Gilden im mittelalterlichen Skandinavien 3525354541, 9783525354544

Die Gilde war eine Form der Gruppenbildung, die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfaßte, ein 'totales Phänome

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Polecaj historie

Gilden im mittelalterlichen Skandinavien
 3525354541, 9783525354544

Table of contents :
Vorwort 7
I. Einleitung 9
II. Zur Geschichte der Forschung über Gilden 17
1. Forschungen über die kontinentaleuropäischen Gilden 19
2. Forschungen über die skandinavischen Gilden 37
2.1 Dänemark 37
2.2 Norwegen 43
2.3 Schweden 49
III. Der Forschungsbegriff 'Gilde' 57
1. Herleitung und Erläuterung des Forschungsbegriffs 58
2. Überprüfung des Forschungsbegriffs am skandinavischen Material 66
IV. Quellenlage und historische Überblicke 73
1. Dänemark 74
2. Schweden 78
3. Norwegen 81
V. Form und Bedeutung der skandinavischen Gilden 83
1. Norwegen 83
1.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden 83
1.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts 102
1.3 Totenmemoria und Heiligenkult 108
1.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 115
1.5 Konfliktlösung und Friedenswahrung als Vorbild 121
2. Schweden 127
2.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden 129
2.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts 154
2.3 Totenmemoria und Heiligenkult 166
2.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 172
2.5 Spezialformen von Gilden 181
3. Dänemark 184
3.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden 185
3.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts 208
3.3 Totenmemoria und Heiligenkult 219
3.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 223
3.5 Spezialformen von Gilden 227
3.5.1 Die Gesellengilden 228
3.5.2 Die Knutsgilden 235
3.5.3 Die Rosenkranzgilden 247
VI. Die skandinavischen Gilden in ihrem sozialen Umfeld im Vergleich 253
1. Die Gilden in ihrem Verhältnis zur Kirche 254
2. Die Gilden in ihrem Verhältnis zur Obrigkeit 263
2.1 Das Verhältnis zur lokalen Obrigkeit 263
2.2 Das Verhältnis zum König 272
3. Die Gilden in ihrem Verhältnis zum allgemeinen Recht der Gesellschaft 282
VII. Zusammenfassung 293
Quellen und Literatur 297
a) Siglen 297
b) Quellen 297
c) Literatur 298
Register 323

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VERÖFFENTLICHUNGEN DES MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR GESCHICHTE 139

Gilden im mittelalterlichen Skandinavien von

Christoph Anz

VANDENHOECK & RUPRECHT GÖTTINGEN • 1998

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Anz> Christoph:

Gilden im mittelalterlichen Skandinavien / Christoph Anz. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte ; 139) Zug!.: Göttingen, Univ., Diss., 1996 ISBN 3-525-33434-1 © 1998, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. Alle Rechte Vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun­ gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Inhalt V orw ort.............................................................................................

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I. Einleitung .......................................................................................

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II. Zur Geschichte der Forschung über G ilden................................ 1. Forschungen über die kontinentaleuropäischen Gilden ........... 2. Forschungen über die skandinavischen Gilden ........................ 2.1 Dänemark ............................................................................. 2.2 Norwegen ............................................................................. 2.3 Schweden ...............................................................................

17 19 37 37 43 49

III. Der Forschungsbegriff ,Gilde1 ....................................................... 57 1. Herleitung und Erläuterung des Forschungsbegriffs ................ 58 2. Überprüfung des Forschungsbegriffs am skandinavischen Material ........................................................................................ 66 IV. Quellenlage und historische Überblicke ........................................ 1. Dänemark .................................................................................... 2. Schweden...................................................................................... 3. Norwegen ....................................................................................

73 74 78 81

V. Form und Bedeutung der skandinavischen G ilden........................ 1. Norwegen .................................................................................... 1.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden ........... 1.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts ............... 1.3 Totenmemoria und Heiligenkult.......................................... 1.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 1.5 Konfliktlösung und Friedenswahrung als Vorbild ............. 2. Schweden...................................................................................... 2.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden ........... 2.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts ................ 2.3 Totenmemoria und Heiligenkult.......................................... 2.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 2.5 Spezialformen von G ilden.....................................................

83 83 83 102 108 115 121 127 129 154 166 172 181 5

3. Dänemark ................................................................................ 3.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden ........... 3.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts................ 3.3 Totenmemoria und Fleiligenkult.......................................... 3.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden 3.5 Spezialformen von Gilden .................................................. 3.5.1 Die Gesellengilden .................................................... 3.5.2 Die Knutsgilden ......................................................... 3.5.3 Die Rosenkranzgilden................................................

184 185 208 219 223 227 228 235 247

VI. Die skandinavischen Gilden in ihrem sozialen Umfeld im Vergleich..................................................................................... 1. Die Gilden in ihrem Verhältnis zur Kirche ............................... 2. Die Gilden in ihrem Verhältnis zur Obrigkeit........................... 2.1 Das Verhältnis zur lokalen Obrigkeit ................................. 2.2 Das Verhältnis zum König .................................................. 3. Die Gilden in ihrem Verhältnis zum allgemeinen Recht der Gesellschaft ..........................................................................

253 254 263 263 272 282

VII. Zusammenfassung ........................................................................ 293 Quellen und Literatur.............................................................................. a) Siglen........................................................................................... b) Quellen ...................................................................................... c) Literatur......................................................................................

297 297 297 298

Re§is« r ................................................................................................... 323

Vorwort Ein fast zweijähriger Norwegen-Aufenthalt weckte bei mir das Interesse an der Kultur und Geschichte Nordeuropas, das im Verlauf des Studiums je­ doch eine eher marginale Rolle einnehmen mußte. Erst mein Doktorvater, Herr Prof. Dr. Otto Gerhard Oexle, auf dessen Anregung die vorliegende Arbeit entstand, ermöglichte mir durch ein Stipendium des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen die Verbindung aus beruflicher Arbeit und privatem Interesse. Dafür sei ihm ebenso herzlich gedankt wie für die aufmerksame und interessierte Begleitung meiner Forschungen und die stete Bereitschaft, mich auch - manchmal unergiebige - Seitenwege gehen zu las­ sen und durch Diskussionen immer wieder zur Präzisierung meiner Frage­ stellungen beizutragen. Herrn Prof. Dr. Hartmut Boockmann bin ich für die Übernahme des Kor­ referates zu Dank verpflichtet. Unterstützt haben das Zustandekommen der Arbeit viele Personen und Institutionen auf sehr unterschiedliche Weise. Ein Stipendium des Stifterver­ bandes der deutschen Wissenschaft ermöglichte eine ausgedehnte Archivund Bibliotheksreise durch Skandinavien, wofür ich auch hier meinen Dank aussprechen möchte. Die auf dieser Reise und bei mehreren Kongressen ge­ knüpften Kontakte zu skandinavischen Kollegen haben nicht nur wertvolle und intensive, zum Teil andauernde Diskussionen eröffnet, sondern mir gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, die Grundthesen meiner Arbeit vor ei­ nem dänischen Fachpublikum vorzutragen. Bedanken möchte ich mich für stete Diskussionsbereitschaft, Anregungen und Hilfestellungen in unter­ schiedlichen Situationen bei cand. mag. Lars Bisgaard (Odense), Prof. em. Grethe Authen Blom (Trondheim), Prof. Dr. Göran Dahlbäck (Stockholm), Prof. Dr. Lars Ivar Hansen (Tromso), Prof. Dr. Steinar Imsen (Trondheim), Docent Dr. Thomas Lindkvist (Falun), Dr. Dag Lindström (Linköping), Prof. Dr. Jens E. Olesen (Greifswald), Dr. Erik Opsahl (Oslo) sowie Dr. Carsten Selch-Jensen (Odense). Bereits meiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft am Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt/M. verdanke ich wichtige Impulse für meinen weiteren beruflichen Werdegang. Dazu beigetragen hat auch die dortige Verwaltung unter ihrem Leiter, Herrn Gerhard H. Gräber, der die ersten Verbindungen nach Göttingen geknüpft hat. Die Möglichkei­ ten zum Gedankenaustausch, zum wiederholten Infragestellen der eigenen 7

Perspektive und die Anregungen durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am MPI in Göttingen haben den Entstehungsprozeß der eigenen Arbeit we­ sentlich gefördert. Gedankt sei hier vor allem Prof. Dr. Egon Flaig, Dr. Jan Gerchow, Antje Schelberg sowie Dr. Ulrich Meyer, der Teile des Manu­ skripts durchsah. Das Interesse, das Dr. Andrea von Hülsen-Esch meiner Arbeit entgegenbrachte, ging weit über das übliche Maß hinaus. Ein offenes Ohr hatte auch stets Frau Karin Lentge, deren persönliche Anteilnahme sehr wohltuend war. Bei der Drucklegung der Arbeit, die im Sommersemester 1996 vom Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Univer­ sität Göttingen als Dissertation angenommen wurde, waren die Hinweise von Dr. Caspar Ehlers sehr wertvoll. Lediglich als eines der vielen äußeren Zeichen für die Unterstützung, die ich im Laufe der Promotionsphase von meiner Frau erfahren durfte, sei hier das Korrekturlesen der Dissertation genannt. Die in vielerlei Hinsicht schwierige Zeit konnte nur gemeinsam getragen werden. Für die bedingungs­ lose Bereitschaft, den gemeinsamen Weg zu gehen, gilt Ursula daher mein größter Dank. Göttingen, im Juni 1997

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I. Einleitung „Zum Ersten wollen wir die boßen ubung der Bruderschafften ansehen, Un­ ter wilchen ist eyne, das man eyn fressen und sauffen anricht, leßt eyn meß odder ettlich halten, darnach ist der gantz tag und nacht und andere tag da­ zu dem teuffei zu eygen geben ... Solch wutende weyß hatt der boße geyst eyntragen, unnd lest es eyn bruderschafft heyssen, ßo es mehr eyn luderey ist und gantz eyn heydenisch, ja eyn sewisch weßen. Es were vill besßer, das keyn bruderschafft ynn der weit were, dann das solcher unfug geduldet wirt. Es solten weltlich herrn und stete mit der geystlicheyt da zu thun, das solchs abthan wurde, dann es geschieht gott, den heyligen und auch allen Christen groß uneere daran, und macht gottis dienst und die feyrtag dem teuffei zu eynem spott... Wan man eyne saw zu solcher bruderschafft patronen setzet, sie wurd es nit leyden ... We denen, die das thun und zu thun vorhencken!"1 Die hier durch Luther sehr deutlich formulierte Ablehnung der Gilden ist weder die erste noch die einzige Polemik gegen diese Verbrüderungen gewe­ sen. Gilden waren seit ihrer Entstehung im früheren Mittelalter häufig Ge­ genstand von Auseinandersetzungen um mögliche Gefahren, die von ihnen vermeintlich auszugehen drohten. Dabei war es nicht der Begriff ,Gilde', ge­ gen den sich die Angriffe richteten, zumal dieser sich als einheitliche Be­ zeichnung in Deutschland erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durchsetzen konnte. Bis dahin wurden neben lateinischen Ausdrücken wie fraternitas oder coniuratio je nach Region Bezeichnungen wie , Bruderschaft', , Einung', , In­ nung', ,Zeche', ,Gaffel' und viele weitere benutzt. Alle diese Begriffe be­ zeichnen eine spezifische Form von Gruppenbildung, die durch die Eidbin­ dung der Gmppenmitglieder aneinander und das von der Gruppe selbst ge­ setzte Recht die obrigkeitliche Herrschaft gefährden konnte. Die vielfältigen Begriffe, die sowohl im Mittelalter als auch in späteren Epochen für eine bestimmte Form von sozialen Gruppen benutzt wurden, machten und machen es der Forschung bis heute schwer, die Gilden als ei­ genständiges Phänomen zu erkennen. In dieser Arbeit wird die These vertre­ ten, daß sich unabhängig von einer häufig von Region zu Region wechseln­ den Bezeichnung die idealtypischen Merkmale einer Gilde aus den Quellen herausarbeiten lassen und dadurch eine umfassende Darstellung dieser spe­ zifischen Form einer Personengruppe gegeben werden kann. Dagegen hatte 1 M artin Luther, Sermon S. 754 f. 9

sich vor allem die deutschsprachige Forschung bis in die 1970er Jahre hinein häufig von den Begriffen leiten lassen und Gilden entweder als Gegensatz zu den handwerklich orientierten Zünften verstanden oder die Gilden aus­ schließlich als Zusammenschluß von (Fem-)Handel treibenden Kaufleuten interpretiert.2 Um den forschungsgeschichtlichen Hintergrund zumindest im Ansatz verständlich zu machen, wird deshalb zunächst ein Überblick über die Geschichte der Erforschung von Gilden gegeben. Wissenschaftsge­ schichte wird dabei nicht allein als Rekonstruktion dessen verstanden, was die frühere Forschung zu einem bestimmten Zeitpunkt an Ergebnissen zu diesem Thema vorgelegt hat; vielmehr wird an ausgesuchten und repräsenta­ tiven Beispielen versucht, eine Verbindung zwischen der jeweils vertretenen Forschungsmeinung und den zeitgenössischen politisch-sozialen Problemen herzustellen, um auf diese Weise deutlich zu machen, wie sehr die aktuellen Probleme auf die Fragestellungen innerhalb der Forschung einwirkten. Im Hinblick auf die Erforschung der Gilden stehen die deutschsprachigen Beiträge im Mittelpunkt, ohne daß deswegen Ansätze aus anderen europä­ ischen Ländern vollkommen unbeachtet blieben. Die Konzentration auf die deutschsprachige Forschung hat vor allem zwei Gründe: Zum einen sind so­ wohl zum Ende des 19. als auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland grundlegende Ansätze für die Erforschung mittelalterlicher Gruppenbildungen entwickelt worden. Zum anderen haben besonders deutschsprachige Forscher Arbeiten über die skandinavischen Gilden vorge­ legt, die zum Teil erheblichen Einfluß auf die weiteren Forschungen auch in Skandinavien selbst ausgeübt haben. Daher soll erst im Anschluß an eine Darstellung der allgemeinen Forschungstradition über Gilden ein nach der gleichen Vorgehensweise aufgebauter Überblick über die Geschichte der Er­ forschung der skandinavischen Gilden gegeben werden. Der Begriff Skan­ dinavien“ meint hier bewußt und konsequent die drei Staaten Dänemark, Schweden und Norwegen.3 Es ist weder der in Skandinavien selbst häufig verwendete Begriff des ,Nordens“ gemeint, der neben Skandinavien auch Finnland, Island, Grönland, Spitzbergen (Svalbard) sowie die Färöer ein2 Im einzelnen werden die unterschiedlichen Forschungspositionen, deren Entstehung und weitere Verwendung in Kapitel II erläutert. Bei der Untersuchung ist die Reihenfolge der drei Länder nicht einheitlich beibehalten. Je nach Kapitel wird bewußt die Reihenfolge verändert, um dadurch Bezüge besser herstellen und Übergänge fließender gestalten zu können. Aus forschungsgeschichtlichen Gründen beginnt der Hauptteil der Arbeit (Kapitel V) mit Norwegen, um sich anschließend über Schweden und Dä­ nemark geographisch dem Kontinent anzunähern. Außerdem kann auf diese \Ckdse gezeigt wer­ den, daß auch bei relativ wenig vorhandenen Quellen der in dieser Arbeit vertretene Forschungs­ ansatz zu umfassenden Ergebnissen führen kann.

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schließt, noch ein - von ähnlichen geographischen Vorstellungen her konzi­ piertes - ,Nordeuropa“. Die Konzentration auf die Staaten Dänemark, Schweden und Norwegen hat mehrere, zum Teil durchaus pragmatische Gründe. Zum einen werden heute unter dem Begriff Skandinavien“ tatsäch­ lich korrekterweise nur die Staaten der skandinavischen Halbinsel - also Norwegen und Schweden - sowie Dänemark verstanden.4 Zum anderen hat es auf Island keine Gruppenbildungen in Form der Gilden gegeben, zumin­ dest können sie trotz einer relativ reichhaltigen Überlieferung weder für die Zeit des Freistaats (die bis 1264 andauerte) noch für die anschließenden Epochen nachgewiesen werden.5 In Finnland - geographisch nicht zu Skan­ dinavien gehörend - können zwar ab der Mitte des 14. Jahrhunderts Gilden nachgewiesen werden, doch zu diesem Zeitpunkt war das Land längst durch die schwedisch geprägte Besiedlung und Regierung dominiert.6 Die sehr spät erfolgte Christianisierung Finnlands im 13. Jahrhundert, die vom Westen und nicht vom Osten ausging, hatte mit der damit einhergehenden Ansied­ lung von Schweden die Gesellschaftsstrukturen des Landes grundlegend ver­ ändert.7 Daher legt die späte Nachweisbarkeit finnischer Gilden die Vermu­ tung nahe, sie seien erst durch enge Beziehungen mit dem Ausland und der dauerhaften Siedlung von Schweden im Land bekannt und üblich geworden. Die meisten mittelalterlichen Gilden lassen sich in Finnland entlang des Flus­ ses Kümo belegen, ein Gebiet, das seit der Christianisierung des Landes un­ ter schwedischem Kultureinfluß stand. Wie eng die Bindung an Schweden im Mittelalter war, läßt sich auch an der Mitgliedschaft von Finnen in schwedi­ schen, vorzugsweise Stockholmer Gilden ablesen.8*1Trotz der Existenz von 4 Vgl. die in diesem Sinne gehaltene Angabe bei H enningsen, Nordeuropa-Studien S. 94 Anm. 6. Im gleichen Sinne sind die gängigen Definitionen gehalten in: Meyers enzyklopädisches Lexikon, Bd.21, S. 790, sowie in: Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, Bd. 20, S. 346. 5 Es gibt zwar vage Hinweise auf eine Gilde, doch reichen die Quellenangaben nicht aus, um sie als einen Zusammenschluß zu charakterisieren, der die für das übrige Europa typischen Merkmale einer Schwureinung aufweist. Vgl. dazu die wenigen Bemerkungen von LÄrusson, Art. „Gilde-Island“, in: KLNM 5, Sp. 313. Dennoch hat es auf Island selbstverständlich Perso­ nenverbände gegeben. Vgl. dazu beispielsweise die Arbeiten von Sigurbsson, Goder, sowie ders., Friendship. 6 Vgl. die Angaben bei N iitemaa, Art. „Gilde-Finland“, in: KLNM 5, Sp. 306 ff. 7 Dazu trug auch die Kirchenorganisation bei, der es aber dennoch gelang, zum Ausgang des Mittelalters alle Bischofssitze mit finnischen Klerikern zu besetzen. Zur Kirchenorganisati­ on Finnlands im Mittelalter und zur finnischen Geschichte allgemein vgl. den Überblick durch J utikkala, Geschichte Finnlands, besonders S. 44-110. 11 Diese Angaben auch bei N titemaa, Art. „Gilde-Finland“ Sp.308, der sie dem durch Isaak Collijn und Gustaf Edvard Klemming edierten Quellenmaterial für Stockholmer Gilden ent­ nimmt.

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Gilden hat sich für Finnland nicht ein einziges Gildestatut erhalten, wodurch sich die tatsächliche Struktur der finnischen Gilden um so schwerer erken­ nen läßt. Ähnlich wie in Skandinavien selbst, führte auch in Finnland die wiederum vom Westen eindringende - Reformation zu einem weitgehenden Bruch mit den mittelalterlichen Verhältnissen, der zur Folge hatte, daß die Gilden nicht überleben konnten.9 Damit ist auch der zeitliche Rahmen dieser Untersuchung eingegrenzt. Vom Zeitpunkt der Nachweisbarkeit skandinavischer Gilden im 12. Jahr­ hundert ausgehend, soll deren Entwicklung und Wirkungsgrad bis zur Re­ formation nachgezeichnet werden.10 Hierbei müssen die Versuche, die Gil­ den bis in die heidnische Zeit zurückzuführen und sie damit als deutlich älter erscheinen zu lassen, einer ähnlich kritischen Analyse unterzogen werden, wie dies für die weit verbreitete These gilt, die Gilden seien Zusammen­ schlüsse ausschließlich von Kaufleuten und bildeten somit einen Gegensatz zu den handwerklichen Zünften. Einzelne Berichte arabischer Gesandter werden für die angebliche Nachweisbarkeit des hohen Alters auch der skan­ dinavischen Gilden ebenso angeführt wie die „Germania“ des Tacitus, ob­ wohl bei kritischer Untersuchung der betreffenden Texte solche Behauptun­ gen nicht haltbar sind.11 Auch weitere, immer wieder benutzte angebliche Beweise für die lange Gildetradition in Skandinavien werden überprüft, um die - zwar nicht immer damit verbundene, aber doch häufig implizit dahinterstehende - These der germanischen Kontinuität1 zurückweisen zu kön­ nen. Konkrete Belege für das Vorhandensein von Gilden in Skandinavien finden sich - im Gegensatz zum kontinentalen Europa - erst ab dem 12. Jahrhundert und nur von diesem Zeitpunkt an lassen sich die Gruppen­ bildungen inhaltlich bestimmen, selbst wenn der Begriff ,Gilde1 vereinzelt schon früher benutzt wurde. Den zeitlichen Schlußpunkt der Untersuchung bildet dann die Reformati­ on; das eingangs angeführte Zitat dürfte bereits erkennen lassen, warum die­ ser Zeitrahmen gewählt wurde. Mit der Reformation, die in allen skandina­ vischen Staaten von den weltlichen Herrschern zum Teil vehement durchge-9* 9 Vgl. auch dazu N iitemaa, Axt. „Gilde-Finland“ Sp. 306 ff. Unter ,Nachweisbarkeit' ist hier die Evidenz auf Basis konkreter Quellenangaben ge­ meint, die entweder allein oder im Zusammenhang mit anderen Hinweisen den eindeutigen Be­ leg für eine mittelalterliche Schwureinung bilden. Allein der Gebrauch des Ausdrucks ,Gilde' (wie bei den schwedischen Runensteinen des 11. Jahrhunderts) reicht nicht als Nachweis für das Vorhandensein einer in Skandinavien gebildeten Personengruppe im Sinne des Forschungsbe­ griffs ,Gilde'; dieser wird in Kapitel III erläutert. Ausführlich wird zu einer solchen Methodik und den mit ihr verbundenen Behauptungen in Kapitel II dieser Arbeit Stellung bezogen. 12

setzt wurde, entstand eine starke Bewegung gegen alle Einrichtungen, die als Ausdruck des ,mittelalterlichen1 Glaubens gelten konnten. Darunter fielen selbstverständlich auch die Gilden, die nicht nur religiös geprägt waren, son­ dern darüber hinaus häufig auch in wirtschaftlicher Hinsicht für die Obrig­ keit von Interesse waren. Die im Besitz der Gilden befindlichen und zum Teil sehr wertvollen Kultgegenstände konnten dem königlichen Finanzbe­ darf genauso zum Opfer fallen wie die Gildenkassen und der den Gilden ge­ hörende Haus- und Grundbesitz. Durch die mit der Reformation verbunde­ nen Veränderungen wurde den Gilden außer den ökonomischen Grundlagen auch die religiöse Basis entzogen, weil in allen Gebieten Skandinaviens der lutherische Glaube durchgesetzt wurde. Allerdings sind die Quellen nur für Schweden und Dänemark umfangreich genug, um der Geschichte der Gilden sogar noch während und nach der Reformation nachgehen zu können. Bevor allerdings die skandinavischen Quellen im einzelnen untersucht werden, muß der in dieser Arbeit gebrauchte Forschungsbegriff ,Gilde1, der sich an sozialgeschichtlichen Fragestellungen orientiert, erläutert werden. Dafür ist es notwendig, Ansätze aus unterschiedlichen Forschungsdiszipli­ nen zusammenzuführen. Auf diese Weise wird es möglich, einen bislang sel­ ten benutzten Zugang zu den hier verwendeten Quellen zu eröffnen. Ange­ sichts der in Deutschland zuletzt in den achtziger Jahren lebhaft geführten Diskussion um Art und Bedeutung der mittelalterlichen Gilden12 scheint es erforderlich, mit Hilfe des „ganz wesentlich von Otto Gerhard Oexle unter dem von ihm formulierten wissenschaftlichen Ordnungsbegriff Gruppe in die Wissenschaft“13 eingeführten Forschungsansatzes auch die skandinavi­ schen Gilden und die von ihnen eingenommene Rolle innerhalb der Gesell­ schaftsstrukturen umfassend zu untersuchen. Dabei werden - dem Gang der Forschung folgend - die typischen Merkmale einer Gilde anhand der frühe12 Ausdruck dieser intensiven Forschungsdiskussion sind eine ganze Reihe von Tagungen, die sich mit mittelalterlichen Gilden und Zünften beschäftigten. Die Mehrzahl der dort vorge­ tragenen Referate sind in den entsprechenden Tagungsbänden publiziert. Vgl. dazu vor allem: Das Handwerk in vor- und frühgeschichtlicher Zeit, Teil I: Historische und rechtshistorische Beiträge und Untersuchungen zur Frühgeschichte der Gilde, hg. v. J ankuhn, J anssen, SchmidtW iegand u. T iefenbach; Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und frühgeschichtli­ chen Zeit in Mittel- und Nordeuropa, Teil VI: Organisationsformen der Kaufmannsvereinigun­ gen in der Spätantike und im frühen Mittelalter, hg. v. J ankuhn u. E bel; Gilden und Zünfte, hg. v. Schwineköper sowie - auf Nordeuropa bezogen - Gilde und Korporation, hg. v. Friedland. Vgl. zusätzlich den auf eine 1986 durchgeführte Tagung zurückgehenden Band: Einungen und Bruderschaften, hg. v. J ohanek. Auf die Defizite, die sich in bezug auf das Sozialphänomen ,Gilde' in vielen Beiträgen dieser Bände finden lassen, wird in Kapitel II dieser Arbeit hingewie­ sen. 13 Blickle, Otto Gierke als Referenz S. 258. 13

sten Quellen aus der Karolingerzeit dargestellt; gleichzeitig wird auf die viel­ fältigen Erscheinungsformen von Schwureinungen, die unterschiedliche Be­ zeichnungen tragen können, hingewiesen. Die dadurch gewonnenen Er­ kenntnisse über die Form und Funktion dieser Gruppenbildung müssen an­ schließend am skandinavischen Material überprüft werden. Stellt sich an­ hand einer solchen Überprüfung eine Anwendbarkeit der von Oexle entwikkelten Begrifflichkeit heraus - was angesichts der weiten Verbreitung von Gilden im okzidentalen Europa zu vermuten ist dann können die vorlie­ genden Quellen der einzelnen Regionen Skandinaviens gewinnbringend un­ tersucht werden. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, welche Rolle die Gilden in Skandinavien für die Entwicklung und Etablierung fester Gesell­ schaftsstrukturen innerhalb der jeweiligen Länder einnahmen. Einer solchen Einordnung in die Gesellschaft geht jedoch die Beschrei­ bung der Gilden selbst voraus. Anhand überwiegend - bei weitem nicht aus­ schließlich - normativer Quellen wie Gildestatuten, Gesetzestexten, Rechts­ verordnungen, Stadtrechten und ebenso Chroniken, Privilegien und weiterer Urkunden sollen die skandinavischen Schwureinungen zunächst in ihrer Form und Funktion beschrieben werden. Hierbei werden die Quellen unter bestimmten Leitfragen diskutiert; dies geschieht nicht nur, um Schwerpunkte in der Darstellung zu setzen, sondern auch, um gleichzeitig eine vergleichen­ de Darstellung der skandinavischen Gilden vorzubereiten. Im Mittelpunkt stehen einerseits die religiösen Inhalte der Gilden und deren Beziehungen zum Klerus;14 andererseits bildet der Aspekt des von den Schwureinungen selbst gesetzten Rechts den zweiten Schwerpunkt der Untersuchung. Vor dem Hintergrund dieser beiden Hauptbereiche werden weitere, damit in Verbindung stehende Aspekte wie etwa Memorialhandlungen oder die Schutzfunktion der Gilden für ihre Mitglieder untersucht. Zusätzlich bildet die Friedenswahrung durch die Gilden einen weiteren zentralen Bestandteil der Untersuchung. Auch dabei wird einerseits nach den inneren Verhältnis­ sen der Schwureinung und ihren Mechanismen, innerhalb der Gruppe Frie­ den herzustellen und zu wahren, gefragt, wie andererseits die Außenwirkung der durch die Gilden angewandten Prinzipien zu analysieren ist. Insgesamt geht es demnach um die Wechselbeziehungen, die zwischen Gruppenbildun­ gen in Form der Gilde einerseits und der Gesellschaft andererseits bestehen. Untersuche wird nicht nur die Beteiligung von Klerikern an den jeweiligen Gilden, son­ dern ebenso bedeutend ist die Frage nach der Behandlung der Gilden durch die Kleriker. Dies ist um so wichtiger, als aus der Karolingerzeit heftige Polemiken gegen die Gilden bekannt sind, die von Klerikern verfaßt wurden. Vgl. dazu neben Kapitel III auch Kapitel VI dieser Arbeit, in dem der innerskand inavxsche Vergleich auch vor dem Hintergrund der kontinentaleuropäischen erhälmisse gezogen wird. 14

Um ein möglichst umfassendes Bild von den Gilden nachzeichnen zu kön­ nen, wird deshalb auch der Frage nach der ökonomischen Bedeutung der Gilden nachgegangen. Bei einem solchen Anliegen ergeben sich zwangsläufig Überschneidungen mit anderen Aspekten, etwa dem religiösen, wenn die Ausstattung von Altären oder die Anschaffung von Kultgegenständen unter­ sucht wird. Für einige Gilden Skandinaviens können umfangreiche Haus­ und Grundbesitzungen nachgewiesen werden, mit denen die Gilden nicht mehr nur ihren eigenen Reichtum steigern konnten, sondern gleichzeitig ähnlich wie durch die Kreditvergabe - Einfluß auf das wirtschaftliche Leben ihrer Umgebung ausübten. Um zu veranschaulichen, welch hohen Stellenwert die sich in der Gilde ausdrückende Form der Personengruppe im Mittelalter besaß, werden be­ sonders für Dänemark zusätzlich solche Gilden untersucht, die in ihrer Struktur oder ihrer Mitgliederzusammensetzung auffällige Besonderheiten erkennen lassen. Am Beispiel einer Gruppe von Gilden, die alle den gleichen Schutzheiligen gewählt hatten, wird dabei bevorzugt der Frage nach einer einheitlichen und aufeinander abgestimmten Organisationsstruktur unterei­ nander nachgegangen werden. Bei den Gesellengilden geht es in erster Linie darum, zu klären, ob es sich bei ihnen tatsächlich um soziale Gruppen han­ delte, die sich nach den gleichen typischen Merkmalen wie die übrigen Gil­ den zusammenschlossen. Neben der eigentlichen Beschreibung solcher Son­ derbedingungen soll deren Untersuchung in eigenen Abschnitten zusätzliche Hinweise darauf geben, ob die Form der Gruppenbildung, wie sie sich in den Gilden ausdrückt, auf eine bestimmte Gesellschaftsschicht, auf eine be­ stimmte Region oder auf eine eingrenzbare Epoche beschränkt war. Vor dem Hintergrund der für die jeweiligen Länder einzeln erzielten Er­ gebnisse soll in einem abschließenden Kapitel schließlich ein innerskandina­ vischer Vergleich gezogen werden. Auch darin bilden die beschriebenen Schwerpunkte die Leitfragen, unter denen mögliche Unterschiede oder Par­ allelen herausgestellt werden. Erst mit einem solchen Vergleich kann geklärt werden, ob es sehr starke länder- beziehungsweise regionenspezifische Be­ sonderheiten gab, oder ob auch in Skandinavien die Gilde eine weit verbrei­ tete Form der Personengruppe bildete. Die bislang auf Grundlage allein kon­ tinentaleuropäischer Quellen geäußerte Feststellung, die Gilde sei eine der „Grundformen des Zusammenlebens von Menschen im Okzident“13 kann anhand der skandinavischen Quellen verifiziert werden; dadurch würde zu­ gleich die These, Skandinavien sei bereits im Mittelalter Teil der europä­ ischen Kultur gewesen, bestätigt. 15 O exle, Gilde und Kommune S. 95. 15

II. Zur Geschichte der Forschung über Gilden „Von dem Nutzen einer Geschichte der Ämter und Gilden“ überschrieb der in Osnabrück tätige Historiker und Staatsmann Justus Möser 1769 einen Beitrag in den „Beilagen zu den Osnabrückischen Intelligenzblättem“, in de­ nen er auf wenigen Seiten die Vorteile einer Beschäftigung mit Zünften, Gil­ den und Ämtern für die allgemeine Geschichtsschreibung andeutete.1 Damit konnte Möser zwar die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf die Potentiale aufmerksam machen, die in der Erforschung von Gilden als mittelalterlichen Zusammenschlüssen liegt. Doch hatte Möser dabei in erster Linie Handwerker- und Kaufleutegilden im Blick und verband sie - soweit das seine wenigen Andeutungen erkennen lassen - mit der Stadtentwicklung. Ausgehend von einem solchen und einigen weiteren Anfängen der Gilde­ forschung soll in diesem Kapitel die Entwicklung der Erforschung von Gil­ den bis in die Gegenwart verfolgt und in ihren Brüchen, Neuansätzen und Weiterentwicklungen dargestellt werden.2 Von besonderem Interesse ist die jeweilige historische Situation, in der die einzelnen Beiträge entstanden sind und die die spezifischen Fragestellungen entscheidend beeinflußten. Welche Auswirkungen die soziale Bedingtheit von Wissenschaft haben kann, wird an Entwicklungen des 20. Jahrhunderts insbesondere im deutschsprachigen Raum deutlich. Eine im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Diskussion über Vereinigun­ gen und Kommunitäten des Mittelalters setzte erst im Laufe des 19. Jahrhun­ derts vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Veränderungen ein. Bis ins 20. Jahrhundert hinein bildeten auch die deutschsprachigen Beiträge ei­ nen Teil der europäischen Forschungsdiskussion und -tradition. Dies än­ derte sich für einen einflußreichen Teil der Forschung, als im Zusammen­ hang mit Tendenzen, für die Darstellung und Erklärung mittelalterlicher Phänomene bevorzugt germanische Ursprünge anzunehmen, eine ,Germani1 M öser , Nutzen. Über die Person Möser vgl. neben Sellin, Art. Justus Möser“, in: Deut­ sche Historiker 9, S. 23-41, auch R ückert, Justus Möser als Historiker, S. 47-67. Im übrigen sei verwiesen auf die Möser-Bibliographie (1730-1990), hg. v. W oesler. 2 Die zum Teil unreflektierte und synonyme Verwendung unterschiedlicher Bezeichnungen für das Sozialphänomen Gilde unterstreicht die erheblichen Probleme, die die Forschung mit der Begrifflichkeit zum Teil bis heute hat; solche Unsicherheiten entstehen, weil ,Gilde sowohl ein Quellen- als auch ein Forschungsbegriff ist. Der in der Arbeit verwendete Forschungsbegriff wird in Kapitel III ausführlich erläutert. 17

sierung1*von Interpretationsversuchen einsetzte. Den Gipfel dieser Entwick­ lung bildete die maßgeblich von Otto Höfler entwickelte Theorie einer ger­ manischen Kontinuität , die gerade auch bei deutschen Historikern nachhal­ tig gewirkt hat und bis heute Spuren hinterläßt. Wie fruchtbar hingegen An­ sätze der deutschsprachigen rechtshistorischen Forschung und ebenso der französischen Sozialgeschichtsschreibung für die deutsche historische For­ schung umgesetzt werden können, zeigen dann zum Ende dieses Kapitels ei­ nige Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, die wiederum Ansätze aus dem 19. Jahrhundert aufnehmen. Neben dieser kontinentaleuropäischen Perspektive wird bewußt in einem eigenständigen Abschnitt mit der gleichen Vorgehensweise die Forschungs­ geschichte zu Gilden innerhalb der skandinavischen Fänder aufgearbeitet. Auch hier steht Wissenschaftsgeschichte wieder im Zusammenhang mit je­ weils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen, so daß die Verwobenheit von Wissenschaft und Gesellschaft sehr anschaulich gezeigt werden kann. Dies gilt insbesondere für Norwegen, das bis heute die eigene historische Identität ganz eng mit der Situation des Landes im Mittelalter verknüpft.3 Aber auch in den beiden anderen skandinavischen Staaten lassen sich mit dieser Methodik einige interessante und aufschlußreiche Aspekte der Wissenschaftsgeschichte erläutern.4 Solche Spezifika blieben außer acht, wenn Skandinavien als einheitliches Gebiet angesehen und unter die konti­ nentaleuropäische Forschungstradition subsumiert würde. Daneben existiert noch ein ganz pragmatischer Grund, Nordeuropas Forschungsgeschichte ge­ sondert zu behandeln. Uber die skandinavischen Gilden haben außer den nordeuropäischen Wissenschaftlern lediglich deutschsprachige Forscher ge­ arbeitet. Schon um die in Nordeuropa selbst geleistete Erforschung der mit­ telalterlichen Gilden aus der allgemeinen Vernachlässigung zu lösen, ist eine eigenständige Behandlung der skandinavischen Forschungsansätze mit ihren Erklärungsversuchen angeraten.

Vgl. dazu etwa Falk, Geschichtsschreibung, insbesondere S. 147-214. Im übrigen sei zu diesem Themenkomplex verwiesen auf die auf S. 43 in Anm. 119 genannten Arbeiten. Hier ist besonders die politische Diskussion um die Abschaffung des Zunftwesens zu nen­ nen, die in Schweden vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung um die Vereinigungsfrei­ heit geführt wurde. 18

1. Forschungen über die kontinentaleuropäischen Gilden Bis heute scheint es für einen Teil der Forschung schwierig, Gilden als ein ei­ genständiges Phänomen der mittelalterlichen Gesellschaft wahrzunehmen und entsprechend darzustellen.5 Solche Autoren stehen - wenn auch aus un­ terschiedlichen Motiven - in einer langen Forschungstradition, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Das Hauptinteresse lag und liegt häufig auf den handwerklich oder gewerblich orientierten Zusammenschlüssen, die in der Regel im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Stadtentwicklung un­ tersucht worden sind. Auf diese Weise hat die Forschung Zünfte (als Vereini­ gungen von Handwerkern) und Gilden (als Zusammenschlüsse von Kaufleu­ ten) als je eigenständige Phänomene behandelt und sie zu einem wechselsei­ tig exklusiven Begriffspaar umgedeutet. Nicht wahrgenommen wurden die prinzipiellen Übereinstimmungen beider Einrichtungen. Die Konsequenz daraus ist, daß in der Forschungsgeschichte nur selten nach den charakteri­ stischen Merkmalen von Gruppenbildungen in Form von Zünften und Gil­ den gefragt worden ist. Es waren anfangs vornehmlich Juristen, die sich der Erforschung der mit­ telalterlichen Gilden und Zünfte zuwandten und sich in ihren Fragestellun­ gen von zeitgenössischen Problemen leiten ließen.6 Schon frühzeitig wurde dabei auch untersucht, welchen rechtlichen Nutzen die Vereinigungen in Form der Zünfte und Gilden besaßen.7 Insbesondere seit Mitte des 18. Jahr5 Vgl. zum Beispiel B osl, Staat S. 205 ff.; ders., Grundlagen; in diesem Werk werden Gilden überhaupt nicht erwähnt und Zünfte mit wenigen Bemerkungen abgehandelt. Zu nennen ist aber auch das Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1: Von der Frühzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hg. v. A ubin u. Z orn . Doch nicht nur in Handbüchern, son­ dern auch in Monographien ist dieses Defizit der Forschung immer wieder festzustellen; vgl. da­ zu etwa E nnen , Zünfte, oder auch Sprandel, Verfassung. 6 Bereits 1612 sah der Jurist Christoph Lehmann die Zunftorganisation in einer ständisch or­ ganisierten Gesellschaft aus Gründen der Rechtssicherheit als zwingend erforderlich an; vgl. L ehmann , Chronica. Führte Lehmann die Zunftentstehung auf den römischen König Noma Pompilius zurück, so vertrat der für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts prägend wirkende Rechtsgelehrte Johann Gottlieb Heineccius die Ansicht, in Deutschland seien die Zünfte ab dem 11. Jahrhundert nachweisbar. Seit dieser Zeit seien in den reicher und größer werdenden Städten Deutschlands nach italienischem Vorbild nicht nur die Behördenorganisation und die Einrich­ tung des Stadtrats übernommen, sondern ebenso die Form der Handwerksorganisation nachge­ ahmt worden; vgl. H eineccius , Collegiis, besonders S. 407. 7 Dafür seien aus dem 18. Jahrhundert zwei Beispiele genannt. Der in Helmstedt tätige Jurist Joachim Dietrich Lichtenstein beschritt einen bis dahin unbekannten Weg, indem er aus Urkun­ den mit rechtsgeschichtlichem Inhalt die rechtlichen Verhältnisse innerhalb der Handwerkerzu­ sammenschlüsse in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellte. Als Ziel der Zunftbewegung im 19

hunderts wurde zunächst in Frankreich und England, dann auch in Deutsch­ land intensiv über Sondergruppen und das ihnen eigene Recht innerhalb des Staates am Beispiel der Zünfte diskutiert. Bereits vor der französischen Re­ volution entstand die Forderung nach Abschaffung der Zünfte, weil deren Eigeninteressen nicht mit dem Gemeinwillen (volonte generale) vereinbar seien.8 Diese von Jean Jacques Rousseau in seinem „Contrat social“ formu­ lierte Anschauung9 wurde 1776 in der Einleitung zum Zunftedikt Ludwig XVI. als Legitimation benutzt, um die Forderung nach Abschaffung der Zünfte zu untermauern. Zwar scheiterte Turgot, der das Edikt formuliert hatte, mit seinem Vorhaben, doch machte sich 1791 die Nationalversamm­ lung dessen Standpunkt zu eigen, als sie die Aufhebung der Zünfte endgültig beschloß. Neben der politischen Diskussion wurde auch in bezug auf die ökonomischen Verhältnisse die Frage nach den Zusammenschlüssen intensiv erörtert. Dabei wirkte der schottische Nationalökonom Adam Smith grund­ legend, der in seinem Werk „Wealth of Nations“ argumentierte, die Zünfte ließen einen freien Wettbewerb nicht zu; sie seien deswegen gegen das allge­ meine Wohl gerichtet.10 Der in der englischen Diskussion verwendete Be­ griff Korporation“ wurde bei der Übernahme nach Frankreich nicht nur in seiner Bedeutungsvielfalt eingeschränkt, sondern innerhalb der politischen Auseinandersetzungen auch zu einem Kampfbegriff,11 der dazu diente, ge­ gen die Vereinigungsfreiheit vorzugehen. „Auf diese Vorgänge bezogen sich dann in Deutschland die politischen Auseinandersetzungen über Gewerbe­ freiheit und Koalitionsfreiheit seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts.“12 Die Deutung der mittelalterlichen Zunftentstehung und -entwicklung wurde als Argumentation zu dem Zweck benutzt, die jeweiligen aktuellen Forderungen 12. Jahrhundert sah er die Erlangung der eigenen Gerichtsbarkeit an; vgl. Lichtenstein, Observationes. Grundlegend für einen der Forschungsansätze, die im 19. Jahrhundert wichtig wurden, hat der in Göttingen lehrende Historiker Ludwig Timotheus Spittler gewirkt. Als erster brachte er die Entstehung der Zünfte mit der Verfassungsgeschichte der Städte in Verbindung, wobei Spittler die Etablierung des Stadtrats als Voraussetzung dafür ansah, daß sich andere Formen von Zusammenschlüssen innerhalb der Stadt etablieren konnten; vgl. Spittler, Geschichte. Auf diese Zusammenhänge hat bereits Otto Gerhard Oexle hingewiesen. Vgl. dazu und zum Folgenden O exle, Zunft S. 17 ff. 9 Zu der von Rousseau vertretenen politischen Theorie vgl. Fetscher, Denken, besonders S. 477-494. 10 Zu Adam Smith vgl. Z ech u. Reichelt, Theorien, besonders S. 588-603. Sowohl Michaud-Q uantin, Universitas S. 167 ff. als auch O sswald, Art. „Korporation, Korporativismus , Sp. 1136-1138 machen darauf aufmerksam, daß der Begriff ,Korporation* außer einer „Körperschaft, juristische Person“ ebenso eine „Corporation professionelle“, also eine Zunft, ein Sozialgebilde, bezeichnet. Zur Verwendung der Begriffe in Frankreich vgl. Sewell jr., Confratemite. 12 O exle, Zunft S. 19.

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zu untermauern. Das dabei verwendete Gegensatzpaar bildeten die Begriffe ,Korporation“ und ,Assoziation“. Die ,Korporation“wurde als ein obrigkeit­ lich bzw. staatlich organisierter „Zwangsverband“ beschrieben, der aber dennoch „ganz oder tendentiell ganz das Leben (seiner) Mitglieder umfas­ send“ bestimmte.13 Die ,Assoziation“dagegen galt als „interessenbestimmter Zweckverband“, dessen „partieller Zweck die Mitglieder ... nur partiell“ be­ rührte und „dessen Gründung, Tätigkeit und Auflösung ... grundsätzlich zur Disposition seiner Mitglieder“ stand.14 Nach dieser Auffassung gab es demnach zwei grundsätzlich unterschiedliche Formen von Gruppenbildun­ gen. Wie sehr diese Auseinandersetzungen und Diskussionen auch auf die wissenschaftlichen Arbeiten einwirkten, zeigt das Werk des Staatsrechtlers Friedrich Julius Stahl, der seine erstmals 1833 veröffentlichte „Philosophie des Rechts“ mehrfach umarbeitete. War in der ersten Auflage noch allgemein von Genossenschaften“ die Rede, so entwarf Stahl bereits in der zweiten Auflage von 1846 die Unterscheidung zwischen , Korporation“ (in diesem Sinne war Genossenschaft“in der ersten Auflage gemeint) und ,Assoziation“. In der dritten Auflage von 1856 schließlich war die Trennung und polare Ge­ genüberstellung beider Begriffe endgültig festgeschrieben und sie ist „in der historischen Forschung bis auf den heutigen Tag von grundlegender Bedeu­ tung geblieben.“15 Stahl formulierte in der dritten Auflage: „Das unterschei­ det Korporation und Association; diese ist ein beliebiger Zusammentritt für einen selbst gewählten einzelnen Zweck, jene eine gegebene Einheit für einen organischen Volksberuf, dem die Theilnehmer mit ihrer ganzen Lebensstel­ lung angehören ... Die Association kann die Korporation nicht ersetzen, so wenig als sie durch sie ersetzt wird“.16 Sowohl bei der Diskussion um die Ge­ werbefreiheit als auch bei der Auseinandersetzung um die Koalitionsfreiheit wurde die Geschichte der Zünfte und deren Deutung für die jeweils eigene Argumentation herangezogen. 1’ M üller, Korporation S. 15 ff. 14 Ebd. S. 15, 18 u. 231. Stuke, Sozialgeschichte, hat bereits kritisch darauf hingewiesen, daß Müller in seiner Arbeit dieses Konzept nicht nur für den „deutschen Vormärz“ beschreibt, sondern im Prinzip auch selbst vertritt (vgl. S.268-274). Dies gilt insbesondere für das Mittelalter, wenn M üller, Korporation S. 18 formuliert: „Das Leben des Mittelalters war von Verbän­ den der mannigfachsten Art geradezu beherrscht; unter ihnen spielten jedoch die assoziativen Zusammenschlüsse keine wichtige Rolle; die einflußreichen und für die damalige rechtliche und soziale Lage kennzeichnenden Verbände waren korporativ aufgebaut. So waren im Bereich der Wirtschaft die Gilden, Innungen und Zünfte als Zwangsverbände organisiert ... Diese berufs­ ständische Organisation schloß für weite Bereiche des Lebens die negative Assoziationsfreiheit aus“. 15 O exle, Zunft S. 21. 16 Stahl, Philosophie, 2. Bd., 2. Abtheilung S. 82 f.

