversicherungsordnung = Sozialgesetzbuch VII § 2 Nr. 13). Weiter wird in den Versicherungsbedingungen für die Zahlung wie bei einer Kreditversicherung auf die Zahlungsunfähigkeit des Haftenden abgestellt; nicht erst und nur bei Armut, sondern schon bei Verlust des Vermögens ist zu zahlen; wer den Schaden erlitten hat, wird nicht auf seine laufenden und künftigen Einnahmen verwiesen, auch nicht auf Darlehen. Diese Unterscheidung ist nicht zufällig, vielmehr wird später in einer Satzung in einer anderen Beziehung, nämlich bei Entschuldigungsgründen für Versäumnisse, ausdrücklich zwischen Armut und Vermögensverlust unterschieden (Art. 22 im Statut von Odense 1245).

2.1.4 Vorbilder für Unterstützungen in Notfallen Die drei Gebote an die Gildebrüder sind nicht die ersten dieser Art. Schon das Gildenstatut von Valenciennes (siehe oben 4. Kap. 4.1), das auch aus drei Teilen bestand, schreibt in Art. 16 seines Teils von 1050 - 1070 vor, daß die Kaufleute der Stadt sich auf Reisen gegenseitig helfen sollen; es ist keine zufällige Übereinstimmung, daß sich die ähnlichen Bestimmungen im F1ensburger Statut in den Artikeln 17 und 18, indirekt auch in 15 und 16 finden. Ebenfalls werden anschließend in Valenciennes die Pflicht zur Auslösung aus Gefangenschaft und zur Hingabe von Geld für die Freigabe von Waren geregelt, allerdings nicht der Warenersatz bei Schiffbruch. Die Pflicht zur Geldsammlung für das Lösegeld des Gildebruders enthält erst das Statut der Amicitia-Gilde in Aire, gelegen zwischen St. Omer und Lilie, bestätigt 1188, entstanden llOO (siehe 4. Kap. 4.3). In Flensburg 1200 wurden die Regelungen in Valenciennes um 1050 - 70 und Aire 1100/ 1180 genauer gefaßt und weiterentwickelt. Ein Ersatz des Aufwands des ,Nothelfers' bei Seewurf durch alle anderen Gildebrüder wird erstmals in F1ensburg vorgesehen. Die Bedeutung dieser Erfindung wird weiter unten erläutert. Im Flensburger Statut ist auch ein (Neben-)Element der Versicherung hinzugekommen, nämlich die Höchstbegrenzung des Schadensersatzes.

2.2 Versicherungen im Statut von Odense 1245

Regelungen aus dem F1ensburger Statut tauchen 1245 in Odense und folgend in den anderen Statuten auf. Die Gliederung und der sprachliche Ausdruck (ab 1256 in Latein) sind dabei klarer geworden. Vor allem aber treten drei Versicherungsfälle hinzu, die im F1ensburger Statut nicht enthalten waren, nämlich der Brand, die Pilgerreise und der Schiffsverlust.

2. Versicherungen in den Knutsgilden in Dänemark

91

2.2.1 Brand, Schiffbruch, Pilgerreise und Vorläufer Brandschaden des Hauses, Schiffsverlust und Pilgerreise werden in Oden se in ein- und demselben Artikel (33) geregelt und ziehen die gleiche Rechtsfolge nach sich: "Wenn eines Bruders Haus verbrannte oder er sein Schiff verloren hat oder eine Pilgerreise unternehmen will, wenn er dessen bedarf, dann soll er drei Pfennige Unterstützung von jedem erhalten."

Es werden hier zwei Versicherungsfälle verschiedener Art, nämlich Brand und Schiffbruch, und ein Vorschuß auf eine Pilgerreise geregelt. Zur Deckung wird eine Umlage in bestimmter Höhe erhoben. Dabei wundert es, daß die Umlage für alle drei Fälle gleich hoch ist. Man könnte daraus auf die hohen Kosten einer Pilgerreise und deren hohe Wertschätzung schließen, die Erklärung ist aber einfacher und formaler: In das Statut von Odense wurden die Versicherungsregelungen eingefügt, die vor dem Jahre 950 im Statut der angelsächsischen Gilde von Exeter aufgestellt worden waren (siehe oben 3. Kap. 3.) nämlich der Vorschuß "bei Südfahrt" und der Ersatz bei Brand. Diese Kombination ist so unverwechselbar und die Diktion hier wie dort knapp, so daß der Wortlaut von Exeter in Odense vorgelegen haben muß.

2.2.2 "Südfahrt" oder Seedarlehen? Die Vorauszahlung von drei Pfennigen für eine "Südfahrt" aus dem Jahr 950 in Exeter wurde 1245 in Odense nicht mehr verstanden; denn hier ist aus der Fahrt eines Kauffahrteischiffes eine Pilgerreise nach Jerusalem oder Rom oder Santiago de Compostella und aus dem Seedarlehen (foenus nauticum) eine Pilgerausstattung geworden, und zwar wahrscheinlich unter kirchlichem Einfluß. Wenn man allerdings bedenkt, daß nach der Satzung von Odense dem Pilger der gleiche Wert wie bei Brand des Hauses gezahlt werden sollte, dann liegt es nahe anzunehmen, daß von Odense kein Pilger ausging und die Pilgerreise nur als Deckmantel für ein Seedarlehen mit Gewinn und Zins dienen sollte.

2.2.3 Schiffbruch-Versicherung Vom Schadensausgleich bei Schiffsverlust hat K. Hegel schon 1891 vermutet, daß er nachträglich in das Statut eingesetzt worden ist 207 , für das Statut von Oden se liegt eine solche Vermutung nahe, weil das Wort zwischen dem Brandschaden und der Pilgerreise, beide aus Exeter entnommen, eingefügt ist, allerdings muß dies in den elf Jahren vor der Zusammenkunft in Skanör geschehen sein; denn von 207

HegelI.. S. 137.

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5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

Odense aus ist das Schiffbruchrisiko 1256 in besondere Artikel der späteren Satzungen gewandert. Solange man ein gleichlautendes Zwischenglied zwischen den Statuten aus Exeter und Oden se nicht auffindet, muß der Schiffsverlust erstmalig in Oden se in eine Versicherungsregelung aufgenommen worden sein, entweder 1245 oder 1256. Die Einfügung der Umlage bei Verlust eines Schiffes kann aus der Erfahrung der dänischen Seefahrer stammen. Dieses Risiko unterscheidet sich in der Reihenfolge der Satzungsartikel und in der Rechtsfolge deutlich von dem Ersatz des Schadens des Nothelfers bei Seewurf, weil der Ersatz nicht auf den Verlust von Waren, die aus dem Schiff hinausgeworfen werden, abstellt, zum anderen die Geldsammlung nicht an das Fehlen eines Vermögens geknüpft ist; letzteres hat die Gleichstellung des Schiffsverlusts mit dem Brandfall und der Pilgerreise bewirkt. Durch beides treten neue Elemente der Versicherung auf: - Der Ersatz des Schadens ohne Bedingung und - die Unterscheidung zwischen dem Wert des Schiffes und dem der mitgeführten Waren. Die Geldsammlung war - wie in Exeter - eine nachträgliche Umlage unter den Gildebrüdern. Dabei war es für eine Versicherung nicht abträglich, daß ein bestimmtes Schiff nicht ausdrücklich genannt war; denn der Art. 33 enthielt für den Gildenbruder eine feste Zusage für die Zukunft und bot - in heutiger Sprache eine Anspruchsgrundlage. Der Gilde in Odense 1245 dürfte das wirtschaftliche Gewicht ihres Art. 33 sehr wohl bewußt gewesen sein, sie setzt sogar den Betrag des Schadensersatzes pro Kopf in Exeter von 1 Pfennig auf drei Pfennige herauf, und zwar vermutlich aus Rücksicht auf einen möglicherweise veränderten Wert des Geldes in den verstrichenen 250 Jahren. Die Einbeziehung des Schiffbruchs war ein großer Fortschritt der Versicherung (Weiteres unten 9. Kap.). Das Statut von Oden se sieht außerdem eine Unterstützung von fremden Kaufleuten vor, die auf ihrer Reise in Oden se angelangt und arm sind. Abgesehen von der Voraussetzung der Armut ist hier das Risiko "Fehlen des Reisegelds" erstmalig isoliert.

2.3 In den Statuten von Store Hedinge und Kallehave /256/ /266

Die späteren Gildestatuten übernehmen die einschlägigen Regelungen desjenigen von Oden se sinngemäß, wenn auch unter anderen Artikelnummern, jedoch treten in dem anschließenden von Store Heddingen im Jahre 1256 Änderungen in dem Artikel über die Geldsammlungen bei Brand, Schiffbruch und Pilgerreise ein; es entfällt nämlich die Pilgerreise.

2. Versicherungen in den Knutsgilden in Dänemark

93

2.3.1 Brand Brand und Schiffbruch werden in zwei Artikeln getrennt, aber mit der gleichen Rechtsfolge der Zahlung von drei Denaren geregelt. Im Statut von Store Hedinge 208 lautet der neu aufgeteilte Art. 25: "Das Gildemitglied, dessen vorderer Teil des Hauses - entweder die Küche oder die Stube oder der Speicher mit dem Jahresgetreidevorrat -, in dem Gehöft, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, abgebrannt ist, soll von jedem Gildenbruder 3 Denare erhalten."

Hier ist aus der vorhergehenden gemischten Versicherung das Brandrisiko isoliert worden, und es werden die Voraussetzungen des versicherten Objekts beschrieben. Mit der genaueren Formulierung der einschlägigen Artikel von Store Hedinge ist schon die Schwelle der Tür zu den späteren selbständigen Brandversicherungen erreicht. Die erste Brandkasse Schleswig-Holsteins hat eine Vorgängerin ohne die Bezeichnung "Brandkasse" gehabt, eben die Knutsgilde in Store Hedinge. 2.3.2 Lösegeld und Schiffbruch Auch für das Lösegeld (Art. 8 und 10) und den Schiffbruch (Art. 37) gehen die Fassungen vom Statut für Store Hedinge mehr ins einzelne, was auf die Absprache der Aldermänner in Skanör, die in Art. 42 ihren Niederschlag gefunden hat, zurückgehen wird. Bei der Auslösung aus Gefangenschaft wird in Store Hedinge und Kallehave 209 zwischen der allgemeinen Gefangenschaft und der mit Beschlagnahme der Güter (Waren) durch den König oder Fürsten (Art. 36 bzw. 13) unterschieden; im ersteren Falle werden drei Denare von den Gildebrüdem gezahlt, im letzteren fünf. Es wird also deutlich dem Güterverlust durch fremde oder eigene Herren ein besonderer Wert beigemessen.

2.3.3 Seeversicherung Auch beim Schiffbruch wird in bei den Statuten (Art. 37 bzw. 14)210 erstmals zwischen dem Schiff und den Waren unterschieden; es wird nämlich für die Entschädigung zusätzlich der völlige Verlust der Waren vorausgesetzt: ,,14. Wenn ein Mitglied (conviva) einen Schiffbruch erlitten hat und von seinen Gütern, die nach Silberrnark geschätzt sind, nichts zurückerhält, nimmt er, wenn er GewährleiAbgedruckt bei Pappenheim, Schutzgilden, S. 472 ff. (Store Hedinge). Abgedruckt bei Pappenheim, Schutzgilden, S. 481 ff. (Kallehave). 210 Im Abdruck des Statuts von Store Hedinge (vorstehende Anmerkung) fehlt in Art. 37 das Wort "nihiI"; richtig Kallehave Art. 14. 208 209

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5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh. stung beschworen hat und Zeugnis abgelegt hat, wo auch immer vom Bruder innerhalb der Grenzen des Erzbistums III denare."

Möglicherweise wurde die Entschädigung auch (nur) um den Wert geretteter Waren gemindert. Jedenfalls war den Gildemitgliedern in Store Hedinge und Kallehave bewußt, daß Schiff und Ladung verschiedenem Schicksal und verschiedener Bewertung unterliegen, beide aber ungeschieden mit einer "Versicherungssumme" gedeckt waren, und die Trennung der bei den in Schiffs-(Kasko-)versicherung und Gütertransportversicherung 211 war gedanklich vorbereitet. Allerdings galt die "Versicherung" eben nur in der Gilde, und daher nur, wenn Schiff und Ladung dem Schiffer gehörten. Die Auseinandersetzung über die Entschädigung, wenn zwei Gildemitglieder, einer mit dem Schiff, der andere mit der Ladung beteiligt waren, war vorprogrammiert, ist aber nicht belegt. Die (zusammengefaßte) Seeversicherung in Gilden an den dänischen See- und Handelsstraßen zwischen Ost- und Nordsee bestand mehr als ein Jahrhundert vor der vertraglichen Seetransportversicherung in Italien (siehe unten 9. und 12. Kap.).

2.3.4 Die Gildenmitglieder als Haftende Nach wie vor wird die Gilde als solche nicht zu Hilfen verpflichtet, sondern die Gildenbrüder; das Wort "gilda" wird zehn Jahre später im Statut von Kallehave durch "congilda" ersetzt; "gilda" bezeichnet also auch 1256 wie vorher nur ein Gildenmitglied. Die Gilde selbst wird nicht als handelndes Objekt angesehen. Dies ändert sich weder im Statut der Erichs-Gilde von Kallehave 1266 noch von MaImö 1300. Daraus ist zu folgern, daß die Rechtsfigur der juristischen Person im römischen Recht noch nicht bekannt oder verbreitet war.

2.4 Im Statut von Malmö 1256/1300 Von der Satzung der Gilde in Malmö sind zwei Fassungen überliefert 212 , 1256 mit den hier einschlägigen Art. 8,9, 10 und 35, 1300 mit den Art. 21, 22, 40 und 42. Sie gehen den Weg der konkreteren Formulierung weiter und bestimmten zusätzlich, daß die Umlage bei Schiffbruch dann gezahlt werden soll, wenn das geschädigte Gildemitglied über nicht mehr als drei Mark in Silber verfügt. Auch die Gilden in Reval und Riga, schon 1252, sehen die gleichen Regelungen wie die in Dänemark selbst vor, dazu in Riga auch bei Krankheit213 •

211

212 213

Siehe Sieg, Seeversicherung, in HdV, S. 767. Pappenheim, Schutzgilden, S. 489; WisselI., S. 395 - 397. Planitz, Stadt, S. 284.

3. Die schrittweise Entstehung der Seeversicherung an der Ostsee

95

3. Die schrittweise Entstehung der Seeversicherung an der Ostsee 3. J Die Entwicklung der diinischen Gildeversicherung

Zeittafel seit

Risiken, erstmalig gedeckt

Schäden

erstmalig in

1200

Seewurf Gefangenschaft, Sklaverei

Teilverlust von Waren Lösegeld

Flensburg Flensburg

Seelmesse Brand Pi 1gerreise

Kirchengebühren

Flensburg

Gebäudeschaden (Seedarlehen?)

Oden se Odense Oden se

1245

Schiffbruch

Verlust von Schiff mit oder ohne Ladung

(Reisegeld) 1252/1300 1256

Krankheit Gefangenschaft (auch rechtmäßige) Arrest von Waren mit Gefangenschaft durch Könige und Fürsten

1266/1300

Pflegekosten Lebensunterhalt, ElWerbsverlust Lösegeld für Waren und Person

alle sieben kaufmännischen Risiken

Odense Riga Store Hedinge Store Hedinge

Kallehave, Malmö, Reval und weitere

Die Risiken Pilgerreise, Krankheit, Reisegeld werden im 14. Jahrhundert gesondert auch in andern Städten versichert.

3.2 Erklärungenfiirdie Entstehung derdiinischen Gildeversicherungen Die schrittweise Entstehung der Versicherung des Seewurfs und des Schiffsbruchs, wie sie in der vorstehenden Zeittafel zusammengestellt ist, läßt sich noch zeitlich genauer festlegen. Die Gilden der Angelsachsen in England, der Flamen in Flandern und besonders der Bewohner der Ostseeküste in Dänemark waren an der Erfindung der Seeversicherung beteiligt. Wegen der Weitergabe einschlägiger Gildesatzungen durch Abschriften ist es müßig, nach weiteren Gründen zu suchen, aber dennoch sind in der Geschichtsliteratur einige Erklärungen angeboten worden, nämlich - der "germanische Assoziationsgeist" - so Otto von Gierke; - die Wanderungen der Flamen und Niederländer nach Dänemark - so Pirenne und Helmer; - die Gewohnheit der Zusammenarbeit, beim Deichbau erworben - so Maaß;

96

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

- die Herkunft der Angeln aus Dänemark und der Verbleib von Teilen des Stammes dort, die Aussiedlung von Sachsen nach Flandern durch Karl d. Großen, die gemeinsame Herrschaft Knut des Großen über England und Dänemark in den Jahren 1016-1035. Abgesehen vom unfaßbaren "germanischen Assoziationsgeist" können die andem genannten Ursachen die Weitergabe von Versicherungen begünstigt haben, aber eine schlüssige Erklärung läßt sich aus keinem einzelnen Grund und auch nicht aus deren Gesamtheit ableiten, zumal anderwärts, z. B. am Niederrhein, vieles ähnlich war. In Dänemark muß die Entscheidung, in einer Gilde eine Versicherung einzurichten, vor dem Beschluß der Flensburger Gilde im Jahre 1200, aber nach der Nennung der Schleswiger Gilde 1134 und auch nach 1177, der Sitzverlegung der ersten Knuts-Gilde von Wisby nach Ringstedt, gefallen sein; denn in der Flensburger Gilde ist mit der Umlage für den Seewurf der Ausgangspunkt für die Gilde in Oden se 1245 und den Beschluß der Statuten in Skanör 1256 geschaffen worden. Andrerseits sind aus den Gilden von 1134 und 1170/77 gleichartige Regelungen nicht bekannt, wenn auch, da die Wortlaute von deren Statuten nicht genau bekannt sind, nicht völlig ausgeschlossen. Eine der greifbaren Voraussetzungen für eine Stärkung der Gilden ist die Mitgliedschaft des dänischen Königs Erich Pflovpennig (1241 - 1250) in der KnutsGilde, während in der gleichen Zeit der Staufer Friedrich 11. in Deutschland und Italien noch die Gilden verboten hatte, eine weitere ist der geringere Einfluß der Kirche in Dänemark, die die karitativen Hilfen in Bruderschaften weniger forcieren und die Bewältigung diesseitiger Aufgaben nicht durch den Trost auf das Jenseits verschieben konnte, wie es z. B. in Tiel am Rhein versucht wurde; allerdings ist der Einfluß der Kirche 1200 in Flensburg am Fehlen der Pflicht zur Blutrache schon zu spüren, es blieb aber noch die Hilfe für einen gildeangehörigen Totschläger, und zwar auch als Rettung vor der königlichen Gewalt. Die Richtung gegen die zentrale Autorität kommt in den folgenden Statuten noch deutlicher zum Ausdruck, wenn dort die Auslösung von Gildemitgliedern oder Gütern aus einer Festsetzung durch Könige und Fürsten geregelt wird. Der Anspruch der Gilde, selbst über ihre Mitglieder zu bestimmen, ist letztlich ein Anspruch auf wirtschaftliche Freiheit, für deren Folgen die Gildemitglieder Geldmittel aufzubringen gewillt waren. Die neue Umlagepflicht ist aus der nüchternen Anschauung von Kaufleuten, aus wirtschaftlichem Denken entstanden, als Förderung der Lebensreuung durch Aussicht auf einen gemeinsamen Ausgleich. Nah beieinander lagen alle für die Seeversicherung notwendigen Gedanken, so nahe, daß die in Exeter oder Flandern formulierten Vorbilder ohne weiteres überzeugten. So ging es Schritt für Schritt weiter. Für den Schritt zur Privatisierung der Seeversicherung fehlte allerdings in Dänemark Geld, Geschäftsidee und die Gewohnheit der Schriftlichkeit kaufmännischer

3. Die schrittweise Entstehung der Seeversicherung an der Ostsee

97

Verträge, sie waren eben in Italien vorhanden, das allerdings erst einhundert Jahre später die Fesseln des Römischen Rechts durchbrechen mußte.

3.3 Die Seeversicherung in den diinischen Gilden als Vorgängerin der gegenwärtigen

Die Versicherung von Seewurf und Schiffbruch in den dänischen Gilden seit 1200 bzw. 1245 ist in ihrer Konstruktion und ihrer Bedeutung im Vergleich zur Seeversicherung der Gegenwart zu würdigen. Im heutigen Seehandelsrecht und ihm folgend dem Seeversicherungsrecht finden sich Regelungen wieder, die dem sehr alten Seerecht entstammen und schon dem Gilderecht aus F1ensburg 1200 und Odense 1245 zugrunde lagen. Zur Großen Havarei (§ 700 Abs. 1 Handelsgesetzbuch) gehören Schäden, die Schiff und / oder Ladung zwecks Rettung aus gemeinsamer Gefahr vorsätzlich zugefügt werden, dazu auch die Waren, die zwecks Rettung von Schiffbrüchigen über Bord geworfen und "aufgeopfert" werden (§ 706 Nr. 1 HGB). Im Gildestatut von F1ensburg wird von der Aufopferung von Waren aus einem rettenden Schiff ausgegangen, ähnlich wie bei einer Rettung von Menschenleben nach § 750 HGB, und daran eine Gildeversicherung angeschlossen. Auch der Fall, daß mit Schiff und Ladung Geiseln losgekauft und ausgelöst werden (§ 706 Nr. 6 HGB), war schon im Gildestatut von Valenciennes aufgeführt, und die Verpflichtung der Gildebrüder zum Loskauf wird im Gildestatut von Aire vor 1188 und folgend ebenfalls in Flensburg konkretisiert und durch eine Versicherung gedeckt. Gleichartige "Versicherungen gegen die Gefahren der Seeschiffahrt" sind heute im 10. Abschnitt des HGB geregelt, darunter in § 834 Nr. 2 HGB die Versicherungen von Aufopferungen im Haverei-Fall. Nimmt man die Versicherung des Schiffsverlusts in der Gilde in Odense 1245 hinzu, dann fehlt an einer vollständigen Seeversicherung nur die besondere Versicherung aller transportieren Waren, nicht nur des Teils, der über Bord geworfen wurde. Zwar unterschieden die folgenden dänischen Gildeversicherungen durchaus zwischen Schiff und Ladung, aber erhöhten die "Versicherungssummen" für beide zusammen nicht. Von den Knutsgilden, die sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts umwandeln, ist die Seeversicherung auch in andere nordische Gilden gelangt, so bis 1300 in die Bartholinische Skraa in Norwegen und in die deutsche Kaufmannsgilde 1382 in Kopenhagen, ohne sich wesentlich zu ändern. Bei dem Stand von 1266 in Kallehave, 1300 in Malmö und Reval ist die Seeversicherung in den nächsten 100 Jahren und nur leicht verändert sogar in 200 Jahren (unten 8. Kap. 2.2) geblieben und nach Portugal und mit dessen Schiffen in das Mittelmeer gewandert (siehe unten 9. Kap.).

7 Schewe

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

98

4. Die Bartholinische Skraa in Norwegen als Versicherung In Norwegen enthält die Bartholinische Skraa, aufgezeichnet am Ende des 13. Jahrhunderts (siehe oben 1.5), Vorschriften 214 über Beistandspflichten der Gildegenossen in den Wechselfällen des Lebens (Art. 25 - 34), nämlich bei - Zerstörung eines Hauses (Art. 25 u. 26), - Brand eines Komschobers (Art. 27), - Brand eines Heuschobers (Art. 28), - Fallsucht bei Kühen (Art. 29), - Raub und Schiffbruch (Art. 30), - Kriegsgefangenschaft (Art. 31), - Beisetzung eines Toten (Art. 34). Bei Zerstörung eines Hauses haben die Gildegenossen die Pflicht, beim Wiederaufbau mitzuhelfen und ein Bündel Birkenrinde für die Deckung des Daches mitzubringen. Wahrend die tätige Aufbauhilfe noch zu den persönlichen Diensten zu rechnen ist, wie sie schon im karolingischen Capitular von 779 bezeugt war, ist die Anlieferung von Birkenrinde eines der seltenen Beispiele oder auch das einzige, das für eine "naturalwirtschaftliche Versicherung,,215 in Anspruch genommen werden könnte; es bestünde danach eine Pflicht zur nachträglichen "Umlage" an Birkenrinde für die Dachdeckung. Im Zusammenhang mit einem nachbarschaftlichen persönlichen Dienst kann diese Pflicht aber nur als Nebenleistung verstanden werden, also keine Umlage unter Versicherten sein, eher schon eine heutzutage öffentliche Pflicht zur Bevorratung für den Brandfall. Bei Brand eines Komschobers wurde vennutlich die gleiche Mithilfe erwartet, aber darüber hinaus schreibt das Statut es vor, daß jeder Gildegenossen ein Quantum Kom als Ersatz für das Kom oder das noch nicht gedroschene Stroh beisteuern soll, also eine Pflicht zum pauschalen Ersatz einer Menge eines gespeicherten Guts. Dabei betrug das Quantum Kom, wenn der Brand nach Weihnachten stattgefunden hatte, nur die Hälfte des Quantums für einen Brand vorher, weil eben um die Weihnachtszeit die Hälfte der Komvorräte verbraucht war. Diese Unterscheidung zeigt, daß bei dieser Leistung in Quantitäten gerechnet wurde, die an die Stelle von Geld treten, weil es keinen Markt gab, es ging also um vertretbare Güter. Beim Brand eines Heuschobers mußte der Ersatz durch die Fütterung einer Kuh geleistet werden; also wurde nicht der Wert des Bauwerks, sondern der Nutzen des Baus in einem Winter ersetzt. Der kurzfristige Verlust stand im Vordergrund. In vergleichbarer Einstellung zur rechenhaften Vorsicht wurde bei dem Verlust von Kühen durch Fallsucht eine Ersatzpflicht nur begründet, wenn drei Kühe oder 214 215

Pappenheim, Altnorwegisch, S. 6 ff. Schäfer 1., S. 7, unter Hinweis auf Ehrenberg.

4. Die Bartholinische Skraa in Norwegen als Versicherung

99

mehr gestorben waren. So ersparte man sich Streit um "Bagatell"-Schäden. Mit ähnlichem Ziel wurden Viehverluste von der Ersatzpflicht ausgenommen, wenn der geschädigte Bauer auf ,,Fallerde" wohnt, also die Verlustgefahr durch das Gelände erhöht war. Ersatz für die Kühe wurde nicht in Natur, sondern wieder durch ein Quantum Kom gefordert, also durch einen Geldersatz, der den Ausfall an Milch und Fleisch durch ein anderes Lebensmittel mit leichterer Austauschbarkeit ermöglichte. Dies kennzeichnet genau den Übergang von einem Natural- zum Geldersatz. Art. 30 und 31 216 sind nur "für Kaufleute bestimmt, die Mitglied unserer Gilde sind". Hier werden Raub und Schiffbruch mit der gleichen Rechtsfolge wie bei Brand erfaßt, nämlich mit der Ersatzpflicht in Geld oder Kom, Schiffbruch nur dann, wenn das Schiff in Verlust geraten oder in starkem Maße beschädigt ist und sich seine Reparatur nicht mehr lohnt. Verwertbare Teile werden auf die Höhe des Ersatzes angerechnet, und eine Höchstsumme für den Schaden bei einem für alle Gildegenossen gleich hohen Beitrag ist festgesetzt. Schließlich wird für Kaufleute die Dauer, in der die Gildegenossen haften, auf 12 Monate der Reisezeit jener begrenzt. Es handelt sich hier um eine recht ausgefeilte Regelung. Bei Kriegsgefangenschaft (Art. 31) soll jeder Gildegenosse "eine halbe Monatskost", gleich 4,1 Prozent der Kosten des Lebensunterhalts in einem Jahr, geben, vermutlich in Geld, um die Auslösungssumme zusammenzubringen. In allen Fällen brauchen die Naturalleistungen und die Geldzahlungen später nicht erstattet zu werden 217 , also großzügiger als bei dänischen Statuten. Die bei den Artikel 30 und 31 "haben eine so starke Ähnlichkeit mit denen, die von den dänischen Knutsgilden her bekannt sind, daß die westnorwegische Gilde im Kontakt mit jenen ihre Regeln übernommen oder ausgestattet hat,,218. Dies gilt auch für die Leistungen bei Brand. Schließlich besteht im Todesfall die Pflicht, den Toten zur Beisetzung zu geleiten und eine Messe lesen zu lassen (Art. 34). Außerdem fließen Bußen, die Gildegenossen z. B. wegen des Fehlens beim Gildemahl zu zahlen haben, nicht mehr in die gemeinsame Kasse, sondern in eine besondere, den "Seelbeutel", aus dem die rituellen Handlungen der Priester bezahlt werden. In dem Statut sind acht verschiedene Risiken zusammengefaßt, davon drei bei Brand. Wenn die Entstehungszeit der Bartholinische Skraa und die Zeit der Aufnahme dieser Artikel richtig ermittelt sind, stellt die Skraa eine ganz erstaunliche Kombination von Risiken mit sehr differenzierten Leistungen und fast modem anmutenden versicherungstechnischen Begrenzungen dar. Auch wenn die Beistandspflichten wegen ihres hohen Finanzbedarfs nur für eine begrenzte Zeit verwirklicht

216 217 218

BIom, S. 10. Pappenheim, Altnorwegisch, S. 113. BIom, S. 10.

100

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

worden sein sollten, greift sie der allgemeinen Entwicklung um fast ein Jahrhunderts voraus; denn ähnliche Regelungen enthält auch die portugiesische Seeversicherung (unten 9. Kap. 4). Daß die Einteilung der Skraa in drei Teile und die Regelungen der Risiken ihre Vorbilder in den Statuten der dänischen Gilden haben 219 , auch die eine oder andere Begrenzung, ist nicht verwunderlich, mindert aber den Fortschritt in der Vielfalt der Risiken und ihrer Regelungen nicht. Mit Ausnahme der Fälle mit persönlichen Leistungen sind die Zahlungen in Geld oder Kom als Leistungen aus einer Versicherung anzusehen, die für die Begräbniskosten und für Schiffbruch sogar mit gesonderten, nach Risiken getrennten Kassen.

s. Gesetzliche Haftungsgemeinschaften in Island Die oben 1.6 genannten hrepps (Bauerschaften) nahmen Pflichten zur Hilfe bei Brand u. a. wahr und sollen daher als frühe Brandversicherungen des 12. Jahrhunderts gelten 22o; angeblich wurde den hrepps durch die gragas ("Graugans"; Gesetzbücher, siehe oben) "geradezu der Charakter einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Assekuranzgesellschaft" aufgeprägt,,221. In Wirklichkeit ist die Entstehung der einschlägigen Regelungen erst später anzusetzen, und diese haben eine andere Herkunft und einen mehrschichtigen Charakter. Die gragas sind aus mehreren Quellen zusammengesetzt, und die einschlägigen Vorschriften sind in der letzten derselben, dem Stador-hosbok von 1256/58, enthalten, also wenige Jahre nach den dänischen Regelungen in Odense. Maurer, Pappenheim 222 und J. F. G. Schlegel waren schon 1885 bzw. 1903 der Auffassung, daß die isländischen Vorschriften spätere oder sogar späteste Zusätze sind. Auch dänische und norwegische Gesetzbücher sind um diese Zeit entstanden, und alle werden sich gegenseitig beeinflußt haben. Nach den Vorschriften 226 und 227 des Stador-hosbok werden den Bauern der hrepps bei Verlust von Vieh und bei Brand eines Hauses Pflichten zum Schadensersatz eines Nachbarn auferlegt, und zwar zum Ersatz in Geld, begrenzt auf den halben Schaden insgesamt und auf sechs Prozent des Vermögen des Ersatzpflichtigen. Der Grund für den Schadensersatz ist nicht ein freiwilliger Beitritt zu eine Gefahrengemeinschaft, sondern die Lage des Bauernhofs in dem gleichen Bezirk (hrepps), also ex lege wie bei sog. Londoner Friedensgilde von 930, die ebenfalls bei Viehverlust, allerdings nur durch Diebstahl, eintrat und die Schätzungen des Schaden vorschrieb. Die Schadensersatzpflicht bei Brand und die auferlegte Zahlung von Geld erinnern an die Gilde in Exeter vor 950, die Erwähnung der Stube 219 220 221 222

Pappenheim, Altnorwegisch, S. 115. Büchner, Beginn, S. 123: ,,Pflichtversicherung". K. Maurer, vor 1888, zitiert bei Reatz, S. 116 Anm. 1. Pappenheim, Altnorwegisch, S. 119.

6. Gesetzliche Haftungsgemeinschaften in Schweden

101

des verbrannten Hauses und des geheizten Raumes an die Gildeversicherung in Store Hedinge und Begrenzungen der Haftung an die norwegische, oben geschilderte Bartholinische Skraa. Für das Brandrisiko finden sich ähnliche Regelungen in den flämischen Keuren aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts. Die Kompilation einer Reihe einzelner Elemente aus Vorläufern von Versicherungen und die prozentuale Verteilung des Schadensersatzes sprechen für eine möglichst späte Datierung der Abfassung der "Versicherungs-"Aufgaben der isländischen hrepps, letztlich könnte aber nur eine sprachwissenschaftliche Untersuchung Klarheit über die Zeit der Abfassung bringen. Im ganzen sind die Schadensersatzpflichten in den hrepps wegen der Verpflichtung in einem Gesetz und der zwangsläufigen Schadens übernahme wegen der Wohnlage als eine Haftungsgemeinschaft, die von den Adelsherren zu deren Entlastung auferlegt wurde, und als Überbleibsel aus einem ehemals gemeinsamen Eigentum zu erklären. Sie haben eine Brandschadenversicherung entbehrlich gemacht, die Einnahmeseite ähnelt aber einer öffentlichen, an den Grundbesitz geknüpften Steuer, vergleichbar der der sog. Londoner Friedensgilde von 930 (oben 3. Kap. 2.). Immerhin kann man die Methode, mit der die hrepps die Schäden verteilten, als die einer Versicherung ähnlich bezeichnen, und für den Fall, daß sich eine zeitliche Kontinuität bis zu den Brandgemeinden des 16. Jahrhunderts im Land Schleswig oder eine willkürliche Wiederaufnahme nachweisen lassen sollte, auch als deren Vorläufer. Aus den Regelungen der hrepps hätten sich Versicherungen entwickeln können, aber das beweist noch nicht, daß es geschehen ist. 6. Gesetzliche Haftungsgemeinschaften in Schweden In Schweden wird den Häradsgemeinden der Charakter einer GegenseitigkeitsVersicherung zugeschrieben 223 , obwohl sie als Nachahmung der flandrischen Keuren von ca. 1128 erkannt worden sind 224 ; es finden sich die Risiken, die Schätzung des Schadens, die Geldbuße und die Ausfallbürgschaft der Gemeinde wieder, letztere in Ostgotland mit einem Wahlrecht zwischen der Buße des Verursachers und dem Aufkommen aus einer Brandsteuer, einer deutlich erkennbaren Abwandlung der Regelung der flandrischen Keuren. In allen Fällen handelt es sich um staatlich gesetztes Recht, nämlich in der Provinz Schonen um Landschaftsrecht aus 1201-1223 und in ganz Schweden um ein königliches Gesetz von 1347 (siehe oben 1.5). In letzterem wurde nach einem Brandschaden eine an den Grundbesitz gebundene Abgabe erhoben, zu der je nach Höhe des Schadens die Grundbesitzer des nächsten Teils der Häradsgemeinde oder der ganzen Gemeinde herangezogen wurden; gerade diese vernünftige, brandverhütende Regelung legt aber deren Charak223 224

Helmer, Gegenseitigkeitsversicherung, S. 23. Bucht, zitiert bei Helmer, Gegenseitigkeitsversicherung, S. 23.

102

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

ter als Schadensverteilung offen. Obgleich das Ergebnis dieses öffentlich-rechtlichen "Anlieger"-Beitrags dem einer Versicherung weitgehend gleichkommen konnte, überwiegen doch die Elemente, die an Geldbußen germanischen Rechts, z. B. für Totschlag, erinnern. Immerhin handelt es sich um eine Weiterentwicklung der flandrischen Keuren von ca. 1128, die als versicherungsähnlich einzuordnen ist.

7. Nordische Gildestatuten mit VersicherungenZusammenhänge im Zeitverlauf In der Zeittafel über nordische Gilden und ihre Arten 1000-1400 sind die Versicherungen, gesetzliche Haftungsgemeinschaften (versicherungsähnlich) und die Gilden ohne Versicherungen, in drei Spalten getrennt, aufgeführt.

7.1 Unterschiede zwischen deutschen und nordischen Gildendas Fehlen germanischer Einheitlichkeit

Das Land Schleswig nördlich der Eider gehörte seit 1025 zur dänischen Krone, auch wenn es und insbesondere die Städte Schleswig und Flensburg von Deutschen besiedelt waren. Auch in dänischen Städten bestanden im 14. Jahrhunderts Kaufmannsgilden Deutscher, auch einige Handwerksgilden Deutscher in Norwegen, von denen wenig bekannt ist. Die Gilden an der deutschen Ostseeküste sind in Holstein schon früher, nämlich im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, entstanden und damit gleichzeitig wie die im norddeutschen Binnenlande und hundert Jahre später als am Rhein und in Flandern. Die dänischen und die andern nordischen Gilden treten mit ihren Statuten erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts in Erscheinung, ausgenommen Schleswig und Flensburg, also mit einer nochmaligen Verzögerung. Sie spiegeln i. a. ein frühes Stadium der Rechtsentwicklung wider, aber der Schluß, die früheren deutschen Gilden im Binnenland hätten das gleiche Stadium eben früher durchlaufen, hängt jedenfalls hinsichtlich der Versicherungen in Gilden in der Luft, und für ihn gibt es keinerlei Anhaltspunkte in Deutschland. Die besondere Entwicklung der dänischen Gilde, die diese für die Versicherungsgeschichte interessant macht, läuft in Deutschland zeitlich mit dem Ende der Stauferherrschaft parallel. Hier wie dort ist die Überlieferung von Urkunden in heiden Gebieten gleich gut (oder schlecht), jedoch sind die Strukturen verschieden, und Dänemark hat wegen seiner Lage am damaligen Rand des europäischen Festlands eben einen Sonderweg eingeschlagen, der sich als zukunftsträchtig erweisen sollte. Die deutsche Versicherungsgeschichte bis zur Gegenwart hat nicht nur die Entstehungszeit der nordischen Gilden um 100 bis 150 Jahre vor die Zeiten der schriftlichen Zeugnisse verlagert, sondern auch immer wieder darauf bestanden, daß die Gilden in jedem Land eigenständig entstanden seien, und zwar aus "ger-

7. Zusammenhänge im Zeitverlauf

103

manischem Assoziationsgeist" , bzw. als "schleswig-holsteinische Urschöpfungen aus dem germanischen Kulturboden,,225. Dazu hat schon Hegel 1891 bemerkt: "Das gleiche Bedürfnis der Vereinigung zu gemeinsamen Zweck rief gleichartige Genossenschaften in der germanischen Welt wie vordem in der römischen hervor,,226. Auch Max Weber sah in den Gilden nichts spezifisch Germanisches 227 . Erst das Fehlen von aussagekräftigen Urkunden über die Tätigkeit der Gilden in Deutschland hat die Versicherungsgeschichte auf die Lösung gebracht, den Gemeinschaftsgedanken als zeitloses Prinzip germanischen Geistes überzubetonen und zwischen den Völkern wandern zu lassen. Selbst wenn man aus der auffalligen zeitlichen Aufeinanderfolge angelsächsischer, flandrischer, niederrheinischer, schleswigscher, dänischer, norwegischer und schwedischer Gilden eine Affinität von germanischen Stämmen für die Bildung von übernachbarlichen Gemeinschaften ableiten wollte, hätte man dies einfacher mit der dort allgemeinen Verbreitung des sächsischen Sprachdialekts, noch besser mit dem überall gegebenen Kampf gegen die Risiken der Naturgewalten an Nord- und Ostsee begründen können, und richtig mit dem allmählichen, teils verspäteten Fortschreiten der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im Norden erklärt, aber selbst diese Erklärungen versagen vor der Frage, warum von den Gilden an den Küsten von Rotterdam (Dordrecht) bis Danzig bis zum Ende des 13. Jahrhunderts Ansätze zu Versicherungen nur in Dänemark / Schleswig zu finden sind; es sind konkretere Antworten erforderlich. Ungewöhnlich für das Mittelalter ist die scharfe Linie zwischen den Inhalten der deutschen und der nordischen Gildestatuten in den Städten an der Südseite einerseits und den andern Seiten der Ostsee andrerseits. Diese Unterschiede zwischen den Gilden an den Ostseeküsten mildem sich zwar im 14. Jahrhundert ab, bleiben aber hinsichtlich der Existenz von Versicherungen bestehen. Die Gilden in Mecklenburg und Pommern bis Danzig, in der Übersicht gesondert aufgeführt, sind im Zuge der deutschen Ostwanderung entstanden. Trotz der Nachbarschaft zu Dänemark und den andem nordischen Staaten ist ihre innere Struktur von dort wenig beeinfluBt, insbesondere sind keine Ansätze zu Versicherungen bekannt; es verblieb hier bei dem allgemeinen persönlichen Hilfsgebot an die Gildegenossen.

7.2 Die Übernahme angelsächsischer Versicherung durch die dänischen Gilden

Auf die dänischen und anderen nordischen Gilden haben die angelsächsischen Rechtsüberlieferungen, die ja auch die der dort verbleibenden Angeln und Sachsen 225 226 227

Helmer, S. 2. Hege) 1., S. 10. Weber, S. 203.

104

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

waren, stärker als die deutschen Gilderechte gewirkt. Wilda (1835) und Hegel (1891 )228 hatten schon allgemein, also nicht unter der Betrachtung von seiten der Versicherungen, auf die Übertragung von Rechtsinstitutionen aus den angelsächsischen Statuten von Abbotsbury und Exeter hingewiesen. Übereinstimmungen hinsichtlich der Rachepflicht der Gildegenossen waren auch schon in den Gilden von Cambridge um 1000 und der Knuts-Gilde von Aensburg um 1200 aufgefallen 229 . Sie sind bei den andauernden kriegerischen und friedlichen Beziehungen zwischen England und Dänemark während dieser zweieinhalb Jahrhunderte normal. Auch haben sich sonst im 12. Jahrhundert niederländische Kolonisten im Land Schleswig angesiedelt230 , die die flämischen Versicherungen kannten. Die Übernahme der flandrischen Keuren in die schwedischen Häradsgemeinden geht auf den Erzbischof Sunesön in Lund zurück (siehe oben 1.7 und 6.). In England verfaßte der größte englische Jurist, Henri de Bracton 231 , in der Mitte des 13. Jahrhunderts das Rechtsbuch De legibus et consuetudinibus Angliae. In Dänemark selbst war 1241 das Jütische Recht in dänischer Sprache kodifiziert worden 232 . In Schweden hatte der Kardinallegat Wilhelm von Sabina u. a. das Kirchenrecht geordnet 233 und in den gleichen Jahrzehnten bildeten sich die Seerechte an Nord- und Ostsee heraus (siehe unten 9. Kap. 2.2). Wege für gegenseitige Beeinflussungen waren also vorhanden. Deswegen ist es erklärlich, daß die Knuts-Gilden in Dänemark einige Risiken und die Umlagen dafür aus Vorbildern in England, den angelsächsischen Gilden von 950, und aus Flandern übernommen haben, und zwar für - den Brand aus dem Statut von Exeter, - die ,Pilgerreise' aus dem Statut von Exeter, - den Loskauf aus Gefangenschaft aus dem Statut von Valenciennes / Aire und - die Begräbniskosten aus allen angelsächsischen Statuten. Dabei handelt es sich um Abschriften aus fremden Statuten mit Anpassung an das eigene Gilderecht und damit um die Übernahme einer ihnen vorher unbekannten Rechtskonstruktion, nämlich der Verbindung von Risiko, Schadensersatz und Umlage.

Hegeli., S. 63 f. u. 250/255. Oexle, S. 211 Anm. 49; Schäfer spricht 1911 von "offenbar zahlreichen Analogien in den Bestimmungen der Gildestatuten" von England und Dänemark, a. a. 0., S. 5. 230 Maass, S. 17 u. 20. 231 Gestorben 1268; siehe Ploetz, 24. Auf!. S. 361. 232 Ploetz, S. 363. 233 Ploetz, S. 365. 228

229

105

7. Zusammenhänge im Zeitverlauf

Nordische Gildestatuten und -versicherungen von 1000 bis 1400 nach ihren Arten Gildeversicherungen

900-1006 -

versicherungsähnliche Gilden ohne Haftungsgemeinschaften Versicherungen (Vorbild: Londoner Friedensgilde )

Haithabu

108011134 -

Schleswig

1158

Wisby auf Gotland (Hanse)

1180

Stranding (bei Kiel)

1186

Kiel

1192

Oldenburg i. O.

1200

Flensburg (dänisch)

nach 1200

Häradsgemeinden auf Schonen

1223 1245

Mikla-Gilde in Nidaros (Drontheim 1Norwegen)

Oden se 1Dänemark Tröndelagsskraa 1Norwegen

1250 1252

Riga (dänisch)

1256

Store Hedingel Dänemark

1256/1300 Malmö (dänisch) 1266

Kallehave (Dänemark)

1256/58

hrepps in Island

1250-1300 Bartholinische Skraa in Olafsgilde 1Norwegen Bäckergilde in Roskilde 1 Dänemark

126811422 1292

Hadersleben u. a. Knutsgilde

1293/94

Gildeverbote (8) in Bergen u. Kopenhagen

nach 1300

Reval (dänisch)

1301

Knuts-Gilden in Schweden

1316

Stift St. Gereon in Köln

vor 1319

Schuhmachergilde in Oslo 1Norwegen

1321

Stralsund

1330

Anklam

1334

Kiel: Kaland

(Fortsetzung nächste Seite)

106

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

(Fortsetzung "Nordische Gildestatuten und -versicherungen") Gildeversicherungen

versicherungsähnliche Gilden ohne Haftungsgemeinschaften Versicherungen Lund I Schweden: Kaland

1335 -1360 1346

Wismar Häradsgemeinden in Schweden (Gesetz)

1347 1349

Schneidergilde in Ripen I Dänemark

um 1350

5 deutsche Kaufmannsgilden in Dänemark

1362

Dreifaltigkeits-Gilde I F1ensburg

1377 1382

Danzig deutsche Kaufmannsgilde in Kopenhagen

vor 1394

Onarsheim (Drontheim) in Norwegen

1397

Greifswald

Quellen im Text.

7.3 Die Versicherung als neue Rechtskonstruktion aus der Natur der Gilden

Daß die neue Rechtskonstruktion (Risiko, Umlage, Schadensersatz) ohne weiteres übernommen wurde, kann auf den allgemeinen Grundsatz aller Gilden, daß jedes Gildemitglied jedem anderen Gildemitglied in allen gefahrlichen Lebenslagen persönliche Hilfe leisten muß, zurückgeführt werden, aber dies war kein ausreichender Grund; hinzutreten mußte nämlich - die Gildepflicht, Geld und Waren für in Not befindliche Gildemitglieder aufzuopfern und - die Pflicht aller Gildemitglieder, den, der aufgeopfert hat, mittels einer für alle gleichen Umlage wieder zu entlasten. Diese bei den besonderen Pflichten sind erst in Flensburg im Jahre 1200 zu der Pflicht zur Umlage für den Fall des Seewurfs hinzugetreten (siehe unten 9.Kap. I.). Sie entstammen dem Zweck der Gilde, jedem Mitglied Rechtsschutz zu gewähren und darüber hinaus das materielle Rechtsergebnis zu gewährleisten. Diesen Schritt haben die kontinental ausgerichteten Gilden nicht nachvollzogen; sie waren deswegen an der Entstehung der Versicherung nicht beteiligt. Ihnen war durch die Herrschaft der Könige und Fürsten, das (meist) patrizische Stadtregiment, die Reglementierung der Fehde und die Kirche längst der Boden für Rache-

7. Zusammenhänge im Zeitverlauf

107

pflicht und Fluchthilfe eines des Totschlags Beschuldigten - so bei des in Flensburg 1200 - und für die eigene Rechtsverwirklichung entzogen. Außerdem fehlten ihnen die gefahrvollen Anlässe, die für Seekaufleute gegeben waren, insbesondere der Seewurf. 7.4 Die stufenweise Entstehung der Versicherung an Nord- und Ostsee

Die Entwicklung der Versicherung im 10. bis 13. Jahrhundert an Nord- und Ostsee ist nicht das Ergebnis einer einmal gewonnen Erkenntnis des Wesens der Versicherung, sondern einer stufen weisen Kombination und Erstreckung einzelner Elemente: Aus dem Bestreben eines fränkischen und eines angelsächsischen Königs, Streitigkeiten seiner Edlen um Diebstähle von Vieh u. ä. zu vermeiden, entstand deren gemeinsame Haftung dafür (sog. Londoner Friedensgilde 930), die in die Pflicht von Geldzahlungen mündete. In der Gilde in Exeter wurde vor 950 dieses Umlageverfahren auf das Risiko des Brands angewendet. Aus der gegenseitigen Pflicht der Gildemitglieder in Valenciennes nach 1070, Geldmittel für gefangene Gildebrüder und deren geraubte Waren einzusetzen, wurde zwischen 1100 und 1180 in Aire (Flandern) die Umlage für Brandschaden aus Exeter auf den Loskauf bei Gefangenschaft erstreckt. Von hier aus gingen die Umlagen bei Brand und Gefangenschaft im Jahre 1200 in die Flensburger Gilde ein, und diese vermehrte die Risikofälle um den Ersatz für Waren, die aus Gildepflicht zur Rettung eines schiffbrüchigen Gildemitglieds über Bord geworfen werden mußten. Dieses Teilrisiko bei Schiffbruch wurde 1245 im Gildestatut von Odense (Dänemark) auf den Verlust des ganzen Schiffes ausgedehnt. Nach dem Gildestatut von Store Hedinge 1256 wurde die Umlage dafür in jedem Fall, ohne daß der Geschädigte unvermögend sein mußte, erhoben, wenn sein Verlust geschätzt und bestätigt war. Der nächste Schritt, die Zahlung von der Zahl der Gildenmitglieder unabhängig zu machen, ist im 13. Jahrhundert nicht mehr gemacht worden. In der 1266 festgelegten Form verbreitete sich die Versicherung rund um die Ostsee in den dänisch beeinflußten Seestädten und an die Nordsee, so in der Bartholinischen Skraa in Norwegen (siehe oben 3.). Die Entwicklung, die in Stufen zur Versicherung führte, kann man also nachvollziehen: Es wurde die angelsächsische Umlage mit neuen Risiken verbunden, wobei die Risiken aus vorhandenen Hilfsgeboten in den Statuten der Gilden entnommen wurden. Aus den damals typischen Gefahren für Fernkaufleute wurden zuerst die personellen Risiken abgesichert, nämlich die Lösung aus der Sklaverei und die Rettung durch das Nachbarschiff, und danach der Schiffsverlust. Vom Verständnis der Versicherung aus waren vier Erfindungen entscheidend: - die Umlage in Exeter vor 950 zum Ausgleich eines Schadens im Brandfalle; - die Erkenntnis in Aire 1100/ 1180, daß sich dieses System auf ein anderes Risiko, die Auslösung aus Gefangenschaft, anwenden läßt;

108

5. Kap.: Nordische Gilden und Versicherungen im 11. bis 14. Jh.

- die Ergänzung des Seewurfs durch die Gildepflicht zur Rettung des Schiffbrüchigen und deren Unterstützung durch einen Ausgleich mittels Umlagen in Flensburg 1200; - die Ausdehnung in Odense 1245 von dem Flensburger Fall des Seewurfs (1200) auf den Verlust des ganzen Schiffs mit / ohne Ladung. In allen diesen Systemen wurde für jeden Risikofall eine gesonderte Umlage erhoben; das Erfordernis der Selbständigkeit der Versicherung war also in den nordischen Systemen erfüllt.

7.5 Abstufungen bei Schadensersatz - Armut?

In allen Regelungen, die eine Versicherung beinhalten, ist anzunehmen, daß die Versicherung den Verlust nicht voll deckte, weil die Höhe der Beiträge begrenzt war und das Ergebnis der Umlage von der Zahl der Gildemitglieder abhing. Alle Regeln über Unterstützungen und Versicherungsleistungen des Mittelalters gingen davon aus, daß der Geschädigte seinen Schaden in erster Linie selbst zu ersetzen hatte, aber dazu durchweg nicht in der Lage war; gerade aus diesem Bewußtsein, daß das Risiko nur durch eine Beteiligung aller Gildemitglieder bewältigt werden konnte, sind die Umlage und die Versicherung entstanden, aber von Anfang an bestanden Abstufungen. Die erste Brandversicherung in Exeter vor 950 schweigt darüber, vermutlich weil die Zerstörung eines Hauses immer eine Bedrohung der Existenz war. In diesem Sinne spricht die Satzung von Aire in Flandern 1100/ 1180 von der Verarmung des Besitzers des abgebrannten Hauses als einer Selbstverständlichkeit. In Odense 1245 wird nicht geleistet, wenn der Brandgeschädigte das Haus aus einem Geldvermögen wiederaufbauen kann, was etwas anderes als Armut bedeutet. Diese oder gleichwertige Klauseln finden sich überall, z. B. wenn der Geschädigte das Geld zum Ersatz hat, wenn er zum Ersatz der Geldsammlung bedarf oder wenn er von den Waren nichts zurückerhält. Voraussetzung war, anders als bei Hilfen zum Lebensunterhalt, für die "Versicherungsleistung" nicht Armut, sondern die Fähigkeit zum eigenen Ersatz des Schadens. In diesem Sinne waren die genannten Einschränkungen Klauseln gegen Mißbrauch im damaligen Sinne, mit einer Versicherung vereinbar und sind als "Versicherungsbedingungen" anzusehen.

7.6 Gesetzliche Haftungsgemeinschaften

In der Zeittafel über die Arten der nordischen Gilden sind auch die gesetzlichen Haftungsgemeinschaften von Grundbesitzern zwecks Schadensausgleich besonders ausgewiesen (mittlere Spalte). Es handelt sich um Vorläufer von Pflichtversicherungen, wie sie schon in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Centenen im Fran-

7. Zusammenhänge im Zeitverlauf

109

kenreich als Diebstahlsschutz vorkamen (siehe oben 2. Kap. I.) und in der sog. Londoner Friedensgilde von 930 ihre dauernde Ausprägung fanden (siehe oben 3. Kap. 2). Ab 1128 waren sie als Keuren zum Brandschadenausgleich in Flandern weit verbreitet (siehe oben 4. Kap. 4.5). In die hrepps in Island und in die Häradsgemeinden in Schweden werden sie übernommen (siehe oben 5. und 6.). Deren Spuren finden sich 1316 in Köln (siehe unten 8. Kap.) und in der Seeversicherung der portugiesischen Gilden (siehe unten 9. Kap.). In den Brandgilden im Lande Schleswig nach 1500 leben sie wieder auf. Ihre Form existiert noch in den heutigen öffentlich-rechtlichen Pflichtversicherungen für den Brandfall. Näheres bei Portugal unten 9. Kap.

Sechstes Kapitel

Versicherungen im mittelalterlichen Bergbau 1. Entwicklung der Arbeitsorganisation im Bergbau

Auch die Zusammenschlüsse im Bergbau des Mittelalters waren Gilden, unterschieden sich jedoch hinsichtlich der Entstehungsursachen wie der Ausgestaltung stark; der Zusammenhang der Bergarbeiter beruhte nämlich auf der besonderen Organisation der Bergarbeit. Die Bergarbeit war an die FundsteIlen von Salz, Eisen und Edelmetallen gebunden, und diese lagen meist in Gebirgen und entfernt von Städten und landwirtschaftlich ertragreichen Böden. Zugleich wurden große Zahlen von Arbeitskräften für Abbau, Holzbeschaffung, Verhüttung und Transporte benötigt. Die großen Arbeiterscharen sind für die Zeit nach 1500 greifbar234 , so in Joachimstahl 1523 rd. 12000 und im Tiroler Bergwerk Falkenstein bei Schwaz 1557 7 400 Mann, aber auch für die vorhergehenden Jahrhunderte des Mittelalters mit geringerer Gesamtbevölkerung hatten sich große Arbeiterscharen in Bergbauorten angesammelt. Man könnte die Situation mit den Goldgräberstädten Amerikas vergleichen. Damit und mit der Arbeit bei der Abteufung von Schächten und dem Stollenbau gingen hohe UnfaH- und Krankheitsgefährdungen einher. Andererseits war die wirtschaftliche Verwertung der geförderten Mengen leichter als in anderen Bereichen und im Silberbergbau nahe am Münzwesen. Die Erforschung der mittelalterlichen Arbeitstechniken und Wirtschaftsabläufe hat in den letzten Jahrzehnten zu klareren Vorstellungen über die Wirtschaftsorganisation geführt 235 • Die Bergleute waren noch im 12. Jahrhundert selbständig erwerbstätig - Gewerken - und hatten sich großenteils zu Arbeitsgemeinschaften, also Genossenschaften, zusammengeschlossen, die ihre Arbeitskraft und ihre Werkzeuge gemeinsam einsetzten, den Verkauf des Roherzes gemeinsam organisierten, die Abgaben für das Bergrecht (Regalien) gemeinsam leisteten und in Stollen und Schächten ein gemeinsames Anlagekapital besaßen. Die Zeitpunkte für die Stadien dieser Entwicklung sind je nach Gegend und Fundstätte unterschiedlich. Der älteste Bergbau in Deutschland ist von Sieg und Lahn nach dem Fichtelgebirge und von dort nach dem Harz gewandert; im Siegerland soll das Erz für karolingische Waffen gewonnen und verhüttet worden sein 236 . Auf dem Altenberg bei 234 235

Höffner, S. 44; Rohrbach, S. 64. Höffner, S. 44; Lauf, S. 15 ff.

2. Arbeitsunfalle und Genossenschaften in Goslar 1050-1500

111

Müsen im Siegerland hat man eine Bergbaustadt aus dem 13. Jahrhundert ausgegraben. Harzer Bergleute wanderten im 13. und 14. Jahrhundert nach dem Mansfeldischen, dem Erzgebirge und Schlesien. Der Aufschluß der Silber- und Kupfererze in Ungarn und den Alpenländern schloß sich an. Die frühesten Nachrichten über Zusammenschlüsse von Gewerken bestätigen nur die Existenz derselben. So sucht der bayrische Herzog sogleich nach seinem Amtsantritt vor dem Jahre 1000 die mächtigen Salzherren (Salinarii cuncti) in Reichenhall auf237 . Ähnliche ,,Monopolgesellschaften" waren vielleicht auch die Sterngesellschaft in Soest (Salzbeerbte von Sassendorf), die Sulzbegüterten in Lüneburg und die Goslarer Silvani 238 • Neben den Waldberechtigten (Silvani) gab es in Goslar 1290 auch die montani, also die Bergberechtigten auf dem Rammelsberg239 ; beide Gruppen waren für die Gewinnung und Verhüttung (Holzkohle) des Silbers gebildet; die Gruppe der Münzer trat hinzu. Bis etwa um 1230 herrschte der Kleinbetrieb vor. Die Trennung in Bergwerkseigentümer (Gewerken) und "Lonarbeiter" ist im Gasteiner Goldrecht der Jahre 1300-1350 dokumentiert24o • Die Übernahme der Bergwerke durch Handelsunternehmen wird etwa um die gleiche Zeit angenommen. Im 14. Jahrhundert sind die ca. 100 Gruben bei Goslar überwiegend im Besitz des Adels 241 , und die Fürsten haben das Realrecht des Bergbaus von den Königen übernommen. Ab 1330 war die Aufteilung der wirtschaftlichen Faktoren und der Berufe ausgebildet 242 , nämlich in die Gewerken, die Lehnhäuer und die Eigenlehner, sowie die der "lonarbeiter" in Hauer, Förderleute, Haspelknechte, Zimmerleute, Pochwerker und Erzwäscher. Der arbeitsteilige Bergbau nimmt so die Produktionsverhältnisse der Industriewirtschaft vorweg. Gleichzeitig bestanden in Goslar frühzeitig Kaufmannsgilden. So waren dort vom Erzbergbau und der Erzverhüttung über die Münzstätte bis zum Handel die Elemente der Geldwirtschaft auf engem Raum zusammen, wie sie für eine Versicherung vorausgesetzt werden.

2. Arbeitsunralle und Genossenschaften in Goslar 1050-1500 Bei Goslar wird seit 968 Bergbau betrieben. Am dortigen Rammelsberg wird von 980 - 1000 eine Kirche St. Johannes für die Bergleute errichtet; ihr wird 1050 Lauf, S. 25 u. 26. Störmer, S. 373. 238 Irsigler, S. 59 Anm. 30 a. 239 Lauf, S. 28; Nr. 265 im Urkunden buch der Stadt Goslar, I. Teil, hrsg. v. Georg Bode, Halle 1893. Die Urkunde, daß "Kaiser Friedrich I. Barbarossa der Bruderschaft in Goslar 1178 das Privileg erteilt hat, Kranken- und Sterbegeld gegen Wochenbeiträge der Brüder (Mitglieder) zu zahlen" ist gefalscht; Mitteilung des Stadtarchivs Goslar v. 21. 3. 1991. 240 Höffner, S. 44. 241 Lauf, S. 22. 242 Lauf, S. 11. 236 237

112

6. Kap.: Versicherungen im mittelalterlichen Bergbau

ein Hospital angefügt und dieses beim Bau eines Westwerks der Kirche um 1200 erweitert243 . 1260 wird an der Kirche eine Bruderschaft bestätigt, die schon längere Zeit vorher besteht; sie hat sich "die Hilfe für die Armen und Schwachen, die durch die Arbeit in dem besagten Berg von körperlicher Hinfälligkeit und materieller Not bedrängt sind"

zur Aufgabe gemacht 244 . Mitglieder waren die montani, die Gewerken, also nicht die Lohnarbeiter, die die Begünstigten waren; eine Bruderschaft der Bergleute selbst ist nicht nachweisbar245 . Die Bruderschaft der Gewerken existierte 1388 noch 246 . Vermutlich wird sich die kirchliche Bruderschaft aus einer Gilde der Berggewerken entwickelt haben oder ausgegliedert worden sein. Diese wird das um 1200 erweiterte Hospital an St. Johannis betrieben und finanziell getragen haben. Sie stellte also eine gemeinsame Vorsorge der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer dar und ersetzte so die einzelvertragliche Verpflichtung der Arbeitgeber, insbesondere bei Arbeitsunfällen. Trotz des kirchlichen Rahmens kann man in der Bruderschaft ebenso wie in ihrer Vorgängerin eine Haftpflichtversicherung sehen, obgleich man die Art der Aufbringung der Mittel durch die Gewerken nicht kennt. Sie war der Vorläufer der Bergbau-Berufsgenossenschaft, noch nicht der Knappschaft. In der "Berg-(Bergbau-)ordnung" des Herzogs von Braunschweig von 1271 247 , die dieser für die ,Waldwerken " d. s. die Holzlieferanten für den Bergbau, und die Verhüttung, erläßt, werden ebenso wie in anderen mittelalterlichen Bergordnungen 248 Bruderschaften o. ä. nicht oder nur nebenbei erwähnt, ohne ihre Aufgaben zu beschreiben. Wie sonst verbieten die frühen Bergordnungen um 1300 die "conventicula conspirationes et machinatiores der Bergschmiede,,249 und "alle zusamenglubunge und unczimliche einunge nicht allein under den smiden, sunder auch under andere allerlei geselschaft,,250. Die Verpflichtungen der Arbeitgeber zur Bei-

243 Lauf, S. 20. Ob die Gründung des ersten Hospitals um 1050 von einem oder mehreren oder allen Gewerken erfolgt ist, z. B., wie häufig, durch ein Vermächtnis, ist nicht bekannt. Erst die Erweiterung um 1200, also in der dritten Generation, läßt auf eine Gemeinschaft als Träger schließen. 244 Urkunde Nr. 70 vom 28. 12. 1260 im Urkundenbuch der Stadt Goslar; Übersetzung Lauf, S. 27 u. 28. 245 Mitteilung des Stadtarchivs Goslar v. 21. 3. 1991; siehe oben Anm. 239. 246 Bornhardt, S. 217. 247 Urkunde vom 25. April 1271, Nr. 169 im Urkundenbuch der Stadt Goslar, 2. Teil. 248 Die Behauptung, in der Kuttenberger Bergordnung von 1300, der ältesten, sei eine "Büchsenkasse" genannt, trifft nicht zu, unzutreffend also: Thielemann, Knappschaftsversicherung, S. 15 Anm. 6. 249 Schirbe!, S. 108. 250 So Kap. 15 § 9 des sog. Iglauer Bergrechts, der Constitutio res iuris metallici König Wenzels 11. vom Jahre 1300 in der deutschen Übersetzung des Iglauer Stadtschreibers Johann von Geilnhausen, Ende des 14. Jahrhunderts, abgedruckt in W. Ebel, Quellen, Nr. I S. 25.

2. Arbeitsunfälle und Genossenschaften in Goslar 1050-1500

113

tragszahlung bleibt erhalten; in den Goslarer Hüttenrechnungen von 1409/ 1410 sind Rechnungsposten für "die armen" enthalten 251 . Nach mehr als einem Jahrhundert des Niedergangs des Bergbaus (1360-1479) bei Goslar und einem Wechsel der Eigentümer aus einer anderen Bürgerschicht wird 1473 eine neue Bruderschaft "St. Barbara" von Gewerken und Bergknappen, also Bergbau-Arbeitgebern und Arbeitnehmern, gegründet252 , also die Vorläuferin der heutigen Knappschaft. Aus der gemeinsamen Bruderschaft ist nicht zu schließen, daß beide, Gewerken und Bergknappen, die Kosten der Fürsorge für Verunglückte oder Kranke gemeinsam zu tragen hatten, vielmehr ist der Fortbestand der früheren Finanzierung allein durch die Gewerken möglich, wohl aber ist eine gleichberechtigte Verwaltung der Bruderschaft durch beide Gruppen anzunehmen, weil sonst der Beitritt der Bergknappen unerklärlich bliebe. Die gleichberechtigte Verwaltung bringt eine Rechenschaftslegung mit sich, und diese setzt eine eigene Kasse der Bruderschaft voraus, die 1476 genannten "Büchse". 1476 erläßt der Rat der Stadt Goslar eine Bergordnung für den Rammelsberg. In dieser wird allen Bergarbeitern dort die Pflicht auferlegt, von ihrem Wochenlohn "ein scherf (zu) geven in de büssen in de ere gades" (in die Büchse zur Ehre Gottes)253. Diese Regelung enthält die erstmalige Verpflichtung der Bergleute, sich an der durch die Arbeitgeber finanzierten Vorsorge zu beteiligen 254 , und nennt die "Büchse", also die Stelle für die Geldsammlung und die Geldverteilung und den Ausgleich zwischen beidem und damit die Versicherung. Aus dem Jahre 1487 sind die ältesten Wochenrechnungen der Gewerken erhalten 255 , mit dem Zusatz "den armen" meinen sie den Beitrag jener zur Bruderschaft. 1532 - also am Beginn der Neuzeit und der Reformation - erhöhen die Bergknappen die Büchsenpfennige und erneuern die Genossenschaft. 1538/39 wird dann in einer neuen Goslarer Bergordnung256 daraus die Pflicht, jeden Sonnabend, wenn der Lohn ausgezahlt wurde, "seinen Pfennig in die Büchse zu legen", ausgesprochen, jetzt für Arbeitsunfälle und medizinische Krankenhilfe; damit war der heutige Arbeitnehmeranteil am Beitrag zur Krankenversicherung geboren. Hier wird auch die gleichberechtigte Verwaltung der "Büchse" durch Vertreter bei der Seiten bestimmt. Diese zukunftsweisende Regelung liegt jedoch schon außerhalb des hier gesetzten Zeitrahmens, in der Neuzeit.

m Bomhardt, S. 217. Urkundenbuch der Stadt Goslar Nr. 848 vom 30. 9. 1473. 253 Urkunde vom 9. Jan. 1476. 254 Lauf, S. 30; Bornhard, S. 217. 255 Bomhard, S. 217. 256 Abgebildet bei Lauf, S. 68. 252

8 Schewe

6. Kap.: Versicherungen im mittelalterlichen Bergbau

114

3. Knappschaften im Erzgebirge 1300 -1500

1168 wurden bei dem späteren Freiberg im Erzgebirge starke, mit Silber angereicherte Erzfunde gemacht, ertragreicher als in Goslar. Der dortige Markgraf Otto von Meißen läßt sich von Kaiser Friedrich Barbarossa das Regal für die Ausbeutung verleihen. Durch Zuzug vor allem von Bergleuten des Rammelsbergs bei Goslar entwickelt sich die Stadt Freiberg (1188). Auch dort wird eine St. Johanneskirche mit Hospital errichtet und 1224 bestätigt257 , das Hospital war allerdings nicht nur Bergleuten zugänglich. Das ältere Freiberger Bergrecht wird zwischen 1300 und 1327 niedergeschrieben, allerdings ohne Angaben über Versicherungen. Vor 1400, möglicherweise ab 1350 besteht an einer anderen Kirche eine Bruderschaft, die "gesellschaft der heuwer" (Hauer), die vor 1400 eine Stiftung für einen Altar gemacht hat258 ; um diese Zeit ist der Bergbau in Freiberg schon stark zurückgegangen. 1447 ist die Rede von einem "Kerzenheller", den vorher die Knappen für kirchliche Zwecke abzugeben hatten, der aber schon für weltliche verwendet worden war. Die Aufgaben dieser "Knappschaft", erstmalig 1426 so in Freiberg259 genannt, werden erst nach 1500 bekannt, sie bestehen in der Leihe von Geld vornehmlich an kranke, aber auch an gebrechliche Bergleute, und zwar im Wissen, daß die Gelder oft oder sogar meist nicht wieder einzubringen waren. Derartige ,,Leihe" war seit 1355 in Gilden von Handwerksgilden an Gesellen bekannt (siehe unten 7. Kap. 7.1). Von den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts ab werden im Erzgebirge weitere Lagerstätten von Zinn und Silber gefunden (1471 Schneeberg, nach 1440/1497 Annaberg, 1521 Marienberg u. a.), und in der Zeit von 1450 bis nach 1500 werden an mehreren Orten Bruderschaften genannt und Bergordnungen erlassen; auch von Büchsenkassen und Knappschaftsladen (Annaberg 1503) und Büchsenpfennigen wird berichtet. Auch in Dalarna 1Schweden haben die Bergarbeiter in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine gegenseitige Hilfe bei Krankheit oder Verarmung. Am Anfang des 16. Jahrhunderts lassen sich ,Jn allen bedeutenden Bergbaurevieren Deutschlands Büchsenkassen feststellen"260, in Tirol und Kärnten und in Schlesien. 4. Haftpflichtversicherungen der Arbeitgeber und paritätische Krankenversicherungen

Die Genossenschaften im Bergbau und ihre Unterstützungen sind von der Organisation der Arbeit im Bergbau nicht zu trennen. Auch wenn sie sich Bruderschaf257 258

Lauf, S. 38, dessen ausführliche Darstellung auch im folgenden zugrundegelegt wird. Lt. Urkunde des Pfarrers der Liebfrauenkirche, abgedruckt bei W. Ebel, Quellen,

Nr. 5 S. 31. 259 260

Urkunde abgedruckt wie in der vorherigen Anmerkung. Lauf, S. 46.

4. Haftpflichtversicherungen der Arbeitgeber

115

ten nennen und ihre Überlieferung eng mit Kirchen verknüpft ist, so reagieren diese auf die gefahrlichen Abläufe des Bergbaubetriebs und die Zusammenballungen der Arbeitskräfte und deren gleichartige Schicksale. Daraus ergab sich automatisch eine Isolierung des Risikos auf die Gefahrfälle eines Bergbaubetriebs, also auf den Arbeitsunfall und die "arbeitsbedingten" Erkrankungen, die Außenarbeiten und dazu noch in Nässe mit sich bringen, z. B. Erkältungen, Gebrechen, sowie die mit beiden verbundenen Ausfälle an Arbeitslohn, auf den die Bergarbeiter, anders als bei Unterbringung der Handwerkergesellen im Haus des Meisters, angewiesen waren; diese Art Armut war also auch damals berufsbedingt. Diese drei Gefährdungen forderten primär die Fürsorge der Gewerken (Arbeitgeber) als Teil der Arbeitsbedingungen. Aus der "Kollektivierung" der Fürsorgepflichten der einzelnen Arbeitgeber in Bruderschaften, in Goslar schon 1200, kann auf eine erste Art von Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber geschlossen werden, wie sie 1885 in der gesetzlichen Unfallversicherung eingeführt wurde; dabei kann man allerdings nur auf Grundzüge einer solchen zurückgreifen, weil es für die gleiche Zeit und bis 1360 zu wenige schriftliche Anhaltspunkte gibt, danach aber eine Unterbrechung Platz greift. Eine Beteiligung der Bergleute selbst an Bruderschaften und erst recht die Bildung von Genossenschaften der Bergleute fand sowohl in Goslar wie im Erzgebirge erst am Ende des 14. Jahrhunderts statt - 1400 in Freiberg, ab 1447 im Erzgebirge, 1473 in Goslar -. Der erste Streik 1469 auf dem Geisingberg bei Altenberg im Erzgebirge 261 nimmt den Frühindustrialismus der Neuzeit vorweg. In der Existenz einer gemeinsamen Kasse, Büchse oder Lade genannt, den festgesetzten Wochenbeiträge, den wenigen "Versicherungsfälle" und Leistungen, die aufgezählt werden, und in der im Bergbau zwangsläufig geringen Variation der "Versicherungs"bedingungen sind die Anfange einer Unfall- und Krankenversicherung zu sehen, deren Voraussetzungen mit dem Arbeitsverhältnis gegeben waren. Die Fehlverwendungen angeblich kirchlicher Gelder und die Kontrollversuche der Bergleute zeigen klar, daß man in diesen Einrichtungen rechnete und Risiken grob zu kalkulieren verstand. Die Elemente der Versicherung waren also am Ende des Mittelalters vorhanden und werden dann in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbessert und verfeinert, also zu Beginn der Neuzeit und unter dem Einfluß der Reformation, der die kirchlichen Bruderschaften zum Opfer fielen 262 • Die späteren Bergordnungen regeln meist auch die Knappschaftsversicherungen.

261 262

S'

Lauf, S. 13. Lauf, ab S. 51.

116

6. Kap.: Versicherungen im mittelalterlichen Bergbau

Versicherungen im Bergbau um 1200

Vereinigung der Gewerken in Goslar mit Errichtung eines Hospitals

1260

Bruderschaft der Gewerken in Goslar (Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber gegen Schadensersatz aus Arbeitsunfällen u. a., ähnlich den heutigen Berufsgenossenschaften)

1271 1350-1400 1388 1426 1447 ab 1470

Fortbestand der Bruderschaften in der Bergordnung für die Waldwerken Gesellschaft der Berghauer in Freiberg mit einem Stiftungsvermögen, vermutlich auch einer Krankenversorgung Die Bruderschaft der Gewerken in Goslar noch nachgewiesen erstmals der Name Knappschaft in Freiberg, also einer Unfall- und Krankenversicherung Abgaben der Bergknappen für kirchliche Zwecke in Freiberg unter eigener Verwaltung Knappschaften in Erzgebirgsorten mit Krankenversorgung der Bergleute

1473

Bruderschaften der Bergleute in Goslar unter gemeinsamer Verwaltung einer ,,Büchse" von Bergleuten und Arbeitgebern, also einer besonderen Kasse.

1503

,,Büchse" in Annaberg

Die Unfall-/ Haftpflichtversicherung 1260 für Bergleute entsteht 100 Jahre vor der der Arbeitgeber im Handwerk (siehe unten 7. Kap. 7.1), die Krankenversicherung der Bergleute selbst und ihrer Arbeitgeber ungefähr gleichzeitig mit der der Handwerksgesellen (siehe unten 7. Kap. 3. und 4.). Die paritätische Krankenversicherung kann also als eine Parallele - mit der Besonderheit des Arbeitgeberbeitrags - zu den Gesellenversicherungen aufgefaßt werden; sie war das Vorbild der Sozialversicherung der Gegenwart. Das Risiko des Arbeitsunfalls von Bergleuten ist aus den arbeitsrechtlichen Pflichten der Arbeitgeber, wie sie in den Rechtsaufzeichnungen und den Stadtrechten im Anfang des 13. Jahrhundert bei Arbeitsunfall und Krankheit festgelegt worden waren, entstanden; näheres siehe unten 7. Kap. 2. Das Risiko "Krankheit" wird in den gleichen Jahrzehnten in der Knutsgilde in Riga 1252 genannt, und die persönliche Hilfe der Gildegenossen untereinander bei Krankheit wird im Statut der Aensburger Knutsgilde von 1200 geboten. So mögen mehrere verschiedene Ansatzpunkte für die Risikoübernahme durch die Gewerken zugunsten der Bergleute zusammengekommen sein. Weniger deutlich zeichnet sich es ab, wie die Gewerken dazu gekommen sind, die Arbeitgeberpflichten am Rammelsberg bei Goslar gemeinsam zu erfüllen. Sicherlich hat dazu die Massierung der kleinen Gruben - ca. 100 im 14. Jahrhundert - und der allmähliche Verlust der Selbständigkeit der Kleinbetriebe beigetragen, aber ob die gemeinsame Finanzierung durch die Gewerken dort originär entstanden oder die Umlage aus Dänemark oder Aandern oder England übernommen worden ist, muß offenbleiben.

Siebentes Kapitel

Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden im 14. und 15. Jahrhundert Wahrend die Handwerksmeister in den Zünften und Gilden Kartelle bildeten und damit das Marktgeschehen regulierten, stellte sich im hohen Mittelalter heraus, daß die daraus resultierende wirtschaftliche Sicherheit den Mitarbeitern der Meister, die nicht dessen Familie angehörten, wenig zustatten kam.

1. Die Gesellenfrage im Mittelalter Die älteste Zunftrolle, die Gesellen erwähnt, ist die der Schmiede in Osnabrück von 1212263 . Wahrend am Ende des 13. Jahrhunderts Gilden, Zünfte, Innungen u. a. weit verbreitet sind, ist in diesem Jahrhundert von Gesellenverbänden (Gesellengilden) noch nicht die Rede, vielmehr waren die Gesellen in den Innungen, Zünften u. a. der Meister, jedoch ohne eigene Rechte. Allerdings war am Ende des 13. Jahrhunderts das Verhältnis der Gesellen zu den Meistem wie der Status der Gesellen in der Zunft im Wandel begriffen. War die Gesellenzeit ein Durchgangsstadium zum Meister, so wurde sie durch die Verfestigung der Zünfte, z. B. durch Eintrittsgelder, für viele Gesellen zum lebenslangen Stand. In diesem bildeten sich Gesellenverbände, die Forderungen auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, vor allem des Lohnes, der Versorgung im Haushalt des Meisters und der Arbeitsvermittlung der wandernden Gesellen stellten 264 • Es ist neuerdings umstritten, ob die Bildung der Gesellenverbände durch ein Überangebot an Arbeitskräften oder durch eine Verknappung von Arbeitskräften ausgelöst wurde, fest steht aber, daß die fehlende oder schlechte Versorgung von kranken Gesellen im Haushalt des Meisters das Hauptmotiv war, das die Gesellen zur Begründung ihres Zusammenschlusses der Stadtobrigkeit gegenüber angaben 265 und damit mindestens teilweise Erfolg hatten; dabei mögen sie allerdings die Aufgabe der Aushandlung der Löhne unter den Scheffel gestellt haben. Die Versorgung im Krankheitsfall, nicht nur bei einem Arbeitsunfall, war für wandernde und seßhafte Gesellen eine Existenzfrage, da bei Arbeitsunfähigkeit der Lohn entfiel. Wurde diese Versorgungspflicht der einzelnen Meister nicht erfüllt, z. B. nicht in den Pestjahren mit vielen Krankheitsfallen, 263

264 265

W. Ebel, Gewerblich, S. 15. Bogs, a. a. O. Reininghaus. S. 176.

118

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

dann lag es nahe, daß die Zunft diese Aufgabe übernahm oder die Gesellen selbst eine gemeinsame Kasse ("Büchse") errichteten. Die starke Entwicklung der Gesellenverbände in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wird auf den Bevölkerungsrückgang durch die Pesttode und den dadurch hervorgerufenen Mangel an Arbeitskräften zurückgeführt. ,,Nicht die eine Epidemie von 1348 bis 1350, sondern das Aufeinanderfolgen von Pestwellen im weiteren Verlauf des 14. Jahrhunderts und später vergrößerte" die Ausgliederung der Gesellen aus den Zünften 266 . Auch die Mobilität der Gesellen nahm zu. Allerdings wurden in Kleinstädten seltener Gesellenvereinigungen gegründet, sie fehlen auch im Baugewerbe und bei den Metzgern. Wie bei den Meistem tauchen Vereinigungen zuerst in der Tuchherstellung und -verarbeitung auf.

2. Arbeitsrechtliche Ansprüche von Gesellen Für die Sicherung der Gesellen kamen im Mittelalter drei verschiedene Rechtsfonnen in Betracht: (1) Arbeitsrechtliche Pflichten der Meister, beruhend auf Gewohnheit, Arbeitsvertrag oder Gebot der Stadt oder übergeordneter Regelung, (2) Unterstützungen der Gesellen durch eigene Gesellenverbände, (3) Gemeinsame Unterstützungen der Zunft für einheimische und fremde Gesellen. Darin liegt auch eine zeitliche Reihenfolge, jedoch treten die drei Fonnen in den Städten und den Handwerksberufen zu jeweils unterschiedlichen Zeiten auf, jedoch nur selten alle drei an einem Ort gleichzeitig. Bereits im Sachsenspiegel von 1225 soll eine Regelung für den Arbeitsunfall von Gesellen enthalten sein 267 , nach der die Meister (Arbeitgeber) diese trotz des Arbeitsausfalls in Lohn zu behalten haben, jedenfalls ist eine derartige Bestimmung in die Stadtrechte von Hamburg 1270 (1292/ 1370) und Bremen 1303/ 1428 eingegangen 268 • Arbeitsrechtliche Regelungen und solche über Unterstützungen durch die Zunft sind in überregionalen Regelungen seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts enthalten 269 , nämlich in 1354 Knechteordnung der Hansestädte 1361 Bundesbrief der schlesischen Schneiderzünfte 1383 Beschlüsse des preußischen Städtetags gegen die Gesellen 266 267 268 269

Reininghaus, S. 180. Strobe, S .26; vielleicht Umkehrschluß aus Sachsenspiegel H Art. 39 § 2. W. Wemet, Handwerksordnung, S. 51 u. 507; Wissel 11., S. 453; Strobe, S. 27. Wissel H., S. 454.

3. Entstehung und Verbreitung der Gesellenverbände

119

1392 Vereinbarungen der niedersächsischen Städte über Gesellen 1421 Ordnungen der mittelrheinischen Städte, 1436 der oberrheinischen Städte.

3. Entstehung und Verbreitung der Gesellenverbände Diese gesetzlichen oder gesetzesgleichen Ordnungen sind für die Arbeitsverhältnisse der Gesellen, aber oft gegen die Gesellenverbände erlassen worden. Damit waren keineswegs die Auseinandersetzungen hinfällig geworden. Die Interessenlage der Gesellen wies diese auf eine weitere Minderung ihrer Abhängigkeit und auf die eigene Verwaltung der Kasse hin.

