Genozidale Gewalt?: Der peruanische Staatsterror 1980-1994 9783839449813

Mehrere tausend Verschwundene, über hundert Massaker sowie unzählige Fälle von Folter und Vergewaltigung zählen zur Bila

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Genozidale Gewalt?: Der peruanische Staatsterror 1980-1994
 9783839449813

Table of contents :
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Inhalt
Vorwort und Dank
1. Einleitung
1.1. Hinführung zum Thema und Fragestellung
1.2. Ziele und Aufbau
1.3. Forschungsstand und Quellenlage
2. Verortung I: Theoretisch‐methodischer Rahmen
2.1. Gewalt: Begriffliche, konzeptionelle und methodische Überlegungen
2.1.1. Der Begriff
2.1.2. Gewalt und Moderne
2.1.3. »Ursachenforschung vs. Dichte Beschreibung«
2.1.4. Das Gewaltraumkonzept
2.1.5. Zusammenfassung
2.2. Praxeologie: Das Methodenset
2.2.1. Ursprünge der Praxeologie und die Adaption in der Geschichtswissenschaft
2.2.2. Die praxeologische Perspektive
2.2.3. Historische Semantik und Historische Diskursanalyse – zwei Ergänzungen
2.3. Genozid: Annäherung an ein umstrittenes Konzept
3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge
3.1. Internationale Einflüsse: Der peruanische Bürgerkrieg im globalen Kontext
3.2. Peru: Der nationale Rahmen des Bürgerkrieges
3.2.1. Wirtschaft und Politik – eine krisenhafte Entwicklung?
3.2.2. Die peruanische Gesellschaft – eine Problembeschreibung
3.2.3. Ayacucho – ein Ermöglichungsraum
3.3. Der Bürgerkrieg: Akteure, Verlauf und Folgen im Überblick
3.3.1. Die nicht‐staatlichen Akteure
3.3.2. Die Chronologie des Konfliktes
3.3.3. Das Erinnern an den Konflikt: Hindernisse und Errungenschaftendes Aufarbeitungsprozesses
4. Die Akteure des Staatsterrors
4.1. Der Staat – Organisator der Gewalt?
4.2. Die Polizei – Rolle und Einfluss
4.3. Das Militär – der staatliche Gewaltakteur?
4.3.1. Geschichte und Organisation des Militärs
4.3.2. Der Subversive – der Feind ohne Gesicht
4.3.3. Guerra no convencional. Strategien, Pläne und Rechtfertigungen
4.3.4. Paramilitärs – zwischen Verbündeten und Konkurrenz
4.3.5. Zusammenfassung: Das Militär als Autorität im Hochland
5. Praktiken des Staatsterrors
5.1. Sexuelle Gewalt gegen Frauen – eine Kriegsstrategie?
5.1.1. Sexuelle Gewalt: Entkleiden, Penetration und Vergewaltigung
5.1.2. Zwangssterilisierungen
5.2. Folter – eine Herrschaftspraxis?
5.3. Verschwindenlassen – das Spiel mit dem Tod
5.4. Massaker – wenn Gewaltsituationen eskalieren
5.4.1. Das Massaker von Accomarca
5.4.2. Das Massaker von Cayara
5.4.3. Die Massaker von »Los Penales«
5.5. Die Gewaltpraktiken und der Gewaltraum Ayacucho
6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors
6.1. »Capturar y/o destruir al enemigo«– ein Vernichtungsplan?
6.2. Wie mächtig waren die Täter?
6.3. Wer war der Feind?
6.4. Die Gewaltformen des Staatsterrors als genozidale Praktiken?
6.5. Zweiseitiger Genozid?
7. Fazit und Schlussbemerkungen
8. Quellen- und Literaturverzeichnis
8.1. Quellen
8.2. Literatur

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Stefanie Wiehl Genozidale Gewalt?

Histoire  | Band 164

Für Clemens und Rémi

Stefanie Wiehl, geb. 1988, promovierte am Lehrstuhl Ibero-Amerikanische Geschichte/Vergleichende Geschichtswissenschaft und lehrt am Lehrstuhl für Geschichtsdidaktik der Universität Leipzig. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt der Gewalt- und Lateinamerikaforschung sowie der Geschichtsdidaktik.

Stefanie Wiehl

Genozidale Gewalt? Der peruanische Staatsterror 1980-1994

Vorliegende Monografie stellt die Veröffentlichung der Dissertation »Genozidale Gewalt? Der peruanische Staatsterror (1980-1994)« dar. Sie wurde von Herrn Prof. Dr. Riekenberg sowie Herrn Prof. Dr. Baberowski begutachtet, von der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Universität Leipzig angenommen und am 05.02.2019 verteidigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Stefanie Wiehl, September 2014, Ayacucho Korrektorat: Jenny von Smuda Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4981-9 PDF-ISBN 978-3-8394-4981-3 https://doi.org/10.14361/9783839449813 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorwort und Dank ......................................................................................7 1. 1.1. 1.2. 1.3.

Einleitung ....................................................................................... 9 Hinführung zum Thema und Fragestellung ........................................................... 9 Ziele und Aufbau............................................................................................ 15 Forschungsstand und Quellenlage ..................................................................... 18

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen ......................................... 29 2.1. Gewalt: Begriffliche, konzeptionelle und methodische Überlegungen ........................ 29 2.1.1. Der Begriff ......................................................................................... 30 2.1.2. Gewalt und Moderne ............................................................................. 33 2.1.3. »Ursachenforschung vs. Dichte Beschreibung« ........................................ 36 2.1.4. Das Gewaltraumkonzept........................................................................ 38 2.1.5. Zusammenfassung................................................................................ 41 2.2. Praxeologie: Das Methodenset ......................................................................... 43 2.2.1. Ursprünge der Praxeologie und die Adaption in der Geschichtswissenschaft.... 43 2.2.2. Die praxeologische Perspektive ............................................................... 49 2.2.3. Historische Semantik und Historische Diskursanalyse – zwei Ergänzungen....... 51 2.3. Genozid: Annäherung an ein umstrittenes Konzept ...............................................55 3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge ....................................................... 63 3.1. Internationale Einflüsse: Der peruanische Bürgerkrieg im globalen Kontext ...............64 3.2. Peru: Der nationale Rahmen des Bürgerkrieges .................................................... 67 3.2.1. Wirtschaft und Politik – eine krisenhafte Entwicklung? ............................... 68 3.2.2. Die peruanische Gesellschaft – eine Problembeschreibung ........................... 73 3.2.3. Ayacucho – ein Ermöglichungsraum.......................................................... 76 3.3. Der Bürgerkrieg: Akteure, Verlauf und Folgen im Überblick ..................................... 79 3.3.1. Die nicht-staatlichen Akteure.................................................................. 79 3.3.2. Die Chronologie des Konfliktes ............................................................... 86 3.3.3. Das Erinnern an den Konflikt: Hindernisse und Errungenschaften des Aufarbeitungsprozesses ................................................................... 92

4. 4.1. 4.2. 4.3.

Die Akteure des Staatsterrors ............................................................... 97 Der Staat – Organisator der Gewalt?...................................................................98 Die Polizei – Rolle und Einfluss.........................................................................102 Das Militär – der staatliche Gewaltakteur? ..........................................................104 4.3.1. Geschichte und Organisation des Militärs..................................................105 4.3.2. Der Subversive – der Feind ohne Gesicht...................................................109 4.3.3. Guerra no convencional. Strategien, Pläne und Rechtfertigungen ................... 115 4.3.4. Paramilitärs – zwischen Verbündeten und Konkurrenz ................................120 4.3.5. Zusammenfassung: Das Militär als Autorität im Hochland............................. 124

5. Praktiken des Staatsterrors ................................................................ 127 5.1. Sexuelle Gewalt gegen Frauen – eine Kriegsstrategie? ..........................................128 5.1.1. Sexuelle Gewalt: Entkleiden, Penetration und Vergewaltigung ....................... 129 5.1.2. Zwangssterilisierungen ........................................................................ 142 5.2. Folter – eine Herrschaftspraxis?....................................................................... 145 5.3. Verschwindenlassen – das Spiel mit dem Tod...................................................... 154 5.4. Massaker – wenn Gewaltsituationen eskalieren ................................................... 161 5.4.1. Das Massaker von Accomarca.................................................................162 5.4.2. Das Massaker von Cayara .....................................................................169 5.4.3. Die Massaker von »Los Penales«............................................................. 177 5.5. Die Gewaltpraktiken und der Gewaltraum Ayacucho ............................................ 183 6. 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5.

Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors .................. 191 »Capturar y/o destruir al enemigo«– ein Vernichtungsplan? .................................. 191 Wie mächtig waren die Täter? .........................................................................196 Wer war der Feind?....................................................................................... 200 Die Gewaltformen des Staatsterrors als genozidale Praktiken?.............................. 204 Zweiseitiger Genozid? ................................................................................... 208

7.

Fazit und Schlussbemerkungen ........................................................... 223

8. Quellen- und Literaturverzeichnis .........................................................237 8.1. Quellen ...................................................................................................... 237 8.2. Literatur ..................................................................................................... 241

Vorwort und Dank

Dieses Buch handelt von der Gewalt peruanischer Militärangehöriger, von Massakern, Vergewaltigungen und dem Verbrennen von Leichen. Doch wie schreibt man einen Text über diese Themen? Will man etwas über diese Taten erfahren, kommt man – so der Tenor der neueren Forschung – nicht umhin, diese auch detailliert zu beschreiben. Studien, die das getan haben, waren jedoch dem Vorwurf ausgesetzt, die Gewalt zu ästhetisieren. Dieses Buch versucht eine Balance zu finden: Zwar werden Gewaltsituationen detailliert und nah am Quellenmaterial erzählt, dennoch wird damit sensibel umgegangen und ein möglichst neutraler Stil gewählt. Das macht das Thema nicht weniger anstrengend, im Gegenteil. Diese Art der Beschreibung erschien mir aber als die, die am ehesten dem Anspruch einer Gewaltforschung gerecht wird, die sich ihrem Gegenstand so gut wie möglich nähern will. Im Buch »Genozidale Gewalt? Der peruanische Staatsterror 1980-1994« beschreibe, analysiere und charakterisiere ich die Gewalttaten der peruanischen Sicherheitskräfte – insbesondere des Militärs. Damit wende ich mich einem Akteur des Bürgerkrieges zu, der vergleichsweise wenig betrachtet wird. Die Forschung arbeitet sich eher am Leuchtenden Pfad ab, der auch in diesem Buch eine Rolle spielt, aber eben nur eine untergeordnete. Stattdessen rücke ich das Militär in das Zentrum und untersuche ausgehend von den divergierenden Deutungen seiner Taten – von Genozid bis hin zur Rettung der Nation – die Logik der staatlichen Gewalt. Damit schenke ich einem Thema Aufmerksamkeit, das es verdient, auch in der deutschsprachigen Lateinamerikaforschung mehr Beachtung zu finden. Ich gehe mit diesem Buch den letzten Schritt meines Promotionsprozesses. Es war ein herausfordernder, mitunter steiniger Weg, nicht nur wegen den hunderten von Quellen, die ich gesichtet habe oder wegen der komplizierten Archivsituation in Peru, sondern auch wegen der Selbstzweifel, des (eigenen) Erwartungsdruckes und des konstanten Zeitmangels. Das Buch ist der Abschluss dieser Etappe und mein Beitrag zur Erforschung des peruanischen Bürgerkrieges, der vor allem durch die Akzentuierung sowie die gewählte Herangehensweise neue Thesen und diskussionswürdige Fragen in die Forschung einbringt.

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Genozidale Gewalt?

Dass das Buch zu dem geworden ist, was es ist, lag nicht nur in meiner Hand. Neben meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Riekenberg, der den Promotionsprozess kritisch begleitet hat, haben insbesondere Kolleg*innen am Historischen Seminar der Universität Leipzig einen großen Anteil daran, dass dieser letzte Schritt gegangen werden konnte. Ich bin ihnen zu Dank verpflichtet, da sie Korrektur gelesen und Mut gemacht haben, aber auch für die nötige Ablenkung sorgten. Gleiches gilt für gute Freund*innen sowie meine Familie, insbesondere Partner und Sohn. Sie haben mich unterstützt, schlechte Phasen aufgefangen und nie die Geduld verloren. Allen ist dieses Buch gewidmet, das mir sehr am Herzen liegt. Dass dieses Thema für mich mehr als wissenschaftliches Interesse geworden ist, verdanke ich auch denjenigen, die es mir ermöglicht haben, mich in Peru zurecht zu finden und all die Kontakte zu knüpfen, die mir Zugang zu verschiedensten Quellen gaben. Ich möchte daher vor allem vier Personen danken: Sebastian Chávez Wurm, der mir Literatur über den Leuchtenden Pfad gab und Kontakte nach Peru teilte sowie Gabriel Salazar Borja und seiner Mutter Elena Ruth Borja, die all ihre Kontakte zu meinen machten und mir zur Seite standen, wenn ich einmal nicht weiterkam. Auch Armando Guevara Gil gilt mein Dank, da er mir dabei half, Zugang zum Archiv des Kongresses zu bekommen und mich mit anderen Dozenten und Forschern in Lima vernetzte. Ein besonderer Dank richtet sich außerdem an die Mitarbeiter*innen des Museums in Ayacucho. Wenn ich mal vergessen habe, warum ich diese Arbeit schreiben wollte, musste ich nur daran zurückdenken, wie sie mir ihre Geschichte des Konfliktes erzählten, mir die Massengräber und den Verbrennungsofen zeigten. Ich wusste dann wieder, dass die Erforschung eines Themas neben einem wissenschaftlichen Nutzen, eben auch dazu beitragen kann, mächtige Deutungen zu hinterfragen und ein Bewusstsein für weniger bekannte historische Ereignisse zu schaffen. Abschließend möchte ich noch zwei Stiftungen danken, die die Reisen nach Peru finanziert haben. Die Fritz Thyssen Stiftung und der DAAD haben damit wesentlich zum Gelingen meines Vorhabens beigetragen.

1. Einleitung

1.1.

Hinführung zum Thema und Fragestellung

»No hay guerra limpia, la guerra es sucia.«1 Nur wenige peruanische Militärangehörige äußern sich rückblickend ähnlich deutlich über den Charakter der blutigen Auseinandersetzung mit dem Leuchtenden Pfad2 , wie es General Documet in einem Interview vor der Wahrheitskommission3 im Jahre 2003 getan hat. In Befragungen oder Veröffentlichungen,4 die das Vorgehen gegen die »Subversion«5 thematisieren, rechtfertigen und legitimieren sie eher das eigene Tun. Das Militär inszeniert sich dabei als Wiederhersteller der Ordnung, seinen Feind stellt es hingegen als blutrünstig (sanguinario), schlagkräftig sowie hinterlistig dar.6 In ähnlicher Art negiert es bis heute die Existenz von Gefangenen oder Verbrennungsöfen in den Militärbasen des peruanischen Hochlandes – obwohl verschiedene Quellen dies nahelegen.7 Wenn etwaige Vergehen von Polizei und Militär aufgrund eindeutiger 1 ÜBERSETZUNG: »Es gibt keinen sauberen Krieg. Der Krieg ist schmutzig.« CVR, Entrevista a Luis Pérez Documet. Lima 2003, 6. 2 Der Leuchtende Pfad – Sendero Luminoso war eine maoistische Organisation unter Führung von Abimael Guzmán. In Kapitel 3 wird diese Gruppe näher beschrieben: Siehe: Sebastian Chávez Wurm, Der Leuchtende Pfad in Peru (1970-1993). Erfolgsbedingungen eines revolutionären Projekts. Köln 2011. 3 Die Wahrheitskommission (Comisión de la Verdad y Reconciliación/CVR) wurde 2001 mit der Aufarbeitung des Konfliktes betraut und interviewte im Rahmen dessen auch Militärangehörige. In Abschnitt 1.3 wird erneut die Arbeit der Kommission und der Wert des Berichtes thematisiert. 4 Siehe exemplarisch: Comisión Permanente de Historia del Perú, En Honor a la Verdad. Lima 2010, 22f. Quehacer, El Pensamiento de las Fuerzas Armadas en la Presente Coyuntura. Julián Juliá 1985, 10-13. Asociación de los Defensores de la Democracia contra el Terrorismo (ADDCOT), El Terrorismo en el Perú 1980-2000. Versión de los Militares que lo Combatieron. Lima 2006, 7, 18. 5 Die Aufständischen werden als »Subversive« bezeichnet. Da dies eine Kategorisierung mit zahlreichen Implikationen ist, wird der Begriff kursiv gedruckt. 6 CVR, Entrevista a Wilfredo Mori Orzo. Accomarca 2003, 140. ADDCOT, Terrorismo, 13. Comisión Permanente, En Honor, 49. Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Contrasubversión. Lima 1989, 22ff.,109ff. 7 Die Existenz des Ofens, Aushebung von Massengräbern sowie Zeitzeug*innenaussagen sind Belege. Siehe Quellenlage in 1.3. Das Cover zeigt bspw. Überreste des Ofens am Rande der noch heute existierenden Militärkaserne.

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Genozidale Gewalt?

Beweise nicht mehr geleugnet werden können, werden sie als individuelle Verfehlungen bezeichnet.8 Die Aussagen der Militärangehörigen unterscheiden sich zwar hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte,9 eine offizielle Lesart des Konfliktes findet sich aber im Werk »En honor a la verdad«, das als eine Gegendarstellung zum Bericht der Wahrheitskommission verfasst wurde. In dieser Darstellung versuchen die staatlichen Sicherheitskräfte10 ihre Schuld zu schmälern und verneinen einen terroristischen oder auch systematischen Charakter der eigenen Gewalt.11 Wenngleich diese Deutung des Krieges gegen den Leuchtenden Pfad sehr wirkmächtig ist,12 gibt es zahlreiche widersprechende Auslegungen. Die Bekannteste ist der Bericht der Wahrheitskommission, der u. a. die Analyse der von Polizei und Militär ausgeübten Gewalt beinhaltet. In diesem werden ca. ein Drittel der 69.280 Opfer den staatlichen Sicherheitskräften zugerechnet und eine zeitweise systematische Gewaltanwendung des Militärs herausgestellt.13 Kritik am Vorgehen von Staat und Militär kommt außerdem von einigen Forscher*innen14 sowie von Opferorganisationen wie bspw. der APRODEH (Asociación pro Derechos Humanos/Vereinigung für Menschenrechte). Sie gehen dabei in Teilen über den Bericht der Wahrheitskommission hinaus und sprechen in der Bewertung der staatlichen 8 Comisión Permanente, En Honor, 392. 9 Sie sagten beispielsweise aus, dass sie nur während »Zusammenstößen« (direkten Konfrontationen) Subversive töteten und festnahmen. Siehe: Julio Carvajal D’Angelo, Diligencia de Continuación de Declaración Instructiva. Juez Penal Supraprovincial Especializado en Delitos de Derechos Humanos y Terrorismo 2006, 1-5, in: Sala Penal Nacional, Caso Los Cabitos, Exp. 35-06. 10 Der Begriff »staatliche Sicherheitskräfte« bezieht sich auf Polizei und Militär, die beide in den »antisubversiven Kampf« eingebunden waren. Im Verlauf dieser Untersuchung steht das Militär im Vordergrund, da dieses zum Hauptakteur wurde. Es sind jedoch nicht immer eindeutige Grenzen zu ziehen, da Operationen teilweise gemeinsam geplant und durchgeführt wurden. Die zusammenfassende Bezeichnung hat daher ihre Berechtigung. Siehe: Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Contrasubversión. Lima 1989, 15, 106. Comisión Permanente, En Honor. Lima 2010, 22f. 11 Comisión Permanente, En Honor, 392. 12 An der Auseinandersetzung sind neben dem Leuchtenden Pfad auch das MRTA (Movimiento Revolucionario de Tupác Amaru) sowie Selbstverteidigungskomitees beteiligt. Diese werden in folgenden Kapiteln erwähnt, im Fokus stehen aber die Hauptakteure: der Leuchtende Pfad und die staatlichen Sicherheitskräfte (im Besonderen das Militär). 13 CVR, Conclusiones Generales, in: www.cverdad.org.pe/ifinal/pdf/TOMO %20VIII/CONCLUSIONES %20GENERALES.pdf, [zuletzt eingesehen am 21.07.2018], 329. Alle Kapitel des Berichtes finden sich auf der Homepage: www.cverdad.org.pe. Folgend werden nur noch die Titel der Kapitel angegeben. 14 Bei Sammelbezeichnungen für Gruppen wird die Schreibweise mit Sternchen verwendet. Dies geschieht nur bei der Zuschreibung »Bauern« nicht. Hier sei darauf hingewiesen, dass mit der Bezeichnung »Bauern« alle Geschlechter gemeint sind (meist handelte es sich aber tatsächlich um Männer). Auch hinsichtlich des Begriffes »Täter« wird nicht diese Schreibweise genutzt, da es sich beim Militär um männliche Soldaten handelte.

1. Einleitung

Gewalt von genozidalen Zügen, oder wie Herbert Morote, von Genozid.15 Vor allem die Opferorganisationen sehen in der Strafverfolgung sowie Aufarbeitung Defizite und unterstützen die Hinterbliebenen in ihrem Kampf um Wiedergutmachung.16 Viele Bewohner*innen des Hochlandes empfanden die von Lima entsandten Beschützer eher als Besatzer und schätzen das Vorgehen von Polizei sowie Militär bis heute anders ein, als es in den Interviews und Stellungnahmen der peruanischen Ordnungskräfte – sowie teilweise im Bericht der Wahrheitskommission – deutlich wird.17 Sie beschreiben ihre Situation während des Krieges als »entre la espada y la pared/between the devil and the deep blue sea«18 und stellen damit die staatlichen Sicherheitskräfte als dem Leuchtenden Pfad gleichwertige Gefahr dar.19 Diese divergierende Bewertung der Rolle der staatlichen Sicherheitskräfte während des »internen bewaffneten Konfliktes«20 gibt u. a. Anlass dazu, die staatliche Gewaltausübung in den Jahren 1980-1994 zu untersuchen. Bevor einleitend die Fragestellung erläutert, Ziele und Aufbau der Untersuchung sowie der Forschungsstand und die Quellensituation besprochen werden, wird eine kurze begriffliche Einordnung sowie zeitliche Eingrenzung vorgenommen. Der Begriff »Staatsterror« ist im öffentlichen Diskurs in Peru wenig verbreitet. In den hier analysierten militärischen Quellen findet er keine Verwendung, da er aufgrund seiner negativen Konnotation einem Schuldeingeständnis gleichkommen würde. Auch wissenschaftliche Einwände sprechen im Falle Perus gegen die Verwendung des Terminus »Staatsterror«: Die Gewalt des Staates fand im Rahmen eines Bürgerkrieges und bis 1992 innerhalb eines demokratischen Systems statt. Beide Merkmale sind untypisch für Regime des Staatsterrors und könnten die Deutung als »Kriegsverbrechen« nahelegen. Dennoch wird hier auf diesen Begriff zurück gegriffen und folgendes Verständnis zugrunde gelegt: »Er bezieht sich auf 15 Degregori, Carlos Iván/Rivera Paz, Carlos, Perú 1980-1993: Fuerzas Armadas, Subversión y Democracia: Redefinición del Papel Militar en un Contexto de Violencia Subversiva y Colapso de Régimen Democrático, in: http://archivo.iep.pe/textos/DDT/ddt53.pdf, [zuletzt eingesehen am 05.08.2019], 10. Herbert Morote, Todos Contra la Verdad. Lo que Siempre Quiso Saber sobre la CVR. ¿Quiénes no Quieren Divulgar el Informe de la CVR? ¿Resurge Sendero Luminoso? Lima 2014, 66. 16 Zum Beispiel die APRODEH und ANFASEP. 17 Jo-Marie Burt, Political Violence and the Authorian State in Peru. Silencing Civil Society. New York 2007, 58. 18 ÜBERSETZUNG: »Zwischen Schwert und Wand« Markus Österlund, Politics in the Midst of Terror. Religious Beliefs and Political Action in the Peruvian Andes. Helsinki 2001, 187. 19 Dies entspricht der Opfersicht und ist eine Verkürzung, da sich viele am Kampf beteiligten, eine der Seiten unterstützten oder die Seiten wechselten. Nichtsdestotrotz spiegelt es die Haltung vieler wider und verdeutlicht zudem die meist negative Sicht auf Militär und Polizei. Auch ein Kunstwerk im Erinnerungsort in Huamanga illustriert dies. 20 Diese Formulierung entspricht der offiziellen Bezeichnung. Siehe bspw.: CVR, Fuerzas Armadas, 251.

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Genozidale Gewalt?

Staaten (Regime, Regierungen, meist Militärregierungen), die auf semilegale oder illegale Weise Gewalt gegen die eigene bzw. Teile der eigenen Bevölkerung richten.«21 Dabei ist unklar, wer von der Gewalt getroffen wird, wodurch der Staat eine Bedrohungslage erzeugt, um so seine Ordnungsabsichten durchzusetzen. Verwendung findet der Begriff in Lateinamerika vor allem für die Militärdiktaturen in Argentinien und Chile. Die Forschung nutzt ihn auch für Peru, wenngleich er hier eine geringe Rolle spielt.22 Durch den Gebrauch des Begriffes wird auf den historischen Kontext verwiesen und der peruanische Fall in einen Zusammenhang mit anderen Beispielen der lateinamerikanischen Geschichte gestellt. Dieses Vorgehen ist sinnvoll, da am Rande der »Operation Condor«23 sowie in der »Schule der Amerikas«24 ein Austausch stattgefunden hat und den Strategien der staatlichen Sicherheitskräfte in Peru ähnlich wie in Argentinien eine von den USA inspirierte »National-Security-Doctrine«25 zugrunde lag. Dieser historische Rahmen, auf den in Kapitel 3 genauer eingegangen wird, legt den Begriff nahe, der sich trotz verschiedenartiger Ausgangsituationen (Demokratie und Bürgerkrieg in Peru/Diktatur und »Frieden« in den Ländern des Conosur) als passend abzeichnet. Im Fortgang der Untersuchung wird zudem deutlich, dass der demokratische Rahmen durch die Schaffung von Zonen des Ausnahmezustandes26 aufgebrochen wurde und der Kontext des Krieges regional und temporal sehr stark differierte. Die (vermeintlichen) Besonderheiten des peruanischen Falles werden im folgenden Verlauf zwar berücksichtigt, führen aber aus den genannten Gründen nicht dazu, einen anderen Begriff zu wählen. Die Gewalt der peruanischen Sicherheitskräfte, die sie während 21 Michael Riekenberg, Staatsterror in Lateinamerika, in: Birgit Enzmann (Hg.), Handbuch politische Gewalt. Wiesbaden 2013, 351. 22 Exemplarisch: Jo-Marie Burt, Violencia y Autoritarismo en el Perú: Bajo la Sombra de Sendero y la Dictadura de Fujimori. Lima 2009, 26. Abderrahman Beggar, The Path of State Terror in Peru, in: Cecilia Menjívar (Hg.), When States Kill. Latin America, the U.S., and Technologies of Terror. Austin 2005, 252-277. 23 J. Patrice McSherry, Operation Condor as a Hemispheric »Counterterror« Organization, in: Menjívar, When States Kill, 28-56. 24 Die Schule der Amerikas ist ein Ausbildungszentrum der USA. In diesem wurden zahlreiche lateinamerikanische Militärs geschult. Neben einer ideologischen Ausbildung wurden auch Foltertechniken gelehrt. Siehe: Nina Elsemann, Umkämpfte Erinnerung. Die Bedeutung lateinamerikanischer Erfahrungen für die spanische Geschichtspolitik nach Franco. Frankfurt a.M. 2010, 50. Daniel Feierstein, National Security Doctrine in Latin America. The Genocide Question, in: Donald Bloxham (Hg.), The Oxford Handbook of Genocide Studies. New York 2010, 489ff. Abderrahman, The Path, 268f. 25 Diese von den USA inspirierte Lehre gründet sich auf den Kampf gegen den Kommunismus und wird in Kapitel 3 genauer erläutert. Siehe: Feierstein, National Security Doctrine, 489ff. 26 In Peru wurde der Ausnahmezustand dauerhaft über verschiedene Regionen des Landes verhangen. Er stattete die Militärs mit weitreichenden Rechten aus. Dies wird in Kapitel 3 detailliert beschrieben. Siehe: Eduardo Toche Medrano, Guerra y Democracia. Los Militares Peruanos y la Construcción Nacional. Lima 2008, 241f.

1. Einleitung

des Konfliktes mit dem Leuchtenden Pfad gegen die eigene Bevölkerung richteten, wird folglich als Staatsterror bezeichnet. Neben dieser terminologischen Festlegung existiert eine zeitliche Eingrenzung sowie Fokussierung: Der Staatsterror wird in dieser Untersuchung im Zeitraum 1980 bis 1994 betrachtet. Am 17. Mai 1980 begann der Leuchtende Pfad seinen so genannten »Volkskrieg« gegen den peruanischen Staat und forderte eine Reaktion der Regierung heraus, sodass dieses Datum als Beginn verstanden wird.27 Während diese Datierung in der Forschung verbreitet ist, wird das Ende des Konfliktes gemeinhin im Jahr 2000 – mit dem Ende der Präsidentschaft Fujimoris – gesehen.28 Hier wird das Jahr 1994 als Endpunkt gewählt, da sich die Rahmenbedingungen des Staatsterrors durch die Schwäche des Leuchtenden Pfades und die stärkere Machtkonzentration unter Fujimori ab diesem Zeitpunkt sehr stark veränderte. Zudem rückt diese Untersuchung die 1980er Jahre in das Zentrum. Dies ergibt sich einerseits durch die Quellenfunde und andererseits aus der Forschungslandschaft, in der eine Konzentration auf die Regierungsjahre Fujimoris (ab 1990) zu erkennen ist. Weitere Eingrenzungen werden vorgenommen, indem die Gewalt im Hochland und vor allem ausgewählte Gewaltsituationen untersucht werden. Neben pragmatischen Gründen der Handhabbarkeit spricht für diese Fokussierung, dass das Hochland den Hauptschauplatz der Auseinandersetzung darstellte. Die Gewalt traf insbesondere das Department Ayacucho und angrenzende Gebiete, sodass es sinnvoll ist, das Hauptaugenmerk auf diese Region zu richten.29 Sie wird als Gewaltraum30 begriffen, der in seinen Charakteristika und Funktionsweisen erfasst werden soll. Die anderen Regionen Perus werden weniger intensiv betrachtet, spielen aber eine Nebenrolle, um der Frage nachzugehen, ob und warum der Staatsterror verschiedene Ausprägungen zeigte. Vor allem ein Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Gewaltausübung im Hochland und in Lima erscheint hilfreich, um Charakteristika des Staatsterrors herausarbeiten zu können. Die Auswahl der einzelnen Gewaltsituationen basiert auf verschiedenen Überlegungen: Erstens bilden sie unterschiedliche Gewaltformen ab, sodass Massaker, Folter sowie sexuelle Gewalt und Verschwindenlassen untersucht werden können. Zweitens wurden Fälle aufgrund der Quellenlage ausgewählt. Für einige Taten gibt 27 CVR, Los Periodos, 53ff. 28 Ebd. 53. 29 Die Untersuchung konzentriert sich auf die Region Ayacucho und angrenzende Gebiete, die, wie noch erläutert wird, gemeinsame räumliche, soziale und kulturelle Merkmale teilen. Der Gewaltraum wird Ayacucho genannt, umfasst aber auch andere angrenzende Gebiete. Eine genaue geografische Grenze ist dabei nicht zu ziehen. 30 Das Konzept des Gewaltraumes ist zentral in dieser Arbeit und wird in Kapitel 2 erläutert. Siehe: Felix Schnell, Räume des Schreckens. Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine 1905-1933. Hamburg 2012, 22, 77, 139, 542.

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Genozidale Gewalt?

es wegen der justiziellen Aufarbeitung oder der Nachforschungen durch Untersuchungskommissionen einen recht guten Bestand, sodass sie auch aus pragmatischen Gründen in den Vordergrund gerückt werden.31 Im Rahmen dieser Eingrenzungen wird in der Untersuchung nach einer genozidalen Logik in der Gewaltausübung der staatlichen Sicherheitskräfte gefragt. Diese Frage resultiert aus drei verschiedenen Beobachtungen: Erstens ergibt sie sich aus einer Lücke in der Forschung zum peruanischen Staatsterror. Zwar wurde der Begriff »Genozid« in den Diskurs eingebracht, seine Tragfähigkeit bisher jedoch nicht tiefgründig geprüft.32 Zweitens gibt der hohe Prozentsatz indigener Opfer (ca. 75 %) Anlass, dieser Frage nachzugehen, könnte doch eine ethnische Konnotation der Gewalt vermutet werden.33 Drittens beruht die Frage auf einer Irritation: Hinsichtlich des argentinischen Staatsterrors nutzt die Forschung vermehrt den Terminus »Genozid« und auch die Strafverfolgung in Argentinien verwendete den Begriff,34 obwohl auch hier die Opfer Subversive waren. Warum also existiert eine solche begriffliche Einordnung in Argentinien – in Peru jedoch nicht? Liegt dies im historischen Gegenstand selbst oder im unterschiedlichen Aufarbeitungsdiskurs begründet? Da Letzteres wahrscheinlich ist, gab diese Irritation Anlass dazu, nach genozidalen Eigenschaften im peruanischen Staatsterror zu fragen.35 Betont werden muss an dieser Stelle, dass dies eine Ausgangsfrage ist, die vor allem dazu dienen soll, eine Charakterisierung des Staatsterrors zu ermöglichen. Sie ist also der Beginn der Analyse – nicht ihr Ende. Die skizzierten Unterschiede im Erinnerungsdiskurs und der Aufarbeitung sind ein Impulsgeber für diese Arbeit, jedoch nicht ihr Schwerpunkt. So geht es nicht vordergründig um die Verwendungsweise der Kategorie »Genozid« in Peru oder Vor- und Nachteile, die ein Gebrauch mit sich bringen würde. Vielmehr soll das Tun der Sicherheitskräfte im Fokus stehen, welches anhand verschiedener Pa31 Im Abschnitt zur Quellenlage wird dies genauer dargestellt und aufgezeigt. 32 Degregori, Perú 1980-1993, 10. Morote, Todos Contra la Verdad, 66. 33 CVR, Discriminación Étnica, 130. Die Bezeichnung »indigen« oder auch andere Zuschreibungen wie »mestizisch« werden hier als Quellenbegriffe genutzt. Es sei darauf hingewiesen, dass sie hier nicht als rassistische Beschreibung verstanden werden, sondern zur Verdeutlichung von Gruppenzuschreibungen dienen. Annika Oettler, Politische Kultur und ethnische Inklusion: Zur historiographischen Bedeutung der »Wahrheitskommissionen« in Guatemala und Peru, in: Christian Büschges (Hg.), Die Ethnisierung des Politischen. Identitätspolitiken in Lateinamerika, Asien und den USA. Frankfurt a.M. 2007, 276. 34 Daniel Feierstein, The Concept of »Genocidal Social Practices«, in: Adam Jones (Hg.), New Directions in Genocide Research. New York 2012, 18-35. Alex Alvarez, Governments, Citizens, and Genocide: A Comparative and Interdisciplinary Approach. Bloomington 2001, 33ff. 35 Stefanie Wiehl, Staatsterror in Peru (1980-1994). Aufarbeitung zwischen unkonventionellem Krieg und Genozid, in: Stefan Peters (Hg.), Geschichte wird gemacht. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. Baden-Baden 2015, 103-117.

1. Einleitung

rameter analysiert wird.36 Um dies zu bearbeiten, widmet sich die Untersuchung folgenden untergeordneten Fragen: • • • • • • •

Wie lässt sich der peruanische Staatsterror (1980-1994) historisch einordnen? Wie wurde die staatliche Gewalt organisiert, verwaltet und legitimiert und welche Rolle kommt den staatlichen Akteuren zu? Welche Charakteristika kennzeichnen das peruanische Militär? Wie konstituierten sich die Gewaltsituationen? Wie entwickelte sich der Gewaltraum Ayacucho? Wie funktionierte er? Wie veränderte er sich? Welche Eigenschaften sind in der Gewaltausübung der staatlichen Sicherheitskräfte erkennbar? Bildeten sich Praktiken heraus? Inwiefern weisen diese Praktiken genozidale Eigenschaften auf oder wie sind sie ferner zu charakterisieren?

In einem Exkurs wird außerdem ausgehend von den Ergebnissen der Untersuchung diskutiert, inwiefern die Kategorie »Genozid« oder das Adjektiv »genozidal« angemessen und sinnvoll zu gebrauchen sind. Dabei wird erörtert, was diese Kategorisierung in Recht, Öffentlichkeit und Wissenschaft leisten kann und wie sinnvoll und gewinnbringend sie für diese Untersuchung war. Zugespitzt fragt der Exkurs, ob der Terminus »Genozid« bzw. »genozidale Gewalt« in Peru mehr darstellen kann als ein Label, das die Aufmerksamkeit und justizielle Handhabe verstärkt. Mit diesem Abschnitt kehrt die Arbeit zu ihrem diskursiven Impuls zurück und schließt an Fragen der Genozidforschung an. Da dies nicht das Hauptanliegen darstellt, wird es in Form eines Exkurses behandelt.

1.2.

Ziele und Aufbau

Die Untersuchung ist bestrebt, auf drei verschiedenen Ebenen einen Forschungsbeitrag zu leisten. Wie der anknüpfende Abschnitt zum Forschungsstand darstellt, ist die Gewalt der staatlichen Akteure sowie ihre Rolle im Krieg gegen den Leuchtenden Pfad (1980-1994) ein vergleichsweise wenig betrachteter Forschungsgegenstand. Diese Arbeit nimmt also ein vernachlässigtes Thema in den Blick, um insbesondere die deutsche Lateinamerikaforschung zum peruanischen Bürgerkrieg zu bereichern. Ebenso knüpft sie an Fragen der Genozidforschung an und bringt 36 Die Arbeitet nutzt sowohl den Begriff »Logik« als auch Charakter. Sie setzen sich aus den verschiedenen Eigenschaften zusammen, beziehen sich aber auf das Wesen des gesamten Staatsterrors.

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aus einer umgrenzten Sicht sowie ausgehend von einem untypischen Beispiel eine weitere Perspektive in die aktuelle Diskussion um den Genozidbegriff und das Adjektiv »genozidal« ein. Indem sie sich in den einschlägigen Debatten verortet und anhand des peruanischen Beispielfalls eine Möglichkeit der Gewaltforschung aufzeigt, ist sie letztlich ein Beitrag zur Gewaltforschung und einer anhaltenden Methoden- und Theoriediskussion. Das Kapitel zum theoretisch-methodischen Rahmen gibt durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff »Gewalt« und den dazugehörigen Debatten einen Einblick in die Gewaltforschung und macht Grundlagen der folgenden Betrachtungen sichtbar. Dadurch wird der theoretische Ausgangspunkt nachgezeichnet und die Art der Analyse sowie der Untersuchungsgegenstand genauer erläutert. Analog zum Gewaltbegriff wird der Terminus »Genozid« eingeführt. Ausgehend von einer Diskussion der begrifflichen Festlegung durch die UN werden aktuelle Forschungsfragen skizziert und es wird auf einschlägige Literatur verwiesen, bevor letztlich das eigene Begriffsverständnis herausgestellt wird. In enger Verknüpfung mit diesen theoretischen Festlegungen wird in diesem Kapitel das methodische Vorgehen entwickelt. Dafür wird die Praxeologie als eine Anknüpfung an die »Neue Gewaltsoziologie« in ihren Grundzügen dargestellt und mit weiteren methodischen Bausteinen verwoben. Damit wird eine praxeologische Perspektive herausgearbeitet, das eigene Verständnis praxeologischen Forschens abgegrenzt und das Vorgehen der Untersuchung verständlich gemacht. Dieser methodisch-theoretische Rahmen erfüllt somit verschiedene Aufgaben: Er nimmt Einfluss auf das Forschungsdesign, verortet die Untersuchung in wissenschaftlichen Debatten und konkretisiert das weitere Vorgehen.37 Indem wesentliche historische Ereignisse und Zusammenhänge – das Hintergrundgefüge – thematisiert wird, findet im darauffolgenden Kapitel eine zweite Verortung des Untersuchungsgegenstandes statt. In diesem Kapitel wird eine Kontextualisierung des Staatsterrors in Peru vorgenommen, die ein besseres Verständnis der folgenden Erzählungen sowie Deutungen gewährleistet. Die Geschehnisse in den 1980er und 1990er Jahren in Peru sind ohne einen Blick auf die peruanische Gesellschaft und ihr Gewachsensein ebenso wenig zu verstehen wie ohne einen Blick auf internationale Einflüsse: So sind bspw. die Bedeutung der »NationalSecurity-Doctrine« und der »Schule der Amerikas« zu erläutern, ebenso wie Spezifika der Hochlandregion, in der der Konflikt seinen Anfang nahm. Obwohl nicht davon ausgegangen wird, dass der historische Kontext eine hinreichende Bedingung für den Konflikt darstellt, sind diese Darlegungen für den Fortgang der Untersuchung dennoch von Bedeutung. Insbesondere die Charakterisierungen Ayacuchos und des 37 Auch aufgrund genannter zentraler Aufgaben findet sich dieses Kapitel in seiner Ausführlichkeit zu Beginn der Arbeit.

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Leuchtenden Pfades sind unerlässlich, um den Staatsterror einordnen und die Entwicklung des Gewaltraumes nachvollziehen zu können.38 Nach diesen beiden Verortungen widmet sich die Untersuchung den staatlichen Akteuren, wobei das Militär und seine Rolle im Konflikt im Zentrum der Betrachtung stehen. Dabei liegt das Augenmerk auf der Organisation, den Strategien und Feindbildern, wofür neben Hierarchien und den gesetzlichen Grundlagen Pläne und Befehle sowie die ideologische Schulung analysiert werden. Die Täterperspektive wird außer vom Militär selbst bisher selten eingenommen, sodass dadurch ein neuer Input für die Forschung zum peruanischen Bürgerkrieg erwartet werden kann. Er besteht aus einer Charakterisierung dieses Akteurs sowie aus einem kritischen Blick auf gängige Deutungsmuster. Das fünfte Kapitel der Arbeit stellt den Kern der Untersuchung dar. Es behandelt die verschiedenen Gewaltformen des Staatsterrors, indem zunächst einzelne Gewaltsituationen beschrieben werden. Ausgehend von diesen Erzählungen und im Abgleich verschiedener Quellen werden in diesen Abschnitten Muster und Routinen herausgearbeitet, die folgend interpretiert werden. Dadurch macht die Untersuchung Praktiken des Staatsterrors sichtbar und nähert sich einer Charakterisierung der staatlichen Gewalt an. Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine erneute Beleuchtung des Gewaltraumes und seiner Entwicklung seit dem Eingreifen des Militärs in den Konflikt. Anknüpfend an den historischen Rahmen und die Analyse der Gewalt wird in diesem Abschnitt der Gewaltraum Ayacucho charakterisiert und von anderen Regionen abgegrenzt. Diese Passagen stellen damit ein erstes Zwischenfazit dar, worauf abschließend zurückgegriffen wird. Im Verlauf werden einzelne Gewaltsituationen sehr nah fokussiert, die Arbeit tritt jedoch bewusst aus den Situationen wieder heraus, ordnet sie ein – deutet sie. Den Leser und die Leserin erwarten Gewalterzählungen über Massaker, Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen. Sie werden nah an den Quellen beschrieben. Es wird sich aber keiner Gewaltästhetisierung hingegeben und diese Erzählungen bleiben nicht für sich stehen. Vielmehr werden sie in Verbindung mit den Akteuren und dem historischen Rahmen gestellt. Schließlich wird die Nahperspektive verlassen und sich einer Deutung gewidmet. Wenn man es im ›bourdieuschen Sinne‹ sagen möchte, wird zwischen »Hügelperspektive und Schlachtfeld« gewechselt – beide werden immer wieder verlassen, hinterfragt und analysiert.39 Kurz und weniger metaphorisch wird also im sechsten Kapitel eine Analyse anhand von Parametern erfolgen, die die Überprüfung genozidaler Muster und ferner eine allge38 Die methodisch-theoretische Verortung verdeutlicht nochmals, warum eine ausführlichere Darstellung des historischen Rahmens nötig ist. Sowohl das Gewaltraumkonzept als auch eine praxeologische Perspektive erfordern dies. 39 Lars Schmitt, Symbolische Gewalt und Habitus-Struktur-Konflikte. Entwurf einer Heuristik zur Analyse und Bearbeitung von Konflikten, Marburg 2006, 9.

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meine Einschätzung des Staatsterrors ermöglicht.40 Die Parameter bilden zwar das Konzept »genozidaler Gewalt« ab, da diese jedoch hinterfragt und diskutiert werden, kann ausgehend von diesem Analyseteil auch der Charakter des Staatsterrors näher ergründet werden. Die Ergebnisse nutzt der Exkurs, um den Gebrauch des Genozidbegriffes sowie des Konzeptes »genozidaler Gewalt« zu diskutieren. Recht, Öffentlichkeit und Wissenschaft sind die drei Ebenen, die der Exkurs streift, um ausgehend von den Ergebnissen dieser Arbeit eine weitere Perspektive in die Debatte um die Nutzung des Genozidbegriffes einzubringen. Durch eine andere Sichtweise sollen die Forschungsdebatten bereichert werden. Die Sichtweise ist die einer deutschen Wissenschaftlerin auf den peruanischen Staatsterror – also einer Sicht von außen. Zudem ist es ein praxeologischer Blick auf ein Gewaltereignis sowie letztlich die Sicht ausgehend von einem untypischen Beispiel auf die Genozidforschung. Zu welchen Ergebnissen und Fragen dies führt, fasst das Fazit zusammen. Es umfasst eine abschließende Charakterisierung des Staatsterrors, eine Reflexion der theoretisch-methodischen Ausrichtung sowie eine kritische Würdigung des Forschungsverlaufes.

1.3.

Forschungsstand und Quellenlage

Die Erforschung staatlicher Gewalt steht nicht nur vor methodischen Herausforderungen, sondern ist meist mit einer schlechten Quellenlage konfrontiert. Dies gilt auch für Peru. Der aktuelle Forschungsstand resultiert in Teilen aus dem schwierigen Zugang zu Archiven und ist zudem vom widerstreitenden Aufarbeitungsdiskurs innerhalb Perus beeinflusst.41 Es ist nicht zu unterschätzen, wie aufgeladen der politische Diskurs über diesen noch recht aktuellen Untersuchungsgegenstand ist. Einige Offiziere des Konfliktes befinden sich in hohen politischen Ämtern und die Tochter von Alberto Fujimori konnte 2016 erst in der Stichwahl von der Präsidentschaft abgehalten werden. Auch die Begnadigung ihres Vaters an Weihnachten 2017 und die darauffolgenden Proteste versinnbildlichen die widerstreitenden Deutungen sowie die schwierige Situation für die Aufarbeitung staatlicher Verbrechen.42 40 Was eine genozidale Logik auszeichnet, wird im Kapitel zu Theorie und Methode (2.3.) erläutert. 41 Jo-Marie Burt, Access to Information, Access to Justice: The Challenges to Accountability in Peru, in: SUR International Journal on Human Rights 18, 2013, 75-95. Markus Weissert, ¿La Casa de Todas las Víctimas? Der Diskurs über das »Lugar de la Memoria« in Lima in der peruanischen Presse, in: Ernst Halbmayer (Hg.), Die erinnerte Gewalt. Postkonfliktdynamiken in Lateinamerika. Bielefeld 2012, 77-110. 42 La República, Fujimori en Libertad, in: http://larepublica.pe/politica/1161969-alberto-fujimorilibre-ppk-le-otorgo-el-indulto-al-exdictador (25.12.2017), [zuletzt eingesehen am 10.01.2017].

1. Einleitung

Literatur In diesem Abschnitt wird die Forschungsliteratur über den peruanischen Bürgerkrieg, insbesondere über die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte vorgestellt.43 Der ›state of the art‹ von Gewalt- oder Genozidforschung würde hier den Rahmen sprengen, fließt aber in das Kapitel zu Theorie und Methode in Grundzügen ein. Anhand von drei Auffälligkeiten wird hier die Forschungslandschaft nachgezeichnet: Erstens konzentriert sich die Forschung auf den Leuchtenden Pfad, zu dem es eine Vielzahl an Literatur aus unterschiedlichen Perspektiven gibt. Zweitens spielen vor allem die Aufarbeitung und Erinnerungskultur eine Rolle. Drittens werden bei der Betrachtung der staatlichen Gewalt meist die autoritären Jahre ab 1992 in das Zentrum der Untersuchung gestellt. Wie bereits angedeutet, existieren zudem höchst divergente Deutungen der staatlichen Gewalt. Während hinsichtlich der Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte noch viele Fragen unbeantwortet geblieben sind und die Quellenlage begrenzt ist, erscheint die Forschungslandschaft zum Leuchtenden Pfad facettenreich und vielfältig. Neben Aufbau und Ideologie der maoistischen Gruppe44 gibt es Werke über den Anführer,45 die Motivation der Kämpfer46 oder die Erfolgsbedingungen sowie den Charakter der Organisation.47 Es werden zudem einzelne Aspekte wie die Rolle des Glaubens oder das Alltagsleben herausgegriffen und versucht, den in der Forschung oft als ungewöhnlich beschriebenen Akteur zu verstehen.48 Der Leuchtende Pfad wird sowohl von peruanischen als auch internationalen Forscher*innen untersucht, die auf verschiedenste Quellen zurückgreifen. Neben Flugblättern, ideo43 Dieser Abschnitt beansprucht keine Vollständigkeit, sondern will vielmehr einen Einblick in die Literatur geben und die Forschungslandschaft zum peruanischen Bürgerkrieg skizzieren. 44 Gustavo Gorriti, Sendero. Historia de la Guerra Milenaria en el Perú. Lima 2008. Carlos Iván Degregori, Sendero Luminoso: Part I: Los Hondos Mortales Desencuentros Part II: Lucha Armada y Utopía Autoritaria. Lima 1988. Steve J. Stern (Hg.), Shining and other Paths. War and Society in Peru, 1980-1995. London 1998. Carlos Iván Degregori, How Difficult It Is to Be God. Madison 2012. 45 Carlos Iván Degregori, After the Fall of Abimael Guzmán. The Limits of Sendero Luminoso, in: Maxwell Cameron (Hg.), The Peruvian Labyrinth. Pennsylvania 1997, 179-191. Gonzalo Portocarrero, Profetas del Odio. Raíces y Líderes de Sendero Luminoso. Lima 2015. 46 Andrea Portugal, Voices from the War: Exploring the Motivation of Sendero Luminoso Militants. Oxford 2008. 47 Wurm, Der Leuchtende Pfad. Alexandra Bürger, Terrorismus oder Guerilla? Der Sendero Luminoso in Peru, in: Alexander Straßner, Sozialrevolutionärer Terrorismus. Theorie, Ideologie, Fallbeispiele, Zukunftsszenarien. Wiesbaden 2008. Cynthia McClintock, Revolutionary Movements in Latin America. El Salvador FMLN and Peru’s Shining Path. Washington 1998. Robin Kirk, Grabado en Piedra, Las Mujeres de Sendero Luminoso. Lima 1993. 48 Steve J. Stern, Beyond Enigma: An Agenda for Interpreting Shining Path and Peru 1980-1995, in: Ders. (Hg.), Shining and other Paths, 1-12. Ponciano del Pino, Family, Culture, and »Revolution«: Everyday Life with Sendero, in: Stern (Hg.), Shining and other Paths, 158-192. Österlund, Politics.

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logischen Schriften und Zeitzeug*innenaussagen finden polizeiliche Quellen über die senderistas sowie militärische Einschätzungen Verwendung.49 Die Schlüsse hinsichtlich der Bewertung der Gruppe gehen dabei auseinander. Während zunächst behauptet wurde, dass sie eine indigene millenarische Organisation war, wird nun eher angenommen, dass den meist jugendlichen Anhänger*innen ein alternatives Identitätsangebot durch den Leuchtenden Pfad gemacht worden sei.50 Darüber hinaus schwanken die Aussagen über Größe und Schlagkraft der Organisation, wobei davon auszugehen ist, dass es keine Massenpartei war.51 Auch die Wahrheitskommission kommt zu dem Schluss, dass der Leuchtende Pfad in Zahl und Bewaffnung den Sicherheitskräften unterlegen war.52 Für diese Arbeit ist der Leuchtende Pfad interessant, da er den Gewaltraum in Ayacucho entscheidend beeinflusste und somit relevant für die Einordnung der staatlichen Reaktion ist. Zudem ist eine Kontrastierung von Forschungsergebnissen zum Leuchtenden Pfad und der Einschätzung des Militärs von Bedeutung, da so die Sichtweise der staatlichen Sicherheitskräfte besser gedeutet werden kann. Der Bericht der Wahrheitskommission, der nun bereits vermehrt erwähnt wurde, bietet nicht nur Wissenschaftler*innen einen großen Fundus an Informationen über den Konflikt: Neben einer Charakterisierung der Hauptakteure sowie wesentlichen Phasen des Konfliktes beschreibt er einzelne Gewalttaten und liefert eine Vielzahl statistischer Daten.53 Er erschien im Jahr 2003 in neun Bänden und erzeugte zunächst ein großes öffentliches Echo – Lob wie Kritik.54 Die Arbeit der Kommission dauerte 22 Monate und ging mit der Sammlung zahlreicher Quellen einher, die in einem eigenen Archiv lagern, das Forscher*innen und Interessierten offen steht.55 Die Wahrheitskommission hat damit einen großen Teil zur Aufarbeitung beigetragen und wird von Teilen der Forschung als vorbildlich eingeschätzt.56 Gleichsam wurde sie von verschiedenen Seiten kritisiert und die Wirkungsmacht 49 Siehe bspw. bei: Chávez Wurm, Der Leuchtende Pfad. 50 Chávez Wurm, Der Leuchtende Pfad, 127, 230f. Flores Galindo, Buscando un Inca: Identidad y Utopía en los Andes, Lima 1994 51 Deborah Poole/Gerardo Rénique, Peru. Times of Fear. London 1992. Hier werden 5.000 Kämpfer und zahlreiche Unterstützer genannt. Dem Staat war die Zahl nicht klar. Sie vermuteten jedoch eine hohe Zahl an Unterstützern. Siehe: Comisión Permanente, En Honor, 155, 182. Die Wahrheitskommission gibt 2.700 als Schätzwert an: CVR, SL Origen, 13. 52 CVR, El Partido Comunista del Perú Sendero Luminoso (Conclusiones), 130. 53 Der Bericht ist online einsehbar: http://cverdad.org.pe/ifinal/index.php, [zuletzt eingesehen am 21-07.2018]. 54 Annika Oettler, Peru: »Aufarbeitung der Zeit der Angst«. Die Wahrheitskommission fordert die politische Kultur des Landes heraus, in: Brennpunkt Lateinamerika, 2003, 179-190. 55 Weitere Informationen zum Archiv siehe: Defensoría del Pueblo, www.defensoria.gob.pe/cinfo.php, [zuletzt eingesehen am 27.06.2018]. 56 Priscilla Hayner, Unspeakable Truths: Transitional Justice and the Challenge of Truth Commissions. New York 2011, 35ff.

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des Berichtes infrage gestellt.57 Vor allem die staatlichen Sicherheitskräfte waren mit der Deutung des Konfliktes nicht zufrieden und griffen die Kommissionsmitglieder und ihren Bericht an.58 Sie veröffentlichten 2012 eine Art Gegendarstellung, die die Sicherheitskräfte in ein positives Licht rückt.59 Angriffe gibt es außerdem von der MOVADEF (Movimiento pro Amnistía y Derechos Fundamentales/Bewegung für Amnestie und Grundrechte), die den Ideen des Leuchtenden Pfades folgen und eine Amnestie für senderistas (sowie Polizei und Militär) fordern.60 Ferner gibt es Stimmen unter den Opfern, die von der Arbeit der Wahrheitskommission enttäuscht sind, da sich ihrer Ansicht nach kaum etwas geändert hat und sie immer noch auf Wiedergutmachung warten.61 Der Bericht der Wahrheitskommission ist wegen der widerstreitenden Reaktionen ein beliebter Untersuchungsgegenstand. Diese Aufmerksamkeit ist zudem im Kontext einer wachsenden Forschung zu Transitional Justice und Erinnerungskultur zu sehen.62 Themen der Werke sind neben Zusammensetzung und Arbeitsweise der CVR,63 eine Auseinandersetzung mit den Schlussfolgerungen64 sowie die Frage nach dem Erfolg des Berichtes, wobei hier 57 Livia Drha, Konfliktaufarbeitung und Friedenskonsolidierung in der Post-Konflikt-Phase in Peru. Unter besonderer Berücksichtigung der zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung des Südens. Linz 2007. 58 ADDCOT, El Terrorismo. 59 Comisión Permanente, En Honor. 60 Siehe das Programm auf der Homepage: www.movadef.net/vii-solucion-politica-amnistiageneral-y-reconciliacion-nacional/lineamientos-programaticos/solucion-politica-amnistiageneral-y-reconciliacion-nacional, [zuletzt eingesehen am 05.04.2016]. 61 Kimberly Theidon, Truth with Consequences: Justice and Reparations in Post-Truth Commission Peru, in: Human Rights Quarterly 29, 2007, 229ff. Cynthia E. Milton, The Truth Ten Years On: The CVR in Peru, in: Eugenia Allier-Montaño (Hg.), The Struggle for Memory in Latin America. Recent History and Political Violence. New York 2015, 127. 62 Siehe exemplarisch: Eugenia Allier-Montaño (Hg.), The Struggle for Memory in Latin America. Recent History and Political Violence. New York 2015. Stefan Peters (Hg.), Geschichte wird gemacht. Vergangenheitspolitik und Erinnerungskulturen in Lateinamerika. Baden-Baden 2015. Alexander Laban Hinton, Introduction: Toward an Anthropology of Transitional Justice, in: Ders. (Hg.), Transitional Justice: Global Mechanisms and Local Realities after Genocide and Mass Violence. Piscataway 2010, 4. Carlos Aguirre, ¿De Quién Son estas Memorias? El Archivo de la Comisión de la Verdad y Reconciliación del Perú, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas, 2009. 63 Oettler, Aufarbeitung. Annette Fingscheidt, Der Krieg im anderen Land. Perus Aufarbeitung von zwanzig Jahren Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, in: www.menschenrechte.org/wp-content/uploads/2009/11/Der_Krieg_im_anderen_Land.pdf, [zuletzt eingesehen am 21.07.2018]. 64 Rainer Huhle, »…vergessen, dass sie zu töten gelernt hatten«. Perus Wege zur Aufarbeitung der Vergangenheit, 2004, in: www.nmrz.de/wp-content/uploads/2009/11/Perus_Wege_zur_Aufarbeitung_der_Vergangenheit.pdf, [zuletzt eingesehen am 21.07.2018]. Annegret Reisner, Die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Peru und ihr Beitrag zur Demokratisierung des Landes. Eine kritische Untersuchung, Berlin 2005.

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das zehnjährige Jubiläum Anlass zur Bilanzierung gab.65 Gerade in der deutschen Forschung zu Peru erscheint die Erinnerungskultur und Aufarbeitung ein Schwerpunktthema zu sein. Dies zeigt sich an der Fülle der Publikationen und geht möglicherweise mit einem politischen Interesse einher. Die Bundesrepublik hat sich mit zwei Millionen Euro am Bau des »Lugar de la Memoria« beteiligt und fördert durch die GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) Programme zur Aufarbeitung in Peru.66 Diese beiden Untersuchungsgenstände dominieren die Literatur zum peruanischen Bürgerkrieg. Wenngleich in den meisten Werken Verweise auf die staatlichen Vergehen zu finden sind, stehen sie in diesen Arbeiten nicht im Mittelpunkt der Analyse. Wenn der Staatsterror bzw. die staatliche Gewalt als zentraler Topos zu finden ist, kann eine Konzentration auf die Regierungsjahre Fujimoris festgestellt werden.67 Jo-Marie Burt hat in ihrem Werk »Violencia y Autoritarismo en el Perú: Bajo la Sombra de Sendero y la Dictadura de Fujimori«68 die Gewalt des Staates untersucht und schreibt auch über die 1980er Jahre, stellt aber die Regierungszeit Alberto Fujimoris (1990-2000) in das Zentrum ihrer Monografie. Nichtsdestotrotz bildet ihre Auseinandersetzung mit dem Thema eine gute Unterstützung für diese Untersuchung und kann zur Kontextualisierung der Gewalt genutzt werden. Eine ähnliche Gewichtung findet sich bei Abderrahman Beggar im Artikel »The Path of State Terror in Peru«. Carlos Iván Degreogri widmete sich im umfangreichen Werk »La década de la antipolítica. Auge y huida de Alberto Fujimori y Vladimiro Montesinos« in Gänze der Regierungszeit Fujimoris, schreibt in einer früheren Arbeit aber ebenso über die Rolle des Militärs im Krieg gegen den Leuchtenden Pfad. Hervorzuheben ist hier der Aufsatz »Perú 1980-1993: Fuerzas Armadas, subversión y democracia: Redefinición del papel militar en un contexto de violencia subversiva y colapso de régimen democrático.« Dieser Artikel bietet interessante Thesen und Anknüpfungspunkte, wobei gesondert erwähnt werden muss, dass er von genozidalen Zügen in der Strategie der Sicherheitskräfte spricht, dies jedoch nicht genauer belegt.69 Herbert Morote bezeichnet die Gewalt des Staates sogar als Genozid.70 Beide Kategorisierungen erscheinen aber eher als Hypothese und wurden bisher nicht näher untersucht. 65 Morote, Todos. Sofia Macher, ¿Hemos Avanzado? A 10 Años de las Recomendaciones de la Comisión de la Verdad y Reconciliación. Lima 2014. Milton, The Truth, 111-128. 66 Weissert, ¿La Casa de Todas las Víctimas? 85f. Siehe auch: GIZ, Lugar de la Memoria para las Víctimas del Conflicto Armado, https://www.giz.de/en/worldwide/31258.html, [zuletzt eingesehen am 10.05.2016]. 67 Neben den folgend genannten,siehe exemplarisch auch: Jo-Marie Burt, Quien Habla es Terrorista. The Political Use of Fear in Fujimori’s Peru, in: Latin American Research Review, 2006, 32-62. 68 Burt, Violencia. 69 Degregori, Perú 1980-1993. 70 Morote, Todos, 66.

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Resultierend aus dem Forschungsstand wird die Behauptung eines genozidalen Charakters an den Anfang der Überlegungen gestellt und ihre Tragfähigkeit überprüft. Dabei stehen die 1980er Jahre im Fokus, da die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte in diesem Zeitraum vergleichsweise wenig erforscht wurde, das Ausmaß der Gewalt hingegen sehr hoch war. Schließlich wird versucht, eine Täterperspektive einzubringen, da (teilweise) durch die Konzentration auf Erinnerungskulturen vordergründig einer Opferperspektive gefolgt wurde.71 Die Arbeit kann dabei zum einen auf bereits benannte Werke zurückgreifen, da die staatliche Gewalt in den 1980er Jahren in diesen erwähnt wird. Zum anderen existieren Artikel und Monografien, die sich mit den staatlichen Sicherheitskräften in dieser Zeit beschäftigen.72 Sie rücken dabei jedoch andere Themen als die Gewaltausübung in den Vordergrund: Neben einem allgemeinen Überblick, der Geschichte des Militärs oder einer Chronologie betrachten sie die Strategie der Sicherheitskräfte und zeigen den rechtlichen Rahmen auf. Zudem existieren wenige Vergleichswerke73 und Arbeiten, die einzelne Aspekte in den Vordergrund stellen. Hier wäre beispielsweise die Veröffentlichung »Intimate Enemies« von Kimberly Theidon zu nennen, welche sexuelle Gewalt im Konflikt untersucht.74 Ihre Ergebnisse werden in die Untersuchung sowie Deutung der sexuellen Gewalt einbezogen, sodass diese umfangreiche Feldforschung mehr als nur einen Anknüpfungspunkt darstellt. Letztlich kann auf Literatur zurückgegriffen werden, die eine einseitige und individuelle Sicht auf den Konflikt abbilden. In Teilen kann diese als Quelle kategorisiert werden, da sie – Sag- und Unsagbares – offenbaren. Sie verraten nur wenig über die Taten selbst, sondern geben eher Aufschluss über die Sichtweisen der staatlichen Sicherheitskräfte. Hier wären die Werke ehemaliger Militärangehöri71 Siehe zum Beispiel: Volker Blum, Senderos Enredados: Los Desplazamientos y el Proceso de Retorno en Ayacucho, in: Klaus Bodemer (Hg.), Violencia Regulación de Conflictos en América Latina. Caracas 2001, 341-359. 72 Carlos Tapia, Las Fuerzas Armadas y Sendero Luminoso. Dos Estrategias y un Final. Lima 1997. Lewis Taylor, La Estrategia Contrainsurgente, el PCP-SL y la Guerra Civil en el Perú, 190-196, in: Debate Agrario, 1997, 81-110. Toche, Guerra y Democracia. Philip Mauceri, Military Politics and Counter-Insurgency in Peru, in: Journal of Interamerican Studies and World Affairs 33, 1991, 83109. Abraham Siles Vallejos, La Lucha Antiterrorista en el Perú: Agujeros Negros Legales, Agujeros Grises y el Arduo Camino Constitucional. Lecciones Peruanas para la Guerra Contra el Terrorismo Global., in: Derecho PUCP, 2015, 75-94. 73 Dirk Kruijt, Exercises in State-Terrorism: The Counter-insurgency Campaigns in Guatemala and Peru, in: Kees Koonings (Hg.), Societies of Fear. The Legacy of Civil War, Violence and Terror in Latin America. New York 1999, 33-62. 74 Kimberly Theidon, Intimate Enemies. Violence and Reconciliation in Peru. Philadelphia 2013.

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ger oder militärischer Institutionen zu nennen,75 aber auch die zumindest in Peru sehr bekannte Erzählung von Lurgio Gavilán »Memorias de un soldado desconocido. autobiografía y antropología de la violencia«76 , in der er seine Erfahrungen im Konflikt wortgewandt schildert. Das schon häufig erwähnte Werk, »En honor a la verdad« stellt ebenfalls die Haltung des Militärs dar, kann aufgrund des wissenschaftlichen Charakters und der Fülle an Datenmaterial jedoch mehr leisten, als nur subjektive Eindrücke zu vermitteln. Insbesondere die Darstellung der Aufteilung der Militärregionen und die Auflistung der Militärbasen bieten nützliche Informationen für diese Untersuchung. Eine ebenso umstrittene Monografie mit dem Titel: »Muerte en el pentagonito«77 stammt von Ricardo Uceda. Hier beschreibt der Autor zahlreiche Verbrechen des Staates und gibt Hinweise auf den Charakter des Staatsterrors. Dieses Werk erzeugte viel Aufsehen und umfasst interessante Hinweise, ist jedoch aufgrund der beschränkten Quellenverweise und des journalistischen Duktus besonders kritisch zu behandeln. Quellen Wie bereits angedeutet, stellt die Sammlung und Sichtung der Quellen zum peruanischen Staatsterror eine Herausforderung dar. Die Schwierigkeit liegt dabei nicht in der Anzahl der Quellen. Es gibt eine Vielzahl an Zeitzeug*innenaussagen, Kommissionsberichten und Gerichtsquellen. Problematisch ist vielmehr, dass wesentliche militärische und polizeiliche Quellen kaum bzw. nicht eingesehen werden können.78 Dieser Abschnitt hat das Ziel, die gefundenen Materialienvorzustellen und ihren Wert kritisch zu hinterfragen. Dafür werden die Dokumente geordnet nach ihrer Gattung vorgestellt und ihre Relevanz für die Untersuchung wird verdeutlicht. Die Zeitzeug*innenaussagen – testimonios – wurden von der Wahrheitskommission gesammelt und stehen im Centro de Información der Defensoría del Pueblo in Lima zur Einsicht sowie größtenteils zum Kopieren oder Abfotografieren zur Verfügung. Insgesamt umfasst der Bestand mehrere Tausend testimonios.79 Diese wurden weder alle gesichtet noch für die vorliegende Untersuchung genutzt. Vielmehr 75 ADDCOT, El Terrorismo. ADDCOT, Omisiones de la Verdad. ¿Y la Reconciliación? Lima 2003. José Rolando Valdivia Dueñas, Cayara: Derrota de Sendero Luminoso es su »Teatro Principal« y Manipulación Política-Psicológica por Subversiva, Lima 2001. Julián Julia [u. a.], Injusticia en Contra los Que Combatieron y Derrotaron a los Terroristas, Lima 2007. 76 Lurgio Gavilán, Memorias de un Soldado Desconocido. Autobiografía y Antropología de la Violencia, Lima 2012. 77 Ricardo Uceda, Muerte en el Pentagonito, Lima 2004. 78 Siehe: Burt, Access. 79 Ruth Elena Borja Santa Cruz, Los Archivos de los Derechos Humanos en el Perú, in: Historizar el Pasado Vivo en América Latina, in: www.historizarelpasadovivo.cl/, [28.04.2016].