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Wie intensiv diese Probleme die aktuellen Diskussionen der Zeit bestimm­ ten und zugleich ein systematisch auf die Geschichte gerichtetes Interesse be­ einflußten, kann ebenso abgelesen werden an der zum Ende der 1820er Jahre von der Königlich Dänischen Akademie formulierten Preisfrage. Die einzu­ reichenden Schriften sollten den Ursprung und die soziale Funktion der weltlichen und geistlichen Gilden des Mittelalters ermitteln; die soziale Her­ kunft der Gildemitglieder, das Verhältnis der Mitglieder untereinander, die interne Struktur der Gilden sowie deren Gebräuche und die Gründe für das Verschwinden der Gilden sollten ebenso dargestellt werden wie die Frage nach den in der Gegenwart fortdauernden Elementen zu beantworten war.17 Ausgezeichnet wurde die Arbeit des Rechtshistorikers Wilhelm Eduard Wilda, die 1831 unter dem Titel „Das Gildenwesen im Mittelalter“ als Buch er­ schien. Wilda definierte die Gilden als freiwillige Zusammenschlüsse, deren ,,eigentliche[s] Wesen“ in der aus dem Christentum stammenden gegenseiti­ gen brüderlichen Hilfsverpflichtung zu sehen sei.18 Damit entsprach die De­ finition durch Wilda dem Assoziationsbegriff der damaligen Zeit. Trotz der „epochemachenden Leistung“19 dieses Werkes war eine der ausführlichsten deutschsprachigen Rezensionen äußerst kritisch und konnte gleichzeitig auf einige Defizite im Wilda’schen Ansatz aufmerksam machen.20 Obwohl Kri­ 17 In ihrem vollen Wortlaut lautete sie: „Quaenam Gildae, cum saeculares, tum ecclesiasticae, in Dania (Scania et ducatu Slevicensi non exceptis) ante ecclesiam nostram per Lutherum instaevatam viguerunt, et ad quasnam classes referendae sunt? Quaenam fuit harum societatum origo et quo consilio condebantur? Quid de interno earum statu, ritibus, de mutua sociorum ratione constat? Quibus causis interierunt et quaenam adhuc supersunt earum reliquiae? Quaestio quidem patrias Gildas proprie spectat, desideratur tarnen, ut etiam exteri respiciantur, instituta comparatione cum eiusdem generis societatibus, quae alibi, inprimis apud Norvegos, Suecos, Germanos, Anglos exstiterunt.“ Hier wiedergegeben nach W ilda, Gildenwesen S. Vif. 18 W ilda, Gildenwesen S. 28 und passim. 19 O exle, Zunft S. 22. Vgl. auch die Würdigungen durch D oren , Untersuchungen, und Pirenne , Villes S. 12 f. 20 G ervinus, Wildas Gildenwesen. Gervinus war es, der auf die kurzen Bemerkungen Justus Mösers hinwies, die dieser 1769 unter dem Titel „Nutzen einer Geschichte der Ämter und Gil­ den“ veröffentlicht hatte. Wilda hatte diesen Artikel offensichdich übersehen, obwohl Möser es war, der den Begriff Gilde „mit einem Schlage in ganz Deutschland bekannt“ gemacht hatte (so der Artikel „Gilde“ in: G rimm , Deutsches Wörterbuch, Bd. 7 [Vierter Band, I.Abteilung, 4. Teil], Sp. 7485-7495, Sp. 7487). Dennoch blieb auch Gervinus bei dem Gegensatzpaar ,Korpo­ ration1 - ,Assoziation1, wobei er jedoch den Wilda’schen Ansatz akzeptierte, wonach die als „Handwerkergilden11 bezeichneten Zünfte als .Assoziationen1 zu gelten hätten. Neben allge­ mein-fundamentaler Kritik (Wilda habe den Mittelpunkt ganz verfehlt) bemängelte Gervinus hauptsächlich zwei Dinge: Zum einen vernachlässige Wilda in dem Thema grundsätzlich wie auch bei der Beantwortung der Preisfrage Unzulässigerweiser die Untersuchung der aktuellen Bezüge, die erst - so Gervinus - eine Darstellung des „Associationsgeistes11und des „Associati­ onswesens im Mittelalter ermöglicht hätten. Zum anderen habe Wilda nicht ausreichend die 22

tik berechtigt war und das Buch Wildas ohne Zweifel Mängel aufwies, blieb es lange Zeit die einzige Monographie zur gesamten Thematik. Die nachfol­ gende Forschung konnte gar nicht umhin, sich an Wilda zu orientieren; dies galt nicht nur für die deutsch-, sondern auch für die französischsprachige Forschung.21 Neben der Frage nach dem „Wesen“ der Zünfte und Gilden wurde immer wieder versucht, die Entstehung solcher Gruppenbildungen des Mittelalters zu erklären.22 Dabei standen sich im 19. Jahrhundert zwei Positionen gegen­ über; zum einen führten die Vertreter der sogenannten ,Hofrechtstheorie' die Entwicklung der (handwerklichen) Zusammenschlüsse auf gewerbliche Verbände der frühmittelalterlichen Grundherrschaften sowie deren Fronhö­ fe zurück.23 Die Vertreter der ,Ämtertheorie' - als solche erst benannt nach den Arbeiten Friedrich Keutgens - sahen dagegen den Ursprung in der durch die städtische Obrigkeit verfügten Aufteilung der Handwerker in Abteilun­ gen, den sogenannten ,Ämtern', die wegen der Marktordnung und -kontrolle notwendig gewesen seien und öffentlich-rechtlichen Charakter besessen hätten.24 Auch der Jurist und Rechtshistoriker Otto von Gierke nahm in seiner „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft“25 Stellung zu der Frage Entstehungsbedingungen und die Funktion der Gilden im Blick gehabt. Gervinus selbst meinte, daß ausschließlich über die Darstellung der Zünfte (Gewerbsgilden) eine adäquate Beantwor­ tung der Preisfrage möglich gewesen wäre. 21 Vgl. bereits die Hinweise auf die Rezeption Wildas in Frankreich bei H egel, Städte und Gilden 2, S. 24 f. 22 So versuchte etwa W inzer , Bruderschaften, nachzuweisen, wie eng die Form von Hand­ werkergilden mit der der Freimaurerbruderschaft zusammenhing. Für den Gang der For­ schungsdiskussion wichtiger war jedoch ein Beitrag Otto Hartwigs, in dem er die „Anfänge des Gildewesens“ untersuchte: H artwig, Untersuchungen. Orientiert an den Forschungen und The­ sen Wildas wies Hartwig nach, daß „auf dem bisher betretenen Wege zu keinem Ziel zu gelan­ gen ist, weil eben der eingeschlagene Weg ein falscher war“ (S. 154). Die bisherige Forschung habe die Frage nach den „ersten Spuren“ der Gilden in unzulässiger Weise mit der Frage nach den „Anfängen des Gildewesens“ verbunden. Hartwig war der Ansicht, die Gilden seien insbe­ sondere in der Anfangszeit reine Schutzgilden gewesen; daher betonte er die Bedeutung der staatlichen Entwicklung für die Herausbildung der Gilden. 23 Zu diesen Autoren zählen unter anderem Stieda , Schrägen; später auch E berstadt, Ur­ sprung (vgl. auch die zweite erweiterte und umgearbeitete Auflage Leipzig 1915); L amprecht , Wirtschaftsleben; S chmoller , Straßburg; vgl. auch ders., Social- und Gewerbepolitik. 24 In dieser Form erstmals konsequent vorgetragen von K eutgen, Ämter. Ansätze in diese Richtung fanden sich aber schon früher, etwa im Handbuch der politischen Ökonomie, 3 Bde., hg. v. Schönberg . Die Tatsache, daß diese Ansätze von Autoren vorgetragen wurden, die zu­ gleich auch Aspekte der Hofrechtstheorie vertraten, zeigt, daß der später fast als absolut postu­ lierte Gegensatz zwischen beiden Theorien zu dieser Zeit jeglicher Grundlage entbehrte. 25 G ierke , Genossenschaftsrecht 1. 23

nach dem Ursprung der mittelalterlichen Gilden. Vermag die von ihm gege­ bene Antwort, wonach die Entstehung der Gilden mit dem „unerschöpfli­ chen Associationsgeist“ der Germanen zu erklären seiAb nicht zu überzeu­ gen, so hat Gierke dennoch mit seiner materialreichen Untersuchung wichti­ ge Impulse für die Erforschung sozialer Gruppen im Mittelalter gegeben. Gierke wandte sich nicht nur einer Form von mittelalterlicher Gruppenbildung zu, sondern versuchte alle Ausprägungen von sozialen Gruppen bis in seine eigene Gegenwart hinein zu erfassen und ebenso die Veränderungen, die sich in ihnen ergaben, zu beschreiben. Sein methodisches Vorgehen war durch seine juristische Ausbildung geprägt, doch gerade der umfassende An­ satz kann als sozialhistorisch bezeichnet werden. Durch die Untersuchung so vielfältiger Erscheinungen von mittelalterlichen Gruppenbildungen wie die der Zünfte, der Gilden, der Bruderschaften, der Universitäten mit ihren Fakultäten in all ihren unterschiedlichen Aspekten und ihren Wechselwir­ kungen zueinander konnte Gierke unter anderem zeigen, daß die Bezeich­ nungen für solche Gruppen zweitrangig waren; die Art des Zusammen­ schlusses wurde durch ihn in den Mittelpunkt gerückt. „Die Zunft war daher eine auf frei gewollter Vereinigung beruhende Verbindung oder eine gewill­ kürte Genossenschaft, welche gleich anderen Gilden den ganzen Menschen, wie heute nur Familie und Staat, ergriff und ihre Mitglieder gleich Brüdern miteinander vereinte. Sie war und nannte sich eine Brüderschaft (fratemitas, confratemitas), eine Genossenschaft oder Gesellschaft (consortium, Socie­ tas, sodalitium, convivium), eine geschworene Einung (unio, conjuratio) oder Innung, eine Gilde, Zeche, Gaffel oder Zunft, Namen, welche alle auf den freien Willen der Verbundenen als Existenzgrund des Vereins weisen.“2627 Die bislang geübte Forschungspraxis, ,Korporation“ und ,Assoziation“ zwar gleichzeitig zu denken, aber als Gegensatz gegenüber zu stellen, wurde durch Gierke entscheidend verändert, indem er die den beiden Formen der Gruppenbildung zugeschriebenen Momente im Begriff der ,freien Einung’28 miteinander verband. Damit schuf er „etwas Neues: in systematischer Hin­ sicht, im Blick auf die Typologie sozialer Gruppen, wurde die Polarität der beiden Typen ,Assoziation“und ,Korporation“ abgelöst von der Dreiheit der Typen ,Assoziation“, ,Korporation“ und ,freie Einung“.“29 Auf diese Weise 26 G ierke, Genossenschaftsrecht 1, S.3.

27 Ebd. S. 359 f. 28 Vgl. etwa die Ausführungen G ierkes, Genossenschaftsrecht 1, S.245, wonach „zwei ver­ schiedene Momente“ bei der „Bildung des Zunftwesens zusammenwirkten: die freie Einung der Genossen und die Verleihung des Handwerks als eines Amtes an die Genossenschaft“. O exle, Zunft S. 25, wobei Oexle gleichzeitig auf die damit verbundene historische Theorie Gierkes verweist, wonach drei Epochen des europäischen Vereinigungswesens aufeinander fol24

konnte auch die Reduzierung der Zusammenschlüsse auf einzelne Aspekte aufgehoben werden, wobei immer wieder die Bedeutung des ,freien Willens“ unterstrichen wurde. „War in der hofrechtlichen Innung der Wille des Herrn, in den privilegiirten Zünften das gemeinsame Monopol der letzte Grund des Instituts, so war und blieb in den freien Zünften stets der Gedan­ ke der Einung die Basis der Genossenschaft... Dieser Wille des Verbunden­ seins war aber nicht auf einzelne Gemeinschaftszwecke, sondern auf die Ge­ meinschaft schlechthin gerichtet und die Zunft war daher weder ausschließ­ lich noch auch nur vorzugsweise um gewerbliche Zwecke willen da. Von der unmittelbarsten politischen und kriegerischen, geselligen und religiösen, sitt­ lichen und rechtsgenossenschaftlichen Bedeutung, sah sie allerdings das in der Regel gleichartige Gewerbe ihrer Mitglieder als einen Hauptgegenstand ihrer Fürsorge an: allein es blieb dies eine unter mehreren Folgen der Genos­ senverbindung“/ 0 Aus der durch Gierke vorgenommenen Verknüpfung der bislang als Gegensatz gedachten modernen und vormodemen Momente und deren Neugewichtung ergab sich die logische Konsequenz, daß das mittelal­ terliche „Einungswesen“ nichts anderes darstellte als „die freie Association in ihrem mittelalterlichen Gewände.“3031 Ohne daß Gierke ausdrücklich auf die Bezüge seiner eigenen Forschungen zu zeitgenössischen politischen und sozialen Debatten hinwies, waren Wechselbeziehungen dennoch offensichtlich vorhanden. „Die politischen Rahmenbedingungen für das Erscheinen“ des Buches „Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft“ „sind genau bestimmbar: Das Buch erschien nach dem Ende des Preußischen Verfassungskonflikts und noch vor der Reichsgründung, die Konzeption der Grundgedanken aber liegt noch vor 1866, also vor dem Ende des Verfassungskonflikts.“32 Damit entstand das Buch zu einem Zeitpunkt, zu dem die „Lösung der großen Verfassungsfra­ gen Einheit und Freiheit für Deutschland anstanden, in ihrer Form aber noch politisch offen waren“.33 Daß die Herstellung eines solchen Zusam­ menhangs keine nachträgliche Konstruktion darstellt, sondern einen Kern im Denken Gierkes trifft, zeigen die Formulierungen von Gierke selbst. Er war der Ansicht, „der gegenwärtige Rechtszustand“ könne „nur aus einer gen: im Mittelalter sei der Grundtypus die ,freie Einung1 gewesen, der frühneuzeitliche sei die .Korporation' und in der Moderne die .Assoziation' die jeweilige Grundform der Vereinigung gewesen. 30 G ierke, Genossenschaftsrecht 1, S. 360. 31 Ebd. S. 297. 32 O exle, Gierkes Rechtsgeschichte S. 206. 33 Diese Feststellung bei D ilcher , Genossenschaftstheorie S. 327; hier jedoch wiedergegeben nach O exle, Gierkes Rechtsgeschichte S. 206. 25

umfassenden historischen Darstellung vollkommen begriffen und umgekehrt die Geschichte der deutschen Genossenschaft nur, wenn die heutige Bewe­ gung als ihr letztes uns bekanntes Glied betrachtet wird, annähernd verstan­ den werden“.34 Gleichzeitig sah Gierke in der Assoziation der Moderne, al­ so „dem wiedergeborenen Genossenschaftswesen von heute“, eine der „feste­ sten Bürgschaften für des deutschen Volkes Zukunft“,35 das, „so Großes es schon hervorgebracht hat, Größeres noch in näherer und fernerer Zukunft wirken wird“.36 Vor dem gleichen historischen Hintergrund untersuchte der Nationalöko­ nom Lujo Brentano in dem ersten Band seines Werkes „Die Arbeitergilden der Gegenwart“ weniger den Ursprung der Gilden als viel mehr deren Form und Funktion.37 „Gierke und Brentano sahen in den Vereinen und Assozia­ tionen des 19. Jahrhunderts einen Ausdruck der durch Industrialisierung und Revolution geschaffenen politischen und sozialen Verhältnisse und zu­ gleich ein Mittel, das bei der Lösung der von jenen gewaltigen Umbrüchen hervorgerufenen Probleme von Nutzen sein könnte. Deshalb war ihnen die Geschichte der mittelalterlichen Gilden wichtig.“38 Der politisch-soziale Be­ zug zur Gegenwart war für beide Forscher gleich, wenn sich ihr Erkenntnis­ interesse hinsichtlich der mittelalterlichen Gilden auch voneinander unter­ schied. Verband Gierke die Frage nach der Entstehung von Gruppenbildun­ gen mit einer zwingenden Notwendigkeit im Ablauf der Geschichte, so war nach Brentano die „Entstehung aller frühem Arten von Gilden aus bestimm­ ten Verhältnissen der Desorganisation“ zu erklären.39 Ziel Brentanos war es, die Gründung von Gilden als Reaktion auf bestehende Bedürfnisse und Not­ lagen darzustellen. Damit führte er die Gildeforschung auf einen Weg, der bezüglich der Untersuchung einer epochenübergreifenden Funktion der so­ zialen Gruppe in Form der Gilde von dem Hamburger Historiker Hermann Joachim weitergeführt wurde. Joachim sah die Aufgaben einer Gilde nicht in „besonderen Berufszwecken, sondern sie hat ihren Zweck in sich selbst, in dem sie die Beziehungen ihrer Mitglieder zu einander regelt“.40 Sein von der Forschung nicht weiter verfolgter sozialhistorischer Ansatz beschäftigte sich 34 G ierke, Genossenschaftsrecht 1, S. 5f. 35 Ebd.S.X. 36 Ebd. S. 11. Brentano , Arbeitergilden 1. Bereits ein Jahr zuvor hatte Brentano seine Thesen in einem einleitenden Essay veröffentlicht in: English Gilds, hg. v. Smith , S.xlix-cxcix. 38 O exle, Gilden als soziale Gruppen S. 293 f. Brentano , Arbeitergilden S.XII. J oachim , Gilde S. 86. Aus nachgelassenen Manuskripten wurde noch ein Aufsatz zur glei­ chen Thematik veröffentlicht, in dem Joachim methodisch ganz ähnlich vorgeht, vgl. J oachim , Ursprung. 26

nicht mit der verengenden Frage nach dem Zweck einer Gilde, sondern lenkte den Blick auf „die überall gleichbleibende Form“, wodurch Joachim erkannte, daß die Gilde „sich veränderten Zeitbedingungen und besonderen Zwecken durch die Jahrhunderte schmiegsam angepasst“ habe.41 Joachim ging es bei seinem Ansatz um eine „Formenlehre und Formengeschichte“ der Gilden, wobei die Vielfalt der Bezeichnungen für ihn unerheblich war, denn „alle Gilden“ seien „zu allen Zeiten ihrem innersten Kern nach gleichartig; die besonderen Zwecke religiöser, beruflicher, politischer Natur, ..., sind das Sekundäre.“ 42 Die von Joachim, Brentano und insbesondere Gierke geleistete Forschung hat sich in ihrer Methodik und in ihren Fragestellungen in der deutschen Ge­ schichtswissenschaft nicht durchsetzen können. Die freiheitlich-liberale Grundhaltung bei Brentano und Gierke war in Deutschland nach 1871 und nach den innenpolitischen Ereignissen 1878/79 nicht mehrheitsfähig. Darin dürfte ein nicht unerheblicher Grund für die nach 1871 kaum stattfindende Rezeption der von Gierke begründeten Forschungsansätze innerhalb der Geschichtswissenschaft zu sehen sein. Sowohl in der politischen als auch in der wissenschaftlichen Position war der Historiker Georg von Below der be­ deutendste Gegner Gierkes, auch über dessen Tod hinaus. Im Gegensatz zu Gierke beteiligte sich Below in zahlreichen Beiträgen an den politischen De­ batten seiner Zeit und war Mitbegründer konservativer politischer Partei­ en.43 Die Bezüge der Forschungen Belows zur aktuellen politisch-sozialen Situation wurden von ihm selbst immer wieder genauso deutlich formuliert, wie er auch aus seiner Gegnerschaft zu Gierke keinen Hehl machte. Nicht nur in seinem Hauptwerk „Der deutsche Staat des Mittelalters“ versuchte Below die Thesen Gierkes, insbesondere dessen Genossenschaftsheorie, zu widerlegen.44 Die von Below selbst hervorgehobene national-konservative Gesinnung, durch die er persönlich geprägt worden sei,45 bestimmte auch Art und Inhalt seiner Forschungen und politischen Publizistik. Gegen die noch immer dominierende Theorie, wonach „die Zünfte eine aus dem Hofrecht entnommene Institution“ seien, sprach sich Below 1887

41 J oachim , Gilde S. 86. 42 Ebd. S. 87. 43 Neben der eigenen Einschätzung, die Below selbst abgab in: Selbstdarstellung, hg. v. Steinberg , vgl. zu Person und Werk Belows: O exle, Historiker, dort auch zahlreiche weitere Literaturangaben. 44 Below, Staat. Vgl. zusätzlich in der zweiten Auflage desselben Buches Belows Bemerkun­ gen auf S.XX; daneben ders., Selbstdarstellung S. 40. 45 Vgl. die Selbsteinschätzung in B elow, Selbstdarstellung. 27

erstmals aus.46 Den Entstehungsgrund für diese Form der sozialen Gruppe sah Below in der „Initiative der Handwerker“ und faßte sie somit als „Pro­ dukt der Einungsbewegung“ auf.47 In den unterschiedlichen Beiträgen Belows zur Gilde- und Zunftforschung verwies der Autor nicht darauf, daß er die von ihm immer wieder verwendeten Begriffe (,Einung1, ,freie Einung1) von Gierke übernahm. Im krassen Gegensatz zu Gierke - und zu dessen In­ terpretation des Begriffs ,freie Einung - war nach Below ein wesentliches Element der Zünfte darin zu sehen, daß sie ausschließlich durch die Aner­ kennung seitens der Obrigkeit existieren könnten.4*’ Diesen offensichtlichen Widerspruch innerhalb seiner eigenen Argumentation suchte Below durch die Betonung des Zunftzwanges aufzuheben, unter dem er zunächst einen „Beitrittszwang“ verstand. „Die Durchführung des Beitrittszwangs liegt, da es sich um Maßregeln gegenüber Nichtgenossen handelt, wesentlich in der Hand von Organen des Stadtherm oder der Stadtgemeinde“.49*51Obwohl also nach Below die Zunft durchaus auf Einungen zurückging, war es die Obrig­ keit, die eine entscheidende Rolle spielte, denn - und dies ist für die Belowsche These überaus wichtig - es könne „kein Zweifel darüber bestehen, daß der Zunftzwang nicht bloß zum Wesen der Zunft gehört, sondern sogar die erste Voraussetzung und den ersten Anfang jeder Zunft bildet.“30 Damit wiederum hatte Below eine weitere seiner Grundüberzeugungen formuliert, daß nämlich wirtschaftliche Interessen für die Zunftbildung im Vordergrund standen. Nicht der „religiöse und der gesellige Zweck“, den „die Handwer­ ker ohne Zweifel aus älteren Gilden in ihre Zunft übernehmen konnten“ stand bei der Zunftentstehung im Vordergrund, „sondern das Zentrum war der wirtschaftliche Zweck.“3' Below unterschied mit dieser Definition trotz der zugestandenen gemeinsamen Wurzeln recht strikt zwischen Zunft und 46 Below, Entstehung 1, S. 213. Der Hinweis auf diesen Sachverhalt bereits bei O exle, Zunft

S. 3.

47 Below, Motive S. 24.

48 Vgl. Belows Ausführungen ebd. S. 27 sowie die umgearbeitete Version dieses Aufsatzes in: Probleme S.274f. Anmerkung 2. Zugleich vertrat Below die Ansicht, daß das Zunftrecht, wie alles Recht, von der Obrigkeit delegiert sei (vgl. Below, Motive S. 42-45). 49 Below, Motive S. 29. In seinem Beitrag zum „Reallexikon der Germanischen Altertums­ kunde über die Zünfte verstand Below unter Zunftzwang auch den Ausschluß nicht am Ort an­ sässiger Handwerker vom Gewerbe, also die Ausschaltung auswärtiger Konkurrenz (ders ., Art. „Zunft“ S.247). Below, Motive S. 27. Vgl. auch ders., Entstehung, wo er auf S. 71 definierte: „Die Zunft ist ein unter Sanktion der Gemeindegewalt (sc. der städtischen Obrigkeit) errichteter Zwangs­ verband, dessen Mitgliedschaft die Voraussetzung für die Ausübung eines bestimmten Gewerbes innerhalb der Gemeinde bildet“. 51 Below, Motive S. 47. ders .,

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Gilde. Denn Gilden im eigentlichen Sinn bildeten nur die Vereinigungen, die „zur Pflege der Geselligkeit, zum gegenseitigen Schutz und Beistand der Mitglieder“ 52 gegründet seien. Gleichzeitig deutete Below bereits auf die noch heute weit verbreitete exklusive Trennung von ,Zunft“als Handwerker­ vereinigung gegenüber ,Gilde“ als Kaufleutevereinigung hin, deren Entste­ hung und Entwickung er eng mit dem Aufblühen der mittelalterlichen Städte verknüpfte.3354 Die Verengung der deutschen Geschichtswissenschaft auf eine auf ,Herr­ schaft“ ausgerichtete Verfassungsgeschichte, „welche die Rechtsgeschichte ebenso kompetent und exklusiv behandeln zu können glaubte wie die Sozial­ geschichte“ , 34 wurde um 1900 maßgeblich von Below vorbereitet und in­ itiiert. Als einen ,Neuen Aufschwung der deutschen Historiographie seit 1878“ konstatierte Below eine Erweiterung des Forschungsgebiets durch die Historiker „indem sie sich ... der Erforschung der Kulturgeschichte, insbe­ sondere der Wirtschaftsgeschichte, zuwenden; aber nicht in der Art, daß sie sich etwa der politischen Geschichte entgegensetzen, sondern sie treiben diese Studien wesentlich unter politischem Gesichtspunkt, dem der Wechsel­ wirkung von Staat und Wirtschaft, großenteils mit der Betonung der Beein­ flussung der Wirtschaft durch den Staat. ... Es ist für diese Zeit charakteri­ stisch, daß diejenigen Teile der Kultur mit stärkstem Eifer erforscht werden, die zum Staat in nächster Beziehung stehen: die Wirtschaft, die Verwaltung und ... die Verfassung.“ 55 Die im 19. Jahrhundert und bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein intensiv und kontrovers geführte Diskussion um Ursprung und „Wesen“ der mittelal52 B elow, Art. „Gilde“, in: Hoops Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 2, S. 253.

53 Vgl. Belows Ausführungen ebd., S.254: „Die reichste Entfaltung des Gildewesens bringen die Städte...: Neben kaufmännischen begegnen vor allem zahllose Handwerkergilden.“ Letztere wiederum müßten nach Belows übrigen Arbeiten als „Zünfte“ bezeichnet werden. 54 O exle, Historiker S. 307. 55 B elow, Geschichtsschreibung S. 84 f. Daß Below diese Entwicklung begrüßte, dürften die gewählten Formulierungen bereits gezeigt haben. Noch deutlicher stellte er in der zweiten Auf­ lage von 1924, S. 84 f. die Bezüge zur politischen Situation her: „Vom Jahre 1878 an dürfen wir einen neuen Abschnitt in der Entwicklung der deutschen Geschichtsschreibung datieren.... Der Wendepunkt in der Entwicklung der Historiographie fällt zusammen mit einem Wendepunkt in der inneren politischen Geschichte Deutschlands. Es ist die Zeit der neukonservativen inneren Politik Bismarcks. ... Die Kennzeichen der jetzt einsetzenden Bewegung sind die Bekämpfung des politischen und wirtschaftlichen Manchestertums, die energischere Erfassung der nationalen Idee, ..., die Ausdehnung der Staatstätigkeit und die Stärkung der Staatsgewalt, die Herstellung der wirtschaftlichen Autarkie des nationalen Staates, die neue Schätzung der kirchlichen und religiösen Faktoren. In der gleichzeitigen Geschichtschreibung treten die gleichen Fragen und Gedanken hervor“. 29

terlichen Zünfte verlief dann ohne konkretes Ergebnis im Sande. Sonst hat die Forschung bis in die jüngste Zeit hinein auf den bereits um 1900 vorge­ tragenen prinzipiellen Standpunkten beharrt und lediglich Nuancierungen derselben vorgetragen.5657 Allerdings entwickelte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert ein neuer „Schlüsselbegriff politisch-sozialer Mentalität in Deutschland, ein Schlüsselbegriff mit äußerst emotional-affirmativer Beset­ zung“.58 Es handelte sich dabei um den Begriff Gemeinschaft“, der durch Ferdinand Tönnies59 programmatisch und folgenreich dem Begriff der G e­ sellschaft“ polar entgegengesetzt wurde. Damit war der Bedeutungswandel beider Begriffe, die im 18. Jahrhundert noch synonym verwendet worden waren, endgültig festgeschrieben.60 Tönnies veröffentlichte sein Hauptwerk „Geschichte und Gesellschaft“ erstmals 1887; bis zu seinem Tod 1936 folgten weitere sechs Auflagen. Schon daran läßt sich die enorme Wirkung seiner prinzipiellen Gegenüberstellung der beiden Begriffe und der damit verbundenen Vorstellungen ablesen. Für Tönnies galt Gemeinschaft“ „als natürliche und organische Form menschli­ cher Beziehung, weil sie von den ihr Angehörenden um ihrer selbst willen, unmittelbar und gegenseitig bejaht wird, im ,Wesenwillen“, wie Tönnies sagte. Gesellschaft“ aber hat den Charakter des Künstlichen und des Me­ chanischen, weil Gesellschaft“ das Ergebnis zweckhaften Handelns ist, das Ergebnis von Interessen und Rationalität; G eseßschaft“ beruht auf rationa­ len Vertragsverhältnissen, dem ,Kürwillen“oder der ,Willkür“.“61 Schon diese knappe Zusammenfassung zeigt, daß die von Gierke betonte Dialektik von ,Herrschaft“ und Genossenschaft“ bei Tönnies ersetzt wurde durch die Trennung von Ganzheitlichem“ und ,Rationalem“ in ,Gemein­ 56 Dies stellte bereits Mickwitz, Kartellfunktionen S. 6 fest, wobei er die Ursache dafür hauptsächlich darin sah, daß „das Problem als ein ausschließlich deutsches betrachtet“ (ebd.) worden war. Dessen Versuch eine neuerliche Diskussion mit der These, das europäische Zunft­ wesen sei von Byzanz aus beeinflußt und angeregt worden, in Gang zu bringen, führte nicht zum Erfolg. 57 Vgl. insbesondere Handbuchartikel wie etwa Z orn, Art. „Zünfte“, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften 12, S. 484-489; Bosl, Art. „Gilde“, in: Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, S.356E 58 O exle, Zunft S. 33. 59 T önnies , Gemeinschaft. 60 Vgl. zu dieser Entwicklung und dem Entstehen des Bedeutungsgegensatzes Riedel, Art. „Gesellschaft, Gemeinschaft“, in: Geschichtliche Grundbegriffe 2, S. 801-862. Riedel sieht die Ursache des Bedeutungswandels in der Kritik der Romantik an der politisch-sozialen Vertrags­ theorie der Aufklärung, wodurch sich insbesondere in der Sozial- und Rechtsphilosophie seit dem späten 18. Jahrhundert eine „höchst folgenschwere Bedeutungsverschiebung“ ergeben habe (S. 829). 61 O exle, Zunft S. 33. 30

schaft“und Gesellschaft“. Den geschichtlichen Prozeß teilte Tönnies nicht in fünf Phasen, wie Gierke es vorgenommen hatte, sondern er stellte zwei line­ ar aufeinanderfolgende Zeitalter gegenüber. Das „Zeitalter der Gemein­ schaft“, gekennzeichnet durch den „sozialen Willen als Eintracht, Sitte, Re­ ligion“, bezeichnete demnach die „positive und organische Ordnung im Mit­ telalter, die wiederum gekennzeichnet ist durch das Familienleben."62 Diese vormoderne Epoche der europäischen Geschichte sei durch Industrialisie­ rung und Revolution, also die Epochenschwelle um 1800, von der modernen Epoche, dem „Zeitalter der Gesellschaft“ getrennt worden. Kein Zweifel, daß nach Tönnies Gemeinschaft“nicht nur die ältere Form des menschlichen Zusammenlebens bezeichnete, sondern auch der bessere, der höherstehende Typus war. Gesellschaft“, so formulierte Tönnies an anderer Stelle, sei le­ diglich der „gesetzmäßig-normale Prozeß des Verfalls aller Gemein­ schaft“.“63 Die Unterscheidung in Gemeinschaft“ und Gesellschaft“ „wurde in der publizistischen Literatur der Weimarer Jahre in einer Einseitigkeit aufgegrif­ fen“,64 die bereits von Zeitgenossen genau erkannt und zutreffend analysiert wurde. „Gemeinschaft wurde Kampfruf jener Elemente des Bürgertums, die der sozialen Revolution mißtrauten, aber der angeblich starren Formen überdrüssig waren und von der jungen Generation eine Kulturwende erwar­ teten.“65 Der Gemeinschaftsbegriff wurde in vielfältiger Weise benutzt, um die geschichtlichen Prozesse neu zu deuten, und er entwickelte sich zu einem „der magischen Worte der Weimarer Zeit“.66 Zugleich wurde die bereits im 19. Jahrhundert begonnene ,Germanisierung der Wissenschaft“ vorangetrie­ ben, indem die Autoren auf unterschiedliche Weise die Entstehung und Ent­ wicklung historischer Phänomene auf die angeblichen sozialen Strukturen bei den Germanen zurückführten. Innerhalb der Erforschung der mittelal­ terlichen Gilden wurden dabei bevorzugt die nordischen Sagas mit ihren Darstellungen von Blutsbruderschaften sowie die aus anderen Quellen ent­ nommenen Schilderungen von Opfergemeinschaften, von vermeintlichen Männerbünden und von Trinkgelagen als Beweis für die bei den Germanen weit verbreiteten Schwureinungen herangezogen. Neben der „Germania“ des 62 T önnies, Gemeinschaft S. 251. „Die Dorfgemeinde und die Stadt können selber noch als große Familien begriffen werden, die einzelnen Geschlechter und Häuser dann als Elementaror­ ganismen ihres Leibes; Zünfte, Gilden, Ämter als die Gewebe und Organe der Stadt (ebd. S.247). 63 T önnies , Einleitung S. 71. 64 Sontheimer, Denken S.315. 65 G eiger, Art. „Gemeinschaft“, in: Handwörterbuch der Soziologie S. 175. 66 Sontheimer, DenkenS. 315. 31

Tacitus6768970spielten in der Forschungsdiskussion auch arabische Berichte aus dem 10. Jahrhundert über Trinkgelage eine erhebliche Rolle, weil sie als be­ sonders zeitnah und objektiv galten. Insbesondere die durch Qwazwim über­ lieferten Aussagen eines Ibrahim ibn Ahmed at-Tartüschi über Schleswig ha­ ben das Interesse der Forschung auf sich gezogen.faS Die entscheidende Pas­ sage besagt: die Einwohner Schleswigs „feiern ein Fest, an dem sie alle Z u ­ sammenkommen, um den Gott zu ehren und um zu essen und zu trinken. Nicht nur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde diese Erwähnung eines gemeinsamen Essens und Trinkens als überzeugender Hinweis auf be­ reits bei den Germanen übliche Gilden interpretiert.' 0 Im Zuge der sich nach 1871 und noch stärker nach 1918 verbreitenden neuen Aneignung des Mit­ telalters in Deutschland71 unter der besonderen Betonung der ,Germanen­ ideologie“, die zugleich eine vehemente Kulturkritik darstellte, kam in Deutschland immer mehr Skandinavien und Nordeuropa insgesamt als ver­ meintlicher Hort des reinen Germanentums in das Blickfeld der For­ schung.72 Es war dann in den dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhun­ 67 Tacitus und dessen Schilderungen wurde eine hohe Authentizität zugebilligt, die zur Eta­ blierung von Deutungen führte, die anhand von zeitgenössischen nordeuropäischen Quellen nicht verifiziert werden können. Vgl. dazu ausführlich P icard , Sakralkönigtum. 68 Einem breiten Benutzerkreis zugänglich gemacht wurden die Berichte durch die Überset­ zung von J acob, Arabische Berichte. 69 J acob, Arabische Berichte S.29. 70 Es war unter anderem Hans Planitz, der sich deutlich für eine solche Interpretation aus­ sprach (vgl. P lanitz, Frühgeschichte 2, S. 60). Noch 1980 vertrat S chütt , Gilde und Stadt S. 98 f. die gleiche Ansicht und sah die Schilderung als Beweis für die Existenz von „heidnischen Opfergilden“ (S.99) an. Deutlich zurückhaltender inzwischen M üller-B oysen, Kaufmanns­ schutz S. 81, der aber dennoch die Deutung des zitierten arabischen Berichts als eines Gildege­ lages für möglich hält; die skandinavischen Gilden wurzeln, so Müller-Boysen, „auf einer länge­ ren Tradition“, die er auch der ,Heimskringla‘ des Snorri Sturluson entnimmt (ebd.). Die Be­ hauptung, es habe bei den Germanen bereits Gilden in der Form der später aus dem christlichen Mittelalter bekannten sozialen Gruppen gegeben, wurde auch von weiteren Autoren vertreten; vgl. beispielsweise R eintges, Ursprung; K raack, Gildewesen S. 13 ff.; Z myslony, Bruderschaf­ ten S. 8 f. 71 Vgl. zu dieser Thematik O exle, Mittelalter; vgl. auch ders., Das entzweite Mittelalter. 71 Vgl. etwa die zahlreichen Veröffentlichungen über Skandinavien, die im Eugen Diederichs Verlag erschienen, die Thule-Bände mit ihrer nicht immer wertfreien Übersetzung der mittelal­ terlichen nordischen Prosaliteratur oder auch schon vorher die „Nordlandfahrten“ Kaiser Wil­ helms II. Zu letzterem die informative Arbeit von M arschau., Reisen. Zur Rolle und Bedeutung des Diederich-Verlages vgl. jetzt H übinger, Verlag; darüber hinaus auch den Sammelband; Versammlungsort, hg. v. H übinger. Zur Entwicklung einer ,Germanisierung‘ innerhalb der deutschen Literaturwissenschaft bereits im Laufe des 19. Jahrhunderts vgl. die Feststellungen in; Wissenschaft, hg. v. J anota, S. 29-38. Sehr gründlich auch der Beitrag von See , Das ,Nordische“ in der deutschen Wissenschaft. Vgl. ergänzend die Aufsatzsammlung von ders., Barbar - Ger­ mane - Arier. 32

derts der Gennanist und Volkskundler Otto Höfler, der aus diesem Amal­ gam seine Theorie der germanischen Kontinuität“ entwarf, die nicht nur während der Zeit des Nationalsozialismus weite Verbreitung fand,73 son­ dern in Teilen bis in die Gegenwart nachwirkt;74 dies gilt insbesondere für die von Höfler geprägte , Männerbund-Theorie“, die noch heute zur Erklä­ rung des mittelalterlichen Phänomens der Gilde benutzt wird.75 Wie sehr die maßgeblich mit der Person Höflers verbundenen Thesen einer germanischen Kontinuität Eingang in die deutschsprachige historische Forschung gefun73 Neben den größeren Arbeiten wie etwa H öfler , Geheimbünde waren es vor allem dessen programmatische Schriften, in denen er seine Thesen prägnant formulierte. Vgl. etwa ders., Kontinuitätsproblem; ders ., Volkskunde. Interessant im Zusammenhang des letztgenannten Ti­ tels ist die Reaktion darauf durch R örig , Volkskunde; dies aus zwei Gründen: Zwar lehnte Rörig entschieden die von Höfler vorgebrachten Thesen einer germanischen Kontinuität“ ab, doch war für Rörig eine Gilde nichts anderes als ein aus Kaufleuten bestehender Friedens- und Schutzverband, dessen Gründung allein auf wirtschaftlichen Zwecken beruhte (S.492). Gleichzeitg sah Rörig in Zünften im Vergleich zu den Gilden einen grundsätzlich anders gearteten Handwerkerverband, dem im Grunde nichts genossenschaftliches, gildemäßiges, freiwilliges ei­ gen sei (S. 493). Damit bewegte er sich auf der gleichen Linie wie K eutgen , Ämter, der beide Gruppierungen scharf gegenüberstellte und meinte: „Keine Brücke führt von den einen zu den andern.“ Der andere Grund besteht in der Rolle, die Rörig als Forscherpersönlichkeit vornehm­ lich - aber nicht nur - im „Hansischen Geschichtsverein“ einnahm. Seine Thesen galten als rich­ tungsweisend innerhalb der Geschichtswissenschaft. Vgl. etwa die zwar differenzierende, aber doch weitgehend positive Einstellung gegenüber Rörigs Thesen bei H offmann, Gilde und Rat, hier besonders S. 1f. 74 Eine dringend notwendige Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk Otto Höf­ lers hat bis heute nur ansatzweise stattgefunden. Bezüglich der ,Kontinuitätstheorie' und der Methodik Höflers immer noch am fundiertesten S ee, Kontinuitätstheorie. Zu welchen Reaktio­ nen eine beginnende Auseinandersetzung mit Höfler noch heute führen kann, zeigt der Aufsatz von H irschbiegel , Die ,germanische Kontinuitätstheorie“ Otto Höflers; die Reaktionen darauf in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 118 (1993) S.299-308. Zur Aufarbeitung der Höflerschen Thesen und seinem Wirken vgl. auch jüngst Z immermann , Männerbund. 75 Neben Höfler selbst war es dessen Schüler Rudolf Siemsen, der im Zusammenhang der Erforschung mittelalterlicher Gilden und Zünfte die Theorie der germanischen Kontinuität“ve­ hement vertrat, vgl. Siemsen, Germanengut. Das Fortwirken der Höflerschen Thesen in der deutschen Wissenschaft nach 1945 läßt sich an einigen Beispielen belegen: Die , MännerbundThese“ vertritt etwa G enzmer, Staat, besonders S. 140 f. Aber auch jüngere Arbeiten vertreten diese These, etwa H ellmuth, Blutsbrüderschaft, oder E nnen, Frühgeschichte S. 76 f., die immer noch von „geheimen Männerbünden“ als Wurzel der Gilden ausgeht. In einer 1984 erschienenen Dissertation werden von deren Autor bereits im Vorwort die „unermüdliche Hilfe“ und die „zahllosen Anregungen“ Höflers hervorgehoben und entsprechend die Gilden als „germanisches Spezifikum“ bezeichnet. Das „germanische Prinzip“ habe sich bis ins Spätmittelalter trotz des Einflusses von Christentum und Römischem Recht erhalten (vgl. C ordt , Gilden, die Zitate auf S. 4 u. 153). 33

den haben, zeigen neben einzelnen Monographien auch Artikel in verschie­ denen Handwörterbüchern.76 Erst allmählich konnten sich in der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 andere Ansätze bei der Erforschung sozialer Gruppen durchset­ zen. Weder die im Ausland geleistete Forschung noch die Ansätze aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden anfangs verwendet. Gleichzeitig schien in der Forschung das Interesse an diesen mittelalterlichen Formen so­ zialer Gruppen erlahmt zu sein. Damit einher ging (und geht bis heute) eine „verwirrende Uneinigkeit“ unter den deutschen Mediävisten sowohl „bei der Abgrenzung und Charakterisierung der Phänomene“ wie auch „in der Wahl und Bildung über- und untergeordneter Begriffe“, wenn es um die Erfor­ schung und Beschreibung des mittelalterlichen Gildetypus geht.77 Nachdem bis in die 70er Jahre hinein kaum mehr als nur Artikel für Handbücher ver­ faßt und mehr oder weniger kurze Verweise in Uberblicksdarstellungen ge­ geben wurden, begann seitdem allmählich wieder das Interesse der deut­ schen historischen Forschung zu wachsen, vielfach aber immer noch unter einem verengten verfassungs- oder wirtschaftsgeschichtlichen Blickwinkel.78 Trotz des allmählich wieder stärker werdenden Interesses, wurden Zunft und Gilde weiterhin und zunehmend als sich gegenseitig ausschließende Be­ griffe für Handwerkerverbände (Zünfte) und Kaufleutevereinigungen (Gil­ den) verwendet/9 Sehr anschaulich abzulesen ist dies an dem Titel zweier Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte der Jahre 1979 und 1980: „Gilden und Zünfte. Kaufmännische und gewerbliche Genossenschaften im frühen und hohen Mittelalter.“80 76 Ebenso finden sich in manchen Lexika und Handwörterbüchern auf Höfler zurückgehen­ de Thesen oder sogar wördich übernommene Formulierungen, wie bei Fischer, Art. „Zunft“, in: Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte S. 1466-1471, wo es unter Benutzung der Wendun­ gen Höflers und Siemsens heißt, die Zunft sei „eben nicht ein Zusammenschluß atomisierter In­ dividuen“, sondern „eine auf der Idee von Zucht und Ehre aufgebaute, durch Sitte und Brauch geformte, auf Fortführung einer auf langer hündischer Überlieferung beruhender, elementaren Gemeinschaftskräften entwachsende umfassende Lebensgemeinschaft“ (S. 1467). Noch 1971 wurden diese Formulierungen von Bader, A rt „Handwerk, Handwerksgesellen (volkskund­ lich)“, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp. 1984-1988, wördich (!) wie­ derholt. O exle, Gilden als soziale Gruppen S.285. Auf die Vielzahl der vorgeschlagenen Begriffe und der damit verbundenen Schwierigkeiten soll hier nicht näher emgegangen werden. Vgl. dazu das eigenständige Kapitel III, in dem der Forschungsbegriff ,Gilde1 hergeleitet und begründet wird. s Dafür exemplarisch Esnen , Zünfte. , VgL etwa Spsakdel, Verfassung. Die i agungsbetträge sind veroffendicht in: Gilden und Zünfte, hg. v. Schwineköper .

Die Rückbesinnung auf die Beiträge der deutschen Forschung im ausge­ henden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert könnte sowohl für die Begrifflichkeit als auch für die Fragestellung Klärung und Anregung geben. Inzwi­ schen würden Anleihen bei der rechtsgeschichtlichen Forschung, die bei­ spielsweise Gierke weiter rezipierte, zum gleichen Resultat führen. Dort ist ,Gilde1als Beschreibung eines eigenen Typus sozialer Gruppen durchaus ge­ läufig. Die Rechtshistoriker „verwenden den Begriff ,Gilde1 als Oberbegriff unter anderem für Kaufmannsgilden, Handwerkervereinigungen und reli­ giöse Bruderschaften und stellen dazu die Begriffe der ,Conjuratio‘ und der ,Einung1.81 Mit diesen Auffassungen befindet sich die rechtshistorische For­ schung weitgehend in Übereinstimmung mit dem Gildebegriff der französi­ schen, englischen und skandinavischen Forschung.82 Trotz einer ganzen Reihe von Tagungen zur Gilde- und Zunftproblematik83 bleibt demgegen­ über das Gros der deutschen (sozial-)geschichtlichen Forschung in den über­ kommenen und - auch angesichts in Deutschland geleisteter Forschungsar­ beit84 - überholten Vorstellungen verhaftet. Häufig scheint dies mit einer nicht ausreichenden Definierung der jeweils verwendeten Begrifflichkeit zu­ sammenzuhängen. Wie sonst wäre ein Vortragstitel zu erklären, der gleich drei Begriffe (,Kompanie1, ,Bruderschaft1 sowie ,Korporation1) anführt, diese aber im Vortrag selbst nicht theoretisch füllt.85

81 O exle, Gilden als soziale Gruppen S.287 mit Verweis auf: Stradal, Art. „Gilde“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp. 1687-1692, auf: K roeschell, Art. „Ei­ nung“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp. 910-912, ders., Deutsche Rechtsgeschichte 2, S. 82 sowie auf D ilcher, Art. „Conjuratio“, in: Handwörterbuch zur deut­ schen Rechtsgeschichte 1, Sp. 631-633. Inzwischen darf hinzugefügt werden D ilcher, Struktur, wieder abgedruckt in: ders., Bürgerrecht S. 183-242. Vergleiche ergänzend ders., Kommune. 82 Offensichtlich besteht auch Konsens mit der italienischen Forschung, das zeigen die Hin­ weise bei Dilcher und Oexle. Für die französische Forschung vgl. unter anderem C oornaert, Les ghildes medievales, sowie M ichaud-Q uantin, Universitas. Allerdings ist auch von französi­ scher Seite widersprochen und behauptet worden, Gilden seien erst im Hochmittelalter entstan­ den und es habe dann einerseits romanische und andererseits germanische Gilden gegeben; vgl. zu dieser wenig überzeugenden Position R ouche, Marches, besonders S.427 ff. Für die Erfor­ schung der englischen Gilden wäre neben T hrupp, The Gilds sowie dies., A rt „Gilds“, in: Inter­ national Encyclopedia of the Social Sciences 6, S. 184-187 auch zu nennen G erchow, Memoria als Norm. Vgl. auch jüngst Bainbridge, Gilds. Für die skandinavische Diskussion soll an dieser Stelle der entsprechende Abschnitt „Gilde“ in: KLNM 5, Sp. 299-313 angeführt werden. 85 Neben der bereits erwähnten Doppeltagung des Konstanzer Arbeitskreises sei erinnert an die in der Einleitung, S. 13 Anmerkung 12 genannten Tagungsbände. 84 Verwiesen sei beispielsweise auf die Arbeiten von Althoff, Frage, sowie ders., Verwand­ te; ders., Amicitiae. Gemeint ist Fritze, Kompanien. 35

Die weitgehende Nichtwahrnehmung der in Auseinandersetzung mit vor allem der französischen Forschung in Deutschland geleisteten Arbeit über­ rascht um so mehr, als die grundlegenden Neuerungen inzwischen bereits über fünfzehn Jahre zurückliegen. Unter Nutzung der im 19. Jahrhundert maßgeblich durch Gierke grundgelegten Ansätze und der neueren rechtshi­ storischen Forschung einerseits sowie der sozialhistorischen Forschungen aus Frankreich andererseits hat Otto Gerhard Oexle einen neuen Weg für die Forschung eröffnet. Der in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts auf verfassungs- und wirtschaftshistorische Zusammenhänge verengte Blick wird erweitert und die Gilden werden als soziale Phänomene erkennbar, die einen bestimmten Typus mittelalterlicher Gruppenbildungen repräsentieren, zu dem eben auch Zünfte, geistliche Bruderschaften, Kommunen und weite­ re gehören. Damit wird versucht, die Theoriedefizite der letzten Jahrzehnte aufzuarbeiten und die mittelalterlichen Gilden in den ihnen eigenen Zusam­ menhang zu stellen.86 Nur wenige Wissenschaftler haben bislang dieses Kon­ zept aufgegriffen.87

Die Einzelheiten des Forschungsansatzes bei Oexle werden im Kapitel „Forschungsbe­ griff“ genauer dargelegt. Auf die Gildeforschung bezogen vgl. vor allem R eininghaus, Entstehung, aber auch P rietzel, Kalande. 36

2. Forschungen über die skandinavischen Gilden Der Literaturbericht für Deutschland konnte zeigen, daß zum Teil wichtige Beeinflussungen aus dem Ausland auf den Gang der Forschungsdiskussion stattgefunden haben. Anregungen aus Skandinavien hingegen spielten prak­ tisch keine Rolle. Diese Feststellung gilt allerdings nicht in umgekehrter Richtung. Arbeiten aus Kontinentaleuropa - hier in erster Linie die deutsch­ sprachigen Forschungsbeiträge - haben insbesondere bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts der skandinavischen Forschung immer wieder entscheiden­ de Impulse gegeben. Seitdem hat sich - verständlicherweise - der Schwer­ punkt der Rezeption ausländischer Forschung teilweise gewandelt. Dadurch war aber auch die Gefahr der ,Provinzialisierung‘ der skandinavischen Gil­ denforschung gebannt. Die einschlägigen Handbücher und Lexika zeigen, daß das Grundverständnis des Sozialphänomens Gilde dem der sozialhisto­ rischen Forschung wesentlich näher ist als dem von verfassungsgeschichtli­ chen Verengungen geprägten Ansatz der meisten deutschen Historiker.88 Um diese Einbindung auch in ihrer historischen Entwicklung nachzeich­ nen zu können, werden im folgenden nicht nur skandinavische Autoren an­ geführt, sondern auch andere, die über dänische, schwedische oder norwegi­ sche Gilden Veröffentlichungen vorgelegt haben. Auf diese Weise kann gleichzeitig der Zugang in eine häufig zu Unrecht vernachlässigte Region er­ öffnet werden, die sowohl historisch als auch forschungsgeschichtlich schon immer ein Teil Europas war.