3.1 Die Entstehung der Gesellenverbände

So treten die Gesellenverbände im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts zahlreich und schnell aufeinanderfolgend in Erscheinung. Zusätzlich zu den 37 Verbänden der folgenden Übersicht sind im 15. Jahrhundert weitere 358 überliefert und im 16. Jahrhundert noch 26 hinzugekommen 27o; nur diejenigen aus dem 14. Jahrhundert sind in der Übersicht aufgeführt 271 • Frühe GeseUenverbände und ihre Statuten 1329-1400

Nr. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Jahr 1329 1331 1336 1337 1341 1343

Ort Breslau Berlin Zürich Duderstadt Regensburg Speyer

7. 8. 9.

1348 1350 1350

10. 11.

1355 1358

Straßburg Göttingen Reichenaul Mähren Basel Augsburg

Berufe Gürtler, Woll- u. Leineweber Weber Wollweber Schmiede Bäcker Weber, Wollschläger, Müller, Bäcker Wollweber, Woll schläger Schuhmacher Tuchweber

Statut

Weinleute Weber

X

X X X X X 1411 X 1355

(Fortsetzung nächste Seite)

270 271

Aus Reininghaus, Anhang 13, ausgezählt. FundsteIlen sämtlich bei Reininghaus, Anhang 13; Nr. 26 bei Kleeis, S. 32.

120

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

(Fortsetzung "Frühe Gesellenverbände und ihre Statuten 1329-1400") Nr.

Jahr

12. 13. 14.

1367

Augsburg

Bäcker

15.

1370

Lübeck

Schneider

Ort

Berufe

Statut

1365

Danzig

Müller

X

1365

Freiburg

Weber

16.

1372

Stendal

Kürschner

17.

1373

Riga

Bäcker

18.

1381

Hildesheim

Leinweber

19.

1381

Nürnberg

Schneider

20.

1381

Wismar

Brauer

21.

1385

Deutscher Orden

Schmiede, Bäcker

22.

1386

Konstanz

Wollweber

23.

1387

Schaffhausen

Weber

24.

1388

Königsberg

Bäcker

25.

1388

Soest

Schuhmacher

26.

1389

Speyer

Weber

27.

1392

Erfurt

Schneider

28.

1393

Zürich

Schneider

29.

1395

Überlingen

Schneider

30.

1397

Rothenburg ffauber Schmiede

31.

1397

Braunschweig

Wollweber

32.

1398

Straßburg

Wagner, Kistner, Drechsler

33.

1399

Rufach

Schmiede

34.

1399

Riga

Schmiede

35.

1399

Prag

Schlosser

36.

1399

Basel

Schneider

37.

1400

Basel

Schuhmacher, Weber

X X (Streiks 1316/1324)

X

X

In der älteren Literatur wird die Auffassung vertreten, daß sich die Gesellenverbände von Süd und West nach Norden verbreitet hätten 272 , diese Auffassung läßt sich bei der heutigen größeren Übersicht aber nicht mehr halten. ,,Das Auftreten der Gesellengilden in breitem Umfang geschah so spontan, daß nicht die Ausbreitung von einer Landschaft zur anderen für das Vorkommen in weiten Teilen Deutschlands verantwortlich gemacht werden kann 273 ." Immerhin ergibt sich aus der hier erstmals aufgestellten Übersicht, daß für gefestigte Gesellenverbände, insbesondere solche mit Statuten, vier frühe Bereiche ausgegliedert werden können, nämlich 272 273

Kraack, S. 36. Reininghaus, S. 179.

3. Entstehung und Verbreitung der Gesellenverbände

121

- in der Mitte Deutschlands zwischen Breslau und Göttingen mit Berlin und Duderstadt, - von Zürich bis Speyer und Augsburg mit Straßburg und Basel, - an der nördlichen Ostseeküste von Riga über Danzig - Königsberg bis Lübeck, dem Deutschen Orden und Wismar, - von Regensburg über Nürnberg bis Rothenburg. Das Risiko ,Krankheit' war um 1300 in den nordischen Gilden als Leistungsgrund bekannt, aber es trat nicht als Einkommensausfall wegen Arbeitsunfähigkeit in Erscheinung; eine unmittelbare Beziehung zu den Leistungen an Gesellen ist nicht nachweisbar, aber nicht ausgeschlossen. In Dänemark treten Gesellenverbände nicht vor 1402 auf. Die Gilde der Schmiedeknechte von Duderstadt mit ihrer Sorge für Kranke ab 1337 deutet auf das Vorbild der Bergleute am Rammelsberg in Goslar hin, obwohl deren Form der Krankenversorgung in einem Hospital wohl früher, aber nicht um diese Zeit bekannt ist; auch im Bergbau waren Schmiedeknechte mit der Wartung des Werkzeugs beschäftigt. Die Umlage für die Krankenversorgung könnte möglicherweise von den Bergleuten übernommen worden sein, aber auch aus Dänemark oder Flandern. Auf andere Ursachen geht die Errichtung eines Gesellenverbands der Wollweber 1356 in Zürich zurück, wenn er auch nicht der erste dieses Gewerbes war; 1332 hatte sich Luzem, 1351 Zürich der Schweizerischen Eidgenossenschaft angeschlossen, die selbst auf der freien Einung beruhte. Daher dürfte die Meistergilde der Wollweber in Zürich und dementsprechend der Stadtrat ftir die Gildebewegung aufgeschlossen gewesen sein. Die Gestaltung der Krankenversorgung dort mit der von Duderstadt weist großenteils Übereinstimmung auf, diese kann durch ein gemeinsames früheres Statut zustandegekommen sein. Von Gildestatuten der Webermeister hingegen kann die Krankenversorgung nicht entlehnt sein, weil diese - anders als bei der Sorge für das Begräbnis - eine solche nicht vorsahen. Die Gesellenverbände in den Städten an der Ostseeküste, die erst in der zweiten Generation (ab 1365) auftreten, gehen auf Wanderungen der Gesellen zurück. Es ist auffallig, daß bis zum Ende des 14. Jahrhunderts in allen anderen Gebieten, vor allem nicht am Rhein unterhalb von Speyer und am Main, Gesellenverbände nicht überliefert sind.

3.2 Die Statuten der Gesellenverbände

Von den Gesellenverbänden aus dem 14. Jahrhundert sind zwölf Statuten überliefert, die meist auch Leistungen für den Fall der Krankheit, des Todes und I oder des Arbeitsplatzwechsels regeln (siehe die Übersicht). In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts treten folgende Statuten274 mit derartigen Leistungen hinzu:

122

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden Jahr

Ort

Berufe

1414

Riga

Schuhmacher Schneider

1415

Schleswig

1445

Wien

Kürschner

1447

Hamburg

Brauer

1447

Danzig

Leinweber

1452

Hamburg

Bartscherer

Trotz der relativ geringen Anzahl von Statuten mit ausdrücklichen Regelungen ist - anders als bei den Zünften und Gilden - zu vermuten, daß in allen Gesellenverbänden Leistungspflichten für die Fälle von Krankheit, Tod und Arbeitsplatzwechsel bestanden; denn neben der Einflußnahme auf die Lohnhöhe bildeten diese drei die wichtigsten Anliegen der Gesellen und gaben den Gesellen Veranlassung, dem Verband beizutreten.

3.3 Die Zugehörigkeit zum Gesellenverband

Wie für die Meister in den Zünften war auch für die Gesellen der gemeinsame Status, also die selbstverständliche Zugehörigkeit zu ihrem Berufsstand mit seinen ungeschriebenen Pflichten maßgebend, die Gesellenverbände jedoch beruhten infolge der Wanderungen der Gesellen auf freiwilligem Beitritt, und ohne diesen war der Geselle schutz- und rechtlos, ausgenommen die Meistersöhne. Trat der Geselle privatrechtlich und "freiwillig" dem Verband bei, gehörten zu seinem Status auch die Regelungen über die Versicherung bei Krankheit. Schon mit der Errichtung der ersten Gesellenverbände werden auch die Elemente der Krankenversicherung festgelegt, sind sie doch durch die Abhängigkeit des Gesellen durch die Arbeit vorgegeben. Der Personenkreis für die Krankenversicherung war durch die Ausgliederung der Gesellen aus der Zunft bestimmt, auch wenn die Gesellenschaft im Einzelfall (Stendal 1372) noch als Teil der Zunft in dieser verblieb 275 • Mit der Trennung der bei den Personengruppen wurde den Unterschieden der Risiken von Meistern und Gesellen Rechnung getragen, ohne weiteres erkennbar bei der Übernahme der Arbeitsvermittlung durch die Gesellengilden, ebenfalls aber dadurch, daß bei Krankheit das Einkommen des Meisters nur geschmälert wurde - er konnte meist seine Gesellen einsetzen -, es bei der Arbeitsunfähigkeit des Gesellen infolge Krankheit aber wegfiel. Zwar sprechen die Statuten meist nur von Krankheit oder Siechtum, aber die Lohnzahlungspflicht setzt erst bei Wegfall des Lohnanspruchs oder seiner

274

Wissel I. S. 117 f., 11. S. 453 f., III. 362,414,428.

m W. Wemet, Handwerksordnung, S. 51.

4. Leistungen und Beiträge der Gesellenverbände

123

- häufigen - Nichterfüllung 276 ein. Mit der Isolierung der Risiken Krankheit! Arbeitsunfähigkeit wurden diese erfaßt, also kalkulierbar.

4. Leistungen und Beiträge der Gesellenverbände 4.1 Bei Krankheit und Tod

Durchgängig sahen die Statuten der Gesellenverbände Leistungen für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vor. Auch wurde in den Gesellenverbänden für das Begräbnis gesorgt, jedoch hauptsächlich durch die Beteiligung an der Beerdigung und der Seelmesse. Auf diese letzteren wirkten zu viele Einflüsse ein, u. a. religiös-kultische Gebräuche, städtische Ordnungen und hier auch ausnahmsweise die Vorbilder für die Meister in den Zünften. Zur Veranschaulichung werden im folgenden zwei Regeln aus den frühesten bekannten Statuten 277 abgedruckt: Statut der Wollwebergesellen in Zürich 1336 das kein (sc. ein) knecht under uns so krank wirt, von siechtorne, so gant denne die vier knechte (sc. die Büchsenmeister) zu mit der gemeinde guten willen und gunst und Iichent denne dem siechen knechte uf bürgen oder uf phant, das er fürbas müge komen. Und ist och, das der knecht geniset, so sol er das gut wider in die büchsen legen, so er iemer erst mag. Ist aber, das er stirbet, so begraben wir in mit der gabe. Ordnung der Schmiedeknechte zu Duderstadt ab 1337: Welk smedeknecht de broderschop der smedeknechte hedde, worde derjemigh krank, deme scholde me doyn acht ein pennige ut der bussen. Deydes aver öme nod, so scholde me öme aver acht ein pennige Iygen. Weret dat he upgueme ut der krankheit so scholde he dat wedergeven von syme erste lone, dat he ummer verdende, weret aver hat he storfe, so schall he geven eyn pfunt wasses und dat ghelt weder von deme synen, dat he leth; hefft he aver des nicht, so schall man öme des geldes und wasses los laten umme goddes willen.

Die Statuten der Gesellengilden stellten dem kranken Gesellen die Leistungen zur Verfügung, die dem damaligen Stand des Gesundheitswesens entsprachen 278 , zum einen die Beistandspflichten der Mitgesellen, namentlich die Pflege einschI. Nachtwachen, zum andern, wenn nötig und möglich, die Arzt-/Badekosten, die Kosten einer Pflegerin und später die Aufnahme in ein Spital ohne oder mit Verpflegung; auch der "Kauf' eines Betts in einem Spital, das für die Gesellengilde bereitgehalten wurde, gehörte im Verlauf des 15. Jahrhunderts dazu. Für die Kosten wurde dem Gesellen ein Betrag gezahlt, bei längerer Dauer wiederholt; dieser Betrag galt als unverzinsliches Darlehen, die Rückzahlung war allerdings nur für Reininghaus, S. 337. 1336 aus Reininghaus, S. 261; 1337 aus Peters, S. 26; weitere Beispiele daselbst und bei Kleeis, S. 33 f. 278 Eingehend Reininghaus, S. 265 f. 276 277

!24

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

den Fall vorgesehen, daß der Kranke wieder Lohn erhielt; dann sollte er es von seinem ersten Lohn erstatten. Die Leistungen bei Krankheit werden im Laufe der Zeit ausführlicher und daher differenzierter geregelt, so ablesbar aus der Schrage (Statut) der (deutschen) Schuhgesellen in Riga 1414 (Bruderschaft der elendigheidt (Auswärtigen) unserer lieben Frau)279; danach gilt bei Krankheit: a) Bei einem Schwerkranken sollen zwei Gesellenbrüder des Nachts wachen. b) Hat er nichts zu verzehren, so soll man dem Kranken dreimal nacheinander einen Geldbetrag aus der Büchse, der Kasse der Gesellen, leihen, und beim vierten Mal sollen alle Gesellen einen festgesetzten Betrag für den Kranken spenden, also ohne daß dadurch die Kasse belastet wird und der Betrag zurückzuzahlen ist. Die geliehenen Beträge sind vom ersten Arbeitslohn zurückzuzahlen. c) Wird ein Geselle auf der Wanderung in der Fremde krank, so sollen seine Gildeund Wanderbrüder bei ihm bleiben, bis sie erkennen, ob er durchkommt oder stirbt. d) Auch sollen sie notfalls für seinen Verzehr Geld leihen, das der Kranke nach Genesung zurückzahlen muß. e) Stirbt der Kranke in der Fremde, so sollen seine Wanderbrüder ihn bestatten und dürfen seine Kleider verkaufen und sich daraus den geliehenen Betrag zurücknehmen; reicht das nicht, so soll man ihnen den restlichen Betrag aus der Büchse der Gesellengilde geben. Zu jeder dieser fünf Leistungen gibt es in Gesellengilden anderer Gewerbe in Riga und im gleichen Gewerbe in andern Städten Varianten. So wurde bei den Schmiedegesellen Rigas 1399 die Wache bei dem Kranken einer Frau übertragen und der Kranke sollte nach der dritten Zahlung des Krankengelds in ein städtisches Spital für Auswärtige überstellt werden 28o . Die Leinewebergesellen in Danzig 1447 nennen zu der zu verwertenden Kleidung ausdrücklich den Hut des Toten und die vorgenannten Schmiede den gesamten Nachlaß 281 . Die Zahlung des Krankengelds war u. a. nicht von Armut abhängig, sondern von einer als vorübergehend angenommenen Illiquidität des Gesellen; denn er brauchte seine Habe nicht zu veräußern, wie aus dem Verkauf derselben im Todesfall hervorgeht. Daß die Gesellenstatuten die Rückzahlung des Krankengelds verlangen, ist aus der Sicht des Arbeitsverhältnisses zu erklären, in dem ein Vorschuß des Meisters auf den Lohn üblich war; hier wurde der Meister durch die Gesellenkasse vom Vor-

279 280 281

Wisse!, 11. S. 453 f. Wisse!, 11. S. 452 u. IV. S. 441. Wisse!, 11. S. 454.

4. Leistungen und Beiträge der GeseIlenverbände

125

schuß entlastet. Zu dem Risiko, daß auch der gesundete Geselle den Vorschuß nicht zurückzahlte, trat das des Todes des Gesellen und das Fehlen eines ausreichenden Nachlasses, und dieser Fall dürfte häufig gewesen sein, z. B. in Pestjahren. Die Leihe des Krankengeldes war also von vornherein mit der Gefahr, daß die Rückzahlung entfiel, belastet und diese also von Bedingungen abhängig. Außerdem werden die kranken Gesellen tatsächlich durchweg kein Vermögen gehabt haben 282 , sodaß eine Bedürfnisprüfung ohnehin sinnlos gewesen wäre. Die gesamte Regelung der Statuten ergab sich unmittelbar aus den vorgegebenen Lebensumständen der in abhängiger Arbeit stehenden Gesellen.

4.2 Bei Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung

Dasselbe gilt erst recht für die Leistungen der Gesellenverbände bei der Arbeitsvermittlung wandernder Gesellen. Sie bestanden in - der Zuweisung einer Herberge bei der Ankunft; - der Aufnahme unter die Gesellen als Zulassung zur Arbeit in dieser Stadt; - der Unterrichtung über die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsmarkt; - des Sendens des Gesellen auf die Umschau unter den Meistern; - die eigentliche Vermittlung, ausschließlich durch Gesellenälteste; - beim Weiterwandern gegebenenfalls in einem Zehrgeld für die Reise, so z. B. 1447 die Bäckergesellen in München 283 . Die Gesellenverbände hatten das Monopol der Arbeitsvermittlung erstritten, vor allem in Zeiten der Knappheit an Arbeitskräften. Die Gebräuche unter den Gesellen bei der Arbeitsvermittlung sind besonders von Rudolf Wissel, Reichsarbeitsminister 1928 - 1930, gesammelt 284 und veröffentlicht worden. Die Gesellenverbände gründeten in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in den meisten Städten eigene Herbergen 285 . Bei der Tätigkeit der Gesellenverbände handelte es sich vielfach um tatsächliche, aber geldwerte Hilfen und Beratung, in geringerem Maß um Geldleistungen. Die Beweggründe waren nicht karitativ, sondern wirtschaftlich, nämlich Mitbestimmung bei den Arbeitsbedingungen und Ausschluß von Lohndumping, und organisationspolitisch, nämlich Gewinnung von Mitstreitern und Nachwuchs. Es war zwar nur teilweise eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, aber eine Vorbeugung dagegen mittels Dienstleistungen der Gesellenältesten, deren Kosten durch Beiträ-

282 283 284 285

Reininghaus, S. 263 f., mit Beispielen. Kleeis, S. 33. Vorwort I. Reininghaus, S. 277.

126

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

ge finanziert wurden. Es läßt sich daher als ein versicherungsähnliches System bezeichnen.

4.3 Bei Gefangenschaft - Lösegeld Ein für Gesellen außergewöhnliches Risiko wird in dem Schragen der Schmiedegesellen in Riga von 1399 in Art. 10 geregelt 286 und gedeckt: ,,Als nächstes: Wird einer unsrer Brüder ohne seine Schuld gefangen in der Stadt oder aussen auf dem Land oder auf dem Wasser, so sollen die andem Brüder ihm helfen, daß er frei wird, und ihm zu seiner Notdurft zu essen und zu trinken geben, derweil er im Gefängnis ist."

Riga, obwohl mit Deutschen besiedelt, gehört 1399 noch zum Königreich Dänemark, und so ist es nicht verwunderlich, daß sich hier in einem Gesellenstatut das Risiko der Gefangenschaft wiederfindet, das bei den dänischen Gilden und auch der in Riga mit der Pflicht zum Autbringen von Lösegeld gedeckt wird, bei den Gesellen allerdings nur mit der Verpflegung im Gefängnis und zwar, wie bei Krankheit, zu Lasten der cumpanye, also des Gesellenverbands. Abweichend vom Prinzip der Hilfe in den (älteren) Gildestatuten wird die Leistung bei den Gesellen davon abhängig gemacht, daß der Gefangene "ohne seine Schuld" einsitzt. Die "Freiheitsversicherung" (siehe oben 5. Kap. 2.3.2) ist hier also von einer Bedingung abhängig gemacht.

4.4 Beiträge und Finanzierung Die Regelung der Beiträge war in den Gesellenverbänden in jeder Hinsicht vom Lohn abhängig, wie gegenwärtig in der Sozialversicherung. Die Zahlungsfristen waren mit denen für die Löhne abgestimmt und die Beitragshöhe mit der Lohnhöhe, teils in Abstufungen bei niedrigem Lohn. Anhand des reichen Materials hat Reininghaus 287 einige wichtige Vergleichszahlen ausrechnen können, allerdings für das 15. Jahrhundert: a) Die Zahlung bei Krankheit an den Gesellen entsprach je nach Statut einem Lohn zwischen zwei und neun Wochen. b) Die Beiträge zu den Gesellengilden erreichten 2 bis 12% des Lohnes, wobei oft zwei Stufen vorgesehen waren. Zum Teil hängen die Unterschiede damit zusammen, daß im 15. Jahrhundert die absoluten Beiträge auf ein Vielfaches derer des 14. Jahrhunderts stiegen.

286 287

Wissel, I. S. 385 (aus Stieda/Mettig, Schragen der Gilden, S. 462 f.). Reininghaus, S. 338.

5. Die Versicherungen in den Gesellenverbänden

127

c) Würden sämtliche Mitglieder krank geworden sein, so würde das Beitragsaufkommen eines Jahres für Zahlungen von I 1/2 bis 4 1/2 Wochen ausgereicht haben. Die Beiträge wurden teils von den Büchsenmeistern (Kassenwarten) an den Lohnzahlungstagen eingesammelt, teils waren die Gesellen verpflichtet, sie an den Zahltagen zu Sammelstellen zu bringen, die dann zu Gesellenversammlungen wurden. Die Beiträge wurden in eine "Büchse" geworfen, diese von Zeit zu Zeit in eine größere entleert, deren Verwaltung in späteren Jahrhunderten Streitigkeiten mit den Meistem und der Obrigkeit mit sich brachte. Der Anteil, den die Ausgaben für das Risiko Krankheit an den Gesamtausgaben der Gesellengilden ausmachten, ist nicht näher bekannt. Aus der Büchse wurden auch die Ausgaben für die Begräbnisse von Gesellen, sonstige religiöse Ausgaben, z. B. für Kerzen, für gemeinsame Mahlzeiten u. ä. bestritten. Andererseits flossen außer den allgemeinen Beiträgen auch die Einnahmen aus den unterschiedlich hohen Einstandsgeldern, aus Strafen und Spenden in die Büchse der Gesellengilden. Auch wurde bei stärkerem Anfall von Krankheitskosten, z. B. in Pestjahren, auch besondere Umlagen erhoben. Selbstverständlich tauchen in Berichten der Zeit häufiger die Ereignisse und Ausgaben in den Gesellengilden auf, in denen die Auswüchse der Gelage und der Lohnstreitigkeiten beschrieben werden, aber nach den damaligen Lebensumständen, vor allem der sehr kurzen Lebensarbeitszeit der Gesellen, haben die Ausgaben für Krankheit und Begräbnis den Löwenanteil an den Gesamtausgaben ausgemacht. Darüber wurde gelegentlich in unvollkommener Weise buchgeführt. So sind aus einem ,,Einnahme- und Ausgabenregister" der Braunschweiger Kürschnergesellen von 1441 bis 1453 die Aufgaben der Gesellengilde ersichtlich288 : "Sie zahlte für Grabpflege, Arztkosten (Amputation einer Hand), Reinigung von Leichentüchern, Kerzen, Boten, Aushebung des Grabes, Badegeld, ein Faß und Weißbrot, Verpflegung der Totenwachen und für einen Sterbenden." Es handelt sich überwiegend um Ausgaben für Kranke und für den Todesfall.

5. Die Versicherungen in den Gesellenverbänden Stellt man die geschilderten Regelungen zusammen, so finden sich an Elementen einer Versicherung - der klar abgegrenzte Personenkreis; - die Isolierung der Risiken Krankheit und Arbeitsunfähigkeit, Begräbniskosten, Arbeitslosigkeit; - die Bestimmtheit der Leistungen und Beiträge;

288

Reininghaus, S. 341 f.

128

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

- die Einengung des "versicherungstechnischen Risikos" in doppelter Weise, nämlich auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit und auf die Fälle des Entfallens der Pflicht zur Rückzahlung des Darlehens; - die Unabhängigkeit des Leistungsanspruchs von der Prüfung der wirtschaftlichen Lage (Armut); - der Übergang von der nachträglichen Umlage zur regelmäßigen vorherigen Beitragszahlung bei der Lohnauszahlung; - die stetige Gefahrübernahme auf den Gesellenverband; - die Kalkulierbarkeit des Risikos und des Beitrags- / Leistungsverhältnisses; - die vielfachen Vorkehrungen zugunsten der Rechnungskontrolle der Beiträge und Leistungen 289 ; - die Bildung von Rücklagen, wenn auch nicht durchgängig; - die Existenz eines "Versicherungsträgers". In die Festsetzung der Beiträge müssen Erfahrungen über die zu erwartenden Ausgaben und die Einnahmen in Abhängigkeit von den Lohnsummen eingegangen sein. Aus den "Einkäufen" von Pflege plätzen in Hospitälern hat Reininghaus 290 auf langjährige Sparvorgänge geschlossen. Der hohe Inhalt der ,,Büchsen" führte später auch zu den Versuchen der Zünfte und der Stadtobrigkeit, deren Verwaltung an sich zu ziehen. Das Bild wird nicht wesentlich dadurch gestört, daß aus der "Büchse" auch "versicherungsfremde" Ausgaben in gewissem Maße flossen. In der vorstehenden Aufstellung fehlt keines der für eine Versicherung wesentlichen Elemente, die Gesellenverbände des 13. Jahrhunderts waren also Träger von Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherungen. Über das Motiv der früheren Gilden und Zünfte, "das brüderliche Liebesgebot,,291 und die christliche Caritas sind die Gesellenverbände von Anfang an hinausgegangen. Sie traten als Ersatz für die Arbeitgeberpflicht der Krankenversorgung ein, also der Pflicht aus einem entgeltlichen Rechtsverhältnis, und setzten an dessen Stelle ein anderes Verhältnis gegenseitiger Rechte und Pflichten mit relativ geringen Spielräumen. Sie verrechtlichten das brüderliche Verhältnis der Gildegenossen, beschränkten es auf wenige Ausschnitte (Risiken) aus dem früheren Gildeleben, dachten und berechneten wirtschaftlich. Der Beitritt zum Gesellenverband schuf nicht wie in Gilde und Zunft eine lebenslängliche Gemeinschaft, sondern eine zeitweilige, bis zur nächsten Wanderung oder zum Aufstieg zum Meister. Der versicherungsmethodische Fortschritt besteht vor allem darin, daß mit den Gesellenverbänden ein fester rechtlicher Rahmen trotz wechselnder Mitglieder und in der "Büchse" ein Versicherungsträger geschaffen wurde, letzterer als juristische Person, vermutlich unter dem Ein-

289

290 291

Reininghaus, S. 339 f. Reininghaus, S. 268. Reininghaus, S. 269.

6. Die Sterbekasse der Brauergesellen in Harnburg im 15. Jh.

129

fluß des inzwischen rezipierten Römischen Rechts. Damit war die erste vollständige Personenversicherung des Mittelalters ins Leben getreten. Die Entwicklung der Gesellenbüchse führt später zu einer Dreiteilung der Büchse in eine Krankenbüchse, eine Almosenbüchse und eine allgemeine Büchse, so bekannt (allerdings erst) bei den Schneidergesellen in Nürnberg um 1600292 . Auch das Eintrittsgeld und der Beitrag wurden aufgeteilt, sodaß eine getrennte Rechnung entstand. Ein anderer Weg zum gleichen Ergebnis war die Einrichtung einer besonderen Krankenversicherung ("Krankenkasse") für Gesellen in der Zunft - so 1372 bei den Kürschnern in Stendal 293 - oder die Ausgliederung einer Sterbekasse (siehe unten 6.). Wie argwöhnisch auf die Ausgaben geachtet wurde, zeigen auch Regelungen, nach denen die ,,Büchse" mit zwei Schlössern versehen ist, von deren Schlüsseln einer sich in der Hand eines Meisters befindet. Die Einteilung der Versicherung in Individual- und Sozialversicherung wird in der Gegenwart von der Zugehörigkeit zum privaten oder zum öffentlichen Recht abhängig gemacht, auch - nicht durchgängig zutreffend - von der Freiwilligkeit, d. h. dem Abschluß eines Vertrags, oder der Pflichtversicherung "ex lege". Für das Mittelalter sind diese Maßstäbe nicht brauchbar. Die Unterscheidung in privates und öffentliches Recht war damals mindestens nicht geläufig. Die Zünfte u. a. selbst wären in dieser Zeit nicht nach diesen Maßstäben einzuordnen, weil sie einerseits oft frei gebildet waren, andrerseits zu einem großen Teil vom Stadtherrn, z. B. dem Bischof, oder der Stadtregierung privilegiert waren und teilweise städtische hoheitliche Aufgaben, z. B. bei der Stadtverteidigung, wahrnahmen. Die GeseIlenverbände sind von der Einordnung in die städtische Ordnung in ihrer Anfangszeit weiter als jene entfernt und entsprechen den heutigen Gewerkschaften, also privatrechtlichen Vereinen. Der Beitritt war rechtlich freiwillig, wirtschaftlich jedoch erzwingbar, der Entscheidungspielraum also eng. Die innere Gestaltung der Versicherung entspricht voll und ganz der der heutigen Sozialversicherung.

6. Die Sterbekasse der BrauergeseUen in Hamburg im 15. Jahrhundert In Hamburg wird 1447 eine Unterstützungs- und Sterbekasse der Schoppenbrauer-Brüderschaft St. Vincentii gegründet, der vom 16. bis ins 18. Jahrhundert hinein zwanzig andere berufliche Brüderschaften folgen, z. B. 1513 die der Fischer, 1544 die der Schiffbauer, 1588 die der Wundbereiter294 . Während oft hierin Einrichtungen der Gilden/Zünfte gesehen werden, zeigt der ursprüngliche Name "Fundation der Brauerknechte-Bröderschop St. Vincentii,,295, daß es sich um eine besondere Wisse!, IV. S. 4. W. Wemet, Handwerksordnung, S. 51; von Wissei, 11. S. 452, fehlgedeutet; vgl. Reininghaus, S. 339. 294 F. Ebel, Quellennachweis, S. 227 f. 292 293

9 Schewe

130

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

Art eines Gesellenverbands handelt, der aus der Bruderschaft hervorgegangen ist; denn die Gründer berufen sich auf die schon bestehenden "Sitten und Gewohnheit der Bröderschop." Die Bezeichnung "Schoppenbrauer" ist erst im 17. Jahrhundert aufgekommen 296 • Die Besonderheit der Brauer-Gesellen bestand darin, daß diese nicht lange Zeit für einen einzigen Brauermeister oder Brauherrn (Regalbesitzer) arbeiteten, sondern je nach Bedarf gerufen und eingesetzt wurden, andrerseits arbeiteten sie nicht für eigene Rechnung, sondern für einen Braumeister. Die Aufgaben dieser Bruderschaft unterschieden sich nur wenig von denen anderer, allerdings haben im Statut die organisatorischen Regeln ein großes Gewicht. Von besonderen Unterstützungen, auch im Krankheitsfall, ist nicht die Rede, wohl aber von Almosen dafür, auch vom Bezahlen der Priester, vom Rentenkauf und der Vergabe von commendae (siehe unten 11. Kap. 1.1). Bei den Almosen sollen Brauer-Knechte bevorzugt werden, aber ein Anspruch darauf ist 1447 nicht festgelegt. Den verstorbenen Brüdern und Schwestern sollen Bahrtuch und Lichter gebracht und der Sarg getragen werden; die Brüder sollen am Begräbnis teilnehmen und den Seelbrief und viele Messen bezahlen. Dafür werden "Pflichtgelder" erhoben. In späterer Zeit, sicherlich ab 1594, werden im Krankheitsfall relativ hohe Wochengelder, im Todesfall auch ein guter Sarg bezahlt und die Waisen unterstützt. Eine ähnliche Praxis kann trotz der zurückhaltenden Fassung des Statuts von 1447 schon damals geübt worden sein. Die Verselbständigung der Aufgabe der Brüderschaft, für den Kranken und die Begräbnisse der Brauer-Knechte zu sorgen, stellt die Isolierung dieser Risiken dar und führt eine gesonderte Rechnung und Kasse dafür ein; es handelt sich also um eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit, eben die erste Sterbekasse eines Gesellenverbands. Wie der Name besagt, handelt es sich um eine weltliche Ausgliederung aus einer kirchlichen Bruderschaft, und sie ist dem Risiko des Todes gewidmet, sowohl der Begräbniskosten wie der Unterstützung der Hinterbliebenen. Sie und andere Verselbständigungen sind vermutlich auf die allmähliche Rezeption des Römischen Rechts zurückzuführen, das die Konzeption einer juristischen Person, durch die Ausgliederung jener deutlich, mit sich brachte.

7. Leistungen der Zünfte/Gilden an Gesellen Die arbeitsrechtlichen Pflichten der Meister bei Arbeitsunfähigkeit in folge betriebsbedingter Krankheit einerseits, die Forderungen der Gesellen nach Leistungen bei Krankheit schlechthin andrerseits führten nicht nur zu einer Lösung der Krankenversicherung in Gesellenverbänden, sondern auch zu einseitigen oder zweiseitigen Lösungen innerhalb der Zünfte / Gilden zu deren Lasten; bisher wurde 295 296

Wisse), III. S. 428. Wisse), III. S. 362.

7. Leistungen der Zünfte / Gilden an Gesellen

131

in der versicherungsgeschichtlichen Literatur durchweg nicht zwischen diesen Sparten unterschieden. 7.1 Statuten der Zünfte/Gilden mit Leistungen an Gesellen Um der Entstehung von Gesellenverbänden zuvorzukommen oder unter der Bedrängnis jener beginnen Zünfte zwei Jahrzehnte nach jenen, also in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, kranke Gesellen durch Geldzahlungen zu unterstützen. Die Ordnung der Schmiede in Flensburg nach 1400 beruft sich als Grund für diese Regelung ausdrücklich auf die "elenden", auswärtigen Gesellen, die wohl krank zuwanderten 297 . In der folgenden Übersicht sind Zünfte I Gilden aufgeführt, von denen derartige Regelungen überliefert und bekannt sind298 • Zeittafel Jahr

Ort

Gewerbe

Risiko

1355

Straßburg

Bender (Küfer)

Krankheit, Tod

1386

Konstanz

Wollenweber

Krankheit

nach 1400

F1ensburg

Schmiede

Krankheit, Tod

1415

Schleswig

Schneider

Krankheit

1452

Hamburg

Bartscherer

Krankheit

1459/1464

Straßburg

Steinmetze

Krankheit, Tod

1478

Sti"aßburg

Zimmerleute

Arbeitsunfall

1488

F1ensburg

Böttcher

Krankheit, Tod

Die erste und einfachste Vorschrift enthält die Satzung der Bender in Straßburg 1355: ,,Auch wurde der knechte eyner sych, so Iyhen wir ime dry schiIIinge alse lange bis sin achtzehen schillinge schwerden; sturbet he, so begrabin wir in glichirwis also unser meystir eynen."

Die Vorschrift enthält bereits das Prinzip, daß die Meister das Krankengeld für die Gesellen aufbringen und in Raten wie den Arbeitslohn auszahlen, allerdings formal nur ausleihen, hier sogar sechsmal, also wahrscheinlich für sechs Wochen. Noch werden die Gelder von allen Meistern, nicht schon aus der "Büchse" der innung genommen. Besonders klar wird die Gleichheit von Meister und Geselle im Begräbnis ausgesprochen, der Geselle ist noch in die Innung eingebunden. Auch die späteren Statuten halten an der Leihe des Krankengelds fest und regeln die Rückzahlung näher. So muß bei den Wollenwebern in Konstanz 1386 der kran297 298

9'

Wissel, 11. S. 458. Sämtlich aus Wissel, 11. S. 453-458, V. S. 358 u. 368; für 1355 auch bei Peters, S. 25.

132

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

ke Geselle entweder ein Pfand geben oder geloben, daß er nicht eher aus der Stadt "fährt", bis er das Darlehen zurückerstattet hat 299 . Die Rückerstattung wird vermutlich in mehr als der Hälfte der Fälle uneinbringlich gewesen sein, nämlich bei den Gesellen, die an der Krankheit verstorben sind oder dauernd siech oder arm blieben oder das Pfand, z. B. ein Hut, zu wenig einbrachte oder der Geselle doch abwanderte. Hier ging also die Krankenversicherung in eine Kreditversicherung über, ohne daß dies den Beteiligten klar gewesen sein wird. Die späteren Regelungen werden ausführlicher, aber nicht anders oder klarer. Spätestens 1386 und erst recht nach 1400 werden die Krankengelder "aus der Büchse" gezahlt, also nicht aus einer Umlage, sondern aus der verselbständigten Kasse der Zunft. Die Gleichbehandlung von Meister und Geselle beim Begräbnis in der Ordnung von 1455 wird sonst nicht so deutlich herausgestellt, aber bei den Steinmetzen 1459/64 zugunsten der Meister auf die Geldzahlung bei Krankheit ausgedehneoo , weil in diesem Gewerbe auswärtige Arbeitsstätten häufig waren. Auf das Krankengeld bei Siechtum, das die Gesellen erhielten, wurde die Gleichberechtigung der Meister nicht ausgedehnt. Es handelt sich bei diesem Krankengeld um einen Übergang von der Sicherung der Gesellen auch zu der der Meister, die sonst vor 1500 aus den Gilden und Zünften in Deutschland keinerlei Leistungen erhielten 301 (siehe unten 8. Kap. 1.1).

7.2 Die Versicherungen der Zunjtleistungen - Haftpflichtversicherungen

Mit der Übernahme von Verpflichtungen gegenüber Gesellen auf die Zunft, Innung u. ä. treten mehrere Wirkungen ein: - Aus der allgemeinen Aufgabe der Zunft wird eine spezielle Leistungspflicht verselbständigt, es werden also die Risiken der Gesellen isoliert. - Die Bedingungen für die Leistungen, deren Dauer und Höhe werden umschrieben und ersetzen die unbestimmten Begriffe ,,Notlage" / "Verarmung" u. ä., die Ansprüche werden kalkulierbar. - Der einzelne Meister wird durch die Verteilung der Belastung aus dem Risiko Krankheit entlastet. - Die Haftung des Meisters für Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen wird von der Zunft übernommen, die zur Finanzierung Beiträge von allen Meistem erhebt. 299 Schiedsspruch für die Wollenwebermeister und -gesellen zu Konstanz am 3. 4. 1386, zu 4., abgedruckt bei W. Ebel, Quellen, Nr. 4 S. 31. 300 Bauhüttenordnung, aufgezeichnet 1486, abgedruckt bei W. Ebel, Quellen, Nr. 12 S. 45. 301 Die Darstellung Kochs, daß die Zünfte um 1150 an Meister soziale Leistungen gewährten und die Gesellenbruderschaften später ähnliche (siehe Stichworte zu 1150), entbehrt in jeder Hinsicht einer Grundlage.

8. Entwicklungslinien der Sozialversicherungen im Mittelalter

133

- Darüber hinaus werden Krankheiten aller Art, soweit sie Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben, versichert. - Die Innungen, Zünfte und gegebenenfalls deren Untergliederungen treten dabei als selbständige Kassen und damit als juristische Personen auf. An den Formulierungen läßt sich erkennen, daß noch nicht 1355, wohl aber 1386 von einer "Büchse" und damit einer jur. Person gesprochen wird. Damit sind wichtige Elemente einer Versicherung gegeben. Daß die Finanzierung der Ansprüche der Gesellen aus der Zunftkasse erfolgt, spricht nicht gegen eine Versicherung, weil man eine Versicherung zugunsten Dritter annehmen kann; auch ist dies mit der heutigen alleinigen Beitragszahlung der Arbeitgeber in der sozialen Unfallversicherung vergleichbar. Allerdings bringt die Zahlung aus der Zunftkasse es mit sich, daß die Risiken nicht auch auf der Beitragsseite getrennt werden, sodaß eine Zurechnung des Aufwands zur Leistung noch fehlt. Daher handelt es sich hier um die Konstruktion einer gemeinschaftlichen Deckung von Versicherungsleistungen durch Dritte, die als versicherungsähnliche Einrichtung zu klassifizieren ist. Später sind dann gesonderte Beiträge hinzu- oder an die Stelle der allgemeinen Zunfteinnahmen getreten. So findet sich in der oben erwähnten Ordnung der Bender-Zunft in Straßburg von 1355 der Zusatz aus dem Jahre 1377302: ,,Auch sal eyn iglich megstir für (einen knecht) geben achtzehn heller zu dem jahre eyns uff sand Jacobs dag und sin zusleger in der selben forme mine aide heller."

Spätestens seit derartigen Regelungen, also von 1377 und damit von Anfang an, ist auch die Selbständigkeit der Versicherung nicht zweifelhaft. 7.3 Vergleich zum Bergbau

Auch wenn die Krankenhilfe der Zünfte / Gilden für die Gesellen aus der Konkurrenz zu den eigenen "Büchsen" der Gesellen zu erklären ist, so ist daneben darauf hinzuweisen, daß ähnliche gemeinsame Hilfen der Arbeitgeber schon früher im Bergbau in Goslar Gewohnheit waren, allerdings nur oder hauptsächlich für Arbeitsunfalle, spätestens seit 1260, mit dem Vorläufer eines Hospitals schon seit 1200. Ob ein Wirkungszusammenhang sich belegen ließe, bleibt im Ungewissen. 8. Entwicklungslinien der Sozialversicherungen im Mittelalter Die Versicherung der Berggewerken (Arbeitgeber), der Bergleute, der Handwerksgesellen und der Handwerksmeister für die Gesellen sind als Erscheinungsformen der frühesten Sozialversicherung zu betrachten; sie haben sich um die vorindustriellen Arbeitsverhältnisse vor allem im Bergbau gebildet. 302

Aus Schirbel, S. 86; W. Wemet, Handwerksordnung, S. 51.

134

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

8.1 Die Reihenfolge der Versicherungsarten Die Entstehung der mittelalterlichen Sozialversicherungen

1200

Arbeitsrechtliche Fürsorgeverpflichtungen des einzelnen Arbeitgebers bei Arbeitsunfällen und bei Aufnahme von Gesellen in die häusliche Gemeinschaft

1250/1260

Erste Übernahme der Arbeitgeberpflichten durch eine gemeinsame Einrichtung der Berggewerken (Arbeitgeber) im Bergbau, Vorläufer einer Haftpflichtversicherung für Arbeitsunfälle in der gegenwärtigen Bergbauberufsgenossenschaft

1336

Erste Krankenversicherung der Handwerksgesellen aufgrund eigener Beiträge und mit Dienst- und Geldleistungen bei Arbeitsunfähigkeit und Tod (Begräbniskosten)

1355

Erste Versicherung der Handwerksmeister (außerhalb des Bergbaus) zugunsten der Gesellen für deren Lohnausfall durch Arbeitsunfall oder Krankheit und bei deren Tod für die Begräbniskosten, finanziert nur durch Beiträge der Arbeitgeber - gemischte Kranken-, Haftpflicht- und Kreditversicherung gleich den heutigen Lohnausgleichskassen

1350 - 1400

Erste Kranken- und Invaliditätsversicherung der Bergleute, finanziert durch Beiträge der Arbeitgeber und späterhin auch der Bergleute, (Knappschaft 1426)

ab ca. 1350

Dienst- und Geldleistungen der Gesellenverbände für wandernde, arbeitslose Gesellen, ähnlich den Leistungen der heutigen Arbeitslosenversicherung, finanziert durch Beiträge der Gesellen

1447

Erste selbständige Sterbekasse, ausgegliedert aus einer Gesellenbruderschaft in Harnburg, mit Geld- und Dienstleistungen für das Begräbnis und später auch für Hinterbliebene, finanziert durch eigene Beiträge

Wichtiger als die Reihenfolge der jeweils ersten Gründung ist die dadurch ausgelöste Welle der weiteren, die das ganze damalige deutsche Reich und darüber hinaus die benachbarten Länder erfaßte. Es handelte sich um das erste ,,Massengeschäft" der Versicherungsgeschichte, weil sie die weitaus meisten Handwerksbetriebe und den ganzen Bergbau betraf und es nur wenige freie Beschäftigungen außerhalb des Handwerks gab. Der Wert der Statuten der Gesellenverbände lag darin, daß diese als Versicherungsbedingungen den Gesellen zusagten, die Sorge um den Krankenlohn und die Krankheitskosten in einem genügenden Maß abzunehmen; dieses war damals eine Frage von Existenz und Leben. Die Übernahme normaler Gefahren aus dem Arbeitsverhältnis durch ein Kollektiv schuf ein Sicherungspotential, das vom einzelnen Gesellen unabhängig war, eben Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Der Mitgliederbestand dieser einzelnen Vereine in den zahlreichen Städten und Handwerkszweigen war durch die

8. Entwicklungslinien der Sozialversicherungen im Mittelalter

135

jährlichen Wanderungen der Gesellen ständig bedroht, aber die weite flächendekkende Existenz dieser Vereine, die durch "Korrespondenz" miteinander in Verbindung standen, wirkte tatsächlich als "ein einheitlicher Zusammenschluß,,303, vergleichbar dem Bestehen selbständiger Filialen einer imaginären Institution, eben der Gesellenversicherung. Darauf ging deren Dauerhaftigkeit ohne eine Zentrale zurück. Sie beruhte letztlich auf der Gleichartigkeit der Existenzbedingungen der Gesellen in der handwerklichen Arbeitsorganisation und der der Bergleute in derjenigen des Bergbaus. Der Versicherungsschutz in den Gesellenverbänden in den weitaus meisten Städten des In- und auch des Auslands ermöglichte den Gesellen die hohe Mobilität der Wanderungen, und diese bewirkten durch die Verbreitung der jeweils modernen Handwerksmethoden einen Produktivitätsschub.

8.2 Der Fortschritt im Versicherungscharakter

Für die Entwicklung der Versicherung brachten die Gesellenversicherungen und die der Bergleute den Übergang von der nachträglichen Umlagen nach einem Schaden zu der vorherigen Prämie und darüber hinaus zu einer regelmäßig entrichteten und der ftir die Sozialversicherung wichtigen Verbindung von Lohnbezug, also Geldempfang, zur Beitragsentrichtung - sämtlich damals neue Verfahren. Der freiwillige Eintritt in den Gesellenverband schloß den Beitritt zu dessen Krankenversicherung mit ein; darin und spätestens im Eintritt in die Sterbekasse der Brauersknechte in Hamburg 1447 sind die ersten Einzelversicherungsverträge zu sehen. Neu war auch, daß die Geldleistungen - anders als in den englischen und dänischen Gildeversicherungen 304 - nicht von der Zahl der Mitglieder abhingen, sondern nach der Höhe des vorherigen Lohns bemessen waren, damit wohl in den meisten Fällen auch nach der Höhe des Beitrags, so wie es beim Krankengeld in der gesetzlichen Krankenversicherung noch heute vorgeschrieben ist. Beitrag und Geldleistung standen also bei der Gesellenversicherung in einem versicherungsgemäßen und einsichtigen Verhältnis. Vor allem springt die neue Rechtskonstruktion der Versicherung - Leistung im Risikofall gegen Vorausbeitrag - hier erstmals in den Versicherungsgeschichte so deutlich in die Augen. Sie war so einsichtig, daß sie keiner Hilfskonstruktionen bedurfte; es sind auch keine bekannt, auch nicht nachträgliche. Allerdings sind die Regelungen über die Risiken in den Gesellenverbänden auch im 15. Jahrhunderts nicht als Versicherungen bezeichnet worden. Niemand hat damals oder später sich Kaskel, Arbeitsrecht 1925, S. 23, unter Hinweis auf Bogs, a. a. O. Die Zunft der Böttchermeister in Flensburg hält noch 1488 an der Zahlung von einem Schilling für jeden Krankheitsfall eines Gesellen fest, also an der Umlage in den dänischen Knuts-Gilden; siehe den Text bei Peters, S. 26; W. Wemet, Handwerksordnung, S. 508. 303 304

136

7. Kap.: Versicherungen in Gesellenverbänden und für Gesellen in Gilden

mit ihrem Rechtscharakter befaßeo5 , sie gingen wohl in der Vielzahl der Gildestatuten unter, die ebenfalls weder in den Rechtsbüchern noch den dazu verfaßten Glossen des 14. Jahrhunderts einen nennenswerten Widerhall fanden. Daher unterblieb auch - anders als mit der Seeversicherung in Italien - eine Konfrontation mit Auffassungen der Vertreter des aufkommenden rezipierten Römischen Rechts über die dort begrenzte Zahl der Vertragstypen.

lOS Wohl die Rechtsgeschichte, so Bogs, a. a. 0.; summarisch auch Lehrbücher, so Planitz, Rechtsgeschichte, S. 226; im Rahmen des mittelalterlichen Arbeitsvertragsrechts selten erwähnt, so nicht bei W. Ebel, Arbeitsvertragsrecht.

Achtes Kapitel

Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jahrhundert in Dänemark, Deutschland und Nachbarländern 1. Gilden ohne Versicherungen in Deutschland 1.1 Die Entwicklung von Gilden und Städten in Deutschland

Als die Gildeverbote der staufischen Könige nicht mehr durchgesetzt wurden, tritt eine deutliche Vermehrung von Innungen, Gilden und Zünften gegen Ende des 12. Jahrhunderts ein (ab 1254, mit schriftlichen Belegen ab 1290) und geht im 14. Jahrhundert unverändert weiter. Gegenüber dem 13. Jahrhundert haben sich im 14. die Zahlen der Nennungen (303) und der genannten Orte (191) fast bzw. mehr als vervierfacht. Dabei werden die Worte ,,Innung", ,,zunft" und "Werk/Handwerk" am häufigsten verwendet, und zwar regional unterschiedlich; insgesamt ist aber die regionale Streuung gleichmäßiger geworden. Die Zahl der kleineren Städte vergrößerte sich stärker. Die zeitliche Entwicklung der Entstehung von Vereinigungen nimmt einen gleichmäßigen Verlauf. Das reichsweite Verbot der Vereinigungen von Städten untereinander und ihrer Bürger in der Goldenen Bulle, Kap. 15, 1356 beschlossen in Nürnberg und Metz 306 , unterbricht die Entwicklung der Zahl der Gilden nicht, mag es sich auch auf deren Verhalten und dessen Tarnung mittels kirchlicher Aufgaben ausgewirkt haben. Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts nehmen die Städte und ihre Verbände an Stärke zu. 1356 findet der erste Hansetag in Lübeck statt; 1381 schließen der Rheinische und der Schwäbische Städtebund ein Bündnis. Vor allem treten drei hier einschlägige Veränderungen ein: - Wie im Jahre 1288 die Kölner sich der Herrschaft des Erzbischofs in der Schlacht bei Worringen entledigten, so versuchen nun andere Städte sich ihren Herren zu entziehen, aber nicht immer gelingt dies auf Anhieb. - Wie in Köln sich die Gaffeln, die politischen Vertreter der Handwerker, gegen die Patrizier auflehnen und diese 1396 entmachten, so entbrennt auch in anderen Städten die Auseinandersetzung zwischen diesen Parteien. - Es entstehen Gesellenverbände (Näheres oben 7. Kap.). 306

Oexle, Conjuratio, S. 154 Anm. 19 (Text).

138

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

Am Ende des 14. Jahrhunderts werden in allen deutschen Städten Vereinigungen vorhanden gewesen sein. Zu dieser Zeit haben sich Handwerke z. T. in mehrere spezielle Gewerke aufgeteilt, wie es schon die Weber und die Stoftbearbeiter seit der Mitte des 12. Jahrhunderts begonnen hatten. In Köln bestanden 1396 zweiundzwanzig Gaffeln mit z. T. mehreren Zünften. Nunmehr sind auch verbriefte Rechte und Pflichten der Gilden, Innungen, Zünfte u. a. überliefert, aus denen die inneren Verfassungen erschlossen werden können, allerdings sind Regelungen für Leistungen bei Schicksalsschlägen in Deutschland nur gelegentlich überliefert. Für das 15. Jahrhundert werden in der sprachwissenschaftlichen Zusammenstellung 307 fast 500 Fundstellen für Vereinigungen genannt, davon je hundert für die Bezeichnungen zunft, amt und handwerk. Sie kommen in mehr als 200 Orten vor; die Vereinigungen bestehen also in den deutschen Gebieten flächendeckend. Trotz Vermehrung der Gilden sind in überlieferten Statuten keine wesentlichen Veränderungen der Aufgaben festgestellt worden, wenn man davon absieht, daß auch die Vitalienbrüder, die Seeräuber in Ost- und Nordsee von 1389-1435, möglicherweise als See-Gilde organisiert waren 308 . Allerdings treten im 15. Jahrhunderts einige wenige Vereinigungen mit neuen Zwecken auf (siehe unten 3. und 4.). Die Städtebündnisse gegen Fürsten und Ritter seit 1354, das Aufbegehren der Zünfte in den Städten, die Entstehung der Gesellenverbände, das Schisma der Päpste seit 1378 und damit die Schwäche der Kirche haben Voraussetzungen für einen Wandel geschaffen. 1.2 Die Entwicklung von andersartigen Vorsorgen in Deutschland

In den Städten werden mit derem Erstarken Schutz- und Vorsorgemaßnahmen gegen Schicksalsschläge entwickelt, die in andrer Weise als durch Versicherung Hilfe bieten, insbesondere durch - die Brandschutzordnungen der Städte und den Brandbettel, - die Marktregelungen, - die Unterbringung in Spitälern, - die Teilnahme am Begräbnis. 1.2.1 Feuerordnungen 1260 erließ der Rat der Stadt Köln eine Feuerordnung, die Mindestabstände der Wohnhäuser vorschrieb; die städtischen Instanzen zogen den Weg der Brandverhü307 308

Obst, a. a. O. Ehbrecht, Hansen, S. 6 I u. 98.

I. Gilden ohne Versicherungen in Deutschland

139

tung dem des Ausgleichs von Brandschäden vor, ebenfalls in Basel im 12. Jahrhundert, in München nach einem Brand 1327 im Jahre 1342 und in Breslau nach dem Stadtbrand des Jahres 1338. Die Aufgabe der Brandverhütung mag auf dem Lande noch von Ortsgilden oder von besonderen Brandgilden - in Schleswig-Holstein erst seit 1537 nachgewiesen- wahrgenommen worden sein, für größere Städte war sie nicht ausreichend; der Fortschritt erfolgte in den städtischen Feuerordnungen des 14. Jahrhunderts 309 . Daß in den deutschen Städten des 14.115. Jahrhunderts die gewerblichen Gilden und Zünfte bei Brand Wiederaufbauhilfe oder Schadensersatz übernahmen, wird in der Literatur nicht behauptet. Eine Untersuchung müßte sich auch auf die Vorgeschichte des ersten Feuerkontrakts in Hamburg 1591 (Brauereibesitzer) beziehen, zu der unterschiedliche Auffassungen geäußert worden sind 3 \O. Bei Brandschaden gab es allgemeine Hilfen, die die Not linderten, so den obrigkeitlich genehmigten Brandbettel und für den Wiederaufbau von abgebrannten Kirchen und Klöstern die Kollektenbriefe, die Sammlungen bei Gottesdiensten erlaubten, schon 1278 für ein Kloster in Braunschweig, 1287 für ein solches bei Schwerin, 1306 für eines bei Ulm und später die Ablaßbriefe3ll .

1.2.2 Marktregelungen Aufgabe der Innungen, Zünfte u. ä. war es in erster Linie, Marktregelungen durchzusetzen, die Konkurrenz von außen ausschlossen und allen ein dauerhaft auskömmliches Einkommen sicherten; dies geschah u. a. durch Preisfestsetzungen, sogar Errichten einer gemeinsamen Verkaufsstelle, Einsatz von Gesellen bei Arbeitsausfall des Meisters, Berechtigung der Witwe, den Betrieb des Meisters bis zur gewünschten Wiederheirat und einem Nachfolger weiterzuführen, Sicherung der Nachfolge der Söhne und gegebenenfalls der Schwiegersöhne oder allenfalls der Töchter. Mit der Garantie von Erwerbschancen wurden einige Risiken für den Ausfall von Einkommen vermieden. Es war also der Status eines Zunft-/Innungsmitglieds kartellartig gesichert, vergleichbar am ehesten dem Eintritt eines Ritters in ein Lehnsverhältnis. 1.2.3 Spitäler Im 13. und 14. Jahrhundert gingen die Städte und die Innungen/Zünfte verstärkt dazu über, Spitäler, auch durch kirchliche Orden, errichten zu lassen und zu finanzieren, z. T. kauften die Innungen/Zünfte dort Plätze für Mitglieder3l2 • Damit 309 310

311 312

Schaefer 11., Kap. IV, mit ausführlichen Angaben. Seffen, Entstehung, S. 98. Schäfer 11., S. 78 f. Strube, Bremen, 1240, S. 20.

140

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

wurde der Lebensunterhalt verarmter Mitglieder mittels einer einmaligen, unpersönlichen Investition übernommen und ein Risiko auf andere Weise als durch Versicherung gedeckt. Ein solches Spital hatte z. B. in Köln die Bruderschaft beim Kloster Groß-St. Martin schon vor 1142 aus ihren Mitteln, aber auf dem Grund der Abtei errichtet 3l3 , es erhält 1142 das erste Statut mit einem Laien als Aufseher (unter dem Abt). Ein zweites Spital, 1155 erwähnt, bestand ebenfalls schon vor dem Stadtbrand von 1150. Später entstanden Spitale in allen Städten und bildeten einen festen Bestandteil der kommunalen Vorsorge.

1.2.4 Kirchliche Bruderschaften Bei hoher und früher Sterblichkeit, auch wegen der Pest, stand die Sorge für das Seelenheil und ein christliches Begräbnis viel weiter im Vordergrund als in der Gegenwart. Dafür wurden vor allem Gebete, auch Totenwachen, Grabplätze, Sargträger, Totengräber und Priester benötigt, also teils unvertretbare, teils bezahlbare Dienste, für die neben Angehörigen und Nachbarn vor allem Bruderschaften beizutragen hatten. Hier lagen die Entstehungsgründe und das Haupttätigkeitsgebiet der Bruderschaften, die Versicherungen ersetzten oder unnötig machten. Trotz Zunahme der Hilftstätigkeiten blieben diese lückenhaft und auf ein Mindestmaß beschränkt, ein Unglück mußte als gottgegeben hingenommen werden und wurde es auch. 1.3 Gildepflichten beim Begräbnis

Aus dieser Einstellung, entstanden unter dem Einfluß der Kirche, erklärt es sich, daß die Gilden, Einungen und Zünfte in Deutschland und den benachbarten Binnenländern, wenn sie über eine Marktregelung hinausgingen, lieber die Sorge für das Seelenheil nach dem Tode als Hilfen bei irdischen Unglücken regulierten. Schon im 14. Jahrhundert und erst recht im 15. sind wohl in allen Gilden, Zünften u. ä. Gewohnheiten für den Fall des Todes eines Mitglieds und deren schriftliche Fixierung vorhanden, auch zwecks Festigung der kirchlichen Einnahmen. So verpflichten die Statuten ihre Mitglieder regelmäßig zur Teilnahme an der Seelmesse, am Begräbnis des Verstorbenen und loder an der Vigilie am Abend. Damit werden durch die Kirche vorgeschriebene Pflichten in das Gilderecht übernommen. Die rituellen Handlungen der Priester lösen Gebühren aus, die vordem meist von der Familie, gelegentlich auch von der Gilde oder Bruderschaft getragen wurden. Solche Leistungen sind religiös veranIaßt und auf die Person des Gildebruders 313

Jakobs, S. 304.

I. Gilden ohne Versicherungen in Deutschland

141

bezogen, wie das an das Begräbnis anschließende Gildemahl, auch wenn es durch eine besondere Umlage bezahlt wird, z. B. mit einem Weißpfennig bei den Böttchern 1397 in Köln. In diesen persönlichen Dienstleistungen, die vom kirchlichen Ritus und der Gleichheit aller im Tod vorgeprägt sind, sind keine Ansätze zu Versicherungen zu finden. Nur ein kleiner Teil der Statuten legt darüber hinaus der Vereinigung die Pflicht auf, das Bahrtuch oder später den Sarg zu stellen oder das Bier für das anschließende Gildemahl zu liefern, also geldwerte Leitungen aus Anlaß des Todes aus den allgemeinen Gildebeiträgen aufzubringen. Die seit Jahrhunderten gepflegte Sitte, um die Totenbahre vier Kerzen zu stellen - so z. B. um 950 in Exeter wie 1397 bei den Böttchern in Köln 314 , wird als Pflicht der Gilde oder der Gildemitglieder festgeschrieben, was den Absatz des teuren Wachses belebt und Einfuhren vor allem aus dem Osten nach Deutschland in Gang hält. Umfassende Leistungen werden noch seltener in Aussicht gestellt. Gelegentlich, so bei den Riemenschneidern in Greifswald 315 1397, müssen schon beim Eintritt in die Gilde ein Bahrtuch und Wachs eingebracht werden. Auch werden Strafgelder hierfür verwendet, besondere Umlagen mit Zweckbindung sind im Binnenland nur als Nachahmung anderer Regelungen, z. B. bei Gesellen, gebräuchlich und zu erklären. Vorläufer von ausgegliederten Sterbekassen sind für die Meister in den Zünften / Gilden im Binnenland auch im 15. Jahrhundert nicht zu finden, zumal auch bei den geldwerten Leistungen die religiösen und kirchlichen Beweggründe in den Statuten in den Vordergrund gestellt werden.

1.4 Das Fehlen von Regelleistungen an Meister bei Krankheit

Für Regelleistungen bei Krankheit von Meistern durch Gilden, Zünften und Innungen sind für das 14./ 15. Jahrhundert so gut wie keine Belege zu finden, obwohl dies in vielen Büchern behauptet wird; oft werden die Unterstützungen für Gesellen (siehe 8.) wie selbstverständlich auch für die Meister und Gildemitglieder unterstellt oder solche aus späteren Jahrhunderten auf das 14./ 15. übertragen, weil in diesem angeblich noch nicht aufgeschrieben. Die beiden folgenden Beispiele zeigen, wie wenig dort zu erwarten ist: In einer Nachfolgebruderschaft der Richerzeche, also der Gesellschaft der reichen Kölner, war es 1388 vorgeschrieben 316 , daß bei Gildemahlen den kranken Gildemitgliedern Brot und Gänsebraten zu bringen war, und dies blieb auch 1430 noch die einzige Unterstützung 317 . Ähnlich war

314 315 316 317

von Loesch, Cölner Zunfturkunden, Nr. 12 S. 14 unter 11. Wisseli., S. 113. von Loesch, Cölner Zunfturkunden H., S. 190 Nr. 3. von Loesch, Cölner Zunfturkunden H., S. 194.

142

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

es schon 1323 bei den Pelzrnachern in Köln, einer der vornehmsten Gilden, übIich 318 . Soweit ersichtlich, schweigen die Statuten über Hilfen bei Krankheit. Insbesondere erhielten Meister von den Zünften / Gilden kein Krankengeld wie bei den Gesellen, da das Handwerksunternehmen und seine Einnahmen aus der vorhergehenden Arbeit als weiterlaufend angesehen wurden. Eine wirtschaftliche Erleichterung bestand gelegentlich darin, daß die Zunft dem kranken Meister einen guten Gesellen schickte, den er natürlich selbst entlohnen mußte, S0319 bei den Barbieren Rigas 1494 und den Goldschmieden Lübecks 1492; siehe aber die Besonderheit bei auswärtigen Steinmetzen 1464 (7. Kap. 7.1). Im Mittelalter gab es also im Handwerk keine geregelte Vorsorge bei Krankheit. Wohl aber waren die Zünfte / Gilden und ihre Mitglieder zu Almosen an die Gildebrüder, also zur Hilfe bei Verarmung unabhängig von der Ursache derselben, verpflichtet. Nicht in allen Statuten, nicht einmal in der Mehrzahl derselben steht dies ausdrücklich. Wie sich eine Gilde der Not ihrer Mitglieder, zu denen übrigens auch Frauen gehörten, annahm, geht aus dem folgenden Auszug aus der Ordnung der Kistenmacher in Lübeck hervor; für sie wird teils das Jahr 1508, teils noch das 14. Jahrhundert angegeben 320: "Itern weret so gelegen, dat eyn man offte fruwe dusses amtes so sere verarmet were und begehrde der alrnissen der schal rnen geven tor weken twe schillinge uthe derne ampte."

So wie in diesem Beispiel waren die Leistungen der deutschen Zünfte an ihre Meister Werke der christlichen Nächstenliebe, aber nicht Versicherungen, selbstverständlich erst recht in den kirchlichen Bruderschaften; allerdings ist hier, am Ausgang des Mittelalters, schon an die Stelle von Sachspenden die Hingabe von Geld getreten, also eine Pauschalisierung der Armutshilfen.

1.5 Das Fehlen von Versicherungenfiir Meister

Als ernüchterndes Ergebnis ist für das 14. und 15. Jahrhundert festzustellen, daß in Deutschland bis zum Jahre 1500 versicherungsähnliche Regelungen für Meister in den Gilden, Innungen und Zünften u. a. nicht bekannt sind. Sollten Leistungszusagen entdeckt werden, werden sie von einer Verbindung mit Beiträgen noch entfernt sein. Auch gab es keine Trennung von Risiken. Bruderschaften, die auf christlicher Nächstenliebe beruhten, setzten Armut voraus und damit einen nicht versicherbaren Zustand. Eine einzigartige Ausnahme, die jedoch nicht auf Meister beschränkt ist, bildet nur die Kölner Böttcher-Zunft (siehe unten 7.2), während

318 319 320

von Loesch, Cölner Zunfturkunden II., S. 309 Nr. 3. Wissel II., S. 466. Peters, S. 25, dort beide Daten; bei Wehrmann: 1386, 1425 und 1432.

1. Gilden ohne Versicherungen in Deutschland

143

sonstige Leistungsstatuten stets aus den dänischen Gilden abgeleitet werden können (siehe unten 2. und 3.). Seit mehr als 100 Jahren wird von einer Reihe von Schriftstellern - nach 1945 besonders von Wernet und Büchner - behauptet, daß Gilden, Zünfte, Innungen u. a. und auch Bruderschaften schon vor 1500 Regeln für Leistungen an ihre Mitglieder aufgestellt hätten. Obwohl sie sich bemüht haben, aus Fülle der Gildenordnungen derartige Regelungen ausfindig zu machen, sind solche - anders als Leistungen für Gesellen - in veröffentlichten Quellen nicht aufgetaucht, vielmehr gehen die angeblichen Regeln für die Meister nicht über den Grundsatz der Pflicht zum allgemeinen Beistand in Notlagen hinaus, und diese Pflicht wird nicht konkretisiert. Schon daran scheitert eine Annäherung an eine Versicherung, erst recht daran, daß für eine Entscheidung, ob Beistand aus christlicher Nächstenliebe oder aus Gemeinschaftsbewußtsein geleistet wird, Belege nicht oder nur für kirchliche Bruderschaften zur Verfügung stehen, die ohnehin keine Vorgänger einer Versicherung sind. Die Gilden / Zünfte u. a., so schreibt schon Otto von Gierke321 , hatten "zugleich religiöse, gesellige, sittliche, privatrechtliche und politische Ziele". ,,Ihre Verbindung ergreift den ganzen Menschen und erstreckt sich auf alle Seiten des Lebens." Schritte in Richtung auf eine Versicherung setzen demgegenüber eine Verrechtlichung der Beziehungen der Zunftmitglieder zueinander und eine Aufgliederung in Risiken, also eine kritische Distanz zu einer umfassenden Gefahrengemeinschaft voraus. Dem Leitgedanken von Gilde, Zunft u. a. als einer das ganze Leben durchwirkenden Gemeinschaft steht die Ausfonnung von gesonderten Schutzeinrichtungen gegen besondere Risiken entgegen. Diesen Entwicklungsstand haben die Gilden im Binnenland bis zum Ende des Mittelalters nicht erreicht. Auch das Fehlen von Aufzeichnungen ist ein Indiz dafür, daß es noch nicht zur Ausprägung von Einzelverpflichtungen, zur Ausgrenzung besonderer Risiken, zur Umsetzung von Beistandspflichten in Zahlungspflichten und dementsprechend zur Umrechnung von Dienstleistungen in Geldleistungen gekommen war. Die These, schriftlichen Regeln in Gilden, Innungen, Zünften u. ä. müßten mündliche Absprachen und geübte Bräuche vorausgegangen sein, hat nur eine begrenzte Wahrscheinlichkeit für sich, kann aber keinesfalls für die Entstehung von Versicherungen aus einem Bündel von unbestimmten Gemeinschaftsrechten und -pflichten gelten, weil sie die entscheidenden, stufenweisen Übergänge verschwimmen läßt. Es wäre auch nichts damit gewonnen, Erwähnungen von Unterstützungen in Gilden aus dem 16. oder 17. Jahrhundert regelmäßig ein oder mehrere Jahrhunderte zurückzudatieren 322 • Ob es sich mit der Nachwirkung von königlichen Gildeverboten und dem kirchlichen Einfluß genügend erklären läßt, daß sich in Deutschland und den Nachbarländern im Mittelalter bis 1500 - im Unterschied zu Eng321 322

Gierke I., S. 220 ff. So Koch, Stichworte, sogar auf das Jahr 1150.

144

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

land, Flandern, Dänemark - keine Versicherungen für Kaufleute oder Meister finden lassen, mag man bezweifeln, nicht aber den Befund selbst, er stimmt mit dem Verhalten der Kaufleute zur Seeversicherung in der Hanse überein. Beides läßt auf eine große Risikobereitschaft in Deutschland schließen. Als am Vorabend der Reformation das Mittelalter zu Ende geht, stehen die Gilden, Zünfte u. ä. auf ihrem Höhepunkt. Wenn in der Literatur der vergangenen 150 Jahre immer wieder die wichtige Rolle der beruflichen Gilden und Zünfte für die Entwicklung der Versicherung herausgestellt wurde, obgleich jene in Deutschland bis 1500 bei ihnen nicht zu finden ist, so geht dies auf die Vorstellung zurück, die man sich von den Zünften und den Handwerksmeistern z. B. am harmonischen Bild von Hans Sachs (1494-1576), also aus der Neuzeit, gemacht und einige Jahrhunderte vorverlegt hat, und dann noch Hans Sachs in der romantischen Fassung der Meistersinger Richard Wagners (1813 - 1883).

2. Gildeversicherungen an der Ostseeküste 2.1 Regionale Unterschiede hinsichtlich Gildeversicherungen

In den Vergleichen der Statuten der Gilden / Zünfte der Meister fällt ein regionaler Unterschied in die Augen, nämlich der zwischen den Gilden in Schieswig-Holstein an der Ostseeküste und denen im übrigen Deutschland, in der Schweiz und in Österreich: Die nördlichen Statuten erfassen regelmäßig die früher vorgekommenen Risiken, nämlich Schiffbruch und Seewurf sowie Brand. Dies beruht auf ihrer Nähe zu den dänischen Gilden, in Flensburg, Odense, Riga und Reval auf der damaligen Zugehörigkeit zur dänischen Krone. Die deutsche gilden- und versicherungsgeschichtliche Literatur323 hat vielfach die Unterstützungsregeln dieser Statuten, weil unter den Gildenmitgliedern meist Deutsche waren, als Beispiele für das deutsche Gilden- und Versicherungswesen verwendet und einen unzutreffenden allgemeinen Standard des deutschen Gildewesens abgeleitet. Leistungen für besondere Risiken existierten in deutschen beruflichen Zünften, Ämtern u. ä. außerhalb der Ostseeküste eben nicht - mit zwei Ausnahmen (siehe unten) - und auch an der Ostseeküste nicht in Zunftordnungen nach deutschem Muster. Die bisherige, weitverbreitete Ansicht geht auch darauf zurück, daß Statuten für Gesellen als solche für Meister gelesen und ausgelegt wurden (siehe oben 7. Kap.)324. Anders als im Binnenland werden in Dänemark und Schleswig-Holstein im 15. Jahrhundert die Versicherungsrisiken der Knuts-Gilden in neue Gilden und Brüderschaften übernommen, die in der Hauptsache kirchliche und gesellige Zwecke verfolgen und die Ziele des Rechtsschutzes, der die Grundlage der Knutsgilden bildete, hintangestellt oder vergessen haben. Die neuen Vereinigungen sind hinsicht323 324

So besonders Wissel und Helmer. So z. B. für F1ensburg Kraack, S. 33 f.

2. Gildeversicherungen an der Ostseeküste

145

lieh der Regeln über Versicherungsfalle als Nachfolger der Knuts-Gilden anzusehen. Dafür werden vier Beispiele in der folgenden Übersicht (Nr. 1-4) aufgeführt.

2.2 Neue Gildeversicherungen in Dänemark und Schieswig-Hoistein Die Nachfolge der dänischen Gildeversicherungen Die dänische Gildeversicherung hat seit ihrer Gründung in der Mitte des 13. Jahrhunderts allmählich, aber stetig von Statut zu Statut Verbesserungen vorgenommen, wie oben in der Entwicklung von Flensburg 1200 bis Malmö 1300 und Riga zu erkennen war, darunter auch die Übernahme der Rechtsfigur der juristischen Person des römischen Rechts. Mit diesem Akt waren die Hilfs- und Leistungsverpflichtungen aller Gildegenossen auf die Gilde als deren Zusammenfassung übergegangen. Ein nächster Schritt konnte daran anschließen: Nun konnten gleichartige Verpflichtungen auch von anderen Trägem aufgenommen werden. So kann man es sich erklären, daß im 15. Jahrhundert neue Gildetypen im Norden Deutschlands auftauchen, die nun nicht mehr die Interessen der Kaufleute in den Vordergrund stellen, sondern alle Bürger aufnehmen und gesellschaftliche Interessen verfolgen und das Gildemahl und die Sorge für das Begräbnis unter einem kirchlichen Mantel beibehalten. In diesen Ortsgilden bilden sich die Anfange der besonderen Brandversicherungen heraus, von ihnen werden in Dänemark von 1375 - 1515 zehn genannt 325 • Dazu tritt dann gelegentlich das Risiko der Krankheit im Ausland und im Inland, das aus den Regelungen der Gesellenverbände bekannt und im 15. Jahrhundert schon geläufig war (Nr. 4 und 5 der Übersicht auf Seite 146 und bei den Kalanden). Die Gilden in Kopenhagen und Flensburg sind an der Übernahme des Risikos des Seewurfs als Nachfolger der Gilde Flensburgs 1200 und der in Odense 1245 wiederzuerkennen. Auch der Ersatz eines Brandschadens in Hollested und Odense war schon im Statut von Odense 1245 vorgesehen (siehe oben 5. Kap. 2.). Daß dieser Ersatz in Kopenhagen und Flensburg fehlt, erklärt sich aus dem Abschreiben des Flensburger Gildestatuts; diese Gilden tragen die Kontinuität der Gilde-Seeversicherung in das 15. und 16. Jahrhundert weiter. Übrigens werden die Gilden in Kopenhagen 1439 von Christoph m., der aus Bayern stammte und daher die besondere Stellung der Gilden in Dänemark nicht akzeptierte, überprüft.

325

Helmer, Geschichte, S. 127, aus Nyrop ausgezählt.

10 Schewe

146

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh. Neue Gilden besonderer Art mit Versicherungen in Dänemark und Schleswig-Holstein / Hamburg 1382 -1500 Jahr

Ort

Name

Risiken

1.

1382

Kopenhagen

Deutsche Kaufmannsgilde

Schiffbruch, Warenrettung

2.

1404

HoHested (Dänemark)

St. Gertruds-Gilde

Schiffbruch, Brand, Raub (Art. 17)

3.

1435

Odense

St. Gertruds-Gilde

wie HoHested

4.

1446

Flensburg

St. Nicolai-Gilde

Krankheit im Ausland, Tod, Seewurf

5. Anfang des 15. Jahrh.

Delmenhorst (dänisch beherrscht)

St. Polycarpus-Gilde

Brand, Krankheit, Tod

6.

1442/1451

Preetz in Holstein

"Brand- und Schützen gilde"

Brand (Sachleistung)

7.

1446

Süderstapel

Brandgilde

Brand (Sachleistung)

8.

1446

Norderstapel

Brandgilde

Brand (Sachleistung)

9.

1477/1543

Itzehoe

Liebfrauengilde

Brand

10. 1447

Hamburg

St. Vicentii (Brauerknechte = GeseHen 7. Kap.)

Begräbnis, Hinterbliebene, Krankheit

11. 1480/1510

Nordstrand 1 Dänemark

Marien-Kaland

Brand, Krankheit

12. 1480/1510

Mohrkirchen / Dänemark

Marien-Kaland

Brand, Krankheit (Statut 1510)

13. 1488

Sonderborg (Insel Als)

Schuhmacher

Brand (Sachleistungen)

Anm.: I. Wisse!!.. S. 386; 2. Wisse!!.. S. 397; 3./4. Wisse! I. S. 11617. Kraack. S. 29; 5. - 10. Ebel. Friedr.• Quellen S. 287 und 404. Schaefer. S. 23; 11./12. Kraack. S. 142 Anm. 202; 13. WisseI!.. S. 386.

2.3 1404 St. Gertruds-Gilde in Hollested Die St. Gertruds-Gilde in Hollested von 1404 (Art. 17) wirft alle Risiken zusammen und schreibt für jeden Fall die Zahlung eines bestimmten Betrages je Gildemitglied vor. Dabei entnimmt sie Schiffbruch und Brand aus dem Statut des benachbarten Store Hedinge; ihr Statut führt den Seewurf aber nicht auf und setzt stattdessen den Raub hinzu. Das Risiko das Raubs war schon in der Bartholinisehen Skraa vom Ende des 13. Jahrhunderts in Norwegen und in Valenciennes in Flandern Anfang des 12. Jahrhunderts (siehe 4. Kap. 4.1) enthalten. Die neuerliche

2. Gildeversicherungen an der Ostseeküste

147

Zusammenfassung war allerdings gegenüber den vorhergehenden getrennten Regelungen der Risiken keine Verbesserung der Versicherung.

2.4 1435 St. Gertruds-Gilde in Odense

Eine andere Gilde mit der gleichen Schutzheiligen wurde 1435 von deutschen Kaufleuten in Odense zwecks Sorge für die "Elenden", also die Fremden, gegründet; die hl. Gertrud von Nivelles in Flandern galt als Patronin der Reisenden 326 . Diese Gertruds-Gilde finanzierte auch Pilgerfahrten; sie setzte damit die "Südfahrt" der dänischen und englischen Gildekaufleute fort, und damit vermutlich auch die Gepflogenheit des Seedarlehens (siehe 2.6 und 11. Kap.).

2.51446/48 St. Nikolai-Gilde in Flensburg

Das Statut der St. Nikolai-Gilde in Flensburg 1446/48 sah in Art 6 und 7 außer der Pflicht zur Begleitung des Toten zum Grabe (Nr. 5) und der Fürsorge bei Krankheit auch vor327 , daß der Gildegenosse auf einer Reise außer Landes bis zu 12 Schillinge für Nahrung und Pflege des erkrankten Gildebruders aufwenden mußte und auch, falls dieser verstarb, die Erben den Aufwand ersetzen mußten (Nr. 6) und, wenn diese mittellos sind, die Nikolai-Gilde(lach) den Ersatz zu übernehmen hat. Dies ist die gleiche Versicherungskonstruktion, wie sie beim Seewurf und bei der Pilgerfahrt in den dänischen Gilden, so in Odense 1245, 90 Jahre früher entwickelt worden war; beim Seewurf selbst (Nr. 7 des Statuts) fehlt diese gemeinsame Haftung. Auch ohne den Seewurf zeigt dieses Beispiel (neben andern), daß die Gegenseitigkeitspflichten aus den Knuts-Gilden als Vorbild weiterwirkten und daraus die erste Auslandsreise-Krankenversicherung entstehen konnte. Ob die älteren Nikolai-Gilden in Apenrade 1335, Kiel 1337, Husum 1478, Hadersieben, Petersdorf auf Fehmam 1399, Tenningstedt, Wilster 1419, ähnliche Regeln kannten, ist nicht bekannt; gleichzeitig mit den ersten entstand die Krankenversicherung der Gesellen in Deutschland (1336; siehe 7. Kap. 3).

2.6 Ende 14. Jahrhundert: St. Marien-Kaufmannsgilde in Flensburg

In anderer Weise wird - in die Aufstellung nicht eingefügt - ein anderes Rechtsinstitut von einer anderen Flensburger Gilde weiterentwickelt, nämlich das Seedar-

326 St. Gertrud: Die Gründung der St. Gertruds-Gilden und Kirchen hängt wahrscheinlich mit der Verehrung der Mystikerin St. Gertrud der Großen, von Helfta in Sachsen-Anhalt, 1256-1301, zusammen. 327 Kraack, S. 29, 64 u. 149 Anm. 268.

10"

148

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

lehen in der St. Marien-Kaufmannsgilde in Aensburg 328 , der vornehmlich Schiffer angehörten. Gegründet Ende des 14. Jahrhunderts hauptsächlich von niederdeutschen Kaufleuten hat sie einen vorwiegend geistlichen Charakter, aber in ihrem Statut von 1420 ist vorgesehen, daß die Gildemitglieder mit Geld der Bruderschaft Waren kaufen, mit ihren Waren transportieren und verkaufen und am Jahresende den Ertrag in die Gildekasse zurückzahlen sollten (Art. 4 - 6). Das Seetransport und das Geschäftsrisiko trug dabei anscheinend die Gilde. Es handelt sich hier um Seedarlehen aus der Gildekasse 329 wie bei der Gilde in Tiel am Rhein um 1020 (oben 4. Kap. 3.). Dieses Gilde-Seedarlehen könnte auch aus der Kenntnis der Seedarlehen am Mittelmeer (siehe unten 11. Kap. 2.5) abgeleitet worden sein. Wohl einzigartig bestand in dieser Aensburger Gilde die Pflicht, das Seedarlehen der Gilde anzunehmen; das große Vermögen dieser Gilde um 1550 wird darauf zurückgeführt. Allerdings ist in diesem Seedarlehen trotz der Übernahme des Seerisikos ein Übergang zu einer Seetransportversicherung nicht zu erkennen 33o .

2.7 Gilden von Priestern (Kalande)

Eine besondere Form der Gilden stellen die Genossenschaften der Geistlichen dar, Kalande genannt. Vereinigungen von Geistlichen werden schon in der Merovingerzeit westlich des Rheins erwähne 31 • Der Name ,,Kalande" leitete sich von den Zusammenkünften an den Kalenden jeden Monats ab 332 , bezeichnete aber auch eine Abgabe an die Kirche, hatte also eine ähnliche Bedeutung wie das Wort "gilde". Nördlich der Mainlinie sind zu verschiedenen Zeiten 184 Kalande gezählt worden 333 , davon in Schleswig-Holstein 29. Die Gründung von Kalanden schritt von Hamburg (1236/1294) über Lübeck (1305/1350) nach Norden voran 334 . Die Kalanden, wohl aus Gebetsverbrüderungen entstanden, versammeln sich zum Gildenmahl und sorgen sich um Begräbnis und Seelenheil und die Unterstützung Hinterbliebener, wie z. B. die Salvator-Gilde in Duisburg nach 1400. Sie übernehmen auch Armen- und Krankenpflege und gründen Hospitäler33s . Erst in Dänemark und Schleswig gleichen sie ihre Aufgaben an die der dortigen Gilden an. Dort werden als Kalanden genannt: - 1362 die Dreifaltigkeitsgilde in Aensburg 336 später dort die reichste Bruderschaft337 ; Kraack, S. 112. Von Kraack nicht erkannt. 330 Ebensowenig wie in Italien, siehe unten 11. Kap. 331 Oexle, Mittelalterliche Gilden. 332 Nyberg, S. 36. 333 Kraack, S. 137 Anm. 171 u 177. 334 Kraack, S. 25. m Nyberg, S. 37. 328

329

3. Gildeversicherungen nach nordischem Vorbild in Deutschland

149

- seit 1400 das convivium kalendarum in Ripen; - 1480 der Marien-Kaland in Nordstrand; - 1480 der Marien-Kaland in Mohrkirchen. In Nordstrand und Mohrkirchen wird auch die Aufgabe, in Brandfällen Gelder für Entschädigungen zusammenzutragen, übernommen (Nordstrand Art. 10 des Statuts, Mohrkirchen Art. 34)338. Auch sonst ist eine gewisse Angleichung der Statuten der Kalande an die der Knuts-Gilden nicht zu verkennen 339 . Gleichwohl gehören die Kalande wegen ihrer Zusammensetzung überwiegend aus der Geistlichkeit und ihrer starken religiösen Ausrichtung nicht zu den auf weltliche Gegenseitigkeit gegründeten Gilden. Die Kalande wurden in der Reformationszeit zwischen 1515 und 1550 aufgelöst.