1. Einleitung

beschränkt sich die Auswahl für diese Arbeit auf Aussagen über Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte sowie auf die ausgewählten Beispielfälle: Massaker und Erzählungen über Folter, sexuelle Gewalt und Verschwindenlassen.80 Die CVR sammelte die Aussagen in den Jahren 2001-2003, sodass sie sich mit einem gewissen zeitlichen Abstand den Erlebnissen während des bewaffneten Konflikts zuwenden. Es handelt sich größtenteils um Opferaussagen, die einen selektiven, nachträglichen und subjektiven Eindruck über das Geschehen liefern. Dennoch schildern sie eine andere Sichtweise als die militärische und kontrastieren oder ergänzen dadurch die Aussagen der staatlichen Sicherheitskräfte. Zwar ist es möglich, dass es im Laufe der Zeit zu einer Herausbildung von Narrativen kam, die in den Quellen zu finden sind. Dies mindert den Wert der Quellengattung jedoch nicht, macht aber einen kritischen Blick, eine historische Einordnung sowie einen Abgleich mit anderen Quellen notwendig. Für die Beschreibungen der Taten sind diese Aussagen der Ausgangspunkt und daher für die Arbeit von großer Bedeutung, widmen sie sich doch explizit den Taten der staatlichen Sicherheitskräfte.81 Ähnlich vorsichtig müssen die Interviews mit den Militärangehörigen betrachtet werden, die ebenfalls durch die Wahrheitskommission durchgeführt wurden und sowohl digital als auch transkribiert im Centro de Información vorliegen. Sie sind insofern interessant, als dass sie die Tätersicht darlegen und Einblick in Legitimationen und militärische Haltungen geben. Sie verraten hingegen wenig über das Geschehene. Diese Interviews existieren nur von einigen Generälen, sodass hier nur die Sichtweise ranghoher Militärangehöriger herausgearbeitet werden kann. Das ist generell problematisch, da auch in anderen Beständen nur wenige Äußerungen von Soldaten ausfindig gemacht werden konnten.82 Neben im Nachhinein durchgeführten Befragungen werden zudem Interviews aus der Zeit des Konfliktes benutzt, welche in Zeitungen oder auch Kommissionberichten gefunden werden konnten. Diese Quellen haben einen besonderen Wert, da sie Sichtweisen der Zeit andeuten und vor allem Aufschluss darüber geben, was öffentlich gesagt werden konnte. Die Zeitschriften wie Marka, Oiga, Quehacer, Caretas und auch Militärzeitschriften (Actualidad Militar, Revista Militar del Perú) druckten nicht nur Interviews ab, sondern auch Artikel und Berichte über Ereignisse im Hochland, in das sie Journalisten zur Recherche entsandten. Zur Einordnung und Kontextualisierung kön80 Übersicht testimonios siehe: Quellenverzeichnis 9.1. 81 Christof Dejung, Oral History und kollektives Gedächtnis. Für eine sozialhistorische Erweiterung der Erinnerungsgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 34, 2008, 102. 82 Im Rahmen der Dissertation war es nicht möglich, eine eigene Befragung von Soldaten durchzuführen oder nach Briefen subalterner Militärs zu suchen. Dies wäre sicherlich ein Ansatzpunkt für weitere Studien. Wenige testimonios (100088, 100165, 102099, 411311) und auch Aussagen in Zeitungen, die von der Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos. Caso: Accomarca, Lima 1985 in Tomo XII gesammelt wurden, konnten jedoch eingeflochten werden.

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Genozidale Gewalt?

nen diese Quellen helfen, da sie den Diskurs der Zeit in Ansätzen widerspiegeln.83 Die Zeitschrift Quehacer erscheint vier Mal im Jahr und wurde für die gesamten 1980er Jahre gesichtet. Die anderen genannten Zeitschriften wurden gezielt nach relevanten Artikeln und Interviews durchsucht; es wurden somit nur ausgewählte Ausgaben eingesehen. Die Quellen lagern in verschiedenen Archiven: Die Actualidad Militar und Revista Militar del Perú wurden in der Hemeroteca des Centro de Estudios Histórico – Militares del Perú eingesehen, die anderen Zeitschriften befinden sich in der Biblioteca Nacional und der Universitätsbibliothek in Ayacucho. Die bereits genannten Kommissionsberichte, die neben Quellen ebenfalls Einschätzungen der Kommissionsmitglieder enthalten, bewahrt das Archiv des Kongresses auf, welches per Genehmigung zugänglich ist. Der Bestand ist jedoch nicht in Gänze einsehbar. Gerade Berichte über Verbrechen der Sicherheitskräfte werden unter Verschluss gehalten, sodass auch hier eine staatliche Kontrolle existiert. Der Zugang zum Archiv war zwar erlaubt, wurde aber überwacht und eingeschränkt. Von Interesse sind die Berichte, da sie unmittelbar infolge der Taten geschrieben wurden, verschiedene Perspektiven enthalten und einen Einblick in einen Versuch der staatlichen Kontrolle des Handelns von Polizei und Militär geben. Besonders umfangreich ist der Kommissionsbericht zum Massaker in »Los Penales«84 , der neben einer detaillierten Aufstellung der Ereignisse nützliche Quellen enthält: beispielsweise militärische Kommuniqué, Militärberichte sowie Stellungnahmen. Die Kommissionsberichte geben also Aufschluss über das Geschehen und ferner über das Wissen des peruanischen Staates sowie die widerstreitenden Haltungen innerhalb des Kongresses.85 Während die Kommissionsberichte zu einem Großteil eine Außensicht und Wertung darstellen, geben die militärischen Hand- und Ausbildungsbücher Aufschluss über »innermilitärische Denkstile«86 . Das Centro de Información stellt einige der Handbücher zum Kopieren und Fotografieren bereit. Weitere konnten im 83 Ausgehend von diesem Quellenmaterial kann keine Diskursanalyse durchgeführt werden. Dies ist hier auch nicht beabsichtigt. Vielmehr soll eine Annäherung stattfinden, die als Kontextualisierung zu verstehen ist. Siehe Kapitel 2.2.3. Siehe zur Verortung von Zeitschriften: CVR, Los Medios de Comunicación, 489ff. 84 Comisión Investigadora de los Sucesos de los Penales, Informe al Congreso, Lima 1988. 85 Neben den beiden genannten Kommissionberichten nutzt die Arbeit folgende: Comisión Investigadora de los Sucesos de Uchuraccay, Informe, Lima 1983. Comisión Investigadora de la Desaparición de un Catedrático y Nueve Estudiantes de la UNE Enrique Guzmán y Valle »La Cantuta«, Lima 1992-1995. Comisión Investigadora sobre los Sucesos Ocurridos el 14 de Mayo de 1988 en el Pueblo de Cayara. Lima 1985. Comisión Investigadora de los Asesinatos de los Señores Diputados Eriberto Arroyo Mio y Pablo Li Ormeño de los Grupos Terroristas que Utilizan el Nombre de un Mártir. Lima 1989. 86 Anne Lipp, Diskurs und Praxis. Militärgeschichte als Kulturgeschichte, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.), Was ist Militärgeschichte? Paderborn 2000, 215.

1. Einleitung

Büro der IDEHPUCP (Instituto de Democracia y Derechos Humanos de la Pontificia Universidad Católica del Perú/Institut für Demokratie und Menschenrechte der katholischen Universität Peru) gesichtet werden. Sie zeigen zwar nur einen Rahmen, den die Soldaten und Generäle unterschiedlich auslegten, geben nichtsdestotrotz einen Einblick in die Ausbildung und Sichtweise des Militärs. Sie offenbaren darüber hinaus die Kriegsstrategie sowie deren Veränderung und wurden mit bestimmten Zweck verfasst: Sie sollen nicht nur das Verhalten der Sicherheitskräfte steuern, sondern deren Wahrnehmung prägen sowie bis zu einem gewissen Grad den Kampf legitimieren bzw. für diesen einstimmen. Es verwundert daher nicht, dass die Schlagkraft des Leuchtenden Pfades besonders betont wird.87 Außerdem finden sich wichtige Informationen über Aufbau und Organisation des Militärs in den Zonen des Ausnahmezustandes ebenso in den Handbüchern wie auch eine Darstellung von Kampfphasen oder Vorlagen zur Situationsbeschreibung.88 Insgesamt ist dies eine wesentliche Quellenform für diese Untersuchung, die vor allem in Verbindung mit weiteren Dokumenten wesentliche Aspekte wie die Feindbildkonstruktionen oder Hierarchien und Vorgaben erkennen lässt. Der »Innensicht« nähert sich die Untersuchung also durch Interviews und Handbücher, ergänzt wird das entstandene Bild durch Operationsberichte, Monatsberichte, wenige Situationsbeschreibungen und Personalbögen.89 Die »fojas de servicio« bilden dabei eine besonders interessante Quellenart, da sie Selbstund Fremdeinschätzungen der Soldaten beinhalten. Sie ähneln Evaluationsbögen, geben jedoch kaum Aufschluss darüber, wie gut der Einzelne tatsächlich seinen Dienst absolvierte. Vielmehr vermitteln sie einen Eindruck davon, welche Werte dem Militär wichtig waren. Diese besonders hilfreichen Quellen sind jedoch nur in geringem Umfang vorhanden. In der so genannten »Gorriti-Kollektion«90 , die auf Mikrofiche im IEP (Instituto de Estudios Peruanos) sowie in der Universität in Princeton benutzt werden kann, finden sich Monatsberichte und Feindeinschätzungen sowie Situationsbeschreibungen, die Aufschluss über das Arbeiten des Militärs und seine Wahrnehmungen geben. Andere dieser Dokumente befinden sich im 87 Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Defensa Interior del Territorio. Contrasubversión Lima 1989. 88 Ministerio de Guerra, Inteligencia Militar, Lima 1984. Ejército Peruano, Guía para el Combatiente en la Zona de Emergencia, Lima 1988. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Manual del Oficial de Estado Mayor en Operaciones Contrasubversivas, Lima 1989. Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, Lima 1980, 164, 366. Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, Lima 1966. Centro de Altos Estudios Militares (CAEM), Planeamientos, Doctrinarios y Metodológicos de la Defensa Nacional. Planeamiento Estratégico para la Defensa Nacional, Lima 1982. 89 Alle Personalbögen sind im Quellenverzeichnis 9.1 aufgeführt. 90 Gustavo Gorriti Ellenbogen (geb. 1948 in Lima) ist ein bekannter peruanischer Journalist, der noch während des Bürgerkrieges zahlreiche geheime Dokumente von Polizei und Militär ins Ausland gebracht hat.

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Genozidale Gewalt?

Archiv der APRODEH, das Forscher*innen das Quellenmaterial zu den Gerichtsfällen in umfangreichen Ordnern zur Einsicht bereitstellt. Weitere Quellen dieser Art konnten in den Unterlagen von Ciro Alegría eingesehen werden, der für die CVR über die staatlichen Sicherheitskräfte recherchierte und für kurze Zeit auch Zugang zu militärischen Quellen hatte. Seine Unterlagen liegen ebenfalls im Centro de Información. Das Archiv des Militärs, welches sich im sogenannten »Pentagonito« – dem Hauptsitz der peruanischen Streitkräfte – befindet und zahlreiche dieser Quellen beherbergt, ist für Wissenschaftler*innen nicht zugänglich. Dort bewahrt das Militär die Quellen, die im bereits erwähnten Werk »En honor a la verdad« angegeben wurden, auf, geben aber auch diese nicht zur Überprüfung frei. Diese Einschränkung macht es oftmals nur möglich, Hypothesen aufzustellen oder sich den genannten Zielen anzunähern. Dies ist zu bedauern und gibt Anlass zu weiteren Forschungen, schmälert aber nicht den Wert dieser Untersuchung, welche sich als einen weiteren Schritt in der Erforschung des Staatsterrors begreift, der neue Perspektiven sowie Anregungen in die Forschung einbringen möchte. Den größten Bestand bilden die Gerichtsakten, in denen sich bspw. die genannten Personalbögen befinden. Im Archiv der APRODEH lagern diese sortiert nach den verhandelten Gerichtsfällen. Sie umfassen verschiedene Dokumententypen: Für die Fälle »Cayara«, »Accomarca« und »Los Cabitos« existieren mehrere Ordner mit Zeug*innenaussagen vor Gericht (von Opfern und Tätern), forensischen sowie psychologischen Gutachten und Einschätzungen von Anwälten, diversem Schriftverkehr sowie älteren Forschungsergebnissen oder Zeitungsartikeln. Die Gerichtsakten beinhalten also sehr unterschiedliche Quellen, deren Nutzen mehr oder weniger groß ist. Während die forensischen Gutachten sehr hilfreich sind, da sie zum Beispiel die Art des Todes und die Form der Folter offenbaren, ist der Schriftverkehr zwischen den Anwälten eher unbrauchbar. Die Zeug*innenaussagen erweitern die Quellengrundlage, sind aber ähnlich kritisch zu bewerten wie die testimonios. Zusammenfassend greift die Untersuchung also auf eine Vielzahl an Quellen unterschiedlicher Art zurück. Die Quellenlage ist aufgrund des geschlossenen Archivs trotzdem nicht als gut zu bezeichnen: So fehlen zahlreiche Operationspläne, Feindbeobachtungen, Situationsbeschreibungen und zahlreiche Berichte der Patrouillen. Hinzu kommt, dass bisher keine Egodokumente gesammelt wurden. Der Bestand weist also Lücken auf, die die Arbeit einschränken, aber nicht unmöglich machen. Die wesentlichen Ziele können trotzdem erreicht werden. Wünschenswerte Aspekte wie eine Tätersicht »von unten« sind jedoch nur in Ausnahmefällen rekonstruierbar.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

»Gewalt« und »Genozid« stellen zwei Grundbegriffe dieser Arbeit dar. Dieses Kapitel wird die Gebrauchsweise dieser umstrittenen Termini klären, theoretischmethodische Annahmen erläutern und eine Verortung der Untersuchung in den Forschungsdebatten vornehmen. Eng verwoben mit den terminologischen Teilen des Kapitels stellt es die Praxeologie als passfähige Ergänzung zu Grundannahmen der neueren Gewaltforschung dar. Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur praxeologischen Forschungslandschaft herauszuarbeiten und insbesondere Eigenheiten des Vorhabens zu unterstreichen, erläutert der zweite Abschnitt diese Methode, ergänzt sie und beschreibt ihre Anwendung in der Arbeit. So wird gezeigt, was eine praxeologische Perspektive in diesem Fall bedeutet, wie sie den Blick lenkt, den Umgang mit den Quellen beeinflusst und letztlich das Forschungsdesign mitbestimmt. Ihre besondere Stellung für die Arbeit offenbart dieses Kapitel, da sie als Gelenkstück zwischen den Teilen von Gewalt und Genozid angesiedelt ist.

2.1.

Gewalt: Begriffliche, konzeptionelle und methodische Überlegungen

»Der Mensch muß nie, kann aber immer gewaltsam handeln, er muß nie, kann aber immer töten – einzeln oder kollektiv – gemeinsam oder arbeitsteilig – in allen Situationen, kämpfend oder Feste feiernd – in verschiedenen Gemütszuständen, im Zorn ohne Zorn – mit Lust ohne Lust, schreiend oder schweigend – für alle denkbaren Zwecke – jedermann.«1 Indem er Gewalt als eine Handlungsressource beschreibt, die der Mensch in verschiedenen Situationen nutzen kann, grenzt sich Popitz von gängigen Gewalttheorien ab und beeinflusste so mit seinem Werk »Phänomene der Macht« die Gewaltforschung nachhaltig. Er gilt als ein Ideengeber der Neuen Gewaltsoziologie, die sich in den 1990er Jahren auch aufgrund der Kriegsereignisse auf dem 1 Heinrich Popitz, Phänomene der Macht. Tübingen 1992, 50.

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Genozidale Gewalt?

europäischen Kontinent entwickelte und einen Gegenentwurf zur bisherigen Gewaltforschung (re-)präsentieren wollte.2 Kernpunkte der Auseinandersetzung, die – möchte man es idealtypisch beschreiben – zwischen »Mainstreamern« und »Innovateuren« der Gewaltforschung stattfand,3 leiten sich aus drei Hauptfragen ab: Was ist Gewalt? Wie stellt sich das Verhältnis von Gewalt und Moderne dar? Wie kann man Gewalt erforschen? Durch die Nachzeichnung der Debatte, die durch die Neue Gewaltsoziologie stilisiert und aufgeworfen wurde,4 und unter Bezug auf die wesentlichen Autoren verortet sich die Untersuchung in der Diskussion. Außerdem werden so theoretische sowie methodische Grundannahmen deutlich gemacht. Dadurch wird hervorgehoben, welche Konsequenzen aus der Debatte für die Untersuchung gezogen wurden, welche Annahmen nützlich sind und welche hier nicht aufgegriffen, abgewandelt oder ergänzt werden.

2.1.1.

Der Begriff

Muss eine Begriffsbestimmung möglichst eng sein oder alle denkbaren Phänomene umfassen? Können Strukturen Gewalt ausüben? Ist eine Beleidigung unter demselben Begriff zu subsumieren wie ein Schlag ins Gesicht? Diese und weitere Fragen spielen in der Diskussion um den Gewaltbegriff eine Rolle.5 Bevor dies konkretisiert wird, sei ein Problem erwähnt, das die deutsche Sprache betrifft. »Nur im Deutschen können sowohl der körperliche Angriff wie die Autorität eines Herrschers mit demselben Wort belegt werden.«6 Im Englischen, Französischen und Spanischen gibt es eine Unterscheidung zwischen violence und power, violence und pouvoir sowie violencia und poder, die im Deutschen nicht existiert. Auch aus diesem Grund ist erklärungsbedürftig, wie der Begriff »Gewalt« verstanden wird. 2 Peter Burschel, Eine historische Anthropologie der Folter. Thesen, Perspektiven, Befunde, in: Ders. (Hg.), Das Quälen des Körpers. Eine historische Anthropologie der Folter. Köln, Weimar, Wien 2000, 1. 3 Peter Imbusch, >Mainstreamer< vs. >Innovateure< der Gewaltforschung. Eine kuriose Debatte, in: Wilhelm Heitmeyer/Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme. Frankfurt a.M. 2004, 125ff. Ders. Gewalt – Stochern in unübersichtlichem Gelände, in: Mittelweg 36 9, 2000, 26. 4 Es wurde ein Gegenpol konstruiert, um sich von diesem abzugrenzen. Es ist nicht immer eine klare Trennung der Gruppen zu erkennen. Es ist zudem nur schwer möglich, die Gruppen als solche zu definieren, da auch einzelne Forscher*innen sich sehr unterscheiden. Die Pole sind somit stilisiert und verkürzt. Dieser Dichotomisierung folgt der Abschnitt trotzdem, da so wesentliche Aspekte angesprochen werden und eine eigene Verortung möglich wird. Siehe: Jörg Hüttermann, >Dichte Beschreibung< oder Ursachenforschung der Gewalt? Anmerkungen zu einer falschen Alternative im Lichte der Problematik funktionaler Erklärungen, in: Heitmeyer/Soeffner, Gewalt, 107-124. 5 Christian Gudehus, Gewalt-Begriffe und Forschungsprogramme, in: Ders. (Hg.), Gewalt. Ein interdisziplinäres Handbuch. Weimar, Stuttgart 2013, 1-16. 6 Teresa Koloma Beck/Klaus Schlichte, Theorien der Gewalt. Zur Einführung. Hamburg 2014, 39.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

In der Forschungsdebatte kristallisiert sich heraus, dass häufig ein enges Gewaltverständnis als sinnvoll erachtet wird: »Gewalt meint eine Machtaktion, die zur absichtlichen körperlichen Verletzung anderer führt.«7 Damit grenzen sich die Forscher*innen vor allem von weiten Auslegungen wie Johan Galtungs ab. Er versucht in seinem Werk »Strukturelle Gewalt. Beträge zur Friedens- und Konfliktforschung«8 zu zeigen, dass der Begriff »Gewalt« mehr umfassen sollte als eine physische Schädigung des Anderen durch ein Subjekt. Für Galtung liegt Gewalt »dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, daß ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potenzielle Verwirklichung.«9 Er unterscheidet außerdem zwischen persönlicher/direkter und struktureller Gewalt, wobei letztere in das System integriert und unabhängig vom Handeln sozialer Akteure ist. Galtung illustriert dieses Verständnis exemplarisch mit einer heutzutage vermeidbaren geringen Lebenserwartung oder schlechteren Bildungschancen. Vordergründig geht es darum, dass die Benachteiligung bzw. Nicht-Ausschöpfung des Potenzials vermeidbar wäre. Umweltkatastrophen, die nicht zu verhindern sind, schließt er aus. »Entscheidend ist dabei Folgendes: Wenn Menschen in einer Zeit verhungern, in der es objektiv vermeidbar ist, dann wird Gewalt ausgeübt, gleichgültig ob eine klare Subjekt-Objekt-Beziehung vorliegt.«10 Durch die Erweiterung des Begriffes weist er auf gesellschaftliche Problemstellungen wie soziale Ungerechtigkeit hin und fordert einen kritischen Blick auf das politische System. Mit dieser Erweiterung bläht er zudem den Begriff »Gewalt« nahezu bis zur Unkenntlichkeit auf und beschreibt den Untersuchungsgegenstand derart vielfältig, dass er für eine Analyse eher hinderlich als zweckmäßig ist. Gerade bei der Untersuchung staatlicher Gewalt schafft diese Begriffsbestimmung mehr Unklarheit als Trennschärfe. Durch eine solche Auslegung würden das gewalttätige Handeln von Polizei und Militär, aber auch Phänomene wie schlechtere Bildungschancen für Indigene in Peru unter demselben Begriff subsumiert werden. Somit wäre unklar, was im Fokus der Untersuchung steht. Außerdem ist zu kritisieren, dass dieses Begriffsverständnis keinen klaren Täter kennt und das Opfer sich nicht als dieses fühlen muss. Für die Erforschung von Staatsterror ist diese Begriffsdefinition somit nicht zweckmäßig.11 Der enge Gewaltbegriff grenzt sich jedoch nicht nur von dieser Definitionsvariante ab, sondern auch von anderen Formen wie der symbolischen, epistemi7 Popitz, Phänomene, 48. 8 Johan Galtung, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek 1975. 9 Galtung, Strukturelle Gewalt, 9. 10 Ebd. 13. 11 Gudehus, Gewalt-Begriffe, 3. Michael Riekenberg, Auf dem Holzweg? Über Johan Galtungs Begriff der »strukturellen Gewalt«, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 5, 2008, www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Riekenberg-12008, [zuletzt eingesehen am 22.07.2018].

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Genozidale Gewalt?

schen, normativen oder kulturellen Gewalt. Die Gründe sind ähnlich geartet wie jene hinsichtlich der Debatte um strukturelle Gewalt. Die genannten Begriffsvarianten weisen zwar auf wichtige Themenkomplexe wie »soziale Ausgrenzung« oder »Diskriminierung« hin, lassen aber den Begriff »Gewalt« verschwimmen.12 Während viele Gewaltforscher*innen diese Abgrenzung teilen, ist die Ausklammerung psychischer Gewalt umstritten. Durch das Konzept der »direkten Gewalt« wird sie daher teilweise in das Begriffsverständnis integriert, um so neben der physischen Verletzungsoffenheit des Menschen die psychische Dimension der menschlichen Existenz einzubeziehen. Durch die Integration der psychischen Gewalt treten die Forscher*innen dem Einwand entgegen, dass ein enger Gewaltbegriff den Menschen auf den Körper reduziere und damit der Komplexität der menschlichen Natur nicht gerecht werde.13 Aber gerade in Kriegen, bei Folter oder Vergewaltigung wird der Mensch auf seinen Körper zurückgeworfen – ein wesentliches Charakteristikum von Gewalt.14 »Es kommt also darauf an, Gewalthandlungen in ihrer Körperlichkeit zu begreifen.«15 Das bedeutet nicht, dass all die Gewaltereignisse keine psychischen Schäden zur Folge haben. Im Gegenteil: Physisch erlittene Schäden am Körper, Schmerzen und die gefühlte Machtlosigkeit zu verarbeiten, erzeugen mitunter massive psychische Störungen bei den Betroffenen. Die Konzentration auf die physische Gewalt bezieht diese psychischen Folgen ein. Es herrscht dennoch eine strenge terminologische Abgrenzung zwischen Phänomenen wie Beleidigungen oder Drohungen und eines Massakers vor. Gründe dafür sind die Unterschiede dieser Formen und die Unklarheit hinsichtlich der Wirkung psychischer Gewalt: Das Opfer muss eine Beleidigung nicht als diese auffassen oder kann sie ignorieren. Bei physischer Gewalt ist das nicht möglich. Für die Untersuchung des peruanischen Staatsterrors heißt das, dass die körperlich verübten und erfahrenen Gewalthandlungen der staatlichen Sicherheitskräfte im Kern der Auseinandersetzung stehen. Auch wenn das Erzeugen von Angst sowie die traumatischen Folgen der Gewaltgeschehnisse im Fortgang der Arbeit bedacht werden, sind sie nicht Teil des Untersuchungsgegenstandes.16 12 Beck/Schlichte, Theorien, 37. 13 Gudehus, Gewalt-Begriffe, 3. 14 Katharina Inhetveen, Towards a Body Sociology of Torture, in: Trutz von Trotha (Hg.), On Cruelty. Köln 2011, 378f. Gabriele Schwab, Tödliche Intimität: Zur Psychologie der Folter, in: Reinhold Görling (Hg.), Die Verletzbarkeit des Menschen. Folter und die Politik der Affekte. München 2011, 64. 15 Jörg Baberowski, Angst und Macht: Tätergemeinschaften im Stalinismus, in: Ders./Robert Kindler (Hg.), Macht ohne Grenzen. Herrschaft und Terror im Stalinismus. Frankfurt a.M., 44. 16 Die Bedeutung psychischer Gewalt soll dabei nicht geschmälert werden, da sie jedoch andere Täter-Opfer-Konstellationen sowie eine andere Art der Verletzung beschreibt, wird sie hier ausgeklammert.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

Wenn im Folgenden also von Gewalt gesprochen wird, dann in einem engen Gewaltverständnis. Gemeint ist die »zielgerichtete, direkte Schädigung von Menschen durch Menschen.«17 Für die Analyse sind somit das verletzende Handeln und die Körperlichkeit der Akteure interessant – die Konstellation Täter-Opfer-Zuschauer – sowie das Verschwimmen dieser Grenzen. Diese Auslegung wird für die Fragestellung bevorzugt, da so der Begriff klar, eindeutig und zweckmäßig ist.18

2.1.2.

Gewalt und Moderne

Ein weiterer Kernpunkt der Gewaltdebatte ist die Frage nach dem Verhältnis von Gewalt und Moderne. Die Thesen könnten dabei nicht unterschiedlicher sein: Während die Einen behaupten, dass die Gewalt mit zunehmender Modernisierung bzw. Zivilisierung verschwinde,19 argumentieren die Anderen, dass die Gewalt erst in der Moderne ihr Potenzial entfalte.20 Beide Thesen werden durch historische Fakten be- und widerlegt, sodass Deutungen zu finden sind, die ein ambivalentes Verhältnis zwischen Gewalt und Moderne beschreiben oder einen Zusammenhang verneinen.21 Die Neue Gewaltsoziologie vertritt die letztgenannte Auffassung und beschreibt die Gewalt als anthropologische Konstante. Der Mensch kann und konnte zu jeder Zeit gewaltsam handeln, ähnlich wie er zu jeder Zeit zur Liebe fähig war und ist.22 Mit dieser Haltung widersprechen die Vertreter*innen der Neuen Gewaltsoziologie einflussreichen Theorien und machen sie zur Grundlage ihrer methodischen Überlegungen. Bevor ihre Herangehensweise im nächsten Abschnitt erläutert wird, stellt dieser Teil dar, wie und warum sich die »Innovateure« von den bekannten Gewalttheorien abgrenzen. Norbert Elias (1939) und Steven Pinker (2011) vertreten in ihren Werken die Annahme, dass Gewalt mit zunehmender Zivilisierung verschwindet oder mindestens abnimmt. Durch Psycho- und Soziogenese, so Elias, würde die Gewalt nach und nach verdrängt und spiele in der zivilisierten Welt eine untergeordnete Rolle.23 Pinker führt dafür verschiedene Beispiele an. Er verweist auf den Rückgang 17 Gertrud Nunner-Winkler, Überlegungen zum Gewaltbegriff, in: Heitmeyer/Soeffner, Gewalt, 26. 18 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Frankfurt a.M. 2010, 10, 14f. 19 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Frankfurt a.M. 1997. Steven Pinker, Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Frankfurt a.M. 2013. 20 Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt 2003. 21 Zygmunt Bauman, Moderne und Ambivalenzen. Das Ende der Eindeutigkeit. Hamburg 2005. Wolfgang Sofsky, Zeiten des Schreckens, Amok, Terror, Krieg. Frankfurt a.M. 2002, 65ff. 22 Jörg Baberowski, Räume der Gewalt. Frankfurt a.M. 2015, 136f. 23 Elias, Über den Prozeß. Pinker, Gewalt. Pinker versucht, die These von Elias durch Zahlenmaterial zu belegen und weiter auszudifferenzieren. Da beide aber die gleiche Stoßrichtung haben,

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körperlicher Züchtigung in Schulen in den USA,24 oder die Entkriminalisierung von Homosexualität in westlichen Staaten.25 Beide Beobachtungen teilen sicherlich eine Vielzahl der Bewohner*innen Westeuropas oder der USA. Die These, dass Gewalt mit zunehmender Zivilisation verschwindet, scheint trotzdem nicht haltbar zu sein. Schon ein Blick auf das 20. Jahrhundert in Europa lässt dies nicht nur fraglich, sondern fast absurd anmuten, da »weder die Hetzjagd noch das Massaker, weder Krieg noch Völkermord […] von der Tagesordnung verschwunden«26 sind. Auch eine Deutung der Weltkriege als Rückfall wirkt angesichts weiterer Konflikte in Vietnam oder Jugoslawien sowie in Anbetracht des »Krieges gegen den Terror« oder der Folter in Guantánamo und den jüngsten Übergriffen auf Asylbewerber in Deutschland sowie der Terrorakte in Europa wenig plausibel.27 Aus Elias und Pinkers Ausführungen ist daher abzuleiten, dass die Gewalt ihr Gesicht veränderte, sie ist aber nicht aus dem Handlungsrepertoire des Menschen verschwunden.28 Die Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die hier als Belege gegen die These von Elias und Pinker angeführt werden können, scheinen auf den ersten Blick die gegenteilige These zu untermauern. In »Dialektik der Aufklärung«29 zeichnen die Philosophen Horkheimer und Adorno ein düsteres Bild des fortschreitenden Zivilisationsprozesses. Sie argumentieren, dass in ihm selbst das Potenzial der Destruktivität stecke, da der Fortgang der Rationalisierung und der Versuch, die Natur zu beherrschen, letztlich zum »Abgleiten in Gewalt und Barbarei«30 führen. Mit diesem Entwurf ordnen sie Faschismus und Stalinismus der abendländischen Kultur zu und widersprechen der These, dass diese Phänomene nur ein Rückfall im Zivilisationsprozess gewesen seien.31 »Zwar war Auschwitz präzedenzlos – erst die Deutschen im 20. Jahrhundert brachten es fertig, dem Morden eine Stadt zu gründen –, aber diese Präzedenzlosigkeit bedeutet nicht, dass wir nicht seit je gewusst hätten, dass Menschen durch die

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konzentrieren sich die Aussagen auf die Grundthese und die klassische Begründung durch Elias. Pinker, Gewalt, 655. Ebd. 666. Sofsky, Zeiten, 64. SPIEGELONLINE, Attacken auf Europas Metropolen, in: www.spiegel.de/politik/ausland/terrorismus-in-europa-eine-chronologie-a-1150645.html(04.06.2017), [zuletzt eingesehen am 22.07.2018]. ZEITONLINE, Jeden Tag ein Anschlag auf eine Asylbewerberunterkunft, in: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-11/bundeskriminalamt-anschlag-asylbewerberheime-fluechtlinge(06.11.2017), [zuletzt eingesehen 22.07.2018]. Baberowski, Räume. 76. Markus Schroer, Gewalt ohne Gesicht. Zur Notwendigkeit einer umfassenden Gewaltanalyse, in: Leviathan 28, 2000, 435. Adorno/Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. Peter Imbusch, Moderne und Gewalt. Zivilisationstheoretische Perspektiven auf das 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2005, 535. Ebd. 357.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

Jahrhunderte in der Lage gewesen sind Scheußlichkeiten zu begehen, die uns fassungslos machen.«32 Neben einigen theorieimmanenten Kritikpunkten, denen hier keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll, stellen die Gewalttaten in der Geschichte sowie die Verbrechen in weniger modernen und aufgeklärten Staaten die pessimistische Sicht auf die Zivilisation durch Adorno/Horkheimer infrage. Auch die Beobachtung des Alltagslebens in vielen westlichen Staaten dieser Welt widerspricht der These und lässt die »Dialektik der Aufklärung« einseitig und als »negativistische Geschichtsperspektive«33 anmuten. Angesichts dieser Erklärungen und unter dem Eindruck der Ereignisse des 20. Jahrhunderts entwickelte Zygmunt Bauman in den 1990er Jahren eine weitere Theorie. In seinen Ausführungen beschreibt er den Staat als Gärtner – eine ordnende Kraft, die auf der einen Seite für Sicherheit sorgt, auf der anderen Seite ein großes Potenzial zur Vernichtung des Anderen entfalten kann.34 Auch hier war der nationalsozialistische Staat das Vorbild des Denkens, der als Phänomen der Moderne geschildert wird – nicht als Rückfall, nicht als negativer Kulminationspunkt des Zivilisationsprozesses. Für dieses Beispiel, als Abgrenzung zu Elias sowie Anknüpfung an Horkheimer und Adorno, wirken die Thesen Baumans sinnvoll und überzeugend. Sie können erklären, warum die Gewalt aus dem Alltagsleben einiger verschwindet und warum es trotzdem zu diesen Gewaltexzessen im 20. Jahrhundert kam.35 Dennoch wenden sich die »Innovateure« der Gewaltforschung von dieser Theorie ab. Ihre Einwände sind unterschiedlicher Natur. Zum einen resultieren sie aus einer Skepsis gegenüber sogenannten Großtheorien und zum anderen zweifeln sie die Aussagekraft der jeweils angeführten Belege an. Ein spezifischer Einwand gegen Baumans Theorie bezieht sich auf die Überspitzung, die in seiner Darstellung gesehen wird: »Baumans Modell ist eine Karikatur der Moderne.«36 Die Überspitzung sehen sie darin, dass Ordnung fast mit Gewalt gleichgesetzt würde. Folgt man den Vertreter*innen der Neuen Gewaltsoziologie, dann vermag keine dieser umfassenden Theorien Gewaltphänomene zu erklären: Die Reichweite jeder dieser Theorien sei begrenzt und die historischen Fakten könnten jede der Seiten be- oder widerlegen. Außerdem würden die jeweiligen situativen Gegebenheiten nicht berücksichtigt, die ein Verstehen der Gewalt aber erst möglich machen.37 32 Jan Philipp Reemtsma, Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg 2009, 14. 33 Imbusch, Moderne und Gewalt, 535. 34 Bauman, Moderne und Ambivalenzen, 55. 35 Ders. Gewalt – modern und postmodern, in: Hans Georg Soeffner (Hg.), Modernität und Barbarei. Soziologische Zeitdiagnose am Ende des 20.Jahrhunderts. Frankfurt a.M. 1996, 38. Imbusch, Moderne, 535. 36 Jörg Baberowski, Räume der Gewalt. Frankfurt a.M. 2015, 97. 37 Sofsky, Zeiten, 27, 68.

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Genozidale Gewalt?

Die »Innovateure« der Gewaltforschung negieren daher ein Verhältnis von Moderne und Gewalt und fordern dazu auf, die Gewaltereignisse in ihrer Historizität oder Aktualität wahrzunehmen. Für sie ist Gewalt eine Möglichkeit des menschlichen Handelns, sodass sie fragen, in welchen Situationen diese für Menschen attraktiv wird.38 Für die Arbeit spielt daher weniger die Frage nach der Modernität des peruanischen Staates eine Rolle. Vielmehr stehen die Gewaltsituationen und die Frage nach Gewaltpraktiken im Fokus.39

2.1.3.

»Ursachenforschung vs. Dichte Beschreibung«

Die Fokussierung auf physische Gewalt und die Abkehr von Großtheorien führe laut der »Innovateure« dazu, dass die üblichen Methoden der Gewaltforschung unbrauchbar würden. In enger Verbindung mit den bereits skizzierten Debatten stellt sich also die Frage nach der Forschungsmethode der Neuen Gewaltsoziologie. Die Methode wird in Abgrenzung zu der Herangehensweise der »Mainstreamer« dargestellt und hinterfragt, um abschließend eine spezifische Auslegung dessen – das Gewaltraumkonzept – ableiten zu können. Die »Innovateure« wollen sich von der sogenannten Ursachenforschung abgrenzen, da sie den Gegenstand verfehle, also nicht die Gewalt selbst, sondern nur deren Voraussetzungen erfasse. Die angeführten Ursachen, wie Armut oder schlechtere Bildungschancen, seien außerdem keine hinreichenden Gründe für Gewalt.40 Der Soziologe Sofsky formuliert dies so: »Weshalb gibt es nicht Millionen von Gewalttätern, obwohl es Millionen von Depressiven, Waffennarren, Horrorfilmenthusiasten, Ehegeschädigten oder Arbeitslosen gibt?«41 Letztlich kritisieren sie, dass die Handelnden entsubjektiviert werden, da die Verantwortung den Tätern durch die Betonung der Ursachen genommen werden würde.42 Während hinsichtlich dieser Abkehr von der Ursachenforschung sowie den Zielen viel Einigkeit unter den Autoren der Neuen Gewaltsoziologie herrscht, erweisen sich die methodischen Überlegungen und vor allem ihre Umsetzungen als divergent. Die Ziele der Methode gestalten sich wie folgt: Die Methode soll im Stande sein, die körperliche Dimension der Gewalt zu erfassen, über die Gewalt selbst zu sprechen und die Handlungsdynamik zu berücksichtigen. »Nicht auf Ursachen, 38 Baberowski, Gewalt, 6. 39 Die Forderung, einzelne Praktiken der Gewalt zu analysieren, findet sich auch bei: Christian Liell, Der Doppelcharakter von Gewalt: Diskursive Konstruktion sozialer Praxis, in: Sighard Neckel (Hg.), Ordnungen der Gewalt. Beiträge zu einer politischen Soziologie der Gewalt und des Krieges. Opladen 1999, 34. 40 Baberowski, Räume, 136f. 41 Sofsky, Zeiten, 25. 42 Trutz von Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, in: Ders. (Hg.), Soziologie der Gewalt. Opladen 1997, 19.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

sondern auf das Geschehen selbst kommt es an, wenn man verstehen will, was Gewalt ist und was sie anrichtet. Denn Gewaltsituationen sind offen, das Geschehen dynamisch und unvorhersehbar.«43 Die Methode soll daher nicht dazu dienen, die Gründe für die Gewalt aufzuspüren, um möglicherweise ähnliche Exzesse zu verhindern oder die Gewalt zu beenden. Hingegen soll sie helfen, das »Wie« zu ergründen – die Gewalt zu verstehen.44 Um dies leisten zu können, schlagen die »Innovateure« vor, die Gewalt möglichst genau zu beschreiben: »Nicht der konventionelle wissenschaftliche Stil, der sich mit Andeutungen und Umschreibungen von Gewaltakten begnügt oder allenfalls die Befragten oder andere Autoren zur Sprache kommen lässt, wenn es um die Darstellung konkreter Gewalttätigkeit geht […], ist jetzt gefordert, sondern der bewußte Stilbruch, die Pflege ›penibler Beschreibung‹ und ›sprachlicher Verarbeitung‹ des detailliert Beobachteten.«45 Sie orientieren sich an der Methode der »Dichten Beschreibung«, die Clifford Geertz bekannt gemacht hat.46 Mit seiner Methode will Geertz die Handlungen und Bewegungen der Menschen erfassen. Wichtiger ist ihm jedoch, deren Bedeutungen zu verstehen. Er beschreibt also nicht nur wie ein Mensch bspw. sein Augenlid bewegt, sondern er will erkennen, was dadurch ausgesagt wird. Ist es ein Reflex oder ein Zuzwinkern als geheimes Zeichen? »Es ist das Gleiche wie bei Felsen einerseits und Träumen andererseits: sie sind Dinge dieser Welt. Es ist nach ihrer Bedeutung zu fragen: Was wird mit ihnen und durch sie gesagt – Lächerlichkeit oder Herausforderung, Ironie oder Ärger, Hochnäsigkeit oder Stolz?«47 Es reicht bei der Gewaltforschung daher nicht, zahlreiche Informationen zu sammeln und den Tathergang minutiös nachzuerzählen, indes ist die Frage nach dem Kontext interessant.48 Erst durch diese Einbettung lässt sich die Bedeutung der Gewalt verstehen.49 Während Trutz von Trotha diese Auslegung betont,50 rückt Sofsky vor allem die detaillierte Darstellung von Gewaltszenen in 43 Baberowski, Räume, 139. Die Darstellung, dass sich Kriege von Ursachen lösen und eine eigene Dynamik entfaltet, findet sich auch bei: Stathis Kalyvas, The Ontology of »Political Violence«: Action and Identity in Civil Wars, in: Perspectives on Politics 1, 2003, 475-494. 44 Von Trotha, Zur Soziologie, 21. Imbusch, Gewalt. 26ff. Baberowski, Räume, 139ff. Ders. Angst und Macht, 44. Thomas Kühne, Massen-Töten. Diskurse und Praktiken der kriegerischen und genozidalen Gewalt im 20. Jahrhundert, in: Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Hg.), Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert. Essen 2004, 17ff. 45 Birgitta Nedelmann, Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzung in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung, in: von Trotha (Hg.), Soziologie, 68. 46 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a.M. 1987. 47 Ebd. 11. 48 Aus diesem Grund bezieht auch diese Arbeit den Kontext immer wieder ein und beschreibt ihn im dritten Kapitel etwas ausführlicher. 49 Michael Riekenberg, Über die Gewalttheorie von Georges Bataille und ihren Nutzen für die Gewaltsoziologie, in: Comparativ 21, 2011, 127. Hüttermann, Dichte Beschreibung, 113ff. 50 Von Trotha, Zur Soziologie, 21.

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den Vordergrund.51 Ein häufiger Vorwurf für die gesamte Neue Gewaltsoziologie bezieht sich auf diese Reduktion und kreidet eine einseitige methodische Ausrichtung an, deren wissenschaftlicher Wert infrage gestellt wird.52 Für Historiker*innen ergeben sich aus dieser Orientierung an ethnographischen Forschungsmethoden neue Impulse, aber auch zusätzliche Schwierigkeiten.53 Sie können das Geschehen nicht beobachten, sondern sie sind auf Quellen angewiesen. Diese sind selbst Beschreibungen und mehr oder weniger mit Bedeutung aufgeladen. Hinzukommt, dass Gewalt nicht vollumfänglich in Sprache transformierbar ist. Weder das Opfer, das im Nachgang von den Taten erzählt, noch die Wissenschaftler*innnen können dies leisten. Laut dem Lateinamerikaforscher Michael Riekenberg bedeutet das, dass »wir uns von dem Glauben trennen müssen, wir könnten in unserer Erzählung die Sprache der Gewalt eins zu eins in die Sprache der Wissenschaft übersetzen.«54 Für jede Gewaltforschung ist daher immer nur eine Annäherung an Gewalt möglich. Während in den ersten hier skizzierten Debatten der Neuen Gewaltsoziologie beigepflichtet wird, folgt die Analyse in methodischer Hinsicht nur in Teilen den Vorschlägen. Zwar werden die Taten im Vordergrund stehen, jedoch stärker in einen strukturellen sowie diskursiven Rahmen eingeordnet.55 Die Untersuchung geht also über eine »mikroskopischen Analyse«56 von Gewalt hinaus und versucht, die Mikro- und Makroebene miteinander zu verweben. So folgt sie letztlich Geertz mehr, als einige der »Innovateure« es tun. Gelingen soll dies mittels der Praxeologie, die der Fortgang des Kapitels als methodische Erweiterung der »Neuen Gewaltsoziologie« entwickelt.

2.1.4.

Das Gewaltraumkonzept

Das Ziel einer Verbindung aus Mikro- und Makroebene ist im Gewaltraumkonzept der Osteuropahistoriker Jörg Baberowski und Felix Schnell angelegt, welches direkt an die Annahmen der Neuen Gewaltsoziologie anknüpft und einen Kernpunkt für die folgende Analyse bildet. Schnell und Baberowski zeigen anhand osteuropäischer Beispiele Eigenschaften von Gewalträumen auf und nutzen dieses Konzept, um Gewalt verstehen zu 51 Sofsky, Traktat. 52 Hüttermann, Dichte Beschreibung, 122f. 53 Wolfgang Knöbl, Nur beschreiben oder doch erklären? In: Soziopolis, www.soziopolis.de/beobachten/raum/artikel/nur-beschreiben-oder-doch-erklaeren/, [zuletzt eingesehen am 15.06.2016]. 54 Riekenberg, Über die Gewalttheorie, 127. 55 Trutz von Trotha, Forms of Martial Power Total Wars, Wars of Pacification, and Raid. Some Observations on the Typology of Violence, in: Sociologus 49, 1999, 35. 56 Von Trotha, Zur Soziologie, 20.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

können. Sie machen deutlich, dass in diesen Räumen Gewalt zur Interaktionsform wird und durch einen Blick auf Ursachen nicht mehr zu erklären ist. Sie berücksichtigen die Dynamik von Gewalt und richten ihren Blick auf die Akteure und Taten. Die Akteure sind es, die ermöglichende Momente nutzen und einen Gewaltraum somit erst erzeugen: »Indem Menschen die Räume nutzten, erweitern sie zugleich den Horizont des Denk- und Vorstellbaren und diese Erweiterung wirkte wiederum als Ermöglichungsraum auf sie zurück.«57 Die räumlichen Gegebenheiten sind also weder eine hinreichende Bedingung für Gewalt, noch kann die Gewalt der Akteure unabhängig von den Möglichkeiten des Raumes betrachtet werden. »Der Raum ist aber kein Subjekt, er tut nichts selbst, sein Bestehen ist vom Handeln der Akteure abhängig, dessen Reichweite wiederum im Verhältnis zu den Möglichkeiten steht, die der Raum bietet.«58 Für die Analyse bedeutet dies, dass sowohl die räumlichen Bedingungen als auch die Akteure betrachtet werden müssen, wobei der Begriff »Raum« kein rein geografischer Terminus ist. Er bezieht sich neben topografischen Merkmalen auf strukturelle Gegebenheiten sowie auf Vorstellungen, Hierarchien und Denkweisen – auf »unsichtbare Räume«59 . Er wird hier also nicht eindimensional interpretiert, sondern seine verschiedenen Ebenen werden in die Untersuchung einbezogen.60 Zudem wird er als etwas wahrgenommen, das durch den Menschen erzeugt wird und wiederum auf ihn zurückwirkt.61 Das vorgestellte Konzept ist nicht unumstritten. Vor allem das Werk von Jörg Baberowski, »Räume der Gewalt«62 wird mitunter stark kritisiert. Einige Einwände können in der folgenden Darlegung zum Teil entkräftet werden, andere werden in die methodischen Erwägungen miteinbezogen. Der erste Kritikpunkt betrifft die Betonung des Raumes, welcher bereits im Titel der Rezension des Historikers Friedrich Lengers: »Räume töten nicht«63 deutlich wird. Lenger behauptet, dass es 57 Felix Schnell, Räume des Schreckens. Gewalt und Gruppenmilitanz in der Ukraine 1905-1933. Hamburg 2012, 108. 58 Ebd. 139. 59 Baberowski, Räume, 32. 60 Hiermit wird die Raumvorstellung Baberowskis ergänzt bzw. verdeutlicht, was mit dem Begriff »Raum« gemeint ist. Dies knüpft an die Kritik von Ulrike Jureit an. Siehe: Ulrike Jureit, Rezension zu: Baberowski, Jörg: Räume der Gewalt. Frankfurt a.M. 2015, in: www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25069, [zuletzt eingesehen am 24.08.2018]. 61 Marcus Sandl, Geschichtswissenschaft, in: Stephan Günzel (Hg.), Raumwissenschaften. Frankfurt a.M. 2012, 159. Markus Schroer, Soziologie, in: Günzel, Raumwissenschaften. 369. Felix Schnell, Semantische Verarmung der Kommunikation. Die Leere des Gewaltraums, in: Ulrike Jureit (Hg.), Umkämpfte Räume. Raumbilder, Ordnungswille und Gewaltmobilisierung. Göttingen 2016, 32. 62 Baberowski, Räume. 63 Friedrich Lenger, Wenn Räume töten. Jörg Baberwoski entgrenzt die Gewalt, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 10, 2016, 101-106.

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im Konzept von Baberowski nicht um Konstellationen, sondern um Räume ginge.64 Wenngleich eine Betonung des Raumes im Konzept zu erkennen ist, zeigt vor allem Schnell jedoch immer wieder die Wichtigkeit der Akteure, die die räumlichen Gegebenheiten nutzen.65 Außerdem wird eine Konstellation – wie Lenger es nennt – im Konzept mitgedacht. Geht es doch nicht nur um einen geografischen Raum – eine Region –, sondern um einen Raum, der von Strukturen, Denkweisen und dem Handeln der Akteure konstituiert wird.66 So werden verschiedene Konstellationen berücksichtigt: Sowohl eine Region im Krieg als auch ein Folterkeller oder ein Lager können Gewalträume sein, die sich in ihren Funktionsweisen unterscheiden, die verschiedene Möglichkeiten zur Gewalt bieten und die vielfältig zur Gewaltausübung genutzt werden können. In diesem Zusammenhang kann von Gewaltsituationen gesprochen werden, die demzufolge eine untergeordnete Kategorie darstellen: Sie finden im Gewaltraum statt, sind durch ihn beeinflusst, haben aber ihre spezifische Dynamik.67 Ein weiterer Einwand Lengers ist, dass das Konzept nichts erkläre, sondern nur eine Metapher sei.68 Das ist insoweit nachvollziehbar, als dass das Gewaltraumkonzept nicht erklären kann, welche Gegebenheiten zu Gewalt führen oder sie beenden können. Wenngleich dies für viele Forscher*innen eine wichtige Frage ist, steht sie für Schnell und Baberowski nicht im Vordergrund. Für Historiker ist das Konzept nichtsdestotrotz nützlich, da es die ermöglichenden Momente des Raumes sowie die Akteure, die diese nutzen, in einen Deutungszusammenhang stellt und dadurch verschiedene Analysefaktoren verdeutlicht. Es lenkt den Blick zugleich darauf, dass die Gewalt den Raum beeinflusst und so wiederum neue Möglichkeiten erzeugt, die in der Untersuchung berücksichtigt werden sollten. So können bspw. einzelne Massaker im Laufe eines Konfliktes ganz andere Anlässe oder Gründe haben als der Ausbruch des Krieges. Ferner macht das Konzept auch darauf aufmerksam, dass Konfliktlinien keinesfalls starr sind und sich im Laufe eines Konfliktes ändern können. Die Betonung der Situationen und die Forderung, den Deutungs- und Handlungsspielraum in die Analyse von Gewalt einzubeziehen, findet sich darüber hinaus auch in anderen historischen Arbeiten. So schlagen zum Beispiel Harald 64 Die Kritik einer zu starken Betonung des Raumes (als Akteur) findet sich auch bei Ulrike Jureit. Siehe: Jureit, Rezension zu: Baberowski. 65 Schnell, Räume, 108. 66 Dieses Raumverständnis findet sich explizit bei Schnell (Räume, 22, 77.) und wird hier mitgedacht. Siehe auch: Sandl, Geschichtswissenschaft, 159. Schnell, Semantische Verarmung, 32ff. 67 Sie hängen zudem von der Wahrnehmung der Täter ab. Siehe: Mihran Dabag, Ideologie und gestaltende Gewalt. Aspekte der Formierung genozidaler Tätergesellschaften, in: Olaf Glöckner/Roy Knocke, Das Zeitalter der Genozide. Ursprünge, Formen und Folgen politischer Gewalt im 20. Jahrhundert. Berlin 2017, 153-166. 68 Lenger, Räume, 103.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

Welzer und Sönke Neitzel vor, den Referenzrahmen der Gewalt zu untersuchen.69 Diesen entwickeln sie, indem sie vier verschiedene Ordnungen konstruieren. Neben dem »soziohistorischen Hintergrundgefüge«70 , dem konkreten Raum bzw. Zeit und dem Geschehenszusammenhang betonen sie ebenfalls die Bedeutung von Deutungsmustern und Wahrnehmungen der Täter.71 Sie können Sinn stiften und »als typisierte und routinisierte Rahmen der Einordnung dessen, was gerade geschieht, strukturieren sie das Leben in außerordentlich hohem Maße.«72 Die genannten Untersuchungsdimensionen, die die Autoren als vier Ordnungen des Referenzrahmens interpretieren, lenken ihre Untersuchung und stellen die Analyseebenen dar. Neitzel und Welzers Überlegungen ähneln dem Gewaltraumkonzept, wie es hier interpretiert und angewendet wird – als Analyseinstrument – oder, wie es Schnell sagt: als »wissenschaftlich-analytische Konstrukte.«73 Ein letzter Einwand bezieht sich weniger auf das Konzept als vielmehr auf das Schreiben über Gewalt.74 Baberowski wie auch Sofsky füllen – so der Vorwurf – mitunter Seiten mit Gewaltgeschichten, um so dem Leser die Grausamkeit der Gewalt vor Augen zu führen. Es stellt sich durchaus die Frage, wie Wissenschaftler*innen über Folter, Mord oder Vergewaltigung schreiben können und sollten. In Anbetracht der Frage und des methodisch-theoretischen Zuschnittes ist es jedenfalls keine Option, den Vollzug zu verschweigen oder nur anzudeuten. Im Fortgang der Arbeit werden daher Gewaltsituationen beschrieben und Zeitzeug*innenaussagen wiedergegeben. Das ist mitunter herausfordernd, erfüllt aber nicht den Zweck der Skandalisierung. Die Untersuchung verspricht sich dadurch vielmehr, das Erleben von Gewalt ansatzweise nachvollziehbar zu machen, Dynamiken zu zeigen und sich so dem Untersuchungsgegenstand zu nähern. Letztlich dienen die Beschreibungen als Ausgangspunkt der Analyse von Mustern und der Deutung der Taten.

2.1.5.

Zusammenfassung

Ausgehend von der Nachzeichnung der Debatte zwischen »Innovateuren« und »Mainstreamern« der Gewaltforschung sieht sich diese Untersuchung zwar in der Tradition der »Neuen Gewaltsoziologie« und knüpft an deren Grundaussagen an, 69 Sönke Neitzel/Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben. Frankfurt a.M. 2011, 16f. 70 Ebd. 18. 71 Ebd. 19f. 72 Neitzel/Welzer, Soldaten, 35. 73 Auch Schnell betont im Artikel »Semantische Verarmung der Kommunikation«, dass das Konzept zur Analyse dient, bezeichnet es jedoch als Konstrukte. Siehe: Schnell, Semantische Verarmung, 29. 74 Lenger, Räume, 105f.

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ergänzt jedoch insbesondere die methodischen Forderungen. Im Fortgang der Arbeit steht die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte im Vordergrund, wobei sie vor allem den körperlichen Vollzug in das Zentrum rückt. Psychologische Folgen dessen oder auch das Schaffen von Angst werden bedacht, ohne sie direkt in den Untersuchungsgegenstand terminologisch zu integrieren. Die Untersuchung will und kann keine Theorie herausbilden, um Gewaltereignisse weltweit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erklären zu können. Vielmehr versucht sie, ein geeignetes Instrumentarium zu entwickeln, um ausgehend von der Ausgangsfrage nach genozidalen Mustern den peruanischen Staatsterror charakterisieren zu können. Sie nutzt dafür das Konzept des Gewaltraumes, welches hier als eine Möglichkeit zur Erforschung von Gewalt verwendet wird – als ein Konstrukt, wodurch »man zu einem besseren Verständnis von Gewaltakteuren und -handlungen in bestimmten Kontexten gelangen kann.«75 Es stellt zum einen Akteur, Handlung und Raum in einen Deutungszusammenhang und zum anderen berücksichtigt es die Dynamik von Gewaltkonflikten sowie kollektiver Gewalt. Den Raum begreift es als ein mehrdimensionales »Substrat«76 , das »sozial hergestellt, politisch organisiert und kulturell überformt«77 ist. Er wird nicht nur vom Menschen erzeugt, sondern wirkt auf ihn zurück.78 Für die Analyse sind also, neben strukturellen Gegebenheiten, auch Vorstellungen und Wahrnehmungen sowie Praktiken relevant.79 Der Begriff wird für die Region Ayacucho, die sich zu einem Gewaltraum entwickelte, genutzt. Mangels eines anderen Terminus wird die Kaserne »Los Cabitos« ebenfalls so benannt. Massaker, Folter und sexuelle Gewalt werden durch die Beschreibung einzelner Situationen erfasst, die in den Gewaltraum eingebettet sind und diesen zugleich beeinflussen. Sie sind zudem der Ausgangspunkt für die Frage, inwiefern sich Praktiken herausgebildeten. Zusammenfassend bieten die genannten Festlegungen und das Gewaltraumkonzept für diese Untersuchung einen geeigneten Analyserahmen, der mit einer praxeologischen Perspektive verknüpft wird, um so den genannten Kritikpunkten zu entgegnen und das methodische Vorgehen zu schärfen. 75 76 77 78 79

Schnell, Semantische Verarmung, 29. Sandl, Geschichtswissenschaft, 162. Ebd. 159. Schroer, Soziologie, 359. Schnell, Semantische Verarmung, 32. Hier sei nochmals betont, dass eine Situation maßgeblich auch von der Sichtweise der Akteure abhängig ist; in diesem Fall der staatlichen Sicherheitskräfte. Ihre Denkweisen sind (u. a.) durch die Organisation und Ideologie geprägt, sodass diese Aspekte in Kapitel 4 nachgezeichnet werden.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

2.2.

Praxeologie: Das Methodenset

»A perspective is not a recipe; it does not tell you just what to do. Rather, it acts as a guide about what to pay attention to, what difficulties to expect, and how to approach problems.«80 Wie in diesem Zitat angedeutet, wird die Praxeologie als Perspektive verstanden. Sie lenkt den Blick, sie macht methodische Schritte plausibel und fügt einzelne Teile der Arbeit zusammen. Indem Ursprünge und wesentliche Ausprägungen skizziert werden, will der erste Teil aufzeigen, was sich hinter dem Sammelbegriff »Praxeologie« verbirgt, der bisher zahlreiche Konzepte zusammenfasst, die sich für das menschliche Handeln interessieren. Dabei wird vor allem die Historische Praxeologie nachgezeichnet, die sich in den letzten Jahren zu schärfen begonnen hat. Der eigene Weg, den diese Arbeit einschlägt, der nicht eins zu eins in der Historischen Praxeologie aufgeht, wird im Anschluss dargestellt und die Bedeutung der Praxeologie für diese Untersuchung wird konkretisiert. Da die Perspektive nicht genügt, um die gesteckten Ziele zu erreichen, werden abschließend weitere methodische Bausteine kurz erläutert.

2.2.1.

Ursprünge der Praxeologie und die Adaption in der Geschichtswissenschaft

In den letzten Jahren sind zahlreiche Werke über Praxeologie erschienen und die praxeologische Forschung nimmt zu,81 sodass einige Forscher*innen darin bereits den nächsten Turn sehen oder versuchen, diese praktische Wende zu proklamieren.82 Wenngleich der Eindruck naheliegt, dass Praxeologie zu einem Begriff gewachsen ist, der als »en vogue« bezeichnet werden könnte, erscheint die Darstellung eines Paradigmenwechsels schwierig. Vor allem bei der Betrachtung der Ursprünge der Praxeologie, die keineswegs neu sind, geht vielmehr eine Wiederentdeckung vonstatten, die ursprüngliche Praxistheorien verändert, aber doch deut80 Etienne Wenger, Communities of Practice. Learning, Meaning, and Identity. Cambridge 1998, 9. 81 Ein kleiner Auszug: Robert Schmidt, Soziologie der Praktiken. Konzeptionelle Studien und empirische Analysen. Berlin 2012. Friederike Elias (Hg.), Praxeologie: Beiträge zur interdisziplinären Reichweite praxistheoretischer Ansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin 2014. Lucas Haasis/C onstantin Rieske (Hg.), Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns. Paderborn 2015. Dagmar Freist (Hg.), Diskurse, Körper, Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühen Neuzeitforschung. Bielefeld 2015. Frank Hillebrandt (Hg.), Die Methoden einer Soziologie der Praxis. Bielefeld 2015. 82 Andreas Reckwitz, Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32, 2003, 282. Marian Füssel, Praxeologische Perspektiven in der Frühneuzeitforschung, in: Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Wien, Köln, Weimar 2015, 21.

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lich an diese anknüpft.83 Zudem ist sie eher Teil einer kulturwissenschaftlichen Wende, als dass sie ein neues Paradigma verkörpern könnte.84 Ausgehend von der Soziologie schenkt auch die Geschichtswissenschaft den Praktiken mehr Aufmerksamkeit und erforscht historische Ereignisse aus praxeologischer Perspektive.85 Die Wurzeln der Praxistheorien werden gemeinhin bei den Philosophen Wittgenstein und Heidegger gesehen.86 Beide verweisen auf die Bedeutung der Praxis für den Menschen und dienen daher den Praxistheorien als Impulsgeber, Anknüpfungspunkt und Legitimation. Dies können zwei Kernaussagen illustrieren: Wittgenstein verweist darauf, dass der Sprachgebrauch entscheidend sei, nicht die Sprachregeln.87 Er hebt damit die Sprachpraxis hervor – also das »Sprechen als Tätigkeit«.88 Heidegger betont seinerseits, dass das menschliche Dasein ein »verstehendes agierendes in der Welt sein«89 ist. Beide Autoren stellen somit die Wichtigkeit des »Tätigseins« heraus und bieten so philosophische Bezugspunkte. Die verschiedenen »Praxistheorien« beziehen sich auf diese Grundlagen, entwickeln jedoch verschiedenartige Konzeptionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Stoßrichtungen. Sie reichen von Bourdieus Theorie der Praxis90 über Certeaus »Kunst des Handelns«91 hin zur Theorie der Performativität von Judith Butler.92 Diese unterschiedlichen Ausformungen werden hier nicht in ihrer Verschiedenheit ausgeleuchtet. Vielmehr soll ihr Kern bestimmt werden, um folgend die Historische Praxeologie einordnen und ihre Besonderheit darstellen zu können. Ein markanter Unterschied der Theorien liegt im Begriff der Praxis. Dieser wird als »sozial geregelte, typisierte, routinisierte Form des körperlichen 83 Zudem wird eingewendet, dass es sich um kein einheitliches Konzept handele und daher auch nicht um ein neues Paradigma. Siehe: Gregor Bongaerts, Soziale Praxis und Verhalten – Überlegungen zum Practice Turn in Social Theory, in: Zeitschrift für Soziologie 36, 2007, 246-260. 84 Andreas Reckwitz, Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms. Weilerswist 2000, 644f. 85 Bspw. Sven Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA. Köln, Weimar, Wien 2002. Lipp, Diskurs und Praxis, 211-227. Dagmar Freist (Hg.), Diskurse, Körper, Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühen Neuzeitforschung. Bielefeld 2015. 86 Reckwitz, Grundelemente 283. 87 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M. 2003, 40. 88 Juliane Reichel, Sprache – Sprachspiel – Spiel. Phänomen als Methode bei Heidegger, Wittgenstein und Gadamer. Oldenburg 2010, 89. 89 Martin Heidegger, Sein und Zeit. Tübingen 2006, 53, 157. 90 Pierre Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis. Frankfurt a. M. 2009. 91 Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988. 92 Andreas Reckwitz, Die Reproduktion und die Subversion sozialer Praktiken. Zugleich ein Kommentar zu Pierre Bourdieu und Judith Butler, in: Karl Hörning (Hg.), Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis. Bielefeld 2004, 40. Judith Butler, Haß spricht: zur Politik des Performativen. Berlin 1998.

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Verhaltens«93 begriffen, aber auch als »sinnlich-menschliche Tätigkeit«94 definiert. Gemein haben diese verschiedenen Ausrichtungen, dass sie den Vollzug des menschlichen Tuns betrachten wollen. Der Blick auf ein alltägliches Phänomen – das Spielen – soll helfen, die Bedeutung dieser Grundlage zu verdeutlichen: Um zu untersuchen, wie ein Spiel gespielt wird, genügt es nicht, sich Regeln anzuschauen oder andersherum von einer subjektiven Erfahrung Rückschlüsse auf den Charakter des Spiels zu ziehen. Es ist vielmehr notwendig, verschiedene Spielsituationen zu beobachten, um zu erkennen, wie die Regeln ausgelegt werden – welche missachtet oder hinzugefügt werden. Erst dadurch ist es möglich, das Spielen zu verstehen – Routinen, Abweichungen und Spielräume zu identifizieren.95 An diesem Beispiel ist eine weitere Gemeinsamkeit der praxeologischen Konzepte zu bemerken: Es wird deutlich, dass durch sie Praxis als etwas auslegt wird, das zwischen Subjekt und Struktur liegt. Die verschiedenen Praxeolog*innen wollen den Fokus »vom Subjekt zu den Praktiken«96 verschieben und so den Widerspruch zwischen Subjektivismus und Objektivismus auflösen. Beides seien Einseitigkeiten und zu voraussetzungsvolle Prämissen.97 Ein Hauptanliegen Bourdieus ist es daher, ein Theorieangebot zu schaffen, das sich zwischen strukturalistischen und subjektivistischen Konzeptionen bewegt – somit Mikro- und Makroperspektive eint.98 Sein Anliegen teilt er mit anderen Praxeolog*innen, sodass es, obgleich die Umsetzungen differieren, als ein Kernelement praxeologischer Theoriebildung angesehen wird.99 Trotz divergierender begrifflicher Definitionen verstehen die praxeologischen Theorien die Praxis als etwas, das sich zwar in einem diskursiven und strukturierten Rahmen vollzieht, aber »keine determinierte Reaktion auf vorhergehende Bedingungen«100 ist. Zudem ist sie nicht durch Intentionalität oder Rationalität bestimmt, sondern muss in ihrer Eigenlogik verstanden werden.101 Ein 93 Andreas Reckwitz, Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne. Weilerswist 2010, 36. 94 Karl Marx, Thesen über Feuerbach, Berlin 1969, zit. n. Julia Schnegg, Theorie und Praxis – die Feuerbachthesen von Karl Marx und die Praxeologie von Pierre Bourdieu. Schkeuditz 2009, 13. 95 Schmidt, Soziologie, 39. Frank Hillebrandt, Was ist der Gegenstand einer Soziologie der Praxis? in: Franka Schäfer/Anna Daniel/Frank Hillebrandt (Hg.), Methoden einer Soziologie der Praxis. Bielefeld 2015, 15-36. 96 Marian Füssel, Die Rückkehr des ›Subjekts‹ in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer Perspektive, in: Stefan Deines (Hg.), Historisierte Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte. Berlin 2003, 151. 97 Frank Hillebrandt, Soziologische Praxistheorien. Eine Einführung. Wiesbaden 2014, 11. 98 Peter Müller, Die Einbettung des Handelns. Pierre Bourdieus Praxeologie, in: Berliner Journal für Soziologie 12, 2002, 160. 99 Reckwitz, Die Transformation, 558. 100 Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, 169. 101 Jörg Ebrecht, Einleitung. Konturen einer soziologischen Theorie der Praxis, in: Ders. (Hg.), Bourdieus Theorie der Praxis. Erklärungskraft, Anwendung, Perspektiven. Wiesbaden 2004, 8.

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weiterer wesentlicher Aspekt von Praxistheorien, der unmittelbar damit einhergeht, ist daher die Forderung, die Praktiken in den Situationen zu analysieren.102 Gemeinsam ist den Praxistheorien ebenfalls die Betonung des Körpers und der Artefakte, welche die Analyse einbeziehen soll.103 Die Sinnhaftigkeit dieser Forderung zeigt sich insbesondere in Gewaltkontexten. Zum einen wird Gewalt körperlich verübt und erfahren. Zum anderen können sich ihre Intensität sowie ihr Charakter bspw. durch Waffen verändern. Bei anderen typischen Praktiken wie Schreiben oder Essen ist dies ebenso ersichtlich, da ihre Ausübung eng mit dem Körper und den benötigten Gegenständen verbunden ist. Den Praxistheoretikern geht es dabei nicht vordergründig um die Betrachtung weiterer Merkmale von Praktiken. Sie wollen vielmehr deren Zusammenwirken untersuchen, um so die Dynamik der Praktiken zu begreifen.104 Der vorangegangene Abschnitt skizzierte den Kern der Theorien: Die Praxisforschung versucht, »die variablen Bedingungen des Vollzugs der Praxis situationsanalytisch zu identifizieren, also das Zusammenkommen und -wirken von sozialisierten Körpern mit materialen Artefakten und Dingen sowie mit diskursiven und symbolischen Formationen zu untersuchen.«105 In diesem Theoriefeld verortet sich die Historische Praxeologie, für die ebenso (noch) kein einheitliches Forschungsprogramm existiert und deren Untersuchungsgegenstände sowie Perspektiven ein breites Spektrum bilden.106 Da jüngst ein Systematisierungsversuch erschienen ist, der den skizzierten Ursprung ebenfalls verdeutlicht, eine Begriffsbildung erarbeitet sowie ein methodisches Vorgehen einer historischen Praxeologie vorschlägt, bezieht sich die folgende Passage hauptsächlich auf die Veröffentlichung »Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns« von Lucas Haasis und Constantin Rieske.107 Dies zielt darauf ab, 102 Müller, Einbettung des Handelns, 162. Frank Hillebrandt, Was ist der Gegenstand einer Soziologie der Praxis? in: Ders. Soziologie der Praxis, 17. 103 Ebd. 17. Andreas Reckwitz, Praktiken und Diskurse. Eine sozialtheoretische und methodologische Relation, in: Herbert Kalthoff/Stefan Hirschauer/Gesa Lindemann (Hg.), Theoretische Empirie. Zur Relevanz qualitativer Forschung. Frankfurt a.M. 2008, 191. 104 Hillebrandt, Soziologie der Praxis, 17. 105 Ebd. 17. 106 Neben den oben genannten Forschungen existieren weitere Werke: Siehe exemplarisch: Marian Füssel, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis: Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006. Dagmar Freist (Hg.), Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung. Bielefeld 2013. Arndt Brendecke (Hg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Wien, Köln, Weimar 2015. In den Werken zur historischen Praxeologie werden verschiedenste Praktiken thematisiert und auf verschiedene Weisen eine praxeologische Perspektive eingenommen. Beispielhaft zeigt sich das Spektrum an zwei Artikeln: Michael Stolberg, Kommunikative Praktiken. Ärztliche Wissensvermittlung am Krankenbett im 16. Jahrhundert, in: Brendecke, Praktiken, 111-121. Aline Steinbrecher, »They Do Something«. Ein praxeologischer Blick auf Hunde in der Vormoderne, in: Elias, Praxeologie, 29-52. 107 Haasis/Rieske, Historische Praxeologie.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

die Historische Praxeologie in Grundzügen zu charakterisieren, um anschließend das Vorgehen dieser Arbeit einzuordnen sowie abzugrenzen. Die Einführung des Sammelbandes entwirft eine Art Programmatik, indem sie zunächst das Spektrum von Definitionen des Begriffes »Praxis« aufzeigt, um dann das Verständnis der Autoren darzulegen. Haasis und Rieske definieren Praktiken als »Handlungsmuster, die kontingente Mechanismen sind.«108 Sie rücken also die Muster der vergangenen Alltagshandlungen in den Mittelpunkt ihrer Analyse und konstatieren, dass sie »eine spezifische konstitutive Bedeutung für die Vergangenheit, ihre Sozialwelt und deren Menschen«109 hatten. Sie orientieren sich in ihrer Begriffsauslegung demnach an Theodore Schatzki, der mit seiner Definition der Praxis als »temporaly unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings«110 die bekannteste Begriffsbestimmung einbrachte. Haasis und Rieske verweisen auf Untersuchungsgegenstände wie Schreiben oder Kochen, wobei sie die Praktiken als »immer zugleich sozial, materiell, symbolisch, diskursiv und zeitlich verfasst«111 interpretieren. Um diese Muster sichtbar zu machen und historiographisch erfassen zu können, führen sie die Praktiken auf drei ihrer wesentlichen Merkmale zurück und konstruieren daraus ihre Untersuchungsmethode. Diese führen sie auf die Elemente Materialität sowie Prozessualität und Historizität zurück.112 Die Autoren formen darauf einen analytischen Dreischritt, der zunächst fordert, die Praktiken in ihrer Materialität – für die Historiker*innen vermittelt über Quellen – zu identifizieren. Praktiken sind immer material verankert, wobei die Quellen zwei verschiedene Zugänge zu ihnen liefern. Zum einen können sie eine Praxis beinhalten. Zum anderen können sie eine Repräsentation von Praxis sein. Dies lässt sich sehr anschaulich am Schreiben eines Briefes erläutern. Er zeigt einerseits die Praxis des Briefeschreibens, die sich in Anrede und Verabschiedung oder stilistischen Bausteinen niederschlagen kann. Andererseits kann er ein Bericht vergangener Taten – und somit eine Repräsentation des Geschehens sein. Damit wird eine grundlegende Schwierigkeit der Historischen Praxeologie offenkundig: Die Historiker*innen können Praktiken nicht beobachten, sondern sich ihnen nur über Quellen nähern. Ein breiter Blick auf die Quellenüberlieferung ist also notwendig, um dieser Problemstellung zu begegnen.113 Der zweite Schritt widmet sich der Prozessualität der Praktiken. Anhand der Quellen ist zu prüfen, inwiefern die Tätigkeit nicht nur eine Handlung war, sondern überindividuelle Muster zu erkennen sind. Die Praxeologen erarbeiten also aus den 108 Haasis, Einführung, 15. 109 Ebd. 16. 110 Theodore Schatzki, Social Practices. A Wittgensteinian Approach to Human Activity and the Social. Cambridge 1996, 89. 111 Haasis, Einführung, 26. 112 Ebd. 17. 113 Füssel, Praxeologische Perspektiven, 31.