2.1 Dänemark Wie auf dem Kontinent waren auch in Skandinavien die Juristen die ersten, die sich systematisch mit den mittelalterlichen Gilden beschäftigten. Interes­ santerweise geschah dies in einer ersten umfangreichen Studie aus dem Inter­ esse heraus, die von den Gilden erlassenen Sonderrechte im Vergleich zum königlichen und städtischen Recht zu untersuchen. Der angesehene Jurist Peder Kofod An eher legte aus dieser Motivation heraus 1780 eine Studie über die dänischen Gilden vor. „In einer Materie“, so formulierte Ancher, „deren Bedeutung und Einfluß in Gesetz und Recht ... nicht von allen er­ kannt“ werde, habe er lediglich „die juridische Verfassung der Gilden einer Betrachtung“ unterzogen.89 88 Verwiesen sei an dieser Stelle vor allem auf die Beiträge zum Artikel „Gilde“ in: KLNM 5. 89 Ancher, Gilder S.2f. „... i en Materie, en hvis Vigtighed og Indflydelse i Lov og R et... 37

Trotz dieser von ihm selbst gemachten Einschränkung lag damit erstmals eine systematische Untersuchung zu dänischen Gilden vor. Die bis dahin er­ schienenen Arbeiten hatten in den Gilden entweder rein geistliche Zusam­ menschlüsse gesehen90 oder die Gilden lediglich im Zusammenhang einer von den Autoren verfaßten Stadtgeschichte behandelt.91 Ancher betonte also völlig zu Recht die Bedeutung der mittelalterlichen Gilden, doch sah er sie weitgehend als isoliertes Phänomen und nahm einen moralisierenden Stand­ punkt ein, als er die schwindende Bedeutung der Gilden zum Ausgang des Mittelalters mit deren „Hochmütigkeit“ und „anmaßenden Forderungen“ gegenüber König und Städten zu begründen suchte.92 Behandelte Ancher die Gilden und ihre Statuten noch als von der mittelalterlichen Gesellschaft un­ abhängige „isolierte Phänomene“, so gelang es dem dänischen Rechtshistori­ ker Johan Frederik Wilhelm Schlegel, die Gilden als wichtiges Glied inner­ halb des mittelalterlichen Rechtssystems einzuordnen und sie damit als selbstverständlichen Bestandteil der Gesellschaft zu betrachten. Er sah in den Gildestatuten ein „autonomes Produkt der Gilden“, das für die Gesell­ schaft des Mittelalters eine hohe Bedeutung besessen habe. Damit war es Schlegel zwar gelungen, die Gilden und das von ihnen selbst gesetzte Recht als für das Mittelalter typische Elemente der Gesellschaft zu interpretieren, doch blieben seine Untersuchungsergebnisse innerhalb der dänischen For­ schung über Gilden ähnlich unbeachtet wie zuvor bereits die Arbeit von An­ cher.93 Die auch in Dänemark geführte Diskussion um Gewerbefreiheit und Koalitionsfreiheit94*spiegelte sich gleichfalls in der Arbeit von Schlegel wi­ der, wobei er sich klar für die Existenz von Gruppen mit eigenen, autono­ men Rechten aussprach.93 Wie intensiv die politischen und sozialen Debatikke erkiendes af alle „... ikkun har taget Gildemes Juridiske Forfatning under Betragtning“. 90 So etwa der im wesentlichen auf Thomas Bartholin aufbauende P ontoppidan, Annales, der keinerlei Unterscheidung zwischen Gilden und Kalanden traf und in allen Gilden eine Form von ausschließlich religiös motivierten Zusammenschlüssen sah. 91 Beispielhaft T erpager, Ripae Cimbricse, und Bircherod, Sämling. 92 Ancher, Gilder S. 65 f. u. 79. 93 Schlegel, Retssaedvaner, besonders S.282-301. Schlegel wendete sich in seiner Studie mehrfach gegen Ancher; besonders S. 283 f. betonte er das Eingebundensein der Gilden in das allgemeine mittelalterliche Recht. 94 Zu den gesellschaftlichen und politischen Hintergründen der 1820er und 30er Jahre, die von tiefen wirtschaftlichen Krisen ebenso geprägt waren wie von intensiven Diskussionen um die Ausgestaltung einer parlamentarischen Politik, vgl. Björn, Fra reaktion til grundlov, besonders S. 143-212. Bereits der Titel seiner Arbeit läßt eine solche Einstellung erkennen und auch die Beto­ nung der „Autonomie“, die von Schlegel durchgängig positiv bewertet wurde, belegt diese Posi­ tion; vgl. dazu besonders Schlegel, Retssaedvaner S.282-301, aber auch passim. 38

ten geführt wurden und auf die zeitgenössische Forschung einwirkten, be­ wies die Preisfrage der Königlich Dänischen Akademie, die zum Ende der 1820er Jahre gestellt wurde.96 Obwohl in dieser Zeit mehrere Arbeiten über die mittelalterlichen dänischen Gilden erschienen,97 war es die bereits er­ wähnte, von der Akademie ausgezeichnete Schrift Wildas, die am nachhal­ tigsten auf die dänische Forschung wirkte. Wie bei allen anderen Autoren, so war auch für Wilda die Frage nach Ur­ sprung und Entstehungsgeschichte der (dänischen) Gilden das zentrale The­ ma seiner Darstellung. Mehr als ein halbes Jahrhundert bildete sein Buch das FFauptwerk über die mittelalterlichen Gilden Dänemarks. Eine Einschät­ zung, die hundert Jahre nach Erscheinen dieses epochemachenden Werkes getroffen wurde, dürfte für die dänische Forschung noch heute gelten: „... und selbst am heutigen Tag stellt es [Wildas „Gildenwesen“] eine Arbeit dar, an der man nicht vorbei kann, für die jüngere Gildezeit ist es immer noch die einzige zusammenhängende Darstellung.“98 Gut fünfzig Jahre nach Wilda legte ein weiterer deutscher Rechtshistori­ ker, Max Pappenheim, seine umfangreiche Monographie über die „altdäni­ schen Schutzgilden“ vor.99 Wie Wilda schrieb auch Pappenheim vor dem Hintergrund der in Deutschland aktuellen politisch-sozialen Debatten, wie bereits der Untertitel seiner Untersuchung - „Beitrag zur Rechtsgeschichte der germanischen Genossenschaft“ - zu erkennen gab. Die Frage nach dem Ursprung der Gilden war auch für Pappenheim von zentraler Bedeutung und er gab eine ebenso eindeutige wie zweifelhafte Antwort: „Bei Behand­ 96 Vgl. deren Wortlaut bereits auf S. 22 Anmerkung 17. 97 Als Beispiele seien genannt: Magnusen, Oldnordiske Gilders; ob der aus Island stam­ mende Magnusen sich tatsächlich von der politischen Diskussion leiten ließ, ist fraglich. Er war einer der schillerndsten Vertreter einer vor allem in Kopenhagen verbreiteten Bewegung, die sich für alles Nordisch-Mythische interessierte; mit seinen Beiträgen lieferte er eine Form von histo­ risch-intellektuellem Hintergrund, der von den entsprechenden Kreisen begeistert aufgenommen wurde. (Vgl. zu Person und Werk Magnusen den Beitrag von H elgason, Art. „Magnusson, Finnur“, in: Dansk biografisk leksikon 9, S. 365 ff.) Bei dem zweiten hier zu nennenden Beitrag sind die Bezüge zur zeitgenössischen politischen Diskussion unstrittig: N ielsen, Heilig Trefoldigheds Gilde. 98 C hristensen, Gilderne S. 13: „... og selv den dag i dag er det et arbejde, man ikke kan komme uden om, ja for den yngre gildetids vedkommende er det endog den eneste sammenhaengende fremstilling“. Er selbst jedoch legte mit seiner unveröffentlichten Arbeit eine umfangreiche Studie vor, die die seit Wilda erarbeiteten Forschungsergebnisse produktiv aufgriff und auch an­ dere Thesen vertrat als Wilda. 99 Pappenheim, Schutzgilden. Bis zu diesem Zeitpunkt waren lediglich weitere Einzelstudien erschienen. So etwa die Arbeit von Ljunggreen, St. Knuts Gillet, oder die zwar nicht fehlerfreie aber auf breiter Quellenbasis gründende Arbeit von edel, Gilder og Laug. Die Studien von Friis, Bidrag, haben in der Forschung kaum Beachtung erhalten. 39

lung der Frage nach der Entstehung der Gilden ... ergeben die Statuten im Einklang mit den übrigen zu benutzenden Quellen, dass der Kern der Gilde die Schwurbrüderschaft ist“.100 Für Pappenheim waren die dänischen Gilden ausschließlich heidnischen und germanischen Charakters. Die sich durch das ganze Buch ziehende Polemik gegen Wilda gründete bei dieser Argu­ mentation jedoch auf einer unzulässigen Vermischung sehr unterschiedlicher Quellentypen aus zeitlich weit auseinanderliegenden Epochen, wobei auch der häufig als christlicher Einfluß interpretierte Bruderschaftsgedanke der Gilden101 von Pappenheim auf die angebliche Blutracheverpflichtung der Germanen zurückgeführt wurde.102 Mit dieser Anschauung traf er in Däne­ mark offensichtlich den Zeitgeist. Die Rezension durch Steenstrup in der „Fiistorisk Tidsskrift“ hob unter anderem ausdrücklich positiv hervor, Pap­ penheim habe „die richtige Deutung“ gefunden und ihm sei es gelungen „den heidnischen Ursprung der Gilden zu beweisen“.103 Nur wenige Jahre nach Pappenheim legte der Fiistoriker Karl von Flegel sein umfangreiches Werk über die „Städte und Gilden der germanischen Völker im Mittelalter“ vor.104 Darin leistete Flegel eine gründliche Aufarbei­ tung der bis dahin bekannten Quellen und Literatur, wobei er der skandina­ vischen Region breiten Platz einräumte. Neben einer Übersicht über die Gil­ den in den „germanischen Ländern“ zielte Flegel vor allem auf die Einord­ nung der Gilden und ihrer Rolle, die sie innerhalb der Stadt einnahmen. Den Ursprung der dänischen Gilden sah auch Flegel in den heidnischen Opferfe­ sten und den dazugehörigen Trinkgelagen, die seiner Ansicht nach einer von außen beeinflußten christlich geprägten Umformung unterzogen worden wa­ ren; der dafür notwendige Anstoß und Einfluß von außen sei mit größter Wahrscheinlichkeit von England ausgegangen. Obwohl Flegel keine grund­ legenden neuen Erkenntnisse vermittelte, war sein zweibändiges Werk doch 100 P appenheim, Schutzgütten S.66. Auch in dieser Hinsicht zeigt sich, wie sehr Pappenheim eingebunden blieb in die immer stärker werdende ,Germanenschwärmerei‘, die jedoch nicht auf Deutschland beschränkt war, wie das Beispiel von Finnur Magnusen gezeigt hat. 101 So hatte etwa Wilda in dieser Frage argumentiert. Vgl. W ilda, Gildenwesen S. 25-34. 102 Pappenheim, Schutzgilden S. 83 ff. 103 Steenstrup, in: Dansk Historisk Tidsskrift 5. rmkke Bd.VI S. 828-838, die Zitate auf S. 835: „... at Forf. netop har fundet den rette Tydning; ... det er lykkedes ham ... i Totaliteten at godtgjore Gildernes hedenske Oprindelse“. (Vgl. zu Steenstrup jetzt den informativen und anregenden Essay von G issel, Johannes Steenstrup og kulturhistorien.) Der deutsche Rechtshi­ storiker Konrad Maurer dagegen war in seiner Rezension deutlich kritischer. Zwar war auch für ihn der heidnische Ursprung der Gilden unbestritten, doch wie Wilda ging er vom nordischen Trinkgelage als Quelle aus. Die Schwurbrüderschaft sei ein individueller und freiwilliger Zusam­ menschluß, die Gilde dagegen eine Korporation. M aurer, Rezension von M. Pappenheim. 104 H egel, Städte.

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Ausdruck des gewachsenen Interesses an den mittelalterlichen Gilden. Auch in Skandinavien selbst war dies deutlich zu spüren, denn die Zahl der publi­ zierten Beiträge nahm seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bestän­ dig zu, wenn bei den Untersuchungen auch meist die jeweiligen nationalen Grenzen nicht überschritten wurden.105 Höhepunkt und zugleich Abschluß dieser Epoche bildete die von dem Hi­ storiker und Juristen Camillus Nyrop vorgelegte, bis heute gültige und un­ übertroffene Edition von Gilden- und Zunftmaterial.106 Nyrop verfaßte zu jeder edierten Quelle eine kurze Beschreibung und einen knappen Kommen­ tar; eine von ihm geplante umfassende Darstellung einer Geschichte der dä­ nischen Gilden erschien allerdings nie. Sein fundiertes Wissen um die ge­ samte Materie kann daher nur von dem gut durchdachten und reichhaltigen Register, das er der Edition beigab, erahnt werden.107 Das der Forschung damit zur Verfügung gestellte Potential ist jedoch bis heute praktisch kaum genutzt worden, wenn man von örtlich begrenzten Einzelstudien absieht. Überhaupt scheint die dänische Forschung im 20. Jahrhundert trotz offen­ sichtlich bestehendem Interesse an der Thematik eher von verpaßten Chan­ cen gekennzeichnet. Dies gilt vor allem für zwei Arbeiten, die selbst in Däne­ mark keine oder nur eine geringe Aufmerksamkeit erzielen konnten. Der später zu Recht hoch angesehene dänische Mediävist Aksel E. Christen­ sen108 beteiligte sich 1930 an einer Preisaufgabe der Universität Kopenhagen zum Thema „Gilden in Dänemark im 15. und 16. Jahrhundert“. Die von be­ eindruckender Quellenkenntnis zeugende Arbeit109 existiert jedoch bis heute lediglich als Typoskript und ist von der dänischen Forschung völlig überse105 Für die Länder Norwegen und Schweden siehe die jeweiligen Abschnitte des Literaturbe­ richts. Einer der wenigen, der in dieser Zeit länderübergreifend arbeitete, war der norwegische Historiker Alexander Bugge. An dänischen Autoren, die an den nationalen Grenzen festhielten, wären etwa zu nennen: Friis, Slagelse, Bergsoe, Danske Forenings-Tegn sowie W edel, Gilder. 106 N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer. 107 Im übrigen ist der Historiker Camillus Nyrop eine Person, an der sich sehr anschaulich die Verbindung von ,Wissenschaft' und ,Lebenswelt‘ zeigen läßt. Bereits in den Kinder- und Ju­ gendjahren waren durch das Elternhaus sowohl Handwerk als auch Wissenschaft allgegenwär­ tig. Nach einer juristischen Ausbildung war Nyrop an führender Stelle im dänischen Industrie­ verband tätig. Gleichzeitig betrieb er intensive historische Studien zur dänischen Industrie und zum Handwerk. Dadurch entstanden nicht nur zahlreiche Arbeiten, die zeitlich vom Mittelalter bis in Nyrops Gegenwart reichten, sondern auch die Edition sämtlicher Quellen zur mittelalter­ lichen Gilde- und Zunftgeschichte. Zu Person und Werk Nyrops vgl. D ybdahl, Art. „Nyrop, Camillus“, in: Dansk biografisk leksikon, S. 596 f. 108 Zu Leben und Werk Aksel E. Christensens vgl. den Nachruf von H orby, Nekrologer. 109 Ganz offenkundig hat Christensen nicht nur die Quellenedition Nyrops intensiv genutzt, sondern auch in Archiven selbst Quellenstudium betrieben.

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hen worden.110 Auch eine 1980 abgeschlossene Studie über die soziale Rolle von Kaufleuten und Handwerkern in den mittelalterlichen Städten Däne­ marks scheint mehr im Ausland als in Dänemark selbst Leser gefunden zu haben.111 Offensichtlich trug hier die Art der Veröffentlichung, in Form ei­ nes Mikrofiches, entscheidend dazu bei, daß die Arbeit kaum bekannt wur­ de.112 Obwohl also für Dänemark seit der Jahrhundertwende das gesamte Mate­ rial, das von den mittelalterlichen Gilden erhalten blieb, ediert vorliegt (ein­ schließlich der Wiedergabe zahlreicher Gilde-Siegel113), sind bis heute ledig­ lich entweder Studien zu einzelnen Ortschaften, Untersuchungen zu einer bestimmten Gildegruppe (Knutsgilden) oder relativ allgemein gehaltene Be­ merkungen zum Phänomen der mittelalterlichen Gilden erschienen. Manche dieser Beiträge sind zwar umfangreich, doch wird kaum einmal das Sozial­ phänomen Gilde betrachtet, sondern praktisch ausschließlich der wirt­ schaftshistorische Aspekt in den Vordergrund gestellt.114 Dazu beigetragen hat sicherlich die allgemein akzeptierte Vorstellung, insbesondere die Knuts­ gilden stellten ausschließlich Vereinigungen von Kaufleuten dar, wodurch die Gegenüberstellung von Zünften als Handwerker- und der Gilden als Kaufleutevereinigung ein weiteres Mal begünstigt wurde.115 Noch heute gilt 110 Der Schüler Christensens, Kai Horby, weist in seinem Nachruf auf die von der Universi­ tät ausgezeichnete Schrift Christensens hin. Zugleich kann er zeigen, wie wichtig gerade diese Arbeit für den weiteren (beruflichen) Lebensweg Christensens war. Dennoch hat in der däni­ schen Forschung bislang nur Grethe Jacobsen in ihren Arbeiten auf das unveröffentlichte Manu­ skript Christensens aufmerksam gemacht und dieses auch benutzt. 111 Es handelt sich dabei um J acobsen, Guilds. Trotz des von Jacobsen gewählten Schwer­ punktes auf wirtschaftshistorische Fragestellungen und auf das Handwerk hätte ihre Arbeit nicht nur in Dänemark größere Aufmerksamkeit verdient. Wie zentral für Jacobsen der wirt­ schaftliche Bereich der Gilden ist, zeigt ihr Beitrag über Gilden in der kürzlich erschienenen „Enzyklopädie“ zum mittelalterlichen Skandinavien. Darin definiert Jacobsen Gilden als „von Händlern und Handwerkern gebildete Korporationen“, die bevorzugt in Dänemark, in einigen schwedischen Städten und in der norwegischen Hafenstadt Bergen vorgekommen seien (vgl. J a­ cobsen, Art. „Guilds“, in: Medieval Scandinavia. An encyclopedia, S.248 f.: „Guilds, corporations formed by merchants and artisans, are urban phenomena and in Scandinavia are thus found primarily in Denmark [including Scania], in a few Swedish towns, and in Bergen, Norway“). Selbst in einer umfassenden Bibliographie, die kürzlich zur seit dem Zweiten Weltkrieg geleisteten Forschung über das mittelalterliche Dänemark erschienen ist, wird diese Arbeit nicht erwähnt. 15 Editionen durch Nyrop, Danske Gildesegl und G randjean, Danske Gilders Segl. G ilioer, In honore sancti Kanuti, versucht in seinem Artikel auch auf sozialhistorische Aspekte der Gilden einzugehen. Er ist einer der wenigen skandinavischen Autoren der letzten beiden Jahrzehnte, der die Aufsätze von Emile Coornaert (und damit grundlegende Forschung von französischer Seite) mit berücksichtigt. Dazu maßgeblich beigetragen haben die auch in Dänemark viel beachteten Arbeiten von 42

die „Dänische Rechtsgeschichte“, die 1940 von Poul Johannes Jorgensen verfaßt wurde, mit ihren etwa fünfzehn Seiten über Gilden im Mittelalter116 als die beste Übersicht zu diesem Thema, wobei auch die jüngsten Arbeiten über die dänischen Gilden nichts an diesem Gesamtbild ändern. Zwar hat der Kopenhagener Mediävist Aksel E. Christensen in seinen Arbeiten immer wieder auf die Bedeutung der Gilden für die mittelalterliche Gesellschaft hingewiesen,117 doch hat auch er keine systematische Untersuchung zu die­ ser Thematik veröffentlicht.

2.2 Norwegen Angesichts der im Vergleich zu Dänemark erheblich ungünstigeren Aus­ gangslage bei den norwegischen Quellen, die von den Gilden erhalten geblie­ ben sind, ist die Anzahl der Studien zur Gildenthematik in Norwegen er­ staunlich hoch.118 Zwei Gründe sind dafür sicherlich maßgeblich. Zum einen war (und ist) das Interesse am Mittelalter allgemein in der norwegischen Hi­ storiographie sehr groß, weil auf diese Weise an die , Glanzzeit“ des Landes mit seiner Unabhängigkeit und europäischen Bedeutung angeknüpft werden kann. Insbesondere richteten sich die Interessen vieler Forscher auf die Bau­ ern, die bis heute als Träger des Fortschritts und der Demokratie gelten.119 Erich Hoffmann, insbesondere zu den Knutsgilden. Vgl etwa H offmann, Schleswiger Knutsgil­ de; ders., Gilde und Rat; ders., Skandinavische Kaufmannsgilden. 116 J orgensen, Dansk Retshistorie S.444-458, wobei nochmals darauf hingewiesen werden muß, daß die bereits angeführte Preisschrift von Aksel E. Christensen selbst in Dänemark so gut wie unbekannt blieb. 117 Vgl. etwa C hristensen, Ret og magt, vor allem S. 11-28 sowie ders., Vikingetidens Danmark S. 73-75. 118 Vor allem in den letzten Jahrzehnten sind meist nur kleinere Aufsätze erschienen. Doch dürfen die großen lokalhistorischen Werke (Bergen, Trondheim, auch Oslo) mit ihren zum Teil sehr ausführlichen Darstellungen der Gilden nicht übersehen werden (vgl. dazu auch die Hin­ weise auf S. 47 in Anmerkung 138). 119 Der gesamte Zusammenhang des geschichtlichen Selbstverständnisses in Norwegen ist knapp aber zutreffend beschrieben worden von Falk, Geschichtsschreibung S. 39-51. Die Lö­ sung von Dänemark und die Verabschiedung der eigenen Verfassung von 1814 (die als die fort­ schrittlichste ihrer Zeit in Europa galt) haben für die norwegische Historiographie eine minde­ stens ebenso große Bedeutung wie die Unabhängigkeit von 1905. Am ausführlichsten dazu im­ mer noch D ahl , Norsk historieforskning. Dort auch eine umfassende Darstellung der von der Forschung immer wieder vorgenommenen Neubewertung einzelner Epochen der norwegischen Geschichte wie etwa der mittelalterlichen „Unionszeit“ mit Dänemark. Die Bedeutung des Mit­ telalters für das eigene Selbstverständnis Norwegens und auch für das Geschichtsbewußtsein des Landes hat in jüngster Zeit dargestellt: Bagge, The Middle Ages. Vgl. ergänzend Bagge , Udsigt og innhogg. 43

Zum anderen hat die Unabhängigkeit 1905 sehr schnell zu einer „entspannteren Haltung gegenüber der ,Dänemarkszeit“1geführt, wie gleichzeitig das „Interesse an einer weitergefaßten Gesellschaftsgeschichte für diese Epoche in den folgenden Jahren beträchtlich stieg“.120 Nur wenige Jahre nach der Unabhängigkeit begann sich eine Bewegung zu etablieren, die bis heute das Bild der norwegischen Geschichtsschreibung entscheidend mitprägt. Um 1920 organisierte sich die lokalhistorisch orientierte Forschung in Norwegen landesweit („Landslaget for bygde- og byhistorie“) und begann die bis heute angesehene Zeitschrift „Heimen“ herauszugeben. Damit war gleichzeitig ein Bindeglied zwischen den Fachhistorikem und den „kundigen Amateuren“12’ geschaffen. Die immense lokalhistorische Forschungsliteratur Norwegens mit ihrem Detailreichtum führte und führt allerdings häufig dazu, daß eine sehr enge lokale Perspektive vorherrscht und dementsprechend eng be­ grenzte Ziele verfolgt werden. „Auf der anderen Seite kann nicht stark genug unterstrichen werden, daß norwegische Fachhistoriker durch ihre lokalhi­ storische Wirksamkeit bahnbrechende Forschungsarbeit geleistet haben.“122 Dennoch war es wiederum der deutsche Rechtshistoriker Max Pappen­ heim, der erstmals eine umfassende Studie zu den norwegischen Gilden des Mittelalters vorlegte.123 Auf norwegischer Seite wurden um 1900 die ersten grundlegenden Studien von einem der bekanntesten Historiker des Fandes, Alexander Bugge, verfaßt, der allerdings in seinen drei Arbeiten von 1899, 1908 und 1918 jeweils unterschiedliche Auffassungen über die Entstehung der Gilden vertrat. In der ersten von Bugge vorgelegten Arbeit über die mit­ telalterlichen Gilden bezog er sich ausdrücklich auf F.Toulmin Smith,124 al­ so auf britische Forschungsergebnisse; nach eingehendem Vergleich zwi­ schen englischen, dänischen und norwegischen Gilden kam Bugge zu dem Schluß: „Ich kann deshalb nichts anderes annehmen, als daß die Gilden zu­ erst in England, unter den ,Nordbewohnem‘ unter angelsächsischem Einfluß oder unter den Angelsachsen bei nordischen Einfluß entstanden sind.“125 Obwohl Bugge bereits zu diesem Zeitpunkt bewußt war, daß schon um das I msen, Forord, S. 9: „Unionsopplosningen i 1905 medforte en mer avslappet holdning til jdansketiden samtidig som interessen for denne periodens bredere samfunnshistorie i de folgen­ de är okte betraktelig blant norske historikere“. 121 Ebd. „kunnige amator“. Ebd. „Pa den annen side kan det ikke sterkt nok understrekes at norske faghistorikere gjennom sin lokalhistoriske virksomhet har Utfort banebrytende forskningsarbeid“. Pappenheim, Schutzgildestatut. Entgegen der Formulierung im Titel fußt die Arbeit auf zwei Gildestatuten, die von Pappenheim auch in einem Anhang abgedruckt wurden. Vgl. zu die­ sem Buch auch die Rezension von Maurer. Vgl. Bugge, Studier S. 49 Anmerkung 1. Bugge, Studier S.99: ,Jeg kan derfor ikke skjonne andet, end at gilderne forst er op44

Jahr 800 für das fränkische Reich Gilden belegt sind,126 lehnte er eine Ver­ bindung zwischen den nordeuropäischen und den fränkischen Gilden aus­ drücklich ab.127 Erst in einem kürzeren Artikel, den er knapp zehn Jahre nach seiner „Doktorsavhandling“ (Dissertation) veröffentlichte, glaubte er ausreichend Belege für die Ansicht gefunden zu haben, sämtliche Gilden Eu­ ropas seien auf die fränkischen Gilden zurückzuführen. Durch längere Stu­ dien, so Bugge, seien ihm mehr und mehr Zweifel an seiner früheren These gekommen, England sei der Ursprung für die dänischen und norwegischen Gilden.128 Statt dessen kam er diesmal zu dem Ergebnis: „I regard the Empi­ re of the Franks as the birthplace of the guilds, the country from which this the most typical institution of the middle ages has spread to all parts of We­ stern and Northern Europe.“129 In dem dritten größeren Artikel zu den mit­ telalterlichen Gilden Norwegens, den Bugge 1918/20 publizierte, verengte sich der Forschungsansatz auf rein norwegische Geschehnisse und Gegeben­ heiten. Die internationale Forschung hatte er zwar weiterhin im Blick, doch versuchte er diesmal, die ländlichen Gilden (die sogenannten „Bauemgilden“) in den Mittelpunkt zu stellen und ließ die städtischen Gilden aus­ drücklich außer acht.130 Damit war er gezwungen, lokalhistorisch zu arbei­ ten, was bei Bugge zu einer dritten Auffassung vom Aufkommen der Gilden führte. „Deren Entstehung“, so schrieb Bugge am Schluß seiner Untersu­ chung, „geht zurück in vorhistorische Zeit, vielleicht bis vor die Wikinger­ zeit.“131 Die enge Verbindung zwischen Gilde, Thing und (Zentral-)Kirchen, die Bugge konstatierte,132 ließ ihn annehmen, daß in der bäuerlichen staaet i England, blant Nordboerne der under angelsaksisk paavirkning, eller blandt Angelsakserne under nordisk indflydelse“. 126 Ebd. S. 67: „Foreninger (g ild o n ia ) omtales tidligst cmkr. 800 i det Frankiske rige“. 127 Ebd.: „Es ist möglich, daß sie [die fränkischen Gilden] den nordischen und angelsächsi­ schen Gilden ähnelten. Aber sie hatten kaum irgendeinen Einfluß auf deren Gründung.“ („Det er muligt, at de har lignet de nordiske og angelsaksiske gilder. Men de har neppe havt nogen indflydelse paa disses danneise“). 128 Bugge, The earliest guilds S. 205. „I have ... suggested as the most likely solution that England is the birthplace of the Norwegian and Danish guilds. I have, however, in the course of my studies become more and more doubtfull whether this supposition is right“. 129 Ebd. S. 209. Demnach müßten bereits während der Wikingerzeit Gilden nach fränki­ schem Vorbild ,importiert“worden sein. Doch hat bereits Blom, Ursprung S. 7 darauf hingewie­ sen, daß eine solche Annahme nicht bewiesen werden kann. 130 Bugge, Tingsteder S.218: Jeg har derfor trodd, det künde banne sig at undersoke de norske bondegilder alene, Uten at ta hensyn til gildeme i byen“. 131 Ebd. S. 252: „Deres oprindelse gaar tilbake til forhistorisk tid, kanske til for vikingtiden“. 132 Damit griff Bugge einen Gedanken auf, der bereits von Lange, De norske klosters Histo­ rie, vertreten worden war. Auf S. 263 heißt es dort: „Iovrigt har vistnok hvert storre Distrikt i 45

Gesellschaft Norwegens die Gilde die ursprüngliche und typische Organisationsform gewesen sei. Diesen Gedanken vertrat ganz ähnlich Oscar Albert Johnsen in seiner bis heute wichtigen Untersuchung über die norwegischen Bauern.133 Wie Bugge stützte auch er sich auf die Ortsnamenforschung und sah in deren Ergebnissen Beweise für die Existenz von Gilden bereits vor der Wikingerzeit. „Wir können daher sicher davon ausgehen, daß die Gilden in Norwegen zuerst in den Dörfern bei den Bauern entstanden sind“.134 Ohne daß es explizit formuliert würde, legen beide Arbeiten den Schluß nahe, daß die Bauemgilden ein spezifisches norwegisches Phänomen gebildet hätten und ohne erkennbaren äußeren Einfluß aus sich heraus entstanden seien.133 Ähnlich argumentierte Oscar Albert Johnsen bereits in der Einleitung zu den von ihm 1920 veröffentlichten drei norwegischen Gildestatuten. Die schon häufig von der Forschung aufgeworfene Frage nach Bezügen zwischen heid­ nischen Trinkgelagen und den Gilden war auch für Johnsen von erheblicher Bedeutung, wobei er meinte, daß ein „hvirfingsdrykkjur lediglich ein älterer Name für Gilde“ sei oder, wie er weiter formulierte: „richtiger, es stellt eine Gilde auf einer älteren Entwicklungsstufe dar als die, die wir von den erhal­ tenen mittelalterlichen norwegischen Gildestatuten kennen.“136 Beide Auto­ ren, Bugge wie Johnsen, erkannten und unterstrichen die Bedeutung der frei­ en Einungen für die Stabilität der mittelalterlichen Gesellschaft. Gleichzeitig waren die zeitgenössischen Diskussionen mit der 1905 erlangten Autonomie des Staates ein wichtiger Grund, möglichst viele Phänomene innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft als eigene norwegische Hervorbringungen er­ scheinen zu lassen und auf diese Weise eine Kontinuität von der mittelalterli­ chen bis zur zeitgenössischen Unabhängigkeit zu erzeugen. Nach einer ganzen Reihe von Studien, die entweder die Gilden eines Ortes abhandelten oder einzelne Dokumente zu einer bestimmten Gilde zum In­ halt hatten,137 wird erst seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in der norwegiLandet havet sit eget Gilde, eftersom Landsloven indeholder flere Bcstemmelser om dem, ja endog saetterdem i Sammenligning med Kirke og Thing“. 153 J ohnsen, Bonder, besonders S. 129-138. 154 Ebd. S. 130. „Vi kan derfor trygt gar ut fra at gildene i Norge forst er opstätt pä landsbygden blandt bondene . Die grundsätzliche Methodik, von Ortsnamen auf die Existenz von Gilden zu schließen, ist unbestritten und wird auch heute vertreten (so etwa Blom, Art. „Gilde“, in: KLNM 5), doch daraus den Schluß zu ziehen, die Gilden hätten bereits vor oder während der Wikingerzeit existiert, kann nicht wirklich belegt werden. 1,5 Vgl. diese Interpretation bereits bei Blom, Ursprung S.7f. J ohnsen , Tre gildeskraaer S. 5: „Men nu er hvirfingsdrykkjur kun et aeldre utviklingstrin, end det vi kjender fra de bevarte norske gildeskraaer fra middelalderen“. Ganz ähnlich auch seine Argumentation in einem am 26. März 1920 gehaltenen Vortrag. Vgl. ders., Gildevsesenet. 37 Zu nennen sind hier etwa N ielsen, St. Catharinas Gilde; Storm , Gildeskraa; Seip, Etpar 46

sehen Forschung wieder grundsätzlicher die Gildenthematik behandelt. An­ regend dürfte neben der Abfassung von Stadtgeschichten*138 vor allem das „Kulturhistorisk Leksikon for nordisk middelalder“ gewirkt haben, bei dem nicht nur der norwegische Beitrag zum Stichwort Gilde erkennen läßt, daß die grundlegende internationale Literatur mit eingeflossen ist. Dennoch hat sich keine wirkliche Diskussion über die mittelalterlichen Gilden (oder über­ haupt über Gruppenbildungen und deren soziale Bedeutung) in der jüngeren norwegischen Forschung entwickelt. Von Einzelbeiträgen abgesehen139 wur­ den auch Ansätze zu kontroversen Quelleninterpretationen nicht systema­ tisch weiter vertieft.140 Erst in allerjüngster Zeit rückt - nicht zuletzt durch gamle Oslo-dokumenter; F ischer , S t Anna gildestue; G rieg , De senmiddeialderlige gilder i Os­ lo; aber auch B erg , Gildeskipnad. Daneben existieren selbstverständlich umfangreiche Über­ blicksdarstellungen, die Gilden mit abhandeln. Das Buch über die norwegischen Bauern von J ohnsen , Bonder, wurde bereits erwähnt. Ebenso wichtig ist die Sammlung von Vorlesungen zur norwegischen Rechtsgeschichte von T aranger, Udsigt. Zusätzlich wurden eine Reihe von Darstellungen zur Zunftgeschichte des Landes verfaßt, die jedoch ausschließlich Handwerker im Blick haben und keinerlei theoretische Überlegungen zu mittelalterlichen Gruppenbildungen anstellen. Vgl. etwa B endixen , De tyske haandverkere; Bogh , Bidrag; und G revenor, Fra laugstiden i Norge. 138 In bezug auf die Gilden ist aus den fünfziger Jahren am gründlichsten die Geschichte der Stadt Trondheim (Blom , Trondheim Bys Historie 1). Die Autorin versucht die für die Stadtge­ schichte relevanten Quellen über Gilden in ein gesamtnorwegisches Bild einzupassen. Vgl. insbe­ sondere die S. 440-449. Bei der Stadtgeschichte über Bergen im Mittelalter (H elle, Bergen Bys Historie 1) geht der Autor ähnlich vor, wobei in Bergen durch das Kontor der Hanse die Aus­ gangslage völlig anders ist als in Trondheim. Das prinzipielle Interesse der Autoren an den mit­ telalterlichen Zusammenschlüssen hatte sich aber erhalten. Dies scheint ähnlich bei der inzwi­ schen erschienenen Stadtgeschichte Oslos, in der jedoch nur kurz auf die Gilden hingewiesen wird. Vgl. N edkvttne u . N orseng , Oslo bys historie 1, S. 306-309. Allerdings kann im Rahmen einer umfangreichen Stadtgeschichte wohl kaum mit einer theoretischen Auseinandersetzung über Gilden und Sozialphänomene in der mittelalterlichen Gesellschaft gerechnet werden. Von daher erstaunt es nicht, daß die mittelalterlichen Gilden in erster Linie als religiös geprägte Ge­ meinschaften aufgefaßt werden (vgl. ebd. S. 306: .Aber die Laien konnten auch füreinander be­ ten, mit oder ohne Hilfe von Priestern. Diese Gebetsgemeinschaften wurden im mittelalterlichen Oslo Gilden genannt“. [„Men lekfolk kunne ogsä be for hverandre, med eller Uten hjelp fra prestene. Disse bannefelleskapene ble i middelalderens Oslo kalt gilder“]). 139 Trotz des Titels des Sammelbandes L andsverk, Gilde og Gjestebod, beschäftigt sich le­ diglich der Beitrag von Berg , Gildeskipnad tatsächlich mit den mittelalterlichen Gilden, wobei der Autor im großen und ganzen seine früher veröffentlichten Forschungsergebnisse zusammen­ faßt. 140 Interessant ist die Reaktion auf das Buch von H olmsen , Manndauen, durch Blom in der Zeitschrift Heimen 24 (1987) S. 19-26 und durch B enedictow in: Norsk Historisk Tidsskrift 65 (1986) S. 3-15. Streitpunkt ist die sogenannte „Sigdal-Liste“, ein Verzeichnis von Personen in Sigdal, für die Seelenmessen gelesen werden sollen (DN VIII 205). Während Holmsen dieses Dokument als eine Liste von an der Pest erlegenen Einwohnern Sigdals ansieht, kann Blom nachweisen, daß zumindest erhebliche Zweifel an einer solchen Interpretation angebracht sind. 47

Anregungen aus dem angloamenkanischen und kontinentaleuropäischen Raum - die Bedeutung mittelalterlicher Gruppenbildung wieder in das Blick­ feld auch der norwegischen Forschung, wobei jedoch bislang vorzugsweise mit isländischem Material gearbeitet wird.141 Auf der Grundlage norwegi­ scher Quellen ist kürzlich versucht worden, den Übergang von heidnischen Trinkzeremonien zu den christlichen Gilden zu beschreiben.142 Der Autor, der hauptsächlich an der Bedeutung von Bier und Met in der mittelalterli­ chen Gesellschaft interessiert zu sein scheint, reduziert die Gilden jedoch weitgehend auf den Brauch des gemeinsamen Essens und Trinkens. So be­ zeichnet Qviller Bier als „ein Zeichen für Männlichkeit“ und die Durchfüh­ rung eines „Trinkgelages“ („olgilde“) als das „Recht eines freien Mannes“, der sich dadurch als „ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft“ auszeich­ ne.143 Die Beteiligung von Frauen an den Gilden läßt Qviller völlig außer Sie bezeichnet die Quelle abschließend zwar als „ein interessantes Zeugnis von Glauben, Kir­ chenleben und sozialem Status innerhalb eines norwegischen Dorfes des 0sdandes im 14. Jahr­ hundert“ (S.26: „... et interessant vitnesbyrd om tro, kirkeliv og sosial Status i en norsk ostlandsbygd pa 1300-tallet.“), doch diskutiert sie auch ausführlich die keineswegs abwegige Mög­ lichkeit, es könne sich bei der Liste um ein Memorialverzeichnis einer Gilde handeln. Benedictow geht in seinen Überlegungen deutlich weiter und argumentiert, auf einer Anregung von E. Günnes aufbauend, die Liste sei mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Memorialverzeichnis von Gildemitgliedern. Er führt zur Unterstützung seiner These unter anderem an, daß das „Zufrie­ denstellende an dieser Deutung“ die damit einhergehende Klärung sei, warum „die Liste nur aus Männern“ bestehe. (S. 12: „Det tilfredsstillende med denne fortolkning er at den forklarer hvorfor lista bare bestär av menn.“) Dieses Argument wird bereits völlig zu recht von Grethe Authen Blom in ihrem Artikel angezweifelt. Auch die wenigen norwegischen Quellen lassen deutlich er­ kennen, daß Frauen in den Gilden vertreten waren. So zeigt diese vor etwa zehn Jahren geführte Diskussion, daß die Gilden als wichtiges mittelalterliches Phänomen erkannt wurden, doch hat sich trotzdem keine weitergehende Gildendiskussion in der norwegischen Forschung aus diesem Disput entwickelt. 141 Neben den einschlägigen Arbeiten von Byock, Medieval Iceland, und M iu .er, Bloodtaking, vgf jetzt insbesondere die Abhandlung von Sigurdsson , Goder, der sich darin ausführlich mit Gruppenbildungen auf Island während des Mittelalters beschäftigt. Vgl. auch ders ., Friendship. Auch in der Arbeit von Breisch , Frid och fredlöshet, geht die Autorin auf Gruppenbindun­ gen ein. Die Bedeutung von sozialen Bindungen und Gruppenbildungen innerhalb der mittelal­ terlichen Gesellschaft Norwegens untersucht auch O psahl, Framveksten. Ebenso unterstreicht I msen , Bondekommunalisme 1, die Wichtigkeit von dauerhaften sozialen Beziehungen für das Funktionieren der Gesellschaft auf lokaler Ebene, wobei er sich in der Begriffhchkeit und Me­ thodik auf Peter Blickle bezieht (vgl. ebd. S. 9 f.). Q viller, Frihet. Vor dem Hintergrund der von Max Weber geäußerten Beobachtungen zur Bildung von Bruderschaften im Mittelalter versucht der Autor, die mit der Christianisierung einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen am Beispiel der Gilden nachzuzeichnen. Zur Methodik des Autors vgl. ders., Rusens historie. Q viller, Frihet, S. 177: „A kunne gjore olgilde og selv drikke ol, var retten til en fri mann, og et fullverdig medlem av samfunnet“. 48

acht, und auch für ihn ist die Kirche dafür verantwortlich, daß aus heidni­ schen Trinkgelagen christliche Gilden entstehen. Die qualitativen Unter­ schiede zwischen der „typischen Form des Trinkgelages im Mittelalter“ und den Gilden erkennt Qviller nicht. Für ihn sind die Gilden lediglich „stärker strukturiert“ und „dauerhafter organisiert“ als die vorchristlichen Trinkgela144 g6'Die sehr unterschiedlichen • • . Ansätze innerhalb . der Forschung in Norwegen beschränken sich in der Auswahl der benutzten Quellen alle - unabhängig von den jeweils vertretenen Thesen - auf Island und Norwegen. Ein inner­ skandinavischer Vergleich ist bislang weder in der jüngsten Forschung noch innerhalb der Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte angestrebt worden. Dies dürfte unter anderem auch an der Forschungslage in Dänemark und Schwe­ den liegen, weil keine jüngeren Gesamtdarstellungen aus diesen Ländern vorliegen.

2.3 Schweden Im Gegensatz zu Dänemark und Norwegen hat es in Schweden auch in jüng­ ster Zeit Veröffentlichungen gegeben, die sich mit mittelalterlichen Gilden und Zünften Schwedens beziehungsweise Nordeuropas auseinanderset­ zen.14145 Dennoch fehlt auch für Schweden bis heute eine systematische Aufar­ beitung der relativ umfangreichen Quellen, die Ende des 19. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Editionen vorgelegt wurden.146* Am intensivsten bearbeitet ist die Stockholmer Fronleichnamsgilde (Helga lekamens gille), eine im 14. Jahrhundert als Priestergilde gegründete Verei­ nigung, die sich relativ schnell auch Laien öffnete und „zur bedeutendsten 144 Ebd., S. 174: „Kirken forsokte I kristne drikkelaget med ä godta at det kom samraen i navnet til en helgen som vernet det. Det er den typiske formen for drikkelag i mellomalderen. Gildene har oftest en mer strukturert og varig organisasjon enn drikkelag som besto av venner og granner“. 145 Lindström , Skra; R einholdsson , Landsbygdsgilden. Weitere Arbeiten, die in den 80er Jahren entstanden sind, werden im Laufe des Kapitels genannt. 146 Die meisten der erhaltenen Gildestatuten sind ediert von K lemming , Smastycken. Darüberhinaus von dems .: Skräordningar. Als weiteres grundlegendes Quellenwerk muß genannt werden: Handlingar rörande Helga Lekamensgille 1-8, hg. v. C ollijn. Zusätzlich finden sich eine Reihe Editionen von Einzelquellen im Zusammenhang mit mittelalterlichen schwedischen Gilden, so etwa N orden , Et medeltida sockengille; S chück , S:t Jakobsgillet; ernler, S.ta Katharinagillet. 49

Gilde Stockholms am Ende des Mittelalters“ emporstieg.147 Der herausra­ gende Gelehrte Johan Murberg fand die Akten dieser Gilde eher zufällig um 1790 in der Stadtpfarrkirche Stockholms148 (storkyrkan beziehungsweise St. Nikolai); seitdem sind sie Gegenstand einer Vielzahl von mehr oder weniger umfassenden Einzelstudien gewesen.149 Die Edition dieses Materials durch Isak Collijn in den 1920er Jahren hat allerdings nicht zu einer Intensivierung der Forschungsbemühungen geführt.150 Zwar ist immer wieder auf die Edi­ tion verwiesen worden, doch nur wenige Historiker haben sich ihrer wirklich bedient.151 Obwohl zahlreiche Studien zur Stockholmer Fronleichnamsgilde und ihrer Geschichte vorliegen, ist damit das Potential der Quellenauswer­ tung noch nicht erschöpft. Dies konnte etwa Göran Dahlbäck zeigen, als er in den 1980er Jahren die Rechnungsbücher der Gilde als Grundlage einer Untersuchung über mittelalterlichen Hausbau in Schweden nahm. Die Bezüge der schwedischen Forschungen zu den zeitgenössischen politi­ schen und sozialen Problemen treten besonders bei den Arbeiten aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert deutlich zutage. Als der Bischof von Lund, Wilhelm Faxe, 1829 seinen Antrittsvortrag vor der Königlichen Aka­ demie der Literatur, Geschichte und Altertümer in Stockholm hielt, wählte er als Thema die mittelalterliche „Große Priestergilde“ von Lund, über die seiner eigenen Aussage zufolge bisher kaum etwas bekannt gewesen sei.152 Abgesehen von Fehldeutungen, die der Vortrag Wilhelm Faxes bezüglich der Beteiligung von Laien an der Gilde enthielt,153 versuchte er über die Darstel­ lung der mittelalterlichen Gilden eine Kritik an den zeitgenössischen Zustän­ den zu üben. Nach Faxe bestand die einzige Aufgabe der Gilden im Mittel­ 14 D ahlbäck, Att byga ett hus S. 160 („... vid medeltidens sluc Stockholms mest betydande

gille ...“).

1,8 M urberg, Historisk afhandling. 149 H ildebrand, Medeltidsgillena; Brun , Anteckningar; S chück , Stockholm, insbesondere Kap. XIII und XVI; D ahlbäck, Att bygga ett hus. Von diesem Aufsatz gibt es eine leicht umge­

arbeitete deutsche Übersetzung unter dem Titel: Der Bau eines Hauses. Lediglich Schück , Stockholm versuchte, das vorliegende Material auszuwerten, wobei er jedoch inhaltlich kaum über das hinaus ging, was Johan Murberg, Hans Hildebrand und Frans de Brun bereits vor der Drucklegung des Quellenmaterials an Studien erarbeitet hatten. Außer den bereits genannten Autoren hat lediglich Göran Dahlbäck in den 1980er Jahren das Quellenmaterial zur Stockholmer Fronleichnamsgilde genutzt, um Einzelaspekte der mittel­ alterlichen Stadtgeschichte veranschaulichen zu können. Neben den erwähnten Arbeiten vgl. auch D ahlbäck, Stockholm. 152 Faxe, Sodalitium. Vgl. ebd. S. 115. Die erst für den Beginn des 16. Jahrhunderts nachweisbare Beteiligung von Laien in der Gilde sei „mehr zu deren eigenem Vorteil als zum Vorteil der Gilde“ erfolgt („Att även de förra [Laien] fingo upptagas i föreningen som bröder, var mera en förmän för dem sjelfye än för föreningen“). 50

alter darin, enge Beziehungen zur Kirche zu unterhalten.154 Implizit drückte er dadurch aus, daß solche Gemeinschaften, die die „religiöse und morali­ sche Kultur der Kirche festigen und weitertragen“ sollten, in der zeitgenössi­ schen Gesellschaft fehlten, obwohl sie eigentlich dringend notwendig seien.155 Damit war die „Beschreibung, die Bischof Faxe von den mittelalter­ lichen Gilden gab, eher eine Aussage über die schwedische Gesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts als über die mittelalterliche Gesellschaft."156 Doch es war bei weitem nicht allein der religiös-kirchliche Aspekt, der Ein­ fluß auf den Gang der Forschung nahm. In Schweden wurde 1847 - nach langer kontroverser Diskussion137*- das Zunftwesen abgeschafft. Nur kurze Zeit danach legte der spätere Leiter der Königlichen Bibliothek, Gustaf Ed­ vard Klemming, eine Edition von mittelalterlichen Zunft- (und Gilde-)Ordnungen vor.15S Die Abschaffung des Zunftzwanges war lediglich ein Merk­ mal der in fast ganz Europa stattfindenden tiefgreifenden Wandlungen, ins­ besondere der Rolle des Staates. Wie sehr diese Veränderungen das For­ schungsinteresse beeinflußten, läßt sich unter anderem an der grundlegenden Studie über die mittelalterlichen Gilden Schwedens von Hans Hildebrand ablesen.159 Vor allem in den einleitenden Abschnitten formulierte Hilde­ brand seine Gedanken zur Bedeutung des Individuums in der Gesellschaft. Er wies zwar nicht explizit auf bestimmte zeitgenössische Strömungen hin, doch der direkte Bezug zur politisch-sozialen Situation seiner Zeit ist unver­ 154 Vgl. ebd. S. 109, hier zunächst allgemein über die mittelalterlichen Gilden: „... viele sol­ cher Zusammenschlüsse waren mit der Kirche eng verwoben ...“ („mänga af dem voro med kyrkan mycket nä'ra sammanväxte“); im Hinblick auf die von Faxe untersuchte Klerikergilde in Lund S. 117: „Ein besonderes Ziel der Gilde drücken die Statuten nicht aus. Es scheint nur das allgemeine Ziel gegeben zu haben, die Verbindung zur römisch-katholischen Kirche zu verbes­ sern“ („Nigot särskildt ä'ndamäl för sällskapet uttryckes icke i stadgame. Nägot annat synes ocksä icke hafva funnits an det allmänna, att befordra tidens närmare och förtroligare samband med den Romersk-Catholska kyrkan“). li5 Ebd. S. 109: „Det är äfven kändt huru denna tid har att uppvisa en mängd Föreningar och Samfund, hvilka sökte att upprä’tthälla och fortplanta tidehvarfvets religiösa och moraliska cultur“. 156 Zu dieser Einschätzung kommt bereits R einholdsson , Landsbygdsgillen S. 371 („Biskop Faxes beskrivning av gillena säger nog mer om det tidiga 1800-talets svenska samhälle än om det medeltida“). 157 Vgl. etwa L undell , Hantverksskraen, der von einer liberalen Grundhaltung her argu­ mentierte, daß sich Zunftzwang und Gewerbefreiheit gegenseitig ausschlössen. 138 K lemming , Skriordningar. 159 H ildebrand , Medeltidsgillena, insbesondere S. 3-5. Zur Person Hildebrands und seiner erheblichen Bedeutung als Forscherpersönlichkeit vgl. unter anderem Svenskt biografiskt leksikon 19, S. 43-48. 51

kennbar vorhanden.160 Auch bei ihm spielte die Frage der Vereinigungsfrei­ heit eine Rolle, die er am Beispiel der mittelalterlichen Einungen diskutierte. Der „Wunsch, Assoziationen zu gründen“,161 sei durch das Christentum hervorgerufen worden. Den mit dieser Aussage entstehenden Widerspruch zu der vorher vertretenen Ansicht, die Gilden seien aus heidnischen Zusam­ menschlüssen entstanden,162 löste Hildebrand nicht auf. Auch ein halbes Jahrhundert später war der zeitgenössische politisch-soziale Hintergrund gegenwärtig, als sich der Historiker Adolf Schück anhand mittelalterlicher Stadtbildung und -entwicklung mit den Personengruppen in Form der Gil­ den beschäftigte.163 So sehr insbesondere bis ins erste Drittel des 20. Jahrhunderts die Fron­ leichnamsgilde Stockholms im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stand, so hat doch in der schwedischen und nordeuropäischen Gildeforschung ins­ gesamt eher ein 1946 veröffentlichter Aufsatz das Interesse auf sich gezogen. Es handelt sich dabei um den nicht einmal zwanzig Druckseiten umfassen­ den Artikel „St. Knut i Österled“, der von dem einflußreichen Historiker Lauritz Weibull in der Zeitschrift „Scandia“ veröffentlicht wurde.164 Bis heute gilt dieser von Beginn an umstrittene Beitrag als Meilenstein der nord­ europäischen Gildeforschung. Die - heute allgemein nicht mehr akzeptierten - Thesen bezüglich der Handelsbeziehungen zwischen Skandinavien und dem Baltikum beziehungsweise Rußland lösten seinerzeit eine große Anzahl 160 H ildebrand, Medeltidsgillena S.3: „När man gär tillbaka tili et förgänget tidskifte för att skärskada nägra af de detaljer, som tillhöra detta, är det af synnerlig vigt at man aldrig lemnar ur sigte desse menniskans dubia förhällanden tili den tid, i hvilkan hon lefvat, hennes pä en gang skapanda och mottagande verksamhet“. 161 Ebd. S. 38, formuliert Hildebrand prägnant „associationsbegäret“. Ebd. S.8: „... die heidnischen Gilden waren Vereinigungen von Nachbarn ..." ( „ ... hedentidens gillen voro föreningen af grannar ...“). Zugleich vertrat Hildebrand die Auffassung, die nach der Christianisierung bestehenden Gilden seien umfassende Zusammenschlüsse gewe­ sen, in denen entweder Nachbarn, Berufsgenossen oder Menschen unterschiedlichen Standes vereinigt gewesen seien, um sich gegenseitig zu helfen („Medeltidens gillen voro föreningar af grannar eller af yrkesbröder eller af folk af olika stand och olika hemvist, med bestämd reglementerad verksamhet, med uppgift att pä ett mycket specielt satt främja gudstjensten, och med noga stadgad föreskrift om gillesyskonens skyldighet att inbördes hjelpa hvarandra, icke sä mycket i detta lifvet, som vid deras öfvergang tili och under deras vistelse i det eviga lifvet med dess förgard skärselden ). Die später allgemein akzeptierte Unterscheidung in Zünfte als Hand­ werkergruppen und Gilden als Kaufleutevereinigung war Hildebrand völlig fremd. Schück , Studier; nach Schücks eigener Aussage (S. V) w ar er vornehmlich an den sozia­ len und ökonomischen Gesichtspunkten bei der Bildung von Gemeinschaften interessiert („Vid mina undersökningar har jag lagt huvudvikten pä vära äldsta städers egenskap av samhällsbildningar och lätit de socialt-ekonomiska synpunkterna bliva de dominerande“). 164 W eibull, St. Knut i Österled. 52

von (Gegen-)Reaktionen und weiteren Untersuchungen aus. Gleichzeitig konzentrierte sich Weibull auf eben jene Gilden, die bis heute sowohl von dänischer wie schwedischer Seite bevorzugt untersucht wurden: die St. Knutsgilden. Insbesondere der im südschwedischen Tomelilla tätige Pfarrer Curt Wallin hat aus privatem Interesse heraus eine Vielzahl von Studien vor­ gelegt, die unterschiedliche Aspekte der mittelalterlichen Knutsgilden be­ leuchten.165 Dabei hat allerdings auch er die Knutsgilden kaum als soziale Gruppe begriffen, sondern sie vornehmlich als Zusammenschluß von Kauf­ leuten interpretiert und daher deren wirtschaftliche Aktivitäten herausge­ stellt. Obwohl immerhin eine seiner Arbeiten von der Königlichen Akademie herausgegeben wurde, haben die Untersuchungen Wallins kaum Eingang in die schwedische Historiographie gefunden.166 Doch war Wallin auch zu kei­ nem Zeitpunkt in die an den Universitäten oder anderen Einrichtungen be­ triebene Forschung eingebunden.16' Trotz Anerkennung und Lob durch ein­ zelne Historiker168 blieb Curt Wallin somit Zeit seines Lebens eine Art Randfigur der schwedischen und nordeuropäischen Historiographie, jeden­ falls in bezug auf seine Gildenforschung. Die rechtshistorische Forschung Schwedens hat sich anders als in Däne­ mark und Norwegen kaum an der Erforschung der mittelalterlichen Gilden beteiligt, wenngleich in entsprechenden Fachbibliographien die einschlägi­ gen Stichworte und die veröffentlichten Arbeiten nachgewiesen werden.169 165 Zu Leben und wissenschaftlichem Werk Wallins vgl. den Nachruf in der Zeitung ,Ystads Allehanda* vom 26.08.1992. Zu den wichtigsten Werken Wallins in bezug auf die Knutsgilden gehören: W alun , Knutsgillena, und: ders., De nordiska Knutsgillena. Die übrigen Arbeiten Wallins sind im Literaturverzeichnis genannt beziehungsweise werden an den entsprechenden Stellen dieser Arbeit zitiert. 166 So hat L indström , Skrl nicht eine einzige Arbeit Waliins ins Literaturverzeichnis aufge­ nommen. Auch R einholdsson , Landsbygdsgillen hat lediglich auf S. 369, Fußnote 15 einen kur­ zen Hinweis auf W alun , De nordiska Knutsgillena. 167 So mußte er einen Großteil seiner wissenschaftlichen Publikationen selbst finanzieren und vertreiben. Auch die Edition des Urkundenbuchs von Tommarp ging ausschließlich auf pri­ vate Mittel zurück. (Vgl. dazu auch den Spendenaufruf in der Todesanzeige vom 26.08.1992 in .Ystads Allehanda*). 168 So der schwedische Mediävist Tore Nyberg, der - in Dänemark arbeitend - die wissen­ schaftlichen Leistungen Wallins unter anderem in Rezensionen gewürdigt hat, aber auch in sei­ nen eigenen Beiträgen zur Gildeforschung auf Wallin Bezug nimmt, vgl. beispielsweise N yberg, Gilden. 169 C arlsson , Nordisk rättshistorisk litteratur, mit den entsprechenden Stichworten im Re­ gister. Das von offizieller Seite herausgegebene Werk Svensk medeltidsforskning, hg. v. D ahl­ bäck, zeigt anschaulich, welch geringe Rolle die rechtshistorische Mittelalterforschung in Schweden spielt. An dieser grundsätzlichen Feststellung ändert auch die Tatsache nichts, daß in den letzten Jahren sehr heftig über die Entstehung und Tradition der mittelalterlichen Gesetze diskutiert wurde, ausgelöst durch Sjöholm , Sveriges medeltidslagar. 53