3. Gildeversicherungen nach nordischem Vorbild in Deutschland 3. J Das Statut des Stifts St. Gereon in Köln J3J6 Allerdings ist noch eine Regelung aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts zu untersuchen, die als Versicherung vorgestellt worden ist 340 : Im Jahre 1316 verfaßte das StiftSt. Gereon in Köln eine derartige Urkunde 341 unter dem 21. Juli. Diese enthält Regelungen für Schadensfalle bei Brand, Kriegsverwüstung, Hagel, Mißwuchs und Pfändung. Das Stift St. Gereon, damals unmittelbar vor den Mauern der Stadt Köln gelegen, war schon vor 1059 gegründet und hatte schon 1067 und 1070 Filialkirchen in Köln. Es baute 1219-1227 den spätromanischen Bau seiner Kirche (590 erwähnt) zu einer viergeschossigen Zehneckanlage (Dekagon) um (erhalten) und vollendet 1315 seine Sakristei. Auf dem Hof des Stifts hat sich eine Ansiedlung und später ein Stadtteil entwickelt. Das Stift St. Gereon besaß in Köln, seiner Umgebung und weit darüber hinaus umfangreichen Landbesitz, den es großenteils nicht selbst bewirtschaftete, sondern verpachtete oder Abhängigen (Oboedienten = Untergebenen) anvertraute, die die Erträge oder deren Hälfte (halbwinner) abzuliefern oder einen Pachtbetrag zu entrichten hatten. An diese richtet sich die in deutscher Sprache verfaßte Ordnung, der eine kollektive Absprache vorangegangen sein wird; formell war es eine An-

Kraack, S. 134 Anm. 149. Kraack, S. 26. 338 Kraack, S. 149 Anm. 202. 339 Kraack, S. 140 Anm. 194. 340 Bergmann, S. 6; F. Ehel, Quellennachweis, S. 384, dort irrtümlich "Stifters". 341 Joerres, Urkundenbuch des Stiftes St. Gereon; Urkunde im Historischen Archiv der Stadt Köln unter "St. Gereon" 2/ \10. 336 337

150

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

ordnung des Stiftskapitals als Leitung des Stifts, vertreten durch dessen Dechanten, den Kölner Chorbischof und einige Kanoniker, in der die Ablieferungs- und Pachtpflichten erleichtert wurden. Es handelt sich also um die Ausgestaltung von Rechtsverhältnissen zwischen den Beteiligten, keineswegs um das Eintreten eines Dritten wie bei einer Versicherung, vielmehr um die Verteilung von Gefahren zwischen Gläubiger und Schuldner, analog den Gefahrverteilungsklauseln zwischen Kaufleuten bei Warentransporten (siehe oben 11. Kap.). Auch von einem Vorläufer der Versicherung kann man nicht sprechen. Allerdings sind die Gefahren, deren Eintritt in der Ordnung von St. Gereon genannt ist, zum Teil die gleichen wie in den Versicherungen mit Umlagen, insbesondere der Brand. Noch auffälliger ist es, daß innerhalb der Nachlässe für Ablieferungen und der Investitionspflichten des Stifts sich eine Regelung findet, die in der Bartholinischen Skraa in Norwegen zwischen 1250 und 1300 auftaucht, nämlich der Unterschied in der Höhe der Ausgleichs des Brandschadens je nachdem, ob der Brand vor oder im Winter eingetreten ist: Wenn der Brand vor dem 1. Oktober ausgebrochen war, so stand dem Stift St. Gereon zwar der unversehrte Rest des Jahresertrags zu, aber Pächter und Abhängige durften die Aufbaukosten abziehen, sodaß meist nichts zu zahlen gewesen sein wird, andrerseits mußte das Stift die Hälfte zu einem Neubau (der Scheune) beitragen. In der Bartholonischen Skraa war der Zeitpunkt zwar auf Weihnachten gelegt, aber auch hier wurde zum Neubau beigetragen, allerdings von den Gildegenossen, die hierzu nur aus der Gildezugehörigkeit, nicht aus einem sonstigen Schuldverhältnis verpflichtet waren. Wie diese - begrenzte - Übereinstimmung der beiden Regelungen zustandegekommen ist und ob es etwa ein gemeinsames Vorbild gab, kann hier dahingestellt bleiben, weil es sich in Köln zwar um zugesagte Leistungen in Schadensfällen, aber eben nicht um eine Versicherung gehandelt hat. Eine Vennittlung könnte z. B. durch die Gilde nordischer Kaufleute in Köln, die fratemitas Danica, geschehen sein.

3.2 Anfang J5. Jahrhundert: Polycarpus-Gilde in Delmenhorst342

In die Reihe der dänisch-schleswig Gildeversicherungen gehört eigenartigerweise auch die Polycarpus-Gilde in der Grafschaft Delmenhorst, sie wird dem Anfang des 15. Jahrhundert zugeschrieben und erbrachte Hilfen bei Brand, Krankheit, Tod und Verarmung. Sie ist benannt nach dem hl. Bischof Polycarp von Smyma (t 156), einem Schüler des Apostels Johannes 343 • Weil sie sich entsprechend dem Gebrauch im nördlichen Deutschland Gilde nennt, wird sie keine vorwiegend kirchliche Bruderschaft gewesen sein, allerdings läßt die umständliche Fonnulierung des Artikels über die Brandversicherung doch den kirchlichen Einfluß und die deutschen Gewohnheiten erkennen: "Da auch einer oder ander, was Gott ver-

342 343

F. Ehel, Quellennachweis, S. 287. Lanczkowski, S. 53.

4. Die Brandgilden in Schleswig-Holstein im 15./16. Jh.

151

hüte, mit Feuersbrunst von dem lieben Gott heimgesucht würde, sollen die Gildebrüder schuldig seyen, denselben nach Vermögen mit Hülfe und Beisteuer zur Wiederaufbauung seines Hütteleins allen möglichen Vorschub zu leisten.,,344 Die Zusammenfassung von drei Risiken im Statut der Polycarpus-Gilde spricht für eine Ähnlichkeit mit den dänischen Versicherungen; es sind insoweit die gleichen Risiken wie im Rigaer Gildestatut von 1252 enthalten, entsprechend der Lage Delmenhorsts im Binnenland jedoch ohne das des Schiffsbruchs. Mit diesen Regelungen werden, soweit erkennbar, erstmals Inhalte dänisch-schleswig Statuten in andere deutsche Regionen übertragen, insbesondere die Erfassung des Brandrisikos; dies ist allerdings nicht verwunderlich, weil die Grafschaft Delmenhorst damals unter dänischer Herrschaft stand 345 und auch in Dänemark anschließend Gilden gegründet wurden, möglicherweise durch Herzog Adolph VIII. von Schleswig und (letzter) Graf von Holstein (1401 - 1459).

4. Die Brandgilden in Schleswig-Hoistein im 15./16. Jahrhundert Das Brandrisiko war, wie oben 5. Kap. 2.3 geschildert, nicht nur in die KnutsGilden aufgenommen worden, sondern auch von den flandrischen Keuren im 13. und 14. Jahrhundert in die Häradsgemeinden Schwedens gewandert. In SchleswigHolstein taucht es nicht in der Form staatlich-gemeindlicher Verpflichtung, sondern in freiwilligen Zusammenschlüssen auf, auch wenn diese durch die Notwendigkeit erzwungen worden sind. In den Brandgilden aus der Mitte des 15. Jahrhundert wird (Nr. 6-9, 11-13 der Übersicht) aus den Knuts-Gilden durch Weglassen des Seerisikos das des Brandes isoliert und die persönlichen Pflichten beim Begräbnis werden in kirchliche Pflichten, z. B. hinsichtlich der Seelmesse, umgewandelt. Die Spezialisierung auf das Brandrisiko war ein wirtschaftlicher Vorgang der Spartentrennung und hat nicht nur zur Vorbeugung vor Bränden und zu besserer Brandbekämpfung, sondern auch zu risikogerechteren Beiträgen geführt. Die günstige Erfahrung mit auf Brand spezialisierten Kassen hat ihre Verbreitung bewirkt. Mit der "Brand- und Schützengilde" in Poretz (Preetz, südlich Kiel) beginnt 1442 angeblich die Reihe der mehr als 20 Brandgilden in Schleswig-Holstein, darunter Süderstapel und Norderstapel seit 1446, die Itzehoer Liebfrauengilde seit 1477 und den Nordstrander Marien-Kaland seit 1480. Die Gilden in Süder- und Norderstapel sollen nach einer Angabe aus dem Jahr 1777 von Herzog Adolph VIII. von Schleswig gegründet worden sein346 , in dessen Regierungszeit die Errichtung der Polycarpus-Gilde in Delrnenhorst fallt (siehe 3.2).

344

345

Dursthoff, S. 12 ff. Schäfer 1., S. 11.

152

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

In Preetz 347 hat vor 1442, nämlich 1437, schon eine andere Gilde, vornehmlich oder fast ausschließlich aus Adligen bestehend, existiert, die ein Gildenhaus besaß. Gilden von Adligen sind seit der Londoner Friedensgilde von 930 nicht ungewöhnlich, aber über die Preetzer Gildenaufgaben ist nichts überliefert. Immerhin war die Gilde so wohlhabend, daß sie eine Vikarie errichten und so den Lebensunterhalt für einen Vikar aufbringen konnte, der Messen für verstorbene Gildemitglieder zu lesen hatte. Wahrscheinlich waren vorher die Mitglieder zu der Bezahlung von kirchlichen Gebühren - ein Pfennig - bei Begräbnissen, verpflichtet. Die Garantie für die Vikarie wurde dann zur Hauptaufgabe und die Gilde zu einer kirchlichen Bruderschaft. Nach dem Niedergang dieser entstand aus ihr erst 1541, also nach der Reformation, eine Brandgilde, und erst 1603 ist eine Schützengilde nachgewieSen. Das Statut dieser Brandgilde enthielt nur die Verpflichtung zu Sachleistungen, in der Regel zur Lieferung von Balken für den Wiederaufbau. Daß das Gildestatut von 1437 eine gleiche Verpflichtung umfaßte, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber keineswegs wahrscheinlich, auch wenn der Name ,,Preetzer Brandgilde" in einer frühen Mitteilung so verwendet wird, als gelte er schon für 1437. Es kann deswegen nicht davon ausgegangen werden, daß 1437 oder 1442 eine Versicherung für Brandfälle bestand. Auch in den nächsten beiden Gilde-Statuten aus den Gründungsjahren sind nähere Aufgaben nicht enthalten, und die hier angegebenen Gründungsjahre werden bezweifelt348 • Auch für die Itzehoer Liebfrauengilde sind Regelungen über Brandunterstützungen erst in einer revidierten Satzung von 1543 nachgewiesen 349 . In den Marien-Kalande-Vereinigungen von Priestern (siehe 5. Kap. 1.9) ist eine Regelung über Brandunterstützung erst seit 1510 nachweisbar35o . Schließlich verpflichtet die Gilde der Schuhmacher in Sonderburg/Dänemark 351 1488, ihre Genossen bei Brand (nur) zur tatkräftigen Hilfe und zum Beibringen von Baustoffen (1 Troge Stroh, 1 Stiege Latten), übernimmt also trotz beruflicher Organisation die Regeln der nordischen Ortsgilden. So bleibt von den frühen Brandunterstützungen in Schleswig-Holstein keine, die vor dem Jahre 1500 mit Sicherheit diese Aufgabe wahrgenommen hat. Auch wenn diese Gilden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Brandversicherung ohne überlieferte Satzung gehabt haben, kann deren Gestaltung erst im 16. Jahrhundert beurteilt und zurückverfolgt werden. Festzuhalten ist aber, daß diese Statuten der Brandgilden an einen Brandschaden die gleichen Rechtsfolgen anschließen wie schon die Knuts-Gilden um 1250, also Schäfer 1., S. 23, unter Hinweis auf Hülden, 1867. Angaben aus Engling, jedoch teilweise mit anderer Deutung. 348 Schäfer 1., S. 23. 349 Helmer, Geschichte, S. 161. 350 Schäfer I., S. 25. 351 Von WisseI!., S. 386, und F. Ebel, Quellennachweis, S. 404, irrtümlich dem Land Schleswig zugewiesen. 346

347

5. Die Schützengilden in Flandern, Deutschland und Dänemark

153

- z. B. in Itzehoe 1543 von 100 Männern und 60 Frauen - eine Umlage in gleicher Höhe je Mitglied erhoben wird. Damit ist für die Brandversicherung eine Kontinuität bis in die Neuzeit gesichert, die dann auch bis in die Gegenwart verlängert werden kann 352 .

5. Die Schützengilden in Flandern, Deutschland und Dänemark Die vorstehend einbezogene Brand- und Schützengilde in Preetz wirft die Frage auf, ob versicherungsmäßige Regeln auch sonst in Schützengilden bestanden. Schützengilden sind zuerst in Flandern entstanden353 , die frühesten in Toumay 1282 und Brügge um 1300. An Statuten sind erhalten 354 : Das erste der St.. Sebastianus-Handbogengilde in Gent vor 1322, das zweite der St. Sebastianus-Bogenschützengesellschaft in Dünkirchen vor 1330, das drittälteste und zugleich das erste einer Armbrustschützengilde in Nivelles vor 1342. Von Flandern aus verbreiteten sich die Schützengilden in alle Richtungen, in Deutschland355 nach Aachen vor 1350, mit Statuten 1378 nach Dortmund und 1379 nach Hannover und Magdeburg, und an die Ostsee ca. 1400 in Wismar, 1412 in Kiel (Große Grüne Schützengilde)356, Danzig 1414. Die Verbreitung wird sowohl mit der Hanse wie mit dem Deutschen Orden in Verbindung gebracht357 . In Dänemark sind die Schützengilden Annexe von Gilden, so als die früheste die von Aalborg mit Statut aus dem Jahre 1441 von einer Knuts-Gilde 358 . Auch für Schleswig-Holstein, damals dänisch, wird zutreffen, daß die Schützengilden in der Nachfolge der Knuts-Gilden des 13. Jahrhunderts stehen. In den Statuten stehen nur gelegentlich Regelungen über soziale Hilfstätigkeiten 359 . Hin und wieder erklärten sich die Städte bereit, die Kosten der Heilungen von Verwundungen in Kriegen zu übernehmen, selten auch das Lösegeld bei Gefangennahme 360 . Auch wurden den Schützengilden gelegentlich aufgetragen, Brände zu bekämpfen, so im Leidener Statut361 von 1392 und in Preetz 1541. Die Brand- und Schützengilden in Leiden (Flandern) und in Preetz verfolgten zwei selbständige Ziele, den Brandschutz und den militärischen Schutz, deren gemeinsamen Punkt die Stadt bildete. Es fragt sich, welches Ziel die zuerst gegrün352 353 354 355 356 357 358 359

360 361

So auch Schäfer und Helmer, a. a. O. Reintges, S. 55. Reintges, S. 52. Reintges. S. 60 ff. HeImeT, Feuerversicherung. S. 8\0. Reintges. S. 66. Reintges. S. 327. Reintges, S. 86. Reintges. S. 265 f. Reintges, S. 352.

154

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

dete Gilde hatte - eine gleichzeitige Gründung mit zwei Zielen ist so gut wie ausgeschlossen - und welcher der beiden Zwecke hinzutrat. In andern Fällen, in denen Gilden, Bruderschaften u. ä. zwei Aufgaben erfüllten, ist die als Schützengilde durchweg die jüngere 362 , wenn sie dann auch gewichtiger geworden sein kann. Auch in Leiden und Preetz wurden je einer vor 1392 bzw. 1442 existierenden, anders ausgerichtete Gilde die Aufgabe der Schützengilde angehängt 363 . Die also ältere Brandgilde in Preetz kann ihr Vorbild in den dänischen Knuts-Gilden gehabt haben. Weil sie keine Gilde der Kaufleute, sondern der Hausbesitzer und aller Bürger geworden war, ließ sie die mit der Schiffahrt zusammenhängenden Risiken weg, beschränkte sich auf das Brandrisiko und konnte später die Aufgaben einer Schützengilde dazu übernehmen.

6. Versicherungen durch Leibrenten Vor der Entstehung gesonderter Sterbekassen gab es schon im 14. Jahrhundert Rechtsgeschäfte zuhauf, in denen auf das Erleben eines Zeitpunkts abgestellt wird, nämlich den Kauf einer Leibrente.

6.1 Die Leibrente als Tausch von kurifristigem Geld in Ratenzahlung

Eine Leibrente besteht in regelmäßig wiederkehrenden Leistungen in Geld oder Naturalien, zu denen sich der Rentenschuldner an den Rentenempfänger (Rentengläubiger) dergestalt verpflichtet hat, daß entweder die erste oder die letzte Leistung oder beide von zukünftigen Lebensereignissen abhängig sind, z. B. vom Erreichen bestimmter Lebensalter, z. B. jeden Jahrs, oder vom Tod (§§ 759 ff. BGB). Da diese Ereignisse an sich oder der Zeit und Zahl ihres Eintritts nach ungewiß sind, steht die Gesamtzahl der Raten während des Lebens und auch damit auch der Gesamtbetrag der Leistungen nicht fest. Leibrenten werden meist bei Übergabe von Betrieben u. a., in der Landwirtschaft zusammen mit dem Altenteil (Wohnung) und als Geldleistungen durch Lebens-(Renten-)Versicherungen vereinbart. Im Mittelalter hängt ihre Entstehung mit der Übertragung von Landbesitz an Machthaber und der Rückübertragung als Lehen zusammen, aus denen dann Einkünfte zu erzielen waren, ebenfalls mit der Verpfändung von Regalien wie Zöllen, Bergrechten u. ä. als Gegenleistung und Sicherheit für die Ausleihe von Geld. Bei unbezweifelbarer Sicherheit des Rentenschuldners, insbesondere bei Klöstern und Städten, konnte auf eine dingliche Absicherung verzichtet werden, so daß das durchweg schriftliche Versprechen, eine Rente für die Hingabe einer Geldsumme zu zahlen, genügte, woraus sich der "Kauf' der Leibrente entwickelte. Wirtschaft362 363

Reintges, S. 66. So auch Kraack, S. 163 Anm. 434, für zwei dänische Gilden 1441.

6. Versicherungen durch Leibrenten

155

lich handelt es sich also um eine Kapitalbeschaffung für den Rentenschuldner und um ein Tauschgeschäft, in dem kurzfristig vorhandenes Geld in langfristige Raten umgewandelt wurden. Dabei gingen neben der Kapitalrückzahlung die an sich verbotene Berechnung von Zinsen wie das Risiko der Länge der Lebenserwartung des Rentengläubigers ungeschieden in die Bemessung der meist halbjährlichen Ratenzahlungen ein. Erst von dem Aufkommen solcher Rentenkäufe in Geld an, nicht schon dem früh gebräuchlichen Tausch von Land und realen Rechten in wiederkehrende Leistungen oder von den Auflagen bei Erbschaften an, wird man von Vorläufern der Rentenversicherung sprechen dürfen; es wird also ein Geldmarkt vorausgesetzt.

6.2 Frühe Leibrentenverträge im 13. bis 15. Jahrhundert in Europa

Die Aufstellung (S. 156) zeigt trotz der Unvollständigkeit der Beispiele 364 , daß der Rentenverkauf ein Finanzierungsinstrument der Städte war, während Klöster und Fürsten weniger das Vertrauen der Geldanieger genossen. Vorangegangen waren die flämischen und niederländischen Städte, wie sich aus der Aufstellung ergibt, und zwar schon seit Anfang des 13. Jahrhunderts; ihre Rentengeschäfte beruhten auf der dortigen Zunahme des Kapitals und dem langfristig gleichbleibenden Wert ihrer Münzen 365 . Die Städte finanzierten ihre regelmäßigen Ausgaben aus indirekten Steuern, griffen aber bei Sonderausgaben, insbesondere aus Anlaß von Kriegen, auf Kapital aus Rentenbriefen zurück. Die Bedeutung der Rentenverkäufe läßt sich am Beispiel Kölns 366 verdeutlichen: Dort stammte von 1370 - 1392 ein Viertel der aufgenommenen Darlehen aus kündbaren Ewigrenten an meist auswärtige Rentenempfänger (Darlehensgläubiger), z. B. aus Lübeck, Mainz oder Augsburg. Erst seit 1416 bediente man sich in Köln kündbarer Leibrenten, mit einem Zinsfuß über 5 1 /2 Prozent. Die Rentenlast stieg vor allem infolge der Kämpfe gegen Herzog Karl den Kühnen anläßlich der Belagerung von Neuss 1474/75 bedeutend an. Auch die Rentengeschäfte der Stadt Hamburg von 1471-1490, die näher untersucht sind367 , zeigen eine gleiche Entwicklung. In der Mitte des 15. Jahrhunderts standen Nürnberger Leibrenten in größerem Ansehen.

364 Angaben größtenteils nach Braun, S. 21 ff. und damit dem Kenntnisstand von 1925; sonst Kellenbenz , Handbuch. 365 Kellenbenz, Handbuch, S. 602 (van der Wee). 366 Kellenbenz, Handbuch, S. 889. 367 Gabrielsson, S. 37.

156

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh. Zeittafel

Jahr

Rentenschuldner

1228

Tournai (6 Briefe)

1229

Tournai (I Brief)

1265

Brügge (für R. N. + Sohn) 100 Pariser Livres

1273

Gent (Rentenscheine)

1281

Brügge (Rentnerliste)

1285

Brügge (Budget)

Rentensatz (%)

\288

Gent

vor 1400

Lübeck

142/7

10

1304

Tournai

143/5

1308

SI. Denis (Kloster, mit dem Erzbischof von Bremen, 2400 Livres)

16

1323

SI. Denis

142/7

1328

SI. Denis

II 4/5

1342-79

Bres1au

25-10

1348

Wi1he1m von Jülich auf seine Städte/Dörfer

1350

Nordhausen

1351

Nürnberg

1370

Köln

1373

Augsburg (Statut)

1396 - 1445 Tournai 1396

Weißenburg (für J. G. + Frau + Bruder), 30 fl

1397

Köln: Böttcherzunft (siehe unten 7.)

1401

Berlin (für 3 Leben)

1402

Amsterdam (Herzog A. d. Bayern: Erlaubnis z. Rentenverkauf)

1423

Breslau

1427

Arras (Verzeichnis der Renteneinlagen)

1429

Leyden (halbjährliche Rentenauszahlung)

10-16 8 1/3

1433/1437 Nürnberg 144611447 Nürnberg 1449-1458 Nürnberg 1453

Burgund, Herzog Philipp (2 Leben)

1464

Amsterdam 1 bzw. 2 Leben

1472

Leyden

11 13117; 9 1/ 11

1283 u. 1472: Texte bei Braun, Urkunden, S. 12 u. 13; die angegebenen Rentenprozente umfassen Verzinsung und Erlebenswahrscheinlichkeiten.

6. Versicherungen durch Leibrenten

157

6.3 Die Städte unter dem Gildenregiment als .. Versicherer"

Bei den Leibrentenverkäufen traten die Städte als diejenigen Stellen auf, die die Ungewißheit über die Zahl der Raten infolge der Ungewißheit über die Länge des Lebens des Rentenempfängers zu tragen hatten. In ihre Angebote der Rentenbriefe gingen auch Vorstellungen über die Länge der Lebenserwartung ein, auch wenn diese sich im nachhinein meist als nicht vorsichtig genug erwiesen. Während die Unterschiede in dem Verhältnis Rate / Kapital auf die regional unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Geldumlaufs zurückgeführt werden 368 , geht Braun 369 davon aus, daß unterschiedliche Sätze an einem Ort auf die unterschiedlichen Lebensalter bei Abschluß der Leibrentenverträge zurückzuführen sind, so daß in grober Weise verschiedene Lebenserwartungen einflossen. Die Städte verbanden also das Geschäft der Geldbeschaffung mit der Anwendung der Methode der Versicherung; die Auffassung 370, daß die Leibrentenverträge des 13. Jahrhunderts in Flandern schon Versicherung waren, ist vielleicht übertrieben, aber für das Ende des 13. Jahrhunderts für die Städte nicht abwegig, die viele Leibrentenverträge abschlossen, dadurch eine gewisse Durchmischung der Risiken erreichten und insofern planmäßig im Sinne der Versicherung vorgingen. Daß von seiten der Rentenempfänger die Absicht der sicheren Geldanlage und der stillschweigenden Verzinsung des Kapitals im Vordergrund stand, steht dem Versicherungscharakter nicht entgegen, möglicherweise aber der Umstand, daß die Einzahlungen nicht als Kapital angelegt, sondern von den Städten ausgegeben wurden. Näheres siehe unten. Im Unterschied zu den - seltenen - Angeboten von Leibrentenverträgen durch Fürsten und Herzöge vertrauten die Rentenkäufer mehr der Dauerhaftigkeit der Städte wegen deren Wirtschaftskraft und deren innerer Verfassung, die nicht von einem einzigen, sondern von dem Stadtregiment aus Patriziern und / oder Gilden und Zünften abhängig war. Auch die Patrizier waren in sich genossenschaftlich organisiert, z. B. in der Kölner Richerzeche. Die gemeinschaftliche Haftung der genossenschaftlich organisierten mittelalterlichen Stadt bot also die Grundlage für die Sicherheit der Leibrenten. 6.4 Gestaltungen der Rentenverträge

Die Leibrentenverträge haben unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren. Wie man aus der Aufstellung ersehen kann, wurde oft die Weiterzahlung der Rente nach dem Tode des Erstberechtigten für dessen Witwe vereinbart, also für zwei leben, oder sogar für drei; in diesen Fällen war also eine Todesfall-Versicherung = Witwenversorgung eingeschlossen. 368 369 370

Kellenbenz, Handbuch, S. 889. Braun, S. 25 u. 37. Braun, S. 26.

158

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

Noch darüber hinaus gingen die Ewig-Renten, die also nicht mit dem Tode der Berechtigten endeten, also keine Versicherungen waren, sondern Darlehensgeschäfte. Da ihre Verzinsung wegen der längeren Laufzeit niedriger war, waren sie meist kündbar371 , so in Köln 1370 - 1392. Die Nürnberger Ewig-Renten von 1426-1478 waren eine weithin bekannte Geldanlage 372 . Die Rentenverkäufe waren übrigens von der Kirche von vornherein nicht als Wucher eingestuft und nicht als Zinsnahme verboten worden, vielmehr wurde ihre Zulässigkeit 1425 und 1455 von Päpsten klargestellt 373 • 6.5 Leibrentenverträge im Vergleich zur Versicherung

Bei den Leibrenten handelt es sich rechtlich nicht um Verkäufe / Käufe - dies ist nur eine Hilfskonstruktion -, sondern um das Versprechen wiederkehrender Zahlungen in der Zukunft unter Bedingungen mit Wagnischarakter. Die Methode war die der Lebensversicherung mit Einmalprämie, und nur das Ziel der Schuldner der Leibrenten, der Städte, war ein anderes als das von Versicherern, nämlich die Ausgabe des verschafften Kapitals für Schulden, Kriege und für alle andern Haushaltsausgaben. Versicherer dagegen haben die Erhaltung des eingezahlten Kapitals als Ziel, und zwar letztlich im Interesse der Versicherten. Diesen Gewinn an zusätzlicher Sicherheit benötigten die Städte wegen ihrer Sicherheit als Fiscus, als zur Steuererhebung Berechtigte und als auf Gilden gegründete Körperschaft im Regelfall nicht, ähnlich den öffentlich-rechtlichen Versicherern in der jüngeren Vergangenheit. Andrerseits läßt das starke spekulative Element der Leibrentenverträge es nur zu, von versicherungsähnlichen Institutionen zu sprechen. Für die Entwicklung der Versicherung ergibt sich immerhin als bedeutsam, daß sich schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts das Prinzip, Zahlungen je nach Dauer des Lebens gegen vorherige Einmalprämie aufgrund eines Leistungsversprechens nach Zivilrecht, durchgesetzt hatte. Es trat damit neben die gegenseitigen Versprechungen der Gildemitglieder in der Gildeversicherung.

7. Rentenzahlungen bei Invalidität u. ä. 7. J Rentenzahlungen

In den Leibrentenverträgen wurde schon seit 1228 in Flandern ein eingezahltes Kapital in halbjährliche Rentenzahlungen umgewandelt (siehe oben 6.). In englischen Gilden des späten 13. Jahrhunderts finden sich ebenfalls regelmäßige Geldzahlungen, jedoch in kürzeren Abständen, so (siehe oben 3. Kap. 6.) 371 372 373

Kellenbenz, Handbuch, S. 889. Braun, S. 27. Braun, S. 25.

7. Rentenzahlungen bei Invalidität u. ä. 1283

159

im Statut von Berwick, Schottland, u. a.;

1328/1388 im Statut der Schneider-Gilde von Lincoln; 1375

im Statut der Bruderschaft zu Garlekith in London

und zwar 1328 und 1375 als wöchentliche Zahlung; in Lincoln sind es sieben Pfennige. Die Renten wurden bei unheilbarer Krankheit (Berwick u. a.), bei Annut (Lincoln) oder an Kranke und Anne (London) gezahlt. Da es in England eine Reihe weiterer Beispiele gab, darf man annehmen, daß die Gepflogenheit wöchentlicher Zahlungen in Gilden aus England stammt, mag es sich dort im Hinblick auf die Finanzierung aus allgemeinen Gildemitteln nun um Gildeversicherungen oder Gildevorsorgen gehandelt haben.

7.2 1397: Die erste Rentenversicherung bei Invalidität in der Kölner Böttcher-Zunft Innerhalb Deutschlands - ohne das damals dänische Schleswig - enthält das Statut der Zunft der Böttcher374 in Köln, Amtsbrief genannt, vom 14. April 1397 eine Besonderheit, nämlich eine Pflicht zu Rentenzahlungen in bestimmten Fällen. Nr. 12 des in deutscher Sprache fonnulierten Amtsbriefs lautet, etwas gekürzt: "Wenn einer von den Brüdern lahm, blind oder so alt geworden ist, daß er arm wurde und keine Kunden (mehr) gewinnen konnte, .. so begehren sie, und es solIen die Amtsmeister den lahmen, blinden oder alten, kranken Brüdern von ihrer Bruderschaft wegen aus ,ihrem Schrein (Kasse), wenn da so viel drin ist oder anderes aus dem ,gemeinligen' zu nehmen ist, alIe Tage geben, und zwar jedem acht ,Märchen', solange jenen Gott das Leben gibt, ohne jedweIche (,alIerlei') Hindernisse."

In dieser Bestimmung sind die Risiken genannt, nämlich Gebrechen, Blindheit, Alter in Verbindung mit Krankheit, und die Voraussetzungen für Leistungen beschrieben, nämlich - Einstellung der Berufstätigkeit (keine Kunden), - keine Einnahmen und das Fehlen von Betriebsmitteln (arm), - Zahlungsfähigkeit der Kasse. Es wird die wiederkehrende Zahlung und deren Höhe vorgeschrieben: Acht ,,Mörchen" = 16 Pfennige, also im Jahr 40 Mark, eine beträchtliche Summe in damaliger Sicht. Es ist nicht erstaunlich, daß hierin eine Sozialversicherung gesehen wurde, jedoch ist zu fragen, ob nicht die Voraussetzung von Annut eine Einschätzung der persönlichen Verhältnisse des Berechtigten ennöglicht hat, die für eine Versiche374

von Loesch, Kap. 6 S. 133.

160

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

rung nicht zulässig wäre. Eine genauere Betrachtung zeigt Abstufungen der Annut, nämlich das Fehlen von Einnahmen und Betriebsmitteln, das Fehlen von verwertbarem Vennögen und der Mangel an Lebensunterhalts. Es war gerade der Zweck von Unterhaltungszahlungen der Gilden, wie man aus späteren Stadtratsbeschlüssen weiß, die Stadtkasse nicht zu belasten und den Zunftbruder vor dem Annenhaus zu bewahren, eben der zweituntersten Stufe der Annut über dem Bettler. In der Zunft lag die Annutsgrenze höher als außerhalb dieser, und man könnte die im Amtsbrief gemeinte Mittellosigkeit eher, aber nicht völlig mit der Grenze vergleichen, die in der heutigen gesetzlichen Rentenversicherung bei Anrechnungen von Einkommen auf Witwenrenten gilt. Unter Berücksichtigung der mittelalterlichen Verhältnisse war dies schon eine sichere Versorgung, in der die Erfüllung der Voraussetzungen von den Zunftgenossen ohne weiteres nachprüfbar, also objektiviert war. Dem entspricht die Weisung des Amtsbriefs, die Renten "ohne jedwede Hindernisse", also ohne Ansehen der Person, nach objektiven Merkmalen zu bezahlen. Es handelt sich also um eine Versicherung innerhalb einer Berufsgruppe, wie bei den heutigen sog. Ärzteversorgungen. Allerdings war bei den Kölner Böttchern die Finanzierung durch Kapital weitgehend gedeckt. Der "Schrein" der Zunft wurde aus den Eintrittsgeldern, den Strafgeldern, Umlagen bei Begräbnissen u. ä. gespeist, also aus Zahlungen der Mitglieder, jedoch auch aus Mieten für Häuser und aus Rentenkäufen, die die Böttcher-Zunft erworben hatte, wie dies aus weiteren Urkunden der Zunft und über sie hervorgeht. In Köln werden mit den "Schreins"-Urkunden die mittelalterlichen Vorgänger der Grundbücher bezeichnet, sodaß mit dem "Schrein" der Böttcher-Zunft auch das in (Miet-) Häusern und in Rentenbriefen angelegte Vermögen der Zunft gemeint ist. Dabei wurden die Kosten der Altersversorgung bestimmten Einnahmen zugerechnet, nämlich den Eintrittsgeldern, so daß man von einer Kapitalversicherung sprechen kann, und die Vorsicht des Statuts, nur Zahlungen zu versprechen, wenn Geld in der Kasse ist, entspricht dem. Die Erfindung der Böttcher-Zunft liegt in der Verbindung vom Erwerb städtischer Renten und der Auszahlung eigener, durch das Statut begründeter Renten: Solange die Stadt Köln zahlte, konnte die Böttcher-Zunft in ihren Versicherungsfällen zahlen; die Böttcher-Zunft vennittelte ihren Mitgliedern die Sicherheiten der Stadt und wagte es daraufhin, eine Rentenversicherung einzuführen, sozusagen eine rückversicherte Gegenseitigkeitsversicherung, die es vorher nirgendwo, soweit bekannt, gab, und diese sogar für Risiken ihrer Mitglieder, wie sie sonst nur in England, Dänemark und in Flandern sowie in den Gesellengilden vorkam. Die Rentenregelung der Böttcher Zunft stellt die erste und einzige Rentenversicherung im Mittelalter dar. Die Rentenversicherung der Böttcher-Zunft tritt 1397 nicht ganz unerwartet auf, weil die Rentenzahlung sich nach England zurückverfolgen läßt. Die Pflicht zur Aufbringung von Einnahmen ist aus den alten Gildeumlagen und aus den ,,Büchsen" der Gesellenverbände übernommen, die Fonn der wiederkehrenden Zahlungen aus den englischen Kaufmannsgilden und den damals in Köln schon gehäuften

7. Rentenzahlungen bei Invalidität u. ä.

161

Käufen von Leibrenten. Die Versicherungsfalle Blindheit, Gebrechen, Alter in Verbindung mit Krankheit müssen wohl in der Zunft selbst zusammengestellt sein; aber es gab für Krankheit in den Gesellenverbänden und für unheilbare Krankheit in Berwick (Schottland) Vorbilder. Die neuartige Kombination der Finanzierung aus Zahlungen der Mitglieder, Zinsen aus Häusern und Leibrenten ist sicherlich eine Erfindung der Böttcher selbst, die in den Jahren der Konsolidierung der Macht der Stadt Köln - 1313 erneute Privilegierung - und der stärkeren Beteiligung der Zünfte am Stadtregiment (1396 Verbundbrief = neue Verfassung) in Zeitläufen dachten, die über eine Generation hinweg reichten. Mit der Gesamtkonstruktion nimmt die Vorschrift der Böttcher-Gilde die Rentenversicherung fast um ein halbes Jahrtausend vorweg. Noch erstaunlicher ist der Zusatz in der nächsten Nummer des Amtsbriefs (13.) von 1397: "Und wenn jemand anders (als ein Böttcher) in die Bruderschaft aufgenommen werden will, den sollen und wollen die Amtsmeister gerne aufnehmen, und er soll der Bruderschaft so viel geben, wie es gleich wäre" (dem Werte des Eintrittgsgeld, das als Vermögen angelegt wurde).

Der Herausgeber der Urkundensammlung 375 verdeutlicht in der hinzugesetzten Überschrift den Sinn dieser Bestimmung mit "Erwerb der Bruderschaft wegen Altersversorgung" und fügt hinzu, daß so auch Dritte durch eine Einzahlung eine Rente erlangen konnten. Die Öffnung einer beruflichen Zunft für den freiwilligen Beitritt Dritter war am Ende des 14. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Ausnahme, während sie in den frühen fränkischen Gilden und den dänischen Ortsgilden, die eben nicht auf einen Beruf beschränkt waren, die Regel war. Der freiwillige Beitritt brachte die volle Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten und ging damit über den Erwerb einer Leibrente hinaus, allerdings wurde zur Finanzierung mit dem Gebot der Gleichwertigkeit der Kaufsumme für die Rente eine besondere Finanzierungsquelle, eben eine Einmalprämie, und damit eine besondere Kalkulation eingeführt. Die Zunft konnte so wie eine Stadt die Garantie der Einlösung des Versprechens der Leibrente geben und als Versicherungsunternehmen konkurrieren. Wie lange die Zunft ihre Rentenzusagen einhalten konnte, ist nicht überliefert, obwohl einige Zunfturkunden aus späterer Zeit (mit andern Inhalten) vorliegen. Ein freiwilliger Beitritt zur Zunft machte nur dann Sinn, wenn damit ein unbedingter Anspruch auf die Rente eingeräumt wurde, die in der Nr. 12 des Amtsbriefs den Zunftgenossen versprochen worden war. Die Voraussetzung der Armut, die dort aufgestellt worden war, war und ist im Rückschluß so zu verstehen, daß generell Einkommenslosigkeit als Regelfall zugrundegelegt wurde, genau wie die so-

375

von Loesch, wie vor.

11 Schewe

162

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

ziale Rentenversicherung 1889 mit der Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer begründet worden ist. Hier, 1397 in Köln, wurde durch eine Summierung von Beitritten mit Einmalprämie die erste freiwillige Rentenversicherung eingeführt, und zwar in einer "Rentenkasse", die durch die Pflichtmitgliedschaft in einer Zunft getragen, aber privatwirtschaftlich durch Kapital gedeckt wurde. Die Institution der BöttcherZunft ist die erste Rentenversicherung in Deutschland, wahrscheinlich auch in Europa anzusehen, und zwar als Gilderentenversicherung auf Gegenseitigkeit wie als Individualrentenversicherung. 8. Der Tod als Versicherungsfall Den Menschen des Mittelalters stand der Tod viel deutlicher vor Augen als in der Gegenwart, zum einen, weil Geburt und Tod beim häufigen Säuglingstod und dem Tod der Mutter enger verbunden waren, zum zweiten, weil die frühere Sterblichkeit die Jahrgänge jenseits des 30. Lebensjahres schnell dahinschmelzen ließ, zum dritten, weil der Tod in der nächsten Umgebung miterlebt wurde. Daher waren die Sorge um ein anständiges Begräbnis und um die Fürbitten für das Lebens jenseits des Tods seit jeher ein starker Antrieb für Stiftungen an die Kirchen und den Erwerb von Ansprüchen durch gegenseitige Zusicherungen in Gilden und Bruderschaften, wie dies schon oben dargestellt wurde 376 .

8.1 Der Mangel der Hinterbliebenenversorgung

Allerdings reichten die Lebensjahre eines einzelnen zum Erwerb eines vererb baren Vermögens wegen der kurzen Lebenserwartung in den weitaus meisten Fällen nicht aus, und die Möglichkeit, für das Schicksal der Angehörigen nach dem eigenen Tode zu sorgen, stand hintan. Die Versorgung Hinterbliebener spielte auch im 15. Jahrhundert noch keine große Rolle. Die Vorstellung ,daß der Ehemann über seinen Tod hinaus für seine Ehefrau zu sorgen habe, war noch nicht Allgemeingut und wirtschaftlich nicht zu verwirklichen. War die Frau bei Tod des Mannes nicht durch eigenes oder ihr hinterlassenes Vermögen oder durch eine gekaufte Leibrente versorgt, so versuchte sie, die Tatigkeit des Mannes weiterzuführen und bald wieder zu heiraten. Die Zunftordnungen erlaubten Handwerkerwitwen dies für eine begrenzte Zeit, z. B. ein Jahr, oder auch bis zu Übernahme des Geschäfts durch einen Sohn. Sonst mußte die Witwe bei Verwandten Unterschlupf finden oder fiel in Armut und war auf die Hilfe kirchlicher Bruderschaften angewiesen. 376 Die Auffassung, erst im Zuge einer "Klerikalisierung des Todes" hätten sich Bruderschaften mit dem Ziel der Beteiligung am Leichenbegräbnis gebildet - so Aries S. 236 -, ist unzutreffend.

8. Der Tod als Versicherungsfall

163

Für Waisen wurden im späten Mittelalter in den Städten vielfach Waisenhäuser gestiftet, auch von den Gilden / Zünften. Im übrigen waren auch die Waisen auf die Mildtätigkeit ihrer Mitmenschen und vor allem der Kirche angewiesen. Auch in den Fällen, in denen Hilfen für sie regelmäßig geboten wurden, so bei Hinterbliebenen von Bergleuten 377 , bestanden diese in Gaben für den dringenden Lebensbedarf und ohne Anspruch darauf. Eine Ausnahme bildete die Rentenzahlung an eine Waise 1283 in Berwick in Schottland (siehe oben 3. Kap. 6.1). Daher treten Witwe und Waisen als Objekte der Vorsorge - abgesehen von Erbschaften - erst im 14. und im 15. Jahrhundert in Erscheinung, und zwar u. a. - als Witwe eines Meisters mit Armenversorgung durch die Gilde wie schon 1323 bei den Pelzrnachern in Köln 378 ; - als Leibrentenberechtigte, wenn die Leibrente für zwei Leben gekauft worden war, so schon 1265 in Brügge für Vater und Sohn, aber erst 1396 in Weißenburg für Mann und Frau (siehe die Übersicht und 6.2) sowie - als Berechtigte einer GeselJenversicherung wie erstmals 1447 aus der Sterbekasse der Brauergesellen in Hamburg (siehe 7. Kap. 6.). Auch die seltenen Reiseversicherungsverträge in Italien, die den Todesfall einschließen, sind erst für die Jahre nach 1385 überliefert und waren wohl immer im Interesse der Gläubiger und Finanziers, nicht mit dem Ziel der Versorgung der Witwen und Waisen geschlossen (siehe unten 13. Kap. 8.).

8.2 Die (erste) Hinterbliebenenversicherung der "Reitenden Diener" in Lübeck 1497 Die erste selbständige Hinterbliebenenversicherung wird 1497 gegründet, also erst kurz vor Ende des Mittelalters, vielleicht auch erst zwischen 1500 und 1550, nämlich "Der Reitenden Diener Witwenkasse und Todtenlade zu Lübeck,,379, es handelt sich um eine Versicherung, die nur dem Todesfallrisiko gewidmet ist. Die Todtenlade ist erst 1891, die Witwenkasse sogar erst 1940 erloschen. Das lange Bestehen der ältesten Witwenkasse in Lübeck läßt mit Sicherheit darauf schließen, daß diese am Ende des 16. und im 17. Jahrhundert auf begründeten Erfahrungen beruhte, möglicherweise auch auf einem Kapitalstock. Die zweitälteste Hinterbliebenenversorgung in Deutschland ist der "Witwenkasten für die Priester-Witwen und Waysen in Freiberg" 1558 gewesen 380 und die drittälteste vermutlich eine Totenkasse in Lüneburg 1565 381 . 377

378 379 380 381

11*

Lauf, S. 75, allerdings erst für das Ende des 15. Jahrhunderts. von Loesch 11., S. 309 Nr. 12. F. Ehel, Quellennachweis, S. 260. F. Ehel, Quellennachweis, S. 456; Schewe, Offene Fragen, S. 410. F. Ehel, Quellennachweis, S. 341.

164

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

Witwenkassen finden sich wohl zuerst bei Berufen, die den Stadtregierungen oder den Landesfürsten nahestanden.

8.3 Exkurs: Eine Witwenversicherung in der Londoner Kaufmannsgilde 1698 - die erste Lebensversicherung?

Die frühen Hinterbliebenenversicherungen in Deutschland geben Anlaß zu einem Exkurs: Als "Vorläuferin einer modemen Lebensversicherung" ist 1698 in London eine Gesellschaft gegründet worden, die erste nach einer weitverbreiteten Auffassung 382 , aber es handelte sich um eine Gildeversicherung, nicht um eine private Gesellschaft, denn - die Gründung fußte auf einem Kapital, das von der Mercers Company, also der Londoner Kaufmannsgilde, hinterlegt worden war; - die gegründete Company diente schon ihrem Namen nach "for the benefits of the vidows of clergymen and others and for settiing off jointures and annuities", also in erster Linie einer Witwen versorgung - wie die der Reitenden Diener um 1500 in Lübeck, allerdings 200 Jahre später; - am 4. Okt. 1699 beschloß die Kaufleutegilde - wie in jeder Gilde gewohnt - ein Statut (und nicht etwa private Versicherer Geschäftsbedingungen) und - die neue Gildeversicherung mußte schon einige Jahrzehnte später trotz der auf Sterbewahrscheinlichkeiten beruhenden Berechnungen mit Staatszuschüssen vor dem Bankrott gerettet werden, und diese wurden ihr mit Rücksicht auf das Ansehen der Kaufleutegilde auch zugebilligt. Soweit der Exkurs.

8.4 Erste Todes/allversicherungen im 15. Jahrhundert in Europa

Aus den bereits genannten Angaben dieses Kapitels läßt sich die folgende Zeitfolge (s. Seite 165) zusammenstellen. Die Zeittafel läßt den Weg der Versicherungen von Todesfallen erkennen, nämlich - von der Versicherung der Bestattungskosten in Gilden zu der gesonderten Sterbekasse der Schoppenbrauer-Bruderschaft 1447 in Hamburg, - von den systematischen Leibrentenverträgen der Städte, die im 13. Jahrhundert in Flandern begonnen haben, - zur ersten Rentenversicherung der Böttcher-Zunft 1397 in Köln und - zur ersten gesonderten Witwenkasse eines Berufsvereins 1497.

382

Braun, S. 112 f.

8. Der Tod als Versicherungsfall

165

Zeittafel 950 bis 1500 ff.

Bestattungskosten; Exeter, Cambridge und in vielen Gilden / Zünften und Ländern

1228 bis 1500 ff.

Leibrentenverträge mit Städten, zuerst in Flandern

ab 1265

Leibrentenverträge auf zwei Personen in Brügge

1283

Renten an weibliche Waisen in Berwick / Schottland

1397

Invaliditätsrenten der Böttcher-Gilde in Köln mit Kapitaldeckung durch Rentenkäufe - Erste Rentenversicherung

1427/28

Todesfallversicherungen von Ehefrauen in Genua für die Dauer der Reise der Ehemänner (verboten im 16. Jahrhundert)

1430

Todesfallversicherungen von geschwängerten Sklavinnen in Genua auf Transporten (private Haftpflichtversicherung)

1447

Unterstützungs- und Sterbekasse der Schoppenbrauer-Gesellen in Hamburg

vor 1500

Erstattung der Eintrittgelder zu Bruderschaften an Hinterbliebene von Bergleuten

1497

erste Witwenkasse u. Todtenlade eines Berufsvereins ,,Reitende Diener" der Stadt Lübeck

In der Neuzeit: 1698/99

Witwenkasse in der Kaufmannsgilde von London

Nach diesem Stand, der natürlich durch neuere Funde verändert werden könnte, sind die Todesfallversicherungen des Mittelalters sowohl mit kurzfristigen wie langfristigen Leistungen in Gilden entstanden, teils auf der Grundlage der Gegenseitigkeit, teils auf der Grundlage der dauerhaften Kreditwürdigkeit der Städte. Die Rentenversicherung 1397 in der Böttcher-Zunft in Köln ist das Zwischenglied, das die Leibrentenverträge mit den späteren Erlebens- und heutigen Rentenversicherungen verbindet. Der ersten selbständigen Sterbekasse 1447 in Hamburg schließen sich bis heute viele an. Die Witwenkasse von 1497 in Lübeck hat die heutige Hinterbliebenenversicherung eingeleitet. Für die privaten italienischen Reiseversicherungsverträge, die das Todesfallrisiko auf Reisen einschlossen, ist eine Verbindung zur heutigen Lebensversicherung nicht ausgeschlossen, aber ein Nachweis dafür kann im Mittelalter nicht geführt werden. Am Ende des Mittelalters waren schon eine Reihe von Versicherungsfällen, die mit dem Lebensende und dem Lebensalter zusammenhängen, in Erscheinung getreten, so, wie dies aus der folgenden Übersicht hervorgeht, allerdings waren sie nur bei den Sachkosten weit verbreitet.

166

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

Versicherungen bei Todesfallen und Erlebensfallen Erleben eines ErwerbsunfaLebensalters higkeit (auch infolge Alters)

Tod

Bestattungen - siehe unten -

Rückzahlung von Eintrittsgeldern an Hinterbliebene von Bergleuten

Persönliche Dienste

Unterhaltsersatz an Waisen u. Witwen

Wertersatz Leibrentenverträge der für Tod auf Reisen Städte a) für Sklavinnen b) des Mannes bei Haftung von Ehefrauen

Renten der Gilde in Berwickl Schottland bei unheilbarer Krankheit Rentenversicherung der Böttchergilde in Köln

Leistungen bei Bestattungen Sachkosten kirchliche Gebühren für Seelmesse

Grabgeleit

4 Wachslichter

und

Totengräber

Leihe von Leichentüchern (anstelle Särgen)

Grabeinsegnung

Leichenschmaus (mit oder anstelle von Erben) Heimholung des Leichnams Keine Versicherung

Versicherung je nach Ausgestaltung

Versicherungen, soweit Beitragszahlung Sterbekassen

9. Die drei Zeitabschnitte der Versicherungsentwicklung im Mittelalter und ihre Personenkreise Am Ende des Mittelalters zeigt ein Blick über die Entwicklung der Gildeversicherungen ein vielseitiges Bild.

9.1 Risiken und ihre Ausbreitung

In die Gildeversicherungen sind im Lauf der Jahrhunderte 18 verschiedene Risiken aufgenommen worden, nämlich in der zeitlichen Reihenfolge: Rechtsschutz, Viehdiebstahl, Brand, Begräbniskosten, Lösegeld, Seewurf von Waren, Schiffbruch, Raub, Beschlagnahme von Waren (Arrest), Krankheit, Krankengeld, Arbeitgeberhaftpflicht, Arbeitsunfall, Arbeitslosigkeit, Reisegeld, Erlebensrenten, Invaliditätsrenten, Hinterbliebenenrenten. Die Verbreitung der Gildeversicherungen blieb auf einige Länder an Nord- und Ostsee beschränkt und strahlte nur in einzelnen Beispielen auf die benachbarten

9. Die drei Zeitabschnitte der Versicherungsentwicklung

167

Regionen aus, aber nicht darüber hinaus auf das Binnenland. Nur die Versicherungen der Gesellen und der Bergleute- die größten Personenkreise - waren europaweit verbreitet. Auch der Erwerb von Renten der Städte - eine versicherungsähnliche Institution - gehörte in den meisten Ländern Europas zur Gewohnheit wohlhabender Bürger, war also eine Vorwegnahme individueller Altersvorsorge, allerdings durch öffentliche Träger. Nach frühem Beginn um 930 wurden die größten Schritte der Versicherungsentwicklung ab 1200 gemacht. Nicht erst am Ende des Mittelalters um 1500, sondern schon in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war das Versicherungsprinzip Schadensersatzzusage für Gefahren gegen Beitrag / Umlage - Allgemeingut und in vielen Variationen gebräuchlich, darunter auch als Schiffsversicherung. Es ließ sich seitdem ohne weiteres auf neue Risiken und neue Personenkreise übertragen und auch "privatisieren". Wahrend in fast allen Gilden der freiwillige Eintritt in die Gilde die Mitgliedschaft und damit die Zugehörigkeit zur Gilde die Teilnahme an der Versicherung automatisch nach sich zogen, treten im 14. Jahrhundert Statuten auf, die Sonderregelungen für Mitgliedergruppen (Kaufleute, Schiffer) innerhalb der Gilde enthalten, und 1397 erlaubt erstmals eine Gilde in Köln den freiwilligen, individuellen Beitritt zu ihrer Altersversicherung durch Vertrag. 9.2 Die ersten zwei Zeitabschnitte

Von 930 bis 1500, also fast 600 Jahre lang, entstanden und entwickelten sich die Gildeversicherungen, allerdings in unterschiedlich langen Zeiträumen. Aus der Zeit vor 950 bis 1199, also für 250 Jahre, ist die Zahl der Gilden in Deutschland, die eindeutig zu identifizieren sind, gering und von noch wenigeren sind ihre Aufgaben und ihre innere Verfassung bekannt oder erschließbar; das erste Statut ist erst von 1231 aus Stendal überliefert. An besonderen Gildeleistungen sind nur das Seedarlehen in Tiel 1030 und 1176 bei den Drechslern in Köln die vier Wachslichter bei der Aufbahrung des Verstorbenen zu nennen. Für die Gilden in England, Nordfrankreich und Flandern ist die Überlieferung besser, aber auch dort gibt es nur wenige Statuten, die Regelungen über besondere Leistungen für Wechselfälle des Lebens enthalten. In den 250 Jahren sind nur drei Leistungsfälle genannt, nämlich Brand, Lösegeld für Gildemitglieder und Waren, Begräbnisaufwand. Sie und die Umlage sind aus Exeter vor 950 übernommen, wobei die Umlage für die Südfahrt (Seedarlehen) 1188 in Aire in die für das Lösegeld umgewandelt worden ist. Man muß also nach einem gelungen Start vor 950 einen Stillstand des Versicherungswesens für 250 Jahre konstatieren. Der zweite Abschnitt der Versicherungsgeschichte des Mittelalters umfaßt die 150 Jahre von 1200 bis 1350. In ihm erfaßt die Gildeversicherung neue Personen-

168

8. Kap.: Gildeversicherungen, Brand- und Sterbekassen im 14. und 15. Jh.

kreise und neue Risiken. Die dänischen Gilden übernehmen angelsächsische und flandrische Versicherungsarten und wenden diese auf neue Risiken, so den Schiffbruch, an. Zugrunde liegt die starke Entwicklung der Gilden. An Personenkreisen in Gildeversicherungen kommen die Kaufleute und Seefahrer in Dänemark und Schleswig, die Berggewerken und die Bergarbeiter und die Handwerksgesellen hinzu, zusammen ein Vielfaches der bisherigen Versichertenzahl. Denkt man noch den Abschluß von Leibrentenverträgen hinzu, die massiert bei Städten einen Ausgleich von Risiken mit sich bringen, dann ist am Ende des Zeitabschnitts (1350) ein großer Teil des zukünftigen Versicherungswesens erfunden, wenn auch teils nur regional verbreitet. In diesen Versicherungsfällen findet das Instrumentarium der von England überkommen Gildeversicherung Anwendung: Leistungen bei Eintritt eines Risikos, Umlagebeitrag, freiwilliger Beitritt.

9.3 Das "fahrende Volk"

Die neuerfaßten Personengruppen haben eine Eigenschaft gemeinsam, die erst beim zweiten Blick auffällt: Kaufleute und Schiffer, Handwerksgesellen und Bergarbeiter sind "fahrendes Volk" und nicht oder nur locker in das Feudalsystem eingebunden und konnten der kirchlichen Hierarchie durch Wanderung relativ leicht entfliehen, wenn sie dies wollten. Die Mobilität brachte ihnen in einer sonst statischen Gesellschaft Gewinnchancen, aber auch Unsicherheiten, und eben diesen suchten sie mit Zusammenschlüssen und Verteilung von Schäden auf viele zu begegnen. Die Sicherheit im Kollektiv (Gilde) sollte die Sicherung durch Grundbesitz ersetzen bzw. ergänzen. Das ursprüngliche Ziel der Gilden, gemeinsam Rechte zu verwirklichen, verselbständigte sich als Versicherung.

9.4 Der dritte Abschnitt der Versicherungsentwicklung von 1350 bis 1500

Von 1350 bis 1500 treten neue personale Risiken auf, so Renten bei Invalidität und an Hinterbliebene beim Todesfall. Gildeversicherungen nehmen für Gesellen, Bergarbeiter und dort zu, wo sie vor 1350 schon bestanden. Weiter verändern sich die Gilden unter kirchlichem Einfluß und wandeln sich in Vereinigungen mit geringer innerer Bindung um, vor allem in Bruderschaften, behalten aber die bisherigen gegenseitigen Leistungszusagen vielfach bei. Z. T. bilden sich dafür besondere Einrichtungen in ihnen oder die Versicherungen in Gilden verselbständigen sich sogar. Jedenfalls tauchen eine Reihe von Variationen auf, so die Brand- und Schützengilden und die Kalande. Zu den überkommenen Gildeversicherungen für den Schiffbruch und ihren Nachfolgern tritt außerhalb Dänemarks nur noch eine hinzu, nämlich in Portugal, aber die Lücke Warentransporte zur See wird ab 1350 von privaten Seeversicherern geschlossen.

9. Die drei Zeitabschnitte der Versicherungsentwicklung

169

9.5 Einfluß der Reformation auf Gildeversicherungen "Schon gegen Ende des 15. Jahrhunderts war die religiöse Gemeinschaftsidee trotz des äußeren Aufblühens der Gilden verflacht,,383, und nicht nur die religiöse. Mit der Refonnation griff ein starker innerer und äußerer Wandel der Gilden, Zünfte, Bruderschaften schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts um sich, so durch die Änderung des Totenkults und damit der Sammlungen und Abgaben anläßlich des Begräbnisse, auch durch einen teilweisen Wegfall der Sorge für Krankheiten in Hospitälern der Kirche 384 und deren Orden, ebenso durch das Aussetzen von Zahlungen aus Rentenkäufen bei kirchlichen Institutionen, schließlich durch den Wegfall kirchlichen Einflusses auf Zinsen, die vorher als Wucher angesehen wurden. Diesen und weiteren konkreten Einflüssen der Refonnation auf vorherige Gegenseitigkeits-Versicherungen ist bisher nicht, jedenfalls nicht in genügender Breite nachgegangen worden, vielmehr beschränkt man sich meist darauf, die Lehre des Protestantismus von der Werkgerechtigkeit heranzuziehen. Dementsprechend ist die Frage, ob die versicherungsähnlichen Einrichtungen und die gegenseitigen Versicherungen in Gilden u. ä. vor und nach der Refonnation mit Kontinuität fortgesetzt wurden, noch nicht zu beantworten; es gibt Fälle, diese Frage zu bejahen, wie solche, sie zu verneinen. Auch sind die Antworten je nach Fragestellung teils unterschiedlich: Kontinuität als Fortbestand der Institutionen mit neuem Inhalt oder als Übernahme alter Inhalte auf neue Institutionen? Die versicherungsgeschichtliche Literatur neigt zur letzteren Fragestellung und hilft sich zudem bei der Bejahung einer Kontinuität mit dem Überspringen von Zwischenzeiten. Diese Frage hier so gründlich zu untersuchen, wie es entsprechend dem Vorgehen in anderen Bereichen der Geschichtswissenschaft, z. B. über die Auflösung der Gilden und Bruderschaften in Flensburg385 , erforderlich wäre, verbietet an dieser Stelle der Ausgang des Mittelalters um das Jahr 1500, das schon außerhalb des hier gewählten Zeitraums liegt. Immerhin ist für die Brandgilden in Dänemark und in Schleswig-Holstein erkennbar, daß auch im 16. Jahrhundert für die Deckung des Brandrisikos kontinuierlich gesorgt wurde, möglicherweise auch für die Schiffsversicherung.

383 384 385

Kraack, S. 115. Schirbel, S. 273. Kraack, S. 115 ff.

Neuntes Kapitel

Seewurf und Schiflbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450 Der europäische Seeverkehr reichte im 13. Jahrhundert von Byzanz über Gibraltar und über die Nord- und Ostsee bis Reval und war der mobilste Bereich des damaligen Wirtschaftslebens. Für die Seerechte war und ist eine über den gleichen Raum gehende Betrachtung gebräuchlich, wobei selbstverständlich die drei großen Rechtsgebiete - Mittelmeer, die Atlantikküste und die nördlichen Länder - Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen 386 • Entstehung und Schicksal der Seeversicherung haben die gleichen Räume, die gleichen Wanderungen über weite Strecken und ebenfalls begrenzte Unterschiede zugrundezulegen. Im Gegensatz zu dieser europäischen und aus der Natur des Seeverkehrs und des Seerechts gebotenen Betrachtung der Seeversicherung hat die bisherige versicherungsgeschichtliche Literatur bis in die Gegenwart die Ansätze zur Seeversicherung im Norden und im Süden nicht zusammengesehen. Viele Fragen sind nicht aus der Geschichte einzelner Länder oder gar Städte zu beantworten 387 • Die europäische Entwicklung der Seeversicherung Schritt für Schritt nachzuvollziehen (und nur nebenbei einige der Irrtümer der Literatur über die Seeversicherung aufzuklären), muß das Ziel der Untersuchung sein. Den Leitfaden dafür bietet, anders als in der bisherigen versicherungsgeschichtlichen Literatur, die zeitliche Reihenfolge über alle Länder hinweg.

1. Der Seewurf 1.1 Der Seewurfim Seerecht

Der Verlust von Schiffen und der auf ihnen beförderten Güter haben seit jeher das Seerecht beschäftigt. Seeversicherungen knüpfen immer an die Regelungen des Seeverkehrs an, auch da, wo diese sog. Lücken lassen, also eine seerechtliche Haftung fehlt: Das Seerecht gibt also die Tatbestände für die Seeversicherung vor, unter diesen außer der allgemeinen Gefahr durch Wind und Wellen auch die Gefahren durch andere Schiffe und die der Großen Haverei. Darunter werden Schä-

386 387

Krieger, Jahrbuch und "Ursprung". Nehlsen-v. Stryk, verschiedentlich.

I. Der Seewurf

171

den, die Schiff und / oder Ladung zwecks Rettung aus gemeinsamer Gefahr vorsätzlich zugefügt werden, zusammengefaßt, z. B. der Fall, daß ein Ankerseil oder ein Abschleppseil bewußt gekappt wird, um das Schiff nicht hinunterziehen zu lassen. Zu der Großen Haverei gehören nach der heutigen Regelung 388 in § 700 Abs. 1 Handelsgesetzbuch auch die Folgeschäden, z. B. der Verlust der Fracht (= Beförderungspreis) und die Kosten der Rettung. Die Große Haverei wird nach § 716 HGB von Schiff, Fracht und Ladung gemeinschaftlich nach deren Wert getragen. Einen besonderen Fall bildet der sog. Seewurf, bei dem Waren, z. B. Container, über Bord geworfen werden, um das Schiff zu erleichtern oder dem Wind weniger Angriffsfläche zu geben (§ 706 Nr. 1 HGB). Weil im Mittelalter wegen der kleinen und leichteren Schiffe und meist der Nähe der rettenden Küste Fälle dieser Art häufiger als in der Gegenwart waren, waren Fälle des Seewurfs relativ häufiger als heute und haben im Recht schon früh eine besondere Regelung erfahren.

1.2 Der Seewurf in der Geschichte des Seerechts am Mittelmeer Das römische Recht ging grundsätzlich davon aus, daß der Eigentümer von Sachen den zufälligen Verlust auf See zu tragen hatte, also der Schiffer den des Schiffes, der Befrachten den der Waren, aber aus dem griechischen Gewohnheitsrecht der Lex Rhodia hatten bereits die römischen Juristen der Kaiserzeie 89 den Grundsatz entnommen, daß der Wert der aufgeopferten Güter von den Eigentümern aller geretteten Güter anteilig zu tragen war. Es wurde also hier "zwischen Schiffs- und Ladungsinteressenten" eine besondere seerechtliche Gefahrengemeinschaft 390 konstruiert. Dieser "Kontributionsgrundsatz" setzte sich im Mittelalter im Bereich des Mittelmeers in einer Reihe von Varianten in den dortigen Stadt- und Partikularrechten durch 391 (Trani 11. (?) Jahrh., Pisa 1161, Jerusalem 1161 - 1173, Insel 01eron in Frankreich 1286, Genua 1350, Barcelona 1370) und fand auch im germanisch-nordischen Rechtskreis Anwendung, wenn auch möglicherweise aus einer anderen Motivation. Im Verlauf dieser Entwicklung wurde der Grundsatz der gemeinschaftlichen Gefahrtragung ausgedehne 92 , so schon im römischen Recht auf Schiffsmast und Anker. Im "rhodischen Seerecht" aus dem 7. und 8. Jahrhundert wurde die gemeinschaftliche Haftung beim absichtlich herbeigeführten Seewurf von Waren auf die Fälle erstreckt, in denen Warenverlust und Seeunfälle unverschuldet eintraten. Nach einer Seerechtsverordnung Venedigs aus dem Jahre 1255 393 galt diese Regel 388 389 390 391 392 393

Zur Anwendung siehe Sieg, HdV, S. 768. Digesten 14 II I und 19,5,14, Dekret des Kaiser Antoninus um 142 n ehr. Krieger, Jahrbuch, S. 184, unter Hinweis auf Goldschmidt, Lex Rhodia S. 42, 63. Krieger, Röles, S. 80 f. u. 84. Zum folgenden Krieger, Röles, S. 82. Nach Krieger, Jahrbuch, S. 187, schon seit 1229.

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9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

auch für den Schiffbruch und den Raub von Waren durch Piraten (Kap. 9/30/31 / 35). Damit war für Schiff und Ladung eine gemeinschaftliche Haftung aller Beteiligten, aber noch keine Versicherung durch Unbeteiligte gefunden. Immerhin hatte sich damit der Gedanke durchgesetzt, daß auch ohne Aufopferung bei Verlust von geringeren Werten zur Rettung höherer nicht einzelne, sondern alle Beteiligten gemeinsam zum Ersatz herangezogen werden sollten. Es fehlte aber noch der Schritt, den Schaden durch Heranziehung gleich bedrohter Personen über die Beteiligten hinaus noch besser tragbar zu machen. Im Bereich des Mittelmeers ist dieser Schritt für den Seewurf bisher nicht festgestellt worden, wohl aber im nordischen Recht.

2. Der Seewurf in den nordischen Rechten 2.1 Seerechte an Nord- und Ostsee

Die nordischen Rechte 394 machten diejenigen für den Schaden verantwortlich, die das Überbordwerfen veraniaßt hatten, und dies war dort meist die besondere Gemeinschaft auf dem Schiff, die sich für die Fahrt zusammengefunden hatte. Hier kam es also auf die Stellung des Schiffers an. Im Recht der deutschen Hanse wurde der Schaden in Anlehnung an das römische Recht verteilt, im anglo-normanischen ähnlich, aber nur die Ladung herangezogen. Regelungen über den See wurf an Nord- und Ostsee enthielten folgende: Nach 1066 ,,Leis Wilhelm" von Wilhelm dem Eroberer in England,

1200

das Stadtrecht von Schleswig,

1224

das Privileg Herzog Wizlaws I. von Rügen über das Recht im Seeverkehr mit Lübeck,

1259

ein Schreiben des Hamburger Rats an die Stadt Lübeck,

1257/1265 die Codices des lübischen Stadtrechts für Riga und Danzig, vor 1262

die Gragas in Island und Rechte in Norwegen,

1276

der Seerechtsteil des Stadtrechts der Stadt Bergen von König Magnus und

im 15. Jahrhundert das hanseatische "Seerecht von Wisby", falschlicherweise dorthin verlegt und nicht in die Gruppe der nordischen Rechte gehörend.

Nach den nordischen Rechten bildeten die Verlader, die auf dem Schiff mitfuhren, eine besondere Gefahrengemeinschaft für alle Fälle, aber keine Versicherung, weil sie nicht außenstehende Dritte, sondern an der Schadensentstehung persönlich beteiligt waren. Aus dieser Rechtslage, die etwa gleichzeitig mit den dänischen Gildestatuten entstand, ergab sich für den besonderen Fall, daß Waren zwecks Aufnahme eines Schiffbrüchigen über Bord geworfen wurden, eine Lücke im Recht; denn nach dem Grundsatz der ursächlichen Verantwortung haftete der Gerettete für 394

Zum folgenden Krieger, Anfange, S. 248-264.

2. Der Seewurf in den nordischen Rechten

173

den Schaden, aber gerade er hatte seine Habe verloren. Blieb der Schaden an dem haften, dessen Waren zwecks Rettung aufgeopfert worden waren, oder sollten die eintreten, die ihn gerettet hatten? Von dieser Frage geht die oben (5. Kap.) dargestellte Regelung im Gildestatut des dänischen Flensburg vom Jahre 1200 aus, nach der diese Art des Seewurfs die Pflicht der Gildegenossen zu Ausgleichszahlungen auslöst. Eine ähnliche FallgestaItung und eine ähnliche Problem lösung sind aus dem Bereich des Mittelmeers nicht bekannt.

2.2 Der Seewuifzur Rettung Schiffbrüchiger in Flensburg 1200

Daß Waren aus einem Schiff zur Rettung eines Schiffbrüchigen geworfen wurden, ist ein außergewöhnlicher Fall, der im römische Seerecht wohl deswegen nicht vorkam, weil die Schiffahrt durchweg durch Sklaven betrieben wurde 395 und diese als Waren angesehen wurden, also keine Abwägung von Person gegen Ware stattzufinden brauchte. Erst unter christlichem Einfluß konnte die Auffassung entstehen, ein Menschenleben unter Verlust eigener Sachen retten zu wollen. Auch noch im frühen Mittelalter lag die Vorstellung, für einen anderen Auswärtigen, eben einen ,,Elenden", Sorge zu tragen, fern, und erst im hohen Mittelalter gründeten sich Bruderschaften, die sich dieser Aufgabe annahmen, wie auch Beispiele für Flensburg (siehe oben 8. Kap. 2.) zeigen. Erst recht bestand auch damals noch nicht eine rechtliche Pflicht zur Hilfeleistung und noch weniger zur Aufopferung von Eigentum dazu und zu einer Güterabwägung in Notsituationen. Aus dem Fehlen einer allgemeinen Rechtsgrundlage und vor dem Hintergrund des christlichen Gebots der Nächstenliebe auch in Seenot ist die Regelung in der Flensburger Gilde 1200 zu erklären. Die Art und Weise der Problem lösung ist dann allerdings aus den Gepflogenheiten der Gildeorganisation geboren, indem zum einen die Hilfe auf den Kreis der Gildemitglieder beschränkt blieb, zum andern die Pflicht zur Rettung eines gildeangehörigen Totschlägers vor Rache und Gericht auf die Rettung aus Seenot ausgedehnt wurde. Gildepflicht schloß also in Flensburg die Lücke des Seerechts.

2.3 Die Seewuif- Versicherung in Flensburg 1200

Die Rettung schiffbrüchiger Gildegenossen und der damit erforderliche Seewurf waren nun nicht schon eine Versicherung, sondern bloß das auslösende Ereignis, der Versicherungsfall. Die Versicherung bestand - in der rechtlich bindenden Zusage der Gilde, den Schaden an den Waren deren Eigentümern zu ersetzen, wenn der Gerettete zahlungsunfähig war, und 395

Perdikas. 1966, S. 433.

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9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

- in der Verpflichtung der Gildegenossen, zur Finanzierung des Schadensersatzes eine Umlage zu zahlen. Diese Verpflichtung hatte in dem besonderen Falle der Rettung eines Schiffsbrüchigen eine besondere Motivation. Schon die Schadensverteilung beim normalen Seewurf erleichterte dem Schiffer die Abwägung zwischen Schiff und Warenwert. Bei der Rettung Schiffbrüchiger wurde den Rettern jede Güterabwägung abgenommen und mit ihr das Risiko einer geschäftsmäßig falschen Entscheidung und das Ziel, die Rettung von Menschenleben, über jeden Warenwert gesetzt. Die Heranziehung der Gildegenossen hatte also in diesem Fall einen hohen Rechtswert, höher als bei dem normalen Seewurf zur Rettung der anderen Waren und des Schiffs. Diese Motivation in diesem besonderen Fall übertrug der hier im Seerecht erstmals angewandte Methode der Versicherung sozusagen eine höhere Weihe, einen Vorbildcharakter und, in der heutigen Sprechweise, eine hohe Werbewirksamkeit (Nachahmungslust): Aufopferung von geldwerten Waren und gegenseitige Zahlungsverpflichtungen für einen altruistischen Zweck!

2.4 Die Seewurf-Versicherung als Transport- und Haftpflichtversicherung

Die Seeversicherung der Gegenwart unterscheidet nicht nur zwischen der Schiffs-(Kasko-)Versicherung und der Seetransportversicherung, sondern auch innerhalb der ersteren zwischen Sachversicherung des Schiffes und der Versicherung eines Haftpflichtinteresses, z. B. "Ersatz an Dritte"-Schäden und Beiträge zur großen Haverei 396 . Obwohl die Aensburger Gildeversicherung als Versicherungsfall den Warenverlust beim Seewurf hatte, läßt sich die Zusage von Zahlungen der Gildemitglieder bei Zahlungsunfähigkeit des Geretteten auch als Haftpflichtversicherung zugunsten des geretteten Gildemitglieds auffassen, was Gegenseitigkeitsverpflichtung innerhalb der Gilde besser Rechnung trägt. Letztlich kamen die Zahlungen den Kaufleuten zugute, deren Waren über Bord geworfen worden waren, also ein ,,Ersatz an Dritte", vergleichbar dem im gegenwärtigen Recht.

2.5 Die Rechtskonstruktion der Seewurf- Versicherung

Für die spätere Entwicklung der Seetransportversicherung aus dieser ersten gegenseitigen Gildeseeversicherung ist die formale Rechtskonstruktion von Bedeutung: - Die Versicherungs-,,zusage" erfolgte durch ein Statut der Gilde, also ein Gesetz ähnlich wie in der heutigen Sozialversicherung.

396

Sieg, HdV, S. 171.

3. Der Schiffbruch in der Gildeversicherung

175

- Im Versicherungsfall (Seewurf) wurde automatisch die zugesagte Leistung ausgelöst, ohne daß eine Hilfskonstruktion benötigt wurde, z. B. also keine Rückzahlung wie beim Seedarlehen. Der für die Versicherung typische, einfache Zusammenhang zwischen Leistung und Umlage-"Beitrag" war also schon im Jahre 1200 vorhanden.

3. Der SchitThruch in der Gildeversicherung 3.1 Die Schiffbruch-Versicherung in Odense 1245

Von der Gildeversicherung des Seewurfs in Flensburg übernahm das zeitlich nächste Gildestatut in Odense 1245 die Regelung bei Seewurf und ging mit dem Schritt, die Zahlungspflicht der Gildegenossen auf den FaU des Schiffbruchs zu erstrecken, darüber hinaus, wie dies oben (5. Kap.) geschildert ist. Möglicherweise war den dortigen Verfassern die Ausdehnung der Seewurf-Regelung auf andere unverschuldete Seeunfalle im ,,rhodischen Seerecht" bekannt (die Seerechtsverordnung Venedigs von 1255 erging später). Es bestanden also eine Schiffsversicherung und eine Seetransportversicherung ,begrenzt auf den Seewurf, nebeneinander.

3.2 Die Schiffbruch-Versicherung in der Tabula de Amalfa

Im Raum des Mittelmeers war das Seerecht der Tabula de Amalfa, eine Sammlung von Seerechtssätzen 397 , weit verbreitet. Diese enthält in dem, in Latein ~bge­ faßten Kapitel 21, die Regelung, daß, wenn ein Schiff auf einer Seereise zerbricht oder zugrundegerichtet wird, es wiederhergesteUt oder ein neues auf Kosten der "tota comunitate vel societate" gekauft werden soll. Ist darunter die gesamte Stadt oder die Gilde der Schiffer und Kaufleute zu verstehen, so würde dies verständlich erscheinen, wenn diese Gilde das Stadtregiment, wie oft, in der Hand hat. Dann müßte die Entschädigung bei Schiffbruch eben von aUen Gildegenossen aufgebracht werden. Für die lateinischen Kapitel der Tabula de Amalfa werden Zeitpunkte vor 1131, der Eingliederung Amalfis in das nonnannische Königsreich, bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts genannt 398 . Das Kapital 21 der Tabula de Amalfa lautee 99 : "Item si infra viagium rumperetur vel perdetur aliquid de vi agio navigio, restauretur et ematur a tota comunitate vel societate."

397 398 399

Zum folgenden siehe Krieger, Jahrbuch, S. 189, und Röles, S. 74 Anm. 337. Krieger, Jahrbuch, S. 199. Krieger, Jahrbuch, S. 199 Anm. 122, mit FundsteIlen.

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9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

Diese Regelung des Schadensersatzes geht anscheinend davon aus, daß die Haftung aller Beteiligten beim Seewurf bereits auf den Schiffbruch erstreckt war, wie z. B. in Venedig 1255, und fügt nun das Einstehen der größeren Gemeinschaft hinzu. Sie gelangt zu dem gleichen Ergebnis wie in Odense 1245 und auch auf eine ähnliche Weise, zieht aber eine größere Gemeinschaft erst im zweiten Schritt heran. Eine ähnliche, aber weniger deutliche Regelung ist aus Ragusa (Dubrovnik) an der dalmatinischen Küste aus der Zeit vor 1272 überliefert 4OO • Beide Ausweitungen der Haftung bei Schiffbruch auf Gildemitglieder lassen wegen der knapp gefaßten Berichte viele Fragen offen, darunter die einer Umlage und deren Bemessung, die Höhe des Schadensersatzes und die Verpflichtung des Geschädigten, ein neues Schiff zu kaufen oder zu bauen. Unter Heranziehung einer späteren ausführlichen Regelung in Portugal (siehe unten 5.), die ebenfalls ein Interesse des übergeordneten Gemeinschaftswesens an der Existenz von Schiffen erkennen läßt, wird man die Regelungen aus Amalfi und Ragusa als Zwischenstufen zu Schiffbruchversicherungen auslegen können. 3.3 Zusammenhänge zwischen heiden Schiffbruch-Versicherungen?

Während die Gildeversicherung für den Seewurf autonom 1200 in Flensburg entstanden ist, ist es vorstellbar, daß die Gildeversicherungen für den Fall des Schiffbruchs in Odense 1245 und in der Tabula de Amalfa miteinander zusammenhingen, zumal Amalfi 1131 in das süditalienische Normannenreich einbezogen wurde und durch die Normannen auch Kenntnisse nordischer Rechte vermittelt worden sein können. Solange der Zeitraum für die Abfassung der Tabula de Amalfa nicht mit Sicherheit vor 1245 (Odense) festgelegt werden kann, ist die Priorität nicht ihr, sondern der Gilde in Odense zuzuerkennen; die Regelung der Tabula de Amalfa wird aber vor 1272, vor der in Ragusa verfaßt worden sein. Jedenfalls existierten im 13. Jahrhundert an den Küsten der Ostsee und des Mittelmeers frühe Zwischenstufen zu Gildeversicherungen bei Schiffbruch. 3.4 Seewurf und Schiffbruch ein europäischer Anfang der Seeversicherung

Die Geschichte des Seewurfs beginnt mit der Erfassung des Problems bei den Griechen und der gesetzlichen Schadensverteilung, grundsätzlich gültig bis heute, durch die Römer. Sie setzt sich in eine Reihe von Varianten seit dem frühen Mittelalter im Seeverkehr von Süd-, West- und Nordeuropa durch. Eine Sonderfrage, der Seewurf zur Rettung Schiffsbrüchiger, bringt mit der Rettungspflicht für Gildegenossen eine neue Motivation und mit ihr als neue spezielle Lösung die Verbreitung 400 Krieger, Jahrbuch, S. 189; es wurde nicht nachgeprüft, ob nicht Ragusa auf Sizilien infragekommt.

4. Schiffbruch-Versicherungen in Brugge 1310

177

der Ersatzhaftung durch Heranziehung einer größeren Gefahrengemeinschaft, der Gilde, damit die Erfindung einer Versichertengemeinschaft und die erste Seetransport- und Haftpflichtversicherung im Jahre 1200 im dänischen Flensburg. Am Mittelmeer war die Schadensverteilung bei Seewurf auf andere Seeunfälle, insbesondere den Schiffbruch, erweitert worden. Ca. 1245 wird in Odense an der Ostsee die Gildeversicherung für den Seewurf auf den Schiffbruch erstreckt, und zwischen 1130 und 1350 wird die Haftung der Beteiligten am Mittelmeer für den Schiffbruch in der Tabula de Amalfa auf alle Gildegenossen ausgedehnt. Auf zwei Wegen wird das gleiche Ergebnis, die Gildeversicherung für Schiffbruch, erreicht - so nahm die Seeversicherung einen wahrhaft europäischen Anfang.

4. Schiffbruch-Versicherungen in Brugge 1310 In Brügge, der wirtschaftlich bedeutendsten Stadt Flanderns, bestand im 13. Jahrhundert eine Brandversicherung nach dem Muster von Exeter I Aire (siehe oben 4. Kap. 4.6). So wundert es nicht, daß aus Brügge schon im Jahre 1310 auch von Transportversicherungen für Waren berichtet wird. Die "Chronicle of Flanders,,401, die 1736 in Brügge erschienen ist, sagt402 : "Auf ein Gesuch der Einwohner von Brugge im Jahre 1310 hat es der Graf von Flandern erlaubt, in der Stadt eine "Kammer von verzekeringhe" einzurichten. Durch diese wurden die Kaufleute in die Lage gesetzt, ihre Handelswaren, die der Seegefahr oder anderen Wagnissen ausgesetzt sind, für eine Vergütung von wenigen Pfennigen von Hundert (des Warenwerts) zu versichern, so wie es dort bis auf den heutigen Tag praktiziert wird. Jedoch, damit eine Einrichtung, die so nützlich für die Kaufleute ist, nicht so bald wie gegründet aufgelöst werden möchte, so erließ der Graf verschiedene Gesetze und Formulare, die die Versicherer so gut wie die Kaufleute verpflichteten, sich daran zu halten."