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Quellen zunächst, wie sich die Handlung – bspw. das Hut-ziehen – vollzog, um dann zu klären, inwiefern dies häufiger in dieser Art und Weise geschehen ist. »Es gilt, die jeweilige Praktik als kontextuell allgegenwärtig herauszustellen.«114 Dafür schlagen die Autoren verschiedene Methoden vor: Neben der »dichten Beschreibung« benennen sie die »tiefe Beschreibung«.115 Letztere erfordert einen Abgleich der Tätigkeit mit anderen Quellenarten, in denen diese als Praxis beschrieben wird. Wenn dadurch die Muster herausgearbeitet wurden, kann in einem dritten Schritt nach der Bedeutung der Praktik in ihrer Zeit gefragt werden.116 Der letzte Analyseschritt betrifft die Historizität der Praktiken. Ziel ist es, die zeitgenössischen Sinnhorizonte und Wissensordnungen herauszuarbeiten, um so der Logik der Praktiken näherkommen zu können. Die Historizität ist dabei ein Element der Praxis, da davon ausgegangen wird, dass in der Praxis sichtbar wird, was im historischen Kontext des Untersuchungsgegenstandes »sag- und machbar«117 war. Gleichzeitig gewinnen die Praktiken an Bedeutung, wenn sie innerhalb des zeitgenössischen diskursiven Rahmens betrachtet werden. Haasis und Rieske präsentieren an dieser Stelle zwei Kernfragen, die zum einen Wirkungen sowie Folgen der Praktiken in den Blick nehmen und zum anderen deren Deutungsmuster thematisieren. So wollen sie beispielsweise die Relevanz der Praktiken für den Alltag herausarbeiten.118 Sie betonen dabei, dass die Praktik möglichst »dicht zu kontextualisieren«119 sei, verschiedene Perspektiven berücksichtigt und die unterschiedlichen »Stimmen der Vergangenheit«120 gehört werden sollen. Historische Praxeolog*innen bleiben also möglichst nah am Material und bauen ihre Argumentation sowie ihre Narration quellennah auf. Damit wollen sie die Praktiken nicht nur in den Kontext der Vergangenheit einordnen, sie wollen außerdem ein Bild des Vergangenen wiederherstellen, das facettenreich ist und Widersprüche zulässt.121 Diese Auslegung historischer Praxeologie stellt eine Form dar, wie die Geschichtswissenschaft die soziologische Praxeologie adaptiert. Auch wenn es in der historischen Praxeologie durchaus Unterschiede gibt, teilen sie ein ähnliches Vokabular und eine gemeinsame Perspektive auf vergangene Praxis. Der hier vorgestellte Systematisierungsversuch bietet daher einen Einblick in die Historische Praxeologie und ist ein gutes Beispiel zur Illustration einer aktuellen geschichtswissenschaftlichen Anknüpfung an die Praxistheorien. Der hier ausgewählte Sammelband von Haasis und Rieske legte zudem ein klares Vorgehen dar, das 114 Haasis, Einführung, 34. 115 Ebd. 36. Beide Methodenbezeichnungen finden sich an dieser Stelle und werden erläutert. 116 Ebd. 37f. 117 Ebd. 38. 118 Haasis, Einführung, 40f. 119 Ebd. 50. 120 Ebd. 50. 121 Haasis/Rieske, Einführung, 51f.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

verdeutlicht, dass die Praxeologie vordergründig als Perspektive genutzt wird: Die Analyseschritte wurden ausgehend von einer praxeologischen Forschungshaltung gebildet, die Schritte selbst benötigen dann jedoch weitere Methoden, um verwirklicht zu werden. Ausgehend von diesem Beispiel will die vorliegende Arbeit zeigen, wie sie sich in der Historischen Praxeologie verortet.122

2.2.2.

Die praxeologische Perspektive

»Wenn man vor der Welt, wie sie ist, fliehen will, kann man Musiker werden, Philosoph, Mathematiker. Aber wie flieht man vor ihr, wenn man Soziologe ist? Es gibt Leute, die das schaffen. Man braucht nur mathematische Formeln zu schreiben, Spieltheorieübungen oder Computersimulationen durchzuexerzieren. Wenn man wirklich die Welt wenigstens ein bisschen so sehen und so über sie reden will, wie sie ist, dann muss man akzeptieren, dass man sich immer im Komplizierten, Unklaren, Unreinen, Unscharfen usw. und also im Widerspruch zu den gewöhnlichen Vorstellungen von strenger Wissenschaftlichkeit befindet.«123 Eine ähnliche Herausforderung stellt sich Historikerinnen, die – wollen sie vergangenes menschliches Handeln verstehen – sich ebenfalls die Frage stellen müssen, wie sie dies in wissenschaftlicher und angemessener Weise bewältigen können. Diese Arbeit nimmt eine praxeologische Perspektive ein, die – so die Kritik – zwar weder durch einen hohen Grad an Abstraktion noch an Konsistenz besticht, aber durch ihren Empiriebezug, ihre Flexibilität und Passfähigkeit als angemessenes Instrument erachtet wird, um die vorliegende Frage zu beantworten und sich der historischen Situation zu nähern.124 Zudem können einige Kritikpunkte, die die Forschung gegen die Historische sowie die Soziologische Praxeologie ins Feld führt, entkräftet werden. Zum einen nutzt die Untersuchung die Praxeologie als Perspektive, sodass gar nicht erst behauptet wird, eine sogenannte Großtheorie gebildet zu haben. Zum anderen konzentriert sie sich auf die Kernpunkte, die außerdem mit weiteren methodischen Schritten und dem Gewaltraumkonzept verwoben werden. Der folgende Abschnitt thematisiert die Genese dieser konzeptionellen Überlegungen und legt ihren Einfluss auf die Untersuchung dar. Zunächst stellt sich die Frage, warum ein durchaus umstrittenes Konzept (Gewaltraum) mit einer methodischen Perspektive verwoben wird, der die Forschung 122 Ebd. 36. 123 Beate Krais, Pierre Bourdieu im Gespräch mit Beate Krais, in: Pierre Bourdieu, Soziologie als Beruf. Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen soziologischer Erkenntnis. Berlin, New York 1991, 282f. 124 Marian Füssel, Was ist und was kann die historische Praxeologie? Ein runder Tisch, in: Haasis/Rieske, Historische Praxeologie, 223.

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Unklarheit und Diffusität nachsagt. Zwei Hauptgründe sind dafür zu nennen: Erstens erscheinen beide sehr passfähig, da sie ähnliche Forderungen teilen und eine gemeinsame Stoßrichtung zu erkennen ist: So wollen beide den Vollzug menschlichen Tuns in den Vordergrund stellen, also das »Wie« der Gewalthandlungen betrachten und fordern dabei eine Berücksichtigung des Körpers und der Artefakte. Beide betonen die Wichtigkeit der Empirie sowie einer situativen Analyse und negieren zudem den Sinn von umfassenden Theorien. Außerdem geht aus beiden hervor, »dass Akteure weder völlig frei gestaltende Subjekte noch bloß ausführende, an gesellschaftlichen Strukturen hängende Marionetten sind.«125 Sie stellen daher die Bedingungen einer Situation, die »unsichtbaren Räume«126 und das Handeln der Personen in einen Deutungszusammenhang: »Soziale Kontexte, die Analyse von Diskursen, die symbolische Organisation von Wirklichkeit und soziokulturell eingebettete Handlungsformen werden nicht als getrennte, sondern als kompatible Untersuchungsebenen verstanden.«127 Zweitens kann eine praxeologische Perspektivierung das Gewaltraumkonzept so ergänzen, dass nachgezeichnete Schwierigkeiten, wie eine Überbetonung des Raumes, abgeschwächt werden. Darüber hinaus bietet sie methodische Bausteine an, die es zulassen, genannte (gemeinsame) Aspekte zu untersuchen. Der vorgeschlagene Dreischritt von Haasis/Rieske wird hier nicht eins zu eins als Vorgehen genutzt. Vielmehr wird eine praxeologische Forschungshaltung, die den Handlungsvollzug, Körper sowie Artefakte in den Mittelpunkt der Analyse rückt und eine Verbindung aus Mikro-und Makroebene sucht, eingenommen: Konkret bedeutet dies für die Arbeit, dass die verschiedenen Gewalthandlungen im Vordergrund stehen, diese aber eingebettet in ihrem historischen Hintergrundgefüge interpretiert werden. Zu diesem Zweck sowie zur Orientierung werden daher anfangs der Ermöglichungsraum Ayacucho und wesentliche makroperspektivische Aspekte der peruanischen Gesellschaft sowie des internationalen Kontextes in Grundzügen nachgezeichnet. Darüber hinaus werden die Akteure sowie deren Charakteristika herausgearbeitet. All dies kann als Rahmen der Gewalttaten gelten und wird in die Deutung dieser einbezogen,128 um so Mikro- und Makroebene zusammenzubringen. Dafür lehnt sich die Arbeit an die bereits erwähnte Methode der »dichten Beschreibung« von Geertz an. Es wird aber stärker als in der Neuen Gewaltsoziologie der Raum in die Analyse einbezogen, der u. a. aus Strukturen, Hierarchien sowie Wahrnehmungen besteht und durch die Praxis konstruiert wird sowie auf sie zurückwirkt.129 Hierbei ist hervorzuheben, dass neben den struktu125 126 127 128

Schmitt, Symbolische Gewalt, 19. Baberowski, Räume, 32. Reichardt, Praxeologische Geschichtswissenschaft, 45. Siehe auch Neitzel/Welzer, Soldaten. Auch diese nähern sich über verschiedene Ordnungen dem Mikroreferenzrahmen – den Deutungen. 129 Martina Löw, Raumsoziologie. Frankfurt a.M. 2001, 263f. Sandl, Geschichtswissenschaft, 159.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

rellen Aspekten die Interpretation dieser durch die Akteure von besonderer Wichtigkeit ist. Durch diese Kontextualisierung soll ausgehend von einer Beschreibung der Taten eine Deutung ermöglicht werden.130 Aufgrund dieser Überlegungen nähert sich die Analyse den Gewaltpraktiken, indem sie zunächst Gewalttaten in ihren Handlungssituationen betrachtet. Um eine Situation nachzuzeichnen, beschreibt sie Konstellationen, Artefakte, Körper, Raum und Zeit (Spanne der Handlung). »Dieser Gedankengang beruht darauf, dass die Zwecksetzung als Resultat einer Situation begriffen wird, auf die sich der Handelnde reflexiv bezieht.«131 Obwohl die Absichten, Pläne und Befehle der Akteure Untersuchungsaspekte sind, wird dennoch davon ausgegangen, dass die Situationen, in die sich die fuerzas armadas132 begaben, auch neue oder andere Handlungszwecke ergaben und die Loslösung von diesen im Verlauf der Taten möglich war.133 In der Untersuchung sollen somit Spielräume aufspürt und gefragt werden, wie diese genutzt und erweitert oder erst geschaffen wurden. Einzelne Gewalttaten der verschiedenen Gewaltformen – wie Massaker, Folter und sexuelle Gewalt und Verschwindenlassen – werden also zunächst anhand von Gewaltsituationen beschrieben, analysiert und gedeutet. Die Arbeit untersucht dabei, inwiefern Routinen zu erkennen sind und Muster deutlich wurden – also Gewaltpraktiken existierten.134 Die praxeologische Perspektive schlägt sich somit durch die Fokussierung auf Gewaltsituationen und die Frage nach Routinen und Mustern nieder. Zudem manifestiert sich die praxeologische Perspektive auch im Umgang mit dem Begriff »Genozid«, was im Anschluss an weitere methodische Überlegungen konkretisiert wird.

2.2.3.

Historische Semantik und Historische Diskursanalyse – zwei Ergänzungen

Um einzelne erwähnte Aspekte, die in die Analyse einbezogen werden sollen, herausarbeiten zu können, sind weitere methodische Schritte notwendig: Neben der Quellenkritik, die im Umgang mit den verschiedenen Quellenarten wichtig und die Basis einer jeden historischen Arbeit ist, greift dieses Vorhaben auf die Historische 130 Geertz, Dichte Beschreibung, 16. 131 Sven Reichardt, Zeithistorisches zur praxeologischen Geschichtswissenschaft, in: Brendecke, Praktiken, 51. 132 Spanische Bezeichnung für die Streitkräfte. 133 Reichardt, Praxeologie und Faschismus, 131. Baberowski, Räume, 139. 134 Diese Arbeit orientiert sich an diesem Dreischritt, jedoch steht anders als in der »Historischen Praxeologie« nicht das Muster im Vordergrund, sondern die Bedeutung der Praktiken.

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Semantik135 und in Teilen auf die Historische Diskursanalyse136 zurück. Beide werden als Ergänzung zur klassischen Quellenkritik und nicht als Ersatz verstanden. Diese Bausteine können hier weder ausführlich erläutert noch intensiv problematisiert werden. Vielmehr werden sie unter Verweis auf grundlegende Literatur in ihrem Nutzen für die Analyse dargelegt, ohne dass ein Beitrag zur Diskussion um diese Methoden geleistet werden soll. Die Historische Semantik und die Linguistische Anthropologie137 untersuchen den Sprachgebrauch von Worten, um so den Sinn, der ihnen zugeschrieben wird, verstehbar zu machen.138 Bei diesen Methoden wird davon ausgegangen, dass ein Wort mehr als eine Information ist und es wird versucht, Mentalitäten oder auch »sprachgeprägte Menschenbilder« offen zu legen.139 In dieser Untersuchung wird weder der Begriff »Mentalität« genutzt noch ist es die Absicht, diese aus den Quellen herauszuarbeiten. Durch die Betrachtung des Gebrauches des Schlüsselwortes »Subversive« und die Untersuchung der »Kennwörter«140 sowie der Attribute, die ihm zugeschrieben werden, werden jedoch seine Verwendungsweisen rekonstruiert. Dadurch wird die Sichtweise des Militärs – insbesondere ihr Feindbild – herausgearbeitet.141 Durch die Analyse der Interviews mit hochrangingen Militärangehörigen sowie der militärischen Handreichungen und den Personalbögen wird sich außerdem einem »innermilitärischen Denkstil«142 angenähert. Neben der 135 Siehe zur Einführung: Kathrin Kollmeier, Begriffsgeschichte und Historische Semantik, Version 2.0, in: http://docupedia.de/zg/Begriffsgeschichte_und_Historische_Semantik_Version_2.0_ Kathrin_Kollmeier, [zuletzt eingesehen am 17.07.2018]. Willibald Steinmetz, Vierzig Jahre Begriffsgeschichte – The State of the Art, in: Heidrun Kämper (Hg.), Sprache – Kognition – Kultur. Sprache zwischen mentaler Struktur und kultureller Prägung. Berlin, New York 2007, 174-197. 136 Siehe zur Einführung: Achim Landwehr, Historische Diskursanalyse. Frankfurt a.M. 2008. Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt a.M. 2003. 137 Dietrich Busse, Historische Semantik. Analyse eines Programms. Stuttgart 1987. Ders. Begriffsgeschichte oder Diskursgeschichte? Zu theoretischen Grundlagen und Methodenfragen einer historisch semantischen Epistemologie, in: Carsten Dutt (Hg.), Herausforderungen der Begriffsgeschichte. Heidelberg 2003, 17-38. Fritz Hermanns, Linguistische Anthropologie. Skizze eines Gegenstandsbereiches linguistischer Mentalitätsgeschichte, in: Fritz Hermanns/Dietrich Busse (Hg.), Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen 1994, 29-59. Susanne Günthner, Sprache und Sprechen im Kontext kultureller Praktiken. Facetten einer Anthropologischen Linguistik, in: Silke Meyer/Armin Owzar (Hg.), Disziplinen der Anthropologie. Münster 2011, 121-144. 138 Beide Forschungsrichtungen sind durchaus verschieden, überschneiden sich aber in einem Punkt, der hier im Vordergrund steht, sodass sie daher gemeinsam besprochen werden. Beide gehen davon aus, dass durch die Analyse von Sprache/Worten analysiert werden kann, wie Zugehörigkeit oder eben Andersartigkeit konstruiert wird. 139 Fritz Hermanns, Der Sitz der Sprache im Leben. Beiträge zur kulturanalytischen Linguistik. Berlin, Boston 2012. 140 Hermanns, Der Sitz, 56. 141 Gerd Fritz, Historische Semantik. Stuttgart 1998, 14. 142 Lipp, Diskurs und Praxis, 215.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

Rekonstruktion von Selbst- und Feindbildern ist von Interesse, inwiefern sich die Handreichungen veränderten, und ob es Unterschiede zwischen den geheimen militärischen Dokumenten und den öffentlichen Interviews gegeben hat. Von Bedeutung sind diese Schritte, da davon ausgegangen wird, dass die Einschätzungen des Feindes sowie die Wahrnehmungen und die Denkweisen die Interpretation einer Situation beeinflussen können. Diese Haltung wiederum ist durchaus entscheidend für das Handeln der Akteure.143 Außerdem macht der Abgleich deutlich, was öffentlich »sagbar« war, was wiederum Aufschluss über die Rahmenbedingungen der Gewalttaten geben kann, die in die Deutung der Situationen einbezogen werden.144 Während bei der Anlehnung an die Historische Semantik vor allem Begriffe und ihre Netzwerke untersucht werden, stehen bei der Historischen Diskursanalyse Aussagen und ihre »diskursive Formation«145 im Fokus. Problematisch bei diesem methodischen Baustein ist, dass der Begriff »Diskurs« im Alltag sehr divergent eingesetzt wird, aber auch in der Wissenschaft weder eine allgemeingültige Definition noch ein einheitliches Vorgehen existieren. Vielmehr schmücken sich verschiedenste Untersuchungen mit dem Schlagwort »Diskurs«, ohne dieses plausibel zu erklären und ohne tatsächlich eine Diskursanalyse durchzuführen.146 In der Geschichtswissenschaft gilt Foucault als Grundlage und Hauptbezugspunkt für das methodische Vorgehen und die Begriffsfestlegung.147 Achim Landwehr, der als ein Hauptvertreter der Historischen Diskursanalyse gilt und sich auch auf Foucault bezieht, versteht den Begriff »Diskurs« wie folgt: »Der Diskurs als historisches Phänomen läßt sich in seiner Gesamtheit als die Menge all jener schriftlichen, mündlichen, bildlichen oder sonstigen zeichenhaften Hervorbringungen und Praktiken beschreiben, die das Thema des Diskurses in irgendeiner Weise behandeln oder auch nur nebenher streifen.«148 143 Elçin Kürşat-Ahlers, Über das Töten in Genoziden. Eine Bilanz historisch-soziologischer Deutungen, in: Peter Gleichmann/Thomas Kühne (Hg.), Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20.Jahrhundert. Essen 2004, 189. Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden. Frankfurt a.M. 2005, 247f. Jacque Sémelin, Säubern und Vernichten. Die politische Dimension von Massakern und Völkermorden. Hamburg 2007, 13, 20, 26. 144 Landwehr, Historische Diskursanalyse, 20. 145 Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 2013, 105. 146 Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Diskursanalyse. Tübingen 2004, 65f. Franz Eder, Historische Diskurse und ihre Analyse – eine Einleitung, in: Ders. (Hg.), Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen. Wiesbaden 2006, 10f. 147 Siehe exemplarisch: Foucault, Archäologie des Wissens. 148 Landwehr, Geschichte, 106.

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Es geht demnach um »Aussagen, die sich hinsichtlich eines bestimmten Themas systematisch organisieren.«149 Durch die Analyse der Aussagen und Diskurse seien Denkmuster sowie »die Geschichte des Sagbaren«150 rekonstruierbar. In der Untersuchung wird sich diese Sichtweise zunutze gemacht, wobei hier die Diskursanalyse als eine kompatible Untersuchungsdimension der Praktiken verstanden wird. Reckwitz erfasst das Verhältnis von Praktiken und Diskursen als »aneinander gekoppelte Aggregatzustände der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen.«151 Er sieht sie als zwei Bestandteile einer zusammengehörigen Formation. Für die Arbeit spielt die Diskursanalyse also in Verbindung mit der Historischen Semantik und der praxeologischen Perspektive eine Rolle, sodass ihr ein Stellenwert als ergänzender methodischer Baustein eingeräumt wird – nicht als Hauptanliegen. Sie soll helfen, Denkmuster des Militärs aufzuzeigen und seine Aussagen als einen wesentlichen Diskursstrang innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses über den Leuchtenden Pfad und den internen bewaffneten Konflikt herauszustellen. Ausgehend von der Rekonstruktion der militärischen Haltung ist es zudem nicht von geringem Interesse, welchen Einfluss diese Denkweise hatte, wie sie sich veränderte, militärischen Aussagen bestätigt oder angegriffen wurden. Dies zielt einerseits darauf ab, Sichtweisen des Militärs aus den Quellen herauszuarbeiten und zu erkennen, wie sie ihr Tun mit Sinn ausstatten. Andererseits soll so in Ansätzen nachvollziehbar gemacht werden, was während des Krieges sagbar gewesen ist. Da die Diskursanalyse hier keineswegs im Zentrum steht, der Diskurs als Einbettung und Teil des Rahmens verstanden wird, werden nur einzelne Zeitungen analysiert. Neben einflussreichen Zeitschriften wie Caretas wurden militärische Zeitschriften sowie Interviews vor Kommissionen und diverse Handbücher in die Betrachtung einbezogen.152 Die Analyse rekurriert also nicht ausschließlich auf einem Textgenre, sondern konzentriert sich auf die Aussagen der militärischen Akteure in verschiedenen Formaten. Um diese in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs einordnen zu können, wurde auf Kommentare in Zeitschriften, vor allem aber auf andere Forschungsbeiträge zurückgegriffen.153 Zusammenfassend sei gesagt, dass eine Anlehnung an das Mittel der Diskursanalyse stattfindet und ähnliche Fragen an das Material gestellt werden: Es ist von Interesse, wer sich äußert und aus welcher Position. Zudem wird analysiert, ob Topoi erkennbar waren und wie die Wirklichkeit rekonstruiert wurde. Letztlich wird 149 Ebd. 101. 150 Landwehr, Geschichte, 107. 151 Reckwitz, Praktiken, 202. Eine ähnliche Überlegung findet sich auch hier: Andreas Frings/Johannes Marx, Wenn Diskurse baden gehen. Eine handlungstheoretische Fundierung der Diskursanalyse, in: Eder, Historische Diskursanalysen, 91-112. 152 Siehe Kapitel 1.3 Quellenlage. 153 So finden sich bspw. Verweise auf den Diskurs der Zeit in: Burt, Violencia, 99ff.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

betrachtet, inwiefern der militärische Diskurs einen konkurrierenden Diskurs darstellte.154 Die Diskursanalyse wird hier als eine Ergänzung zur Quellenkritik eingesetzt – als ein weiterer Blickwinkel auf die Quellen: Während hinsichtlich der Gewalttaten durch verschiedene Quellen versucht wird, dem Tatvollzug näherzukommen, soll hier das Sprechen/Schreiben im Vordergrund stehen. Die Quellen will die Untersuchung also zum einen »als ›Dokument‹ lesen, das auf eine körperlich-materiale Praxis jenseits ihrer selbst verweist, an die sie gekoppelt sind,«155 zum anderen als »Monument«, in dem nach Wissensordnungen und Deutungsmustern gefragt wird.156 Durch die Analyse der Aussagen unter dieser Sichtweise wird untersucht, welche Bedeutung dem Handeln beigemessen wurde bzw. wie die staatlichen Sicherheitskräfte den Konflikt und den Gegner begriffen. Es sei abschließend noch erwähnt, dass es jedoch kein Anliegen ist, mittels der Diskursanalyse herauszufinden, ob und wie der Begriff »Genozid« während des Krieges benutzt wurde.157

2.3.

Genozid: Annäherung an ein umstrittenes Konzept

»Der Begriff Genozid ist emotional und geschichtsphilosophisch enorm aufgeladen, ja teilweise so stark damit überfrachtet, dass seine Verwendung als wissenschaftliche Analysekategorie dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird.«158 Wie dieses Zitat bereits andeutet, ist der Terminus »Genozid« ähnlich wie der Begriff »Gewalt« unklar, aufgeladen, diffus gebraucht und hinsichtlich seines Einsatzes in der Forschung umstritten.159 Dies könnte verwundern, da ein Genozid als ein außergewöhnliches Ereignis gilt – also nicht einfach übertragbar sein sollte 154 155 156 157

Landwehr, Geschichte, 28, 76ff. Reckwitz, Praktiken und Diskurse, 201. Ebd. 201. Die Arbeit verweist zwar in Folge und insbesondere in Kapitel 6 darauf, sie beabsichtigt jedoch nicht dies genauer zu analysieren. 158 Jürgen Zimmerer, Kolonialer Genozid? Vom Nutzen und Nachteil einer historischen Kategorie für eine Globalgeschichte des Völkermordes, in: Dominik Schaller (Hg.), Enteignet, Vertrieben, Ermordet. Beträge zur Genozidforschung. Zürich 2004, 109. 159 Dominik Schaller, Genozidforschung: Begriffe und Debatten. Einleitung, in: Ders. (Hg.), Enteignet, 9-26. Paul Bartrop, The History of Genocide: An Overview, in: Samuel Totten (Hg.), The Genocide Studies Reader. New York 2009, 144. Yvonne Robel, Verhandlungssache Genozid. Zur Dynamik geschichtspolitischer Deutungskämpfe. München 2013, 61f. Jan Ganzemüller, Stalins Völkermord? Zu den Grenzen des Genozidbegriffes und den Chancen eines historischen Vergleiches, in: Sybille Steinbacher (Hg.), Holocaust und Völkermorde. Die Reichweite des Vergleichs. Frankfurt a.M. 2012, 145-166.

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Genozidale Gewalt?

– und zudem eine juristische Festlegung des Begriffes durch die UN existiert.160 Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung werden in diesem Abschnitt verschiedene wissenschaftliche Definitionen und deren Probleme aufgezeigt und das eigene Verständnis wird erläutert. Dabei wird diese Untersuchung in der unübersichtlichen Forschungslandschaft verortet, die nur in Ansätzen skizziert werden kann. Letztlich wird verdeutlich, wie die Ausgangsfrage nach genozidalen Eigenschaften verstanden und für die Analyse operationalisiert wird. Die UN-Konvention von 1948 geht auf die Begriffsbestimmung Raphael Lemkins161 zurück und ist im Kontext des Völkermordes an den Juden zu interpretieren. Im zweiten Artikel wird Völkermord wie folgt definiert: »In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören: a) Tötung von Mitgliedern der Gruppe; b) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe; c) vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen; d) Verhängung von Maßnahmen, die auf die Geburtenverhinderung innerhalb der Gruppe gerichtet sind; e) gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe.«162

Vor allem Wissenschaftler*innen lehnen diese Definition ab und bringen verschiedene neue Vorschläge in die Debatte ein. Bevor drei Begriffsbestimmungen vorgestellt werden, um so einen Eindruck von der Forschungslandschaft zu vermitteln, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist und eine enorme Bandbreite entwickelt hat,163 stehen zunächst Kritikpunkte an der Definition der UN im Vordergrund. Diese verdeutlichen zum einen die Stoßrichtungen der Alternativvorschläge, zum anderen werden sie weitgehend geteilt und erklären somit, warum 160 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, in: Bundesgesetzblatt, 12.08.1954, 730. 161 Raphael Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe. Laws of Occupation, Analyses of Government, Proposals for Redress. Washington 1944, 79. 162 Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, in: Bundesgesetzblatt, 12.08.1954, 730. 163 Vor allem für den englischsprachigen Bereich ist dies zu konstatieren. Dies zeigt sich bspw. an Zeitschriften wie Journal of Genocide Research. Philipp Ther, Differenzierung versus Universalisierung. Ethnische Säuberung und die Genocide Studies, in: Sybille Steinbacher (Hg.), Holocaust und Völkermorde. Die Reichweite des Vergleiches. New York, Frankfurt a.M. 2012, 170f. Scott Straus, Political Science and Genocide, in: Bloxham, The Oxford Handbook, 163-181.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

in dieser Analyse nicht mit der UN-Definition gearbeitet wird. Während in Bezug auf die Begriffsbestimmung viel Uneinigkeit herrscht, ist sich die Forschung hinsichtlich der Ablehnung der UN-Definition für wissenschaftliche Zwecke nahezu einig.164 Sie kritisiert sie dabei wegen ihres Entstehungskontextes, der sich inhaltlich niederschlägt: Es sei also eine starke Anlehnung an den Holocaust zu erkennen, der als Prototyp eines Genozides erscheint.165 Zudem stehe die Konvention im Zeichen des Kalten Krieges und sei ein Kompromiss für die Unterzeichner.166 Als problematisch erachten die Forscher*innen drei wesentliche Aspekte: Zum einen die Festlegungen auf die Art der Gruppenzugehörigkeit (ethnisch, rassisch, national, religiös) und zum anderen die Hervorhebung der Intention der Vernichtung sowie letztlich die Frage nach der Autorenschaft.167 Die Festlegung der Gruppen stößt aus zwei verschiedenen Gründen auf Ablehnung: 1. Politische Gruppen werden aus dieser Definition exkludiert.168 2. Durch diese Festlegung scheint es so, als seien diese Gruppenzuschreibungen »real« und stabil, wobei mittlerweile ethnische und rassische Zuschreibungen als Konstruktionen erfasst werden.169 Sie beanstanden darüber hinaus die Betonung der Intention, da einerseits eine Absicht zur Vernichtung nicht ausreichend sei und andererseits das absichtsvolle Handeln schwer nachweisbar sei.170 Letztlich steht zur Debatte, wer als Täter gefasst werden sollte, ob dies nur Staaten sein können, wie es der historische Bezugspunkt andeutet, oder ob es durchaus vorstellbar ist, dass andere Tätergruppen in der Lage sind, ein derartiges Verbrechen zu verüben.171 Weitere Kritikpunkte verweisen darauf, dass 164 Frank Chalk, Genozid – Ein historischer Überblick, in: Mihran Dabag (Hg.), Genozid und Moderne. Strukturen kollektiver Gewalt im 20. Jahrhundert. Opladen, 296. Boris Barth, Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert, Geschichte, Theorien, Kontroversen. München 2006, 7. 165 Scott Straus, Contested Meanings and Conflicting Imperatives: A Conceptual Analysis of Genocide, in: Journal of Genocide Research 3, 2001, 359. Alex Alvarez, Governments, Citizens, and Genocide: A Comparative and Interdisciplinary Approach. Bloomington 2001, 33f. Yves Ternon, Der verbrecherische Staat. Völkermord im 20. Jahrhundert. Hamburg 1996, 17f. 166 Robel, Verhandlungssache, 49. Frank Chalk (Hg.), The History and Sociology of Genocide. Analyses and Case Studies. Durham 1990, 11. Ann Curthoys, Defining Genocide, in: Dan Stone (Hg.), The Historiography of Genocide. Basingstoke 2010, 13. 167 Helen Fein, Genocide: A Sociological Perspective, in: Genocide, 2002, 76f. Straus, Contested Meanings, 359f. 168 Fein, Genocide, 82. Kürşat-Ahlers, Über das Töten, 202. 169 Barth, Genozid, 20. Straus, Contested Meanings, 366. Günter Schlee, Wie Feindbilder entstehen. Eine Theorie religiöser und ethnischer Konflikte. München 2006, 14. Christian Gerlach, Extrem gewalttätige Gesellschaften. Massengewalt im 20. Jahrhundert. München 2011, 15 170 Barth, Genozid, 20. 171 Alvarez, Governments, 47. Fein, Genocide, 83. Die Diskussion um die Autorenschaft bezieht sich nicht vordergründig auf die UN-Definition, sondern auf weitere Definitionen und Studien. Siehe: Gerlach, Extrem, 15.

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Genozidale Gewalt?

die Definition insofern vage sei, als dass eine teilweise Zerstörung einer Gruppe eine unklare Bezeichnung ist.172 Neben diesen Aspekten, die sich gezielt gegen die Festlegung der UN richten, zweifeln Forscher*innen allgemein an einer sinnvollen wissenschaftlichen Verwendung des Begriffes »Genozid«. Sie stellen dabei seine heuristische Kraft infrage, betonen die moralische Aufladung und heben den strategischen Einsatz des Schlagwortes »Genozid« – »genocide sells«173 – hervor.174 Zudem sehen sie die Gefahr, dass mit einer vermehrten Anwendung eine Relativierung des Holocausts einherginge.175 Während einige daher auf den Begriff verzichten und Konzepte – wie »extrem gewalttätige Gesellschaften«176 – konstruieren, fügen andere ergänzende Termini wie »Politizid«, »Demozid« oder »Feminizid« hinzu, um so weiteren Opfergruppen Aufmerksamkeit zu schenken.177 Die Arbeit greift trotzdem auf den Begriff »Genozid« bzw. das Adjektiv »genozidal« zurück. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der Ausgangspunkt der Untersuchung, wie einleitend erwähnt, die These eines genozidalen Charakters der staatlichen Gewalt in Peru ist. Hinzu kommt, dass durch die Auseinandersetzung mit Merkmalen genozidaler Gewalt bzw. von Genoziden bisher vernachlässigte Forschungsaspekte in den Fokus rücken. Zudem erscheint die Frage nach dieser Kategorisierung und Einordnung der staatlichen Gewalt als geeignete makroperspektivische Fragestellung, die ausgehend von den einzelnen Gewalttaten beantwortet werden soll. Dabei geht es nicht darum zu entscheiden, ob der peruanische Fall ein Genozid war oder nicht als solcher kategorisiert werden kann. Vielmehr ist es das Ziel zu erkennen, inwiefern eine genozidale Logik in der staatlichen Gewaltausübung zum Tragen kam. Schlussendlich ist dies der Ausgangspunkt für eine allgemeinere Charakterisierung.178 Aufgrund dieser Ziele und der Vielzahl an Definitionen liegt der Untersuchung nicht eine Begriffsbestimmung zugrunde, indes werden ausgehend von Wittgensteins Konzept der Familienähnlichkeit verschiedene Elemente wesentlicher Festlegungen herausgearbeitet.179 Drei bekannte Beispiele werden nun vorgestellt, um 172 Paul Boghossian, The Concept of Genocide, in: Journal of Genocide Research 12, 2010, 75. 173 Anton Weiss-Wendt, Problems in Comparative Genocide Scholarship, in: Stone, The Historiography, 45. 174 Boghossian, The Concept of Genocide, 69ff. 175 Kürşat-Ahlers, Über das Töten, 60. 176 Gerlach, Extrem. In der Diskussion des Begriffes »Genozid« wird diese fundamentale Kritik nochmals aufgegriffen (Exkurs Kapitel 6). 177 Robel, Verhandlungssache, 60f. Schaller, Genozidforschung, 15. 178 Dies ist auch eine Reaktion auf die Kritik am zu starren Genozidkonzept und seiner moralischen sowie juristischen Aufladung. 179 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 56f.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

die Kernpunkte der folgenden Analyse aufzuzeigen und einen Umgang mit den Kritikpunkten an der UN-Konvention zu illustrieren.180 Eine viel zitierte Definition haben Frank Chalk und Kurt Jonassohn vorgelegt: »Genozid ist eine Form einseitiger Massentötung, mit welcher ein Staat oder eine andere Autorität versucht, eine Gruppe zu vernichten, nachdem diese Gruppe und die Mitgliedschaft in ihr durch den Täter definiert wurde.«181 Hier werden erste Schlussfolgerungen aus der Kritik an der UN-Konvention deutlich, da die Zuschreibung der Gruppenzugehörigkeit durch die Täter betont und somit der konstruktive Charakter von Gruppenbezeichnungen berücksichtigt wird. Die Autoren verzichten bewusst auf eine Festlegung der Art der Gemeinschaft und rücken stattdessen die Definitionsmacht der Täter in den Vordergrund. Zudem benennen sie die Tätergruppen, da sie den Staat sowie andere Autoritäten einbeziehen. Hervorzuheben ist dabei jedoch, dass die Tätergruppe einen gewissen Grad an Deutungsmacht und Organisation haben muss, da sonst eine Vernichtung einer Gruppe nicht vorstellbar ist. Ein weiteres Element, welches bei dieser Definition von Bedeutung ist, stellt die Einseitigkeit des Tötens dar. Dies will den Unterschied zu Krieg verdeutlichen. Andere Definitionen lösen dies, indem sie die Gruppe als wehrlos charakterisieren. Ein Beispiel für eine solche Begriffsbestimmung ist die von Helen Fein, die als ähnlich renommiert gilt wie die vorangegangene: »Genocide is sustained purposeful action by a perpetrator to physically destroy a collectivity directly or indirectly, through interdiction of the biological and social reproduction of group members, sustained regardless of the surrender or lack of threat offered by the victim.« 182 Genauso wie in der Definition von Chalk und Jonassohn finden sich in diesem Vorschlag Aspekte, die auf die Kritik an der UN-Konvention reagieren. Ähnlich wie oben wird nicht spezifiziert, welche Art der Gemeinschaft die Opfergruppe darstellt, hingegen betont die Autorin, dass diese Gruppe keine Bedrohung für die Täter darstellt. Deren Gruppencharakter spezifiziert sie nicht weiter. Zudem verweist sie auf die absichtliche Vernichtung und bezieht verschiedene Strategien in ihre Begriffsauslegung ein. Neben dem Morden bedenkt sie somit weitere genozidale Praktiken, die zwar auf die physische Vernichtung der Gruppe abzielen, jedoch indirekt wirken. Ein Beispiel für diese Art genozidalen Handelns wären Zwangssterilisierungen. 180 Für eine Übersicht weiterer Definitionen und ihrer Kernpunkte siehe: Straus, Contested Meanings 350ff. 181 Chalk, Genozid, 300. 182 Fein, Genocide, 82.

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Genozidale Gewalt?

Daniel Feierstein definiert Genozid als soziale Praxis, die er in sechs Stufen fasst. Mit dieser Auslegung will er ein genozidales Vorgehen von spontanen bzw. weniger intendierten Formen des Mordens abgrenzen und zugleich das Tötungshandeln mit einer diskursiven Ebene, die sich durch Gruppenkonstruktionen oder Legitimationen offenbart, verknüpfen.183 Beginnend bei der Stigmatisierung steigert sich dieser Prozess über das Belästigen, das Isolieren, das systematische Schwächen hin zur Vernichtung der als Feind definierten Gruppe. Die sechste Phase kennzeichnet er als symbolische Verfügung und verweist damit auf die Folgen des Genozides für die Gesellschaft.184 Diese Stufen sind nicht Grundlage der Analyse. Sie weisen aber auf weitere Aspekte hin, die in den anderen Definitionen latent anklingen. So spielt die Konstruktion des Feindes durch die Täter hier eine tragende Rolle und rückt die Frage nach der Art und Weise der Definition der Opfergruppe in den Fokus der Untersuchung. Eine daran anknüpfende Frage bezieht sich auf die Exklusionsstrategien und deren Erfolg, wobei zu beachten ist, dass die Exklusion keineswegs nur durch die Tätergruppe – trotz ihrer Autorität – zu leisten ist, sondern der gesamtgesellschaftliche Diskurs berücksichtigt werden muss.185 Für den Untersuchungsgegenstand »Peru« ist dieser Aspekt insofern interessant, als dass so existierende Vorurteile, Exklusionsmechanismen sowie die Haltung der Bevölkerung in den Blick geraten. So stehen beispielsweise folgende Fragen im Raum: Inwiefern wurden die Taten wahrgenommen, geduldet oder kritisiert? Wurde durch eine zivilgesellschaftliche Ahndung der Taten ein Genozid unmöglich? »Und das Ergebnis dieser Betrachtung lautet nun: Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen.«186 Keine der Definitionen wird allgemein anerkannt, ferner wird der Sinn einer festen Konzeption infrage gestellt.187 Ausgehend von diesem Zweifel und Wittgensteins Konzept der »Familienähnlichkeit« geht diese Arbeit nicht von einem starren Genozidkonzept aus, das vor allem die Absicht der Täter betont und sich am »Prototyp Holocaust« orientiert. Hingegen bezieht sie verschiedene Elemente der Begriffsauslegungen in die Analyse ein, um so den peruanischen Staatsterror hinsichtlich genozidaler Eigenschaften zu untersuchen und eine Charakterisierung zu ermöglichen. Folgende Aspekte ergeben sich aus den verschiedenen Begriffsbestimmungen und werden daher untersucht und diskutiert:   183 Feierstein, The Concept, 20. 184 Ebd. 23ff. 185 Stefan Friedrich, Soziologie des Genozids. Grenzen und Möglichkeiten einer Forschungsperspektive. München 2012, 312. 186 Wittgenstein, PU, 56. 187 Gerlach, Extrem, 14ff.

2. Verortung I: Theoretisch-methodischer Rahmen

• • • • •

die Vernichtungsabsicht/Der Plan die Konstruktion der Opfergruppe und Dichotomisierung zur »Wir-Gruppe« die Strategien zur Exklusion der Opfergruppe die Tätergruppe/Deutungsmacht/Einseitigkeit die genozidalen Praktiken

In diesen Elementen sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: Die diskursive und die praktische.188 Ausgehend von der vorgestellten praxeologischen Perspektive werden diese als zwei Seiten einer Medaille betrachtet, die letztlich hier die genozidale Logik ausmachen. Im Umgang mit dem Begriff »Genozid« spielt also die praxeologische Perspektive ebenfalls eine wichtige Rolle, da dadurch das Konzept nicht als Schablone konzipiert oder als zu beweisendes Ziel erachtet wird. Vielmehr rücken so verschiedene Eigenschaften der Praktiken in den Vordergrund, die in einen Deutungszusammenhang gestellt werden. Dieser wird hier als genozidal angenommen, was die Untersuchung veranlasste und lenkt, jedoch nicht ihr Endpunkt ist. Vielmehr kann ausgehend von der Analyse genannter Parameter eine Charakterisierung vorgenommen werden, die bisher vernachlässigte Aspekte des Staatsterrors in den Fokus rückt. Inwiefern das Adjektiv »genozidal« im peruanischen Fall brauchbar ist und sich dieses hier dargestellte Vorgehen als vorteilhaft herausstellt, wird abschließend diskutiert.

188 Darüber hinaus spielt die diskursive Ebene in der Einstufung der Gewalt als Genozid eine Rolle, was in Kapitel 6 im Exkurs näher betrachtet wird, jedoch vorerst nicht im Fokus steht.

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3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

Anschließend an den theoretisch-methodischen Rahmen, der vor allem der Verortung der Arbeit in den einschlägigen Debatten diente, wird in diesem Kapitel der peruanische Staatsterror in verschiedener Hinsicht historisch eingeordnet und kontextualisiert, um so ein besseres Verständnis sowie die Deutung der Taten zu ermöglichen. Zunächst widmet sich dieser Teil wesentlichen internationalen Entwicklungen, die in Relation mit dem peruanischen Bürgerkrieg stehen, bevor grundlegende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte Perus in den 1970er bis 1990er Jahren nachgezeichnet werden. In diesem Zusammenhang wird Ayacucho – der Hauptschauplatz des Bürgerkrieges – als Ermöglichungsraum dargestellt,1 wobei die Vorgeschichte und Geschehnisse bis zum Eintritt der staatlichen Sicherheitskräfte (1983) vordergründig thematisiert werden. Der letzte Abschnitt charakterisiert die nicht-staatlichen Gewaltakteure, die für ein Verständnis des Staatsterrors von großer Bedeutung sind. Er enthält außerdem eine Übersicht über den Verlauf des Bürgerkrieges, der die Einordnung der einzelnen Gewalttaten erleichtert. Abschließende Bemerkungen über die schwierige Lage der Aufarbeitung des Konfliktes schlagen einen Bogen zu den einleitenden Worten und illustrieren die aktuelle Gemengelage, in der sich auch diese Untersuchung positionieren muss. An diese Skizze des Aufarbeitungsdiskurses knüpft auch die Diskussion des Genozidkonzeptes am Ende an. Dieses Kapitel hat neben der Verortung also die Aufgabe, wesentliche makroperspektivische Aspekte aufzuzeigen, auf die folgende Kapitel zurückgreifen. Diese sind für die Deutung des Staatsterrors von Interesse und darüber hinaus wichtig, um die Eigenschaften des Gewaltraumes Ayacucho verstehen zu können. 1 Als Ermöglichungsraum wird Ayacucho bezeichnet, da diese Region gewaltbegünstigende Charakteristika aufwies, die die verschiedenen Gewaltakteure nutzten und schließlich einen Gewaltraum erzeugten. Siehe: Schnell, Räume, 18.

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Genozidale Gewalt?

3.1.

Internationale Einflüsse: Der peruanische Bürgerkrieg im globalen Kontext

Der peruanische Bürgerkrieg ist weder ein Paradebeispiel für den Kalten Krieg noch für die US-amerikanischen Interventionen auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Dafür stehen exemplarisch eher die Fälle Kubas oder Guatemalas.2 Dennoch ist der Untersuchungsgegenstand nicht losgelöst von den internationalen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu betrachten. Inwiefern der peruanische Bürgerkrieg in den Kalten Krieg einzuordnen ist, arbeitet dieser Abschnitt durch die Darstellung von zwei Ebenen heraus. Zum einen beleuchtet er internationale Kooperationen und zum anderen eine diskursive Dimension, die sich in Legitimationen und Deutungsmustern äußert. Lange Zeit beschrieb die Literatur den Kalten Krieg als eine Konfrontation der Supermächte USA und UdSSR, die von Spannungen, Wettrüsten und Stellvertreterkriegen geprägt war, aber ohne einen direkten Krieg dieser Staaten 1990/1991 endete.3 Für Lateinamerika waren diese »cold war years«4 durch zahlreiche Aufstände und bewaffnete Konflikte gekennzeichnet, die zwar nicht als Stellvertreterkriege kategorisiert werden können, jedoch im Zeichen des Systemkonfliktes standen.5 Die »Schule der Amerikas (School of Americas/SOA)« und die »Operation Condor« entstanden in diesem Rahmen und beeinflussten auch die peruanischen Sicherheitskräfte.6 Die USA gründeten die SOA 1946 in Panama und verlegten sie erst 1984 nach Fort Benning (Georgia/USA). Sie wurde etabliert, um lateinamerikanische Streitkräfte auszubilden, wobei neben der Professionalisierung eine ideologische Schulung der Absolventen im Vordergrund stand. Wissenschaftler*innen schätzen die Zahl ausgebildeter Soldaten und Offiziere auf mehrere 10.000 Personen, zu denen namhafte »Schüler« wie beispielsweise der spätere Diktator Anastasios Somoza (Nicaragua), Roberto Viola (Argentinien) und Julio Alpírez (Guatemala) ge2 Gilbert M. Joseph, What We Now Know and Should Know: Bringing Latin America more Meaningfully into Cold War Studies, in Ders. (Hg.), In from the Cold. Latin America’s New Encounter with the Cold War. London 2008, 3-46. 3 Bernd Greiner, Kalter Krieg und »Cold War Studies«, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, in: http://docupedia.de/zg/Cold_War_Studies?oldid=128764, [zuletzt eingesehen am 28.06.2018]. Robert J. McMahon, Heiße Kriege im Kalten Krieg, in: Bernd Greiner (Hg), Heiße Kriege im Kalten Krieg. Hamburg, 2006. 16f. 4 Esparza (Hg.), State Violence. 5 Hal Brands, Latin America’s Cold War. Cambridge 2010, 16ff. Klaus Eichner, Operation Condor. Eine Internationale des Terrors. Berlin 2009, 40ff., 59f., 116ff., 199. 6 Ruth Blakeley, Still Training to Torture? US Training of Military Forces from Latin America, in: Third World Quarterly 27, 2006, 1439-1461.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

hörten.7 Für Peru wird angenommen, dass im Zeitraum von 1946-2001 ca. 3.997 Militärs unterrichtet wurden. Vier der bekanntesten Peruaner, die die »Schule der Amerikas« auf den anti-subversiven Kampf vorbereitete, sind General Julián Juliá, General Huamán Centeno, General Nicolas Hermoza Ríos und Vladimir Montesinos (Berater Fujimoris). Außerdem bildete die SOA die Sondereinheit der Polizei aus – die sinchis, die vor allem zu Beginn im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad eingesetzt wurden.8 Die USA beabsichtigte durch die »Schule der Amerikas« u. a. verbündete Regime zu stützen bzw. unliebsame zu verhindern und den eigenen Einfluss in Lateinamerika zu vergrößern. Sie unterrichteten die Militärs hinsichtlich strategischer und organisatorischer Fragen, im Umgang mit Technik sowie im Vorgehen gegen den inneren Feind, der als Kommunist bzw. Subversiver ausgemacht wurde. »This school taught not only counterinsurgency techniques but also methods of torture, murder, and extortion.«9 In den Manualen des peruanischen Militärs ist dieser Einfluss ablesbar, da sie bspw. den Leuchtenden Pfad als Teil des internationalen Kommunismus stilisieren.10 Die Foltermethoden – wie Elektroschocks und »waterboarding« – verweisen ebenfalls auf diesen internationalen Kontext des Staatsterrors.11 Die Ausbildung ging außerdem häufig mit materieller oder finanzieller Unterstützung der lateinamerikanischen Staaten einher. Im peruanischen Fall konzentrierte sich diese auf den Anti-Drogenkrieg.12 Während die Vereinigten Staaten die Ausbildungsstätte direkt initiierten, stellt die »Operation Condor« eine Kooperation lateinamerikanischer Staaten dar, die zwar mit Unterstützung der USA etabliert wurde, jedoch nicht durch sie bestimmt war. »Operation Condor was a secret intelligence and operations system created in the 1970s through which the South American military states shared intelligence and seized, tortured, and executed political opponents in one another’s territory.« 13 7 Lesley Gill, The School of the Americas. Military Training and Political Violence in the Americas. Durham, London 2004, 6f. Alvarez, Governments, 5. 8 Beggar, The Path, 268. Gill, The School, 170. Sowohl die genannten Personen als auch die sinchis werden im Fortgang der Arbeit nochmals erwähnt; außerdem wird ihre Bedeutung erläutert. 9 Alvarez, Governments, 5. Beeinflusst war dieses Vorgehen ebenfalls von einer französischen Doktrin, die sich im Zusammenhang mit dem Algerienkrieg herausbildete. Siehe: Gorriti, Ideología, 4,14ff., 85, 96. 10 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989, 2ff. 11 Eichner, Operation Condor, 41. Luis Roniger, US Hemispheric Hegemony and the Descent into Genocidal Practices in Latin America, in: Esparza, State Violence, 37. 12 Gill, The School, 62. 13 J. Patrice McSherry, Predatory States: Operation Condor and Covert War in Latin America. Lanham MD 2005, 1.

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Genozidale Gewalt?

Peru gehörte nicht zu den Gründungsmitgliedern des Zusammenschlusses, kooperierte jedoch mit Argentinien, Chile, Paraguay, Brasilien, Uruguay und Bolivien, die 1975 die Vereinbarung zum gemeinsamen Vorgehen gegen »dissidents and leftists, union and peasant leaders, priests and nuns, intellectuals, students and teachers as well as suspected guerillas« schlossen.14 Bereits vor 1975 arbeiteten die Länder im Kampf gegen die Subversion zusammen, gründeten aber erst dann ein transnationales Netzwerk zur Aufstandsbekämpfung. Der professionelle Charakter dessen manifestiert sich in der Existenz von Kommunikationssystemen und Datenbanken sowie in der gemeinsamen Planung und Durchführung von Operationen.15 Die Staaten gingen in drei Phasen gegen die Subversiven vor. Zunächst tauschten sie Informationen aus, bevor sie die Terrorverdächtigen suchten und schließlich verschleppten oder ermordeten. Der »Condor« führte seine Aktionen in den kooperierenden Staaten Lateinamerikas durch, wurde aber auch in den USA und Italien aktiv.16 Die Zahl der Opfer dieses Netzwerkes beläuft sich auf mehrere Hundert. Die Regime des Staatsterrors verschuldeten im nationalen Kontext indes mehrere Tausend Opfer. Die argentinische Militärdiktatur (1976-1983) liquidierte bspw. ca. 30.000 Menschen.17 Auch wenn die Zahl also vergleichsweise gering erscheint, gibt bereits die Existenz des Netzwerkes dem Staatsterror eine internationale Dimension.18 Dieser Zusammenschluss entstand – ähnlich wie die »Schule der Amerikas« – im Zeichen des Kalten Krieges und folgte seiner Logik.19 Die Staaten zielten auf den Erhalt der inneren Ordnung ab und definierten jeden Verdächtigen als Gefahr für die Nation. Wie bereits angedeutet, waren die Opfer nicht immer »Kommunisten« oder »Revolutionäre« – der staatliche Terror traf auch kritische Studierende oder Lehrer*innen. Der Rahmen des Vorgehens und beider Kooperationen ist die »National Security Doctrine«.20 Die Erfahrungen des Kalten Krieges sowie die »Französische Schule« beeinflussten diesen Grundsatz, »that came to dominate Latin American military thinking.«21 Die Doktrin begriff Linke oder deren Sympathisanten sowie Verdächtige jeder Art als Subversive, die zum Schutz der nationalen Sicherheit aus der Gesellschaft 14 Ders. Tracking the Origins of a State Terror Network. Operation Condor, in: Latin American Perspectives, 29/1, 2002, 38. 15 Ders. Operation Condor as a Hemispheric »Counterterror« Organization, in: Cecilia Menjívar (Hg.), When States kill. Latin America, the U.S., and Technologies of Terror. Austin 2005, 39f. 16 John Dinges, The Condor Years. How Pinochet And His Allies Brought Terrorism to Three Continents. New York 2012, 130ff. 17 Die Zahl differiert in verschiedenen Darstellungen. Hier ist der Bezugspunkt: Antonius Robben, Political Violence and Trauma in Argentina. Pennsylvania 2007, 323. 18 McSherry, Operation, 50. 19 Ders. Tracking, 46. 20 Feierstein, National Security Doctrine, 489ff. 21 Brands, Latin America’s Cold War, 75.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

exkludiert oder/und vernichtet werden sollten. Der Kommunismus galt vielen dabei einerseits als Gefahr für den Staat, andererseits als Bedrohung der christlichen Werte.22 Die Doktrin betonte zudem die Rolle des Militärs, welches sie als qualifizierten Akteur zur Rettung der Nation stilisierte. »National security doctrine legitimated ›counterterror‹ methods as dirty, but effective, means to an exalted end.«23 Sie bildet also die Rechtfertigung und den diskursiven Rahmen des Staatsterrors und der »schmutzigen Kriege« in Lateinamerika.24 Wenngleich Peru in der Operation Condor nur ein Partner und kein Hauptakteur war, hatte die »National Security Doctrine« einen nicht unbedeutenden Einfluss auf das peruanische Militär. Die Sicherheitskräfte lernten sie in der »Schule der Amerikas« und durch die Zusammenarbeit mit den anderen Staaten des lateinamerikanischen Kontinents nicht nur kennen, sondern übernahmen wesentliche Bestandteile in ihre Handbücher.25 Überdies finden sich diese Grundsätze in den Ausbildungsheften der 1980er Jahre, die das militärische Denken der peruanischen Soldaten prägten. Die Militärs charakterisierten auf Grundlage dessen den Leuchtenden Pfad anfangs fälschlicherweise als Teil des internationalen Kommunismus. Sie konstruierten das Feindbild des »Subversiven, den sie »fangen und/oder vernichten«26 wollten, und einige nutzen diese Doktrin bis heute als Rechtfertigung der Taten, indem sie bspw. ihre Rolle als Beschützer der Nation hervorheben.27 Zusammenfassend konnte herausgestellt werden, dass der peruanische Staatsterror in einem internationalen Kontext zu begreifen ist. Er entwickelte – wie noch zu zeigen ist – eigene Ausprägungen und spezifische Eigenschaften, er erscheint dennoch vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in Lateinamerika. Dies verdeutlicht vor allem der Einfluss der dargestellten »National Security Doctrine« sowie die Figur des Subversiven, die im Verlauf der Untersuchung noch eine tragende Rolle spielen wird.

3.2.

Peru: Der nationale Rahmen des Bürgerkrieges

In diesem Abschnitt werden ähnlich wie im vorherigen nur wesentliche Aspekte nachgezeichnet, um dadurch die staatliche Gewalt in ihrem nationalen histori22 Ebd., 75. Gorriti, Ideología, 14. 23 McSherry, Operation, 35. 24 Sonia Cardenas, Human Rights in Latin America. A Politics of Terror and Hope. Philadelphia 2010, 61f. Roniger, US Hemispheric, 61f. McSherry, Predatory, 3. 25 Ejército Peruano. Escuela Superior de Guerra, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. (TE 41-7), Lima 1980. Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guía para el Combatiente en la Zona de Emergencia. Lima 1988. Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Contrasubversión. Lima 1989. 26 Ejército Peruano, Guerra no Convencional (1989), 106-108. 27 ADDCOT, Omisiones a la Verdad, 43, 117, 122.

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Genozidale Gewalt?

schen Kontext zu verorten. Dafür werden anfangs die politischen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren behandelt, wobei mit der Vorgeschichte, die vor allem die Zeit der Militärdiktatur (1968-1980) umfasst, begonnen wird. Folglich werden wesentliche Eigenschaften der verschiedenen Präsidentschaftszeiten der 1980er und 1990er Jahre kondensiert dargelegt. Im Anschluss befasst sich dieser Abschnitt mit Charakteristika der peruanischen Gesellschaft, die zum letzten Punkt überleiten, der den Hauptschauplatz des Krieges – Ayacucho – als Ermöglichungsraum beschreibt.

3.2.1.

Wirtschaft und Politik – eine krisenhafte Entwicklung?

Im Unterschied zu Chile und Argentinien fand der Staatsterror nicht während einer Militärdiktatur statt, sondern der Übergang zur Demokratie markierte 1980 den Beginn des Bürgerkrieges. Eine Militärdiktatur bildet jedoch die Vorgeschichte: Das peruanische Militär putschte sich 1968 an die Macht und regierte das Land zwölf Jahre, wobei es 1978 selbst die Transition zur Demokratie einleitete. Die Militärdiktatur lässt sich in zwei Phasen einteilen: Die erste dauerte von 1968-1975 und endete mit dem Sturz von Juan Francisco Velasco Alvarado, welcher von Francisco Morales Bermúdez mithilfe anderer Militärs aus dem Amt geputscht wurde. Bermúdez regierte Peru noch bis zu den Wahlen im Mai 1980. Während die erste Phase von zahlreichen Reformen geprägt war, die dazu führten, dass ihr ein revolutionärer Charakter nachgesagt wird, zeichneten sich die folgenden Jahre eher durch eine Stagnation und ein Ende des »revolutionären Wandels« aus.28 »Velasco´s experiment was the most ambitious state-building and nation-building project in modern Peruvian history.«29 Es beinhaltete neben einem Ausbau des staatlichen Sektors und Veränderungen im Arbeitsrecht zwei wesentliche Reformen:30 die Agrarreform sowie die Bildungsreform. Beide beeinflussten die peruanische Gesellschaft und bildeten in gewisser Weise einen Rahmen für die Entstehung des Leuchtenden Pfades. Außerdem ist diese Phase durch eine Politisierung des Militärs sowie eine wachsende Organisation gesellschaftlicher Gruppen geprägt.31 Die Agrarreform von 1969 nahm eine Umverteilung von elf Millionen Hektar 28 Stephen Gorman, Antipolitics in Peru, in: Brian Loveman (Hg.), The Politics of Antipolitics. The Military in Latin America. Lanham 1997, 301, 320. 29 Burt, Political Violence, 27. 30 Sie sind vor allem wesentlich, um die Entstehung des Leuchtenden Pfades und Veränderungen im Hochland verstehen zu können, und werden daher hier hervorgehoben. Siehe für weitere Reformen sowie Charakterisierung der Militärdiktatur: Dirk Kruijt, La Revolución por Decreto. El Perú durante el Gobierno Militar. Lima 2008, 203ff. 31 Ulrich Mücke, Das politische System Perus, in: Stefan Rinke (Hg.), Die politischen Systeme in Nord- und Lateinamerika. Eine Einführung. Wiesbaden 2008, 491f.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

Land in Angriff, das auf ca. 340.000 Familien verteilt werden sollte.32 Damit löste sie die alten Hacienda-Strukturen auf und veränderte so das traditionelle Machtgefüge im Hochland Perus. Velasco betrachtete die Reform als eine der wichtigsten Veränderungen und stellte heraus, dass diese vor allem im Interesse der armen indigenen Bevölkerung durchgeführt wird.33 Die Modernisierung und das Ankurbeln der Wirtschaft scheinen jedoch die eigentlichen Ziele gewesen zu sein. Die konkreten Auswirkungen dieser Reform arbeitet der Abschnitt zu Ayacucho heraus. Hier ist wichtig anzuführen, dass in der reaktionären Phase ab 1975 die Reform gestoppt wurde und weite Teile des Projekts nicht umgesetzt werden konnten. Ähnlich erging es u. a. der Investitionspolitik, die infolge einer wirtschaftlichen Krise durch den neuen Diktator Bermúdez in eine Austeritätspolitik verwandelt wurde. Dieser kürzte staatliche Ausgaben zur Subventionierung von Lebensmitteln und fror Löhne ein, wodurch die inneren Spannungen, die sich bereits 1972 in Streiks äußerten, zunahmen. In diesem Kontext riefen verschiedene soziale Bewegungen, Studierende und Gewerkschaften 1977 zu einem Generalstreik auf, den sie 1978 zwei Mal wiederholten. Den Übergang zur Demokratie, der im Jahr 1978 beschlossen wurde, bestimmten zwar die Militärs, sie reagierten damit jedoch auch auf den Druck der Bevölkerung.34 Im darauffolgenden Jahr arbeitete eine konstituierende Versammlung eine neue Verfassung aus, die 1979 verabschiedet wurde und Neuwahlen für den Mai 1980 vorsah.35 Sie formte ein Präsidialsystem mit zwei Kammern und schloss eine Wiederwahl des Präsidenten, der für fünf Jahre regieren sollte, aus. Zudem beinhaltete sie die Möglichkeit, einen Ausnahmezustand zu erlassen, in dem Rechte wie Bewegungsfreiheit außer Kraft gesetzt werden können. Sie sah außerdem das Recht vor, Dekrete zu verabschieden, um so ohne ein Gesetzgebungsverfahren neue Gesetze zu implementieren. Diese rechtlichen Optionen nutzten die Regierungen im Bürgerkrieg häufig aus, sodass die Arbeit dies im Folgenden nochmals aufgreift.36 Im Jahr 1980 wählte die peruanische Bevölkerung Belaúnde Terry – den Kandidaten der Acción Popular – mit 45 % der Stimmen zum Präsidenten. Er setzte sich damit gegen Vertreter zahlreicher anderer Parteien, insbesondere gegen die 32 Gorman, Antipolitics, 308. 33 Juan Velasco Alvarado, Message to the Nation on the Agrarian Reform, From the President of the Republic of Peru, in: International Journal of Politics 1, 1969, 200-211. 34 Burt, Political Violence, 28. 35 Philip Mauceri, The Transition to »Democracy« and the Failures of Institution Building, in: Maxwell Cameron (Hg.), The Peruvian Labyrinth. Pennsylvania 1997, 13. 36 Mücke, Das politische System, 491. Toche, Guerra y Democracia, 241. Peter Thiery, Lateinamerika, in: Hans Jürgen Puhle (Hg.), Defekte Demokratie. Regionalanalysen. Wiesbaden 2006, 45. Richard Ortiz Ortiz, Demokratie in Gefahr. Institutionen und politische Entwicklung in der Andenregion. Marburg 2007, 196.

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APRA (Alianza Popular Revolucionaria Americana) und die PPC (Partido Popular Cristiano) durch.37 Er hatte dieses Amt damit zum zweiten Mal nach 1963-1968 inne und blieb bis 1985 an der Macht. Die Politikwissenschaftlerin Jo-Marie Burt bezeichnet seine Regierungszeit als »delegative democracy«38 und verweist damit auf die Schwäche der staatlichen Bürokratie, die fehlende Neuausrichtung der Institutionen nach der Transition sowie den mangelnden politischen Konsens. Vor allem aber charakterisiert Burt damit die Stellung des Präsidenten, der letztlich nach seiner Auffassung regierte und sich als »embodiment of the nation« begriff.39 Wirtschaftlich kennzeichnete seine Amtszeit ein neoliberales Programm, das mit Privatisierungen, Kürzungen staatlicher Investitionen und Reduzierung von Handelsbeschränkungen einherging. Diese Maßnahmen brachten nicht die gewünschten Erfolge, sodass die peruanische Wirtschaft – auch aufgrund externer Faktoren wie internationaler Preisstürze oder den Auswirkungen von »El Niño« – in den Regierungsjahren Belaúndes eine schlechte Bilanz hatte: Die Löhne sanken, die Schulden stiegen um 70 % und die Inflation verdoppelte sich.40 Neben anderen Ursachen lagen die Gründe für den Erfolg von Alan García – einem jungen und charismatischen Politiker der APRA – in einer Stimmung der Unzufriedenheit, die aus dem Bürgerkrieg sowie aus der schlechten wirtschaftlichen Situation resultierte. Er gewann die Wahlen 1985 und versprach bei Amtsantritt eine sozialdemokratische Ausrichtung der Politik und eine Ankurbelung der Wirtschaft. Seine heterodoxe Ausrichtung der Ökonomie ließ die Inflation deutlich sinken und führte bis 1986 zu einem spürbaren wirtschaftlichen Wachstum (9,2 %). Dieses scheinbare Erfolgsrezept ging jedoch mit einer Isolation vom internationalen Finanzmarkt einher, was zu sinkenden Krediten führte. Eine fehlende Lösung dieses Problems sowie »Inkonsistenzen der Wirtschaftspolitik«41 stoppten die anfänglich positive Entwicklung. Ab 1987 stieg die Inflation erheblich und das Haushaltsdefizit wuchs, was erste soziale Proteste heraufbeschwor. Mit der Ankündigung die Banken zu verstaatlichen, versuchte García im Juli 1987 einen Geniestreich, erzeugte jedoch breiten Widerstand. Der Präsident verprellte mit seiner Wirtschaftspolitik auf der einen Seite die Gewerkschaften und auf der anderen Seite die Unternehmer, die ihre Investitionen zurückschraubten. Letztlich verschärfte 37 Parteienspektrum siehe: Fernando Tuesta Soldevilla, Perú Político en Cifras, in: www.web.onpe.gob.pe/modElecciones/elecciones/RESUMEN/GENERALES/5.pdf, 2001, [zuletzt eingesehen am 19.09.2016]. 38 Burt, Political Violence, 31. Diese Einschätzung teilt auch: Wolfgang Merkel, Systemtransformationen. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Wiesbaden 2010, 239. 39 Burt, Political Violence, 30. 40 Burt, Political Violence, 31. Carol Wise, State Policy and Social Conflict in Peru, in: Maxwell Cameron (Hg.), The Peruvian Labyrinth. Pennsylvania 1997, 70-103. 41 Chávez, Der Leuchtende Pfad, 73.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

sich die wirtschaftliche Lage drastisch: Die Inflation stieg auf 2.775 %, die Reallöhne lagen ca. 50 % unter dem Niveau von 1979 und das Bruttoinlandsprodukt fiel um ca. 14 % im Vergleich zu 1980.42 Weder Belaúnde noch García schafften es mit ihren unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten und wirtschaftlichen Ausrichtungen, ökonomische Stabilität zu gewährleisten und politische Partizipation zu ermöglichen. Den Krieg mit dem Leuchtenden Pfad konnten sie ebenfalls nicht beenden. Ende der 1980er Jahre befand sich hingegen ein Drittel des Staatsgebietes im Ausnahmezustand und somit ca. 50 % der Bevölkerung unter militärischer Kontrolle. In einer Situation, in der das Vertrauen in etablierte Parteien geschwunden war und sich der peruanische Staat in einer ernstzunehmenden Krise befand, gewann der Outsider Alberto Fujimori 1990 (unabhängiger Kandidat von Cambio 90) die Wahlen gegen den späteren Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa (unabhängiger Kandidat von Frente Democrático/FREDEMO – einem Zusammenschluss konservativer Parteien).43 Der neue Präsident ergriff als Reaktion auf die Hyperinflation direkt zu Beginn seiner Amtszeit Maßnahmen einer harten Austeritätspolitik, die den Bankrott des Landes verhindern sollten. Dieses Vorgehen wird auch Fujishock bezeichnet. Er privatisierte Unternehmen, liberalisierte den Markt, führte eine neue Währung ein und kürzte massiv die Staatsausgaben. Die negativen Auswirkungen dessen zeigten sich exemplarisch an der Zahl an Haushalten, die unter die Armutsgrenze fielen: Waren es im Jahr 1985 noch 16,9 %, lag die Zahl 1990 bei 44,3 %, wobei vor allem in den ersten Monaten nach der Wahl Fujimoris die Zahl anstieg. Entgegen der 1970er und 1980er Jahre blieb der Protest der Bevölkerung gegen diese Einsparungen jedoch weitgehend aus.44 »The precise reasons for the 1992 autogolpe remain unclear.«45 Die genauen Beweggründe Fujimoris für seinen »Selbstputsch« mögen zwar unklar sein, die Konzentration der Macht erscheint jedoch als das vordergründige Ziel. In den ersten beiden Regierungsjahren kritisierte die Opposition im Kongress einige der neoliberalen Reformen, die sie nicht mittragen wollten. Darüber hinaus erklärte das Verfassungsgericht Reformpläne des Präsidenten für verfassungswidrig. Die Auflösung des Kongresses und die Reorganisation der Justiz, die mit dem Putsch einhergingen, schalteten diese Kontrollmechanismen und Gegenstimmen aus und erhöhten die Macht des Präsidenten, was ihm die Durchführung beabsichtigter Maßnahmen erleichterte. Die Militärs, welche Fujimori in den zwei Jahren vor dem 5. April 42 José Honorio Martínez, Neoliberalismo y Genocidio en el Régimen Fujimorista, in: Historia Actual Online 19, 2009, 65. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 73ff. 43 Burt, Political Violence, 37, 67. Toche, Guerra y Democracia, 241. Degregori, La Década, 28. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 99. 44 Burt, Political Violence, 38, 43. 45 Philip Mauceri, Return of the Caudillo: Autocratic Democracy in Peru, in: Third World Quarterly 18, 1997, 900.