Weder im 19. noch im 20. Jahrhundert gab es Beiträge von Rechtshistorikem, die das Phänomen der sozialen Gruppen am Beispiel der Gilden mit ihren Sonderrechten untersucht hätten. Ein so überraschender Befund läßt sich weder mit einem Mangel an Quellen noch mit einem allgemeinen Desin­ teresse an den mittelalterlichen Schwureinungen erklären. Die von den schwedischen Historikern geleistete Gildeforschung läßt ein bis heute kon­ tinuierlich vorhandenes Interesse an der Erforschung mittelalterlicher Schwureinungen erkennen, selbst wenn sich dieses zum Teil im Rahmen von ortsgeschichtlichen oder regionalgeschichtlichen Studien bewegt.*1' 0 Ande­ rerseits gibt es jedoch ein erstaunliches Defizit an systematischen Studien zu diesem Phänomen der mittelalterlichen Gesellschaft. Bis in das erste Viertel des 20. Jahrhunderts hinein wurden zwar immer wieder Ansätze zu einer sy­ stematischen Bearbeitung der bis dahin bekannten schwedischen Quellen un­ ternommen,171 doch ist es trotz der Erkenntnis, es handele sich bei den Gil­ den um „bedeutende Zusammenschlüsse“,172 bei Ansätzen geblieben. Die jüngere schwedische Forschung hat einen solch umfassenden Ansatz erst gar nicht in Angriff genommen. So herrschen bis heute (mehr oder weniger eng) begrenzte Einzelstudien vor, die in ihrer Bedeutung jedoch keineswegs her­ abgesetzt werden sollen. Allerdings ist auffällig, daß immer weniger Autoren die internationalen Forschungsergebnisse zum Sozialphänomen der Gilde in ihre jeweiligen Überlegungen mit einbeziehen.173 Ob dies mit der spätestens seit Ende der 70er Jahre beklagten „Krise der schwedischen Mediävistik“ zusammenhängt, soll hier nicht näher untersucht werden. Immerhin wird auch in Schweden selbst der Rückgang der Mittelal­ terforschung - sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrem Stellenwert inner­ halb des gesamten Faches Geschichte - beklagt;174 gerade der zusammenfas­ 17“ Als Beispiel etwa die Stadtgeschichten von Kalmar: Kalmar stads historia 1-2, hg. v. H ammarström, und von Stockholm: H ögberg, Stockholms Historia 1, besonders S. 88-91; an älteren Artikel seien angeführt: Ahnlund, Medeltida gillen oder C ollmar, Strängnäs sowie OERS., Ny upptäckta medeltida gillen. Hier sind insbesondere zu nennen H ildebrand, Medeltidsgillena sowie Schück, Studier. 172 Schück, Studier S. 375 „... dessa betydelsefulla sammenslutningar ...“. So etwa D ahlbäck, Att bygga ett hus oder auch C hristophersen, Händverket, der die Frage nach Formen des Zusammenschlusses praktisch gar nicht aufwirft. Anders P ernler, S:ta Katharina-gillet, der immerhin zum Teil kontinentaleuropäische Untersuchungsergebnisse in seine Arbeit einbezieht. Auch Lindström, Skra, besonders S. 13-24 hat einige grundsätzliche Überlegungen zu Gemeinschaftsformen. Dazu in einem kurzen Beitrag Ljndkvist, Svensk medeltidsforskning S. 12: Entgegen der Situation in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts habe vor allem in den 50er und 60er Jahren die Stellung der Mediävistik einen markanten Niedergang erfahren („Medeltidsforskningens ställning i det svenska forskarsamhället har skiftat. Inte minst inom ämnet historia förekom en 54

sende Bericht über die „schwedische Mittelalterforschung heute“ sei Aus­ druck der Situation, in der sich die schwedische Mediävistik befinde.*175 Dennoch muß bei einem innerskandinavischen Vergleich konstatiert werden, daß gerade in Schweden in den letzten Jahren mehrfach Studien veröffent­ licht wurden, die den Stellenwert von sozialen Gruppen im Mittelalter als wichtige Fragestellung für die Untersuchung der gesellschaftlichen Struktu­ ren erkannt und thematisiert haben.

markant nedgang i medeltidsinteresset under främst 1950- och 1960-talen. Tidigare under 1900talet hade medeltiden haft en stark position inom disciplinen“). 175 Vgl. zu dem Sammelband auch die kritischen Bemerkungen bei L indkvist, Svensk medeltidsforskning S. 12 ff. Lindkvist macht völlig zu Recht darauf aufmerksam, daß der Bericht in „einer bestimmten forschungspolitischen Situation entstanden“ sei (S. 13: „Denna rapport... och dess begränsningar kan tillskrivas att den är ett arbete tillkommet i en forskningspolitisk Situa­ tion“). Ohne in der Beurteilung so weit gehen zu wollen wie Lindkvist dies tut, der den Band als „kommentierte Bibliographie“ (S. 13: „kommenterad bibliografi“) bezeichnet, vermittelt die Zu­ sammenstellung doch den Eindruck, die schwedische Mittelalterforschung befasse sich nur mit den Landschaften, die das heutige, moderne Schweden ausmachen. Außerdem wurde weder ein Rechtshistoriker mit einem eigenen Beitrag betraut, noch findet die Rechtsgeschichte mehr als nur stichwortartige Erwähnung. Weitere Kritikpunkte bei Lindkvist, ebd. 55

III. D e r F o r s c h u n g s b e g r if f , G ild e 4 Bis heute hat die Wissenschaft große Schwierigkeiten damit, daß der Begriff ,Gilde“sowohl ein Quellen- als auch ein Forschungsbegriff ist. Sehr anschau­ lich zeigen dies die Ergebnisse, die insbesondere Ruth Schmidt-Wiegand mit ihren umfangreichen wortgeographischen und worthistorischen Untersu­ chungen vorgelegt hat;1diese belegen, daß der Begriff,Gilde“ein „Wort des niederländisch-niederdeutschen Zusammenhangs, oder anders ausgedrückt, des hansischen Raumes“ sei, „das sich vor allem an den Rändern von Nordund Ostsee ausgebreitet“ habe.2 Der zunächst noch wenig aussagekräftige Befund geht anfangs einher mit einer allgemeinen Kennzeichnung der Gilde als einem „eidlich bekräftigten“ Zusammenschluß „zu gegenseitigem Rechts­ schutz“; erst später habe sich die Gilde „zu einer Vereinigung von Berufsge­ nossen, Handwerkern oder Kaufleuten“ entwickelt.3 Die darin ausgedrückte Möglichkeit und Alternative der Entwicklung wird von Schmidt-Wiegand in einem 1980 gehaltenen Vortrag reduziert auf die noch immer gängige exklu­ sive Gegenüberstellung von Kaufmannsgilden und Handwerkszünften. Sie sei - so Schmidt-Wiegand - „berechtigt“, denn sie entspräche „dem Ergebnis zu dem die Geschichte der beiden Wörter, Zunft und Gilde, ..., geführt“ ha­ be.4 Die Vorgehensweise von Schmidt-Wiegand und deren Deutung der Quellen veranschaulicht exemplarisch zweierlei: Zum einen sind die Quellen­ bezeichnungen für mittelalterliche Gruppen regional und auch epochal sehr unterschiedlich - unabhängig davon, ob es sich um Kaufleutevereinigungen, um Zusammenschlüsse von Handwerkern oder um andere Gruppen handelt. Zum anderen aber - und gerade das erstaunt angesichts des zunächst erziel­ ten Ergebnisses, es habe eine Vielzahl von Begriffen gegeben - bleibt die In­ terpretation dieses Befundes verhaftet in dem engen Bedeutungsfeld von „Handwerkergenossenschaften“ und „Kaufleutevereinigungen“ als exklusi­ vem Gegensatzpaar.3 1 Vgl. Schmidt-W iegand, Bezeichnungen. Auch Franz Irsigler hat - auf deutlich engerem geographischem Raum - die Begrifflichkeit in den Quellen untersucht. Vgl. Irsigler, Problema­ tik. Vgl. mit ähnlicher Methodik O bst, Wandel. 2 Schmidt- W iegand, Gilde S. 357. 3 Ebd. S. 355. 4 Protokoll des Konstanzer Arbeitskreis Nr. 237 über die Arbeitstagung vom 18.-21.3.1980, S. 15; vgl. auch die inhaltlich gleiche Schlußfolgerung in dem Beitrag von Schmidt-W iegand, Bezeichnungen S. 51 f. 3 Die Entstehung dieser Sichtweise wurde bereits im vergangenen Kapitel ausführlich nach­ gezeichnet und braucht hier nicht wiederholt zu werden. 57

1. H e r le itu n g u n d E r lä u te r u n g d e s F o r s c h u n g s b e g r iffs

Gerade die Vielfalt der Quellenbegriffe ist es, die schon frühere Forscher da­ zu geführt hat, nach den tieferliegenden typischen Merkmalen der mit den Quellenbegriffen verbundenen Formen mittelalterlicher Gruppenbildungen zu fragen.6 Nur auf diese Weise lassen sich die vordergründige Behandlung und die damit einhergehenden Schlußfolgerungen überwinden und läßt sich ein neues Verständnis für die Bedeutung der Gruppe und Gruppenbindung innerhalb der mittelalterlichen Gesellschaft entwickeln. Unter Zuhilfenahme soziologischer Forschungsergebnisse kann so von gruppenbezogenen Kultu­ ren des sozialen Handelns gesprochen werden. ,Soziales Handeln1ist hier im Sinne von Max Weber zu verstehen, wonach solches Handeln gemeint ist, „welches seinem von dem oder den Handeln­ den gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist.“7 ,Soziales Handeln1resultiert aus den für die jeweils Handelnden geltenden Werten, wobei zugleich die Werte durch das soziale Handeln konstituiert werden.8 Es ist die für die Handelnden subjek­ tiv gültige ,Kultur1, die die Werte der Menschen und damit deren soziales Handeln bestimmt. Wie sehr ,Kultur1 und ,soziales Handeln1 aufeinander bezogen sind, zeigt Weber, indem er ,Kultur1als „ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedachte[n] endlichefn] Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens“ bezeichnet.9 Damit wird zugleich deutlich, daß Individuen und Gruppen die Träger von ,Kultur1 sind, wobei nach Weber jedes Individuum die Fähigkeit besitzt, „bewußt zur Welt Stellung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen“.10 ,Kultur1 ist demnach immer auf die Individuen und Gruppen bezogen, die spezifische Mentalitäten, geistige Haltungen und Denkformen entwickeln.11 Insbeson6 Erinnert sei für den deutschsprachigen Raum vor allem an Gierke und Joachim. Für Frank­ reich ist für eine vergleichbare Betrachtungsweise zu nennen C oornaert , Les ghildes medievales. Einen ganz ähnlich umfassenden Ansatz vertrat auch B loch , Societe feodale (deutsch: Die Feudalgesellschaft). 7 W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 1; vgl. auch ebd. S. 11 f. Auf diesen Zusammenhang macht Wolfgang J. Mommsen aufmerksam, der Max Webers Auffassung von Kulturwerten zusammenfaßt: „... Kulturwerte gewinnen ihre reale Geltung nur aufgrund der persönlichen Willensentscheidung des einzelnen und einer entsprechenden Lebens­ führung, die diese Werte dann gleichsam empirisch konstituiert. Objektive Kulturwerte ... wa­ ren nach seiner [Webers] Ansicht ein Unding“ (M ommsen , Max Weber S. 40). 9 W eber, Die ,Objektivität' S. 180. 10 Ebd. Damit m eint, Kultur alle aus (sozialem) Flandeln objektiv entstandenen Flervorbringungen (Rituale, Lebensformen, künstlerische Werke usw.) und stellt einen umfassenden Begriff 58

dere die Wissenssoziologie hat sich diesen weiten Begriff von ,Kultur1ange­ eignet und im Rahmen einer an Webers Verständnis von Kulturwissenschaft“ orientierten Sinndeutung beibehalten. Die .Deutungsschemata1 sozialer Wirklichkeit, als Konzept von Alfred Schütz entwickelt,12 bilden die Grund­ lage für eine sehr umfassende Theorie, die die Dialektik von Extemalisierung sozialen Wissens im Handeln, von Objektivation und von Internalisie­ rung als der Wiederaneignung der Wirklichkeit in den Mittelpunkt stellt.13 Im Sinne einer solchen Erkenntnisabsicht muß die Vielfalt der in den Quellen verwendeten Bezeichnungen typologisiert und auf die wesentlichen Kennzeichen und Eigenschaften mittelalterlicher Gruppenbildungen bezo­ gen werden. Was die Typologisierung betrifft, ist ein von der deutschen For­ schung immer noch weitgehend unbeachtetes Werk von Bedeutung. Pierre Michaud-Quantin hat in einer 1970 vorgelegten Untersuchung auf breiter Quellenbasis die Sozialgebilde, die sich hinter den unterschiedlichen Quel­ lenbegriffen verbergen, zu erschließen versucht.14 Die darin aufgestellte Ty­ pologie geht von wort- und begriffsgeschichtlichen Untersuchungen aus, hat aber ferner zum Ziel, die mittelalterlichen Personengruppen als Sozialgebil­ de zu erfassen und sie nicht lediglich auf spezifische Interessenverbände zu reduzieren.15 Dabei wird die Bedeutung des Eides nicht nur von Michaud-Quantin im­ mer wieder betont.16 Ein solcher, von allen Beteiligten gegenseitig geleisteter dar. Zu diesem Begriff von ,Kultur als der „Totalität der Produkte des Menschen“ vgl. Berger, Dialektik, besonders S. 3 ff. Einen entgegengesetzten und sehr eingeengten Kulturbegriff vertritt W ehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1, S. 6 ff.; dabei ist Wehler der Ansicht, Kultur meine lediglich das, was nach der Abgrenzung von ,Herrschaft' und .Wirtschaft' noch übrigbleibe. 12 Schütz , Aufbau.

13 Ausführlich ist diese Theorie dargelegt von Berger u. L uckmann, Konstruktion. Durch die Betonung des subjektiven Moments der Kultur wird auch auf überzeugende Art die kultu­ relle Dynamik und der kulturelle Wandel erklärt. Wie diese Theorie für Mediävisten neue Er­ kenntnismöglichkeiten eröffnen kann, hat mehrfach Otto Gerhard Oexle gezeigt, vgl. beispiels­ weise O exle, Deutungsschemata. 14 M ichaud -Q uantin , Universitas. 15 Michaud-Quantin will zunächst die Bedeutung der Gruppen sowohl in der sozialen Wirk­ lichkeit wie in der rechtlichen Theorie des Mittelalters aufzeigen und dann die verwendeten Quellenbegriffe zu einer Typologie mittelalterlicher Gemeinschaften zusammenfassen. Vgl. die selbst formulierte Zielsetzung bei M ichaud-Q uantin, Universitas S. 7: „d’une part montrer l’importance du phenomene associatif dans la realite sociale comme dans la speculation juridique du Moyen Age; d’autre part dresser une liste de terms, qui puisse etre consideree comme une approche lexicographique a une typologie des collectivites medievales“. 16 Bereits Wilhelm Ebel hatte den Eid in seiner Rolle innerhalb der mittelalterlichen Gesell­ schaft untersucht, vgl. vor allem E bel, Bürgereid. In der jüngeren, deutschsprachigen rechtsge­ schichtlichen Forschung ist es vor allem Gerhard Dilcher, der in seinen Arbeiten die Bedeutung des Eides, besonders des bei den Schwureinungen geleisteten Versprechenseides, für die mittel­ 59

Versprechenseid wie er den Gilden zugrundeliegt - von Michaud-Quantin als „serment mutuel“ bezeichnet eine Form des promissorischen Eides al­ so, „erzeugt unter den vertragschließenden Individuen Gleichheit im Sinne von Parität“.17 Diese ,Gleichheit' begründet eine soziale Gruppe im Sinne ei­ ner ,Verbrüderung', denn der Eid ist „eine der universellsten Formen aller Verbrüderungsverträge.“18 Mit der durch den Eid begründeten Gruppe19 alterliche Gesellschaft hervorhebt. Vgl. dazu D ilcher , Art. „Eid, 3. Versprechenseide“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp.868, wo Dilcher die ältere Theorie, wo­ nach „der E. ... lediglich eine schon vorhandene Verpflichtung“ bestärke, auch unter Hinweis auf die Gilden mit der Begründung zurückweist, sie entspreche „nicht dem ma. Rechtsdenken“. Vielmehr sei im mittelalterlichen Recht „regelmäßig der E. der konstitutive, pflichtenbegründen­ de Akt, der Schwur... [sei] das eigentliche Mittel rechtlichen Sich-Bindens“ gewesen. Auch im Zusammenhang mit den „C on ju ratores“, die als „beschworene Einung“ in ihrer Bedeutung „weit über den Bereich von Stadtrecht und -Verfassung“ hinausreichten, weist Dilcher als Beispiel auf die Gilde hin (vgl. D ilcher , Art. „Conjuratio“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsge­ schichte 1, die Zitate Sp. 631). Vgl. dazu ergänzend ders., Struktur, in bezug auf den Eid beson­ ders S. 108-111. Vgl. zur Bedeutung des Eides insbesondere für die Herstellung und Sicherung von Frieden auch O exle, Friede. 17 O exle, Kultur S. 121. 18 W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 402. Verbrüderung“ ist hier im Sinne der Rechts­ soziologie Webers zu verstehen. Zur weiteren Erläuterung vgl. O exle, Kulturwissenschaftliche Reflexionen, besonders S. 153-156. Auf die im Mittelalter ganz anders als heute geartete Bedeu­ tung des Eides weist E bel, Recht und Form, hin, wenn er nicht nur „die Form“ als „die älteste Norm“ (S. 14) bezeichnet, sondern für den Eid feststellt: „die Eidesleistung begleitet oder be­ stärkt nicht ein Rechtsgeschäft (oder eine prozessuale Erklärung), sondern ist ein Rechtsge­ schäft“ (S. 11). Diese grundlegende Unterscheidung in eine mittelalterliche beziehungsweise vor­ moderne Bedeutung der ,Form“und in eine moderne Bedeutung ist für den Blick auf das Mittelalter von entscheidender Bedeutung, wie O exle, Gilden als soziale Gruppen, S. 299 f. gezeigt hat. Dabei verweist Oexle auf H obsbawm, Sozialrebellen, besonders S. 197-227. Dieser hatte darauf aufmerksam gemacht, daß für die vormodernen Sozialbewegungen im Gegensatz zu den modernen „die Form eine weit wichtigere Rolle“ spielte. Bei den sozialen Bewegungen der Mo­ derne sei es „der Inhalt und nicht die Form“, der die Mitglieder miteinander verbinde. Hobs­ bawm prägte daher den Begriff vom „Formalismus der archaischen Sozialbewegungen“ (Zitate S. 198 und S. 199). 19 W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 401 konstatierte bereits: „Sich derart miteinander Verbrüdern“ aber heißt ...: daß man etwas qualitativ anderes .wird“ als bisher, ...“. Weber prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „,Status‘-Kontrakts“, der - im Gegensatz zum „ ,Zweck-Kontrakt - die neue Stellung einer Person in der Gesellschaft durch die Stellung in der Gruppe ausdrücken sollte (W eber, ebd.: „Dieser tiefgreifenden des allgemeinen Charakters der freien Vereinbarung entsprechend wollen wir jene urwüchsigen Kontrakttypen als .Statuts“Kontrakte, dagegen die dem Güterverkehr, also der Marktgemeinschaft, spezifischen als ,Zweck-Kontrakte bezeichnen ). Auf diesen Überlegungen Webers aufbauend, kommt O exle, Kulturwissenschaftliche Reflexionen S. 156 zu dem Ergebnis: „Die Sakrahtät des wechselseitig geleisteten promissorischen Eides erlaubte es dem Einzelnen, sich aus den verwandtschaftlichen und ständischen Bindungen zu lösen, in denen er sich vorfand, und ermöglichte es ihm zugleich, 60

liegt demnach eine ,Eidbrüderschaft“, eine ,Schwurbrüderschaft“, eine coniuratio vor.20 Der gegenseitig geleistete Versprechenseid ist gleichzeitig Be­ standteil und Ausdruck des zugrundeliegenden Vertragsverhältnisses einer geschworenen (freien) Einung. Die ,freie Einung“ im Sinne Gierkes meint ei­ nen Zusammenschluß, der „den letzten Grund ihres Verbundenseins im frei­ en Willen der Verbundenen“21 hat. Eine solche Vereinigung beruht also auf freier Vereinbarung und auf Konsens, das heißt, auf einem Vertrag, einem pactum.22 Neben diese beiden Momente, die eine geschworene Einung defi­ nieren, tritt ein drittes Moment, das sich auf die mit der coniuratio verbun­ denen Ziele bezieht. Die Ziele sind umfassend, wie bereits Helmuth Stradal implizit feststellte, als er die Gilde charakterisierte als eine „Personenvereinigung zu gegenseiti­ gem Schutz und Beistand, zu religiöser und gesellschaftlicher Tätigkeit, so­ wie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung ihrer Mitglieder“.23 Prinzipiell umfassen die Ziele also sämtliche Lebensbereiche und auch alle Lebenslagen und können mit den Begriffen des gegenseitigen Schutzes und der gegenseitigen Hilfe anschaulich zusammengefaßt werden.2425Ein solches auf Eid gegründetes Vertragsverhältnis zu gegenseitigem Schutz und gegen­ seitiger Hilfe läßt einen Begriff zum „Leitbegriff aller Schwureinungen“23 werden, der auch als Quellenbegriff häufig auftaucht: den Begriff der ,Brü­ derlichkeit“, Jratemitas. „Im Mittelalter bezeichnete dieses Wort eine Norm mit anderen intendierte neue soziale Bindungen einzugehen, denen sogar eine neue ständische Qualität eignen konnte.“ 20 Die Bedeutung des Eides und die durch ihn repräsentierten Werthaltungen werden in der Geschichtsforschung erst allmählich erkannt. Immer noch grundlegend E bel, Bürgereid. Neben Michaud-Q uantin, Universitas, sind aus jüngerer Zeit zu nennen: K olmer, Promissorische Ei­ de, sowie EIolenstein, Huldigung; ders., Seelenheil. Die rechtshistorische Forschung hebt schon seit längerem die Bedeutung des Eides in der mittelalterlichen Gesellschaft hervor. Dazu grundlegend vor allem D ilcher, Struktur, sowie ders., Entstehung. Zur Rolle des Eides künftig Esders, Bedeutung. 21 G ierke, Genossenschaftsrecht 1, S. 221, vgl. auch S. 233. 22 Dazu und zum folgenden O exle, Die mittelalterlichen Gilden. 23 Stradal, Art. „Gilde“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp. 1688. Die Anklänge an Gierke sind dabei unverkennbar. 24 Bereits G ierke, Genossenschaftsrecht 1, hatte darauf explizit verwiesen, wenn er von den „zugleich religiösefn], gesellige[n], sittliche[n], privatrechtliche[n], und politische[n] Ziele[n] sprach, die sich auf „alle Seiten des Lebens“ erstreckten und somit „den ganzen Menschen er­ griffen (S. 228 und S. 226). Diese Sichtweise ist von Emile Coornaert aufgegriffen worden, indem er die Gilden als solche Gruppen bezeichnete, die alle menschlichen Beziehungen vollständig einnehmen. (Emile C oornaert, Les ghildes medievales S. 243: „... engagees dans toutes les relations humaines, engageant les hommes tout entiers ...“). 25 O exle, Kultur S. 121.

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sozialen Handelns und wurde dann häufig auf diejenigen Gruppen von Men­ schen übertragen, die sich zusammengeschlossen hatten, um diese Norm zu verwirklichen. ... Als Norm sozialen Handelns bedeutet ,fratemitas‘: Der Mitmensch soll behandelt werden ,wie ein Bruder, d.h., man soll ihm fried­ lich gegenübertreten, ihm Rat und matrielle Hilfe zukommen lassen und auch nach seinem Tode sein Seelenheil durch Fürbitten unterstützen.“26 Der umfassende Charakter der Schwureinung als ,Gilde“wird auch durch das re­ gelmäßig stattfindende gemeinsame Essen und Trinken, das Gildemahl, ver­ deutlicht. „Nach seiner Bedeutung darf es dem Gildeeid an die Seite gestellt werden.“27 Alle jene Gruppen, die aufgrund ihrer formalen Kennzeichen als ,Schwureinung“gelten können, stellen ausschließlich personell konstituierte Gruppen dar, egal ob die Bezeichnung für diese Gruppe ,Gilde“, ,Zunft“, ,Bruder­ schaft“, ,Gaffel“ oder anders lautet.28 Es gibt jedoch noch eine weitere Form der coniuratio, nämlich „die zunächst als bäuerliche, dann, seit dem 11. Jahrhundert, auch als städtische Kommune in Erscheinung tretende ,Ge­ meinde’“29 Sie unterscheidet sich von der vorher beschriebenen coniuratio im Sinne einer ,Assoziation“ vor allem dadurch, daß „die Gemeinde immer zu­ gleich auch territorial radiziert ist, das heißt eine Schwureinung darstellt, welche ein bestimmtes Territorium besetzt.“30 Damit sind zwei idealtypische Formen der coniuratio zu unterscheiden, die nicht nur besonders wirkmäch26 P rietzel, Kalande S. 35 f. Bereits M ichaud -Q uantin , Universitas S. 189 f. u. 197f. hatte konstatiert, daß eine solche Verhaltensnorm auch mit anderen Begriffen, etwa caritas oder am icitia, bezeichnet werden konnte. Vgl. dazu auch Laudage , Caritas, hier besonders S. 1-12. Zum Bedeutungswandel der Begriffe vgl. auch S chieder , Art. „Brüderlichkeit, Bruderschaft, Brüder­ schaft, Verbrüderung, Bruderliebe“, in: Geschichtliche Grundbegriffe 1, S. 552-581. ‘7 O exle, Gilden als soziale Gruppen S. 298. O exle, ebd. S. 310 f. weist auch auf Georg Sim­ mel hin, der die Bedeutung des gemeinsamen Mahles der Gildemitglieder unterstrichen und es als „ein Symbol“ bezeichnet hat, „an dem sich die Sicherheit des Zusammengehörens immer von neuem orientierte“ (Simmel, Soziologie der Mahlzeit S. 206). Ebd. heißt es auch: „Das gemein­ same Essen und Trinken, ..., löst eine ungeheure sozialisierende Kraft aus, ...“. Zur Bedeutung von gemeinsamem Trinken und Essen vgl. im übrigen H auck, Speisegemeinschaft sowie den Sammelband: Essen und Trinken, hg. v. Bitsch , E hlert u. E rtzdorff . 28 Otto Gerhard Oexle hat mehrfach darauf hingewiesen, daß auch die Universitäten zu den Schwureinungen zu zählen sind. Vgl. vor allem O exle, Alteuropäische Voraussetzungen. Zu die­ ser Form der coniuratio vgl. auch die Arbeiten von Reininghaus , Entstehung, und M eyer-H olz, Collegia Iudicum. Gerade weil die beiden letztgenannten Arbeiten ganz unterschiedliches Mate­ rial für ihre jeweiligen Untersuchungen zugrundelegen, werden die prinzipiellen Übereinstim­ mungen hinsichtlich des Sozialgebildes coniuratio um so anschaulicher. Bis heute wird dies je­ doch in der Forschung immer wieder übersehen oder geleugnet, so kürzlich bei V incent , Les confreries medievales (dieser Hinweis bereits bei O exle, Kultur S. 121 Anmerkung 11). 29 O exle, Kultur S. 121 f. 30 Ebd. S. 122. 62

tig den lateinischen Westen, den Okzident geprägt haben, sondern auch in dieser Form in anderen Kulturen nicht zu finden sind.31 Diese Formen der ,Vergesellschaftung“ und ,Vergemeinschaftung’32*sind die .Assoziation“ und die,Gemeinde“ (Kommune). Nach dieser grundsätzlichen, idealtypischen Kennzeichnung der mittelal­ terlichen Schwureinung ist auf einen Bereich hinzuweisen, der sich aus dem Eid ergibt, und der auch für die weitere Untersuchung der Bedeutung von Gilden innerhalb der Gesellschaft von erheblichem Gewicht ist. Es handelt sich um das aus dem Eid entstehende .statutarische“, das .gewillkürte“Recht. Durch die Art der .Vergesellschaftung“ mittels Eid, der als „konstitutiver, pflichtenbegründender Akt“” zu verstehen ist und umfassend wirkt, unter­ scheidet sich die coniuratio von anderen Personengruppen.34 Damit entsteht ein gegenüber der übrigen Gesellschaft gesonderter Rechts- und Friedensbe­ reich, in dem mittels autonomen und individuellen Übereinkünften ein statu­ tarisches, ein .gewillkürtes“ Recht festgelegt wird.35 Die Gildestatuten nicht 51 Gruppenbildungen und Berufsvereinigungen gab es natürlich auch in anderen Kulturen, allerdings nicht in der Form der coniuratio. Dazu bereits W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S.744. Vgl. aber auch den von O exle, Gilde und Kommune, genannten T aeschner, Zünfte und Bruderschaften. 32 Im Gegensatz zu Tönnies, der .Gemeinschaft* und .Gesellschaft* gegenübergestellt hatte und aus diesem Gegensatzpaar heraus historische Phänomene und Entwicklungen zu erklären versuchte, gelang es Weber in seinem Bemühen, die Begründung der Moderne im Mittelalter zu finden, durch die Perspektive von .Vergemeinschaftung* und .Vergesellschaftung* eine neue Be­ trachtungsweise sozialer Gruppen zu eröffnen. (Vgl. W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 2123). Dazu jetzt ausführlich O exle, Kulturwissenschaftliche Reflexionen, besonders S. 132-156. 13 D jlcher , Art. „Eid“ Sp. 868. 54 Damit fallen auch all jene Personengruppen nicht unter die coniuratio, die sich lediglich für einen bestimmten und zeitlich begrenzten Zweck gründen. Im Zusammenhang mit den nord­ europäischen Gilden ist dies vor allem - aber nicht nur - im Hinblick auf Norwegen und Island wichtig, weil die dort anzutreffenden fe la g , also Handelsgemeinschaften zwischen einer gewis­ sen Anzahl von Partnern, eben keine Form von coniuratio bilden. Zwar müssen hier zwischen den Vertragsparteien bestimmte Regeln eingehalten werden, doch handelt es sich letztlich um eine Vereinigung mit rein wirtschaftlichen Zielsetzungen, weil für die Beteiligten das Risiko ver­ ringert und der Gewinn erhöht werden soll und der Zusammenschluß in der Regel auf die Dauer einer konkreten Handelsfahrt beschränkt ist; vgl. dazu auch Larusson, Art. „Felag“, in: KLNM 4, Sp. 212 f. Die andere Form der nordeuropäischen Händlerorganisation stellt lediglich den Zu­ sammenschluß mehrerer Bauemkaufleute für die Durchführung einer gemeinsamen Handelsrei­ se dar. Vgl. Art. „bondeseglation“, in: KLNM 2, Sp. 104-116. Zu beiden Formen der Fahr- oder Handelsgemeinschaft vgl. die Ausführungen von E bel, Altnordische Quellen. Zu den unter­ schiedlichen Formen von kaufmännischem Selbstschutz jetzt auch M üller-B oysen, Kaufmanns­ schutz, besonders S.64 ff., 107ff. u. 127-130. 35 Zur ,Willkür* vgl. W eber, Wirtschaft und Gesellschaft S. 416f., der ,gewillkürtes Recht bezeichnet als „durch Tradition oder vereinbarte Satzung ... vergesellschafteter ,Einungen in autonom gesatzten Ordnungen [geschaffenen] Rechts“. E bel, Willkür S. 64, hat die Willkür be63

nur aus dem früheren Mittelalter spiegeln damit zugleich die mehrschichtige Bedeutung von ,Frieden' wider.36 Zunächst war sicherlich der Ausschluß von Gewalt gemeint, abzulesen an den entsprechenden Bestimmungen, die das Tragen von Waffen und ähnlichen Gegenständen verbieten. Die gildeeigene Gerichtsbarkeit weist darauf, daß es nicht lediglich um den Ausschluß von körperlicher Gewalt geht, sondern alle Formen möglicher Streitigkeiten zwi­ schen den Mitgliedern der ,Schwureinung' möglichst vermieden oder wenig­ stens rasch beigelegt werden sollten. So wird Friede auch zu einem sozialen Begriff, der „eine bestimmte Form des menschlichen Zusammenlebens“ meint, das „ein Verhältnis gegenseitiger Verbundenheit in Tat und Gesin­ nung“ ausdrückt.37 Gleichzeitig ist die Gildegerichtsbarkeit sichtbarer Aus­ druck des eigenen, des gesetzten, statutarischen Rechts, dem sich alle Mit­ glieder durch ihren Eid anschließen und unterwerfen, es mit dieser gegensei­ tigen Bindung auch selbst mitbestimmen.38 Das härteste Urteil, das vom Gil­ degericht gefällt werden kann, ist der Ausschluß eines Mitglieds aus der Ge­ meinschaft.39 Dadurch wird deutlich, was mit dem religiös-sakralen Cha­ rakter des promissorischen Eides gemeint ist, den Adalbert Erler als eine „bedingte Selbstverfluchung“ sieht.40 Hatte sich jedes Mitglied zunächst durch den Eid mit anderen Personen verbunden und ihnen verpflichtet, so „tritt dann im Fall des Bruchs eines promissorischen Eides die Ächtung ein“.41 Die betroffene Person war von weitreichenden sozialen und wirt­ schaftlichen Konsequenzen bedroht, weil die soziale Bindung an die Grup-*6

zeichnetals eine „Satzung mit Gesetzescharakter, als Recht mit örtlich (oder personell) begrenz­ ter Geltung“. Vgl. zum Weberschen Begriff der Willkür1jetzt auch O exle, Kulturwissenschaft­ liche Reflexionen, besonders S. 148-156. 6 Bei der Untersuchung mittelalterlicher Friedensvorstellungen werden die Zusammenhänge zu sozialen Gruppen mit ihrem gewillkürten Recht meist übersehen. Der Gegenbegriff zu .Frie­ de ist üblicherweise .Krieg', so daß eine Sichtweise, die Frieden im Sinne von Konfliktbewälti­ gung oder Konfliktvermeidung versteht, von vornherein verstellt ist. Vgl. etwa die Arbeiten von Arnold, De bono pacis; E ngel, Friedensvorstellungen; Sellert, Friedensprogramme; anders bereits P feiffer, Bedeutung. J anssen, Art. „Friede“, in: Geschichtliche Grundbegriffe 2, S. 543. Auf die Unterscheidung zwischen lex als allgemeinem Recht und dem als consuetudo gel­ tenden Sonderrecht bei den Gilden hat bereits hingewiesen O exle, Kaufmannsgilde, besonders S. 188-191. In den nordeuropäischen Gildestatuten war der Ausschluß einer Person meist verbunden mit dem Begriff m d in g , also der Ächtung des Betreffenden als Schurke bzw. ehrlosem Men­ schen. 40 E rler, Art. „Eid“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 1, Sp. 862. 41 O exle, Conjuratio und Gilde S. 160. 64

pe die für den Eidleistenden umfassende Sicherheit bot, mit dem Eidbruch aufgehoben wurde.42* Der hier dargestellte Forschungsbegriff ,Gilde1wurde von der Forschung im wesentlichen anhand von Quellen aus dem früheren Mittelalter entwikkelt’ dadurch ist eine umfassende Kennzeichnung des mittelalterlichen So­ zialgebildes ,Gilde“ mit Hilfe der frühesten Belege möglich geworden. Die Entstehungszeit des aus Skandinavien bekannten Materials und auch die darin verwendeten Begriffe weichen jedoch so weit von den kontinentaleuro­ päischen Bedingungen ab, daß eine Überprüfung des Forschungsbegriffs an exemplarischen Quellen notwendig erscheint, um dessen Anwendbarkeit zu prüfen und ihn gegebenenfalls zu modifizieren.

42 Auf die mit dem Eidbruch verbundenen, möglichenveise existenzbedrohenden Konse quenzen hat O exle, Die mittelalterlichen Gilden S. 217 ff. hingewiesen. 65

2. Überprüfung des Forschungsbegriffs am skandinavischen Material Wie bereits angedeutet, ist auch und gerade für die skandinavischen Gilden behauptet worden, sie seien Formen germanischen Brauchtums gewesen.43 Insbesondere auf die weit verbreiteten Trinkgelage wird verwiesen, die durch das Christentum dann zu Gilden umgewandelt worden seien.44 Neben den erwähnten arabischen Berichten spielt hierbei die Schilderung des Snorri Sturluson, die er in der Heimskringla, in Kapitel 14 der Häkonar saga goda, gibt, eine entscheidende Rolle.45 Außer der Beschreibung des eigentlichen Blutopfers enthält der Bericht tatsächlich Hinweise, die auf Vorläufer eines Gildemahls deuten könnten. Offensichtlich fanden die beschriebenen Feste häufiger statt,46 die Bauern mußten Bier und Lebensmittel für die Teilnahme entrichten, das Fleisch wurde gemeinsam verzehrt und neben dem Trinken zu Ehren der Götter wurden auch Becher zu Ehren und zum Gedenken der Verstorbenen geleert. Doch tatsächlich besagen diese Einzelheiten nichts weiter, als daß es sich um eine sakrale Speise- und Trankgemeinschaft han­ delte. Solche rituellen Veranstaltungen sind auch aus anderen - christlichen wie nicht-christlichen - Kulturkreisen bekannt. Viel fundierter und auf­ schlußreicher ist die Schlußfolgerung, die Klaus Düwel nach einer eingehen­ den Studie gerade der Schilderung von Snorri Sturluson zieht. Nach Düwels Auffassung kann „Snorris Schilderung nicht mehr als tradiertes Zeugnis für die Einzelheiten in Ablauf und Gestaltung des nordgermanischen, geschwei­ ge denn des germanischen Tempelkultes gelten. ... Wenn die dort beschrie­ benen Trünke auf die Heidengötter aber aus dem christlichen Brauch des Minnetrinkens übertragen, nach diesem rekonstruiert sind, dann läßt sich die Auffassung von einer Entstehung der Heiligenminne aus der heidnischen Götterminne ... nicht mehr aufrecht erhalten. Auch können die Anfänge des*So 45 Vgl. etwa J ohnsen, Tre gildeskraaer S. 5 und passim; ebenso ders., Gildevaesenet. So auch noch Blom, Ursprung, wenn sie S. 22 formuliert: „Kern der Bauemgilden mögen die alten oldr oder hvirfinger gewesen sein, d.h. jene Nachbarschafts-, Dorf- oder Bezirksgela­ ge, deren Kontinuität durch die christliche Umwertung von der heidnischen Zeit bis über die Reformation hinaus ungebrochen blieb. Diese Gilden führten nach und nach ein ausgeprägtes geistliches Zeremoniell ein, das von eigenen Priestern geleitet wurde.“ In Anlehnung an J orgen­ sen, Dansk Retshistorie S. 446 f. hat H offmann, Schleswiger Knutsgilde S. 56 f., von einer däni­ schen Form von Gilden und einer ausländischen Gildeorgamsation gesprochen, die sich durch Quellenausdrücke belegen lasse. Vgl. dazu auch unten S. 68 f. sowie S. 189. Snorri Sturluson, Heimskringla 1, Häkonar saga göda, hg. v. Abalbjarnarson S. 167 f. Eventuell kann von einer Regelmäßigkeit gesprochen werden. Von einem „jährlichen Blutopfer (M üller-Boysen, Kaufmannsschutz S. 74) zu sprechen, entbehrt jedoch jeder Grundla­ ge66

Gildewesens nicht mehr in den heidnischen Opfergelagen gesucht wer­ den.“4748Dadurch ist - mittels einer sehr genauen und überzeugenden Studie all jenen Forschungsarbeiten, die wenigstens für Skandinavien die Gilden aus germanisch-heidnischen Ursprüngen entstehen lassen wollten, die Argu­ mentationsgrundlage entzogen.4S In den dänischen und norwegischen Quellen sind die Trinkgelage als hwirwing (auch hvirving oder hvirfing) oder hvirfingsdrykkjur bezeichnet. Die für Dänemark entscheidende Stelle findet sich im Kopenhagener Stadt­ recht von 1294. Da der Beleg für Norwegen allerdings auf die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts weist und damit erheblich älter ist, soll dieser zuerst be­ handelt werden. In Johan Fritzners „Ordbog over det gamle norske Sprog“ wird hvirfing als ,Kreis* oder ,Ring* bezeichnet.4950Der im Quellenzusammenhang wichti­ gere Ausdruck hvirfingsdrykkja wird übersetzt mit „Trinkgemeinschaft, bei der die Teilnehmer ihren Beitrag selbst beisteuern“.30 Ausdrücklich wird diese Erklärung m it,Gilde* gleichgesetzt. Eine der beiden von Fritzner ange­ führten Belegstellen gilt der Forschung noch heute als „erste klare Bezeu­ gung norwegischer Gilden“.51 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, daß daraus keine Gleichsetzung von Gilde und hvirfingsdrykkja vorgenom­ men werden darf. Die umstrittene Stelle findet sich wiederum in der Heim­ skringla Snorri Sturlusons, im zweiten Kapitel der Saga Olav Kyrres.52 Dort wird berichtet, König Olav Kyrre (Olav der Stille) habe die „große Gilde“ in Trondheim begründet sowie weitere Gilden an anderen Handelsplätzen, an 47 D üwel, Opferfest S. 119 f. 48 Auch Düwel bestreitet keineswegs die mögliche Existenz von germanischen Opferbräu­ chen, doch könne Snorris Schilderung nicht als Beweis angesehen werden (ebd. S. 120.). Bereits in seinen sprach- und literaturwissenschaftlichen Studien war Düwel zu der Überzeugung ge­ kommen, „daß die behauptete Kontinuität von heidnisch-germanischem Opferkult und seinen Riten zur mittelalterlichen Gilde und ihren Bräuchen allein auf der postulierten .ursprünglichen Bedeutung“von Gilde beruht, in der Sache jedoch keineswegs bewiesen ist. So erscheint denn die Kontinuität vielmehr eine solche innerhalb der Forschungsgeschichte zur germanischen Religion zu sein.“ (D üwel, Philologisches zu ,Gilde“ S. 404.) Im übrigen ist auch lange nach der Einfüh­ rung des Christentums das Zeremoniell des gemeinschaftlichen Biertrinkens bezeugt, was u.a. entsprechende Bestimmungen der Landschaftsgesetze belegen (so etwa Frostathingslov IV, 14 und IV, 57 sowie im Gulathingslov 6). Allerdings findet sich auch dort kein Hinweis, daß es sich dabei um eine auf Dauer angelegte, durch gegenseitigen Eid miteinander verbundene Gruppe handelt. 49 Fritzner, Ordbog S. 141. 50 Ebd. „Drikkelag hvortil Deltagerne selv ydede sine Bidrag“. 51 H offmann, Spätmittelalterliche städtische Gilden S. 18. 52 Sturllson, Heimskringla 3, Olafs Saga Kyrra, Kap. 2, S.204f.

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denen vorher hvirfingsdrykkjur waren.33 Fritzner erklärt, der Unterschied zwischen gildi und hvirfingsdrykkjar liege „mehr im Namen als in der Be­ schaffenheit“.5354 Dieser immerhin noch zugegebene Unterschied in der Begrifflichkeit muß mit den Entstehungsumständen der Fleimskringla ebenso verbunden werden wie mit den Ereignissen der dort berichteten Zeit, zumal es sich um den einzigen Hinweis auf die Gründung von Gilden durch einen König handelt. Schon die Tatsache, daß kurz nach der Christianisierung des Landes der König an einem der wichtigsten Orte des Landes eine ausdrück­ lich als Gilde bezeichnete Gruppe gründet und dies offensichtlich in Abgren­ zung zu eben den vorher existierenden Gebräuchen, läßt nicht ohne weiteres auf eine „Kontinuität“ schließen. Der Interpretation Müller-Boysens, wo­ nach die „problemlose Umwandlung“ dafür spräche, „daß sie als gildeartige Zusammenschlüsse anzusehen“55 seien, muß ausdrücklich widersprochen werden. Die vorhandenen Quellen geben keinerlei Auskunft über die kon­ kreten Bedingungen, unter denen ein hvirfmg als Sozialgebilde entstand und agierte. Alle Hinweise deuten auf reine Trinkgelage, denen gerade die für eine coniuratio typischen Merkmale fehlen. Auch der Hinweis im Kopenhagener Stadtrecht, in dem die lateinischen Ausdrücke conuiuia seu sodalicia mit den volkssprachlichen Begriffen gilde uel hwirwing übersetzt werden,56 reicht nicht aus, um daraus eine einheimi­ sche und eine fremde Form von gildemäßigen Zusammenschlüssen abzulei­ ten. Bereits der dänische Rechtshistoriker Poul J. Jorgensen hatte auf diesen Hinweisen aufbauend davon gesprochen, „daß man in Dänemark eine Zeit­ lang zwei Typen von Gilden gehabt hat, die eine auf einer direkten Weiter­ entwicklung der Opfergilden beruhend, die andere von Plätzen im Ausland 53 Ebd. S. 204: Ö lafi konungr let setja Miklagildi i Nidarosi ok m'örg önnur i kaupstödum, en ädr väru par hvirfingsdrykkjur.

54 Fritzner, Ordbog S. 141: „Naar her ... gjores Forskjel paa gildi og hvirfingsdrykkja, har Forskjelen dog vel mere ligget i Navnet end i Beskaffenheden ...“. 35 Müller-Boysen, Kaufmannsschutz S. 80. Im übrigen muß offen bleiben, ob die durch Snorri beschriebene Gründung von Gilden durch den König tatsächlich stattgefunden hat oder ob es sich um eines der vielen Elemente zur Glorifizierung des Königs handelt. Bereits in einer quellenkritisch angelegten und philologisch sorgfältig angefertigten umfassenden Studie, auf die D üwel, Opferfest aufmerksam machte, vertritt Maurice Cahen ein weitaus differenzierteres Bild, wonach die mittelalterlichen Gilden nicht die unmittelbaren Erben germanischen Heiden­ tums, sondern in ihnen lediglich pagane Riten nachweisbar seien. Vgl. Cahen, Etudes. Wiedergegeben ist das Stadtrecht in: Danmarks gamle Kobstadlovgivning 3; die zitierten Ausdrücke finden sich in § 1, in dem ein grundsätzliches Verbot aller conuiuia seu sodalicia aus­ gesprochen wird (ebd. S 15). Auch im auf 1335 datierten Stadtrecht von Apenrade wird in § 20 sowohl die Formulierung conuiuium sancti Nicholai als auch die Formulierung sancti Nicholai hwirdving benutzt (vgl. ebd. Bd. 1, S. 247 f.). 68

geholt“.5758Die Verbindung zum gemeinsamen Essen und Trinken wird im Kopenhagener Stadtrecht nicht gezogen. Dort verbietet Bischof Johannes Krag 1294 alle convivia oder sodalicia, „die im Volksmund Gilde oder hwirwing genannt“ werden.35 Oft wird - im Anschluß an Jorgensen - mit Hinweis auf den Quellenbegriff hwirwing „eine einheimische Wurzel des Gildewe­ sens“59 für Dänemark als belegt angesehen. Tatsächlich sagt die hier vorlie­ gende Verwendung des Begriffs hwirwing aber lediglich aus, daß er offen­ sichtlich als Bezeichnung für eine mittelalterliche Gruppenbildung angese­ hen wurde.60 Eine weitergehende inhaltliche Definition des Begriffs ist nicht möglich. Somit erscheint eine Gleichsetzung von hvirfing oder hvirfingsdrykkja mit ei­ ner Schwureinung, einer Gilde, einer coniuratio im oben beschriebenen Sinne unzulässig. Dies soll jedoch keineswegs ausschließen, daß heidnisches Brauchtum in den Gilden fortgelebt hat. Auch der immer wieder anzutreffende Ausdruck lav (oder laug), der meist mit,Zunft“übersetzt wird, stellt den maßgeblich durch Oexle geprägten For­ schungsbegriff nicht in Frage. Wie das Beispiel einer - dem lateinischen Ori­ ginal nicht voll entsprechenden - mittelalterlichen dänischen Übersetzung des Gildestatuts für die St. Knutsgilde in Malmö von ca. 1350 zeigt, wird hier laug als Synonym für ,Gilde“ und , Bruderschaft“ (bwderskab) verwen­ det. Die Überschrift lautet nämlich „Hier beginnt das Statut der St. KnudsGilde“.61 Nach den einleitenden Bemerkungen wird in dem Paragraphen 1 formuliert: „... über diejenigen, die in die Gilde [lauget] eintreten möch­ ten“.62 Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts werden die Begriffe ,Bruder­ schaft“ (broderskah) und ,Gilde“ (gilde) abwechselnd verwendet.63 Solche Beispiele ließen sich beliebig vermehren, so daß die in Deutschland gängige 57 J orgensen, Retshistorie S.448: „... at man i Danmark en Tid lang har haft to Iyper af Gilder, den ene beroende paa en direkte Videreudvikling af Offergilderne, den anden hentet fra Steder i Udlandet...“. Erich Hoffmann hat diesen Gedanken aufgegriffen und die gleiche These vertreten; vgl. beispielsweise H offmann, Schleswiger Knutsgilde S. 56 ff. Auf S. 57 spricht er da­ von, man müsse „den hwirwing (sodalitas) als ältere einheimische Einrichtung betrachten, die conjuratio aber ... einem hez-lagh und dann auch dem convivium wie der gilde der ausländi­ schen Fernkaufleute gleichsetzen“. 58 Kjobenhavns Diplomatarium I, S.42 ... aliqua convivia seu sodalicia, que vulgariturgilde vel hwirwing dicuntur ...