Bei der "Chronicle of Flanders", herausgegeben von ,,M. D. and F. R., Bruges 1736", handelt es sich um eine Übersetzung in das Englische, nämlich von der "Chronicke van Vlaenderen" von C. Verminnen, Bloetacken, en Wydls, Brügge 1726. Diese ist "blos eine Compilation, wozu Meyerus die Grundlage hergibt,,403. Dieser "Jakobus Meyerus, eigentlich Jakob de Meyer, 1491-1552, hat eine Geschichte Flanderns von 445 bis 1278 verfaßt und danach bis 1477 ergänzt, zusammen herausgegeben 1561 von Antonius de Meyer, Antwerpen, in Deutschland 1580 in Frankfurt bei Feyerabend in Annales sive historiae belgicarum erschienen404 . Meyerus' Mitteilungen werden als zuverlässig beurteilt. "Wir folgen ihm in zweifelhaften Fällen jedesmal, wenn wir keine schlagenden Beweise gegen ihn haben." Meyerus lehrte in Brügge und muß die Karner de verzekeringhe (Charnbre 401 402 403

404

Raynes, S. 11. In cap. 40 S. 462; ein Auszug, abgedruckt bei Pardessus, Lois Maritimes, VI. I p. 356. Wamkönig 1., S. 67, Note I, der die gräflichen Edikte nicht finden konnte. Wamkönig 1., S. 39.

12 Sehowo

178

9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

de assurance) dort selbst gekannt haben. Der Halbsatz "so wie es dort bis heute praktiziert wird" wird sich auf das Jahr 1552 beziehen, nicht auf 1736. Allerdings ist schon 1870 befürchtet worden, daß der Verfasser der Chronik "irgendeine unklare Überlieferung mißverstanden habe und mit einiger Phantasie ein Institut gefunden hat, das zu seiner Zeit (1552) gang und gäbe war,,405. Dem ist entgegenzuhalten, daß Gründe für Zweifel an der damaligen gräflichen Genehmigung und den Anordnungen des Grafen nicht ersichtlich sind. Die Karner van verzekeringhe bestand 1552 innerhalb der Kaufmannsgilde und ist anscheinend schon vor diesem Jahre als Versicherer von Waren auf Seetransporten tätig gewesen, vennutlich ähnlich wie in den nordischen Gilden ab 1245. Darüber hatte die Karner sicherlich auch die Aufgabe, die Abschlüsse von Seeverträgen zu registrieren. Anfang des 16. Jahrhunderts bestand nämlich an der Börse in Antwerpen eine "Chambre d' Assurance" , die das Vorbild des Londoner "Office of Assurance" 1574 abgegeben hat, das jene Aufgabe und die einer Zulassungsstelle erfüllte. Durch die Nachricht über die Karner van verzekeringhe wird in jedem Fall die Existenz von Transportversicherungen im Jahre 1310 in Brügge bezeugt. Allerdings dürfte es sich dabei wegen der frühen Zeit kaum um Verträge über Seetransportversicherungen mit privaten Versicherern gehandelt haben - dies wären die ersten, 40 Jahre vor denen am Mittelmeer gewesen -, sondern um solche mit einer besonderen Einrichtung innerhalb einer Gilde, eben der Karner. Zum Vergleich - Vorbild oder Nachahmung? - bietet sich die Bartholinische Skraa in Norwegen an, die bereits am Ende des 13. Jahrhunderts schriftlich vorlag (siehe oben 5. Kap. 4. und 1.5). Hier wie dort besteht innerhalb der Gilde eine besondere Versicherung nur für Kaufleute, und es wird der Schiffbruch versichert. Neu ist in Brügge, daß der Beitrag dafür in einem Prozentsatz des Waren werts festgesetzt wird; dies kann aus den am Mittelmeer üblichen Seedarlehen übernommen sein. Diese Art der Beitragsberechnung findet sich nach 1367 dann in der portugiesischen Gildeseeversicherung (siehe folgend). Trotz aller Unsicherheit über die aus Brügge überlieferte Art der Versicherung stellt die Karner van verzekeringhe im Jahre 1310 ein frühes Zwischenglied auf der Wanderung der dänischen Gildeversicherungen nach Süden zur portugiesischen Gildeseeversicherung nach 1367 dar. Dieser Nachricht aus Brügge von 1552 über das Jahr 1310 schließen sich weitere über Versicherungen dort über die Jahre 1369/70 und 1377 an, diese über private Seeversicherungsverträge (siehe unten 12. Kap. 2).

s. Die portugiesische Gildeseeversicherung für Schiffe 1367 -1383 Seit dem Ende des 13. Jahrhunderts vennehrte sich in Portugal der Seehandel mit England / Flandern u. a. stark und mit ihm die Zahl und Tonnage der Seeschif-

405

So Reatz, S. 38 f. mit Anm. 48.

5. Die portugiesische Gildeseeversicherung für Schiffe 1367 -1383

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fe. Schon für 1293 wird von einer Versicherung für die portugiesischen Kaufleute berichtet, die mit England und Flandern handelten406 , allerdings ohne nähere Angaben; sie dürfte eine Vorgängerin der portugiesischen Gildeversicherung der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gewesen sein.

5.1 Entstehung und lnhalt

Die portugiesischen Könige förderten den Bau von Seeschiffen, begünstigten die Gilden der Seeschiffer und der Kaufleute und verschafften ihnen Konkurrenzvorteile. Im Zuge dieser merkantilistischen Handelspolitik erließ der portugiesische König Femando 1., der zwischen 1367 und 1383 regierte, eine gesetzliche Anordnung über die Schiffsversicherung der Schiffseigentümer und Reeder407 . Weil sie ein erstaunliches, frühes und in Vergessenheit geratenes Dokument der Geschichte der Gildeversicherung ist, wird die Übersetzung von Reatz aus dem Jahre 1870 hier abgedruckt408 : "Da nun in Folge dieser Privilegien viele sich darauf legten, Schiffe zu bauen, andere, deren zu kaufen, und der König sah, wie dadurch sein Land an Sicherheit und Ruhm gewann, und die Bewohner desselben reicher und besser versorgt wurden, so wollte er, bei der immer steigenden Zahl der Schiffe dafür sorgen, daß durch die verschiedenen Unfälle zur See die Eigentümer der Schiffe nicht ruiniert würden, und ordnete daher die Bildung einer Gesellschaft aller Schiffseigentümer an, durch welche der Verarmung derselben durch derartige Unfälle vorgebeugt würde. Dies sollte folgendermaßen geschehen. Es sollte durch geeignete und sachverständige Männer eine Liste aller Schiffe in seinem Königreiche von fünfzig Tonnen an aufwärts angefertigt werden, sowohl von den augenblicklich vorhandenen, wie von den später noch dazu kommenden, und zwar in Lissabon, in Oporto und an anderen Orten, wo Schiffe waren. In diese Liste sollte der Preis, für welchen sie gebaut oder gekauft waren, sowie ihr Wert und der Tag, an welchem sie vom Stapel gelassen worden, eingetragen werden. Alles, was durch diese Schiffe gewonnen würde, solle, wie bisher, ihren Eigentümern und den Seeleuten gehören. Von allem Gewinn ihrer Hin- und Herreisen aber, möchte nun dieser Gewinn aus der Fracht oder aus anderen Dingen herrühren, sollten sie an die Kasse der Gesellschaft zwei Prozent bezahlen. Solcher Kassen sollte es zwei geben, eine in Lissabon, die andere in Oporto, und sie sollten von denjenigen verwaltet werden, welche der König mit dem Geschäfte der Abschätzung betrauen würde, um von dem Gelde an Stelle der etwa untergegangenen Schiffe neue zu kaufen, und auch noch andere Funktionen zum Wohle der Gesellschaft zu erfüllen. Wenn es sich nun ereignete, daß ein oder mehrere Schiffe untergingen, entweder durch Sturm oder eine andere Ursache, sei es im Hafen oder auf der Fahrt, oder wenn sie auf einer Reise zu Handelszwecken vom Feinde genommen würden, so sollte der Verlust verloren gegangener Schiffe auf alle Eigentümer der anderen Schiffe verteilt werden, und zwar in folgender Weise. Es sollte der Wert des oder der untergegangenen oder weggeFonseca in Fischer I Kellenbenz, S. 796. Inhaltlich genaue Wiedergabe des Cap. XC in der Chronica dei Rei D. Fernando por Fernao Lopez 1434; der portugiesische Text abgedruckt bei Reatz S. 42 ff. 408 Aus Reatz, S. 43 ff., dessen FundsteIle: Colleccao de livros ineditos de historia portuguesa publicados de ordern da Academia real de sciencias de Lisboa IV N. Ii S. 320 ff. 406 407

12'

180

9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

nommenen Schiffe ennittelt, und zwar der ganze Betrag bei Heller und Pfennig nach den Hunderten oder Tausenden, die jedes Schiff wert wäre, berechnet werden. Wenn aber dann in der Kasse kein Geld vorhanden wäre, um zu bezahlen, so sollte die Zahlung von den einzelnen Schiffseigentümern geleistet werden, und das solle ennittelt und abgeschätzt werden durch die Sachverständigen, welche er (der König) oder seine Nachfolger zu Ausführern der Verordnung eingesetzt haben würden. Und Niemand solle von ihrer Entscheidung appellieren, oder gegen dieselbe eine Beschwerde führen können, sondern es sollte sogleich mit Exekution gegen diejenigen vorgegangen werden, welche ihren Beitrag nicht bezahlen wollten, und das Geld solle denjenigen gegeben werden, welche ihre Schiffe verloren hätten, damit sie sich andere bauten oder kauften. Wenn aber Schiffe auf einer Handelsreise durch Stunn oder andere Veranlassung einen Leck bekämen oder sonst schadhaft würden, und an einen Ort gelangten, wo sie für die Hälfte oder ein Dritteil des Wertes, welchen sie nach der Ausbesserung haben würden, ausgebessert werden könnten, so sollte der Eigentümer gehalten sein, sie auf seine Kosten ausbessern zu lassen, und wenn er dies nicht wollte, so sollten die anderen Schiffseigentümer nicht gehalten sein, sie ausbessern zu lassen, oder ein neues Schiff zu bezahlen. Wenn aber die Beschädigung an einem solchen Schiffe so groß wäre, daß die Kosten der Ausbesserung den Wert, den es nach derselben haben würde, überstiegen oder ihm gleich kämen, und wenn die Beschädigung ohne Schuld der Schiffsmannschaft oder ohne bösliche Absicht stattgefunden hätte, so sollten die Schiffseigentümer von dem Schiffe und seinen Ausrüstungsgegenständen das bekommen, was sie nach gerechter Abschätzung bekommen könnten. Alsdann sollte ennittelt werden, was das Schiff zur Zeit, wo ihm der Unfall zustieß, wert gewesen sei, und dieser Wert sollte dem Eigentümer bezahlt werden, um ein anderes zu kaufen oder zu bauen, nach Abzug dessen, was von dem Schiffe und seinen Ausrüstungsgegenständen gerettet sei, und die nötigen Ausbesserungen sollten durch sachkundige Schiffskapitäne geprüft werden. Wenn aber Schiffseigentümer nach einem feindlichen Lande hin verlüden, ohne vorher Versicherung zu nehmen (sem recebemdo primeiro seguramca), und die Schiffe dann von den Feinden genommen würden, oder auf der Fahrt untergingen, so sollten die anderen Schiffseigentümer nicht gehalten sein, sie zu bezahlen. Er verordnete ferner, daß, wenn Schiffskapitäne und Schiffseigentümer anderen Schiffen Schaden zufügten oder sich an einem Orte ein Vergehen zu Schulden kommen ließen, wo sie deswegen angeklagt und ihnen ihr Schiff als Pfand genommen würde, die anderen nicht gehalten sein sollten, es zu bezahlen oder einzulösen, es sei denn, daß erwiesen werden könnte, daß die Handlung dem Schiffsgebrauch gemäß (segumdo viagern de mercadaria) und zu seiner Verteidigung oder zum Dienst des Königs und zum Besten des Landes begangen sei. Und weil manche Schiffskapitäne und Schiffseigentümer in der Hoffnung, daß ihnen die Schiffe, wenn sie untergingen, bezahlt würden, nicht die nötige Sorge tragen, sie mit Ankern, Tauen und anderem Zubehör, sowie mit Waffen, Mannschaft und was sonst zum Schutze gegen das Meer oder gegen Feinde nötig ist, auszurüsten, so sollten die Inspektoren sich auf die Schiffe begeben, und alle Ausrüstungsgegenstände und die Mannschaft derselben aufzeichnen, damit man sehen könnte, ob der Verlust des Schiffs durch den Mangel an den zur Reise nötigen Gegenständen verursacht worden, und ob es daher ersetzt werden müsse oder nicht. Wenn aber so viel Schiffe verloren gingen, daß die Eigentümer der anderen nicht sogleich alles bezahlen könnten, ohne sich zu ruinieren, so sollten sie die eine Hälfte sofort bezahlen, für die andere aber sollte ihnen eine gewisse Frist gegeben werden. Wenn der König mit benachbarten Königen oder anderen Völkern in Krieg geriet, und jeder von ihnen zu seiner Verteidigung Schiffe ausrüstete und diese bei der Expedition verloren gingen, so sollten sie, weil dieselbe zum Wohl des Staates stattgefunden, auch aus Staatsmitteln bezahlt werden, und zwar zunächst aus seinem eignen Schatze, damit ihre Eigentümer sich sogleich andere bauen oder

5. Die portugiesische Gildeseeversicherung für Schiffe 1367 -1383

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kaufen könnten. Und wenn die Schiffe Waren geführt und einen Gewinn gemacht hätten, sei es im Kampfe mit den Feinden oder auf irgend eine andere Weise, so sollte dieser Gewinn, wie gewöhnlich, den Eigentümern und der Mannschaft des Schiffes zufallen, die Eigentümer aber sollten von dem ihnen Zugefallenen die Hälfte für sich haben, die andere Hälfte aber sollte zum Besten aller in die Kasse gezahlt werden, abzüglich der dem König zukommenden Abgabe. Der König befahl ferner, daß seine eigenen Schiffe, deren es zwölf waren, in die Compagnie treten, und daß sie nicht als von größerem Range denn die anderen betrachtet, sondern bezüglich der Befrachtung, der Mannschaft und der Ausrüstung als von gleichem Range mit allen anderen angesehen werden sollten, und wenn der König sich dem nicht fügen wolle, so sollten sein Schiffe auch von den Vorteilen der Gesellschaft ausgeschlossen sein, die Compagnie der anderen Schiffe aber sollte für immer bestehen bleiben. Er verordnete ferner, daß alle diejenigen, welche Schiffe besäßen, und in der Compagnie träten, und diejenigen, welche künftig solche haben und eintreten würden, alle Privilegien und Vergünstigungen genießen sollten, welche er, wie wir gesehen, denjenigen, welche Schiffe bauten oder kauften, verliehen hatte. Er befreite auch alle, welche das Diplom (als Mitglied der Gesellschaft) besaßen, vom Kanzleigerichtshofe. Auch befahl er, daß die Ausführer dieser Verordnung den Schiffen nach bestem Wissen Seeleute nachweisen sollten, und daß der Kapitän eines Schiffs dasselbe nicht eher solle verlassen können, als bis er dienstunfahig geworden sei. Zu Administratoren der Gesellschaft ernannte er in Lissabon den Lopo Martijns und Goncalo Perez Canallas, und gab ihnen einen Sekretär, der über Einnahme und Ausgabe Buch führen, und alles, was dazu gehörte, besorgen sollte. Die Kasse sollten sie in einem Kasten mit drei Schlüsseln verwahren, von welchen jeder den seinigen haben sollte. Jedes Jahr sollten sie vor zwei rechtschaffenen und zuverlässigen Männem über die gesamte Einnahme und Ausgabe Rechnung ablegen. Der Sekretär sollte dreißig Pfund (libras), die Administratoren jeder fünfzig Pfund jährlich aus der Kasse erhalten. Allen Gerichtshöfen befahl der König schleunigste Ausflihrung aller Anordnungen der Administratoren, und bestimmte strenge Strafen für alle, welche dagegen handeln würden; und so wurde es von da an in seinem Reiche Gebrauch."

Diese königliche Anordnung befaßt sich nur mit den Schiffen und deren Wert und mit den gleichzeitig in Verlust geratenen Waren nur im Kriegsfall 409 • Sie trägt den Charakter der heutigen gesetzlichen Sozialversicherung in einer berufsständischen Organisation (Gilde). Ihre wesentlichen Regelungen sind: a) Gründung einer Gegenseitigkeitsgesellschaft zum Zwecke des Ersatzes von Seeschäden an Schiffen; b) pflichtzugehörigkeit aller Schiffseigentümer aufgrund einer Schiffsliste, also ex lege; c) Zwangsbeitrag: 2% vom Gewinn der Schiffsreisen, aber u. U. mit Zuschußpflicht im Verhältnis zum Gesamtwert aller Schiffe; d) gegebenenfalls Verteilung des Verlustes verlorengegangener Schiffe auf alle Eigentümer der anderen Schiffe; e) Obliegenheit der Ausbesserung beschädigter Schiffe und Anrechnung geretteter Teile auf den Schadensersatz;

409

Was Reatz nicht bewußt gewesen sein dürfte.

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9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

t) Die Feststellung der Werte der Schiffe, die Abwicklung der Schäden und das

anzuwendende Verfahren werden geregelt; g) Ausnahme: Kein Ersatz bei Arrest des Schiffes, es sei denn, der Arrest verstoße gegen Kaufmannsrecht; h) Regelungen im Kriegsfall: Ersatz vom König bei Beschlagnahme durch fremde Staaten; i) Die Bestätigung vorhergehender Privilegien für die Schiffseigentümer und Bewilligung einer generellen Ausnahme von Kanzleigerichtshof; j) die Unterstellung auch seiner königlichen Handelsschiffe unter die Compagnie.

5.2 Vorbilder der ponugiesischen Seeversicherung

Die Versicherungspflicht hat ihre Grundlage in der Zugehörigkeit zu den Gilden und findet sich in den gesetzlichen Haftungsgemeinschaften (siehe oben 5. Kap. 7.6), von der sog. Londoner Friedensgilde (930) bis zu den Häradsgemeinden in Schweden (ab 1223), in Portugal angewendet nicht auf das Grundbuch, sondern auf ein Schiffsregister. Die Verteilung des Verlusts von Schiffen unter den Mitgliedern der Zwangsgemeinschaft entspricht der in den nordischen Gilden. Klar treten in der Aufzählung der gedeckten Risiken diejenigen hervor, die auf seefahrende Kaufleute in der Ostsee zurückgehen, insbesondere das Risiko, daß das Schiff auf einer Handelsreise von irgendeinem Feind weggenommen wird, und die Ausnahme davon, daß es zu Recht als Pfand behalten wird. Die Voraussetzung einer schweren Beschädigung des Schiffes und insbesondere der Abwägung, ob sich eine Schiffsreparatur noch lohnt, kommt schon in der Bartholinischen Skraa in Norwegen vor 1300 vor (siehe oben 5. Kap. 4.), ebenso die Rettung und Anrechnung geretteter Teile auf den Schadensersatz. Die prozentualen Beiträge werden schon in der Karner de Verzekeringhe von 1310 aus Brügge erhoben (siehe oben 4.), und einer der Administratoren ist ein Flame oder Niederländer (Martijns). Sogar für die Unterstellung der eigenen Handelsschiffe unter die Hoheit der Gegenseitigkeitsversicherung besteht eine Parallele in der sog. Londoner Friedensgilde von 930 (siehe oben 3. Kap. 2). Auch wenn sich für einzelne Ausgestaltungen, wie z. B. die Abgrenzung ,,im und außerhalb des Hafens", auch Beispiele in Verträgen über Femkäufe oder Seedarlehen am Mittelmeer finden, entspricht der Gesamtzuschnitt der portugiesischen Seeversicherung der Weiterentwicklung der nordischen Gildeversicherungen, allerdings in einer ausführlicheren und juristisch weit klareren Sprache. Die vollendete Ausgestaltung der Schiffsversicherung in Portugal schließt es aus, daß es sich um die erste Schiffsversicherung dieser Art dort gehandelt hat; sonst wäre der Beitragssatz von 2 % ein Zufall. Vielmehr erscheint es so gut wie sicher, daß diesem Satz Erfahrungswerte aus einer oder mehreren Gilden zugrun-

6. Seeversicherungen in Gilden

183

delagen, wahrscheinlich aus dem Hafen Oporto, der den größten Teil des Seeverkehrs mit England I flandern und Nordeuropa aufnahm. Die Anordnung des Königs diente dann dem Ziel, eine einheitliche Regelung für alle portugiesischen Schiffe und Häfen zu erreichen. Die portugiesische Gildeschiffsversicherung bildet die Verbindung für jede Art von Versicherung von Ost- und Nordsee an die Küsten des Mittelmeers. Sie ließ aber auch eine Lücke in der Seeversicherung, weil sie nicht die Warentransporte zur See deckte.

6. Seeversicherungen in Gilden Die Zeitreihe der Seeversicherungen in Gilden und ihre Zwischenstufen ergibt ein bemerkenswertes Bild: Zeittafel 1200

F1ensburg, damals Dänemark, nur bei Seewurf zur Rettung von Schiffbrüchigen

1245

Odense in Dänemark

12. - 14. Jahrhundert

Tabula de Amalfa in Unteritalien

1256

Store Hedinge in Dänemark

1266

Kallehave in Dänemark

vor 1272

Ragusa (Dubrovnik) an der Adria

1293

in Portugal (ohne nähere Angaben)

1300

Malmö in Schweden, Reval in Estland

1310

Brügge: Kamer van verzekeringhe

1367 bis vor 1383

Lissabon und Porto für Portugal

1382

Kopenhagen

1404

SI. Gertrudis-Gilde in Hollested/Dänemark, u. a.

1446

St.-Nikolai-Gilde F1ensburgl damals Dänemark, u. a.

Die Gildeseeversicherung an diesen und vermutlich auch an weiteren Orten hat 250 Jahre existiert, lange vor den privaten Seeversicherungsverträgen, und, wie die letzten Beispiele zeigen, im 15. Jahrhundert auch nebeneinander. Eine Wanderung der dänischen Gildeversicherung und damit des Versicherungsgedankens entlang den Küsten über Brügge nach Portugal anzunehmen, liegt nahe. Eine Ost-/Westwanderung der Gildeseeversicherung ging einer etwaigen Süd-/Nordwanderung der Seeversicherungsverträge um rd. 100 Jahre oder mehr voraus. Dabei bleiben dann allerdings die Rolle Englands und Gegenläufigkeiten offen; auch könnte eine

184

9. Kap.: Seewurf und Schiffbruch und ihre Versicherung in Gilden 1200-1450

vollständige Durchmusterung des Urkundenbestandes oder neue Funde ein anderes Bild ergeben. Auch für die Schiffsversicherung gilt, daß - so schon Reatz 1870410 - "das allmähliche Entstehen eines gemeinsamen Handels - und Seerechts eine absolut notwendige Folge der (europäischen) Handelsgemeinschaft" war, die um 1300 in Gang gekommen war.

410

Reatz, S. 8.

Zehntes Kapitel

Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs 1. Gilden in Italien seit 599 Der Vorstellung, daß die Bildung von Vereinigungen eine besondere Eigenart gennanischer Überlieferung sei, steht entgegen, daß in Italien frühe Zusammenschlüsse von Berufsgenossen nachgewiesen sind. Ob die Vereinigung von Seifensiedern in Neapel, für die sich 599 der Papst Gregor d. Große einsetzt411 , eine singuläre Erscheinung war, bleibe dahingestellt. 843 wird von der Existenz einer Fischergilde in Ravenna berichtet412 • Auf das 11. Jahrhundert geht wahrscheinlich die Verfassung Modenas mit Beteiligung von Gilden zurück413 . In Rom bestand im Jahr 1030 eine Gärtnergenossenschaft. 1143 regelt eine Verordnung den Aufzug der Gilden bei einem Kirchenfest in Venedig. Später werden in Bergamo 18 ,,zünfte" gezählt, darunter die der Rechtsgelehrten, Notare, Ärzte, Großhändler, Spezereihändler und Krämer414 • In Florenz bestehen 1193 die sieben "oberen" Zünfte, die fünf "mittleren" Zünfte und die niederen Zünfte415 • Zu den sieben oberen Zünften gehören416 : "Die Calimala, die zuerst die Zunft der Kaufleute w~, die Zunft der Wechsler, die Wollzunft, aus der die Händler bald die Handwerker vertrieben, die Zunft Pro Santa Maria, die zur Zunft der Seidenhändler wurde, die Zunft der Kurzwarenhändler, Gewürzhändler und Ärzte, die einen Zweig des Luxushandels mit dem Orient kontrolliert, und die Zunft der Kürschner, die die Luxusimporte aus Nordeuropa sicherstellt, zu denen noch, außer der Reihe, die Zunft der Notare hinzukommt. Nur die oberen Zünfte nehmen am Rat der Zunftvorsteher teil. Nur sie sitzen im Gericht der Mercanzia." 1282 wurde die Stadtverfassung von Florenz völlig auf den Zünften aufgebaut, allerdings mit unterschiedlichen Rechten für die Zunftgruppen. In Bologna bestanden im hohen Mittelalter 26 Zünfte, darunter die der Geldwechsler, viele auch in Rom, darunter auch solche für Sänger und Lakaien. Nicht Oexle, Conjuration, S. 191; Stöckle, a. a. O. K. F. Wernet, Perspektiven, S. 50. 413 Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 204 u. 209 Anm. 6 u. 36, mit FundsteIle; für Rom siehe Racine in Associations de marchand en Italie de 600-1200, S. 127. 414 K. F. Wernet, Perspektiven, S. 51. 415 Herder, Bd. III, Sp. 656. 416 Favier, S. 307. 411

412

186

10. Kap.: Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

zugelassen sind manche Berufe, die heutzutage für Zünfte geradezu als Beispiele dienen, z. B. Bäcker, Müller, Gärtner sowie die Landbevölkerung. Die Aufzählung zeigt, daß die Zulassung einer Gilde eine Privilegierung und später eine Beteiligung an der Stadtregierung bedeutete: Die Verbote der Gilden durch die Staufer zielten auf deren politische Funktionen, die in Italien früher und stärker als in Deutschland ausgebaut worden sind. So hat Barbarossas 1158 auf den ronkalischen Feldern für die lombardischen Städte ein Verbot der "conventicula et coniurationes in civitate et extra" erlassen417 . Da die Bildung und das Erstarken der Städte in Italien relativ früh vonstatten ging, könnten der Zusammenschluß zu beruflichen Vereinigungen und die gegenseitige Unterstützungen dort sogar den Anfang genommen haben. Fürsorgeleistungen wurden in den Bruderschaften und Vereinigungen der Handwerker und Künstler ähnlich wie in Deutschland aufgrund caritativer Gebote gewährt, jedoch ist Ansätzen zu Versicherungen wie in Dänemark noch nicht nachgegangen worden418 . Auch Gesellenverbände dürfte es in Italien gegeben haben, zumal deutsche Gesellen auch nach Italien gewandert sind419 . Wie die spätere Entwicklung der Seeversicherung in den italienischen Städten zeigt, bestanden in diesen jedenfalls die wirtschaftliche Voraussetzungen, darunter für das Entstehen von Versicherungen vor allem die Geldwirtschaft. Im Gildestatut von Florenz 1301 werden z. B. auch Geldgeschäfte geregelt42o • Unabhängig von einem direkten Zusammenhang der vertraglichen Seetransportversicherung mit der Seeversicherung in Gilden (oben 9. Kap.) bot die Existenz von Handelsniederlassungen fremder Kaufleute in vielen Ländern und deren Zusammenschluß zu Gilden eine Gelegenheit für die Verabredung und die Abwicklung von Abreden auch über Versicherungen. Bruderschaften fremder Kaufleute gab es seit dem Ende des 14. Jahrhunderts in fast allen europäischen Ländern421 und zwar mit wachsendem Einfluß, z. B. Flamen in Florenz in der St. Barbara-Bruderschaft, katalanische Kaufleute in Brügge, dort auch 1457 ca. 600 Hanseaten, einige hundert Genuesen und zwanzig Florentiner422 ; die Hanse-Hallen in London, Wisby, Nowgorod wurden schon erwähnt. Auf diese Weise bildeten sich in den Handelsstädten die sog. Nationen heraus. Aus ihnen kristallisierten sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts423 einzelne Handelskontore, die dann ein Firmennetz bildeten, heraus und waren dadurch in der Lage, Geldgeschäfte über die Grenzen hinweg leicht abzuwickeln, darunter auch späterhin Versicherungen.

417 418 419 420 421 422 423

Oexle, Mittelalterliche Gilden, S. 205 Anm. 7. Nehlsen-v. Stryk, S. 7 Anm. 16 mit FundsteIle. Reininghaus, S. 59 ff.; K. F. Wemet, Perspektiven, S. 52. Raynes, S. 3. Favier, S. 128 ff. Favier, S. 129. Favier, S. 133; siehe auch unten 12. Kap. 5.4 und 7.7 sowie 13. Kap. 1.

2. See transporte in Gefahrengemeinschaften

187

Außer in Italien sind "zünftige Ordnungen der Handwerker" in Konstantinopel und Katalonien, ja im "gesamten abendländischen Kulturkreis im Mittelalter" bekannt, wobei ohne Anhaltspunkte die Vermutung geäußert wird, daß sie "häufig von deutschen Handwerken gegründet sind,,424. Mindestens ebenso gut möglich ist der umgekehrte Weg und noch der dritte, daß Gilden zuerst in den Seestädten sowohl des Mittelmeeres wie des Ärmelkanals errichtet wurden, wie in England vor 950. Dementsprechend wird in der Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit angenommen, daß die Gilden und Zünfte, die "in Italien seit dem 11. Jahrhundert am höchsten ausgebildet waren, an die Tradition der antiken Zunft anknüpfen konnten,,425. Insbesondere die der arti (Handwerker) in Florenz hätten ein byzantinisches Vorbild gehabt. In Mailand sind Gilden um 1060 entstanden, kurz danach in Corno und Chiavenna, übrigens um 1060 auch in Le Mans (Westfrankreich)426. Die Entstehung der Gilden / Zünfte erfaßte also schon frühzeitig das ganze mittelalterliche Europa und in Deutschland keineswegs früher als im Süden oder in Flandern und England. Auch die Alpen stellten keine Grenze für die Ausbreitung von Genossenschaften dar, sind dort doch schon seit 925 Transportgenossenschaften nachweisbar427 . Abgesehen von der Urproduktion spielten sich Produktion, Handel, Handwerk und Verkehr in Europa in den Städten und dort wiederum in Gilden ab, sodaß für die Entstehung und Existenz von Versicherungen weithin ähnliche Bedingungen gegeben waren, insbesondere für die Seeversicherung.

2. Seetransporte in Gefahrengemeinschaften Um die Sicherheit des Warenverkehrs zu erhöhen, wurden im 13. bis 15. Jahrhundert verschiedene Vorkehrungen getroffen. Venedig pflegte seine KauffahrteiSchiffe in Konvois unter Begleitung von Kriegsschiffen auf Fahrt zu schicken428 und interessierte sich erst spät für die Seestransportversicherung. Auch benutzten vor allem Venedig, aber auch andere Städte gerne für die Handelsschiffahrt Galeeren, und diese erschienen wegen ihrer Schnelligkeit, Seetüchtigkeit und zahlreichen Bemannung so sicher, daß eine Ausgabe für deren Versicherung - wie es in einem Brief von 1401 heißt429 - so überflüssig sei, als ob man das Geld zum Fenster hinauswürfe. Mit wachsender Größe der Schiffe konnten diese anderwärts auch mehr Waren verschiedener Art aufnehmen, die dann von einer Vielzahl von Kaufleuten aufgegeben wurden. Für letzteres werden an Beispielen Schiffe der Hanse mit Waren aufgeführt430: 1345 von 26 Kaufleuten, 1430 von 39 Kaufleuten, 424 425 426 427 428 429

430

W. Wemet, Soziale Handwerksordnung, S. 53. 8osl, S. 276. Borst, Barbaren, S. 495. Borst, Barbaren, S. 497. Groneuer, S. 260. Brief an den Kaufmann Datini (Prato bei Florenz), zitiert bei Groneuer, S. 252. Favier, S. 268.

188

10. Kap.: Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

1468 von 62 Kaufleuten. Durch die Aufteilung in kleinere Portionen wurde die Höhe eines etwaigen Verlustes für den einzelnen Kaufmann vermindert, und damit im Ergebnis eine der Transportversichung ähnliche Wirkung erzielt, indem nämlich automatisch jeder Kaufmann anteilig am Gesamtverlust beteiligt war. Erst nach Erfahrungen mit solchen Gefahrengemeinschaften, die Gilden auf Zeit vergleichbar sind, werden Rechtsgeschäfte mit Verkauf im Heimathafen und Rückkauf im Bestimmungshafen, finanziert durch Wechsel, gebräuchlich geworden sein.

3. Statuten der Gilden und Städte Die zahlreichen Gilden in italienischen Städten lassen darauf schließen, daß eine kaufmännische oder gewerbliche Tätigkeit von nennenswertem Umfang nur Gildemitgliedern möglich war; dies gilt auch für Geldgeschäfte, für die z. B. in Florenz eine Gilde der Geldwechsler (Bankiers) existierte, und für Notare zur Beurkundung von Rechtsgeschäften. Die Zugehörigkeit zu einer Gilde hat gleichartige Geschäftspraktiken innerhalb einer Stadt vermittelt, andrerseits konnten sich dadurch deutliche Unterschiede in den Geschäftspraktiken zwischen den Städten herausbilden, wie dies an der Entwicklung der Seeversicherung gut erkennbar ist. Die Stadtrechte kamen unter dem Einfluß der Kaufleute-Gilden zustande. Nach allgemeiner Auffassung enthalten die Statuten der italienischen Städte seit Anfang des 12. Jahrhunderts bis Ende des 14. Jahrhunderts zwar Regeln über den Seeverkehr und die Risikoverteilung zwischen Schiffer und Verlader (Kaufmann), aber nicht über Versicherungen431. In den Statuten von Pisa 1181 und Marseille aus dem 12. Jahrhundert findet sich für Seetransporte schon die Gefahrtragungsklausel "ad fortuna Dei (et usum maris)", die später auch im Versicherungswesen Bedeutung erlangt (siehe Seite 244). Ansonsten ist in den Statuten der Zeitpunkt, an dem derartige Regeln im 12. bis 16. Jahrhundert dort eingefügt worden sind, schwer festzustellen 432 .

3.1 Das Vorkommen des Worts "assecurare" in Statuten Hier hat die versicherungs geschichtliche Literatur allerdings aus dem Vorkommen der Worte "sigurare, assecurare" in Gesetzestexten - zu kurz - geschlossen, daß diese Versicherung bedeuten. "Aus dem Worte "sigurare" und Ähnlichem hat man auf unsere Seeversicherung geschlossen, ohne daß man die Möglichkeit anderer Bedeutung anerkannt hätte", so hat Reatz433 schon im Jahre 1870 geurteilt.

431 432 433

Perdikas, 1966, S. 444, mit Fundstellenangaben in den Anm. 81-86. Perdikas, 1966, S. 46 unter 8. Reatz, S. 14; die neuesten Äußerungen dazu bei Nehlsen-v. Stryk. S. 8 u. 9 angeführt.

3. Statuten der Gilden und Städte

189

Es handelt sich dabei vor allem um folgende Statuten: - 1255 In einem Venetianischen Statut wird sigurare im Rahmen des Seewurfs mit navem iurare gleichgesetzt, also dem Beschwören des Verlust des Schiffes und der Angabe des Wertes der über Bord geworfenen Waren 434 . - 1301 um das Statut della Arte (Handwerker) di Calimala in Florenz. - 1318/ 19 spricht das Pisanische Breve portus Kallaretani für den Hafen von Cagliare (Kallari) in Sardinien an drei Stellen (Cap. 21, 34,47) von sigurari bei Schiffen, für die und deren Beladung die Eides- und Garantieleistung gegeben worden ist435 , also für den formalen Rechtsakt der Abfertigung des Schiffes und der Ware. Sogar Goldschmidt hat sich schon 1887 dagegen gewandt, hier Versicherung zu unterstellen436 . - 1363/1366 (8.5.)/1369 (22.10.) werden in Genua Statuten bzw. Dekrete mit übereinstimmendem Inhalt erlassen; im letzten 437 verwendet der Doge von Genua, Gabriele Adomo, die Worte "cambiaet assecuramenta. Näheres unten. - 1369 - 1380 In Genua erläßt das Ufficio di Mercanzia, ein von Kaufleuten besetztes Gremium, Regeln über assecuramentis contra contenta in presenti regula non faciendis, verbietet also bestimmte Verträge und Vertragsinhalte, die assecuramenta genannt werden. Es handelt sich bei dem Verbot der Versicherung, die um diese Zeit in Pisa aufkam, um einen Schutz für den in Genua allein üblichen Terminverkauf mit Nichtigkeitsklausel. Damit ist eben bewiesen, daß in Genua vor 1380 keine Versicherungen eingegangen werden durften. Das Verbot kann durchaus vorsorglich ergangen sein und sich gegen fremde "Versicherer" richten. Aus der Verwendung des Wortes assecurare darf also nicht auf die Existenz von Versicherungsverträgen im technischen Sinne geschlossen werden438 , zumal der Inhalt der Regeln nur "sehr summarisch" überliefert ist439 , Das Verbot selbst gehört allerdings zu den marktregulierenden Eingriffen, wie sie seinerzeit in Gilden üblich waren (siehe folgend 3.3). - 1367 - 1383 In der Anordnung des Königs von Portugal 440 wird auch das Wort securamga verwendet, und zwar im Zusammenhang mit der Ausnahme von der Schadensersatzpflicht bei Abfahrt des Schiffes ohne amtliche Abnahme, hier knüpft der etwaige Ersatz bei Schiffbruch noch an die amtliche Untersuchung der Seetüchtigkeit des Schiffes an. Hierin sieht Reatz441 den Anfang der Gleichsetzung des Begriffs der "securitas" mit der späteren "Versicherung". 434

Reatz, S. 31.

m Reatz, S. 37. 436 Goldschmidt, Zur Geschichte der Seeversicherung, S. 209; nicht zutreffend F. Ebel, Rechtgeschichtliche Entwicklung, in HdV, S. 617. 437 Goldschmidt, S. 214. 438 Unzutreffend Goldschmidt, S. 214 und ihm folgend Rohrbach, S. 163. 439 Groneuer, S. 222. 440 Siehe oben 9. Kap. 4.

190

10. Kap.: Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

Erst in den Stadtgesetzen am Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts, beginnend in Florenz 1393, tritt das Wort "assecurare" in der Bedeutung "Versicherung" auf. Aus der Sprache der Statuten der Stadtstaaten kann man also nicht darauf schließen, daß Seeversicherungsverträge vor dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts gebräuchlich waren.

3.2 Das Dekret von 1369 in Genua

Einen Einblick in etwa die Mitte des Zeitraums von 1347 -1379 in Genua bietet das genannte Dekret des Dogen Gabriele Adorno vom 22. Okt. 1369442 gegen diejenigen, die sich darauf berufen, daß cambia et asscuramenta sowohl unerlaubt wie wegen der Zinsen wucherisch sind (contra allegantes quod cambia et assecuramenta si nt illecita vel usuraria). Das Dekret443 spricht aus, daß niemand, der eine Zusage für die Übernahme von Gefahren gegeben hat, sich bei Eintritt des Unglücksfalls dadurch seinen Pflichten entziehen kann, daß er sich nun darauf beruft, daß die Vereinbarung, weil wucherisch, gegen die guten Sitten verstoße und nach kirchlichem Recht verboten gewesen sei. Dieses Dekret soll auf ein früheres, aber nicht näher bekanntes aus dem Jahre 1366 und dieses wiederum auf die genuesischen Statuten von 1363 zurückgehen, 1363 und 1369 auf Veranlassung desselben Patriziers, eben des Gabriele Adorno. Was unter cambio et assecuramenta zu verstehen ist, bedarf der Erläuterung. Cambium ist nicht der normale Wechsel (Schuldverschreibung), sondern das cambi um marittimum 444 , und dieses ist das Seedarlehen. Seedarlehen wurden schon 1234 durch kirchliches Recht für unzulässig erklärt, bleiben aber gleichwohl in Gebrauch, wie dieses Dekret zeigt. Assecuramenta hatte um diese Zeit noch eine umfassende Bedeutung und könnte sowohl die Abfertigung des Schiffes im Hafen wie einen Ersatz für das unzulässige Seedarlehen wie eine Verteilung der Seegefahr zwischen Käufer und Verkäufer wie eine Seeversicherung entsprechend der von Leonardo Cattaneo 1350 in Palermo umfaßt haben. Wegen der Mehrdeutigkeit ist das Wort allein kein Beweis dafür, daß in Genua vor 1369 oder gar vor 1363 Seeversicherungen im späteren technischen Sinne im Gebrauch waren. Dem Ziel des Dekrets, Zusagen von Kaufleuten die rechtliche Verbindlichkeit eben nicht abzusprechen, sondern in möglichst vielen Fällen aufrechtzuerhalten, diente eine weite und wenig konkrete Fassung, wie sie 1369 gewählt wurde, am besten. Durch das Dekret werden nachträgliche Einwendungen gegen Zahlungspflichten aus Vertragsformularen abgeschnitten, auch die des angeblichen "Versicherers", es handele sich bei der von ihm geschuldeten Entschädigungszahlung um kirchlich 441 442 443 444

Reatz, S. 55. Melis, S. 231 und Tafel LXXVIII. Zititert bei Nehlsen-v. Stryk, Groneuer, S. 221 und Bensa, S. 83 f. Groneuer, S. 225.

4. Gildeeinfluß auf Handels- und Versicherungsgesetze der Stadtstaaten

191

verbotenen Wucher. Diese erweiterte Auslegung des Wucherverbots dürfte allerdings damals auf einem Mißverständnis des Wesens der Versicherung beruht haben; denn das päpstliche Verbot des Seedarlehens (siehe unten 11. Kap. 6.1) richtete sich gegen die Zinsen, und Zinsen fielen bei der Versicherung nicht an 445 . Es ist kein Beleg dafür bekannt, daß Versicherungen von kirchlicher Seite als Wucher angesehen wurden (dazu siehe unten 11. Kap. 6.1), sodaß damals ein Grund für eine gesetzliche Klärung fehlte und diese ganz andere Gründe gehabt hat, z. B. das Geschäftsinteresse der Notarsgilde. Das Dekret hob formell die Unzulässigkeit von Seedarlehen und assecuramenta nicht auf, sondern beschränkte die Nichtigkeit nur für die Seite der Gewährleister und "Versicherer", es war also eine Schutzvorschrift zugunsten derer, denen Gefahren vertraglich abgenommen worden waren, und daher das erste Schutzgesetz für "Versicherungsnehmer". Gleichzeitig begrenzte das Dekret die Zuständigkeit des Gerichts des Erzbischofs, weil es dem kirchlichen Verbot des Seedarlehen eine beschränktere Wirkung beimaß, die eben nur die Kaufleute-Gerichte anwenden und aussprechen konnten, dies ist die für Kaufleute-Gilden bekannte exemptio. Übrigens widerlegt das Gesetz auch die alte Hypothese von der Entstehung der Seeversicherung aus dem Seedarlehen, weil es beide nebeneinander nennt und hinsichtlich des Gesetzesziels als ähnlich, aber nicht als gleich ansieht.

4. Gildeeinfluß auf Handels- und Versicherungsgesetze der Stadtstaaten Die italienische und im 15. Jahrhundert die spanische Rechtsetzung über Versicherungen ist in der Literatur von ihrem Ergebnis, den Versicherungsvertragsgesetzen, her geprüft und beurteilt worden, obwohl die damaligen Gesetzesverfasser dieses Ziel nicht kennen konnten. Diese gingen stattdessen von den Gewohnheiten aus, die in den Gilden überkommen waren, und stellten eine Fortsetzung der Statuten der Gilden und derjenigen Städte dar, in deren Stadtverfassung Teile der Gildestatuten aufgenommen worden waren. So betont z. B. in Genua das oben erwähnte Dekret vom 22. 10. 1369, es sei vom Dogen Adorno "im Verein mit den Ältesten,,446, d. h. den Gildevorstehern, erlassen, in Wirklichkeit, hat Adorno, der selbst Kaufmann gewesen war, es nur bestätigt und als Dekret verkündet; die Gilden bestimmten eben ihr Recht selbst. Eine derartige Entstehung der Statuten der Stadtstaaten läßt sich regelmäßig erkennen.

44S 446

Falsch verstanden noch von Groneuer, S. 221. Groneuer, S. 221; Rohrbach, S. 163, dieser aus Bensa, Neue Beiträge, S. 132 f.

192

10. Kap.: Gilden arn Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

4.1 Gerichtszuständigkeiten

Noch deutlicher tritt dies in den Zuständigkeiten der Gerichte zutage, die über Handelsangelegenheiten, darunter auch die Versicherungen und deren Vorläufer, entschieden. Sowohl in Genua zwischen 1369 und 1380 in den Regeln des Ufficio di Mercanzia wie in Florenz im Statuto di mercanzio von 1393 wurden handelsrechtliche Angelegenheiten den allgemeinen und den kirchlichen Gerichten entzogen 447 , auch dann, wenn es sich um den Vorwurf der verbotenen Zinsnahme und damit des Wuchers handelte. Hierfür waren allein die Gerichte der Kaufleutegilde zuständig, die deren Recht anwandten. Was bisher Versicherungsgeschichtlern als eine trickreiche Methode erschien, um das kirchliche Zinsverbot zu umgehen 448 , war eine damals schon 350 Jahre geübte Exemptio (Ausnahme); sie wurde z. B. in den Gildestatuten der flandrischen Städte ab 1000 wie später in Italien von den Gilden beschlossen und von den Stadtherren, in Flandern von den Grafen, bestätigt und unter deren Namen veröffentlicht. Möglicherweise war diese Ausnahme, soweit sie vom kirchlichen Recht galt, für Italien ein ausdrücklicher, erweiternder Rückgriff auf ältere Kaufmannsgewohnheiten. In jedem Fall handelt es sich um Gildegerichtsbarkeiten und die prozessuale Absicherung des materiellen Rechts über Verträge zwischen Kaufleuten, z. B. über Geldgeschäfte wie Seedarlehen und - je nach Jahrzehnt - über die Seeversicherung. Regelmäßig sind derartige Ausnahmen von der allgemeinen Gerichtsbarkeit für das Recht der Kaufleute, also für das gesamte Handelsrecht ausgesprochen worden, nicht aber speziell für das Versicherungsrecht. Daß in diesem Zusammenhang das Versicherungsrecht besonders genannt sein sollte, ist nicht bekannt. Aus der Exemptio im Gerichtswesen kann also nicht auf die Existenz einer Versicherung geschlossen werden. Man kann aber daran erkennen, wie eng auch jede Versicherung an das Wirken der Gilden geknüpft war.

4.2 Verbote für Fremde

Auch die städtischen Verbote, fremde Schiffe und Waren zu versichern - so zwischen 1369 und 1380 in Genua in den genannten Regeln der Ufficio di Mercanzia, 1393 im genannten Florentiner Statut und 1421 in Venedig -, sind nur Anwendungen des überall anerkannten Gildegrundsatzes, vorteilhafte Kaufverträge den Mitgliedern der eigenen Gilde vorzubehalten, also des bekannten Kartellverhaltens der Gilde, und dies, obwohl dieses Verhalten bei Geldgeschäften den Gildemitgliedern mehr schadete als nützte, weil sie keine Prämien von fremden Kaufleuten einnehmen durften. Gerade die kaufmännische Sinnwidrigkeit dieser Verbote zeigt, daß es sich um die Anwendung überkommener Gilderegeln auf neue und andersGroneuer, S. 222. Meist unter Berufung auf Goldschrnidt, S. 214; Nachweise bei Seffen, Entstehung, S. 15 ff. 447 448

5. Ungenutzte Ausgangspunkte für die private Seeversicherung

193

artige Verträge gehandelt hat. Den Wechsel der damaligen Ansichten zu dieser Frage und der Zwiespalt zwischen dem Vorteil der Stadt und dem der Gilde spiegelt die Geschichte der Ordonnanzen in Barcelona von 1435 bis 1484 wider, die Reatz schon 1870 geschildert hat449 . Hierzu klafften auch die Interessen der großen und der kleinen Seestädte auseinander. So wurde das Versicherungsrecht Barcelonas 1484, also in dem Jahr der letzten Ordonnanz Barcelonas, von der kleinen italienischen Stadt Albenga, zwischen Nizza und Genua gelegen, übernommen, allerdings unter Wegfall der Beschränkungen für Fremde45o • Älteres Gilderecht hat also neueres Versicherungsrecht beeinflußt, Beispiele für den umgekehrten Weg können zwar nicht von vornherein ausgeschlossen werden, müßten aber für das Mittelalter erst noch gesucht werden.

5. Ungenutzte Ausgangspunkte für die private Seeversicherung 5.1 Sicherungsbedürjnis und -fähigkeit

Früher als in den anderen Ländern waren in den Städten Italiens in der Mitte des 12. Jahrhunderts die Voraussetzungen für eine rege Handelstätigkeit und einen umfangreichen Seeverkehr gegeben, mit denen Kapital in privater Hand angesammelt wurde - eine der Voraussetzungen einer privaten Versicherung. Die Münztransport- und Kreditgeschäfte blühten auf, und die campsores (Geldwechsler) und die Bankiers erschufen sich eigene Geschäftsbereiche451 . Vor allem der wachsende Seehandel verstärkte das Bedürfnis nach Sicherung gegen die Seegefahr einschließlich der durch Piraterie. Der Umfang der beförderten Güter und deren Wert veranlaßten dazu, nicht nur die Sicherheit des Seeverkehrs zu erhöhen (siehe oben 2.), sondern auch Verluste dadurch leichter erträglich zu machen, daß sie von mehreren, z. B. in einer Handelsgesellschaft oder eine Verfrachtergemeinschaft, getragen wurden. Darüber hinaus wurden zahlreiche Klauseln entwickelt, mit denen bei Kauf, Miete und Darlehen die Gefahr des Verlustes auf die andere Vertragspartei abgewälzt oder wenigstens eine klare Aufteilung der Gefahr versucht wurde, insbesondere durch Gewährleistungen und deren Begrenzung. In diesen Klauseln tauchen schon früh Begriffe auf, z. B. rischio di mare e di gente (Piraten), die später auch zur Beschreibung des Risikos der Seeversicherung verwendet werden452 . Die Zeit - so darf man meinen - war zur Einführung einer privaten Seeversicherung reif, zumal die oben (10. Kap.) beschriebene Entstehung der Seeversicherung in Gilden bei Seewurf und Schiffbruch bekannt war.

449 450 451 452

Reatz, S. 57 f. Reatz, S. 174; a.A. Beneke unter Berufung auf Goldschrnidt. Perdikas, 1966, S. 441. Goldschmidt, S. 210.

13 Sehowo

194

10. Kap.: Gilden am Mitte1meer und die Sicherung des Seeverkehrs

5.2 Der direkte Weg und die Umwege zur privaten Seeversicherung

Warum wurde - so könnte man rückblickend fragen - nicht schon im 13. Jahrhundert der Weg gefunden, die ältere gegenseitige Seeversicherung in Gilden mittels des Einsatzes von Kapital in eine private Seetransportversicherung umzuwandeln? Vielmehr ließ man von ca. 1200 bis 1385 fast 200 Jahre bis zum ersten "vollständigen" (Perdikas) privaten Seetransportversicherungsvertrag verstreichen. Dabei hätte die Schiffsseeversicherung in Gilden, die in den italienischen Kontoren z. B. in Brügge bekannt gewesen sein muß, rechtlich leicht in eine private Versicherung umgesetzt werden können, weil sie ja auch schon nach der Geschäftsformel "ich helfe, damit du mir helfen sollst" - do, ut des - funktionierte und die kurze Fassung von Leistung und Gegenleistung (Umlage bzw. Beitrag) leicht in einen kurzen Vertrag zu übersetzen war. In der versicherungsgeschichtlichen Literatur wird zur Erklärung dafür, daß die italienische Handelstätigkeit diesen Weg mit Verzögerung erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts eingeschlagen hat, angeführt, daß der eigenständige Wert der Versicherung als Preis für Sicherheit nicht erkannt und erst spät durch die Unterscheidung zwischen den zinslosen, aber wertvollen und den - wegen des Zinses - kirchlich verbotenen Handelsgeschäften (Seedarlehen) herausgearbeitet worden sei 453 . In Wirklichkeit war der Versicherungsgedanke für viele Risiken und auch beim Schiffbruch in den dänischen Gildeversicherungen weit früher verbreitet, auch in der Tabula Amalfitana und in Ragusa, also am Mittelmeer, erwähnt. Selbst als in andern Seestädten schon Seeversicherungen abgeschlossen wurden, ließ Genua Versicherungsverträge noch 80 Jahre länger, von 1369 bis 1450, nicht zu. Der langwierige Umweg, der die Entstehung der privaten Versicherung verzögert hat, wurde durch Rechtsfiguren des Römischen Rechts erzwungen, und daraus folgt, daß das Römische Recht die Erfindung der privaten Versicherung (nach der Gildeversicherung) nicht gefördert, sondern fast 200 Jahre lang gehindert hat.

5.3 Das Wiederaufleben des Römischen Rechts, sein Typenzwang und die 200jährige Verhinderung der Versicherung

Das Wiederaufleben der Römischen Rechtswissenschaft begann in der Mitte des 11. Jahrhunderts an der neuen Universität in Bologna, deren Lehren sich schnell verbreiteten und denen auch die Notare folgten, die die Handelsverträge formulierten. Die Notare, in Gilden zusammengeschlossen, gehörten in den italienischen Städten zur herrschenden Schicht, standen i. a. den Stadtherren, nicht dem Stadtvolk nahe und hielten meist und lange an gewohnten Rechtsformen fest, auch wenn sich die Rechtsbräuche der Kaufleute und Schiffer schon geändert hatten. Die überlieferten Notarsurkunden geben daher nicht immer den jeweiligen Stand des Handelsrechts wieder, vielmehr richtete sich dieses nach der consuetudo mer453

Fundstellen für diese Meinung bei Perdikas, 1966, S. 428.

5. Ungenutzte Ausgangspunkte für die private Seeversicherung

195

catorum, dem Gewohnheitsrecht der Kaufleute (und ihrer Gilden), wie es in einem Versicherungsvertrag 1393 heißt454 . Das Gewohnheitsrecht der Kaufleute stand im Gegensatz zum "gelehrten Recht,,455. Nach dem Recht des antiken Roms nahm ein Richter eine Klage (actio) nur an, wenn er sie einer der Klageformeln subsumieren konnte; diese Formeln waren nur in begrenzter Zahl anerkannt, so die des "do, ut des" (= ich gebe, damit Du mir gibst) insbesondere beim Kauf. Es bestand also "Typenzwang"456. ,,Anliegen einer jeden Vertragsjurisprudenz war es (im Hochmittelalter) stets, einen neu auftauchenden Vertragstyp in eines der bekannten Schemata zu drängen, schon weil bei der Konzeption ,do ut des' zugleich eine innere causa im Sinne des kanonischen Rechts vorlag. Dies ist der Grund, weshalb auch der Versicherungsvertrag einem der bekannten Verträge zugeordnet wurde oder jedenfalls ein ,do ut facias' (Geld gegen Gefahrübernahme) festgestellt werden mußte. 457" Für Vereinbarungen über eine Sicherung von Seetransporten kamen deswegen nur vier Vertragsarten infrage, nämlich - das Seedarlehen; - die commenda, eine Art der Beauftragung; - die societas maris und - der bedingte Kauf/Rückkauf der Waren, der fälschlich sog. Versicherungskauf. Für die Notare in den italienischen Handelsstädten galt es also, Vereinbarungen von Kaufleuten und Schiffern so umzuformulieren, daß eine der vier Klageformeln im Ergebnis auf das gemeinsame Vorbringen der Vertragsparteien über ihre Ziele hinsichtlich der Gewährleistungen paßte; dies erreichten sie gegebenenfalls mit Hilfe zusätzlicher Klauseln. In den Städten bildeten sich jeweils Vorlieben für besondere Vertragstypisierungen heraus, so in Genua im 13. Jahrhundert der sog. Versicherungskauf, der dort noch bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts in Gebrauch oder auch vorgeschrieben blieb. Auch wenn man davon ausgeht, daß es den Notaren im Regelfall gelungen ist, den vereinbarten Willen der Kaufleute und Schiffer in Vertragsformeln wiederzugeben, ist der Interpretation der Notarverträge weiter Spielraum gegeben: Der Jurist wird ein Seedarlehen eben als Darlehen, wenn auch mit besonderer Bedingung, bezeichnen. Wer das wirtschaftliche Ergebnis für die Kaufleute / Schiffer im Auge hatte, könnte darin eine selbständige Sicherung gegen die Risiken des Seeverkehrs und damit eine ungenau ge faßte Versicherung sehen. Der versicherungsgeschichtlichen Literatur, die bis 1980 meist der zweiten Auffassung gefolgt ist, ist schon 454 F. Ebel, Anfange, S. 7, der die Formel allerdings als einen Hinweis gegen Formalismus auffaßt, m. A. n. zu Unrecht. 455 Krieger, Entwicklung, S. 203 f. 456 Seiler, S. 52. 457 F. Ebel, Anfange, S. 17.

13*

196

10. Kap.: Gilden am Mittelmeer und die Sicherung des Seeverkehrs

1870 Reatz458 entgegengetreten: "Um die Seeversicherung (in Italien) recht ehrwürdig erscheinen zu lassen, hat man ihr ein hohes Alter beigelegt." Perdikas hat in seinen Untersuchungen aller derartiger Verträge 1966-1980 richtigerweise zwischen unvollständigen und vollständigen Versicherungsverträgen unterschieden und z. B. Seedarlehen zu den unvollständigen gerechnet, also nicht zu den Versicherungsverträgen. Dieser differenzierten Betrachtung wird im folgenden gefolgt, und sie wird weitergeführt. Dabei kann gar nicht bestritten werden, daß die Vertragsparteien einen Sicherungsvertrag wollten, aber ihr Wille ist dank des Typenzwangs in der notariellen Beurkundung nicht oder nicht genügend klar zum Ausdruck gekommen; ein Versicherungsverhältnis konnte nicht entstehen, allenfalls etwas ähnliches.

458

Reatz, S. 14.

Elftes Kapitel

Die römisch-rechtlichen Vorläufer der privaten Seeversicherung im 12. bis 14. Jahrhundert am Mittelmeer 1. Die antike Überlieferung Die Vertragstypen Seedarlehen, commenda und societas maris waren schon in der Antike in Gebrauch, eine gesonderte entgeltliche Gefahrübernahme wie bei einer Versicherung war damals mit dem Seedarlehen nach allgemeiner Ansicht nicht verbunden 459 , erst recht nicht bei commenda und societas. Ob diese Vertragstypen im Seeverkehr des Mittelmeers zwischen Antike und Mittelalter immer in Gebrauch geblieben sind, vor allem in Ostrom (Byzanz), oder ob sie in der Rezeption des römischen Rechts vom Jahre 1055 an wieder aufgenommen wurden460, ist für diese Untersuchung der Seeversicherung, weil die Antike eben keine gesonderte Gefahrübernahme kannte, ohne Belang. In Gesetzessammlungen des frühen Mittelalters sind vereinzelte Vorschriften über Seedarlehen enthalten, und das Seedarlehen war, wie oben im 3. Kapitel dargelegt, um 950 auch in England in Gebrauch. Vom 7. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts hatte sich der italienische Seehandel und mit ihm das Eigentum an Schiff und Waren gewandelt, indem sich das Schiff i. a. in der Hand einer "genossenschaftlichen Interessengemeinschaft", nicht mehr in der eines Alleineigentümers befand46 1, die Mitglieder jener gingen mit auf die Seereise. Dadurch haben sich, so Perdikas, Haftung und Gefahrverteilung im Seetransport geändert und Nachteile für den Darlehensgeber mit sich gebracht. 1.1 Commenda (anvertrautes Vermögen) und societas maris, die See-(handels-)gesellschaft

Bei der Commenda462 stellten ein Kapitalist (commendator) oder mehrere dem Unternehmer (accomendatarius, tractator) das gesamte für die geplante Unterneh459 So schon Reatz auf S. 25 ff., mit Hinweisen, ebenso F. Ebe), Anfange, S. 8; Perdikas, 1966, S. 430 ff.; beide mit zahlreichen weiteren Angaben; ebenso Ziegler, a. a. O. 460 Literaturangaben dazu bei Perdil,as, 1966, S. 432 ff. in den Anmerkungen 25 ff. 461 Perdikas, 1966, S. 434 ff. unter Hinweis auf Rehme, Haftung (seerechtlich); Nachweise bei Seffen, Entstehung, 1962163, S. 7. 462 Beschreibung größtenteils aus Seffen, Entstehung, 1962/63, S. 13, übernommen; dort Angabe der Fundstellen.

198

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

mung benötigte Kapital zur Verfügung und beauftragten ihn, damit auf ihre Rechnung und Gefahr in Übersee Geschäfte zu tätigen. Der Unternehmer brachte also lediglich seine Arbeitskraft in die Gesellschaft ein (zuweilen auch das Schiff) und war am Geschäftsgewinn beteiligt, meist mit einem Viertel. Der Kapitalgeber trug also das Geschäftsrisiko mit, bekam aber auch den Löwenanteil des Gewinns. Ähnlich verhielt es sich mit der Societas Maris, dem dritten Seehandelsgeschäft des Mittelalters. Dabei wurden zwei Drittel des Kapitals von den Kapitalisten (socii stantes) aufgebracht, während der Unternehmer (socius tractans) das restliche Drittel und seine Arbeitskraft der Gesellschaft zur Verfügung stellte. Geschäftsgewinn und Verlust wurden entsprechend auf beide Parteien umgelegt. Die Commenda ist auch im 14. Jahrhundert noch weit verbreitet 463 ; es ist wohl nur der willkürlichen Auswertung der überlieferten Verträge vor und nach 1900 zuzuschreiben, daß nicht aus ihrer Entwicklung die Entstehung der Versicherung abgeleitet wurde. Demgegenüber konnte sich die societas maris wegen ihrer engeren Bindungen auf Dauer nicht durchsetzen.

1.2 Das Seedarlehen - pecunia traiectitia (joenum nauticum) Mit dem Seedarlehen (pecunia traiectitia) stellten ein oder mehrere kapitalkräftige Kaufleute einem Reeder, der mit seinem Schiff Waren befördern sollte, eine Geldbetrag zur Warenbeschaffung oder / und zur Ausrüstung des Schiffes zur Verfügung, dieser war dann nicht zurückzuzahlen, wenn das Schiff den Bestimmungsort nicht erreichte. Damit übernahmen die Kapitalgeber neben der Kapitalaufbringung auch das Risiko des Waren verlustes durch Schiffbruch. Ihr Entgelt setzte sich, ungeschieden, aus Zinsen (foenum nauticum) und den Kosten der Übernahme des Risikos zusammen und wurde meist in die Darlehenssumme miteinbezogen, aber dem Schiffer nicht ausgezahlt. Gehörten die Waren vorher den Kapitalgebern, so wurden die Frachtkosten zum Teil dagegen gerechnet. Es gab auch sonst viele Abwandlungen und zusätzliche Abreden. Die Rückzahlung wurde im Bestimmungshafen durch einen Vertreter der Kapitalgeber in Empfang genommen. Für Zinsen und Risikoprämien zusammen werden Spannen von 25 - 50% für Venedig, IO - 50% für Genua, 3 - 35 % für Pisa angegeben. In Pisa waren die Höhen der Kosten nach der Entfernung der Bestimmungshäfen und möglicherweise auch unter Berücksichtigung von Erfahrungen mit der Seegefahr festgelegt 464 • Die durchschnittliche Häufigkeit des Seedarlehens betrug in den Jahren 1155-1164 bei dem Notar Giovanni Scriba in Genua 50 jährlich465 • Das Seedarlehen (pecunia traiectiPerdikas, 1966, S. 447 f. Seffen, Entstehung, 1962/63, S. 10, unter Hinweis auf Silberschmidt. 46S =SOO in 10 Jahren; dazu mehr als SOO commenda-Verträge und weniger als SOO sonstige; ein Schluß auf die große Bedeutung oder gar das Vorherrschen des Seedarlehens ist also nicht zulässig, worauf Perdikas, 1996, S. 447 Anm. 97, hinweist. Übrigens läßt der Name 463

464

I. Die antike Überlieferung

199

tia) war eine Unterart des Darlehens (mutuum), das nach dem daraus fließenden Zins auch fenum (foenum nauticum) genannt wurde. Es hatte als Besonderheit, daß es von dem Schiffer, der es erhielt, erst im Bestimmungshafen zurückgezahlt zu werden brauchte, wenn dieser ihn erreichte; es war also unter der Bedingung angenommen worden, daß, da der Darlehensgeber das Risiko trug, das Schiff und in diesem die Waren im bestimmten Hafen ankamen. Dadurch wurden sowohl Schiffer wie der Wareneigentümer (Verlader) vom Seerisiko befreit. Diese Formel von der glücklichen Ankunft (sana eunte navi) blieb in allen Arten des Seedarlehens erhalten.

1.3 Klauseln und Abwandlungen des Seedarlehens im Mittelalter

Wie alle Formelverträge ließ diese Rechtsform des Seedarlehens Zusätze und Veränderungen zu, soweit nur sein Kern, die Rückgabe von Geld unter der Bedingung der Ankunft der Ware, noch herausdestilliert werden konnte. Diese Wandlungsfähigkeit machte sich der Seeverkehr im Laufe von Jahrhunderten zunutze466 , um die Seegefahr für die Schiffsladung vom Schiffer auf den Wareneigentümer (Verlader) oder einen Geldgeber zu verteilen. Die Abwandlungen des Seedarlehens wurden dadurch veranIaßt, daß der Darlehensgeber das Darlehen gegen Entgelt = Zins vergeben wollte, der Schiffer aber die Zinsen erst zahlen konnte, wenn er die Waren im Bestimmungshafen verkauft hatte. Mit Rücksicht darauf wurde das Darlehen erst gar nicht dem Schiffer (Darlehensnehmer) voll ausgezahlt. Ebenso wurde mit dem Entgelt verfahren, das der Darlehensgeber dafür beanspruchte, daß er das Risiko für den Verlust der Warenladung trug, aber in der Antike wurden die Gefahrtragung und die Verzinsung, also die bei den Entgelte, nicht voneinander getrennt467 . In Italien kamen im 12. bis 15. Jahrhundert neben dem klassischen Seedarlehen eine Reihe von Abwandlungen in Gebrauch, vor allem in folgenden Fällen468 : a) Der Schiffer vergab das Darlehen an den Verlader - also in umgekehrter Richtung -, in erster Linie um eine Fracht für die Rückfahrt zum Ausgangshafen zu erhalten - so 1261 in Neapel und 1287 in Palermo. b) Der Darlehensgeber beanspruchte zusätzliche Sicherheiten für die verfrachteten Waren vom Schiffer - Bodmerei, schon im 12. Jahrhundert in Genua. c) Es wurden zwei Verträge geschlossen, ein Kaufvertrag über die Waren mit dem Recht zum Rückkauf im Bestimmungshafen und ein Darlehensvertrag, der noch durch Wechsel abgesichert wurde - so in Genua von 1347 bis 1450. "Scriba" =Schreiber auch die Möglichkeit zu, daß dieser Urkunden für mehrere Notare niederschrieb. 466 So auch Nehlsen-von Stryk, S. 10 /11. 467 F. Ebel, Anfange, S. 8. 468 Näheres bei Perdikas, 1966, S. 449 ff.

200

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

d) Es wurden ebenfalls zwei Verträge geschlossen, nämlich ein unentgeltlicher Darlehensvertrag mit Rücksicht auf das kirchliche Zinsverbot und ein entgeltlicher Vertrag über die Gefahrtragung für die Waren. Hinzutraten eine Reihe von Zusätzen, die - die Transportgefahr (abweichend vom klassischen Seedarlehen) anders regelten, - Fristen für die Transporte vorgaben, - die Wahrung, in der die Rückzahlung des Darlehens erfolgen sollte, bestimmten, - die Bedingung, daß die Waren glücklich im Bestimmungshafen angekommen sein mußten, konkretisierten und I oder - den Grund angaben, aus dem das Seedarlehen gegeben worden war. Durch derartige Zusätze und die eben geschilderten Abwandlungen konnte der Vertragstyp Seedarlehen so umgestaltet werden, daß nur das Versprechen, eine Summe Geldes auszuzahlen, erhalten blieb. Damit machte sich das Seedarlehen allmählich von dem zugrundeliegenden Darlehensgeschäft frei und näherte sich einem abstrakten Schuldversprechen, auch wenn es damit kein Wertpapier wie der Wechsel wurde. Diese Entwicklungen vollzogen sich nebeneinander und nahmen in Italien mindestens den Zeitraum von 1150 bis 1400 ein.

2. Gefahrenverteilungen und Versicherungen verötTentlichte Vertrags texte 2.1 Verträge über Gefahrtragung bei FemkäufenUntersuchungen von Perdikas Die Seedarlehensverträge u. ä. in Genua, Marseille und Palermo, die zumeist schon am Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht worden waren, sind von 1966 bis 1980 genau untersucht worden469 • Dabei wurde festgestellt, daß ihnen durchweg Forderungen aus Überseekäufen oder -verkäufen (bei Rückfrachten) zugrundelagen und die Formel des Seedarlehensvertrags dazu benutzt wurde, um die Forderung des Kaufpreises im Bestimmungshafen ohne weitere Nachweise zu begründen und durchzusetzen. Trafen Schiff und Ware nicht im Bestimmungshafen ein, so erlosch die Kaufpreisforderung. Mit der Zahlungspflicht erst nach Ankunft der Ware war uno actu die Regelung verbunden, daß der Darlehensgeber die Gefahr trug, daß und solange Schiff und Ware nicht eintrafen, und zwar ohne daß es auf die Ursache, ob Seegefahr, Beschlagnahme, Veruntreuung u. ä., ankam 470. In der Wie vor sowie in Perdikas weiteren Veröffentlichungen. Die Bezeichnung "Versicherungskauf', die vielfach vor allem für die Verträge in Genua verwendet wird, so z. B. Koch, Versicherungsgeschichte (,~n Form des Kaufs"), nimmt das unbewiesene, aber gewünschte Analyseergebnis vorweg; wer kauft, kann aber nicht Versicherer sein. 469 470

2. Gefahrenverteilungen und Versicherungen - veröffentlichte Vertragstexte

201

Regel ist der Darlehensgeber auch Warenverkäufer, der Darlehensnehmer der Schiffer, und die Verteilung des Risikos der Ankunft der Ware zwischen beiden gehört zu den normalen meist selbstverständlichen Nebenabreden jeden Kaufvertrags, hat also auch beim Überseekauf keinen Versicherungscharakter. Wird in besonderen Klauseln die Gefahr abweichend von der generellen Verteilung des Seedarlehens vom Schiffer übernommen, so kann auch dadurch aus dem Verhältnis Darlehensgeber zu Darlehensnehmer keine Versicherung entstehen, und der Seedarlehensvertrag wird dadurch nicht in zwei Teile - einer zwecks Kreditierung des Kaufpreises, einer zwecks besonderer Gefahrübernahme - aufgespalten; vielmehr gibt es dafür in allen überlieferten Seedarlehensverträgen keine Anzeichen, wie Perdikas mit Recht feststellt, ebensowenig in den commenda-Verträgen. Im Vergleich zu früheren Darstellungen der Versicherungsgeschichte471 geht Pedikas von einem genaueren Begriff der Versicherung aus, der die Selbständigkeit des Versicherungsvertrags verlangt, und zwar in dem Sinne, daß dieser nicht eine Nebenabrede zu einem Kauf- oder sonstigen Vertrag sein darf und nicht bloß eine Gewährleistung oder eine Gefahrverteilung bei Übersendung oder Lagerung von Waren oder Münzen oder bei der Finanzierung derselben darstellt. Perdikas hat daher zu Recht geprüft, ob die Beteiligten an den Verträgen eigene, außerhalb der Versicherung liegende Interessen verfolgen. Die von Perdikas untersuchten Verträge sind in der Übersicht der veröffentlichten Vertragstexte über Fernkäufe, Seedarlehen, Kauf- / Rückkäufe und Seeversicherung angeführt, gesondert auch die FundsteIlen. Die hier erstmalig aufgestellte und erweiterte Zeittafel von 1150-1400 läßt die Lücken der Überlieferung erkennen, aber auch den Sprung in der Entwicklung zum "unabhängigen" und "vollendeten" Versicherungsvertrag472 •

2.2 Bisherige Ansichten über das Entstehungsjahr der Seeversicherung

Fast jede Jahreszahl, die in der Zeittafel aufgeführt ist, hat in der versicherungsgeschichtlichen Literatur Anlaß gegeben zu behaupten, hier liege der erste private Seeversicherungsvertrag oder die erste Seeversicherung überhaupt vor. Es traten u. a. ein473 für - das Ende des 13. Jahrhunderts: de Roover und Schwarzenberg; - den Beginn oder die ersten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts: Bensa, Goldschmidt und Melis; 471 Die deutsche versicherungsgeschichtliche Literatur vor 1966, soweit sie die Seeversicherung auf das Seedarlehen zurückführt, ist durch die Untersuchungen von Perdikas überholt; auch die bis 1986, die jene unbeachtet gelassen hat. 472 Perdikas, 1966, S. 509 und 1970, S. 152 f.; die Kritik daran von Nehlsen-v. Stryk, S. 12 Anm. 39, trifft vielleicht die Ausdrucksweise, nicht den Inhalt. 473 Nach Nehlsen-v. Stryk, S. 3.

202

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

- die Mitte des 14. Jahrhunderts bis 1370: Spagnesi und Benedetto sowie Nehlsen-von Stryk474 ; - das Ende des 14. Jahrhunderts: Perdikas. Die übrige deutsche Literatur hat sich je einer dieser Richtungen angeschlossen, meist ohne eigene, die restlichen ohne intensive Prüfung. Dazu siehe die Bemerkung von Reatz schon 1870475 . Die Entscheidungen für das Entstehungsjahr wurden weniger von dem jeweils zugrundegelegten Begriff der Versicherung bestimmt, wie Büchner gemeint hat476 , sondern von der mehr oder weniger genauen Erfassung der schwer feststellbaren Sachverhalte, die den Verträgen zugrundelagen und die erst die Einordnung in die Vertragstypen erlauben 477 . Diese Aufgabe haben erst Perdikas und Nehlsen-von Stryk, diese für das 15. Jahrhundert in Venedig, erfüllt478 . Wichtiger als die genaue Jahreszahl des ersten privaten Versicherungsvertrags in den hundert Jahren von 1287 bis 1385 - siehe Zeittafel - ist die Erklärung von dessen Herkunft aus Vorbildern, und am wichtigsten ist die Aufdeckung der einzelnen Schritte, die zum ersten privaten Seeversicherungsvertrag geführt haben479 . Die 55 veröffentlichten Verträge von 1154-1400 sind zwar bezogen auf 250 Jahre kein reichhaltiges Material, geben aber gleichwohl ein Bild der Entwicklungen in den verschiedenen Stadtstaaten am Mittelmeer, meist Italiens. Dieses Bild verleitet allerdings dazu, darin einen stetigen und konsequenten Verlauf der Vertragsentwicklung auf das Ende zu, nämlich auf das Entstehen der Seeversicherung, zu sehen, davon kann aber keine Rede sein. Von jedem Standpunkt aus ist schon beim ersten Vergleich der Inhalte zu erkennen,daß - von 1287 bis 1350 die Reihe der Notarsurkunden in Palermo dank guter Überlieferung eine eigene Entwicklung aufweist, - in Genua von 1347 bis 1450 Sonderformen galten und - seit 1379 das Dreieck Pisa-Florenz-Prato die Seeversicherung in stetem Gebrauch hatte.

474 Nach Nehlsen-v. Stryk, S. 13, allerdings für genuesische Verträge verschiedener Art früher. 475 Als Erklärung siehe den am Ende des 10. Kap. abgedruckten Satz von Reatz, 1870. 476 Büchner, Begriff. 477 So Nehlsen-v. Stryk, S. 13. 478 In der Einleitung von Nehlsen-v. Stryk, S. 9-13, sind weitere italienische Forschungsarbeiten angeführt, die in Deutschland leider nicht bekannt sind, allerdings anscheinend ohne eindeutige Ergebnisse. 479 Dafür schon Reatz, 1870.

2. Gefahrenverteilungen und Versicherungen - veröffentlichte Vertragstexte

203

Veröffentlichte Vertragstexte über Femkäufe, Seedarlehen, Kauf-! Rückkäufe und Seeversicherungen von 1154 -1400 in zeitlicher Reihenfolge Ursprungs- Vertragsart* ort

Verfasser! Notar

1154-1164

Genua

Femkäufe

Scriba

Historiae Patriae

1200-1263

Marseille

Femkäufe! Seedarlehen

Manuel

Blancard

1248 -1260

Marseille

Femkäufel Seedarlehen

Almaric

Blancard

1287

Palermo

Femkäufe! Seedarlehen

Ignoto

Zeno

1298/99

Palermo

Femkäufel Seedarlehen

A. Citella

Zeno

B. Citella

1308/09

Palermo

Femkäufe

1319/20

Florenz

Femkauf

1326

Palermo

Femkauf

1329

Grossetano Fernkauf

1310-1340

Florenz

Seedarlehen

1334

Lucca

Femkauf

1336-1341

Palermo

Femkauf

Besonderes

FundsteIle

Jahr

Zeno Melis I

R. Citella

Zeno

Pegolotti

Evans

de Rusticis

Zeno

Melis 11 Melis S. 234

1343

Genua

Seedarlehen

Melis 111

1347(23.10.)

Genua

Seedarlehen

Bensa 111

1350(15.3.)

Palermo

Zwischenstufe

d'Amato

1350(15.3.)

Palermo

Zwischenstufe

d'Amato

1350(24.3.)

Palermo

Seeversicherung d'Amato

1350(3.)

Palermo

Zwischenstufe

d'Amato

1370

Genua

Seedarlehen

Caito

Bensa IV

1370

Genua

Seedarlehen

Caito

Bensa V Bensa VI

1370

Genua

Seedarlehen

Caito

1370

Genua

Femkauf

Caito

1370(12.7.)

Brügge

Seedarlehen

Melis IV I Zeno CXC Zeno CXCI Zeno CXCIV Zeno CCII

Bensa VII Bensa VIII

1377(12.4.)

Brügge

Seeversicherung

1379(13.4.)

Pisa

Seeversicherung

Melis XVI

1379(13.4.)

Pisa

Seeversicherung

Melis XVII u. S. 27

1384

Prato

Seedar\ehen

Bensa lXI Melis XLIV

1384(24.4.)

Prato

Zwischenstufe

Bensa XI Melis XLV (Fortsetzung niichste Seite)

204

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

(Fortsetzung" Veröffentlichte Vertragstexte und Seeversicherungen")

Jahr 1384

Ursprungs- Vertragsart* ort Prato Zwischenstufe

1389(14.1 0.)

Florenz Venedig

Seeversicherung Seeversicherung Seeversicherung Seeversicherung Seeversicherung Seeversicherung Zwischenstufe

1391

Toskana

Seeversicherung

1393(27.3.)

Venedig

Seeversicherung

1393(22.8.)

Genua

Kauf-I Rückkauf de Maggiolo

1393(15.10.)

Genua Genua

Kauf-I Rückkauf de Maggiolo Kauf-I Rückkauf A. Ciato

Prato Genua Venedig Florenz

Zwischenstufe Zwischenstufe Seeversicherung Seeversicherung

1396

Florenz Genua Toskana

1396

Prato

Seeversicherung Kauf-I Rückkauf A. Caito Seeversicherung Seeversicherung

1397

Florenz Pisa

1385(26.1.) 1385(26.1.) 1385(26.1.) 1385(11.7.) 1388(9.9.) 1388(9.9.)

1393 1395 1395 1395(22.10.) 1395-1399 1396 1396

1397

1369/97 1398

1398/99 1399

Pisa Pisa Pisa Florenz Florenz

Verfasser I Notar

Genua Prato Prato Prato

Seeversicherung Transportversicherung Kauf-I Rückkauf Seeversicherung Seeversicherung Seeversicherung

Besonderes

FundsteIle Melis LXI

Melis XVIII Melis XIX Melis XX Bensa XI Melis XXI Melis XXII Stefani Bd. I S. 207 f. Melis XXXVIII Urteil Stefani Bd. I S. 207 f. Bensa XIII Melis V Bensa XIII 138 Verträge Melis VII Landtransport Melis XLVI Landtransport Melis XLVII Medici

59 Verträge Ordnung

Kostenaufstellung

Melis LXII u. S. 31 Roover Melis VI Melis XLIII Melis LXIII

Roover Flußtransport Melis XLVIII

Vennittler Datini Datini, Todesfall

Melis Melis Melis Melis

VIII XL XXXIX XLIX

Weitere Verträge 1390-1400 in Venedig, siehe unten 13. Kap. 2.5. * Einordnung in Vertragsart entsprechend den Kap. 11 und 12, also abweichend von denen in den FundsteIlen; Seedarlehen auch mit Nichtigkeitsklausel, auch Kauf-I Rückkauf-Verträge. Fernkäufe mit Gefahrverteilungsklauseln. Zwischenstufen zwischen Seedarlehen u. ä. und Seeversicherung.

3. Verträge über Gefahrverteilung aus dem 12./14. Ih.

205

Die Übersicht läßt auch erkennen, wie früh Urkunden über Käufe und Darlehen, die besondere Formulierungen und / oder Zusätze enthielten, als versicherungsähnlich oder gar schon als Versicherung eingestuft wurden; denn nur solche hat Perdikas untersucht. Andrerseits ist aus der Übersicht bei Kenntnis der Urkundeninhalte zu entnehmen, wie sich die Vertragsformulierungen im Laufe von fast 200 Jahren allmählich verbessert und angereichert haben, wie sich die Inhalte bei ständigem Streben nach mehr kaufmännischer Sicherheit gewandelt, an das Römische Recht, so wie man es gerade verstand, angepaßt haben und auch das päpstliche Wucherverbot zu beachten oder zu umgehen suchten und wie sich schließlich durch die Einführung von Nichtigkeitsklauseln die Vertragsformulierungen gegenseitig aufhoben.

3. Verträge über Gefahrverteilung aus dem 12. / 14. Jahrhundert Um die Wege und Umwege zur Versicherung kennenzulernen und um die deutsche versicherungsgeschichtliche Literatur, die noch an der Seedarlehens-Theorie festhängt, nicht zu übergehen, ist es erforderlich, in der Geschichte der Seeversicherung auch die privaten Verträge verschiedener Art in Italien vom 12. bis zum 15. Jahrhundert zu behandeln, obwohl sie vom heutigen Standpunkt aus (nur) als Ergebnisse des Typenzwangs des Römischen Rechts und als Umwege zur Seeversicherung angesehen werden können. Der These, daß die Versicherung aus dem Seedarlehen entstanden sei - so Goldschmidt und ihm folgend der größte Teil der deutschen versicherungswissenschaftlichen Literatur -, fehlte schon immer der Schlußstein48o , sodaß es ohnehin eines neuen Ansatzes bedarf (siehe unten 12. Kap.).