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Genozidale Gewalt?

1992 vor allem mithilfe von Vladimiro Montesinos46 an sich gebunden hatte, unterstützten dieses Vorgehen und sicherten den coup d’état ab. Infolge versuchte Fujimori, per Dekret zu regieren und die Verfassung dauerhaft außer Kraft zu setzen. Auf internationalen Druck musste er jedoch eine neue erarbeiten lassen, die am 29.12.1993 verkündet wurde, allerdings grundlegende Änderungen beinhaltete: Der Kongress bestand nun nur noch aus einer Kammer, die zudem von Fujimori kontrolliert wurde. Die Verfassung enthielt außerdem die Möglichkeit der Wiederwahl des Präsidenten, ein klares Bekenntnis zum Wirtschaftsliberalismus, eine Ausweitung der Macht des Militärs sowie die Todesstrafe für Terroristen.47 Die erlassene Verfassung war formal zwar eine Rückkehr zu demokratischen Strukturen, untermauerte aber die Machtfülle von Fujimori und dem Militär, die sie sich nach dem Putsch eingeräumt hatten. Sie hielten dadurch den Anschein einer Demokratie aufrecht, die jedoch de facto ein autoritäres Regime darstellte.48 Seine Entscheidungshoheit nutzte Fujimori aus und setzte eine umfassende Privatisierungswelle und Öffnung des Marktes in Gang. Ab 1993 mit Blick auf die Wahlen, die für 1995 vorgesehen waren, schob er zudem soziale Programme an, die seine Beliebtheit in der Bevölkerung sichern sollten. Im Jahr 1994 hatte Peru ein Wirtschaftswachstum von 12 % zu verzeichnen, trug Schulden ab und war wieder in den internationalen Finanzmarkt integriert.49 Fujimori übte zudem Druck auf die Presse aus, ging hart gegen die Opposition und die Subversion vor, was in Teilen der Gesellschaft für Ansehen sorgte.50 Vor allem die Verhaftung von Abimael Guzmán im Jahr 1992 brachte ihm in dieser Hinsicht einen positiven Ruf ein. Trotz seiner autoritären Herrschaft, dem Vorgehen gegen Kritiker und die Presse, den Menschenrechtsverletzungen sowie zahlreicher Sparmaßnahmen wurde er 1995 mit 64 % der Stimmen wieder zum Präsidenten gewählt. Die stärksten Parteien des Jahres 1980 (96,8 %) die AP, APRA, PPC und IU (Izquierda Unidad) erreichten bei dieser Wahl insgesamt nur 6,4 %, was den Vertrauensverlust und den Niedergang der Parteien veranschaulicht.51 Im Jahr 2000, als Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen und Korruptionsskandale aufgedeckt wurden, endete Fujimoris Herrschaft mit seiner Flucht nach Japan.52 46 Montesinos wurde zum Berater Fujimoris und stellte die Verbindung zum Militär her. Er selbst war Armeekapitän und sehr gut vernetzt. Siehe: Burt, Political Violence, 166. 47 Jürgen Samtleben, Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit in Peru nach Fujimori, in: Verfassung und Recht in Übersee 40, 2007, 424. Burt, Political Violence, 171. 48 Die Charakterisierung der Regierungsform differiert in der Literatur. Der Bezugspunkt hier ist: Burt, Political Violence, 16. 49 Mauceri, Return of the Caudillo, 902. 50 Ebd. 899f. CVR, Medios de Comunicación, 489. 51 Chávez, Der Leuchtende Pfad, 79. 52 Mauceri, Return of the Caudillo, 899. Burt, Political Violence, 173f. 214f.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

Dieser kurze Abriss über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen Perus im Vorfeld und im Verlauf des Bürgerkrieges stellte heraus, dass es keine stabilen demokratischen Institutionen gegeben hat, dass die ökomische Entwicklung schwankte und Peru Ende der 1980er Jahre nicht nur mit dem Problem der Subversion, sondern auch mit einem drohenden Staatsbankrott – einer politischen sowie wirtschaftlichen Krise – konfrontiert war.53 »Zwar wurde die Oligarchie im Laufe des 20. Jahrhunderts formal durch die Demokratie ersetzt, doch bestimmen beschränkte politische Partizipationsmöglichkeiten, die fehlende effektive Gewaltenteilung und eine stark personalisierte Politik der weißen Eliten bis heute das Bild der peruanischen Demokratie.«54 Zudem deutet dieser Abschnitt die Rolle des Ausnahmezustandes sowie die des Militärs an, die infolge des Übergangs zur Demokratie – vor allem ab 1983 – wieder an Macht gewannen und im System Fujimoris tragende Säulen waren. Beide Aspekte werden aufgrund ihrer Bedeutung für den Staatsterror nochmals ausführlicher beleuchtet.

3.2.2.

Die peruanische Gesellschaft – eine Problembeschreibung

Wesentliche Merkmale der peruanischen Gesellschaft, die hier aufgeführt und erläutert werden, greift die Arbeit bei der Interpretation der Gewalt wieder auf. Bezugnehmend auf den theoretisch-methodischen Rahmen werden hier Aspekte beschrieben, die Deutungs- und Wahrnehmungsmuster verständlich machen. Sie geben also erste Hinweise auf die »unsichtbaren Räume«55 , die wesentlichen Eigenschaften des Gewaltraumes. Diese gesellschaftlichen Charakteristika lassen sich ausgehend von der geografischen Aufteilung Perus aufzeigen: Das Land teilt sich in drei Regionen, die Küste (costa), den Regenwald (selva) und das Hochland (sierra). Diese unterscheiden sich neben ihrer Wirtschaftskraft und hinsichtlich der Möglichkeiten der politischen Partizipation auch in ihrer Kultur. In dieser Arbeit ist es nicht möglich, die Diversität umfänglich abzubilden, sodass dieser Teil nur allgemeine Charakteristika der Gesellschaft skizziert und der folgende Abschnitt Ayacucho als Beispiel für ein Department der sierra genauer betrachtet. 53 Thiery, Lateinamerika, 60, 65. Burt, Political Violence, 37. 54 Berit Bliesmann de Guevara (u. a.), Die langen Schatten der Gewalt. Auswirkungen der Kriege peruanischer Guerillagruppen, in: Jutta Bakonyi (Hg.), Gewaltordnung bewaffneter Gruppen. Ökonomie und Herrschaft nichtstaatlicher Akteure in den Kriegen der Gegenwart. BadenBaden 2006, 56. 55 Bei Neitzel und Welzer wären dies Aspekte eines Rahmens erster Ordnung. Siehe Kapitel 2.1.4.

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Peru umfasst ca. 1,285 Millionen km² und hatte im Jahr 1980 ca. 17,3 Millionen Einwohner56 , wovon ca. ein Drittel als indigen kategorisiert wurde.57 Die peruanische Gesellschaft war durch einen starken Zentralismus gekennzeichnet. Lima ist dabei das politische sowie wirtschaftliche Machtzentrum und im Fokus des gesellschaftlichen Interesses.58 Beispielsweise konzentrierten sich auch die Medien vordergründig auf Belange Limas und berücksichtigten kaum die Gemengelage im Hochland. Zudem saßen die Pressevertreter mehrheitlich in Lima, sodass auch hier von einem Zentralismus und einer Deutungshoheit gesprochen werden kann.59 Zudem nutzte Peru zwar die indigene Kultur und das Erbe der Inka, um die Wurzeln und Errungenschaften der Nation zu betonen. Gleichzeitig existierten jedoch zahlreiche Vorbehalte gegenüber der Bevölkerung des Hochlandes und des Regenwaldes. So heben verschiedene Autoren hervor, dass Rassismus in Peru ein weit verbreitetes Problem war und ist.60 Das äußerte sich neben mangelnder politischer Teilhabe und schlechteren Aufstiegschancen in Vorurteilen und Stigmatisierungen. Peru wurde daher als »gespalten« oder Land mit zwei Welten dargestellt: »a modern/civilized/coastal Peru, with Lima as its center, and traditional/savage/archaic Peru, mapped onto the highland communities, particularly Ayacucho.«61 Diese Zuschreibungen gebrauchte bspw. ein Bericht einer Untersuchungskommission aus den 1980er Jahren, die von Mario Vargas Llosa geleitet wurde. Er enthält Stereotype des unzivilisierten und der Gewalt zugeneigten Hochlandbewohners, der noch leben würde wie in längst vergangenen Zeiten.62 Zudem bedienen sich Romane wie »Der Tod in den Anden«63 sowie zahlreiche Witze dieser Vorurteile,64 welche nicht auf die Zeiten des Bürgerkrieges beschränkt waren, sondern bereits zuvor existierten und teilweise noch heute bestehen. Marker waren neben der dunkleren Hautfarbe vor 56 Instituto Nacional Estadística e Informática Perú: Estimaciones y Proyecciones de Población 1950-2050, 33. Die Zahlen schwanken jedoch. In Richard Ortiz werden ca. 18,3 Millionen angegeben. Siehe: Ortiz, Demokratie, 150. 57 Salomón Lerner Febres, Política, Justicia y Población Indígena en Perú, 4. Auch diese Zahl schwankt: Ortiz gibt hier ca. 47 % an. 58 Degregori, »Sendero Luminoso«, 7. 59 Die Medien bildeten dennoch ein gewisses Meinungsspektrum ab und gingen durchaus kritisch mit den staatlichen Sicherheitskräften um. Insbesondere El Diario, eine linksgerichtete Zeitung, ist hier zu nennen. CVR, Medios de Comunicación, 492. 60 Mücke, Das politische System, 494. Bliesmann de Guevara, Die langen Schatten, 57, 65. Nelson Manrique, El Tiempo del Miedo: La Violencia Política en el Perú, 1980-1996. Lima 2002, 59. Theidon, Intimate, 10, 133f. Poole/Rénique, Peru. 6. 61 Theidon, Intimate, 10. 62 Comisión Investigadora de los Sucesos de Uchuraccay, Informe, Lima 1983. Miguel La Serna, The Corner of the Living. Ayacucho on the Eve of the Shining Path Insurgency. Chapel Hill 2012, 8. 63 Mario Vargas Llosa, Der Tod in den Anden. Frankfurt a.M. 1996. 64 Daniel Sánchez Velásquez, Discriminación y Medios de Comunicación. Análisis de las Bromas Raciales en la Televisión Peruana. Lima 2010, 100ff.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

allem die Sprache. Obwohl bereits die Militärdiktatur Quechua als zweite Amtssprache einführte, war sie infolge immer noch Grund zur Diskriminierung.65 Die soziale Stellung innerhalb der peruanischen Gesellschaft war ebenfalls sehr stark an diese ethnische Komponente geknüpft. Die Regionen des Hochlandes oder des Regenwaldes hatten eine geringere Wirtschaftskraft, die Bevölkerung verdiente in diesen Departments weniger und der Lebensstandard war niedriger.66 Indigene in Peru lebten unabhängig ihres Wohnortes vermehrt in Armut und ihre Aufstiegschancen waren begrenzt. Eine Migration nach Lima bedeutete also nicht automatisch, dass sie ihre soziale Stellung verbesserten. Die Verteilung des Geldes war ohnehin sehr ungleichmäßig, da wenige Eliten einen Großteil besaßen und viele Menschen am Rande bzw. unter dem Existenzminimum lebten. Diese Eliten waren nicht nur wirtschaftlich privilegiert, sondern hatten außerdem die politische Macht inne und eine Deutungshoheit. Aufgrund dieser Aspekte sprechen einige Autoren von einer Exklusion bzw. Marginalisierung der indigenen Bevölkerung, die trotz der genannten Agrarreform und der Anerkennung von Quechua als Amtssprache während und über den Bürgerkrieg hinaus bestehen blieb.67 Eine weitere Problemstellung der peruanischen Gesellschaft lag in den 1980er Jahren und liegt noch heute in der Diskriminierung und Gewaltanwendung gegenüber Frauen. Im August 2016 sorgten der Mordversuch eines Ehemannes an seiner Frau, die das Essen mit zu viel Knoblauch gewürzt hatte und der daraus resultierende Protest gegen Gewalt gegen Frauen, weltweit für Schlagzeilen.68 Dass dies kein Einzelfall ist, dokumentiert eine Untersuchung der WHO, die Gewalterfahrungen von Frauen in Peru mit über 50 % bemisst.69 Obwohl Frauen in hohen politischen Ämtern und Posten in der Wirtschaft sind, ist in Peru ein traditionelles Frauenbild weit verbreitet und der sogenannte machismo ein Kennzeichen der Gesellschaft. Dies erklärt sicherlich nicht alle Gewalttaten gegen Frauen, verweist jedoch auf verbreitete Sichtweisen, die bereits während des Bürgerkrieges eine Rolle spielten.70 Zusammenfassend erscheint die peruanische Gesellschaft in verschiedener Hinsicht als exkludierend und sehr hierarchisch. Sie bot einem großen Teil ihrer 65 Anke Weber, Politicized Ethnicity. A Comparative Perspective. Basingstoke 2016, 85. Dirk Kruijt, Exercises in State-Terrorism: The Counter-insurgency Campaigns in Guatemala and Peru, in: Kees Koonings (Hg.), Societies of Fear. The Legacy of Civil War, Violence and Terror in Latin America. New York 1999, 41. 66 Bürger, Terrorismus oder Guerilla, 369. 67 Burt, State Making against Democracy, 251. Martínez, Neoliberalismo, 74. 68 Spiegel, Peru. 50.000 demonstrieren gegen Gewalt an Frauen, in: www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/gewalt-gegen-frauen-50-000-menschen-demonstrieren-in-peru-a1107598.html, [zuletzt eingesehen am 13.09.2016]. 69 WHO, Multi-country Study on Women’s Health and Domestic Violence against Women, 2005. 70 Theidon, Intimate, 111.

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Genozidale Gewalt?

Bevölkerung – den Indigenen – kaum eine Möglichkeit sozial aufzusteigen. Hingegen wurden diese immer wieder Opfer einer verbreiteten diskriminierenden Haltung.

3.2.3.

Ayacucho – ein Ermöglichungsraum

Das Department Ayacucho gilt als Hauptschauplatz des inneren Krieges. In dieser Region formierte sich der Leuchtende Pfad und begann seinen »Volkskrieg«. Außerdem fiel dort die staatliche Reaktion am heftigsten und die Opferzahlen am höchsten aus. Die gesonderte Beschäftigung mit Ayacucho resultiert also nicht nur aus seiner Beispielhaftigkeit hinsichtlich bisher formulierter politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Charakteristika, sondern vor allem aus der wichtigen Rolle im Bürgerkrieg. Da sie den Rahmen für die meisten der untersuchten Gewalttaten bilden, beschreibt dieser Abschnitt spezifische Entwicklungen sowie strukturelle und kulturelle Merkmale. Zudem charakterisiert er die Region als Ermöglichungsraum, den schließlich die senderistas sowie die staatlichen Sicherheitskräfte nutzten und somit einen Gewaltraum erzeugten. Das Department liegt in den südlichen Zentralanden (sierra) und gliedert sich in sieben Provinzen. Es umfasst eine Oberfläche von ca. 43.000 km, was ungefähr 4 % des nationalen Gebietes ausmacht.71 Die Hauptstadt trägt den Namen des Departments, befindet sich zwischen den Flüssen Apurímac, Pampa sowie Mantaro. Sie wird auch Huamanga genannt, was die Arbeit zur besseren Unterscheidung nutzt. Die Region war vor allem durch Landwirtschaft sowie die indigene Kultur geprägt und zählte außerdem zu den rückständigsten des Landes. Dies zeigte sich neben einer hohen Analphabetenrate auch in einem schlechten Zugang zu Wasser und Licht sowie einer geringen Ausstattung der Haushalte oder Verbreitung von Fahrzeugen. Am eindrücklichsten veranschaulicht es die Zahl der Haushalte ohne »servicios principales«72 die bei über 80 % liegt und in ländlichen Gebieten Ayacuchos gar bei 99,1 %.73 Diese Missstände waren der Regierung in Lima bereits in den 1960er Jahren bewusst, doch auch die Agrarreform von 1969 veränderte die Situation nicht. Der Staat enteignete zwar in Küsten- sowie Hochlandregionen mehrere Millionen Hektar Ackerfläche, verteilte diese jedoch ungleichmäßig und schuf neue Konzentrationen von Land in Form von Agrarkooperativen (Cooperativa Agraria de Produción/CAP) und -gesellschaften (Sociedad Agricola de Interés Social/SAIS). Die Reform führte u. a. daher kaum zu spürbaren Verbesserungen im Lebensstandard der bäuerlichen Bevölkerung im Hochland.74 Vielmehr lösten sich die traditionellen 71 72 73 74

CVR, Región Sur Central, 15. ÜBERSETZUNG: »grundlegende Dienstleistungen« Degregori, »Sendero Luminoso«, 11f. Sven Schaller, Marginalität und Agrarreform in Peru. Eine Kritik der Size-Yield-Inverse und der politischen Implikation. Leipzig 2006, 133f.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

Machtstrukturen auf, die von staatlicher Seite nicht mit neuen Autoritäten gefüllt wurden.75 Ayacucho ist zudem ein Beispiel, das sinnbildlich für die Folgen des Zentralismus der peruanischen Gesellschaft steht. Es gehört nicht nur zu den ärmsten Departments des Landes, sondern ist auch durch eine mangelnde staatliche Präsenz gekennzeichnet. Die Regierungen schafften es nicht, funktionierende Institutionen zu etablieren. Andersherum spielten diese für die Bevölkerung eine untergeordnete Rolle, sodass von einer fehlenden staatlichen Autorität gesprochen werden kann.76 Es wundert daher kaum, dass weder staatliche Akteure noch ein wirtschaftliches Unternehmen einen Modernisierungsfaktor verkörperten. Indes nahm die 1959 wiedereröffnete Universität diese Stellung ein, zu der durch die Bildungsreform des Velasco-Regimes auch die ärmeren Bevölkerungsschichten Zugang erhielten.77 Die Universität »se convirtió en foco dinamizador que podríamos llamar integral, en tanto si influencia abarcó desde la economía hasta la ideología.«78 Die Wiedereröffnung der Universität »Universidad Nacional de San Cristóbal de Huamanga« ließ das politische sowie das intellektuelle Leben in der Hauptstadt Ayacuchos aufleben. Professoren sowie Studierende zogen in die Stadt. Sie trugen einerseits zu einer Vitalisierung der Wirtschaft bei und forderten andererseits traditionelle Eliten heraus. Die Universität gewann so zunehmend an Einfluss und entwickelte sich zu einer politischen Kraft in der Region, die vor allem linken Gruppierungen, wie der Kommunistischen Partei, neuen Auftrieb gegeben hat. Der Leuchtende Pfad, den die Arbeit infolge noch genauer beleuchtet, hat seine Wurzeln in dieser Entwicklung und profitierte stark vom Netzwerk der Universität. Sie bot Möglichkeiten, Studierende zu rekrutieren sowie sie von linken Ideen zu überzeugen und diese somit zu verbreiten. Die Universität nahm also eine Rolle ein, die durch Bildung neue Chancen versprach, Identifikationsangebote schuf und für eine Revitalisierung der Region sorgte.79 Die mobilisierende Kraft wird nicht erst mit dem Leuchtenden Pfad und dem Beginn des bewaffneten Kampfes deutlich, sie zeigte sich bereits in den 1960er Jahren, als die Universität mehrere Tausende Menschen zu Protesten gegen die Sparmaßnahmen der Regierung motivieren konnte. Das Vorhaben Velascos, die 75 Philip Mauceri, State, Elites, and the Response to Insurgency. Some Preliminary Comparisons between Columbia and Peru, in: Jo-Marie Burt (Hg.), Politics in the Andes. Identity, Conflict, Reform. Pittsburgh 2004, 148. 76 Degregori, »Sendero Luminoso«, 15. CVR, Región Sur Central, 18. 77 Degregori, »Sendero Luminoso«, 24. 78 ÜBERSETZUNG: »verwandelte sich in einen vorantreibenden Mittelpunkt, den wir vollständig nennen können, umfasste sein Einfluss alles von der Wirtschaft bis zur Ideologie.« Degregori, »Sendero Luminiso«, 24. 79 Degregori, »Sendero Luminoso«, 28. CVR, Región Sur Central, 20. Österlund, Politics, 147.

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kostenfreie Lehre einzuschränken, sorgte 1969 erneut für Aufstände, was die Wichtigkeit des Bildungssektors offenbart. Neben einer Erweiterung der politischen Landschaft und einem Mobilisierungspotenzial kamen in den 1970er Jahren weitere Veränderungen in die Region, insbesondere in die Hauptstadt. So wurden neue Straßen nach Huamanga gebaut und das Stromnetz erneuert. Das Regime Velascos installierte zudem verschiedene Regierungsbüros und Vertretungen der Ministerien. Auch die Universität veränderte sich weiter, da neue Professoren ihre Arbeit aufnahmen und die Studierendenzahl auf über 6.000 anstieg.80 Innerhalb der Universität mehrten sich Konflikte um die Vormacht der politischen Strömungen, wobei sich zunächst Abimael Guzmán mit dem Leuchtenden Pfad eine hegemoniale Stellung erarbeiten und Allianzen knüpfen konnte. Wie noch genauer erläutert wird, büßten sie diese im Verlauf der 1970er Jahre ein. »SL va reduciendo su sistema de alianzas y su ámbito de acción, pierde convocatoria de masas pero al mismo tiempo gana en endurecimiento ideológico y cohesión orgánica«81 . Wie bei dieser Beschreibung der wesentlichen Faktoren Ayacuchos bereits deutlich wird, hat die Universität und die damit einhergehende Entwicklung des Leuchtenden Pfades eine große Bedeutung für den Beginn des guerra popular. Der Ermöglichungsraum für die Gewalt setzt sich jedoch aus weiteren Komponenten zusammen: niedrige staatliche Präsenz, das Aufbrechen traditioneller Hierarchien, wenig soziale Mobilität und zugleich ein Modernisierungsschub durch die Universität, in der die Jugendlichen mit linken Ideen – nicht nur die des Sendero Luminoso – in Berührung kamen, machten es möglich, dass sich die maoistische Gruppe formieren und sich zunächst ausbreiten konnte. Sie griffen dabei einerseits auf Netzwerke zurück, andererseits hatten sie in den ländlichen Gemeinschaften nicht mit viel Gegenwehr zu rechnen. Weder die polizeiliche Präsenz noch die Identifizierung mit dem Staat waren groß genug, um die Ausbreitung aufzuhalten. Zudem setzten die senderistas erneut auf die Bildungseinrichtungen, die einen guten Ruf genossen, um ihre Ideen zu verbreiten. Wenngleich sie nicht alle Bauern überzeugen konnten, waren diese zu Beginn nicht abgeschreckt und wehrten sich zunächst nicht. Wenn ein Akteur die Gegebenheiten mit Gewalt nutzt und dies wiederum auf den Raum einwirkt, entwickelt sich ein Gewaltraum. In diesem Fall zeigt sich dies durch das Agieren des Leuchtenden Pfads, der nun als Autorität auftrat, in vorhandene Lücken vorstieß und damit begann, das Leben im Hochland zu prägen. Wie er dies tat, zu welchen Problemen dies führte und wie die staatliche Reaktion ausfiel – sich also der Gewaltraum entfaltete –, zeigt der Fortgang der Arbeit. 80 Degregori, »Sendero Luminoso«, 30f. CVR, Región Sur Central, 22. 81 ÜBERSETZUNG: »Der Leuchtende Pfad reduzierte sein System der Allianzen und seinen Aktionsradius, verlor die Einberufung von Massen, gewann gleichzeitig an ideologischer Härte und organischer Kohäsion.« Degregori, »Sendero Luminoso«, 37.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

3.3.

Der Bürgerkrieg: Akteure, Verlauf und Folgen im Überblick

Dieser Teil dient der zeitlichen Orientierung und dem Überblick über wesentliche nicht-staatlichen Akteure. Er charakterisiert den Leuchtenden Pfad, die MRTA sowie die Rondas Campesinas als wichtige Akteure des Konfliktes. Die Arbeit von Journalisten oder Menschenrechtsorganisationen behandelt er nicht, da sie eine beigeordnete Rolle spielten und selbst nicht an den Kampfhandlungen teilnahmen. Die genannten nicht-staatlichen Akteure, insbesondere der Leuchtende Pfad, müssen jedoch beschrieben werden, da ihre Taten Bedingungen für die staatliche Reaktion bildeten. Sie zeigen, wie die Aufständischen den Ermöglichungsraum nutzten und zu Beginn des Konfliktes den Gewaltraum prägten.

3.3.1.

Die nicht-staatlichen Akteure

Der Leuchtende Pfad Wie die Aussagen zum Ermöglichungsraum Ayacucho schon verdeutlicht haben, nahm der Leuchtende Pfad zu Beginn die Hauptrolle im Szenario des Konfliktes ein. Er entfachte nicht nur den Krieg, sondern er ist nach Schätzungen der Wahrheitskommission für die meisten Opfer – über 50 % der ca. 70.000 – verantwortlich.82 Seine Wurzeln liegen in der Kommunistischen Partei Perus, die sich im Verlauf der 1960er Jahre aufteilte und an der Universität in Huamanga die »Partido Comunista del Perú – por el Sendero Luminoso de José Carlos Mariátegui (Kommunistische Partei – auf dem Leuchtenden Pfad von José Carlos Mariátegui)« hervorbrachte.83 Resultierend aus einem Streit über eine pro-sowjetische bzw. pro-chinesische Ausrichtung spaltete sich die Partei 1964 in die »Partido Comunista – Unidad (Kommunistische Partei – Einheit)« und »Partida Comunista – Bandera Roja (Kommunistische Partei – Rote Fahne)«, wobei aus letzterer Ende der 1960er Jahre der Leuchtende Pfad hervorging. Auch aus diesem Ursprung resultierte die dauerhaft ambivalente Haltung linker Parteien – vor allem der kommunistischen Partei – gegenüber den senderistas. Während sie einige Forderungen teilten und ebenfalls einen Revolutionsdiskurs führten, wandten sie sich von der massiven Gewaltanwendung ab.84 An der Spitze des Sendero Luminoso stand bereits zu Beginn Abimael Guzmán, ein in Arequipa geborener Universitätsprofessor, dessen Position als Vorsitzender des Zentralkomitees, ideologischer Anführer und einende Kraft nicht zu unterschätzen ist. Seine Bedeutung offenbarte sich bspw. bei seiner Verhaftung 1992, da infolge die Bewegung zerfiel und nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwand.85 82 CVR, Periodos, 54. 83 CVR, Los Actores Armados, El Partido Comunista del Perú Sendero Luminoso, PCP-SL Origen, 17. 84 Degregori, »Sendero Luminoso«, 31. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 95f. 85 Chávez, Der Leuchtende Pfad, 205ff. 217. Degregori, After the Fall, 180f., 190.

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Er nutzte seine Stellung innerhalb der Universität aus, um Studierende von seiner Haltung – einer radikalen marxistisch-maoistischen Doktrin – zu überzeugen.86 Er verstand den Leuchtenden Pfad dabei als eine besondere Bewegung, die nicht nur eine elitäre Gruppe mit strenger Hierarchie war. Vielmehr unterschied sie sich durch ihren Willen zum »Volkskrieg« von den anderen linken Parteien, mit denen sie die Verbindungen nach und nach aufgab.87 Wie im Forschungsstand bereits angemerkt, charakterisierten einige Autoren die senderistas als indigene Organisation – wohl aufgrund ihres Ursprunges im Hochland Perus.88 Dies erweist sich jedoch als Irrglaube, da Guzmán zu keiner Zeit für die Rechte Indigener eintrat, sondern im Gegenteil ein anderes Identifikationsangebot erschaffen hatte.89 Vor allem für die Jugend, die Degregori als politisch und sozial verfügbar eingeschätzt hat,90 war dieses neue Identifikationsangebot sowie die Aussicht auf soziale Mobilität attraktiv. Neben diesen Faktoren waren für einige der revolutionäre Gedanke, die straffe disziplinierte Organisation und das Zugehörigkeitsgefühl anziehend.91 »Sendero combined the use of force, material benefits, and symbols to create a sense among many Peruvians that is was a better, and more powerful, alternative than the Peruvian state.«92 Dieses Zitat verweist auf zwei weitere wesentliche Punkte: Zum einen gab der Leuchtende Pfad den Anschein, das Leben und die Belange der Bevölkerung im Hochland regeln zu wollen, was der Staat bis dahin versäumt hatte. Zum anderen verdeutlicht es, dass auch Aspekte wie Zwang eine Rolle bei der Rekrutierung spielten. Vor allem im Verlauf des Krieges differenzierte sich die Motivation weiter aus. Einige wurden zum Kampf gedrängt, andere schlossen sich aus Angst an oder beteiligten sich aus Rache am Krieg gegen den Staat.93 Der Leuchtende Pfad blieb – im Gegensatz zu Vermutungen des Militärs – im gesamten Verlauf jedoch keine Massenbewegung, wobei vor allem zu Beginn ein hartes Aufnahmeverfahren über die Mitgliedschaft entschied. Im Jahr 1980 schätzt die Wahrheitskommission die Zahl auf »520 entre militantes del partido y simpatizantes más cercanos.«94 Die Anzahl stieg bis Ende der 1980er Jahre auf ca. 2.700 an, was 86 Poole/Rénique, Peru, 32f. 87 Chávez, Der Leuchtende Pfad, 115. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 220f. 88 Galindo, Buscando. Gerardo Rénique, »People´s War«, »Dirty War«. Cold War Legacy and the End of History in Postwar Peru, in: Greg Grandin (Hg.), A Century of Revolution. Insurgent and Counterinsurgent Violence during Latin America´s Long Cold War. Durham, London 2010, 311. 89 Bürger, Terrorismus, 375. Portugal, Voices, 7ff. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 230. 90 Degregori, Cosechando Tempestades, 190. 91 Chávez, Der Leuchtende Pfad, 127. 92 McClintock, Revolutionary Movements, 290. 93 Portugal, Voices, 32ff., 39f. 94 ÜBERSETZUNG: »520, unter ihnen Kämpfer der Partei sowie engste Sympathisanten.« CVR, SL Origen, 13.

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jedoch deutlich unter Schätzungen anderer Autoren liegt.95 Die Mitglieder waren vor allem Lehrer*innen und Universitätsangehörige – nicht mehrheitlich Quechua sprechende Bauern. Zudem kam Frauen eine besondere Rolle im Leuchtenden Pfad zu. Neben der Ehefrau von Abimael Guzmán, die sich im Führungszirkel bewegte, ist dies auch an der Stellung von Edith Lagos abzulesen, die als Märtyrerin verehrt wurde, da sie im subversiven Kampf starb. Ihre Beerdigung mobilisierte 1982 mehrere Tausend Menschen, was ihre Stellung sowie die anfängliche Popularität der senderistas im Hochland symbolisiert.96 Die Mitglieder der Partei waren in die hierarchische Struktur eingewoben, die beginnend vom Zentralkomitee an der Spitze bis hin zu kleinen operierenden Zellen durchorganisiert war.97 Von seinen Gefolgsleuten verlangte Guzmán nicht nur Gehorsam, sondern auch die Bereitschaft zum Kampf. Sie sollten töten sowie zur Not das eigene Leben opfern, um den »Volkskrieg« zu gewinnen. Mit diesem »Blutzoll« – der cuota – stellte er die persönlichen Interessen klar unter die der Partei, bot den senderistas dafür des Gefühl von Zugehörigkeit, ein Identifikationsangebot sowie eine Möglichkeit, ihre Unzufriedenheit zu kanalisieren.98 Deutlich machten die Kämpfer ihre Zugehörigkeit, indem sie sich in die Hierarchie einfügten und neue Namen annahmen. Diese erschwerten nicht nur eine Identifizierung. Sie symbolisierten zudem die neue Identität. Guzmán nannte sich beispielsweise Presidente Gonzalo. Den Platz in der Struktur bzw. den Aufstieg in der Partei mussten sich die Mitglieder verdienen. Die Kämpfer mussten zunächst Boykott- oder Propagandaaktionen durchführen, bevor sie an größeren Aktionen teilnehmen konnten. So berichtet ein senderista: »En el 80, prácticamente estábamos iniciando el boicot, pintando paredes, pegando a fiches. Comenzamos así a asaltar bancos, casas comerciales, unas simples cosas de sabotaje, por decir.«99 Dabei blieb es jedoch nicht und der Leuchtende Pfad erwarb durch zahlreiche Gewaltaktionen, wie das Massaker in Lucanamarca mit ca. 69 Toten,100 den Ruf der brutalsten Guerillabewegung Lateinamerikas. Wissenschaftler*innen ziehen daher eher Parallelen zu den Roten Khmer als zu anderen linken Aufstandsbewegungen des Kontinentes.101 95 96 97 98 99

CVR, SL Origen, 13. Andere Schätzungen bspw. 5.000 in: Poole/Rénique, Times, 30. Degregori, Cosechando, 193. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 113f. Ein Organigramm findet sich im Militärhandbuch: Ejército Peruano, Contrasubversión, 33. Chávez, Der Leuchtende Pfad, 194. Bürger, Terrorismus, 369. ÜBERSETZUNG: »Im Jahr 1980 fingen wir praktisch gerade damit an, den Boykott zu initiieren, indem wir Wände bemalten und Plakate klebten. So begannen wir, Banken und Geschäftshäuser auszurauben, einige einfache Sabotageakte, sozusagen. Jean-Pierre Boris/Jan Thielen, Testimonio de un Senderista, in: debate 1985, 33. 100 Nora Ramirez Castillo, Die peruanische Kommission für Wahrheit und Versöhnung im Andendorf Santiago de Lucanamarca, in: Wilhelm Berger (Hg.), Kulturelle Dimensionen von Konflikten. Gewaltverhältnisse im Spannungsfeld von Geschlecht, Klasse und Ethnizität. Bielefeld 2010, 169f. 101 McClintock, Revolutionary Movements, 63.

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Zusammenfassend zeichnete sich die Bewegung, die durch eine rote Flagge mit Hammer und Sichel ihren kommunistischen Charakter verdeutlichte, durch eine strenge Organisation und hohe Gewaltbereitschaft aus. Zur Verbreitung bediente sie sich vor allem verschiedenen Bildungseinrichtungen – allen voran den Universitäten. Ihre Mitglieder waren auch daher nicht vordergründig Bauern, sondern vermehrt Studierende, Lehrer*innen und Universitätsprofessoren. Von besonderer Bedeutung war Abimael Guzmán, der der maoistischen Doktrin seinen Namen – »Pensamiento Gonzalo« – gab. MRTA – Movimiento Revolucionario de Tùpac Amaru Im Gegensatz zum Leuchtenden Pfad steht die MRTA in der Tradition »klassischer« linker Guerillagruppen nach kubanischem Vorbild. Sie griff ab 1984 in den Konflikt ein und erlangte vor allem durch die Besetzung der japanischen Botschaft im Jahr 1996 internationale Aufmerksamkeit. Ihre Wurzeln gehen bis in die 1960er Jahre zurück, in denen die »Movimiento de Izquierda Revolucionaria (Bewegung der revolutionären Linken)« bereits einen Guerillakampf begonnen hatte, den die Streitkräfte jedoch schnell niederschlugen.102 Die MRTA grenzte sich vom Leuchtenden Pfad ab und wollte ein alternatives Angebot zu ihnen sowie den staatlichen Sicherheitskräften bilden. Sie sahen die Notwendigkeit dafür zum einen in der schlechten wirtschaftlichen Situation sowie der Exklusion weiter Bevölkerungsteile und zum anderen in der hohen Gewaltanwendung des Leuchtenden Pfades, der nicht die marginalisierten Schichten des Landes vertrat. Im Unterschied zu den senderistas knüpften sie bewusst an die Belange der Indigenen an und waren anders als die linken Parteien bereit, für diese in den bewaffneten Kampf zu ziehen. Nachdem sich die Bewegung aus mehreren Organisationen zusammengeschlossen, sich den Namen MRTA gegeben und sich zunächst im Geheimen vorbereitet hatte sowie mit kleineren Aktionen vor allem Geld und Waffen erbeutete, trat sie 1984 auf die Bühne des Bürgerkrieges. Sie überfielen Polizeistationen und begannen, ihre Haltungen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.103 Die MRTA konzentrierte ihre Aktionen zunächst auf Lima, sodass Mitte der 1980er Jahre die senderistas und emerretistas in verschiedenen Regionen des Landes aktiv waren. Außerdem unterschieden sich die Aktionen der MRTA von denen des Leuchtenden Pfades. Die Anhänger der MRTA setzten vor allem auf medienwirksame Aktionen, indem sie bspw. Radiosender überfielen und ihre Botschaften kommunizierten. Eine weitere signifikante Differenz liegt im Verhältnis zu den Partei102 Martin Breuer, »¡Con las Masas y las Armas!«. Deutungs- und Handlungsrahmen des Movimiento Revolucionario Túpac Amaru (MRTA) im diskursiven Spannungsfeld Perus 1980-1990. Köln 2014, 23f. 103 CVR, MRTA, 389. Breuer, »¡Con las Masas y las Armas!«, 25ff. 29f.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

en in Peru. Die MRTA stand sowohl der APRA als auch der IU nahe und beschloss daher, Aktionen gegen die 1985 neu gewählte Regierung der APRA zu unterlassen. Sie boten sogar einen Waffenstillstand an, der zwar an Bedingungen geknüpft war, aber dennoch die positive Haltung verdeutlichte. Die senderistas wandten sich gegen jede Partei Perus und quasi gegen jeden, der nicht für sie kämpfte oder sie unterstützte. Die MRTA änderte ihr Verhältnis zur apristischen Regierung bereits nach einem Jahr der Regierungsdauer. Insbesondere das Gefängnismassaker in Lima, was im Fortgang der Arbeit genauer beleuchtet wird, führte zu diesem Bruch.104 Ab 1987 versuchte sich die Bewegung in ländliche Gebiete auszubreiten und führte Aktionen im Drogenanbaugebiet um Ucayali sowie im Department San Martín durch. Auch diese waren eher propagandistischer Natur als von militärischem Nutzen. Der verhängte Ausnahmezustand und das damit verbundene Eingreifen des Militärs sowie Zusammenstöße mit dem Leuchtenden Pfad, der ab Ende der 1980er Jahre ein vergrößertes Interesse an einer Kooperation mit den narcotraficantes hatte, forderten die MRTA zunehmend heraus. Trotz der Kritik am Vorgehen des Leuchtenden Pfades erfuhren auch sie Ende der 1980er Jahre eine Militarisierung, was zu einer Distanzierung der IU führte. Aufgrund dieser Veränderungen, der wirtschaftlichen Krise und des Wahlergebnisses von 1990 erklärte die MRTA dem demokratischen System den Kampf.105 Infolgedessen erodierte die Bewegung. Sie musste zum einen Niederlagen gegen die staatlichen Sicherheitskräfte einstecken, wurde von Desertationen geschwächt und zum anderen brachen innere Streitigkeiten auf. Es blieb nur ein Kern in Lima übrig, der im Dezember 1996 noch einmal für Aufmerksamkeit sorgte. Sie nahmen in der Residenz des japanischen Botschafters, in der hohe Staatsmänner zu Gast waren, 72 Geiseln und sorgten damit für ein nationales und internationales Medienecho. Die staatlichen Sicherheitskräfte stürmten nach 126 Tagen das Gebäude und töteten die Guerilleros, was zugleich das Ende der MRTA bedeutete.106 Insgesamt verantworte die MRTA nach Schätzungen der Wahrheitskommission nur ca. 2 % der Menschenrechtsverbrechen, die während des Konfliktes begangen worden sind. Ihre Aktionen beliefen sich eher auf Überfälle, Gefängnisbefreiungen und ähnlich gewaltarme Taten. Damit unterscheidet sich die Bewegung deutlich vom Leuchtenden Pfad. Trotz dieser Differenzen schätzte das Militär die MRTA als terroristische Organisation ein.107 Für den Fortgang der Arbeit spielt sie keine Rolle, da sie kaum im Gewaltraum Ayacucho tätig war. Sie zeigt jedoch, dass der Konflikt vielschichtiger war, als ein Kampf zwischen dem Leuchtenden Pfad und 104 105 106 107

CVR, MRTA, 397. Breuer, »¡Con las Masas y las Armas!«, 30f. Breuer, »¡Con las Masas y las Armas!«, 36. CVR, MRTA, 423f. Comisión Permanente, En Honor, 25.

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dem Militär. Zudem hebt ihre Charakterisierung nochmals die Besonderheiten der senderistas hervor. Die Rondas Campesinas und Comites de Autodefensa Beide Gruppenbezeichnungen benennen bäuerliche Zusammenschlüsse, die sich gründeten, um sich gegen die anhaltende Gewalt – vor allem des Leuchtenden Pfades – zur Wehr zu setzen. Ihr Ziel war es, die eigenen Dorfgemeinschaften zu schützen, die immer wieder einen Angriffspunkt für die Gewalt darstellten. Sie unterschieden sich durch die staatliche Unterstützung, welche die Comites de Autodefensa (Selbstverteidigungskomitees/CAD) im Verlauf des Bürgerkrieges zunehmend, insbesondere in Form von Waffen, erhielten. Da hier die Charakteristika nur skizziert und beide Begriffe teilweise synonym verwendet werden, nutzt dieser Teil nur den übergeordneten sowie ursprünglichen Begriff der Rondas Campesinas.108 Die Rondas Campesinas gründeten sich bereits in den ersten Jahren des Bürgerkrieges in Gebieten des Hochlandes aus Bauern, die sich gegen den Leuchtenden Pfad wehren wollten. Für sie kam eine Flucht nicht infrage, eine Unterstützung der Polizei oder der Subversiven lehnten sie ebenso ab. Sie organisierten sich daher selbst zum Schutz ihrer Gemeinschaft, was aufgrund der Kontrolle durch die senderistas nicht leichtfiel. Es mangelte zudem an Ausrüstung und Waffen, sodass sie zu Beginn häufig nur mit Steinen oder Mistgabeln bewaffnet waren. Sie hatten zunächst außerdem Schwierigkeiten bei der Rekrutierung, da viele Hochlandbewohner Angst vor der Reaktion des Leuchtenden Pfades hatten. Dennoch kam es dazu, dass sich die anfänglich sympathisierenden und teilweise unterstützenden Bauern nicht nur zurückzogen, sondern aktiv gegen die Subversion vorgehen wollten und schließlich einen entscheidenden Faktor im Kampf gegen die Aufständischen darstellten. »When the security forces entered Chuschi in December that year [1982], the guerrillas took to the surrounding hills; and with them probably evaporated any remaining credibility they had among the local inhabitants.«109 Vor diesem letzten Vertrauensverlust bröckelte das Verhältnis vom Leuchtenden Pfad und den Bauern bereits aus anderen Gründen. Die senderistas verloren die Zustimmung bzw. Duldung wegen ihrer Unfähigkeit, die befreiten Regionen zu beherrschen und das Zusammenleben effektiv zu regeln. Sie schlossen Routen und Märkte, was den Handel der Bevölkerung einschränkte. Sie töteten zunehmend Gemeindevorsitzende, nicht nur staatliche Autoritäten. Sie sorgten für Denunziationen und Zwietracht in den Gemeinschaften, deren Traditionen sie nicht aner108 Mario Fumerton, Rondas Campesinas in the Peruvian Civil War: Peasant Self-Defence Organisations in Ayacucho, in: Bulletin of Latin American Research 20, 2001, 470-497. 109 Fumerton, Rondas Campesinas, 475f.

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kannten. Als problematisch kristallisierte sich zudem der moralisierende Diskurs der senderistas heraus, der eine Bestrafung von Viehdieben, Ehebrechern und Betrunkenen vorsah, während zeitgleich einige Kämpfer Milch stahlen und Essen horteten.110 Aufgrund der schlechten Ausstattung, anfänglich mangelnden Unterstützung des Staates sowie Angst vor der Rache des Leuchtenden Pfades spielten die Rondas Campesinas zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Ihre Bedeutung nahm zu, als die staatlichen Sicherheitskräfte ihren Nutzen erkannten und sie als Teil ihrer Strategie begriffen. Damit ging eine Ausstattung mit Waffen einher, die die Schlagkraft der Gruppen erhöhte. Die Zahl an Mitgliedern stieg stetig an, sodass im Jahr 1994 in Ayacucho und angrenzenden Gebieten 1.655 Rondas existierten, in denen über 60.000 Menschen organisiert waren, die der Staat mit über 6.000 Gewehren ausstattete.111 In den 1990er Jahren regelte die Regierung Fujimoris diese Benutzung der Waffen per Dekret und gab ihr somit einen legalen Rahmen.112 In der Literatur räumen die Autoren den Rondas Campesinas einen hohen Stellenwert im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad ein und sehen in ihnen einen der Hauptgründe für den Niedergang der Subversion.113 Die Rondas Campesinas hatten jedoch nicht nur einen großen Einfluss auf den Ausgang des Bürgerkrieges, sie sind auch Sinnbild für eine Privatisierung der Gewalt, die sich im Verlauf des Krieges entwickelte. Diese zeigte sich zudem in den paramilitärischen Gruppen, privaten Sicherheitsfirmen sowie einem vermehrten Einsatz von Gewalt in Konflikten zwischen Gemeinden.114 Die Rondas Campesinas, die der Staat ab Ende der 1980er und vor allem in den 1990er Jahren förderte, verweisen auf eine Erosion des staatlichen Gewaltmonopols. Zudem ist ihre Rolle nicht rein positiv einzuschätzen: »En ningún otro actor de la guerra, la línea divisora entre perpetrador y víctima, entre héroe y villano es tan delgada y tan porosa como en los Comités de Autodefensa«115 . Sie töteten Menschen, vergewaltigten Frauen, wurden aber auch selbst zum Opfer der Gewalt,116 sodass auch die Wahrheitskommission die110 Ebd. 475f. José Coronel, Violencia Política y Respuestas Campesinas en Huanta, in: Carlos Iván Degregori (Hg.), Las Rondas Campesinas y la Derrota de Sendero Luminoso, 46f. Degregori, Cosechando, 194f. 111 Carlos Iván Degregori, Ayacucho, Después de la Violencia, in: Ders. (Hg.), Las Rondas Campesinas, 24. 112 Tapia, Las Fuerzas Armadas 68. In diesem Dekret wurden sie als Comités de Autodefensa (CAD) bezeichnet. 113 Blum, Senderos Enredados,341. Degregori, Cosechando, 218. 114 La Serna, The Corner, 8f. Dies ist typisch für Bürgerkriege. Siehe: The Ontology of »Political Violence«: Action and Identity in Civil Wars, in: Perspectives on Politics 1, 2003, 475. 115 ÜBERSETZUNG: »Bei keinem anderen Akteur ist die trennende Linie zwischen Täter und Opfer, zwischen Held und Bösewicht so schmal und so porös wie bei den Selbstverteidigungskomitees.« CVR, Comité de Autodefensa, 437. 116 Testimonios, die Gewalt durch Rondas Campesinas belegen: 202933, 205101, 304031, 30506.

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sen Akteur als umstritten bewertet. Sie können einerseits als eine wichtige Säule im Kampf gegen die senderistas sowie als Zeichen für einen positiven Wandel in der Strategie des Militärs erachtet werden. Andererseits verdeutlichen sie die Abgabe der Verantwortung vonseiten des Staates. Starn schätzt sie darüber hinaus als »parcial reinscripción del dominio de la ciudad sobre el campo y del Estado sobre el campesinado«117 ein, da der Staat diese Gruppen zunehmend kontrollierte und für seine Zwecke ausnutzte.

3.3.2.

Die Chronologie des Konfliktes

Der Bürgerkrieg in Peru weist eine komplexe Gemengelage auf. Zum besseren Verständnis des Kapitels zu den staatlichen Gewaltakteuren und vor allem zur Einordnung der Gewalttaten beinhaltet dieser Gliederungspunkt eine zeitliche Orientierung. Die Chronologie folgt weitgehend der Phaseneinteilung der Wahrheitskommission, die sich an wesentlichen Veränderungen orientiert und so einen Eindruck von Charakteristika und Entwicklungen des Konfliktes vermittelt. Sie kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit hinsichtlich der Gewaltereignisse bieten. Vielmehr zeichnet sie zeitlich geordnet Grundzüge nach. Phase 1: Der Krieg beginnt?! (Mai 1980 – Dezember 1982) Diese erste Phase kennzeichnet eine ungleiche Wahrnehmung des Krieges. Der Leuchtende Pfad begann am 17. Mai 1980 seinen »Volkskrieg« durch das Anzünden von Wahlurnen in Chuschi (Ayacucho) und plante seinen Weg vom Land in die Städte, um den »alten Staat« abzusetzen. Währenddessen waren weite Teile Perus mit dem Übergang zur Demokratie beschäftigt und nahmen die Gefahr kaum wahr. In den Folgemonaten änderte sich an diesem Verhältnis wenig, was der folgende Satz Gorritis zusammenfasst: »War had begun, but one side didn´t realize it.«118 Zwei Akteure prägten diese erste Phase, wobei insbesondere der Leuchtende Pfad eine wichtige Rolle einnahm, der von Polizeieinheiten gestoppt werden sollte. Zu Beginn der Konfrontation war die Polizei nicht nur unvorbereitet, sondern es existierten auch Streitigkeiten zwischen den einzelnen Abteilungen sowie Korruptionsprobleme.119 Die Reaktion auf die Attentate des Leuchtenden Pfades auf Polizeistationen – eines der sichtbaren Zeichen des Staates im Hochland – kam unter anderem daher recht zögerlich. Sie äußerte sich erst deutlicher als Ende 1981 das erste Mal 117 ÜBERSETZUNG: »partielle Wiedereinschreibung der Herrschaft der Stadt über das Land und des Staates über die Bauern.« Orin Starn, Senderos Inesperados: Las Rondas Campesinas de la Sierra Sur Central, in: Degregori, Las Rondas Campesinas, 249. 118 Gorriti, The Shining Path, 55. 119 Die Polizei wird in Kapitel 4.2 genauer dargestellt.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

der Ausnahmezustand verhängt und ca. 200 weitere Polizisten nach Ayacucho entsandt wurden.120 Unter ihnen befand sich die Sondereinheit der sinchis, die während der ersten Phase des Konfliktes für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen sorgte, es aber dennoch nicht schaffte, die Ausbreitung der senderistas zu verhindern. Sie ließen den Staat eher in einem noch schlechteren Licht erscheinen und das Misstrauen wachsen.121 Der Leuchtende Pfad nutzte hingegen seine geknüpften Netzwerke und führte gezielte Aktionen gegen staatliche Autoritäten oder Straftäter durch. Sie reduzierten so zum einen die staatlichen Machtbefugnisse und erbeuteten Waffen. Zum anderen traten sie selbst als ordnende Kraft auf. Sie versprachen zudem Posten im »neuen« Staat und boten vor allem Jugendlichen eine Perspektive. Das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Sendero Luminoso begann nicht aufgrund der staatlichen Reaktion zu bröckeln. Vielmehr zeigten die senderistas im Verlauf der Monate, wie schon beschrieben, ein anderes Gesicht, was zur Abkehr von Bevölkerungsteilen führte. Trotz der auftauchenden Probleme wuchs die Bewegung und war zunehmend in der Lage, größere Aktionen durchzuführen. Sinnbildlich dafür steht der Überfall auf das Gefängnis in Huamanga im März 1982, bei dem zahlreiche senderistas befreit werden konnten. Weitere Attacken auf Polizeistationen sowie der mangelnde Erfolg der Polizei und politischer sowie medialer Druck führten zum Eintritt des Militärs in den internen Konflikt.122 Diese erste Phase ist also im besonderen Maße durch den Leuchtenden Pfad und seine Aktionen sowie durch ein unsystematisches, trotzdem brutales Vorgehen verschiedener Polizeieinheiten geprägt. Sie bestimmten das Geschehen und die Entwicklung des Gewaltraumes. Phase 2: Eskalation der Gewalt (Dezember 1982 – Juni 1986) Die Entscheidung das Militär in den Krieg zu entsenden, fiel Belaúnde aufgrund des angespannten Verhältnisses lange schwer. Er sah sich jedoch Ende des Jahres 1982 zu diesem Schritt gezwungen und übergab die Kontrolle über die Zonen des Ausnahmezustandes dem Militär. Die Polizei musste sich ab diesem Zeitpunkt den Streitkräften unterordnen, die laut Verfassung nun weitreichende Rechte hatten. Der Eintritt eines weiteren Akteurs, der seinerseits auf die Möglichkeiten reagierte, änderte den Gewaltraum und die Logik des Konfliktes maßgeblich.123 Dies zeigte sich an der Flucht und dem Rückzug des Leuchtenden Pfades, der nun andere Aktionen durchführen musste, an der Reaktion der Bevölkerung sowie vor allem an der Eskalation der Gewalt. Diese zweite Phase führte zu einem rapiden 120 121 122 123

Belaúnde entsandte zunächst aus Misstrauen nicht das Militär. Siehe Abschnitt 4.1. CVR, Fuerzas Policiales, 140f. 150. Dirk Kruijt, Exercises in State-Terrorism, 40f. Burt, Political Violence, 56. Fernando Belaúnde Terry, Constitución para la República de Perú, Lima 1979, in: http:// www4.congreso.gob.pe/comisiones/1999/simplificacion/const/1979.htm, [zuletzt eingesehen am 04.01.2018].

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Anstieg der Opferzahlen und Menschenrechtsverletzungen, die sich regional vor allem auf Ayacucho konzentrierten. Die Wahrheitskommission verdeutlicht dies auf der Basis von Opferstatistiken. Hier sei exemplarisch auf die Zahl der Toten/Verschwundenen hingewiesen, die von 23 im Jahr 1980 und 576 im Jahr 1982 auf über 2.000 im Jahr 1983 angestiegen ist. Ein Jahr später erreichte sie ihren Höhepunkt mit über 4.000 Personen, die getötet wurden oder verschwanden. Außerdem liegen besonders emblematische Gewaltverbrechen in dieser Phase. Seitens des Leuchtenden Pfades ist hier das Massaker in Lucanamarca (1983) zu nennen, welches Guzmán Jahre später als Exempel verherrlichte.124 Die staatlichen Sicherheitskräfte verübten 1985 ein Massaker in Accomarca, welches vor allem für Aufmerksamkeit sorgte, da der neue Präsident Alan García eine Aufklärung vorantrieb. Bis dieser Fall jedoch tatsächlich juristisch abgeschlossen werden konnte, dauerte es bis in das Jahr 2016.125 Diese Phase führte außerdem dazu, dass viele Menschen im Hochland Perus in verschiedener Form mit der Gewalt umgehen mussten. Es gab daher eine Welle der Flucht in Richtung Lima, es entstanden besagte Selbstverteidigungskomitees, neue Motivationen zur Gewalt kamen auf und Streitigkeiten zwischen Dörfern wurden teilweise durch Gewalt gelöst.126 In dieser Zeit änderte sich das (Zusammen-)Leben in Ayacucho spürbar. Neben Ausgangssperren und Hausdurchsuchungen trugen Denunziationen und wachsendes Misstrauen zu einer Veränderung des Klimas bei. Weder der Staat schaffte es, die Menschen vor dem Leuchtenden Pfad zu schützen, noch vermochten die senderistas, Sympathisanten vor der staatlichen Reaktion zu bewahren. In dieser Phase entwickelte sich eine Gewaltspirale im Hochland Perus, die zwar durch die Wahlen und die angekündigte Strafverfolgung durch den Präsidenten im Jahr 1985 kurz abflaute. Ab Mitte 1986 kehrte die massive Gewaltanwendung jedoch nicht nur durch das Gefängnismassaker »Los Penales« der Militärs zurück, sondern auch durch Aktionen des Leuchtenden Pfades, die ab 1986 vermehrt in anderen Regionen des Landes aktiv wurden.127 Phase 3: Ausweitung (Juni 1986-1989 März) Diese Phase charakterisiert eine Ausbreitung der Gewalt in andere Departments des Landes. Dabei gilt das genannte Gefängnismassaker in Lima als symbolischer Beginn. Es läutete eine Veränderung der MRTA ein, die bis dahin den Konflikt 124 Castillo, Die peruanische Kommission für Wahrheit, 169-186. Poole/Rénique, Times of Fear, 7. 125 CVR, Los Periodos de la Violencia, 67, La República, Lee la Histórica Sentencia a los Autores de la Espantosa Masacre de Accomarca, in: https://larepublica.pe/politica/800080-leela-historica-sentencia-los-autores-de-la-espantosa-masacre-de-accomarca(04.09.2016), [zuletzt eingesehen am 01.07.2018]. 126 La Serna, The Corner, 111f. 127 CVR, Los Periodos, 67.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

nur wenig prägten, steigerte das Gewaltausmaß erneut und illustriert die regionale Ausweitung des Krieges. Letztlich bedeutete es das Ende der Haltung Garcías, Menschrechtsverbrechen einzudämmen und staatliche Verbrechen aufzuklären. Der Leuchtende Pfad, der in Ayacucho unter Druck geriet und direkte Zusammenstöße mit dem Militär scheute, suchte sich neue Regionen, wobei neben Puno und Junín das Drogenanbaugebiet des Valle Alto Huallaga eine besondere Rolle für die Partei einnahm. Sie konnten dort mit Drogenhändlern kooperieren, was einerseits finanzielle Anreize bot und andererseits neue Netzwerke eröffnete. Während sie im Hochland neue Unterstützer suchten, um ihren Krieg voranzutreiben, setzten sie in Lima auf selektive Tötungen, die sich gegen Vertreter*innen des Staates richteten und der Bevölkerung seine Schwäche vor Augen führen sollten. Die staatlichen Sicherheitskräfte, die immer noch die Kontrolle über die Zonen des Ausnahmezustandes hatten, zu denen mittlerweile Journalisten sowie dem Roten Kreuz der Zugang verwehrt wurde, begingen ihrerseits zahlreiche Verbrechen, wofür das Massaker von Cayara (Mai 1988) als Racheaktion auf einen Hinterhalt des Leuchtenden Pfades als Beispiel gilt. In dieser Phase stieg die Gewalt wieder an, was auch an der Zahl der Todesopfer ablesbar ist, die seit 1986 auf fast 1.500 im Jahr 1988 anstiegen.128 Die Ausbreitung des Konfliktes ging mit einer regionalen Ausweitung und einem erneuten Ansteigen des Gewaltausmaßes einher. Zudem kamen weitere Akteure hinzu. Ab 1988 griffen paramilitärische Gruppen, wie das Kommando Rodrigo Franco, in das Geschehen ein, ebenso nahm die Präsenz der Rondas Campesinas zu. Beides interpretiert die Literatur als Zeichen einer Privatisierung der Gewalt, die ab Ende der 1980er Jahre zugenommen hatte.129 Diese resultierte aus dem mangelnden Erfolg der militärischen Strategie sowie der Frustration einiger Teile des Militärs, die nicht nur wegen innerinstitutioneller Streitigkeiten, sondern auch wegen der zunehmend spürbaren ökonomischen Krise unzufrieden mit ihrer Situation waren. Sie hatten außerdem kaum Vertrauen in die Regierung der APRA.130 Phase 4: Die Krise (März 1989 – September 1992) Der peruanische Staat befand sich Ende der 1980er Jahre in einer schweren Krise. Neben den ökonomischen Problemen sah er sich noch immer mit der Subversion konfrontiert. Obwohl sich fast die Hälfte der Bevölkerung unter militärischer Kontrolle befand, konnte der Leuchtende Pfad nicht entschieden zurückgedrängt 128 CVR, Anexo Estadístico, 84. Burt, Political Violence, 64f. Die von Burt verwendete Statistik erfasst fast 2.000 Opfer. 129 Burt, Political Violence, 47f. 130 Ebd. 66f.

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werden. Er rief indes auf einem Parteikongress das »Strategische Gleichgewicht« aus.131 Neben einem Überfall auf einen Polizeiposten in Uchiza im März 1989 verstärkten die senderistas ihre Präsenz in den Städten – auch in Lima. Sie zielten darauf ab, die Unfähigkeit des Staates zu demonstrieren und sichtbare Zeichen der Gewalt zu hinterlassen. Zwei signifikante Attentate fanden 1992 statt. Die Bürgermeisterin von Villa El Salvador, einem Stadtteil Limas, wurde von den senderistas umgebracht. Sie wurde niedergeschossen und ihr Körper in die Luft gesprengt, was zu einem großen medialen Echo führte. Im Juli desselben Jahres forderte eine Autobombe in Miraflores, einem der reichsten Bezirke Limas, mehrere Menschenleben. Währenddessen änderte das Militär seine Strategie im Kampf gegen die Subversion. Neben der Unterstützung der Rondas Campesinas versuchte es, selektiver vorzugehen und stärkte die Geheimdienstarbeit. Sie kombinierten ihr Vorgehen außerdem mit weiteren Maßnahmen für die Bevölkerung, um diese so für den Kampf gegen die Subversion zu gewinnen.132 Der 1990 gewählte Präsident Fujimori schuf einen legalen Rahmen für die militärische Strategie und segnete das Vorgehen ab. Nach seinem »Selbstputsch« verschärfte er außerdem die Anti-Terror-Gesetze und erweiterte die Befugnisse des Militärs. Trotz veränderter Strategie endeten die Verletzungen der Menschrechte durch staatliche Kräfte nicht.133 Diese Phase ist zunächst durch einen zweiten Höhepunkt der Gewalt in den Jahren 1989 und 1990 gekennzeichnet, in der ca. 2.400 Personen pro Jahr verschwanden oder getötet wurden.134 Sie stellt jedoch auch den Beginn des Untergangs des Leuchtenden Pfades dar und läutete das Ende des Konfliktes ein. Wesentlich dafür war die Festnahme Abimael Guzmáns, der im September 1992 gemeinsam mit weiteren hochrangigen senderistas von Mitarbeitern des Geheimdienstes verhaftet wurde. Dieser Coup sorgte für positive Presse sowie eine Legitimierung des Putsches und stellte zudem einen entscheidenden Schlag 135 gegen   den Leuchtenden Pfad dar, der infolge nach und nach zerfiel.   131 Burt, Political Violence. CVR, Periodos, 71f.  

132 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Contrasubversión. Lima 1989, 60ff. In diesem Handbuch wird die neue »Estrategía integral« deutlich. Der Bevölkerung wurde bspw. Nahrung zur Verfügung gestellt oder kostenlose Haarschnitte gewährt. Siehe: Burt, Political Violence, 178f. 133 CVR, La Universidad Nacional de Educación Enrique Guzmán y Valle, La Cantuta, 622f. 134 CVR, Anexo Estadístico, 84. 135 Burt, Political Violence, 172ff.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

Phase 5: Das Ende des Krieges (September 1992 – Ende 1994) In der Datierung der letzten Phase weicht diese Arbeit von der Einteilung der Wahrheitskommission ab. Diese datiert den Konflikt bis ins Jahr 2000, also bis zur Flucht Fujimoris und dem Ende seines autoritären Regimes. Hier wird 1994 als Endpunkt gewählt, da mit 1994 die Gewalt spürbar abnimmt und sich der Charakter des Konfliktes deutlich verändert, wobei die staatliche Gewalt auch über das Jahr 1994 andauerte.136 Diese Phase spielt im Fortgang der Arbeit eine untergeordnete Rolle, wird aber dennoch erwähnt, da sie zeigt, dass das Fujimori-Regime weiter gegen sogenannte Subversive vorging. Trotz des Aufrufes Guzmáns einen Frieden herbeizuführen, existierte eine kleine Gruppe des Leuchtenden Pfades weiter. Das Ausmaß der Gewalt und die Schlagkraft der Gruppe sanken jedoch deutlich und der Sendero Luminoso stellte kaum noch eine Gefahr für den Staat dar.137 Dieser nutzte den Kampf gegen die Subversion vor allem als Rechtfertigung im Vorgehen gegen Oppositionelle. Insbesondere das Gesetz 25475,138 das eine Verschärfung im Umgang mit Terroristen vorsah, setzte das Regime ein, um Personen, die im Verdacht standen mit den Subversiven zu kooperieren, zu langen Haftstrafen zu verurteilen. Durch Kritik am System und dem Vorgehen gegen Terrorverdächtige gerieten bspw. auch Menschenrechtsorganisationen ins Visier. In diesen Jahren wurden zahlreiche Menschen verhaftet und ohne faires Verfahren verurteilt, obwohl sie keinen Kontakt zu den Guerilla-Organisationen hatten.139 Im Vergleich zu den 1980er Jahren änderten sich das Vorgehen und die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte. In den 1990er Jahren ging die Zahl der Massaker zurück und das Vorgehen war selektiver. Trotz der Programme für die Bevölkerung, die zu einem besseren Ansehen des Militärs führten, verübten die staatlichen Sicherheitskräfte Menschenrechtsvergehen wie das Verschwindenlassen von einzelnen Personen sowie die Verhaftung von Verdächtigen. Wenngleich dies weniger Opfer forderte, ist ein solches Vorgehen nichtsdestotrotz eine staatsterroristische Maßnahme, zumal die Gefahr durch den Leuchtenden Pfad ab 1993 deutlich abnahm.140 136 Degregori, After the Fall of Abimael Guzmán, 189f. CVR, Anexo Estadístico, 84. 137 Degregori, After the Fall of Abimael Guzmán, 190. 138 El Presidente de la República, Ley 25475, 06.05.1992, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/Leyes/25475.pdf, [zuletzt eingesehen am 24.07.2018]. 139 Burt, Political Violence, 176f. 140 Ebd. 177ff.

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3.3.3.

Das Erinnern an den Konflikt: Hindernisse und Errungenschaften des Aufarbeitungsprozesses

Wie im Kapitel zum Forschungsstand bereits erläutert wurde, existiert eine Vielzahl an Werken, die verschiedene Aspekte der Erinnerungskultur und Aufarbeitung des Bürgerkrieges in Peru thematisieren. Neben der Arbeit der Wahrheitskommission, welche im Themenbereich der transitional justice untersucht und diskutiert wird, beschäftigt sich die Literatur mit verschiedenen Formen der Erinnerung, der Frage nach Reparationen und der Suche nach den »Verschwundenen«.141 Im Rahmen dieser Arbeit ist es nicht möglich, alle Facetten der Erinnerungskultur, die sich auch in Filmen, Kunstwerken und Denkmälern widerspiegelt, aufzuzeigen und zu besprechen. Vielmehr will dieser Abschnitt einen kleinen Einblick in die Aufarbeitung und den umstrittenen Diskurs über die Rolle der staatlichen Sicherheitskräfte geben. Dafür werden zwei ausgewählte Themen behandelt: erstens der Streit um den »Lugar de la Memoria (Ort der Erinnerung)« sowie dessen Dauerausstellung und zweitens die justizielle Aufarbeitung. Beide sind für die Untersuchung interessant, da sie nicht nur die Bedeutung dieser Arbeit verdeutlichen, sondern auch die Schwierigkeiten und Entwicklungen der Aufarbeitung zeigen, die den Entstehungsprozess dieses Werkes begleiteten. Darüber hinaus knüpft das sechste Kapitel an diese Darstellung an, wenn der Gebrauch des Genozidkonzeptes in Recht und Öffentlichkeit diskutiert wird. Ein wesentlicher Aspekt der Aufarbeitung ist sicherlich der Bericht der Wahrheitskommission,142 der bei seiner Veröffentlichung 2003 für ein sehr unterschiedliches Echo sorgte. Die Reaktionen illustrieren den konfliktiven Charakter des Erinnerungsdiskurses, der sich jedoch nicht nur am Bericht der Wahrheitskommission, sondern auch beim Bau des »Lugar de la Memoria« sowie der Ausgestaltung der Dauerausstellung zeigte.143 Dies deutet bereits an, dass der Konflikt und insbesondere die staatliche Gewalt über zehn Jahre nach Veröffentlichung des Berichtes noch immer umstritten sind. Die Initiative zum Bau eines Erinnerungsortes kam aus dem Ausland. Die Bundesrepublik Deutschland offerierte im Jahr 2008 dem Präsidenten Alan García während seiner zweiten Amtszeit, ein solches Vorhaben mit ca. zwei Millionen Euro zu unterstützen. Dies lehnte er mit dem Verweis auf dringendere Probleme ab und konnte erst durch öffentlichen Druck – von Intellektuellen wie Mario Vargas Llosa – zur Annahme der Schenkung bewegt werden.144 Im November 2011 wurde der Grundstein für das umstrittene Bauvorhaben in Miraflores an der costa verde gelegt, das im Juni 2014 als »Lugar de la Memoria, la Tole141 142 143 144

Einige wesentliche Werke wurden bereits in Abschnitt 1.3 genannt. Kurze Erläuterung siehe Forschungsstand 1.3. Wiehl, Staatsterror, 103-117. Weissert, ¿La Casa de Todas las Víctimas? 85. Lugar de la Memoria, Historia, in: http://lum. cultura.pe/el-lum/historia, [zuletzt eingesehen am 24.10.2016].