39 H offmann, Gilden und Bniderschaften S. 21. 60 Kalkar, Ordbog 2, S. 318 gibt unter Hinweis auf das Kopenhagener Stadtrecht 1294, das Stadtrecht von Aabenraa (Apenrade) 1335 und das Kopenhagener Stadtrecht 1422 (Erik von Pommern) die Bedeutung von hvirving als identisch m it,Gilde“ an. 61 Nyrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S. 88. 62 Ebd. S. 89. 63 Ebd. 69

Übersetzung von lag/laug m it,Zunft“und den in Deutschland damit verbun­ denen Konnotationen nur nach jeweiliger Einzelprüfung berechtigt ist.0+ In dänischen Quellen findet sich jedoch noch ein weiterer Begriff, der bei der bisherigen Forschung zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen darüber geführt hat, was mit diesem Begriff gemeint sei. Es handelt sich um den Be­ griff hezlag, der in Verbindung mit Gilde auftaucht. In der Seeländischen Chronik heißt es im Zusammenhang des Mordes an König Niels (25. Juni 1134) in bezug auf die Bürger Schleswigs, districtissimam legem tenent in convivio suo, quod appelatur Hezlagh.hi Bereits Wilda hatte darauf hingewiesen, daß es sich bei hezlag um eine Verbindung aus het, at heita in der Bedeutung von ,geloben, schwören“ und lag(h) im Sinne von Rechtsgemeinschaft han­ deln könne.64*66 Diese Auffassung ist von der Forschung allgemein akzeptiert worden. Daher gilt die Aussage der Seeländischen Chronik als erster Hin­ weis auf die Existenz einer dänischen Gilde.67 Weitere Verbindungen, in de­ nen hezlag(h) im Zusammenhang mit ,Gilde“ (oder deren Synonymen) auf­ taucht, haben sich indessen nicht finden lassen. Lediglich in einem Privileg, das König Hans am 17. März 1496 für die ,Trefoldigheds-Gilde“ in Odense ausstellt, findet sich wieder das Verb at heita (hier: hethe) im Zusammen­ hang mit dem zu leistenden Eid.68 Im übrigen gibt es natürlich eine Vielzahl von Hinweisen auf den Versprechenseid, die jedoch nie mit hezlag(h) in Ver­ bindung gebracht werden. Daher ist die inzwischen als sicher geltende An­ nahme, hezlag(h) bezeichne für Schleswig eindeutig eine Gilde im oben skiz­ zierten Sinn, nicht wirklich zweifelsfrei belegbar. Die im Text hergestellte 64 Natürlich finden sich auch Beispiele, in denen lag/lau g für eine Handwerkervereinigung gebraucht wird (vgl. etwa N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 2, S. 31 ff.). Doch wird da­ mit nicht eine andere Form von Gruppenbildung bezeichnet, sondern ein anderer Aspekt im Vergleich zu den sonst üblichen Bezeichnungen in den Vordergrund gestellt. 3 Vetus chronica Sialandie, in: Scriptores minores Historicae Danicae medii jevi, hg. v. G ertz, Bd. 2, S. 33. 66 W ilda, Gildenwesen S. 73. 67 So etwa J orgensen, Retshistorie; H offmann, Skandinavische Kaufmannsgilden S. 205 f.; ebenso ders., Schleswiger Knutsgilde S. 53 ff. und passim; nicht erwähnt ist dieser Punkt im ent­ sprechenden Abschnitt des Artikels „Gilde“ im KLNM 5. Gegen die bislang einhellige For­ schungsmeinung hat jüngst Radtke, Entwicklung „ein etwas differenzierteres Bild“ (S. 64) ent­ worfen. Nach einer eingehenden Neubewertung der politischen Ereignisse in Dänemark zwi­ schen 1130 und 1134 kommt Radtke, ebd. S. 75 zu dem Schluß: „Von einer exklusiven Gruppe innerhalb der Stadt, in der bisherigen Forschung ausnahmslos mit der - später bezeugten - Gilde verbunden, ist allenfalls etwas in der erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden Älteren Seeländischen Chronik zu spüren, und dort auch nur über die Nomenklatur des c o n v iv iu m , das mit dem bisher herkömmhcberweise als ,Gilde4verstandenen co tiviviu m des Stadtrechts korre­ spondiert.“ Eingehender zur Schleswiger Knutsgilde unten S. 186-190. 68 Nyrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S.772. 70

Verbindung zu convivium läßt aber die Gleichsetzung als möglich erscheinen. 69 Auch das besonders von Pappenheim als Vorläufer der Gilde betonte ge­ meinschaftliche Sich-Zusammenschließen mittels Eid, beschrieben in einigen Sagas und als fostbrasdralag bezeichnet, wird heute in dieser Bedeutung nicht mehr anerkannt.6970 War die These Pappenheims bereits von Beginn an um­ stritten/1 so kann auch der Hinweis auf die mit dem fostbrxdralag verbun­ dene Verpflichtung zur Blutrache nicht als früher Hinweis auf Gilden in Nordeuropa gewertet werden. Eine Verpflichtung zur Blutrache „läßt sich in der Überlieferung zu den skandinavischen Gilden nicht fassen.“72 Neue Bewegung in die Diskussion um das Alter der skandinavischen Gil­ den brachten Anfang des Jahrhunderts die Runensteine in Sigtuna, in deren Inschriften von „friesischen Gilden“ die Rede ist.73 Nach einer anfänglichen 69 Ausdrücklich zuzustimmen ist Erich Hoffmann, wenn er feststellt, „daß auch für die Zeit­ genossen das h ez-lagh kein H w ir w in g war“ (H offmann, Skandinavische Kaufmannsgilden S. 209). Radtke, Entwicklung lehnt bei der von ihm vorgenommenen Neubewertung der Quellen allerdings eine Gleichsetzung von co n v iv iu m mit der Gilde ab. Stattdessen bezeichnet er „die Schleswiger ,co n iu ra tio ‘ als verfaßte und verschworene Bürgergemeinde“ und sieht diese Inter­ pretation „auf eine verhältnismäßig solide Grundlage gestellt“ (ebd. S. 77). 70 Pappenheim, Schutzgilden S. 18 ff. u. 90 ff. sowie passim. 71 Vgl. etwa die Rezension durch M aurer, besonders S. 350. 71 M üller-B oysen, Kaufmannsschutz S. 73. Auf die in den ältesten Statuten beschriebene Möglichkeit, den Mörder eines Gildeangehörigen auch durch Totschlag zu rächen, wird im Laufe der Arbeit noch zurückzukommen sein. Auf keinen Fall läßt sich daraus eine Verpflich­ tung zur Blutrache ableiten. Die Bedeutung der Blutrache in der heidnisch-germanischen Zeit Nordeuropas ist in der Forschung immer wieder übertrieben dargestellt worden. Auf der Grund­ lage altenglischer und altnordischer Quellen ist gezeigt worden, daß die Blutrache in den Gesell­ schaften Nordeuropas eine wesentlich geringere Rolle gespielt hat, als dies häufig behauptet wird; vgl. dazu Sawyer, Bloodfeud. 3 Friesen, Ur Sigtunas äldsta historie; die Übersetzung der entscheidenden Formulierung Jrisa k ilta r ist umstritten; sie könnte einerseits eine Gilde friesischer Personen bezeichnen, ist an­ dererseits aber auch im Sinne einer Gilde schwedischer Handelsleute, die nach Friesland fahren, übersetzt worden. Die Datierung der Steine in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts ist jedoch unstrittig. Auch der dritte Stein aus Bjälbo in Östergötland wird ins 11. Jahrhundert datiert. Die darauf eingeritzten Runen geben keinen Hinweis auf eine geographische Gebundenheit der Gil­ de. Unter Hinweis auf die aus Sigtuna stammenden Runensteine hat Radtke, Entwicklung S. 56, die „Stellung dieser Friesengilde“ als „zwar letztlich ungeklärt“ bezeichnet, doch - so Radtke weiter - „eine Gilde von Fernhändlern aus Friesland scheidet jedoch offensichtlich aus. Eher ist an einen Zusammenschluß von schwedischen Femhändlem zu denken, die sich auf den Handel mit den Friesen spezialisiert hatten.“ Damit verkürzt er unzulässig die seit Mitte der 1950er Jah­ re geführte Diskussion. D üwel, Handel S. 337-341, hat die vier „viel diskutierten Zeugnisse für Gilden in Schweden“ (ebd. S. 337) in ihrem Wortlaut wiedergegeben, eine Übersetzung gefertigt und die Runen ausführlich untersucht. Düwel übernimmt für die beiden Runensteine aus Sigtuna die These, die darauf befindlichen Inschriften bezeugten „Gildebrüder der Friesen (ebd.). Der

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Euphorie über einen so frühen Beleg schwedischer Gilden"4 ist die For­ schung inzwischen deutlich skeptischer geworden und interpretiert die Ru­ nensteine im allgemeinen nicht mehr als Hinweis auf die Existenz von Gil­ den, in denen sich schwedische Kaufleute zusammengeschlossen hätten; viel­ mehr gelten die Runen, in denen von jrisa kiltar gesprochen wird, als Beleg für die Handelstätigkeit von Friesen in dem Gebiet um Sigtuna.'5 Nach den zahlreichen Abgrenzungen soll in den folgenden Kapiteln ge­ zeigt werden, daß der oben beschriebene Forschungsbegriff ,Gilde1auch für Nordeuropa nutzbar ist. Auf die Existenz von statutarischem Recht weisen die zahlreichen Gildestatuten, die entweder vollständig oder als Fragment erhalten sind. In einigen dieser Statuten finden sich - teilweise sehr umfang­ reiche - Bestimmungen, die die Leistung des Gildeeids betreffen/6*8Auch die Ausrichtung des Gildemahls wird ausführlich beschrieben.77 Damit sind die wichtigsten Merkmale für eine ,freie Einung“ und eine coniuratio auch durch die nordeuropäischen Gilden gegeben. Zusätzlich gestützt wird dieser Be­ fund durch die Statuten, aus denen abzulesen ist, daß sich die Mitgliedschaft in einer Gilde auf alle Lebensbereiche des Einzelnen auswirkt und neben ge­ genseitigem Schutz auch gegenseitige Hilfe umfaßt.78

insbesondere anhand des Runensteins aus Bjälbo entwickelte Gegensatz zwischen Kaufmanns­ gilden und Kriegergilden wird von Düwel überzeugend zurückgewiesen. Er kommt zu dem Schluß, bei den durch die Runen belegten Gilden habe es sich um Kaufmannsgilden gehandelt (ebd. S. 341). 74 Vgl. etwa den Artikel von Bugge, Altschwedische Gilden. 5 Dieser Forschungsstand ist bereits wiedergegeben bei Ljung , Art. „Gilde. Sverige“, in: KLNM 5, Sp. 302. Allgemein zur Entstehung und Bedeutung der Runensteine in Skandinavien und besonders in Schweden vgl. die Auseinandersetzung zwischen Sawyer, Det vikingatida runstensresandet, und Sjöholm, Runinskriftema. Dazu auch Sawyer, Medieval Scandinavia, mit weiteren Literaturhinweisen. 76 Vgl. etwa § 8 des Bartholinschen Gildestatuts (abgedruckt in NGL 5, S. 7-11 sowie bei Pappenheim, Schutzgildestatut S. 145-159; ebenso in J ohnsen, Tre gildeskraaer S.22-27, der gleichzeitig einige Lesefehler Pappenheims berichtigt), in dem das Alter, ab dem der Sohn eines Gildemitglieds den Gildeeid ablegen darf, genau festgelegt ist. Im Statut der St. Eriksgilde von Kallehave (abgedruckt bei: N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S. 56-67) wird in § 43 genau beschrieben, in welcher Form der Eid abzulegen sei. Auch das Statut der St. Görans gille vid Kopparberget (abgedruckt bei K lemming, Smästycken S. 103) enthält Bestimmungen hin­ sichtlich des Gildeeids. Stellvertretend für viele sei das Statut der St. Knutsgilde von Flensburg erwähnt, in dem die Bestimmungen zum Gildemahl etwa 20% des gesamten Statuts ausmachen, nämlich die §§ 32 und 34-43; abgedruckt bei N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S. 6-17. 8 Dies gilt für alle hier behandelten Gildestatuten. 72

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IV. Quellenlage und historische Überblicke Nachdem in den vergangenen Kapiteln die Forschungsmethodik und die Forschungsgeschichte erläutert wurden, soll dieses Kapitel dazu dienen, ei­ nen nach Ländern gegliederten Einstieg in das auf die skandinavischen Gil­ den bezogene Material zu eröffnen. Dazu sei an den Beginn ein Überblick über Umfang und Charakter der überlieferten Quellen gestellt, der gleich­ zeitig dazu dient, erste inhaltliche Schweipunkte anzudeuten. Auf dieser Grundlage wird in einem weiteren Abschnitt die zeitliche Entwicklung der Gilden in jedem der drei skandinavischen Länder kurz skizziert. Vom Be­ ginn der konkreten Nachweisbarkeit der freien Einungen bis zur Reformati­ on können auf diese Weise einige Tendenzen in der Veränderung der Gilde­ statuten (etwa in bezug auf das gewillkürte Recht oder bei der Mitglied­ schaft) sichtbar gemacht werden, die im nächsten Kapitel dann den Aus­ gangspunkt tiefergreifender Einzelstudien bilden.1

1 Auf eine Darstellung der Geschichte der drei Länder oder Skandinaviens insgesamt wird verzichtet Informationen über historische Ereignisse werden, soweit notwendig, jeweils dann gegeben, wenn dies im Zusammenhang mit der Geschichte der Gilden erforderlich ist. Eine Dar­ stellung der mittelalterlichen Geschichte Skandinaviens, die die Besonderheiten der einzelnen Länder und Regionen berücksichtigt, bieten Sawyer, Medieval Scandinavia. Im übrigen sei ver­ wiesen auf die Gesamtdarstellungen der drei Länder; für Schweden immer noch Rosen, Svensk historia 1, da keine jüngere umfassende Darstellung vorliegt; bei dem Buch von Lindkvist u. Agren, Sveriges medeltid, sind zwar neuere Forschungsergebnisse berücksichtigt, doch handelt es sich dabei um eine „für die Grundausbildung an Universitäten“ gedachte Einführung. Für Dä­ nemark vgl. Danmarkshistorie, hg. v. C hristensen, C lausen, E llehoj u. M orch, 1 u. 2/1; von zum Teil den gleichen Autoren verfaßt liegt inzwischen vor: Gyldendal og Politikens Danmarks­ historie, hg. v. O lsen; zusätzlich sei hingewiesen auf Lund u. H orby, Samfundet sowie auf Skyum-N ielsen, Kvinde og Slave und das postum herausgegbene Werk von dems.: Fruer og Vildmarid. Für Norwegen vgl. Norges Historie, hg. v. Mykland, 2-5, sowie die jetzt neu ent­ standene Gesamtdarstellung: Aschehougs Norges Historie, hg. v. H elle, 2-5. Zusätzlich sei hin­ gewiesen auf Andersen, Sämlingen, und auf H elle, Norge. 73

1. Dänemark Schon mehrfach wurde angedeutet, daß die Überlieferung für die skandina­ vischen Gilden je nach Land recht unterschiedlich ist. Am umfangreichsten ist, wie bereits festgestellt wurde, die zweibändige Sammlung mit unter­ schiedlichen Quellen der mittelalterlichen dänischen Gilden, die Camillus Nyrop vorgelegt hat.2 Beginnend im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts bis ins 16. Jahrhundert hinein kann allein an dieser Edition beinahe die gesamte Geschichte der mittelalterlichen dänischen Gildeentwicklung abgelesen wer­ den. Nyrop veröffentlichte allein fünfzig Gildestatuten, die - bis auf wenige Ausnahmen - vollständig erhalten sind. Hinzu kommen dreiundfünfzig Sta­ tuten von Handwerkergilden und eine Vielzahl von zusätzlichem Material (Ablaßbriefe, Mitgliederverzeichnisse, königliche Urkunden sowie weitere Quellen), das in direktem Zusammenhang mit den Gilden steht. Der größte Teil des Materials bezieht sich auf städtische Gilden, doch hat sich auch aus dem ländlichen Bereich Material erhalten, das die Existenz von Gilden nachweist. Die beeindruckende Materialfülle belegt die Bedeutung, die die Gilden in der mittelalterlichen Gesellschaft Dänemarks gespielt haben. Er­ wartungsgemäß unterscheiden sich viele Gilden hinsichtlich der in den Statu­ ten festgesetzten Schwerpunkte und Hauptaufgaben. Nyrop selbst unterteilt sein Material neben den Handwerkergilden in die Kategorien „Allgemeine Gilden“, „Geistliche Gilden“ sowie „Kaufmannsgilden“, ohne daß diese Kategorisierung immer zutreffend erscheint.3 Dennoch erweist sich eine solche oder ähnliche Unterscheidung als sehr sinnvoll, gerade weil eine Gilde unter Geistlichen andere Bestimmungen enthält als beispielsweise eine weltliche Gilde, die von Kaufleuten dominiert wird. Die Form und auch die Funktion beider Gilden - dies sei ausdrücklich betont - ist allerdings die gleiche. Da­ her ist Nyrop zuzustimmen, wenn er bei unterschiedlichen Quellenbegriffen die Vereinigungen trotzdem unter dem Sammelbegriff ,Gilde“ vereint.4 Die grundlegende Arbeit von Nyrop ist bis heute nur um wenig Material ergänzt worden.3 Ausdrücklich hervorzuheben ist jedoch Poul Bredo Grandjean,*So 2 N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer.

So bleibt beispielsweise unklar, warum eine Neufasssung des Gildestatuts der „Heilig Trefoldighedsgildet“ („Heilige-Dreifaltigkeits-Gilde“) in Odense (beschlossen 9. Juni 1476) unter der Rubrik „Kaufleutegilden“ aufgeführt ist. Hinzuweisen ist ein weiteres Mal auf die in der deutschen Forschung weit verbreitete Pra­ xis, Gilde als Kaufleutevereinigung oder Zunft als Handwerkerzusammenschluß exklusiv gegen­ überzustellen und die geistlichen Bruderschaften gesondert zu behandeln. Vgl. dazu die Ausfüh­ rungen im Kapitel III dieser Untersuchung. Ein in der Forschung weitgehend übersehenes Gildestatut hat ediert: C hristensen , Ullerup 74

der die meisten der überlieferten Gildesiegel der Forschung zugänglich ge­ macht hat.*6 Dadurch konnten weitere wertvolle Hinweise auf die Verbrei­ tung der Gilden im mittelalterlichen Dänemark gewonnen werden. Darüber hinaus gibt es einige Neueditionen einzelner Statuten oder anderer Quellen bezüglich der Gilden, die dazu beitragen, falsche Lesungen von Nyrop (oder anderer Forscher vor ihm7) zu korrigieren.8 Ohne in diesem Abschnitt eine umfassende Interpretation des vorhande­ nen Materials zu geben, sollen allgemeine Entwicklungslinien der dänischen Gilden vom späten 12. Jahrhundert bis zur Reformation dargestellt werden. Auf diese Weise ist ein Überblick über die wichtigsten Veränderungen inner­ halb dieser Zeit möglich. Werden diejenigen dänischen Quellen zugrunde gelegt, die zweifelsfrei das Vorhandensein einer Gilde beweisen - und nicht einige kaum näher be­ stimmbare Hinweise auf Personengruppen9 -, so besteht kein Zweifel daran, daß die ersten belegten Gilden Dänemarks Schwureinungen waren, die ihren durch Eid verbundenen Mitgliedern größtmögliche Absicherung in allen Le­ bensbereichen garantierten.10 Darüber hinaus lassen sich von Beginn an - al­ so ab dem ausgehenden 12. Jahrhundert - zwei weitere typische Grundzüge der Gilden nachweisen: zum einen der ,gesellige' Aspekt, ausgedrückt durch zum Teil mehrmals jährlich abzuhaltende Festlichkeiten und zum anderen der religiöse Bereich, abzulesen an der Unterhaltung eigener Altäre oder so­ gar die Bezahlung eines für die Gilden tätigen Geistlichen.11 Die für die Gil­ den so bezeichnende eigene Rechtsordnung ist - nicht zuletzt angesichts der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung - zu diesem frühen Zeitpunkt noch sehr umfassend geregelt und bezieht sich ausdrücklich auch auf Personen, die nicht der Gilde angehören, jedenfalls in den Fällen, in denen sie mit GilSt. Annae Gildes Skrä af 1506. Den Hinweis auf dieses Statut verdanke ich cand.mag. Lars Bisgaard, Odense, wofür ihm auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei. 6 G randjean , Danske Kobstteders Segl; sowie ders., Danske Gilders Segl. 7 So etwa bei Sejdelin , der in dem von ihm herausgegebenen Diplomatarium Flensborgense beim Abdruck der Mitgliederliste der „Vor Frues Kjobmands-Gilde“ („Maria-Kaufmanns-Gilde“) einige Lesefehler zeigt, die Nyrop übernimmt. 8 Korrekturen nehmen beispielsweise vor: K raack, Gildewesen, der Mitgliederlisten ab­ druckt, oder auch die Siegeldrucke bei K raft, St. Knuts-Synoden. 9 Erinnert sei an die arabischen Berichte zu Schleswig. Auch die Runensteine können nicht als Beleg für die frühe Existenz von skandinavischen Gilden im Sinne einer coniuratio interpre­ tiertwerden. Vgl. dazu auch die Ausführungen oben S. 71 f. 10 Dies geht aus den Statuten hervor, die bei N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer abge­ druckt sind. Um nicht jeden der in diesem Abschnitt gegebenen Hinweise umständlich und aus­ führlich zu belegen, sei auch für die folgenden Ausführungen auf diese Edition verwiesen. Ange­ geben werden jeweils nur die entsprechenden Hinweise in Nyrops Register. 11 Vgl. dazu die Hinweise bei N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 2, S. 549.

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ciemitgliedem in (Rechts-)Streitigkeiten geraten.12 Die dänischen Könige verhalten sich im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Verhältnissen auffallend anders gegenüber den Gilden. Von Beginn an fördern die Könige insbesondere - aber nicht ausschließlich - die Knutsgilden und werden zum Teil selbst deren Mitglied.13 Im Zuge sich verändernder politischer und ge­ sellschaftlicher Rahmenbedingungen durchlaufen auch die Gilden bis zur Reformation zum Teil deutliche Wandlungen. Zunächst allen Menschen of­ fenstehende Vereinigungen beginnen, sich auf bestimmte Berufsgruppen ein­ zuengen; es entstehen im späteren Mittelalter die berufsmäßig organisierten Zusammenschlüsse, die ganz eindeutig auf der Idee der Gilde aufbauen, aber andere Schwerpunkte verfolgen, weil die neu entstandenen Rahmenbe­ dingungen neue Formen der Organisation erfordern und mit der Verfolgung berufsspezifischer Interessen auch diese Rahmenbedingungen zum eigenen Vorteil beeinflußt werden können. Außerdem entstehen nach dem Vorbild der Gilde organisierte soziale Gruppen, die Menschen in bestimmten Le­ benssituationen offenstehen. Die damit gemeinten Gesellengilden sind zwar in Dänemark erst spät und relativ selten nachweisbar, doch entsprechen ihre Statuten mit den umfassenden Bestimmungen eher den dänischen Gilden des 13. Jahrhunderts als den berufsspezifischen Gilden.14 Eine weitere Gruppe ,berufsspezifischer Vereinigungen bilden die geistli­ chen Bruderschaften, zum Teil „Kalande“ genannt.15 Diese waren entweder reine Klerikergilden oder hatten in ihren Bestimmungen zumindest strenge Vorschriften, wieviele Laien aufgenommen werden durften.16 Einige öffne­ ten sich auch weiblichen Mitgliedern.17 Vor allem im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert wurden die Statuten dieser Gilden vom zuständigen Bischof oder Erzbischof bestätigt,18 was eine nicht unerhebliche Einflußmöglichkeit durch die kirchliche Obrigkeit bedeutete. Doch auch die weltlichen Gilden notierten im ausgehenden Mittelalter immer häufiger, ihre veränderten oder neuen Statuten seien mit Zustimmung oder in Absprache mit dem Rat der 12 Vgl. etwa die entsprechenden Bestimmungen der Knutsgilden in Flensburg (ca. 1200) und Odense (ca. 1245). 13 Vgl. die Hinweise bei N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 2, S. 541. 14 Ebd., Bd. 1, S. 565. Vgl. zu den Gesellengilden auch unten S. 228-235 dieser Arbeit. 15 N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S. 526. So etwa die irefoldigheds-Gilde (Dreifaltigkeitsgilde) in Flensburg, die in den am 14. Juni 1362 beschlossenen Statuten in § 1 die zulässige Höchstzahl von Laien festgeigt hat (N yrop , Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 1, S.264). 17 Die „Himmelskönigin Marias Rosenkranz-Bruderschaft“ läßt in dem 1484 vom Bischof bestätigten Statut ausdrücklich weibliche Mitglieder zu (N yrop, Danmarks Gilde- og Lavs­ skraaer 1, S. 436). 18 N yrop, Danmarks Gilde- og Lavsskraaer 2, S. 541.

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Stadt beschlossen worden. Neben der damit gegebenen Einflußmöglichkeit seitens der weltlichen Obrigkeit können solche Entwicklungen auch darauf zurückzuführen sein, daß die jeweilige Gilde eine angesehene Organisation war, deren Mitglieder möglicherweise zum Teil selbst im Rat vertreten waren und damit eine gegenseitige Beeinflussung schon fast,institutionalisiert“ ge­ wesen ist. Dies könnte insbesondere für die Knutsgilden gelten, die meist die führende Gilde einer Stadt darstellten. Für zahlreiche Gilden sind nicht nur die Statuten und zum Teil die Mit­ gliederlisten erhalten, sondern auch weitere Dokumente, die Einblick in die Struktur der jeweiligen Gilde erlauben. Solche Dokumente reichen von Grundstücksgeschäften über Schenkungen und Stiftungen bis hin zu ver­ streuten Aufzeichnungen einzelner Gilden; Dokumente dieser Art enthalten meist sehr unterschiedliche Angaben und berichten in Ausschnitten von den täglichen Geschäften der Schwureinungen. Außerdem ist auffällig, daß im 15. und 16. Jahrhundert immer häufiger die Statuten der weltlichen Gilden vom König bestätigt werden, was in der früheren Phase der dänischen Gil­ den nur für wenige Ausnahmen nachzuweisen ist. Auch diese Entwicklung deutet auf so weit veränderte gesellschaftliche Bedingungen, daß nur noch solche Zusammenschlüsse toleriert werden, die den vom König repräsentier­ ten Normen nicht entgegenstehen.

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2. Schweden In bezug auf die Geschichte der schwedischen Gilden sind die aus den Quel­ len resultierenden Erkenntnis-Chancen deutlich geringer als bei den däni­ schen. Zwar gibt es eine Fülle von - zum Teil weit verstreuten - Hinweisen auf die Existenz mittelalterlicher Gilden,19 doch im Vergleich zum däni­ schen Material ist die Zahl der nutzbaren Quellen weitaus niedriger.20 Trotz der kleineren Anzahl liegt für die schwedischen Gebiete dennoch die gleiche Art von Quellen vor, wie dies für Dänemark der Fall ist. So kann für Schwe­ den auf die Editionen von Gilde- und Zunftstatuten durch Gustaf Edvard Klemming21 zurückgegriffen werden, in denen für die Zeit vor der Reforma­ tion außer insgesamt über zwanzig Statuten auch zusätzliche Quellen veröf­ fentlicht sind. Am wertvollsten jedoch ist ohne Zweifel das in mehreren Hef­ ten herausgegebene Material der Fronleichnamsgilde in Stockholm.22 Für keine andere mittelalterliche Gilde Skandinaviens liegen so umfangreiche, von der Gilde selbst aufgezeichnete Materialien vor, wie für diese bedeu­ tendste Korporation Stockholms. Die erhaltenen Notizen über Einnahmen und Ausgaben23 geben Informationen über die vielfältigen Aktivitäten der Gilde, die immerhin über knapp zwei Jahrzehnte verfolgt werden können. Die normativen Quellen weisen diese Gilde eindeutig als charakteristischen Zusammenschluß nach den typischen Gildekriterien aus. Da dieser Nach­ weis ohne Schwierigkeiten möglich ist, können die am gesamten Material ge­ wonnenen Untersuchungsergebnisse bei entsprechender Vorsicht verallge­ meinert werden. Berücksichtigt werden muß selbstverständlich auch, daß es sich nicht nur um eine beliebige städtische Gilde, sondern um die größte Gil­ de in der Hauptstadt Schwedens handelt. Dennoch können - wie dies in der früheren Forschung bereits geschehen ist24 - Rückschlüsse auf die Ge­ schichte der schwedischen Gilden insgesamt gezogen werden. Für Schweden ist aufgrund der verstreuten Hinweise auch vom Vorhan­ densein ländlicher Gilden auszugehen, die jedoch nur in wenigen Einzelfäl19 In seinem Beitrag spricht Ljung, Artikel „Gilde“, in: KLNM 5, Sp.304 von etwa 180 Gil­ den, auf die es Hinweise gebe („Till vära dagar ha bevarats uppgifter om ca. 120 g. i Sv. med kända namn och ungefär hälften sä mänga namnlösa“). Wie bereits gezeigt, lassen die Runensteine keine konkreten Rückschlüsse auf die Form der Gruppe zu, so daß sie innerhalb dieser Untersuchung außer acht gelassen werden können. 21 K lemming , Smästycken; ders., Skräordningar. 22 Handlingar rörande Helga Lekamensgille 1-8, hg. v. C ollijn . 25 Erhalten für die Zeiträume 1515-1528 (Einnahmen) bzw. 1509-13 und 1515-1528 (Aus­ gaben). Vgl. etwa M urberg, Historisk afhandling; auch H ildebrand, Medeltidsgillena, geht in diesem Punkt methodisch ähnlich vor.

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len konkret belegt werden können.25 In der schwedischen Forschungslitera­ tur wird von insgesamt 180 Gilden gesprochen, auf die es Hinweise gebe, doch kaum die Hälfte davon läßt sich überhaupt näher identifizieren und geographisch zuordnen.26 Und aus Einzelhinweisen, etwa aus Testamenten oder Rechtsgeschäften, in denen eine Gilde eine Rolle spielte, können über die Tatsache des Vorhandenseins einer Gilde an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit hinaus keine weiteren Schlüsse gezogen werden. Um diesem Dilemma zu entgehen, gab es den Versuch, die Definition von ,Gilde' derart zu verändern, daß auch kurzfristige Zusammenschlüsse, die ausschließlich ein ganz bestimmtes Ziel verfolgten und sich nach dessen Er­ reichung wieder auflösten, als ,Gilde' zu bezeichnen. Doch abgesehen von der Problematik dieses Ansatzes gelang es aufgrund der Quellenlage auch bei einer so weitgefaßten Definition des Begriffs nicht, eine größere Zahl von konkreten Beispielen für solche ,Gemeinschaften' anzuführen.27 So bleibt es für Schweden bei dem Befund, daß für das frühe und hohe Mittelalter - von zweifelhaften Nachrichten abgesehen28 - kaum konkrete Angaben über die Ausformung von Gilden gemacht werden können. Erst mit dem 14. Jahrhundert verdichten sich die Hinweise auf die weite Verbreitung der gildenmäßigen Zusammenschlüsse,29 und ausführlicheres Material liegt erst ab dem späten 14. Jahrhundert (nämlich für die Stockholmer Helga Lekamens gille, die Fronleichnamsgilde) vor. Immerhin sind insgesamt sieben Gildestatuten erhalten, von denen zumindest vier eindeutig nicht zu einer Stadt gehören, eine fünfte geographisch allerdings nicht genau zugeordnet werden kann. Damit existiert für das späte Mittelalter ausreichend Material, um auch Vergleiche zwischen ländlichen und städtischen Gilden vornehmen zu können, wobei schon jetzt erwähnt sei, daß es zwischen ihnen keine grundsätzlichen Unterschiede gibt. 25 Diese Feststellung auch bei R einholdsson, Landsbygdsgilllen S. 367. 26 Lange Zeit war angenommen worden, das erhaltene Siegel einer Knutsgilde de A landia weise auf die Alandinseln, einem zu Schweden zählenden Gebiet; diese Ansicht vertritt auch noch N iitmeaa in seinem Beitrag zum Artikel „Gilde-Finland“, in: KLNM 5, Sp. 306 ff. Curt Wallin konnte in seinen Arbeiten jedoch glaubhaft machen, daß diese Gilde auf Bornholm an­ sässig war und damit zu den dänischen Knutsgilden gezählt werden muß; vgl. Wallin, De medeltida Knutsgillena, sowie ders., Knutsgillen. 27 Vgl. R einholdsson, Landsbygdsgilien besonders S. 392 f., dessen Argumentation in die­ sem Punkt weder von der Methodik noch vom Ergebnis her überzeugen kann. 28 Erinnert sei an die Runensteine aus dem 11. Jahrhundert, die nicht als sicherer Beleg für solche soziale Gruppen angesehen werden können, in denen sich Bewohner Schwedens den typi­ schen Merkmalen einer coniuratio entsprechend zusammengeschlossen hätten. 29 Eine frühe Sammlung von Flinweisen auf schwedische mittelalterliche Gdden, die genau dies bestätigt, legen vor: Fant, H offmann u. Fant, De conviviis sacris. 79

Für die schwedischen Gilden dürfte nicht unerheblich sein, daß die Königsmacht das ganze Mittelalter hindurch vergleichsweise schwach war. Zwar entwickelte sich - wenn auch spät und mit Ausnahme von Gotland ein landesweit geltendes Recht, doch das allein festigte nicht die Macht und Durchsetzungskraft des Königs. Damit entstanden Freiräume innerhalb ei­ ner Gesellschaft, die dann von anderen Gruppen und Institutionen genutzt werden konnten. So hatten die Gilden auch im Spätmittelalter zum Teil noch die Möglichkeit, bei der Festlegung des gildeeigenen Rechts sehr weitgehen­ de Bestimmungen in ihre Statuten aufzunehmen.j0 Gleichzeitig darf für Schweden der erhebliche Einfluß deutscher Kaufleute und Handwerker nicht übersehen werden. In den durch Handel aufblühenden Städten domi­ nierten zeitweise Deutsche den Rat und hatten somit Gelegenheit, die aus ih­ rer Heimat bekannten Formen von Gruppenbildung auch in Schweden ein­ zuführen. Nur mühsam gelang es der schwedischen Seite, sich dieser Domi­ nanz zu erwehren. Das relativ schwache Königtum und der vor allem in Süd­ schweden spürbare politische und wirtschaftliche Einfluß der deutschen Kaufleute und Handwerker führte zu einer Konstellation, in der die Kirche eine bedeutende Rolle spielen konnte; nicht zu Unrecht ist daher vermutet worden, daß insbesondere im ländlichen Bereich - aber nicht nur dort - die örtlichen Kleriker eine enge Bindung mit der jeweiligen Gildenorganisation eingegangen sind.*31

Als Beispiel sei genannt das Statut der St. Göransgille vid Kopparberget aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts; abgedruckt bei K lemming , Smästycken S. 103-109. 31 Vgl. R einholdsson , Landsbygdsgillen S. 381-387.

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3. Norwegen Mit Abstand am schwierigsten stellt sich die Quellenlage für Norwegen dar. Auch hier ist - ähnlich wie in Schweden - eine erstaunlich hohe Zahl von verstreuten Hinweisen überliefert, die auf eine weite Verbreitung von Gilden im ländlichen Bereich schließen lassen.32 Doch erhalten hat sich an Material nur wenig mehr als die drei Gildestatuten, die bereits im vergangenen Jahr­ hundert großes Forschungsinteresse auf sich zogen.33 Der Vorteil der be­ kannten Satzungen liegt vor allem darin, daß sie zeitlich etwa um zwei Jahr­ hunderte auseinanderliegen. Das Statut einer anonymen Gilde im mittelnor­ wegischen Trondelag, die offensichtlich sowohl Stadt- als auch Landbewoh­ ner als Mitglieder in sich vereinigte, stammt aus dem 12. Jahrhundert. Das sogenannte Bartholinsche Statut ist im 13. Jahrhundert entstanden und das dritte Statut, in der Handschrift auf 1394 datiert, gehört zu einer in Sunnhordland ansässigen Gilde. Ohne damit einer Uberinterpretationen zu erlie­ gen, können durch die zeitliche Verteilung der drei Gildestatuten doch zu­ mindest Tendenzen in der Veränderung der Satzungen aufgespürt und so­ wohl mit der Rolle der Gilden als auch mit den gesamtgesellschaftlichen Ent­ wicklungen des Landes in Verbindung gesetzt werden. Neben diesen norma­ tiven Quellen gibt es die bereits angesprochenen Hinweise in verschiedenen Sagas, Ortsnamen, die auf Gilden deuten, sowie die vereinzelte Erwähnung von Rechtsgeschäften, die in Gildehäusem getätigt wurden. Darüber hinaus finden sich in der königlichen Gesetzgebung immer wieder Bestimmungen und Regelungen im Hinblick auf die Gilden - insbesondere für Bergen, das wegen der Präsenz der deutschen Hanse eine Sonderrolle einnimmt. 4 Allgemein sind für große Zeiträume des mittelalterlichen Norwegen nur vergleichsweise wenige Quellen erhalten, so daß regelmäßig auf Material, das in anderen Regionen aufgezeichnet wurde, zurückgegriffen werden muß, um norwegische Verhältnisse untersuchen zu können. So bilden etwa die Isländischen Annalen35 einen wertvollen Fundus für die Kenntnis von Er52 Vgl. den Artikel „Gilde“, in: KLNM 5, Sp. 308-313. Vor allem die Ortsnamenforschung hat zahlreiche Hinweise auf das Vorhandensein mittelalterlicher Gilden in Norwegen finden können; vgl. dazu etwa den Beitrag von Bugge , Tingsteder. 33 Dazu P appenheim , Schutzgildestatut; Bugge , Studier. 34 Beispielsweise die „Rettarboter fra Kong Erik Magnusson for Bergen (abgedruckt in NgL 3 Nr. 6), erlassen 1293/94 und wiederholt 1299 (NgL 3 Nr. 11) sowie 1320 (NgL 3 Nr. 64). Darin finden sich verschiedene Bestimmungen, die gegen Gilden und „Zusammenschlüsse so­ wie gegen nicht vom König bestätigte Sonderrechte gerichtet sind. Ab S. 105 wird darauf aus­ führlich einzugehen sein. 33 Islandske Annaler indtil 1578, hg. v. Storm . 81

eignissen im mittelalterlichen Norwegen. Die ,Skälholt-Annalen‘ berichten für das Jahr 1345 unter anderem von einer nach lang andauernden Regenfäl­ len entstandenen Überschwemmung des Flusses Gul (im Trondelag), die so plötzlich und extrem gewesen sei, daß bei der Naturkatastrophe auch eine große Anzahl Menschen ertrunken sei. ’6 Darunter befanden sich auch viele Gildemitglieder, die sich offensichtlich auf dem Weg zur jährlichen Gilde­ versammlung befanden. Solche und ähnliche Nachrichten sind interessant, weil sie Hinweise auf das Vorhandensein von Gilden geben und erahnen las­ sen, aus welchen Entfernungen die Gildemitglieder zur jährlichen Versamm­ lung anreisten. Allerdings eröffnet sich durch eine solche Form der Überlie­ ferung keine Möglichkeit, genaueren Aufschluß über die betreffende Gilde, über ihre Mitgliederstruktur, über ihr Verhältnis zur Obrigkeit oder andere Aspekte zu erfahren. Dennoch - dies werden die eingehenderen Untersu­ chungen ab dem folgenden Kapitel zeigen - reicht der Umfang an Quellen aus, um auch für Norwegen den bereits in der Einleitung formulierten Frage­ stellungen nachgehen zu können. Da nicht nur von den Gilden selbst stam­ mendes Material, sondern auch königliche Urkunden erhalten sind, können durch die Kombination der unterschiedlichen Quellen fundierte Aussagen über die Gilden selbst, über ihre Bedeutung und über ihr Verhältnis zur Ob­ rigkeit getroffen werden.

Ebd. S. 211 f. Den Hinweis darauf verdanke ich Prof. em. Grethe Authen Blom, wofür ihr auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei. 82

V. Form und Bedeutung der skandinavischen Gilden 1. Norwegen Abgesehen von den verstreuten Urkunden, den Ortsnamen und den Hinwei­ sen auf Gildehäuser sind es vor allem die drei Gildestatuten, die einen Ein­ blick in die Entwicklung der norwegischen Gilden gewähren. Daher sollen auch sie zunächst ausführlich dargestellt werden, um anhand ihrer Inhalte die sich im Laufe der Jahrhunderte ergebenden Veränderungen und Ent­ wicklungen innerhalb der Gildesatzungen und damit im Leben der Gilden selbst aufzeigen zu können. Die übrigen Quellen werden entweder zur Un­ terstützung mit herangezogen oder benutzt, um weitere Aspekte der Gilde­ geschichte aufzuzeigen und zu erläutern.1 1.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden Das älteste - wenn auch nur in Teilen überlieferte - Statut liegt in einer Handschrift aus der Mitte des 13. Jahrhunderts vor und wird als „Trondelags-skraa“ bezeichnet, wobei eine Zuordnung zu einer konkreten Stadt oder einem Dorf nicht eindeutig möglich ist.2 In der älteren Forschung wur­ de die Ansicht vertreten, der Inhalt des Statuts könne „im Großen und Gan1 Obwohl mittels der erhaltenen Statuten nur drei Gilden näher untersucht werden können, ist - wie bereits gezeigt - von einer weiten Verbreitung der Gilden in Norwegen auszugehen. Dies wird nicht nur durch die Arbeiten von Bugge , Tingsteder bestätigt, sondern gleichzeitig auch nahegelegt aufgrund der bereits zitierten Angaben der Isländischen Annalen. Die darin be­ schriebene Naturkatastrophe, bei der u. a. viele Gildemitglieder umkamen, geschah am „Kreuz­ messeabend“, einem der großen Kalenderfeste. Die zahlreichen Gildemitglieder waren vermut­ lich entweder bereits im Gildehaus versammelt oder auf dem Weg dorthin. Auf eine weite Ver­ breitung der Gilden zumindest im Trondelag deutet die Tatsache, daß in dem Bericht der Name der Gilde nicht erwähnt ist. Hätte es sich um eine der großen, bedeutenden Gilden gehandelt, wäre wahrscheinlich deren Name genannt und vom Vorhandensein zusätzlicher Nachrichten auszugehen. 2 Erstmals gedruckt durch Storm , Gildeskraa. 83

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zen nicht viel jünger sein als von etwa 1100“.3 Die heutige Forschung ist da­ gegen deutlich zurückhaltender und sieht „aus sprachlichen und tatsächli­ chen Gründen vermutlich ... die Zeit vor 1200“ als Entstehungszeit an.4 Eine exakte Datierung ist demnach ebenso wenig möglich wie eine genaue geogra­ phische Zuordnung. Dennoch hat bereits Gustav Storni angenommen, daß die Gilde in Trondheim ansässig war und mit der von Olav Kyrre gegründe­ ten Miklagilde (,Große Gilde“) identisch sein könnte.5 Hinsichtlich des mög­ lichen Alters des Statuts blieb Storni vage und hielt es „nach dessen Charak­ ter“ für möglich, daß es „genausogut aus dem 12. wie aus dem 13. Jahrhun­ dert“ stammen könnte.6*Bevor diesen Fragen weiter nachgegangen wird, sol­ len die erhaltenen Bestimmungen wiedergegeben werden, um dadurch An­ haltspunkte für eine erste Klärung der Sachverhalte zu gewinnen. Eine geographische Zuordnung wird innerhalb des Statuts durch die Ka­ pitel 4 und 5 nahegelegt, in denen vorgeschrieben wird, wie weit ein von ei­ nem Gildebruder ausgeliehenes Schiff gefahren werden darf (Kapitel 4) be­ ziehungsweise wie weit Gildebrüder in bestimmten Situationen zu begleiten sind (Kapitel 5). Dadurch ergibt sich ein Gebiet, das von Namdalseid im Norden bis weit ins heutige More og Romsdal im Süden reicht. Die Zuord­ nung ins mittelnorwegische Trondelag ist unabhängig von der genauen örtli­ chen Zuweisung schon deshalb plausibel, weil die erhaltene Handschrift zu einem „Lovbog“ („Gesetzbuch“) gehört hat, das als ein „Frostatingslov“ So J ohnsen , Gildevsesenet S. 74 .. indholdet i det störe og hele kan ikke vaire meget yngre end fra omkr. 1100 ...“), wobei er ausdrücklich davon spricht, daß einzelne Bestimmungen auf die heidnische Zeit zuriickweisen (ebd.: „Enkelte av dens bestemmelser peker heit tilbake til hedensk dd, Blom , Ursprung S.5f. Ähnlich auch in ihrem Beitrag zum Artikel „Gilde“, in: KLNM 5, Sp. 309, wo es heißt, das Statut sei „wahrscheinlich im 12. Jahrhundert verfaßt“ („... sannsynligvis forfattet i 110C-arene;...“). Storm , Gildeskraa S. 226: „Es spricht demnach nichts dagegen anzunehmen, daß unser kleines Bruchstück von der Miklagilde oder der Kreuzgilde [Korsgildet] in Nidaros stammt, die den Quellen nach in der Zeit Olav Kyrres gegründet wurde und der Tradition zu Snorres Zeit zutolge sogar durch ihn [Olav Kyrre] aufgebaut wurde“. („Det er altsaa forsaavidt intet iveien for at antage, at vort Lille Brudstykke stammer fra Milagildet eller Korsgildet i Nidaros, som -olge Kildeme er grundlagt i Olav Kyrres Tid og ifolge Traditionen paa Snorres Tid endog bygget af ham“). 4 - - • ligesaa gjeme efter sin Karakter stamme fra 12te som fra 13te Aarhundrede“. Die durch Storm eingeführte Einteilung in Kapitel wird auch hier beibehalten, wenngleich die durch ihn vorgenommene Strukturierung nicht immer glücklich wirkt. Dies gilt insbesondere für die ersten neun Kapitel, die inhaltlich für einen größeren Zusammenhang sprechen, als dies die Kapiteieinteilung vermuten läßt. Vgl. insbesondere Kapitel 5 und 6 sowie Kapitel 8 und 9. Da inhaltlich die durch Storm vorgenommene Edition verläßlich ist, wird das Statut nach dieser zitiert. 84

identifiziert werden konnte.8 „Das Frostating war im Mittelalter eines der vier großen Gesetzesthinge in Norwegen mit einem Geltungsbereich . . der ursprünglich nur die acht eng verbundenen Verwaltungsbezirke im Trondelag [das Gebiet um den Trondheimsfjord]“ umfaßte.9 Die in Kapitel 4 des Statuts verwendete Formulierung innan fiserdar kann somit eindeutig dem ursprünglichen Gebiet des Trondelags, also „den acht tronderschen am Fjord gelegenen Fylken“ zugeordnet werden.10 Weitere konkrete Angaben zur örtlichen Bindung der Gilde enthalten die vorhandenen Bestimmungen nicht. Doch Formulierungen in Kapitel 3 („Das Pferd kann er benutzen, bis er zum nächsten Gildebruder gelangt ist“11) und Kapitel 7 („Wenn ein Mann den Sommer über zu Hause ist und nicht zur Gildeversammlung fährt .. ,“12) lassen auf ein großes Gebiet schließen, aus dem die Gildemitglieder kamen. Um das Alter der Gilde bestimmen zu können, sind vor allem immer wie­ der die Kapitel 21 bis 23 angeführt worden, weil sie Vorschriften enthalten, die die Rachepflicht für alle Verbrechen regeln, die an Gildebrüdem began­ gen worden sind. Insbesondere Kapitel 21 gilt als Beweis für die aus heidni­ scher Zeit stammende Verpflichtung zur Blutrache und der damit verbunde­ nen Konnotationen (Zurückführung der Gilden auf germanische Ursprünge, Alter der hier konkret behandelten Gilde). Doch so eindeutig, wie manche Forscher diese Stelle interpretieren,13 stellt sich die Sachlage nicht dar. Der entsprechende Abschnitt des Statuts lautet: „Wenn einer von unseren Gilde­ brüdern ermordet wird, soll der ihn rächen, der zugegen ist, und von jedem Gildebruder einen , 0rtug‘, von den Erben aber drei Mark erhalten. Wenn er ihn aber nicht rächt, da ist er aus der Gilde heraus und gilt als eidbrüchig, ausgenommen er kann darauf schwören, daß er nicht wußte, daß jener sein Gildebruder war.“14 Zur Rache angehalten ist also nur derjenige, der unmit­ telbar den Mord miterlebt; selbst das aber nur in dem Fall, daß ihm bekannt ist, es handele sich bei der ermordeten Person um einen Gildebruder. Von einer allgemeinen Blutrachepflicht kann demnach gar keine Rede sein. Wie vorsichtig die Forderung nach Vergeltung formuliert ist, belegt ebenso Kapi8 Storm , Gildeskraa S. 217 f.