3. J JJ 54 - J J 64 in Genua vor Notar Scriba

Von den Verträgen, die vor dem Notar Giovanni Scriba in Genua von 1154 bis 1164 abgeschlossen wurden und von denen die meisten Kaufverträge sind, hat Perdikas drei außergewöhnliche Fälle näher untersucht481 , in denen Darlehensgeber und -nehmer auf die Ankunft eines Schiffes in Genua aus Sizilien abstellen, das sich schon auf See befindet bzw. von dem sie nicht wissen, ob es am St. JohannisTag eintreffen wird; trifft überhaupt kein Schiff vor Johannis ein, wird der Darlehensnehmer nicht wie sonst beim Seedarlehen von der Rückzahlung frei, sondern muß sogar das Doppelte zahlen. Perdikas nimmt hier keinen Kauf, sondern Wette oder Versicherung an, und zwar für den Darlehensgeber Wette oder Spielgeschäft, für den Darlehensnehmer "den Privatversicherungsgedanken" , eine Sicherung geÄhnlich. mit Recht. Nehlsen-v. Stryk. S. 12. Perdikas. 1966. S. 469 ff.; veröffentlicht in Historiae patriae (Italia) monumenta. Sp. 285 ff. 480 481

206

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

gen Verlust. Dieses Geschäft läßt sich nicht mehr unter dem Namen "Seedarlehen" summieren - darin ist Perdikas zuzustimmen -, vielmehr liegt eine andere Erklärung nahe: Die Rückzahlung des Darlehens ist an einen Schaden, nämlich die für eine Verwertung der Ware zu späte Ankunft, gebunden. Versichert wäre hier also nicht der Transport der Ware; denn es wäre auch dann zu zahlen, wenn die Ware später eintrifft, sondern ein Termin, von dem ein Weiterverkauf der Ware mit Gewinn abhängt, also ein entgangener Gewinn. Nach heutiger Auffassung kann eine Preisvorstellung nicht Gegenstand einer Versicherung sein, jedenfalls nicht in Deutschland, vielmehr handelt es sich hier um ein Warentermingeschäft482 , bei dem der Darlehensnehmer die Lieferung der Ware zu einem Termin zugesagt hatte, aber die Zusage nicht erfüllen kann und dafür das Doppelte zurückzahlen muß. Es ist erstaunlich, daß Warentermingeschäfte schon in den Jahren 1154-1164 in Genua geschlossen wurden, aber um Transportversicherungen handelte es sich nicht. Die weiteren Vertragsklauseln, die Perdikas aus den Verträgen Scribas untersucht, sind Kombinationen verschiedener Vertragstypen; Perdikas erklärt sie mit Versicherungselementen, weil sie die Ankunft fremder Schiffe zur Bedingung eines Seedarlehens machen, aber wenn die Darlehensnehmer eine Beteiligung oder ein Pfandrecht an dem Schiff oder an den beförderten Waren besitzen, würde zwar eine Erweiterung der Gefahrübernahme vorliegen, aber noch keine Versicherung. In zwei Fällen handelt es sich um ein doppeltes Seedarlehen, gestuft wie bei Erst- und Rückversicherer483 , aber eben doch um Seedarlehen, bei denen die Beschaffung eines Kapitals bis zur Ankunft des Schiffes den Ausgangspunkt gebildet und die Gefahrübernahme keine selbständige Bedeutung hatte. Jedenfalls wäre auch hier nicht unmittelbar der Warentransport "versichert" gewesen, sondern das auf die Ware geliehene Darlehen, also der Kredit und dessen Rückzahlbarkeit zu einem fixen Termin; es würde sich also um Termingeschäfte auf die Ware "Geld" (= Münzen) gehandelt haben. Gewiß ist auch hier die Findigkeit der Genueser Kaufleute, sich Kredite auf wirtschaftlich entferntere Grundlagen zu beschaffen, zu bewundern, aber dieser Hauptzweck steht einer Auslegung als Versicherung entgegen. Man kann allerdings Perdikas Schlußfolgerungen484 , daß ein Bedürfnis nach Sicherungen von Transporten, Waren und Darlehen schon im 12. Jahrhundert vorhanden war und nicht eine Spaltung des Seedarlehens zur Versicherung geführt hat, durchaus zustimmen, jedoch wurden in den Genueser Verträgen dafür andere Methoden als die der - damals unbekannten - Versicherung gewählt. 482 Perdikas waren offensichtlich Warentermingeschäfte nicht geläufig, seine Auslegung, S. 471 unter 8., unterstellt, daß ein Vertrag von jeder der beiden Seiten unterschiedlich zu beurteilen wäre. 483 S. 474 f.; Perdikas spricht hier und in ähnlichen Fällen davon, daß der Sache nach Versicherung vorläge, aber die gewählte Form des Seedarlehens einen Versicherungsvertrag als eigenen Vertragstyp ausschließe. Eine difficilere Betrachtung zeigt aber, daß es sich in diesen Fällen auch nicht in der Sache um Versicherung gehandelt hat, sondern um gewagte Geschäfte bei Warenlieferungen mit Gewinn und Bürgschaften. 484 S. 476 f. unter 10.

3. Verträge über Gefahrverteilung aus dem 12./14. Jh.

207

3.21200-1263 in Marseille insbesondere vor Notar Almaric Eine zweite Sammlung von Verträgen aus dem Handelsverkehr des Mittelmeeres ist aus den Jahren 1200-1263 aus Marseille überliefert485 . Sie umfaßt vier Teile mit 845 Verträgen, davon zwei hier einschlägig, und zwar den Teil I mit chartes commerciales des Kaufhauses Manduel von 1200 bis 1263 und Teil 11 mit Urkunden des Notars Almaric aus den Jahren 1248 bis 1260. Perdikas hat beide Teile untersucht, jedoch Verträge, die nach seiner Ansicht der Versicherung dienen, allein im 11. Teil (Almaric) gefunden und daraus diejenigen herausgesucht, die Überseegeschäfte in Form des Seedarlehens enthalten und in denen die Rückzahlung des Darlehens davon abhing, ob Waren oder Schiffe glücklich im Bestimmungshafen ankamen. Mit Rücksicht auf die abstrakte Formulierung der Urkunden schließt Perdikas es aus486 , daß dem Seedarlehen ein Kauf zugrundeliegt; das Seedarlehen sei entweder nur zur Sicherung als Summe im voraus gezahlt worden oder hätte nur der Sicherung der Rückzahlung eines Kredits gedient. Zu dieser Auffassung gelangt Perdikas durch die Veränderung der Rolle des Darlehens gebers I Kaufmanns am Seetransportgeschäft, nämlich durch die ,,Einschaltung der bancherii oder campsores zur Geldbeschaffung im Warenhandel,,487 und den von diesen Bankiers / Geldwechslern entwickelten "lettres de change" (Schuldurkunden) in Marseille. Infolge der Trennung von Geldgeschäft und Warenhandel waren nun drei Parteien am Seetransportgeschäft beteiligt, und der Schiffer schloß außer dem Seedarlehensvertrag mit dem Bankier einen Transportvertrag mit einem Kaufmann, dem Verlader. Das Schiff und die von ihm transportierten Waren und deren glückliche Ankunft bildeten auch für den Darlehensgeber die wirtschaftliche Grundlage der Darlehenshingabe; deren Seegefahr zu decken, war auch für ihn nicht die Deckung einer "fremden" Gefahr. Da die Bodmerei-Klauseln in (fast) sämtlichen Fällen in Betracht kommenden Fällen hinzugefügt waren488 , bestanden auch allgemeine und besondere Pfandrechte und damit ein unmittelbares Interesse an der glücklichen Ankunft des Schiffes, was Versicherung ausschließt. Mit ähnlicher Begründung kommt Perdikas zum gleichen Ergebnis, wenn er zusammenfassend489 sich dagegen wendet, "in den wirtschaftlich noch unausgereiften oder rechtlich unvollendeten Vertrags formen das erste Auftreten der echten, vollentwikkelten Versicherung zu erblicken." Nach wie vor waren nämlich im Seedarlehen zwei Ziele ungeschieden enthalten, die Kapitalbeschaffung mit Zins und die Übernahme der Garantie für die glückliche Ankunft. Erst die Abtrennung der letzteren machte den Weg für die Versicherung frei, aber der Verzicht auf die Kapitalien genügte für die Versicherung noch nicht. 485

Hrsg. von B1ancard, Documents inooits sur 1e commerce de marseille au moyen age,

1885. 486 487 488 489

Perdikas, Perdikas, Perdikas, Perdikas,

1966, S. 494. 1966, S. 490. 1966, S. 492 f. und 497. 1970, S. 153.

208

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

3.3 1287 -1326 in Palermo vor den Notaren Ignoto und di Citella Aus Palermo sind von 1287 bis 1350 Reihen von notariellen Dokumenten veröffentlicht 490, die Regelungen über Seetransporte zum Inhalt haben, nämlich - 11 Urkunden des Notars Ignoto aus dem Jahre 1287; - 171 Urkunden von drei Notaren aus der Familie di Citella aus den Jahren 1298 bis 1326; - 16 Urkunden des Notars Rustico de Rusticis aus den Jahren 1336 bis 1341 (siehe unten 5.1);

- 4 einschlägige Dokumente unter denen des Notars Stefano de Amato aus dem Jahre 1350 (siehe unten 12. Kap. 1.). Die Dokumente von 1287 bis 1326 enthalten Frachtverträge, in denen der Schiffer dem Verlader (Kaufmann) der Waren zusätzlich ein Darlehen zusagt, gelegentlich auch Verträge über Geldtransporte, teils verbunden mit Umwechseln in andere Geldsorten. Diese Seedarlehen dienen nach der Untersuchung von Perdikas491 durchweg der Finanzierung von Warenkäufen des Verladers und zeigen die Variabität dieser Rechtsfigur, aber lassen keine Anzeichen von Versicherung erkennen. Sie dienten vielmehr dazu, dem Schiffer einen Transportauftrag zu verschaffen, indem der Verlader Waren kaufte und mittels des Schifferdarlehens bezahlte. Sie gingen, wie Perdikas mit Recht als Ergebnis feststellt492 , "nicht über die Struktur und die wirtschaftlichen Ziele des klassischen Seedarlehens hinaus." Die gegenteilige Ansicht Zenos u. a. 493 legt einigen Faktoren, z. B. Preisunterschieden, eine unbeweisbare Bedeutung bei und geheimnist in die Verträge Faktoren hinein, die sich aus dem Seedarlehenstyp von selbst ergeben, hier aber eine "verhüllte Versicherung" (assecuratio larvata) erschließen sollen494 . Auf diesen Wegen ist Zeno u. a. nicht zu folgen. So bleibt aus den Frachtseeverträgen von 1228 bis 1326 in Palermo nur das Ergebnis übrig, daß auch in ihnen Klauseln über die Verteilung der Seegefahr für Waren verbreitet und zusätzliche Sicherungsklauseln aufgekommen waren. Dies - aber nicht das Seedarlehen als Vertragstyp - hat dazu beigetragen, daß "eine finanzielle Zusammenarbeit, die auf dem Gedanken der Teilung der Gefahr aufbaut, in der Praxis (der Kaufleute und Schiffer) allgemein anerkannt worden ist.,,495, allerdings noch nicht durch Versicherungen.

490 Zeno, Riniero, Documenti per la storia de\ diritto marittimo nei secoli XII e XIV, 1936, S. 222 ff.; Literatur dazu bei Perdikas, 1970, S. 151. 491 Perdikas, 1970, S. 153. 492 Perdikas, 1975, S. 327. 493 Siehe zu den Zeno folgenden Schriften die Angaben bei Perdikas, 1975, S. 297 f., Anm.10-29. 494 Perdikas, wie vor, S. 328 f. 495 Perdikas, wie vor, S. 334.

4. Verträge von 1298-1400 in Genua

209

3.4 Die beginnende Trennung von Geld- und Warengeschäft

Die Entwicklung zu der besonderen Gruppe der bancherii war nicht auf Marseille beschränkt. Wie in Florenz496 hatten sich im 13. Jahrhundert wohl in allen italienischen Seestädten die Kaufleute in mehrere Berufe und meist auch mehrere Gilden getrennt. Damit war eine Trennung in Geld- und Warengeschäfte verbunden, die eine Spezialisierung vor allem der Geldgeschäfte und deren Formalisierung und Abstraktion bis hin zu Wechseln ermöglichte und erzwang, und dies wiederum war eine der Voraussetzungen für die spätere Entstehung der privaten Seeversicherung. Andererseits trug die Übernahme von Gewährleistungen gegen Entgelt im 13. und vor dem Ende des 14. Jahrhunderts nur wenig zur Akkumulation des Geschäftskapitals bei; denn es lohnte sich offensichtlich nicht, die Einnahmen hieraus gesondert zu veranschlagen und zu buchen; im Seedarlehen überwog der Gewinn aus Zinsen bei weitem.

4. Verträge von 1298-1400 in Genua In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts treten in Genua verschiedene Vertragsformen mit dem Ziel der Absicherung von Verlusten bei Seetransporten nebeneinander auf, nämlich - Gefahrverteilungen innerhalb der Beteiligten bei Fernkäufen, - Seedarlehen von Dritten, - Kauf- / Rückkaufverträge, teils gekoppelt mit Seedarlehen, - Verträge mit Nichtigkeitsklauseln bei glücklicher Ankunft, jedoch noch keine Versicherungen, wenn auch dieses Wort in lateinischer Sprache als Sammelbegriff auftaucht (siehe oben 10. Kap. 3.1 und unten 12. Kap. 1.6).

4.1 1298 in Genua terminierte Kauf-IRückkauf-Verträge ,Jm Jahr 1298 verkauft der Genuese Benedetto Zaccaria seinen Landsleuten Enrico Suppa und Baliani Grilli 650 Kantaren - über dreißig Tonnen - Alaun, den ein Schiff von Aigues-Mortes auf dem direkten Seeweg, der damals noch den Italienern Angst machte, nach Brügge transportiert. Aber Zaccaria verpflichtet sich von diesem Augenblick an, den betreffenden Alaun zurückzukaufen, wenn er in Brügge ankommt. Der Preis des Rückkaufs wird im vorhinein abgesprochen: Er ist natürlich höher als der Verkaufspreis. Der Unterschied zwischen den Preisen entspricht den Kosten Zaccarias für eine Begrenzung der Risiken: Zwischen Aigues-Mortes und Brügge riskiert er nur sein Schiff. Zu dieser Zeit wird der Wechselverkehr immer ausgefeilter. Der Verkauf von Alaun in Aigues-Mortes verschafft in Brügge nicht das Geld für den Rückkauf. In Brügge leihen Sup496

Siehe oben 10. Kap. 1.

14 Schewe

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11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

pa und Grilli daher Zaccaria den Betrag, den er braucht, um ihnen die Ladung abzukaufen. Das Darlehen wird durch einen Wechsel vertrag geregelt, der in Genua zahlbar ist. Das heißt, daß die beiden Genuesen in Briigge nichts bekommen, so daß sie auch keinen Grund haben, selbst dort hinzufahren. Am Anfang haben sie den Preis des Alauns bezahlt. Am Ende, nach der Reise und der Laufzeit des Wechsels, werden sie in Genua bezahltmit einem Gewinn. Während dieser Zeit hat Zaccaria in Briigge sein Alaun verkauft und seine Rückfracht mit dem Preis dieses Alauns finanziert.,,497

Die plastische Schilderung Faviers, übersetzt aus dem Französischen, entspricht Kaufverträgen, die aus Genua überliefert sind498 • Die Formulierungen haben sich in Genua mit wechselseitigen Kaufverträgen und einer Stundung des Kaufpreises 1365 stark vereinfacht: Der Kaufpreis wird gestundet, bis das Schiff (in Brügge) angekommen ist, und im gleichen Augenblick wird der Kaufvertrag für nichtig erklärt, sodaß der Kaufpreis nie gezahlt wird, wenn das Schiff glücklich ankommt499 . Kommt das Schiff allerdings nicht an, so ist die Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises zu erfüllen. Damit wird ein ähnliches Ziel wie später mittels einer Versicherung erreicht. Hier aber handelt es sich noch nicht um eine Versicherung, sondern eine Verteilung der Seegefahr zwischen Wareneigentümern und Schiffer, die sich nicht auf fremde Güter bezieht. Die Gefahrübemahme bringt einen zweifachen Besitzer- oder sogar Eigentümerwechsel mit sich und gefahrdet damit den ursprünglichen Eigentümer; sie setzt sich außerhalb Genuas kaum durch, zumal die Beteiligten die Kaufpreise abdecken müssen und Zinsen anfallen, im obigen Beispiel von Favier betragen sie und das Entgelt für die Gefahrübemahme zusammen 26%. Mittels Kauf- und Rückkaufverpflichtung umschiffen die Genuesen die Klippen des Typenzwangs des Römischen Rechts. Die Genueser Bankiers kannten vermutlich die Umgehungsabsicht von Kauf- und Rückkaufspflicht, aber die Genueser Notare, belehrt durch die sonstige Überlegenheit des Römischen Rechts, hielten die Rechtskonstruktion für die einzige, die dem Sicherungsstreben der Bankiers Rechnung tragen könnte. Rechtsfragen daraus entschieden sie und die Richter nach Kaufrecht. Der Genueser Jurist Bartolomeo Bosco hebt noch kurz nach 1400 hervor, daß der Versicherungsvertrag kein fingierter, sondern ein wirklicher Kaufvertrag ist: ,,1tem per viam verae venditionis mercium resolvendae sub conditione assecurationens contrahunt, ....,500.

497 Favier, S. 268/9, ohne Angabe der Fundstelle. Das Jahr 1298 ist sonst nicht belegt. 498 Bei Bensa, S. 198, ist in Urkunde VII. ein solcher Vertrag für das Jahr 1370 enthalten, siehe Perdikas, 1966, S. 506; Koch, Versicherungsgeschichte, bezeichnet sie als "Seeversicherungsverträge in Form des Kaufs", es sind aber nur Kaufverträge mit dem gleichen Ziel wie spätere Seeversicherungen. 499 Gleichwohl handelt es sich nicht um einen "simulierten" Kaufvertrag; denn er entfaltet Wirkungen, z. B. den Besitzübergang, solange er nicht nichtig ist. 500 Zitiert bei Nehlsen-v. Stryk, S. 332.

4. Verträge von 1298-1400 in Genua

211

,,Ebenso schließen sie Sicherungen auf dem Wege eines wirklichen Kaufvertrags über Waren unter der auflösenden Bedingung ab, ...... Bosco folgert daraus, daß die Versicherer über zurückerhaltene Ware wie über Eigentum disponieren können 50I . Bei dem Genueser Kauf und Rückkauf handelt es sich also nicht nur darum, daß der Zweck der Sicherung einen anderen Namen bekommt, um - wie eine Reihe von Versicherungsgeschichtlern gemeint haben - das päpstliche Wucherverbot zu umgehen, sondern es konnten auch nur solche Rechtsfolgen vor Genueser Gerichten durchgesetzt werden, die sich aus dem Recht des Kaufvertrags ableiten ließen. Bei dieser Rechts- und Prozeßlage lassen sich die Verträge der Genueser Notare nicht in Seeversicherungsverträge umdeuten, auch wenn das wirtschaftliche Hauptziel der Vertragsparteien eine ähnliche Sicherung gewesen sein sollte; es ergaben sich eben doch z. T. andere Rechtsfolgen, so in Abandonfragen 502 . Dem widerspricht nicht, daß Genueser außerhalb Genuas Seeversicherungen entsprechend dem dortigen Recht abschlossen, so in Palermo 1350 und in Venedig 1380503 .

4.2 Verträge von J343 - J397 in Genua

Aus Genua sind von 1343 bis 1370 und dann wieder von 1393 - 1397 eine Reihe verschiedenartiger Verträge überliefert; der zweite Zeitraum ist zwar für Genua bedeutend, aber für die Entstehung der Seeversicherung ohne Belang, weil schon vorher Seeversicherungen in Pisa und Florenz existieren. Gleichwohl sind alle in der Übersicht auf Seite 2 i 2 aufgeführt und näher als in der allgemeinen Zeittafel 2.2 charakterisiert. Außer den Verträgen in der Übersicht wurden schon 1369 in der Genueser "colonie" in Brügge "Versicherungskontrakte" unbekannter Art ausgestellt504 , wahrscheinlich der gleichen Art wie 1370 in Genua. In der Übersicht und entsprechend in der Überlieferung bestehen Lücken von 1347 bis 1369 und von 1371 bis 1392. Die Auswertung ist dadurch beengt, daß die weitaus meisten Verträge von den Notaren Andriolo Caito stammen, wohl Vater (um 1370) und Sohn (1393 - 1409), insbesondere die mit Nichtigkeitsklausel. Auffällig ist auch, daß 1393 vom Notar Teramo de Maggiolo noch die Klauseln des Seedarlehens, von Caito aber schon der compra-vendita-Vertrag verwendet werden, beide allerdings mit Nichtigkeitsklauseln. Aus dem Unterschied zwischen den Vertrags arten ist zu folgern, daß der Wechsel zum compra-vendita-Vertrag erst Wie Anm. 500, S. 210. Siehe den bei Nehlsen-v. Stryk angeführten Fall, die gleichwohl die Bezeichnung Versicherung dafür verwendet. S03 Nehlsen-v. Stryk, S. 31 Anm. 139 u. S. 234. 504 Groneuer, S. 255 Anm. 128. 501

S02

14·

212

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

kurz vor 1393 erfolgt ist und de Maggiolo ihm noch nicht folgen konnte oder wollte, allerdings könnte sich hier durch neue Funde anderes ergeben. Zeittafel 1343

Seedarlehen

Melis Tafel III u. Anhang I Nr. 2 S. 184

1347 (23.10.)

Seedarlehen mit bedingter Darlehenszahlungspflicht

Bensa III

1370

Seedarlehen mit NichtigkeitsklauseI

Andriolo Caito, Bensa IV

1370

Seedarlehen mit NichtigkeitsklauseI

Andriolo Caito, Bensa V

1370

Seedarlehen mit NichtigkeitsklauseI

Andriolo Caito, Bensa VI

1370

Femkauf

Andriolo Caito, Bensa VII

1370 (12.D7.)

Seedarlehen mit VorschuB der Versicherungssumme von Genuesen in Brügge

Bensa VIII

1393 (22.08.)

Darlehen wie 1347

de Maggiolo, Bensa XII

1393 (15.10.)

Darlehen wie 1347

de Maggiolo, Bensa XIII

1393 (1. Jahreshälfte)

138 Kauf-/Rückkaufverträge

Andriolo Caito, Melis VII

1395

(See)darlehen für Landtransport mit Risikoumschreibung

Melis XLVII

1396 (Anfang)

59 Kauf-I Rückkaufverträge

Andriolo Caito, Melis VI

1396/1397

Melis VIII

Im Vertrag von 1395 werden zwei Vertragsformen verwendet, sowohl die der glücklichen Ankunft wie die Anführung besonderer Risiken. Übrigens fehlt in Genua im 14. Jahrhundert und danach mindestens bis 1431 auch nur ein "echter" Versicherungsvertrag; die Rückständigkeit der Genueser Notare ist offensichtlich. Außer den überlieferten Verträgen liegen eine Reihe von Gutachten (consigli) des Genueser Juristen Bartholomeo Bosco aus der Zeit von 1390 bis 1435 vor, der sich durchweg mit Rechtsfragen aus den compra-vendita-Verträgen befaßt und sie als echte Kauf-! Rückkaufverträge auslegt, also nicht als Versicherung, wie sie vor allem die Untersuchungen des Genuesers H. Bensa von 1884 sehen wollen; dessen Folgerungen sind nur aus fünf Beispielen von 1347 bis 1370 abgeleitet und geben allenfalls ein auf Genua beengtes Bild.

4.3 J347: Seedarlehen mit Nichtigkeitsklausel

1347 taucht in Seedarlehensverträgen in Genua ein eigenartiger Zusatz auf505 , der an die glückliche Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen die Klausel an~5 Groneuer benennt compra-vendita-Verträge mit "Versicherung", was auch in wirtschaftlicher Beurteilung nicht korrekt ist.

4. Verträge von 1298-1400 in Genua

213

knüpft, daß der Vertrag von diesem Zeitpunkt an nichtig und ohne Kraft ist, "wie wenn die Tatsachen nicht gewesen wären." Damit war erst einmal das Seedarlehen nicht zurückzuzahlen, und daraus wurde von der Versicherungsgeschichte gefolgert, daß es auch gar nicht ausgezahlt worden sei, Perdikas s06 nennt es deswegen "simuliert", andere eine ,,Darlehensfiktion" oder ein "Versicherungsdarlehen" sämtlich irreführende Bezeichnungen. Der erste derartige Vertrag wurde am 23. Okt. 1347507 zwischen Giorgio Leccarelle als Darlehensgeber und Bartolomeo Basso im Haus der Gebrüder Ususmare s08 , für die Fahrt des Schiffes St. Clara von Genua nach Mallorca innerhalb von sechs Monaten mit einem Darlehen von 107 genuesischen Lire abgeschlossen, von einer Ladung ist im Vertrag keine Rede, sie war entweder anderweit versichert oder das Schiff fuhr leer, um Güter zu holen; nach der Höhe des Darlehens kann es sich nur um den Betrag handeln, der dem Wert des Schiffs entspricht. Der Seedarlehensvertrag wurde durch die Nichtigkeitsklausel auf die Verpflichtung des Darlehensgebers beschränkt, die genannte Summe auszuzahlen, jedoch nur solange, wie das Schiff den Bestimmungshafen noch nicht erreicht hatte, also nur auf die Fahrt beschränkt, und zur Sicherheit auch noch auf sechs Monate; denn dann war geklärt, ob das Schiff angekommen war oder nicht. Auf diese Weise konnte der Vertragstext an den Begriff der glücklichen Ankunft anknüpfen und es vermeiden, den Verlust der Schiffsladung zu definieren. Juristisch war es nach wie vor ein Seedarlehensvertrag s09 , jedoch wurde jetzt zwischen der Verpflichtung zur Hingabe des Darlehens und deren Erfüllung unterschieden, diese - nicht wie bisher die Rückzahlung - wurde aufgeschoben und an die Bedingung der Nicht-Ankunft des Schiffes geknüpft. Mit "bedingter Darlehenspflicht" würde die Rechtskonstruktion richtig bezeichnet. Ihr Gedankengang ist aus dem rezipierten römischen Recht abgeleitet worden. Von den vielen Seedarlehen blieben nur diejenigen übrigen, in denen der Seetransport mißglückt war, was auf einen Abandons 10 (Abtretung des Schiffs, § 861 HGB) hindeuten könnte. Das Ergebnis der Rechtskonstruktion kommt in der Hauptsache ungefähr dem einer Transportversicherung gleich. Mit dieser Erklärung der bedingten Darlehenspflicht und der ähnlichen beim wechselseitigen Kauf mit bedingter Kaufpreisforderung sind auch jene Vorstellungen aufgeklärt, die die Existenz "simulierter" DarlehenslI oder Käufe fingierten, also solcher, die nur zum Schein eingegangen worden seien. Ihre Vertreter haben S06 Perdikas, 1966, S. 50415, mit Hinweis auf doc. III. vom 23. Okt. 1347 bei Bensa, S. 191. 507 Neh1sen-v. Stryk nennt den 27. Okt. 1347. 508 Siehe den gleichnamigen Kaufmann in Palermo 1350, siehe unten 12. Kap. 1.1. S09 Aus diesem Grund spricht Perdikas von einem "Versicherungsgeschäft", aber noch nicht von einem Versicherungsvertrag; so 1966, S. 506 und 1970, S. 161. 510 Hubrecht, S. 352. 511 Perdikas, 1966, S. 504.

214

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

nicht verstanden, daß es sich um echte Darlehen handelte, deren Auszahlungen aber gestundet und bedingt waren. Auch wurden in diesen Fällen nicht die Positionen von Darlehensgeber und -nehmer umgekehrt 512 , vielmehr anstelle der Rückzahlungspflicht die Pflicht zur Hingabe des Darlehens herangezogen und unter eine Bedingung gestellt. Eine Vertragskonstruktion, die sich bei normalem Verlauf selbst für nichtig erklärt, ist in der Regel als nicht ernsthaft gemeint anzusehen, allenfalls könnte man sie als Spiel oder Wette erklären 513 . Bei den nichtig gewordenen Seedarlehen handelt es sich um ein unvereinbares Auseinanderklaffen von Inhalt und Form: Der Wille der Vertragsparteien ging auf ein versicherungsgleiches oder ähnliches Geschäft, die Notare preßten es mit der Nichtigkeitsklausel in die Formulierung eines Seedarlehens. Der Grund dafür liegt in der Klausel der glücklichen Ankunft: Ein Glücksfall kann seiner Natur nach keine Zahlung, die ein Unglück ausgleichen soll, begründen, daher mußte man die Bedingungen umkehren und die Grundlage des Vertrags rückwirkend vernichten. Weil diese Vertragsformulierung am Wortlaut des Seedarlehens haften blieb, wurde das abzusichernde Risiko nicht genannt und die Gefahr auch in Gedanken nicht erfaßt, es blieb die Formulierung eines Glücksspiels und ein Abweg von einer Versicherung; sie als Vorstufe zu bezeichnen, fällt schwer, weil sie in eine andere Richtung weist. Die Einordnung dieses und der ihm folgenden Verträge als Versicherung ist daher nicht gerechtfertigt514. Weiter ist zur wirtschaftlichen Einordnung der Genueser Verträge es erforderlich festzustellen, ob die angeblich als Versicherer auftretenden Kaufleute am Warentransport und / oder am Wert des Schiffes interessiert, also in Wahrheit Miteigentümer oder Gesellschafter oder Darlehensgeber, also nicht unabhängige Dritte waren und in dieser Eigenschaft Gewährleistungen übernahmen; dafür spricht in den meisten Fällen einiges (weiteres siehe unten).

4.4 1370: Seedarlehen durch Genueser in Brügge Das Dokument vom 12. Juli 1370 enthält einen Seedarlehensvertrag, der von einem Genuesen in Brügge / Flandern abgeschlossen wurde. Er ist ein Beispiel für die oft wiederholte Behauptung, daß um 1370 die meisten oder fast alle Transporte von Brügge nach Italien, insbesondere Tuche, "versichert" waren 515 ; unter "versichert" können die Gewährleistungen des Käufers oder Verkäufers und die Seedarlehen mit der Klausel der glücklichen Ankunft und mit Nichtigkeitsklausel verstanden worden sein, die ähnliche Ziele wie eine Versicherung verfolgten, aber keine m Perdikas, 1966, S. 505. SI3 So Perdikas gelegentlich, z. B. 1970, S. 159. ~14 So, mit anderer Begründung, Perdikas.

m Raynes, S. 12, unter Berufung auf Trennery.

4. Verträge von 1298-1400 in Genua

215

solche waren; es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß, wie das Beispiel des Genuesers Cattaneo 1350 in Palermo zeigt (unten 12. Kap. 1.), auch in Brügge von Genuesen Vertragsformen, z. B. die Seeversicherung, verwendet wurden, die in Genua von den dortigen Notaren nicht beurkundet wurden.

4.5 Die spätere Vertragsentwicklung in Genua - Vergleiche

In der Lücke der Überlieferung in Genua von 1371-1392 vollzieht sich in Pisa, Aorenz und wohl auch in Venedig der Schritt zur "echten" Versicherung, während Genua mindestens bis 1431 am Kauf-/Rückkaufvertrag festhält. Ob und in weIcher Weise diese beiden Vertragsformen, die in der Zeit von 1379 bis 1393 schon in Konkurrenz miteinander standen, aufeinander eingewirkt haben, ist ungeklärt. 1393 wurde z. B. in Genua erörtert, ob und wann die "Versicherer" für Getreide haften, das durch fremde Staaten auf dem Transport beschlagnahmt wurde 516, und gerade dieses Risiko wird in den florentinischen Versicherungsverträgen seit 1385 aufgeführt; die für Genua 1393 erstmalige Rechtsfrage kann nur unter dem Einfluß des Florentiner Rechts aufgeworfen worden sein. Das zeitliche Nebeneinander von zwei Vertragsformen seit 1379 schließt zwar nicht ähnliche Ziele derselben aus, wohl aber die überkommene Sprachregelung, nach der auch die Genueser Kauf-/Rückkauf (compra-vendita) Verträge Versicherungen gewesen sein sollen und die "echte" Versicherung Aorentiner Art sich aus den Nichtigkeitsklauseln jener entwickelt haben soll. Auch nehmen die Kauf-/ Rückkaufverträge in Genua erst gleichzeitig mit den Seeversicherungen an anderen Orten zu. Untersuchungen über die Häufigkeit der compra-vendita-Verträge in den Genueser Notariatsprotokollen des Notars Andrio10 Caito ergeben 1393 = 12,6%, jedoch 1396 =43,4%517 und zeigen so die relativ späte Verbreitung; obgleich für die Wirtschaftsgeschichte Genuas dankenswert, fehlt eine darüber hinausgehende Bedeutung. Aus dem andersartigen Charakter der Kauf I Rückkaufverträge erklären sich auch deren sonstige Unklarheiten, insbesondere das Fehlen von Angaben über die Höhe der Prämien und die angeblichen Scheinverträge. Die Genueser Kontrakte enthalten bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts keine Angaben über die Höhe der Prämien518 , sie konnten aber die ungewöhnliche Höhe von 19 Prozent der "Versicherungs-"Summe erreichen. Auch erhielt der "Versicherungsnehmer" keine Quittung über den Unterschiedsbetrag zwischen Kauf- und Rückkaufpreis, eben seine "Prämie". Ob die Genueser Notare damit Außenstehenden den Einblick in die Geschäftspraktiken der "Versicherer" verwehren wollten, 516 517 518

Groneuer, S. 253. Groneuer, S. 226 mit Erklärungen. Groneuer, S. 245 u. S. 246 Anm. 86 u. 87.

216

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

auch den Steuerbehörden, oder ob die Prämienhöhe wegen des kirchlichen Wucherverbots verschwiegen wurde, ist umstritten, aber beide Meinungen deuten darauf hin, daß die Vorstellung, die Versicherung stelle eine werthaltige Dienstleistung mit entsprechendem Preis als Gegenleistung dar, in Genua noch nicht gängig war auch dies ein Argument gegen eine Entstehung des Versicherungsvertrags in Genua519 . Unter den Verträgen, in denen sich "durchaus kein Zusammenhang zwischen den Trägem der Versicherung und den assekurierten Gütern erschließen" ließ, sollen sich "zweifellos nicht selten Scheinversicherungen verbergen"s2o. Dabei handelt es sich nicht um einen Betrug des "Versicherers", sondern um die gemeinsame Tauschung Dritter; dies macht nur beim Kauf- / Rückkauf Sinn, wenn damit die Existenz nicht vorhandener Waren werte vorgespiegelt wird, aber nicht bei einer Versicherung, in der der Ausgleich vom Versicherer beansprucht werden kann. Die Rechtskonstruktion des Kaufs zog also Konsequenzen nach sich. Die Genueser Kaufleute waren auch nach 1393 nicht zu einer Trennung von Handels- und Versicherungsgeschäft gelangt, im Gegenteil ist noch zu diesem Zeitpunkt "in den meisten Dokumenten eine geschäftliche Verbindung der Assekuraten zu den versicherten Objekten erkennbar521 , sei es daß sie als Kommandanten, Reeder oder Aktionäre der Schiffe, gegenwärtige resp. zukünftige Besitzer oder Spediteure der assekurierten Waren oder aber Verwandte oder Kompagnons der direkten Interessierten figurieren". In den angeblichen "Versicherungs-"Verträgen in Genua handelte es sich also um Nebenabreden der Vertragsparteien zu Kauf-, Darlehensoder Transportverträgen, die die Zusagen über die Gefahrverteilung zwar spezifizierten und in der einen oder anderen Richtung änderten, aber keine Erhöhung der Sicherheit versprachen, die allein eine Versicherung durch Dritte geboten hätte einzelne Ausnahmen vorbehalten.

4.6 J 390- 1435 in Genua, Gutachten des Bosco Im zeitlichen Ablauf sind die Kauf-/Rückkaufverträge zwar seit 1298 in Genua bekannt und werden im Lauf von 100 Jahren dort ,allgemein üblich. Dabei werden Seedarlehen, Darlehen mit Nichtigkeitsklauseln und ähnliche Formen nebeneinander verwendet522 , für die späte Verbreitung der Kauf-/Rückkaufverträge fehlt jedoch bisher eine Erklärung. Diese compra-vendita-Verträge müssen als Versuch, neue Geschäftsfelder in die Regeln des Römischen Rechts einzuordnen, aufgefaßt werden, insbesondere den Typenzwang desselben aufrechtzuerhalten. Ihre Verbreitung hängt daher eng 519 520 521 522

Was Groneuer S. 247 nicht aufgefallen ist. Groneuer, S. 244. Groneuer, S. 244. Groneuer, S. 244.

4. Verträge von 1298 -1400 in Genua

217

mit der Ausbreitung und Intensivierung des Römischen Rechts durch die Universitäten und der Zunahme der Stellenbesetzung durch gelehrte Richter und Notare zusammen; diese waren, wie der Genueser Jurist Bartholomeo Bosco, von der alleinigen Gültigkeit der Regeln des römischen Rechts so sehr überzeugt, daß ihnen ein anderes Rechtsdenken widerstrebte und ihnen nicht möglich war. Das Gewohnheitsrecht der Kaufleute, in dem die Versicherung entstand, schien ihnen kein Recht zu sein, die Versicherung mußte daher gegen die Notarsgilde durchgesetzt werden.

4.7 Erklärungen aus der politischen Geschichte Genuas

Dieser Durchsetzung des Kaufmannsrechts dienten in Genua die Dekrete des Dogen Adorno von 1363, 1366 und vor allem 1369 (siehe oben), der der Kaufmannsschicht entstammte. Diese Dekrete bezogen sich auf das Seedarlehen (cambium marittimum) und die assecuramenta und ließen mit dem Plural dieses Worts offen, weIche Vertragsformen darunter zu rechnen waren. Damit konkretisiert sich die Fragestellung darauf, wann und wer und weswegen in Genua in der Zeit von 1370 bis 1431 die compra-vendita-Verträge bevorzugte und sich nach 1379 den "echten" Versicherungsverträgen verschloß. In Genua hatte 1363 der Doge Gabriele Adorno den bisherigen Dogen Simone Boccanegra, verdrängtS23 • 1381 tritt Domenico Fregosi dessen Nachfolge an und wird selbst wieder von einem Adorno abgelöst, dem 1390 wieder ein Fregosi folgt. 1391 oder 1396 wechselt die Herrschaft zum König von Anjou (Frankreich) und 1421 zum Herzog von Mailand. Trotz dieses häufigen Wechsels der Herrscher blieb in dieser Zeit die starke Stellung der Bankiere, der Kaufmannsfamilien und wohl auch der Notare im Stadtregiment erhalten, sodaß vermutlich auch das Vorrecht der Notarsgilde, daß Sicherungsverträge nur vor ihren Mitgliedern geschlossen werden konnten, nicht infragegestellt wurde. Das Festhalten an den lateinisch abgefaßten compra-vendita-Verträgen hing in Genua also mit der Aufteilung des Marktes durch Gilden und Familien zusammen, und deren Abgrenzung untereinander war auch eine Frage der politischen Machtverteilung im Stadtregiment, in dem die Notare die Grundlage ihrer Einkünfte verteidigten. Wegen der Verteidigung von Wirtschaftspositionen durch deren Inhaber wird die Aufnahme der Versicherung in Genua fast hundert Jahre lang verhindert worden sein. Erst recht kann die Seeversicherung nicht in Genua erfunden oder verbreitet worden sein. Das notarielle Vertragsformular für die compra-vendita-Verträge verfestigt sich in Genua erst im letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts. Es war wegen der Rechtskonstruktion umständlich und machte infolgedessen einen "rückständigen 523

Favier, S. 526; Boccanegra: bekannt aus Verdis Oper.

218

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

Eindruck"S24. Es wird - im Unterschied z. B. zu Venedig - erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts durch Policen von Maklern in italienischer Sprache abgelöst. Allerdings nehmen die Makler in Genua auch 1393 schon eine Reihe von Aufgaben bei Vermittlung der Verträge wah~2S, ohne die Vorrechte der Notare infragezustellen.

4.8 Spezialisierung au/Versicherung? - Die Cattaneo in Genua In Genua waren 1393/ 1396 eine Reihe von Bankiers auf das Geschäft mit assecuramenta spezialisiert, und zwar unter Benutzung verschiedener Vertrags formen. In den Notariatsurkunden 1393 treten u. a. sieben Mitglieder der Familie Cattaneo S26 auf, meist und einer ausschließlich als "Versicherer", also als ein assecuratore per professiones27 . Aus der vorangegangenen Generation dieser Familie war schon 1350 Leonardo Cattaneo in Palermo in gleicher Eigenschaft in Erscheinung getreten (siehe unten S. 227). Aus der Ausübung dieses Geschäfts über Jahre - und bei den Cattaneo über Generationen hinweg - ist zu folgern, daß diese Kaufleute "bereits, wenn auch sicher nur sehr apronimativ in der Lage waren, empirisch die quantitative Möglichkeit des Eintritts von Unglücksfällen einzuschätzen"s28. Die Frage allerdings, warum die Cattaneo in Genua bis 1393 und vermutlich darüber hinaus an dem Terminverkauf mit Nichtigkeitsklausel festhielten, obwohl ihr Vater Leonardo 1350 in Palermo eine neue Vertragsformel verwendet hatte, ist mit einem Hinweis einerseits auf die enge Eingebundenheit dieser Kaufleute in ihre Gilde und dieser in die Aufteilung des Marktes zwischen ihnen, Notaren und Maklern in die Marktordnung der Stadt Genua, andererseits auf die andern Gepflogenheiten der Notare in Palermo zu beantworten. Die frühen Veröffentlichungen einiger Vertragsurkunden über Seedarlehen und compra-vendita 1884 durch den Genueser H. Bensa war verdienstvoll, jedoch hat er mangels Vergleichsmaterials diese Verträge als Wegbereiter der Seeversicherung angesehen, obgleich sie dieser in den Weg gestellt wurden. Sie waren, ähnlich wie die politische Entwicklung Genuas am Ende des 14. Jahrhunderts selbst, Endprodukte, nämlich der Wiederaufnahme des Römischen Rechts, und leiteten nicht den Anfang der Seeversicherung ein.

!i24 Groneuer, S. 247, 223; Hagen, S. 8; Ehrenberg nennt es: ,,Eine phantastische Ausgeburt einer überängstlich gewordenen Kautelar-Jurisprudenz. "; siehe Hagen, S. 8 - 23. m Groneuer, S. 229 u. 241. !i26 Groneuer, S. 237. m Groneuer, S. 238. 528 Groneuer, S. 239.

5. Verträge in Italien um 1340

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5. Verträge in Italien um 1340

5.1 1334 in Lucca Aus dem Jahre 1334 ist aus Lucca ein Vertrag über einen Femkauf von Waren in lateinischer Sprache überliefert 529 , der Gewährleistungen für den Transport enthält, allerdings von solchen, die am Vertrag ein wirtschaftliches Interesse hatten. Er gehört damit zu der Art der Verträge, bei denen Perdikas bemängelt, daß die Sicherungszusagen nicht selbständig sind (siehe dazu folgend 5.2).

5.2 1336-1341 und 1350 vor Notarde Rusticis in Palermo In den Jahren 1336-1341 hat in Palermo der Notar Rustico de Rusticis 530 16 Verträge formuliert und beurkundet und in ihnen Klauseln verwendet, die im Rahmen von Kauf, Seedarlehen und Wechseln den Transportgefahren Rechnung tragen. Darin sind auch Neuerungen enthalten, vor allem die, daß Kapitalgeber den Verträgen beitreten und dadurch auch Gefahren übernehmen 531 • Perdikas kommt zu dem Schluß, daß es sich um ein Vorstadium der späteren Versicherungsverträge handelt, noch nicht um selbständige Verträge dieser Art532 . Allerdings ist erstmals die Umbildung von Verträgen 533 und damit eine Abweichung vom Typenzwang des Römischen Rechts festzustellen. Wahrend aus den Jahren nach 1341 Urkunden des Notars Rusticis des Rustico fehlen, taucht noch im Februar 1350 ein Hinweis auf eine weitere Urkunde von seiner Hand auf, nämlich im letzten Satz der Urkunde vom 15. März 1350 (siehe dazu unten 12. Kap. 1.2).

5.3 1338 Pegoloni in Prato bei Florenz Außer aus Dokumenten von Notaren und Maklern kann auch aus Zusammenstellungen von Preisen und Taxen auf die Existenz von Versicherungen geschlossen werden. In einem Werk des Florentiners Franceso di Balduccio Pegolotti 534 über Prattica della Mercatura535 , geschrieben zwischen 1310 und 1340536 , werden Melis, Nr. 39, S. 234. Veröffentlicht von Zeno, siehe Anm. 493; dazu Perdikas, 1976, S. 325 ff. 531 Perdikas, 1976, S. 353. m Perdikas, 1976, S. 332. 533 Perdikas, 1976, S. 339. 534 Der Florentiner Pego10tti war 32 Jahre als Kaufmann im Ausland, so in Antwerpen, London und im Orient; er ist 1331 und 1340 Gonfaloniere (Bannerträger) di compagnia und militärischer Oberbefehlshaber von Florenz und 1345 Vorsteher seiner Zunft, siehe Favier, S. 301 f. 535 Hrsg. von Evans, Oxford 1936; siehe auch Perdikas, 1966, S. 506. 529 530

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11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

Taxen und Tuchpreise beim Handel mit Alexandria, das Agio beim Geldwechseln auf den Messen der Champagne und den Tuchhandel mit Aandern u. ä. in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts wiedergegeben, darunter auch die Frachtkosten und die Entgelte für Klauseln über die Übernahme besonderer Gefahren im Seeverkehr, allerdings nur als Zuschläge zu den Frachtkosten. Innerhalb dieser Berechnung der Kosten sind die besonderen Ausgaben für die Übernahme des Risikos zur See bis England und Brügge besonders aufgeführt, und zwar als Nebenkosten. Vermutlich sind diese Nebenabreden zu Seedarlehensverträgen oder, wie schon Reatz 537 1870 angenommen hat, zu Geschäften des Geldwechsels getroffen worden. Jedenfalls sehen Perdikas538 und Reatz darin eine Bestätigung, daß es sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts noch nicht um ein selbständiges Versicherungsgeschäft gehandelt hat.

6. Die Unterlegenheit der römisch-rechtlichen Verträge Die Kauf-/Rückkaufverträge in Genua, die dort im 15. Jahrhundert vorwiegend gebräuchlich werden, sind, wie unter 4.3 dargelegt, Glücksverträge, aber keine Wagnisverträge und beruhen auf einer zurückgebliebenen Wirtschaftsgesinnung. Ihre Gleichsetzung mit einer Versicherung in der Wirtschaftsgeschichte geht auf eine zu wenig genaue Analyse der Wirkungen der beiden Vertragsarten zurück.

6.1 Vergleich des Kauf- / Rückkaufvertrags mit Versicherung

Die Ergebnisse der beiden Vertragsarten sind, wenn sie ohne Zusatzklauseln verglichen werden, nicht identisch, sondern überschneiden sich wie zwei Kreise nur in den Teilbereichen. Z. B. 539 trägt der Käufer im compra-vendita-Vertrag während des Transports als Eigentümer die Gefahr des Brands der Waren auch dann, wenn ein Fall der Selbstentzündung wie bei feuchter Wolle vorliegt, im Versicherungsfall haftet dagegen der Versicherer dafür nicht, es sei denn aufgrund einer Zusatzklausel. Auch in den Fällen, in denen die Haftung des Schiffers oder des Kapitäns vor der des Versicherers geht, z. B. bei Veruntreuung der Waren oder der (fast) freiwilligen Übergabe des Schiffes an Piraten, geht bei einer Seeversicherung deren Haftung der des Versicherer vor, erst recht, wenn der Verlader (= Verkäufer) die Waren begleitete. Allgemein ausgedrückt: Im compra-vendita-Vertrag der Genuesen ..verstand sich die umfassende Risikoübernahme seitens der Versicherer von 536 Handbuch der europäischen Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 226; Reatz, S. 28 u. 29 nimmt 1330 an. m S. 28 f. 538 1966, S. 507. 539 Die Beispiele aus den Versicherungsprozessen Venedigs bei Nehlsen-v. Stryk, 4. und 5. Kapitel.

6. Die Unterlegenheit der römisch-rechtlichen Verträge

221

selbst,,540, in der Seeversicherung mußte das übernommene Risiko ausdrücklich definiert werden. Unsicher war im Kauf-/Rückkaufvertrag die Position des "Versicherungsnehmers", wenn der Schiffer in einem anderen Hafen anlandete und dort die Ware mit größerem Gewinn verkaufte, der Rückkauf also nicht zustandekam; mußte sich der Rückkaufberechtigte mit der vereinbarten "Versicherungssumme" zufrieden geben oder hatte er Anspruch auf den Mehrerlös? Wie war es bei Pflindung der Ware durch Gläubiger des Käufers (= Versicherers)? Bei Versicherungen entstehen derartige Fragen nicht. Waren die bei den Vertragsarten rechtlich unterschiedlich, dann wirkte sich dies auch wirtschaftlich aus. Daß Juristen wie der Genueser Bartolomeo Bosco mit der Begutachtung von compra-vendita-Verträgen gut beschäftigt waren, ist verständlich, aber die Unsicherheit dieser Rechtsform muß auch dem Geschäftsverkehr abträglich gewesen sein, sodaß die Seeversicherung sich im Lauf des 15. Jahrhunderts allmählich durchsetzte, gleichzeitig mit dem Verlust des Monopols der Notare.

6.2 Die Überforderung des .. Versicherers" und das Glücksspiel der Genueser

Entscheidend war aber die Überforderung der Versicherer durch das zu hohe Risiko und in deren Folge die zu hohen, nicht mehr konkurrenzfähigen Preise der Sicherung. Die genuesischen Verträge gingen von der glücklichen Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen aus, nur bei wohlbehaltener Ankunft von Schiff und Ware konnte der von vornherein vereinbarte Rückkauf erfüllt werden und der Kontrakt war nichtig (sana et salva). In diesem Vertrag konnten einzelne Risiken der Seeschiffahrt nicht ausgeschlossen werden, weil es für die Ankunft nur ein EntwederOder gab, mindestens mußten die "Versicherer" Risikobegrenzungen ausdrücklich vereinbaren und nach dem Unglücksfall deren Vorliegen nachweisen. Jeder außergewöhnliche, nicht vorhergesehene Fall, auch wenn der "Versicherungsnehmer" dafür mit ursächlich war, ging zu ihren Lasten. Dieser Rechtslage entspricht die Aussage der Auswertung der Genueser Verträge541 , daß "die Assekurationsverträge oft viel großzügiger in ihren Zugeständnissen waren, als man das mit Bensa (1884) wahrhaben will". Die Genueser legten oftmals keinen Wert auf eine genaue Bezeichnung der zu befördernden Waren und schrieben den Reiseweg nur ausnahmsweise vor. So erklären sich auch die Scheinversicherungen und die Großzügigkeit gegenüber den Verlusten durch Kaperei 542 , Nehlsen-v. Stryk, S. 153 Anm. 11. Groneuer, S. 255: Mit "Assekurationsverträgen" in Genua bezeichnet Groneuer aUe dortigen einschlägigen Verträge. S42 Groneuer, S. 257 f. S40 S41

222

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

auch die außerordentliche Höhe der Genueser Prämien. Da die Verträge nicht zwischen einzelnen Gefahren unterschieden - Melis spricht von der "Totalität der Risiken" -, handelte es sich nicht um Versicherung, vielmehr trat der Charakter als Glücksspiel zutage. Nicht nur die Einordnung der Kauf-/Rückkaufverträge aus den Genueser Notariatsurkunden, sondern aller unter 4. behandelter Verträge führt zu anderen Vorstellungen über die Entstehung der Seeversicherung, insbesondere über deren Zeit und Ort. Von den notariellen Verträgen in Italien vor 1379 und in Genua vor 1431, in lateinischer Sprache verfaßt, kommt nur ein neuartiger Vertrag (von 1350) als Versicherung infrage (siehe folgend 12. Kap.), die andern sind Verträge auf römischrechtlicher Grundlage, das römische Recht verneinte die Existenz eines besonderen Versicherungsvertrags. Würde man die compra-vendita-Verträge, die ja erst von der Mitte des 14. Jahrhunderts an in Gebrauch gekommen sind, als Versicherungsverträge werten, so würde es von 1350 bis 1450 zwei Arten von Versicherungsverträgen nebeneinander gegeben haben, sozusagen die echte, die noch in der Gegenwart gilt, und eine andere, die ausgestorben ist.

6.3 Die Einordnung in den (genaueren) Versicherungsbegriff

Die Unterschiede in den Zeiten, die für die Entstehung der Versicherung angesetzt sind, beruhen nieht auf unterschiedlichen Urkunden oder deren Lesarten - die Veröffentlichungen der Urkunden von Melis erscheinen vorbildlich, weil ein Teil auch als Faksimile wiedergegeben ist -, sondern in den Auffassungen darüber, was als Versicherung anzusehen ist. Bensa, Goldschmidt, Melis und andere behaupten, daß sich in Seedarlehens- und Kauf- / Verkaufsverträgen Versicherungen verbergen. Melis 543 spricht von "sehr frühen notarieller Beurkundung (Akt) der Versicherung mit dem Aussehen eines Seedarlehens (,,11 piu Atto Notarile di Assicurazione nelle Sembianze di un prestito marittirno") und von notariellen Versicherungsurkunden mit dem Aussehen eines Geschehens des Kaufs / Verkaufs ("Atto notarile di Assicurazione nelle Sembianze die una Operazione di Compra-Vendita"). Derartige Konstruktionen bleiben unklar, sie mögen mit Versicherungen Teilziele gemeinsam haben, können aber nicht als Versicherungen angesehen und bezeichnet werden. Die Verträge aus Genua544 stellen also nur Vorläufer von Versicherungsverträgen bzw. eine schon seit 1379 überholte Vertragsform mit ähnlichem Ziel dar. Letztlich beruht die unterschiedliche Einstufung der Verträge durch Perdikas, die prinzipiell überzeugt, auf einem schärferen Versicherungsbegriff, der keine Versicherung von eigenen Waren und solchen mit eigenen Pfandrechten belasteten 543

S44

V.

Melis, Anhang I. Nr. 2. Speziell die von Melis gedruckten vom 18.02. 1343 und 14. 08. 1393, Tafeln III. und

7. Die geringe Wirkung des päpstlichen Verbots des Seedarlehens

223

Gütern gestattet hat und sonst die Selbständigkeit der Versicherung verneint545 . Damit wird der gegenwärtige Versicherungsbegriff auch für die Verhältnisse des Mittelalters zugrundegelegt546• Die früheren Auffassungen, die allein auf den Rechtsanspruch auf die zugesagte bedingte Leistung abstellten 547 , hatten die weiteren, für die Versicherung wesentlichen Voraussetzungen nicht beachtet. Freilich war es schwierig, aus den Verträgen, die sich selbst mit "assecurare" bezeichnen, diejenigen auszusondern, in denen die Versicherer außer der Versicherung auch sonstige Geschäftsinteressen verfolgten. Anscheinend war es den "Versicherern" noch nicht selbstverständlich, daß eine Versicherung nicht dazu da ist, eine Gefahr zwischen den ohnehin Beteiligten anders zu verteilen, sondern sie durch zusätzliche Sicherheiten für die Beteiligten zu vermindern. So liegt auch nicht etwa ein Unterschied zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Abgeniung der Versicherung vor, da gerade das Fehlen einer geschäftlichen Beziehung zu der Transportware, die Perdikas als "kaufmännisches Interesse" bezeichnet548 , die wirtschaftliche Situation beider Beteiligter verändert, deren Sicht objektiviert und als Versicherung vertrauenswürdig macht.

6.4 Die Hinderung der Versicherung

Haben das Seedarlehen, die compra-vendita-Verträge und die mit Nichtigkeitsklauseln die Herausbildung der Versicherung gefördert oder gehindert? Trotz der Umbildung durch zusätzliche Klauseln blieben sie - so muß die Antwort lauten Hindernisse, und zwar rechtlich wegen ihrer umständlichen Konstruktionen bis zur Nichtigkeit, wirtschaftlich wegen der Bindung von Kapital im nicht wegzudiskutierenden Darlehen in allen Fällen. Das Seedarlehen konnte den Wandlungen des Seeverkehrs und des Seehandels nicht mehr folgen und hatte sich überlebt. Es gewöhnte die Kaufleute allerdings an die Übernahme von Risiken durch Private und erleichterte so den Übergang von der Gildeversicherung zur privaten Transportversicherung.

7. Die geringe Wirkung des päpstlichen Verbots des Seedarlehens Nach Auffassung der früheren Versicherungsgeschichte soll das Ende des Seedarlehens auf das kirchliche Verbot desselben zurückgehen, und dadurch soll eine Lücke in der wirtschaftlichen Gewährleistung der Warentransporte entstanden sein, die die Seetransportversicherung auszufüllen versprach 549 • Das Ende des pecunia Sieg, 1969, S. 500. Wegen der Kontinuität der Versicherung über 600 Jahre hinweg bis zur Gegenwart erscheint dies zulässig und sogar geboten. 547 Zuletzt Koch, HdV, 1988, S. 225. 548 Perdikas, 1970, S. ISS. 545

546

224

11. Kap.: Römisch-rechtliche Vorläufer der privaten Seeversicherung

traiectitia wurde durch das Dekretale (canon) des Papstes Gregor IX. (1227 -1241) im Jahre 1234 eingeleitet, das mit dem Worte ,,Naviganti" beginnt550 . Es bewertet das foenum nauticum, den Zins aus dem Seedarlehen, gewichtiger als die Kosten der Gefahrtragung und damit als wucherisch. Seine hinterhältig als Urteil konstruierte Entstehung mittels eines Beichtspiegels ist seit 1965 aufgedeckt 551 . Das Wucherverbot selbst wird aus dem moralischen Gebot der Bergpredigt Jesus "Leihet, daß ihr nicht dafür hoffet" (Lukas 6, 35) abgeleitet. Mit dem Verbot des Seedarlehens sollten Zins und Rückzahlung des Darlehens nicht mehr eingeklagt werden können. Die Verbreitung und die Häufigkeit des Seedarlehens erreichten allerdings erst in den folgenden 150 Jahren ihre Blütezeit, sodaß es zweifelhaft ist552 , ob das päpstliche Verbot eine meßbare Wirkung gehabt hat. Die Zeitläufe waren der Durchsetzung des päpstlichen Verbots nicht günstig. Bis zum Tode des staufischen Kaisers Friedrich 11. im Jahre 1254 war Papst Gregor IX. nicht in der Lage, ein Konzil nach Rom einzuberufen, und dessen Nachfolger Innocenz IV. entfloh nach Lyon. Auch seit 1303 und dann von 1309 bis 1370 residieren die Päpste in Avignon, ab 1378 entsteht das sog. Große Schisma, in dem Fürsten und Städte die jeweils zwei Päpste gegeneinander ausspielen konnten. Diese erreichen bis zum Konzil von Konstanz 1414 nicht mehr ihre Machtstellung nach dem Ende der Stauferzeit. So ist die Feststellung Perdikas553 , daß es keine Beweise für die Wirksamkeit des päpstlichen Verbots gebe, nicht verwunderlich. Nach einer gewissen Pause wird das Seedarlehen "fast überall, insbesondere in Frankreich wieder recht lebendig. Dort ist es noch im 16. Jahrhundert viel häufiger als der Versicherungsvertrag,,554. Zwischen dem Verbot des Seedarlehens 1234 bis zu den ersten Seetransportversicherungen 1385 ist mit 150 Jahren soviel Zeit verstrichen, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen beiden, selbst wenn er anfangs, im 13. Jahrhundert, bestanden hätte, zwar konstruiert, aber wegen der Vielfalt von Einflüssen kaum hätte durchgehalten werden können. Das ununterbrochene Vorkommen von Seedarlehensverträgen, wenn auch in wechselnden Seehäfen, zeigt, daß man mit dem päpstlichen Dekretale zu leben gelernt hatte. Zu der scheinbaren Anpassung, nämlich nur mit Worten, gehört auch die gelegentlich verwendete Klausel, daß das Darle549 So betont von J. J. Seffen, Entstehung, S. 12 ff.; Gewährleistungsklauseln haben sich nach der Darstellung bei Perdikas nicht nur beim Seedarlehen, sondern auch z. B. beim Versicherungskauf in Genua entwickelt. Die Auffassung, daß es Perdikas nur um die Verlegung der Entstehung der Seetransportversicherung auf einen späteren Zeitpunkt gehe, so Büchner, Festschrift Sieg, S. 115, ist daher unzutreffend, vielmehr sieht Perdikas die Seeversicherung als Abkehr vom Seedarlehen an. 550 Und deswegen auch als Dekretale "Naviganti" bezeichnet wird; siehe F. Ebel, Anfänge,S.11. 551 Ebel (s. Anm. 550). 552 Hubrecht, S. 350; Blumhardt, S. 66. 553 Perdikas, 1966, S. 508 f. 554 Hubrecht, S. 350.

7. Die geringe Wirkung des päpstlichen Verbots des Seedarlehens

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hen "gratis et amore" vergeben worden sei; sie unterschlug die Unterschiede in den Höhen des hingegebenen Darlehens und der Rückzahlung. Im übrigen wird sie auch schon vor 1234, dem Zeitpunkt des Verbots des Seedarlehens verwendetSss • Eine Spaltung des Seedarlehens in einen zinslosen Darlehensvertrag und eine Gewährleistung mit Prämie und Zins hat es allenfalls für Verträge gegeben, in denen die Gefahrveneilung für eigene, nicht für fremde Waren geregelt wurde. Danach hat das päpstliche Verbot des Seedarlehens 1234 zwar für die Praxis des Seehandels keine Bedeutung erlangt, wohl aber - wie Perdikas ohne Ironie schreibtSS6 - ..bildete es den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Handelsrechtswissenschaft." Insofern hat es auch auf die deutsche Versicherungsgeschichte der letzten 100 Jahre, bis 1988, eingewirkt, allerdings ohne daß es darauf ankam, da sich die Seeversicherung ja nicht aus dem Seedarlehen entwickelt hat.

m Perdikas, 1966, S. 482 f. SS6 Perdikas, 1966, S. 509. 15 Schewe

Zwölftes Kapitel

Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350 -1385 in einer Lücke der Gildeversicherungen Vergegenwärtigt man sich nach der Ausbreitung der römisch-rechtlichen Verträge mit ähnlichen Zielen wie eine Seeversicherung den Stand der Entwicklung der gesamten Versicherung in der Mitte des 14. Jahrhunderts, dann erblickt man Gildeversicherungen für Risiken vieler Art, nämlich für Lösegeld und Begräbniskosten, für Brand eines Hauses und für Schiffbruch, für Krankheit und Wanderschaft u. a. Der Versicherungsgedanke - Risiko, Beitrag, Leistung - war, wie geschildert, im "fahrenden Volk" der Schiffer, Bergleute, Gesellen und Kaufleute und ihren Gilden exemplarisch europaweit bekannt und vielerorts praktiziert. Die Hoffnungen der Schiffer in den italienischen Seestädten auf eine glückliche Ankunft im Hafen, die die Gefahren der See durch Seedarlehen u. ä. zu überspielen versuchten, waren also nur ein Teil einer allgemeinen Bewegung zur Vorsorge, die schon sehr lange in der Wirtschaft lebte. Es galt nicht mehr, eine Seeversicherung zu erfinden - sie wurde ja schon in den dänischen Gilden seit 100 Jahren praktiziert -, sondern sie auf breiter Front anzuwenden, also die große Lücke in der Warentransportversicherung (nur beim Seewurf vorhanden) zu schließen, die hinderlichen Vertragsformen der Notare zu überspringen und die Sicherheit durch Gegenseitigkeit durch Sicherheiten des Kapitals zu ersetzen. Diese, damals natürlich so nicht erkannten Aufgaben konnten nur in Seestädten des Mittelmeers erfüllt und die dazu erforderlichen Elemente, insbesondere die Kapitalien, nur dort kombiniert werden. Auch das kaufmännische Rechnen, die Buchführung, die Geschäftsverbindungen, die Gerichtsbarkeit der Kaufmannsgilde, die Gewohnheit der Wechsel und des sonstigen Geldverkehrs, der ausgeprägte Individualismus der Kaufleute und nicht zuletzt ihr geschäftlicher Wagemut standen dort zur Verfügung. Vom Seedarlehen und den compra-vendita-Geschäften mit der fast unverständlichen Konstruktion bedurfte es eines Sprungs zur Versicherung und ihrer Privatisierung, also der Übertragung des Versicherungsgedankens von dem in der Gilde auf den beim einzelnen Versicherungskaufmann. Er lag schon lange sozusagen in der Luft dieses Jahrhunderts und bestand rechtlich in einer Vereinfachung der Urkundsformulare, nämlich im Weglassen der römisch-rechtlichen Vertragsformeln; nur das Wort "versichern" (assecurare) blieb erhalten, allerdings in damals neuer, bis heute gültiger Bedeutung.

1. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage

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1. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage

In der Reihe der Notariatsurkunden fällt auf, daß zwischen 1320 und 1379 weder aus Pisa noch aus Florenz noch aus Venedig Verträge mit dem Ziel der Sicherung von Warentransporten überliefert sind 557 , obwohl es sie gegeben haben muß, wie die Aufstellungen von Pegolotti 1340 beweisen. In dieser Zwischenzeit treten aber einige wenige neuartige Verträge auf, deren Rechtsformen nicht aus den römischrechtlichen Vertragstypen abzuleiten und nicht in die des vorhergehenden Kapitels einzuordnen sind. Daher sind sie darauf zu untersuchen, ob sie die frühesten Seeversicherungsverträge darstellen oder ob es sich um Zwischentypen handelt. 1.1 1350 in Palenno vor Notar Stefano d'Amato Vom 15. März bis zum 15. April 1350 hat der Notar Stefano de Amato in Palermo 14 Verträge über Seehandelsgeschäfte beurkundet5s8 • An ihnen waren acht Kaufleute in verschiedener Zusammensetzung und Funktion beteiligt. Drei dieser Kaufleute sind Genuesen oder später nach Genua eingewandert, weil sie oder wahrscheinlich ihre Nachkommen im 15. und 16. Jahrhundert dort als Kaufleute bekannt sind, vornehmlich im Handel mit oder in Spanien, so Leonardo Cattaneo, Grillo und Isnardo Ususmaris (Uso de Maris)ss9. Vermutlich war der Getreidehandel in und mit Palermo in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Grundlage der sich daraus entwickelnden Handelshäuser in Genua. Die Brüder Carlos und Bonifacius Ususmares S60 werden am 23. Okt. 1347 in Genua in einem Vertrag über ein Schiff genannt, und am 15. 1. 1348 ist ein Niccolo Catanio Versicherer einer Warenladung von Genua nach Palermo, vermutlich Vater oder Bruder des Leonardo Cattaneo dort S61 • Dieser Leonardo tritt 1350 in drei der vier Verträgen auf. In der nächsten Generation - 1393 - sind sieben Cattaneo in Genua tätig S62 . 1.2 Die vier Seeversicherungsverträge im März 1350 Vier der 14 Verträge sind als "Versicherungs"-Verträge in Betracht gezogen worden 563 . In dreien davon tritt Leonardo Cattaneo als "Kapitalist" auf, während der m Ausgenommen aus Grosseto 1329 (Fernkauf). Von Zeno veröffentlicht; siehe oben 11. Kap. 3.3 und 5.1 sowie Anm. 493. Kellenbenz, Fremde, S. 390 u. 402, mit FundsteIlen. 560 Siehe oben 11. Kap. 4.3. 561 Bensa, zitiert bei Hagen, S. 8. 562 Siehe oben 11. Kap. 4.8. 563 Abgedruckt bei Evans; Seffen, Entstehung, S. 22 f. (deutsch); Perdikas, 1970, S. 154 (lnha[tsangaben); Lopez, S. 260 Nr. 136 (Vertrag vom 24.3. 1350); Melis, Anhang I, S. [85, Tafel IV (Vertrag v. 15. 3. 1350). 558

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IS*

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12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Kaufmann Isnardo Ususmaris sowohl als Kapitalgeber wie als Warenkäufer oder -verkäufer erscheint. Cattaneo war also Bankier, Isnardo Ususmaris Bankier und Warenhändler, Grillo nur Verlader. In dem ersten, zweiten und vierten der vier Verträge geht es um die Gewährleistung von Schiffsladungen, meistens Weizen, im dritten um die für ein Schiff selbst. Vier Verträge vor Notar d' Amato 1350 in Palermo Dokument-Nr.

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CXCI

(I)

(2) 15.3.

CXCIV (3)

CCII (4)

Datum

15.3.

24.3.

3.

Schiffer

Bonelli

Filippo Cavegra

Raphaelis

Schiffsart

panfilo

panfilo St. Ampelius

cocca

"versichertes"

Weizen

Weizen

Schiff

Weizen

Eigentümer / Verlader der Waren

Protonotario

Grillo

I. Gewährleister

Cattaneo

Cattaneo

Cattaneo

Vegerio

Ususmaris

Lukinus

Interesse

2. Gewährleister

Ususmaris

garantierte Beträge (Goldgulden)

300

250

200 oder 233

333

Entgelte

54

45

28 od. 42

60

Entgelte in %

18

18

14od. 18

18

vorher entrichtet

X

X

X

X

Rückwirkungsklausel

X

X

X

Zusammengestellt aus Perdikas. 1970. S. 154 f.

Weitere von Notar d' Amato 1350 beurkundete Verträge ohne Versicherung: a) CXCII: societas Protonotario und Grillo über den Weizen in CXCI; b) CIC: Fracht- u. Wechselverträge von Vegerio und Piccamilio für Rechnung von Cattaneo; c) CXCVIII: Kauf des Schiffes St. Bernhardus pro rata für Rechnung Cattaneos; d) CLXXXVII: "assecurare et cautum facere"; e) CXCV: Vegerio als Verlader von Weizen; f) CIC: Vegerio als Käufer von Weizen für Rechnung Cattaneos, gegenseitige Be-

stellung zu Vertretern und Schiedsrichtern; g) CXCII: Protonotario und Grillo in societas.

I. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage

229

Die vier Verträge aus März 1350 haben einige neue Merkmale gemeinsam, nämlich - es werden keine römisch-rechtlichen Vertragsarten genannt oder verwendet, weder Seedarlehen noch compra-vendita-Verträge noch Nichtigkeitsklauseln; - es kommt in jedem Vertrag das Wort "assecurare" oder eine Ableitung davon vor; - es werden die Risiken, bei deren Eintritt gezahlt werden muß, angeführt; - es wird ein Entgelt für die Gefahrtragung in bestimmter, prozentual gleicher Höhe vereinbart und als bezahlt bezeichnet. Ob es sich in diesen Verträgen der Sache nach um Versicherung oder bloß um die Verteilung der Transportgefahr zwischen denen handelt, die an dem zugrundeliegenden Kauf- oder Transportvertrag beteiligt sind, ist umstritten. Für eine Entscheidung dieser Frage kann allerdings das regelmäßige Vorkommen des Worts "assecurare" nicht herangezogen werden, weil gerade dessen Bedeutung in diesen Verträgen infrage steht; vor 1350, schon 1308 verwendet, war die Wortbedeutung umfassender und allgemeiner, enthielt z. B. die Aussage, daß eine Gewährleistung für Zahlung des Kaufpreises übernommen wurde564 , ließ aber offen, ob diese sich auf die Abfertigung eines Schiffes vor der Abfahrt, auf eigene oder fremde Waren, auf Quantitäten oder Qualitäten bezog (siehe unten 2.6 und oben 10. Kap. 3.1.1). Auch waren Benennungen von Risiken in Transportverträgen nicht ungewöhnlich, sodaß auch darauf nicht allein abgestellt werden kann. Wohl aber sprechen die genaue Angabe der Entgelte und deren vorherige Bezahlung für Versicherung, auch wenn sie vorher oder nachher verrechnet wurden, um z. B. Notargebühren oder städtische Abgaben zu sparen565 • Die Entscheidung, ob es in den Verträgen der Sache nach um Versicherung oder um eine Verteilung der Transportgefahr geht, wird von Perdikas davon abhängig gemacht, ob die Zusage der Gewährleistung sich auf fremde oder eigene Waren bzw. auf Waren mit eigenen Pfandrechten bezieht, ob also die "Versicherer" mit der Gefahrübernahme fremde Geschäftsinteressen zusätzlich sichern oder eigene wahrnehmen wollten; Perdikas kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluß, daß die angeblichen "Versicherer" in allen vier Verträgen an den zugrundeliegenden Kauf- oder Finanzierungsverträgen' beteiligt waren und nur ein Haftungs- und Garantieversprechen für die Erfüllung derselben abgegeben hätten566 • Dabei soll die Einbeziehung der Ungewißheit über das Eintreffen eines Schiffes, die in den Verträgen einbegriffen ist, gegen eine Versicherung sprechen, aber diese Ansicht berücksichtigt die damaligen Verkehrsverhältnisse und die Verzögerung von Nachrichten nicht.

SM

S6S SM

Perdikas, 1975, S. 310. ZU eng Perdikas, 1970, S. 157 unter 6. Perdikas, 1970, S. 155 ff., besonders unter Nr. 3. -7.

230

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Wichtiger erscheint aber etwas anderes: Der (1.) Vertrag (CXC) enthält ausdrücklich und ohne besonderen Anlaß die Wendung, daß der Vertrag ex causa assicurationis geschlossen werde, also um der größeren Sicherheit willen; er kann damit nicht als Gefahrverteilung aufgefaßt werden, sondern sollte ein Versicherungsvertrag sein. Gleiches Wollen muß für die anderen drei gefolgert werden; denn die vier Verträge hängen zeitlich und personell eng zusammen. Die geschäftlichen Rollen der Beteiligten, die Perdikas untersucht hat567 , ergeben ein differenzierteres Bild, als es Perdikas gezeichnet hat: Wahrend die in den Verträgen genannten mal als Käufer, Verkäufer, Gesellschafter, Versicherter oder Versicherer, mal als Finanzier auftreten, schließt Cattaneo keine unmittelbaren Warengeschäfte, sondern bleibt als Bankier, Geldgeber oder Versicherer im Hintergrund; aus seinen Tätigkeiten kann nicht abgeleitet werden, daß er an Waren- und Transportgeschäften, für die er Versicherungen annimmt, regelmäßig unmittelbar beteiligt ist. Anders verhält es sich mit dem Kaufmann Isnardo Ususmaris, der sowohl als Bankier wie als Warenhändler in Distanzkäufen erscheint; er übernimmt im zweiten Vertrag (CXCI) sowohl die Transportgefahr wie das kaufmännische Risiko des Verkaufs und der Ankäufe in Tunis. Auch die Absprachen im vierten Vertrag (Isnardo Ususmaris/Vegerio; CCII) können nur mit der Gefahrübernahme für Waren, an denen Vegerio ein Interesse hatte, erklärt werden. Daher handelt es sich im zweiten und im vierten Vertrag in der Sache noch um Gewährleistungen568 , nicht um Versicherung. Im ersten Vertrag ist die Auslegung von Perdikas - er verneint die Versicherung - nicht ausgeschlossen, wenn auch nicht zwingend. In diesen drei Verträgen lagen nach Fassung und Willen der Vertrags parteien Versicherungsverträge vor, aber es fehlte dem "Versicherer" die Unabhängigkeit vom Grundvertrag, beide schufen nicht mehr Sicherheit, sondern verteilten sie nur anders; der Sicherungszweck einer Versicherung wurde also verfehlt. Was sich aus heutiger Sicht in Palermo 1350 als mißglückte Versicherungsverträge darstellt, war aus damaliger Sicht ein bedeutender Schritt zur Rechtsvereinfachung, zur Aufnahme des kaufmännischen Gewohnheitsrechts in die Praxis der Notare und zu der - nun geglückten - Schiffsversicherung im dritten Vertrag vom 24. Män 1350. Schon aus der Formulierung im ersten Vertrag (CXC) "ex causa assicurationis" spricht, daß der Notar d' Amato sich bewußt war, dem Worte "assecurare" einen neuen Sinn hinzugegeben zu haben, aber die Konsequenz, daß der Versicherer nicht seine eigenen Angelegenheiten versichern könne 569, war ihm noch nicht klar; denn er spricht späterhin noch von "assecurare et cautum facere" innerhalb eines Kaufvertrags 57o. Perdikas, 1970, S. 154 unter Nr. 2. Insoweit übereinstimmend mit Perdikas. '569 Es handelt sich um ,,Nichtversicherung" , mangels einer Vielzahl gleichartiger Fälle nicht um eine ,,interne Selbstversicherung"; siehe H. Müller, HdV, S. 781. ~70 In Vertrag CXCVIII, siehe oben d). '567

'568

I. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage

231

1.3 Der Schiffsversicherungsvenrag vom 24. März 1350 In dem dritten Vertrag (doc. CXCIV) übernehmen Cattaneo und ein Lukinus de Mari das Risiko des Schiffes Sanctus Ampelius nebst Ausrüstung und Frachtkosten für eine Fahrt von Palermo über Sciacca nach Tunis und zurück nach Trapani oder Mazzara.

Es wird nicht die Ladung, sondern das Schiff und seine Ausrüstung genannt; denn ausdrücklich gilt die Gewährleistung auch dann, wenn das Schiff unbeladen ist, sodaß sich die Frage einer Gewährleistung für Waren nicht stellte. Ob und wer das Risiko eines Verlust etwaiger Waren auf der Rückfahrt trug, wird nicht gesagt; die "Versicherungs-"Summe verändert sich nicht. Perdikas vermutet, daß Cattaneo an den beabsichtigten Warentransporten beteiligt war, jedoch erscheint dies wegen des sonstigen geschäftlichen Verhaltens von Cattaneo unwahrscheinlich. Perdikas571 neigt dazu, in doc. CXCIV eher eine Wette oder ein Spiel zu vermuten als eine Versicherung, aber da außer dem Notar und den drei Beteiligten auch noch drei Zeugen unterschreiben, bestehen gegen die Ernsthaftigkeit des Vertrags keine Bedenken. Wette oder Spiel passen zudem nicht zu dem sonstigen Verhalten des Bankiers Cattaneo. Der Abschluß von vier Verträgen ähnlicher Art innerhalb von 30 Tagen läßt gewohnte, geschäftsplanmäßige Abschlüsse erkennen, wobei Cattaneo eben bei dem dritten Vertrag, mit dem er kein anderweitiges geschäftliches Interesse unterstützen wollte, einen Schritt weiter als sonst gegangen ist. So liegt hier erstmalig eine Gefahrübernahme für fremde Rechnung als selbständige wirtschaftliche Tätigkeit vor, und zwar für ein Schiff und die Frachtkosten. Ob sich der Bankier Cattaneo dessen bewußt war, daß er einen neuen Vertragstyp anwendete, kann dahin gestellt bleiben, da er möglicherweise seine wirtschaftliche Vorgehensweise als üblich ansah. Für eine Schiffsversicherung spricht auch die Aufzählung der Risiken anstelle der Klausel von der glücklichen Ankunft des Schiffs: Jedes Risiko, jede Gefahr, auch das gottgewollte Schicksal, die Seegefahr und feindliche Leute (z. B. Piraten) sowie den Einschluß eines teil weisen Verlustes; die zweite Hälfte der Risikoklausel wird sogar als Ausnahme von der nicht gestatteten Änderung der Fahrtroute wiederholt. Diese Art der Risikobeschreibung, die im Mittelpunkt des Vertrags steht, findet sich nicht in Zusatzklauseln von Darlehens- oder Kaufverträgen. Die Vermutung von Perdikas, es handele sich bei diesem dritten Vertrag um eine Wette, beruht auf der Annahme, daß keine Erfahrungen über Versicherungen von Schiffen vorlagen, solche können aber doch aus Schiffsversicherungen innerhalb von Gilden vorgelegen haben; Ansätze dazu wurden - ganz abgesehen von den dänischen Gilden - gerade im südlichen Mittelmeer (oben 9. Kap.) aufgewiesen. Derartige Schiffsversicherungen werden am Westausgang des Mittelmeeres, in Portugal, ca. 13 Jahre später schon gesetzlich geregelt (siehe 9. Kap. 5.), waren vermutm Perdikas, 1970, S. 159 unter 10.

232

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

lich schon 1350 auf Sizilien und dem Bankier Cattaneo bekannt. Gestützt auf genuesisches Kapital hat der Bankier Cattaneo 1350 in Palermo die Versicherung von Schiffen in und durch Gilden - so erscheint es wahrscheinlich - "privatisiert". Unterschied und Fortschritt in der Formulierung des Schiffsversicherungsvertrags in Palermo 1350 treten deutlich hervor, wenn man ihn mit dem Vertrag vom 23. 10. 1347 in Genua572 vergleicht; zwar nicht an diesem, wohl aber an dem nächsten bekannten über die Gefahren eines Seetransports von 1348 573 war wie an dem Vertrag in Palermo 1350 ein Mitglied der Familie Cattaneo aus Genua beteiligt. Dort, in Genua 1347, handelte es sich um einen Kaufvertrag mit der Klausel von der glücklichen Ankunft des Schiffes im Zielhafen, der für nichtig und als nie geschlossen erklärt wurde, hier um eine Klausel mit Aufzählung verschiedener Gefahren ohne einen Anklang an einen Vertragstyp des Römischen Rechts. Zwar wird auch im genueser Vertrag von der Übernahme aller Risiken und Gefahren gesprochen, aber nur als Nebenklausel zum Kauf und als Gefahrverteilung zwischen Käufer und Verkäufer. Offensichtlich sind die Unterschiede der Formulierungen ausschließlich auf die Notare und deren Rechtsvorstellungen zurückzuführen, in Genua eben am Kauf als dem typischen Rechtsgeschäft des Römischen Rechts orientiert. In Palenno dagegen läßt der Notar d' Amato derartige Konstruktionen einfach weg und begnügt sich mit dem Begriff "assecurare". Die Ursache für diesen Unterschied läßt sich sogar aus den Verträgen ermitteln: In Palermo hatte der Notar de Rusticis eineinhalb Jahrzehnte vorher mit Hilfe von Klauseln die Vertragsziele genauer beschrieben (siehe S. 219) und sich mit Hilfe von Klauseln im Römischen Recht Raum verschafft. In dieser Verfahrensweise folgt ihm 1350 der Notar d' Amato und geht darüber hinaus: Im Vertrag CXC vom 15. 3. 1350 erwähnt d'Amato, daß ein vorhergehender Vertrag im Februar 1350 vor dem Notar de Rusticis geschlossen worden ist; vermutlich ist de Rusticis Ende Februar I Anfang März 1350 verstorben. In den Jahren seit 1347 muß die Todesrate in Palermo wegen der Pest sehr hoch gewesen sein, sodaß eine jüngere Generation auch als Notare zum Zuge kam, die die älteren Formulare nicht mehr kannte oder I und Neuerungen und einer kürzeren Fassung unbefangener gegenüberstand. D' Amato hat offensichtlich das Römische Vertragsrecht fallengelassen. Wie manches andere, ist die Geburt des privaten Versicherungsvertrags der Pest zu verdanken. So ist denn der Vertrag vom 24. März 1350 über das Schiff St. Ampelius der erste überlieferte private Schiffsversicherungsvertrag, und seine Vertragsparteien, der Genueser Leonardo Cattaneo und Lukinus de Mari sind die ersten privaten Schiffsversicherer. Cattaneo brachte aus Genua den Rückhalt an Kapital und die Erfahrungen mit Verlusten und Gewinnen aus Seegefahren mit. Der Genuese Cattaneo brauchte sich - anders als seine Familienmitglieder in Genua 1348 - in Palermo nicht an den Vertragstyp des Kaufes mit Nichtigkeit, wie ihn in Genua die Notarsgilde vorschrieb, zu halten, sondern konnte es - nur - in der Fremde, in Sizim Bensa III.; Nehlsen-v. Stryk, S. 443. m Vom 15. 1. 1348, Niccolo Cattaneo, siehe Hagen, S. 8 - 23. unter Hinweis auf Bensa.