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

rancia y Inclusión social (Ort der Erinnerung, der Toleranz und sozialen Inklusion)« eröffnete. Zunächst diente das imposante Gebäude als Zentrum für Filmvorführungen und Buchbesprechungen, da bis zur Eröffnung im Dezember 2015 keine Einigkeit über die Dauerausstellung erzielt werden konnte. Auch hier entzündete sich die Debatte über die Rolle des Staates und die Form der Repräsentation. Vertreter der Regierung sowie das Militär erachteten eine Darstellung im Sinne der Ergebnisse der Wahrheitskommission als schwierig, da sie einen Imageschaden erwarteten und ihre eigene Rolle anders interpretierten. Sie suggerierten den Verantwortlichen der Ausstellung in Gesprächen daher, dass die staatlichen Kräfte nicht ausschließlich als »das Schlechte« dargestellt, sondern die Leistungen des Militärs gezeigt werden sollten.145 In der anfänglichen Debatte um den Bau warnten Mitglieder der Streitkräfte gar davor, eine falsche Geschichte zu erzählen, das Militär mit dem Leuchtenden Pfad gleichzusetzen und gesellschaftliche Wunden wieder aufzureißen. Sie meinten, dass ein solcher Ort und vor allem eine Ausstellung im Sinne der Wahrheitskommission außerdem die nationale Einheit gefährden könne.146 Trotz dieser Gegenstimmen wurde der Ort gebaut und die Dauerausstellung eröffnet, was als positiver Aspekt im Aufarbeitungsprozess einzuschätzen ist. Wirkungslos blieben die Stimmen des Militärs indes nicht. Auch Mitglieder der Kommission,147 die mit der Ausgestaltung des Erinnerungsortes betraut wurde, ließen sich beeinflussen und kamen zu dem Entschluss, dass eine Würdigung des Militärs nötig wäre.148 Zudem führte die Debatte dazu, dass die Dauerausstellung erst über ein Jahr nach Eröffnung des Ortes eingeweiht werden konnte. Der umstrittene Erinnerungsdiskurs prägt außerdem die Konzeption der Ausstellung, die nicht eine Geschichte der Vergangenheit erzählt, sondern verschiedene Stimmen zu Wort kommen lässt und somit eine Deutungsoffenheit beinhaltet. Die Militärs konnten nicht verhindern, dass von ihnen begangene Verbrechen einen Platz in der Ausstellung fanden. Da dies jedoch in Form von Fallgeschichten geschieht, geht dies durchaus mit der Deutung der staatlichen Sicherheitskräfte einher, die einzelne Exzesse zugeben, diese jedoch als individuelle Vergehen und nicht als Teil eines systematischen Vorgehens begreifen.149 Diese Interpretation räumt ihnen auch eine eigene Tafel am Ende der Ausstellung ein, die aus dem Werk »En Honor a la Verdad« zitiert und nochmals hervorhebt, dass es keine Strategie zur systematischen Vernichtung gegeben habe. Sie unterstreicht überdies die wichtige Rolle, die 145 Del Pino, Cada Uno, un Lugar de la Memoria 47. 146 Weissert, La Casa, 95ff. 147 Die Kommission wechselte mehrfach ihre Zusammensetzung und Leitung, was auch ein Indiz für den konfliktiven Entstehungsprozess ist. 148 Weissert, La Casa, 101. 149 Del Pino, Cada Uno, 50.

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das Militär im Kampf gegen die Subversion eingenommen habe. Schließlich sei es ihnen gelungen, den Gegner zu besiegen und den Frieden wiederherzustellen. Trotz dieses Entgegenkommens stellt die Dauerausstellung einen wichtigen Baustein im Aufarbeitungsprozess dar, da sie vor allem ein Gedenken an die vielen Opfer beinhaltet, die Erinnerung aufrechterhält und den Besuchern eine Möglichkeit gibt, etwas über den Konflikt zu erfahren.150 Einen weiteren wichtigen Schritt in der Aufarbeitung der staatlichen Gewalt ging die peruanische Justiz, die nach über 20 Jahren im Jahr 2016 die hochrangigen Autoren des Massakers in Accomarca zu langen Haftstrafen verurteilte und auch im Jahr 2017 im Fall »Los Cabitos« mehrjährige Gefängnisstrafen verhängte. Das Gericht befand verschiedene Verantwortliche des Massakers in Accomarca für schuldig, zahlreiche Menschen, unter anderem über 20 Kinder, getötet zu haben. Dieses Urteil traf beispielweise General Mori Orzo und offenbart, dass das Massaker nicht nur das Ergebnis einer individuellen Entscheidung eines Offiziers war, sondern von der militärischen Führung zu verantworten ist.151 Auf dieses Massaker geht die Arbeit gesondert ein und skizziert den Tathergang und die Bedeutung für den Staatsterror. Ebenfalls im Fall »Los Cabitos« wurden ranghohe Militärangehörige mit bis zu 23 Jahren Haft bestraft und für das außergerichtliche Ermorden und Verschwindenlassen von mindestens 53 Personen belangt.152 Diese Urteile erscheinen als ein klares Signal im Umgang mit den staatlichen Sicherheitskräften, welches für die Hinterbliebenen von großer Bedeutung ist. Fraglich ist jedoch, ob dies ein Anfang oder ein Ende der juristischen Auseinandersetzung ist. Trotz der Urteile und der Dauerausstellung existieren weiterhin Hindernisse und Schwierigkeiten im Aufarbeitungsprozess: Zum einen beeinflussen die Militärs und Teile der politischen Elite durch ihre Machtposition den öffentlichen Diskurs, wodurch ihre Rolle – wie einleitend erwähnt – kaum diskutiert und kritisch hinterfragt wird.153 Zum anderen bleiben wichtige Quellen unter Verschluss, die eine intensive Auseinandersetzung ermöglichen könnten.154 Gerade für die wissenschaftliche Erforschung der Gewalt von Polizei und Militär ist dies eine schwierige Situation, wobei eine Änderung nicht absehbar ist. Vielmehr stellen Entscheidungen – wie die Begnadigung Alberto Fujimoris Weihnachten 2017 oder 150 Die Opfer und Opferorganisationen wurden erst sehr spät und mit Blick auf die Ausstellung in den Entscheidungsprozess einbezogen. Der Diskurs war lange Zeit sehr stark von den Eliten in Lima geprägt. Siehe: Weissert, La Casa, 103. Del Pino, Cada Uno, 41, 51. 151 Sala Penal Nacional, Sentencia, Exp. 36-05, in: http://larepublica.pe/politica/800080-lee-lahistorica-sentencia-los-autores-de-la-espantosa-masacre-de-accomarca, [zuletzt eingesehen am 04.01.2018]. 152 La República, Los Cabitos: Estas Fueron las Sentencias que Recibieron los Acusados, in: http:// larepublica.pe/politica/1075115-los-cabitos-pj-dicta-sentencia-esta-tarde-contra-militarespor-las-53-victimas(17.07.2017), [zuletzt eingesehen am 04.01.2018]. 153 Morote, Todos, 20f. 154 Burt, Access, 84ff.

3. Verortung II: Das Hintergrundgefüge

die Forderung im Juni 2018, einen neuen Themenpark zur Huldigung der Helden zu bauen, – infrage, wie sich die politische Elite zur Aufarbeitung der staatlichen Gewalt positioniert und wie sich der Aufarbeitungsprozess entwickeln wird.155

155 El Comercio, Galarreta Anuncia »Parque de la Memoria de los Caídos por el Terrorismo«, in: https://elcomercio.pe/politica/luis-galarreta-anuncia-parque-memoria-caidos-terrorismonoticia-530538(25.06.2018), [zuletzt eingesehen am 13.07.2018]. Der Politiker fordert den Bau eines Erinnerungsortes zur Ehrung der Opfer sowie der staatlichen Sicherheitskräfte, die gegen die Subversion kämpften.

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4. Die Akteure des Staatsterrors

Dieses Kapitel stellt die staatlichen Akteure, ihre Sichtweisen sowie ihren institutionellen Rahmen vor. Neben einer Charakterisierung präsentieren diese Abschnitte wesentliche Informationen, decken Strukturen auf und arbeiten »innermilitärische Denkstile«1 heraus. Dafür behandelt der erste Teil den peruanischen Staat sowie die Haltung und das Handeln der bereits angesprochenen verschiedenen Regierungen, wobei die folgenden Fragen geklärt werden: Inwiefern organisierte der Staat den Staatsterror? Welche Spielräume schuf er? Wie kontrollierte er das Handeln der staatlichen Gewaltakteure? Die beiden anderen Abschnitte befassen sich mit Polizei und Militär, wobei letztgenannter Akteur im Zentrum steht. Hauptziel ist es, die Eigenschaften und Spezifika der jeweiligen Institution aufzuzeigen, auch wenn sich im Laufe des Krieges Zuständigkeiten mischten und gemeinsame Operationen durchgeführt wurden. Während hinsichtlich der Polizei nur eine grundlegende Skizzierung ihrer Rolle und Tätigkeit angeführt wird, berücksichtigen die Abschnitte zum Militär überdies Pläne sowie Befehle, Rechtfertigungen und Denkmuster. Sie vertiefen zusätzlich die Auseinandersetzung mit dem Aufbau sowie der Organisation dieses Akteurs, um so den Rahmen nachzuzeichnen, in dem sich die Militärangehörigen bewegten. Für den Fortgang der Arbeit ist dies ein wichtiger Baustein, da er bereits offenbart, wie die Täter den Raum begriffen, welche Grenzen ihrem Handeln gesetzt waren, welche Befugnisse sie hatten und wodurch ihre Haltung geprägt wurde.2 Insbesondere Wahrnehmungen, Denkmuster, Hierarchien und Sichtweisen, denen sich diese Unterkapitel zu nähern versuchen, sind für die jeweiligen Gewaltsituationen – trotz einer Eigendynamik – von Bedeutung. Sie stellen Aspekte dar, die die »unsichtbaren Räume« konstituierten.3 1 Lipp, Diskurs und Praxis, 215. 2 Diese Aspekte hatten Einfluss auf das Handeln der Militärs, andersherum hatten die Taten jedoch auch Wirkung auf vorhandene Denkmuster, was im Fortgang noch betrachtet wird. Hier ist zunächst entscheidend, mit welchem Wissen und Know-How sich die Akteure in die Situationen begaben und welche Spielräume sie hatten. 3 Im Zwischenfazit 5.5 werden diese dezidiert aufgenommen, spielen jedoch bereits in den Deutungen der Gewaltsituationen in Kapitel 5 eine Rolle.

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4.1.

Der Staat – Organisator der Gewalt?

Im Gegensatz zu anderen Fallbeispielen des lateinamerikanischen Kontinents fand die staatliche Gewalt in Peru im Rahmen eines demokratischen Systems statt.4 Es ist daher von Interesse, der Frage nachzugehen, wie die staatliche Gewalt innerhalb einer Demokratie organisiert wurde. Eine besondere Bedeutung für den peruanischen Fall kommt dem Ausnahmezustand zu, den der Präsident gemäß der Verfassung von 1979 bei Gefahr für die innere Ordnung verhängen konnte. Belaúnde erließ ihn im Oktober 1981 zunächst für einzelne Gebiete des Hochlandes (ca. 2,2 % der Bevölkerung). Bis 1989 weiteten die Präsidenten Belaúnde und García ihn schrittweise aus, sodass Ende der 1980er Jahre über 40 % der Bevölkerung in Zonen des Ausnahmezustandes lebte. Für die Menschen bedeutete dies eine Einschränkung der Versammlungs- sowie der Bewegungsfreiheit und eine Suspendierung der Garantie auf Unverletzbarkeit des Wohnsitzes. Der Präsident besaß außerdem die Option, dem Militär die Kontrolle über die Gebiete zu übergeben. Wie bereits erwähnt, nutzte Belaúnde diese nach anfänglich großer Skepsis gegenüber dem Militär Ende des Jahres 1982.5 Der Ausnahmezustand ist nicht nur von Wichtigkeit, da so ein »Terrain der Möglichkeiten«6 geschaffen wurde, sondern auch für die Einschätzung der Rolle der Regierung und des Präsidenten. Dieser hat nach Verfassung zwar das Oberkommando über die Streitkräfte, jedoch gab er weder diesen noch der Polizei eine klare Strategie vor. Vielmehr räumte er den staatlichen Sicherheitskräften zahlreiche Befugnisse ein und ließ ihnen nahezu freie Hand in der Ausgestaltung des Krieges gegen die Subversion.7 Dies führte dazu, dass die Militärs das Vorgehen gegen den Leuchtenden Pfad bestimmten sowie leiteten. Außerdem entwickelten sie sich zur politischen Autorität in den Zonen des Ausnahmezustandes. Das Gesetz 24150,8 das Belaúnde kurz vor Ende seiner Amtszeit 1985 erließ, verstärkte und bestätigte die Kompetenzen nochmals. Es stellte den Versuch dar, dem Handeln der staatlichen Sicherheitskräfte einen legalen Rahmen zu geben und den Spielraum zu erweitern. 4 Sowohl in Argentinien als auch in Chile fand die Hochzeit des Staatsterrors innerhalb eines diktatorischen Systems statt. 5 Fernando Belaúnde Terry, Constitución para la República de Perú, Lima 1979, in: http://www4. congreso.gob.pe/comisiones/1999/simplificacion/const/1979.htm, [zuletzt eingesehen am 04.01.2018]. Siehe auch: Toche, Guerra y Democracia, 241. 6 Alf Lüdtke, Einleitung. Staats-Gewalt: Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes, in: Ders. Staats-Gewalt: Ausnahmezustand und Sicherheitsregimes. Göttingen 2008, 22. 7 Enrique Obando, Civil-Military Relations in Peru 1980-1996. How to Control and Coopt the Military, in: Stern (Hg.), Shining and other Paths, 388. 8 Presidente de la República, Ley 24150, 05.06.1985, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/Leyes/24150.pdf, [zuletzt eingesehen am 24.07.2018].

4. Die Akteure des Staatsterrors

»En efecto, la ley 24150 asignó a los Comandos Político-Militares la facultad de coordinar los sectores público y privado en las zonas declaradas en estado de emergencia, así como facultades administrativas sobre las autoridades políticas del lugar y atribuciones para proponer al Ejecutivo medidas de naturaleza política.«9 Die Politisch-Militärischen Kommandos hatten zudem die Befehlsgewalt über die polizeilichen Kräfte inne. Darüber hinaus gab es Änderungen in der Jurisdiktion: Das Gesetz sicherte dem Militär eine nahezu vollständige Immunität zu, da es die Rechtsprechung über Verstöße sowie Menschenrechtsverbrechen den Militärgerichten zuordnete.10 Fujimori (ab 1990) baute die Befugnisse der staatlichen Sicherheitskräfte erneut aus und reagierte damit auf die Unzufriedenheit des Militärs, das Untersuchungskommissionen des Kongresses sowie die Anschuldigungen durch Menschenrechtsorganisationen leid war. Sie forderten, entweder ihre Kompetenzen zu erweitern und ihrem Handeln einen legalen Rahmen zu geben oder die zivile Regierung stärker in die Verantwortung für den Kampf zu ziehen.11 Weitere Dekrete und Gesetze räumten daher den Militärs ab 1991 zahlreiche Rechte ein. Das Gesetz 25709 gewährte ihnen die vollständige Macht über die Gebiete im Ausnahmezustand und gestand ihnen zu, mit allen Mitteln zu intervenieren.12 Das Dekret 738 ermöglichte zudem ein Eingreifen der Streitkräfte in Gebiete, in denen der Ausnahmezustand nicht galt;13 und gestattete dies sogar ohne vorherigen Befehl des Präsidenten.14 Den Spielraum für die staatlichen Sicherheitskräfte baute dieser durch das Dekret 734 weiter aus,15 da es ihnen ein Eindringen in Universitäten und Gefängnisse gestattete, um gegen die Subversion vorzugehen. Im Jahr 1992 veränderte Fujimori außerdem nochmals die Rechtsprechung, indem er neben Anti-Terror-Gesetzen geheime Gerichte – »sin rostro/ohne Gesicht« – einführte, die Terrordelikte verhandelten. Die Einwände des Kongresses oder des Verfassungsgerichtes spielten 9 ÜBERSETZUNG: »Tatsächlich wies das Gesetz 24510 den Politisch-Militärischen Kommandos die Befugnis zu, die öffentlichen und privaten Sektoren in den Zonen des Ausnahmezustandes zu koordinieren. Ebenso wies es ihnen Verwaltungsbefugnisse über die politischen Autoritäten des Ortes zu sowie die Zuständigkeiten dafür, der Exekutive Maßnahmen politischer Natur vorzuschlagen.« Degregori, Perú 1980-1993, 11. 10 Burt, Political Violence, 61. 11 Degregori, Perú 1980-1993, 14. 12 Presidente de la República, Decreto Ley 25709, 02.09.1992, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/Leyes/25709.pdf, [zuletzt eingesehen am 24.07.2018]. 13 Presidente de la República, Decreto Legislativo 738, 08.11.1991, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/DecretosLegislativos/00738.pdf, [zuletzt eingesehen 24.07.2018]. 14 Diese Gesetze widersprechen der Verfassung von 1979, in der das Eingreifen in den Zonen des Ausnahmezustandes geregelt wurde und zudem nur vom Präsidenten befohlen werden konnte. Siehe: Verfassung Perú 1979. 15 Presidente de la República, Decreto Legislativo 734, 12.11.1991, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/DecretosLegislativos/00734.pdf, [zuletzt eingesehen am 24.07.2018].

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spätestens ab dem »autogolpe« 1992 keine Rolle mehr. Ein weiterer entscheidender Punkt der Regierungszeit Fujimoris war das Amnestiegesetz, das er im Jahr 1995 erlassen hatte. Dies bedachte neben den Streitkräften paramilitärische Gruppen und behinderte noch nach der Amtszeit Fujimoris die Strafverfolgung und Aufarbeitung.16 Die Macht des Kongresses und damit einer wesentlichen Kontrollinstanz im demokratischen System war bereits während der 1980er Jahre eingeschränkt. Zwar gründeten sich bei einigen schweren Menschenrechtsverbrechen seitens der Militärs Untersuchungskommissionen im Kongress, die zur Aufklärung der Taten beitragen sollten. Doch die Wirkungsmacht blieb aus verschiedenen Gründen in den meisten Fällen relativ gering. Erstens konnten die Abgeordneten – vor allem ab 1985 – in den Gebieten des Ausnahmezustandes nicht ungehindert ihre Arbeit erledigen. Zweitens gab es innerhalb des Kongresses unterschiedliche Haltungen, sodass Berichte in verschiedenen Fassungen und mit differenten Konklusionen verfasst wurden.17 Drittens führten die Ergebnisse meist zu keiner Strafverfolgung oder zu ernsthaften Folgen für die Täter. Eine Ausnahme bildet der Fall Accomarca. García bestrafte zu Beginn seiner Amtszeit verantwortliche Generäle, indem er sie entließ. Einen hauptverantwortlichen Leutnant verurteilte ein Gericht zudem zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Auf die hochrangigen Militärangehörigen warteten jedoch, wie bereits in Kapitel 3.3.2 erwähnt, erst im Jahr 2016 juristische Konsequenzen. Neben dem geringen Einfluss staatlicher Kontrollinstanzen, die sich auch in abgewiesenen Klagen und nicht verfolgten Strafanzeigen äußerte,18 hinderte das Militär Journalisten und Organisationen an ihrer Arbeit. Nach 1985 verwies das Militär bspw. das Rote Kreuz aus den Zonen des Ausnahmezustandes,19 sodass weitere zivile Kontrollmechanismen beschränkt waren. Für eine spätere Charakterisierung und Einordnung des Staatsterrors ist der Ausnahmezustand ein zentraler Aspekt. Er steht sinnbildlich dafür, wie innerhalb eines demokratischen Systems Möglichkeiten für eine Autoritätserweiterung der staatlichen Sicherheitskräfte geschaffen wurden. Seine Wichtigkeit speist sich ferner aus seiner langen Dauer und zunehmenden Ausdehnung. Im Jahr 1990 umfasste er fasst die Hälfte der Bevölkerung, die somit mit eingeschränkten Grundrechten lebten. Zudem konterkariert die zeitliche Dauer des Ausnahmezustandes sowie der sukzessive Ausbau der Rechte des Militärs die Grundidee einer politischen Akutmaßnahme, die nicht länger als maximal 60 Tage dauern sollte. Ein 16 Degregori, Perú 1980-1993, 24ff. Toche, Guerra y Democracia, 252ff. Martínez, Neoliberalismo, 70. 17 Beispielsweise existieren verschiedene Berichte über Cayara. Siehe Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 26f. 18 Ministerio Público, Relación de Presuntos Desaparecidos. Estado de la Investigación, in: Gorriti, Colección Gorriti, Grupo B, Box 4, F4. 19 Burt, Political Violence, 63.

4. Die Akteure des Staatsterrors

Effekt daraus war die de facto zunehmende »Abdankung«20 des demokratischen Systems bei Fortbestand der de jure demokratischen Grundordnung.21 Die demokratisch gewählten Präsidenten hatten weder eine klare Vorstellung, wie der Kampf gegen die Subversion geführt werden sollte, noch konnten sie die Kontrolle über das Handeln des Militärs bewahren. Vielmehr schufen sie den staatlichen Sicherheitskräften große Spielräume, die im Verlauf des Krieges weiter ausgebaut wurden. Zwar änderte sich dies unter García für einen kurzen Zeitraum: Er versuchte, Militärangehörige wegen des Massakers in Accomarca zu belangen, reformierte die Polizei und bildete 1987 ein Verteidigungsministerium aus dem Ministerium der Luftwaffe, des Heeres und der Marine, welches unter ziviler Kontrolle stehen sollte.22 Trotzdem führte dies nicht zu einem grundlegenden Wandel, da auch er das Militär brauchte, wie die Massaker in den Gefängnissen in Lima 1986 offenbarten. Auch García gestand ihnen gewisse Rechte zu, die er aus Angst vor einem Putsch erweiterte, indem er bspw. die Zuständigkeit des Militärgerichtes ausbaute.23 Während die Unterschiede zwischen dem Staatsterror des Conosur und dem peruanischen Fall häufig mit dem Hinweis auf die Differenz im System begründet werden, geht diese Untersuchung eher davon aus, dass bereits vor 1992 die Demokratie erodierte und die Politisch-Militärischen-Kommandos die Entscheidungshoheit in den Gebieten des Ausnahmezustandes hatten und damit durchaus Parallelen zu den Fällen des Conosur zu ziehen sind. Wie Masterson sagt, »los militares actuaban casi con total autonomía política en doce provincias de la sierra central«.24 Der Staat organisierte die Gewalt also nicht, indem er klare Anweisungen gab und demokratische Kontrollmechanismen nutzte. Vielmehr schufen die verschiedenen Präsidenten Freiräume und das Militär gewann durch seine Rolle im Kampf wieder politischen Einfluss. Gorriti spricht gar davon, dass sich einzelne kleine Diktaturen in den Zonen des Ausnahmezustandes etablierten, deren Charakter je nach Ort und Personal variierte.25 Die Angehörigen des Militärs waren somit der entscheidende Akteur des Staatsterrors. Bevor beleuchtet wird, wie sie sich in den Zonen des Ausnahmezustandes organisierten, Operationen planten sowie legitimierten und welche Vorstellung der Subversion in der Institution dominierte, präsentiert die Arbeit wesentliche Anmerkungen zu einem weiteren staatlichen Akteur – der Polizei. 20 So äußerte sich Americas Watch bereits 1984 über die demokratische Autorität. Siehe: Degregori, Perú 1980-1993, 7. 21 Terry, Constitución. 22 Daniel Masterson, Fuerza Armada y Sociedad en el Perú Moderno: Un Estudio sobre Relaciones Civiles Militares 1930-2000. Lima 2001, 383. 23 Degregori, Perú 1980-1993, 12. 24 ÜBERSETZUNG: »die Militärs handelten nahezu mit einer totalen Autonomie in zwölf Provinzen des zentralen Hochlandes.« Masterson, Fuerza Armada, 395. 25 Gorriti, Ideología, 98f.

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4.2.

Die Polizei – Rolle und Einfluss

Die peruanische Polizei war vor allem in den ersten beiden Jahren der Hauptakteur im Kampf gegen die Subversion. Sie unterstand dem Innenministerium und untergliederte sich zu diesem Zeitpunkt in drei Sektionen: Die Guardia Civil (GC), die Policía de Investigaciones de Perú (PIP) und die Guardia Repúblicana (GR). Drei Oberste aus je einer der Abteilungen bildeten den Estado Mayor, der das operative Kommando in der Zone des Ausnahmezustandes innehatte. In Ayacucho verhängte der Präsident diesen das erste Mal am 12.10.1981. Zunächst wurden 193 zusätzliche Polizisten in den Kampf gegen die Subversion entsandt, wobei ca. 40 den sogenannten sinchis angehörten.26 Nach anfänglichen Erfolgen, die vor allem aus einigen Festnahmen sowie Konfiszierungen von Material bestanden,27 mussten die Polizeieinheiten schnell Rückschläge hinnehmen. Sie konnten die Sabotageakte und die Ausbreitung der Aufständischen nicht verhindern und fielen selbst – als das sichtbare Zeichen des Staates im Hochland – den senderistas zum Opfer. Im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad lagen die Hauptprobleme der Polizei in internen Streitigkeiten, Korruption, schlechter Ausrüstung, mangelnder Kenntnis des Feindes und eigenen Verbrechen gegen die Bevölkerung in Ayacucho.28 Das Ministerio Público berichtete 1982 bspw. von Alkoholmissbrauch von Angehörigen der sinchis, sowie von Verführung junger Frauen und Gewalteinsatz.29 Trotz einer materiellen Unterstützung durch das Militär blieb die Ausstattung der Polizei schlecht. Ihr fehlten vor allem ausreichend Transportmittel und eine moderne Bewaffnung. Diese Situation verschärfte sich zusätzlich dadurch, dass die Polizeistationen Ziel von Angriffen des Leuchtenden Pfads wurden, wobei häufig Material erbeutet werden konnte.30 Obwohl 1981 eine eigene Gruppe zur Geheimdienstarbeit (Dirección Contra el Terrorismo/DIRCOTE/Direktion gegen Terrorismus) gegründet wurde, schätzten die Polizeikräfte den Gegner falsch ein. Sie nahmen ihn als Guerilla nach kubanischem Vorbild wahr und sahen ihn als international vernetzten Akteur. Zudem stellte der Kampf im Hochland für viele – vor allem die sinchis – eine Begegnung mit dem »Anderen« dar. Die in großer Zahl von der Küste stammenden Polizisten hatten nicht nur Vorurteile gegen die indigene Bevölkerung des Hochlandes, sondern begingen außer26 CVR, Informe Final. Fuerzas Policiales, 140ff. Diese Sondereinheit der GC bildete sich für den antisubversiven Kampf bereits Ende der 1960er Jahre. Mitglieder wurden auch in der Schule der Amerikas ausgebildet. 27 Gorriti, The Shining Path, 144. 28 CVR, Fuerzas Policiales, 139ff. 29 Ministerio Público, Informe del Ministerio Público sobre la Situación Subversiva, 1982, in: Gorriti, Colección Gorriti, Grupo B, Box 2, F.1. 30 Gorriti, The Shining Path, 55.

4. Die Akteure des Staatsterrors

dem zahlreiche Menschrechtsverbrechen.31 In der Bevölkerung resultierte daraus die Wahrnehmung der Polizei als eine Besatzungsmacht.32 Sie nutzten die entstehenden Konflikte zwischen Bevölkerung und Leuchtendem Pfad nicht aus. Die sinchis sorgten vielmehr dafür, dass er durch ihre Brutalität für Teile der Bevölkerung »zum geringeren Übel« wurde.33 Im Verlauf des Jahres 1982 verdeutlichte insbesondere die bereits erwähnte große Befreiungsaktion des Gefängnisses in Huamanga die Macht des Leuchtenden Pfades. Sie offenbarte zudem die Machtlosigkeit der Polizei, die diese Aktion nicht verhindern konnte.34 Obwohl sie die Zonen in fünf Sektoren teilten und Patrouillen zur Überwachung etablierten,35 schafften sie es nicht, die Region unter Kontrolle zu bringen. Es ist davon auszugehen, dass Präsident Belaúnde angesichts dieser neuen Dimension der Gewalt zum Entschluss kam, dass die Polizei allein die Subversion nicht besiegen könne und es nötig sei, das Militär in das Hochland zu entsenden.36 Er übergab Ende 1982 die Befehlsgewalt über die Zonen des Ausnahmezustandes an das Militär, was nach der Verfassung bedeutete, dass die Polizei sich dem »Comando Político Militar« (Politisch-Militärischen Kommando) unterordnen musste. Dies führte zu gemischten Patrouillen und Abstimmungstreffen, aber auch dazu, dass die Polizei für Operationen eine Erlaubnis durch das Militär einholen musste, welches den Polizeikräften in Teilen mit einem hierarchischen Denken gegenübertrat.37 Trotz dieser untergeordneten Position spielten die verschiedenen Polizeieinheiten weiterhin eine Rolle im antisubversiven Kampf. Neben den Einheiten, die im Hochland aktiv blieben und dort an zahlreichen Aktionen partizipierten, gewann die DIRCOTE (später DINCOTE) an Bedeutung. Vor allem in Lima, wo die senderistas in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre vermehrt Aktionen durchführten, konnte diese Gruppe zahlreiche Erfolge verzeichnen. Die Festnahmen von bedeutenden Mitgliedern des Leuchtenden Pfades sowie die Konfiszierung von Material führten dazu, dass zunehmend Informationen über die Aufständischen gesammelt und ein klareres Bild der Subversion gezeichnet werden konnte. Die Polizei bildete jedoch nicht nur neue Einheiten, die genannten Problemen entgegenwirken sollten, sondern wurde in ihrer Gesamtheit umstrukturiert. Der neue Präsident Gar31 Ein Beispiel siehe: Olga M. Gonzáles, Unveiling Secrets of War in the Peruvian Andes. Chicago 2011, 42. 32 CVR, Fuerzas Policiales, 152. 33 CVR, Fuerzas Policiales, 148. Bliesmann de Guevara, Die langen Schatten, 62. 34 Der Begriff Aktion ist eine Übersetzung von acción. Das spanische Wort bezieht sich in Verbindung mit Militärs auf Hinterhalte, Überfälle etc. und ist damit weniger neutral als das deutsche Wort besetzt. Da es ein Quellenbegriff ist, nutze ich jedoch die nahe Übersetzung »Aktion«. 35 Gorriti, The Shining Path,143f. 36 CVR, El Gobierno de Acción Popular, 19. 37 CVR, Fuerzas Policiales, 196.

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cía begann 1985 mit einer ambitionierten Umstrukturierung der Polizei, die 1988 in einem Zusammenschluss der drei Sektionen als »Policía Nacional de Perú« (Nationalpolizei Peru) mündete. Dieser Prozess zielte neben einer Bekämpfung von Korruption sowie einer Vereinheitlichung auf eine Stärkung der Polizei ab. Dies ging mit einer Vergrößerung der DIRCOTE einher, die nun über 1.000 Mitarbeiter in acht verschiedenen Gruppen umfasste und sowohl Informationen über den Leuchtenden Pfad als auch die MRTA sammelte, welche sie aus Abhöraktionen sowie aus Befragungen von Gefangenen generierten. Nach Aussagen von Zeug*innen gingen diese nicht selten mit Folter einher.38 Unter Fujimori spielte die Stärkung der Polizei hingegen kaum eine Rolle. Er versuchte vielmehr, sie stärker zu kontrollieren und zentralistisch aufzubauen. Befugnisse räumte er eher dem Militär ein. Durch das Dekret 744 regelte Fujimori,39 dass er den Chef der Polizei einsetzen konnte und machte die DIRCOTE zu einem zentralen Organ der Policía Nacional, was zur Umbenennung in DINCOTE (Dirección Nacional Contra el Terrorismo/Nationale Direktion gegen den Terrorismus) führte. Sie gewann an Bedeutung, da sie durch Beschlagnahmungen viele Erkenntnisse generieren konnte und letztlich vor allem deshalb, weil es einer Untergruppe der GEIN (Grupo Especial de Inteligencia/Spezialeinheit des Geheimdienstes) im September 1992 gelang, Abimael Guzmán und weitere wichtige Mitglieder des Leuchtenden Pfades festzunehmen.40 Aufgrund der eben skizzierten Rolle lässt sich die Polizei durchaus als ein wichtiger Akteur im Kampf gegen die Subversion beschreiben, jedoch nicht als Hauptakteur. Sie waren für nur ca. 6,6 % der Opfer verantwortlich und standen ab 1983 zunehmend unter der Kontrolle sowie dem Einfluss des Militärs, die die Führung in den Zonen des Ausnahmezustandes übernahmen.41 Zudem ist durchaus hervorzuheben, dass sich vor allem die Sondereinheit der sinchis zahlreicher Verbrechen schuldig machte und die Polizei neben ihrer Rolle als Opfer der Attentate des Leuchtenden Pfades durchaus Täter war.42

4.3.

Das Militär – der staatliche Gewaltakteur?

Das Militär nahm die maßgebliche Rolle im Kampf gegen die Subversion ein. Deutlich wird dies bspw. an der Zahl der Opfer, die sich auf über 20.000 beläuft, was ca. 38 Fuerzas Policiales, 164f. 171f. 186f. 233. 39 Presidente de la República, Decreto Legislativo 744, 13.11.1991, in: www.leyes.congreso.gob.pe/Documentos/DecretosLegislativos/00744.pdf, [zuletzt eingesehen am 27.07.2018]. 40 CVR, Fuerzas Policiales, 221f. 41 CVR, Fuerzas Policiales, 232. Die Arbeit belässt es bei der Darlegung dieser wesentlichen Informationen und konzentriert sich folgend auf die Streitkräfte. 42 Gorriti, The Shining Path, 145f.

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26 % der ca. 70.000 Toten entspricht.43 Um die Gewaltsituationen, die im fünften Kapitel analysiert werden, einordnen und verstehen zu können, widmet sich dieser Teil den Charakteristika der Streitkräfte. Er beschreibt den Handlungsrahmen der Täter, indem folgende Faktoren thematisiert werden: Hierarchien, Pläne und Befehle sowie Wahrnehmungen, Deutungen und Feindbilder.44 Herausgearbeitet werden diese Aspekte anhand von Sekundärliteratur sowie wichtiger Primärquellen. Vor allem die Hand- und Ausbildungsbücher, aber auch die Interviews in Zeitungen und vor der Wahrheitskommission sowie letztlich die Personalbögen bilden die Grundlage der folgenden Darstellung.45 Neben einer Charakterisierung ist dabei das Hauptziel, die Voraussetzungen zu ergründen, unter welchen sich die Angehörigen des Militärs in die Gewaltsituationen begaben.

4.3.1.

Geschichte und Organisation des Militärs

Das peruanische Militär hat sich, ähnlich wie andere Streitkräfte des lateinamerikanischen Kontinents, im Verlauf des 20. Jahrhunderts professionalisiert.46 Zusätzlich zu seiner Rolle als Verteidiger der Nation gegen äußere Feinde nahm es sich als politische Kraft mit entsprechenden Kompetenzen wahr. Sowohl militärische Staatsstreiche als auch Militärregierungen in Peru, wie bspw. zwischen 19481956 oder 1968-1980, belegen dies.47 Die Rolle des Militärs im Bürgerkrieg hängt ebenfalls mit dieser Entwicklung zusammen. Ein wesentlicher Aspekt der Modernisierung des peruanischen Militärs im 20. Jahrhundert war die Gründung des Centro de Altos Estudios Militares (CAEM/Zentrum für höhere Militärstudien) im Jahr 1950, das neben der Escuela Superior de Guerra (ESG/Höhere Kriegsschule) prägend für die Ausbildung peruanischer Militärs war. Sie trugen zur Bildung einer militärischen Doktrin bei, wenngleich sie innerhalb der Institution unterschiedliche Denkschulen ausbildeten. Dies äußerte sich bspw. während der Militärdiktatur der 1960er und 1970er Jahre in Streitigkeiten über den Reformkurs. »Así, en un sentido esquemático, podría aseverarse que la tradición generada desde el CAEM dio más importancia a los aspectos ligados al desarrollo, mientras que el grupo 43 CVR, Rostros y Perfíles, 182. 44 Insbesondere bei den Wahrnehmungen kann nur eine Annäherung stattfinden, da diese nur schwer aus Quellen zu rekonstruieren waren. 45 Siehe Forschungsstand in 1.3. 46 Gorriti, Ideología, 4. Eine Beschreibung dessen findet sich auch bei Riekenberg, Geteilte Ordnungen, 111ff. 47 Toche, Guerra y Democracia, 87, 103. Gorman, Antipolitics 300.

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de inteligencia formado en la Escuela Superior de Guerra consideró que era más bien la seguridad lo que debía resaltarse.«48 Neben diesen Unterschieden ist bei beiden Einrichtungen sowohl ein französischer als auch ein nordamerikanischer Einfluss zu erkennen, wobei die Sichtweisen zunehmend auf die peruanische Realität übertragen wurden.49 Eng verbunden mit der Sicherheitsdoktrin, die im Folgenden nochmals genauer beleuchtet wird,50 entwickelten die Streitkräfte die Idee, dass die militärische Bildung Jugendlicher sowie der verpflichtende Militärdienst nicht nur zur militärischen Schulung diene, sondern ferner das Nationalgefühl stärke. Während für die Kinder und Jugendlichen neben körperlicher Ertüchtigung vor allem die Entwicklung eines patriotischen Denkens vordergründig war, zielte der Militärdienst insbesondere auf die »Zivilisierung der Indios«51 ab. Außer der Stärkung der Institution und Ausbildung von Soldaten sollte der Militärdienst also integrative Funktionen erfüllen.52 Das Militär sah sich somit keinesfalls nur als Verteidiger sondern auch als Entwickler der Nation. Diese starke Verwobenheit von Militär und Politik manifestierte sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts an verschiedenen Stellen. Bereits die Verfassung von 1933 machte sie offenkundig, da dem Militär dort »el cumplimiento de la Constitución y las leyes«53 als Aufgabe übertragen wurde.54 Besonders trat sie aber während des reformistischen Militärregimes der 1960er und 1970er Jahre in Erscheinung. Unter Velasco trugen die Mission einer nationalen Entwicklung sowie eine christliche Doktrin seine Politik und waren Grundlage seiner Maßnahmen.55 Eduardo Toche kommt daher zu der These, dass in Peru eine Militarisierung des Staates mit einer Professionalisierung des Militärs einhergegangen ist, die letztlich zu einer Stärkung der Nation führen sollte.56 48 Toche, Guerra y Democracia, 144. ÜBERSETZUNG: »Also, in einem schematischen Sinne könnte man behaupten, dass die von der CAEM hervorgebrachte Tradition, den mit der Entwicklung verbundenen Aspekten eine größere Bedeutung beimaß, während die Geheimdienstgruppe, die in der höheren Kriegsschule ESG ausgebildet wurde, erwog, dass es vielmehr die Sicherheit sei, die man betonen sollte.« 49 Toche, Guerra y Democracia, 123ff. Gorriti, Ideología, 84ff. 50 Sie wurde bereits in Abschnitt 3.1 angedeutet. Hier wurde auch der internationale Einfluss aufgezeigt. 51 Toche, Guerra y Democracia, 152. 52 Ebd. 66f. 152. 53 ÜBERSETZUNG: »Erfüllung der Verfassung und der Gesetze.« Consitutución Política del Perú (1933), Artículo 213, in: http://www4.congreso.gob.pe/historico/quipu/constitu/1933.htm, [zuletzt eingesehen am 30.11.2016]. 54 Jaime Raúl Castro Contreras, Fin del Poder Arbitral de las Fuerzas Armadas y Establecimientos de Controles Democráticos. Lima 2010, 23. 55 Masterson, Fuerza Armada, 347. 56 Toche, Guerra y Democracia, 149.

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Trotz der Transition zur Demokratie 1980, die das Militär selbst einleitete, nahm es sich fortan als politischen Akteur wahr. Anfang der 1980er Jahre war die Institution in drei Teile gegliedert: die Marine, die Luftwaffe und das Heer.57 Wenngleich das Heer die entscheidende Rolle im Kampf gegen die Subversion spielte, befanden sich auch beide anderen Sektionen im Konflikt mit den Aufständischen. Vor allem die Marine nahm dabei eine besondere Stellung ein und galt als brutaler und im besonderen Maße rassistischer Akteur.58 Erst im Jahr 1987 gründete García das Verteidigungsministerium, welches alle drei Abteilungen umfasste. Diese Vereinigung beschreibt die Literatur jedoch eher als eine bürokratische, denn als eine tatsächliche.59 Da im Folgenden das Heer – trotz gemeinsamer Aktionen und Kooperationen – im Vordergrund stehen wird, soll auch hier vor allem die Organisation dieses Teiles des Militärs beschrieben werden.60 Die Charakteristika, die Pläne und Operationen des Militärs differierten in den verschiedenen Zonen. So ist die Ausgestaltung des Ausnahmezustandes in Lima beispielweise nicht mit Ayacucho oder anderen Gebieten des Hochlandes zu vergleichen, da Maßnahmen wie Ausgangssperren dort nicht funktionierten.61 Diese Differenz liegt in der Beschaffenheit der verschiedenen Räume sowie in der Unterteilung des Landes in verschiedene Zonen, die dem Befehl unterschiedlicher Generäle unterstanden. Es existierte folgende Unterteilung: »Zonas de Seguridad Nacional (ZSN)/Nationale Sicherheitszone«, »Subzonas des Seguridad Nacional (SZSN)/Nationale Sicherheitssubzone« sowie »Areas de Seguridad Nacional (ASN)/Nationales Sicherheitsgebiet«. Das Department Ayachucho gehörte zur ZSN »Central«, zu der auch Lima und beispielsweise Ancash zählten.62 Sie stellte die zweite Militärregion dar und befand sich zu Beginn unter der Leitung des Generals Clemente Noel, der sein Hauptquartier am Rande der Stadt Huamanga in der Kaserne Domingo Ayarza 51 einrichtete.63 Der Oberbefehl lag theoretisch bei Präsident Belaúnde, de facto hatte jedoch der jeweilige Chef des PolitischMilitärischen Kommandos die Befehlsgewalt. Die Generäle, die diese Aufgabe 57 Ränge der Institutionen siehe: Comando Conjunto de las Fuerzas Armadas, Grados Militares, in: www.ccffaa.mil.pe/cultura-militar/grados-militares/, [zuletzt eingesehen am 25.07.2018]. 58 Die Marine kann hier nur gestreift werden, da es nicht genügend Quellen gibt, um intensiver auf sie eingehen zu können. Siehe: Coronel, Violencia Política, 42ff. 59 Burt, Political Violence, 62. 60 Schon seit den 1950er Jahren gab es das sogenannte Comando Conjunto, welches letztlich eine gemeinsame Planung und Organisation von Operationen vorsah. Dies fand auch statt, dennoch agierten die Sektionen auch autonom. Siehe: Comando Conjunto de las Fuerzas Armadas, Historia del CCFFAA, in: www.ccffaa.mil.pe/ccffaa/historia/, [zuletzt eingesehen am 03.07.2018]. Coronel, Violencia Política, 49f. 61 Burt, Political Violence, 56f., 67. 62 Ministerio de Defensa, Coordinación de Planes. Lima 1986, Anexo 5. Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Contrasubversión. Lima 1989, 52ff. 63 Comisión Permanente, En Honor, 51.

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erfüllten, wechselten jährlich und prägten mit ihren Haltungen das Vorgehen der Streitkräfte der jeweiligen Zone. Die Rolle der Generäle war also nicht nur durch ihre Befehlsgewalt groß, sondern auch durch die Weitergabe ihrer Anschauungen an die Truppen. Während bspw. General Noel als Verfechter des »dirty war« galt,64 stellte sein Nachfolger General Huamán, der selbst aus dem Hochland stammte, die Forderung, sowohl militärische als auch politische und soziale Lösungen des Konfliktes zu entwickeln. Damit konnte er sich zunächst nicht durchsetzen und seine Nachfolger brachten wiederum ihre eigenen Schwerpunkte in den antisubversiven Kampf ein.65 Neben dem jährlichen Wechsel der Generäle war der Austausch der Einheiten nach 90 Tagen vorgesehen, um so psychischen Belastungen vorzubeugen.66 Trotz des gemeinsamen Gremiums, das an zentraler Stelle Pläne vorgeben sollte, diente die Unterteilung der Zone einem dezentralen Funktionieren. Ausgehend vom Hauptquartier richtete das Militär weitere »Bases de Contrasubversión« (Kontrasubversive Basen) sowie kleinere Kontrollpunkte ein. Bis 1984 stieg die Zahl der Basen auf ca. 60 an.67 Dieses dezentrale Vorgehen war aus Sicht des Militärs nötig, um der Größe des Territoriums Herr zu werden. Außerdem war es dadurch bedingt, dass die verschiedenen Gruppen der Polizei sowie des Militärs zwar prinzipiell kooperierten und teilweise gemeinsame Operationen planten, dennoch nicht in Gänze zentral zu leiten waren.68 Exemplarisch ist dies an der Region Huanta zu sehen, in der die Marine stationiert war und ein weitgehend autonomes Vorgehen entwickelte.69 Den einzelnen Patrouillen der verschiedenen Stützpunkte kam eine besondere Rolle zu, da sie die Aufgabe hatten, die Kontrolle wiederherzustellen, gemäß den Vorgaben zu handeln, aber auch situativ Entscheidungen zu treffen. Nach Angaben der APRODEH gab es 1984 bereits 1.875 solcher Patrouillen in Ayacucho.70 Sie umfassten ca. 20 Mann. Pro Stützpunkt gab es meist drei Patrouillen, wobei eine unterwegs war, eine den Stützpunkt sicherte und eine ausruhte.71 General Huamán Centeno gab an, dass ca. 50-60 Patrouillen in 24 Stunden unterwegs gewesen seien, um die Bevölkerung zu schützen.72 64 Obando, Civil-Military Relation, 388. 65 Mauceri, Military Politics, 98. 66 Ejército Peruano. Escuela Superior de Guerra, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 214. 67 CVR, Fuerzas Armadas, 264. 68 Carlos Arnaldo Briceño Zevallos, Diligencia de Continuación de Declaración Instructiva, Juez Penal Supraprovincial Especializado en Delitos de Derechos Humanos y Terrorismo 2006, 1-6, in: Sala Penal Nacional, Caso Los Cabitos, Exp. 35.06. 69 Coronel, Violencia Política, 48f. 70 APRODEH, Cuartel Los Cabitos. Lugar del Horror y Muerte, Lima 2014, 20. 71 CVR, Entrevista a Wilfredo Mori Orzo. Accomarca 2003, 141. 72 Huamán Centeno, Carta a CVR/Salomón Lerner, 22.08.2003.

4. Die Akteure des Staatsterrors

Abseits der strategischen Untergliederung der Region kategorisierte das Militär die Zonen hinsichtlich der Verbreitung des Leuchtenden Pfades: in rote, rosa und weiße Gebiete.73 Diese Einteilung steht in enger Verbindung mit der Charakterisierung des Feindes und hat Einfluss auf die Planung der Operationen und das Vorgehen des Militärs.

4.3.2.

Der Subversive – der Feind ohne Gesicht

»Así se delimitarían los espacios ›amigos‹ y los ›enemigos‹, intensificando la polarización, y manteniendo la simpatía de los adherentes de ambos lados.«74 Trotz der zusätzlichen Kenntnisse und einer Präzisierung des Feindbildes bleibt eine Dichotomisierung, wie sie das Zitat andeutet, während des gesamten Konfliktes bestehen. In diesem Abschnitt sollen diese Aufteilung und Zuschreibung sichtbar gemacht werden. Dafür wird rekonstruiert, wie das Militär den Feind begriff, mit welchen Attributen sowie Eigenschaften dieser charakterisiert wurde und wie sich die staatlichen Sicherheitskräfte von ihm abgrenzten. Neben dem Feindbild behandelt dieses Unterkapitel also das Selbstbild des Militärs, beschreibt Denkmuster sowie Sichtweisen. Zur Beantwortung der Ausgangsfragen sind beide Aspekte von Bedeutung, da die Genozidforschung insbesondere der Art der Feindbildkonstruktion, wie bereits beschrieben, einen hohen Stellenwert beimisst.75 Zudem kann so annäherungsweise nachvollzogen werden, unter welchen Voraussetzungen sich die Militärangehörigen in die Gewaltsituationen begeben haben. In der Konstruktion des Feindbildes kommen in Peru einerseits Charakteristika des Gegners zum Tragen. Andererseits unterliegt sie ideologischen und machtpolitischen Einflüssen. Die Anfangsphase des Konfliktes macht diese Mischung besonders deutlich, da das Militär ohne genaue Kenntnis des Gegners diesen als Teil des internationalen Kommunismus stilisierte und ihn unter der Kategorie »Subversive« subsumierte. Hier ist ein klarer Einfluss der Geschichte des peruanischen Militärs sowie der »National Security Doctrine« zu erkennen.76 Trotz genauerer Erforschung des Leuchtenden Pfades durch das Militär ändern sich diese beiden Zuschreibungen kaum, differenzieren sich nur aus und werden mit weiteren Merkmalen gefüllt. Zunächst schätzen die staatlichen Sicherheitskräfte den Leuchtenden Pfad 73 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 42f. 74 ÜBERSETZUNG: »So würden sie die Räume ›Freunde‹ und ›Feinde‹ abgrenzen, die Polarisierung intensivieren und die Sympathie der Anhänger beider Seiten aufrechterhalten.« Toche, Guerra y Democracia, 222. 75 Kürşat-Ahlers, Über das Töten, 189. Welzer, Täter, 210. 76 Toche, Guerra y Democracia, 100, 124. Die Vermutung einer internationalen Vernetzung findet sich auch in: Centro de Altos Estudios Militares (CAEM), Planeamientos, Doctrinarios y Metodológicos de la Defensa Nacional. Planeamiento Estratégico para la Defensa Nacional, Lima 1982, 58.

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aufgrund der kubanischen Revolution und Geschichte Perus als Guerilleros ein, wobei sich dann die Vorstellung durchsetzt, dass er eher als Terrororganisation einzustufen ist.77 Das Militär spricht seinem Gegner dabei gewisse Vorteile zu, auf die es reagieren muss: Die subversiven Einheiten könnten auf eine gute Organisation und einen hohen Grad an Identifikation zurückgreifen. Ihre Mitglieder kämen in Teilen aus der Bevölkerung und seien fanatisch. Außerdem würden sie die Umgebung kennen und seien gut indoktriniert. Sie erachten sie außerdem als grausam und von einem Glauben in die Sache beseelt. Nachteile sehen die Militärs in der Abhängigkeit von der Bevölkerung.78 Diese Sichtweise ist durchaus leitend für die Pläne sowie Aufgaben der Patrouillen und wird auch in der Einschätzung der Bevölkerung spürbar. Ein Handbuch von 1988 spricht zum Beispiel davon, dass die Bauern tagsüber friedliche Bauern, nachts jedoch grausame Guerrilleros seien.79 Von Vorurteilen und dieser Einschätzung der Bevölkerung berichtete bereits 1986 die Zeitschrift Quehacer: »No exageremos en decir que existe un a priori racista en juego. El militar está persuadido de representar la civilización allí donde los campesinos aparecen como atrasados e incultos. Por otro lado son percibido como delincuentes potenciales.«80 Im Interview mit der Wahrheitskommission hatte ein General die Mitglieder des Leuchtenden Pfades sogar als blutrünstig (sanguinario) bezeichnet und ebenfalls die besondere Relation zwischen Subversion und Bevölkerung hervorgehoben.81 Dies findet sich auch in späteren Manualen und Ausbildungsbüchern, die außerdem die Kenntnis über den Aufbau des Leuchtenden Pfades sowie seine Ausrichtung enthalten. Sie kennen nicht nur die besondere Rolle des Anführers Guzmán und die maoistische Doktrin, sondern umfassen Organigramme des Leuchtenden Pfades sowie Charakterisierungen. Deutlich wird dabei, dass sie den Leuchtenden Pfad als gut organisiert und mächtig einstufen und vor allem Jugendlichen eine besondere Position einräumen. Letzteres illustriert folgendes Zitat aus einem Handbuch von 77 Comisión Permanente, En Honor, 1. 78 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, (1980), 290. CCFFAA, CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE-01, Anexo 01, Lima 1989, 1. 79 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guía para el Combatiente en la Zona de Emergencia, Lima 1988, 26. 80 ÜBERSETZUNG: »Wir übertreiben nicht, wenn wir sagen, dass ein rassistisches a priori im Spiel existierte. Das Militär ist überzeugt, die Zivilisation dort zu repräsentieren, wo die Bauern als rückständig und ungebildet erscheinen. Auf der anderen Seite werden sie als potenzielle Straftäter wahrgenommen.« Quehacer, Los Derechos Humanos en el Perú. Comisión Pérez Esquivel: Un Dramático Llamado, Lima 1986, 35. 81 CVR, Entrevista a General EP Wilfredo Mori Orzo. Accomarca 2003, 140.

4. Die Akteure des Staatsterrors

1989: »Suele ser joven, hombre o mujer, cuya edad fluctúa entre los 18 a 30.«82 Sie gehen darüber hinaus davon aus, dass Kinder eingesetzt würden, um Sicherheitskräfte in Hinterhalte zu locken oder Alarm auszulösen. Der Leuchtende Pfad hätte außerdem Informanten, agiere arbeitsteilig und nutze Pseudonyme.83 Das Erkennen von Angehörigen des Leuchtenden Pfades empfanden die Militärangehörigen als schwierig: Nicht nur, weil sie den Gegner als Feind »sin rostro (ohne Gesicht)« – also unter die Bevölkerung gemischt – einschätzten, sondern auch, da die Mitglieder sich angeblich verkleiden würden. Sie würden traditionelle Trachten oder auch Bärte und Perücken tragen, um eine Identifikation zu erschweren. Hinzukommt, dass sie auf andere Wahlbescheinigungen zurückgreifen würden, um den Registrierungen und Kontrollen entgehen zu können.84 Diese Beschreibung erklärt, warum das Militär besonders misstrauisch gegenüber der Bewohner im Hochland war, die auch verdächtig werden konnten, wenn sie flohen oder nach der Sperrstunde umhergingen.85 Sie gibt aber auch Hinweise auf Rechtfertigungen, die das Militär etablierte und heute noch zur Legitimation anführt. Der Grad zwischen Wahrnehmung, Ängsten und Legitimation verschwimmt in diesen Fällen. In anderen werden die Sichtweisen deutlicher.86 In den Jahren um 1983 entstand das Wort »terruco«, welches die staatlichen Sicherheitskräfte an Stelle des Wortes »terroristas« zu nutzen begannen. Diese Wortschöpfung entwickelte sich zu einer Stigmatisierung, die auf die Subversiven, Indigenen und in Teilen auf Menschrechtsorganisationen sowie Journalisten angewendet wurde und Eingang in den Sprachgebrauch fand. Sowohl die testimonios als auch die Literatur verdeutlichen eine rassistische Dimension: »Ser ayacuchano era ser terruco«87 Mit diesem Begriff gingen Attribute wie »gewaltsam«, »irrational«, »fanatisch« und »antipatriotisch« einher. Sie dämonisierten den Feind und stellten einen Gegensatz zur Haltung des Militärs als Verteidiger der Nation dar.88 Der 82 ÜBERSETZUNG: »Er ist normalerweise jung, Mann oder Frau, dessen Alter zwischen 18 bis 30 schwankt.« Ejército Peruano, Guerra no Convencional, 109. Diese Haltung findet sich auch in: CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE-01, Anexo 01, Lima 1989, 2. 83 Ejército Peruano, Guía para el Combatiente, 27f. 84 Ministerio de Defensa, Guerra no Convencional, 109f. 85 CVR, Entrevista a Luis Pérez Documet, 38. Kausachum, Nos Obligan a Matar, 16. Juli 1983, 12-13. Kausachum, La Orden Era Matar a Todo Sujeto Después de las 10 de la Noche, 16. Juli 1983, 14. 86 Die Arbeit behauptet nicht, dass alle Soldaten diese Denkweisen in gleichem Maße verinnerlichten. Sie zeichnet vielmehr nach, was die Wahrnehmung prägen konnte. Es ist davon auszugehen, dass dies einen Einfluss auf zahlreiche Militärangehörige hatte, die durch die Institution indoktriniert wurden. 87 ÜBERSETZUNG: »Bewohner Ayacuchos zu sein, hieß ›terruco‹ zu sein.« Carlos Aguirre, Terruco de M…Insulto y Estigma en la Guerra Sucia Peruana, in: Historica 19, 2011, 121. 88 Auf die Rolle als Verteidiger der Nation verweist auch das Interview von General Guillermo Monzón, in: Caretas, La Versión de Monzón, Februar 1986, 24-28 sowie Julián Juliá in: Quehacer, El Pensamiento de las Fuerzas Armada en la Presente Coyuntura, 1985, 10-13.

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Begriff »terruco« war zwar vor allem im Militär verbreitet, fand aber auch darüber hinaus Anwendung. Der Autor Carlos Aguirre argumentiert zudem, dass er nicht nur eine Beleidigung war, sondern zu einer Dehumanisierung und realen Taten führte, sind doch bspw. indigene Frauen häufig vergewaltigt und mit dem Titel terruca beschimpft worden.89 Die besondere Bedeutung offenbaren ebenso für diese Arbeit gesichtete Quellen, in denen dieses Wort häufig zu finden und ein beleidigender Charakter sowie rassistischer Unterton festzustellen ist.90 Die offizielle Stellungnahme des Militärs spricht zwar nicht von »terruco«, betont jedoch, dass der Unterschied zwischen Terrorist und Guerillero mehr ist, als ein semantischer. Während sie mit dieser Aussage eher eine Rechtfertigung nahelegen, deutet sie doch an, dass die Begriffe und Kategorisierungen eine Bedeutung für das Militär hatten.91 Darüber hinaus können Lieder von Militärangehörigen illustrieren, welche Haltung sie gegenüber den terrucos einnahm, so heißt es, bspw.: »terruquitos no se escondan quiero verlos en la fosa«92 oder »Terruquito si te encuentro comeré tu cabeza.«93 Die Lieder stimmten nicht nur auf den Kampf ein, sondern heben dieses Feindbild heraus, welches hier eindeutig mit einem Tötungswunsch verbunden wird. Weitere Quellen belegen, dass die Militärs den Feind – »den Anderen« – negativ besetzten, seine Macht betonten und sein Dasein delegitimierten. Er befand sich außerhalb der Nation und stellte das Gegenteil der eigenen Werte dar.94 Toche behauptet außerdem, dass der Subversive ebenfalls als das Unnormale, Barbarische und Wilde erachtet wurde.95 Diese Aussagen erinnern an den »Homo sacer«, den Agamben in seinem Werk »Souveräne Macht und das nackte Leben« beschreibt. Der Begriff geht auf die Antike zurück und wird von Agamben als Leben begriffen, das zwar tötbar, aber nicht opferbar ist. Der »Homo sacer« kann sich nicht auf gültige Rechtsnormen beziehen und erscheint aus der Gesellschaft exkludiert.96 Im peruanischen Fall sind durchaus Analogien zu erkennen, die sich nicht nur in diskursiven Aspekten, sondern auch im Vorgehen gegen die Subversiven offenbaren. Sowohl noch zu beschreibende Gewalttaten als auch der juristische Umgang mit 89 Ebd. 123ff. 90 Exemplarisch Testimonios: 100169, 301010, 300034, 301030, 430122. 91 Comisión Permanente, En Honor, 7. 92 ÜBERSETZUNG: »Kleine terrucos versteckt euch nicht, ich will euch im Grab sehen.« Siehe Francisco Lombardi, Boca del Lobo, Peru 1988. 93 ÜBERSETZUNG: »Kleiner terruco, wenn ich dich treffe, werde ich deinen Kopf essen.« Siehe Gavilán, Memorias, 99. 94 Siehe exemplarisch: Centro de Altos Estudios Militares (CAEM), Planeamientos, Doctrinarios y Metodológicos de la Defensa Nacional. Planeamiento Estratégico para la Defensa Nacional, Lima 1982, 58. Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, (1980), 290. CVR, Entrevista a General EP Wilfredo Mori Orzo. Accomarca 2003, 140. 95 Toche, Guerra y Democracia, 100, 277. 96 Giorgio Agamben, Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Frankfurt a.M. 2002, 81-123. Als ein Beispiel führt er die Nazis an, die den Juden als »Homo sacer« begriffen.

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Terrorverdächtigen, die in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre keine fairen Verfahren bekamen, hingegen von Gerichten ohne Gesicht – also anonymen Richtern – verurteilt wurden,97 legen diese Interpretation nahe. Die Militärs begriffen die Subversiven als außerhalb der Nation und exkludierten sie semantisch sowie faktisch.98 Diese Sichtweise kann durchaus als leitend für das Vorgehen angenommen werden, wenngleich nicht jeder Soldat und jede Patrouille im gleichen Maße von dieser Denkweise überzeugt war. Sich selbst verstand und inszenierte das Militär als Gegenteil der Subversiven. Es begriff sich als Beschützer und Wiederhersteller der Ordnung und sah sich in Teilen als Entwickler der Nation. General Jarama verweist auf diese Rolle im Interview mit dem Kongress im Nachgang des Massakers von Accomarca, indem er sagt, dass der Staat die Streitkräfte nutzt »para restablecer el orden, para garantizar la seguridad.«99 Sie schrieben sich selbst dabei die Rolle des »Wir«, des »Guten« und der Nation zu und den Subversiven das »Die« und das »Böse«,100 welches das Vaterland gefährdet.101 Sie beanspruchten für sich folgende weitere Merkmale, die den Charakter der Institution veranschaulichen können: Neben Disziplin waren Gerechtigkeit, Erfindergeist, Beratungskompetenz, Professionalität, Erfüllung der Befehle, Dokumentation, Enthusiasmus und Moral u. a. in der Einschätzung ihrer Arbeit von Bedeutung.102 Zudem gab es Kategorien im »foja de servicio«, die Werte wie Loyalität, Mut, Bescheidenheit, Taktgefühl oder Bildung beurteilten. Die Soldaten und Offiziere wurden also indoktriniert sowie ausgebildet und zudem überprüft sowie hinsichtlich wesentlicher Aspekte bewertet. Diese Personalbögen bieten einerseits einen Einblick in Beurteilungen einzelner Militärangehöriger und geben andererseits Aufschluss darüber, was für die Institution wichtig war. Sie legen den hierarchischen Charakter offen und deuten auf einen gewissen Druck hin, der auf den Soldaten lastete. Zur Einschätzung des Selbstbildes ist des Weiteren interessant, dass an mehreren Stellen auffällt, dass das eigene Befinden, die persönlichen 97 Degregori, Perú 1980-1993, 25. 98 Burt, Jugando con la Política del Terror: El Caso del Perú de Fujimori, in: Debates en Sociología, 2006, 31. 99 ÜBERSETZUNG: »um die Ordnung wiederherzustellen, um die Sicherheit zu garantieren.« Entrevista a General Jarama, in: Comisión Investigadora de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Cuaderno 2, 17.09.1985. 100 Diese Haltung wird auch in Militärzeitschriften deutlich. Siehe exemplarisch: Actualidad Militar, Subversión. 8 Años después, 32f. 101 Siehe auch: Actualidad Militar, El Por Qué de Nuestra Lucha, (Jan./Feb.) 1989, 5. Caretas, Lo Peor Es no Hacer Nada, 03.04.1989, 16. 102 Siehe zur Bedeutung dieser Quellenart Kapitel 1.2. Auch in der Zeitschrift Actualidad Militar werden ähnliche Werte betont: Actualidad Militar, Soldado de la Disciplina y Orden, März 1988, 20. Siehe für Wichtigkeit der Stärkung der Moral auch: CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE01, Lima 1989, 2.

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Belange, unter die Bedeutung der Aufgabe – der Profession – gestellt werden sollten. Ganz ähnlich dem Leuchtenden Pfad diente dies zur Festigung der Gruppe, die eine loyale und überzeugte Einheit bilden sollte. Gerade Loyalität und Moral erschien dem Militär bedroht, da sie teilweise nicht gut ausgestattet lebten, für eine lange Zeit unterwegs waren und durch die Besonderheiten des Krieges unter Druck standen. Es galt daher, immer wieder die Gruppenmoral zu beschwören und den Soldaten ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln.103 Die Gruppe erzeugte jedoch nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl, sondern auch Zwang, was sich in Teilen in Gewaltanwendungen gegen Kameraden äußerte.104 Für Soldaten, die aus dem Hochland stammten, verschärfte sich diese Situation noch. Zum einen standen sie unter besonderer Beobachtung der Kollegen. Zum anderen mussten sie gegen die indigene Bevölkerung vorgehen. Sie trugen daher teilweise Masken, um sich besser abgrenzen zu können. »Anonymity, even when artificial, permits some distance between a fratricidal past and a haunted present and provides one way of managing painful proximity.«105 Das Militär nutzte dazu auch Pseudonyme und Verkleidungen, die zudem den Verdacht ablenken und die eigene Schuld vertuschen sollten. Diese sahen sie ohnehin nicht bei sich, sondern beim Leuchtenden Pfad,106 was ein bis heute verbreitetes Narrativ des Militärs ist.107 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Militär ein diffuses Feindbild erschaffen hatte,108 welches auf Gegner jeder Art ausgeweitet werden konnte. Häufig ging es mit rassistischen Merkmalen einher, jedoch auch der Beruf oder Jugendlichkeit konnten eine Rolle spielen, sodass ebenfalls Bauern, Lehrer*innen oder Studierende verdächtig wurden.109 Dieses Vorgehen beschreibt Robben für Argentinien als »Negation des Selbst« und will damit verdeutlichen, dass »das Andere« zum Feind wurde, wobei nicht nur dieser, sondern auch seine Sympathisanten und sogar die Unentschlossen vernichtet werden sollten. Für Peru ist diese Teilung in Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit ebenfalls erkennbar, wobei dem Feind folgende Attribute zugeordnet wurden: Er greift die Ordnung an, ist blutrünstig sowie mächtig – und häufig indigen. Das Militär hingegen schützt die (auch christlichen) Werte und die Rechtsordnung sowie Nation, aus der sie den Feind exkludierte. Für die Bevölkerung im Hochland bedeutete dies, nahezu einen Generalverdacht zu 103 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, 209. Ministerio de Defensa, Guerra no Convencional, 21. Ministerio de Defensa, Coordinación de Planes. Lima 1986. 104 Das Testimonio 100165 schildert einen Fall, in dem ein Soldat selbst Opfer von Folter durch das Militär geworden ist. 105 Theidon, Intimate Enemies, 384. 106 Burt, Jugando, 30. 107 Comisión Permanente, En Honor, 12f. 108 Im Hochland war es weniger diffus und richtete sich insbesondere gegen Menschen, die kein Spanisch verstanden, sowie gegen junge gebildete Indigene. 109 Siehe: CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE-01, Anexo 01, Lima 1989, 3.

4. Die Akteure des Staatsterrors

stehen. Die Menschen mussten sich klar zum Staat bekennen und die Spielregeln des Militärs befolgen, wollten sie nicht selbst zum Opfer werden.

4.3.3.

Guerra no convencional. Strategien, Pläne und Rechtfertigungen

»Sin una estrategia adecuada, sin un perfil claro del enemigo a enfrentar, las FFAA optaron por buscar una victoria rápida poniendo como eje la lucha militar. El ejemplo de sus homólogos del Cono Sur y la doctrina de Seguridad Nacional, así como las brechas étnicas existentes en el país, influyeron en su accionar, en sus relaciones con la población ayacuchana y en su desinterés por el respeto a los Derechos Humanos. Pero los resultados de la ofensiva genocida desatada entre 1983 y 1984, que produjo más de 5 mil muertos en un territorio con menos de 500 mil habitantes, fueron totalmente contraproducentes.«110 In diesem Zitat findet sich die Ausgangsthese sowie weitere Behauptungen über Strategie und Maßnahmen des Militärs. In diesem Abschnitt werden diese Annahmen überprüft. Anhand von Hand- und Ausbildungsbüchern, Operationsplänen und Interviews wird die Strategie des Militärs sowie deren Wandel thematisiert. Zudem wird die Deutung des Konfliktes erläutert und das geplante Vorgehen im Hochland skizziert, wobei die Aufgaben des Militärs, die Pläne und die Befehle eine Rolle spielen. An manchen Stellen gehen die Deutungen mit Rechtfertigungen einher und erschweren es, den Unterschied zwischen ihnen zu erkennen. Die Strategie der staatlichen Sicherheitskräfte, die in der Literatur – vor allem für die Anfangsjahre des Konfliktes – als fehlend oder mangelhaft beschrieben wird,111 beruht zu einem großen Teil auf dem Handbuch von 1980,112 welches schon an verschiedenen Stellen in die Arbeit einbezogen wurde und stark an die Grundlegungen der 1960er Jahre anknüpft. Trotz der Selbsteinschätzung des Militärs unvorbereitet von der Subversion getroffen worden zu sein,113 existierte also dennoch ein Handbuch, welches das Vorgehen gegen einen subversiven Feind vorgab. Neben 110 ÜBERSETZUNG: »Ohne eine adäquate Strategie, ohne ein klares Profil des Feindes, den es zu konfrontieren galt, entschieden sich die Streitkräfte einen schnellen Sieg zu suchen, in dem sie einen militärischen Krieg in den Mittelpunkt stellten. Das Beispiel ihrer Amtskollegen im Cono Sur und die Doktrin der Nationalen Sicherheit, ebenso wie die zwischen den Ethnien im Land existierenden Kluften, beeinflussten ihr Handeln, ihre Beziehungen mit der Bevölkerung in Ayacucho und ihr Desinteresse an der Achtung der Menschenrechte. Aber die Ergebnisse der zwischen 1983 und 1984 entfesselten genozidalen Offensive, die mehr als 5.000 Tote in einem Gebiet mit weniger als 500.000 Bewohnern forderte, waren völlig kontraproduktiv.« Degregori, Perú 1980-1993, 10. 111 Kruijt, Exercises, 40. Burt, Political Violence, 54. Obando, Civil-Military Relations, 388. 112 Ejército Peruano. Escuela Superior de Guerra, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980. 113 Comisión Permenente, En Honor, 38.