K n u d s e n , Art. „Frostating“, in: KLNM 4, Sp.654ff., Sp.654. 10 Im Glossar zur Edition der norwegischen mittelalterlichen Gesetze (Norges gamle Love) wird der Ausdruck innan fixrd a r in dieser Bedeutung übersetzt, vgl. NgL 5, S. 196: „sserskilt om bygdeme tilhörende de otte thronderske, indenfjords liggende fylker“. 11 Storm , Gildeskraa S.218: kest skal kafita tilannarsgillda. 12 Ebd., S.219: En efmadr er kxim a um sumar ok f x r xig i tilgilldis. 13 Vgl. dazu die Angaben bei M üller-B oysen, Kaufmannsschutz S. 68 ff. 14 Storm , Gildeskraa S. 219 f., Kapitel 21: En efgilldi var vxrd r vegen sa skal hemfiia hans er

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hia er staddr ok kafita xrtog afgillda kvxrium en iij m xrkr a f erfingia En efhann kefniz xig i j>a er kann orgilldi ok mxinsvare nema kann svxri fess at kann vissi x ig i at kann vargilldi kans. 85

tel 22 (zu dem inhaltlich Kapitel 23 hinzugehört). Dort heißt es: „Wenn ein Mann einen unserer Gildebrüder schlägt oder verletzt, soll man dies rächen, wenn man es kann.“15 Auch hier ist also eine sehr weitgehende Einschrän­ kung formuliert, die die Entscheidung zum Handeln jedem Einzelnen über­ läßt. Aus diesen Bestimmungen auf das Alter der Gilde schließen zu wollen, erscheint demnach wenig aussichtsreich. Auch die übrigen erhaltenen Be­ stimmungen geben keine weiteren konkreten Hinweise auf das mögliche Al­ ter der Gilde. Die Kapitel 10 bis 19 enthalten eine ganze Reihe von Vor­ schriften, wann Seelenmessen abzuhalten sind, in welcher Form der verstor­ benen Gildebrüder zu gedenken ist und wie sich die Gildebrüder beim feier­ lichen Trinken zu Ehren Marias, des heiligen Peter, des heiligen Olav und zu Ehren aller Heiligen zu verhalten haben.16 Die vom christlichen Zeremo­ niell bestimmten Vorschriften können demnach - wie Storm bereits formu­ lierte - ebensogut aus dem 12. wie aus dem 13. Jahrhundert stammen.17 Auffallend an diesem Fragment ist allerdings, daß durchgängig von Gildebrüdem oder von Männern gesprochen wird. Frauen kommen hier explizit nur als Bedienungspersonal1während des Erbschaftsbieres vor. Lediglich in Kapitel 8 und 9, in denen von „Gästen“ (gester) - wohl beim Gildemahl - die Rede ist, könnten auch Frauen mit gemeint sein. Sonst lassen in den erhalte­ nen Teilen des Statuts keine weiteren Formulierungen auf die Beteiligung von Frauen an Veranstaltungen oder Handlungen der Gilde schließen. Da einzelne Bereiche sehr ausführlich geregelt sind - so etwa in Kapitel 10 die „Gebühren“, die für die Teilnahme eines Kindes am Gildemahl zu entrichten sind -, darf vermutet werden, daß das Statut deutlich umfangreicher war als es das erhaltene Fragment suggeriert. Auch das bereits zitierte Kapitel 21 läßt darauf schließen, denn der Hinweis, ein Gildebruder könne als „eidbrü­ chig“ gelten, setzt voraus, daß alle Gildemitglieder einen Eid geleistet haben, der eigentlich in den davor befindlichen Bestimmungen hätte erwähnt wer­ den müssen. Gleichzeitig ist aber mit diesem Hinweis auf ein mögliches eid-13 13 Ebd. S. 220, Kapitel 22: /En e f madr lystrgillda vam xd a sxrer p a skal hemfna efm a. Kapi­ tel 23 zufolge ist für die Gildemitglieder der Umgang und Kontakt zu dem Täter solange unter­ sagt, bis dieser der Gilde gegenüber eine Bußzahlung geleistet und sich mit dem geschädigten Gildemitglied wieder „versöhnt“ hat; vgl. ebd. Kapitel 23: En mergilldar skulum x i x ta ne drekka med p xim manne adr en han hafue bott gillda varom fiillrette en oss x ij anra.

Allgemein zu den im mittelalterlichen Norwegen üblichen Trinkgewohnheiten und den dabei benutzten Gefäßen vgl. Gj^ rder, Norske drikkekar. Gjaerder behandelt auch die Verän­ derungen, die sich im Trinkverhalten durch die Christianisierung des Landes ergaben. Auf die spezifischen identitätsstiftenden Aspekte eines gemeinsamen Essens und Trinken geht er jedoch nicht ein, obwohl Gjaerder auch vereinzelt auf die norwegischen Gildestatuten verweist, vgl. ebd. S. 64, 73 u. 84. Vgl. das bereits oben S. 87 in Anmerkung 6 wiedergegebene Zitat. 86

brüchiges Verhalten von Mitgliedern auch belegt, daß es sich tatsächlich um das Statut einer ,Gilde' im Sinne des Forschungsbegriffs, also um eine Schwureinung handelt. Dies gilt ebenso für das zweite erhaltene Statut, das sogenannte Bartholinsche Statut1819einer Gilde im ,Gulatingslag‘ly aus der Zeit kurz vor oder um 1300. Auch hier ist eine genaue geographische Zuordnung nicht möglich, „aber sprachliche und innere Kriterien deuten auf die Küste Sunnhordlands hin“.20 Diese von der Forschung schon früh formulierte These ist allgemein akzeptiert21 und hat zum Teil dazu geführt, die in diesem Statut dargestellte Gilde mit einer anderen gleichzusetzen, deren Statut von 1394 stammt, als ,Onarheimsstatut‘ bezeichnet wird, und auf Tysnesoy in Sunnhordland an­ sässig war. Nach einer von Oscar Albert Johnsen sehr ausführlich dargeleg­ ten Argumentation kommt dieser zu dem Schluß, daß auf einem vergleichs­ weise kleinen geographischen Raum keine zwei so große und exklusive Gil­ den hätten bestehen können. Er hielt daher das Bartholinsche Statut für den früheren und das Onarheimsstatut für einen späteren Beleg ein und dersel­ ben Gilde.22 Die Datierung des dritten Statuts - 1394 - darf nicht als Entste­ hungszeit der Gilde, sondern lediglich als Datum für eine Redaktion des Statuts angesehen werden. Bereits Alexander Bugge hatte darauf verwiesen, 18 Die Bezeichnung rührt aus der „Bartholinschen Sammlung“ in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen her. Eine Originalhandschrift hat sich nicht erhalten, lediglich die in dieser Samm­ lung befindliche Abschrift, die dem Statut den Namen gab; die Abschrift wird in der Forschung unstrittig als korrekt angesehen. 19 Auch das „Gulating war eines der vier großen mittelalterlichen“ Gesetzesthinge in Norwe­ gen, das als Geltungsbereich das sogenannte „Vestland“ (Westnorwegen, das heißt das küsten­ nahe Gebiet westlich der Wasserscheide im südlichen Norwegen) umfaßte. Vgl. dazu K nudsen, Art. „Gulating“, in: KLNM 5, Sp. 556-559, das Zitat Sp.556: „Gulating var det av de fire störe middelalderlige no. lagting som omfattet det vestlandske rettsomrade.“ Zum im Gulating gelten­ den Recht vgl. ders., Art. „Gulatingsloven“, in: ebd. Sp. 559-565. 20 Blom , Ursprung S. 6. 21 Es gab allerdings auch immer wieder Forscher, die der Ansicht waren, es handele sich um eine städtische Gilde. Vor allem P appenheim , Schutzgildestatut S. 74 f. u. passim hat diese These vehement vertreten. Ebenso vertrat auch M aurer in seiner Rezension des Pappenheimschen Bu­ ches (in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, N. F. 12 [1889] S.213-222, S.216) diese Auffassung und hielt Bergen als Sitz der Gilde für möglich. Doch ist diese These ebenso zurückgewiesen worden wie die Vermutung, die durch das Bartho­ linsche Statut repräsentierte Gilde sei in Hardanger, möglicherweise in Kinsarvik ansässig. Diese Ansicht hatte N ielsen, St. Catharinas og St. Dorotheas Gilde S.2 vertreten, wobei er lediglich eine nicht belegte Behauptung von Lange , Klostres Historie S. 263 übernahm. 22 J ohnsen, Tre gildeskraaer S. 7 ff. Dennoch hat die Forschung die von Johnsen vertretene Ansicht nicht übernommen. Allgemein wird von drei unterschiedlichen Gilden ausgegangen. Vgl. neben den Arbeiten von Grethe Authen Blom auch den norwegischen Beitrag von Seip , Ar­ tikel „Gildeskrä“, in: KLNM 5, Sp. 320 f. 87

daß diese Gilde durch ein Siegel von 1344 belegt sei. Die Verwendung des Gildesiegels in jenem Jahr im Zusammenhang mit der Huldigung des noch minderjährigen König Häkon Magnusson bezeugt die nicht unerhebliche Bedeutung, die die Gilde besessen haben muß.2' Die erhaltene Handschrift dieses jüngsten Statuts - die beiden anderen Statuten sind nur in Abschriften überliefert - ist von drei unterschiedlichen Schreibern verfaßt. Der Hauptteil der Handschrift ist wohl tatsächlich auf 1394 zu datieren, doch existieren Zusätze von - der Handschrift nach zu urteilen - etwa 1500.2324 Unabhängig vom tatsächlichen Alter der Gilde muß das Statut - der Datierung in der Handschrift folgend - Verhältnisse des ausgehenden 14. Jahrhunderts wi­ derspiegeln. Somit kann tendenziell zumindest anhand der Statuten eine Entwicklung der norwegischen Gilden von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis um 1400 nachvollzogen werden. Allen drei Gilden gemeinsam ist die weite geographi­ sche Ausdehnung, die sich in den Bestimmungen ablesen läßt. Schon das schließt die Vermutung aus, es könne sich bei einer von ihnen um eine rein städtische Gilde handeln. Eher sind sie als „Zentralgilden“25 zu bezeichnen, die ein größeres Gebiet abdecken, ohne daß damit regelmäßige oder auch kurzfristig einberufene Versammlungen verhindert würden. Im Gegenteil, das unabhängig vom jährlichen Gildemahl mögliche Einberufen einer „au­ ßerordentlichen Versammlung“ ist im Bartholinschen Statut, Paragraph 17, ausdrücklich geregelt. „Eine Gildeversammlung sollen wir haben, so oft wir es wollen und es sollen alle anwesend sein, wer auch immer die Versammlung einberufen hat.“26 Anschaulicher kann die Gleichstellung aller Mitglieder kaum ausgedrückt werden. Jedes einzelne Mitglied - nach Paragraph 8 die­ ses Statuts zu urteilen wird die „Vollmitgliedschaft“ mit 15 Jahren möglich, denn dies ist das Mindestalter für das Ablegen des Gildeeids27 - hat die Möglichkeit, eine Gildeversammlung einzuberufen, unabhängig davon, wel­ che Position diese Person innerhalb wie außerhalb der Gilde besitzt. Die in der Pluralform verwendete Formulierung dieses Paragraphen (ver - „wir“) läßt den Schluß zu, daß auch weibliche Mitglieder dieses Recht besitzen, 23 Dazu ausführlich unten S. 115 f. 24 Vgl. die Angaben bei P appenheim, Schutzgildestatut S. 160 und auch Seif, Art. „Gildeskrl“ Sp. 321. Dieser Begriff bereits bei Blom, Ursprung S. 12, den Blom allerdings ausschließlich auf die aus dem Trendelag stammende Gilde bezieht. NgL 5, S. 9: Gildastefim skoht ver hava iafnnan er ver vilium hver er til kallar ok vera har aller.

Ebd., S. 8: Maper skall hava son sin i gildi til pess er han er xij vetra gamall pa skall han kaupa hus ok ganga i gildi ok eigi eip vinna jyrri en han e rxv vetra. 88

denn an einigen Stellen ist ausdrücklich von „Gildegeschwistem“ und nicht lediglich von „Gildebrüdem“ die Rede. Außerdem sind Frauen bei dem jähr­ lichen Gildefest zugegen, denn die für die Teilnahme am Gildefest abzuliefemden Zahlungen „gelten sowohl für Männer als auch für Frauen“.28 Gegen eine Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb der Gilde spricht al­ lerdings der zweite Satz in Paragraph 17, der bei Fernbleiben von einer Gil­ deversammlung eine Buße vorsieht; lediglich bei zuvor erteilter Erlaubnis zum Fernbleiben (han have löyvi til) entfällt die angedrohte Bußzahlung. Hier ist ausdrücklich in der männlichen Form formuliert. Auch im abschlie­ ßenden Paragraph 46, in dem explizit steht, daß die Gildemitglieder sich das Gesetz, das Recht der Gilde selbst geben und es verändern, ist die männ­ liche Form benutzt. Zwar ist wieder von „wir“ (ver) die Rede, aber der Be­ griff gildamer (also gildari als Bezeichnung für das Mitglied einer Gilde) ist eindeutig männlichen Geschlechts.29 Doch selbst wenn tatsächlich nur die männlichen Mitglieder einer Gilde diese Rechte besessen haben sollten, so ist die Egalität zwischen ihnen durch diese (und weitere) Bestimmungen zweifelsfrei belegt und besteht unabhängig von ihrer jeweiligen sozialen Po­ sition außerhalb der Gilde. Auch das Fragment der trondheimischen Gilde behandelt alle Gildemit­ glieder - in den erhaltenen Teilen ist ausschließlich von Männern und Kin­ dern die Rede - gleichberechtigt, was nicht nur Formulierungen wie „wir Gildebrüder“ (Kapitel 23, wergildar) belegen, sondern auch die für alle glei­ chermaßen geltenden Rechte und Pflichten innerhalb der Gilde und beim Gildemahl. Ebenso bringt das jüngste Gildestatut von 1394 durch seine For­ mulierungen zum Ausdruck, daß die außerhalb der Gilde bestehenden so­ zialen Unterschiede für die Gildemitglieder untereinander nicht gelten sol­ len; die Gleichbehandlung aller ist einer der wichtigen Aspekte aller drei Sta­ tuten. Dieses Grundprinzip des Gilderechts wird im Vergleich zu den ande­ ren Gildesatzungen im Onarheimsstatut besonders deutlich. Am eindrucks­ vollsten drückt es Paragraph 25 aus, der lautet: „Ferner falls ein Gildebruder so arm wird, daß er seine Gildeabgabe [skot til gildhis] nicht aufbringen kann, da soll er trotzdem jeden Tag teilhaben, so lange die Gildeversamm­ lung dauert.“30 Die immer wieder anzutreffende und als typisches Merkmal 28 Vgl- § 3 des Bartholinschen Statuts: ... hvart sem er kaii zepa kona ..., entnommen aus

NgL5, S.7.

29 Vgl. F ritzner , Ordbog2, S. 595. ,0 NgL 5, S. 13: Item kan ok nokor gildhi swa fateker werdha ath han gether ey skot til gildhis fyri sik lagth. ta skal han togh i gildheno wera dagligha meden tet Stander P appenheim , Schutzgildestatut S. 165 f. übersetzt beide Male mit „Gelage“, wodurch diese Bestimmung sich ausschließ­ lich auf das jährliche Gildemahl beschränken würde. Dafür besteht jedoch kein Anlaß. In § 2 ist .

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einer Gilde zu bezeichnende Hilfsverpflichtung untereinander bedeutet in der Konsequenz folgerichtig, daß ein verarmtes Gildemitglied weiterhin als gleichwertig betrachtet und behandelt wird. Der Grund für die mögliche Verarmung spielt dabei offensichtlich keine Rolle, sonst - so ist zu vermuten - wären in den entsprechenden Paragraphen Einschränkungen erwähnt.31 Unabhängig vom Reichtum des Einzelnen gilt der durch den Eid geschlos­ sene und bekräftigte Vertrag (pactum) mit den übrigen Mitgliedern der Schwureinung deutlich mehr als das im Leben erlittene Unheil. Das Sozial­ gefüge innerhalb der Gilde bleibt davon unberührt, insofern jedes Mitglied weiterhin als gleichberechtigte Person behandelt wird. Bevor die Bestimmungen, die den Umgang der Mitglieder untereinander genauer regeln, dargestellt und interpretiert werden, sei noch auf die Mit­ gliederstruktur eingegangen, soweit sie sich aus den vorhandenen Quellen ablesen läßt. Schenkt man den Schilderungen Snorris Glauben, so war es König Olav Kyrre, der die Trondheimer Gilde (sowie weitere) gründete.32 Daher darf angenommen werden, daß der König entweder selbst Mitglied in der Gilde war oder sie zumindest gezielt gefördert hat. In einer anderen Saga wird be­ richtet, der Schwiegersohn von König Häkon Häkonson, Herzog Skule, soll um 1240 Verbindungen zur Gilde in Trondheim/Nidaros gehabt haben.33 Diese Angaben deuten auf ein relativ enges Verhältnis zwischen den Gilden einerseits und dem König beziehungsweise der weltlichen Obrigkeit anderer­ seits. Es gibt jedoch auch Hinweise, die eine negative Einstellung seitens des Königs gegenüber den Gilden und dem von ihnen selbst gesetzten Recht deutlich zutage treten lassen.34 In bezug auf die Mitgliederstruktur der Gilausdrücklich eine jährliche Abgabe als „Seelensteuer“ (mala skoth) erwähnt, die jeder zu zahlen habe - unabhängig vom Gildemahl und den dafür zu entrichtenden Abgaben. So spräche für die Interpretation durch Pappenheim lediglich die Tatsache, daß § 25 eingebettet ist in Bestimmun­ gen, die sich offensichtlich auf das jährliche Gildemahl beziehen. Dennoch erscheint die Über­ setzung Pappenheims nicht zwingend, denn altnordisch gild(h)i bezeichnet nicht nur das Gilde­ mahl, sondern eben auch die Versammlung aller Gildemitglieder unabhängig vom jährlichen Kultfest. (Vgl. Fritzner, Ordbog S.595; ebenso Baetke, Wörterbuch 1, S. 196.). Dies ist bei der Hilfsverpflichtung des Bartholinschen Statuts der Fall, wo es in § 29 heißt, daß ein Gildemitglied das Risiko für Viehverlust selbst tragen muß, wenn er auf falliorp (Fall­ erde, pestverseuchter Boden) wohnt (NgL 5, S. 9: E ffa ll komer i bu gilda vars.fellr til iij k m epa

djßeira ver skolum bota honum mele koms hver var gildanna nema han bui a fa ll iorpu pa abyrgist han sialfer). ’2 Snorri, Heimskringla 3, Olav saga Kyrra, Kapitel 2, S.204f.

Dies wird berichtet in der Häkonar saga Häkonarsonar, S. 574. Das Verbot der Gilden in Bergen durch König Erik Magnusson von 1293/94 enthält explizit einen Hinweis auf das Sonderrecht solcher Zusammenschlüsse, das aus Sicht des Königs offen­ sichtlich eine Gefahr darstellte. Zu diesem Komplex ausführlicherweiter unten S. 105 ff. u. 278 ff. 33

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den sind die aus den Sagas stammenden vagen Angaben allerdings unbrauch­ bar; ob sich der König oder Angehörige des Adels - egal zu welchem Zeit­ punkt - den Gilden anschlossen oder sie förderten, ist den Sagas nicht zu entnehmen. Auch die verstreuten Hinweise auf die Nutzung von Gildehäu­ sern als Tagungsort für das jährliche „Lagting“ (Gesetzesthing) in den Städ­ ten,35 die wiederum für enge Beziehungen zwischen der weltlichen Obrigkeit und den Gilden sprechen, erlauben keinen Rückschluß auf die Zusammen­ setzung der Mitglieder. So bleiben lediglich die Statuten, die immerhin An­ haltspunkte auf die Mitgliederstruktur geben können. Auf die geographische Verbreitung der jeweiligen Gilden wurde bereits hingewiesen; damit ist als sicher anzunehmen, daß es sich bei allen drei Gilden um von Bauern domi­ nierte Zusammenschlüsse handelt. Der Besitz von Pferden und Schiffen, der im ältesten Statut wie selbstverständlich bei den Hilfeleistungen untereinan­ der beschrieben ist,36 deutet auf reiche oder - allgemeiner - wohlhabende Bauern, die der Schwureinung angehören. Deswegen muß jedoch nicht zwingend von einer Vereinigung ausgegangen werden, die lediglich der füh­ renden Schicht einer Region offenstand. Die schon zitierte Überzeugung Gustav Storms, wonach das erhaltene Fragment der Miklagilde Trondheims zuzuordnen sei,37 läßt sich nicht stützen. Es wäre in einem solchen Fall wahrscheinlich, daß sich die besonderen Bedingungen innerhalb einer Stadt (mit einer gegenüber den ländlichen Gebieten anders zusammengesetzten Bevölkerung und unterschiedlichen Berufs Struktur) auch auf das Statut aus­ wirkten. Davon läßt sich in den einzelnen Bestimmungen jedoch nichts fin­ den. Wahrscheinlicher ist daher die Annahme, in ihr seien sowohl Stadt- als auch Landbewohner vereinigt gewesen.38 Anhand des erhaltenen Materials kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich um eine rein ländliche Gilde handelte. Die in den Anfangskapiteln des Fragments beschriebene geogra­ 35 So etwa in Magnus Lagaboters Stadtrecht I, § I: En ver skulum logpingi vart xiga a xij manadom huxrium nxsta sunnu dagh x ftir prettanda dagh iola i Mariu gilldi skala i Biorguiin a pingstad rettum (abgedruckt in NgL 2, S. 187); („Und wir sollen unser Gesetzesthing haben alle

zwölf Monate am nächsten Sonntag nach dem dreizehnten Tag des Weihnachtsfestes im Saale der Mariengilde in Bergen auf der rechten Thingstätte“). Vgl. zu der Verbindung zwischen Gil­ defestlichkeiten bzw. -Versammlungen und Thingversammlungen auch die Ausführungen bei Bugge , Tingsteder. Dieser vertritt die These, daß die Versammlungsräumlichkeiten zum einen zentral, d. h. auch in unmittelbarer Nähe zur Kirche, lagen und daß dort sowohl Thing- als auch Gildeversammlungen wechselweise abgehalten wurden. 36 Vg. die bereits oben S. 85 zitierten Kapitel 3 und 4. 37 Vgl. oben S. 84 mit dem in Anmerkung 5 wiedergegebenen Zitat. 38 Diese Ansicht vertritt B lom , Ursprung S. 12: „Denn wie es der Name Miklagilde andeutet, war die Olavsgilde vermutlich eine Zentralgilde, der sowohl Stadt- als auch Landbewohner als Mitglieder angehörten“.

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phische Ausdehnung läßt es aber unwahrscheinlich erscheinen, wenn Ein­ wohner Trondheims nicht die Möglichkeit zu einer Mitgliedschaft gehabt haben sollten. Immerhin war Trondheim nicht nur für die Region die wich­ tigste Stadt, sondern auch Sitz des Erzbischofs und Krönungsort der norwe­ gischen Könige; die Gebeine des heiligen Olav befanden sich dort und Trondheim war eine von insgesamt nur vier größeren Städten des gesamten Reiches. Deutlich differenzierter sind die Angaben im Bartholinschen Statut. Be­ sonders die Paragraphen 25 bis 30 deuten auf eine sehr gemischte Mitglie­ derstruktur. In diesen Abschnitten werden die Unterstützungsleistungen, zu denen die Mitglieder in Unglücksfällen verpflichtet sind, geregelt. Viehbesitz und Kornspeicher werden dabei ebenso erwähnt wie alle üblichen Gebäude, also prinzipiell das gesamte Gehöft. Besonders interessant ist Paragraph 30, der von „Kaufleuten, die Mitglieder in unserer Gilde sind“, spricht.39 An­ scheinend handelte es sich nicht nur um Kaufleute, die Femhandel betrie­ ben, sondern auch um bäuerliche Händler, die durch diesen Paragraphen in ihrem Risiko weitgehend abgesichert wurden.40 Die Gruppe der Handeltrei­ benden war offensichtlich groß genug, so daß auf ihre - im Vergleich zu an­ deren Mitgliedern - besonderen Bedürfnisse eingegangen werden mußte. Eine so vielschichtig zusammengesetzte Gilde läßt sich für Norwegen sonst nicht nachweisen. Das jüngste überlieferte Statut enthält wiederum nur Andeutungen, die eine Mitgliederstruktur kaum erahnen lassen. Im Zusammenhang mit der Begräbnisregelung für ein verstorbenes Gildemitglied wird bestimmt, daß alle Mitglieder, die im jeweiligen Kirchspiel wohnen, an der Trauerfeier teil­ zunehmen haben.41 Eine solche Formulierung ist nur dann sinnvoll, wenn wiederum von einer weiten geographischen Streuung aller Gildemitglieder ausgegangen wird. Damit darf - wie im ersten Fall - von einer weitgehend bäuerlichen Gilde gesprochen werden, wenn sich auch diesmal keinerlei Be­ stimmungen über ,Versicherungsleistungen‘ im Statut finden. Noch ein wei-*5 Vgl. § 30 des Bartholinschen Statuts: En kaupmen ... gil/aster v ip oss, entnommen aus NgL 5, S.9. Lediglich bei Auslandsfahrten haftet die Gilde für maximal 12 Monate. Ansonsten ist der Grund für den Verlust unerheblich, solange er nicht - modern formuliert - grob fahrlässig her­ beigeführt wurde. Die Kaufleute müssen nämlich dann ihren Schaden selbst tragen, wenn sie in Länder gefahren sind, in denen „Unfrieden“ herrsche ( nema peir fare a ofritt land\ zitiert nach NgL 5, S. 9). Zum Phänomen des „Bauemkaufmanns“ vgl. den Art. „Bondeseglation“, in: KLNM 2, Sp. 104-116, hier besonders den Beitrag für Norwegen von Brattegard, ebd. Sp. 113-116. NgL 5, S. 12, § 21: Item tha som nokor dör a f gildeno tha skolo brödher ok syster kommet til liksengs som i sakn bor ...

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terer Paragraph kann zur vagen Bestimmung der Mitgliederstruktur heran­ gezogen werden. In Paragraph 17 heißt es: „Ferner soll jeder Gildebruder den anderen helfen und ihnen zu Recht und Gesetz im Inland wie im Aus­ land verhelfen.“42 Auch eine solche Formulierung erscheint nur dann als sinnvoll, wenn mit entsprechenden Vorkommnissen gerechnet werden muß. Das heißt, die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit für Auslandsreisen von Gildemitgliedem - unabhängig vom jeweils vorhandenen Grund - muß be­ standen haben. Da im Statut keine Konkretisierung der möglichen Auslands­ aufenthalte von Gildemitgliedem gegeben wird, muß nicht zwangsläufig an Femkaufleute gedacht sein; es kann sich ebenso gut um Pilgerfahrten oder Handelsreisen von Bauemkaufleuten handeln. Oscar Albert Johnsen aller­ dings sah - bei der Annahme, das Bartholinsche Statut und das Statut der Gilde von Onarheim stammten von ein und derselben Gilde - den Grund für das Verschwinden so vieler „Sonderbestimmungen“ in der verheerenden Auswirkung der Pest. Nach der Pest hätten die norwegischen Uberseefahr­ ten drastisch abgenommen, so daß besondere Paragraphen für Kaufleute nicht mehr notwendig gewesen seien.43 Dagegen ist berechtigt eingewendet worden, daß zumindest „die Fahrten nach den steuerpflichtigen Ländern, besonders die Reisen nach Island, weiter“ fortgesetzt wurden.44 Die grund­ sätzliche Richtigkeit eines solchen Einwandes - und damit auch die Notwen­ digkeit, den Beistand der Gildemitglieder im Ausland festzuschreiben - wird gestützt durch ein Privileg des Bischofs Olav von Holar, ausgestellt am 28. Dezember 1482 im isländischen Torsnes. Darin wird dem Altermann der - sonst nicht weiter belegbaren - St. Nikolausgilde von 0ystese (am Hardangerfjord) bescheinigt, daß allen Gildemitgliedern vierzig Tage Ablaß ge­ währt wird.43 Entscheidend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß sich drei Gildemitglieder zur Jahreswende auf Island aufhielten, das heißt, es dürfte sich um überwinternde Islandfahrer gehandelt haben. Wenn solche Fahrten aber nichts Ungewöhnliches waren, dann ist verständlich, warum der Paragraph 17 von der Unterstützungspflicht im In- wie im Ausland spricht. Demnach kann auch bei dieser Gilde von einer heterogenen Mitglie­ derstruktur ausgegangen werden. Auf einzelne Bestimmungen, die das Leben innerhalb der Gilde und den Umgang der Gildemitglieder untereinander behandeln, ist bereits hingewie­ 42 Ebd. § 17: Item skal hwar gildhis broder hxlpa ok styrkia hwar androm til Ugz ok rettha innan Uns ok wtan. 42 Vgl. J ohnsen , Tre Gildeskraaer S. 15. Da nicht davon ausgegangen werden kann, daß die

beiden Statuten zur selben Gilde gehören, ist die Argumentation schon aus diesem Grunde zwei­ felhaft. 44 B lom , Ursprung S. 10. 43 DN 8, Nr. 410. 93

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sen worden. Im folgenden soll dieser Bereich systematisch untersucht wer­ den. Selbst wenn - wie in dem ältesten Statut - ausschließlich von männli­ chen Mitgliedern der Gilde gesprochen wird, so sind Frauen doch nicht völ­ lig ausgeschlossen, und gleichzeitig sind vergleichsweise detaillierte Regelun­ gen getroffen worden, unter welchen Bedingungen Kinder am Gildemahl teilnehmen durften. Im Kapitel 10 des Fragments sind die Abgaben für jedes teilnehmende Kind je nach Alter genau festgelegt. Ab dem Alter von drei Jahren mußten Zahlungen geleistet werden, die sich dann jährlich erhöhten, bis bei einem Siebenjährigen die Hälfte dessen zu zahlen war, was von einem Erwachsenen verlangt wurde. Im Alter zwischen 12 und 15 Jahren mußte für die Teilnahme zwei Drittel des Normalpreises entrichtet werden. Daraus folgt, daß ab einem Alter von 15 Jahren eine eigenständige Mitgliedschaft möglich war.46 Gleichzeitig läßt sich diesem Paragraphen entnehmen, daß die Teilnahme von Kindern unter drei Jahren kostenlos war. Eine solche Si­ tuation ist ohne Beteiligung der Mutter aber nur schwer vorstellbar. Explizit erwähnt werden Frauen allerdings lediglich in Kapitel 17: „Die Bewirtungs­ frauen [ Giasrdar konor] sollen die Gedächtnisbecher [ minni kixr] und eine Erbschaftskerze hereintragen.“4' Dies könnte sehr eng ausgelegt werden im Sinne einer ausschließlich dienenden Funktion einiger weniger ausgesuchter Frauen. Eine solche Interpretation setzt voraus, daß es sich beim Gildemahl um eine so ,heilige“ Angelegenheit handelte, daß lediglich ein ausgesuchter Personenkreis teilhaben durfte. Dagegen spricht - allein aus dem Fragment entnommen - zweierlei: Zum einen waren zum Gildemahl ganz offensicht­ lich Gäste zugelassen, solange sie ausreichend Malz für die Teilnahme ent­ richteten.48 Gleichzeitig war, wie erwähnt, die Teilnahme von Kleinkindern offenbar üblich - aber ohne Beteiligung von Frauen praktisch kaum durch­ 46 Das würde mit dem Bartholinschen Statut korrespondieren, das in § 8 zwar ein „Eintreten in die Gilde“ (... ganga igildi ...) mit 12 Jahren erlaubt, doch das Schwören des Gildeeides erst mit 15 Jahren zuläßt (... eigi eip vinna Jyrri en han er x v vetra; zitiert nach NgL 5, S. 8). Das Original im Fragment lautet: Sua er ok m xlt e f maör hefiiir bamn p revxttr tilgilldisgrxidi iijpen-

ninga en sidan ijfirir v x tr h uxm n tili pess er p et er vij vxttra en sidan skiote holfit skote til pess er p x t er xij vxttra en sidan tvxim lutum til dess er ä x t er x v vxttra , zitiert nach Storm , Gildeskraa

5.219.

Gixrdar konor skulu minni k ix r bera ok xrfslu k ixrti x it, zitiert nach Storm , Gildeskraa 5.219. Vgl. die entsprechenden Bestimmungen der Kapitel 8 und 9 (Storm , Gildeskraa S.219), wonach auch vorgeschrieben ist, daß eine Person nur einmal als Gast teilnehmen darf, es sei denn, sie will Mitglied der Gilde werden. Eine solche Bestimmung könnte auf einen längeren Prozeß der Aufnahme schließen lassen; denn warum soll es notwendig sein, auch nach der Er­ klärung, Mitglied werden zu wollen, lediglich als Gast teilnehmen zu dürfen. Genaueres läßt sich jedoch anhand des erhaltenen Fragments nicht klären. 94

führbar. Darüberhinaus ist das Hineintragen der Trinkgefäße und Kerzen in den Gildesaal - wenn das Gildemahl tatsächlich eine so feierliche Angele­ genheit gewesen sein sollte - eher eine Aufgabe, die den ebenfalls erwähnten „Bewirtungsmännem“ (gixrdar menn) zugestanden hätte. Es darf demnach vermutet werden, daß Frauen ganz allgemein am Gildemahl teilgenommen haben. Lediglich eine eigenständige Mitgliedschaft, die auch das Ablegen des Gildeeids mit einschloß, läßt sich anhand des Fragments nicht nachweisen; sie ist aber auch nicht wirklich auszuschließen, da in ihrem Umfang un­ bekannte Teile des Statuts verloren gegangen sind. Auf eine nicht wirklich vollkommene Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb der Gilde weisen ebenso zahlreiche Formulierungen im Bartholinschen Statut. Bereits bei der ersten Erwähnung möglicher Unstim­ migkeiten innerhalb der Gilde - entzündet an der Qualität des für das Gilde­ mahl abzuliefernden Malzes - sind es ausschließlich die Gildebrüder, die den Fall schlichten und entscheiden sollen. Dies, obwohl nach Paragraph 3 ausdrücklich die Menge der für die jährliche Gildeversammlung zu bezah­ lenden Abgaben (Naturalien in Form von Malz, Wachs4950sowie zusätzlich ein als „Trog“ bezeichnetes Gefäß) von Frauen und Männern in gleicher Hö­ he zu entrichten waren.30 Ein weiterer deutlicher Hinweis auf die unter­ schiedliche Stellung von Männern und Frauen bilden die Paragraphen 10 und 11. Heißt es im erstgenannten „Wir Gildebrüder sollen jeden Sommer alle hiersein ...“,51 so formuliert Paragraph 11 ganz anders, wenn es heißt, „daß die Frauen selbst die Teilnahme am Gildemahl beschließen sollen“.52 Solche Formulierungen, die in „Gildebrüder“ und in „Frauen“ unterteilen, scheinen eine eigenständige Vollmitgliedschaft von Frauen auszuschließen, zumal ihnen die Teilnahme am Gildemahl freigestellt wird. Eine freie, indi­ viduelle Entscheidung über die Teilnahme an der jährlichen Gildeversamm­ lung läßt sich mit dem Gildeeid und den dadurch eingegangenen Verpflich­ tungen jedoch keinesfalls vereinbaren. Immer wieder ist ausdrücklich die männliche Form gewählt, wenn von Verhaltensnormen oder potentiellen Neumitgliedem gesprochen wird.53 49 Vgl. allgemein zur Bedeutung von Wachs im Mittelalter Warnke, Handel mit Wachs. Neuerdings auch die auf schwedischem Quellenmaterial aufbauende Arbeit von H usberg, H onung, der bei der liturgischen Verwendung von Wachs allerdings ausschließlich den Gebrauch in den Kirchen im Blick hat. 50 Bei der Beschreibung der Abgabenhöhe heißt es zusätzlich in 5 3: „Dies gilt sowohl für Mann als auch für Frau“ ( Hvart sem erka rlxp a kona , zitiert nach NgL 5, S. 8). 51 § 10: Ver skolum allergildar her vera hvert sumar, zitiert nach NgL 5, S. 8. 52 Ebd. § 1 1 ;... at konor skolu rapa/or sinni tilgildis. 53 Die Paragraphen 13 und 14 (NgL 5, S. 8) formulieren eindeutig „ein Mann bzw. „die Männer“ {m apr/peir menn), die Mitglieder werden wollen. Auch in § 20 (ebd. S.9) ist nur von 95

Auch dies spricht gegen eine gleichberechtigte Mitgliedschaft von Frauen. Demgegenüber enthält Paragraph 34 Formulierungen, die auf Frauen als ei­ genständige Angehörige der Schwureinung schließen lassen. Dort wird bei der Regelung, was beim Tod eines Gildemitglieds zu tun ist, außer von „Gildebrüdem“ (gilbrxpra) auch von „Gildegeschwistem“ {gilsydskinanne) und „Gildeschwestem“ (gilsystur) gesprochen. Bei der in den übrigen Paragra­ phen des Statuts üblichen Unterscheidung in männliche Gildemitglieder und Frauen können die in Paragraph 34 gewählten Formulierungen nicht als Ver­ sehen gewertet, sondern müssen als bewußt gewählte Ausdrücke verstanden werden. Damit ergibt sich bei dem Versuch, die tatsächlichen Verhältnisse möglichst genau zu rekonstruieren, die Schwierigkeit, wie dieser Textteil zu verstehen ist. Einerseits sind Frauen in den norwegischen Gilden zweifelsfrei belegt auch durch das Bartholinsche Statut.54 Fraglich und strittig ist andererseits die Rolle und die Position, die Frauen innerhalb der Gilden einnehmen konnten. Nicht nur in der früheren Forschung, sondern noch heute wird die Mitgliedschaft von Frauen entweder grundsätzlich geleugnet oder als späte­ rer Einfluß der christlichen Kirche gedeutet.55 Beides kann zweifelsfrei aus­ geschlossen werden.56 So bleibt bei der Verwendung der Begriffe „Gilde­ schwester“ und „Gildegeschwister“ nur die Annahme einer gleichberechtig­ ten Mitgliedschaft, die auch die Ablegung des Gildeeides durch Frauen ein­ schließt. Abgesehen von der grundsätzlich unterschiedlichen Rolle von Mann und Frau in der Gesellschaft, die im Statut etwa abzulesen ist an den Männern die Rede, die Bier verschütten { E f mapr slser niper mangate ...) . Ebenso § 22 (ebd.) „Wenn ein Mann sitzen bleibt...“ {En e f nokor mapr sitr ...) . Diese Aufzählung ließe sich fort­ setzen. Vgl. etwa §§ 18,2 t, 23, 32-33, 35-40, 45-46 (ebd. S. 9 f.), wobei die Paragraphen, in de­ nen Hilfsleistungen bei Hausbrand, Viehverlust usw. geregelt sind, nicht berücksichtigt wurden. 51 Belegt sind weibliche Gildemitglieder auch durch das bereits erwähnte Privileg des Bi­ schofs Olav von Holar, in dem ausdrücklich von „Brüdern und Schwestern der genannten Gil­ de gesprochen wird (DN 8, N r.410:... brxdntm ok systrum i nefndu gilldi ...). 55 Erinnert sei an die bereits erwähnte Diskussion um die „Sigdal-Liste“, bei der Oie Jorgen Benedictow die Mitgliedschaft von Frauen in Gilden ausgeschlossen hatte (vgl. Benhdicto't, Den störe manndauen S. 12). In der älteren Forschung - bezogen auf skandinavische Gilden vgl. P appenheim, Schutzgildestatut, passim, der die Mitgliedschaft von Frauen als Einfluß der Kirche interpretiert Gegen die Vermutung, die Mitgliedschaft von Frauen sei auf Einfluß der christlichen Kir­ che zurückzuführen, hat bereits O exle, Gilden als soziale Gruppen S. 321 f., 331 u. 337 über­ zeugende Argumente vorgebracht. Angesichts des von der Kirche vertretenen Frauenbildes er­ scheint es auch für Skandinavien äußerst unwahrscheinlich, daß durch christliche Einflüsse die Gilden für Frauen zugänglich wurden. Zumindest die Teilnahme am Gildemahl muß - soweit die Quellen Aussagen darüber erlauben - von Beginn an selbstverständlich gewesen sein. 96

nur den Männern zugestandenen Besitzverhältnissen, dem nur ihnen zu­ kommenden Tragen von Waffen und weiteren Unterschieden,57 wäre mit dem Paragraph 34 des Bartholinschen Statuts eine unterschiedslose Gleich­ behandlung gefordert und festgesetzt. Wichtiger als die Frage der Ge­ schlechtszugehörigkeit wäre demnach ganz offensichtlich die durch das Ab­ legen des Eides begründete Zugehörigkeit zur Gilde. Träfe eine solche An­ nahme zu, bliebe dennoch zu klären, wieso es Paragraph 11 des Bartholin­ schen Statuts den Frauen freistellt, am Gildemahl teilzunehmen. Hier wäre denkbar, daß die Angehörigen eines männlichen Gildemitglieds gemeint sind, die zwar den Gildemitgliedem nicht gleichgestellt sein können, aber auch mehr als lediglich ,Gaststatuts1besitzen. So willkommen eine solche In­ terpretation erscheint - sie läßt sich nicht nur nicht belegen, es bleiben auch weiterhin Widersprüche. Wenn einerseits die eigenständige Vollmitglied­ schaft von Frauen für möglich gehalten wird, stehen dem die Paragraphen 9 und 10 entgegen, die eindeutig männliche Gildemitglieder meinen. Dabei muß es dann offen bleiben, wieso nicht auch an dieser Stelle von „Gildegeschwistem“ die Rede ist. Gegenüber dem Fragment aus dem Trondheimischen ist aber dem Bartho­ linschen Statut zweifelsfrei zu entnehmen, daß Frauen eine bedeutendere Rolle innerhalb der Gilde innehatten. Das Statut aus Onarheim schließlich formuliert gleich zu Anfang ganz eindeutig, daß „alle die, die in die St. Olavsgilde eintreten möchten, ob Mann oder Frau, im ersten Jahr ein halbes Wert Malz und zwei Mark Wachs bezahlen“ müssen.58 Daß damit tatsäch­ lich eine gleichberechtigte Vollmitgliedschaft gemeint ist, wird durch die weiteren Paragraphen des Statuts durchgängig belegt.59 Immer wieder ist ausdrücklich von Männern und Frauen, von Gildebrüdem und Gildeschwe­ stern die Rede. Das bezieht sich diesmal auch explizit auf die Teilnahme an der Gildeversammlung, die in Paragraph 29 sowohl für Männer als auch für 57 Zu nennen ist hier etwa die in 5 31 (NgL 5, S. 10) beschriebene Gefahr von Kriegsgefangenschaft. 58 Gildestatut von Onarheim, § 1:. .. ath aller the som i sancti Olafs gildhi w ilia in gongha skulo gyw a i fyrsta areth karlm an ok kona halw a w eth m alltz ok tw a mark w a x zitiert nach NgL 5, S. 11. 59 Lediglich die Paragraphen 3 und 26 bilden eine Ausnahme. § 3 (NgL 5, S. 11) besagt, daß die Gildebrüder über die Dauer der Festlichkeiten bestimmen. In § 26 (ebd. S. 13) ist ursprüng­ lich eine von den Gildebrüdern am zweiten St. Olavstag abzuhaltende Mahlzeit genannt, zu der auch gesondert Abgaben zu leisten sind. Dieser Paragraph ist jedoch von der jüngsten Hand durchgestrichen und mit dem Vermerk non est Opus versehen worden. Stattdessen wurde hinzu­ gefügt: „Ferner, wer nicht zum Abendgesang oder zur Messe kommt, büße einen Pfennig für jedes versäumte Mal, ob Mann oder Frau.“ ( Item hw ilka n som ey kom er til affinsang eller messe bote jp e n n in g fo r hw erie tid h a n forsom er m an eller quinnae , zitiert nach NgL 5, S. 13). >

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Frauen verpflichtend vorgeschrieben ist.0’' Die Gleichstellung bezieht sich auf die einzuhaltenden Vorschriften ebenso wie auf die Flöhe der gegebe­ nenfalls zu entrichtenden Bußzahlungen.6061 Gleichzeitig sind die Vorschriften für die Umgangsformen untereinander so formuliert, daß das beschriebene Fehlverhalten sowohl Frauen als auch Männern zugetraut wird. So heißt es etwa in Paragraph 15, daß „ein Bruder oder eine Schwester, die einen Gildebruder oder eine Gildeschwester be­ schimpfen, so viel an Buße bezahlen wie der Ältermann und sechs andere mit ihm nach der Beschaffenheit des Vorfalls für angemessen halten“.62 Die sich darin ausdrückende Mahnung und Verpflichtung zu einem respektvollen Umgang miteinander wird noch drastisch ausgeweitet durch Paragraph 20 desselben Gildestatuts. Wenn nämlich - so heißt es dort - „ein Bruder oder eine Schwester eine andere Person in der Gilde an Leib oder Leben bedroht, was Gott verbietet“, dann müsse sich ein solches Gildemitglied nach dem Urteil des „Ältermannes und guter Männer Rat“ mit der geschädigten Per­ son vergleichen;63 wer sich dem Urteil durch die Gilde nicht unterwerfe, der „hat sich von der Gilde losgesagt“.64 Offensichtlich sollten demnach Streitig­ keiten möglichst frühzeitig beigelegt werden. Falls dies nicht gelang und der Streit zu eskalieren begann, so besaß die Gilde durch die eigene Gerichtsbar­ keit immer noch ausreichend Möglichkeiten, die beteiligten Personen für ihr Vergehen zu belangen. Gleichzeitig aber wurde für den Fall von härteren, körperlichen Auseinandersetzungen an das christlich-göttliche Gebot des Friedens erinnert. Die angedrohten Sanktionen reichten bei Nichtachtung des von der Gilde - repräsentiert durch den „Ältermann und gute Män­ 60 Ebd. J 29: „Ferner jeder, der es unterläßt zur Gilde zu kommen ... soll einen englischen Schilling zahlen, Mann und Frau, ausgenommen bei einer wirklichen Verhinderung.“ (Item hwttr ey kom m er til gildhis ... forfallalaust luke skillingh engilskan k .v l! ok k o n a , zitiert nach NgL 5, S. 13). 61 Da in diesem Statut keine ,Versicherungsleistungen‘ festgeschrieben sind, können in dieser Hinsicht auch keine Unterschiede auftreten. 62 § 15: Item brodher eller systher som talar nokrom sinom gildhbroder eller gyldsyster illa til i tesso gildhe geldhe wppa gildstefiio efther ty som alder man ok andra sex med honom tykker skynsamlictz wara efier malewaxthe, entnommen aus NgL 5, S. 12. Diese Formulierung schließt nicht

aus, daß auch weibliche Gildemitglieder über die Höhe der zu zahlenden Buße mit befinden können. Auf die Einschränkung „unter Vorbehalt allen königlichen Rechts“ sei hier nur hingewie­ sen. Auf sie wird ausführlich zurückzukommen sein. § 20: Item er allom forbodhet i samsxthe brodhra ok systra ath nokor vmseghe annan til lifi eller limme lathe som Gttdhfor biodhe. tha skulo the wm thet maal forlikastz a stefno medh oldhermans radhe ok godhxr manna efther mala waxsth oskoddum ollum kongssens reth en hw xr somfornemzst reth ath standa edher tala tha see han sielfsagdhe afgildeno. , zitiert nach NgL 5, S. 12.

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ner“65 - gesprochenen Rechts von Bußzahlungen bis hin zum Ausschluß aus der Gildegemeinschaft, was in der bäuerlichen Umgebung nicht nur als Stig­ matisierung gewirkt haben dürfte; in einem solchen Fall war die Lebens­ grundlage bedroht, weil bei möglichen Unglücksfällen die durch die Ge­ meinschaft der Gildemitglieder garantierte Absicherung für das ausgesto­ ßene Mitglied nicht mehr gewährt wurde. Bei Ernte- oder Viehverlust war die betroffene Person ebenso auf sich allein gestellt wie bei Krankheit, Hausbrand oder anderen Gefahren. Neben der Bedrohung der materiellen Grundlagen bewirkte der Ausschluß aus einer Gilde gleichzeitig den Wegfall der Unterstützung in religiöser Hinsicht, da die „immaterielle Sicherung“ nicht mehr bestand.66 Für die Gilde war jedoch nicht nur das friedliche Miteinander und die Hilfsverpflichtung zu Lebzeiten von zentraler Bedeutung, sondern das ge­ lebte Ideal einer solchen Gemeinschaft ging über den Tod hinaus. Gleich mehrere Paragraphen (§§ 21-23) beschäftigen sich mit den notwendigen Hilfsleistungen bei Krankheit und Tod, wobei auch hier wieder Bußzahlun­ gen bei Zuwiderhandlungen angedroht werden. Die zu Lebzeiten geschlos­ sene Verbindung untereinander galt nicht nur in Notsituationen, bei feierli­ chen Veranstaltungen und ähnlichem, sondern war selbst mit dem Tod noch nicht aufgehoben.67 Dieser vom christlichen Gedankengut geprägte Teil des Gildelebens schloß teilweise auch Personen ein, die nicht der Gilde angehör­ ten. So war beispielsweise die Almosengabe an Bedürftige für die Dauer der Gildeversammlung nicht nur als zu leistende Verpflichtung zwingend vorge­ schrieben, sondern auch in der Höhe der Leistung festgelegt.68 Neben den Bestimmungen, die bereits entstandene Auseinandersetzungen voraussetzen und zu regeln versuchen, finden sich eine Vielzahl von Para­ graphen, die mahnen, mögliche Gefahren von vornherein auszuschließen.69 Zugleich werden zahlreiche Handlungen während der mehrtägigen Gilde­ versammlung vorgeschrieben, die das Gemeinschaftsgefühl ständig wachhal­ ten und stärken sollen. Erreicht wird dies durch die gemeinsam zu feiernden 65 Diese Formulierung erinnert an die „guten Männer“ in der Umgebung des Königs. Vgl. dazu H e l l e , Konge og gode menn. 66 Vgl. zu diesem Teil des Gildelebens und dem von Sigrid Fröhlich übernommenen Begriff der „immateriellen Sicherung“ unten S. 110. 67 Dieser Aspekt wird ausgedrückt durch die Totenmemoria; vgl. dazu ausführlicherweiter unten, ab S. 108. 68 § 24 bestimmt, daß allabendlich eine „halbe Schüssel“ (h a lf bolle) Bier für die christlichen Seelen ( kristna sala) an „Almosenpersonen“ (alm osi fo lk y ) zu geben sei (Zitate entnommen aus NgL 5, S. 13). 69 So droht beispielsweise § 16 (NgL 5, S. 12) jeder Person, die zuviel trinke, Bußzahlungen an. 99

Messen, das gemeinsame Trinken von „Minnebechem“ (sowohl zu Ehren christlicher Heiliger - besonders des Gildeheiligen - als auch in Erinnerung an verstorbene Gildemitglieder) und das gemeinsame Essen. Im übrigen ist der Gedanke der allgemeinen (christlichen) Gemeinschaft ausgedrückt in Paragraph 17, der dazu aufruft und verpflichtet, daß „jeder Gildebruder den anderen helfen und ihnen zu Recht und Gesetz im Inland wie im Aus­ land verhelfen“ soll.70 Das ältere und umfangreichere Bartholinsche Statut entspricht mit seinen Bestimmungen ebenfalls dem oben skizzierten Bild. Zur Teilnahme an den zahlreichen während der Gildeversammlung stattfindenden Messen - zum Teil mehrmals täglich - waren die Gildemitglieder ebenso verpflichtet wie zum Trinken der „Minnebecher“.71 Auch zu einem friedlichen Ablauf der Gildeversammlung wurden deren Teilnehmer - unter Androhung von Buß­ zahlungen - ermahnt.72 Zu diesem Bereich des gewaltlosen und friedlichen Miteinanderumgehens gehörten in diesem Statut ebenso Paragraphen, die mögliche Auseinandersetzungen erst gar nicht entstehen lassen sollten. So war das Brettspiel ebenso verboten (§ 38) wie das Hinaustragen oder Ver­ schütten von Bier (§§ 16, 20). Auch das Mitbringen von Waffen wurde unter Strafe gestellt (§ 18). Zu einem friedlichen Verlauf der Gildeversammlung sollte die Verlosung der Sitzplätze (§ 37) beitragen, wodurch zugleich die Parität innerhalb der Schwureinung sehr anschaulich dokumentiert wird. Kam es dennoch zu Streitigkeiten, griff die Gildegerichtsbarkeit - diesmal anscheinend in Gestalt aller anwesenden Gildemitglieder - ein, um den Frie­ den wieder herzustellen (§§ 36, 39, 40). Die Ermahnung zu einem friedvollen Umgang aller Gildemitglieder miteinander drückt gleichzeitig die allgemeine Hilfsverpflichtung aus, die in diesem Statut nicht auf Unglücksfälle be­ schränkt ist, sondern in allen Lebensbereichen galt und bei Verweigerung be­ straft wurde.73 All diese Regelungen trugen auf unterschiedliche Weise wiederum zur Schaffung und Manifestierung des Gemeinschaftsgefühls bei. Im Bartholinschen Statut wurde zusätzlich das eigene Sichlossagen von der Gemeinschaft unter Strafe gestellt. „Wenn nun ein Mann unsere Gilde verläßt und ihn keine Notwendigkeit dazu zwingt, sondern er sie verschmäht, da schuldet er 70 § 17, das Original ist bereits wiedergegeben oben S.93 in Anmerkung 42. 71 Vgl. dazu die §§ 22, 23, 41 u. 45 (NgL5, S.9f.). 72 Der erste Teil des § 15 bestimmt ausdrücklich: „Alle Menschen sollen einig sein (Frieden halten) bei der Gilde, weder streiten noch zanken, weder Mann noch Frau.“ (Afen skolu aller satter vera i gildi. eigi pretta ne senna hvarke karll ne kona, zitiert nach NgL 5, S. 8). 73 In § 19 heißt es, daß „keiner der Gildemänner es verweigern soll, seine Ausrüstung zu ver­ leihen ...“ (Engl mapr skallsyniagagna sinnagil/astra manna zitiert nach NgL 5, S. 9).