I. Neuartige Verträge ohne römisch-rechtliche Grundlage

233

lien, wagen, einem Vertrag neuen Typs zuzustimmen, zumal die Reise des Schiffs St. Ampelius nicht in den Einflußbereich Genuas, sondern nach Tunis führte.

1.4 Vergleich der Schiffsversicherung 1350 und in Portugal nach 1367

Daß sich die neue, kürzere und weit besser verständliche Schiffsversicherung gerade in Palermo, also im südwestlichen Mittelmeer, durchsetzen konnte, ist erklärbar: Palermo stand 1350 unter der Herrschaft einer Nebenlinie der Könige von Aragon in Spanien, die eher vom spanischen und portugiesischen Recht als von dem der oberitalienischen Stadtstaaten beeinflußt wurden; denn der Schwerpunkt des aragonischen Königsreichs lag in Barcelona in Katalonien. Nach 1363 wird, wie oben 9. Kap .. 5. geschildert, in Portugal ein einheitliches Statut über die Schiffsversicherung in Gilden erlassen, dem vermutlich regionale Regelungen vorangegangen sind. Es bedurfte nicht der Erfindung, sondern "nur" der Übertragung derartiger regionaler Regelungen aus Portugal auf private Versicherer, um zu der Fassung des ersten privaten Schiffsversicherungsvertrags in Palermo zu gelangen. Die Schiffsversicherungen von Palermo 1350 und von Portugal 1363-1387 weisen, obwohl privat bzw. Gilde-Versicherung, in den Risikoklauseln Ähnlichkeiten auf, wie aus der folgenden Übersicht hervorgeht, in I. der umfassenden Umschreibung der Seegefahr zugleich 2. mit Beispielen; 3. dem Risiko der Wegnahme des Schiffes durch Feinde, worunter auch Piraten, aber nicht nur solche zu verstehen sind; 4. in der Gegenüberstellung der Gefahren im Hafen und auf der Fahrt; 5. in der Regelung des Teilverlusts und 6. in dem Wort "assecurare" in italienischer bzw. portugiesischer Sprache. Die Beschreibungen der Risiken Palenno 1350

Portugal 1367 - 83

Risiken für Schiff +. Ausrüstung + Fracht

Schiffsuntergang durch

1. Jedes Risiko und jede Gefahr

1. irgendeinen anderen Zufall

2. die Seegefahr, auch das gottgewollte Naturgeschehen

2. Stunn

3. feindliche Leute, z. B. Piraten

3. Wegnahme durch Feinde

4. auf Fahrt bis Hafeneinfahrt

4. im Hafen oder auf Fahrt

5. auch bei teilweisem Verlust

5. a) bei Leckage oder sonstigen Schaden b) bei einer Teilbeschädigung mit höheren Kosten als der Wert des Schiffes

6. beladen oder unbeladen

6. unabhängig von einer Ladung

234

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Die Übereinstimmungen reichen aus, um auf eine gemeinsame Vorlage zu schließen, die im südwestlichen Mittelmeer vorausging. Im Unterschied zu Verträgen auf dem italienischen Festland wird in bei den Fassungen nicht mehr von der glücklichen Ankunft des Schiffes gesprochen, sondern es werden die Gefahren neben der Generalklausel benannt und näher (und damit anschaulich) beschrieben. Eine gemeinsame Vorlage war wahrscheinlich eine Schiffsversicherung in einer Gilde. Die Frage, warum diese Gildeversicherung um 1350 nicht mehr zu finden ist und die privaten Seeversicherungsverträge in Palermo eine Lücke vorfanden, in die sich eindringen konnten, ist (noch) nicht zu beantworten. Als eine Möglichkeit kommt auch dafür die Pest infrage, die die Zahlen der Gildemitglieder dezimierte und damit der Grundlage für die Gegenseitigkeit in Gilden den Boden entzog. Die Pest war die Ursache für den Generationenwechsel der Notare in Palermo und damit indirekt für die Entstehung des privaten Seeversicherungsvertrags, möglicherweise auch für das Ende der Gildeseeversicherung und damit für das Entstehen einer Lücke, in der sich die private Seeversicherung ausbreiten konnte. Die vier Versicherungsverträge vom März 1350 in Palermo zeigen die Vertragsgestaltung im Wandel. Daraus könnte sich auch erklären, daß weitere Vertragsurkunden über Schiffsversicherungen mit der gleichen Risikoformel wie in den nächsten Jahrzehnten bis 1379 (bisher) nicht überliefert, jedenfalls nicht bekannt sind. Ob der Schiffversicherungsvertrag vom 24. 3. 1350 vor dem Notar d' Amato ein Zufall W~74 oder ob Verträge dieser Art in Palermo und im westlichen Mittelmeer zwar gebräuchlich waren, aber nicht überliefert oder noch nicht wiederaufgefunden sind, muß offen gelassen werden.

2. Verträge in der Übergangszeit

2.1 1377 in Brügge - vanzecgger-scepe Die regen Handelsbeziehungen zwischen Italien und Flandern, insbesondere zu Brügge und Gent, haben auch dort zu Bestrebungen zum Ausgleich der Transportgefahren auf den See- und Landwegen geführt, wie die oben erwähnten Beispiele aus den Jahren 1310 und 1370 dartun (oben S. 177 und S. 214). In Brügge575 wird am 12. April 1377, vermutlich erstmals, ein Rechtsstreit über den Ersatz von Seiden und Stoffen, die auf einem Transport in Verlust geraten sind, ausgetragen, und zwar unter Berufung auf einen nicht überlieferten Vertrag über "vanzecgger-scepe". Das damit befaßte Gericht war mit Schöffen besetzt, also kein gräfliches, landesherrliches Gericht. Die Schöffen gehörten sicherlich der Gilde der Stoffhändler und/oder der Reeder an und sprachen nach den 574 575

Hubrecht, S. 351. Trennery, S. 264; Raynes, S. 12.

2. Verträge in der Übergangszeit

235

Rechtsgewohnheiten der Kaufleute und Schiffer Recht. Die Bezeichnung "Vanzecgger-scepe" ist im ersten Wort eine Übersetzung des lateinischen "assecurare", dessen Bedeutung sich vom Sammelbegriff des Jahres 1369 (im Genueser Dekret) in Pisa 1379 auf die Versicherung im technischen Sinne verengt. Es liegt daher die Vermutung nahe, daß es sich schon 1377 nicht mehr um ein Seedarlehen oder einen Kauf- / Rückkaufvertrag mit Nichtigkeitsklausel gehandelt hat, und das angehängte "-scepe" (-schaft) deutet daraufhin, daß die Versicherung als eigenständiges Rechtsinstitut aufgefaßt wurde und Versicherer und Versicherungsnehmer zusammenband, auch wenn es sich nicht um eine Gildeversicherung gehandelt hat. Raynes hält es für möglich 576, daß die Risikoformel "Gefahr des Meeres und der Piraten" verwendet wurde. Sogar wenn, wie in ähnlichen späteren Rechtstreitigkeiten in Brügge577 , der dortige Versicherer 1377 ein Genueser oder Florentiner Kaufmann gewesen sein sollte, wird es sich, wie 1350 in Palermo, gleichwohl um eine "echte" Versicherung und wegen der mangelnden Kenntnis des Römischen Rechts bei dem Schöffengericht um einen der Verträge gehandelt haben, die im "modemen Stil" - so Melis für einen späteren Florentiner Vertrag 578 - und nicht nach Genueser Modell abgeschlossen wurden. Den Brügger Schöffen war durch die Gildeversicherungen der Vorgang einer nicht - verklausulierten - Versicherung ohne weiteres vertraut. Dies ist, läßt man die drei mißglückten Warenversicherungen 1350 in Palermo außer Betracht, die erste Seeversicherung für Warentransporte.

2.2 J 384 in Prato bei Florenz - Fr. di Marco Von einem vielseitigen Kaufmann, nämlich Francesco di Marco da Prato, ist eine interessante Geschäftsaufzeichnung aus dem Jahre 1384 überliefert 579 • Prato ist eine Stadt zwischen Florenz und Lucca, ca. 20 km von ersterer entfemt58o . Di Marco hat ein Geschäftsjournal geführt und in der Zeit vom 3. Aug. bis zum 23. Sept. 1384 zehn versicherungsähnliche Geschäfte abgeschlossen und ihre Erfüllung eingetragen, darunter auch solche mit Nichtigkeitsklauseln; denn erfreut notiert er 81 nach der glücklichen Ankunft der Ware im Bestimmungshafen, daß damit die assecuratio erloschen ist: Noch handelt es sich in der Rechtsform um ein Seedarlehen mit Nichtigkeitsklausel, also eine bedingte Verpflichtung, aber in der abkürzenden Umgangssprache der Kaufleute wird die Nicht-Ausführung der beiderseitigen Pflichten des Darlehensvertrags mit assecurare bezeichnet, jedoch nicht Raynes, S. 12. So 1435 und 1444. 578 So Melis, zu Tafel XX1II. aus dem Jahre 1405. 579 Veröffentlicht von Bensa, Dokumente IX und X. 580 In Prato lebte in der nächsten Generation auch der unten erwähnte Kaufmann Datini, der auch in Lissabon tätig war. 581 Lopez/Raymond, Document 138; Favier, S. 270 (deutsch, frei übersetzt). 576

577

236

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

von einer Erfüllung des Garantie-Vertrags, sondern von seiner Auflösung gesprochen; auch die "glückliche Ankunft" wird beibehalten, und damit auf eine Aufzählung der Risiken verzichtet. Es handelt sich um Verträge, die in einer Umbruchperiode altes und neues Vertragsmuster nebeneinander verwenden, um jedem Fall Rechnung zu tragen. Schon vorher im ebenfalls toskanischen Pisa und nur ein gutes Jahr später (11. 7. 1385) im benachbarten Florenz treten Versicherungs verträge auf, deren Ri-

sikoklauseln für die Folgezeit maßgebend werden.

3. 1379 -1400 Seeversicherungen in Pisa und Florenz Nach einer Lücke in der Überlieferung von Verträgen in fast drei Jahrzehnten von 1350 an treten in der Toskana in dem letzten Fünftel des 14. Jahrhunderts Seeversicherungsverträge auf.

3.1 Seeversicherungen in Pisa

Am 13. April 1379 (1380) werden in Pisa zwei Verträge über die Sicherung von Warentransporten abgeschlossen, die in italienischer Sprache abgefaßt sind582 und nicht mehr auf die glückliche Ankunft des Schiffes abstellen, sondern auf die Übernahme jeglicher Gefahr. Sie greifen damit die Risikoklausel von Palermo 1350 auf. Auch wenn noch nicht untersucht ist, ob der Versicherer mit den Waren nicht auch eigene Geschäftsinteressen verband, wie es seinerzeit in Palermo 1350 geschah, handelt es sich hier um eine Seeversicherung in Nachfolge der des Versicherers Leonardo Cattaneo 1350; auch hier wird die Formel "feciono sicurta e assicurano" als Bestätigung, hier in italienischer Sprache, verwendet. Trotz der zeitlichen Lücke zwischen Palermo 1350 und Pisa 1379, die aus fehlender Überlieferung erklärt werden kann, muß wegen der gleichen Risikoklausel Kontinuität der Seeversicherungsverträge angenommen werden. Es handelt sich nach bisheriger Kenntnis um die drittfrühesten privaten Seeversicherungsverträge. Am 26. 9. 1385 werden in Pisa drei Seeversicherungszusagen erteilt583 und erstmals die Form feststehender Formulare, "Versicherungspolicen" verwendet584 ; die Verträgen gleichen denen von 1379/80. Der erste genannte Versicherungsvertrag soll die Risiken einer Reise, nicht eines Warentransports decken und geht damit über die bisherigen Risiken hinaus.

582 583 584

Abgedruckt bei Melis VXI und XVII; auf S. 27 Nr. 10 gibt Melis den 13. 04. 1380 an. Melis, Tafeln XVIII, XIX, XX. Melis, S. 191.

3. 1379-1400 Seeversicherungen in Pisa und Florenz

237

Der nächste Versicherungsvertrag in Pisa ist erst aus dem Jahre 1397 überliefert 585 und deckt die Risiken eines Warentransports auf dem Fluß Arno ab. Im Jahre 1401/1402 wird der Transport eines Tartarensklaven versichert 586 , und zwar für den Fall des Todes durch Krankheit oder Selbstmord. Aus dieser Folge von Versicherungsverträgen ist eine frühe Praxis von Versicherungsverträgen über mehr als zwei Jahrzehnte in Pisa belegt; sie läßt auch eine Weiterentwicklung über die Seeversicherung hinaus erkennen. Die dabei verwendeten Risikoklauseln, die auf die von Palermo 1350 zurückgehen, werden unten 5. untersucht. Spätestens ab 1406, als Florenz sich Pisa angliederte, wird die anHinglich besondere Rolle Pisas im Seeversicherungsgeschäft aufgehört haben, vielleicht schon 1402 mit der Übernahme durch die Mailänder Viscontis.

3.2 1385 - 1400 Florenz: Das neue Vorbild Die Rolle von Florenz ist, vor allem aufgrund schlechterer Überlieferung, erstmals 1385 erkennbar, als am 11.7. ein Seeversicherungsvertrag abgeschlossen wird581 , den Perdikas für das älteste Beispiel eines "vollständigen" Seeversicherungsvertrags hielt S88 • Er wird für eine Fahrt von Arles (Südfrankreich) nach Portopisano geschlossen, und bekräftigt die Versicherung ähnlich wie in Palermo 1350 und in Pisa 1379 mit den Worten: "detti assecuratori (Versicherer) feciono sicurta e assicurono da Arli in porto Pisano". Auch die Vorherbezahlung des Beitrags589 und deren Höhe wird bestimmt. Entscheidend ist - wie in Palermo 1350 -, daß in diesem und den folgenden Verträgen nicht mehr die glückliche Ankunft der Waren, sondern die Gefahren ihres Verlusts aufgeführt werden; man versichert sich nicht zu einem Glück, sondern gegen ein Risiko! Im Unterschied zu der palermitanischen und pisanischen Risikoklausel wird diese in Florenz mit Beispielen angereichert und setzt sich damit in der Versicherungspraxis auf Dauer durch. Näheres unten 5. Die nächsten zwei überlieferten Seeversicherungsverträge aus Florenz vom 9. 9. 1388 und der aus der Toskana 1391 führen den Anfang dort weiter. 13951399 steigen die inzwischen nach Florenz zugewanderten Medici in das Seeversicherungeschäft ein, und ab 1396 sind Verträge aus Prato, der heutigen Vorstadt von Florenz, von der Datini-Familie überliefert, deren Angehörige auch als Makler auftreten.

Melis, XLVIII. Melis, Tafel L. 587 Bensa XI. 588 Perdikas, 1966, S. 506 Anm. 266. Er konnte die Veröffentlichung früherer Verträge durch Melis noch nicht kennen. 589 Die Bezeichnung "Prämie" wird erst 1556 verwendet, Braun, S. 30 Anm. 585

586

238

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350 -1385

3.3 Veränderungen der Kaufmannstechnik (Buchführung, Wechsel, italienische statt lateinische Urkunden)

Die allgemeinen Bedingungen für die Durchsetzung der Seeversicherungsverträge in Pisa und Florenz waren den Kaufleuten günstig: Die Geschäftstechniken verbesserten sich, und die Kaufleute beherrschten die schwachen Stadtstaaten. Mehr und mehr hatten sich die Kaufleute in Italien im 14. Jahrhundert dem wirtschaftlichen Verhalten der Neuzeit zugewandt, die Bedingungen des Gewinns erforscht und buchgeführt. Die Buchführung kontrollierte die Außenstände und den Kapitaleinsatz, ersparte Kapital und erhöhte die Dispositionsfähigkeit. Sie hat die Kaufleute in der Auffassung bestärkt, daß das Risiko der Seefahrt einen bestimmten Preis hat, allerdings ist die Folgerung590, daraus sei eine eigenständige, entgeltliche Tätigkeit entstanden und mit den Sicherungskosten sei fiktiv ein Dritter buchmäßig belastet worden, nur eine Vermutung, der Vorgang könnte sogar umgekehrt abgelaufen sein. Der damals modeme Geschäftsverkehr hatte schon seit langem zu dem Gebrauch von Wechseln geführt, und die Bankiers bevorzugten abstrakte Schuldversprechen, weil dadurch Einwendungen abgeschnitten und klare Verpflichtungen geschaffen wurden. Das Seedarlehen war in langer Zeit in diese Richtung fortentwickelt worden, aber es begünstigte den Darlehensnehmer. Demgegenüber schnitt die Seeversicherung viele Einwendungen ab, wie der Ausgang vieler Prozesse gezeigt hat 591 , und bot für beide Seiten knappe und relativ eindeutige Vertragstexte, die abstrakten Schuldversprechen ähnelten. Daß die Seeversicherung die bedingte Seedarlehenspflicht und die wechselseitigen bedingten Seekaufverträge verdrängen konnte, geht auf die geringere Höhe der Kapitaldeckung der Seeversicherung und die dadurch geringeren Zinsen zurück, auch darauf, daß Pfandrechte nicht mehr notwendig waren und die Abwick1ung unkomplizierter war. Zudem wurde jedenfalls beim einfachen Seedarlehen gerade im Unglücksfall kein Entgelt gezahlt592 , weil es nicht bei Vertragsschluß, sondern erst bei Rückzahlung des Darlehens verrechnet wurde, zu der es dann nicht mehr kam. In Pisa und Florenz sind die Seeversicherungsverträge der achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts nicht mehr in Latein, sondern in italienischer Sprache abgefaßt. Damit konnten auch Nicht-Juristen, also alle Kaufleute, die Vertragsinhalte verstehen und die gängigen Formulare anwenden, die Vermittlung und Überbrückung der lateinischen Sprache durch die Notare war überflüssig geworden.

Perdikas, 1970, S.161. Siehe die Auswertung der Prozesse in Venedig bei Nehlsen-v. Stryk, S. 137 f., 131 f., S. 209 f., und Anhang 11. 592 Seffen, Entstehung, S. 8. 590

591

3.1379-1400 Seeversicherungen in Pisa und Florenz

239

Der Hinweis von Perdikas593 , daß sich Versicherungs verträge in Italien erst durchsetzten, als sie nicht mehr in der lateinischen Sprache der Notare abgefaßt wurden, trifft den Zwiespalt der Vertragstypen. In den italienischen Seestädten, in denen die Notare eine eigene Gilde bildeten, mußte das Monopol der Gilde gegen die Neuerungen erst dadurch aufgebrochen werden, daß auch Verträge in italienischer Sprache und ohne die Mitwirkung von Notaren als gültig anerkannt wurden. Damit konnten die Makler das Marktrecht der Notarsgilde durchbrechen 594 • Allerdings könnte das Fehlen von Notarsurkunden, da Maklerurkunden nicht oder nur begrenzte Zeit aufgehoben wurden, einen Grund dafür abgeben, daß aus Florenz nicht mehr Versicherungsverträge überliefert sind.

3.4 Politische Veränderungen in Italien

Die geringe Zahl der überlieferten Urkunden wird auch mit den politischen Veränderungen in und um Italien zusammenhängen. Die frühen Seeversicherungsverträge fallen in einen sehr unruhigen Zeitraum. 1347/48 breitete sich die Pest erstmals in den Hafenstädten Italiens aus und dezimierte die Bevölkerung beträchtlich; danach kam sie noch in einer zweiten und dritten Welle wieder. Venedig gewann 1381 den l00jährigen Krieg gegen Genua und damit den Orienthandel; die Türken rückten 1371 auf dem Balkan vor; die Visconti in Mailand dehnten seit 1385 ihr Herrschaftsgebiet aus, 1399 auch auf Pisa und Genua, und Florenz wurde 1402 von ihnen bedroht; zwei Päpste beanspruchten den Kirchenstaat. Entsprechend dem Machtgewinn der Fürsten wechseln Städte und Geschlechter in dieser Zeit auch häufiger und schneller die Fronten zwischen Ghibellinen und Guelfen, Schwarz und Weiß. Auch die Rolle der führenden Gilden der Kaufleute, Bankiers und Notare und der in ihnen ausschlaggebenden Persönlichkeiten und die Wechsel innerhalb dieser Schichten blieben davon nicht unbeeinflußt. In Florenz hatten seit 1381 die Albucci (Albizzi) das Stadtregiment inne (bis 1434). Mit den Machtwechseln und der Zuwendung der Städte zu ihrer Innenpolitik "glitt einigen Städten, vor allem Genua (aber nicht Venedig), die Kontrolle der Seewege aus den Händen und das Piratenwesen nahm ZU..595 . Die größten auf See drohenden Risiken gingen (1393) keinesfalls von Gott (höherer Gewalt) und dem Meer aus, sondern der Mensch galt als Hauptgefahr für die Handelsschifffahrt 596 : "Piraten, Korsaren und Untertanen, durchaus nicht immer feindlicher Mächte, selbst einheimische aus Genua ausgewiesene Adlige nutzten die unsichere und schwache Situation 593

594 595 596

Perdikas, 1970, S. 161. Siehe zur Rolle der Makler beispielhaft in Venedig: Nehlsen-v. Stryk, S. 60 f. Groneuer, S. 257. Groneuer, S. 258.

240

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

des Staates aus, der seine Kaufleute nicht wie etwa der venezianische durch eine schlagkräftige und gut organisierte Kriegsmarine beschützte, die die Adria für die Venezianer zum mare nostrum werden ließ. In Genua hingegen begann die Unsicherheit direkt vor der eigenen Tür. Die längs der Küste ad guardiam comunis Ianue kreuzenden Galeeren, die von Privatleuten ausgerüstet waren, konnten offenbar nicht verhindern, daß sich Korsarenschiffe selbst bis nahe an den Hafen wagten, ganz zu schweigen von den Gefahren, die entlang der Riviera di Ponente drohten. Vor allem Marseille genoß den zweifelhaften Ruf eines der größten Piratennester überhaupt, so daß es mitunter zu den loca prohibita gezählt wurde."

An den Küsten der Toskana mag es nicht ganz so schlimm gewesen sein. Im Unterschied zu den äußeren Bedrohungen gingen die Auseinandersetzungen um die innere Stadtherrschaft oft zugunsten der Kaufleute und ihrer Gilden aus. So vollzog sich 1378 in Florenz nach Niederschlagung des Aufstands der Wollkämmer und der Aufhebung von Steuergesetzen eine Abkehr von der Beteiligung der breiten Bevölkerung an der politischen Macht, und die politische Vertretung geriet unter den Einfluß der wirtschaftlichen Macht, die sich in den Händen von wenigen Familien der Kaufleute und Bankiers befand, die "sie vor allem zur Verfolgung eigener Interessen benutzten"s97. Das Florentiner Statut von 1393 über die Geschäfte der Kaufleute beruhte mit dem Verbot der Versicherung fremder Waren auf derartigen Intentionen. Es sind leider keine Untersuchungen bekannt, die die neuen Seeversicherungen mit der etwa gleichzeitigen Gesetzgebung in Florenz zwischen 1378 und 1393 und in Pisa vor 1379 und den dortigen politisch-personellen Änderungen in Verbindung bringen, auch weil die bisherige Versicherungsgeschichte einen gleitenden Übergang vom Seedarlehen zur Seeversicherung annahm. Außer dem Aufkommen der Seeversicherungsverträge in Pisa ab 1379 sind die Gründe, die 1385 zum Wechsel der Risikoformel in Florenz führen, der Aufklärung bedürftig.

4. Generalisierende Risikoklauseln der Seeversicherungsverträge im Vergleich

Vom Glücksspiel mit der Hoffnung auf die heile Ankunft von Schiff und Waren unterscheidet sich die Versicherung mit der Benennung der Risiken, bei deren Eintritt Ausgleiche zu leisten sind. Deswegen ist in jeder Versicherung die Beschreibung des zu versichernden Risikos, die immanent die Begrenzung desselben enthält, das wesentliche Element. An den Risikoklauseln läßt sich die Entwicklung der Seeversicherung genau verfolgen. In den vier Jahrzehnten von 1350 bis 1390 lassen sich zwei verschiedene Arten von Risikoklauseln unterscheiden, eine generalisierende und eine konkretisierende, anschauliche, nämlich 597

Tenenti, in Fischer, Handbuch, S. 681.

4. Risikoklauseln der Seeversicherungsverträge im Vergleich

241

- die erste aus Palermo 1350, aus Portugal nach 1367 und die aus Pisa von 1379 bis ca. 1406 sowie - die andere aus Florenz von 1385 mit weiter Verbreitung auf Dauer. Für jede von beiden soll im folgenden nach der Wurzel geforscht und die Entwicklung verfolgt werden. Risikoklauseln können in verschiedenen Vertragsarten gebraucht werden, sie sind zuerst für die Verteilung der Gefahr zwischen den Vertragsparteien eines Kauf oder einer Gesellschaft verwendet worden, ohne daß dadurch die Sicherheit der Beteiligten verstärkt wurde. Später wird durch Hinzutritt eines Dritten als Versicherers die Sicherheit erhöht, so erstmals in Palermo 1350.

4.1 1340 Pegolotti In den Abreden der Kaufleute und Schiffer beim Femkauf waren auch solche über die Transportkosten oder bei compra-vendita-Verträgen den Preis der Waren bei Übergabe am Bestimmungsort enthalten. In diesen Frachtkosten waren teils ausdrücklich, teils in einer Summe auch die Kosten für die Übernahme der Transportgefahr miterfaßt. Pegolotti (siehe S. 219) hat in seinen Kostenberechnungen über die Gefahrtragung im Rahmen des Seetransports bis England und Brügge 1330 - 1340 die in italienischer Sprache in Kaufverträgen verwendete Klausel angegeben: "marchi a rischio di mare e di genti da ciascuma parte soldi ... ". "geschickt auf das Risiko des Meeres und der Leute auf See (Piraten, Kriegsschiffe) für jedes TeiL .. "

Diese Klausel war bei Seedarlehen und Kauf- / Rückkaufverträgen von Bedeutung, wenn sie Gefahrtragung anders als gewohnt festgelegt werden sollte. Sie verteilte die Risiken und die Sicherheit zwischen Schiffer, Verlader oder Wareneigentümer, aber erhöhte die Sicherheit insgesamt nicht.

4.2 1350 in Palermo 1350 wird in den oben aufgeführten vier Verträgen in Palermo die Risikoklausel erweitert und in einen anderen Zusammenhang gestellt, zudem in lateinischer Sprache: "omne risicum periculum et fortunam Dei maris et gentium"

Jedes Risiko und (jede) Gefahr und das von Gott gegebene Schicksal auf dem Meer und die Gefahr von den Leuten auf See (piraten, Kriegsschiffe). 16 Schewe

242

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Die Erweiterung besteht darin, daß - mit dem Wort "omne" Gedes) die allgemeine Wirkung der Gefahrübemahme hervorgehoben wird, - mit dem hinzugefügten Wort "periculum" der Gefahrenbereich geteilt und weiter umschrieben wird, - mit "fortunam Dei maris" auch das von Gott gegebene Schicksal, das also vom Menschen nicht beeinflußt werden kann, in die Deckung einbezogen wird, insgesamt eine Bekräftigung der Gefahrübemahme und eine Vermeidung von Einreden des Gefahrträgers gegenüber einem Ersatz von eingetretenen Schäden. So konnte man der vollen Deckung der Seegefahr nahekommen und mit der Formel von der "glücklichen Ankunft" von Schiff und Waren konkurrieren. Der Bankier Cattaneo 1350 in Palermo machte diese vier Schritte dank der Formulierung des Notars d' Amato auf einmal, weil er - die Risikoabrede aus Kaufverträgen kannte und verselbständigte, - das wirtschaftliche Ergebnis seiner Haftungszusagen aus der Erfahrung mit den Seedarlehens- und Kauf- / Rückkaufverträgen in Genua einschätzen konnte, - die einfache Rechtsgestaltung der Gildeversicherung (Schadensersatz kraft vorheriger Inaussichtstellung in der Satzung) in den portugiesischen (und dänischen) Gilden kannte und - der einfachen vertraglichen Zusage vertraute. Zusammen ermöglichten es Kapitaleinsatz und Geschäftserfahrung sowie eine einfachere Rechtsgestaltung wie in Gildeversicherungen mittels der Verselbständigung von Haftungsabreden und Risikoklauseln aus Fernkäufen den ersten Seeversicherungsvertrag 1350 zustandezubringen. Damit werden das Seedarlehen und die compra-vendita-Verträge, mit und ohne Nichtigkeitsklauseln, als Vorläufer der Seeversicherung ausgeschlossen. Die Seeversicherung konnte sich auch nicht von selbst aus den Risikoklauseln beim Femkauf entwickeln, weil noch der zusätzliche Sicherungsgeber fehlte. Nach wie vor wurde ein "salto" benötigt598 , mit dem die Seeversicherung 1350 vom Glücksvertrag zum Risikovertrag und in die Urkunden des Notars d' Amato in Palermo "gesprungen" ist, eben das Vorbild der Gildeversicherung.

4.3 J 367 in Portugal

Die Risikoklausel der portugiesischen Gildeversicherung nach 1367, aber vor 1383 begann damit, allgemein das zufällige Unglück zur See (cajooes do mar) und den Untergang des Schiffes im Sturm oder einen anderen Zufall (cajom) zu nen598

So Vateri und Cassandro, zitiert bei Neh1sen-v. Stryk. S. 13.

4. Risikoklauseln der Seeversicherungsverträge im Vergleich

243

nen, fügte dann den Untergang im Hafen wie in Palermo und die Wegnahme des Schiffes vom Feind auf einer Handelsreise hinzu. Zur Risikobegrenzung klammerte sie schon die Reise zu einem feindlichen Land ohne Abmeldung und die Wegnahme des Schiffes als Pfand bei verschuldeten, mit Strafe bedrohten Vergehen aus, es sei denn zum Besten Portugals. Die Weiterentwicklung im Vergleich zu Palermo 1350 geht auf Einfügungen zurück, die aus dem Seerecht stammen, und zwar, weil sie im Mittelmeer nicht gebräuchlich waren, vermutlich aus dem Westen Europas (Flandern, Spanien). Es handelt sich schon um Schritte zu einer konkreten Risikoklausel.

4.4 1379 in Pisa Am 13. 4. 1379/80 wird in Pisa die gleiche Klausel wie in Palermo 1350, jedoch in italienischer Sprache, verwendet 599 und hinzugefügt: "e d'ogni ehaso e disastro e fortuna ehe potesse intervenire per ni uno modo 0 ehagione." "und in jedem Fall und bei jedem Desaster und Schicksal, in dem man in keiner Weise oder Ursache intervenieren kann." Dieser Zusatz soll Fälle ausschließen, in denen das Schiff oder die Ladung nicht gegen Piraten verteidigt, sondern ohne starken Druck übergeben wurde. 1385 (26.1.) wird in Pisa die Risikoformel 600 nochmals durch die Hinzufügung der Worte ,,0 chaso sinistro" = im Unglücksfall ergänzt. Nach 1402, spätestens nach 1406 wird auch in Pisa die Florentinische Klausel vorgezogen; siehe unten 5.

4.5 1436/1477 in Palermo In Palermo ist die generalisierende Risikoklausel anscheinend nicht völlig außer Gebrauch gekommen, denn sie taucht 1436 und 1477 wieder auf, allerdings mit andersartigen Zusätzen: "ümne risicum et periculum, tarn divinale quam humanale, et tarn amicorum quam inimicorum, per quamvis viam et modum quod intervenire potuissent." "Gefahr, die von Gott oder von Menschen herrührt, sei es von Freunden oder von Feinden, auf beliebigem Weg und Weise, wenn sie (nicht) intervenieren konnten." Diese Klausel findet, soweit ersichtlich, keine Verbreitung, wird aber 1498 mit der Florentiner Klausel kombiniert (siehe unten 5.5). 599 Melis, Tafel XVI und XVII sowie S. 27 (l380?); Melis bezeichnet die Klausel als "alle Fiorentino", was nicht zutrifft. 600 Melis, Tafel XIX und XX.

16'

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12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

4.6 riscio di Dio

Die Unterscheidung zwischen Risiko, Gefahr und dem von Gott gegebenen Schicksal, so 1350 in Palermo, 1379 in Pisa und wieder 1397 in Florenz, geht auf die italienische Schule des Römischen Rechts zurück. Dabei spiegeln die Ausdrücke fortuna Dei (palermo) und ,,rischio di Dio" (Pisa) die Entwicklung des theologischen Problems wider, ob Gott als Allmächtiger auch das Schlechte (und Böse) wollen kann und bejahen dies. Es handelt sich um die gleichen Überlegung, die schon Mönch Alpert von Metz im Jahre 1020 als Vorwurf gegen das Seedarlehen der Gilde von Tiel (siehe oben 4. Kap. 3.1) erhoben hatte, daß der Mensch nicht Gottes Willen durchkreuzen dürfte, jetzt, 1385, aber wird jener Vorwurf mit der Gottesauffassung für vereinbar erklärt und in Verträge eingebaut. Ähnliche Formulierungen kommen schon 1198 in den Fernkaufverträgen in Marseille vor601 • Das Wort "Gott" für höhere Gewalt - als vis maior - ist schon im römischen Recht bekannt, allerdings mit verschiedener Auslegung verwendet worden. 1350/ 1379 stellt es eine Steigerung gegenüber den Unglücksfallen in dem Sinne dar, daß die Seeversicherung selbst dann eintritt, wenn der Schiffer mangels Verschulden nicht haften würde. Damit wird der Zweck der Versicherung bekräftigt und diese selbst genauer formuliert und weiterentwickelt.

5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge Daß 1385 in Florenz602 erstmals eine andere Risikoklausel als in Pisa auftritt, ist erstaunlich, aber kaum mit einem bewußten Gegensatz zur Nachbarstadt zu erklären. 1385 wurde die Florentiner Risikoklausel so sehr umgestaltet603 und dadurch anschaulicher, daß sie als neu zu werten ist.

5.1 1385 und 1388: Die Florentiner Risikoklausel Die Florentiner Risikoklausel lautet in der Fassung der beiden Seeversicherungsverträge vom 9. 9. 1388604 : ,,rischio di mare, di gienti, di fuocho, di gitto di mare, di rapresaglia, die ritenimento di signore e chomune, 0 d'aresto e d'ongni chaso fortuna, chaso sinistro, che per gniuno." ,,Das Risiko des Meeres, der Leute (Piraten), des Feuers, des Seewurfs, der Repressalien, der Zurückbehaltung durch Fürsten oder Städte oder des Arrests und das Geschick in jedem Fall, im Fall des Unglücks, der durch die Ankunft (des Schiffes passiert)."

601 602 603 604

Bei Scriba, siehe Perdikas, 1966. Bensa XI vom 11. 07. 1385. Melis, zu XXI, S. 29 f. findet die Umgestaltung allerdings "minimal". Melis, Tafel XXI und XXII.

5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge

245

Die neue Klausel verändert sich gegenüber der pisanischen an fünf Stellen, nämlich - periculum, die Gefahr, und das von Gott gegebene Schicksal auf dem Meer werden weggelassen, - die Generalklausel "jedes Risiko" wird an den Schluß gestellt, - das Feuer und der Seewurf werden neu aufgenommen, sogar an dritter und vierter Stelle, und - Repressalien, Zurückbehaltung und Arrest werden eingefügt. Es handelt sich um eine andere, neu auftauchende Risikoformel. So ist zu fragen, auf welche Quellen die Florentiner Risikoformel zurückzuführen ist, etwa auf Quellen an den Küsten des Mittelmeers. In der weitgehend neuen Fassung der Risikoklausel ist zunächst die Umstellung der Generalklausel von vorne nach hinten erklärungsbedürftig. Ob ein Vertrag ,jedes Risiko" oder, nach Beispielen, "alle andern Risiken" zu decken verspricht, führt theoretisch zum gleichen Ergebnis, unterscheidet sich aber in der Sicht des Adressaten: Beispiele sind anschaulicher und einer richtungweisenden Auslegung leichter zugänglich. So entspricht die Florentiner Fassung besser dem Gewohnheitsrecht der Kaufleute und etwas weniger dem der am Römischen Recht geschulten Notare und Richter. Die Umkehrung der Reihenfolge weist den Weg zur Suche nach der Herkunft der Florentiner Risikoklausel, eben den zu den Gewohnheiten der Kaufleute und Schiffer. Die Weglassung von periculo (Gefahr) und fortuna Dei maris (Schicksal), die Abstufungen der Haftung bei Gewährleistungen bedeuteten, zeigt noch stärker die Abwendung von den Unterscheidungen des Römischen Rechts und läßt es ausgeschlossen erscheinen, die Florentiner Klausel von 1385/88 als eine Weiterentwicklung der palermitanisch-pisanischen aufzufassen; beide stimmen 1385/88 nur noch in den zwei Worten ,,rischio" und "gentes" (Piraten) überein. Das Vorbild der florentischen Klausel dürfte also nicht im engeren Geltungsbereich des Römischen Rechts gelegen haben. Die Herkunft der Florentiner Risikoklausel muß also anhand der 1385 neuen Begriffe Feuer, Seewurf, Repressalien, Zurückbehaltung und Arrest gesucht werden, sie sind vor 1385 in Italien nicht für sich allein und erst recht nicht zusammen zu finden.

5.2 Die Herkunft der konkreten Risiken aus den dänischen Gildestatuten 1200-1300 Die Seeversicherung ruht auf der Grundlage der Seerechte, und diese galten, wie oben 9. Kap. am Beispiel des Seewurfs gezeigt wurde, auch am Atlantik und an den Küsten von Nord- und Ostsee. Der Seewurf der Florentiner Risikoklausel ist in der

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12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

palennitanisch-pisanischen nicht genannt, wohl aber in der frühen Gildeversicherung Dänemarks und hat in deren Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt (siehe oben 5. Kap. 2. u. 9. Kap. 1). In der folgenden Übersicht sind die Risikofälle der dänischen Gildeversicherung und die der Florentiner Risikoklausel gegenübergestellt. Risikofalle Florenz 1385 und Dänemark 1256 im Vergleich Dänische Gilden 1200-1300 Schiffbruch (Odense Art. 33, u. a.) in Schiffbruch u. Lösegeld enthalten (Flensburg Art. 18; Odense Art. 20, Kallehave Art. 9, Store Hedinge Art. 37) Brand allgemein (Odense Art. 33, u. a.)

Florenz 1385/1388 1. Seegefahr (rischio di mare) 2. Piraten (gente)

3. Brand des Schiffs oder der Schiffsladung (fuoco) 4. Seewurf (gitto di mare) 5. Repressalien, Zurückbehaltung, Festsetzen (ritenimento), Arrest a) durch Fürsten b) Städte 6. andere Fälle der Gefahr u. des Unglücks auf See 7. Gott (ad Dei fortunam o.ä.) höhere Gewalt (vis maior): ist entfallen

Seewurf zur Rettung eines Gildebruders (Flensburg Art. 17; Odense Art. 19) Gefangenschaft (Store Hedinge Art. 8 u. 35; Kallehave Art. 12 u. 15), Konfiskation regis et alteriis principis (Store Hedinge Art. 36; Kallehave Art. 13)

in Schiffbruch ein beschlossen

=

Wie man sieht, sind in der Gildeversicherung in Dänemark und in der Risikoklausel der Florentiner Seeversicherungsverträge die gleichen Risiken enthalten, wenn auch nicht in der gleichen Reihenfolge und nicht in gleichem Umfang. Gerade die Gefahren, die in der Florentiner Risikoklausel das erste Mal für die italienische Seeversicherung genannt sind, finden sich auch in der dänischen Gildestatuten, nämlich Seewurf, Brand, Zucückbehaltung von Schiffen und Waren. Natürlicherweise, weil früher, fehlen in Dänemark die Begriffe, die Abstufungen der Haftung, entwickelt aus dem Römischen Recht, bezeichnen, so Gegenstücke zu fortuna und chaso sinistro, möglicherweise auch der zivilrechtliehe Arrest. Auch eine Generalklausel ist in den dänischen Gildestatuten nicht ausdrücklich aufgeführt, weil sie den gennanischen Rechten fremd war, darf aber als in die weite Auslegung des Schiffsbruchs (naufragium) eingeschlossen hinzugedacht werden, wenn auch nicht ohne Grenzen; die Begrenzungen der bei den Rechte sind ohnehin nicht auf einen Nenner zu bringen, waren sie doch in Dänemark durch generelle Höchstsummen (in Mark), in Italien durch vertraglich vereinbarte Geldbeträge bestimmt. Trotz dieser Unterschiede bleiben die Übereinstimmungen deutlich und überraschend.

5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge

247

5.3 Die einzelnen Risiken

5.3.1 Das Brandrisiko Von den einzelnen Risiken ist die in Italien erstmalige Nennung des Risikos Feuer auffällig; denn das Brandrisiko tritt in der Segelschiffahrt nicht häufig ein, und wenn, dann meist im Hafen, jedoch wird es in den florentinischen Versicherungsverträgen gleich nach Schiffbruch und Piraterie nach vorne gestellt. Es gehört zur Kleinen Haverei. Die Reihenfolge erklärt sich daraus, daß in den dänischen Gildestatuten Brand und Schiffbruch in einem Artikel geregelt waren, so 1245 in Odense (Art. 33), dort allerdings auf den Brand eines Hauses bezogen. Offenbar lag den Verfassern der Vertrags formulare in Florenz die Abschrift eines Gildestatuts vor, aus der sie den früheren Bezug auf den Brand eines Hauses nicht erkannten, sodaß sie den Brand (lat. combustus) mit fuoco = Feuer übersetzten und auf Schiff und Ladung bezogen. Entsprechend der Seltenheit des Brands auf Schiffen fehlt es an historischen Beispielen aus Versicherungsverträgen dafür, lediglich Schwelbrände in Wolladungen, die zwar diese beschädigten, aber nicht als offene Brände auftraten, sind bekannt 605 und werden unter der Freizeichnungsklausel über das Verderben der Ware klassifiziert und vom Ersatz ausgenommen. Später wird zusätzlich zum Feuer allgemein noch Explosion und Blitz im besonderen angeführt, jedoch spielten im Mittelalter beide auf hölzernen Schiffen ohne Maschinen selten eine Rolle. Ohne die Übernahme aus Dänemark ist die ausdrückliche Nennung des Feuers in Italien, erst recht die vorrangige Stellung in der Aufzählung der Risiken kaum zu erklären.

5.3.2 Der Seewurf Die ausdrückliche Hineinnahme des Seewurfs in den Florentiner Katalog der Risiken muß ebenfalls auf die Kenntnis der Gildeversicherung in Flensburg im Jahre 1200 (Art. 17) und in den anschließenden Statuten der Knuts- und Erichs-Gilden, z. B. in Kallehave Art. 16, zurückgeführt werden. In den italienischen Seerechten, z. B. 1181 in Pisa und in Genua, hat sich die Ersatzregelung bei Seewurf auf die Risikoverteilung innerhalb der Eigentümer der Waren im Schiff und den Schiffer beschränkt, wie sie schon in den rhodischen und in römischen Seerechten enthalten war (siehe oben 9. Kap. 1.), sich aber in der Tabula Amalfitana und in Ragusa erweitert. Im dänischen Gilderecht wurde das gedeckte Risiko über dasjenige bei Seewurf hinaus erweitert, nämlich auf den Fall, das nicht das eigene Schiff in Seenot geriet, sondern das eines andern Gildebruders, der zu seiner Lebensrettung aufgenommen werden mußte und ohne den See wurf von Waren nicht aufgenommen werden konnte. Die Risikoklausel der Seeversicherung in Florenz bezieht alle Fälle ein, ist also erweitert. 60S

Nehlsen-v. Stryk, S. 181 ff. (186) für Venedig.

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12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Mit der Übernahme des erweiterten Seewurfs in die Risiken, die von einer Versicherung gedeckt wurden, wurden sowohl in Dänemark 1200 wie in Florenz 1385/88 andere Personen als die Mitreisenden und Wareneigentümer in Haftung genommen, nämlich alle Gildemitglieder bzw. der / die Versicherer. Diese Erweiterung führte schon bald zur Überladung der Schiffe im Hafen und zu dem Seewurf von Waren bei nur leichter Seegefahr für das Schiff - ein früher Fall von moral hasard. Es ist verständlich, daß eine VertragsklauseJ, die ein solches Verhalten ermöglichte, in einer Gilde nicht erträglich war und nur als Ergebnis der Konkurrenz zwischen privaten Versichern mit entsprechend höheren Prämien eingeführt werden konnte. Ob der Fall des Seewurfs stillschweigend in allen italienischen Policen enthalten war, auch wenn er nicht ausdrücklich aufgeführt wurde606 , mag zweifelhaft sein, jedenfalls wurde er erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts durch besondere Freizeichnungsklauseln ausdrücklich ausgeschlossen.

5.3.3 Die Zurückhaltung von Schiffen, Waren und Personen Die Zurückhaltung von Schiffen, Waren, Kaufleuten und Schiffern in der Florentiner Risikoklausel könnte zwei Vorbilder haben, nämlich im portugiesischen Gesetz von 1367 - 1383 und in den dänischen Gildestatuten, sie kann aber sicher aus letzteren abgeleitet werden, weil die portugiesische Gildeseeversicherung nur den Fall erwähnt, daß ein Schiff von einem Gläubiger wegen schuldhaften Vergehens des Schiffers zum Pfand genommen wird. In Florenz werden 1385/88 über die Repressalien und den Arrest hinaus die Zurückhaltungen durch Fürsten und Städte genannt. Das Vorbild dafür ist in den Gildestatuten von Store Hedinge und Kallehave zu finden. Dort haben die Gildebrüder bei der Festnahme eines Gildebruders und der Konfiskation von Waren diesen durch Geld und sonstige Hilfen zu unterstützen, und zum Ersatz ihrer Aufwendungen wird eine Umlage von allen Gildemitgliedern erhoben (Store Hedinge Art. 36, Kallehave Art. 13); die Unterstützung setzt voraus, daß die Waren durch "den König oder andere Fürsten" konfisciert worden sind. Da es in Mittelitalien um 1385/ 88 keinen König gab, wurde ein solcher in der Florentiner Risikoklausel weggelassen und stattdessen der Festnahme durch Fürsten die durch andere Städte hinzugesetzt. Diese kleine Abweichung der Formulierung ist ein deutliches Anzeichen für die Übernahme der Regelung von der dänischen in die florentinische Klausel. Die Pflichten zur Einlösung beschlagnahmter Waren und zur Zahlung von Lösegeld waren alte Gildepflichten, so schon 1025 in Valenciennes. Auch die Hilfe gegen Eingriffe von Königen und Fürsten in den Handel fremder Kaufleute kommt in den dänischen Gildestatuten schon früh in der Form vor, daß Gildebrüdern eine 606

So Neh1sen-v. Stryk, S. 167.

5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge

249

Klage "vor Herren und Machthabern inner Lands oder außer Landes" bei Gildestrafe verboten wird (Flensburg Art. 21 im Jahre 1200 u. a.). Da die Gilden der italienischen Städte viel stärker in die Stadtregierung eingebunden waren, stammt auch aus dieser Sicht das Risiko der Warenbeschlagnahme durch Fürsten aus den dänischen Statuten. Ebenso ist die "auffallend detaillierte Kasuistik der florentinischen Police (hinsichtlich der Eingriffe von Hoheitsträgern),,607 weniger durch die wiederholte Anfügung neuer Ergänzungen und "sich die auf den engen Wortlaut stützenden Einwendungen der Versicherer" zu erklären, sondern geht auf die Vorlagen der dänischen Texte zurück. Die Verbindung der Generalklausel mit der Aufzählung der Einzelrisiken in Florenz muß, wie dieses Beispiel zeigt, zu vielen Einzelfragen Anlaß gegeben haben und war juristisch ein Rückschritt an Klarheit, hat aber der Verbreitung dieser Risikoklausel keinen Abbruch getan, sondern diese sogar gefördert.

5.3.4 Schiffbruch und Piraterie Sind die Risiken Brand, Seewurf und des Festsetzen von Kaufleuten und Waren Fälle, für deren Versicherung in Italien keine Vorbilder bekannt sind, so konnten und werden die Gefahren von Schiffbruch und Piraten aus den Risikoklauseln aus Palermo und Pisa nach Florenz übernommen worden sein. Da bei Schiffbruch auch in den dänischen Gildestatuten seit 1245 eine Umlagepflicht in den Gilden existierte (Odense Art. 33, u. a.) und auch die Piraten in einem Verbot, mit ihnen zu konspirieren (z. B. Kallehave Art. 9 im Jahr 1256), genannt werden, kommen für Schiffbruch und Piraten mehrere Quellen infrage.

5.4 Die zeitliche Reihenfolge und der Weg der konkreten Risikoklausel

Es liegt nahe, die Frage, welche Regelung die andere beeinflußt hat, nach der zeitlichen Reihenfolge zu entscheiden. Die angezogenen Artikel der dänischen Gildeversicherung sind vollständig erst in dem Statut von Kallehave enthalten, das auf der Beratung in Skanör 1256 beruht, 1266 beschlossen und 1300 erneuert wurde (siehe oben 5. Kap.): Es ist auch schon in lateinischer Sprache, nicht wie die in Flensburg 1200 und Oden se 1245 in dänischer oder in deutscher wie das in Reval 1300 überliefert, war also in Italien ohne weiteres zu verstehen. Aus diesem Statut muß 1385 in Florenz direkt oder indirekt eine Kurzfassung in die Risikoklausel der Seeversicherungsverträge aufgenommen worden sein. Eine Übertragung in umgekehrter Richtung, also von Florenz nach Dänemark, etwa aufgrund einer falschen Datierung für die dänischen Gildestatuten, erscheint ausgeschlossen, weil die weitgehend übereinstimmenden Fassungen der Statuten (1)7

So Nehlsen-v. Stryk, S. 154 Anm. 18.

250

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

der Knuts- und Erichsgilden in der Gildeabsprache in Skanör 1256 festgelegt wurden, auf das Gildestatut von Flensburg 1200 zurückgehen, sich teils in frühen flandrischen Gilden finden und letztlich im Gildestatut von Exeter von 950 wurzeln. Eine Abstammung der dänischen Gildestatuten von solchen in Italien ist auch wegen der Entwicklung der dänischen Hilfegebote bei Seewurf aus dem Rechtsschutz bei Totschlag (mit Pferdegestellung) unwahrscheinlich, ebenso eine gemeinsame Wurzel. Allerdings erscheint es möglich, daß die dänischen Gilderegeln nicht direkt in die Florentische Risikoklausel eingeflossen ist, sondern vor 1385 in Statuten italienischer Gilden enthalten waren. Es bleibt eine Aufgabe insbesondere der italienischen Versicherungsgeschichtsforschung, die Einzelschritte des Wegs zur florentischen Risikoklausel aufzuklären. Ein Transfer dänischen Rechts, das selbst aus Flandern und England herrührt, in das Gebiet des Römischen Rechts, das Italien zu dieser Zeit war, ist ein außergewöhnlicher Vorgang, scheinbar ein Schwimmen gegen den Strom; er ist durch die Seeverbindungen zwischen den Häfen von Nord- und Ostsee mit dem Mittelmeer und das Seerecht zustandegekommen, vermittelt durch Kaufleute, auch die Italiener, die in Nord- und Ostseestädten Kontore einrichteten, wie die Medici 1413 in Lübeck 608 • Die Aufnahme der anschaulicheren, konkreten Risikoklausel ging mit der Durchsetzung des selbständigen Versicherungs vertrags gegen den Typenzwang des Römischen Rechts einher. Die Überlegenheit des Römischen Rechts im allgemeinen mußte hinter die Sachbezogenheit der neuen Seeversicherung zurücktreten.

5.5 Entwicklung und Verbreitung der Florentiner Risikoklausel um das Mittelmeer

Sogleich nach der ersten Verwendung der neuen Risikoformel 1385/88 wurde diese in Florenz in sämtlichen Policen der nächsten 150 Jahre und in Italien verwendet und sogleich verschieden ausgelegt, klargestellt und den jeweiligen Gepflogenheiten und dem Römischen Recht angepaßt, allerdings ohne die Risikofälle und die Struktur der Klausel wesentlich zu verändern. In Florenz werden schon 1397 der Klausel von 1388 einige Begriffe hinzugefügt, nämlich "rischio di Dio", "di ritenimenti ... d'alcun'altra persona", "perico10", "impedimento (Hindernis) 0 caso sinistro, che per verun modo ne potesse intervenire" . Es handelt sich um Übernahmen aus der pisanischen Klausel von 1379, allerdings nicht um neue Risiken, sondern um Klarstellungen und Zusätze, deren Zweck oben geschildert ist. 608

Favier, S. 186.

5. Die konkrete Risikoklausel der Seeversicherungsverträge

251

Die Klausel von 1397 lautet nunmehr609 : ..... i\ risehio di Dio, di mare, di gente, die fuoeo, die gitto di mare, di ritenimenti di signori 0 di Communi 0 d'a1cun alta persona, 0 di rappresaglia 0 d'arresto, d'ogni altro easo, perieolo, fortuna, impedimento 0 easo sinistro, ehe per verun modo ne potesse intervenire,"

Gefahren von "Gott, der See, den Piraten, dem Feuer, dem Seewurf, von Zurückhaltungen durch Fürsten, Städte oder irgendwelche anderen Personen, oder von Repressalien, Beschlagnahmen oder einen anderen Fall, in Gefahr, im Unglück, eines Hindernisses oder Unheil, gegen die man auf keine Weise etwas unternehmen kann." Im nächsten Jahrhundert wird die Florentinische Risikoklausel wenig verändert, - 1391 in der Toskana61O und - 1404, 1405 von den Medici 611 dort ergänzt um ,,ruberia" (= Raub) durch Fürsten u. a., um die Ausnahme bei "stiva" (= fehlerhafte Verstauung der Waren) und die Veruntreuung von Waren durch den Schiffer (patronus)612. Die Florentiner Risikofonnel verbreitet sich nach 1388 schnell, so durch Florentiner Kaufleute schon 1393 und 1395 in Venedig613 , dort verkürzt ohne die Repressalienfonnulierung. Sie geht auch in die Policen der Stadt Ancona an der Adriaküste ein 614 : - 1425 erscheint sie in Montpellier in Frankreich61s . - 1431, vennutlich schon 1427, auch 1452, 1459 verweisen Verträge in Genua auf das risicum ad florentinam oder alla fiorentina, teils von Florentiner Kaufleuten dort verwendet616 . - 1444 wird in Venedig die Florentiner Klausel verwendet617 , und dort werden 1455 Zusätze hinzugefügt618 : riscio di mare, di gente, di fuoco e di ogni caso fortuito, salvo di avaria dei carichie e salvo guasto e calo (einschließlich der Haverei (wohl mit Seewurf) und dem Ersatz von Verderb und Schwund der Ladung). - 1498 wird in Neapel619 die Florentiner Klausel um die aus Palenno von 1477 ergänzt (siehe oben 4.1.5). 609

610 611

612

613 614

615 616 617

618

Edler F1orenee, S. 34; Seffen, Entstehung, S. 26. Melis, Tafel XXXVHr. Melis, Tafel XXIII, XXIV, S. 193. Nehlsen-v. Stryk. S. 153. Nehlsen-v. Stryk. S 151. Nehlsen-v. Stryk. S. 167. Nehlsen-v. Stryk. S. 154 Anm. 15. Melis, Tafel IX u. X. Melis, Tafel XXVI und S. 195. Melis, Tafel XXVII.

252

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

- 1499 wird in Florenz die dortige Klausel durch weitere Ausschlußgründe ergänzt 62o. - 1552 wird in Sevilla621 die gleiche Klausel wie in Florenz 1499 verwendet, ebenso in allen spanischen und französischen Seestädten und darüberhinaus bis zur Gegenwart622 mit geringen Abweichungen. Was als Risikoübernahme a la fiorentina in Versicherungsverträgen in anderen Seestädten bezeichnet und "zumindest im mediteranen Bereich zum stehenden Ausdruck geworden,,623, ist, sind weitgehend die Risikofälle der dänischen Statuten. Obgleich die Generalklausel (jedes Seerisiko ) aus Palermo 1350 und die besonderen Risiken aus Dänemark (Kallehave 1256/1300) stammen, ist den Florentinern gestützt auf ihre große Kapitalkraft, die weite Verbreitung der konkreten Risikoklausel zu verdanken.

5.6 Das Wagnis als zentraler Begriff der Versicherung Mit der Übernahme der Risikoklausel aus Dänemark nach Florenz wurde auch der Gedanke der Versicherung übernommen, beides war und ist untrennbar. Es wurde sogar die Philosophie, d. h. die Grundeinstellung des Kaufmanns ausgewechselt; das Seedarlehen mit der glücklichen Ankunft des Schiffes ging nämlich von der Hoffnung auf einen positiven Ausgang des Seetransports aus, für den die Ursachen nicht interessierten. Demgegenüber geht jede Risikoklausel von der Ungewißheit der Ankunft aus, von deren Geflihrdung. Daraus entnimmt jeder Versicherer die Anforderung, die Gründe für die Verluste zu erfassen, in die Kalkulation des Wagnisses einzubeziehen, die Prämie wagnisgerecht zu bemessen und den Schäden auf möglichst direktem Wege vorzubeugen, sowohl durch Vorsichtsmaßnahmen wie durch Risikobegrenzungsklauseln. Die dänischen Statuten brachten aufgrund der historischen Hinzufügungen eine Aufspaltung der allgemeinen 'Seegefahr mit. Mit der Klausel von der glücklichen Ankunft wurde diese Aufspaltung in Italien ein Jahrhundert lang überbrückt und nicht fortentwickelt, sie war sozusagen eine Klausel der Guten Hoffnung. Für den nüchternen Kaufmannsgeist, der in Italien mit der Buchführung die Statistik gelernt hatte, war die dänische Risikoklausel das lang erwünschte Instrument und die ihm einleuchtende "Welt-"Anschauung; kein Wunder, daß die Kaufleute sie weitere 300 Jahre beibehielten 624 und sie heute noch im Gesetz erkennbar ist.

619 620 621 622 623 624

Melis, XXIX und XXX und S. 198. Melis, XXXI und XXXIV. Melis, XXXV und XXXVI. Neh1sen-v. Stryk, S. 151. Nehlsen-v. Stryk, S. 154. Nehlsen-v. Stryk, S. 151.

6. Weitere Vertragsinhalte der Seeversicherungsverträge

253

5.7 Die Risikoklausel im deutschen Handelsgesetzbuch

Im 10. Abschnitt des Vierten Buches des Handelsgesetzbuches vom 10. Mai 1897, das heute noch gilt, ist die "Versicherung gegen die Gefahren der Seeschifffahrt" geregelt. Der § 820 umschreibt den Umfang der Gefahrtragung in der Versicherung und führt nach der Generalklausel "alle Gefahren, denen Schiff oder Ladung während der Dauer der Versicherung ausgesetzt sind"

die folgenden Beispiele auf: I. Die Gefahr der Naturereignisse und der sonstigen Seeunfälle - wie Eindringen des Seewassers, Strandung, Schiffbruch, Sinken, Feuer, Explosion, Blitz, Erdbeben usw.; 2. die Gefahr des Krieges und der Verfügungen von hoher Hand; 3. die Gefahr des Arrestes; 4. die Gefahr des Diebstahls sowie des Seeraubs, der Plünderung und sonstiger Gewalttätigkeiten; ...

Die fünf kursiv gedruckten Begriffe sind diejenigen, die die italienischen Seeversicherungsverträge des 14.115. Jahrhunderts aus den dänischen Gildestatuten des 13. Jahrhunderts übernommen haben. Der Seewurf (§ 706 Nr. 1) und das Lösegeld für Schiff und Ladung bei Anhaltung des Schiffes durch Seeräuber (§ 706 Nr. 6), die ebenfalls in den dänischen Gildestatuten versichert waren (siehe oben 9. Kap. 1.1), rechnen zur Großen Haverei, die ebenfalls zur Seeversicherung gehört (§§ 779, 834).

6. Weitere Vertragsinhalte der Seeversicherungsverträge

In den privaten Seeversicherungsverträgen nach 1385 werden schon bald nähere Bestimmungen über die Inhalte der Versicherungen vereinbart und Klauseln mit verschiedenen Zwecken herausgebildet.

6.1 Versicherungssummen

In den Verträgen in Pisa/Florenz werden, wie schon in Palermo, Versicherungssummen für die versicherten Waren angegeben. Sie betrugen z. B. 1397 2 100 Goldgulden und 1428 2000 Goldgulden, ein Durchschnitt kann nicht angegeben werden. In Venedig zeichneten die Versicherer im 15. Jahrhundert üblicherweise für eine Summe von 100 Dukaten, aber auch höher. Häufig zeichnen für eine Ware oder Warenladung fünf, aber auch zehn oder mehr Versicherer625 , so daß zusammen auch bis zu 10 000 Dukaten vorkommen (der jährliche Lebensunterhalt erfor-

254

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

derte zwischen 20 und 50 Dukaten). Mit der Versicherung einer bestimmten Summe wurde die Unsicherheit begrenzt. Die Beträge können entweder geschätzt, z. B. durch Makler, oder vom Versicherer, prinzipiell aus Vorsicht unter dem wirklichen Wert, zugesagt worden sein. Jedenfalls gab es vom Beginn der Seetransportversicherung an keine Versicherung von Waren, ohne daß ein Wert angesetzt wurde, damit wurden Streitigkeiten darüber vermieden und Über- und Unterversicherungen begrenzt. Diese Gepflogenheit wird vermutlich aus den gewohnten Verbuchungen und aus der Zeit der Seedarlehen überkommen sein.

6.2 Die Kosten in der Seeversicherung Die Kosten in der Seeversicherung - der Ausdruck Prämie wird erstmals 1552 verwendet - werden in den Verträgen gesondert berechnet. Sie waren im zeitlichen Vergleich gering; sie betrugen nämlich 1385/1393 nur drei bis vier Prozent der Versicherungssumme, in Venedig im 15. Jahrhundert meist 2 - 3 Prozent626 . Anscheinend waren sie gegenüber den Kosten der Seedarlehen (einseh!. der Zinsen) beträchtlich gesunken, seit diese mit einer Nichtigkeitsklausel versehen waren. Die Konkurrenz bei der Höhe der Unkosten bewirkte vermutlich über alle Vertragsformen hinweg eine Senkung der Berechnung. Außerdem war die Berechnung abhängig627 vom Abschlußort - sie waren z. B. in Konstantinopel deutlich höher -, von der jeweiligen Fahrroute und ihrer Länge, der Jahreszeit (im Winter wegen der häufigen Stürme höher), den jeweiligen zwischenstaatlichen Beziehungen (im Kriegsfalle Kapergefahr), von dem mehr oder weniger häufigen Auftauchen von Seeräubern auf der jeweiligen Route und vor allem von dem jeweiligen Schiffstyp. Die von Francesco di Marco da Prato in der Zeit 3. August bis zum 23. September 1384 abgeschlossenen 10 Versicherungen wiesen folgende Prämien auf: Für die Strecke Cadiz - Sluys (Brügge) oder Southampton 8% der Versicherungssumme; Pisa - Peniscola (zwischen Barcelona und Valencia) 3 bis 4%; Pisa - Neapel oder Tunis 4%, Pisa - Barcelona oder Palermo 4 bis 5%. In den Rechnungsbüchern des Florentiner Kaufmannes Bernardo Cambi 628 aus den Jahren 1442 bis 1477 betrug die niedrigste der dort aufgeführten Prämien 1% für die Entfernung Pisa - Neapel im' Jahre 1472 auf einer florentinischen Galeere, die neben den venezianischen Galeeren als das sicherste Schiff galt. In der Mitte des 15. Jahrhunderts machen die Versicherungskosten für eine einzige Reise von Genua 1,5% nach Marseille, 5-7% nach England, 10% nach Flandern und für ein ganzes Jahr etwa 36% des versicherten Wertes aus629 •

625 626 627 628 629

Nehlsen-v. Stryk. S. 63. Nehlsen-v. Stryk, S. 69. Zusammenstellung aus Seffen, Entstehung, S. 28, übernommen. Wie vor, von de Roover veröffentlicht. Favier, S. 271.

6. Weitere Vertragsinhalte der Seeversicherungsverträge

255

6.3 Die Prämie

Die vorherige Entrichtung der ,,Prämie" wird z. T. als wesentlich für die Unterscheidung der Versicherung von andern Sicherungsformen angesehen. So sehen die Ordonanzen von Barcelona schon 1435 die Zahlung der Prämie bei Abschluß des Versicherungsvertrags vor, aber es erscheint fraglich, ob dies vor 1435 und außerhalb von Barcelona geltendes Recht war. Die Auswertung von Policen und Prozeßakten in Venedig 630 hat überraschenderweise ergeben, daß die Prämien dort von den Versicherungsmaklern eingezogen, weitergeleitet oder verrechnet wurden, womit die Verhältnisse durch den Hinzutritt eines Dritten komplizierter wurden. Versicherungsnehmer und Versicherer hatten sich hinsichtlich der Prämie an den Makler zu halten, und "die strenge Regelung der Ordonanzen von Barcelona" galt in Venedig nicht, vielmehr wurden "flexible Praktiken" verwendet. Die Vorstellung von der zentralen Bedeutung der Prämie rur die Seeversicherung läßt sich also rur die ersten sechs Jahrzehnte nach 1385 nicht belegen, vielmehr stand die Zusage einer Versicherungsleistung im Vordergrund - wie bei der Gildeseeversicherung (anders als in den Gesellenversicherungen). Der Versicherungsmakler war nicht nur bei Abschluß des Versicherungsvertrags, sondern auch bei dessen Abwicklung tätig, er war in der Auffassung der italienischen Versicherungsgeschichtler631 die "zentrale Figur" des Versicherungsmarkts, keineswegs nur in Venedig. Der Makler handelte in der Regel mit dem Versicherungsnehmer die Police aus und begab sich dann auf die Suche nach Versicherern, er war auch "die erste Anlaufstelle" bei Schiffsunglücken und zudem zwischendurch mit vielfachen Änderungswünschen bei der Vertragsparteien befaßt. Sicherlich waren die Makler in einer Gilde organisiert.

6.4 Die Streuung der Risiken

An den Versicherungsverträgen mit hohen Versicherungsummen beteiligten sich eine Reihe von Bankiers632 , so an dem von 1397 über 2 100 Goldgulden elf und an dem von 1428 sogar 15, jeder einzelne mit 100 bis 300 Gulden. Die Beteiligung mehrerer weist auf die Gepflogenheiten der Gilden hin; in einigen flandrischen und dänischen Statuten wird nämlich vorgeschrieben, daß ein Gildekaufmann die Waren, die er verkaufen will, zuerst seinen Gildegenossen anbieten muß, und daß, wenn er an einem Geschäft andere beteiligen will, Gildegenossen verlangen können, mitbeteiligt zu werden. Die Beteiligung vieler Kaufleute an einem Seevertrag war also rur die Gildegenossen eine auf Gilderecht beruhende Gepflogenheit, die hier auf ein Geldgeschäft ausgedehnt wurde. Schon in Exeter 630 631 632

Durch Nehlsen-v. Stryk, S. 70 und 78. Nehlsen-v. Stryk, S. 60. So schon bei den Seedarlehen (so Seffen, Entstehung, S. 25), siehe oben 10. Kap. 2.

256

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

950 wurde ja bei Seedarlehen eine Pflicht aller Gildemitglieder dazu festgelegt, sie bewirkte schon damals eine Verteilung der Seegefahr auf viele mit geringer Belastung des einzelnen wie später bei der Seeversicherung. Umgekehrt kamen dadurch bei einem Bankier viele kleinere Versicherungssummen, für die er haftete, zusammen, und das Risiko, daß er aus allen seinen Verträgen auf einmal herangezogen wurde, sank wegen der Streuung der Risiken. Der Fortschritt durch die Versicherung liegt eben in dem verringerten Kapitaleinsatz und den eingesparten Zinsen und erforderte weniger Geldbewegungen als vorher.

7. Die Schritte zur privaten Seeversicherung Die Entstehung der privaten Seeversicherung ist komplizierter verlaufen, als es bisher angenommen wurde. Sie geht auch in Italien vom Seewurf aus, dessen interne Gefahrverteilung aus dem römisch-rhodischen Seerecht stammt. Er war, ähnlich wie in Dänemark, in der Tabula Amalfitana und in Ragusa (1272) auf den Schiffbruch mit Ersatz von Gilden oder Kommunen ausgedehnt worden, allerdings sind über diese beiden Beispiele hinaus keine weiteren bekannt, so daß man - wie in Dänemark im Verhältnis zu Deutschland - mit einer Begrenzung auf SüditalienSizilien rechnen muß. Die portugiesische gesetzliche Gildeversicherung des Schiffbruchs ab 1367 war von Schiffbruchversicherungen in den nordischen Ländern beeinflußt; sie stellt eine landesweite Vereinheitlichung älterer örtlicher Gildeseeversicherungen in Portugal dar, die auf die Seestädte im südwestlichen Mittelmeer eingewirkt haben dürfte. Es ist daher kein Zufall, daß die ersten privaten Seeversicherungsverträge 1350 in Palermo gerade in diesem Bereich des Mittelmeeres zu finden sind; die Risikoformeln dort und in Portugal weisen Ähnlichkeiten auf, die auf eine gemeinsame Vorgängerin deuten. Sie waren die ersten, die das Glücksspiel, das auf die glückliche Ankunft des Schiffes abstellte, durch eine Risikoklausel (Gefahrumschreibung) ersetzten, indem sie römisch-rechtliche Konstruktionen wie das Seedarlehen oder die Kauf- / Rückkaufklauseln wegließen. Dies wurde durch einen Generationswechsel unter den Notaren in Palermo ermöglicht, der wahrscheinlich durch die Pest beschleunigt worden war. Die allgemeine Formulierung (Generalklausel) des Seerisikos wird erst 29 Jahre später in Pisa wiederholt, und sogleich auf den Warentransport zur See und zu Lande angewendet, bleibt aber dort nur 6 bis 22 Jahre in Gebrauch und wird seit 1385 durch die florentinische Risikoklausel verdrängt. Florenz übernimmt 1385 die Risiken der dänischen Seeversicherung bei Schiffbruch und wendet sie zusammen mit der Generalklausel aus Palermo / Pisa auch auf den Warentransport an. Diese Risikoklausel gilt, ergänzt, bis zur Gegenwart. Abgesehen von dem zeitlich möglichen Einfluß der Flensburger Seewurf-Gildeversicherung 1200 auf die Tabula Amalfitana und Ragusa, hat die nordische, ei-

8. Die Entstehung der Strukturen der privaten Seeversicherung

257

gentlich dänische Gildeseeversicherung ab 1245 zweimal das Vorbild für die Seeversicherung abgegeben: Sie hat auf die portugiesische Gildeversicherung in der Mitte des 14. Jahrhunderts (und von dieser weiter) eingewirkt und ihre konkrete Risikoklausel wurde 1385 von den Florentiner Seeversicherungen übernommen. Mit den Risikoklauseln wanderte die Seeversicherung mit. Selbstverständlich könnte die Entstehung der privaten Seeversicherung noch vielgestaltiger und komplizierter verlaufen sein und noch besser aufgehellt werden, aber eine Rückkehr zu der einfachen Vorstellung von der Selbstentwicklung aus römisch-rechtlichen Vorläufern dürfte nicht mehr zur Diskussion stehen. Die "Privatisierung" der Gildeseeversicherung bleibt, auch wenn es keine Erfindung der Seeversicherung war, eine bedeutende Leistung der italienischen Kaufleute, erst recht ihre Weiterbildung und weite Verbreitung.

8. Die Entstehung der Strukturen der privaten Seeversicherung Zur Entstehung und zur Verbreitung der privaten Seeversicherungsverträge mußten eine Reihe tragfähiger und günstiger Umstände zusammenkommen.

8.1 Die Isolierung der versicherten Risiken durch Seeverkehr und Seerecht

Die Isolierung der versicherten Risiken war durch den Seeverkehr vorgegeben und im Seerecht erfaßt. Der Seeverkehr schied sowohl Kriegsschiffe wie Fischereischiffe aus den zu versichernden Objekten aus, andrerseits verdanken ihm die Klauseln über die Unterscheidung von Handelsschiffen im Hafen und auf Fahrt zur See - so im portugiesischen Gesetz nach 1367 -, mit oder ohne Beladung - so in Palermo 1350 - ihre Existenz. Aus dem Seerecht stammen die Unterscheidungen von Schiffbruch, wiederherstellbarem oder nicht wiederherstellbarem Teilschaden, Leckage u. ä., auch die der unterschiedlichen Rechtsfolgen für Schiff und Ausrüstung desselben, Ladung und Frachtkosten. An diese Unterscheidungen konnte die Seeversicherung anknüpfen, wie es vor ihr schon das Seedarlehen und die Regeln über die Gefahrtragung zwischen dem Schiffer und den mitreisenden Kaufleuten, den (Mit)Eigentümern des Schiffes und der Waren getan hatten 633 , z. B. schon 1248-1260 in Marseille. Die Existenz eines differenzierenden, ausgefeilten Seerechts in allen Seestädten bildete also die Grundlage für die private Seeversicherung. Vorher, bei der ersten Gildeseeversicherung 1245 in Odense, war es noch weit weniger differenziert gewesen.

633

Perdikas, 1966, S. 457.

17 Schewe

258

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

8.2 Die Untergliederung der versicherten Objekte

Der Ertrag eines Seetransports soll eine Reihe von Kosten decken, nämlich den Unterhalt und die Arbeitsleistung des Schiffers und der Besatzung, die Zinsen für die Vorfinanzierung dieser Unterhalts und der Arbeitsleistung in der oft sehr langen Transportzeit, die Abschreibungen des in das Schiff und seine Ausrüstung gesteckten Kapitals und dessen Zinsen sowie die Versicherung aller Kosten und der Waren gegen die Seegefahr. Zwischen den einzelnen Kosten wurde erst im 14. Jahrhundert unterschieden, als die Buchführung aufgekommen war, z. B. bei Pegolotti 1330-1340 (siehe oben 11. Kap. 5.2). Solange, wie schon in der Antike, bei einer Fremdfinanzierung aller Kosten durch ein Seedarlehen dessen Preis, der Unterschied zwischen der Höhe des Darlehens und der Rückzahlung, nicht aufgespalten war, interessierten die Beteiligten die Kosten der Seegefahr nicht. An dieser Ungeschiedenheit der Kosten für Zinsen und Gefahrtragung setzte bekanntlich das päpstliche Verbot des Seedarlehens an, weil Zinsen als Wucher angesehen wurden (siehe oben 11. Kap. 1.2 und 7.) und, um dieses Verbot zu umgehen, behaupteten die Geber der Seedarlehen, daß sie das Darlehen "gratis et amore" verliehen hätten. Seedarlehensverträge, die in einen zinslosen und einen entgeltlichen Teil aufgespalten wurden, waren wegen der institutionellen Unteilbarkeit des Seedarlehens ebensowenig glaubhaft. Eine Versicherung konnte erst Platz greifen, als die Unterschiede erkannt wurden und bezifferbar geworden waren, und zwar nicht nur die zwischen Zinsen und Gefahrtragung, sondern auch die zwischen Fracht (Dienstleistung) und dem eingesetzten Sachkapital, also Schiff und Ausrüstung sowie den Waren. Die Seeversicherung sparte die Zinsen entsprechend von vornherein aus, die dänische Gildeseeversicherung auch die Fracht und die Waren, die nur bei Seewurf (seit 1200) versichert waren. Die private Seeversicherung ersetzte also einerseits das Seedarlehen nicht völlig und deckte andrerseits mehr Leistungsfälle als die Gildeseeversicherung ab, auch als die portugiesische ab 1367.

8.3 Erweiterung und Begrenzung der Risiken - ein Vergleich

Auf dem Wege der Aufgliederung der Risiken, ihrer immer genaueren Erfassung und Beschreibung schritt die private Seeversicherung sogleich nach ihrer Entstehung fort. Dabei ist der 1385 übernommene Kern der Risiken der Seeversicherung anschließend schrittweise wesentlich erweitert und verbessert worden. So wurden die Risiken auf die verschiedenen Arten von Verlusten ausgeweitet, vermutlich in Konkurrenz zum gewohnten Risikoumfang beim Seedarlehen. Auch wurden die einbeschlossenen Haftungsgründe differenzierter unterteilt und damit genauer beschrieben, z. B. durch die Einführung des Begriffs der höheren Gewalt infolge des Einflußes des römischen Rechts.

8. Die Entstehung der Strukturen der privaten Seeversicherung

259

Andrerseits wurden die Risiken auf verschiedene Weise zu begrenzen versucht. Die Begrenzung des Risikos des Versicherers geschah in erster Linie durch die Festlegung der Versicherungssummen. Deren Verwendung war den italienischen Kaufleuten auch durch die Buchführung, aber vor allem durch das Seedarlehen, dessen Summe ja bestimmt sein mußte, gewohnt. Im Seeversicherungsvertrag erhielt es jetzt automatisch eine andere Bedeutung, war nämlich nicht mehr zurückzuzahlen, sondern die Höchstsumme für den Schadensersatz. Einen weiteren Weg zur Risikobegrenzung schlug die private Seeversicherung mit Aufzählung von einzelnen Risiken ein, seitdem 1385/88 die Florentiner Risikoklausel die Einzelrisiken der dänischen Gildeseeversicherung von 1256 übernommen hatte. Damit standen im Seeversicherungsvertrag die Risiken klar vor Augen der Beteiligten und wiesen die Geschädigten auf den Weg zur differenzierten Begründung des Versicherungsfalls. Hinzu traten schließlich eingrenzende Klauseln, die die willkürliche Ausnutzung der Generalklausel einengen sollten. Mit den Risikobegrenzungen hat die private Seeversicherung 1385 den Stand erreicht, den die dänische Gildeseeversicherung hatte; denn diese kannte mangels der Entwicklung abseits vom Römischen Recht keine Generalklausel und war durch die Hinzufügung der einzelnen Risiken zu den ursprünglichen entstanden.

8.4 Die Bemessung der Beiträge

Die Mittel für den Schadensersatz in Versicherungsfällen wurden in den Gildeversicherungen durch Umlagen aufgebracht, und die Umlagen waren für alle Gildegenossen gleich hoch (ausgenommen bei Bergleuten und Gesellen), wie es ja auch bei Gildemahl und bei der Aufteilung des Marktes gehandhabt wurde. In den privaten Seeversicherungsverträgen in Italien und schon in den vorhergehenden Seedarlehen wurden die Beiträge in einem Prozentsatz vom Anteil oder von der Versicherungssumme berechnet, und nur die Prozentsätze waren jeweils gleich hoch. Die Anteile konnten und wurden individuell vereinbart, indem vom Versicherer eine feste Versicherungssumme gezeichnet wurde und die besonderen Gefahren des Schiffes und der Waren, z. B. beim Transport von Salz, eingeschätzt wurden. Hinzu kam die Tarifierung der Entfernung der Zielhäfen und der dortigen Gefahr, z. B. durch Seeräuber. Auf der vorherigen Existenz und Gewohnheit dieser Preisgestaltung in den Verträgen über Fernkäufe und Seedarlehen konnte und mußte die private Seeversicherung aufbauen. Es handelt sich dabei um die Strategie der Risikobewertung, die seitens der Versicherer heute noch und erst recht verfolgt wird.

17"

260

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

8.5 Die Isolierung des Geldgeschäfts vom Warenhandel

Die Entstehung der privaten Seeversicherung hatte die vorherige Entwicklung des Geld- und Bankwesens zur Voraussetzung. Innerhalb dieser haben sich drei spezielle Strömungen herausgebildet, nämlich - die Verselbständigung der Geldgeschäfte und die Aussonderung der Bankiers aus den Kaufleuten, - die Ansammlung großer Vermögen, - die Ansammlung vieler zu versichernder Seetransporte. Bei einem Fernkauf oder einem Seedarlehen waren modellhaft vier Beteiligte an dessen geschäftlichen Erfolg interessiert, Verkäufer, Käufer, Schiffer und Darlehensgeber, jedoch zwei oder drei auch in einer Person. Die Formel von der glücklichen Ankunft der Waren oder / und des Schiffes oder die Knappheit des Kapitals band sie zusammen. Erst als ein Fünfter, der nicht ohnehin am Transportergebnis interessiert war, hinzutrat, erhöhte sich die Sicherheit der andern. Es mußte also erst die Gefahrübernahme vom Interesse an dem Geschäft und dessen Finanzierung gelöst werden, dies geschah in den oben genannten drei Stufen. Für die erste Stufe war die Gründung von besonderen Gilden für Geldwechsler und Bankiers, so schon im 12. Jahrhundert in Bergamo, ein deutliches Anzeichen. Erst die Isolierung des Geldgeschäfts vom Warenhandel und damit eines Geschäfts mit einem beschränkten Risiko von einem auch der Seegefahr ausgesetzten vermochten es, daß Vertrauen von Seekaufleuten und Schiffern auf sich zu ziehen. Was hätte es denen, die Sicherheit vor der Seegefahr suchten, genutzt, wenn die Gewährleister von der gleichartigen Gefahr wie sie bedroht gewesen wären?! Die Bankiers wucherten mit dem Pfunde der von ihnen angebotenen finanziellen Sicherheit, und ihre Gildezugehörigkeit verstärkte ihre Stellung in doppelter Weise: In den Seestädten ließen sich z. B. fremde Kaufleute und Schiffer auf die dortigen Versicherer ein, weil sie wegen des Kartellverhaltens der Bankiersgilden keine große Wahl hatten, andrerseits aber auch mit einer gewissen Kontrolle von deren Geschäftsgebaren seitens der Gilde rechnen konnten.

8.6 Die Zahlungsfdhigkeit von Gilden und Einzelversicherer

Für eine Versicherung ist nicht nur das Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Schadensersatz, sondern auch eine Garantie dafür erforderlich, daß die Zahlungen tatsächlich erbracht werden können (Solvabilität). In den Gildeversicherungen war die Zahlungsfähigkeit in den Augen der Gildemitglieder dadurch gesichert, daß der benötigte Betrag durch viele, aber kleine Beiträge aufgebracht werden konnte und die Gilde bereit war, dazu ihre Machtmittel einzusetzen (was selbstverständlich war). Ein Übergang zur vertraglichen Seeversicherung setzte voraus, daß ein einzelner Versicherer (oder seine Familie) ein so großes Geldvermögen besaß, daß

8. Die Entstehung der Strukturen der privaten Seeversicherung

261

es die gleiche Leistung wie die Gildemitglieder zusammen erbringen konnte, auch dann, wenn mehrere Zahlungsfälle zusammentrafen. Geldvermögen in dieser Höhe waren im 14. Jahrhundert infolge des dortigen großen Geldverkehrs um 1300 nur in den Seestädten Italiens, allenfalls noch in Brügge, angesammelt. Die private Seeversicherung war nur dort in der Lage, an die Stelle einer genossenschaftlichgegenseitigen Haftung zu treten.

8.7 Die gleichanige Bedrohung vieler Zur Versicherung gehört auch eine größere Zahl solcher, die von gleichen Risiken bedroht werden und eine Gemeinschaft von gleicher Gefahr Bedrohter bilden können. Die Zunahme des Warenverkehrs zur See und der gewachsene Rauminhalt der Schiffer im 14. Jahrhundert (siehe oben 10. Kap. 1. und 2.) halfen dazu, diese Voraussetzung zu erfüllen, aber ebenso vergrößerte sich das Angebot der Versicherer und an Versichern dadurch, daß deren Kapitalbedarf gegenüber der Zeit der Seedarlehen sank und die Seeversicherung billiger als jene wurde. Für jede einzelne dieser Erscheinungen existieren Belege, aber ihr Zusammenwirken beim Zustandekommen und der Verbreitung der privaten Seeversicherung ist noch weitgehend ungeklärt, zumal es von Stadt zu Stadt zeitlich unterschiedlich gewesen sein könnte. Insbesondere ist die gegenseitige Abhängigkeit von Kapitaleinsatz und Zahl der Versicherungsverträge, wie sie am Beispiel des Geschäftsumfangs der Familie Cattaneo in Genua, Palermo und Spanien greitbar wird (siehe oben 12. Kap. 1.1), noch ungeklärt.