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Strukturen thematisiert es Aufgaben, Interventionsphasen und allgemeine Eigenschaften des kontrarevolutionären bzw. -subversiven Kampfes. Dieser wird im Manual als »total, permanente y universal«114 definiert, wobei es das Ziel ist, die Eroberung der Macht durch die Subversion zu verhindern.115 Dazu finden sich zwei untergeordnete Ziele:»Mantener la adhesión de la población, o recuperarla en caso de haberla perdido. Neutralizar o destruir a los elementos subversivos.«116 Um diese Ziele erreichen zu können, sieht das Militär verschiedene Maßnahmen vor, die es in drei Phasen unterscheidet: die Präventions- bzw. Protektions-, die Interventions- sowie die Konsolidierungsphase. Die beiden letzten hängen dabei eng mit der Einstufung der Zone – also der Aktivität der Subversion – zusammen und sind ähnlich wie die schon benannte Gliederung der Region mit der Doktrin »Defensa Interior del Territorio (Innere Verteidigung des Territoriums)« verbunden.117 Die roten Zonen sind diejenigen, in denen die Subversion die Bevölkerung kontrolliert und »operaciones de guerrilla«118 durchführt. Über die rosa Zonen hin zu den weißen nimmt ihr Einfluss weiter ab und das Vorgehen der Streitkräfte passt sich daran an. Die Intervention in einer roten Zone sieht folgende Schritte vor:119 a) Vernichtung oder Ausweisung der bewaffneten subversiven Kräfte. b) Installation der Kontrollkräfte c) Etablieren von Kontakt mit der Bevölkerung und Kontrolle ihrer Bewegungen, um den Kontakt mit den Guerilleros zu verhindern. d) Zerstörung der lokalen politischen Administration. Mit diesen Maßnahmen gehen weitere einher: Neben psychologischer Einflussnahme führte das Militär Passkontrollen durch sowie Ausgangssperren ein und versuchte, den Transit der Bevölkerung zu kontrollieren. Zusätzlich zensierte es die Presse, verhinderte Zusammenkünfte, registrierte Personen, kontrollierte den Anbau sowie den Handel mit Lebensmitteln und verhaftete Sympathisanten des Leuchtenden Pfades. Das Handbuch sieht für einen Notfall sogar die Möglichkeit der Evakuation einer Zone vor. Diese Operationen wurden ausgehend von mobilen Einheiten oder festen Stützpunkten realisiert. Die Patrouillen hatten somit zwei verschiedene Hauptaufgaben: Zum einen die Kontrolle des Territoriums sowie der Bevölkerung und zum anderen das Vorgehen gegen die Subversiven.120 114 ÜBERSETZUNG: »Total, permanent und universell.« Ejército Peruano, Guerra Revolucionara. Contrasubversión. Lima 1980, 9. 115 Ebd. 11. 116 ÜBERSETZUNG: »Bewahren der Zustimmung der Bevölkerung oder Wiederherstellung dieser, falls sie verloren wurde. Neutralisieren und/oder zerstören subversiver Elemente.« Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 21. 117 Ebd. 33, 41. 118 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 41. ÜBERSETZUNG: »Operationen des Guerrillakampfes«. 119 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, 46. 120 Ebd. 131f.

4. Die Akteure des Staatsterrors

Das Handbuch kennt darüber hinaus Operaciones de Combate121 , die den Feindkontakt suchen und diesen möglichst vernichten wollen. Dafür seien eine gute Vorbereitung sowie Kenntnisse des Terrains und des Feindes nötig. Diese Operationen sollten ferner überraschend sein und insbesondere auf Camps oder mögliche Versorgungspunkte abzielen. Im Unterschied zu konventionellen Kriegen sei nicht der Gebietsgewinn vordergründig, sondern »das Fangen«122 oder Töten einer großen Zahl an Subversiven. Patrouillen, die eine solche Operation verwirklichen, haben laut Handbuch folgende Aufgaben: Sie attackieren die Camps und verfolgen die Subversiven. Sie legen Hinterhalte, kontrollieren Zonen, erkunden entfernte Gebiete und sollen außerdem die Bevölkerung säubern und beschützen (Limpieza y protección de la población).123 Bei Aktionen, die beabsichtigten, die Subversiven zu vernichten, wurde außerdem darauf hingewiesen, dass die Patrouillen durch die Luftwaffe unterstützt werden sollen, die sie zum Stützpunkt der Guerilleros bringt. Falls die Einheit nicht alle Kämpfer vernichten kann, geht sie zur Verfolgung über, wobei im besten Falle Fluchtwege abgeriegelt wurden, sodass die Entkommenen gefangen werden können. Das Handbuch erläutert ebenso das Mittel der Einkreisung als Form, um den Subversiven zu begegnen und die Flucht möglichst zu verhindern.124 Diese Operationen des antisubversiven Kampfes erachtet das Handbuch als besonders fordernd für die Soldaten, da sie häufig Phasen ohne Aktivität haben sowie in kleinen Gruppen entfernt des Hauptkommandos unterwegs sind und unter einem erhöhten moralischen Druck stehen. Auf diese Herausforderungen sollen die Soldaten vorbereitet werden, was neben einer physischen auch eine psychologische Schulung verlangt.125 Dieser kurze Einblick in das Handbuch des Militärs aus dem Jahr 1980 zeigte,126 dass eine Strategie im Umgang mit subversiven Kräften existierte. Er verdeutlicht aber auch, dass diese nicht auf den besonderen Gegner, den Leuchtenden Pfad, zugeschnitten war. Während das genannte Handbuch forderte,127 die Region zu erkunden und kennenzulernen, erscheint gerade dies als ein wesentlicher Mangel der Anfangsjahre. Die Ziele der Strategie geben außerdem bereits Hinweise auf spätere Versuche, das eigene Handeln zu legitimieren, da sie den Kampf damit rechtfertigen, dass sie die Ordnung wiederherstellen bzw. beschützen wollten. Inwiefern dies eine Begründung für die Menschenrechtsverbrechen sein kann, bleibt 121 ÜBERSETZUNG: »Operationen des Kampfes«. 122 Die Übersetzung »fangen« ist die deutsche Übersetzung von capturar. Man könnte auch »festnehmen« oder »festsetzen« verwenden. Ich bleibe in der Arbeit aber nahe am Quellenbegriff, sodass in Folge von »fangen« die Rede sein wird. Siehe: Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 7. 123 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 157. 124 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 172f. 125 Ebd. 242. 126 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980. 127 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión. Lima 1980, 131f.

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jedoch fraglich. Für das Rollenbild und die Moral des Militärs war diese Darstellung hingegen durchaus hilfreich. Im Verlauf des Konfliktes änderten sich viele dieser genannten Grundlegungen nicht: Das Militär setzte weiterhin auf das zentrale Planen, jedoch dezentrale Ausüben durch Patrouillen und kleine Einheiten sowie die Zoneneinteilung. Sie erlangten jedoch ein größeres Verständnis über den Leuchtenden Pfad und stärkten infolge die Geheimdienstarbeit und die Mitwirkung der Bevölkerung. Bereits 1984 gelang es dem Geheimdienst, zahlreiche Informationen zu generieren. So berichtet eine Geheimdienstnote über eine Feier des Leuchtenden Pfades, bei der auch Abimael Guzmán anwesend war, der »el presidente del país socialista« sei.128 Das Manual von 1989 beinhaltet Veränderungen in der Strategie.129 Das Militär nennt seine Vorgehensweise zwar weiterhin DIT und nutzt wesentliche Bausteine und Ziele der Auslegungen der 1960er und 1980er Jahre. Im Handbuch führen die Autoren eine Charakterisierung der Gruppen des Leuchtenden Pfades und MRTA an, begreifen beide trotzdem weiterhin als Teil des internationalen Kommunismus.130 Sie gehen jedoch in der Analyse in die Tiefe, was der Abschnitt zum Feindbild bereits beschrieben hat. Das Militär schätzte den Kampf weiterhin als »total« und »permanente« ein und betonte die Wichtigkeit der Zustimmung der Bevölkerung.131 Es ergänzte jedoch das Vorgehen, bspw. um die Organisation von Selbstverteidigungskomitees. Weitere Maßnahmen zur Kontrolle der Bevölkerung behielt es bei. Sowohl die Sperrstunde als auch die Kontrolle der Medien änderten sich nicht, jedoch wurde in diesem Handbuch nicht mehr verlangt, die Produktion und den Handel mit Lebensmitteln zu regulieren, womit auf Probleme zu Beginn des Kampfes eingegangen wurde. Bestehen blieb hingegen die Forderung, dass Sympathisanten der Subversiven gefangen werden sollen, sodass weiterhin Spielräume zum Agieren der Patrouillen gelassen wurden.132 Im Manual rückte im Folgenden außerdem der Umgang mit der Bevölkerung in den Fokus, wobei folgende Maßnahmen vorgeschlagen wurden: medizinische Unterstützung, Bildung, Propaganda oder das Durchführen von patriotischen Zeremonien, bei denen auf die Sprache der Einheimischen zurückgegriffen werden sollte. Ebenfalls wurden Demonstrationen der eigenen Stärke eingefordert, um so 128 Policía de Investigaciones, Nota de Información No 06-EMP-DS, 02.05.1984, in: Gorriti, Colección Gorriti, Grupo B, Box 3, F.5. 129 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989. 130 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989, 2ff. Die externe Unterstützung, die anfangs ausgemacht wurde, sehen sie weniger stark, sondern betonen die Verbindung zum Drogenhandel. Siehe: CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE-01, Anexo 01, Lima 1989, 1. 131 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989, 62. 132 Ebd. 71.

4. Die Akteure des Staatsterrors

der Bevölkerung zeigen zu können, wer der mächtigere Part im Konflikt sei.133 Neben einer Verstärkung dieser Maßnahmen sollte der Geheimdienst ausgebaut werden, was eine Kooperation von Polizei und Militär verlangte, um so Unterstützungspunkte ausmachen zu können. Laut Handbuch könnten diese durch eine genauere Kenntnis und durch schon benannte Strategien der Intervention angegriffen werden. Außerdem sollten die Reihen der senderistas infiltriert, geschulte Befrager bereitgestellt und eine Datenbank mit wichtigen Personen und Informationen etabliert werden.134 Vor allem im Kampf gegen die Terroristen – dieser Begriff wird hier meist für den Leuchtenden Pfad eingesetzt – erachtete das Militär die Informationsbeschaffung zur Vorbereitung einer Operation als notwendig. Das Vorgehen gegen den Terrorismus sei jedoch nicht nur von genauer Ortskenntnis und wichtigen Informationen zu den Tätern abhängig, sondern es sei ebenso erforderlich, dass das Militär besser ausgestattet würde und eine schnelle sowie entschiedene Aktion durchführe.135 Zu diesen neuen Schwerpunkten kamen kleine Veränderungen der Organisation der Operationen hinzu. Beispielsweise sollten die Kontrollpunkte verstärkt werden und mit mindestens 45 Personen agieren, wobei außerdem eine Reserve zur Verfügung stehen sollte. Die Operationen setzten sonst weiterhin auf eine Abschottung des Gebietes, die dann aber nicht nur die Aufgabe hatte, Verdächtige abzufangen, sondern auch die Presse fernzuhalten.136 Zudem wollten sie die Zusammenarbeit mit der Polizei sowie die Vorbereitung der Soldaten verbessern, die speziell für einen unkonventionellen Krieg ausgebildet werden sollten. Neben einer spezifischen Ausbildung und intensiveren physischen Schulung stand eine Stärkung der Moral im Vordergrund, was mit der Vorstellung einhergeht, dass ein Wille zum Sieg wichtig sei, um den Kampf zu gewinnen. Die Soldaten müssten daher im »proceso de adoctrinamiento«137 auf (u. a.) folgende Fragen eine Antwort kennen: »Por qué el soldado debe ser superior a un guerrillero? […] Cuáles son las razones por las que se lucha contra la subversión? […] ¿Por qué tenemos la obligación de tratar a los pobladores con mucho tino, respeto y propiedad? […] ¿Por qué se debe velar por la preservación de la buena imagen de la Institución, sus integrantes y sus respectivos Comandos? […].«138 133 134 135 136 137 138

Ebd. 72. Ebd. 74. Ebd. 112ff. Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989,114. ÜBERSETZUNG: »Prozess der Indoktrinierung«. ÜBERSETZUNG: »Warum sollte ein Soldat einem Guerillero überlegen sein? […] Welches sind die Gründe für einen Kampf gegen die Subversion?[…] Warum haben wir die Pflicht, die Bevölkerung mit viel Maß, Respekt und Genauigkeit zu behandeln? […] Warum sollte man auf den Schutz eines guten Images der Institution, seiner Mitglieder und seiner Kommandos achten? […]« Ebd. 84.

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Dies verdeutlicht, dass es den Autoren des Handbuches wichtig war, dass die Soldaten nicht nur am Kampf teilnahmen und diszipliniert handelten. Sie sollten ebenso die Überzeugung für das Vorgehen sowie eine militärische Haltung verinnerlichen und sich ihrer Aufgabe sowie Ideologie bewusst sein. Es ist zu vermuten, dass diese Formulierungen einerseits eine Etablierung eines gemeinsamen Kampfgeistes intendierten, andererseits jedoch aus einer gewissen Angst vor Überläufern resultierten. Die Veränderungen verweisen auf eine Verschiebung der Strategie und Sichtweise. Diese geht nicht so sehr damit einher, dass der Krieg anders begriffen wurde. Von Beginn an betrachteten die Militärs ihn als einen unkonventionellen Krieg. Vielmehr liegen die Entwicklungen in der erweiterten Kenntnis über den Feind begründet sowie in einem gewissen Druck. Einerseits lastete er auf dem Militär, das die angestrebte schnelle Lösung nicht herbeiführen konnte. Andererseits standen es wegen Menschenrechtsverletzungen unter Beobachtung, was dazu führte, dass zunehmend selektivere Aktionen eingefordert wurden.139 Die einleitend zitierte Aussage Degregoris erscheint in vielerlei Hinsicht plausibel, jedoch unterlagen sowohl die Strategie als auch das Wissen über den Feind im Verlaufe des Konfliktes Veränderungen. Sie bildeten zwar einen Rahmen für das Handeln der Militärangehörigen, es konnten daraus jedoch keineswegs klare Anweisungen für die einzelnen Patrouillen abgeleitet werden. Wie bereits dargestellt wurde, war insbesondere unklar, wer genau von den Operationen getroffen werden sollte. Es mangelte also nicht an einer Strategie, sondern die vorgegebene Vorgehensweise passte vor allem zu Beginn nicht zum Gegner, den die staatlichen Sicherheitskräfte vernichten wollten.

4.3.4.

Paramilitärs – zwischen Verbündeten und Konkurrenz

Wie der Abschnitt 3.3.1 zu den »Rondas Campesinas« bereits skizzierte, differenzierte sich das Spektrum der Gewaltakteure im Verlaufe des Krieges aus. Ab Mitte der 1980er Jahre traten neben den Selbstverteidigungskomitees weitere Gruppen auf die Bühne des Konfliktes, die die These von Jo-Marie Burt, die von einer beginnenden Privatisierung der Gewalt spricht, überzeugend erscheinen lassen. Anhand der beiden bekanntesten paramilitärischen Einheiten140 , dem »Comando Rodrigo Franco« und der »Grupo Colina« will dieser Teil ein Bild dieser Akteure zeichnen und ihre Rolle zwischen Konkurrenz und Verbündeten des Staates beschreiben. Ziel ist 139 CCFFAA, Directiva No 017CCFFAA-PE-01, Anexo 02, Lima 1989, 6. 140 Paramilitärisch oder auch parastaatlich bedeutet letztlich, dass diese Gruppen keine regulären Einheiten waren, jedoch mindestens von staatlicher Seite geduldet, meist aber unterstützt worden sind. Siehe: Peter Waldmann, Staatliche und parastaatliche Gewalt: Ein vernachlässigtes Forschungsthema, in: Hans Werner Tobler (Hg.), Staatliche und parastaatliche Gewalt in Lateinamerika. Frankfurt a.M. 1991, 35.

4. Die Akteure des Staatsterrors

dabei, eine weitere Seite der staatlichen Gewalt zu beleuchten, die scheinbar das Gewaltmonopol des Staates untergraben hat. Beide genannten Gruppen agierten zwar selbstständig und waren keine offiziellen Einheiten des Militärs oder der Polizei, sie standen jedoch in enger Verbindung mit staatlichen Akteuren, die die Gruppen unterstützten oder an den Aktionen partizipierten. Das Comando Rodrigo Franco gründete sich im Jahr 1988.141 Es ging aus dem Personenschutz für die APRA hervor, die ab 1985 vermehrt Opfer von Anschlägen wurde. Sie benannte sich auch daher nach einem APRA-Mitglied, Rodrigo Franco, der 1987 durch Mitglieder des Leuchtenden Pfades ermordet wurde.142 Im Gegensatz zur Grupo Colina, die erst in den 1990er Jahren auftauchte, war diese Gruppe also APRA-nah und bestand in Teilen aus Polizisten sowie Mitarbeitern des Geheimdienstes DIRCOTE, aber auch aus Studierenden der Universität Inca Garcilaso de la Vega aus Lima. Interessant ist bei dieser Gruppe neben ihrer politischen Orientierung, dass sie ihre Mitglieder trainierte und ausbildete, wofür sie sogar in Teilen nach Nordkorea schickte. Dieser Akteur war also ebenso für den Kampf geschult und wurde außerdem mit Informationen sowie Material ausgestattet. Dabei war das Innenministerium von großer Bedeutung, da es die Gruppe nicht nur kannte, sondern sie bei der Organisation der Aktionen protegierte.143 Die Organisation, die ebenfalls als »Todesschwadron« bezeichnet wird,144 speiste ihre Motivation vor allem aus der aus ihrer Sicht unzulänglichen Reaktion des Staates auf die Subversion. Für das Comando Rodrigo Franco genügte der legale Weg im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad sowie die MRTA nicht, sodass sie diese Gruppe ins Leben riefen, um selbst gegen Subversive vorzugehen. Die Kategorie »Subversive« umfasste für die Paramilitärs dabei nicht nur Mitglieder des Leuchtenden Pfades. Hingegen fielen ihnen vor allem Anführer linker Organisationen zum Opfer.145 Sie gingen dabei meist selektiv vor. Das heißt, dass vor allem Attentate auf einzelne Personen in ihr Handlungsrepertoire gehörten. Sie versuchten außerdem, die Redaktion der Zeitung Marka anzugreifen und führten symbolische Aktionen – wie das Auslegen toter Hunde – durch,146 verübten Anschläge auf Häuser, zum Beispiel eines Gerichtssprechers oder eines Professors, sowie Sprengstoffanschläge. Auffällig ist außerdem, dass häufig Pressevertreter und Büros von Zeitungen Ziele des Kommandos darstellten. Sie attackierten also die Medien, bei denen sie nicht mit der Berichterstattung einverstanden waren. 141 Beziehungsweise gab sich der Verband in diesem Jahr seinen Namen. 142 Mauceri, Military Politics, 97. 143 CVR, Informe Final. Los Asesinatos del Comando Paramilitar Autodenominado Rodrigo Franco, S. 195ff. 144 Amnesty International, Peru. Klima des Terrors. Bonn 1991, 43. 145 Mauceri, Military Politics, 97. 146 Comisión Investigadora de los Asesinatos de los Señores Diputados Herberto Arroyo Mío y Pablo Li Ormeño de los Grupos Terroristas que Utilizan el Nombre de un Mártir, 125f.

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Genozidale Gewalt?

Eine Untersuchungskommission des Kongresses trug eine Liste dieser Gewalttaten zusammen,147 sodass die Behauptung des ehemaligen Innenministers,148 dass dieser Verband nur einen Mord begangen habe und nicht wirklich einer Organisation entspreche,149 eher als unplausibel eingeschätzt werden kann. Trotz weniger Informationen, da die Mitglieder häufig falsche Namen nutzten, sind zahlreiche Verbrechen der Gruppe sowie ihre Verbindung zu staatlichen Einrichtungen nachgewiesen. Es ist also mindestens von einer Duldung auszugehen, eine Unterstützung ist sogar noch wahrscheinlicher.150 Die Grupo Colina ist ebenfalls eine paramilitärische Gruppe. Sie war in den 1990er Jahren aktiv und wird insbesondere mit den Namen Nicolás Hermoza Ríos und Vladimir Montesinos in Verbindung gebracht, die wiederum in enger Verbindung mit dem Präsidenten Fujimori standen.151 Die Gruppe bestand hauptsächlich aus Militärs und unterstand dem Geheimdienst des Militärs, der sich zu Beginn der 1990er Jahre entschied, eine geheime Gruppe im Kampf gegen die Subversion zu gründen und so die demokratische Kontrolle weiter zu vermindern.152 Für zwei bekannte Vergehen ist diese Todesschwadron verantwortlich. Die Massaker von »Barrios Altos« sowie »La Cantuta« wurden beide in Lima verübt, was sich im Verlauf des Konfliktes punktuell zu einem weiteren Hauptschauplatz entwickelte. Das Massaker von »Barrios Altos« fand im November 1991 statt und wurde nach Untersuchungen der Grupo Colina zugeschrieben. Zwischen sechs und zehn Personen stürmten eine Feier im Jirón Huanta im Stadtteil Barrios Altos in Lima, brachten ca. 15 Menschen um und verletzten weitere.153 Die Täter verdeckten ihr Gesicht mit Sturmhauben und führten Maschinengewehre bei sich, mit denen sie die am Boden liegenden Menschen in den Kopf bzw. Rücken schossen. Überlebende berichteten der CVR, dass es eine Maschinengewehrsalve war, die auf die Opfer niederprasselte. Die ca. 130 Patronenhülsen, die im Nachhinein gefunden wurden, 147 Ebd. 124-140. 148 Der Innenminister Mantilla war außerdem wohl der Kopf des Kommandos bzw. mindestens ein wesentlicher Unterstützer. 149 La República, Agustín Mantilla Admite que sí Existió Comando Paramilitar Rodrigo Franco, in: http://larepublica.pe/10-09-2013/agustin-mantilla-admite-que-si-existio-comando-paramilitar-rodrigo-franco, (10.09.2013), [zuletzt eingesehen am 09.01.2017]. 150 CVR, Los Asesinatos, 206f. 151 CVR, Fuerzas Armadas, 357. 152 CVR, La Ejecuciones Extrajudiciales de Universitarios de la Cantuta, 234. Dies ist auch in Aussagen von Militärs zu finden, z.B.: CVR, Manifestación Coronel EP Alberto Segundo Pinto Cárdenas, in: Resumen »La Cantuta«, 17. 153 Grupo de Trabajo sobre la situación de diversos Casos de Violaciones de Derechos Humanos, Violaciones Derechos Humanos, Sucesos del Jirón Huanta, Lima 1993, 37. CVR, La Ejecuciones Extrajudiciales en Barrios Altos, 475.

4. Die Akteure des Staatsterrors

konnten diese Aussage bestätigen.154 Dieses Massaker erzeugte ein breites Aufsehen, da es das erste dieser Art in Lima gewesen war. Die Verwicklung staatlicher Kräfte wurde zunächst geleugnet und die Nachforschungen des Kongresses spätestens mit dem autogolpe Fujimoris nahezu beendet. Nur Teile der oppositionellen Presse verfolgten den Fall weiter.155 Zwar wurde er in der Folge von einem Militärgericht und sogar von einem Zivilgericht verhandelt, das Amnestiegesetz von 1995 brachte jedoch Straffreiheit für die Täter.156 Interessant bei diesem Massaker ist, dass es zwar von einer irregulären Gruppe durchgeführt, jedoch ebenso von hohen Amtsträgern des Staates unterstützt bzw. gedeckt wurde. Die Strafverfolgung wurde durch den Präsidenten erschwert, was zeigt, dass er Verbrechen dieser Art durchaus billigte. Ähnliches verdeutlicht der Fall »La Cantuta«. Hier ließ die Einheit neun Studierende und einen Professor der »Universidad Nacional de Educación Enrique Guzmán y Valle« verschwinden. Am 18. Juli 1992 drangen ca. 20 bewaffnete Personen157 , die in Teilen Sturmmasken sowie zivile Kleidung trugen, in die Universität ein und nahmen die Studierenden und den Professor mit, die infolgedessen verschwanden.158 Die verbrannten Leichenreste wurden erst später in der Nähe von Lima gefunden.159 Auch hier verfolgten vor allem Teile der Presse diesen Fall, der strafrechtlich jedoch in den 1990er Jahren zu wenigen Konsequenzen führte, welche dann 1995 ganz zurückgenommen wurden. Die Verbindung der Täter zu hohen militärischen und politischen Ämtern negierten das Militär sowie die Regierung und stellten Verantwortliche als eigenständig handelnde Akteure dar.160 Genau diese Möglichkeit des Leugnens der eigenen Schuld sowie mehr Freiräume für die Täter machten es so attraktiv, die Bildung von paramilitärischen Gruppen nicht nur zu zulassen, sondern diese sogar zu initiieren. Der Geheimdienst, Polizei und Militär konnten dadurch weit über den legalen Rahmen hinausgehen, ohne befürchten zu müssen, strafrechtlich verfolgt zu werden. Sie konnten mindestens ihre Verbindung leugnen und sich damit aus der Verantwortung ziehen. Sie schufen durch diese Gruppen weitere Akteure im Kampf gegen die Subversion, die es ermöglichten, gegen Oppositionelle vorzugehen, ohne das eigene Ansehen 154 Ebd. 476. Der Bericht des Kongresses spricht nur von 111 Hülsen. Grupo de Trabajo, Sucesos del Jirón Huanta, 37. 155 Ebd. 37f. 156 CVR, Barrios Altos, 485ff. Erst nach der Amtszeit Fujimoris gab es erneute Verfahren. Ebd.491. 157 Der Bericht der APRODEH spricht von 45. Siehe APRODEH, La Cantuta. Secuestro, Desaparición, Asesinato, Zusammenstellung Fiscal Victor Cubas Villanueva. 158 Comisión Investigadora de la Desaparición de un Catedrático y Nueve Estudiantes de la UNE Enrique Guzmán y Valle La »Cantuta«, 11. 159 APRODEH, La Cantuta (Zusammenstellung Fiscal Victor Cubas Villanuevas). CVR, La Cantuta, 239. 160 CVR, La Cantuta, 241f.

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Genozidale Gewalt?

zu stark zu beschädigen. Vor allem in Lima erschien dies als attraktive Alternative. Obwohl paramilitärische Einheiten eine Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols symbolisieren, wirken sie in diesem Fall eher als wichtige Verbündete im Kampf gegen die Subversion, die insbesondere in der Hauptstadt neue Möglichkeiten der Gewaltausübung schufen.

4.3.5.

Zusammenfassung: Das Militär als Autorität im Hochland

Es konnte herausgearbeitet werden, dass im Kampf gegen die Subversion verschiedene Akteure aktiv waren, die außerdem nicht als einheitliche Organisationen charakterisiert werden können. Sowohl einzelne Gruppen der Polizei – wie die sinchis – oder Sektionen des Militärs – wie die Marine – etablierten ein nahezu autonomes Vorgehen. Sogar einzelne Patrouillen entschieden dezentral und situativ. Sie waren zwar von ihrer Ausbildung geprägt, indoktriniert und mit den Vorgaben der Handbücher vertraut. Letztlich gab all dies ihnen jedoch nur einen Spielraum vor, den sie ausgestalteten. Ähnliches ist über die Regierungen zu konstatieren.161 Sie gaben keine klare Strategie vor, sondern schufen ihrerseits Handlungsspielräume. Dabei gelang es ihnen weder, rechtzeitig auf die Bedrohung zu reagieren noch zentrale Vorgaben durchzusetzen oder die staatlichen Sicherheitskräfte effektiv zu organisieren. Insbesondere zu Beginn des Kampfes waren innere Streitigkeiten der Polizei ein großes Hindernis in der Ausübung ihrer Aufgabe. Der Staat zeigte sich vor allem in den 1980er Jahren als ein wenig effektiver Organisator der Gewalt und des antisubversiven Kampfes. Die Präsidenten gaben die Verantwortung mit der Einrichtung der Zonen des Ausnahmezustandes in die Hände der Streitkräfte. Durch die Ausweitung des legalen Rahmens, die Aushebelung demokratischer Mechanismen in der Hochlandregion und einen mangelnden Einfluss auf militärische Entscheidungen bildeten sich daher Gebiete heraus, die de facto vom Militär und nicht von den politischen Kräften regiert wurden. Das Militär avancierte dadurch zum Hauptakteur der staatlichen Gewalt, wobei Polizei und Geheimdienste ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten. Trotz der Tatsache, dass sich ab Mitte der 1980er Jahre weitere vom Militär unterstützte Akteure in den Kampf gegen die Subversion begaben, erscheint dies nicht als Beschneidung der Machtfülle, sondern als eine taktische Entscheidung, die den Ordnungskräften weitere Möglichkeiten zur Kriegsführung bot. Obwohl die These der Privatisierung der Gewalt also durchaus plausibel erscheint, wirkt dies nicht als Machtverlust des Militärs. Vielmehr setzte es die anderen Akteure bewusst für seine Ziele ein. Sowohl die Rondas Campesinas als auch die genannten paramilitärischen Gruppen konkurrierten somit nicht mit den staatlichen Sicherheitskräften, 161 Insbesondere über die Amtszeiten von Belaúnde und García.

4. Die Akteure des Staatsterrors

sie erweiterten hingegen auf gewisse Weise sogar ihren Einflussbereich und ihre Handlungsmöglichkeiten. Die Unterstützung der Rondas Campesinas demonstrierte einen Wandel in der Strategie des Krieges. Sie symbolisiert eine Zusammenarbeit mit Teilen der indigenen Bevölkerung, deren Wichtigkeit im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad den Militärs zunehmend bewusst wurde. Nichtsdestotrotz stellte diese Allianz keine Aufgabe des Feindbildes und der Trennung in Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit dar. Verdächtigungen gegen indigene Gemeinden existierten weiter und auch der Subversive wurde weiterhin anhand ethnischer Merkmale begriffen. Diejenigen, die sich jedoch bewusst auf die Seite des Militärs stellten und für es kämpften, entwickelten sich zu einem wichtigen Verbündeten, dem zwar nicht auf Augenhöhe begegnet wurde, der jedoch Unterstützung erhielt.162 Dies markiert einen wesentlichen Zug der Feindbildkategorie des Subversiven. Sie kann unterschiedlich gefüllt und besonders eng oder sehr weit verstanden werden. Letztlich scheint es so, als läge die Definitionsmacht beim Täter, der das jeweilige Opfer als Subversiven bezeichnen kann, um ihn dadurch zu exkludieren. Dies bietet neben Spielräumen für das Militär eine gute Rechtfertigung für seine Taten. Folgendes Zitat beschreibt diese Besonderheiten im Feindbild: »Ahora bien, los actores de la violencia política no mostraron una explícita intencionalidad de exterminio étnico o racial, pero es indudable que los valores emanados de estos criterios condicionaron el tipo de resultado que muestra el desagregado territorial de las víctimas. En ese sentido, estuvo presente un comportamiento racista, normalizado debido a una serie de complejos factores sociales e históricos, pero sin un apoyo ›racialista‹, es decir, de una doctrina que persuadiera ›científicamente‹ acerca de la superioridad de un grupo sobre el otro, tal como ocurrió en la Alemania nazi, en la que ambas dimensiones coincidieron.«163 Das Kapitel verdeutlichte weiterhin, dass das Militär die Kontrolle über die Zonen des Ausnahmezustandes und den antisubversiven Kampf hatte, die zivile Regierung hingegen den Einfluss einbüßte. Dies geschah bereits vor der Auflösung des Kongresses 1992 und führte zu der These, dass trotz eines demokratischen Systems 162 Siehe auch Kapitel 3.3.1. 163 ÜBERSETZUNG: »Die Akteure der staatlichen Gewalt zeigten keine explizite Intention einer ethnischen oder rassischen Vernichtung, aber es ist zweifellos, dass die Werte, die aus diesen Kriterien hervorgingen, die Art des Ergebnisses bedingten, welches die territoriale Trennung von den Opfern zeigt. In diesem Sinne war ein rassistisches Verhalten vorhanden, das aufgrund einer Serie komplexer sozialer und historischer Faktoren als normal galt. Jedoch existierte es ohne eine ›rassentheoretische‹ Unterstützung, das heißt, von einer Doktrin, die ›wissenschaftlich‹ von der Überlegenheit einer Gruppe über eine andere überzeugt war, wie es in Nazi-Deutschland vorkam, wo beide Dimensionen koinzidierten.« Tzvetan Todorov, Nosotros y los Otros, Mexiko-Stadt, 2003, 13, zitiert nach Toche, Guerra y Democracia, 257.

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Genozidale Gewalt?

kaum zivile Kontrolle existierte und so der scheinbare Unterschied zu den Staaten des Conosur auf dieser Ebene verschwimmt. Um den Staatsterror verstehen zu können, erscheinen die Hinweise auf das politische System also als wenig hilfreich. Vielmehr ist es zielführend, sich die Handhabung des Kampfes in den Zonen des Ausnahmezustandes genauer anzusehen. Wie bereits erwähnt, stellt diese Untersuchung vor allem Ayacucho und angrenzende Gebiete in den Fokus und will die Logik des Staatsterrors in diesem Raum herausarbeiten. Im folgenden Kapitel werden dafür die wesentlichen Gewaltformen betrachtet. Sie verdeutlichen, wie das Militär den beschriebenen Spielraum nutzte und so den Gewaltraum veränderte.

5. Praktiken des Staatsterrors

Sexuelle Gewalt, Folter, Massaker und Verschwindenlassen waren wesentliche Gewaltformen des peruanischen Staatsterrors. Dieses Kapitel beschreibt anhand verschiedener Quellenarten einzelne Gewaltsituationen, die anschließend analysiert und gedeutet werden, um so die staatliche Gewalt zu charakterisieren und den Gewaltraum auszuleuchten. Hauptsächlich thematisieren diese Abschnitte zwar die Taten in Ayacucho und angrenzenden Gebieten, beziehen jedoch auch Gewaltereignisse in Lima in die Betrachtung ein. Der Blick auf eine andere Region dient der Gegenüberstellung und ermöglicht ein besseres Verständnis der Spezifika des Gewaltraumes Ayacucho, da neben Gemeinsamkeiten vor allem Unterschiede herausgearbeitet werden. Das Kapitel endet mit einer Beschreibung des Gewaltraumes, der sich mit Eintritt des Militärs veränderte und neue Facetten entwickelte. Dieses Zwischenfazit führt nicht nur die vorangegangenen Deutungen zusammen. Es bildet darüber hinaus die Grundlage für die Überprüfung genozidaler Eigenschaften, wodurch ihm eine zentrale Bedeutung für die Arbeit zukommt. Bisher konnten folgende Merkmale des Raumes verdeutlicht werden: Ayacucho und angrenzende Gebiete werden als arme und rückständige Teile des Landes beschrieben, die indigen sowie häufig ländlich geprägt waren. Insbesondere für den Leuchtenden Pfad waren die topografischen Gegebenheiten vorteilhaft, da seine Mitglieder sich im unwegsamen Gelände gut zurückziehen und verstecken konnten. Für das Militär stellte die Größe und geringe Bevölkerungsdichte eher eine Herausforderung dar. Zudem war die Region durch eine »Schwäche«1 staatlicher Institutionen sowie Autoritäten – mit Ausnahme der Universität – gekennzeichnet. Dort lagen die Wurzeln des Leuchtenden Pfades und er hatte Unterstützer sowie Gegner. Er prägte mit seinen Taten das Geschehen in den Anfangsjahren und verwickelte staatliche Kräfte sowie die Bevölkerung in den Konflikt. Ab 1983 hatte insbesondere die Verhängung des Ausnahmezustandes und die Entsendung 1 Der Begriff »Schwäche« meint dabei, dass die staatlichen Institutionen einerseits kaum funktionierten und andererseits nur wenig Akzeptanz fanden. Zudem lösten sich traditionelle Strukturen auf, die von staatlicher Seite nicht mit neuen Autoritäten besetzt wurden. Siehe Abschnitt 3.2.2 sowie Degregori, »Sendero Luminoso«, 26.

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Genozidale Gewalt?

des Militärs einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche sowie politische Klima der Region. Die Streitkräfte wurden mit weitreichenden Rechten ausgestattet und ihnen wurde die Autorität im antisubversiven Kampf zugesprochen. Mit dem Ziel, die Gebiete unter Kontrolle zu bringen, richteten die staatlichen Sicherheitskräfte Kasernen und Stützpunkte ein bzw. bauten diese aus und stuften einzelne Regionen als rote Zonen ein. Teile des Militärs nahmen diese als eine ihnen fremde Welt wahr. Sie begaben sich mit klarem Ziel, teilweise rassistischen Vorurteilen, gut organisiert sowie ausgebildet in den Krieg gegen den Leuchtenden Pfad.2 Im Konflikt avancierte das Militär zu einem Hauptakteur und erzeugte seinerseits neue »Anschlusszwänge«3 , die auf die Möglichkeitsstrukturen des Gewaltraumes einwirkten und die Logik des Krieges modifizierten. Wie dies erfolgte und wie die Militärangehörigen ihrerseits auf das Geschehen und die Charakteristika des Raumes reagierten, veranschaulichen die folgenden Gewalterzählungen. Sie stehen am Anfang der einzelnen Unterkapitel und werden zeitlich wie räumlich verortet.4 Darauf folgt eine Analyse, in der sie mit anderen Quellen in Beziehung gesetzt werden, um so Routinen und Muster herauszustellen. Letztlich kommt es zur Interpretation der Gewaltformen, wodurch der Versuch unternommen wird, die jeweilige Bedeutung für Täter und den Staatsterror herauszuarbeiten.5 Neben bereits genannten Aspekten des historischen Kontextes und den Eigenschaften des Akteurs werden Argumente der Sekundärliteratur zurate gezogen. Dadurch nähert sich dieses Kapitel einer Deutung der Situationen ausgehend von historischen, politischen, kulturellen sowie psychosozialen Aspekten und zeichnet ein umfassendes sowie detailliertes Bild der jeweiligen Gewaltform und ihrer Bedeutung im peruanischen Staatsterror.6

5.1.

Sexuelle Gewalt gegen Frauen – eine Kriegsstrategie?

Dieses erste Unterkapitel widmet sich der sexuellen Gewalt gegen Frauen, wobei vor allem Vergewaltigungen im Zentrum der Untersuchung stehen.7 Diese Gewaltform war besonders weit verbreitet und ist für den gesamten Untersuchungszeitraum belegbar. Die Aussagen zur Zwangssterilisierungen sind eher als skizzenhaf2 Siehe sowohl Abschnitt 3.2.3 und 3.3.1 sowie Abschnitt 4.3.2. Burt, Political Violence, 59. Fingscheit, Der Krieg, 1. 3 Zur Erläuterung siehe Abschnitt 2.1.4. 4 Im besonderen Maße spielen hier die Zeitzeug*innenenaussagen eine Rolle. Diese sind mehrheitlich von Opfern existent. Außerdem können die Gerichtsakten sowie die Interviews mit Generälen hilfreich sein. Eine besonders interessante Quelle sind die forensischen Gutachten, die jedoch nicht für alle Gewaltformen existieren. 5 Zur genaueren Erklärung des Vorgehens siehe Kapitel 2.2. 6 Das Beispiel kann so auch in einen Kontext anderer empirischer Forschung gerückt werden. 7 Es werden auch andere Formen, wie Entkleiden und Penetration, erwähnt.

5. Praktiken des Staatsterrors

ter Exkurs zu verstehen, weil sie erst Mitte der 1990er Jahre durchgeführt worden sind. Sie verweisen jedoch auf eine Veränderung des Staatsterrors unter Alberto Fujimori. Wie bereits hinsichtlich des Gewaltbegriffes erwähnt, konzentriert sich die Arbeit hauptsächlich auf physische Gewalt. Dieses Unterkapitel rückt sexuelle und nicht sexualisierte Gewalt, die auch Beleidigungen etc. einbezieht,8 in den Vordergrund. Nichtsdestotrotz spielen folgend symbolisch aufgeladene Formen wie das Entkleiden eine Rolle, die mit weiteren körperlichen Maßnahmen einhergingen und die besonderen Eigenschaften dieser Gewaltform verdeutlichen.

5.1.1.

Sexuelle Gewalt: Entkleiden, Penetration und Vergewaltigung

Sexuelle Gewalt in Militärbasen und Polizeistationen (1) Die Militärbasis »Los Cabitos«, deren offizieller Name Domingo Ayarza 51 lautet, liegt am Rande der Stadt Huamanga und war der Sitz des Militärkommandos der zweiten Infanteriedivision. Sie war somit das Quartier zahlreicher Soldaten sowie der militärischen Führung,9 die im Jahr 1983 besagter General Clemente Noel innehatte.10 Die Kaserne stellte einen abgeschlossenen Raum dar, in den die Zivilbevölkerung keinen Eintritt erlangen konnte. In ihr befanden sich Schlafräume, eine Kantine und, wie sich später herausstellte, Folterräume sowie mindestens ein Verbrennungsofen.11 In diese Kaserne brachten die Militärs 1983 eine Zeugin, die folgendes über die Gefangennahme und den Aufenthalt aussagte: »Han venido sábado en la noche en una tanqueta. Eran como 16. Algunos estaban encapuchados. Rodearon toda la casa. Me hicieron levantar, me sacaron de la casa sólo en mi ropa de dormir y me llevaron en una tanqueta, tapándome el cuerpo con frazada y un poncho que sacaron de mi casa…« In der Militärbasis befragten sie drei Soldaten: »›Ahora tienes que colaborar. Decir la verdad. Tú conoces a los terrucos. ¿Dónde están ellos?‹ Les contesté: Yo no sé nada, ellos anduvieron con su política y yo no tengo tiempo para política… ›Tú eres terruca‹ me dijeron. ›Si no quieres hablar ahorita, te meto el tubo por el sexo. Si es así, ahorita traigo tu hija y en tu delante voy a gozar, toditos vamos a gozar. En esas circunstancias dos de ellos salieron y el que quedó me violó. ¿Qué podría hacer una mujer indefensa y solita?«12   8 Patricia Zuckerhut, Einleitung: Gewalt und Geschlecht, in: Barbara Grubner/Patricia Zuckerhut (Hg.), Gewalt und Geschlecht. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf sexualisierte Gewalt. Frankfurt a.M. 2011, 24. 9 Comisión Permanente, En Honor, 50f. 10 Siehe Kapitel 4.3.1. 11 Testimonio 100165. Diesen zeigt auch das Titelbild, welches ein Foto des Geländes neben der Kaserne ist. Dort befindet sich ein ausgehobenes Massengrab sowie die Reste des Ofens. 12 Testimonio 200012.

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(»Sie sind am Samstag in einem Panzer gekommen. Es waren ungefähr 16. Einige waren vermummt. Sie gingen durch das ganze Haus. Sie brachten mich dazu, aufzustehen, schleppten mich, nur mit meinem Schlafanzug bekleidet, aus dem Haus und nahmen mich mit einem Panzer mit, in welchem sie mich mit einer Decke und einem Poncho bedeckten, den sie aus meinem Haus mitgenommen hatten…« In der Militärbasis befragten sie drei Soldaten: »›Nun musst du kollaborieren, die Wahrheit sagen. Du kennst die terrucos. Wo sind sie?‹ Ich antwortete ihnen: Ich weiß nichts, sie waren mit ihrer Politik beschäftigt und ich habe keine Zeit für Politik. ›Du bist eine terruca‹ sagten sie zu mir. ›Wenn du jetzt nicht sprechen willst, stecke ich dir das Rohr in das Geschlechtsorgan. Wenn es so ist, bringe ich jetzt deine Tochter her und werde vor dir mit ihr schlafen, alle werden mit ihr schlafen.‹ Unter diesen Umständen gingen zwei von ihnen heraus und der, der blieb, vergewaltigte mich. Was könnte eine schutzlose und einzelne Frau tun?«) (2) Kasernen, deren Funktion die Militärs erweiterten, existierten jedoch nicht nur in Huamanga, sondern auch in anderen Städten, Provinzen und Departments. Sie waren zeitlich auch nicht auf die Anfangsjahre beschränkt, sondern etablierten sich nach und nach in weiteren Regionen. Ein weibliches Opfer berichtet von seiner Gefangennahme im Jahr 1992 im Department Junín. Ungefähr zehn Soldaten kamen nachts um fünf Uhr in das Haus der Frau und brachten sie sowie weitere Männer des Dorfes zu einem Tunnel. Dort trennten sie die Zeugin von den übrigen Personen und vergewaltigten sie zum ersten Mal. Danach kam sie in die Kaserne Concepción in eine dunkle Zelle: »Siento que me manoseaban, eran personas distintas, entraba uno y otra, no los veía pero los sentía, fue horrible, no podía gritar, ni decir nada, ese momento me pareció muy extenso, sin embargo no sé cuántos fueron, luego me dejaron tranquila.«13   (»Ich fühlte, dass sie mich begrabschten, es waren verschiedene Personen, es trat einer nach dem anderen ein, ich sah sie nicht, aber ich fühlte sie, es war schrecklich, ich konnte nicht schreien, nicht einmal etwas sagen, dieser Moment erschien mir sehr lang, trotzdem weiß ich nicht wie viele es waren, danach ließen sie mich in Ruhe.«) (3) Sexuelle Gewalt, die sich in Entkleiden, Vergewaltigungen oder auch Penetrationen mit Gegenständen äußerte, ist für weitere Kasernen, Polizeistationen sowie die Gebäude der DINCOTE in Lima nachgewiesen.14 Diese Gewaltform beschränkt sich also nicht nur auf die Regionen des Hochlandes. Ein weibliches Opfer, das am 03.11.1989 in Lima festgenommen wurde, beschreibt seine Erfahrungen wie folgt: 13 Testimonio 300039. 14 Siehe CVR, Violencia Sexual. 304ff. Americas Watch, Terror no Contado, Violencia contra las Mujeres en el Conflicto Armado Interno, Lima 1992, 27ff.

5. Praktiken des Staatsterrors

»Me obligaron a desnudarme contra mi voluntad, colgándome boca abajo, metiéndome la mano en la vagina todos los guardias que pasaban por mi costado, sacándome un par de aretes clavándome uno en la nalga, abriéndome las nalgas y metiéndome el cañón de la metralleta en el ano, luego de ello me pusieron de pie, y así desnuda, con la cara vendada, me llevaron a un escritorio y me quisieron obligar a firmar un acta en donde decían que me habían encontrado un explosivo, un cuaderno y una mecha, negándome yo a firmarlo.«15   (»Sie zwangen mich, mich gegen meinen Willen auszuziehen und hingen mich Kopf über auf und alle Wachen, die an meiner Seite vorbeigingen, steckten mir die Hand in die Vagina, sie rissen mir ein Paar Ohrringe heraus und schlugen mir einen in die Gesäßhälfte, sie öffneten meine Gesäßhälften und steckten mir den Lauf der Schnellfeuerwaffe in den Anus, dann stellten sie mich auf die Füße, und so, nackt, mit verdecktem Gesicht, brachten sie mich zu einem Schreibtisch und wollten mich dazu zwingen, eine Akte zu unterzeichnen, in der sie sagten, dass sie bei mir Sprengstoff, ein Notizbuch und eine Zündschnur gefunden hätten, ich weigerte mich es zu unterschreiben.«) Diese drei Aussagen beschreiben verschiedene Gewaltsituationen, denen gemein ist, dass sie in einem abgeschlossenen Raum – in Militärkasernen oder Polizeistationen – stattfanden. Die Festnahme, die häufig aufgrund von Beschuldigungen und Verdächtigungen ohne Haftbefehl vorgenommen wurde, stellte den Beginn der Taten dar, was ebenfalls in anderen Aussagen geschildert wird.16 Im Hochland kamen die staatlichen Sicherheitskräfte häufig nachts in die Häuser der Verdächtigen. Sie waren bewaffnet, in Gruppen organisiert und nahmen die Frauen mit in die Militärbasis oder Polizeistation.17 Bereits bei der Verhaftung, jedoch insbesondere in den Kasernen waren die Frauen den Tätern ausgeliefert. Die Männer speisten ihre Überlegenheit gegenüber den Frauen aus drei Aspekten: der Bewaffnung, dem Agieren in Gruppen sowie der Abgeschlossenheit des Raumes.18 Der erste Bericht veranschaulicht dies durch die Frage des Opfers: »Was könnte eine schutzlose und einzelne Frau tun?« Die geschilderten Fälle und weitere Zeug*innenaussagen illustrieren zudem bereits beschriebene Feindbilder, da die Gewaltausübung mit Beschimpfungen wie terruca einherging.19 Sie zeigen darüber hinaus, dass die Taten von Verdächtigungen sowie Befragungen begleitet wurden. Die testimonios legen außerdem nahe, dass auch die Opfer das Geschehene auf die Präsenz des 15 Zitiert nach: Americas Watch, Terror no Contado, 34. Interview von 05.07.1992. 16 Testimonios: 200012, 202539, 305943, 417512, 435099. Ein Haftbefehl war in den Zonen des Ausnahmezustandes auch nicht nötig. 17 Folgende Testimonios bestätigen dies: 200568, 201211, 201361, 2011353 202288, 202564, 202743, 417512, 430089, 440019. 18 Dies bestätigen weitere Testimonios: 202743, 300039, 440019. 19 Testimonios: 201211, 201361, 202288, 202564, 440019, 500973.

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Leuchtenden Pfades und einen Verdacht der Kooperation zurückführen. Sie geben an, dass infolge einer konkreten Aktion oder der Existenz von senderistas im Dorf die Militärs die Bevölkerung bestraften. In diesen Kontext ordneten die Frauen die Taten ein und verliehen so dem Geschehenen einen Sinn.20 Die dritte der Erzählungen deutet zudem eine weitere Praxis an. Die Opfer wurden gezwungen, Papiere zu unterzeichnen, die Geständnisse umfassten bzw. die guten Haftbedingungen bestätigten.21 Dies war eine weitere Absicherung des Militärs, um sich vor Anzeigen zu schützen. In diesen Aussagen lassen sich die psychischen Folgen nur erahnen. In vielen weiteren testimonios gehen Zeitzeuginnen direkt auf die seelischen Verletzungen dieser Gewaltform ein. Dabei berichten die Frauen, dass sie schutzlos und den Tätern ausgeliefert waren und sie erzählen von der Scham, der Angst sowie teilweise dem Hass gegenüber allen Männern.22 Die verschiedenen Räumlichkeiten – seien es Kasernen oder Polizeistationen – boten den staatlichen Sicherheitskräften weitere Möglichkeiten zur Gewaltausübung. Sowohl im Hochland als auch in Lima vermochten sie, den Spielraum der Täter zu erweitern. Zwar räumte bereits der Ausnahmezustand den staatlichen Sicherheitskräften mehr Rechte und Freiheiten in der Ausgestaltung des Kampfes ein. Die abgeschlossenen Räume machten jedoch eine zivile Kontrolle nahezu unmöglich und steigerten die Machtfülle: »An geschlossenen Orten, in Gefängnissen und Lagern, ist die Allmacht der Täter grenzenlos.«23 Die staatlichen Sicherheitskräfte konnten agieren, ohne eine Bestrafung oder den Blick der Öffentlichkeit befürchten zu müssen. Teilweise verstärkten sie dies noch durch Dunkelheit oder indem entweder sie oder die Opfer maskiert waren und so kaum eine Identifizierung möglich war. Die Literatur verweist auf eine weitere Funktion der Masken. Sie produzieren »a shadow self «24 , wodurch sie einen Abstand zu den eigenen Taten ermöglichten. Vor allem für indigene Täter beschreibt Kimberly Theidon dies als wichtige Möglichkeit zur Distanzierung.25 Der Schutz der Masken diente also einerseits der Straffreiheit. Andererseits konnten die Täter dadurch eine Distanz zu den Opfern und den Taten aufbauen. Ein weiteres Mittel, das einen Schutz vor moralischen Zweifeln bieten konnte, stellte das Hören von Musik dar, welches das Schreien der Opfer in den Hintergrund rücken ließ.26 Dies gaben diese drei Zeuginnen nicht an. Bei weiteren Aussagen sowie bei Foltererzählungen findet sich dieses Mittel jedoch. Der Spielraum der staatlichen Sicherheitskräfte erweiterte 20 Testimonios: 201353, 202288, 301684, 500218. 21 Hinsichtlich sexueller Gewalt bestätigt dies: 202288. Für Folter existieren weitere Belege. Siehe Abschnitt 5.2. 22 Testimonios: 201211, 201353, 201361, 300556, 300578, 301684, 440019. 23 Baberowski, Räume, 169. 24 Theidon, Intimate Enemies, 378. 25 Ebd. 378f. 26 Americas Watch, Terror no Contado, 34. CVR, Tortura, 243. Testimonio: 100169.

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sich also nicht nur durch die Abgeschlossenheit, die Straffreiheit sowie zusätzliche Mittel und Räume, sondern auch durch diese Möglichkeiten der Distanzierung, die laut Christopher Browning eine weitere Erleichterung für die Gewaltausübung bieten.27 Diese Orte – die Kasernen und Polizeistationen – vermochten ebenfalls eine Veränderung der zeitlichen Dimension. Die Täter mussten keine Angst haben, unterbrochen zu werden und konnten ihre Taten beliebig fortsetzen, Pausen einlegen oder sie in die Länge ziehen, was die Qualen für die Opfer vergrößerte.28 Frauen, die mehrere Tage in den Kasernen blieben, berichten, dass sie mehrfach vergewaltigt wurden. Teilweise immer wieder von demselben Soldaten, teilweise von verschiedenen Militärangehörigen.29 Mitunter bildete sich sogar eine Art Zwangsprostitution heraus und einzelne Frauen lebten in den Kasernen, kochten und wurden regelmäßig zum Sex gezwungen.30 Die staatlichen Sicherheitskräfte waren außerdem unter sich, unter Kollegen und Kameraden. Sie begingen die Taten wie in Beispiel (1) einzeln, agierten aber oft auch in Gruppen.31 Die Opfer (meist indigene Frauen) wurden also häufig von zahlreichen Tätern vergewaltigt und teilweise bis zur Bewusstlosigkeit gequält.32 Während für den peruanischen Fall kaum Quellen vorliegen, in denen die Täter über ihre Erlebnisse berichten, stellen andere Studien anhand ihrer Untersuchung die Vermutung auf, dass die Vergewaltigung nicht nur eine Mitteilung an Opfer und Hinterbliebene war, sondern auch zur Kommunikation in der männlichen Tätergemeinschaft diente: »Gewalttaten richten sich als Kommunikationsakte nicht nur an feindliche oder neutrale Dritte […], sondern auch an die Mitglieder der eigenen Gruppe.«33 Die Militärsoziologin Ruth Seifert verweist in diesem Kontext darauf, dass Hierarchien in diesen Tathergängen verhandelt und manifestiert werden.34 Im peruanischen Fall zeigte sich dies, da bei einigen dokumentierten Vergewaltigungen zuerst die Offiziere das Opfer vergewaltigten, die Soldaten indes erst später an der Reihe waren. Die ranghöheren Militärs misshandelten außerdem die nicht-indigenen, mestizischen Frauen, die Soldaten hingegen vergewaltigten die 27 Browning, Ganz normale Männer, 211f. 28 Auf diese zeitliche Dimension geht die Arbeit im Abschnitt zu Folter nochmals genauer ein. Siehe: Sofsky, Ordnung, 256f. 29 Testimonios: 100167, 201211, 201353, 201361, 202064, 204063. 30 Testimonios: 100167, 300556, 411311. Siehe auch: Gavilán, Memorias, 114. 31 Testimonios: 202064, 300578, 411311, 417512, 440019. Audiencia Pública, 10.09.2002. Siehe CVR, Violencia Sexual, 308. 32 Testimonios: 700164. 33 Schnell, Semantische Verarmung, 45. 34 Ruth Seifert, Krieg und Vergewaltigung. Ansätze zu einer Analyse, in: Alexandra Stiglmayer (Hg.), Massenvergewaltigung. Krieg gegen die Frauen. Freiburg 1993, 91f. Siehe auch: Rolf Pohl, Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen. Hannover 2004, 478.

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indigenen Frauen mit dunklerer Hautfarbe. Dies offenbart neben einem hierarchischen Denken der Militärs eine rassistische Konnotation der Taten.35 Ferner ist nicht zu unterschätzen, dass sich in einer Gruppe neben Ritualen, Druck und Zwängen eigene moralische Maßstäbe entwickeln.36 So wird der Gewalt zwar ein destruktiver Charakter, aber für die Gruppe ebenso ein vergemeinschaftender Einfluss beigemessen.37 Die Soldaten sind Teil einer Gruppe – einer Patrouille oder Einheit –, die sie nicht so leicht verlassen können bzw. wollen. Durch die ähnlichen Erfahrungen, die im Krieg mit Macht, Gewalt sowie mit Angst einhergehen, wachsen sie häufig stärker zusammen.38 Bei Militär sowie Polizei wird dieses Zugehörigkeitsgefühl noch durch ihre Ausbildung zu Loyalität und »Korpsgeist« verstärkt.39 Ein ehemaliger Soldat berichtete über den Druck und den Umgang mit Frauen vor der Wahrheitskommission. Im testimonio 411311 machte er deutlich, dass die Soldaten gezwungen wurden, Zivilisten zu exekutieren, um nicht unter Verdacht zu geraten. Zudem schilderte er, dass die Soldaten sich teilweise mit Kriegsandenken wie abgeschnittenen Fingern ausstatteten und je nach Opferzahl angesehener waren. Er bestätigte außerdem, dass Frauen nicht nur vergewaltigt, sondern auch für längere Zeit festgehalten wurden und das Kochen übernahmen.40 Diese Art der Gewaltausübung nahm jedoch nicht nur innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte eine kommunikative Funktion ein. Wie bereits angedeutet, traf sie insbesondere die Opfer sowie Dritte. Sie bedeutete einen Angriff auf die Integrität der Frau sowie ihrer Stellung in der Gesellschaft. Sie traumatisierte die Opfer, die ihr Leben lang mit dieser »seelischen Verstümmelung«41 zurechtkommen müssen. Sie demonstrierte außerdem, dass die männlichen Mitglieder des 35 Americas Watch, Terror no Contado, 20. Siehe auch: Theidon, Intimate Enemies, 133f. Testimonio: 20136. 36 Seifert, Krieg und Vergewaltigung, 87f. Dave Grossmann, Eine Anatomie des Tötens, in: Gleichmann, Massenhaftes Töten, 55-104. Theidon, Intimate Enemies, 135. 37 Holm Sundhaussen, Von der »bescheidenen Rede« zum Massenmord, in: Wolfgang Benz (Hg.), Vorurteil und Genozid. Ideologische Prämissen des Völkermords. Wien, Köln, Weimar 2010, 211. Schnelle, Räume, 358. 38 Den vergemeinschaftenden Charakter in Tätergruppen zeigt auch: Schnell, Räume, 24, 316, 319. Reichhardt, Praxeologie und Faschismus, 146. Thomas Kühne, Massen-Töten, 29ff. Siehe auch für Peru: Theidon, Intimate Enemies, 132. Dies wird auch in der Aussage von Telmo Hurtado deutlich, der die gemeinsame Kriegserfahrung betont: Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca – Llocllapampa y las Fosas Clandestinas en Pucayacu, Lima 1985, Tomo VI (Aussage Hurtado), 586. 39 Siehe Ausführungen zum Militär und Polizei (Kapitel 4). Die Rolle von Gruppen und Loyalität siehe auch: Harald Welzer, Wer waren die Täter? Anmerkungen zur Täterforschung aus sozialpsychologischer Sicht, in: Gerhard Paul (Hg.), Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002, 245ff. 40 Testimonio 411311. 41 Verena Zurbriggen, Sexuelle Gewalt, im Besonderen gegen Frauen, in: Paul Hugger, (Hg.), Gewalt. Kulturelle Formen in Geschichte und Gegenwart. Zürich 1995, 315.

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Feindes nicht fähig waren, die Frau zu schützen. Nicht mal im eigenen Haus konnten sie verhindern, dass ihre Frauen oder Mütter verhaftet wurden. Während diese Taten also einerseits eine Bestätigung oder Wiederherstellung der Männlichkeit der Täter waren, geben sie eine gänzlich andere Botschaft an die Frau und die Gemeinschaft. Durch Vergewaltigung war es möglich, den Gegner auf einer anderen Ebene zu treffen. Die Frau wurde dabei als verletzungsoffen interpretiert und die Gewalt richtete sich gegen ihre Rolle als Erhalterin und »Repräsentation des Volkskörpers«42 . Sie hinterließ Gefühle von Scham, Demütigung und Angst und führte dazu, dass zahlreiche Frauen das Geschehene verschwiegen. Sie wollten überdies nicht das Ansehen der Familie beschmutzen und die eigene Integrität schützen.43 Eine Aussicht auf Strafe für den Täter konnte in dieser Phase des Konfliktes ohnehin als gering eingeschätzt werden. Dies galt insbesondere für die Ausübung sexueller Gewalt in den Polizeistationen und Kasernen, für die es keine Zeug*innen gab und deren Existenz geleugnet werden konnte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Ziffer der Opfer sexueller Gewalt höher liegt als bisher angenommen. Bereits der Bericht von Americas Watch (1992) deutet darauf hin, dass die sexuelle Gewalt zu einer gängigen Praxis der staatlichen Sicherheitskräfte avancierte und als Kriegsstrategie bezeichnet werden kann.44 Sie war im Hochland verbreitet, aber auch in Lima wurden Räume der Straffreiheit und Abgeschlossenheit geschaffen, die dieses Handeln ermöglichten. Im Unterschied zu anderen Situationen außerhalb der Kasernen gingen die Formen sexueller Gewalt dort mit Befragungen einher. Doch auch bei diesen Beschreibungen, für die Quelle (1) sinnbildlich stehen kann, scheint die Informationsbeschaffung in den Hintergrund zu rücken und mutet größtenteils als Vorwand für das Tun der staatlichen Sicherheitskräfte an. Die Aussagen legen diese Interpretation nahe und auch der Verweis von Elaine Scarry, dass Schmerz eher zu Sprachlosigkeit führt, untermauert diese Deutung.45 Nichtsdestotrotz ist dies ein Aspekt, der den Situationen in den Militärbasen und Polizeistationen innewohnte und weiteren Druck auf die Opfer erzeugte, die teilweise zu Aussagen gezwungen wurden. Wie im ersten Beispiel deutlich wurde, ging dies häufig mit Beschimpfungen einher (terruca), die bereits geschilderte Feindbilder und Wahrnehmungen beinhalteten. Die Opfer beschreiben dies als Geringschätzung, die sich nicht nur in den Ausdrücken, sondern auch im Umgang mit ihnen niederschlug.46 Dabei mani42 Ruth Seifert, Der weibliche Körper als Symbol und Zeichen. Geschlechtsspezifische Gewalt und die kulturelle Konstruktion des Krieges, in: Andreas Gestrich (Hg.), Gewalt im Krieg. Ausübung, Erfahrung und Verweigerung von Gewalt in Kriegen des 20. Jahrhunderts. Münster 1996, 21. 43 Testimonios: 201211, 201353, 201361, 300556, 300578, 301684, 440019. 44 Americas Watch, Terror no Contado, 61. Michele Leiby, Wartime Sexual Violence in Guatemala and Peru, in: International Studies Quarterly 53, 2009, 449f. 45 Scarry, Der Körper im Schmerz, 82f. 46 Darauf geht die Arbeit in Abschnitt 5.2 nochmals ein.

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festierten sich nicht nur rassistische Vorurteile, sondern auch die Haltung gegenüber Frauen, die, wie schon angedeutet, auch in Friedenszeiten in Peru von einer männlichen Überlegenheit sowie Benachteiligung geprägt war. Im Kampf gegen den Leuchtenden Pfad, der viele weibliche Kämpfer hatte, verdichtete sich diese zu einem besonderen Feindbild – der weiblichen Subversiven.47 Ein spezifisches Merkmal dieser verbreiteten Gewaltform kann das erzwungene Entkleiden illustrieren, welches in der dritten Erzählung beschrieben wurde. Es veranschaulicht die symbolische Aufladung der sexuellen Gewalt und den erniedrigenden Charakter einer solchen Tat.48 Für die Täter ist es eine Form der Machtdemonstration und Ausübung von Zwang. Große Teile der Forschung betonen sogar, dass die Ausübung von Macht ein Hauptmerkmal der sexuellen Gewalt darstellt.49 Sie negieren dabei weitestgehend den sexuellen und lustvollen Charakter der Taten. Dies wird hier bezweifelt bzw. in Frage gestellt. Gründe für diese Skepsis liegen in den gesichteten Aussagen, die eine explizite Schilderung von Lust der Täter zwar nur selten beinhalten, jedoch dennoch den Eindruck nahelegen. Eine Frau berichtete zum Beispiel, dass sie das Gefühl hatte, »le gustaba jugarse con mi seno«50 . Zudem hebt der Sozialpsychologe Rolf Pohl diese Verbindung hervor. Er sieht den Lustgewinn sowohl in der Machtausübung als auch in der »genitalen Sexualität der Männer«51 . Gerade diese Mischung erscheint als das Eigentümliche dieser Gewaltform. Jan Philipp Reemtsma geht daher noch weiter und schreibt: »Wer in der Unterwerfung eines anderen Menschen nur Macht und keine sexuelle Befriedigung genießen will, der wird nicht vergewaltigen. Die Vorstellung, jemand zwinge sich zur Sexualität, um seinen Machtgelüsten Plausibilität zu verleihen, hat etwas Absurdes.«52 Durch diese Interpretation sowie die angeführten Deutungen lässt sich annäherungsweise erklären, warum die Täter Vergewaltigungen zusätzlich zur Folter anwendeten und warum diese Gewaltform attraktiv für einige Sicherheitskräfte war. Neben dem Machtgefühl und Lustgewinn erscheint insbesondere die demütigende Mitteilung an die Bevölkerung und den Feind als wesentliches Merkmal sexueller Gewalt.53 47 Nicht nur diese Taten legen diese Deutung nahe, sondern auch folgende Quelle: Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Tomo VII, Declaración del Inspector en el Cuartel »Los Cabitos«, 584. 48 Seifert, Der weibliche Körper, 21. 49 Ebd. 14. Zurbriggen, Sexuelle Gewalt, 301. Ruth Seifert, Die zweite Front – Zur Logik sexueller Gewalt in Kriegen, in: Sicherheit und Frieden 11, 1993, 66. Pohl deutet die Verbreitung dieser These an. Siehe: Pohl, Feindbild Frau, 508ff. 50 ÜBERSETZUNG: »ihm gefiel es, mit meiner Brust zu spielen.« LN, Testimonio en Audiencia Pública, Exp- 35-06, zit. n. APRODEH, Cuartel, 26. 51 Pohl, Feindbild Frau, 482. 52 Reemtsma, Vertrauen und Gewalt, 115. 53 Siehe zur Diskussion der Funktionen sexueller Gewalt: Gaby Zipfel, »Blood, Sperm and Tears«. Sexuelle Gewalt in Kriegen, in: Mittelweg 36, 3-20.

5. Praktiken des Staatsterrors

Die Militärangehörigen reagierten mit ihren Taten häufig unmittelbar auf Aktionen des Leuchtenden Pfades und auch von der Bevölkerung wurden diese als Rache oder Vergeltung bzw. Grund für die Taten erachtet. Während eine Festnahme ohne Verdacht oder vorausgegangene Aktion mehr Rechtfertigung bedurfte, erschien sie als Reaktion auf Attentate als ein durchaus legitimes Mittel. Darüber hinaus gehörte sexuelle Gewalt quasi zu den »Spielregeln des Krieges«, die weltweit und in verschiedenen Zeiten zum Repertoire des militärischen Handelns in den Konfliktzonen zählte und zählt. Die Situationen, die hier angeführt wurden, sind also keineswegs Besonderheiten oder Spezifika des peruanischen Falles. Vielmehr lassen sie sich mit Geschehnissen in anderen Kriegen vergleichen und machen deutlich, dass die Kriegssituation bei der Deutung sexueller Gewalt berücksichtigt werden sollte. Verschiebt sich doch durch sie die Wahrnehmung von sexueller Gewalt, die den Soldaten in diesem Rahmen meist als mindestens akzeptables Mittel galt. Eine Entschuldigung ist sie gleichwohl nicht. Vergewaltigungen während Massaker, Zusammenstößen und Patrouillen Die Patrouillen, die aus ca. 20 Personen bestanden, führten verschiedene Aktionen in den Städten, Dörfern und Siedlungen durch, wobei es ebenfalls zu sexueller Gewalt kam. Bei manchen Hausdurchsuchungen oder Kontrollen, sowie bei Zusammenstößen54 und während der Massaker oder wenn die Situation es ergab, griffen die Soldaten zu diesem Mittel. (4) Im Department Huancavelica in der Provinz Manta häuften sich 1984 Fälle sexueller Gewalt. Militärs der nahegelegenen Militärbasen kamen in Siedlungen und missbrauchten Frauen. Folgende Erzählung stellt ein Beispiel dieses Vorgehens dar: »›Acá está uno de los tucos‹ – me agarraron – ›ahora sí no escapas, tienes que decir todo.‹ Me metieron en el cuarto […] ›allá vamos al corralón donde están tus animalitos‹, me metieron adentro y empezó a soltar humo de su arma […] los habían pegado a mis hijitos, lo había encerrado en el otro cuarto. ›Ya que no quiere hablar, haremos lo de costumbre‹, me han empezado a violar, seis, seis eran […] después de hacerme eso me han hecho cocinar en la casa, encerrada me han tenido por seis días, yo les cocinaba.«55   54 Der Begriff »Zusammenstöße« bezieht sich auf den Quellenbegriff »enfrentamiento«. Es handelte sich meist nicht wirklich um Konfrontationen mit dem Leuchtenden Pfad, sondern eher um gegenseitige Hinterhalte, aber auch um Überfälle auf die Bevölkerung. Der Begriff ist Teil der Rechtfertigungen. Da er aus den Quellen stammt und den Unterschied zu den Situationen in den Kasernen illustriert, wird er hier dennoch genutzt. Durch die Beschreibung der Taten wird trotzdem deutlich, dass es sich nicht um kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Gegner handelte. 55 Testimonio 300556.