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uns Gildebriidem drei Monatskosten. Wir sollen dieses Gut einfordem wie offenkundige Schuld. 74 Die Gemeinschaft, die freiwillig eingegangen wur­ de, bedeutete so viel, daß sie nicht nach eigenem Gutdünken aufgekündigt werden durfte. Auch hier ging sie über den Tod hinaus, was die vorgeschrie­ bene Beteiligung aller Gildemitglieder an der Beerdigung eines verstorbenen Gildegenossen (§ 34) beweist. Über eine Beteiligung am Begräbnis eines verstorbenen Gildebruders fin­ det sich in den erhaltenen Teilen des ältesten Gildestatuts nichts. Daß aber auch hier die Gemeinschaft der Schwureinung über den Tod hinausreichte, belegt zweifelsfrei das Kapitel 19, in dem bestimmt wird, daß „für alle ver­ storbenen Gildebrüder“ Seelenmessen gesungen werden sollen/3 Die Unter­ stützungspflicht der Gildemitglieder untereinander war - soweit es das Frag­ ment erkennen läßt - prinzipiell die gleiche wie bei den beiden jüngeren Sta­ tuten/6 Sie erstreckte sich auf das , tägliche Leben1genauso wie auf ,Ausnahmesituationen“. Die Friedenspflicht ist in den erhaltenen Teilen des Statuts lediglich implizit faßbar. Nachdem es in Kapitel 22 heißt, die Verletzung ei­ nes Gildemitglieds durch ein anderes solle gerächt werden, bestimmt das fol­ gende Kapitel, daß die „Gildebrüder erst dann mit dem Täter essen oder trinken“ sollen, wenn dieser „unserem Gildebruder volles Recht gebüßt“ hat.7475677 Im Vergleich zu den jüngeren Statuten drückt sich hier noch ein ande­ res Rechtsverständnis aus, doch es ist bereits erkennbar, daß erst nach Straf­ ableistung durch den Täter ein den Gildenormen gemäßes Zusammensein möglich war. Dabei legen die Normen sehr deutlich fest, wie umfassend der ,brüderliche1 Umgang der Gildemitglieder miteinander gemeint war und schrieben daher auch für jedes Mitglied die Anwesenheit bei allen durchzu­ führenden (Kult-)Handlungen der Gilde vor.78 Somit ist aus diesem Statut das Bestreben abzulesen, eine Gemeinschaft zu schaffen, die eine nur für diese Gruppe geltende Kultur des sozialen Handelns vereinbart und mit die­ sen Normen gleichzeitig eine Vorbildfunktion auf ihre Umgebung ausübt. 74 § 35: Nu e f m a p rfx r orgildi varo ok ganga homim eigi naupsyniar til. vilhart pal a f roekiast hart er sxker v ip oss gildana iij manapa mate. Ver skolum p a tfe soskia sem vita /e., zitiert nach

NgL 5, S.10. 75 Storm , Gildeskraa S.219:... skalsalo messo syn g ia firir sa la llra g illd a . In die gleiche Rich­ tung dürfte Kapitel 18 weisen, wenn es heißt, „eine [Kerze] soll man entzünden ... vor den Männern, die man ehren will“ (... ok tx n d ra v i d . . . p x im tnonnum sem v ild lig g r v id ). 76 Vgl. beispielsweise Kapitel 2-6 (Storm , Gildeskraa S.218). 77 En mer gilldar skulum x i x ta ne drekka meä p x im manne adr en han hafue holt gillda varom f i d l r e t t e . zitiert nach Storm , Gildeskraa S.220. 78 Vgl. Formulierungen der Kapitel 11 und 15, die besagen, daß „alle Mitglieder drinnen (im Gildesaal) sein sollen (En aller menn skulu jn n i vera ..., zitiert nach Storm , Gildeskraa S. 219).

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Zudem darf davon ausgegangen werden, daß das gewillkürte Recht der Schwureinungen Einfluß genommen hat auf die Rechtsentwicklung der sie umgebenden Gesellschaft - auch wenn dies nicht eindeutig belegt werden kann.79 Hinweise, nach denen Gildehäuser immer wieder für den Abschluß von Rechtsgeschäften genutzt wurden, deuten in diese Richtung. Die Räum­ lichkeiten der Gilde(n) wurden für Veranstaltungen genutzt, die nichts mit der Gilde als sozialer Gruppe zu tun hatten. Dies dürfte jedoch in der Regel nicht ohne Beteiligung einzelner Gildemitglieder geschehen sein, so daß schon durch persönliche Beziehungen eine gegenseitige Beeinflussung wahr­ scheinlich war. Außerdem ist zu vermuten, daß die lokalen Repräsentanten des Königs Gildemitglieder waren und damit eine nicht unerhebliche Mitt­ lerfunktion einnahmen.80 1.2 Zu Entwicklung und Bedeutung des Gilderechts An den drei norwegischen Statuten läßt sich bereits eine Entwicklung able­ sen, die ganz offensichtlich auf sich im Laufe des Mittelalters verändernde äußere Rahmenbedingungen schließen läßt. Besonders bei solchen Bestim­ mungen, die eine Form von Racheverpflichtung für die Gildemitglieder bein­ halten, kann die Entwicklung vom ältesten Statut bis zu den Bestimmungen des ,gewillkürten Rechts“ in den jüngeren Gildesatzungen nachvollzogen werden.81 Es ist zu vermuten, daß die soziale Wirklichkeit derer, die die entspre­ chenden Bestimmungen im ältesten Statutenfragment formulierten, kaum Möglichkeiten bot, einen ,geordneten Rechtsweg“ zu beschreiten, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Eine wesentlich weiter entwickelte Form von Rechtssicherheit“ ist an Formulierungen des Bartholinschen Statuts zu er79 Vgl. zu diesem Bereich auch die Ausführungen unten ab S. 282. 8 Grethe Authen Blom hat in ihren Arbeiten immer wieder darauf hingewiesen, daß die obe­ re soziale Schicht einer Region für den König eine notwendige Unterstützung in der Verwaltung einnahm. Neben den offiziellen Personen der Obrigkeit (sysselmenn, lagmenn, lensmenn auf weltlicher Seite, aber auch die Würdenträger auf kirchlicher Seite) waren es diese Menschen (meist reiche Bauern), die als Sachkundige und vertrauenswürdige Personen in lokalen Angele­ genheiten eingeschaltet wurden. Damit kam dieser Bevölkerungsschicht eine enorme soziale Be­ deutung zu, insofern sie durch ihr Handeln entscheidend zur Konfliktlösung beitrug. Vgl. zu diesem Bereich zuletzt Blom, Norge i Union, passim. Die Bedeutung der Bauern für den Aufbau einer funktionierenden und akzeptierten Verwaltung hat anschaulich herausgearbeitet Imsen, Norsk Bondekommunalisme. Vgl. dazu ergänzend ders., Bondemotstand. s1 Vgl. für das fragmentarisch erhaltene Statut die entsprechenden Formulierungen der Kapi­ tel 21-23 (Storm , Gildeskraa S. 219 f.).

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kennen. Besonders Paragraph 32 läßt vermuten, daß sich gegenüber der im trondheimischen Fragment geschilderten Verhaltensform Grundlegendes ge­ ändert hat. War dort nämlich noch (Kapitel 21) beim Mord an einem Gilde­ bruder die Rache durch die Gildemitglieder unter bestimmten Voraussetzun­ gen gefordert,82 so lautet bei gleicher Situation die entsprechende Formulie­ rung nun, daß bei einem Mord an einem Gildemitglied „alle Gildebrüder dem Klageführer folgen und ihm alle nur mögliche Hilfe anbieten“ sollen.83 Von dieser gegenüber der Racheaufforderung im ältesten Statut ganz anders gearteten Unterstützungspflicht sind nur diejenigen Gildemitglieder ausgenommmen, die mit dem Mörder bis zum vierten Grad verwandt sind.8485Eine Verpflichtung zur Unterstützung der Klage setzt voraus, daß das Rechtswe­ sen sich mittlerweile soweit entwickelt und stabilisiert hatte, daß auch in Fäl­ len von Kapitalverbrechen ein durch die (königliche) Obrigkeit garantierter Rechtsweg eingeschlagen werden konnte. Die Klage wurde allerdings nur in solchen Mordfällen vorgesehen, die von Personen begangen worden waren, die nicht der Gilde angehörten. Denn wenn ein Gildemitglied ein anderes Gildemitglied ermordet hatte, so „soll der Mörder wegfahren, der Niding aller Gildebrüder werden und niemals zurückkommen“, wie es im anschlie­ ßenden Paragraph 33 heißt.8^ Trotz einer möglichen Anklage vor dem (kö­ niglichen) Gericht erschien es demnach der Gilde wirksamer, den Täter ,mit 82 Von einer „echten Blutracheverpflichtung“ kann - wie bereits gezeigt - in dem Statut nicht gesprochen werden, da lediglich derjenige dazu aufgefordert wird, der bei dem Mord anwesend und zusätzlich darüber informiert war, daß es sich bei dem Getöteten um seinen Gildebruder handelte. (Im übrigen existiert in den nordeuropäischen mittelalterlichen Quellen kein Begriff ,Blutrache“; die Literatur verwendet zwar „blodhämnd“ [im Norwegischen „blodhevn“], doch handelt es sich dabei um „eine Übersetzung des deutschen Wortes Blutrache, ein im Anschluß an Luthers Bluträcher gebildetes Wort“. [W allen, Art. „Hämnd“, in: KLNM 7, Sp. 239-246, Sp.239. „... blodsh. torde vara en övers. av det ty. Blutrache, ett ord bildat i anslutning tili det av Luther bildade Bluträcher . . .“]) Auch aus den nordischen Quellen kann bei der Verwendung des Rachebegriffs nicht auf eine grundsätzliche Verpflichtung zur Blutrache ausgegangen werden, selbst bei vorausgegangenem Mord nicht, da in den Quellen auch immer wieder Beispiele zu fin­ den sind, die Bußzahlungen als Sühneleistung nennen. Das Königtum war offensichtlich durch­ gängig bemüht, jede Form von blutiger Rache einzuschränken und ganz zu unterbinden (vgl. Wallen, ebd.). Vgl. zu dieser Thematik auch Sawyer, Bloodfeud. 83 NgL 5, S. 10, § 32:... verskolum fylgia eftermxlandum allir gildar ok veita honum lip pat er vermegom.

84 Bei Vorliegen eines solchen Verwandtschaftsverhältnisses, das auch durch Heirat der Mutter, der Tochter oder der Schwester des Mörders erreicht werden kann, bleibt dem entspre­ chenden Gildemitglied freigestellt, welche der beiden Parteien es unterstützt (.. . nema peir eigi

frensimi veganda at iiij manne x p a magsxmd eigi mopor manz x p a dottor x p a systur. pa skolu peir veita hvarom lip er peirvd ia at osektu, NgL 5, S. 10). 85 NgL 5, S. 10, § 33: En e f gildi vegr gilda sinn, vegande skal brottfara ok verpa nipingr allra gilda ok koma aldrigi hersipan. 103

Schimpf und Schande“ aus der Schwureinung auszuschließen. Eine zusätzli­ che Anklage wurde offensichtlich nicht erwogen, so daß damit auch keine Sühneleistung für den Mörder möglich war. Darin dürfte ein nicht zu unter­ schätzendes Moment der in Paragraph 33 ausgesprochenen Strafe und Ver­ treibung des Täters liegen. Bei einer Verurteilung durch ein Gericht ist der Mörder nach Ableistung der ihm auferlegten Strafe jedenfalls in rechtlicher Hinsicht wieder rehabilitiert. Diese Möglichkeit wurde - augenscheinlich be­ wußt - ausgeschlossen, indem erst gar keine Klage erhoben werden durfte. Der Mörder wurde demnach nicht nur aus der ihn sichernden sozialen Gruppe ausgeschlossen und dadurch weitreichenden sozialen und materiel­ len Auswirkungen ausgesetzt; zusätzlich verweigerte ihm die Gilde die Mög­ lichkeit einer wenigstens rechtlichen Rehabilitierung. Deshalb blieb dem Tä­ ter auch ohne der im Statut formulierten Aufforderung, er solle „wegfah­ ren“, kaum eine andere Alternative, als aus seinem bisherigen Wohnort weg­ zuziehen. In all jenen Gebieten, in denen die Gildemitglieder die Tat be­ kannt machen konnten, blieb der Mörder aus der Gesellschaft ausgeschlos­ sen, weil ihm keine Form von ,Wiedergutmachung“ der Tat ermöglicht wur­ de. In dem 1394 aufgezeichneten Statut der Gilde von Onarheim ist ein Tö­ tungsdelikt gar nicht mehr erwähnt. Stattdessen werden nur noch Normver­ letzungen innerhalb der Gilde behandelt, das heißt selbst Konflikte mit Nicht-Mitgliedern werden in dem der Gilde eigenen Recht außer acht gelas­ sen. Die allgemein formulierte Verpflichtung, jedem Gildebruder zu Recht und Gesetz zu verhelfen (§ 17), wurde bereits zitiert. Dies deutet auf ein voll entwickeltes Rechtssystem, das allgemein zugänglich und auch funktionsfä­ hig war. Eine Formulierung in Paragraph 20 ist hinsichtlich der vorange­ schrittenen Weiterentwicklung der Rechtsprechung hervorzuheben, wobei daran erinnert sei, daß es sich bei den durch die Statuten greifbaren Gilden um ländliche Schwureinungen handelte. Das bedeutet nichts anderes, als daß sich zwischenzeitlich die vom König ausgehende Gesetzgebung und Rechtsprechung auch im dörflichen Bereich etablieren konnte. Sehr präg­ nant wird dies ausgedrückt in Paragraph 20, in dem beschrieben ist, wie die Gilde zu reagieren hat, wenn sich Gildemitglieder untereinander „an Leib oder Leben bedrohen“.86 Entsprechend der grundsätzlichen Verpflichtung zur Friedfertigkeit kam in solchen Fällen das gewillkürte Recht der freien Ei­ nung zur Anwendung, insofern die Gildemitglieder (Ältermann und guter Männer Rat) den Fall schlichten sollten. Dies durfte allerdings nur „unter Vorbehalt allen königlichen Rechts“ geschehen.87 Damit hatte sich die Gilde 86 NgL 5, S. 12, § 20:... ath n okor vm seghe annan til U/s eller lim m e lathe. 8/ Ebd.:. .. oskoddum olhtm kongssens reth. 104

selbst eingebunden in den vom König vorgegebenen Rahmen; eine dem kö­ niglichen Recht zuwiderlaufende Sonderregelung wurde nicht nur nicht an­ gestrebt, sondern ausdrücklich ausgeschlossen. War zunächst von der mögli­ chen gegenseitigen Beeinflussung zwischen Gilde und der sie umgebenden Gesellschaft gesprochen worden, so ist sie hier in der einen Richtung ganz konkret faßbar. Die Rechtsbestimmungen des Königs wurden als dem eige­ nen Gilderecht übergeordnet akzeptiert. Nur innerhalb dieses Spielraums durfte sich - so die freiwillig und von allen Gildemitgliedem gemeinsam be­ schlossene Ansicht - das selbst gesetzte Recht der Gilde bewegen. Dahinter könnte eventuell auch eine Auseinandersetzung mit dem König stehen, die diese oder eine andere Gilde geführt und in deren Verlauf sich der König als die stärkere Partei erwiesen hat. Den Ausgangspunkt dieser Überlegung bildet ein retterbot (wörtlich: Rechts- oder Gesetzesänderung, hier gemeint als Rechtsverordnung) König Erik Magnussons von 1293/94.8S In dieser für die Stadt Bergen erlassenen Verordnung wird „sowohl In- wie Ausländem“ verboten, „daß sie sich irgendwelche Zusammenschlüsse schaf­ fen ... oder sich irgendwelche Gesetze oder Bestimmungen geben, weil wir [der König] meinen, daß dies niemand tun kann ohne den König mit dem Rat guter Männer.“8889 Kernpunkt der Auseinandersetzung war also nicht nur das von den „Zusammenschlüssen“ gesetzte Recht, das dem königlichen ent­ gegenstehen könnte, sondern die Zielrichtung dieser Verordnung war noch grundsätzlicher. Ausschließlich dem König - zusammen mit seinem „Rat gu­ ter Männer“ - stand es zu, Gesetze und Bestimmungen zu erlassen. Die aus den Sonderrechten, wie sie sich Gilden und andere „Zusammenschlüsse“ selbst gaben, hervorgehende Gefahr für den König wurde so hoch einge­ schätzt, daß eine große Zahl von namentlich genannten Gilden verboten wurde. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die in der Verordnung hergestellte Verbindung zwischen ,Trinkgelage“ (samdrykkiur) und ,Gilde“ (gilldi) nicht eindeutig erkennen läßt, ob auch in diesem Abschnitt die freien Einungen mit ihrem selbst gesetzten Recht gemeint waren, zumal nach Ab­ schluß der namentlichen Aufzählung wiederum von ,Trinkgelage“ die Rede ist. Zugleich bestimmt Erik Magnusson, daß die skytningar nach altem Brauch weiter abgehalten werden sollen. Der Begriff skytningr wird von Johan Fritzner übersetzt mit „Zusammensein von Personen, die das für die Be88 Der Text ist in mehreren Handschriften, die älteste aus der Mitte des 14. Jahrhunderts, erhalten. Abgedruckt in NgL 3, Nr. 6 sowie in DN 19, Nr. 397. (Zur Frage der Datierung der Urkunde - 4. März 1293 oder24.M ärz 1294 - vgl. Steinnes, Datering S. 37). 89 ... bedi indlendzskum ok vtlendskum at peir take ser nokor samheldi... x d r dickti ser nokor lagh x d r settningar. Pui at petta synezst oss enghin mega gera. nema konungr med godra manna raade, zitiert nach NgL 3, Nr. 6. 105

wirtung mit Essen und Trinken Notwendige selbst beisteuern“/ 0 Walter Baetke übersetzt neben dieser Bedeutung zusätzlich mit „Gesellschaft, Gil­ de, die derartige Gelage abhält“, wobei er - im Gegensatz zu Fritzner - kei­ nerlei Belegstellen angibt.9091 Wird demnach der Begriff skytningr in der Be­ deutung von ,Gelage“, ,gemeinsamem Mahl“ übersetzt, dann wäre die logi­ sche Schlußfolgerung, daß im ersten Teil dieses Abschnitts mit dem Verbot tatsächlich die Gilden der einzelnen Berufsgruppen gemeint waren. Das wür­ de weiter bedeuten, daß zum Ende des 13. Jahrhunderts in Bergen - oder so­ gar im gesamten Norwegen - ein allgemein akzeptierter und bekannter Un­ terschied bestand zwischen drikkelag (Trinkgelage) und skytningr (Gelage). Allerdings bliebe offen, worin dieser Unterschied bestanden haben sollte. Anstößig an den Gilden kann jedenfalls nicht ihr „Gelage“ gewesen sein, wenn gerade diese Form des Beisammenseins ausdrücklich toleriert wurde. Auch der folgende Abschnitt in der Rechtsverordnung bringt keine eindeuti­ ge Klärung. König Erik Magnusson bestimmte weiter. „Wir wollen auch, daß die Gilden (gilldi) aufgelöst werden mit Ausnahme der Mariagilde, der Nikolasgilde und der Jatmundsgilde.“92 Im vorhergehenden Abschnitt wur­ den „Trinkgelage oder Gilden“ (samdrykkiur xdr gilldi) „vollkommen verbo­ ten“ (Julkomlega firirbodet), nun sollen die Gilden - mit wenigen Ausnahmen - aufgelöst werden. In diesem letztgenannten Verbot kann kaum von Gilde in der Bedeutung von ,Trinkgelage“ ausgegangen werden; dies würde mit der gleichzeitigen Zulassung dreier namentlich genannter Gilden nicht zusam­ menpassen. Eine einigermaßen befriedigende Lösung der verwirrenden Begriffsdeu­ tung könnte sich ergeben, wenn unter dem Ausdruck skytningr solche Feste verstanden würden, die im abgeschlossenen privaten Bereich stattfanden. Johan Fritzner gibt dafür einige Anhaltspunkte93 und Grethe Authen Blom übersetzt mit „Gelage zu rein geselligen Zwecken in der Herdstube der ein­ zelnen Höfe“.94 Damit wäre eine qualitative Abgrenzung zu dem „Gelage“ der Gilden geschaffen und König Erik Magnusson hätte - bei dieser Inter­ pretation - in erster Linie die eingangs erwähnten Sonderrechte der Gilden im Auge gehabt, gegen die er grundsätzlich Vorgehen wollte. Die explizit zu­ gelassenen drei Gilden müßten dann nicht als berufsständische Organisatio­ 90 Fritzner, Ordbog 3, S. 413 „Samliv af Personer som gj0 re Sammenskud af det fom 0 dne til deres Bevoertning med Mad og Drikke“. 91 Baetke, Wörterbuch S. 571. 92 Gilldi vilium ver ok at nidrfalle vtan M anu gilldi Niculas gilldi ok Ixtm undar gilldi, zitiert nach NgL 3, Nr. 6. 93 Vgl. Fritzner, Ordbog 3, S.414. 94 Blom, Ursprung S. 15. 106

nen mit der königlichen Politik zuwiderlaufenden Zielen aufgefaßt werden, sondern als - zumindest überwiegend - religiös motivierte Zusammen­ schlüsse, in denen der König keine Gefahr sah.95 Damit würde die Verord­ nung zu einem im weitesten Sinne handeis- und gewerbepolitisch motivierten Erlaß, der in den offensichtlich nach Berufs- beziehungsweise Tätigkeits­ zweigen geordneten Gilden mit ihrem gewillkürten Recht einen Zusammen­ schluß sah, der den königlichen Interessen entgegenstand.96 Auch die Wie­ derholung des Gildeverbots durch König Häkon Magnusson am 12. August 1299 sowie durch König Magnus Eriksson am 19. Juli 1320 deutet in diese Richtung, zumal es immer wieder zu Auseinandersetzungen um die in Ber­ gen lebenden deutschen Handwerker, ihr Verhalten und um deren Weige­ rung, den Zehnten zu zahlen, kam.97*Die mehrmalige ausdrückliche Wieder­ holung des Gildeverbots mit dem expliziten Hinweis auf die Sonderrechte läßt erkennen, daß aus königlicher Sicht gerade in diesen Sonderrechten die entscheidende Gefahr lag. 95 Ebd. S. 16 f. teilt Grethe Authen Blom diese auch schon früher geäußerte These offensicht­ lich, ohne jedoch näher darauf einzugehen. H elle, Bergen S. 589f. zielt in die gleiche Richtung, wenn er Gilden als „religiös geprägte Geselligkeits- und Schutzvereinigungen“ bezeichnet und explizit auf die drei von König Erik zugelassenen Gilden verweist („... de var religiost pregede selskaps- og vemeforeninger“, S. 590). Bereits fünf Jahre zuvor hatten Knut Helle und Amved Nedkvitne die gleiche Formulierung benutzt, um die mittelalterlichen Gilden Norwegens zu cha­ rakterisieren. Vgl. H elle u. N edkvitne, Norge S. 270: „I den grad gild er er naermere kjent i middelalderens Norge, var de religiöse selskaps- og vemeforeninger i by og bygd, med unntak av de yrkespregede gildene det ble nedlagt forbud mot i Bergen i 1293/94 og senere, forlopere for senmiddelalderens händverkslaug.“ Eine übereinstimmende Formulierung auch in H elle, Norge blir en stat S. 175: „De gildene som fantes bade i byer og bygder, var visstnok i forste rekke religiost pregede sleskaps- og hjelpeforeninger.“ In seinem jüngsten Werk gibt Helle keine grund­ sätzliche Charakterisierung der Gilden mehr und behandelt sie praktisch ausschließlich im Zu­ sammenhang mit berufsständischen Zusammenschlüssen, bevorzugt in Bergen (vgl. ders., Under kirke og kongemakt S. 153 ff.). 96 H elle, Bergen S. 429, 479 u. passim, bringt die Entstehung der in der Verordnung ge­ nannten Gilden mit der im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts zunehmenden Einwanderung deutscher Kaufleute und Handwerker in Verbindung, zumal einige der erwähnten Gilden wahr­ scheinlich sowohl deutsche als auch norwegische Mitglieder gehabt hätten. Blom, Ursprung S. 16 f. bettet die Verordnung König Erik Magnussons ein in eine kontinuierlich nachweisbare Politik des Monarchen, die den Handwerkern Höchstpreise vorschreibt. Dabei ist besonders in­ teressant eine von der ,Vormundschaftsregierung“ Eriks mit Zustimmung unter anderem des kö­ niglichen Beauftragten in Bergen erlassene Vorschrift, die für viele Handwerker Höchstpreise für ihre Waren vorschreibt (16. September 1282, abgedruckt in NgL 3, Nr. 2). Es sind dies genau die Berufszweige, denen 11 bzw. 12 Jahre später die Vereinigung verboten wird. Daher erscheint die Argumentation Bloms im Vergleich zu der von Helle vorgebrachten überzeugender. 97 Vgl zu diesem Komplex die Ausführungen bei Lindström, Skra, besonders S. 76-78 u. 143-159, der allerdings der Frage, ob es sich bei den Gilden in Bergen um deutsche oder norwe­ gische (bzw. gemischte) Vereinigungen handelt, nicht nachgeht. 107

Beachtenswert ist die Verordnung König Erik Magnussons aber noch in anderer Hinsicht. Wird die Interpretation, bei der Aufzählung handele es sich um Berufsgilden, akzeptiert, dann gibt dieses Schriftstück einen der we­ nigen Hinweise auf solche Zusammenschlüsse im mittelalterlichen Norwe­ gen. Abgesehen von den Vereinigungen, in denen die Deutschen in Bergen zusammengeschlossen waren, hat sich keine allgemeine norwegische ,Zunft­ bewegung1 entwickelt, im Gegenteil, berufsspezifische Gruppierungen sind eben nur für Bergen - und auch dort nur für einen kurzen Zeitraum - nach­ weisbar.98 Um so auffallender ist, daß außer einem halben Dutzend Berufs­ gruppen auch eine eigene Gilde für „Handwerksgesellen“ (suaeina) und ebenso eine für „Dienstmägde“ (haeimakvenna), also ausschließlich für Frau­ en, erwähnt wird. Selbst wenn angenommen wird, daß die Gesellengilde erst kurz vor der königlichen Verordnung entstanden sei, handelt es sich um ei­ nen vergleichsweise frühen Beleg, denn die grundlegende Studie von Wil­ fried Reininghaus kann für Deutschland Gesellengilden erst im 14. Jahrhun­ dert nachweisen." Folgt man der Argumentation Knut Helles, wonach ge­ rade die in der Verordnung genannten Gilden unter dem Einfluß der (zuge­ wanderten) deutschen Kaufleute und Handwerker entstanden seien, so müß­ ten für diesen Zeitpunkt - ausgehendes 13. Jahrhundert - auch deutsche Ge­ sellengilden nachweisbar sein. Dies ist allerdings weder für Lübeck - wegen der intensiven Verbindungen zu Bergen wäre der Ursprung von Gesellengil­ den gerade hier zu vermuten - noch für andere norddeutsche Städte möglich. Vielleicht war der Einfluß der Deutschen auf die Zusammenschlüsse von Norwegern in Bergen doch nicht so groß wie allgemein angenommen wird. 1.3 Totenmemoria und Heiligenkult Die Ausübung von religiös motivierten Kulthandlungen ist bereits mehrfach erwähnt worden. In allen drei Statuten der norwegischen Gilden läßt sich dieser Bereich nachweisen. Immer geht es dabei auch um den Heiligenkult sowie um die Totenmemoria.*100 Insbesondere letztere ist dabei als gemein" Vgl. neben H elle, Bergen, den einschlägigen Arbeiten von Blom und den Artikel „Lav II“, in: KLNM 10, Sp. 363 ff., sowie „Lavsskräer“, ebd., Sp. 365-368 für Bergen auch Bruns, Lübecker Bergenfahrer sowie N ielsen, Sl Catharinas; vgl. ebenso G rieg, Norske og tyske händverkere. 9' Reininghaus, Entstehung, besonders die Aufstellung auf den S. 257-275. Die einzige Aus­ nahme bildet Berlin mit der Woll- und Leinewebergesellengilde, die für 1131 belegt ist. 100 Die Memoria-Forschung und ihr Erkenntniswert auch für die Sozialgeschichte ist maß­ geblich von Karl Schmid geprägt worden. Emen Überblick seiner Forschungsleistung in dieser Hinsicht bildet der Abschnitt IV in Schmid , Gebetsgedenken. Zur allgemeinen Orientierung

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schaftsstiftend und gemeinschaftserhaltend anzusehen. Der allen Gildemitgliedem zwingend vorgeschriebene gegenseitige Beistand reichte über den Tod hinaus; zum einen belegen dies die Bestimmungen bezüglich der Beerdi­ gung eines verstorbenen Gildemitglieds, an der alle Angehörigen der Gilde teilzunehmen hatten. Zum anderen wird der auch nach dem Tod weiter ge­ währte Beistand durch das Verlesen aller Namen der verstorbenen Gildemit­ glieder nachdrücklich unter Beweis gestellt, weil die Erinnerung an die ver­ storbene Person dauerhaft aufrecht erhalten wurde. Dahinter steht die Überzeugung, daß mit Nennung des Namens eines Verstorbenen dieser wie­ der gegenwärtig wird, die erinnerte Person als wirklich anwesend gedacht wird.101 Um diese Gemeinschaft nicht zu zerstören, war die Anwesenheit al­ ler Gildemitglieder zwingend notwendig und unter Strafandrohung folge­ richtig vorgeschrieben.102 „Deshalb bewirkt die Totenmemoria eine stete Er­ neuerung und Selbstvergewisserung einer sozialen Gruppe. Mit anderen Worten: sie ist bedeutsam für die Dauer der Gruppe in der Zeit und für ihr Wissen von ihrer eigenen Geschichte.“103 Zentrale Aufgabe der Memoria ist das mittels ,Gedächtnis' und Erinne­ rung“zu erreichende Überwinden von Tod und Vergessen.104105Das sich in der Memoria ausdrückende „Aneinander-Denken“ und „Füreinander-Handeln“ beruht auf einer religiös begründeten Ethik und ist keineswegs auf die okzidentale Kultur beschränkt.103 Dabei wird - was den Menschen der Moderne können die aus den seit 1980 veranstalteten Kolloquien hervorgegangenen vier Sammelbände dienen, die grundlegende Bereiche abdecken: Memoria, hg. v. Schmid u. W ollasch; Gedächt­ nis, hg. v. Schmid ; Memoria, hg. v. G euenich u. O exle sowie: Memoria als Kultur, hg. v. O exle, darin besonders der grundlegende und programmatische Aufsatz gleichen Titels von O exle, S. 9-78. In diesen Bänden auch jeweils weiterführende Literaturangaben. In bezug auf die Totenmemoria sei hervorgehoben Angenendt, Theologie und Liturgie, der allerdings die These vertritt, daß die frühmittelalterliche Bußpraxis den Grundstein legte für die spätere Me­ morialpraxis. Vgl. dazu auch ders., Buße. Demgegenüber leitet Oexle die Memoria aus der frühchristlichen wie nicht-christlichen Spätantike her. Vgl. dazu knapp und anschaulich O exle, Memoria in der Gesellschaft Zum Heiligenkult besonders in Skandinavien und auch zur damit verbundenen politischen Dimension jetzt H offmann, Politische Heilige. 101 Dazu und zum folgenden O exle, Memoria und Memorialüberlieferung, besonders S. 79 ff. 102 Vgl. die entsprechenden Abschnitte in allen drei norwegischen Statuten; im Fragment Kap. 19, im Bartholinschen Statut § 41 und § 45, im Statut von Onarheim § 12 und § 21. 105 O exle, Die mittelalterlichen Gilden S.214. Zu der Frage nach „dem Wissen der eigenen Geschichte“ am Beispiel der Gilden ders., Liturgische Memoria. 104 O exle, Memoria und Memorialüberlieferung S. 80 weist darauf hin, daß die Komponen­ ten ,Gedächtnis1 und ,Erinnerung1 „beide aufs engste zusammengehören'1 und im Begriff M e­ moria1enthalten sind. 105 Insbesondere Jan Assmann konnte durch seine Arbeiten zeigen, daß auch unter anderem 109

nur schwer zugänglich ist - „den Toten der Status von Rechtssubjekten und Subjekten gesellschaftlicher Beziehungen zugewiesen“.106 Eine der vielfälti­ gen Erscheinungsformen der Memoria'07 zeigt sich auch in den Gilden, für die Memoria - abzulesen an den Bestimmungen, die sich die Gruppe selbst gab - ein zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses ausmachte und im­ mer mit liturgischen Handlungen verbunden wurde.108 Neben der vielfach festgeschriebenen materiellen Absicherung der Gilde­ mitglieder in Unglücksfällen bot die Memoria eine Form der „immateriellen Sicherung“.109 Der Sorge um das Begräbnis und die Totenmemoria wurde durch vielfältige Bestimmungen innerhalb der Statuten Rechnung getragen, wobei gleichzeitig der Umfang mit der detaillierten Beschreibung dieses Be­ reichs sowie die Anwesenheitspflicht aller Gildemitglieder gleichzeitig die Bedeutung hervorhebt, die der Memoria zugesprochen wurde. Bei dem er­ haltenen norwegischen Material kann im Hinblick auf die Darstellung und Würdigung des in den Gilden auftretenden Memoria-Gedankens lediglich auf die Statuten zurückgegriffen werden. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, daß zumindest bei der Gilde von Onarheim Namenslisten in irgend­ einer Form geführt wurden. In Paragraph 12 des entsprechenden Status ist vorgeschrieben, daß „nach der Olavsminne alle Namen der verstorbenen Gildemitglieder vorgelesen“ werden sollen.1101Dies setzt eine kontinuierlich fortlaufende Aufzeichnung1" voraus und ist gleichzeitig deutliches Beispiel für die immaterielle Sicherung, denn die durch eine solche Bestimmung ma­ nifestierte Memoria ist offensichtlich auf ,irdische1 Ewigkeit angelegt. Das Statut von Onarheim zeigt, daß eine solche Form der individuellen Siche­ die altägyptische Gesellschaft eine „Memorialgesellschaft“ war. Vgl. etwa Assmann, Das kultu­ relle Gedächtnis sowie ders., Stein und Zeit. I0“ O exle, Memoria in der Gesellschaft S. 297. Vgl. auch ders., Memoria und Memorial­ überlieferung S.71 ff.; vgl. ergänzend Kyll, Tod, sowie Löffler, Studien. Von skandinavischer Seite aus vgl. N ilsson, Död och begravning. 107 Zu den Memorialüberlieferungen im weitesten Sinne können gezählt werden; Denkmäler, Riten, Texte, Bilder usw. Besonders interessant erscheint es, die ,Memoria' als Form des sozia­ len Handelns' - praktiziert von Einzelpersonen oder Gruppen - zu begreifen, das auf spezifi­ schen Denkformen beruht und durch das Hervorbringen von Memorialüberlieferungen wieder­ um Institutionen' erzeugt. 108 Dazu auch Reininghaus, Entstehung S. 114f. I0 Dieser Begriff wird übernommen von Fröhlich, Sicherung S. 228-238. 11" NgL 5, S. 12, § 12; Item efther Olafs minne skal wp lesasth namn alra thera som fram eero

fa m e a f gyldheno...

111 Bei schwedischen und dänischen Gilden haben sich zum Teil solche Namens- und Mit­ gliederlisten erhalten, daher sollen erst dort noch einige grundsätzliche Bemerkungen zur Be­ deutung der Listen gemacht werden. Verwiesen sei aber schon an dieser Stelle auf J ohansson, Art. „förbön“, in; KLNM 5, Sp. 112 f. mit der dort angeführten Literatur.

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rung durch (kollektiv geleistete) materielle Abgaben ,vorbereitet“ werden mußte. „Ferner soll jede Gildeschwester einen Englischen als Seelensteuer zahlen.“112 Die von den Männern in gleicher Höhe zu leistende Zahlung wurde zum Erwerb beziehungsweise Unterhalt eines Gildehauses verwendet (§ 6).113 Trotz dieses Unterschieds waren ausdrücklich beide Geschlechter gleichberechtigt an der Memoria beteiligt - und dies bereits zu Lebzeiten. Denn nach der Marienminne, die während jedes Gildefestes abzuhalten war, sollten „die Namen aller lebenden Brüder und Schwestern“ vorgelesen werden.114 Für die Konstituierung und Festigung der Gemeinschaft war die­ ser Akt so wichtig, daß er während der Dauer der Gildeversammlung allab­ endlich (hwario qweldh) stattfinden sollte. Sowohl für diesen Teil der Me­ moria als auch für das im folgenden Paragraphen beschriebene Totengeden­ ken wurden die Abläufe bis hin zu den vom Gildegeistlichen zu sprechenden Gebete genauestens vorgeschrieben.115 Dies unterstreicht nicht nur ein wei­ teres Mal die Bedeutung, die der Memorialgedanke für die Gilde besaß, sondern läßt zusätzlich vermuten, daß an der Formulierung dieses Statuts auch Priester oder andere kirchliche Würdenträger beteiligt waren.116 Die Memoria blieb nicht beschränkt auf das jährlich stattfindende Gilde­ fest, das am „ersten Olavstag“ (29. Juli) beginnen und so lange andauem sollte wie „die Gildebrüder wollen und das Bier reicht“.117 Bereits bei jedem Begräbnis eines verstorbenen Gildemitglieds „sollen die Brüder und Schwe­ stern, die im Kirchspiel wohnen, zur Beerdigung kommen, eine Seelenmesse singen lassen und mit den Gildelichtem opfern“.118 Auch hier weist die ange­ drohte Strafe auf die Wichtigkeit der Memoria hin, selbst wenn beim Be­ gräbnis - aufgrund der geographischen Ausdehnung der Gilde - nicht sämt­ liche Gildemitglieder anwesend sein konnten. Eine inhaltlich identische Be­ stimmung enthält auch das Bartholinsche Statut: „Wenn jemand von unseren Gildegeschwistem stirbt, ... sollen alle Gildebrüder, die Nachricht erhalten, 112 NgL 5, S. 11, § 5: Item skal h w a r g ille systher Inka i engilska i sala skoth. 11J Ebd. § 6: Item sk a l h w a r g ild is b ro d e rg iw a i engilska til skala k ö ö p . 114 Ebd. S. 12, § 11: Item skal efth erM a rio m inne aa h w ariom qw eldh w p laesasth aldra brodhra

ok systra nam n som liw a n d is a sm ...

115 Vgl. die entsprechenden Formulierungen in den §§ 11 und 12 (ebd.). 116 Die liturgischen Handlungen, die vom Geistlichen durchzuführen sind und der als „Prie­ ster“ (p resth r ) bezeichnet wird, sind in diesem Statut viel präziser beschrieben als in den älteren Statuten. 117 NgL 5, S. 11, J 3: Item sk a l thetta gildh e byriass oppa sancte O lafs dagh . . . ok skaal standhe saa lenghe som gildisbrödh er w ilia og m un gath it rsekker.

118 J ohnsen , Tre Gildeskraaer S. 30, hält auch eine Übersetzung im Sinne von „die Gilde­ lichter hochhalten“ für möglich. §21: Item tha som nokor dö r a f gildeno tha skolo brödher ok syster kom m a til liksengs som i sakn bo r ok latha singia sala messo ok ofra medh gildis ly u su m ..., zitiert nach NgL 5, S. 12.

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der Leiche zum Grab folgen ... und alle Gildebrüder sollen eine Seelenmesse für die Seele ihres Gildebruders singen lassen“.119 Die Memoria begann hier nicht erst während der jährlichen Gildeversammlung, sondern jedes Gilde­ mitglied war gewiß, daß die immaterielle Sicherung durch die Schwureinung bereits mit dem Zeitpunkt des Todes einsetzte. Zwar wird in diesem Statut nicht ausdrücklich vom Verlesen der Namen gesprochen, doch zeigen die Paragraphen 41 und 45, daß der Memorialgedanke tief verwurzelt war. Für den „Seelenfrieden aller Gildebrüder“ sollte während der Gildeversammlung jeden Tag eine Seelenmesse gesungen werden.120 Diese Handlungen waren ausdrücklich unabhängig von einem eventuell notwendig gewordenen „Erb­ schaftsbier“ durchzuführen.121 Damit wurde das auf Ewigkeit festgeschrie­ bene Totengedenken gesichert, das regelmäßig zu wiederholen war und alle Verstorbenen mit einschloß. Das gleiche gilt auch für das erhaltene Statuten­ fragment, in dem Kapitel 19 am ausführlichsten den Memorialgedanken aus­ drückt.122 „An dem Tag, an dem das Erbschaftsbier gehalten wird, soll für alle verstorbenen Gildebrüder eine Seelenmesse gesungen werden und alle Gildebrüder sollen zuhören und so für den Altar opfern (spenden), wie Gott es jedem in den Sinn gegeben hat für die Seelen aller christlichen Män­ ner.“123 Hier ist - wie in den übrigen Statuten auch - der Gedanke der Me­ moria verbunden mit der selbstverständlichen Aufforderung, zu spenden, wobei dann nicht mehr ausschließlich an die eigene Gemeinschaft gedacht wurde, sondern die Gemeinschaft aller Christen im Mittelpunkt stand. Die vielfach beschriebenen liturgischen Handlungen wurden zu Ehren von Heiligen durchgeführt, die zum größeren Teil biblische Personen sind; doch wurden auch christliche Märtyrer, in Norwegen bevorzugt der Nationalhei­ lige König Olav, mit solchen Handlungen verehrt.124 Meist nahm eine dieser 119 NgL 5, S. 10, § 34: N u efieithvertgilsydksinanna andadst. pa ... skolu allergildarJylgia liki til legstapar er bop komer til hus... ok late aller gilbrcepr syngia salomesso firir sallgilbropor sins. 120 Ebd. S. lOf., § 45:... lata salo messo syngia jyrirsaliallragildanna ...; § 41: Salo messo skall syngia einn hvem dag i g ildi... 121 Vgl. die entsprechende Formulierung ebd. in § 45: ... po at engi se asrfpr i gildi. In § 12

dieses Statuts ist die Wichtigkeit des „Erbschaftsbieres“ bereits beschrieben (NgL 5, S. 8). 122 Vgl. ergänzend die Kapitel 12, 15 und 18 (Storm , Gildeskraa S.219), wobei nicht ausge­ schlossen werden kann, daß weitere Belege für die Memoria verloren gegangen sind, zumal die Kapitel 12 bis 15 nur unvollständig erhalten sind. Storm , Gildeskraa S. 219, Kapitel 19: En dagh er x r fi er pa skal salo messo syngia firir sal

allra gillda er or ero andader ok skulu aller gilldar ly da ok ofia tili alteris sliku sem gud skytr hverium j hugh firir sal allra kristna manna.

124 Zur Vielschichdgkeit der Person des heiligen Olav und dessen Deutung in der Historio graphie vgl. etwa den Sammelband: Olav, hg. v. Bruce , darin besonders die Beiträge von G ün­ nes , Heilig Olav, R ieber -M ohn , Middelalderens Olavsbilde, B lom , St. Olavs lov, Bo, St. Olav i tradisjonen, sowie L angslet, Heilig Olav.

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heiligen Personen, zu deren Ehren getrunken wurde, Messen gefeiert wur­ den, sowie gesungen und gebetet wurde, für die Einung eine besondere Rolle ein, weil die Gilde diesen Heiligen zu ihrem Schutzheiligen gewählt hatte. In dem erhaltenen Fragment aus dem Trondelag läßt sich die Heraushebung ei­ nes bestimmten Heiligen noch nicht ablesen. Die gleichwertige Stellung aller Heiligen drückt sich auch in Bußzahlungen aus, die für jeden - so Kapitel 11 - andvege, also für jeden als Abbildung im Gildesaal vorhandenen Heiligen in gleicher Höhe zu zahlen sind.1''’ Die Zahl der Heiligen, zu deren Ehre die Gilde in Sunnhordland ihre jährlichen Versammlungen einberief, ist neben der selbstverständlichen Erwähnung Gottes und Jesu Christi - auf zwei reduziert: Maria und (König) Olav. Daraus zu schließen - wie Oscar Albert Johnsen dies tatl2fa -, es handele sich um eine Olavsgilde, ist nicht zwingend. In Paragraph 1 werden die beiden Heiligen gleichberechtigt er­ wähnt. An späterer Stelle ist eine durch den Gildepriester zu segnende „Ma­ riaminne“ beschrieben (§ 22), doch etwas vergleichbares wird für den heili­ gen Olav nicht durchgeführt. So bleiben die letzten beiden Paragraphen des Statuts, nach denen „Gott und der heilige Olav“ all denen zum Guten helfen sollen, die das Gilderecht einhalten.’27 Klar ist, daß Olav dadurch für die Schwureinung eine besondere Rolle einnahm, zumal Olav als „sowohl des Landes als auch unserer Rechtsgemeinschaft König“125167128 bezeichnet wurde. Doch für die Gilde nahm ebenso Maria eine besondere Stellung ein. Außer­ dem kann von der Formulierung „unserer Rechtsgemeinschaft König“ nicht auf eine Olavsgilde geschlossen werden.129 Erst das Statut der Gilde von 125 Storm, Gildeskraa S. 223, vermutet, daß Bilder aller im Statut erwähnten Heiligen (ein­ schließlich Christus) im Gildesaal an der Wand angebracht waren. „Der Gildesaal ist diesen also geweiht, und als Besitzer des Gildesaales haben sie ihre .Hochsitze“ [andvege], wie jeder Bauer auf seinem Hof seinen eigenen Hochsitz hat.“ („Gildeskaalen er altsaa indviet til disse, og som Eiere af Gildeskaalen har de sine .Hoisaeder“ her, ligesom hver Bonde har sit Hoisaede paa sin Gaard.“) Die Gleichstellung der Heiligen im Zusammenhang mit zu leistenden Bußzahlungen ist wiederholt in Kapitel 16 (Storm , Gildeskraa S.219). 126 J ohnsen, Tre Gildeskraaer S. 7, 22 und öfter; auch Seip, Art. „Giideskräer-Norge“ geht davon aus, daß es sich um eine Olavsgilde (Sp. 320) handelt. 127 Diese Formulierung in § 46: E n g u p ok en helgi O la f i. . . efli tilg o p s p a n v a m erp essi log heldr ..., zitiert nach NgL 5, S. 11. 128 Ebd. § 45: . . . ok enum helga Olaue kononge er b xp e er lans konongr var ok laga. Die For­ mulierung zeigt einmal mehr, daß sich die Gildemitglieder auch darüber bewußt sind, ihre Ge­ meinschaft sei eine Rechtsgemeinschaft, die sich von der sozialen Umgebung unterscheidet und abhebt. 129 Auch die in § 1 gewählte Charakterisierung Olavs als „unser König und Kirchenfürst (. .. helga Olafs konongs ok kirkiudrotten var er . .. , zitiert nach NgL 5, S.7) spricht nicht für die ausschließliche Wahl Olavs zum Schutzheiligen der Gilde, zumal er gerade hier gleichberechtigt neben der Jungfrau Maria genannt ist. 113

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Onarheim formuliert eindeutig und bezeichnet die Gilde gleich zu Beginn in Paragraph 1 als „Olavsgilde“ (sancti Olafsgildhi). Folgerichtig wird neben Olav keine weitere heilige Person im Statut erwähnt und auch ausschließlich eine „Olavsminne“ im Rahmen des jährlichen Gildefestes veranstaltet.130 In der bewußten Wahl Olavs zum Schutzheiligen kann auch eine politische Dimension gesehen werden. Erich Hoffmann hat diesen Aspekt der Bedeu­ tung der heiligen Könige in Skandinavien herausgearbeitet und gezeigt, wie wichtig deren Rolle bei der Festigung der Staatsmacht1(und auch der kirch­ lichen Position) war.131 Dabei spielte eine nicht unerhebliche Rolle, „daß der Kult dieser königlichen Heiligen in einer engen Bindung zum jeweiligen Königshaus stand“, und weder allein noch „hauptsächlich auf rein religiös­ kirchliche Anliegen zurück[zu]führen“ ist.132 Damit rückt die (macht)politische Komponente des Heiligenkultes deutlich in den Vordergrund und die Wahl Olavs zum Schutzheiligen einer Schwureinung darf dann zusätzlich als politisches Signal gewertet werden. Einerseits wurde das auf König Olav be­ gründete, christlich geprägte Verständnis von Königtum anerkannt und ge­ stützt - und in den ihm zu Ehren durchgeführten Kulthandlungen immer weiter tradiert. Gleichzeitig strahlte der Glanz des Heiligen bis in die eigene „Rechtsgemeinschaft“, die dadurch nicht nur besonders legitimiert wurde, sondern auch an Attraktivität gewann. Die Gilde konnte demnach mit der Wahl des beziehungsweise der Schutzheiligen auch eine politische Grund­ richtung deutlich machen und auf diese Weise inhaltliche Schwerpunkte be­ reits im Namen sichtbar werden lassen. Außerdem wurde gleichzeitig der ei­ gene Anspruch unterstrichen, eine herausragende Position innerhalb der Ge­ sellschaft einzunehmen, wenn ausgerechnet der Nationalheilige Olav zum Schutzheiligen der freien Einung gewählt wurde.lj3 So geraten zwei Bereiche in den Blickpunkt, die bisher eher latent und un­ terschwellig in der Darstellung auftauchten, im folgenden aber noch einmal gebündelt behandelt werden sollen. Es ist zum einen die Bedeutung, die die Gilde innerhalb einer Ortschaft oder Landschaft einnahm,134 und zum ande­ ren die damit einhergehende Vorbildfunktion dieser in die mittelalterliche Gesellschaft eingebetteten Rechtsgemeinschaft. 130 Vgl. dazu § 12 sowie ergänzend §§ 3, 9, 18 und 26 (NgL 5, S. 11 ff.). VgL dazu H offmann , Könige, und jetzt neuerdings ders., Politische Heilige. 152 H offmann , Könige S. 205. Auf diesen Gedanken ist im Zusammenhang mit den (dänischen) Knutsgilden erneut zu­ rückzukommen, s. unten S. 236-244. Da für Norwegen nur wenig Quellenmaterial vorliegt, können keine umfassenden Studien duichgetührt werden; dennoch gibt es Hinweise, die die politische und wirtschaftliche Bedeu­ tung von Gilden zumindest schlaglichtartig erkennen lassen.