8.8 Die Gilden als Rahmen der privaten Seeversicherung In der Entwicklung der Seetransportversicherung in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts ist die Rolle der Gilden bisher stark unterschätzt worden, weil in dieser Zeit erstmals die Gestalten einzelner Kaufleute plastisch hervortreten, z. B. der Datini in Prato und schon der Medici in Aorenz, obwohl sie noch nicht typisch waren. Die ähnlichen Inhalte der seestädtischen Gildestatuten (siehe oben 10. Kap. 3.), insbesondere die Herausnahme der Kaufleute aus der allgemeinen Gerichtsbarkeit, und die kartellartigen Verhaltensweisen der Versicherer, so die Beteiligung von Gildegenossen am Vertragsschluß, lassen die Einbettung auch der neuen Seeversicherungsverträge in die Gilden erkennen. In diesem Rahmen kann die Übernahme des Prinzips der Versicherung in Italien, also des vorher zugesagten Ausgleichs von Schäden durch Dritte, und der Risikoformel in Aorenz aus den dänischen Gilden nicht verwundern. Weil Gildemitglieder in Gegenseitigkeitsversicherungen sowohl Versicherte wie Versicherungsnehmer waren, erleichterte es die dänische Risikoformel den italienischen Versicherern in ihren Gilden, an die nähere Beschreibung der Gefahren anzuknüpfen und Begrenzungen hinzuzufügen; die

262

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

Risikofonnel aus den dänischen Gilden war also zum Ausschluß zu hoher Risiken besser geeignet, setzte sich mittels des gleichmäßigen Verhaltens der Versicherer als Gildemitglieder durch und überspielte so die Konkurrenz anderer Städte, insbesondere Genuas. Zwar wurden im Norden alle Gildegenossen herangezogen, in Italien aber nur diejenigen, die besondere Verträge schlossen, jedoch finden sich ähnliche Auflockerungen in den gleichen Jahrzehnten auch in den dänischen und deutschen Gilden (siehe oben S. 145). Die Gilde bestimmte zwar nicht mehr die eigentliche Geschäftstätigkeit des Femkaufmanns, war aber noch als Rahmen und Stütze unentbehrlich, wie die stadtstaatlichen Gesetzgebungen zeigen.

9. Elemente der Seeversicherung im Zeitablauf in Dänemark und Italien Die bisherige Versicherungsgeschichte hat sich bis zu und noch nach den Untersuchungen Perdikas 1966 - 1980 bemüht, eine Reihe von Möglichkeiten und Rechtskonstruktionen zu entdecken, die logischerweise vorhanden gewesen sein müßten, um vom Seedarlehen zur Seeversicherung zu gelangen, aber in der Wirklichkeit fehlen. Sie hat, geblendet vom Römischen Recht, die grundsätzlichen Unterschiede zwischen beiden unterschätzt. Im folgenden wird umgekehrt vorgegangen: Es werden acht Elemente, die in den Urkunden auftreten, daraufhin untersucht, wann sie frühestens in die späteren Seeversicherungen aufgenommen worden sind. Erst aus dem Zusammenspiel dieser und weiterer Elemente läßt sich die Herkunft der privaten Seeversicherung erklären 634 •

9.1 Übersicht Elemente der Seeversicberung im Zeitablauf in Dänemark und Italien I. Isolierung der Risiken für a) Schiff + Ausrüstung b) Waren

2. Getrennte Berechnung

c) Frachtkosten a) der Gefahrtragung b) der Verzinsung während der Transportzeit

3. Unterscheidung der Gefahrveneilung

634

eigenes Gut oder das der Vertragspartner

Gildeversicherung Dänemark seit 1245 im Seerecht allgemein verbreitet in Palermo 1350 durch nachträgliche Umlage 1200 (Flensburg) 1379? 1385? Palermo 1350 für Schiff, für Pisa 1379, Florenz 1385

Ähnlich schon Perdikas, 1966, S. 507 unten, aber anders S. 508.

9. Elemente der Seeversicherung im Zeitablauf in Dänemark und Italien 4. Umkehrung der Klauseln von

5. Begrenzung durch

263

a) ..Glückliche Ankunft"

so Seedarlehen, Kauf-/ Rückkaufverträge und Nichtigkeitsklauseln (1347)

b) zu Schiffbruch

Odense 1245

c) genauere Definitionen der Seegefahr

Store Hedinge, Kallehave 1256, in Verträgen ab 1385

a) Versicherungssummen

in der Gildeversicherung 1245 (automatisch), in Palermo 1350 (ausdrücklich)

b) besondere Klauseln

nach 1385

6. Kollektiv durch Ansammlung gleichartiger Wagnisse

alle Gildeversicherungen

bei privaten Versicherern ab 1350/1385

7. Zahlungssicherheit (Solvabilität)

a) durch Verpflichtung der (vielen) Gildemitglieder

Gilderecht 1200 (Herkunft aus 950)

b) durch hohes Geldvermögen einzelner

schon im Seedarlehen seit 1141, später durch anteilige Haftung mehrerer

c) durch ..Privatisierung" der Seeversicherung in Anteilen

1350 in Palermo, 1379/ 1385 Pisa / Florenz

seit 1256 in Gildeversicherungen

seit 1350 in Palermo

8. Verminderung des Geldbedarfs durch Risikenausgleich

An der Übersicht ist der hohe Anteil an den Elementen zu erkennen, die schon in der Gildeversicherung in Dänemark ab 1245 vorhanden waren, und deren zeitlicher Vorsprung. Die Gildeversicherung hat von ihrem Anfang an den Verlust des Schiffes und eines Teils der Ladung als Ansatzpunkt genommen und ihn, wenn auch verbesserungsbedürftig, bezeichnet, während die italienischen Schadensdekkungen noch ein Jahrhundert länger von der glücklichen Ankunft des Schiffes ausgingen. Dies hat der Anwendung der neuen Deckung der Seegefahr im Wege gestanden, obwohl die neue schon lange in der Luft lag.

9.2 Zusätzliche Sicherheiten in Dänemark und Italien

Ziel der Kombination ist es, die Sicherheit eines Transports zu erhöhen, und zwar dadurch, daß ein Dritter, der Versicherer, bei Eintritt der Gefahr den Schaden übernimmt und dadurch rechtlich und wirtschaftlich die entlastet, die die Gefahren sonst tragen. Verträge, in denen die Gefahrtragung auf einem Transport zwischen dem Wareneigentümer und dem Schiffer nur anders als üblich verteilt wird, schaffen keine zusätzliche Sicherheit, stellen keine Versicherungen dar, sind aber für das 13. und 14. Jahrhundert schwer von Versicherungsverträgen zu unterscheiden,

264

12. Kap.: Die Entstehung der privaten Seeversicherung 1350-1385

wenn ähnliche Klauseln verwendet wurden oder der Wareneigentümer gleichzeitig der Finanzier oder Pfandrechtsinhaber oder Rückkaufberechtigte des Transports war. (Ein Beispiel dafür geben die drei Verträge über Warentransporte in Palermo 1350 ab.) Erst nachdem sich in der Praxis herausstellte, daß die Selbständigkeit des Vertrags und die von Händlern und Versicherer das Vertrauen der Sicherheit Suchenden erhöhte, konnte der Versicherungsvertrag 1379/1385 seine Verbreitung antreten. Das Verdienst der italienischen Seestädte, vor allem von Palermo 1350 und Florenz 1385, liegt nicht in der Erfindung der Seeversicherung, wohl aber in der Umwandlung der Gildeversicherung in eine private Versicherung, in der Erkenntnis dieser Geschäftsidee und in dem Geschäftsimpuls für das - nach damaliger Größenordnung - Massengeschäft. Die Verminderung des Geldbedarfs, die durch die Versicherungsverträge gegenüber den Seedarlehen und den bedingten Kaufverträgen eintrat, ließ die Prämien sinken und die Zahl der Versicherungen steigen. Der Siegeszug der privaten Seeversicherung im 15. Jahrhundert und erst recht in der Neuzeit ist also durch wirtschaftliche Faktoren verstehbar, ohne daß es der Erklärung durch den Druck des päpstlichen Verbots des Zinses und des Seedarlehens bedarf. Gewiß können sich vor allem durch neu aufzufindende Urkunden bessere Einsichten in die Zusammenhänge und eine sicherere Identifikation der einzelnen Schritte der Entwicklung der Seeversicherung ergeben, jedoch wäre dazu das erweiterte Spektrum noch durch eine Reihe von Einzeluntersuchungen weiter zu vergrößern. Die Definition der Seegefahr und die Nachahmung der dänischen Gildeseeversicherung haben den entscheidenden Anteil an der Entstehung der Seeversicherung, die sich durch "Privatisierung" auf dem Boden des frühen Kapitalismus in Italien entwickelte. Die doppelte Buchführung der italienischen Kaufleute 635 hat sicherlich das Bewußtsein für die Kosten der Seegefahr geschärft, aber - weniger als Perdikas es für möglich erachtet - noch nicht von sich aus den Umschwung von der Klausel der glücklichen Ankunft zur Risikoerkennung zustandegebracht; das Vorbild der dänischen Gildeseeversicherung war richtungsweisend. Die "Privatisierung" der Seeversicherung wäre ohne die vorhergehende Vermögensbildung einzelner Bankiers, die gewohnheitsrechtliehe Gefahrverteilung beim Fernkauf und das allmählich gewachsene Bewußtsein für die Kosten der Seegefahr nicht möglich gewesen, sie geht also auf lange kaufmännische Fortschritte, die die dänischen Kaufleute nicht aufweisen, zurück - bis auf den letzten "Salto", eben das Vorbild der Gildeversicherung.

635

Dazu Favier, S. 273 ff.

Dreizehntes Kapitel

Die Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jahrhundert 1. Veränderungen im Seeverkehr und in der Organisation der Transporte Mit dem Ende des 13. und dem Beginn des 14. Jahrhunderts veränderte sich auch die Situation im Seeverkehr. Erst Venedig, später die Florentiner richteten einen Linienverkehr mit der afrikanischen Küste ein636 . Auch die Schiffahrt in den Atlantik und in die Niederlande nahm zu. Mit dem größeren Frachtaufkommen wuchs auch die Größe der Schiffe637 , so die hansische Kogge von 120 tauf 240 t, die größere Hulk und die katalanischen Schiffe auf 300 t. Genua und Venedig besaßen nach 1400 ca. je 30 hochseetüchtige Schiffe. Das Be- und Entladen der Schiffe nahm längere Zeit in Anspruch, besonders für die Rückfracht. Die Seereise von Genua nach Flandern nahm über ein Jahr in Anspruch638 , die von Venedig mit Galeeren noch länger. Die Galeeren waren andrerseits die sichersten Schiffe. Die Gefahr des Schiffbruchs war im Mittelmeer kleiner als im Atlantik, die der Piraterie größer. Die Frachtkosten und die Preise für die Vorsorge gegen Verluste waren nach der Entfernung der Häfen und auch wohl der Gefahren abgestuft. Auch die Handelswege veränderten sich. Als die Türkenbesetzung der griechischen Stadt Phokäa in Kleinasien den Bezug von Alaun vom Hauptlieferanten ruinierte, wurde 1462 im Kirchenstaat in Tolfa ein großes Alaun-Vorkommen entdeckt und an die Medici in Florenz verpachtet 639 . Von Portugal aus werden Ceuta und Tanger in Nordafrika erobert und die afrikanische Westküste bis zum Kap der guten Hoffnung (1487 erreicht) umfahren. Aragon und Kastilien setzen sich in Sizilien und Sardinien sowie in Unteritalien fest und stellen einen Großteil der Schiffe im westlichen Mittelmeer. In der Wirtschaft erreichen im 15. Jahrhundert die großen Handelshäuser ihre Blüte, vor allem die italienischen Compagnien, so die Portinari und die Medici in Florenz, in Deutschland die Große Ravensburger Handelsgesellschaft (gegründet 1380), die Fugger und die WeIser. Sie haben in den Seehandelsstädten ihre Filia636 637 638 639

Fischer I Kellenbenz, Handbuch, S. 234 f. Fischer I Kellenbenz, Handbuch, S. 273. Fischer I Kellenbenz, Handbuch, S. 296. Favier, S. 186.

266

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

len; so errichten z B. die Medici 1413 eine Filiale in Lübeck. Allerdings ist darüber, ob und inwieweit die großen Handelshäuser in das neue Versicherungsgeschäft eingestiegen sind, wenig bekannt; Waren- und Geldgeschäfte haben bei ihnen unvergleichlich größere Dimensionen als Versicherungen eingenommen.

2. Die gleichzeitige Ausbreitung der Seeversicherung in den Ländern Süd· und Westeuropas Nach der Ausfonnulierung der privaten Seeversicherungsverträge in Florenz, Pisa und Prato 1385/1388 verbreitete sich die Vertragsfonn zuerst in Oberitalien.

2.1 In Venedig Über die ersten Verträge in Venedig sind schon 1393 und 1404 Prozesse geführt worden 64o , und die erste Police wurde am 22. Okt. 1395 ausgestellt; an allen waren Florentiner als Versicherer beteiligt. In einer systematischen Durchforstung der venezianischen Archive hat Nehlsenvon Stryk 1986 reiche Funde gemacht und ausgewertet, sodaß Venedig nunmehr in der Überlieferung der Quellen an erster Stelle der italienischen Seestädte des 15. Jahrhunderts steht, weit mehr Funde als in allen anderen zusammen. Die Reihenfolge der Funde läßt die schnelle Anwendung der Transportversicherung in Venedig seit den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts erkennen: 1422

Güterversicherungspolice,

1436-1440 Abschluß von 26 Versicherungen durch einen Venezianer Badoer in Konstantinopel,

1427 -1482 283 Urteile über Seeversicherungen, fast alle vor 1472, 1468

Güterversicherungspolice,

1470-1483 38 Transportversicherungs-Policen, 1482- 1500 36 Transportversicherungs-Policen, 1474-1484 5 Rechnungsbücher eines Versicherungsmaklers, 1492/3

2 Transportversicherungs-Policen.

Ca. 85 Policen von 1385 -1500 haben nur zwei Personen abgeschlossen 64l . Von 102 Versicherungspolicen bis 1506 sind 88 für Güter, acht auf Schiff und Fracht und sechs auf Güter, Schiff und Fracht ausgestellt; die Policen über Güterversicherung stehen also im Verhältnis zu denen über Schiffversicherung im Verhältnis 7: 1642 • Durch diese Forschung ist ein allgemeingültiges Bild der Seeversicherung in Venedig im 15. Jahrhundert entstanden. 640 641

Nehlsen-v. Stryk, S. 30 f. Nehlsen-v. Stryk, S. 58.

2. Gleichzeitige Ausbreitung der Seeversicherung in Süd- und Westeuropa

267

2.2 In Florenz und Genua

Aus Florenz folgen ab 1405 Güterversicherungspolicen denen des 15. Jahrhunderts. Auch tritt dort 1422 erstmalig eine Versicherung für einen Todesfall auf, die von einer Wette noch nicht unterschieden werden kann 643 . Genua geht, wie spätestens aus einem Güterversicherungsvertrag von 1459 zu erkennen ist, vom sog. Versicherungskauf ab und wendet die Formel vom Risiko "ad florentinam" an 644 • Im Jahre 1409 soll in Florenz auch schon der erste Rückversicherungsvertrag abgeschlossen worden sein645 ; ein sonst angegebener Vertrag aus dem Jahre 1370 in Genua war, wie immer dort, ein Kaufvertrag 646. Dem Vertrag von 1409 folgen dann aber in Italien keine weiteren; erst für 1482 - 1485 werden in Venedig Verträge als Rückversicherung angesehen 647 • Ob diese Verträge aus italienischer Praxis erwachsen oder von Barcelona übernommen sind, muß offenbleiben. Jedenfalls sind dort 1443 -1446 Rückversicherungen vor dem Notar Vilanova aufgrund von bekannten Erstversicherungen geschlossen worden648 •

2.3 Schijfsversicherungsverträge und staatlicher Schijfsersatz

Nach der Schiffsversicherung 1350 in Palermo werden private Verträge über Schiffe erst von 1410 an wieder überliefert, nämlich 14\0-1431 in Genua abgeschlossene 16 Verträge im Verkehr mit Gent 1427 -1469 in Venedig in 30 Versicherungsprozessen 1470-1494 in Venedig in 14 Policen.

Die von 1410-1431 in Genua abgeschlossenen 16 Verträge im Verkehr mit Gent waren keine Versicherungs verträge , sondern Kauf-/ Rückkaufverträge. Gegenüber der Güterversicherung bringen die venezianischen Urkunden nur wenige Unterschiede 649 , und diese beziehen sich auf den Einschluß von Schiffszubehör, Ausrüstungskosten und Fracht. Zu den Ausrüstungskosten gehören nicht nur Netze, Nägel, Eimer u. ä., sondern auch die Verproviantierung und, jedenfalls in Venedig, die Löhne für die Schiffsbesatzung. Die Kosten der Verproviantierung er642 643 644 645

Nehlsen-v. Stryk, S. 80. Melis LVI. Nehlsen-v. Stryk, S. 444; Melis, Tafel IX, hält dies schon 1431 und 1452 für möglich. Nehlsen-v. Stryk, S. 109.

646 Der Vertrag darf nicht in eine Versicherung umgedeutet werden, wie Mossner, S. 31 ff., dies getan hat. 647 Nehlsen-v. Stryk, S. 1 \0 f., gegen Melis. 648 Nehlsen-v. Stryk, S. 109. 649 Nehlsen-v. Stryk, S. 92 f.

268

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

reichten beispielsweise auf einer Galeere die Hälfte der Löhne, beide konnten, aber brauchten nicht mitversichert zu sein. Für die Fracht wurden vielfach Freizeichnungsklauseln verschiedener Art in die Schiffsversicherungsverträge eingefügt und vereinbart; sie sind für Venedig eingehend untersucht worden 65o . Übrigens beziehen sich die Versicherungen durchweg auf den Schiffstyp "navis", nicht auf die Galeere 651 ; als navis wird das "große Rundschiff', als Segelschiff eine Weiterentwicklung der Kogge, bezeichnet, die vornehmlich für den Transport von Massengütern wie Öl, Wein, Getreide benutzt wurde. Wie oben erwähnt, sind in Venedig Schiffsversicherungen im Verhältnis zu Güterversicherungen selten (7: 1); ein Grund dafür ist nicht bekannt. Auch wurde in Venedig dafür eine Prämie von 3% des vereinbarten Wertes verlangt 652 , sie lag damit fast doppelt so hoch wie bei Massenwaren. Eigenartigerweise ist der Anteil der Prozesse aus Schiffsversicherungen in Venedig jedenfalls bis 1460 relativ höher als der aus den Policen; er liegt nämlich bei einem Viertel, auch hierfür fehlt es an einer Erklärung. Von 1460 bis 1482 sind dort nur zwei Schiffsversicherungen verzeichnet; waren sie außer Gebrauch gekommen? Von Venedig gingen große Galeeren alljährlich auf Linienfahrten bis nach England und trugen den größten Teil der Ferntransporte. Sie gehörten dem Stadtstaat und wurden von diesem an Bewerber aus dem venezianischen Adel verpachtet 653 • Ihr Verlust wurde vom Eigentümer, dem Stadtstaat, getragen; für sie wurde also keine Versicherung benötigt (wohl aber für die beförderten Waren und die Frachtkosten). Wie bei den zwölf königlichen Schiffen, die in Portugal 1367 - 1383 den Kern der dortigen versicherten Flotte bildeten, gab es für den Ausgleich von Schiffsverlusten also eine andere Möglichkeit als die private Schiffsversicherung, die allerdings bisher nicht untersucht worden ist. Sie kann möglicherweise auf die Regelung der Tabula Amalfitana und in Ragusa 1272 zurückgeführt werden.

2.4 Die Wege der Verbreitung der Seeversicherung

Läßt man die beiden frühen Seeversicherungen 1350 in Palermo und 1377 in Brügge und auch die portugiesische Seeversicherung zwischen 1367 und 1383 beiseite, so werden Seeversicherungsverträge mit der generellen Risikoformel zwischen 1379 und 1385 in Pisa geschlossen, und 1385 wird in Florenz die bis heute geltende umfangreichere und anschauliche Risikoformel eingeführt. Danach, also ab 1390, verbreitet sich die Seeversicherung auf den Handelswegen in alle Richtungen. Die Verbreitung dieser Vertragsform wird durch Florentiner Kaufleute eingeleitet, so jeweils erstmalig

650 651 652

653

Nehlsen-v. Stryk, S. 100 ff. Nehlsen-v. Stryk, S. 93. Ermittelt aus den Tabellen bei Nehlsen-v. Stryk, Anhang. Nehlsen-v. Stryk, S. 93 ff.

2. Gleichzeitige Ausbreitung der Seeversicherung in Süd- und Westeuropa

269

1391 in der Toskana, 1393 und 1395 in Venedig, 1398 und 1399 durch den Kaufmann Datini aus Prato (bei Florenz) in Genua, 1399/1401 in Lissabon oder Porto (durch Datini).

Weitere Seeversicherungsverträge mit der Florentiner Risikoformel erstmalig 654 : 1428 in Barcelona, 1431 in Genua (oder erst 1452 oder 1459?), 1435 in Brügge durch den Florentiner Cambi (siehe aber oben 12. Kap. 3.2), 1436 in Palermo, 1436 in Konstantinopel durch Venezianer, 1437 in Stresa, 1400-1440 in Marseille, Avignon, vor 1500 in La Rochelle (Atlantik), 1512 in England durch Venezianer.

Für die Lückenhaftigkeit der Zeitreihe seit 1385 wird die zufallige Überlieferung, nicht aber eine gewollte Entsendung Florentiner Kaufleuten verantwortlich sein. Es kann keiner Himmelsrichtung ein klarer Vorzug zuerkannt werden, vielmehr spielen die Handelsbeziehungen von Florenz, Pisa und Prato die maßgebende Rolle, dazu im Sinne von Hinderungen und Verzögerungen die mit Genua. In der versicherungsgeschichtlichen Literatur war es bisher unbestrittene Auffassung, daß die private Seeversicherung sich im 15. Jahrhundert von Oberitalien aus über Spanien und England in die Niederlande verbreitet habe (und erst 1588 nach Hamburg gelangt sei). Dabei wurde weder die vorherige Wanderung von Sizilien nach Oberitalien - seit 1936 bekannt - noch die Gesetzgebung in Portugal - seit 1870 bekannt - noch die Risikoklauseln aus Dänemark noch die Verlagerung der Handelsströme von Italien nach Portugal und Spanien berücksichtigt. Die bisherige Auffassung ist mit der Wirklichkeit, soweit sie heute offenliegt, nicht mehr zu vereinbaren; diese Wirklichkeit ist komplizierter: Die Seeversicherung mit der Florentiner Risikoformel verbreitete sich in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts etwa gleichzeitig in alle Richtungen, also nebeneinander und nicht auf einem geographisch systematischen Weg. (See-)Versicherungsverträge wurden vor 1500 allerdings nicht im Binnenland abgeschlossen wurden und vor allem nicht in Frankreich und Deutschland. In letzterem werden für die großen Handelshäuser der Ravensburger, Weiser und Fugger (1525) die ersten Versicherungsverträge in Flandern von Italienern und erst im 16. Jahrhundert vereinbart655 , 1531 zusammen mit einem Weiser in Antwerpen. 654 1436: Melis XXVu. S. 194 sowie LVI; 1437: Melis, LVI; vor 1500: Hubrecht, S. 352 f.; England: Nehlsen-v. Stryk, S. 3 Anm. 2. 6S~ A. Seffen, 1967, S. 186f.

270

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

Die Seeversicherung verbreitete sich zum einen durch die Kontore der italienischen Bankiers in den andern Seehandelsstädten, zum andern durch die Schiffe, die mit versicherten Waren in fremde Städte fuhren. Die Zielhäfen der Transporte von den italienischen Seestädten gingen überwiegend an Ziele an den Küsten des Mittelmeeres, aber einige sind schon früh für Häfen in Nordwesteuropa bestimmt, S0656 u. a. 1398 von Florenz in die Nordsee, 1463/64 von Florenz nach Brügge,

1499 von Florenz nach Seeland.

Die geringe Zahl der überlieferten Versicherungsverträge mit Nordfahrten kann mit der schlechteren Überlieferung derartiger Kontrakte zusammenhängen, weil wohl die meisten in den auswärtigen Kontoren verblieben, aber auch mit dem geringeren Bekanntheitsgrad derselben und dem Umstand, daß die nordwesteuropäischen Kontore überwiegend mit Genuesen besetzt waren, die nur Kauf-/Rückkaufverträge, aber keine Versicherung abschlossen.

2.5 Seeversicherungen und stadtstaatliche Regelungen darüber nach 1393 und im 15. lahrhundert657 Zeittafel

1393 - 1500 85 Policen 1393 Statuta di mercancia 1393 Erste Versicherungsprozesse 1395 - 1399 Versicherungsverträge 1395 Versicherungsverträge 1398 Police durch Florentiner 1398/99

3 Versicherungsverträge durch Datini

1398 Seeversicherung für die Fahrt in die Nordsee 1399 Versicherungsvertrag 1400-1440 Verträge von Florentinern und Genuesen

Venedig Florenz Venedig Florenz Venedig Venedig Prato Florenz Lissabon Marseille, Avignon, Barcelona

1401

Versicherungsvertrag durch Datini (Sklavin nach Katalonien)

Lissabon 1Porto!

1402 1404 1404 1405-1408

Versicherungsvertrag (Sklaventransport)

Pisa

Versicherungsprozesse Seeversicherung in der St.-Gertrudis-Gilde

Venedig Hollested 1Dänemark

Policen, auch von der Medici "compania"

Florenz

Melis, Nr. 23; Tafel LXXII und XXXI. Angaben aus Melis, Nehlsen-v. Stryk und den vorstehenden Anmerkungen; zu 14001440 und 1426 siehe Fischer 1Kellenbenz, S. 304 f.; compra-vendita Verträge nur zur Abrundung des Zeitablaufs aufgenommen. 656 657

2. Gleichzeitige Ausbreitung der Seeversicherung in Süd- und Westeuropa 1409 Rückversicherungsvertrag (?) (1410-1431 16 compra-vendita-Verträge

Genua 1Gent)

1414/1420

Zulassung freier Wahl des "Versicherer" Verbot, fremde Waren zu versichern

Genua

Todesfall-Versicherung oder Wette Güterversicherungspolice

Florenz Venedig

weitere Policen

Florenz Genua)

1421 1422 1422 1423 (1426 (1427/28

Florenz

Venedig

"Versicherungs-"Gesellschaft (?) "Versicherungs"-Verträge für Fahrten nach Gentl Brügge

Genua)

1427-1472 238 Urteile in Versicherungsprozessen 1428 Versicherungsverträge 1430 Versicherungsverträge (Sklaventransport) 1431 Versicherungsvertrag 1435 -1450 Versicherungsverträge durch den Florentiner Cambi

Genua

1435/36

Regelung des Versicherungswesens

Barcelona

1436 1436-1440 1437 1442- 1477 1443 1443-1446 1444-1447 1444 nach 1445 1446 1450-1500 1452-1459

Versicherungsvertrag 26 Versicherungsverträge durch Venezianer

Palermo Konstantinopel

Versicherungskonto Rechnungsbücher des Cambi

Stresa Florenz

Versicherungsverträge

Barcelona

Venedig Barcelona Genua Brügge

Rückversicherungsverträge

Barcelona

Versicherungsprozesse

Brügge

2 Versicherungsverträge

Venedig

Statut zugunsten der Gilde

Florenz F1ensburg 1Dänemark

Seeversicherung in der St.-Nikolai-Gilde 14 Schiffsversicherungsverträge

Venedig Genua

1455

Versicherungsverträge "ad risicum florentinam", darunter über den Tod auf einer Reise Güterversicherungsverträge, bezogen auf den Tod Dritter Versicherungsvertrag

1456159

Versicherungsprozesse

Brügge

1458/1461

Änderung der Versicherungsregelung

Barcelona

1458/59

Ordonnanz über Versicherung in den ,,Niederlanden" Flandern Versicherungsverträge für die Fahrt nach Brügge Florenz

1454/1457

1463/64

271

Genua Venedig

1465166

Versicherungsverträge über Todesfälle auf Reisen

Florenz

1468 1468/69

Police Versicherungsprozesse, Assecurance-Briefe

Venedig Brügge

1470-1483 1470-1494

38 Policen 14 Policen

Venedig Venedig (Fortsetzung nächste Seite)

272

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

(Fortsetzung "Zeittafel")

1477 1482-1500 1474-1484 1484 1484-1515 1484-1515 1492/93

1494/1520 1497 1498 1499 vor 1500

1512 1520

1522/28 1525 1531

3 Versicherungsverträge 36 Policen 5 Rechnungsbücher eines Maklers Änderung der Versicherungsregelung Rückversicherungsverträge Versicherungsverträge für die Fahrt nach Korsika 2 Policen Handelsrecht einsch\. Seeversicherung Schiffsversicherungspolice 2 Versicherungsverträge 4 Versicherungsverträge für die Fahrt nach Seeland (Medici) Versicherungsverträge Versicherung durch Venezianer Verordnungen über Seeversicherung Statut über Seeversicherung Versicherungsverträge von Nürnbergern Police eines Deutschen

Palermo Venedig Venedig Barcelona Venedig Florenz Venedig Burgos Venedig Neapel Florenz La RochelIe England Bilbao 1Sevilla Florenz Bordeaux Antwerpen

Die hier erstmals aufgestellte Zeittafel ab 1393 schließt an die über Vertragstexte von 1154-1400 (siehe oben S. 203) an und zeigt die schnelle und weite Verbreitung der Seeversicherung, ihrer Verträge und Prozesse darüber. Sie ist nicht ganz vollständig, insbesondere bestanden die Gildeversicherungen aus dem 14. Jahrhundert in Portugal und Dänemark weiter. Die Häufungen und die Lücken sind durch die großen oder geringen Zahlen von aufgefundenen und veröffentlichten Urkunden bedingt. Das Bild der Ausbreitung der privaten Seeversicherung tritt gleichwohl deutlich vor Augen. 3. Weiterentwicklungen der Seeversicherungsverträge 3. J Beispiele und Prozesse

Die räumliche Ausdehnung der Seeversicherung brachte auch Veränderungen mit sich: - Um 1400 sind schon Wolltransporte von London nach Brügge versichert und die Prämien in Prozent des Wertes bekannt, aber in Brügge soll die Seeversicherung schon einige Zeit früher angewendet worden sein 6s8 • 658 Raynes, S. 11; die von R. Doehaerdt/Ch. Kerremans 1949 und 1952 veröffentlichten Urkunden über den Handel von Genua mit Briigge und Gent deuten daraufhin. daß dort 1427/28 die römisch-rechtlichen Vertragsformen gebraucht wurden, also nicht Versicherungen; diese müssen sich dort aber vor 1444 (wieder?) durchgesetzt haben.

3. Weiterentwicklungen der Seeversicherungsverträge

273

- 1401 Francesco di Marco Datini, ein Bankier aus Prato bei Florenz, versichert in Lissabon (oder Porto) den Transport einer tartarischen Sklavin nach Katalonien; die Sklavin war eben eine handelbare Ware wie ein Stück Vieh 659 . - 1426 soll die erste "Versicherungsgesellschaft" in Genua aufgetreten sein660 , aber es ist unklar, ob es sich um eine gelegentliche Beteiligung einer Mehrheit von Bankiers an einem Geschäft gehandelt hat oder um eine ständige societas, die als juristische Person auftrat, ganz abgesehen von der Frage nach der Form des Vertrags. - 1428 dem ersten Seeversicherungsvertrag aus Barcelona, der überliefert ist, sind schon andere vorausgegangen (siehe unten 4.2). - 1425-1450 der Florentiner Bernardo Cambi in Brügge als Versicherer tätig 661 , er führt 1442- 1477 Rechnungsbücher mit Angaben über Versicherungsprämien. Über Preise und Werte in den Versicherungsgeschäften gibt 1442 auch das "Handbuch" Uzzanos, Prattica della mercatura, Auskunft662 • - Schon aus 1404 ist der erste Versicherungsprozeß (in Venedig) bekannt, aber erst seit 1427 in Venedig und 1444 in Brügge wird die Durchsetzung der Ansprüche aus Seeversicherungen vor Gerichten, die mit Gildemitgliedern besetzt waren, zur Routine. Damit holt in diesem Jahrhundert die Rechtsverwirklichung die Vertragsgestaltung ein. Die venezianische Gerichtsentscheidungen, ausgewertet durch Nehlsen-von Stryk, ergeben durch die zahlreichen Klauseln ein noch genaueres Bild der Seeversicherung als die Verträge, ohne daß sich Wesentliches ändert. Die wenigen Brüsseler Prozesse haben noch keine vergleichbare juristische Auswertung erfahren. - 1444-1447, 1456, 1459 und 1468/69 werden in Brügge Ansprüche aus Versicherungen vor dem Schöffengericht verhandelt und Urteile gefallt663 • In ihnen treten überwiegend Italiener auf, aber auch Portugiesen, Katalanen und Flamen, auch eine Gesellschaft (1456), und zwar sowohl als Versicherer wie auch als Versicherungsnehmer. In den Prozessen wird von Assecurance - Schuldscheinen und -briefen (1469) und 1468 und 1470 von Policen gesprochen. In den Prozessen von 1456 bis 1469 bildeten ähnliche Umstände wie in Venedig die Klagegründe, nämlich Veruntreuungen des Kapitäns, fehlende Rechnungslegung und gerettete Waren, Ausnahmen bei Rettung der Güter und Kaperung (hier durch Spanier).

659 660 661 662 663

Siehe unten 8.2. Fischer I Kellenbenz, Handbuch, S. 305. Seffen, Entstehung, S. 33, unter Hinweis auf Edler de Rover, S. 190. Reatz, S. 185 Anm. 3. A. Seffen, 1967, S. 186; de Rover, Anhänge; Plaß I Ehlers, S. 26.

18 Schewe

274

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

3.2 Die Seeversicherungsverträge am Ende des 15. Jahrhunderts

Nach der schnellen Ausgestaltung von Inhalte und Formulierung des Seeversicherungsvertrags in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts läßt sich gegen das Ende desselben nicht nur für Venedig, aber vor allem darauf gestützt, feststellen, daß - das Seeversicherungsrecht auf Vertrag und ungeschriebene Handelsgewohnheiten der Kaufleute-, Schiffer- und Maklergilden beruhte 664 , weniger auf dem römischen Recht, - die durchweg mit Laien (Kaufleuten etc.) besetzten Gerichte den Schutz des Versicherungsnehmers gegenüber Zahlungsverweigerungen der Versicherer verfolgten, - in die Seeversicherungsverträge regelmäßig Klauseln verschiedener Art, überwiegend Freizeichnungsklauseln der Versicherer, eingefügt wurden, die bisher erst für spätere Jahrhunderte angesetzt worden sind665 , - in den Verträgen dieser relativ frühen Zeit keine Ansatzpunkte für eine Verwechslung von Versicherung und Wette erkennbar sind und - insgesamt die Seeversicherung "eine bemerkenswert ausgereifte Entwicklungsstufe erreicht" hat 666 , die dann "ohne wesentliche Änderungen für die folgenden Jahrhunderte beibehalten" wird667 •

4. Regionale Regelungen über Seeversicherung

Die städtischen und regionalen Regelungen über Versicherungsverträge sind zumeist Deklarationen der Rechtsgewohnheiten in den Schiffers-, Bankiers- oder Kaufleutegilden.

4.1 Überblick

Es sind bekannt668 : 1369-1380 Verbot in Genua, Versicherungen auf fremde Schiff abzuschließen 669 • 1384

Erlaubnis des Königs von Aragon für die Versicherung von Personen.

Nehlsen-v. Stryk, S. 368. Nehlsen-v. Stryk, S. 371. 666 Nehlsen-v. Stryk, S. 373. 667 Nehlsen-v. Stryk, S. 371. 668 Fischer / Kellenbenz, Handbuch, S. 304, soweit keine besonderen Angaben; 1384 mangels Quelle nicht nachprüfbar. 669 Nehlsen-v. Stryk. S. 17. 664

665

4. Regionale Regelungen über Seeversicherung

275

1393

Statuto di mercancia in Florenz mit dem Verbot, fremde Waren und Schiffe zu versichern.

1396

Ordnung der Versicherung in der Toskana.

1414/20

Anordnung über bedingte Kaufpreisverpflichtungen in Genua, die eine freie Wahl des "Versicherers" der Ware und des Schiffes zuläßt, also Teile des Gildenrechts aufhebt. das bis dahin die Angebote monopolisierte; es handelt sich noch nicht um Versicherung.

1421

Gesetz in Venedig mit Verboten, fremde Waren und Schiffe zu versichern.

1427

Statut o. ä. in London über Warenversicherung (siehe unten).

1435

wird die erste Verordnung über Versicherungswesen in Barcelona vom dortigen Konsulat erlassen, veranlaßt durch die Cabildo Municipal, die Stadtregierung.

nach 1445

Anordnungen in einem Statut in Florenz zur Einschränkung der Versicherungsmöglichkeiten und Rechtsgutachten (consilium) von Paul de Castro betreffend Schiffs- und Schifferversicherung dagegen 670.

1458/59

erläßt der Philipp der Gute, Herzog von Burgund, eine Ordonnanz über das Versicherungswesen für die Niederlande, die sich von Boulogne bis Holland erstreckten und auch Flandern mit Brügge umfaßten, enthalten im Placaetbook van Vlaendem (T. I. p. 72 f.), (1569/70: Zusarnrnenfassende Ordonnanz).

1458, 1461 und 1484 Änderungen der Ordonnanz in Barcelona. 1467/1479 Prozessuale Statuten in Genua671 • 1494

Ermächtigung zur Sammlung des Handelsrechts in Burgos, darunter der Seeversicherung (bis 1520).

1520-1556 folgen solche in Bilbao und Sevilla. 1522/28

Statut über Seeversicherung in Florenz.

1522

Statut über Seeversicherung in Savona.

4.2 Die Stadtgesetzgebung Barcelonas 1435 -1484

Das Vorbild der Schiffsversicherung von Barcelona im Jahre 1435 soll nach Ansicht von Reatz672 die portugiesische Regelung von 1383 gewesen sein, jedoch ist diese im Zuge der Weiterentwicklung der Versicherung nach 1400 aus verschiedenartigen Instituten zusammengestellt worden. Die Regelung in Barcelona enthielt sowohl die Versicherung des Schiffs wie die der transportierten Waren. Sie hat großen Einfluß auf die Versicherung in Italien, mindestens in Unteritalien ausgeübt673 • 670 671 672

673

18"

F. Ebel, Anfänge, 1980, S. 15. Nehlsen-v. Stryk, S. 18. Reatz, S. 57 f. Nehlsen-v. Stryk, S. 19, Anm. 72.

276

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

Die Ordonnanzen der Stadt Barcelona von 1435, 1436, 1458, 1461 und 1484 waren vom Cabildo Municipal, der Stadtregierung, erlassen, die aus Vertretern der Gilden der Kaufleute gebildet wurde. Die Ordonnanz von 1435 ist zwar das erste dortige Stadtgesetz, es gingen aber gewohnheitsrechtliche Regelungen voraus, die - wie jene selbst sagte674 - zu vielen Betrügereien, Benachteiligungen und Streitigkeiten Anlaß gegeben hatten. Die Ordonnanzen enthielten a) Beschränkungen der Versicherer und der Versicherten zwecks Bildung eines Monopols und zwar als Folge und Fortbildung älteren Rechts; b) Gebote zur Einschaltung von Maklern; c) als Gegenstände der Versicherung die Schiffe selbst und ihre Ausrüstung, die verladenen Waren und die darauf gegebenen Darlehen, anfänglich noch nicht die Prämie, die Löhne der Schiffsleute und das Mobiliar u. ä., wohl aber später; d) Begrenzungen des versicherten Anteils vom Wert des Schiffes, die im Laufe der Entwicklung wechselten; e) die Ausdehnung der Versicherung auf eingetretene, aber noch nicht bekannte Schäden; f) die gebräuchliche Form der Verträge (Schriftlichkeit; Notar);

g) Vorschriften über die Bildung der Preise für die Versicherungsleistungen; sie werden noch nicht als Prämie, sondern mit los preus de las seguretats bezeichnet (= Kosten); h) Fälligkeitsregelungen für die Versicherungssummen. Die Gerichtsbarkeit in Seerechtssachen, also nicht nur der Seeversicherung, war in Barcelona schon seit 1347 den königlichen Gerichten entzogen und den "Consuln des Meeres" und dem Appellationsgericht übertragen worden, die von und aus der Corporation der Schiffspatrone und Seeleute für ein Jahr gewählt wurden, also von der Gilde. Die Consuln hatten vor dem Urteil den Rat der Seeleute und der Kaufleute, also auch der Kaufmannsgilde, einzuholen. Die Versicherungs-Ordonnanzen von Barcelona geben ein gutes Beispiel dafür, wie aus den Schiffer- und Kaufleutegilden eine Gegenseitigkeitsversicherung herausgewachsen ist und wie städtische und gildenmäßige Regelungen auf die Inhalte auch von Individualversicherungsverträgen eingewirkt haben. Die damaligen unterschiedlichen Auffassungen über die Wirkungen der Seeversicherung im Wettbewerb spiegelt die umfangreichere Gesetzgebung des Magistrats von Barcelona wider: 1435 Ordonnanz mit 20 Kapiteln 1436 geänderte und ergänzte Ordonnanz (3 Kap.) 674

Reatz, S. 57 ff., auch für das Folgende.

4. Regionale Regelungen über Seeversicherung

277

1458 Ersatz der bisherigen Ordonnanz durch eine neue mit 22 Kapiteln 1461 Zusatz zur Ordonnanz mit I Kapitel 1484 Neufassung der Ordonnanz in 25 Kapiteln. Inhalte der Ordonnanzen675 Jahr

Gegenstand der Versicherung

Wertbestimmung des Objekts

Versicherbarer Anteil

1435

Waren, Schiffe, Darlehen (?)

gemeiner Wert

75%, 100% bei der Einfuhr von Getreide und Wein

1436

Waren, Schiffe, Darlehen

Anschaffungswert der Waren plus Ladekosten

100%

1458

wie vor

gemeiner Wert der Schiffe plus 75% wie 1435 Ausrüstung; plus Versicherungsprämie

1461

wie vor

gemeiner Wert der Schiffe plus 75% wie 1435 Ausrüstung; plus Versicherungsprämie

1484

wie vor plus Pfandrechte

gemeiner Wert der Schiffe plus 97,5% Ausrüstung; plus Versicherungsprämie

In der Aufstellung zeigt sich mit der Erhöhung der Versicherungswerte das gewachsene Vertrauen in dieses neue Geschäft, aber auch in der Höhe der Prozentsätze die Abnahme der Vorsicht und nur in den zeitweisen Ausnahmen für lebenswichtige Güter die Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Bevölkerung. An den verschiedenen Regelungen war die Stadt Barcelona nur wegen der Gebühren für die Beurkundungen der Verträge interessiert, es handelte sich also sonst um Marktregelungen, in denen die Gilden der Kaufleute, der Bankiers und evtl. der Schiffer beteiligt waren 676 ; mit der Tendenz der Erhöhung der Risiken haben sich die Kapitalkräftigsten unter ihnen durchgesetzt.

4.3 Die Stadtgesetzgebung von Burgos 1494 - J538 Für die spanische Stadt Burgos ist im Jahr 1538 eine Sammlung von Ordonnanzen mit einem Abschnitt über Seeversicherungen beschlossen worden. Von den 38 Kapiteln dieses Abschnitts stammen nur die letzten aus den Jahren 1537/1538, die früheren aber aus dem Jahre 1520, als der Vorsitzende und die Consules der Kauf675 Ob die französische Bezeichnung des 17. Jahrhunderts, "ordonnance", hier zutreffend angewendet ist (= königliche Befehle), ist zu bezweifeln, so aber die bisherige Literatur. 676 Ein Gegensatz zwischen Staat und Versicherern (so Seffen) ist in den Ordonnanzen nicht zu erkennen, allenfalls Meinungsänderungen zwischen den Gruppen der Schiffer, Kaufleute und Bankiers.

278

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

leutegilde in Burgos ennächtigt wurden677 , eine neue Redaktion des schon vor 1520 bestehenden Seehandelsrechts in Angriff zu nehmen, möglicherweise auch schon desjenigen vor 1500. Auch in Burgos, das einen bedeutenden weltweiten Handel hatte, war schon 1494 die Gerichtsbarkeit in allen Handelsrechtssachen nach dem Muster von Barcelona und Valencia aus der königlichen Gerichtsbarkeit herausgenommen worden. Dieses Privileg hatte der Kaufleutegilde die Befugnis eingeräumt, das Handelsrecht in Burgos zu gestalten, darunter auch das Recht der Seeversicherung. Deswegen darf aus der Ordonnanz von 1538 auf Regelungen seit 1494 zurückgeschlossen werden, auch wenn die ursprünglichen Fassungen nicht erhalten sind678 • 4.4 Die Stadtgesetzgebung in Florenz 1522

Italienische Städte erließen Statute über Seeversicherungen erst im 16. Jahrhundert, so z. B. Savona 1522, Florenz 1522-1528 und Ancona 1567. Vorher können allerdings einzelne Vorschriften bestanden haben, so in Florenz (siehe oben). Die Einleitung des Status von 1522 beschreibt die rechtliche Situation vordem 679 , also wohl auch schon im 15. Jahrhundert: ,,Nachdem die edlen und vortrefflichen Herren einer Vorstellung der erfahrensten und klügsten Kaufleute entnommen haben, von welcher Wichtigkeit es für Florenz sei, Versicherungen auf die nach verschiedenen Orten zu sendenden oder von dorther erwarteten Waren und Sachen zu nehmen und zu bezahlen, und sie aus Erfahrung wissen, daß dies in früheren Zeiten nicht bloß unserer Stadt zum Nutzen und zur Ehre gereichte, sondern auch den Florentiner und fremden Kaufleuten sehr bequem war, so wünschen sie, dem Versicherungsgeschäft eine dauerhafte Grundlage zu geben, es zu erweitern, in einem angemessenen Zustande zu erhalten, und von vielen Unzuträglichkeiten zu befreien, welche täglich aus der Nichtbeobachtung der zum Vorteil der Versicherten und Versicherer gereichenden Dinge entstehen, und demgemäß in das Versicherungsgeschäft eine gewisse Regelmäßigkeit und Ordnung zu bringen. Sie erachteten es daher für nützlich, in untenstehender Weise zu verfügen, und verfügen und befehlen demnach, daß Kraft gegenwärtiger Anweisung so bald als tunlieh ein Magistrat von fünf Florentiner Kaufleuten unter nachverzeichneten Bestimmungen gebildet werde.... " ,,Diese Beamten der Versicherung haben die vollste Autorität, Alles zu beraten, festzustellen und zu verordnen, was hinsichtlich der Versicherungen und aller davon abhängigen Dinge ein Jeder zu tun und zu beobachten hat. sie können auch Strafverfügungen treffen, und über die Art und Weise, Form, Verbindlichkeiten, Bedingungen und alle sonstigen Momente des Versicherungsgeschäfts, ganz nach ihrem Gefallen, Verordnungen erlassen."

Aus dieser Entstehungsgeschichte des Status von 1522 ergibt sich auch für Florenz die starke Stellung der Kaufmannsgilde, die 1522 und vorher das Seeversicherungrecht gestaltete. Allerdings ist damit trotz einiger Ähnlichkeiten - anders als 677 678 679

Reatz, S. 19 f. u. 204. Reatz, S. 201. Aus Reatz, S. 184.

5. Die spätscholastische Rechtfertigung der Seeversicherung (seit 1403)

279

Reatz 680 folgert - nicht gesagt, welches Versicherungsrecht vor 1522 in Florenz galt und ob dort etwa das Versicherungsrecht Barcelonas und damit Portugals angewendet worden ist681 , das sicherlich auch in Florenz bekannt war. So könnte das vorherige Florentiner Versicherungsrecht nur aus den dort geschlossenen Verträgen heraus gefiltert werden. 4.5 Die spätere Stadtgesetzgebung in London

Daß die Seeversicherung schon früh in England bekannt war, zeigt ein Statut wohl aus London, das1427 unter dem Titel ..The Leave to merchants to sure their gudes" verfaßt wurde 682 . Auch wurde in England ,,im 15. Jahrhundert nach dem Zeugnis einiger venezianischer Versicherungsprozesse die Versicherung zumindest von und für Venezianer ausgeübt,,683. Greifbar wird die Seetransportversicherung dort erst 1524, als über Versicherungsfälle vor dem Seegerichtshof (Admiralty Court) berichtet wird 684 , und dann ab 1547. Aus dem Jahre 1563 ist der erste englische Versicherungsvertrag überliefert. Er zählt die Risiken auf wie sie, in Dänemark entwickelt, in Florenz gebräuchlich geworden waren, und damit kehrt das älteste Glied dieser Risikoformel. das Brandrisiko, in das Land zurück, in dem es im Jahre 950 in Exeter erfunden worden war - ohne daß man 1563 und bis zur Gegenwart diese Wanderung wahrnahm. 5. Die spätscholastische Rechtfertigung der Seeversicherung (seit 1403) Zwischen den ,.zeugnissen der lebendigen Praxis", den Verträgen und den öffentlichen Regelungen über Versicherung, einerseits und den "gelehrten Theorien" über die Seeversicherung andrerseits ist zu unterscheiden 68s . Im Jahre 1403 also erst, nachdem Seeversicherungen mehr als zwei Jahrzehnte in Gebrauch waren, befaßt sich der Florentiner Jurist und Dominikaner Lorenzo di Antonio Ridolfi in einem Traktat über Wucher und montes pietatis mit der "securita" und der "assecuratio" im versicherungstechnischen Sinne686 . Nach seiner Ansicht wird die Transportversicherung über See und Land nicht vom Verbot des Seedarlehens im Dekretale ,.Naviganti" (siehe oben 11. Kap. 7.) betroffen, weil ..die Gefahrtragung eine Dienstleistung ist,,687 - eine heute wieder verwendete Begründung; diese Ansicht Reatz, S. 184;. Zweifelnd Nehlsen-v. Stryk,. S 18 Anm. 72. 682 Dover, a. a. O. 683 Nehlsen-v. Stryk, S. 3 Anm. 2. 684 Raynes, S. 26. 685 So F. Ebel, 1980, S. 9. 686 Nach F. Ebel, Anfänge, 1980, S. 13, taucht bei Ridolfi der Ausdruck ,,assecuratio" zum ersten Mal im Schrifttum auf; er wurde aber in Verträgen früher verwendet. 687 F. Ebel, Anfänge, 1980, S. 14; A. Seffen, 1964, S. 155, zu Bemhardin von Siena. 680 681

280

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

wird in der Folgezeit durchweg bestätigt, nämlich in meist kurzen Äußerungen der folgenden Theologen und Juristen, in moralischen Traktaten, Kommentaren, Beichtspiegeln u. ä. 688 . Namen und Lebensdaten von Gelehrten mit Äußerungen zur Versicherung 1400-1500 vor 1400 1403 nach 1400 vor 1459 nach 1400 1442 vor 1450 ca. 1444 1489 ca. 1489 vor 1500 vor 1501 1500

Baldus de Ubaldis, 1327 in Perusia -+ 1400 in Pavia Lorenz di Antonio Ridolfi + 1450, Florenz Bemhardin von Siena, 1380_1444689 Antonio Pierozzi (,.Antoninus"), 1382-1459, Florenz Bartolomeo Bosco, 1399 -1445, Genua Uzzano (Gerichtsberater), Prattica della mercatura, S. 119-128 Florenz690 Paul de Castro, Schüler von B. de Ubaldis, + nach 1441 Nicolaus von Ausimo Paptista de Salis, summa Rosella Angelus de Clavasio, Summa Angelica691 Paris deI Pozzo und Philippus Decius 692 Gabriel Biel Konrad Summenhart von Calw.

Die vor 1400 verfaßten Äußerungen über entgeltliche Gefahrübernahmen betreffen Nebenabreden zwischen Käufern und Verkäufern, nicht aber von Dritten, so der erste Hinweis auf solche von Bartolomeo da S. Concordio über die vom Jahre 1338 693 • Die Auseinandersetzungen über die Subsumtion der Versicherung unter dem Begriff des Wuchers - entsprechend der des Seedarlehens - gehen über ein von Theologen selbstgesetztes Theorem, eben das Verbot der Zinsnahrne, das dann widerlegt wird. Sie folgen der Entstehung der Versicherung in der Praxis nach und haben Erkenntnisse, die für das Wesen der Versicherung bedeutsam sind oder gar zu einer Weiterbildung der Versicherung Anlaß gegeben haben, im Mittelalter nicht hervorgebracht. Ob sie auf die damaligen Akteure der Versicherung beruhi688 F. Ebel, Anfänge, 1980, S. 13 ff., die früheren Theologen, so Hostiensis (+ 1271) und Papst Innocenc IV. (+ 1254), können sich aus zeitlichen Gründen nicht zu privaten Versicherungsverträgen geäußert haben. 689 A. Seffen, 1964, S. 155, mit Zitat aus F. J. Hünermann, Predigten des Bernhardin v. S., Münster 1939. 690 Reatz, S. 185 Anm. 3. 691 Von Luther "summa diabolica" genannt, das Buch in Wittenberg verbrannt; siehe F. Ebel, Anfänge, S. 16. 692 Nehlsen-v. Stryk, S. 22. 693 NehIsen-v. Stryk, S. 20.

6. Seeversicherung am Ende des 15. Jhs.

281

genden Eindruck gemacht haben oder überhaupt bekannt waren, ist nur teilweise untersucht. Zu Rechtsfragen nicht - kirchlichen Inhalts nehmen Bosco und de Castro Stellung 694 , indirekt auch Uzzano und möglicherweise auch Summenhart. Boscos Consilien leiten die Entscheidungen vom Kauf ab und nicht vom Versicherungsvertrag, sodaß sie nicht zur Erklärung der Seeversicherung beitragen können; fußend auf dem Typenzwang des Römischen Rechts kann nach Bosco kein eigener Typ des Versicherungsvertrags existieren. Daraus könnte sich auch erklären, daß Bosco früh in Vergessenheit geraten ist. De Castro behandelt die "securitas" auch für die Schiffer695 . Immerhin könnten positive Ansichten der genannten Spätscholastiker über die Seeversicherung zur Verbreitung derselben beigetragen haben, insbesondere die von Bernhardin von Siena: "Viele Handelsgeschäfte können getätigt werden und werden getätigt, die aufhören würden, wenn sich diese Leute der Versicherung nicht fänden ...696 Allerdings sind die gesammelten Werke des Bernhardin von Siena erst 1501 gedruckt worden. Für die Breitenwirkung von Theologen und Juristen des Mittelalters hinsichtlich des Handels- und insbesondere des Versicherungsrechts "liegt der Gedanke nahe, ihr Beitrag habe vorwiegend in der billigenden Hinnahme einer Sonderentwicklung bestanden ...697 Am Ende des 15. Jahrhunderts, 1488, wird der erste Traktat über die Versicherung vom Portugiesen Pedro de Santarem (Saterna) verfaßt698 , der aber erst 1552 gedruckt erscheint und damit erst in der Neuzeit seine Wirkung tut.

6. Seeversicherung am Ende des 15. Jahrhunderts Am Ende des 15. Jahrhunderts hat sich die Seetransportversicherung in den Handelsstädten Italiens, Flanderns und Spaniens durchgesetzt, sowohl in der Vertragspraxis der Kaufleute und Schiffer, in den Gesetzen und Ordnungen dieser Städte und ihrer Regenten und in der Theorie der Moraltheologie. Obwohl in die Gilden eingebunden, vermögen die Bankiers und Kaufleute ihre Interessen auch mittels der Gilden den Regelungen der Städte und Regionen aufzuprägen. Die private Seetransportversicherung blieb auch im 15. Jahrhundert ein Teil der kaufmännischen Tätigkeit, aber die eine oder andere Familie fängt an, sich auf das Versicherungsgeschäft zu konzentrieren 699.

694 695

696 697 698 699

Näheres bei F. Ebel, Anfange, 1980, S. 14 f. Handbuch der Quellen, darin Horn, S. 276. Aus A. Seffen, 1964, S. 155. Nehlsen-v. Stryk, S. 23. Nehlsen-V. Stryk, S. 25; Koch, 1998, S. 19. Wie die Cattaneo in Palermo, Genua und Spanien, siehe oben 12. Kap. 1.2.

282

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

7. Das Fehlen der privaten Seeversicherung in der Hanse im 15. Jahrhundert Angesichts der Versicherungsgepflogenheiten in Brügge und der Gründung von Filialen italienischer Handelshäuser in Lübeck (Medici 1413, siehe oben 1.) und den Versicherungsverträgen deutscher Kaufleute im Ausland (ab 1525) stellt sich die Frage, warum die Seetransportversicherung im Bereich der damals mächtigen Hanse an Nord- und Ostsee erst fast 200 Jahre später Fuß ge faßt hat. Die Gefahr der Seeräuberei war weniger groß als im Mittelmeer und an den Atlantikküsten, auch beförderten ihre Schiffe in Nord- und Ostsee mehr Massengüter als Stückgüter, und mit den Kaufleuten auf der Gegenseite der Ostsee war der Geldverkehr geringer als im Mittelmeer; der erste hansische Wechsel wurde erst 1290 in Brügge auf den Lübecker Rat bezogen. Zudem vertraute die Hanse wie Venedig mehr auf ihre militärische Stärke und den daraus resultierenden Einfluß. Wie aus einzelnen Beispielen bekannt ist (siehe 10. Kap. 2.3.5 Flensburger Marien-Kaufmannsgilde), war das Seedarlehen an Nord- und Ostsee bekannt und in Gebrauch; auch pflegten die Hansekaufleute ihre Forderungen durch Bodmerei, also durch die Verpfändung geladener Güter bis zur Ankunft im Zielhafen, zu sichern. Ihnen muß auch die beispielhafte Regelung der dänischen Gilden, bei Schiffbruch eine Umlage zu erheben, bekannt gewesen sein, ebenso auch das im 15. Jahrhundert verbreitete Versicherungswesen des Mittelmeers und Flanderns, aber zur Erklärung reicht dies alles noch nicht aus, vielmehr steht man vor dem gleichen Phänomen wie bei den Handwerkszünften und den deutschen Kaufmannsgilden im Binnenland. Hierüber sind Untersuchungen noch erforderlich.

8. Versicherungen von Transporten über Land und von Menschen am Ende des 14. und im 15. Jahrhundert 8. J Zusammenhänge von See- und Landtransporten

Für eine Transportversicherung ist es prinzipiell gleichgültig, welches Objekt und welches Transportmittel versichert wird, Wert und Gefährdung derselben wirken sich allerdings in der Höhe der Prämien aus. Die Versicherung von Transporten zur See und zu Lande ist, wenn man die Seeversicherungsverträge 1350 in Palermo außeracht läßt, gleichzeitig entstanden; denn die geringen Unterschiede an Jahren - in Pisa 1379 und 1384 - beruhen auf Unterschieden in den Urkundenfunden. Es wäre nicht gerechtfertigt, daraus zu schließen, daß der Seeversicherungsvertrag auf die Landtransporte übertragen worden sei, allerdings ist auch zu bedenken, daß die römisch-rechtlichen Vorläufer der Seeversicherung, insbesondere das Seedarlehen, und die dänische Seeversicherung sich nicht auf den Landweg bezogen. Vor einem endgültigen Urteil muß eine größere Zahl aufgefundener Urkunden abgewartet werden.

8. Versicherungen von Transporten über Land und von Menschen

283

In der weiteren Entwicklung im Laufe des 15. Jahrhunderts überwiegt die Zahl der Seeversicherungsverträge die der zu Lande beträchtlich. Dies ist sowohl auf die Menge der jeweilig beförderten Waren wie auf die Zunahme des Seeverkehrs zurückzuführen und hängt mit der Veränderung der Wege des Handelsverkehrs und der begünstigten Länder zusammen. Transporte von Waren, die sowohl über das Meer wie über Land führten, sind bisher nicht hervorgetreten. Zwar würde es keine Schwierigkeiten gemacht haben, unterschiedliche Gefahren in einem Versicherungsvertrag zusammen zu versichern, aber da die Fahrstrecken von Stadt zu Stadt führten, war das Beförderungsmittel entweder das Schiff oder der Lastwagen, abgesehen von kurzen Verbindungswegen, z. B. von Florenz zum Porto Pisano, selten aber beide; die Transportversicherung schloß sich den Verkehrsgewohnheiten an. Anders verhielt es sich allerdings, wenn eine Reise oder der Transport eines Sklaven versichert werden sollte.

8.2 !.andtransporte von Menschen und Reisen In der folgenden Übersicht (s. Seite 284) sind Versicherungsverträge über Landtransporte und die für Reisen zusammengestellt700. Die bei den Verträge 1384 und 1385 verwenden die in Pisa damals übliche kurze Risikoklausel der Seeversicherung, wobei die auf das Meer bezüglichen Worte weggelassen werden (also ,jedes Risiko" u. ä.). Die Risikoklausel des Landtransports in Genua 1395 war auf zwei Vertragsarten abgestimmt, nämlich "salva et sana" für Seedarlehen oder compra-vendita-Verträge und ,,risicum super muliset bestiis" für eine Versicherung. Beim Sklaventransport in Pisa 1402 wurde wieder die dort übliche kürzere Klausel der Seeversicherung gebraucht (,jedes Risiko"), jedoch wurde der Versicherer nach Tod oder Krankheit oder Selbstmord auch hier als frei bezeichnet. Auch die Versicherung 1459 in Genua für den Fall des Todes durch Pest war anscheinend für eine Reise abgeschlossen, wahrscheinlich rur eine Reise in ein Land, in dem die zweite Welle der Pest wütete. Dem ausführlichen Formular für die Seeversicherung in Florenz wurde dort 1465 die Risikoklausel für eine Versicherung des Todes bei Reisen nachgebildet: "morte di fuocho 0 d'aqa, di veleno 0 di pistolenza e di morte di choltello 0 ogniferro 0 accidentale 0 et ezian di morte." (Tod durch Feuer oder Wasser, Gift, Pistole oder Tod durch Messer oder jedes Eisen oder Unfall oder jede Art von Tod). Darin ist das Feuer nach vorne gerückt und das Wasser an die Stelle des Meeres getreten.

700 Aus Melis, Tafeln XLVI, XVIII, XLVII, XLIX u. S. 210, Lu. Nr. 22, LII u. S. 313, LI u. S. 211, LX u. S. 218, LIV, LV.

284

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

Versicherungen über Landtransporte und Reisen 1384

in Prato (bei Florenz)

für einen Transport über Land

1385

in Pisa

für einen TodesfaIl auf einer Reise

1395

in Genua

für einen Transport über Land

1397

in Pisa

für einen Transport auf dem Fluß Arno

1399

in Prato bei Florenz

für einen TodesfaIl auf einer Reise (Versicherer: Datini)

1401/2

in Pisa

für eine Reise eines Tartaren-Sklaven nach Barcelona

1422

in Florenz

für TodesfaIl oder Wette

1427

in Genua

für eine Sklavin bei Tod anläßlich einer Schwangerschaft auf Reise zum künftigen Sklavenhalter

1428

in Genua

für den TodesfaIl eines Sklaven auf einem Transport

1430

in Genua

für den TodesfaIl eines Sklaven auf einer Reise

1459

in Genua

für den Tod durch Pest

1465

in Florenz

für den TodesfaIl eines Reisenden.

8.3 Transport- oder Todesfallversicherungen?

An der Reihe dieser überlieferten Verträge ist zu erkennen, daß es sich durchweg um Transportversicherungen handelt, bei denen Gefahren auf den Wegestrecken für das versicherte Gut gedeckt werden sollten; dieses Gut konnte auch das Leben der Sklaven oder der sonstigen Reisenden sein, und zu den Gefahren gehörte auch die Pest und die Ermordung und sogar die nicht ausdrücklich genannte Krankheit, nämlich als eine andere Art des Todes. Auch wenn man heute dazu neigt, derartige Versicherungen als auf den Todesfall genommen anzusehen, zeigen doch die Voraussetzungen des Eintritts des Versicherungsfalls auf dem Transport oder der Reise und die Risikoklauseln die Ableitung von der Transportversicherung und das Ziel der Vermögenssicherung. Auch in Fällen, in denen der Tod einer Sklavin bei oder im Zusammenhang mit einer Entbindung als Risikofall aufgeführt ist, ist anzunehmen701, daß sich die Sklavin auf dem Transport zum Markt oder zum Sklavenhalter befand und aufgehalten worden war; es handelt sich also auch hier, um eine "Waren"-Transportversicherung. Allerdings ist auch eine andere Rechtskonstruktion nicht ausgeschlossen. Im römischen Recht haftete der Verursacher des Todes eines Sklaven dessen Eigentümer für den Wert, weil rechtlich Sklaven wie Sachen bewertet wurden. Als Verursacher des Todes soll auch derjenige angesehen worden sein, der eine Sklavin geschwängert hatte, jedenfalls wenn diese bei der Geburt des Kindes starb. In den beiden 701

So Braun, S. 32, unter Berufung auf Bensa.

8. Versicherungen von Transporten über Land und von Menschen

285

Genueser Verträgen von 1430 und 1467 sollen sich angeblich 702 die Erzeuger der Schwangerschaft vorher für den Fall versichert haben, daß die Sklavin bei der Geburt stirbt und der Erzeuger den Wert der Sklavin ersetzen muß. Dann würde es sich um einen Haftpflichtversicherungsvertrag handeln, der hier erstmals auftritt und bei dem eine Bedingung für den Schaden eben der Tod war. Von der Einordnung als Transportversicherung machen scheinbar zwei Versicherungen von Ehefrauen, die Bensa für 1427 und 1428 in Genua berichtet, eine Ausnahme. Auch hier sollen Frauen für den Fall des Todes bei Schwangerschaft versichert worden sein. Abgesehen daß in diesem Fall das Modell des Kaufs-/Wiederverkaufs "eine ganz sinnlose Einkleidung bildet,,703, und schon deswegen keine Versicherung vorliegt, könnten hier die näheren Umstände ergeben, daß die Ehefrauen für Darlehen oder Waren der seefahrenden Männer mithafteten und dem Gläubiger die Transportversicherung selbst nicht ausreichte, aber die näheren Umstände sind eben nicht untersucht worden, weil sich die "schöne" Parallele zu den schwangeren Sklavinnen anbot. Daß den Parteien der Transportversicherungsverträge nur die Versicherung von Waren und Geld vor Augen stand, läßt die Frage erkennen, warum das Leben des doch immer gefährdeten Schiffers nicht für den Fall des Schiffbruchs versichert worden ist, wie dies 200 Jahre später geschieht. Allerdings bei den Reiseversicherungen in Pisa 1385, 1399 und in Florenz 1465 kann man Todesfall-Versicherungen nicht ausschließen, obgleich diese Verträge wahrscheinlich wegen des Geldes abgeschlossen worden waren, das diese Reisenden transportierten.

8.4 Versicherungen oder Wetten auf ein Leben? Nach der Mitte des 15. Jahrhunderts tauchen in Genua zwei Fälle auf, in denen auf den ersten Blick Wetten auf das Leben des Papstes Nikolaus v. 704 und des Königs von Aragon abgeschlossen werden; beide Verträge sollen keine Versicherungen sein. Nach römischem Recht durfte kein Geldwert für das Leben eines freien Bürgers festgesetzt werden, und derartige Verträge wurden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts fast allerorts ausdrücklich verboten 705. Die bei den genannten Verträge dürften also nur wenige Nachfolge gefunden haben. Papst Nikolaus V. gelang von 1447 bis 1455 eine Konsolidierung des päpstlichen Throns, er war der erste Renaissancepapst und ein Förderer der Bauten und Künste. Seit dem Jahre 1453 hatte sich infolge einer Verschwörung gegen ihn und

702 703 704

70S

Braun, S. 33. Braun, S. 33. Melis, Tafel LVII. Braun, S. 60.

286

13. Kap.: Verbreitung der Versicherung zur See und zu Lande im 15. Jh.

des Falls Konstantinopels "sein Gemüt verdüstert und war seine Gesundheit untergraben,,706. Als der Vertrag auf sein Leben 1454 in Genua geschlossen wurde, bestand also Anlaß, seinen Tod zu befürchten - er ist 1455 auch eingetreten - und dessen mögliche Auswirkungen auf die bis dahin relativ friedlichen Zustände in Italien zu bedauern. Eine Vennutung, daß eine unmittelbare geschäftliche Beziehung zwischen der päpstlichen Kasse und dem Versicherungsnehmer, z. B. aufgrund eines Lieferungsauftrags, gegeben war, ist nicht von der Hand zu weisen; sie würde für die Versicherung des Wert eines Geschäfts oder eines Warentransports sprechen. Hier würde also eine sachgemäß ausgeweitete Versicherung für eine drohende Geschäfts- oder Transportunterbrechung vorliegen, die nur in abgekürzter Weise auf den Tod des Papstes Bezug nahm. Auch die Versicherung auf den Fall des Todes des Königs Alfons V. des Weisen oder Hochherzigen von Aragon, des I. von Neapel und Sizilien, im Jahre 1457 in Genua707 trägt die gleichen Züge; auch dieser König starb schon im nächsten Jahr, nämlich am 27. Januar 1458 bei der Belagerung von Genua, also auf einer Kriegs"Reise,,708. Die Belagerung und die vennutliche Beschlagnahme von genuesischen Schiffen und Waren hätte nicht stattgefunden, wenn der König früher gestorben wäre; auch hier könnte es sich um eine abgekürzte Risikofonnel, die sich auf konkrete Risiken von Transporten und Schiffsfahrten bezog, gehandelt haben, und nicht um eine Wette ohne geschäftliche Bedeutung. Auch hier ist also ein Zusammenhang mit Transporten nicht unwahrscheinlich.

8.5 Transportversicherung als Vorgängerin der Todesfallversicherung ?

In den Fällen in diesem Abschnitt waren für Versicherungsleistungen zwei Bedingungen erfüllt, nämlich ein Transport oder eine Reise und ein Todesfall auf dieser. Logisch sind beide Bedingungen gleichrangig, aber in historischer Sicht bleiben es Transportversicherungen, die auf neue Objekte, eben Menschen, erstreckt worden sind. Selbstverständlich könnte dadurch ein Ansatzpunkt für Todesfallversicherungen auch an Ort und Stelle gegeben sein, aber zu den späteren Todesfallund Lebensversicherungen sind bisher Verbindungen noch nicht nachgewiesen. Zwar existierten schon im 15. Jahrhundert Todesfallversicherungen in Gilden (siehe oben 8. Kap. 8., 9. Kap. 1.3) und schon systematisch eingeworbene Leibrentenverkäufe der Städte (als "Versicherer", 8. Kap. 6.), aber die italienischen Transportversicherungsverträge einschließlich des Todesfallrisikos bis 1500 sind noch nicht als Vorgänger anzusehen. Dagegen könnten die drei aufgeführten Reiseversicherungen Ansatzpunkte für Todesfallversicherungen abgegeben haben, weil sie die Versicherbarkeit des Todes aufdeckten.

706 707 708

Herder, Bd. VI Spalte 634; Seppelt-Löffler, S. 190 f. Melis, Tafel LVIII. Herder, Bd. I Sp. 257.

8. Versicherungen von Transporten über Land und von Menschen

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Insgesamt zeigt sich, daß neue Bereiche für die Versicherung nicht dadurch, wie heute gewohnt, erschlossen wurden, daß der Versicherungsgedanke entschlossen auf sie ausgedehnt wurde, sondern dadurch, daß sich eine neue Fallgestaltung anbot, auf die eine bekannte Risikoformel mit kleiner Änderung zu passen schien. Auch die weitere Entwicklung der Versicherung im 15. Jahrhundert ist aufgrund von Schritten der Praxis der Kaufleute vorangekommen.

Vierzehntes Kapitel

Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung 1. Elemente der Versicherungen im Mittelalter Gilden als Voraussetzung von Versicherungen 1.1 Die Versicherung tritt im Mittelalter mit vier Elementen in Erscheinung, nämlich mit (l) isolierten Risiken;

(2) Trägem, die auf Dauer angelegt waren, was im Mittelalter nur Gemeinschaften garantieren konnten, eben Gilden, und erst ab der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts Kapitalbesitzern; (3) besonderen, bestimmten, vertretbaren Leistungen, durchweg Geldleistungen, die durch Statut o. ä. zugesagt waren; (4) Umlagen in Geld bei den Mitgliedern der Trägergemeinschaft und erst bei Gesellen individuellen Beiträgen. Danach fallen wegen des Fehlens eines der vier Elemente aus: (l) Hilfszusagen für alle Fälle der Not, insbesondere für den Fall der Armut, so

wie sie in den deutschen Gilden und Zünften für die Meister üblich waren, aber auch alle Glücksversprechungen, z. B. Seedarlehen; (2) Regelungen mit nur allgemein zugesagten, unbestimmten Unterstützungen; (3) kurzfristige, persönliche Gemeinschaften, z. B. Schiffsgemeinschaften für eine Seereise, Pilgerzüge; (4) Gemeinschaften mit Versprechungen von höchst persönlichen Diensten wie bei nachbarlichen Feuerwehren oder Wiederaufbauhilfen nach Brand; (5) kirchliche Bruderschaften und sonstige Vereinigungen mit Gebetsverpflichtungen oder Beistandsgeboten ohne Geldwert bei Begräbnissen u. ä. Die vier Kriterien und die aus ihnen abgeleiteten Ausgliederungen sind aus den in diesem Buch angestellten Untersuchungen herausgefiltert und nicht Konstruktionen und Wünsche, wie eine Versicherung im Mittelalter hätte gewesen sein müssen; Versicherungen waren nämlich damals Ausnahmen und entsprachen erst spät dem "Geist der Zeiten" (Faust 1., Nacht). Die Gewichte dieser Kriterien wogen im Mittelalter schwerer als in der Gegenwart (siehe unten "Rechtsansprüche").

2. Gilden in ihrer Bedeutung flir die Versicherung

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1.2 Versicherung ist nur eine von mehreren Vorgehensweisen, Schicksalsschläge, eben die Wechselfälle des Lebens, zu bewältigen und dafür vorausschauend Hilfen für Gefahren vorzuhalten. Sie stellt Geldmittel für einen Ausgleich nach Eintritt der Gefahr bereit. Dafür bestand im Mittelalter bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts nur eine Möglichkeit, für Risiken vorzusorgen, nämlich die, sich mit andem zusammenzuschließen und eingetretene Schäden durch Beiträge vieler zu ersetzen; denn die Wirtschaft des Mittelalters konnte nicht neben dem Lebensnotwendigen soviel Kapital ersparen, daß sie Rücklagen für Risiken bilden konnte. Der Zusammenschluß in Einungen, Gilden, Zünften, Innungen, Ämtern, Zechen und Werken machte stärker, gleich welche regional unterschiedliche Namen für die Selbsthilfeeinrichtungen gleicher Art verwendet wurden; hier werden alle unter der Bezeichnung Gilde zusammengefaßt. Versicherungen im Mittelalter setzen Gilden u. a. voraus, vor der Mitte des 14. Jahrhunderts als Träger der Versicherung, nachher als Rahmen für eine Betätigung als Kaufmann, Schiffer oder Versicherer. Die Gründung und die Entwicklung der Gilden u. ä. bestimmt also darüber, ob sich Versicherungen bilden konnten. in ihnen und aus ihnen. Andrerseits läßt das Bestehen von Gilden u. ä. nicht ohne weiteres auf die Existenz von Versicherungen schließen; denn Gilden hatten viele und verschiedene Aufgaben. Nur in einer kleinen Zahl von Gilden wurden aus dem allgemeinen Gebot. einander in Notfällen zu helfen. besondere Schicksalsschläge herausgehoben und für sie besondere Regelungen getroffen, also Risiken voneinander getrennt und isoliert. Dennoch: Um die besonderen Bedingungen - geographisch, wirtschaftlich, stärker herrschaftlich unterworfen oder freier -, unter denen sich diese wenigen Gilden mit Versicherungen entwickeln konnten, zu erfassen und zu verstehen, ist es erforderlich, die Geschichte der Gilden zu erforschen und hier zusammengefaßt darzustellen. 2. Gilden in ihrer Bedeutung für die Versicherung 2. J Gilden in allen europäischen Ländern

Gilden sind vom frühen Mittelalter an in den europäischen Ländern verbreitet und keineswegs eine gennanische oder gar deutsche Besonderheit. Das Gildewesen in Deutschland hatte seinen Höhepunkt mindestens ein Jahrhundert später als z. B. in Flandern und Italien und war nicht intensiver als in den Nachbarländern, die überlieferten Zeugnisse wie die Satzungen sind hierzulande bis 1400 spärlich. die erste aus Stendahl 1231. Das Wort Gilde wird zuerst 779 verwendet (gildonia), stammt aus dem Wortschatz der Sachsen und kommt nördlich der Linie Brüssel-Frankfurtl Oder vor; die oben (1.2) aufgeführten Worte bezeichnen dasselbe. eben Vereinigungen mit starkem Zusammenhalt und gemeinsamem Mahl. 19 Sehewe

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

Die Gilden verfolgten umfassende Ziele, so gegenseitige Lebenshilfen, wirtschaftlich kartellartige Vorteile und - im Zusammenhang mit der Entstehung der Versicherung bedeutsam - Rechtsetzung nach innen, Rechtsdurchsetzung nach außen und Verwirklichung der zustehenden oder beanspruchten Rechte ihrer Mitglieder gegen Dritte.

2.2 Gilde und Königsherrschaft - Gildeverbote

Gerade wegen der zuletzt genannten Ziele gerieten die Gilden im gesamten Mittelalter (und in der Neuzeit) immer wieder in Konflikte mit den Inhabern der herrschenden Gewalt, den Königen, der kirchlichen Hierarchie, den Stadtherren und dem patrizischen Stadtregiment. Angefangen mit Karl dem Großen, der 779 die Gilden insbesondere der Sachsen verfolgt, sozusagen als potentielle terroristische Vereinigungen, verboten alle Karolinger die Gilden in ihrem Bereich, der auch Frankreich und Italien einschloß, und die Verbote wurden von den kirchlichen Amtsinhabern unterstützt. Sie wurden im 10. und im 11. Jahrhundert je nach Herrschergeschlecht schwächer oder stark durchgesetzt, und von den Staufern als Königen und Kaisern 1138-1254/1268 verschärft, insbesondere in Italien. Mit dem Ende der Stauferherrschaft und mit dem Wandel der kirchlichen Auffassung über die Gilden unter dem späteren Papst Innocenz IV, dem Gegenspieler des Staufers Friedrich 11., verlieren die Gildeverbote ab 1246 allmählich ihre Wirksamkeit. Da infolge der königlichen Gildeverbote vorher nicht viele Gilden existierten, fehlt in den Gebieten, in denen die Königsgewalt sich durchsetzen konnte, eine Voraussetzung für die Entstehung von Versicherungen. In England und in den königsfernen Gebieten des Festland, wie Flandern, am Niederrhein, in Schleswig / Dänemark und in Italien bilden sich zu alten auch neue Gilden - und mit ihnen entstehen Möglichkeiten für Versicherungen.

2.3 Gesetzliche Zusammenschlüsse gegen Gefahren

Neben den Gilden, die durch freie Vereinbarungen gegründet wurden, gab es schon im frühen Mittelalter von der Herrschaft eingerichtete Verwaltungsbezirke, deren freie Bewohner für bestimmte Aufgaben eingesetzt wurden. So bildete der fränkische König Chlotar 11. 511 - 561 Centenen (Hunderschaften) von Grundbesitzern, die, wenn sie einen Dieb nicht verfolgen oder nicht fassen, den Wert des gestohlenen Gutes ersetzen müssen, also für die Rechtsdurchsetzung mit einer Umlage haften. Diese Abgabe, ähnlich Anliegerbeiträgen (2. Kap. 1.), wird als Alternative zur Umlage in einer Versicherung immer wieder auftreten, vor allem für Brände.

3. Gildeversicherungen im 1. Zeitabschnitt (vor 1250)

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2.4 gildonia 779 - keine natural-winschaJtliche Versicherung

Die bisherige Geschichtsschreibung über Versicherung fängt durchweg mit dem ersten Auftreten des Wortes Gilde im Capitulare Heristalensis von 779 (2. Kap. 2.) und mit dem Fehlschluß an, daß diese Gilden mit dem Rechtsschutz ftir ihre Mitglieder diesen auch auf dem Wege der Versicherung wahrgenommen hätten, davon ist in dem Capitulare jedoch keine Rede. Das Gildeverbot von 779 diente der Vorbeugung gegen die Aufstände der Sachsen, wird in Mittelalter und Neuzeit häufig wiederholt werden. Auch kann aus der anschließenden Erlaubnis ftir eine gemeinsame Annenpflege, für Feuerwehren und Reisegemeinschaften auf Schiffen nicht geschlossen werden, daß Gilden diese Tatigkeiten als getrennte, besondere Risiken erfaßt und geregelt hätten; wenn überhaupt vorhanden, ergaben sich diese Selbsthilfen wie viele andere später ohne weiteres aus dem allgemeinen Beistandsgebot in Gilden, also ohne Spezifizierung und damit ohne Versicherung. Die drei 779 erlaubten Selbsthilfegruppen für Annenpflege, Feuerbekämpfung und Hilfe bei Schiffsreisen könnten zwar organisierte Vereinigungen gewesen sein - allerdings keine Gilden -, aber bei der Bruderschaft ftir die Annen fehlt deren Beitrag und bei Feuerwehr und Schiffsgemeinschaft wird der höchstpersönliche Hilfseinsatz von Nachbarn und der Schiffsbesatzung verlangt, der nicht - vertretbar und deswegen nicht versicherbar war. Eine "natural-wirtschaftliche" gemeinsame Vorsorge steht auf dem Boden einer Tauschwirtschaft und gehört auch wegen des damit stets verbundenen Arbeitseinsatzes weder 779 noch im späteren Mittelalter zur Versicherung. Dementsprechend ist späterhin z. B. die Pflicht von Gildemitgliedern zur Wache am Krankenbett nicht zu den Versicherungsleistungen zu rechnen: Auch heute ist nicht jede Selbsthilfegruppe eine Versicherung. Immerhin werden mit Brand und Schiffbruch zwei Risiken genannt, die späterhin zu Versicherungen Anlaß geben.

3. Gildeversicherungen im 1. Zeitabschnitt (vor 1250)

Versicherungen in Gilden setzen die Ausgliederung eines besonderen Risikos aus der allgemeinen Aufgabe der Gilde, der Wahrnehmung aller Interessen der Mitglieder, voraus. Tritt das so isolierte Risiko ein, so wird es mit dem üblichen Instrument des Gilderechts ausgeglichen, nämlich mit dem Eintreten aller für den Schaden durch eine Umlage.