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(»›Hier ist einer der tucos (terrucos)‹ – sie ergriffen mich – ›wenn du jetzt nicht fliehst, musst du alles sagen.‹ Sie steckten mich in den Raum […] ›dort gehen wir in den Hinterhof, wo deine Tierchen sind‹, sie steckten mich dazwischen und es begann, Rauch aus seiner Waffe aufzusteigen […]. Sie hatten meine Kinder geschlagen, er hatte sie in dem anderen Zimmer eingesperrt. ›Weil sie nicht sprechen will, werden wir das Übliche machen.‹ Sie begannen mich zu vergewaltigen, sechs, sechs waren es. Nachdem sie mir das angetan hatten, zwangen sie mich im Haus zu kochen. Sie ließen mich sechs Tage eingesperrt und ich kochte für sie.«) (5) Eine andere Frau berichtete, dass Soldaten in das Dorf kamen, ihr folgten als sie das Haus verließ und sie missbrauchten: »[A] mí me han violado los militares, un día casi al atardecer, cuatro de la tarde, he salido de mi casa, estaba caminando y dos morocos me estaban siguiendo, me he escondido detrás de molle, y me han encontrado, su arma me ha puesto en la cabeza, a la fuerza me han agarrado. […] Me han tirado al suelo su metralleta me han metido a mi vagina ›chiquito tienes no‹ diciendo me han abusado, cuando me han terminado de violar me han dicho ›así debes atender al marido.‹«56   (»[M]ich haben die Militärs vergewaltigt, an einem Tag fast zur Abenddämmerung, um vier Uhr am Nachmittag. Ich habe mein Haus verlassen, ich ging gerade und zwei ›morocos‹ folgten mir, ich habe mich hinter einem Pfefferbaum versteckt und sie haben mich gefunden, ihre Waffen hielt er mir an den Kopf, gewaltsam hielten sie mich fest […] Sie warfen mich zu Boden, ihre Schnellfeuerwaffe steckten sie mir in die Vagina, ›einen Sohn hast du, nicht wahr‹ sagten sie und missbrauchten mich. Als sie damit fertig waren, mich zu vergewaltigen, sagten sie mir ›so musst du dich um den Ehemann kümmern.‹«) (6) Eine weitere Zeugin erzählt von einer Vergewaltigung während einer Kontrolle einer Ortschaft im Jahr 1990 in Huamanmarca: »Con golpes nos amarraban las manos, nos tumbaban al piso y nos violaban. A las mujeres nos separaron del grupo de los varones y nos violaban, especialmente escogían a las mujeres jóvenes y encerrándolas en la escuela, las violaban.«57   (»Unter Schlägen fesselten sie uns die Hände, sie warfen uns zu Boden und vergewaltigten uns. Uns Frauen trennten sie von der Gruppe der Männer und vergewaltigten uns. Sie wählten insbesondere die jungen Frauen aus und sperrten sie in die Schule und vergewaltigten sie.«) 56 Testimonio 311052. 57 Testimonio 203431.

5. Praktiken des Staatsterrors

Diese drei Situationen differieren zeitlich und stellen zudem drei unterschiedliche Kontexte der Vergewaltigungen dar. Gemein ist ihnen der Ausnahmezustand als rechtlicher Rahmen, die Ohnmacht der Opfer sowie die Straflosigkeit der Täter. Das erste Beispiel erzählt vom Eindringen in das Haus, das ebenfalls bei Festnahmen üblich war und zur Routine der staatlichen Sicherheitskräfte gehörte.58 Überdies verdeutlicht es, dass die Täter in einigen Fällen häufiger oder innerhalb eines längeren Zeitraumes die Frauen missbrauchten. Dies hatte nicht selten die so genannten »Geschenke der Soldaten« als Folge.59 Die Wahrheitskommission dokumentierte zahlreiche Schwangerschaften für die Region Manta, wo die erste geschilderte Vergewaltigung stattfand. Dies blieb jedoch nicht auf diese Orte beschränkt. Auch in Aussagen aus anderen Regionen wird von Kindern als Folge der Taten berichtet.60 Dass diese Vergewaltigungen keineswegs immer durch Gruppen oder gezielt durchgeführt wurden, belegt Beispiel (5), welches eine Tat wiedergibt, die spontan bei einer sich bietenden Gelegenheit begangen wurde. Dies stellt keinen Einzelfall dar, wie Theidon in ihrem Werk »Intimate Enemies« herausarbeitet. Hingegen häufen sich die Situationen, in denen die Frauen während der Suche nach ihren Männern oder Angehörigen von staatlichen Sicherheitskräften missbraucht wurden. Das dritte Beispiel ist Teil einer Massenvergewaltigung, die bei der Kontrolle eines Ortes begangen wurde,61 der im Jahr 1990 unter Verdacht geriet, den Leuchtenden Pfad zu unterstützen. Während des Massakers wurde ein zusätzliches Gebäude für die Vergewaltigung genutzt. In diesen und anderen Beispielen griffen die Soldaten auf eine Schule zurück. In weiteren Fällen benennen die Zeug*innen ebenso Kirchen.62 Viele der Deutungen, die für die geschilderten Situationen in den Kasernen angeführt wurden, gelten auch außerhalb: Neben der rassistischen Konnotation sowie einer diskriminierenden Haltung gegenüber Frauen spielen die Eigenschaften des Militärs und der Ausnahmezustand eine Rolle. Die angesprochenen psychischen Folgen treten in diesen Situationen ebenso auf. Verstärkt wird jedoch die kommunikative Funktion, die sich insbesondere in den Darstellungen (4) und (6) gegen die Gemeinschaft richtete.63 Die routinemäßigen Vergewaltigungen, wie 58 Häufig kam es direkt im Haus zu Vergewaltigungen. Testimonios: 200920, 201242, 201538, 202565, 203021, 301742, 302389. 59 Theidon, Intimate Enemies, 133f. 60 CVR, Violencia Sexual, 312. Testimonios: 200920, 203021, 203431, 302692, 407606. 61 Weitere Testimonios berichten von Vergewaltigungen während der Kontrolle von Orten: 100167, 202751, 314035, 302692, 305043, 425023, 435017, 435099. 62 Testimonios: 100004, 100936,202539, 203431. 63 Auch künstlerische Auseinandersetzungen beschäftigen sich mit dieser öffentlichen Form der Vergewaltigung. Bspw. das Kunstwerk von Wari Zarate. Einsehbar in: http://anfasep.org.pe/ archivos/ANFASEP_Museo_Itinerante_II_10S.jpg, [zuletzt eingesehen am 24.08.2019].

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sie im ersten dieser drei Fälle anklingen, hatten nicht nur die Folge, dass zahlreiche Frauen Kinder von Soldaten auf die Welt brachten, sondern führten zu einer dauerhaften Schädigung des Zusammenlebens in den Gemeinschaften. Die Frauen konnten einerseits die Vergewaltigungen nicht verschweigen, andererseits hatte eine Strafverfolgung wenig Aussicht auf Erfolg. Sie fühlten sich gedemütigt und lebten in der Angst, von der Gemeinde und ihrer Familie verstoßen zu werden.64 Besonders die Frauen, die ein Kind von den staatlichen Sicherheitskräften bekamen, werden immer an das Erlittene erinnert und die Angehörigen sowie die Dorfgemeinschaft nehmen dauerhaft die vergangenen Taten wahr. Einige Frauen versuchten daher, die Schwangerschaft abzubrechen oder ihr Kind abzugeben. Andere Frauen behielten die Kinder, die kaum die Chance hatten, ein Teil der Gemeinschaft zu werden. Theidon berichtet bspw. von einem Jungen, der Chiki – Gefahr – genannt wurde und für die Mutter eine lebende Erinnerung an die Vergewaltigung darstellt sowie selbst mit dem Stigma leben muss.65 Die Gewaltanwendung und insbesondere die Vergewaltigungen bei Kontrollen sowie das Eindringen in die Häuser erzeugten außerdem eine permanente Bedrohung und Gefahr für Frauen. Sie lebten mit der Ungewissheit, ob oder wann sie sie zum Opfer werden würden. Während die Vergewaltigungen in den Militärbasen oft mit Verdächtigungen einhergingen, liegt hier der Eindruck nahe, dass die Frauen missbraucht wurden, weil es die Situation zuließ und die Frauen schlicht »verfügbar« waren. Auch Americas Watch teilt diese Wahrnehmung und schreibt: »A diferencia de las violaciones cometidas en un contexto de interrogatorio o detención, en las violaciones que ocurren en las Zonas de Emergencia no se hacen preguntas. No hay arrestos. La violación es un castigo arbitrario a las mujeres por ser quienes son y estar donde están.«66 Wie die Erzählung (6) offenbart, konnte dies viele Frauen der Gemeinschaft gleichzeitig treffen, die von zahlreichen Männern vergewaltigt wurden. Insbesondere die Gewaltform des Massakers ging mit Massenvergewaltigungen einher. Auf diese spezifische Gewalttat geht die Arbeit jedoch gesondert ein. In diesen drei unterschiedlichen Fällen differieren Täter- und Opferzahl sowie der Grad der Öffentlichkeit bzw. der Zurschaustellung der Taten. Während in Fall (4) die Familie – aber nicht die Dorfgemeinschaft – unmittelbar Zeuge wurde, gaben sich die Täter in Situation (5) kaum Mühe, die Vergewaltigung zu verbergen. In 64 Theidon, Intimate Enemies, 124ff. 65 Ebd. 137f. 66 ÜBERSETZUNG: »Im Unterschied zu den Vergewaltigungen, die im Kontext von Verhör oder Festnahme begangen wurden, werden bei den Vergewaltigungen, die in den Zonen des Ausnahmezustandes stattfinden, keine Fragen gestellt. Es gibt keine Verhaftungen. Die Vergewaltigung ist eine willkürliche Bestrafung der Frauen, dafür, dass sie diejenigen sind, die sie sind und sich dort befinden, wo sie sich befinden.« Americas Watch, Terror no Contado, 36.

5. Praktiken des Staatsterrors

Erzählung (6) trennten die Militärs zwar die Männer von den Frauen, es war aber trotzdem klar, was in der Schule mit den Frauen geschehen würde. In anderen Berichten, die die Wahrheitskommission aufnahm, sprachen die Opfer davon, dass die Ehemänner, Väter oder Kinder zuschauen mussten.67 Manche Frauen berichteten auch, wie sie ihre Kinder – insbesondere Töchter – vor der Gewalt schützen wollten und so selbst zum Opfer wurden.68 Sexuelle Gewalt an Kindern, also meist weiblichen Personen unter 18 Jahren, stellt eine weitere Dimension dieser Gewaltform dar. Dieser Angriff auf Schutzbedürftige war ebenfalls ein kommunikativer Akt, der nicht nur das Opfer, sondern auch die Familie traumatisieren sollte. Die Wahrheitskommission geht davon aus, dass ungefähr 20 % der Opfer sexueller Gewalt unter 18 Jahren alt waren.69 Auf dieses Phänomen ebenso wie auf sexuelle Gewalt gegen Männer geht diese Arbeit jedoch nicht ausführlicher ein. Zusammenfassung Sexuelle Gewalt fand in Peru in verschiedenen Situationen statt, die hier nach räumlichen Merkmalen unterschieden wurden. Sie weisen gemeinsame sowie spezifische Eigenschaften auf und demonstrieren, dass sexuelle Gewaltakte keineswegs Begleiterscheinungen des Krieges oder Kollateralschäden waren. Vielmehr stellten diese Taten eine gängige Praxis der staatlichen Sicherheitskräfte dar. In den Erzählungen traten immer wieder der symbolische Charakter und die kommunikative Kraft dieser Gewaltform zutage. Wie beschrieben, richtete sie sich nach außen sowie innen – war also Mitteilung an Opfer, Dritte sowie die eigene Gruppe. Ein Grund für die Attraktivität dieser Gewaltform liegt also in ihrer symbolischen Wirkungsmacht. Weitere Gründe finden sich in den Eigenschaften des Gewaltkollektives sowie der Kriegssituation bzw. dem Ausnahmezustand (Gewaltraum). In einer solchen Situation konnte diese Gewaltform für die männliche Tätergruppe besonders attraktiv werden, da die Täter davon ausgingen, keine Strafen befürchten zu müssen: »Schon immer haben Menschen einander verletzt und getötet, wenn sie im Glauben waren, es sei erlaubt, was sie tun, und sie gewiss sein konnten, mit Strafe oder Rache nicht rechnen zu müssen.«70 Außerdem wollten sie den Feind dadurch schwächen sowie Macht ausüben. Hinzu kommt, dass rassistische Vorurteile existierten, die sich mit einer Geringschätzung von Frauen verschränkten. Dies kulminierte in einem Feindbild einer weiblichen Subversiven, die noch brutaler als ihre männlichen Kameraden sei.71 67 68 69 70 71

Testimonio 200920, 201242. CVR, Violencia Sexual, 338ff. CVR, Violencia contra los Niños y Niñas, 586. Baberowski, Räume, 27. Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Tomo VII, Declaración del Inspector en el Cuartel »Los Cabitos«, 584.

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Die sexuelle Gewalt ist also ein Gesicht des Staatsterrors, das nicht in Strategien und Handbüchern gefordert wurde, sich dennoch als eine gängige Praxis entwickelte und verschiedene Funktionen einnahm. Neben der Demonstration von Macht, der Verhandlung von Hierarchien sowie Abschreckung geht die Arbeit davon aus, dass auch sexuelle Befriedigung eine Rolle für die Täter spielen konnte. Bedeutsamer scheint jedoch die kommunikative Funktion, die noch über den Krieg hinauswirkte: Bis heute sind die Folgen spürbar und die meisten Täter straffrei.72

5.1.2.

Zwangssterilisierungen

Anders als die Vergewaltigungen fanden die Zwangssterilisierungen nicht im genannten Untersuchungszeitraum statt und sie stellten keine situativen Entscheidungen oder rein militärische Vergehen dar. Vielmehr griff der autoritäre Staat unter Fujimori ein, indem er ein Programm zur Geburtenkontrolle entwickelte. Das »Programa de Salud Reproductiva y Planificación Familiar« bildete den Rahmen der Zwangssterilisierungen und soll nun in aller Kürze skizziert werden. Diese Darstellung dient zur Kontrastierung. Sie vermag, das Bild der sexuellen Gewalt bis 1994 abzugrenzen und kann es somit klarer werden lassen. Wie bereits im dritten Kapitel gezeigt, übernahm Alberto Fujimori das Präsidentenamt nicht nur zu einer Hochzeit des Konfliktes, sondern ebenso in einer wirtschaftlichen Krise. In diese ist das Programm »Programa Nacional de Población«, welches Fujimori 1991 ins Leben rief, einzuordnen. Es sollte die Geburtenrate bis zum Jahr 1995 senken, indem die Verwendung von Verhütungsmitteln – auch der Sterilisierung – gesteigert wird. Da dies innerhalb der ersten vier Jahre kaum Erfolg hatte, konzipierte die Regierung ein neues Programm »Programa de Salud Reproductiva y Planificación Familiar«, das von 1996 bis in das Jahr 2000 umgesetzt wurde. Es setzte vermehrt auf die sogenannten freiwilligen chirurgischen Verhütungsmittel, was einer Sterilisierung/Kastration entsprach. Während im Jahr 1990 ca. 2.593 Sterilisationen (Eileiterdurchtrennungen) durchgeführt wurden, belief sich die Zahl 1996 auf 67.263.73 Insgesamt sterilisierte/kastrierte der Staat innerhalb dieses Programms 300.000 Menschen, davon 250.000 Frauen.74 Dieses Vorgehen 72 Es gibt bisher keine Verurteilungen wegen Vergewaltigungen während des Krieges. Täter wurden höchstens wegen anderer Delikte angeklagt. Siehe: IDEHPUCP, 538 Casos de Violación Sexual (y muchos más) en Impunidad, in: http://idehpucp.pucp.edu.pe/opinion/538-casos-deviolacion-sexual-y-muchos-mas-en-impunidad/, [zuletzt eingesehen am 30.07.2018]. 73 Comité de América Latina y el Caribe para la Defensa de los Derechos de la Mujer (CLADEM), Nada Personal. Reporte de Derechos Humanos sobre la Aplicación de la Anticoncepción Quirúrgica en el Perú. Lima 1999, 59. 74 Ainhoa Molina Serra, Esterilizaciones (Forzadas) en Perú: Poder y Configuraciones Narrativas, in: Revista de Antropología Iberoamericana, 12/1 35.

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bedurfte der Aufklärung sowie Zustimmung der Betroffenen. Folgende Erzählung illustriert, wie zahlreiche solcher operativen Eingriffe abliefen: Eine Frau in der Provinz Anta hatte bereits sechs Kinder und wurde im April bei der Untersuchung eines Kindes im Gesundheitszentrum unter Druck gesetzt, sich sterilisieren zu lassen: »Al comienzo me dijeron: ›te llevaré a Limatambo hoy mismo para hacerte operar.‹ Yo no acepté. Me escapé con el pretexto de salir a prestarme dinero. Cuando tuve que ir llevando a mi hijo para su control, me riñeron, ›Aja, mañosa ¿dónde está que volviste?‹ diciendo. Yo contesté: ›no tengo dinero‹. Fue entonces cuando me dijo: ›Ahora voy a ir a tu casa para explicarle a tu esposo y hacer que venga‹, diciendo. Efectivamente vino a mi casa fue entonces que me amenazó diciendo: ›Si no vienes, cuando tengas otro hijo, ya ni lo vamos a inscribir.‹ Y me remató: ›La próxima vez les hare traer con la policía.‹ Escuchando eso mi esposo se asustó y firmó. Después me hice operar por temor. Desde entonces estoy mal, inválida.«75   (»Am Anfang sagten sie mir: ›Ich bringe dich noch heute nach Limatambo um dich operieren zu lassen.‹ Ich stimmte nicht zu. Unter dem Vorwand raus zu gehen, um mir Geld zu leihen, entkam ich. Als ich meinen Sohn zur Kontrolle bringen musste, tadelten sie mich: ›Aha, Diebin wo ist es [das Geld], dass du wiedergekommen bist?‹ Ich antwortete: ›Ich habe kein Geld.‹ Das war der Moment, in dem er mir sagte: ›Ich werde jetzt zu dir nach Hause gehen, um es deinem Mann zu erklären und ihn dazu zu bringen, herzukommen.‹ Er kam tatsächlich zu mir nach Hause, damals bedrohte er mich, indem er sagte: ›Wenn du nicht kommst, werden wir, wenn du dein nächstes Kind bekommst, dieses nicht einmal registrieren.‹ und er versetzte mir den letzten Stoß: ›Das nächste Mal lasse ich euch von der Polizei herbringen.‹ Als mein Mann das hörte, erschrak er und unterschrieb. Danach ließ ich mich aus Angst operieren. Seitdem geht es mir schlecht, ich bin invalide.«) Diese Beschreibung verdeutlicht einige typische Aspekte der Fälle von Sterilisationen während des Programmes zur Familienplanung. Zum einen traf es häufig arme Bevölkerungsgruppen, die wenig gebildet waren. Zum anderen erzeugten die Mitarbeiterinnen Druck auf die Frauen und ließen sie über Nebenwirkungen sowie Risiken im Unklaren.76 Andere Personen berichten, dass sie nicht einmal wussten, was mit ihnen geschah.77 Weitere sagen aus, dass sie dachten, dass sie zu diesem Eingriff verpflichtet seien.78 Das Programm war also nicht nur für Frauen vorgesehen, die sich freiwillig zur Sterilisierung meldeten. Vielmehr ging es mit einer 75 Testimonio de D.Q. zit. n. CLADEM, Nada Personal, 89. 76 Defensoría del Pueblo, Esterilización Forzada. Informe de la Defensoría del Pueblo, Tomo II, Lima 1999, 30ff. 77 CLADEM, Nada Personal, 41. 78 Alejandra Ballón, Ayacucho: Testimonios de los Afectados y del Personal Médico, in: Dies. Memorias del Caso Peruano de Esterilización Forzada. Lima 2014, 206ff.

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massiven Werbung einher und nicht selten mit Druck oder Fehlinformationen. Insbesondere arme, indigene Frauen, die nicht lesen und schreiben konnten, fielen dieser Kampagne zum Opfer, welche neben dem Bevölkerungswachstum auch die Armut minimieren sollte. Auf verschiedenen Ebenen verletzte dieses Programm die Menschenrechte. Die Sterilisierungen wurden in vielen Fällen gegen den Willen der Opfer oder mit unzureichender medizinischer Ausstattung vorgenommen, weshalb einige Frauen an dieser Prozedur starben. Darüber hinaus wurde mit Druck oder Informationsmangel eine Entscheidung erzwungen, die wie im beschriebenen Fall häufig der Mann für die betroffene Frau fällte. Kurz: Zumeist wurden von den Zuständigen des Programms die Persönlichkeitsrechte der Frauen missachtet. Für seine Hochphase von 1995-1997 sind zahlreiche unfreiwillige Sterilisierungen dokumentiert. Trotz dieser Indizien kam es bisher nicht zu einer Bestrafung der geistigen Autoren und behandelnden Ärzte. Eine weitere Prüfung des Urteils von 2014 steht jedoch noch aus.79 Was sagt dieses Vorgehen über den Staatsterror unter Fujimori aus? Anders als in den 1980er Jahren unter den Präsidenten Belaúnde und García schuf der Staat nicht nur einen Rahmen zur Ausübung der Gewalt, wobei die Planung sowie Durchführung dem Militär überlassen wurde. Bei den Zwangssterilisierungen gaben Fujimori und seine Regierung ein Programm vor, sicherte einen legalen Rahmen zu und forderten die Sterilisierung zahlreicher Frauen ein. Als die erste Kampagne kaum Erfolg hatte, verschärften sie sogar in einer zweiten Auflage das Vorgehen. Der Staat nahm nun Opfer nicht nur hin, sondern forderte diese mehr oder weniger ein. Ähnlich wie bei anderen Formen sexueller Gewalt richtete sich dieses Programm vor allem gegen die indigene Bevölkerung. Jedoch war es nun staatlich geplant, bürokratisch organisiert und gesetzlich abgedeckt. Aufgrund dessen liegt die Interpretation nahe, dass Fujimori die Bevölkerungszusammensetzung neuordnen und insbesondere die Geburtenrate der Indigenen kontrollieren wollte. Dies ist durchaus als eine »biopolitische« Maßnahme zu betrachten, die unabhängig von Zwang oder Freiwilligkeit einen neuen Charakter des staatlichen Handelns zeigt.80 Im autoritären Staat unter Fujimori gab es eine zentrale Lenkung, die im Unterschied zu den Regierungen zuvor stärker in die Gewaltausübung eingriff. 79 Equipo técnico de la Clínica Jurídica de Acciones de Interés Público – Sección Penal, Esterilizaciones Durante el Gobierno de Alberto Fujimori: ¿Política de Planificación Familiar o Delitos Dolosos y Crímenes de Lesa Humanidad? In: Revista IUS ET VERITAS 49, 2014, 306-321. 80 Der Begriff »Biopolitik« ist höchst umstritten und unterschiedlich ausgelegt worden. Hier beziehe ich mich auf das Verständnis von Foucault. Es geht also (zusammenfassend) um politische Maßnahmen, die die Bevölkerung als Lebewesen begreift und eine Steuerung der Gesellschaft und Regulation der Bevölkerung intendiert. Siehe: Michel Foucault, Die Verteidigung der Gesellschaft: Vorlesungen am Collège de France (1975/76). Frankfurt a.M. 2001, 282f. Siehe außerdem Philipp Sarasin, Michel Foucault. Zur Einführung, Hamburg 2005, 166f. Thomas Lemke, Biopolitik. Zur Einführung. Hamburg 2007, 55f.

5. Praktiken des Staatsterrors

5.2.

Folter – eine Herrschaftspraxis?

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Gewaltform »Folter«, die die UNO 1984 in einer Anti-Folterkonvention wie folgt definiert hat: »Im Sinne dieses Übereinkommens bezeichnet der Ausdruck ›Folter‹ jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund.«81 Diese offizielle Definition kann als Ausgangspunkt dienen, wenngleich betont werden sollte, dass sie einen Konsens der Unterzeichner darstellt, der, wie in diesem Kapitel zu sehen sein wird, Charakteristika enthält, die in der Praxis als weniger wesentlich erscheinen. Die Geschichte der Folter reicht zudem weiter zurück und zeigte im Verlauf der Jahrhunderte unterschiedliche Ausprägungen und Zwecke.82 Für den peruanischen Staatsterror konnten für zahlreiche Militärbasen und Polizeistationen im Hochland sowie für Gebäude der DINCOTE verschiedene Fälle von Folter nachgewiesen werden.83 Dieser Teil der Untersuchung bezieht sich meist auf Aussagen von Opfern, die sie vor der Wahrheitskommission tätigten. Insbesondere das forensische Gutachten, für das die Leichen in der Militärbasis Los Cabitos untersucht wurden, erweitert die Quellengrundlage und kann zusätzliche Informationen über die Taten liefern.84 Durch ähnliche räumliche Gegebenheiten sowie durch das Quälen mittels sexueller Gewalt kommt es hier teilweise zu Überschneidungen zum vorherigen Abschnitt, auf die jedoch bewusst hingewiesen wird. (7) Am 2. Dezember 1986 wurde der Befragte von ca. fünf oder sechs Soldaten in seiner Wohnung verhaftet und bereits dabei geschlagen und malträtiert. Sie brachten ihn dann in einem kleinen Panzer mit weiteren Gefangenen in die Militärkaserne Los Cabitos am Rande der Stadt Huamanga, wo er weitere Gewaltanwendung erdulden musste: 81 UNO, Anti-Folterkonvention, Artikel 1, 1984, in: https://www.antifolterkonvention.de/uebereinkommen-gegen-folter-und-andere-grausame-unmenschliche-oder-erniedrigende-behandlung-oder-strafe-3149/, [zuletzt eingesehen am 31.07.2018]. 82 Edward Peters, Folter. Geschichte der peinlichen Befragung. Hamburg 2003, 24ff. 83 Die Marine nutzte das Stadion von Huanta, um Gefangene festzuhalten und zu foltern. Testimonio 100205, 200727, 200591, CVR, Fuerzas Armadas, 266. 84 Instituto Medicina Legal del Perú, Violaciones a los Derechos Humanos y del Derecho Internacional Humanitario en el Perú. Búsqueda, Recuperación y Estudio de Cuerpos Victimados 1980-2000. Lima 2005.

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»Yo no sabía a donde me llevaban, será pues a la muerte. ›Nos botarán como botes de basura a una zanja.‹ Eso lo que pensaba. Ya no quise vivir, solamente pensaba en morir. Llegamos a las cinco de la mañana, nos dejó bajar de la tanqueta. Nos desató la mano y la venda para así bajar, apoyándonos de la tanqueta. Nos metieron a la celda inmediatamente. Las celdas eran sólo para dos personas, para estar parados no más. Estábamos vendados no más, ya no amarrados. Ahí estuvimos nueve días. Estábamos medio calatos, y hacía frío. Nos dieron agüita con coca y un pancito. Al día siguiente nos han sacado a un cuarto más grande, a todos juntos. Nos pusieron boca abajo, luego nos pisaron. El piso estaba mojado. Eso fue como a las ocho y media o las nueve y cuarto, y nosotros estábamos casi sin ropa. Nos daban una taza de arroz, una vez al día, al mediodía. Nos llevaban al baño vendados, a veces tropezábamos. A veces nos llevaban y nos pegaban también, nos tiraban cocachos.«85   (»Ich wusste nicht, wo sie mich hinführten, zum Tod, nahm ich an. ›Sie werden uns wie Müll in eine Grube schmeißen.‹ Das ist das, was ich dachte. Ich wollte schon nicht mehr leben, dachte nur noch an das Sterben. Wir kamen um 5 Uhr morgens an, er ließ uns aus dem (Transport-)Panzer aussteigen. Er band unsere Hände los und nahm die Augenbinden ab, damit wir aussteigen konnten und half uns aus dem Panzer heraus. Sie steckten uns sofort in die Zelle. Die Zellen waren nur für zwei Personen, man konnte darin nicht mehr als stillstehen. Uns waren die Augen verbunden, mehr nicht, wir waren nicht mehr festgebunden. Dort waren wir neun Tage. Wir waren halbnackt und es war kalt. Sie gaben uns Wasser mit Coca und ein (kleines) Brot. Am nächsten Tag zogen sie uns alle zusammen heraus in ein größeres Zimmer. Sie hingen uns kopfüber auf, danach traten sie uns. Der Boden war nass. Das war gegen halb neun oder viertel nach neun und wir waren fast unbekleidet. Einmal am Tag, am Mittag, gaben sie uns eine Tasse Reis. Sie brachten uns mit verbundenen Augen ins Bad, manchmal stolperten wir. Manchmal brachten sie uns [dahin], schlugen uns auch und gaben uns Kopfnüsse.«) Am achten Tag nahmen drei Militärangehörige die Gefangenen mit an eine Schlucht nahe der Kaserne und stellten sie an deren Rand, um ihnen mit dem Tod zu drohen, wenn sie nicht die Namen von Terroristen verraten würden. In Folge zwangen die Militärs sie, eine Aussage zu unterzeichnen, die sie zuvor nicht lesen durften.86 (8) Ein Opfer, das zur Zeit der Tat etwa 19 Jahre alt war, berichtete, dass er aufgrund des Verdachtes mit dem Leuchtenden Pfad zu kooperieren am 20.04.1990 festgenommen und in die Militärbasis Bellavista im Department Junín gebracht wurde – scheinbar als Reaktion auf den Tod einer Polizeifamilie. Die Militärs hielten ihn dort für ungefähr einen Monat fest und folterten ihn: 85 Testimonio 100169. 86 Testimonio 100169.

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»Me llevaron a la base de aquí de ACAC Bellavista y allí, me ataron los manos hacía atrás, me vendaron los ojos y me colgaron de los pies y me sumergían a un cilindro de agua sucia, parece que contenía jabón, detergente o aceite y luego me levantaban inconsciente, ahogado por la cantidad de agua que me tomaba, y ya en el suelo me pisaban en la espalda y el agua me salía por la boca y por la nariz. A esta forma de maltratarme los militares le llamaban el té filtrante, estas sesiones se repetían 3 a 4 veces al día. Luego en las noches me amarraban con una soga y me llevaban al río para lanzarme a su agua. Mi vida era muy triste. Quería que me maten de una vez porque esos sufrimientos eran terribles, había días en que me quemaban la boca con leña incandescente, me decían ›terruco de m… dónde están las armas, quiénes mataron a los familiares de policía, si nos entregas a tus compañeros terrucos te soltamos‹, además no me daban comer varios días.«   (»Sie brachten mich hier zu der Basis von ACAC Bellavista und dort banden sie mir die Hände hinter dem Rücken zusammen, verbanden mir die Augen, hingen mich an den Füßen auf und tauchten mich in einen Zylinder mit schmutzigem Wasser ein. Es scheint, dass er Seife, Reinigungsmittel oder Öl enthielt und danach hoben sie mich bewusstlos heraus. Fast ertrunken durch die Menge an Wasser, die ich geschluckt hatte, traten sie mich bereits am Boden in den Rücken und das Wasser lief mir aus dem Mund und der Nase wieder heraus. Diese Form der Misshandlung nannten die Militärs ›Filtertee‹ und wiederholten sie drei bis viermal am Tag. Später in den Nächten banden sie mich mit einem Seil fest und brachten mich zum Fluss, um mich in sein Wasser zu werfen. Mein Leben war sehr traurig. Ich wollte, dass sie mich ein für alle Mal töten, weil diese Qualen schrecklich waren. Es gab Tage, an denen sie mir den Mund mit glühendem (Brenn-)Holz verbrannten, sie sagten mir ›Sch[eiß] terruco, wo sind die Waffen? Wer hat die Familienmitglieder der Polizei getötet? Wenn du uns deine terruco-Freunde auslieferst, lassen wir dich frei.‹ Zudem gaben sie mir mehrere Tage lang nichts zu essen.«) Dieses Opfer wurde später in andere Kasernen und schließlich zur DINCOTE gebracht sowie in Folge angeklagt, wegen mangelnder Beweise jedoch freigesprochen. Mit den Folgen der Folter muss er weiterleben, da er durch die bleibenden Schmerzen an die Taten erinnert wird und nach eigenen Aussagen nicht normal arbeiten kann.87 (9) Ein weiteres Opfer gab der Wahrheitskommission über verschiedene Formen von Folter Auskunft, die er in einer Station des DINCOTE in Cusco im Jahr 1990 erlebte. Der Grund für seine Festnahme war der Verdacht, dass er für den Leuchtenden Pfad Wände bemalt habe. Sie begannen am dritten Tag mit der Folter. Sie verbrannten ihn mit Zigaretten an den Händen und am Rücken. »[S]on huellas que 87 Testimonio: 301010.

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siempre quedaran.«88 Außerdem hingen sie ihn an den Händen auf und tauchten ihn ins Wasser bis er das Bewusstsein verlor.89 Von einer Station der DINCOTE in Lima berichtet ein weiterer Zeuge (9/2), dass er 1991 wegen des Verdachtes bei einer Aktion des Leuchtenden Pfades beteiligt gewesen zu sein, festgenommen wurde. Er erzählte, dass mehrere Gefangene gleichzeitig im Quartier der DINCOTE waren und die Folterungen meist gegen 10 Uhr am Abend begannen. »Me sacaron esa noche, me llevaron a colgarme, vendado. Me desnudaron, pusieron mis manos atrás, envolvían con jebe, encima trapo y plástico. Con una soga empezaron a levantarme, sacaron la silla.«90   (»Sie holten mich in dieser Nacht, sie holten mich, um mich mit verbundenen Augen aufzuhängen. Sie zogen mich aus, legten mir meine Hände nach hinten, sie fesselten mich mit Gummi, darüber Lumpen und Plastik. Mit einem Seil begannen sie mich hochzuheben und zogen den Stuhl weg.«) In dieser Position schlugen sie ihn und hörten erst auf, als er ohnmächtig wurde.91 In diesen Erzählungen schilderten die Opfer verschiedene Formen der Folter. Im Abgleich mit weiteren testimonios fällt zunächst auf, dass die Gefangenen wie in Beispiel (7) häufig bei Hausdurchsuchungen festgenommen wurden, bei denen die staatlichen Sicherheitskräfte meist in verschiedene Häuser eindrangen und dann mehrere Menschen zusammen mitnahmen.92 Es existieren mehrere Aussagen, in denen berichtet wird, dass die Soldaten aufgrund eines Verdachtes in die Häuser kamen. Manche Opfer befanden sich auf einer Liste des Militärs, andere wurden von Nachbarn denunziert oder sie waren aufgrund ihres Berufes als Lehrer*in oder ihrem Dasein als Student*in in den Augen der staatlichen Sicherheitskräfte ein möglicher Subversiver.93 Die Militärs oder die Polizei brachten sie nicht in reguläre Gefängnisse, sondern meist in Polizeistationen, Kasernen oder kleinere Militärstützpunkte. Häufig verbanden sie den Opfern dafür die Augen.94 In den Stationen – so legen es die Aussagen nahe – existierten Räumlichkeiten sowie Equipment, um die Opfer für mehrere Tage oder Wochen festzuhalten und sie mittels verschie88 ÜBERSETZUNG: »Es sind Spuren, die immer bleiben werden.« 89 Testimonio: 750087. 90 Testimonio: 733012. 91 Testimonio: 733012. 92 Testimonios: 202077, 200591, 520257, 200434, 200568, 200198, 301351. 93 Testimonios: 200568, 200591, 202077, 420122, 200434, 200568, 301010, 700348. 94 Testimonios: 100075, 200727, 200591, 202077, 301010, 302030, 301012, 500204, 510185, 700276, 700326. Auch vor Gericht bestätigten verschiedene Zeug*innen dies. Siehe exemplarisch: Exp. 35-06, Acta de Sesión 44, 18. Juni 2012, zit.n. APRODEH, Cuartel Los Cabitos, 50f.

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dener Methoden zu quälen. Besonders häufig kommen dabei folgende Praktiken vor: Quälen mit Elektroschocks95 , Aufhängen96 sowie Eintauchen in Wasser97 Verschiedene Aussagen berichteten von Elektroschocks an sensiblen Stellen, wie den Genitalien oder am Kopf, die häufig wiederholt wurden. Für die Opfer war dies sehr schmerzhaft, hinterließ jedoch kaum sichtbare Spuren, sodass die Folter im Nachhinein nicht nachgewiesen werden konnte. Diese Form der Folter war nicht nur in Peru eine gängige Praxis.98 Das Aufhängen kommt ebenfalls in mehreren Aussagen vor, wobei die staatlichen Sicherheitskräfte die Opfer nicht nur an den Armen (8) sondern auch verkehrt herum aufgehängten. Teilweise verloren diese dabei das Gefühl in den Extremitäten oder das Bewusstsein. Die Täter unterbrachen dann das Foltern meist und setzten es am selben Tag oder nach einer längeren Pause fort. Das Eintauchen in Wasser – oder waterboarding – war in Peru auch als »submarino«99 bekannt und ebenfalls eine häufige Form der Folter, die bis zur Bewusstlosigkeit der Opfer durchgeführt und meist mehrfach wiederholt wurde. Wie im genannten Beispiel (8) gab es eine Abwandlung davon, die sie »té filtrante« nannten.100 Neben diesen aktiven Foltermethoden quälten die Täter ihre Opfer zudem mit dem Entzug von Nahrung oder Licht.101 Diese Praktiken begleiteten Befragungen sowie zahlreiche Beschimpfungen, die häufig Tiervergleiche sowie das bereits angesprochene Schimpfwort »terruco« umfassten.102 Die Erniedrigungen gingen soweit, dass Gefangene ihre Nahrung mit Händen essen sollten und von den Militärs Urin als Getränk angeboten bekamen.103 Einige berichteten weiterhin davon, dass die Militärs auf sie urinierten.104 Zudem untermalte Musik in manchen Aussagen das Tun der staatlichen Sicherheitskräfte.105 Die Befragungen, die als Wesenszug und Zweck des Folterns verstanden wird und auch nach Aussagen des Militärs dazu diente, den unsichtbaren Feind aufzuspüren, gehörte zwar zu den Folterszenen, rückte jedoch in den Hintergrund.106 Zumal Geständnis95 Testimonios: 100049, 100063, 204935, 510185, 300034, 302030, 700029. Declaración preventiva de Sergio Cabezas Javier, 2005. 96 Testimonios: 200568, 301030, 301012, 302030, 733012, 700326, 700165. 97 Testimonios: 100270, 200568, 204935, 301010, 301030, 301351, 204935, 700276, 700326, 750087. Declaración preventiva Luisa Catalina Cárdenas López, 2006. 98 Alfred McCoy, Foltern und Foltern lassen. 50 Jahre Folterforschung und -praxis von CIA und USMilitär. Frankfurt a.M. 2005, 57f. 99 Testimonio: 750087. 100 ÜBERSETZUNG: »Filtertee/filtrierender Tee« Testimonios: 301010, 301030. 101 Testimonios: 200727, 201723, 300034, 302030. 102 Testimonios: 200727, 200577, 200198, 301010, 301024, 300034, 301351, 301030, 302030, 500204, 738012. 103 Testimonios: 200198, 301024. 104 Testimonios: 302030, 510185, 500204. 105 Testimonios: 100063, 100169, 200727, 200591, 700029, 733012. 106 Testimonios: 200568, 200591, 301012, 520257 sowie Gerichtsaussage Sergio Cabezas Javier, Juzgado Huamanga 2005.

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se sowie ein »papel en blanco«107 von den Opfern unterzeichnet werden mussten, die jedoch meist weder die gewünschten Informationen enthielten noch wahrheitsgemäße Aussagen umfassten.108 »Nach geläufiger Meinung wird jemand gefoltert, um ihn zum Sprechen zu bringen.«109 Nicht nur der Soziologe Wolfgang Sofsky widerspricht dieser Meinung, sondern auch andere Forschungen zu Schmerz und Folter arbeiteten heraus, dass Schmerz Sprache zerstört und Folter andere Funktionen einnimmt als die Informationsbeschaffung. Ausgehend von diesen drei Beispielen sowie den weiteren angeführten testimonios geht dieser Abschnitt der Frage nach, welche Bedeutung die Folter im peruanischen Staatsterror einnahm. Es wird untersucht, inwiefern sie zur Informationsbeschaffung diente, wie die Täter angaben, oder doch zur Repression der Bevölkerung. Darüber hinaus wird geprüft, ob die Folter ihr Ziel erreichen konnte oder ob sie gewünschte Ergebnisse verfehlte. Um dies herauszuarbeiten, interpretiert dieser Abschnitt geschilderte Situationen, indem er die räumlichen Gegebenheiten sowie die Konfliktsituation einbezieht und zudem auf Erkenntnisse anderer Studien zurückgreift. Die Folter fand in den Militärbasen und Polizeistationen statt. Sie konzentrierte sich zwar auf das Hochland, aber mit der Ausweitung des Krieges ab Mitte der 1980er Jahre spielte sie ebenfalls in Lima eine große Rolle. In beiden Regionen geschahen die Taten jedoch abseits der Öffentlichkeit, der zivilen Kontrolle und Strafverfolgung. Der Rahmen speist sich also aus dem Ausnahmezustand und dem Krieg, sowie einer Machterweiterung der Tätergruppe innerhalb der abgeschlossenen Räume: »Dem Opfer ist nichts möglich, dem Täter alles.«110 In den Militärbasen machte es weder Sinn, sich gegen die Gruppe der bewaffneten Täter wehren zu wollen, noch nach Hilfe zu rufen. Die Flucht war meist unmöglich. Die Opfer waren also den staatlichen Sicherheitskräften ausgeliefert. Sie wurden meist über mehrere Tage festgehalten. Ihre Qualen wurden unterbrochen und beliebig fortgesetzt, sodass das Opfer nie wusste, wann es erneut gefoltert werden würde, wie lang die Unterbrechung sein und wann es zu einem Ende kommen würde. Dieses Spiel mit der Zeit, welches Wiederholungsschleifen kannte, bewusst den Schlaf störte und so das Zeitgefühl angriff, stellte einen wesentlichen Aspekt der Foltersituation dar, das traumatisierend wirkte. Es nahm den Opfern die Orientierung und hielt eine ständige Angst aufrecht.111 Die Täter waren nicht nur mit weitreichenden Machtbefugnissen ausgestattet. Sie standen zudem unter einem gewissen Druck. Er existierte innerhalb der Gruppe, der sich in Aufnahmeritualen und Zwang äußerte. Ein ehemaliger Soldat 107 ÜBERSETZUNG: »ein Blankopapier«. 108 Testimonios: 200577, 200727, 300034, 301351, 700348 750087. 109 Harrasser, Schmerzgrenzen, 18. 110 Sofsky, Traktat, 95. 111 McCoy, Foltern, 16.

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gab vor der Wahrheitskommission bspw. an, selbst Opfer von Folter geworden zu sein.112 Folter war ein akzeptiertes Mittel und gehörte in das übliche Repertoire eines »buen soldado«113 . Die Bereitschaft der Sicherheitskräfte, Subversive zu befragen und dabei zu quälen, war also durchaus eine Anforderung an viele Soldaten.114 Außerdem mussten die Patrouillen Ergebnisse liefern. Die militärische Führung und teilweise die Öffentlichkeit erwarteten, dass sie Fortschritte im Kampf gegen die Subversion erzielen und senderistas festsetzen. Neben diesen Folterungen kam es daher zu zahlreichen grundlosen Festnahmen, die jedoch als Erfolg verbucht wurden. Die unterschriebenen Geständnisse, die in den Aussagen bereits anklangen, unterstreichen diese Interpretation. Ein Zeuge berichtete ferner davon, dass die Militärs offen davon sprachen, dass sie erst zwei senderistas gefangen hatten, jedoch zwölf festnehmen sollten, sodass sie nun ihn und weitere Personen in Gewahrsam nehmen würden.115 Es scheint also so, als hätten die staatlichen Sicherheitskräfte eher Unschuldige inhaftiert und teilweise malträtiert, als nicht den Forderungen nachzukommen. Dies ist sicherlich nur ein Grund für eine solche Ausweitung der Folterpraxis. Neben den psychologischen Effekten für die Opfer sicherten die Praktiken die Straffreiheit für die Täter. Sie nutzten andere Namen beim Foltern, verbanden den Opfern die Augen (teilweise mit Säcken) und ließen sich ein »papel en blanco« unterzeichnen. Anders als Geständnisse versicherte dies vor allem, dass während der Gefangenschaft alles in Ordnung war. Die erzwungene Unterschrift stellte eine weitere Form der Erniedrigung dar, symbolisiert sie doch die Machtlosigkeit der Opfer und die Willkür der Täter. Darüber hinaus verdeutlichen unterschriebene Geständnisse, die kaum einen Wahrheitswert hatten, dass die Informationsbeschaffung nicht vordergründig, sondern eher ein Vorwand war. Die staatlichen Sicherheitskräfte beendeten teilweise das Foltern Tage vor der Freilassung oder nutzten Elektroschocks, um so keine körperlichen Spuren zu hinterlassen. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Es kam auch dazu, dass Folteropfer bewusst mit sichtbaren Wunden entlassen wurden, um so eine Botschaft an die Bevölkerung und Familie zu senden. An gefundenen Leichen ließen sich beispielsweise diese Zeichen der Qualen noch sehen. Ein Angehöriger erzählt davon, dass er den Vater tot mit abgeschnittener Zunge und zahlreichen Läsionen nach Wochen der Haft aufgefunden hat.116 Zudem verrät ein forensisches Gutachten der Funde im Massengrab in »Los Cabitos« (7) etwas über die vorangegangenen Taten: Viele Leichen 112 113 114 115 116

Testimonio: 100205. ÜBERSETZUNG: »guter Soldat«. Testimonio: 411311. Testimonio: 301351. Testimonio: 200434.

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wurden mit Säcken über den Köpfen sowie Frakturen gefunden. Die Todesursache war jedoch meist ein Schuss in den Kopf.117 Wie schon hinsichtlich sexueller Gewalt herausgearbeitet werden konnte, erfüllen diese Säcke über dem Kopf sowie die Namen des Krieges/Pseudonyme weitere Aufgaben als die Absicherung der Strafffreiheit.118 Insbesondere die Distanzierung zum Opfer und zu den eigenen Taten können so ermöglicht werden. Die Säcke über dem Kopf sowie das Entkleiden der Gefangenen nahmen vermutlich noch weitere Funktionen ein. In der Forschung zur CIA-Folter wurde untersucht, dass dieses Vorgehen desorientieren sollte. Das Ausziehen der gewohnten Kleidung sollte nicht nur beschämen, sondern die Identität des Opfers angreifen, das sich ohne die eigenen Sachen unwohler fühlt.119 Die angesprochenen Musikanlagen hatten ebenfalls Einfluss auf die Situation – sowohl der Täter als auch der Opfer –, wobei sie selbst zur Folter genutzt werden konnten. Zwei Zeug*innen berichten beispielsweise, dass sie mit Musik gequält wurden.120 Ein Opfer beschreibt außerdem den Geruch von Alkohol.121 Möglicherweise nutzten die Täter diesen, um Hemmungen zu senken oder ebenfalls zur Distanzierung. Untersuchungen für andere Konfliktsituationen benennen Drogen und Alkohol als häufiges Hilfsmittel der Täter.122 Eine Form der Distanzierung brauchte gleichwohl nicht jeder. Wenngleich die Gewalt vielen schwerfiel, gab es Täter, die in den Taten Erfüllung fanden.123 Ein ehemaliger Soldat schilderte, dass es in »Los Cabitos« spezielle Foltergruppen gab und Mitglieder dieser Einheit gern Gewalt anwendeten: »Le gustaba matar a la gente por gusto.«124 Weitere Gewaltstudien gehen zudem davon aus, dass sich bei der Gewaltanwendung eine gewisse Gewöhnung einstellt.125 Die Wahrnehmung von Gewalt differiert in Kriegszeiten ohnehin, vor allem bei einem Gewaltakteur, der zur Kriegsführung und Anwendung von Gewalt ausgebildet wurde.126 Dies veranschaulicht die Haltung einiger Militärs, die auf die Nachfrage nach den Verbrechen, 117 Instituto Medicina Legal del Perú, Violaciones a los Derechos Humanos y del Derecho Internacional Humanitario en el Perú. Búsqueda, Recuperación y Estudio de Cuerpos Victimados 19802000. Lima 2005, 89. 118 Die Verwendung anderer Namen findet sich in verschiedenen Testimonios: 100088, 301010, 411311, sowie in: Gavilán, Memorias, 113. 119 McCoy, Foltern, 68. 120 Testimonio: 200727, 700828. 121 Testimonio: 733012. Auch ein Soldat berichtet von alkoholisierten Offizieren. Testimonio: 100167. 122 Baberowski, Räume, 163. Browning, Ganz normale Männer, 102,116f. 123 Randall Collins, Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie. Hamburg 2011, 36, 157f. 124 ÜBERSETZUNG: »Ihm gefiel es, Menschen zu töten.« Testiminio 100088. 125 Jacque Sémelin, Elemente einer Grammatik des Massakers, in: Mittelweg 36, 2006, 33. 126 Siehe Selbstbild Militär in Abschnitt 3 sowie Quehacer, Ayacucho: La Espera del Gaucho, Januar 1983.

5. Praktiken des Staatsterrors

diese auf die Eigenschaften des Krieges schieben, der eben schmutzig und nicht sauber sei.127 In dieser Situation des Krieges war das Foltern für die staatlichen Sicherheitskräfte ein attraktives Mittel. Ein ehemaliger Militärangehöriger sagte sogar aus, dass in Los Cabitos mindestens drei Menschen pro Nacht gequält wurden.128 Obwohl die Wahrheitskommission diese Zahlen nicht bestätigen konnte, ist in ihrem Bericht zu lesen, dass ca. 75 % der festgestellten Folterungen durch den Staat begangen wurden, wobei wiederum ca. 60 % dieser Taten das Militär verübte.129 Auch das legt nochmals die Deutung nahe, dass die Folter noch weitere Funktionen als die Informationsbeschaffung einnahm. Ohnehin arbeiteten andere Untersuchungen heraus, dass die Befragung bei Folter wenig zielführend war, sie sogar häufig zu Fehlinformationen führte.130 Obwohl also die Festnahmen und einige der Taten mitunter willkürlich wirken, verweisen die Kontinuität und Organisation sowie die herausgearbeiteten Muster darauf, dass sie eine institutionalisierte Praxis war. Die Folter wurde eingesetzt, um die Kontrolle wieder zu erlangen und Gehorsam zu erzwingen. Somit interpretiert sie die Untersuchung als »Herrschaftspraxis«131 . Sie generierte zwar kaum Wissen über den Feind, vermochte aber, die Opfer zu traumatisieren und als Person zu brechen.132 Ein Mensch übersteht diese Taten nicht, ohne sich zu verändern.133 Die staatlichen Sicherheitskräfte versuchten also, die Bevölkerung zu verängstigen.134 Sie mussten zur Kommunikation mit der Bevölkerung nicht unbedingt Spuren auf den Körpern der Gefolterten hinterlassen. Häufig genügte es, wenn das Opfer mit den verbliebenen seelischen Spuren in die Gemeinschaft zurückkehrte. Die Angehörigen ahnten meist schon bei der Festnahme, was geschehen würde und hofften nur auf eine Rückkehr des Gefangenen. Das Militär nutzte auch sichtbare Zeichen. Sie hinterließen so eine noch deutlichere Botschaft für die Bevölkerung. Diesen symbolischen Charakter der Folter illustriert die erwähnte Aussage, die vom Abschneiden der Zunge erzählte. Überdies vergegenwärtigt die Leichenschändung, über die ein Zeuge Auskunft gab, diese kommunikative Funktion.135 Ähnlich wie bei sexueller Gewalt, die in den Polizeistationen und Kasernen verübt wurde, schuf der abgeschlossene Raum mit seiner Ausstattung Möglichkeiten 127 CVR, Entrevista a Luis Pérez Documet 2003, 38. Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca. Declaración Telmo Hurtado Hurtado. Lima 1985, 45. 128 Testimonio: 100165. 129 CVR, Tortura, 235. 130 Darius Rejali, Wahrheit, Erinnerung und die Erzwingung von Information, in: Harrassar, Folter, 308. 131 Burschel, Eine historische Anthropologie, 9. 132 Inhetveen, Towards a Body, 379f. 133 David Le Breton, Schmerz und Folter. Der Zusammenbruch des Selbst, in: Harrasser, Folter, 227f. 134 Sofsky, Traktat, 85. 135 Testimonio: 425065.

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zur Gewaltausübung der staatlichen Sicherheitskräfte. Diese ging mit Befragungen einher, die jedoch eher zum »Skript der Folter«136 gehörten, als dass sie die vordergründige Funktion der Taten war. Die Verknüpfung aus absichtlichem Zufügen von Leid und die Erpressung von Informationen, wie es die anfängliche Definition nahelegt, ist also wohl eine Eigenschaft der Folter, die Wahrheitsfindung jedoch nicht ihr Hauptzweck. Selbst wenn Folter zur Informationsbeschaffung gedient hätte, erscheint auch der peruanische Fall (neben vielen anderen) nicht als eine Erfolgsgeschichte.137 Als repressives Mittel gegen die Bevölkerung brachte sie eher angestrebte Ergebnisse, wenngleich es nicht dazu führte, den Krieg beenden und die Subversion besiegen zu können. Im Krieg gegen den Leuchtenden Pfad avancierte die Folter dennoch zu einer »Herrschaftspraxis«.138 Diese Deutung legen die anfänglichen Erzählungen bereits nahe, die durch weitere testimonios bestätigt wurden. Ein Abgleich weiterer Aussagen und ergänzender Quellen offenbarte außerdem Muster im Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte. Trotz dieser Routinen, die sich herausgebildet haben, gab es spontane sowie ungeplante Momente im Umgang mit den Gefangenen. Die Abholung konnte durch das zur Wehr setzen des Opfers oder weiterer Menschen eine neue Situation hervorrufen. Ebenso konnten die Folterungen einen nicht vorhersehbaren Verlauf nehmen, indem bspw. das Opfer starb. Für diesen Fall sowie für bewusste Hinrichtungen entwickelte das Militär jedoch ebenfalls Strategien. In »Los Cabitos« existierten zum Beispiel ein Massengrab sowie ein Verbrennungsofen, in denen die staatlichen Sicherheitskräfte die Leichen verschwinden lassen konnte.

5.3.

Verschwindenlassen – das Spiel mit dem Tod

Verschwindenlassen ist ein Verbrechen, das seit 2006 durch eine UN-Konvention wie folgt definiert wird: »Im Sinne dieses Übereinkommens bedeutet ›Verschwindenlassen‹ die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.«139 136 137 138 139

Schwab, Tödliche Intimität, 75. Rejali, Wahrheit, 295f. 308. Die Attraktivität gerade in Krisen zeigt auch McCoy, Foltern, 16f. UNO, Internationales Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, Artikel 2, 2006, in: https://www.verschwindenlassen.de/internationales-

5. Praktiken des Staatsterrors

Diese 2010 ratifizierte Festlegung zeigt zwei Spezifika: Zum einen die staatliche Beteiligung an dieser Tat, zum anderen die Leugnung des Geschehenen. Ähnlich wie bei Folter existierten bereits lange vor dieser Festschreibung Verbrechen dieser Art. Für Lateinamerika ist der argentinische Fall der bekannteste. Die argentinische Militärdiktatur organisierte das Verschwinden von Personen akribisch. Wahrscheinlich ist die Mehrheit der Leichen über dem Rio de la Plata abgeworfen worden. Als historischen Vorläufer sieht die Forschung jedoch den nationalsozialistischen Nacht-und-Nebel-Erlass von 1941, der eine Festnahme und Leugnung des Verbleibs der Opfer vorsah.140 Im Zentrum dieses Abschnittes soll jedoch nicht die Geschichte dieser Gewalttat stehen, sondern das Vorgehen im peruanischen Hochland, wobei insbesondere Fälle von Verschwindenlassen in Huamanga in der Kaserne »Los Cabitos«, im Zentrum stehen. Sie war nicht die einzige Kaserne, die zur Umsetzung dieser Gewaltform genutzt wurde, sodass dieser Abschnitt zunächst mit der Schilderung eines Falles aus einer anderen Region beginnt, ehe er zwei Erzählungen sowie weitere Quellen über die Kaserne in Huamanga abbildet. (10) Am 11.09.1984 versammelten Militärangehörige der Kaserne in Hualla die Bevölkerung auf dem Platz und separierten elf Personen. Ein Zeuge befand sich unter diesen und berichtete wie folgt: »Yo estuve en mi casa, y a las 6 de la mañana, nos reunieron casa por casa diciendo ›vamos a censar‹. Estuvimos todo el día parados en la plaza, ni siquiera nos dejaban orinar. Ya en horas de la tarde, nos separaron a 11 comuneros. […] A las 6 de la tarde, nos llevan corriendo a la base militar que se encuentra en sector denominado Chimpapampa, allí, en la puerta de la base estuvimos todos manos arriba; los militares nos revisaron y nos quitaron nuestros sombreros, ojotas y nuestras coquitas… Nos vendaron los ojos y nos llevaron a la cárcel, haciéndonos bajar por unas gradas a un hueco. Aquí estuvimos todo una semana, día y noche sin comer, sin tomar agua y sin sentarse, todos paraditos, nuestros orines ahí mismo tapábamos con tierra; cuando llovía, se llenaba el agua a la cárcel y mojadito estuvimos. Los militares, cada mañana, sacaban a los detenidos y no regresaban. Nos amenazaban con matarnos, si alguien de nosotros se movía. Por mala suerte, el militar me vio moverme y me dice: ›Concha tu madre, terruco, tú no vales nada, ahorita de mato‹, diciendo agarró su cuchillo y cortó mi cuello, la sangre ha mojado toda mi ropa. […]. Después al día siguiente vi a Ernesto […] amarrado a un poste y los militares le preguntaban: ›Vas a hablar o no, carajo‹ sólo decía llorando ›Jefe soy inocente‹, entonces lo llevaron arrastrando y después desapareció hasta ahora.« Von den elf festgenommenen Dorfbewohnern tauchten nur vier wieder auf.141   uebereinkommen-zum-schutz-aller-personen-vor-dem-verschwindenlassen-3103/, letzt eingesehen am 31.07.2018]. 140 Estela Schindel, Verschwindenlassen, in: Gudehus, Gewalt, 171. 141 Testimonio: 201723.

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(»Ich war in meinem Haus und um sechs Uhr morgens versammelten sie uns Haus für Haus und sagten: ›wir werden die Einwohner zählen.‹ Wir standen den ganzen Tag still auf dem Platz, sie ließen uns nicht einmal auf die Toilette gehen. Am Nachmittag trennten sie uns, sodass elf Dorfmitglieder übrigblieben. […] Um sechs Uhr abends brachten sie uns rennend zur Militärbasis, die sich in dem als Chimpapampa bezeichneten Gebiet befindet. Dort im Eingang der Basis standen wir alle mit erhobenen Händen, die Militärs überprüften uns und nahmen uns unsere Hüte, Sandalen und Kokablätter weg. Sie verbanden uns die Augen und brachten uns in das Gefängnis, in dem sie uns dazu brachten, über einige Treppen in ein Loch hinunter zu steigen. Hier waren wir eine ganze Woche lang, Tag und Nacht, ohne Essen, ohne Wasser zu trinken, ohne sich hinzusetzen, alle standen wir still, unseren Urin bedeckten wir dort am selben Ort mit Erde. Wenn es regnete, drang das Wasser ins Gefängnis ein und wir waren alle nass. Die Militärs zogen jeden Morgen Gefangene aus dem Gefängnis und kehrten nicht zurück. Sie bedrohten uns damit, uns umzubringen, wenn einer von uns sich bewegte. Durch Pech sah der Militär, wie ich mich bewegte und sagte: ›Verflucht, terruco, du bist nichts wert. Jetzt bringe ich dich um!‹ Während er das sagte, ergriff er sein Messer und schnitt mir die Kehle auf. Das Blut durchnässte meine gesamte Kleidung […]. Danach am nächsten Tag sah ich Ernesto […] an einem Pfahl festgebunden und die Militärs fragten ihn: ›Wirst du sprechen oder nicht, verdammt?‹ Er sagte nur weinend: ›Ich bin unschuldig, Hauptmann.‹ Danach schleppten sie ihn weg und danach verschwand er bis jetzt.«) (11) Im Jahr 2005 berichtete ein Vater vom Verschwinden des Sohnes in der Militärkaserne »Los Cabitos«. Ungefähr 30 Vermummte kamen am 2. Juli 1983 um 2:30 Uhr in der Nacht in das Haus der Familie und prüften die Dokumente des Sohnes und stellten fest: »›[E]ste es.‹ […] luego posiblemente subirlo a su hijo al carro (camión) de Ejército, para luego dirigirse hacia el cuartel, en tanto el día siguiente mi esposa se fue a preguntar al cuartel a preguntar sobre el paradero de su hijo, sin resultado positivo, ya que le dijeron que ni lo habían traído. […] desde esta fecha hasta la actualidad, no hemos tenido conocimiento sobre el paradero de mi hijo.«142   (»›[D]ieser ist es.‹ […] später brachten sie seinen Sohn möglicherweise dazu in das Militärfahrzeug einzusteigen, um danach zur Kaserne zu fahren. Währenddessen ging meine Frau am nächsten Tag zur Kaserne, um nach dem Aufenthaltsort ihres Sohnes zu fragen, ohne positives Ergebnis, da sie ihr sagten, dass sie ihn nicht ein142 Declaración Preventiva de Estanislao Ascarza Barrón, in: Sala Penal Nacional, Caso Los Cabitos, EXP. 35-2006-10218.

5. Praktiken des Staatsterrors

mal hergebracht hätten. […] Seit diesem Tag bis heute haben wir keine Kenntnis vom Verbleib meines Sohnes.«) (12) Anders als bisher stammt das folgende testimonio von einem Soldaten, der berichtet, wie er am Bau des Ofens in Los Cabitos beteiligt war und zudem Leichen verbrannt hat – Opfer also verschwinden ließ. Er sagte aus:»Se hizo un horno de uno 3 metros de largo, dos metros de alto y un metro de ancho. (»Ein Ofen von 3 Metern Länge, zwei Metern Höhe und einem Meter Breite wurde gebaut«) Er errichtete diesen nach eigenen Aussagen 1985, da er Teil einer Baugruppe »Ingeniera de Guarnición« war. Infolgedessen beauftragte ihn das Militär, Leichen, die vorher vergraben waren, mithilfe des Ofens zu beseitigen: »Yo sabía que tenía que prender el horno y lo hacía, pero cuando me tocaba la ronda, lo hacía otro compañero. Si no me tocaba prender el horno, tenía que desenterrar los cadáveres, con lampa y pico. […] Yo me encargaba todos los días de prender el horno, era nada más el encargado, yo no les he dado muerte.«143   (»Ich wusste, dass ich den Ofen anzünden musste und ich tat es, aber als ich an der Reihe war, tat es ein anderer Kamerad. Wenn ich nicht an der Reihe war, den Ofen anzuzünden, musste ich die Leichen mit Schaufel und Spitzhacke ausgraben. […] Ich kümmerte mich jeden Tag darum, den Ofen anzünden, ich war nicht mehr als der Beauftragte, ich habe sie nicht getötet.«) Ähnlich wie in den Aussagen zur Folter begann das Verschwindenlassen mit der Entführung der Opfer aus dem Haus. In Situation (10) unterscheidet sich das Vorgehen, da die Mitnahme nicht nur sichtbar, sondern nahezu öffentlich inszeniert wurde. Die Militärs holten die Opfer nicht einfach aus ihrem Haus sowie in dem Fall (11). Sie trieben zunächst die Dorfbewohner auf einem Platz zusammen und nahmen erst dann elf Verdächtige fest. Wie auch schon in anderen Aussagen ging diese Verhaftung mit der Kontrolle der Dokumente einher. In beiden Erzählungen sowie weiteren testimonios kamen die Militärangehörigen nachts bzw. früh am Morgen und fanden die Bevölkerung schlafend in ihren Häusern vor.144 Danach führte der Weg in die jeweilige Kaserne, die – wie bereits beschrieben – ein besonderer 143 Testimonio:102099. 144 CVR, Desaparición Forzada, 86. Eine Grafik zeigt, dass es meistens dazu kam, dass die Opfer aus den Häusern geholt wurden (über 25 %). Das Festnehmen in der Öffentlichkeit sowie die Gefangennahme einer Gruppe waren ebenfalls gängige Praktiken. Das Vorgehen nachts wird sowohl bei der Folter als auch beim Verschwindenlassen deutlich. Auch Soldaten sagen aus, dass dies eine gängige Praxis war. Siehe: Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Tomo XII (Aussagen Zeitungen). Testimonios (Soldaten und Opfer): 100088, 100165, 200301, 200330, 200366, 201792, 202697, 205228.

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Ort im Gewaltraum war, da er vom Ausnahmezustand sowie gesteigerten Machtbefugnissen des Militärs und mangelnder Kontrolle geprägt war. Während die Angehörigen nicht wussten, was innerhalb des Militärstützpunktes geschah, gaben der erste Zeuge sowie der Soldat einen Hinweis darauf, dass die verschwundenen Personen Opfer weiterer Gewalttaten geworden sind. Nach der Gefangennahme folgte wahrscheinlich meist Folter und die Tötung der Opfer sowie die Vertuschung der Tat. In den verschiedenen testimonios wird diese letzte Eigenschaft der Gewaltform besonders deutlich, da die Militärs den Verbleib des Opfers leugneten. Sie ließen somit die Angehörigen im Unklaren über das Geschehene.145 Für Los Cabitos kann aufgrund des Massengrabes, in dem 16 Körper und 300 kg Knochen gefunden wurden, sowie der Aussage des Soldaten und der Überreste des Ofens, der laut Gutachten ca. drei Menschen in 30 Minuten verbrennen konnte, davon ausgegangen werden, dass die »Verschwundenen« umgebracht und ihre Leichen vergraben oder verbrannt worden sind. Das Gutachten zeigt zudem, dass sie meist per Kopfschuss getötet wurden und viele einen Sack über dem Kopf trugen. Von den 16 erhaltenen Leichen sind 14 Männer und nur zwei Frauen. Alle waren zwischen 17 und 45 Jahren alt.146 Diese Gewaltform traf nach Angaben der Wahrheitskommission über 4.000 Opfer, wobei über 70 % Quechua sprachen. Das Militär nutzte diese Form der Gewaltausübung während des gesamten Konfliktzeitraumes, wobei Ayacucho das Zentrum darstellte.147 Diese Gewaltform ist kein Einzelfall. »Por el contrario, existen numerosos indicios de que fueron actos ideados, organizados y llevados a la práctica mediante una estructura que supuso la coordinación operativa y funcional en niveles más altos que los simples agentes del orden.«148 Wie das Zitat bereits nahelegt, verlangt diese Form der Gewalt einen gewissen Organisationsgrad der Tätergruppe.149 Sie muss nicht nur die Entführung planen, sondern vor allem die Leugnung der Taten sicherstellen. Dafür sind sowohl Transportmittel als auch Räumlichkeiten zur Unterbringung essenziell. Neben einem Schweigen der Täter war es zudem notwendig, geeignete Orte zu finden, um die Leichen verschwinden zu lassen. Bevorzugt nutzten die Militärangehörigen Massengräber oder warfen die Kadaver an Wegesränder oder in Schluchten am Rande 145 Testimonios: 200330, 200355, 200376, 200448, 202697 205228. 146 Instituto Medicina Legal del Perú, Violaciones, 89. Die Existenz des Ofens bestätigt auch: Uceda, Muerte, 136. 147 Ebd. Grafik 1, 74. 148 ÜBERSETZUNG: »Im Gegenteil, es existieren viele Indizien dafür, dass es sich um Taten handelte, die durch eine Struktur geplant, organisiert und in die Praxis umgesetzt wurden, die eine operative und funktionale Koordination auf höheren Ebenen als die der einfachen Ordnungskräfte voraussetzte.« CVR, Desaparición Forzada, 114. 149 Schindel, Verschwindenlassen, in: Gudehus, Gewalt, 170f.

5. Praktiken des Staatsterrors

der Stadt.150 Wie gezeigt, kamen aber auch Öfen zum Einsatz, um die Toten zu beseitigen. Es ist also eine Praxis des Kampfes gegen die Subversion, die nach logistischer Planung und den nötigen Mitteln verlangt,151 welche das Militär in Form von verschiedenen Kasernen, Hubschraubern und Fahrzeugen zur Verfügung stellte. Es sicherte darüber hinaus die Geheimhaltung der Taten. Dieses Schweigen bzw. Leugnen hält, wie einleitend erwähnt, bis heute an.152 Einige behaupten, dass es weder zivile Gefangene noch einen Ofen gegeben hätte.153 Ein General formulierte sogar, dass der Ofen zum Brotbacken genutzt wurde,154 aber nicht zum Verbrennen von Leichen. Diese Möglichkeit der Vertuschung ist ein Grund für die Attraktivität dieser Gewalttat. Zwar geschah die Festnahme mehr oder weniger öffentlich und somit war die Autorenschaft eigentlich klar, dennoch können durch das Verschwinden des Opfers die Taten negiert werden.155 Es bleibt meist im Verborgenen, ob die Opfer gefoltert, vergewaltigt oder »nur« getötet wurden. Es ist nicht nachvollziehbar, wie lang sie in Haft waren und wann sie gestorben sind. Außerdem ist selten herauszufinden, was mit den Leichen passierte und wer für das Verbrechen verantwortlich war. Die Vertuschung ermöglichte viele Spekulationen und hinterließ einen enormen Deutungsspielraum. Mittlerweile konnte die Aushebung und Untersuchung von Massengräbern – nicht nur in Los Cabitos – Aufschluss über zahlreiche Taten und die Gelegenheit zur Identifizierung von Opfern geben. Dennoch bleiben viele Personen verschollen. Diese symbolische Ebene ist ein weiterer Aspekt, der diese Gewalttat attraktiv für die Täter machte. Sie vermochte es, die Opfer zu beseitigen, ihre Identität zu negieren und die eigene Schuld zu leugnen.156 Obendrein verunsicherte sie die Angehörigen sowie die gesamte Gemeinschaft. Letztlich exkludierte sie die Opfer aus der Gesellschaft und der Rechtsprechung. Für sie galten die üblichen Regeln nicht. Die diskursiven Feindbilder, die bereits dargestellt wurden, finden hier also eine praktische Umsetzung, sodass diese Form der Gewalt auch 150 Eine Zeugin berichtete, dass es Alltag war, Leichen zu finden. Testimonio: 200468. Weitere bestätigen Funde von Leichen: 200355, 200434, 425065. 151 CVR, Desaparición Forzada, 100. 152 Nur wenige Soldaten äußerten sich. Ein ehemaliger Soldat bestätigte vor der CVR die Existenz von Gräbern in »Los Cabitos«. Siehe: Testimonio 100165. 153 Roberto Saldaña Vásquez, Diligencia de Continuación de Declaración Instructiva. Juez Penal Supraprovincial Especializado en Delitos de Derechos Humanos y Terrorismo 2006, 1-5, in: Sala Penal Nacional, Exp. 35-2006. 154 Julio Carvajal D’Angelo, Diligencia de Continuación de Declaración instructiva. Juez Penal Supraprovincial Especializado en Delitos de Derechos Humanos y Terrorismo 2006, 1-5, in: Sala Penal Nacional, Exp. 35-2006. 155 Schindel, Verschwindenlassen,172ff. 156 Elsemann, Umkämpfte Erinnerung, 56f.