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1.4 Zur politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Gilden Die politische Bedeutung einer bäuerlichen Gilde, deren geographisches Einzugsgebiet relativ groß war, wird für Norwegen durch die Huldigungsur­ kunde für den minderjährigen König Häkon VI Magnusson vom 17. Juli 1344135 am deutlichsten und eindrucksvollsten bewiesen. In dieser Urkunde sind es die Vertreter unterschiedlicher Landschaften, die sich den weltlichen (und wohl auch geistlichen) Großen anschließen und den minderjährigen Häkon als König anerkennen.136 Es ist hier weniger der Text des Doku­ ments als vielmehr die an ihm angebrachten Siegel, die für die Geschichte der norwegischen Gilden so interessant und aufschlußreich sind. Jede vertre­ tene Landschaft ist selbstverständlich mit einem entsprechenden Siegel re­ präsentiert. Erhalten geblieben sind sie außer für die Städte Oslo, Bergen und Trondheim (Nidaros) auch für die Gebiete Stjordoleme, 0vre und Nedre Namdalen (Oberes und Unteres Namdalen) sowie für Sunnhordland (basndr af Sundhordu lande). Für dieses Gebiet hängt an der Urkunde das Siegel der Gilde von Onarheim (S‘: Convivarum: Beti: Olavi: De Honarei), deren Statut von 1394 überliefert ist. Demnach ist die Gilde in Sunnhordland in der Mitte des 14. Jahrhunderts entweder identisch mit der politischen Ver­ tretung dieses Landesteils oder zumindest mit der politischen Vertretung gleichgestellt, insofern das Gildesiegel für solche offiziellen Beurkundungen benutzt wird.137 Unabhängig davon, welche der beiden eben genannten Möglichkeiten zutrifft, können über die mit einer solch enormen Bedeutung einhergehenden Verflechtungen der Gilde mit den politischen Entschei­ dungsträgem nur Mutmaßungen geäußert werden. In der Tat dürften dauer155 Abgedruckt ist diese Urkunde in NgL 4, S. 373 f. Zur Bewertung der Urkunde sowie der politischen Hintergründe vgl. die gründliche Analyse durch Blom , Hyllingen. 136 Bereits am 15. August 1343 hatte der norwegische Reichsrat (vgl. NgL 4, S. 370-72) ein entsprechendes Votum abgegeben. Die Urkunde von 1344 wird daher auch als Zeichen für eine entstehende Ständevertretung gewertet, die die früher üblichen Wahl- und Huldigungsversamm­ lungen der einzelnen Landschaften abgelöst habe (vgl. N ielsen, Rigsraad S. 196 ff.). Die Frage, wieso in dieser Urkunde nur einige Landschaften repräsentiert werden, meint Nielsen, ebd. S. 199, damit beantworten zu könnne, daß entsprechende Dokumente anderer Regionen zwar verfaßt, aber nicht überliefert seien. Damit stellt er sich gegen die ältere Auffassung von M unch , Det norske Folks Historie, 2. Hovedafd. Unionsperioden 1, S. 297 f., wonach Hakon zu diesem Zeitpunkt (1344) bereits die Macht über die entsprechenden Gebiete besaß und die der Krone zustehenden Einkünfte für Hakons Unterhalt während seiner Minderjährigkeit verwendet wer­ den sollten. 137 Für die übrigen durch Siegel vertretenen Landschaften handelt es sich klar um das jewei­ lige Landschaftssiegel und nicht um das Siegel einer herausgehobenen Gruppe innerhalb der je­ weiligen Landschaft. Vgl. neben dem Druck in NgL 4, S. 373 f. auch Blom , Norge i Union S. 140-149, sowie Bugge , Tingsteder S.231. 115

hafte Kontakte zwischen der Gilde und der politischen Obrigkeit bestanden haben, weil mit dem Gildesiegel in diesem Fall eine ganze Landschaft poli­ tisch repräsentiert wird. Waren bislang ,Gilden1 als personengebundene Schwureinungen und ,Kommunen“ als räumlich radizierte Schwureinungen charakterisiert worden, so können vor dem Hintergrund der Huldigungsur­ kunde Überlegungen einsetzen, ob mit der Gilde von Onarheim eine Vermi­ schung beider Elemente eingetreten ist. So faszinierend dieser Gedanke auch sein mag, er muß Vermutung bleiben, weil keine zusätzlichen Quellen vor­ handen sind, die eine solche These stützen oder widerlegen würden. Doch das Auftreten der Gilde als ,politischer Verband“scheint für eine solche Ver­ mutung zu sprechen. Die in diesem Fall zutage tretende Bedeutung der Gilde läßt darauf schließen, daß die Repräsentanten des Königs in Sunnhordland wohl kaum in der Lage waren, irgendeine Bestimmung gegen die Gilde von Onarheim umzusetzen. Eventuell waren die königlichen Beamten selbst Mit­ glied in der Gilde.138 Obwohl aufgrund der wenigen Quellen von diesem Einzelfall nicht auf die Allgemeinheit der norwegischen Gilden geschlossen werden darf, haben ohne Zweifel auch in Norwegen die Gilden eine nicht zu vernachlässigende politische Bedeutung besessen. In negativer Weise abzulesen ist das an dem bereits erwähnten Gildeverbot für Bergen 1293/94. Doch auch ein ,positiver Fall“ ist belegt und bereits kurz dargestellt worden; 1240 versuchte Herzog Skule, die Gildemitglieder in Trondheim (Nidaros) auf seine Seite zu ziehen und mit diesen gemeinsam gegen König Häkon Hakonsson vorzugehen.139 Hinter dem Verhalten Herzog Skules ist mehr zu sehen als lediglich der Ver­ such, möglichst viele Personen zur Unterstützung seines Plans zu gewinnen. Dies wäre nicht nur durch andere Maßnahmen (Bestechung; Versprechun­ gen für den Fall, der Sturz des Königs wäre erfolgreich) möglich gewesen, sondern auch ohne die Gilde als Ganzes zu kontaktieren. Doch gerade die zweifelsfrei wichtigste Gilde des Ortes140 in ihrer Gesamtheit in den eigenen Plan einzubeziehen, bedeutet gleichzeitig das Anerkennen der Bedeutung dieser freien Einung. Nach Meinung des Herzogs hätte offensichtlich eine 13 Auch an dieser Stelle sei erneut verwiesen auf die Forschungsergebnisse von Blom, Norge i Union, die auf die personellen Verflechtungen zwischen Vertretern der Königsmacht und der lokalen Gesellschaft hinweist. 139 Diese Schilderung findet sich in der bei Snorri, Häkonar saga Hakonarsonar S. 574. Selbst wenn Einzelheiten dieser Episode nicht zutreffen sollten, so besteht keine Notwendigkeit an der grundsätzlichen Tatsache zu zweifeln, Herzog Skule habe sich in der „Kreuzgilde“ auf­ gehalten und dort gegen den König agitiert. ,4j Ob es in Nidaros überhaupt mehrere Gilden gab, läßt sich trotz intensiver Forschungsbe­ mühungen nicht eindeutig klären. Vgl. neben Blom, Trondheim, auch dies., Ursprung, beson­ ders S. 11-14. 116

geplante Aktion gegen den König nur dann erfolgversprechend verlaufen können, wenn die bedeutendste Gilde Trondheims zur Unterstützung seines Vorhabens bereit gewesen wäre. Für die politische Bedeutung der Gilden las­ sen sich keine weiteren Belege finden. Daher erscheint das Beispiel der Gilde von Onarheim eher als Ausnahme; doch dürften die Gilden für die gesell­ schaftliche und politische Stabilität einen erheblichen Beitrag geleistet ha■

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Neben der engen Beziehung zur weltlichen darf eine ebensolche zur geist­ lichen Obrigkeit als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Wiederum gibt es keine direkten Belege, doch deuten mehrere Indizien in diese Rich­ tung. Eine Gilde in Stavanger beispielsweise ist nur durch ein einziges Doku­ ment belegt, das Testament des Bischofs Alf Thorgardsson von Stavanger ohne daß dadurch der Name oder weitere Einzelheiten der Schwureinung überliefert wären. In seinem Testament schreibt der Bischof unter anderem, er wolle dem Gildealtar in Stavanger eine Kupferkanne hinterlassen.141142 Die gewählte Formulierung deutet darauf, daß es - jedenfalls zu diesem Zeit­ punkt - lediglich eine einzige Gilde in Stavanger gab. Ein weiteres Indiz für die Nähe zur kirchlichen Obrigkeit stellt wiederum die Rechtsverordnung König Eriks von 1293/94 dar. Die ausdrücklich er­ laubten Gilden - Mariagilde, Nikolausgilde, Jatmundsgilde - wurden als re­ ligiös motivierte Zusammenschlüsse gedeutet, die demnach auch unter be­ sonderem Schutz der kirchlichen Würdenträger standen. Aus der Rechtsver­ ordnung könnte geschlossen werden, daß es eine bestimmte Form von Gil­ den gab, die eine besonders intensive Beziehung zu hochrangigen Klerikern besaßen, und der König ausdrücklich nur diese Form von Gilden tolerierte. Doch die erhaltenen Gildestatuten belegen den engen Kontakt zwischen der jeweiligen Gilde und der lokalen sowie regionalen Kirchenorganisation. Da­ für sprechen neben den Begräbnisbestimmungen beim Tod eines Gildemit­ glieds vor allem die liturgischen Flandlungen während der Dauer der jährli­ chen Gildeversammlung, die vom Priester Tag für Tag durchzuführen wa­ ren. Auch die Unterhaltung eigener Altäre bis hin zu eigenen Kirchen143 wei­ sen in dieselbe Richtung. Das angeführte Testament aus Stavanger stammt erst aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, doch belegt eine Urkunde von 1294 eine bereits zu diesem Zeitpunkt intensive Beziehung zwischen den 141 Das würde in der Konsequenz auch heißen, daß die Mitghederstruktur von wohlhaben­ den Personen dominiert wurde. Gleichwohl waren sie sicherlich nicht die einzige Klientel inner­ halb der Mitgliederschaft, wie § 25 des Gildestatuts von Onarheim beweist, das auch die Verar­ mung von Gildemitgliedem ausdrücklich erwähnt (NgL 5, S. 13). 142 DN 4, Nr. 987, vom 27. Oktober 1478:... G illes a lta re tj kopparkanne. 145 B lom , Art. „Gilde-Norge“ Sp. 310. 117

Gilden und der kirchlichen Obrigkeit. In der Urkunde wird bestimmt, daß die Priester der Olavsgilde in Trondheim und aller anderen Gilden im Trondelag vom Erzbischof zu ernennen seien.144 Darin kann neben einer Kontroll- und Einflußmöglichkeit seitens der kirchlichen Obrigkeit auch der Versuch gesehen werden, durch möglichst engen Kontakt zwischen den Gil­ den und dem Erzbistum die Bedeutung und das Ansehen der Gilden zu stei­ gern. Zusätzlich dürfte auch die Kirche von dieser Verbindung profitiert ha­ ben, insofern die Gilden ohne Zweifel zur Festigung und Ausweitung des christlichen Glaubens in den jeweiligen Regionen beigetragen haben. Ein weiterer Beleg für diese Ansicht findet sich aus dem Jahr 1418. Der Propst der Bergener Apostelkirche, Torstein Torkelsson, schenkte damals der Michaelsgilde in Vossevangen ein Stück Land, damit diese ein Gildehaus darauf errichten konnte. Ausdrückliche Bedingung war unter anderem, daß auch weiterhin, wie in anderen Michaelsgilden, alle guten Gewohnheiten wie das Lesen von Messen beibehalten werden sollten.143 Eindeutiger könnte das gegenseitige Interesse an einer intensiven Beziehung zwischen Gilden und Kirche kaum ausgedrückt werden. Beide Seiten profitierten von dieser Nähe und waren offensichtlich bereit, dafür auch ,Gegenleistungen1zu erbringen. Von einer Instrumentalisierung der einen durch die andere Seite findet sich in einem solchen Verhältnis nichts. Ganz im Gegenteil - offensichtlich zog sich die Verbindung zwischen Klerikern und Gilden das ganze Mittelalter hindurch. Dafür spricht eine Urkunde von 1482, in der den Mitgliedern der Nikolaigilde in 0ystese in Hardanger ein 40tägiger Ablaß durch Bischof Olav von Holar (auf Island) gewährt wurde.146 Für das Spätmittelalter sind durch andere einzelne Hinweise auch gute Kontakte zwischen Gilden und Klöstern belegt. In Oslo waren es der Prior und der Konvent des zum Dominikanerorden gehörenden Olavsklosters, die 1461 der St. Annagilde gestatteten, auf dem Klostergelände ein Gildehaus zu errichten. Die Gilde mußte dafür zweieinhalb Mark an jährlicher Abgabe bezahlen, den der Gilde zugehörigen Altar in der Klosterkirche mit den not­ wendigen Gegenständen (vor allem Kerzen) versorgen und dort ihre Messen 144 Abgedruckt in DN 3, Nr. 35, S. 38-41, S.41:... su a v m O lafs g illd i ok a n n erg illd ip re sta til a t skipa hafdu korsbroedr m x d x rk ib isk u p i fix g a r bann v a rn e r, enn ein sam n ir er hann v a r fix r r e . 143 Die Urkunde ist wiedergegeben bei B ugge , Tingsteder S. 231 f.:_je k h a v e r unth oc tillath en Tufih som ligher p o o W os a W anghen f o r utan klop G udh oc Ste. M ic h e l til L o f oc H edher thi D an nem en som G illebredh re ere oc B redherskap v il h a ve h er efter thennem til N e tte oc S a lx gangh a t b y g g yx seger eina G illsto va uppo fo m e v n d h a Tupth oc andra H u ß som ther til h e r x i sodane M o d h x , a t the sk u llx uppholle alle godhe Sedher som i an der Ste. M ichels G ille ere, m ed M eß er oc andere godhe G em in gh er sigh til Salehielp. 146 DN 8, Nr. 410.

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feiern. Verstorbene Gildemitglieder wurden nach dieser Übereinkunft in der Klosterkirche oder auf dem Klosterfriedhof begraben.147 Eine Zusammenar­ beit zwischen Kloster und Gilde läßt sich auch noch für die Zeit unmittelbar vorder Reformation nachweisen. Die „Seelengilde“ in Rafund148 in Jemtland - politisch zu Norwegen gehörend, doch kirchenrechtlich dem Erzbistum Uppsala unterstehend149 - erhielt die Möglichkeit, sich unter den Schutz des Johanniterklosters in Eskilstuna zu stellen. Gegen eine jährliche Abgabe von vier Pfennig pro Gildemitglied (ausdrücklich sind Gildebrüder und Gildeschwestem erwähnt) durften diese an allen „guten Taten und Privilegien“ des Klosters teilhaben.15015Die Bedeutung der Gilden für die norwegische Geistlichkeit ist damit ebenso evident wie die Vorteile der Gilden, die diese aus einem guten Verhältnis zu den (örtlich tätigen) Klerikern zogen. Nach allen bisherigen Hinweisen darf auch vermutet werden, daß die Gil­ den einen nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor darstellen konnten. Der früheste Beleg für die Gilde von Onarheim läßt dies bereits erahnen, denn in einer Grundstücksangelegenheit, bei der im Jahr 1327 mehrere Zeu­ gen zu den Besitzverhältnissen in Indreteigen aussagen, wird auch erwähnt, daß „die Gildebrüder oft Brennholz vom bevollmächtigten der Kirche in Onarheim für das Bierbrauen kauften.“17,1 Zwar ist in den Statuten von 1394 festgelegt, daß jedes Gildemitglied einen eigenen Beitrag für das Gildefest zu zahlen hatte (und es darf davon ausgegangen werden, daß diese Bestim­ mung schon früher Bestandteil der gildeeigenen Regeln war). Doch offen­ sichtlich mußten zu bestimmten Anlässen Materialien eingekauft werden, um die geplanten Aktivitäten überhaupt durchführen zu können.152 Dies be­ schränkte sich nicht nur auf Brennholz, sondern umfaßte auch Lebensmittel und ging bis hin zu Gebrauchsgegenständen, die der Gilde gehörten.153 In 147 Vgl. die entsprechenden Bestimmungen in DN 3, Nr. 854. Die Grabstätte - in der Kirche oder auf dem Friedhof - dürfen die Gildebrüder sogar frei wählen ( Item skwlw ok f o / L gillesbredher hawa ok w xlia sin Ixgherstadh j fo i^ klostre xpther thy the sixlwe will j kirkio xlla kirkiogarde).

148 Eigentlich handelt es sich um die St. Petersgilde, doch wird diese - wie aus DN 16, Nr. 498 hervorgeht - allgemein Själagille - „Seelengilde“ genannt. 149 Zu der Geschichte der Provinz Jemtland vgl. Bull, Jemdand, sowie A hnlund , Jämtlands och Härjedalens Historia 1. 150 DN 16, Nr. 498 (... allom godhom gämingom ...). 151 DN 10, Nr. 21: • at gilldar. a. O narhxim i koeyptu optlegha vid til hxitna afvmbods monnum kirkiunnar. a. O narhxim i.

152 Diejenigen Gildemitglieder, die - sogar unter Strafandrohung - zur Organisation der jährlichen Gildeversammlungen verpflichtet wurden, mußten ganz offensichtlich auch mit grö­ ßeren Geldsummen operieren, um alle notwenigen Lebensmittel und andere benötigten Gegen­ stände (etwa Wachs) anzuschaffen. 153 Erinnert sei etwa an die Trinkgefäße, die von den Frauen in den Gildesaal zu tragen sei119

den Statuten ist neben Geldsummen, die die einzelnen Mitglieder zu zahlen hatten, an Naturalien lediglich das notwendige Malz für die Gildeversamm­ lung erwähnt. Daraus ist zu schließen, daß alle übrigen Dinge in unmittelba­ rer Umgebung des Gildehauses in ausreichender Menge vorhanden waren und von den dazu beauftragten Gildemitgliedem beschafft werden konnten. Die den Gildestatuten zufolge wahrscheinlich nicht unerheblichen Buß­ zahlungen, die von Gildemitgliedern für Verstöße gegen die bestehenden Normen zu leisten waren, ergaben eine finanzielle Potenz der Gilde, die nicht unterschätzt werden sollte.154 Notwendig waren Finanzmittel längst nicht nur für die Gildeversammlung. Erst die Pachtzahlung an das Domini­ kanerkloster ermöglichte es der St. Annagilde in Oslo, ein Grundstück für die Errichtung eines Gildehauses zu finden. Die wirtschaftliche Bedeutung der Gilden innerhalb ihrer Umgebung füllte demzufolge sehr unterschiedli­ che Bereiche aus; darin ist gleichzeitig ein zusätzlicher Beleg dafür zu sehen, daß die mittelalterlichen Gilden ein selbstverständlicher und integrierter Be­ standteil der Gesellschaft waren.153*Abzulesen ist dies unter anderem an der Errichtung und Unterhaltung der jeweiligen Gildehäuser, die vergleichswei­ se groß sein mußten, um überhaupt die Gildeversammlungen - zu denen auch Gäste kommen durften - abhalten zu können. 136 Das vom Olavskloster an die St. Annagilde in Oslo verpachtete Grundstück hatte eine Größe von etwa 23x13 Meter.157 Um ein solches Grundstück zu bebauen, waren be­ trächtliche Mittel notwendig - auch wenn bei weitem nicht das gesamte Grundstück für das Gildehaus allein genutzt wurde. Weitere Beispiele für en. Höchstwahrscheinlich gehörten diese Gegenstände der Gilde, wie ja überhaupt das Gilde­ haus insgesamt eingerichtet werden mußte. 154 Für Norwegen liegen leider zu wenig Quellen vor, um diesen Gedanken weiterzuführen, doch bei den schwedischen und dänischen Gilden kann dieser Teil des Wirtschaftslebens aus­ führlicher dargestellt werden. 133 Neben den Bestimmungen, die sich in Testamenten finden und damit zeigen, daß die je­ weils bedachte Gilde eine wichtige Funktion innerhalb der lokalen Gesellschaft einnahm, gibt es für Norwegen einen weiteren Hinweis auf ein „Grundstücksgeschäft“, in das eine Gilde invol­ viert war. Aus DN 7, Nr. 550 geht hervor, daß 1520 ein Grundstückstausch zwischen der helgelecoms g ille (Fronleichnams-Gilde) und einem Mann namens Olav Jacobson vorgenommen wur­ de. ' Vgl. zu den Gildehäusem allgemein auch die - leider auf Norwegen beschränkte - Auf­ zählung und Erläuterung durch B erg , Art. „Gildehus“, in: KLNM 5, Sp. 313-317. Wie sehr die Tradition und das Bewußtsein um die Gildehäuser in der Bevölkerung weiterlebte, zeigt sehr an­ schaulich das Werk: Reise som giennem en deel af Norge i de aar 1773, 1774, 1775 paa Hans Majestets Bekostning er giort og beskreven af G erhard Schöning , Bd. 1-3, besonders Bd. 1, S. 180 u. 208 sowie Bd. 2, S. 88 u. 265. 13 Vgl. die Angaben in DN 3, Nr. 854. Dazu auch F ischer , Sl Anna Gildestue.

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die genaue Größe von gildeeigenen Grundstücken oder Gildehäusem in Norwegen finden sich nicht.158 Wie in vielen anderen Bereichen, so war auch der finanziell-wirtschaftli­ che Aspekt einer Gilde nicht nur nach innen gerichtet.159 Die erreichte wirt­ schaftliche Leistungskraft wurde genutzt und für die Gesellschaft sichtbar gemacht; Ausdruck dafür waren neben den aus christlicher Verpflichtung heraus zu leistenden Almosengaben auch wirtschaftliche Aktivitäten im wei­ testen Sinne (wie beispielsweise Hausbau und Grundstücksgeschäfte).160 Es dürfte klar geworden sein, daß die Gilden ein wichtiges und prägendes Element der mittelalterlichen Gesellschaft bildeten. Obwohl dies für Norwe­ gen lediglich anhand weniger Quellen belegt werden kann, soll abschließend ein Bereich in den Mittelpunkt gerückt werden, der nur selten bei der Erfor­ schung der Gilden beachtet wird. Es geht um die Vorbildfunktion, die die freie Einung auf ihre Umgebung ausübte, und die sich im Zusammenhang mit der Schutzfunktion für ihre Mitglieder - also im Zuge des rechtlichen Aspekts - am ehesten nachvollziehen läßt. 1.5 Konfliktlösung und Friedenswahrung als Vorbild Auf den Schutz, den die Gilde ihren Mitgliedern sowohl in materieller wie auch in rechtlicher Hinsicht bot, ist bereits mehrfach verwiesen worden. Da­ mit gewann die Rechtsgemeinschaft nicht nur an Attraktivität, sondern si­ cherte sich auch eine einflußreiche Position innerhalb der Ausgestaltung des mittelalterlichen Rechts. Dabei beschränkte sich eine solch wichtige Funkti­ on nicht nur auf Zeiten, in denen noch kein allgemein akzeptierter öffentli158 Vgl. jedoch die Ausführungen von Berg , Finnesloftet, sowie ders., Gildeskipnad. Berg kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Schluß, daß ein aus dem Mittelalter stammendes Holzhaus - jenes „Finnesloftet pä Voss“ - mit hoher Wahrscheinlichkeit als Gildehaus genutzt wurde. Interessant auch die Hinweise bei Bugge , Tingsteder S. 217-239, besonders S. 226. Dazu auch R obberstad, Den gamle gildeskipnaden, besonders S.250. Robberstad nennt hier zwar Grundmaße von zwei Gildehäusem (für das eine Gebäude 20 x 14 Meter und für das andere 10 x 5 Meter), doch gibt er für seine Angaben keine Belege. 159 Die materielle Absicherung der Gildemitglieder bei Unglücksfällen gehört ebenso in die­ sen Bereich wie alle anderen Ausgaben, die die Gilde in ihrer Gesamtheit betreffen bzw. die Gil­ de als Ganzes selbst tätigt. 160 Der für Norwegen nur andeutungsweise darstellbare Bereich der wirtschaftlichen Aktivi­ täten wird für schwedische und dänische Gilden ausführlicher beleuchtet werden können. Hier kam es vor allem darauf an, zu zeigen, daß auch die wenigen Quellen zu den norwegischen Gil­ den Hinweise enthalten, die den wirtschaftlichen Bereich der Gildengeschichte erkennen oder zumindest erahnen lassen.

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m eher ,Rechtsapparat“ aufgebaut werden konnte. Auch nach der Etablierung eines öffentlichen Rechtswesens waren Gilden an der Rechtsprechung betei­ ligt, wie das Beispiel der Fronleichnamsgilde von Oslo aus dem Jahr 1474 belegt. Alf Gudbrandssön und Jon Hungeirssön brachten ihren Streit um Lundeby, Haidorsberg und Mjolnerud (im Kirchspiel Grue) vor eine A rt,Appell­ instanz“, weil Alf Gudbrandssön mit dem erstinstanzlichen Urteil nicht zu­ frieden war.161 Dieses ,Schiedsgericht“ in Oslo bestand außer aus dem übli­ chen Richter (lagmann) auch aus „den Gildebrüdern der Fronleichnamsgil­ de“ (gilbredrane i hellie likams gildhe). War bislang lediglich von einer all­ gemeinen Beeinflussung der Ausgestaltung des Rechtswesens durch die Schwureinung ausgegangen worden, so zeigt dieses Beispiel eine viel weiter­ reichende Kompetenz einer Gilde. Die Teilnahme der Gilde am allgemeinen Rechtsleben war offensichtlich nicht beschränkt auf das Bereitstellen von Räumlichkeiten für die Durchführung von Rechtshandlungen, sondern schloß die aktive Mitwirkung im Rahmen von Gerichtsverhandlungen mit ein. Dies kann nicht mit einer Krisensituation erklärt werden, denn zum fraglichen Zeitpunkt (1474) waren - erst recht in der Hauptstadt Oslo - das norwegische Recht und auch die Rechtsprechung fest verankert und funk­ tionsfähig. Das vergrößert noch die Bedeutung der Gilde in diesem Prozeß; denn es muß davon ausgegangen werden, daß die aktive Rolle der Gilde im Rechtssystem keine Ausnahme bildete und bewußt gewollt wurde.162 Die aus einer (möglichen) Krisensituation zu einem viel früheren Zeit­ punkt entstandene Form von Konfliktlösung - die zugleich immer eine Form von Friedenswahrung darstellte, weil mögliche absehbare Konflikte vermie­ den werden sollten - durch und innerhalb der Gilden könnte so nachhaltig wirksam gewesen sein, daß nicht mehr nur abgeschlossene Rechtsgemein­ schaften innerhalb der Gesellschaft davon profitieren, sondern die gesamte Gesellschaft daran partizipieren sollte.163 Das Beispiel der Fronleichnams­ gilde in Oslo könnte nicht nur ein Beleg für diese Ansicht sein, sondern es stellt zudem ein bezeichnendes Gegengewicht zu der Rechtsverordnung Kö­ VgL DN 2 , Nr. 893 . Auch hier sind wiederuni keine weiteren Quellen vorhanden, um Genaueres aussagen zu können. Die in der Tradition der Gilden praktizierte Form von »Frieden durch Verschwörung* könnte in all ihren Erscheinungsformen und Schattierungen in die Rechtsprechung emge flössen sein. Dies ist ein faszinierender Gedanke, der leider ment weiter verifiziert werden kann Zu die­ ser Thematik agj. den Beitrag von O exle. Friede. Trat ganz .angsarr regfnnt sich der Bück der Forschung dafür zu scharfen, »dem Mo­ ment der hrnung cei der frredensstirnais i x entseneidende Rolle* zuzitscrecren sc die Fcraru:emng acc Becxza. Art. »rrrece I teefttgesementlieh*, m: Lexikon nee Mlcteiaisers 4 . Sc. -1 - . 122

nig Eriks von 1293/94 dar. Erik hatte noch betont, daß mögliche Sonder­ rechte einzelner Zusammenschlüsse allenfalls mit Zustimmung des Königs beschlossen werden durften. Einer solchen Argumentation Eriks ist zu ent­ nehmen, daß die Sonderrechte aus Sicht des Königs eine Gefahr für die Durchsetzung des eigenen Machtanspruches darstellten. Knapp zweihundert Jahre später hatte sich die Situation so grundlegend gewandelt, daß die Gil­ den mit ihrem gewillkürten Recht (zumindest in Einzelfällen) akzeptierter Bestandteil der norwegischen Rechtsprechung waren. Die Gilden selbst hatten - wie an den Statuten gezeigt werden konnte ihr eigenes Sonderrecht nur im Rahmen der vom König gesetzten Grenzen formuliert und deutlich gemacht, daß sie über diese Grenzen hinaus keine Rechtsprechung üben wollten. Insofern hatte sich der König mit seinem Machtanspruch durchgesetzt. Zugleich aber war es zumindest einzelnen Gil­ den möglich, an der öffentlichen Rechtsprechung innerhalb ihrer Region ak­ tiv teilzunehmen.164651Das setzte neben einer entsprechenden Mitgliederstruk­ tur in Oslo zugleich ein enormes Ansehen der Gilde voraus, das unter ande­ rem auch von der Art und Weise der eigenen Konfliktbewältigung und Frie­ denswahrung ausgegangen sein könnte. Die Friedenspflicht der Gildemit­ glieder war entscheidender Bestandteil des eigenen gewillkürten Rechts und beschränkte sich nicht allein auf das Verbot des Waffentragens, sondern be­ zog sich grundsätzlich auf den Umgang der Gildemitglieder miteinander.163 Immerhin war auch in den Landschaftsrechten der Versammlungsort unter die gleiche Friedenspflicht gestellt wie die Kirche und der Thingplatz.166 Das Entscheidende und gleichzeitig Faszinierende an der Form des Gilde­ friedens war die Herstellung und Festigung mittels Eid; vor allem die kom­ munale Bewegung verdeutlichte die Rolle der coniuratio für die Friedenssi­ 164 Das einzig belegbare Beispiel stammt aus Oslo. Doch wenn selbst in dieser Stadt eine Gil­ de die Möglichkeit hatte, zu einer Art Appellationsinstanz zu werden, dann wäre es verwunder­ lich, wenn ähnliche Konstellationen im ländlichen Bereich mit einer weitaus schlechteren .Infra­ struktur nicht auch üblich waren. 165 Erinnert sei bei den einzelnen Statuten an die entsprechenden Paragraphen, die Streitig­ keiten innerhalb der Gilde vermeiden sollten und auch Verhaltensnormen aufstellten, die mögli­ chen Auseinandersetzungen von vornherein entgegenwirken sollten. 166 Dies geht zwar aus Frostatingslag IV, 14 und 57 hervor, doch sind hier offensichtlich keine Gildeversammlungen im eigentlichen Sinne gemeint. Es handelt sich vielmehr um allge­ meine Gelage, die in der jeweiligen Region von den Bauern regelmäßig durchgeführt werden. Wenn jedoch bereits diese Versammlungsorte unter besonderem Rechtsschutz standen, ist bei den Gildehäusem ähnliches zu vermuten, zumal die Gilden gute Beziehungen zu den lokalen Obrigkeiten besaßen bzw. Vertreter der Obrikeit in den Gilden als Mitglieder präsent waren. Das dürfte immerhin für die spätmittelalterlichen Zustände gelten, in denen die Sonderrechte der Gilden sich ausschließlich im Rahmen der vom König vorgegebenen Grenzen bewegten und eine gegenseitige Anerkennung sich auch auf anderen Gebieten zeigen läßt. 123

cherung sehr anschaulich.167 Der sich in den coniurationes manifestierende Gedanke einer spezifischen ,Kultur1fand sich auch - wie bereits beschrieben - in den Gilden wieder. Die Defizite, die der Einzelne allein nicht ausgleichen konnte, wurden überwunden durch neu geschaffene Bindungen, die auf der Idee der wechselseitigen Hilfe gründeten.I6S Dabei wurden andere, „'na­ turwüchsige, durch Zugehörigkeits- und Herrschaftsverhältnisse definierte Dauerformen sozialen Handelns“wie Haus und Familie“,169 zwar nicht auf­ gehoben, doch mittels des promissorischen Eides in ihrer Bedeutung herab­ gesetzt; gleichzeitig begründete die Eidesleistung dauerhaftes gemeinsames soziales Handeln, das sich von der Umgebung abgrenzte.17017Grundlage des Zusammenschlusses war also der Konsens, der sich ausdrückte in dem Grundsatz des freien Eintritts und in dem Grundsatz der Kooptation. Ulrich Meyer-Holz konnte in seiner systematischen Studie diese beiden Elemente als „zwei ganz wesentliche Verfassungselemente der mittelalterlichen Gilde“ bezeichnen, die „in einer engen Wechselbeziehung zueinander“ standen. „Der freie Eintritt, d. h. die Abhängigkeit einer Aufnahme in die Vereinigung vom Willen der Gemeinschaft, brachte zum Ausdruck, daß die Vereinigung - und damit die sozialen Beziehungen der von ihr umfaßten Individualperso­ nen - auf einem freiwilligen Konsens zwischen dem Aufnahmewilligen und den Mitgliedern beruhten, ihren Rechtsgrund also in einem privaten Vertrag hatten. Die Kooptation, d. h. die Wahl neuer durch die bisherigen Mitglieder stellte das Instrument dar, mit dem das Prinzip des freien Eintritts verwirk­ licht wurde. In ihr manifestierte sich der freie Wille der Gemeinschaft, wurde der Gegensatz zu einer durch äußere Herrschaftsgewalt bestimmten Ent­ scheidung transparent.“1' 1 Das oberste Organ der gewillkürten Rechtsord­ nung stellte die Gildeversammlung dar, auf der nicht nur alle internen Aus­ einandersetzungen ausgetragen und geschlichtet, sondern auch alle Amtsträ­ ger innerhalb der Gilde gewählt wurden, deren Amtszeit normalerweise bis 167 V ermeesch , Essai sur les origines et la signification de ia commune dans le Nord de la France (XE et XII' siecles), konnte in diesem Zusammenhang auf die Verbindung von p a x und pactum aufmerksam machen und charakterisierte die Kommune als eine Institution des Frie­ dens. 168 Auch hierzu wieder M i c h a u d - Q u a n t i n , Universitas. I7,t> Diese Formulierung bei H averkamp, Leben in Gemeinschaften S. 18, der dabei gleichzei­ tig R iedel , Art. „Gemeinschaft“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3, Sp. 241 zitiert. 170 Auch an dieser Stelle sei hingewiesen auf die Feststellungen Max Webers, wonach der Eid bei den Eidleistenden eine Veränderung des sozialen Status bewirke und die Personen, die den promissorischen Eid leisten, qualitativ etwas anderes werden (W eber, Wirtschaft und Ge­ sellschaft S. 401 f.). 171 M e y e r - H o l z , Collegia Iudicum S. 198; vgl. auch dessen Ausführungen zum promissori­ schen Eid als Grundlage einer gewillkürten Rechtsordnung ebd. S. 200-203.

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zur nächsten Mitgliederversammlung begrenzt blieb.172 Die selbst gesetzte Rechtsordnung konnte nur dann als solche funktionieren, wenn sich alle Gil­ demitglieder nach ihr richteten und auch das von der Gildegerichtsbarkeit beschlossene Strafmaß akzeptierten. Gleichzeitig waren die Mitglieder eben durch diese von ihnen beschlossene Rechtsordnung zu einem friedfertigen Umgang miteinander verpflichtet, wodurch das Statut einer Gilde auch zu einer Friedensordnung wurde. Zwei Elemente machten die Friedensordnung aus, die auch in den norwegischen Gildestatuten nachgewiesen werden konnten: Die Statuten enthalten Bestimmungen zur Verhinderung von Ge­ walt einerseits und beschreiben andererseits die Bedingungen für die Her­ stellung einer friedlichen Gesinnung. Dabei gelten die Bestimmungen nicht nur für die Dauer der Gildeversammlung, sondern sind verpflichtend ab dem ersten Tag der Gildezugehörigkeit bis zum Tod des Gildemitglieds.173 Die zunächst nach innen gerichteten Friedensnormen müssen zwangsläufig auch eine Außenwirkung besessen haben, zumal die Gilden Norwegens in der bäuerlichen Umgebung neben einem hohen Ansehen auch erheblichen Einfluß auf die lokale Gesellschaft hatten. Eine Außenwirkung ist ebenso dadurch gegeben, daß etwa ausgestoßene Gildemitglieder sozial stigmati­ siert und in ihrer Lebensgrundlage bedroht waren, was insbesondere abzule­ sen ist an Paragraph 33 des Bartholinschen Statuts. Falls ein Gildemitglied ein anderes Mitglied umbringen sollte, wurde der Fall nicht auf juristischem Weg verfolgt, sondern, wie gesagt, der Mörder als ,Niding‘ ausgestoßen. Die Außenwirkung der gildeintemen Friedens- und Rechtsordnung beruhte demnach auf der Ambivalenz von einerseits bedingungsloser gegenseitiger Hilfsverpflichtung und andererseits der konsequenten Abschreckung, falls Mitglieder sich an die durch ihren Eid bekräftigte Zugehörigkeit zur gewill­ kürten Rechtsordnung nicht mehr gebunden fühlten.174 Dieses Bild wird be­ stätigt durch die Art der Außenwahmehmung und der Reaktion auf die Gil­ 1/2 Die Wahl des Gildevorsitzenden (der Begriff ,Ältermann* taucht in den norwegischen Quellen erst spät auf und dürfte aus Dänemark oder Deutschland eingeführt worden sein) wird in den norwegischen Quellen nicht weiter erläutert. Doch wenn selbst die Sitzverteilung - wie im Statut von Onarheim - durch Los entschieden wird, dann ist eine unbegrenzte Amtszeit des Gil­ devorsitzenden nicht vorstellbar. Die übrigen Funktionen, die an einzelne Mitglieder delegiert werden, ist schon dadurch zeitlich eng begrenzt, weil sie auf jeder Versammlung neu vergeben werden. 173 Wie selbstverständlich dabei Kinder in diese Kultur sozialen Ffandelns hineinwachsen können, belegen die entsprechenden Paragraphen, die die Teilnahme von Kindern an der jährli­ chen Gildeversammlung regeln. 1/4 Die Untersuchungen von R eininghaus , Entstehung, sowie von R emling, Bruderschaf­ ten, bestätigen die Vermutung, daß auch andere Gruppen als nur die früh- und hochmittelalter­ lichen Gilden unter dem Aspekt der Friedenssicherung untersucht werden können. 125

den. Das Verbot von allen Zusammenschlüssen mit Sonderrechten durch König Erik ist geboren aus der Furcht vor einem universal wirksamen ge­ willkürten Recht1. Gleichzeitg ist dieses Sonderrecht aus der inneren Sicht der Gilden heraus genau der Aspekt, der den Zusammenschluß so attraktiv und gewinnbringend werden ließ. Das gleiche galt für die gildeeigene Ge­ richtsbarkeit, die für die Mitglieder größtmögliche Absicherung bot, von der (weltlichen) Obrigkeit aber so lange als bedrohlich empfunden werden mußte, wie das königliche Recht noch nicht landesweit durchgesetzt war. Erst als sich die gildeinteme Rechts- und Friedensordnung innerhalb der vom König vorgegebenen Grenzen bewegte, konnten die Gilden zu einem aktiven Bestandteil der öffentlichen Rechtsprechung werden. War die Au­ ßenwirkung auch in dieser Hinsicht anfangs ambivalent, weil die einen in den Gilden den erhofften Schutz sahen, die anderen aber eine Bedrohung der eigenen (Rechts-)Autorität vermuteten, so entfiel im Laufe der Zeit der negative Aspekt der Außenwahmehmung; dadurch war ein neues Verhältnis zwischen dem gruppengebundenen gewillkürten Rechtskreis und dem vom König gesetzten Recht möglich; zudem entstand aus einer ursprünglich gruppenintemen eine gruppenübergreifende Herstellung von Frieden und Konfliktbeilegung.

2. Schweden In seiner umfangreichen „Geschichte der nordischen Völker“ beschreibt Olaus Magnus unter anderem auch die Gilden und stellt sie und die von ih­ nen ausgeübten Handlungen wie folgt dar: „Während dieser drei Tage pfleg­ ten die Teilnehmer, so wie es noch jetzt geschieht, sich vor der Mahlzeit un­ ter Hineintragen reicher Opfer in die Kirche zu begeben, um den Gottes­ dienst des Gemeindepfarrers zu hören, fromme Gebete für sich selbst und die lieben Verwandten und Freunde, lebende wie tote, zum Herrn hinaufzu­ schicken. Sie beten, daß Gott ihnen Frieden schenken möge sie beten auch, daß Er sie nie in schlechte Gesellschaft bringen möge oder töten lasse durch ihrer Herren Zorn oder durch die Heimsuchung der Feinde. Darauf kehrt man zurück zum Gastmahlstisch, dort ist es Brauch, daß dafür auser­ sehene Diener in weißer, bodenlanger Kleidung große Hörner hereintragen, gefüllt mit erlesenem Getränk, zu den Ältermännern dieser großen Vereini­ gung, so daß diese, nach altem Brauch, der Reihe nach diese leeren zum Ge­ dächtnis der heiligen Dreieinigkeit. Unter der gleichen Zeremonie werden die Hörner, gefüllt mit dem gleichen Getränk, wiederum herumgetragen und geleert zum Gedenken an die heilige Jungfrau, der Mutter Gottes, und, zum dritten Mal, zur Ehre des Schutzpatrons, zu dessen Anrufung die Gemein­ dekirche geweiht ist. Nachdem all das vollbracht ist, pflegt man von einem erhöhten Platz an der Seite des Ältermannes das Gildestatut vorzulesen, das alle Bestimmungen enthält, die man gewissenhaft einzuhalten hat, um sich ehrbar und untadelig sowohl dort als auch zu Hause zu verhalten, zu wel­ cher Zeit es auch seien mag, in welcher Position und welchem Alter man sich auch befinden möge. So machen diese Statuten gleichsam eine kurzgefasste Lebensordnung aus, was man zu tun hat, um Glückseligkeit sowohl in der jetzigen Zeit als auch in der kommenden Zeit zu erhalten. Auch Strafen für das Übertreten dieser Gesetze mangeln nicht: sie sind schuldig so und soviele Pfund Wachs für den Altargebrauch zu bezahlen. So wird durch diese Jahr für Jahr zu bestimmten Zeiten abgehaltenen Zusammenkünfte gefeiert und ein Fest zum Andenken der Heiligen begangen. Nachdem die Genüsse am Tisch beendet sind, begeben sich alle, Männer und Frauen, Junge und Alte, zur Kirche, um Gott und seine Heiligen um Wohlergehen zu bitten für sich selbst und seine Verwandtschaft. ... Dabei bemühen sie sich eifrig, wenn einige untereinander im Streit liegen, diesen in Eintracht und Freundschaft miteinder zu verwandeln.175... Deshalb hat die: Olaus Magnus weist an dieser Stelle auch darauf hin, daß bei feindlicher Bedrohung der Landesgrenzen versucht wird, eine Verteidigung einzurichten. 127

ses freundschaftliche Zusammenleben eine so große Bedeutung, daß es sich oft als stärker erweist als die Blutsbande.“176 Die von Olaus Magnus gegebene Schilderung kann sicherlich nicht in je­ dem Detail als zutreffend gelten. Doch hat der Autor in vielen Punkten einen genauen Blick für wesentliche Merkmale der mittelalterlichen Schwureinun­ gen gehabt und seine Formulierungen lassen erkennen, daß Gilden in Schwe­ den weit verbreitet gewesen sein müssen.1 Dennoch ist das heute zugängli­ che Quellenmaterial bei weitem nicht so umfangreich wie es angesichts der zahlreichen Gilden zu vermuten wäre. Meist sind es (zufällige) Einzelfunde, die die Existenz einer schwedischen Gilde belegen. So konnten zum Beispiel für das spätmittelalterliche Kalmar sechs Gilden nachgewiesen werden, doch die spärlichen Nachrichten über sie füllen kaum drei Druckseiten der mehr­ bändigen Stadtgeschichte.178 Ähnlich ist es mit den meisten anderen schwe­ dischen Gilden, die zwar immer wieder zum Gegenstand von wissenschaftli­ chen Untersuchungen werden, doch sind auch diese Beiträge häufig wegen der geringen Anzahl von Quellen vergleichsweise kurz.179 Angesichts der erstaunlich geringen Zahl an Dokumenten, die von den je­ weiligen Gilden selbst stammen, hat Peter Reinholdsson Mutmaßungen dar­ über angestellt, ob insbesondere ländliche Gilden gar keine schriftlichen Aufzeichnungen ihrer Statuten (und Mitglieder) angelegt haben.180*183Dies er176 O laus M agnus, Historia de gentibus septentrionalibus, Buch 16, Kapitel 16-18, S. 541 f.

I7' Hinweise auf schwedische Gilden haben sich bis heute zahlreich erhalten. Für eine sozial­ historisch orientierte Studie können solche Hinweise jedoch kaum mehr bedeuten, als daß sie auf die weite Verbreitung von Gilden aufmerksam machen. Viel wichtiger sind die jeweiligen Quellen, die von den Gilden selbst stammen und erhalten geblieben sind. 178 Vgl. Kalmar stads historia 2, S. 76 ff. 179 Die umfangreichste Arbeit stammt immer noch von H ildebrand, Medeltidsgillena i Sverige. Bereits zwei Jahre zuvor erschien ein kurzer populärwissenschaftlicher Überblick über die Gilden von dems., Gillen under Sweriges Medeltid. Vom selben Autor liegt eine mehrbändige kulturhistorische Darstellung des schwedischen Mittelalters vor, die das Phänomen der Gilde erstaunlich kurz abhandelt; trotz der heute nicht mehr aktuellen Darstellungsweise darf das Werk sicherlich weiterhin zu den grundlegenden Gesamtdarstellungen gezählt werden; H ilde­ brand , Sveriges Medeltid, 3 Bde.; vgl. dazu ergänzend Teil 4: Register. Zu den kürzeren Beiträ­ gen, die zum Teil regional eng begrenzt sind oder sich der Behandlung einer Gilde allein wid­ men, gehören unter anderem Friesen , Ett frisiskt handelsgille; Sandström , En gilleurkund; Brun , Anteckningar; A hnlund , Gillena och Gustav Vasa; ders., Medeltida Gillen i Uppland; N orden , Et medeltida sockengille; A mbrosiani, Stadfästelsebrev; Söderberg , Ett medeltida gilleshus; Rasmusson, Fern medeltida gillessigill; C ollmar, Strängnäs; ders., Nyupptäckta me­ deltida gillen. 183 R einholdsson , Landsbygdsgillen S. 392 f. Dabei versucht er gleichzeitig, aufgrund der unterschiedlichen sozialen Verhältnisse in Deutschland und Schweden (herausgestellt am Bei­ spiel der gesellschaftlichen Stellung der Bauern), sich von der zunächst gegebenen Definition von Gilde zu lösen. Hatte Reinholdsson anfangs noch in Anlehnung an die Arbeiten von Otto 128

scheint nicht nur innerhalb der von Reinholdsson selbst vorgetragenen Argu­ mentation als unwahrscheinlich, weil er von einer engen Bindung der Gilden an den örtlichen Pfarrer ausgeht. Damit wäre allerdings eine schriftliche Fi­ xierung von gildeeigenen Nonnen und anderen relevanten Informationen eher zu vermuten als abzustreiten. Außerdem dürfte gerade im Hoch- und Spätmittelalter die Möglichkeit der Aufzeichnung von Nachrichten auch im ländlichen Bereich deutlich gestiegen sein. Besonders die sich weiter festi­ gende Kirchenorganisation, die Reinholdsson selbst betont, hat dazu beige­ tragen. Für die Gilden war das Interesse an einer Verschriftlichung nicht nur wegen des Memorialgedankens groß, sondern auch, um das gildeeigene Recht zu fixieren. Mögliche Streitigkeiten konnten auf diesem Wege verhin­ dert werden. Aufgrund des heutigen Umfangs der Quellen wäre demnach eher anzunehmen, daß in der frühen Phase der mittelalterlichen (ländlichen) Gilden keine Möglichkeit zur Aufzeichnung bestand. Doch kann ebensowe­ nig ausgeschlossen werden, daß die nach der Reformation verfügte Be­ schlagnahme von Gildeeigentum zur Vernichtung größerer Mengen von Aufzeichnungen führte.181 Tatsächlich liegt nur Material aus dem Hochund Spätmittelalter vor, das Rückschlüsse auf die Form und die Funktion der schwedischen Gilden erlaubt. 2.1 Zu Form, Alter und Mitgliederstruktur der Gilden Der erste Versuch, einen Überblick über die mittelalterlichen Gilden Schwe­ dens zu geben, wurde im ausgehenden 18. Jahrhundert unternommen. Die in zwei Heften herausgegebene Sammlung von Gildezeugnissen enthält auch*18 Gerhard Oexle seine Definition von Gilde formuliert (vgl. S. 365-376), so meint er an späterer Stelle seines Beitrags (S. 392) annehmen zu können, daß „das Bedürfnis für die schwedischen Bauern, sich formell zu konstituieren, wesentlich geringer war“ als bei deutschen Bauern („Man kan därför anta att behovet att formellt konstituera sig varit väsentligt mindre för svenska bönder“). In bezug auf die Gilden scheint diese Annahme in eine falsche Richtung zu führen, zumal Reinholdsson alle Formen von Gemeinschaften (gemenskaper) unter den Gildebegriff subsu­ miert, unabhängig davon ob sie nur kurzfristig bestanden oder ob sie gemeinsame Mahlzeiten (gemensamma mältider) kannten. Auf den Eid als konstitutivem Akt geht Reinholdsson über­ haupt nicht mehr ein. Damit werden die als wesentlich und typisch erkannten Merkmale der freien Einung derartig relativiert, daß Reinholdsson nicht mehr unterscheidet zwischen Gilden und anderen, qualitativ davon zu scheidenden Formen von ,Gemeinschaft“. 181 Der offizielle Beschluß zur Auflösung der Gilden wurde 1544 vom Reichsrat in Västeras gefällt. Doch bereits zuvor war sowohl von staatlicher als auch von kirchlicher Seite zum I eil vehement gegen diese geistlichen Stiftungen“ und ,Stützen des katholischen Heiligenkultes vor­ gegangen worden. Zur Bedeutung der Reformation für die dänischen und schwedischen Knuts­ gilden immer noch unübertroffen W allin, Knutsgillena. 129

eine kurze Beschreibung der Gilden.182 Dabei wird zwar bereits richtig er­ kannt, daß in den Quellen unterschiedliche Bezeichnungen für diese Form der Gruppenbildung verwandt wurden und daß in einer Gilde Frauen und Männer, Kleriker und Laien zusammengeschlossen waren. Doch gleichzeitig wird von den Autoren die Gilde aus dem „Fostbroedra Lag“, aus der heidni­ schen Schwurfreundschaft, hergeleitet. Unabhängig von einer solchen nicht belegbaren Einschätzung ist das Werk vor allem deswegen so interessant und wertvoll, weil darin auch Hinweise auf Gilden verzeichnet sind, deren Quellen nicht bis heute erhalten geblieben sind. Trotz gründlicher Quellen­ studien gelingt es den Verfassern nicht, Gilden für einen früheren Zeitpunkt als für das Jahr 1303 nachzuweisen.183 Bis heute hat die Forschung nur weni­ ge Belege für Gilden in Schweden finden können, die noch älter sind, ob­ wohl die vorhandenen Quellen den Schluß nahe legen, daß zu Beginn des 14. Jahrhunderts „das Gildewesen in seiner Blüte stand“.184 Zu dieser Ein­ schätzung gelangt Ljung, obgleich er die Quellen zugrundelegt, die bereits Karl von Flegel zum Ausgang des 19. Jahrhunderts zugänglich waren. Hegel war bei seinen Studien allerdings zu einer völlig entgegengesetzten Ansicht gelangt: „Bei einem so spärlichen Vorkommen von Gilden in den Urkunden bis 1350 ist nicht anzunehmen, dass sie in Schweden bis Mitte des 14. Jahr­ hunderts sehr verbreitet waren. Zahlreicher treten sie erst nach dieser Zeit und besonders im 15. Jahrhundert auf.“183 Wird nicht nur das von den Gil­ den selbst stammende Material berücksichtigt, sondern die vereinzelten Hinweise aus anderen Quellen hinzugenommen, ist der oben zitierten Fest­ stellung Ljungs zuzustimmen. Gerade weil sich die frühen Belege in Testa­ menten finden (1301 für Linköping, 1307 für Uppsala und Enköping, 1311 für Västeras) kann davon ausgegangen werden, daß die darin bedachten Gil­ den älter sind als die jeweiligen Testamentsdatierungen erkennen lassen. Noch überzeugender ist diese Vermutung für den Beleg vom 25. Mai 1301. Bürgermeister und Ratsmitglieder von Skara bezeugen in einer Urkunde, daß das Grundstück, auf dem das Haus der St. Katharinengilde steht, dem Pfarrer der Sc Nikolauskirche gehöre Dieser liest im übrigen die Seelenmes­ sen für die Gildenutglxeder.' ” Da der Bau oder Erwerb eines eigenen Gilde45-3-.

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