3.1 Risiko und Umlage in einer HaftungsgemeinschaJt

Der Ansatz dazu findet sich 930 in der Judicia civitates Lundonie, einer königlichen Anordnung von 930 an die sog. Londoner Friedensgilde. Diese bildete für den umgrenzten Personenkreis der Thegan (Dienstmannen) des Königs eine Ge19'

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

fahrengemeinschaft und verpflichtete jene zu Zahlungen bei Diebstahl von Vieh und Sklaven und deren Entlaufen (siehe 3. Kap. 2.), um Streitigkeiten unter ihnen zu vermeiden. Zwar knüpft die Abgabepflicht in der Londoner Gilde an den Grundbesitz an, und es handelt sich zum größten Teil um eine steuerähnliche Abgabe wie etwa bei den heutigen Straßenanliegerbeiträgen, aber damit wurde das Instrument des Umlagebeitrags zwecks Schadensausgleichs für bestimmte Risiken nach dem Jahre 561 (siehe oben 2.3) wiederaufgegriffen. Die Umlage unter den Gildemitgliedern wird diesen insbesondere aus ihren Sammlungen für das gemeinsame Mahl, früher auch Opfermahl, gewohnt gewesen sein. Somit wird in London ein übliches Gildemittel für einen neuen Zweck eingesetzt, nämlich einen finanziellen Ausgleich zur Verhütung von Streitigkeiten untereinander, einen indirektem Zweck einer Versicherung. Spezielle Risiken und Gildeumlage bildeten deutlich aus geformte Vorbilder für öffentliche Zweckverbände und die Gildeversicherungen.

3.2 Das Gilde-Seedarlehen - Exeter vor 950

Das Instrument der Umlage für ein spezielles Risiko mit bestimmten Leistungen im Schadensfall wurde kurz darauf in eine freiwilligen Einung, also in eine Gilde, eingebunden, nämlich vor 950 in Exeter, und dort für zwei Zwecke eingesetzt, nämlich - für die gemeinschaftliche Aufbringung von Seedarlehen zur Ausrüstung und Beladung von Schiffen für eine "Südfahrt" in das Mittelmeer und - zum Schadensausgleich für das Brandrisiko. Das antike römisch-griechische Seedarlehen stammt nicht aus dem Gedankengut der Gilden, aber wurde von den Kaufleuten in Exeter rezipiert und von diesen mit der gemeinschaftlichen Umlage kombiniert und finanziert. Für die Geschichte der Gildeversicherung bildet die Kombination des Risikos Brand mit der "Südfahrt" eine Art "Leitfossil"; denn sie findet sich um 1020 in der Kaufmannssiedlung Tiel am Rhein wieder, taucht als Vorläufer einer Lösegeld-Versicherung um 1100 in der caritas-Gilde in Valenciennes auf, wird 1245 in eine Sammlung für eine Pilgerreise in OdenseiDänemark und ebenso in England umgewandelt und erreicht vor 1400 in der St. Marien-Kaufmannsgilde in Flensburg wirtschaftliche Erfolge. Die Aufbringung eines Seedarlehen durch eine societas wird vermutlich auch in Italien im 12.113. Jahrhundert gelegentlich zu finden sein. Die Wanderung dieser Kombination von England über das Rheingebiet und Flandern nach Dänemark ist regelmäßig mit derjenigen der Elemente der Gildeversicherung von Exeter aus verbunden, - darin liegt ihre Bedeutung für die Gildengeschichte im ersten Zeitabschnitt.

3. Gildeversicherungen im 1. Zeitabschnitt (vor 1250)

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3.3 Die Brandversicherung in Exeter als Muster

Das Modell der Brandversicherung von Exeter von vor 950 bleibt rur die Gegenseitigkeitsversicherungen in den Gilden ftir die nächsten 300 Jahre und darüber hinaus bestimmend: - freiwilliger Beitritt zur Gilde und damit zur Versicherung, - Isolierung eines Risikos, - Zusage des Ersatzes des Schadens im Gildestatut, - im Schadensfall Zahlung eines bestimmten Betrags seitens aller Mitglieder, also - Leistung in Abhängigkeit von der jeweiligen Zahl der Gildemitglieder. Dieses Muster ftir das Brandrisiko wird nachgeahmt - in England von den andern angelsächsischen Gilden bis 1066 und einem Teil der hochmittelalterlichen Gilden, z. B. in Lincoln 1388, - in Flandern in der amicitia-Gilde in Aire I I 88 u. a., - 1245 - 1300 in dänischen Städten in den Knuts-Gilden und in Malmö, Riga und Reval, - auch in Island, Norwegen und Schweden noch im gleichen Zeitraum, selbstverständlich in den Einzelheiten allmählich weiter und verschieden ausgeformt. Da es an den wichtigen Stellen seiner Wanderung zusammen mit der gemeinsamen Finanzierung von Südfahrt/Pilgerreise auftritt, handelt es sich nicht um bloß gedankliche Übernahmen, sondern um ein Abschreiben mit erklärbaren Abweichungen, erleichtert wahrscheinlich durch die im Nordseeraum, auch in Flandern verbreitete Sprache der Sachsen.

3.4 Die Versicherung des Begräbnisses (Sterbekasse) in Exeter

Das Statut von Exeter vor 950 bestimmt auch die Pflichten der Gildegenossen bei Tod eines Gildebruders. Abgesehen von den höchstpersönlichen Leistungen ist in Exeter ein Teil der Kosten eines Begräbnisses, nämlich die Kosten der kirchlichen Riten, durch Umlage unter den Gildemitgliedern aufzubringen; insoweit erfüllt die Gilde die Funktion einer Sterbekasse. In der Entwicklung der Versicherung wurde damit ein weiterer Risikofall, und zwar der Tod als Auslöser von Begräbniskosten, eingeftihrt. In anderen angelsächsischen Gilden (Cambridge vor 1000) wurde die Bezahlung von vier (damals teuren) Wachslichtern um die Bahre des Toten hinzugefügt, und die ging von hier aus in nachfolgende Versicherungen in Sterbekassen über; die Kostenübernahme ftir vier Wachslichter findet sich z. B. in der Drechsler-Bruder-

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

schaft 1178 in Köln und in den Gesel1engilden des 14. Jahrhunderts in vielen Regionen.

3.5 Die Weitergabe der Versicherung durch Abschreiben angelsächsischer Rechtstexte

Die Umwandlung des gemeinsamen Seedarlehens in Exeter 950 in einen gemeinsamen Ersatz von Lösegeld bei Gefangenschaft auf einer Südfahrt in Aire 1188 in Flandern und deren Übergang in das Odenser Gildestatut von 1245 zeigen die Wege und die Wandlungen der Gildeversicherungen, die Elemente der Versicherung bleiben, es änderten sich die Beschreibung der Risiken und die Schwel1enwerte für die Schäden. Ähnlich wurde auch das Brandrisiko im Lauf der dreihundert Jahre al1mählich genauer beschrieben und auf die einzelnen Teile eines Gehöfts, z. B. Küche, Scheune u. ä. bezogen. In dieser Form ging es von den dänischen Gilden in die Bartholinische Skraa in Norwegen und von dieser in die Satzung des Stifts St. Gereon in Köln 1316 über. Das Brandrisiko pflanzte sich auch auf einem andern Wege fort, indem es sich mit der Abgabegemeinschaft der Grundbesitzer in der Londoner Judicia-Gilde verband und diese von den Keuren Flanderns (ab 1128), den Häradsgemeinden Schonensl Schwedens (1223) und den hrepps Islands (1256/58) übernommen wurde. Eine noch auffälligere Übernahme der angelsächsichen Gildeversicherungen vor 950 ist in England selbst geschehen. Auf die Aufforderung des Königs 1388, die Statuten einzureichen, schrieb die Schneider-Gilde in Linf:oln, die wichtigste Gilde also in einer Tuchmacherstadt, die verbesserten Cambridge 1Exeter-Statuten ab und sandte sie zusammengefaßt dem König ein, weil sie wegen ihres Alters nicht beanstandet werden konnten. Noch 1973 fiel der Trick der Gilde nicht auf. Aus diesem wie aus den andern Fällen der Verbreitung der Versicherung ist zu entnehmen, daß es sich nicht um eine "germanische Kontinuität" oder gar um eine jeweils "originäre" Erstehung der Versicherung aus germanischem Gedankengut oder auch nur um Geistesströmungen gehandelt hat, sondern um die Weitergabe von konkreten nützlichen Erfahrungen und das Abschreiben von Texten aus Gesetzen oder Gesetzessammlungen, verbunden mit Anpassungen an die jeweilige örtliche Situation.

3.6 Gildeversicherungen aufHandelswegen

Die Gildeversicherungen haben sich entlang der Handelswege, vor allem für Wol1e, von England über Flandern (nach Italien) verbreitet. Handelswege von Köln führten die Kaufleute mit 150 Jahren Verzögerung über Dänemark nach Osten und

3. Gildeversicherungen im 1. Zeitabschnitt (vor 1250)

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Norden. Italiener kauften und verkauften um 1100 auf den Messen der Champagne. Der Seeverkehr ging von den Küsten der Nord- und Ostsee über Flandern und an der französischen Küste (Insel Oleron) entlang nach Portugal und in das Mittelmeer.

3.7 Seewurf/ Schiffbruch in dänischen Gildestatuten ab 1200 Exemplarisch und zugleich bedeutend erweitert tritt die Gildeversicherung in den dänischen Knuts-Gilden in Erscheinung, 1200 in Flensburg und ab 1245 an den Ostseeausgängen (Odense usw.), - exemplarisch, weil die Entstehung der Versicherung aus dem Gildeziel der Rechtsverwirklichung deutlich in Erscheinung tritt, und - breiter, weil zum Brandrisiko aus Exeter und Flandern vor allem die Risiken des Seewurfs und des Schiffbruchs hinzugenommen worden sind - was Schule machen wird. Auch in Unteritalien (Amalfi) und an der Adria (Ragusa 1272) trat in diesen Jahrzehnten zu der gemeinsamen Haftung beim uralten Seewurf die bei Schiffbruch und die Garantie einer größeren Gemeinschaft, der Gilde oder der Stadt, hinzu, also eines zusätzlichen Sicherheitsträgers, allerdings ist die Art der Aufbringung der Mittel nicht bekannt.

3.8 Der Stand der Versicherung um 1250 Am Ende des 1. Zeitabschnitts, um 1250, ist die Versicherung mit ihren Elementen ausgebildet und auf das Brand- und Schiffbruchrisiko, auf Lösegeld und Begräbniskosten erstreckt. Sie ist aber nur in Gebieten des Nordens ausgedehnt und nur dort und in Flandern häufig. Gildeversicherungen existieren nur in England, Flandern und Dänemark (einschI. Flensburg) und als der Ausfluß der letzteren in Norwegen. Diese Verteilung entlang der Küsten von Nord- und Ostsee zeigt, daß eine weitere Vorbedingung der Versicherung die Schiffahrt war, zum einen als Mittel zur Verbreitung der Gildestatuten (neben der sächsischen Sprache), zum zweiten für den Seehandel. Dieser war zwischen England und Flandern hauptsächlich Wollhandei, in der Ostsee vornehmlich Getreide- und Salzhandel. Der Seehandel brachte Geld unter die Leute und ennöglichte es, Umlagen in Geld zu erheben - eine weitere Vorbedingung für jede Versicherung. Auch waren das Gefahrbewußtsein von Schiffern und Kaufleuten und die Erfahrung der Wirksamkeit gegenseitiger Unterstützung der Weiterentwicklung der Versicherung, insbesondere der Seeversicherung, förderlich. In den Binnenländern fehlten in den Gilden besondere Leistungen.

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

4. Gildeversicherungen im zweiten Zeitabschnitt, 1250-1400 Zum Ende des 13. Jahrhunderts hin vermehrte sich die Zahl der Gilden wohl in allen Ländern Europas stark und beschleunigt sich noch im 14. und 15. Jahrhundert, aber die Zunahme wirkt sich nicht dahin aus, daß ebenso flächendeckend Versicherungen entstehen, vielmehr stockt deren Ausdehnung im Landesinnern der europäischen Länder, spart Bürger, Bauern und Adel aus, ergreift jedoch neue Berufsgruppen, nämlich Bergleute und Handwerksgesellen.

4. J Gildearten ohne Einfluß auf Versicherungen

Die Entwicklung der Gilden führt zu einer Differenzierung der Gilden, gleich, welche Bezeichnungen diese für sich verwenden. Dies hat in der Geschichtsschreibung der letzten 150 Jahre zu einer Reihe von Ordnungsversuchen geführt, aber eine Affinität der verschiedenen Typen zu mehr oder weniger Versicherungen besteht nicht, vielmehr sind regionale Einflüsse bestimmend. Allerdings wirkt sich die berufliche Tatigkeit der Gildemitglieder selbstverständlich darauf aus, für weIche Risiken Bedarf an Sicherheit empfunden wird.

4.2 Verbreitung der Gildeversicherungen um die Ostsee

Die Gildeversicherung breitet sich nach dem Jahre 1250 vornehmlich dort aus, wo sie schon vordem eingeführt war, nämlich in England, in Flandern mit der Brandversicherung und im Reich der Dänenkönige an der Ostseeküste und in Island, in dem benachbarten Norwegen und Schweden. So stößt man um 1300 auch in Malmö, in Riga und Reval auf Statuten der Knuts-Gilden, die die Gildeversicherung aus den Städten an den südlichen Ostseeausfahrten übernehmen und erweitern. Auch erhält nun auch formal die Gegenseitigkeitsversicherung einen Mittelpunkt, einen Versicherer. Bisher fußte nämlich die Gildeversicherung zwar auf einem gemeinschaftlichen Statut, aber die Pflichten der Mitglieder richteten sich gegeneinander, und der Gildevorsteher war nur Vermittler der Erfüllung der Pflichten. Zuerst um 1300 in Reval wird die Gemeinschaft verselbständigt, zur Erfüllung der Versicherungsleistung verpflichtet und zur Einziehung der Umlage berechtigt, die Gilde wird also eine juristische Person. Man wird dies auf die Rezeption des römischen Rechts zurückführen dürfen.

4. Gildeversicherungen im zweiten Zeitabschnitt, 1250-1400

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4.3 Das Fehlen von Versicherung im Binnenland

Die räumliche Lage einer Stadt an einer Küste berechtigt nicht ohne weiteres zu der Folgerung, in allen dortigen Gilden müßten auch Versicherungen bestanden haben. So finden sich an der deutschen Nordseeküste zwischen Hamburg und Emden und auch im niederländischen Westfriesland in diesem zweiten Zeitabschnitt des Mittelalters keine Gildeversicherungen. Sie fehlen erst recht im Binnenland des Deutschen Reiches, obwohl die Zahl der Gilden sich dort vervielfältigt hat. Dieses Fehlen läßt sich nicht, wie es die bisherige Geschichtsschreibung versucht hat, mit einer schlechteren Überlieferung von Gildestatuten erklären, sondern auch in den überlieferten werden keine einzelnen Risiken und keine besonderen Umlagen aufgeführt, sondern nur die Generalklausel, daß die Gildemitglieder in Not einander helfen sollen; für die Hilfe wird, wenn überhaupt angesprochen, Armut vorausgesetzt. Über die Gründe für das Fehlen von Gildeversicherungen im Deutschen Reich und in den Binnenländern Mitteleuropas lassen sich, weil Nachweise von Negativem schwierig sind, nur Vermutungen anstellen: Als sich vor 1300 die karolingisch-staufischen königlichen Gildeverbote nicht mehr durchsetzen ließen und das kirchliche Gildeverbot aufgegeben war, ging Gottvertrauen vor Gemeinschaftshilfe, und die kirchliche Liebestätigkeit war schon so weit entwickelt, auch durch die Bettelorden, daß normierte gegenseitige Unterstützungen in Gilden weniger als früher benötigt wurden und mit der Konkurrenz zu den unentgeltlichen kirchlichen Leistungen nicht mithalten konnten. Auch war die städtische Organisation als Vorbeugung und Ersatz schon stark differenziert - von den Gerichten, den Brandordnungen bis zu den Spitälern. Andrerseits hatten sich innerhalb der Aufgaben der Gilden die Marktregulierung, die Beteiligung am Stadtregiment und an der Stadtverteidigung in den Vordergrund geschoben. An der Hanse, die ja in dieser Zeit in einem Zusammenschluß der Kaufleutegilden bestand, wird auch erkennbar, daß der vorbeugende Schutz vor Seeräuberei u. ä. und die Durchsetzung der Ziele mittels Kampf im Vordergrund standen und ein nachträglicher Ausgleich von Schäden, auch solcher aus Naturgewalten, dem einzelnen und notfalls der religiösen Hilfstätigkeit, z. B. in kirchlichen Bruderschaften, überlassen wurde - eine andersartige Methode der Bewältigung der Gefahren des Daseins als die Versicherung.

4.4 Gildeversicherungen im Bergbau ab 1250

Die Marktregulierung durch die Gilden setzte die Teilnahme der Gildemitglieder am Marktgeschehen voraus, also deren wirtschaftliche Selbständigkeit. Die Wirksamkeit des Gildewesens regte die unselbständig Beschäftigten zu gleichartigen Zusammenschlüssen an, nämlich die Bergleute und die Handwerksgesellen. Der Bergbau wurde ursprünglich von selbständigen Gewerken eigenhändig betrieben, die allmählich Bergarbeiter in ihre Dienste nahmen. Da der Bergbau rela-

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

tiv viele Bergarbeiter auf engem Raum zusammenbrachte, schlossen sich diese schon bald zusammen, um bei den Gewerken und deren Vereinigung gleiche Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Vor 1260 richtet bei Goslar die Vereinigung der Gewerken eine gemeinsame Hilfe für Unfälle von Bergarbeitern ein, die in einem besonderen Spital ärztlich versorgt und gepflegt werden, also die erste Gildeversicherung der Gewerken, die die Haftpflicht des einzelnen Gewerken für einen Arbeitsunfall übernimmt. Die Bergarbeiter erzwingen - ab 1350 nachgewiesen - besondere Abgaben der Gewerken für die gleichen Zwecke, müssen sich später aber auch mit Umlagen an der Aufbringung der Geldmittel beteiligen und verwalten in der Knappschaft (1426) die gemeinsamen Ausgaben aus der ,,Büchse" (1476 genannt) mit. So wandelt sich die Haftpflichtversicherung zur Unfall- und Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit in neuer Art, wie in der heutigen Sozialversicherung. Wegen des gewohnten Umgangs der Bergleute mit Silbergeld, der besonderen Berggefahren und der Zusammenballung der Bergleute wird meist eine originäre Entstehung der Versicherungen der Bergleute unterstellt, aber sie haben sich aus den Lohnausgleichskassen der Gewerken, also der Arbeitgeber, entwickelt, und diese entstanden um die gleiche Zeit (um 1260) wie die dänischen Gildeversicherungen. Mit Rücksicht auf die Lage Goslars in Niedersachsen und dessen enge Verbindung zu England in der Zeit der Ottonen bleibt es noch zu untersuchen, ob die Rechtsfigur der Umlage von England oder von Dänemark übernommen wurde. Jedenfalls treten die Haftpflichtversicherungen der Gewerken und das Risiko des Arbeitsunfalls in Deutschland erstmalig auf.

4.5 Gildeversicherungen der Handwerksgesellen 1329-1500 Verbände von Handwerksgesellen treten als Antwort auf das Sich-Abschließen der Zünfte seit 1329 in Erscheinung und enthalten schon in den ersten bekannten Statuten (1336) Regelungen über Krankengeld, das bis dahin die Handwerksmeister schuldeten. Wie die Gildemitglieder sorgen auch die Gesellenverbände für ein angemessenes Begräbnis, nehmen die Arbeitsvermittlung in die Hand und zahlen im Zusammenhang mit der Wanderung der Gesellen Reisegeld. Infolge der weiten Wanderungen verbreiten sich diese Gildeversicherungen schnell in andere Länder. Die Erfolge der Gesellenbewegung bei dem Aushandeln der Arbeitsbedingungen sind regional und zeitlich sehr unterschiedlich. In einigen Städten werden sie als Verhandlungspartner nicht anerkannt, aber I und die Zünfte übernehmen es - ab 1355 - selbst, kranken Gesellen den Lohn weiterzuzahlen, um einzelne Meister zu entlasten und eine gleichmäßige Lohnfortzahlung zu gewährleisten; dafür werden dann i. a. besondere Umlagen von den Handwerksmeistern eingefordert. Es handelt sich dabei um Ausgleichskassen, ebenfalls ,,Büchsen" genannt, die - wie in der Gegenwart - Krankenversicherungen zugunsten Dritter sind.

4. Gildeversicherungen im zweiten Zeitabschnitt, 1250-1400

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Die ersten Gründungen der Gesellenverbände und die gleichzeitige oder fast gleichzeitige Entstehung der Krankenversicherung in ihnen erfolgen im Osten, in der Mitte Deutschlands wie am oberen Rheinlauf und so kurz nacheinander, daß die vorliegende Reihenfolge mehr der besseren oder schlechteren Überlieferung zuzuschreiben ist. Als Vorbild für die Entstehung kommt die Versicherung für Bergleute infrage, aber auch eine Übernahme der Umlage und der verselbständigten Kasse (= juristische Person) aus Odense, Riga oder England/F1andern. Die Versicherungskasse, die "Büchse", kommt etwa gleichzeitig bei Gesellen (1336) und Bergleuten (ab 1350) auf. Die Umlage unter den Meistem für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist 1355 von denen der Handwerksgesellen oder den Berggewerken übernommen. Hier wie dort ist die "Büchse" die Versicherungskasse, der Versicherer und eine juristische Person. Die Gildeversicherungen haben mit der Ausdehnung auf die Gesellenverbände, die nach Zahl und Fläche bei weitem die größte war, im Laufe des 14. Jahrhunderts schon eine Reihe personaler Risikofälle erfaßt. Die Risiken von Personen waren in den Knuts-Gilden in Oden se und Riga schon aufgeführt, aber die Leistungen dort waren noch von besonderen persönlichen Umständen abhängig, so z. B. das Zehr- und Wegegeld eines fremden Gildebruders. Erst die Gesellenverbände machen daraus eine Regelleistung. Die Situation der Gesellen, deren Beschäftigung in abhängiger Arbeit und die dadurch isolierten Risiken ermöglichen Versicherungen, ebenso wie die heutige Sozialversicherung.

4.6 Der Ersatz von Seeschäden im Mittelmeer unter dem Römischen Recht: Seedarlehen und nichtige Verträge als Glücksspiele

Die Gefahren der See forderten schon immer dazu heraus, für dadurch eingetretene Schäden einen Ausgleich zu suchen und dies vorausschauend zu vereinbaren. Die antiken Regelungen gingen nicht über den einen Fall, den Seewurf, hinaus, nämlich bei über Bord geworfenen Waren die Gefahr auf alle Teilnehmer an der Fahrt einschließlich den Schiffer zu verteilen. Einen Ausgleich dadurch zu finden, daß man Dritte heranzog und dadurch mehr Ersatzpflichtige und mehr Sicherheit gewann, gelang erst innerhalb einer nahe verbundenen Gemeinschaft, eben der Gilde. So wurde 1200 an der Ostsee in F1ensburg das Einstehen der Gilde für Verluste bei Fluchthilfe eines Gildemitglieds auf den Fall der Aufopferung von Waren zur Rettung eines Schiffbrüchigen erweitert und in Odense 1245 auf jeden Schiffbruch ausgedehnt. Im Norden Europas war man also gegen die Risiken Schiffbruch und Warenverlust bei Seewurf schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts in einer Gegenseitigkeitsversicherung versichert. Am Mittelmeer wurde der umgekehrte Weg beschritten, nämlich die gemeinsame Haftung der unmittelbar Beteiligten beim Seewurf auf den Schiffbruch ausge-

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14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

dehnt und die Ersatzpflicht der Stadt oder der sie tragenden Gilde später hinzugefügt (Ragusa 1272), allerdings ist darüber fast nichts bekannt. Sonst suchte man dort den Erfolg einer Seefahrt dadurch zu gewährleisten, daß der Schiffer oder Kaufmann ihn mit Hilfe eines Seedarlehens oder mittels Bildung einer Finanzierungsgesellschaft vorwegnahm, also auch fremde Geldmittel einsetzte. Die glückliche Ankunft des Schiffes im Bestimmungshafen war der Angelpunkt, um den sich das Geschäft drehte, und weil diese nicht sicher war, handelte es sich um ein gewagtes Spiel, um einen Glücksvertrag, nicht um eine Versicherung. Die frühe Rezeption des Römischen Rechts in den italienischen Seestädten und dessen Beschränkung auf wenige zulässige KIagearten und dementsprechende Vertragsarten, der sogenannte Typenzwang, verhinderten dort im 12. bis 15. Jahrhundert die Umkehr des Glücksspiels in eine Versicherung gegen die Seegefahr. Mögen auch die Kaufleute und Schiffer am Mittelmeer das gleiche Ziel wie die an der Ostsee - Verringerung von wirtschaftlichen Verlusten durch die Seegefahr - im Auge gehabt haben, so hielten doch die dortigen Notare, die als Schrift- und Rechtsgelehrte vom Patrizierregiment der Stadtstaaten gestützt wurden, am Typenzwang und damit am Glücksspiel fest, in Genua bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie erfanden sogar vor 1350 ein kompliziertes System des Kaufs mit einer Rückkaufverpflichtung bei glücklicher Ankunft der Waren im Hafen und fügten für den Fall der glücklichen Ankunft noch eine Klausel hinzu, die alle Zusagen nachträglich für nichtig erklärte - ein Abweg des Rechts, wenn das Transportgeschäft erfolgreich war! Selbstverständlich waren den Kaufleuten am Mittelmeer die Gefahrverteilung bei Fernkäufen mittels Klauseln seit der Mitte des 12. Jahrhunderts geläufig und weit besser bekannt als denen im Westen, Norden und Osten Europas. Diese Gefahrverteilungsklauseln wurden mit dem Aufkommen der Bankiers auch derart verwendet, daß der Schiffer vom Risiko der Seegefahr entlastet wurde, der Finanzier es übernahm und dafür außer dem Zins noch eine Prämie erhielt. Weil der Finanzier damit jedoch nur seine eigene Forderung absicherte, vermehrte sich die Sicherheit der Beteiligten nicht, dies war daher keine Versicherung. Die Vermischung von Bank- und Versicherungsgeschäft ist in den damaligen Verträgen häufig nur bei näherer Untersuchung des Umfelds der Vertragsurkunde zu erkennen und hat noch bis zu den achtziger Jahren (Perdikas) zur unbegründeten Einordnung als Versicherung und zur Vordatierung der privaten Seeversicherung in das 13. und den Anfang des 14. Jahrhunderts geführt. Auf der andem Seite haben die italienischen Bankiers und Notare, deren Kapitalansammlung und deren abstrakte Finanzgeschäfte, wie die Wechsel, sowie die instrumentalisierte Rechtssprache den Boden für den Ersatz der gegenseitigen Gewährleistung in den Gilden durch eine private Versicherung vorbereitet.

4. Gildeversicherungen im zweiten Zeitabschnitt, 1250-1400

301

4.7 Die ersten vertraglichen Seeversicherungen 1350 in Palermo und J 377 in Brügge sowie die gesetzliche nach J 367 in Portugal

Angesichts des in Ober- und Mittelitalien beachteten Typenzwangs des rezipierten Römischen Rechts ist es kein Zufall, daß der erste Versicherungsvertrag über ein Schiff nicht dort, sondern 1350 in Palenno auf Sizilien vor dem dortigen Notar d' Amato von Leonardo Cattaneo aus einer Genueser Bankiersfamilie als Versicherer geschlossen wurde. Wahrscheinlich hat die Pest, seit 1347 in Italien, einen Generationenwechsel innerhalb der Notare herbeigeführt, und deren neue Generation hat den Übergang zu einer einfacheren Fassung unter Weglassung der römischrechtlichen Vertragstypen geschafft. In dem gleichen Zeitraum ging die Handelsschiffahrt (nicht der Handel selbst) im südwestlichen Mittelmeer allmählich in die Hände der Portugiesen und Spanier über, und zwischen 1367 und 1383 wurde in Portugal durch königliches Gesetz eine perfekt geregelte Gildeseeversicherung gegründet und von einem flämischen Administrator geleitet. Sie hat einerseits Elemente der Londoner Friedensgilde von 930 verwendet, andrerseits ähnelt sie in der Fonnulierung der Risiken und ihrer Begrenzungen der Klausel des Seeversicherungsvertrags in Palenno, dieser und die portugiesische Seeversicherung hatten vennutlich einen gemeinsamen, nichtüberlieferten Vorläufer. Dem sizilianischen Notar lag in Palenno die Seeversicherung in der Fonn der Gildeversicherung nahe und mit einer Ausleihe bei ihr konnte er 1350 das Geschäftsziel des Bankiers Cattaneo fonnulieren. Dies war die Privatisierung der Gegenseitigkeits-Seeversicherung, nicht deren Entstehung. Für den Weg der Gildeseeversicherung von Dänemark nach Portugal bestanden zwar direkte Verbindungen durch Schiffe, möglicherweise hat aber der Weg über Brügge in Flandern geführt. Dort hat nach allerdings späterer Aufzeichnung aus dem Jahre 1552 schon 1310 eine Gildeeinrichtung (karner de verzekeringhe) mindestens als Stelle für die Registrierung von abgehenden Schiffen mit Ladung bestanden. 1377 kommt es dort zu einem Streit vor einem Gildegericht über eine "Versicherungsschaft" von Waren. Dies wird der zweite bekannte Versicherungsvertrag nach dem in Palenno sein, der ohne Verwendung römisch-rechtlicher Vertragstypen abgeschlossen worden ist, wichtiger ist aber, daß es die erste bekannte Transportversicherung über beförderte Waren (Seide, Stoffe) ist, wenn man von den drei mißglückten Warenversicherungen in Palenno 1350 absieht. Eine Wanderung der Versicherungsidee von Nord nach Süd entgegen derjenigen der Rezeption des Römischen Rechts ist zwar ungewohnt, jedoch wahrscheinlich.

302

14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

4.8 Die Seeversicherung J379 in Pisa und die florentinische Seerisikoklausel J385 aus Dänemark Aus den Jahren 1379/1380 werden aus Pisa die nächsten privaten Seeversicherungen überliefert; sie enthalten die gleiche Risikoklausel für die Seegefahr wie in Palenno, nämlich eine Generalklausel (alle Seerisiken). Im Jahre 1385 wird in dem ersten Seeversicherungsvertrag in Florenz die pisanische Generalklausel durch eine spezifizierte Aufzählung einzelner Unterarten des Risikos Seegefahr mit angehängter Generalklausel ersetzt, also verdeutlicht; juristisch war dies ein Rückschritt, aber die Aufzählung war für die Kaufleute und Schiffer griffiger. Die Aufzählung der Einzelrisiken stimmt größtenteils wörtlich mit denen in den Gildestatuten von Store Hedinge 1256 und Kallehave 1266 in Dänemark überein, die Abweichungen sind erklärbare Anpassungen an die Verhältnisse in Italien. In dieser Fassung aus der Gildeversicherung tritt die private Seeversicherung a la fiorentina 1385 ihren schnellen Siegeszug in Italien, um das Mittelmeer und nach Westeuropa an. Die Aufzählung der Seerisiken aus Dänemark 1256 ist seit 1897 Teil des deutschen Handelsgesetzbuchs und heute auch der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Seeversicherung. Die Entwicklung der Seeversicherung aus der Seewurfumlage in Flensburg 1200 und der zeitliche Unterschied zwischen den Klauseln in Dänemark und in Florenz von rd. 100 Jahren schließen eine andere Wanderung als die von der Ostsee an das Mittelmeer, von Nord nach Süd aus. Palenno 1350/Florenz 1385: Die (einzige) Wurzel der Seeversicherung lag in Dänemark / Schleswig 1200 /1256. 4.9 Private Versicherungen im J5. Jahrhundert (dritter Zeitabschnitt) Die private Seeversicherung verbreitete sich nach 1385 schnell in Italien, insbesondere in Venedig, setzte sich aber erst ab 1431 in Genua durch, und dehnte sich abJ400 auf die Iberische Halbinsel, Frankreich und BfÜgge aus. Ihre Regeln wurden in den Hafenstädten durch die Gilden der Kaufleute und Schiffer oder auf deren Vorschläge durch das Stadtregiment festgelegt, das von den Gilden beherrscht wurde, so vor allem ab 1435 in Barcelona. Die Versicherer bemühen sich, durch Klauseln die Übernahme unbestimmter Gefahren in den Griff zu bekommen und streben eine Streuung der Risiken an. Ungeklärt ist bisher, in welcher Weise Kapitaleinsatz und Zusammenfassung vieler gleichartiger Risiken miteinander dazu beitrugen, die Solvabilität der Versicherer zu garantieren, und wie sich ein Gefahrenkollektiv gebildet hat. Die Seeversicherung erstreckte sich schon in den ersten Jahren sowohl auf den Verlust von Waren wie den des gesamten Schiffes, letzterer wegen seines Umfangs mit einem Anteil von ca. einem Fünftel an allen Seeversicherungsverträgen. Als

5. Gildeversicherungen im 15. Ih.

303

Waren wurden auch Sklaven und Sklavinnen auf Transporten angesehen, und zwar diese auch für den Fall des Todes bei Schwangerschaft oder Geburt versichert. Daraus entwickelten sich Einzelfälle, in denen Summen zugunsten von Gläubigern für den Fall versichert waren, daß die Reisenden unterwegs starben. Es wurden also schon ab 1385 Reiseversicherungen auf den Tod von Schuldnern und auch von Dritten abgeschlossen, allerdings ist wegen gesetzlicher Verbote ein Zusammenhang mit den weit späteren Risikolebensversicherungen nicht nachweisbar.

5. Gildeversicherungen im 15. Jahrhundert 5. J Gildeversicherungen für Invalidität und den Todesfall- Köln J397

Die Zahlung von Renten auf Lebenszeit hat offensichtlich in den massierten, geplanten Abschlüssen von Leibrentenverkäufen einen Vorläufer gehabt, vor allem durch die Städte entwickelt, für die es ein Finanzierungsinstrument war. Der erste derselben wurde 1228 in Flandern abgeschlossen, die weiteren erlangten dort schon ab 1265 eine weite Verbreitung. In Deutschland waren Leibrentenverkäufe in wohl allen Städten verbreitet, bekannt vor allem dafür Köln ab 1370 und Nürnberg in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Die Zahlung von Renten zu Lebzeiten bei unheilbarer Krankheit, Gebrechen u. ä. taucht in Gilden zuerst in Schottland auf, und zwar mit wöchentlicher Zahlweise. 1397 versichert die Kölner Böttcher-Zunft ihre Zunftmitglieder und freiwillig Beitretende für die Fälle von dauernder Krankheit, Gebrechen und Tod und sichert die versprochenen Rentenzahlungen vor allem durch ihr Vermögen in Häusern und gekauften Leibrenten ab, wobei sie die Haftung auf ihre Zahlungsfähigkeit begrenzt; es ist die erste Rentenversicherung und Einmalprämie. Um diese Zeit finden sich Invaliditätsrenten auch für Bergleute. 1447 gliederte der Gesellenverband der Schöffenbruderschaft in Hamburg eine besondere Sterbekasse aus, die auch Unterstützungen für Witwen und Waisen zahlte, allerdings dabei auf die persönliche Lage derselben abstellte. Die erste gesonderte Witwen- und Waisenversicherung auf Gegenseitigkeit entstand kurz vor 1500 in Lübeck als Kasse für Angehörige des öffentlichen Dienstes, damit unter Spartentrennung. Übrigens kamen die Lebensversicherungen, die bisher als erste - 1683 in London abgeschlossen worden sein sollen, dort auch innerhalb der dortigen Kaufmannsgilde zustande und wurden mit staatlichen Geldern vor dem Konkurs gerettet.

5.2 Besondere Gildeversicherungen für Brand u. a.

Vom Anfang des 15. Jahrhunderts an macht sich auch in Dänemark eine Ausgliederung der Gildeversicherungen aus den Gilden und eine Übernahme in neue

304

14. Kap.: Schritte zur und der Versicherung - Zusammenfassung

Gildefonnen bemerkbar; dabei werden die bisherigen Risiken in vielfältiger Weise übernommen und kombiniert, vor allem der Schiffbruch und der Brand, aber auch für Pilgerreisen und Reisegeld. Versicherungen werden auch in Brand- und Schützengilden und in Kalanden vornehmlich für Geistliche weitergeführt. In Dänemark und Schleswig-Holstein ist eine Kontinuität der Entwicklung der Brandversicherung in die Neuzeit bis zur Gegenwart anzunehmen. Von Dänemark aus wird die Brandversicherung in einem Fall in deutsches Gebiet verpflanzt (Delmenhorst zu Anfang des 15. Jahrhunderts). Im übrigen faßt weder die Gildeversicherung noch die private Versicherung in Deutschland, auch nicht in der Hanse, Fuß (mit Ausnahme der unter 5.1 genannten Beispiele sowie der in Gesellenverbänden und der Bergleute). Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß es in anderen europäischen Binnenländern günstiger gewesen ist. Am Ende des 15. Jahrhunderts hatte die Gegenseitigkeitsversicherung die meisten heutigen Versicherungssparten hervorgebracht, nicht nur die der Sozialversicherung; ab 1350 entstand auch die private See- und Reiseversicherung. Auch wenn die Überlieferung von Versicherungen aus dem Mittelalter mehr leere Räume als Institutionen aufweist, war am Ende des Mittelalters durch die Praxis, gestützt auf Erfahrungen, die Idee der Versicherung in vielen Sparten existent und evident. Ihre großräumige Verbreitung gehört natürlich in die Neuzeit.

6. Das Gesamtbild der Versicherungsgeschichte Ein zeitlich geordnetes Gesamtbild der Entstehung und der Entwicklung der Versicherung geht aus der Übersicht über die "Versicherungen in Gilden und durch private Versicherer, die Vorläufer und die Risiken" von 930 bis 1500 hervor, abgedruckt Seite 319. Allerdings ist bei den 112 Angaben aus 570 Jahren zu berücksichtigen, daß in der Zeitübersicht die Gildeversicherungen je Art und Ort nur einmal genannt sind, aber weiterhin bestanden haben und viele gleicher Art bestanden haben mögen, ohne daß deren Inhalt überliefert ist, so vor allem für Bergleute und Gesellen, und von den privaten Seeversicherungsverträgen nur die ersten und solche mit Neuerungen aufgeführt sind.

6. J Strukturen der Versicherungsentwicklung

Die Übersicht auf Seite 319 läßt erkennen (1) die Entstehung aus nur einer Quelle, dem angelsächsischen Rechtsschutz mit-

tels Umlage, mit einer Weitergabe der schriftlich fixierten Fonnulierungen an Flandern und Dänemark und - mit der dortigen Entwicklung der Seeversicherung - an Florenz,

6. Das Gesamtbild der Versicherungs geschichte

305

(2) die Schübe in der Ausdehnung der versicherten Risiken ab 1245 (Dänemark!) und ab 1280 Bergleute, 1336 Gesellen, (3) die regelmäßige Anknüpfung der Versicherungsentwicklung an die See- und Küstenstädte und - umgekehrt - die Auslassung der Binnenländer, auch soweit es sich um die Versicherung gegen Brand handelt, (4) die Verbindung der Versicherung mit dem "fahrenden Volk" im weiten Sinne, den Schiffern, reisenden Kaufleuten, wandernden Gesellen und Bergleuten, (5) die Erweiterung der Versicherung in Schritten, insbesondere die Übernahme der Renten in die Versicherung bei Invalidität und Todesfall für Hinterbliebene im 15. Jahrhundert, (6) die Abwandlung der Gildeseeversicherung durch die "Privatisierung" im südlichen Mittelmeer mit dem Ersatz der Gildehaftung durch Kapital. Von Anfang an bezogen sich die Versicherungen sowohl auf Personen wie auf Sachen, nämlich auf den Aufwand für ein Begräbnis wie auf den Brandschaden und den Ausgleich für einen Viehdiebstahl. Nicht eine logische Reihenfolge, z. B. nach Personal- oder Sachschaden, stand arn Anfang und ist auch in der Entwicklung nicht erkennbar, sondern das Instrument der Umlage in der Gilde wurde dort eingesetzt, wo Bedarf danach bestand.

6.2 Die Tendenz zur Vermehrung der Zahl der Risiken

In den verschiedenen versicherten Risiken spiegelt sich die besondere Gefahrsituation wider, in der sich die Mitglieder der jeweiligen Gilde befanden. Diese Wechselfälle des Lebens im Mittelalter sind durchweg bis heute erhalten geblieben, und selbst das früh aufgetretene Risiko des Lösegelds ist 1998 wieder als Gegenstand der privaten Versicherung in Deutschland zugelassen worden. Die folgende Übersicht (S. 306) hat die erstmalige Versicherung eines Risikos aus der obigen umfassenden Übersicht ausgewählt; dabei sind zeitlich frühere Nennungen, die Leistungen, aber nicht solche einer Versicherung enthielten, ausgelassen worden. Diese erstmalig genannten Risiken treten in gleicher oder ähnlicher Weise in späteren Zeiten auch an andern Orten auf, sei es, daß sie kontinuierlich bestanden und weitergegeben wurden, sei es, daß ihre Texte überliefert und wiederaufgegriffen wurden. Dabei wurden die Risiken - oft genauer umschrieben, z. B. der Brand nur auf das Wohnhaus bezogen, - teils das Risiko auch erweitert, z. B. beim Begräbnis auch die Kosten von vier Wachslichtern an der Totenbahre übernommen, - teils die Schadenshöhen begrenzt, z. B. beim Schiffsverlust in Dänemark. Die Tendenz zur Vermehrung der Zahl der Risiken und deren Erweiterung (Universalität) blieb in Sozial- und Privatversicherung bis zur Gegenwart erhalten. 20 Schewe

Odense

Riga Store Hedinge Goslar Zürich 1Duderstadt

Zürich 1Duderstadt

Palermo Straßburg

1245

1252 1256 1260

1336/37

1336/37

1350 1355

Köln Genua

Lübeck

1427/31

1497

1397

1377/1385 Brügge/Florenz

Aire Flensburg

JlOOll188 1200

Erstmalige Versicherung von Risiken vor 950 Exeter Brand vor 1000 Exeter 1Cambridge Tod: nur Begräbnisriten

Nachfolgende Regelungen in der Gegenwart Brandversicherungsanstalten Sterbekassen, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit, Sterbegeld in der sozialen Krankenversicherung Gefangenschaft-Lösegeld 1998 wieder zugelassen als private Versicherung Haverei-Aufopferung §§ 700, 820 ff. Seewurf-Warenersatz Handelsgesetzbuch {Z} .. Nothelfer"-Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII § 2 Nr. 13 a private Schiffsversicherung §§ 700, 820 ff. Schiffbruch Handelsgesetzbuch Reiseversicherung s. unten 1336/37 Krankheit (auf Reisen) staatlich verbürgte Kreditversicherung (Hermes) Beschlagnahme von Waren Arbeitsunfall: Haftpflicht der Berggewerken Soziale Unfallversicherung, Sozialgesetzbuch VII Krankheitskosten und Lohnausfall von Gesellen Soziale Krankenversicherung ,SGB V Kranken-Versicherungs vereine auf Gegenseitigkeit Arbeitslosigkeit: Wegegeld für reisende Gesellen Arbeitslosenförderung, SGB llI, Arbeitsförderungsgesetz Schiffbruch, erstmalig durch private Versicherer Seeversicherung im HGB §§ 700, 778 ff. Lohnausfallkasse der Arbeitgeber Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen in der sozialen Krankenversicherung, Lohnfortzahlungsgesetz Transportversicherung für Waren, private Versicherer Seeversicherung im HGB §§ 700, 778 ff. Soziale Rentenversicherung, SGB VI Invaliditätsrenten Personentransport/Reisende, erstmalig durch privaten private Reiseversicherungen Versicherer Regelmäßige Zahlungen an Witwen Soziale Rentenversicherung, SGB VI

Zeittafel

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Genua

London

Gesetz

Bruderschaft Garlekith Bergleute

Vanzecgger-scepe

Versicherer

Deutsche Kaufleute

Marco da Prato Versicherer Versicherer Versicherer

Wollenweber-Zunft

Schneider

1350-1400

1377

1379/1380

1382

1384 1385 1385 1385/1388

1386

1388

Lincoln

Konstanz

Florenz Pisa Pisa Florenz

Kopenhagen

Pisa

Brügge

Frei berg

Lissabon 1Porto

Ordonnanz

1363 -1387 1363-1369 1375

Palermo

Straßburg

Versicherer Cattaneo

Zunft

England

Deutschland

Italien

Italien Italien Italien

Dänemark

Italien

Flandern

Deutschland

England

Portugal Italien

Deutsches Reich

Italien

Italien

Genua

Kauf-I Rückkauf

Land (damals) Schweden

1347 1347 1350 1355

Ort

Bezeichnung

Häradsgemeinden

Jahr "glückliche Ankunft" alle Seegefahren

Brand

Risiken

Seewurf, Schiffbruch, Beschlagnahme alle Seegefahren

alle Seegefahren, auch Piraterie

"glückliche Ankunft" Gefangenschaft, Krankheit Begräbniskosten, Krankheit Seegefahr

alle Seegefahren Seegefahr private Seeversicherung für Waren Seegefahr, Piraterie, Brand, Seewurf, Beschlagnahme u. a. Gildeversicherung Lohnersatz, Krankheit von Gesellen Gildeversicherung Begräbniskosten, Rentenzahlung, Seedarlehen (Fortsetzung nächste Seite)

Zwischenstufe private Seeversicherung private Reiseversicherung

Gildeseeversicherung

private Seetransportversicherung für Waren pri vate See transportversicherung für Waren

Gildeversicherung

Seedarlehen Gildeversicherung

Gildeversicherung der Arbeitgeber Lohnersatz bei Krankheit an Gesellen Gildeversicherung (gesetzlich) Schiffbruch

private Schiffsversicherung

Vorläufer

Haftungsgemeinschaft

Art

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Italien

Seehäfen

SI. Polycarpus-Gilde

Versicherer

nach 1400

1409

1404

1402 1400 - 1440 ab 1400

ab 1400

Italien Italien Italien Deutschland Italien Italien Lettland (dänisch) Deutschland Deutschland

Genua Florenz Pisa Köln Prato Prato Riga Freiberg Flensburg

Versicherer Versicherer (Medici) Versicherer Böttcher-Gilde Versicherer Versicherer (Datini) Gesellen Bergleute SI. MarienKaufmannsgilde Zahlreiche Versicherungsverträge u. urteile Datini Versicherer Kaufleute 1 Schiffergilde SI. Gertrudis-Gilde

1395 1395 1397 1397 1398 1399 1399 1400 vor 1400 11420

Italien

Deutschland

Dänemark

Hollestedt

Delmenhorst (dänisch) Florenz 1Pisa

Portugal Frankreich Spanien

Lissabon Marseille, Avignon Barcelona

Italien Italien

Venedig Prato

Versicherer Versicherer

Land (damals) Italien Italien

1393/1395 1395

Ort Toskana Florenz

Bezeichnung Versicherer Statuto di mercancia

Jahr 1391 1393

(Fortsetzung .. Versicherungen in Gilden und durch private Versicherer")

Rückversicherung (?)

Gildeversicherung

Gildeversicherung

private Reiseversicherung private Seeversicherung private Seeversicherung

private Seeversicherung

private Transportversicherung Konto über Versicherung Transportversicherung I. Rentenversicherung Seeversicherung mittels Makler Reiseversicherung Gildeversicherung Rentenversicherung Gemeinschaft!. Seedarlehen

Art private Seeversicherung gesetzliche Verbote der Seeversicherung für Fremde private Seeversicherung private Transportversicherung

Seegefahren

Schiffbruch, Brand, Raub Brand, Krankheit

wie in Florenz 1388 wie in Florenz 1388 wie in Florenz 1388

Seegefahr wie in Florenz 1388

Prozesse Landtransportgefahr (Raub) wie vor Seegefahren Fl ußschiffbruch Invalidität Seegefahren Seegefahr 1Tod Krankheit, Lösegeld Invalidität "glückliche Ankunft"

Risiken wie 1385 Florenz Seegefahren

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Dänemark Sizilien 1Italien Türkei

Odense Palermo

Konstantinopel

Stresa Preetz

SI. Gertrudis-Gilde Versicherer

Venezianer

Versicherer Brand- und Schützengilde Versicherer Versicherer Statut 1de Castro SI. Nicolai-Gilde SchoppenbrauerGeseHen

1435 1436

1436-1440

1437 1437/1442

1443-1446 1444 nach 1445 1446/48 1447

Riga Lettland Italien Genua Venedig Italien Florenz Italien Erzgebirge (Freiberg) Deutschland London England Genua Italien Flandern Brügge Barcelona Spanien

Barcelona Brügge Florenz F1ensburg Hamburg

Italien Schleswigl Deutschland Spanien Flandern Italien Dänemark Deutschland

Deutschland

Schrage der GeseHen Gesetze Gesetz Versicherer Knappschaft Statut o. ä. Versicherer Cambi (Florentiner) Ordonnanz

Land (damals)

1414 1414/1420 1421 1422 1426 1427 ab 1431 1435-1450 1435

Lübeck

Medici

1413

Ort

Bezeichnung

Jahr

Rückversicherungen Versicherungsprozesse Beschränkung der Versicherungen Gildeversicherung Gildeversicherung

Versicherungskonto Gildeversicherung (?)

private Seeversicherung

Art Kontor ohnel mit Seeversicherungen Gi Ideversicherung freie Wahl des Seeversicherers Verbot der Versicherung Fremder pri vate Transportversicherung Gildeversicherung über Warenversicherung private Seeversicherung (?) private Seeversicherung erste umfassende Regelung Seeversicherung Gildeversicherung private Seeversicherung

Seegefahren Begräbniskosten. Krankheit. Hinterbliebene (Fortsetzung nächste Seite)

Pilgerreisegefahr Seegefahr wie in Florenz 1388 Seegefahr wie in Florenz 1388 Landtransport Brand (erst im 16. Jahrhundert?) Seegefahren Seegefahren

Seegefahren wie in Florenz 1388 Seegefahren

(Wette?) Arbeitsunfall. Krankheit

Krankheit auf Reise

Risiken

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Erläuterungen in 6.

"Büchse"

Versicherer Kassen

vor 1500 vor 1500 um 1500

La Rochelle Schleswig-Holstein Annabergl Erzgebirge

Frankreich Deutschland Deutschland

Deutschland

Freiberg

vor 1500

1494 1497

1488/1501

Burgos Lübeck

Deutschland Deutschland Deutschland Deutschland Dänemark Portugal Spanien Deutschland

Straßburg Erzgebirge Goslar Straßburg Flensburg

Steinmetzgesellen Bergleute St. Barbara Zimmerer Böttcher Santarem (Saterna) Gesetz Der Reitenden Diener Todtenlade Bergleute

1459/1464 ab 1470 1473 1478 1488

1454/57

1458-1484

1458/59

Italien Flandern Spanien Italien

Genua Niederlande Barcelona Genua

Versicherer Ordonnanz Ordonnanz Versicherer

1452

Tod-Witwen

Ad risicum florentinam Seegefahren Seegefahren Gütergefahren auf den Tod Dritter Krankheit 1Tod Krankheit Krankheit Krankheit! Tod Krankheit 1Tod

Risiken Krankheit Seegefahren Reisegeld bei Arbeitslosigkeit

Tod-Beitragserstattung an Witwen private Seeversicherung Seegefahren Gildeversicherungen Brand Gildeversicherungen der Bergleute Krankheit

Gildeversicherung

Gildeversicherung Gildeversicherung Gildeversicherung der Bergleute Gildeversicherung Gildeversicherung Traktat über Versicherung Versicherung im Handelsrecht Gildeversicherung

Kommentar zur Seetransportversicherung private Seeversicherung private Seeversicherung private Seeversicherung private Versicherung

Italien

P. de Castro

Art Gildeversicherung private Schiffsversicherungen Gildeversicherung

Land (damals) Deutschland Italien Deutschland

vor 1450

Ort Freiberg Venedig München

Bergknappen Versicherer Bäckergesellen

Bezeichnung

(Fortsetzung .. Versicherungen in Gilden und durch private Versicherer")

Jahr 1447 1450-1500 1447

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Nachwort Titel und Inhalt dieses Buches führen die bei den hauptsächlichen Arbeitsgebiete meines Lebens zusammen, nämlich die Versicherung, insbesondere die Sozialversicherung, und die Geschichte, hier die des Mittelalters, auf die auch meine Restaurierung des Zehnthofs in Sinzig, der frühesten karolingischen Landpfalz in Deutschland, zurückgeht; diese hat mir 1984 den Preis des Nationalkomitees für Denkmalschutz eingetragen. An den Urkunden über den Zehnthof (seit 762) ließ sich erlernen, wie Urkundeninhalte in die Zeitumstände einzuordnen sind - und dies kam diesem Buch zugute. Schon immer habe ich danach getrachtet, für meine jeweilige Tätigkeit im Bundesarbeitsministerium (seit 1954, zuletzt als Min.Direktor), im Bundesversicherungsamt (Präsident) und in der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt richtig Steilung und Kennzeichnung in der Entwicklung von politischem Geschehen und Recht ausfindig zu machen, und so habe ich schon die Rentenreformen 1957 und 1972, die Hundertjahrfeier der Sozialversicherung 1981 und die 100 Jahre der Zeitschrift Sozialer Fortschritt 1993 in Veröffentlichungen gewürdigt. Mit der Verbindung von geschichtlichem Bewußtsein und aktuellem Gestalten knüpft dieses Buch an den Inhalt von Vorträgen, Aufsätzen und Vorlesungen an der Verwaltungshochschule Speyer und - lange Jahre - im Institut für Versicherungswesen der Universität Köln an und setzt in gewissem Sinne auch mein jahrzehntelanges Mitwirken in den Vorständen des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft, des Deutschen Sozialgerichtsverbands und der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt, Bonn (Vorsitz 1983 - 1999), fort; in allen diesen Institutionen war eine Besinnung auf die Kontinuität in der Geschichte oft am Platze, aus allen diesen Tätigkeiten ist auch das eine oder das andere in diesem Buch wieder in Erscheinung getreten. Den Gilden des Mittelalters, in denen die Versicherung entstanden ist, und mit ihnen den Gesellenverbänden, den Urzellen der heutigen Gewerkschaften, galt seit meinem Jura-Studium 1945 - 1948 wegen ihrer Ordnungsfunktion in der mittelalterlichen Wirtschaft mein frühes Interesse, wenngleich sich in diesem Buch für die deutschen Gilden ein differenzierteres Bild als damals herausgeschält hat. Auch die gegenwärtige, weit schnellere Globalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nimmt weniger wunder, wenn man die heutigen komplizierten Verhältnisse mit einer an der Entstehung der Versicherung geschulten Begrifflichkeit angeht und den Wandel als wesensimmanent begreift.

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Sachregister Angelsachsen 41, 95 Antike 26,197,199,258 Arbeitgeber 112, 116, 118, 133, 134,298, 306,313,321 Arbeitslohn 115, 124, 131 Arbeitslosenversicherung 134 Arbeitslosigkeit 125, 127, 166, 306, 320, 324 Arbeitsrecht 135 Arbeitsunfall 115, 118, 131, 134, 166, 298,306,320,323 Arbeitsvermittlung 117,122,125,298 Armut 35, 37,54, 56, 64, 67, 78, 88, 90, 92, 108, 115, 124, 128, 142, 159, 161, 162,288,297,311,312 Arrest 95, 166, 182,245,246,248 assecurare 188, 190, 223, 226, 228, 230, 232,233,235,236 Ausnahmen 62, 144, 192, 216, 273, 277, 288,307 Begräbnis 28, 48, 50, 52, 54, 55, 64, 71, 79, 85, 88, 121, 123, 127, 130, 132, 134, 138, 140, 145, 146, 148, 151, 162, 298, 305,314,317,320 Begräbniskosten 51,64,78,100,104,127, 130, 134, 166, 226, 293, 295, 310, 319, 321,323 Begriffe 5, 27, 132, 193, 245, 246, 250, 253,308,312 Beistand 29,37,47,53,54,67,143,319 Beitrag 47,50,66,99, 113, 129, 135, 167, 175,178,180,194,226,281,291,308 Bergbau 23, 110, 112, 114, 116, 121, 133, 134,297,317 Bergleute 110, 116, 121, 133, 135, 167, 226, 296, 299, 303, 305, 307, 310, 316, 317,321,322,324 berufliche 129,296

Beschlagnahme 39, 93, 166, 182, 200, 286,306,320,321 Bevölkerung 38,239,240,277 Brand 35, 37, 46, 47, 51, 56, 69, 70, 79, 87,88,90,93,95,98, 100, 104, 107, 137, 139, 144, 146, 147, 149, 154, 166, 168, 226, 246, 247, 249, 288, 291, 292, 295, 303,306,309,312,314,316,317,319, 324 Brandstiftung 70, 312 Brandversicherung 47,49, 52, 68, 73, 108, 151,153,177,293,296,304,315,316 Brauer 75, 120, 122, 146 Bruderschaften 35, 37, 39, 54, 59, 64, 71, 76,79,81,85,89,96, 112, 114, 116, 140, 1~IUl~I~I~I~I~ln

186,288,297,310,312,314,317 Buchführung 226, 238, 252, 258, 259, 264,310 Büchse 113, 115, 117, 124, 127, 129, 131, 133,298,299,310,313,324 caritas 28,67,319 commenda 195, 197 Dänemark 80, 81, 83, 86, 88, 95, 96, 103, 104, 105, 106, 144, 145, 146, 153, 168, 169, 184, 186, 246, 247, 252, 256, 262, 263, 290, 294, 295, 304,307,310,311,314 dänisch 105,107,146,153,322 Dekrete 189,217 Diebstahl 26, 31, 32, 43, 46, 100, 307,319

102, 151, 248, 298,

292,

Ehefrauen 164,166,285 Elemente 23,26, 29, 32, 44, 71, 92, 101, 102, 107, 111, 115, 122, 128, 133, 226, 262,288,292,294,301,309

Sachregister England 41,51,52,53,56,72,73,79,95, 194, 144, 159, 164, 167, 172, 178, 179, 183, 220, 250, 254, 269, 279, 290, 292, 294,295,296,298,314 englische 51,63,73,84,104,279 Erwerbsunflihigkeit 166 Erzgebirge 111, 114, 115, 323, 324 exemptio 191 Feuer 33, 36, 70, 82, 245, 247, 251, 253, 284,291,314 Feuerordnungen 138, 139 Feuerversicherung 36, 153 Feuerwehren 28,35,39,57,288,291,319 Finnland 80, 86 Flamen 95, 186, 273 Flandern 5, 29, 46, 49, 54, 55, 60, 62, 66, 69,73,79,81,95,96, 102, 104, 107, 109, 116, 121, 144, 147, 153, 154, 157, 158, 160, 164, 165, 167, 177, 178, 183, 187, 192, 214, 220, 234, 243, 250, 254, 265, 269, 271, 275, 289, 290, 292, 296, 299, 301, 303, 304, 307, 310, 312, 314, 317, 319,321,323,324 Fracht 171, 179, 199,228,234,258,266, 267 Franken 65 Frankreich 74,167,187,251,290 Fremde 71,124,192,227,232,322 Fürsten 76, 77, 93, 95, 96, 106, 111, 138, 156,157,224,239,244,246,248,251 Galeeren 187,240,254,265,268 Gefahren 33, 35, 37, 52, 97, 107, 134, 150, 167, 170, 190, 191, 219, 220, 222, 232, 233, 237, 240, 246, 249, 251, 253, 259, 261, 263, 265, 283, 284, 289, 290, 297,299,302,308,309,311,316 Gefahrengemeinschaft 27, 37, 44, 100, 143,172,177,291,292 Gefangenschaft 55, 67, 68, 79, 88, 90, 93, 95,104,107,126,246,294,320,321 Gegenseitigkeit 28, 37, 100, 130, 134, 149, 165, 226, 233, 261, 298, 303, 306, 309 Geld 25,27,30,43,47,49,51,52,67,89, 90, 96, 98, 100, 106, 108, 114, 124, 134, 142, 148, 154, 160, 180, 187, 195, 199, 206,209,248,260,263,285,288,295 22 Schewe

337

Geldgeschäfte 186, 188, 192, 209, 260, 266 Genossenschaft 43,81,86,113 Gerichte 192,274,311 Gerichtsbarkeit 67,81, 192,226,261,276, 278,311 Gesellenstatuten 124 Gesellenverbände 23, 117, 123, 125, 128, 129, 134, 137, 138, 145, 160, 186, 298, 299,317,320 Gesellschaft 49, 103, 116, 141, 164, 168, 179,181,198,241,271,273,325 Gesetze 41,177,323 Gewerken 110, 113, 115, 116, 297, 298, 313 Gewinn 49,63,64,91,158,179,181,182, 206,209,210,221 Gewohnheit 78, 95, 96, 118, 130, 133, 167,226,259 Gilden 5, 23, 25, 26, 29, 35, 38, 42, 45, 47, 50, 57, 59, 74, 76, 88, 94, 97, 100, 102, 108, 110, 117, 121, 122, 126, 128, 133, 137, 144, 146, 149, 151, 154, 157, 158, 160, 161, 163, 164, 167, 169, 178, 179, 182, 183, 185, 188, 191, 192, 194, 195, 209, 217, 226, 231, 239, 240, 242, 246, 249, 250, 255, 256, 260, 261, 276, 277, 281, 282, 288, 297, 300, 302, 303, 307,309,312,319,325 gildonia 26,30,33,34,289,291 glückliche Ankunft 207, 212, 226, 236, 237,256,300,319,322 Glücksspiel 222, 240, 256, 300, 310 Gott 40,63,151,159,239,241,246,251 Haftpflicht 46, 134, 298, 306 Haftpflichtversicherung 32, 46, 112, 115, 116,134,165,174,177,298 Haftung 26, 32, 41, 43, 46, 47, 50, 70, 101, 107, 132, 147, 157, 170, 171, 176, 177, 197, 220, 245, 246, 248, 261, 295, 299,303,307,314 Haftungsgemeinschaft 101,291,307,319, 321 Hagel 149, 307, 320 Handel 30, 52, 63, 73, 74, 80, lll, 187, 220,227,248,272,278,301,317 Handelsgesetzbuch 25,97, 171,253,306

338

Sachregister

Handwerk 74,116, 137, 142, 187,317 Handwerksgesellen 116, 133, 134, 168, 296,299,307 Handwerksmeister 117, 133, 134,298 Hanse 34, 53, 59, 63, 77, 79, 80, 82, 83, 105,144,153,172,187,282,297,304 Harz 110 Havarie 312 Hinterbliebene 134, 165, 168,305 Invalidität 158, 159, 168,303,305,322 Invaliditätsversicherung 134 Island 46,80,86, 100, 105, 109, 172,293, 296,307,320 Italien 185, 186, 187, 192, 196, 199,219, 222, 238, 239, 245, 246, 250, 256, 261, 262,263,289,290,301,317 Kaiser 29,61,77, lll, 114, 171 Kalande 148, 149, 168 Kapital 49,156,158,160,164,175,193, 194,198,223,232,238,289,305 Karolinger 39,45,290 Kartelle 117 Kasse 33,43,45,63,67,77,99, 113, 115, 117, 119, 124, 130, 132, 159, 160, 179, 181,286,299,303 Kauf-I Rückkauf 204,209,212,215,216, 220, 222, 235, 241, 242, 256, 267, 270, 315,321 Kaufleute 30, 36, 39, 40, 49, 50, 53, 58, 60,62,63,66,67,73,75,77,81,85,86, 90,99,144, 145, 150, 154, 167, 168, 175, 177, 179, 183, 185, 186, 192, 194, 195, 198, 206, 208, 209, 214, 216, 218, 223, 226, 227, 235, 236, 238, 241, 245, 248, 250, 252, 255, 257, 260, 261, 264, 268, 274, 276, 278, 281, 282, 287, 294, 300, 302,307,311,313,316,321,322 Keuren 46,69,72,87, 101, 102, 104, 109, 151,294,307,312,319 Kirche 48,51,52,55,63,77,96,106, Ill, 114,138,140, 148, 149, 158, 163,316 kirchliche 37, 38, 50, 61, 64, 77, 84, 112, 114, 116, 139, 143, 144, 151, 166, 192, 200,223,297,317

Klauseln 108, 193, 195, 199, 201, 211, 219, 220, 223, 232, 253, 257, 263,264,273,274,300,302 Kleriker 84 Knappschaft 112, 114, 116, 134, 323 Kogge 265, 268 Könige 29,39,41,61,80,82,95,96, 137,179,233 Königsherrschaft 34, 290 Kontore 250, 270 Kosten 91, 99, 113, 123, 126, 153, 17J, 175, 180, 198, 209, 220, 224, 241, 254, 258, 264, 267, 276, 293, 309,313 Krankenversicherung 37, 113, 115, 122, 128, 130, 132, 134, 135, 148, 299,306,315 Krankheit 5,54,55,79,95, 114, 116, 124, 126, 128, 130, 132, 134, 141, 145, 147, 150, 159, 161, 166, 226, 284,303,306,310,319,324

208, 259,

106,

160, 234, 305, 116, 298, 121, 142, 237,

lateinisch 217 Lebensversicherung 158, 164, 165,315 Leibrenten 154, 156, 158, 161, 166, 303, 319 Literatur 26, 45, 52, 120, 131, 139, 144, 169, 170, 188, 191, 194, 195, 201, 202, 205,208,269,277 Lohnersatz 321 Lösegeld 68, 73, 89, 90, 93, 95, 126, 153, 166, 167, 226, 246, 248, 253, 294, 295, 319,322 218,237,239,254,255,322 Meister 117, 118, 122, 124, 128, 130, 141,144,288,298,308,317 Mittelmeer 49,72,97, 148, 170, 171, 178, 183, 185, 194, 197, 202, 231, 234, 243, 250, 256, 265, 282, 292, 299,302,305,307,311,320

~ruuer

132, 177, 233, 295,

Nachbarschaft 28, 36, 103 Nichtigkeit 191, 223, 232 nordische 97, 102,256 Nordsee 57, 66, 94, 107, 138, 183, 270, 293

Sachregister Norwegen 80, 84, 86, 97, 98, 102, 105, 107, 147, 150, 172, 178, 183,293,296, 320 Notare 185, 188, 194, 195, 199,210,212, 214, 215, 217, 218, 221, 226, 230, 232, 234,238,239,245,300,301 Ordonnanzen 193,276,277 Ostsee 81,83,87,95, 103, 104, 107, 153, 166, 170, 172, 176, 177, 183, 245, 250, 282,295,296,299,300,302,307,308 Personenkreis 44, 122, 127,291 Personenversicherung 5,68, 129 Pest 140, 232, 233, 239, 256, 283, 284, 301 Pilgerreise 48, 90, 92, 95, 104, 292, 304, 307,320 Piraten 172,193,220,231,233,235,239, 241,243,246,249,251 Police 249, 255, 266, 270, 272 Portugal 97, 109, 168, 176, 178, 182, 183, 189,233,242,265,268,295,307,317 Prämie 28, 135, 215, 225, 237, 252, 254, 255,268,276,300 Private 223,302,315 Prozesse 238,266,268,272,273,322 Raub 98,99,146,147,166,172,251,320, 322 Rechtsanspruch 27, 50, 223, 311 Rechtsdurchsetzung 30, 34, 46, 290, 309 Rechtsverfolgung 31,32,45 Reformation 25, 84, 113, 115, 144, 152, 169,316,317 Reiseversicherung 304,306,321,322 Renten 154, 155, 159, 160, 164, 166, 168, 303, 305 Rentenversicherung 155, 159, 162, 164, 166,306,322 Risikobegrenzung 56, 243, 259 Rückversicherung 267,322 Sachsen 34, 41, 65, 73, 96, 103, 289, 291, 293 Sachversicherung 174 22'

339

Schaden 31, 32, 36, 44, 70, 77, 90, 99, 100, 108, 135, 172, 173, 180, 206, 234, 263,285,291,309,312,313 Schadensersatz 31, 32, 69, 70, 89, 100, 104, 106, 108, 116, 139, 182, 183, 242, 259,260 Schadensversicherung 32 Schiff 36, 49, 72, 81, 89, 91, 95, 97, 99, 171, 176, 180, 183, 197, 198,200,205, 207, 209, 210, 213, 221, 227, 228, 231, 232, 234, 240, 242, 243, 247, 248, 253, 254, 257, 258, 262, 266, 274, 283, 301, 311,312 Schiffbruch 33, 35, 37, 47, 79, 88, 90, 95, 97, 100, 107, 144, 146, 147, 166, 168, 170, 172, 175, 178, 189, 193, 194, 198, 226, 246, 247, 249, 253, 256, 257, 263, 282, 291, 295, 299, 304, 306, 308, 312, 319,322 Schiffer 36, 49, 94, 148, 167, 168, 171, 174, 175, 188, 194, 195, 198, 199,201, 207, 208, 210, 221, 226, 228, 235, 241, 244, 245, 247, 251, 257, 260, 261, 263, 274, 276, 277, 281, 289, 299, 300, 302, 307,311,322 Schiffsgemeinschaft 39,291 Schiffsversicherung 167, 169, 175, 179, 183, 184, 230, 231, 233, 267, 268, 275, 306,315,321 Schöffen 235,273 Schützengilden 153, 154, 168,304 Schwangerschaft 283,285,303 Schweden 46,80,81,83,86,87,101,104, 106, 109, 114, 182, 184, 293, 296, 307, 319,321 Seeräuber 138, 253, 259 Seerecht 36, 49, 97, 170, 175, 243, 250, 256,257,262 Seetransport 148,177,197,213 Seeversicherung 23,25,27,28,46,65,71, 93,97,100,109,136,144,170,174, 176, 177, 182, 183, 186, 194, 196, 197, 201, 202, 204, 205, 209, 211, 215, 217, 218, 220, 222, 224, 226, 234, 238, 240, 242, 244, 247, 250, 253, 264, 266, 268, 276, 278, 279, 281, 282, 284, 295, 300, 302, 304, 306, 308, 310, 314, 316, 317, 321, 324

Sachregister

340

Seewurf 27,90,92,95,97, 107, 144, 146, 147, 166, 170, 177, 183, 193, 226, 245, 251, 253, 256, 258, 295, 299, 307, 315, 319,321 Siegerland 110 Skandinavien 80, 87 Solvabilität 260, 263, 302 Sozial- 5, 305 Sozialversicherung 23,25,37,44,45, 116, 126, 129, 133, 135, 159, 174, 182, 298, 299,304,318,325 Spanien 243, 269, 317 spanische Spiml

191, 277

123,124,140,298

Städte 40, 47, 53, 61, 65, 67, 70, 72, 74, 76, 77, 102, II 9, 137, 139, 153, 155, 158, 165, 167, 170, 186, 188, 191, 192, 224, 239, 244, 246, 248, 249, 251, 262, 270, 278,281,286,303,314,319 Stadtgesetzgebung 275,277,279 Statuten 23,33,41,47,49,51,56,58,62, 64,69,72,80,82,84,86,90,92,93,96, 99, 100, 102, 104, 107, 119, 123, 125, 131, 134, 138, 140, 142, 144, 149, 151, 153, 167, 188, 191, 247, 249, 250, 252, 255,275,294,296,298 Staufer 61,77,96, 186 Sterbegeld 71, 111, 306 Sterbekasse 49, 129, 130, 134, 135, 163, 165,293,303 Südfahrt 47,52,68,69,91,147,167,292, 294 Summen 303

Umlage 32,42,44,46,47, 50, 65, 67, 68, 70, 89, 91, 92, 94, 96, 98, 104, 106, 108, II 6, 121, 128, 132, 135, 141, 153, 167, 174, 176, 194, 248, 262, 282, 290, 293, 296,298,299,304,305,307,309,312 Versicherung 5,6, 23, 25, 28, 31, 35, 37, 38,40,44,46,49,52,54,56,65,67,68, 70, 71, 73, 81, 82, 89, 90, 92, 98, 100, 103, 106, 108, lll, ll3, 115, 122, 125, 127, 129, 133, 135, 138, 140, 143, 144, 147, 149, 150, 152, 157, 158, 160, 163, 165, 168, 170, 172, 175, 178, 180, 183, 187, 195, 197, 198, 201, 202, 205, 208, 210, 212, 214, 218, 220, 222, 223, 226, 228, 232, 235, 237, 240, 244, 248, 249, 252, 256, 258, 260, 261, 264, 265, 267, 268, 270, 272, 274, 282, 284, 295, 297, 299,300,304,317,322,325 Viehverlust 100,320 Wachslichter 64,166,167,293,319 Wagnis 5, 252 Wwsen 130,163,164,166,303 Waren 36, 39, 49, 60, 65, 67, 88, 90, 92, 95,97,106,108,148,166,167,171,174, 177, 178, 181, 182, 187, 192, 195, 197, 201, 206, 208, 211, 216, 219, 222, 225, 228, 231, 236, 237, 240, 242, 246, 249, 251, 253, 255, 257, 260, 262, 266, 268, 270, 271, 273, 275, 278, 283, 286, 299, 302,306,307,312,320,321 Wechselfalle 167,289,305,312 Wette 205, 214, 231, 267, 271, 274, 283, 286,323 Witwen 63,163,303,306,324 Wollhandel 295 Wurzel 32,33,35,241,250,302,313,315

Texte 41, 156,249,305 Tod 47, 49, 54, 55, 64, 73, 77, 82, 122, 123, 131, 134, 141, 146, 150, 154, 162, 166, 271, 283, 286, 293, 303, 306, 319, 320,322,324 Totschlag 30,32,50,81,102,250 Träger 112, 128, 167,289 Transportversicherung 213,223,266,279, 282,286,301,306,317,322,323

Zahlungsfahigkeit 159, 260, 303 Zeitabschnitte 166, 167 Ziele 143, 144, 154, 195, 207, 208, 214, 215,270,290,297 Zins 91,199,207,224,225,300 Zunft 30, 59, 74, 76, 117, ]]8, 122, 128, 129, 132, 135, 137, 139, 142, 143, 159, 162,185,187,219,321 Zweckgemeinschaft 308

Ortsregister Aachen 42,59,66,76,153 Abbotsbury 47,48,51. 52,104,319 Aire 49, 55, 58, 60, 67, 71, 73, 90, 97, 104,107,108,167,293,294,306,319 A1benga 193 Amsterdam 156 Andover 53 Anklam 87,105 Annaberg 114, 116,324 Arles 73, 74, 237 Arras 59,66,69, 156 Augsburg 119,121, 155,156 Avignon 74,224,269,270,322 Barcelona 171, 193, 233, 254, 255, 267, 269,273,275,278,283,302,322,324 Basel 60,65,75,78,119,121,139 Bath 53 Bergen 85, 105, 172 Berwick 53,159,161,163,166,320 Bever1y 53 Bilbao 272, 275 Bologna 194 Braunschweig 58, 62, 65, 75, 112, 120, 139 Bremen 40,60,75,118,139,155,314 Bres1au 75,119,121,139,155,156,320 Brilon 76 Bristol 53 Brügge 58, 66, 69, 70, 73, 153, 155, 163, 164, 177, 178, 183, 184, 186, 194,203, 209, 212, 214, 220, 234, 241, 254, 261, 268, 273, 275, 282, 3ot, 302, 306, 315, 321,323 Burford 53 Burgos 272, 275, 277, 324 Bury St. Edmunds 53 Calais 58, 66, 73

Ca1w 280 Cambridge 47, 50, 52, 55, 104, 164, 293, 294,319 Chester 53 Chiavenna 187 Cognac 74 Corno 187 Danzig 87, 103, 106, 119, 121, 122, 124, 153, 172 De1menhorst 146, 150, 152,304,322 Dordrecht 59, 103 Dortmund 58, 75, 153 Drontheim 85, 105, 106 Dublin 53 Duderstadt 75,119,121. 123,306,320 Dünkirchen 66,67, 153 Dunwich 53 Erfurt 75,78, 120 Exeter 46, 52, 55, 56, 63, 68, 69, 71. 73, 89, 91, 92, 96, 100, 104, 107, 108, 141. 164, 167, 177, 250, 255, 279, 292, 295, 306,307,309,314,319 F1ensburg 79, 80, 83, 84, 88, 90, 95, 97, 102, 104, 106, 108, 131, 135, 144, 149, 173, 175, 177, 183, 184, 246, 247, 249, 250, 262, 271, 292, 295, 299, 302, 306, 307,309,310,314,315,319,322,324 Florenz 23, 73, 185, 190, 192,203, 204, 211, 215, 219, 227, 235, 241, 244, 246, 250, 252, 253, 256, 261, 273, 275, 278, 280, 283, 285, 302, 304, 306, 308, 315, 320,323 Fournes 58 Freiberg 114, 116, 163,321,324 Freiburg 120 Fritz1ar 76

342

Ortsregister

Garlekith 159 Gent 58, 66, 69, 70, 73, 153, 155, 234, 267,271, 272 Genua 37, 164, 165, 171, 189, 192, 194, 195, 198, 200, 202, 205, 209, 213, 215, 218, 220, 222, 224, 227, 232, 239, 247, 251, 254, 261, 265, 267, 269, 271, 275, 280, 281, 283, 286, 300, 302, 306, 310, 315,321,324 Gerardsbergen 58 Gersdorf 75 Glocester 53 Goslar 58,65,74, lll, 116, 121, 133,298, 306,320,324 Göttingen 119, 121 Great Bedwyn 47, 50, 52 Greifswald 87, 106 Güstrow 75 Hadersleben 83, 105, 147,320 Halberstadt 58, 65, 74 Halle 58,65,76,111 Hamburg 23, 60, 76, 118, 122, 129, 131, 134, 135, 139, 146, 148, 156, 163, 165, 269,297,303,323 Hameln 75 Harburg 58,62, 65, 76 Herstal 32, 319 Hildesheim 75, 120 Höxter 75 Hollestedt 322 Ipswich 53 Itzehoe 146, 153 Jerusalem 48,55,91,171 Kallehave 83, 84, 92, 95, 97, 105, 246,249,252,263,302,308,320 Kiel 59, 76, 82,105,147,151,153 Kolberg 75 Köln 36, 40, 58, 60, 63, 65, 74, 75, 109, 137, 138, 140, 141, 149, 150, 156, 158, 160, 162, 164, 167, 293, 303, 306, 307, 316, 317, 319, 320, 325 Königsberg 120, 121

184,

105, 155, 294, 322,

Konstantinopel 187, 254, 266, 269, 271, 323 Konstanz 120,131,132,224,321 Kopenhagen 83, 84, 97, 105, 106, 146, 184,321 Kyritz 75 La Rochelle 269,272,324 Landshut 75, 78 Le Mans 187 Leicester 53 Lemgo 75 Leyden 156 Lille 58,66,68,69,90,319 Lincoln 53,54,159,293,294,321 Lissabon 179, 181, 184, 235, 269, 270, 273,321,322 London 41,42,50,53,55,59,63,77,159, 164, 165, 186, 219, 272, 275, 279, 292, 303,307,309,315,319,321,323 Löwenberg 74 Lübeck 59, 65, 66, 120, 121, 137, 142, 148, 155, 156, 163, 165, 172, 266, 282, 303,306,315,323,324 Lucca 203,219,235 Lund 87,104,105 Lüneburg 75, lll, 163 Magdeburg 40,58,59,65,75,153 Mailand 73,187,217,239 Mainz 40, 58, 60, 65, 75, 76, 156 Malmö 83, 84, 94, 95, 97, 105, 145, 184, 293,296,320 Marlborough 53 Marseille 188, 200, 203, 207, 209, 240, 244,254,257,269,270,322 Metz 61,62,244,316 Mohrkirchen 146, 149 Mühlhausen 75 München 59,61,66,76,139,324 Münster 75, 280, 329 Müsen 11 0, 111 Namur 58,69 Neapel 185,199,254,272,286 Neuss 156 Nidaros 85, 105 Norderstapel 146, 151

Ortsregister Nordhausen 155 Nordstrand 146, 149 Nowgorod 186 Nürnberg 74, 120, 121, 129, 137, 155, 156,303 Odense 83, 84, 87, 90, 92, 95, 97, 100, 105, 107, 108, 144, 146, 147, 175, 177, 183, 246, 247, 249, 257, 263, 292, 295, 299,306,310,315,320,323 Oldenburg 59,76,82,105 Oleron 171, 295 Onarsheim 85,86, 106 Oslo 85,105 Osnabrück 74,79, 117 Palermo 190, 199, 200, 202, 203, 211, 213, 215, 218, 219, 227, 228, 237, 240, 244, 249, 251, 254, 256, 261, 264, 267, 269, 271, 281, 282, 302,306,311,315,321,323 Paris 73, 280 Passau 74 Perleberg 75 Perth 53 Petersfield 53 Pirna 76 Pisa 171, 188, 189, 198, 203, 204, 215, 227, 235, 241, 243, 244, 247, 253, 254, 256, 262, 263, 266, 268, 282,285,302,311,315,321,322 Poperinghe 58,69,70 Porto 184,269,270,273,283,321 Prag 120 Prato 187, 203, 204, 219, 235, 237, 261, 266, 269, 270, 273, 283, 310, 322 Preetz 146,151,153,154,316,323

208, 230, 257, 301,

211, 249, 270,

254, 321,

Ragusa 176,184,194,247,256,268,295, 300,307,320 Ravenna 185 Regensburg 40,75,76,119,121 Reichenau 119 Reval 80, 83, 84, 94, 95, 97, 105, 144, 170,184,249,293,296,320

343

Riga 94,95, 105, 116, 120, 122, 124, 126, 144, 145, 172, 293, 296, 299, 306, 320, 322,323 Ringstedt 82,83,96 Ripen 106, 149 Roskilde 105 Rothenburg 120, 121 Rouen 58,61,73 Rufach 120 Salzburg 59,61,66,75 Salzwedel 75 Savona 275,278 Schaffhausen 76, 120 Schleswig 81,82, 101, 105, 109, 122, 131, 149, 151, 152, 159, 168, 172, 290, 302, 310,317,323 Schneeberg 114 Schwaz 110 Schwerin 139 Sevilla 272,275 Skanör 82,83,91,93,96,249,250 Soest 40, 60, 111, 120 Sonderborg 87,88, 146 Speyer 60,119,121,325 St. Denis 155,316 St. Omer 54, 58, 60, 64, 66, 68, 90 St. Pölten 75 Stendal 58, 62, 65, 75, 78, 79, 120, 122, 167 Store Hedinge 83, 92, 95, 101, 105, 107, 147,183,246,248,263,302,306,320 Stralsund 87, 105 Stranding 59, 76, 82, 105 Straßburg 75, 119, 121, 131, 133, 306, 321,324 Stresa 269,271,323 Süderstapel 146, 151 Tiel 58, 60, 62, 64, 65, 81, 96, 148, 167, 244,292,316,319 Tolfa 265 Toulouse 74 Tour 73 Tournay 153,319 Trier 60,61,75 Tulln 75

344

Ortsregister

Überlingen 76, 120 Ulm 75,139 Valence 74 Valenciennes 58, 60, 66, 69, 71, 73, 90, 97,104,107,147,248,292,319 Venedig 39, 176, 185, 187, 192, 198,202, 204, 211, 215, 218, 227, 238, 239, 247, 251, 253, 255, 265, 275, 282, 302, 322, 324 Villingen 76 VIissingen 66

Weißenburg 155, 163 Wien 74,78, 122 Wisby 59,82,96,105,172,186 Wismar 87, 106, 120, 121, 153 Witzenhausen 76 Wohlau 76 Wonns 40,58,60,65,76 Würzburg 58, 75, 78 York 53 Ypem 58,69 Zürich

76,119,121,123,306,320