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als Praxis der Grenzziehung interpretiert werden kann, die an die bereits erwähnte Figur des »Homo Sacer« erinnert.157 Die Familien der Opfer begaben sich – wie die Beispiele bereits andeuten – auf die Suche nach den Vermissten und blieben durch die Leugnung des Vergehens noch Jahre nach den Taten Getriebene. Die Unklarheit über das Geschehene und den Aufenthaltsort des Opfers lässt ihnen dabei viel Spielraum für Spekulationen, was das Leid der Angehörigen noch steigerte.158 Insbesondere die Verwehrung des Bestattungsrituals, was für die Familien von großer Bedeutung gewesen wäre, um Abschied zu nehmen sowie einen Ort zum Trauern zu schaffen, verfehlte die Wirkung nicht.159 Bei dieser »besonders zynischen Art der Menschenrechtsverletzung«160 hebt Sylvia Karl diese Negation der Existenz hervor und bezeichnet sie daher als Form der Dehumanisierung.161 Diese umfasse nicht nur den Akt des Verschleppens oder Verleugnens, sondern auch die Folgen für die Gemeinschaft, die sie als eine Form einer symbolischen Dehumanisierung begreift. Für sie ist das Verschwindenlassen somit eine Tat, die weit über das eigentliche Verbrechen hinweg seine Wirkungsmacht entfaltet und durch das Verweigern von Ritualen, Informationen sowie Erinnerungsorten ebenfalls die Hinterbliebenen demütigt. Den Kampf um Wiedergutmachung und Erinnerung, den die Konfliktanthropologin für Mexiko untersuchte, erfasst sie daher als Rehumanisierungsprozess.162 Die Organisation der Hinterbliebenen, die bis heute aktiv für Erinnerungsorte kämpft, bildete sich ähnlich wie in Mexiko oder in Argentinien auch in Peru heraus. Mütter aus Ayacucho schlossen sich zusammen und gründeten die ANFASEP (Asociación Nacional de Familiares de Secuestrados, Detenidos y Desaparecidos del Perú).163 Wie bereits im Abschnitt zur Aufarbeitung (3.3.3) erwähnt wurde, sind sie eine Stimme im Erinnerungsdiskurs, die bisher jedoch nicht mächtig genug ist, um bspw. einen offiziellen Erinnerungsort am Rande der Kaserne »Los Cabitos« errichten zu dürfen oder eine umfassende Strafverfolgung zu initiieren.164 Ihre Aktivitäten illustrieren jedoch sehr gut, dass insbesondere das Verschwindenlassen offene Wunden hinterließ, die bis heute in Peru – trotz der Aushebung von Massengräbern und Gerichtsurteilen – nicht geschlossen werden konnten. Insbesondere eine mangelnde symbolische Wiedergutmachung, die die Opfer der staatlichen Gewalt 157 Sylvia Karl, Kampf um Rehumanisierung: Die Verschwundenen des Schmutzigen Krieges in Mexiko. Bielefeld 2014, 197. Siehe Kapitel 4.3.3. 158 Schindel, Verschwindenlassen, 172ff. Testimonios: 200330, 200355, 202697. 159 Schindel, Verschwindenlassen, 174. Testimonios: 200376. 160 Elsemann, Umkämpfte Erinnerung. 57. 161 Karl, Kampf um Rehumanisierung, 9, 192. 162 Ebd. 192f. 163 Siehe offizielle Homepage: ANFASEP, Para que no se Repita, in: http://anfasep.org.pe/ anfasep/, [zuletzt eingesehen am 30.07.2018]. 164 Trotz des richtungsweisenden Urteils im Fall Accomarca sind noch viele Vergehen und Täter unbestraft.

5. Praktiken des Staatsterrors

anerkennt, führt zu bleibenden Unmut vieler Bewohner des Hochlandes.165 Gerade beim Verschwindenlassen ist diese symbolische Dimension von Bedeutung, hat doch die Figur des »Verschwundenen« eine besondere Stellung im Erinnerungsdiskurs. Jeder weiß, dass sie nicht wirklich verschwunden sind, sondern getötet wurden. Allen ist klar, dass es kein Wiederkommen gibt, dennoch hält die Suche nach den »Verschwundenen« an, die sich letztlich zu einem Sinnbild der Gewalt entwickelt haben. Zusammenfassend erscheint das Verschwindenlassen als verbreitete Praxis im Hochland, die auf einen gewissen Organisationsgrad sowie logistischen Aufwand der Täter schließen lässt. Zudem zeigt auch diese Form der Gewalt einen kommunikativen und symbolischen Charakter. Sie entzieht die Opfer der Gemeinschaft sowie der Rechtsprechung und verweigert außerdem den Angehörigen einen Zugang zu den Opfern oder dem Geschehenen. Sie teilt also mit, dass rechtsfreie Räume existieren, in denen nicht nur eine Strafverfolgung unmöglich wurde, sondern auch Bestattungsrituale versagt blieben. Die staatlichen Sicherheitskräfte demonstrierten dem Feind sowie der Bevölkerung damit nicht nur ihre Macht. Vielmehr zogen sie Grenzen, griffen die Identität an und exkludierten sie – oder wie es Sylvia Karl beschreibt: sie dehumanisierten die Opfer.

5.4.

Massaker – wenn Gewaltsituationen eskalieren

Anhand von drei Beispielen widmet sich dieser Abschnitt der Beschreibung und Interpretation der Gewaltform »Massaker«, die der französische Politikwissenschaftler Jacques Sémelin als »zumeist kollektive Form der Vernichtung von Nicht-Kombattanten«166 definiert. Die Wahrheitskommission benennt zwei weitere Merkmale. Zum einen beschreibt sie die Opfer als wehrlos und zum anderen fügt sie eine quantitative Dimension hinzu, indem sie eine Mindestzahl von fünf Opfern festlegt.167 Zwei der hier ausgewählten Massaker, die diesen Begriffsbestimmungen entsprechen, verübten die staatlichen Sicherheitskräfte im Hochland, sodass ihre Analyse und Deutung nützlich sind, um den Gewaltraum Ayacucho näher charakterisieren zu können. Das dritte Massaker ereignete sich in Lima. Es illustriert nicht nur die Ausweitung des Konfliktes, sondern dient ebenso zum Abgleich mit den anderen Beispielfällen. Dieser ermöglicht es, Spezifika 165 Noch im Oktober des Jahres 2017 warf ein Politiker dem Museum in Ayacucho vor, die Gedanken des Leuchtenden Pfades zu verbreiten. Siehe: La República, Octavio Salazar, in: http://larepublica.pe/politica/1109912-octavio-salazar-acusa-al-museo-de-la-memoria-deayacucho-de-hacer-loas-al-senderismo-video (13.10.2017), [zuletzt eingesehen am 02.11.2017]. 166 Sémelin, Säubern und Vernichten, 15. 167 CVR, Ejecuciones Arbitrarias y Masacres por Agentes del Estado, 129.

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der Fälle zu erkennen und die Eigenschaften des andinen Gewaltraumes besser einordnen zu können.

5.4.1.

Das Massaker von Accomarca

Dieses Fallbeispiel kann als emblematisch bezeichnet werden, da es einen besonders drastischen sowie öffentlichkeitswirksamen Fall darstellt und zudem eine Fülle an Quellenmaterial bietet. Neben den Befragungen der Wahrheitskommission existieren Gerichtsakten sowie -urteile, forensische Gutachten und Kommissionsberichte (Kongress) aus der Zeit. Dieses Massaker kann daher nicht nur aus der Sicht der Opfer, sondern ebenfalls unter Einbezug der Täterperspektive dargestellt werden. Anders als bisher wird in dieser Beschreibung der Situation daher nicht nur eine Aussage herangezogen. Vielmehr steht eine Essenz der Quelleninhalte, die Zitate sowie Widersprüche enthält, im Zentrum. Zur besseren Einordnung des Massakers beginnt die Beschreibung mit der Vorgeschichte sowie wesentlichen Charakteristika der Region. Accomarca ist einer von acht Distrikten der Provinz Vilcashuamán des Departments Ayacucho. Er liegt somit in einer Region, die im August 1985 wiederholt sowohl vom Leuchtenden Pfad als auch von den staatlichen Sicherheitskräften heimgesucht wurde. Die senderistas nahmen ihn als »befreite Zone« wahr, in der sie eine escuela popular etablierten, verschiedene Aktionen durchführten und Unterstützer in den Siedlungen des Distriktes Accomarca besaßen.168 Für die Militärs bedeutete diese Präsenz, Accomarca und die Region um die Quebrada Huancayoc als rote Zone einzustufen, die es unter Kontrolle zu bringen galt.169 Für die Region folgte daraus, dass der Leuchtende Pfad immer wieder Accomarca heimsuchte, jedoch auch staatliche Sicherheitskräfte wiederholt Menschen festnahmen, folterten oder töteten.170 Manche Zeug*innen empfanden daher eine Bedrohung von zwei Seiten, was in dem bereits genannten Zitat »entre la espada y a la pared«171 anklang.172 Dabei kam es kaum zu offenen Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien. Vielmehr richtete sich die Gewalt gegen mögliche Kollaborateure der anderen Seite. Während der Leuchtenden Pfad vor allem Autoritäten zu Feinden stilisierte, nahm 168 CVR, Entrevista a Wilfredo Mori Orzo, Accomarca. Lima 2003, 141ff. Testimonios: 201612, 201614, 201617, 201618, 201620, 201621, 201625, 201628, 201632, 201633, 204841, 204992, 205029. 169 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 10. Diese Einschätzung der Lage wird ebenfalls in den Aussagen von Militärangehörigen vor der CVR deutlich. Siehe exemplarisch: CVR, Entrevista a General Ricardo Sotero Navarro, Accomarca. Lima 2003, 1-12. 170 Testimonios: 201621, 201625, 201633, 204787, 204788, 204841, 204994, 204573, 204994, 205029. 171 Österlund, Politics, 187. Siehe Einleitung 1.1. 172 Testimonios: 201616, 201617, 201621, 201632.

5. Praktiken des Staatsterrors

das Militär neben den Bauern auch Lehrer*innen sowie Studierende ins Visier. Obwohl die staatlichen Sicherheitskräfte schon vor August 1985 Präsenz zeigten und Menschen gefangen nahmen sowie teilweise folterten oder töteten, gelang es ihnen nicht, die Zone unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Vorfeld des Massakers kam es außerdem vermehrt zu Konfrontationen zwischen Militär und Leuchtendem Pfad, wobei die senderistas laut Militär einer Kompanie »Accomarca« angehörten.173 Aufgrund dieser Ereignisse planten die staatlichen Sicherheitskräfte am 12.08.1985 die Operation »Huancayocc«, die eine Intervention in eine »rote Zone« darstellte und das Ziel hatte: »capturar y/o destruir a los TTCC«.174 Diesen Plan, der noch genauer ausgeführt wird, befürwortete die politisch-militärische Führung in Ayacucho, deren Kommandant zu dieser Zeit General Wilfredo Mori Orzo war.175 Der Plan sah einen gemeinsamen Einsatz von vier Patrouillen vor, die aus je 19 bzw. 20 Militärangehörigen bestanden und verschiedene Ausgangspunkte sowie Aufgaben hatten. Die Operation sollte in drei Phasen ablaufen, wobei die erste den Transport mit dem Hubschrauber oder Fahrzeugen in die Region vorsah und die zweite die Verschiebung der Truppen zum Ausgangspunkt des Vorhabens beinhalten sollte. Die dritte Phase, den Beginn der Operation durch die vier Patrouillen, datierten sie auf den 14.08.1985.176 Zur Durchführung dieses Planes mussten zunächst die Patrouillen organisiert und instruiert werden. Die Patrouille »Tigre« stammte aus der Militärbasis im Vilcashuamán, bestand aus 19 Soldaten und einem Offizier und sollte gemeinsam mit einer Patrouille »Lince 6« (aus Huamanga) die Operation – mit dem Ziel, die kommunistischen Terroristen zu vernichten oder zu fangen – am 14.08.1985 um sieben Uhr beginnen. Die zweite Patrouille stammte aus der Militärbasis in Hualla, hieß »Lobo« und umfasste ebenfalls 19 Soldaten sowie einen Offizier. Ihre Aufgabe bestand im Versperren der Fluchtrouten in der »Quebrada Huancayoc«, um so mögliche flüchtige Subversive fangen zu können. Die gleiche Aufgabe bekam auch die Patrouille mit dem Namen »Lince 7«, die sich aus 18 Soldaten und einem Offizier zusammensetzte. Sie wurden dafür nach Huayhuana gebracht. »Lince 6«, besetzt mit 18 Soldaten und einem Offizier, sollte bereits am 13.08.1985 nach Pueblo Libre geflogen werden, um dann von dort zum Startpunkt Azulcaca aufzubrechen. Gemeinsam mit der Patrouille Tigre sollten sie am Folgetag die Operation starten. Nach Bericht des Militärs brach die Patrouille Lobo am 14.08.1985 um 2:30 Uhr in San Pedro de Hualla auf und erreichte zu Fuß drei Stunden später den Ausgangspunkt ihrer Mission: die »Quebrada Huancayoc«. Sie stationierten sich an dem Ort, 173 Diese Auffassung resultierte aus Befragungen von Gefangenen. Siehe: CVR, Las Ejecuciones Extrajudiciales, 157. 174 ÜBERSETZUNG: »vernichten u./o. fangen der kommunistischen Terroristen.« Oficio 088CCFFAA/SG-85, 7. 175 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 7. 176 Ebd. 7.

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Genozidale Gewalt?

an dem der Fluss Cangallo kreuzt und blockierten bis zum 15.08.1985 mögliche Fluchtrouten. Ohne Zusammenstöße oder besondere Vorkommnisse kehrten sie um Mitternacht in die Militärbasis zurück. Die Patrouille Tigre machte sich am 13.08.1985 um sieben Uhr auf den Weg und erreichte mit Fahrzeugen zunächst Huambalpa und später – gegen 13:00 Uhr – zu Fuß den Ausgangspunkt Cercopampa in der Region Pitec, wo sie beobachteten, wie ca. acht Menschen flohen. Sie warnten diese zunächst, schossen dann in die Luft, wobei sich nach Aussage der Militärs möglicherweise Menschen verletzten. Grundlage für dieses Verhalten war die Annahme, dass die Flüchtigen ihre Kameraden warnen wollten. Die Patrouille Tigre übernachtete dort, versperrte am 14.08.1985 die Fluchtwege und kehrte am Folgetag in die Kaserne in Vilcashuamàn zurück.177 Am 13.08.1985 um 8:00 Uhr begann die Truppenverschiebung von Lince 6 unter Führung von Juan Rivera Rondón per Hubschrauber von Ayacucho nach Pueblo Libre und von da zu Fuß nach Azulcaca sowie in Folge in Richtung Pitec, wo sie auf die Patrouille Tigre trafen. Am Folgetag begannen sie das »Eindringen«, trafen jedoch nicht auf Subversive, sodass sie sich zunächst ausruhten und dann am Abend nach Accomarca aufbrachen, wo sie gegen 21:00 Uhr auf Lince 7 trafen, die zu diesem Zeitpunkt ebenfalls ausruhten. Am Folgetag kamen sie nach Vilcashuamán und erstatteten Bericht.178 Lince 7 brach laut des Berichtes ebenfalls am 13.08.1985 in Ayacucho auf und wurde über Vilcashuamán nach Huambalpa gebracht. Von dort starteten sie nach Accomarca, wo sie eine Registrierung durchführten und Propagandamaterial sicherten sowie eine Nacht verbrachten. Am Morgen des 14.08.1985 begannen sie ihre Operation, indem sie in Richtung »Quebrada Huancayoc« aufbrachen und den Ort Llocllapampa erreichten. Dort sahen sie, dass sich die Menschen versammelten und die Flucht ergriffen, als sie die Sicherheitskräfte erkannten. Da die Personen trotz der Schüsse in die Luft nicht anhielten, erschossen sie ungefähr fünf Menschen. Danach teilten sie ihre Einheit und widmeten sie sich den weiteren Bewohner der Siedlung. Sie nahmen dabei 25 Personen, darunter fünf Kinder, fest. Sie trennten Frauen und Männer und begannen die Befragungen, wobei laut Bericht herauskam, dass die Gefangenen an subversiven Aktionen teilnahmen. Der Kommandant Telmo Hurtado ordnete daher an, die Verdächtigen zu erschießen und die Häuser mit den Leichen zu zerstören. Um 15:00 Uhr kehrten sie nach Accomarca zurück und übernachteten dort. Am nächsten Morgen kamen sie nach Vilcashuamán, berichteten jedoch nur von beschlagnahmtem Propagandamaterial und der zerstörten escuela popular.179 177 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 8. 178 Ebd. 8f. 179 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 9.

5. Praktiken des Staatsterrors

Den Bericht der Vorkommnisse, der die Grundlage für die voranstehende Beschreibung war, formulierte das Militär auf Druck der Öffentlichkeit und des Kongresses. Bereits infolge des Massakers informierten Zeitungen180 über die Taten in Accomarca und der neue Präsident Alan García, der ankündigte, solche Taten nicht dulden zu wollen, geriet in Zugzwang, sodass er nach einer Aufklärung des Geschehens verlangte.181 Die skizzierte Schilderung des Militärs leugnete keinesfalls alle Taten, stellte sie jedoch in ein anderes Licht als die Zeug*innenaussagen, die sowohl vom Kongress als auch von der Wahrheitskommission sowie im Zuge des Gerichtsverfahrens gesammelt wurden. Diese zeichneten ein Bild, das in wesentlichen Teilen von der Erzählung der Militärs abweicht. Es weist jedoch auch Gemeinsamkeiten auf, die aufgrund forensischer Gutachten kaum geleugnet werden konnten. Ein wesentlicher Unterschied der Erzählungen liegt darin, wer die Bevölkerung in Llocllapampa, wo die meisten Menschen umkamen, versammelt hat. Nach Zeug*innenaussagen trieb das Militär die Bewohner am 14.08.1985 zusammen,182 wobei einige berichten, dass sie Hunde mit sich führten, die sie dazu sowie zum Durchsuchen der Häuser nutzten.183 Die Separation von Frauen und Männern findet sich im Bericht des Militärs sowie in den Zeug*innenaussagen. Letztere schildern jedoch des Weiteren, dass die staatlichen Sicherheitskräfte die Frauen zu einem nahegelegenen Platz auf einem Berg brachten und vergewaltigten.184 Eine Zeugin bezeichnete dieses Vorgehen als »un abuso total«185 , da die Militärangehörigen auch vor schwangeren Frauen nicht Halt machten.186 Sowohl die Frauen als auch die Männer und sogar Kinder sperrten sie dann in Häuser der Siedlung. Nachdem sie die Opfer erschossen hatten, zündeten sie die Häuser an bzw. brachten sie mit Granaten zur Explosion. Vermutlich, um so die Spuren zu verwischen und die Taten leugnen zu können.187 Zeug*innen sagten außerdem aus, dass die Patrouillen in der Region blieben und Habseligkeiten raubten sowie feierten.188 Nach Aussage eines Zeugen hinterließen die Streitkräfte »el pueblo en total miseria«189 Die versteckten Bewohner, die diese Taten schilderten, kamen nach und nach zur Stelle des Geschehens, bargen Leichen und beerdigten diese schließlich. Zeug*innen 180 Beispielsweise: Marka, Accomarca: Así Fue el Masacre, 12.09.1985. 181 Secretaria de Prensa de la Presidencia de la República, Comunicado 05, 13.09.1985. Caretas, Nosotros no Ocultamos Nada, 16.09.1985. 182 Testimonios: 100044, 100045, 100046, 201610, 201612, 201614, 201628, 201636. 183 Testimonios: 100044, 201614, 201636. 184 Testimonios: 100044, 100045, 100046, 201614, 201630. Findet sich auch in Interviews mit dem Kongress. Siehe Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo III (Acta de Entrevista). 185 ÜBERSETZUNG: »den totalen Missbrauch«. 186 Testimonio: 100046. 187 Testimonios: 100044, 100045, 201610, 201612, 201614, 201628, 201630, 201631. 188 Testimonios: 100044, 100045, 201614. 189 ÜBERSETZUNG: »das Dorf in einer völligen Misere.« Testimonio: 100044.

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sowie das forensische Gutachten verdeutlichen, dass Kinder, Frauen und Männer starben, wobei die genaue Zahl aufgrund der Verbrennung sowie Zerstörung der Körper durch Explosionen nicht festgestellt werden konnte.190 Vielmehr fanden die Forensiker einzelne Teile vor: »Costillas fragmentadas con masas musculares carbonizadas; 06 Vértebras cervicales con masas musculares carbonizadas«191 etc. Das jüngste Opfer war nach diesem Bericht drei Jahre alt.192 Während also unklar bleibt, wie viele Menschen ums Leben kamen, ist nachgewiesen, dass neben Frauen und Männern ebenfalls Kinder zu den Opfern der staatlichen Sicherheitskräfte gehörten. Obwohl die angegebenen Vergewaltigungen durch das Gutachten nicht bestätigt werden konnten, verringert dies die Glaubwürdigkeit der Aussagen nicht. Der schlechte Zustand der Leichen kann die Aussagen der überlebenden Zeug*innen weder be- noch widerlegen. Dieses Massaker hatte neben dem Verlust von Familienangehörigen und Freunden noch weitere Folgen für die Gemeinschaft. Zum einen kamen Presse und Untersuchungskommissionen in die Region und befragten die Menschen, die versuchten, ihnen das Geschehene wiederzugeben.193 Zum anderen blieben weitere Kontrollen des Militärs nicht aus. Diese endeten zwar nicht nochmals in einem Massaker, jedoch in einzelnen Tötungen sowie Gefangennahmen, die mit Folter einhergegangen sind.194 Wenngleich Widersprüche hinsichtlich des Verlaufes existieren, kann doch annäherungsweise ein Bild der Taten rekonstruiert werden. Die Aussagen der Beteiligten – insbesondere von Telmo Hurtado – können dies noch ergänzen, da sie die Haltung des Militärs verdeutlichen. General Jarama argumentierte vor der Kommission des Kongresses, dass bei der Bewertung dieser Taten nicht vergessen werden sollte, dass das Militär in den Konflikt entsandt wurde, da andere Mittel scheinbar nicht halfen. Er verwies dabei zum einen auf den Ausnahmezustand, der das Tun legitimierte, sowie zum anderen auf den Zustand des Staates, der eine militärische Reaktion erforderlich machte. Diese müsse – wie er es verglich – der Krankheit angemessen sein. Diese Krankheit entsprach bei ihm der Subversion, die er als Phänomen begriff, das die staatliche Ordnung angreife sowie die Si190 CVR, Aussage in Audiencia Pública, 08.04.2002. Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca. Instituto Medicina Legal del Perú, Informe 011-085-JUS/IMLO, 1-5. Testimonios: 100044, 201630, 201631, 201636. 191 . Instituto Medicina Legal del Perú, Informe 011-085-JUS/IMLO, 1. 192 ÜBERSETZUNG: »Gebrochene Rippen mit verbrannter Muskelmasse; sechs Wirbel mit verbrannter Muskelmasse« Instituto Medicina Legal, Informe 011, 2. 193 Siehe exemplarisch: Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca. Sowie: La República, Comisión de Derechos Humanos del Senado Viajará a las Comunidades Masacradas, 13.09.1985. El Diario, Se está Vietnamizado la Zona de Emergencia, 13.09.1985. 194 Testimonios: 100044, 201618, 201626, 201630, 204813, 204899, 204930.

5. Praktiken des Staatsterrors

cherheit aller bedrohe.195 Darüber hinaus würde der Leuchtende Pfad aus Gruppen bestehen, die sowohl überzeugte Anhänger als auch zahlreiche Unschuldige umfassen. Diesem Umstand sowie der Kriegssituation sei es geschuldet, dass zahlreiche Unschuldige bei »enfrentamientos«196 sterben würden.197 In Accomarca habe es einen solchen Zusammenstoß am 14.08.1985 jedoch nicht gegeben, ebenso wenig wie das geschilderte Massaker. Die Toten, die gefunden wurden, starben bei Gefechten im Verlauf des Monates August. Die Berichte der Presse, die Gräueltaten schildern, seien somit falsch. Der General, der für die zweite Militärregion zuständig war, legte auf Grundlage der ersten Berichte der Patrouillen, den so genannten »partes de combate«, den Fall also gänzlich anders dar, als die Zeug*innenaussagen und der spätere Bericht des Militärs. Dies hatte zwei mögliche Gründe. Erstens meldeten die Patrouillen das Geschehen nicht direkt. Zweitens wollte der General das Militär schützen. Unklar ist, inwiefern er etwas über dessen Vorgehen wusste. Obwohl der Plan also mit der Führung in Ayacucho abgestimmt war, ist es möglich, dass nicht die gesamte militärische Führung in das Geschehen eingeweiht wurde. Jaramas Haltung illustriert ferner die Wichtigkeit der Doktrin sowie die Haltung der Institution gegenüber Vorwürfen.198 Eine ähnliche Relation zur Doktrin und der Kampfsituation offenbaren die Aussagen von Telmo Hurtado, der von der militärischen Führung als Hauptschuldiger ausgemacht wurde.199 Im Gegensatz zu General Jarama leugnete er jedoch nicht, dass es zu Morden in Accomarca gekommen ist.200 Telmo Hurtado war während des Krieges gegen den Leuchtenden Pfad Leutnant, kommandierte die Patrouille Lince 7 und befand sich im Jahr 1985 seit ca. zwei Jahren im Einsatz in dieser Zone.201 Seine Aussagen änderten sich während der Jahre; er gab zwar zu, dass Menschen auf seinen Befehl hin umgebracht wurden, diese seien aus seiner Sicht jedoch Schuldige gewesen. Im Jahr 1985 sagte er aus, dass die Menschen flohen und sich außerdem in einer Befragung herausgestellt habe, dass sie senderistas seien.202 Er ordnete die Taten des Weiteren ein, indem er sagte: »Estamos en una guerra 195 196 197 198 199

Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo V, 339-343. ÜBERSETZUNG: »Zusammenstößen«. Ebd. 350f. Ebd. 374f. Comando Conjunto de las FF.AA, Comunicado del Comando Conjunto de las Fuerzas Armadas, 1985, 1. 200 In einer Aussage von 2014 veränderte er seine Haltung und verminderte seine Schuld. Siehe: Ministerio Público. Instituto de Medicina Legal. División de Exámenes Clínico Forenses, Evaluación Psiquiátrica No. 39865-PSO-2014. 16.06.2014. 201 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo VII, Entrevista a Hurtado, 571. 202 Ebd. 574.

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sucia.«203 Er verwies auf die Rolle seiner Patrouille, die eine Kampfeinheit war, und machte ferner darauf aufmerksam, dass in einer solchen Situation, die für Außenstehende nicht zu verstehen sei,204 weder Alten, Frauen noch Kindern getraut werden könne. Aus seiner Sicht indoktrinierten die senderistas bereits zwei oder drei Jahre alte Kinder.205 Mit dieser Interpretation stattete er sein Handeln mit Sinn aus und versuchte es zu rechtfertigen. Dabei verdeutlichte er, dass er zwar ziemlich frei das genaue Vorgehen in der Situation entscheiden konnte, er verwies jedoch ebenso auf Anordnungen: »[H]e tomado al determinación de eliminarlos«206 . Er verstand sich also durchaus als ein ausführendes Organ eines Planes und eines Befehles. Zu diesem Schluss kam auch das Gericht im Jahr 2016, welches nicht nur eine Strafe gegen Telmo Hurtado, sondern auch gegen General Wilfredo Mori Orzo aussprach. Der Richter bezog somit ebenfalls die geistigen Autoren des Massakers ein und nicht nur denjenigen, der letztlich die Verantwortung für das Tatgeschehen hatte.207 Interessant ist, dass für diese Mission neben Patrouillen, die zur Intervention entsandt wurden, zwei Einheiten zum Abriegeln der Region abgestellt wurden. Strategisch diente dies dazu, Fluchtrouten zu schließen. Es sorgte darüber hinaus dafür, dass die Region, in der die Intervention stattfinden sollte, zu einem nahezu abgeschlossenen Raum wurde. Dies erhöhte die Macht des Militärs, räumte ihm mehr Zeit ein und hielt unliebsame Blicke anderer fern. Die staatlichen Sicherheitskräfte kamen zudem in organisierten Gruppen mit je einem Anführer und guter Bewaffnung. Sie waren damit in dieser Hinsicht der unbewaffneten und überraschten Bevölkerung überlegen. Durch den Befehl, die Subversiven »zu fangen und/oder zu vernichten«208 , das diffuse Feindbild sowie die dezentrale Ausführung ergab sich für die Patrouillen ein großer Spielraum in der Durchführung der Operation. Sie nutzten diesen wohl nicht nur, um senderistas festzunehmen, sondern ebenfalls, um Frauen zu vergewaltigen und zahlreiche Unschuldige zu töten. Die Zuschreibung »unschuldig« schien jedoch in der Wahrnehmung der Militärs kaum existiert zu haben. Für sie stellten alle Bewohner der Region eine potenzielle Gefahr dar. Inwiefern dies nur eine Legitimation oder wirklich die Sichtweise der Täter war, kann nicht rekonstruiert werden. Es führte jedenfalls u. a. dazu, dass 203 ÜBERSETZUNG: »Wir sind in einem schmutzigen Krieg.« Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo VII, Entrevista a Hurtado, 583. 204 Ebd. 583, 586. 205 Ebd. 579, 581. »Los comienzan a adoctrinar desde dos años, tres años […].« 581. ÜBERSETZUNG: »Sie beginnen sie, mit zwei Jahren, drei Jahren zu indoktrinieren […]«. 206 ÜBERSETZUNG: »Ich hatte die Anweisung, sie zu vernichten.« Ebd. 580. 207 Sala Penal Nacional, Sentencia, Exp. 36-05, in: http://larepublica.pe/politica/800080-leela-historica-sentencia-los-autores-de-la-espantosa-masacre-de-accomarca (23.08.2016), [zuletzt eingesehen am 04.01.2018]. 208 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 7.

5. Praktiken des Staatsterrors

sie nicht selektiv vorgingen, sondern alle Personen versammelten und sowohl Alte, Frauen als auch Kinder umbrachten. Obwohl die Gefahr einer Strafverfolgung bis dahin eher gering war, entschieden sie sich dazu, die Spuren zu verwischen und die Leichen anzuzünden. Zum einen stellten die explodierten Häuser ein Symbol der Verwüstung dar bzw. könnten als solches interpretiert werden. Zum anderen bleibt unklar, inwiefern Angst vor einer Strafe existierte bzw. welche weiteren mündlichen Anordnungen es gegeben hatte, oder ob die Verwüstung möglichweise eine spontane Idee war, die sich aus der Dynamik der Situation ergab. In diesem Massaker zeigten sich gängige Praktiken, wie das Erzeugen eines abgeschlossenen Raumes oder das Versammeln und Separieren der Opfer. Ebenso wurden bereits beschriebene Sichtweisen des Militärs sichtbar, jedoch auch Momente, die die Eigentümlichkeit der Gewalttat verdeutlichen. Vor allem das Töten der Kinder unterstreicht die Grausamkeit dieser Tat, die eine Art Rausch darstellen konnte.209 Hierzu würden die Aussagen über das abendliche Feiern der Täter passen, die allerdings vom Militär bestritten wurden und hier nicht in Gänze geklärt werden können.210 Eine klare Dichotomisierung in »wir« und »die« ist ebenfalls eine Eigenart, die sowohl im Vorgehen deutlich wird, als auch in den Aussagen einiger Täter zu Tage tritt.211 Sie sahen die gesamte Bevölkerung als Verdächtige und betrachteten selbst Kinder als mögliche Gefahr. Die Kategorie des Subversiven zeigte sich in diesem Fall nicht als eine rein politische. Vielmehr weiteten sie diese auf alle aus, die nicht zu ihnen gehörten und in der Region lebten, die als »rote Zone« eingestuft und im Verlauf des Kampfes immer wieder mit den senderistas in Verbindung gebracht wurde.

5.4.2.

Das Massaker von Cayara

Ähnlich wie hinsichtlich der Bezeichnung des Massakers von Accomarca ist dies eine Vereinfachung, da auch hier nicht nur Cayara, sondern auch Siedlungen in der Nähe betroffen waren. Bekannt ist dieses Beispiel jedoch als Fall/Massaker Cayara, sodass die Arbeit sich ebenfalls auf diese Benennung bezieht. Bevor eine Rekonstruktion des Vorgehens anhand verschiedener Quellen unternommen wird,212 beginnt dieser Abschnitt – analog zum vergangenen Teil – mit der Vorgeschichte und der Planung. Das Dorf Cayara liegt im Department Ayacucho in der Provinz Víctor Fajardo und befindet sich ca. 140 km südlich der Stadt Huamanga. Zum Distrikt zählen zudem 209 Sofsky Traktat, 178. 210 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo VI. 211 Ebd. 579f. 212 Neben Aussagen der Opfer kann hier auf Militärberichte, Kommissionsberichte und Gerichtsakten zurückgegriffen werden. Es ist also eine recht breite Quellenbasis, die jedoch keine einheitliche Geschichte erzählt, sondern Widersprüche und Lücken enthält.

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Jeshua, Mayopampa, Erusco sowie Chincheros. Der Großteil der Bevölkerung lebte in dieser Region von der Landwirtschaft, wobei der Schnitt in Cayara mit 87 % noch deutlich über dem Durchschnitt des Departments (69 %) lag. Die Analphabetenrate lag bei etwa 50 % und war damit doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt.213 Trotz der Bildungsferne und ländlichen Prägung galt die Region als »befreite Zone«, was sich auch daran zeigte, dass der Leuchtende Pfad ein »Comité Zonal Fundamental«214 in diesem Distrikt etablierte. Das Militär kategorisierte Cayara daher als »rote Zone«, in der der Leuchtende Pfad Autoritäten ersetzte und staatliche Institutionen kaum funktionierten.215 Neben den senderistas begannen die staatlichen Sicherheitskräfte bereits 1983 mit Aktionen in diesem Gebiet, wobei diese sich seit 1987 häuften. In dieser Zeit kam es zu Hinterhalten des Leuchtenden Pfades sowie zu Zusammenstößen und Morden.216 Die unmittelbare Vorgeschichte des Massakers stellte ein Hinterhalt des Leuchtenden Pfades am 13.05.1988 dar. Die senderistas planten diese Aktion und befahlen der Bevölkerung, sie nicht zu verraten. Sie attackierten ein bis zwei Kilometer von Cayara entfernt um ca. 23:30 Uhr einen Konvoy aus zwei Fahrzeugen des Militärs, der von San Pedro de Hualla nach Huancapi fuhr. In der Region Erusco sprengten die versteckten senderistas zuvor angebrachtes Dynamit auf dem Weg in die Luft, um so die Fahrzeuge zu treffen. Dabei explodierte der zweite Wagen ca. 80 Meter entfernt vom ersten UNIMOG (Militärfahrzeug).217 Dieser Attacke fielen vier Militärs zum Opfer und weitere 15 wurden verletzt. Die Täter raubten zudem Waffen und Munition. Die Bevölkerung konnte diese Attacke hören und verließ in großer Zahl das Dorf, da sie Angst hatte, dass das Militär mit Repressalien reagieren könnte. Die meisten der Geflohenen begaben sich in das Gebiet Jeshua.218 Die staatlichen Sicherheitskräfte verfolgten nach eigenen Aussagen direkt die Flüchtigen, da sie Menschen hören konnten, die Beleidigungen sowie subversive Slogans riefen. Nach Darlegung in einem »parte«, einem direkten Bericht, vernahmen die Militärs ca. 200 bis 250 Stimmen, darunter Frauen und Kinder. Sie berichteten zudem von einem bis zum Morgen (ca. 4:00 Uhr) andauernden Zusammenstoß.219 Zusätzlich zu dieser ersten Reaktion planten sie eine Operation »Persecución«, die am Folgetag mit der Suche der Täter beginnen sollte. Dafür stellte der Kommandant der 213 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara-Ayacucho (En Minoría), Dictamen, Lima 17.05.1989, 3. 214 Eigenname des Leuchtenden Pfades, der eine Gruppe bezeichnet, die für eine bestimmte Zone zuständig war. 215 CVR, Las Ejecuciones Extrajudiciales y Encubrimiento en Cayara 1988, 279. 216 CVR, Cayara, 279. Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 10. Der Begriff »Hinterhalt« ist die Übersetzung von »emboscada«, einem Quellenbegriff. Es handelt sich dabei um Attentate und Attacken, die das Militär als »Hinterhalt« bezeichnete. 217 Jefe de Patrulla Roble, Parte 002/Pat, »Roble«, Pampa Cangallo 14.05.1988, 1. 218 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 11. 219 Jefe de Patrulla Roble, Parte 002/Pat, »Roble«, 2.

5. Praktiken des Staatsterrors

politisch-militärischen Führung in Ayacucho ca. zehn Patrouillen zusammen, die mit Fahrzeugen und Helikoptern in die Region gebracht werden sollten, um dort die verantwortlichen senderistas zu fassen. Die Patrouillen stammten aus Huancapi, Cangallo und Ayacucho und umfassten ca. 200 Personen. Die Militärs verfügten zudem über Informationen darüber, dass ca. 14 Menschen aus Cayara mit der Subversion kooperierten, sodass es noch einen Grund mehr gab, in dieser Region nach Subversiven zu suchen.220 Am 14.05.1988 begannen die Patrouillen mit ihrer Aufgabe. Zunächst kamen fünf Einheiten (Tarántula, Tigre, Grass, Algarrobo und Huayacán) nach Erusco, um von dort nach Cayara aufzubrechen. Wie aus dem Bericht deutlich wird, hatten weitere Bewohner aufgrund der Helikoptergeräusche den Ort bereits verlassen. In Cayara trafen die Militärs auf wenige Menschen sowie auf eine Leiche am Ortstrand und angeblich auf fünf Leichen in der Kirche, die sie für Subversive hielten, die in Folge des Hinterhaltes starben. Das Verschwinden dieser Leichen, welches in Folge geschah, erklärten sie sich damit, dass die senderistas zurückkehrten und ihre verstorbenen Kameraden bargen. Sie erhielten außerdem die Information, dass die Subversiven nach Jeshua geflohen seien,221 wobei die Patrouille Tigre von ca. 200 Personen, unter ihnen auch Frauen und Kinder, ausging.222 Die Aussagen der Zeug*innen zeichnen ein anderes Bild der Abläufe. Ihnen zufolge brachte das Militär den Mann am Eingang des Dorfes223 sowie die Männer in der Kirche um, nachdem sie diese verhört und gefoltert hatten.224 Sie gaben zudem an, dass die staatlichen Sicherheitskräfte in Folge die Leichen verschwinden ließen. Zeug*innen berichteten der Kommission des Kongresses außerdem, dass das Militär das Gemeindehaus als Zentrum nutzte, um Gefangene festzuhalten, zu befragen und zu misshandeln.225 In beiden Darstellungen begaben sich große Teile der staatlichen Sicherheitskräfte dann auf den Weg nach Jeshua. Während der Bericht des Militärinspektors sowie die »partes« der Patrouillen über Zusammenstöße mit DDSS (delincuentes sub220 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 12ff. Auch der Bericht der Militärinspektion spricht davon, dass die Bevölkerung nachweislich am Hinterhalt beteiligt war. Siehe: Inspectoria del Comando Región Militar, Consideraciones más Importantes del Informe de la Investigación 07 K1/SRM/20.04 DE 31 Mayo 88, 2. 221 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 15. 222 Jefe de Patrulla Tigre, 022/Pat »Tigre«, Ayacucho 30.05.1988, 2. 223 Aussagen von Soldaten, in: Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006. Dictamen 67-2012, 32. 224 Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 34f. Diese Aussagen werden auch durch Andeutungen von Soldaten bestätigt, die nicht von gefundenen Leichen sowie Befragungen sprechen. 225 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 16. Zeug*innen schildern auch weitere Befragungen und Gefangennahmen. Siehe: Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 33.

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versivos) informierten,226 zeigten Teile der Bevölkerung ein grausames Vorgehen der Militärs an.227 In der Stellungnahme der Patrouille Grass gaben die Verantwortlichen an, dass sie am Nachmittag Jeshua erreichten, wo sie auf »aproximadamente 30 ›DDSS‹«228 trafen, die auf sie feuerten, was sie erwiderten. Das Gefecht dauerte 45 Minuten, bevor zahlreiche Subversive in verschiedene Richtungen, wie zum Beispiel Mayopampa, flohen. Daraufhin fand die Einheit sechs tote senderistas sowie Waffen und Dynamit. Sie verfolgten die Flüchtigen in besagte Region, versammelten dort die Menschen, um eine weitere Flucht zu verhindern, und entdeckten angezündete Häuser. Am 15. Mai, als die Operation abgeschlossen werden sollte, kehrten sie nach Jeshua zurück, »para darle cristiana sepultura«229 . Die Leichen waren jedoch nicht mehr da. Auch die Kadaver in Cayara waren verschwunden.230 Die Patrouille Huayacán kam ebenfalls nach Mayopampa, traf jedoch erst später ein und informierte das Politisch-Militärische Kommando im Nachgang über ein weiteres Gefecht und flüchtige Subversive sowie gefundenes Kriegsmaterial.231 Die Kommission des Kongresses kam in ihrem Bericht zu einem anderen Schluss als das Militär in seinen Berichten. Die Gruppe von Kongressabgeordneten verdeutlichte in ihrem Gutachten, dass es zu keinem Zusammenstoß gekommen sei – auch weil dies in Anbetracht der erheblichen Militärpräsenz nicht der Logik der senderistas entsprach. Zudem bezogen sie sich auf die Aussagen der Zeug*innen, die angaben, dass das Militär sie auf dem Weg von Jeshua nach Cayara festsetzte und in drei Gruppen aufteilte.232 Die Frauen und Kinder verschonten die Truppen. Die Männer legten sie mit dem Gesicht zu Boden hin, befragten sie, gaben Peitschenhiebe und töteten sie dann.233 Zeug*innen sagten vor der Kommission aus, dass die Soldaten Geräte des Ackerbaus, die die Bauern bei sich trugen, zum Morden nutzten.234 Auch der Zusammenstoß in Mayopampa wurde in einer anderen Version geschildert. Die Zeug*innen erzählten von keinem Gefecht und von keinem Angriff der senderistas, sondern von der Ermordung von vier 226 ÜBERSETZUNG: »subversive Verbrecher/Straftäter«. Jefes de Patrullas (Tigre, Grass, Huayacán, Otorongo), Partes, Mai 1988. 227 Inspectoria, Consideraciones, 3. 228 ÜBERSETZUNG: »ungefähr 30 subversive Straftäter.« Jefe de Patrulla Grass, Parte 001/Pat »Grass«, Pampa Cangallo 15.Mai 1988, 2. 229 ÜBERSETZUNG: »um ihnen eine christliche Bestattung zu geben.« Ebd. 2. 230 Ebd. 2. 231 Jefe de Patrulla Huayacán, 005/Pat, »Huayacán«, San Pedro de Hualla 16.05.1988, 1. 232 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 19. 233 Dieses Vorgehen wird an den später gefundenen Leichen sichtbar, wie eine Mutter berichtete. Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 40f. Auch Soldaten räumen später ein, dass es wohl keinen Zusammenstoß gab. (Ebd. 46). 234 Comisión Investigadora de los Sucesos en Cayara, Dictamen, 20.

5. Praktiken des Staatsterrors

Bauern durch das Militär. Sie stellten dabei heraus, dass sie kein Motiv für diese Tat erkennen konnten.235 Auf diese Operation, die über 20 Menschen das Leben kostete, folgten weitere Gefangen-nahmen von Menschen aus der Region Cayara sowie das Verschwindenlassen der Leichen,236 die von Teilen des Militärs ebenfalls geleugnet und den senderistas zugeschrieben wurden. Das Ausheben von Gräbern sowie die Schilderungen der Zeug*innen und später die Aussagen von einigen Soldaten ließen jedoch Zweifel an der ursprünglichen Version der staatlichen Sicherheitskräfte aufkommen.237 Die Kommission des Kongresses (Minoría/Minderheit) sowie die Wahrheitskommission gingen daher eher davon aus, dass im Nachgang gezielt Verdächtige sowie Zeug*innen eingeschüchtert oder liquidiert wurden. Das Verschwinden der Leichen hatte nach ihrer Auffassung die Funktion der Verschleierung und Vertuschung der Taten.238 Für die Deutung dieses Geschehens und insbesondere des Vorgehens der staatlichen Sicherheitskräfte sind neben den verschiedenen Aussagen die Ereignisse des Konfliktes, dessen Verlauf sowie die gesamtgesellschaftliche Situation und Stimmung zu bedenken. Beispielsweise hat sich das Verhältnis zwischen Militär und Regierung nach dem Tiefpunkt Accomarca infolge der Massaker in den drei Gefängnissen in Lima wieder verbessert. Die anfängliche Haltung, dass es keine Menschenrechtsverbrechen seitens des Staates geben dürfe oder diese mindestens aufgeklärt werden müssten, legten García und seine Partei nach und nach ab bzw. vertraten diese nicht mehr vehement. Es ist daher nicht überraschend, dass der Kongress im Mehrheitsbericht den Aussagen der Militärs beigepflichtetet hat und so einen Teil zur Verdunklung der Taten beitrug.239 Es erscheint aus diesem Grund nicht unplausibel, dass das Militär im Nachgang versuchte, Spuren zu verwischen, um so weitere Anstrengungen der Strafverfolgung zu erschweren. Dem Militär war offenkundig daran gelegen, ein imageschädigendes Echo – wie das nach Accomarca – zu vermeiden.240 Hinzu kommt die lange Dauer des Kampfes. Seit fünf Jahren befand sich das Militär im Kampf gegen die Subversion, schaffte es jedoch nicht, den Feind zu besiegen. Die angespannte Stimmung verschärfte sich zudem noch durch eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes.241 Diese Aspekte können 235 Ebd. 21. 236 CVR, Cayara, 292f. Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 462006, 59ff. 237 Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 49ff. 238 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 23. CVR, Cayara, 291f. 239 Zu ähnlicher Auffassung gelangt auch die CVR, Cayara, 295. 240 Die Wichtigkeit des Rufes wird in Handbüchern und Interviews deutlich. Siehe exemplarisch: Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989, 84. Ejército Peruano, Guía para el Combatiente en la Zona de Emergencia, Lima 1988, 56. Siehe außerdem die Darstellung des Kriegsministers in: Caretas, ¿Qué paso en el EP? 13.01.1986, 13. 241 Siehe Abschnitt 3.2.1.

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das Geschehene nicht erklären, bilden dennoch einen Rahmen, der auf die Haltung des Militärs Auswirkungen hatte. Die konkrete Situation passierte in diesem und dem schon skizzierten historischen Rahmen. Das Vorgehen kann auf folgende Weise interpretiert werden: Die Haltung sowie das Planen des Militärs waren beeinflusst, dass die Zone als eine »rote Zone« eingestuft wurde, weiterhin spielte der Hinterhalt des Leuchtenden Pfades eine entscheidende Rolle. Dieser gab den Anlass für die Durchführung einer Verfolgungsaktion, die so auch durch die Handbücher beschrieben und gefordert wurde.242 Klares Ziel war wieder »capturar y/o eliminar a los delincuentes subversivos«243 . Auffällig ist dabei das Motiv der Rache, welches sich schon in anderen Aktionen offenbarte und hier ebenfalls offensichtlich wurde. Ähnlich wie in Accomarca traf diese Operation keineswegs nur Subversive, sondern vor allem die Bevölkerung der Region. Obwohl unklar blieb, inwiefern sie am Hinterhalt beteiligt war, genügte den Militärs der Verdacht einer Kollaboration. Diesen unterstrich der Bericht der Patrouille »Tarántula«, indem er darauf verwies, dass die Aktion der Subversiven geplant war, sich die senderistas also länger – und definitiv nicht unbemerkt – in der Region aufgehalten haben mussten. Das Militär ging also davon aus, dass die Bevölkerung von dem Hinterhalt wusste oder diesen sogar unterstützte.244 Sie erhielten zudem Informationen über Subversive in Cayara, wohin die »DDSS« flohen. Die Reaktion des Militärs hatte also einen klaren Anlass und stützte sich auf Verdachtsmomente. Dies erforderte sicherlich nicht das beschriebene Vorgehen, kann jedoch deutlich machen, mit welcher Haltung sich die Patrouillen in die Region begaben. Die Militärs planten im Anschluss an den Hinterhalt sehr schnell die Verfolgung und entsandten dafür zahlreiche Soldaten. Deutlich wird dabei die organisatorische Leistung, zu der die staatlichen Sicherheitskräfte fähig waren. Sie konnten innerhalb weniger Stunden verschiedene Patrouillen stellen und in das Gebiet transportieren (Fahrzeuge, Helikopter). Diese waren mit Waffen bestückt und sie gingen organisiert vor, wobei sich die Mission auf die Verfolgung in der Region um Cayara konzentrierte.245 Im Aufeinandertreffen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und der Bevölkerung kann also wieder von einer klaren Überlegenheit der Täter ausgegangen werden, da die Bevölkerung weder bewaffnet noch organisiert und nicht auf einen Kampf vorbereitet war. Wie die Aussagen nahelegen, hatten die meisten Bewohner vor beiden Konfliktparteien Angst und zogen sich bereits 242 Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria, 157. 243 ÜBERSETZUNG: »fangen und/oder eliminieren der subversiven Straftäter.« Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 27. 244 Jefe de Patrulla Tarántula, 007/Pat, »Tarántula«, 14.05.1988, 2. 245 Diese Organisation wird auch in den militärischen Berichten sowie den »partes« der Patrouillen deutlich, aber auch im Bericht der Kongresskommission.

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nach dem Anschlag des Leuchtenden Pfades zurück.246 Dieses Verhalten gibt einen Hinweis darauf, dass die Reaktionen des Militärs gefürchtet waren und diese sich bereits einen Ruf erarbeitet hatte. Es offenbart ferner, dass die Menschen keinen Schutz durch den Leuchtenden Pfad erwarteten, der gemeinhin direkte Konfrontationen mied.247 Zusätzlich spielte der Moment der antizipierten Straffreiheit eine Rolle. Interessant ist dabei, dass die Soldaten zunächst kaum daran dachten, die Beweise ihrer Taten zu vernichten. Sie vergruben die Leichen erst später bzw. kamen sie Tage danach zurück, um bereits verscharrte Leichen an einen anderen Ort zu bringen.248 Neben den Leichen, die sie verschwinden ließen, suchten sie Cayara bis Dezember noch mehrfach auf und nahmen Zeug*innen fest oder brachten diese um. Das Militär versuchte also auf verschiedenen Ebenen die Taten zu vertuschen. Dies lässt die Glaubwürdigkeit ihrer Erzählung eines Zusammenstoßes sinken. Ohnehin erscheint dies eher als ein gängiges Narrativ des Militärs, denn als Beschreibung des Geschehenen. Da aus der Sicht der Streitkräfte die Toten bei einem Gefecht durchaus legitim wären, gaben sie dies als Rahmen der Situation und Rechtfertigung ihres Vorgehens an. Möglicherweise hatten die Einheiten während der Operation also wenig Sorge, in irgendeiner Form zur Rechenschaft gezogen zu werden, was sich im Nachgang jedoch änderte. Mutmaßlich, weil die militärische Führung den Auftrag gab, die Spuren und Zeug*innen zu beseitigen. Im Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte – gerade in Komparation mit dem Vorgehen in Accomarca – fällt zudem auf, dass sie zwar gegen die Bevölkerung vorgingen und teilweise systematisch Menschen umbrachten, jedoch in diesem Fall Frauen und Kinder verschonten. Es ist fraglich, welche Ursache dies hatte. Eine Erklärung könnte eine Liste des Militärs sein, die senderistas aufführte und nur männliche Personen beinhaltete. Ein Umdenken hinsichtlich des Umganges mit Frauen erscheint eher unwahrscheinlich, da infolge auch Zeuginnen ermordet wurden.249 Die Beurteilung der Fiscalía, die von einer »política estatal de eliminación sistemática«250 sprach, kann hier trotzdem nur bedingt geteilt werden. Im Gegensatz zu Accomarca töteten die Militärs nicht die Menschen, auf die sie trafen, sondern gingen durchaus selektiver vor, wenngleich nicht davon gesprochen werden kann, dass nur senderistas getötet wurden oder es ein Gefecht gegeben hätte. Das Gutachten der Fiscalía verdeutlichte durch die zahlreichen Belege aus Aussagen und forensischen 246 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 11. 247 Dies entspricht nicht nur der Einschätzung der Kongresskommission (Dictamen,19), sondern auch den Darstellungen des Leuchtenden Pfades in der Literatur. 248 Ministerio Público. Primer Fiscalía Superior Penal Nacional, Expediente 46-2006, 49ff. 249 Ebd. 48, 58ff. 250 ÜBERSETZUNG: »staatliche Politik einer systematischen Vernichtung.« Ministerio Público, Primer, 49ff.

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Gutachten vielmehr, dass die staatlichen Sicherheitskräfte wehrlose Opfer malträtierten und ermordeten, wobei sie die »Verdächtigen« nicht einfach erschossen, sondern zuvor peinigten. Der Anlass dieser Operation sowie die allgemeine Situation, die die Wut auf den Feind und die Frustration durchaus wachsen ließ, sowie bereits genannte Vorurteile könnten mögliche Motive für die Taten sein. Zumal Gegenwehr nicht zu befürchten war, da die unbewaffneten Opfer auf dem Boden lagen und sich so nicht verteidigen konnten. Des Weiteren agierten die staatlichen Sicherheitskräfte auch bei diesem Massaker in einer Gruppe von Kameraden, was nicht nur die Überlegenheit steigerte, sondern auch zu derartigen Taten ermuntern konnte. Insbesondere Studien zu NS-Verbrechen belegen diese Wirkung einer Gruppendynamik und lassen einen ähnlichen Effekt im peruanischen Fall vermuten.251 Außerdem schien die Gefahr einer drohenden Strafe gering. Ohnehin wäre diese kaum von den Vorgesetzten zu erwarten gewesen, die den Auftrag für die Mission gaben. Andere staatliche Institutionen funktionierten zudem unzureichend, sodass bspw. Anzeigen durch Zeug*innen nur wenig Aussicht auf Erfolg hatten. Dieses Annahme, keine negativen Konsequenzen befürchten zu müssen, sogar eher gemäß den Befehlen, Plänen und der Doktrin zu handeln, konnte die Gewalt zusätzlich begünstigen, da das Handeln somit in die Vorstellungen und das Denken integrierbar war.252 Diese Haltung der staatlichen Sicherheitskräfte fand im Nachgang Bestätigung, da selbst der Kongress sich nicht auf eine gemeinsame Darstellung festlegen konnte. Vielmehr unterstützte die Mehrheit den Bericht des Militärs. Erst nach dem Konflikt kam die Wahrheitskommission und die Fiscalía zu anderen Schlüssen. In der Zeit des Konfliktes musste sich das Militär also offenbar – auch unter Alan García – keine großen Sorgen um Strafen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit machen. Unabhängig von der Bewertung der verschiedensten Kommissionen, die sich mit diesem Fall beschäftigten, veranschaulicht er Eigenschaften des militärischen Vorgehens. Die Praktiken zeigten sich mitunter als sehr brutal, respektlos und mäandernd zwischen berechnend und irrational. Ein Anlass, wie der Hinterhalt, genügte in einer Region im Ausnahmezustand, die zudem noch als »rote Zone« eingestuft wurde, um eine repressive Aktion gegen die Bevölkerung hervorzurufen. Diese endete ähnlich wie in Accomarca nicht mit dem Massaker. Die Militärs suchten die Region noch mehrfach heim und demonstrierten durch weitere Gewaltaktionen ihre Macht. Sie schüchterten dabei die Menschen ein und warnten sie so vor einer Kollaboration mit dem Leuchtenden Pfad. Während es ihnen vielleicht 251 Browning, Ganz normale Männer, 225ff., 242f. 252 Die Wirkung des Gefühls, konform und nachvollziehbar zu handeln, dem Tun also einen normalen Rahmen zu geben, beschreiben andere Autoren. Siehe exemplarisch: Browning, Ganz normale Männer, 229ff. Mihran Dabag, Ideologie und gestaltende Gewalt. Aspekte der Formierung genozidaler Tätergesellschaften, in: Olaf Glöckner (Hg.), Das Zeitalter der Genozide. Ursprünge, Formen und Folgen politischer Gewalt im 20. Jahrhundert, 166.

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gelang, Teile der Bevölkerung zu verängstigen, trafen sie den Leuchtenden Pfad kaum, da dessen Kämpfer nach dem Hinterhalt verschwanden.

5.4.3.

Die Massaker von »Los Penales«

Zeitlich in der Mitte der bereits beschriebenen Massaker ereignete sich abseits des Hauptschauplatzes in Ayacucho die blutige Niederschlagung von Aufständen in drei Gefängnissen in Lima. Diese Massaker, die ca. 200 Opfer forderten, stehen im Zentrum dieses Abschnittes, der durch die Beschreibung und Interpretation einen Abgleich zwischen verschiedenen Regionen des Landes ermöglichen will und so die Chance bietet, Besonderheiten oder Gemeinsamkeiten zu erkennen. Neben der Frage, ob eine ähnliche Logik im Vorgehen sichtbar wird, ist ebenso interessant, inwiefern analoge Praktiken vorkamen oder sich das Handeln unterschied. Der Vergleich fließt dabei in die Deutung ein und ist eher implizit als ein eigenes methodisches Vorgehen.253 Die Ergebnisse spielen vor allem für die folgende Darstellung des Gewaltraumes Ayacucho eine Rolle, der so genauer beschrieben und abgegrenzt werden kann. Um die Massaker verstehen zu können, sind zunächst Aussagen zur Situation in den drei Gefängnissen sowie den Rahmenbedingungen in Lima 1986 nötig. Wie bereits erläutert, weitete sich der Konflikt nach 1985 zunehmend in andere Gebiete des Landes aus. Im Jahr 1986 traf die Gewalt vermehrt Lima, wo ab Februar ebenfalls der Ausnahmezustand galt. Für den Leuchtenden Pfad hatten die Gefängnisse, in denen zahlreiche Menschen wegen Terrorverdachtes einsaßen, eine besondere Bedeutung. Sie nutzten sie als »centros de acción política«254 , indem sie Gefangene indoktrinierten, (öffentlichkeitswirksam) die schlechten Bedingungen anzeigten und seit 1985 immer wieder Aufstände organisierten. Während solcher Aktionen nahmen sie Geiseln und stellten Forderungen, wobei sie nicht nur die schlechte Behandlung anprangerten, sondern auch den Staat beschuldigten, einen Plan zur Vernichtung der Gefangenen zu konzipieren. Die senderistas intensivierten zudem ab 1986 ihre Attacken außerhalb der Gefängnisse, was zu einer unsicheren Lage in der Stadt beitrug. Sie führten verschiedene Attentate durch, denen neben APRA-Mitgliedern Polizisten sowie Militärangehörige zum Opfer fielen. Besonders große Wirkung hatte die Ermordung des Konteradmirals Carlos Ponce Canessa am 253 Der Vergleich zielt klassisch auf das Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden ab. Hier wird eine Meso-Ebene, der Vergleich von Regionen beabsichtigt, der vor allem zwei Kategorien nutzt: Praktiken und Raum. Siehe zum Vergleich: Hartmut Kaelble, Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M./New York 2003. Insbesondere: Kaelble, Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer, in: Ders. Vergleich, 472ff. 485f. 254 ÜBERSETZUNG: »Zentren der politischen Aktion«.

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5. Mai 1986. Diese Verschärfung der Situation in der Hauptstadt führte unter anderem dazu, dass die Generäle einerseits einen Gegenschlag androhten, anderseits die Todesstrafe für Terroristen forderten. In dieser angespannten Lage traf sich die sozialistische Internationale in Lima und bekannte Politiker besuchten das Land, dessen Situation von der Weltöffentlichkeit kritisch betrachtet wurde. Diese internationale Aufmerksamkeit erhöhte den Druck auf die Regierung.255 In den Gefängnissen – dies ist keine Besonderheit des peruanischen Falles256 – erarbeiteten sich die wegen Terrorismusverdachtes Inhaftierten, deren Zahl nicht genau bekannt war, eine besondere Stellung. Sie waren nicht nur fähig, Aufstände zu organisieren und ihre Ideen zu verbreiten. In den drei Gefängnissen San Pedro de Lurigancho, San Juan Bautista (»El Frontón«) sowie mit Einschränkungen in Santa Bárbara erlangten sie die Autorität über einzelne Abschnitte. Die Gefangenen beherrschten bspw. den »Pabellón Azul« in El Frontón bzw. den »Pabellón Industrial« in Lurigancho. Sie kontrollierten den Personenverkehr sowie die Waren, die in diesen Trakt gelangten und übernahmen letztlich die Organisation des Gefängnisbereiches. Die Insassen nahmen sogar Änderungen an der Konstruktion vor, die darauf hindeuteten, dass sie sich auf ein Gefecht vorbereiteten. Neben einer Verstärkung von Türen gab es Tunnel sowie einen Schutzraum im Keller. Sie statteten sich zudem mit selbstgebauten Bomben und Waffen sowie mit Nahrungsmitteln und Medizin aus. Die Wahrheitskommission kam daher zu dem Schluss: »Sendero Luminoso pretendía exacerbar el clima de violencia al interior de las cárceles y generar una reacción violenta por parte del estado para demonstrar así su carácter ›genocida‹.«257 In diesen Plan, eine starke staatliche Reaktion hervorzurufen, können ebenfalls die Aufstände vom 18. Juni 1986 eingeordnet werden. Der Leuchtende Pfad organisierte in den drei bereits genannten Gefängnissen gleichzeitig Aufstände, die in einer Situation großer Aufmerksamkeit sowie eines gewissen politischen Drucks, den Staat provozieren sollten. Die Revolten begannen am Morgen des 18. Juni, indem die senderistas Geiseln nahmen, Zellen öffneten und Waffen der Wärter raubten 255 Comisión Investigadora de los Sucesos de los Penales, Informe al Congreso, Lima 1988, 25, 34, 43ff. CVR, Las Ejecuciones Extrajudiciales del Penal del Frontón y el Lurigancho, 737f. 256 Auch aktuell gibt es Berichte über die Lage in Gefängnissen, die zeigen, dass die staatliche Kontrolle begrenzt ist und die Haftanstalten zur Rekrutierung genutzt werden. Siehe exemplarisch: Farhad Khosrokhavar, Muslime im Gefängnis. Der Fall Frankreich, Transit 27, 66ff. International Centre for the Study of Radicalization and Political Violence (ICSR), Criminal Pasts, Terrorist Futures: European Jihadists and the New Crime-Terror Nexus, in: http://icsr.info/2016/10/new-icsr-report-criminal-pasts-terrorist-futures-europeanjihadists-new-crime-terror-nexus/, [zuletzt eingesehen am 17.01.2017]. 257 ÜBERSETZUNG: »Der Leuchtende Pfand beabsichtigte, das Klima der Gewalt im Inneren der Gefängnisse zu verschärfen und eine gewaltsame Reaktion des Staates zu erzeugen, die so seinen genozidalen Charakter offenbart.« CVR, Ejecuciones Los Penales, 742.

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sowie ihre 26 Forderungen an die Autoritäten der Haftanstalten übergaben. Infolgedessen kam es zu keinen weiteren Zusammenstößen oder Formen von Gewalt zwischen den Insassen und den Aufsehern.258 Die staatliche Reaktion leitete der Präsident García ein, nachdem er am Morgen des 18. Juni über das Geschehen informiert worden war. Gemeinsam mit dem einberufenen Ministerrat und nach dem Scheitern (halbherziger) Verhandlungen einer Friedenskommission entschied er sich für eine militärische Lösung.259 Das Comando Conjunto de las Fuerzas Armadas übernahm die Verantwortung und plante das Vorgehen gegen die Revolten, wobei ein Vizeadmiral im Nachgang verdeutlichte, wie er die Rolle des Militärs im Ausnahmezustande einschätzte: »[E]l Comando Conjunto tiene todo; toma todo lo que es la defensa del territorio.«260 Sie fühlten sich jedoch nicht nur zuständig, sondern erachteten die Operation als eine militärische Aktion, die eine rasche Beendigung des Aufstandes vorsah. Dies deckte sich mit der Anweisung durch die genannte Versammlung, die dem Comando Conjunto die Vollmacht einräumte und Folgendes verdeutlichte: »[E]ra necesario restablecer el orden en los Penales con la máxima energía que permite la Ley.«261 Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte – der Präsident – verfügte also, dass das Militär einen großen Spielraum zur Ausübung der Operation hatte und bekundete, dass er an einer schnellen Lösung interessiert sei. Er bestimmte infolge, dass die Sektionen des Militärs sich auf die drei Gefängnisse aufteilen und dort für eine Wiederherstellung der Ordnung sorgen sollten. Die Marine war somit für das Gefängnis »El Frontón«, das Heer für Lurigancho und die Luftwaffe für Santa Bárbara zuständig.262 Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird daher das Vorgehen getrennt nach den einzelnen Gefängnissen geschildert, bevor dann eine gemeinsame Deutung stattfindet. Nach Absprachen, Planung und Scheitern der Gespräche durch die Friedenskommission sollte die Operation in Lurigancho nachts beginnen. Die Mission hatte zum Ziel, die Kontrolle wiederherzustellen, die Geiseln zu befreien, Waffen sicherzustellen, die Aufständischen zu überwältigen und in ein neues Gefängnis zu überführen.263 Den Auftrag führten Polizeikräfte gemeinsam mit dem Heer – ins258 Ebd. 740ff. 259 Comisión Investigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 99. 260 ÜBERSETZUNG: »Das gemeinsame Kommando hat alles; nutzt alles der Verteidigung des Territoriums.« Comisión Investigadora del Congreso, Entrevista al Vicealmirante Nicolini del Castillo, 03.09.1987, in: Ders. Informe al Congreso sobre los Sucesos de los Penales, 72. 261 ÜBERSETZUNG: »Es ist wichtig, die Ordnung in den Gefängnissen mit allen Mitteln, die die Gesetze erlauben, wiederherzustellen.« Acta de Consejo de Ministros, in: Comsisión Inverstigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 69. 262 Comisión Investigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos de los Penales, 71. 263 Ebd. 99. Siehe auch: Comando Conjunto de las Fuerzas Armadas, Informe No. 07-CCFFAA-PEDI, 30.07.1986, 1f. 8.

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besondere der Spezialeinheit CEC 501 – durch, das Planung und Absprachen übernahm.264 Ungefähr eine halbe Stunde nach Mitternacht drangen ca. 15-19 bewaffnete und mit Sprengstoff ausgerüstete Soldaten in das Gefängnis ein und näherten sich dem Pabellón Industrial. Die erste Aktion galt dem Öffnen der Türen zum Trakt, wozu sie Sprengstoff nutzten, der jedoch nur ein kleines Loch erzeugte. Die Aussagen über den weiteren Verlauf widersprechen sich. Während ein Leutnant berichtete, dass mehr Militär eindrang und sie durch das Loch Granaten warfen sowie Schüsse abgaben,265 negierte der Major dieses Vorgehen: »[E]stoy seguro que no han disparado.«266 Daraufhin versuchten die staatlichen Sicherheitskräfte einen größeren Zugang zu öffnen, um dann mit der eigentlichen Operation beginnen zu können. Dazu mussten sie jedoch auf weiteren Sprengstoff warten.267 Durch den damit geschaffenen Durchbruch stürmten die staatlichen Sicherheitskräfte den Pabellón Industrial und wurden nach Aussagen des Militärs mit verschiedenen Waffen – »explosivos, lanzas, dardos, ballestas, bombas molotov, incendios de enseres, flechas, hondas, puñales«268 – angegriffen. Sie reagierten darauf, indem sie in die Menge schossen und eine unbestimmte Zahl an Aufständischen trafen. Auch flüchtende Subversive kamen ums Leben. Der Bericht des Militärs begründete dies mit einer hektischen Lage, die ein geordnetes Vorgehen nicht zuließ.269 Die Wahrheitskommission sprach hingegen von einer Exekution der Subversiven, nachdem diese versammelt und aus dem Trakt gebracht wurden.270 Gegen halb fünf am Morgen war die Operation beendet. Sie führte nicht dazu, dass die gefangengenommenen senderistas in ein anderes Gefängnis gebracht wurden, da keine Aufständischen diese Operation überlebten. In der Nacht des 19. Juni starben in Lurigancho insgesamt 124 Menschen durch die Aktionen der staatlichen Sicherheitskräfte.271 Obwohl alle »DDSS« umkamen, gelang die Befreiung der Geisel.272 Für die Beendigung des Aufstandes in El Frontón waren Polizeieinheiten sowie die Marine zuständig, die ebenfalls nach dem Scheitern der Friedenskommission das Kommando übernahmen. Ungefähr 17:15 Uhr begannen Polizeieinheiten mit der Intervention, indem sie »disparando dos cohetes sobre la pared.«273 Dies führte je264 Ebd. 7. 265 Comisión Investigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos de los Penales, 112. 266 ÜBERSETZUNG: »Ich bin sicher, dass sie nicht geschossen haben.« Ebd. 112. 267 CC.FF.AA, Informe 07-CCFFAA-PE-DI, 10. 268 ÜBERSETZUNG: »Sprengstoff, Lanzen, Speeren, Armbrüsten, Molotowcocktails, brennenden Gerätschaften, Pfeilen, Schleudern, Dolchen.« Comisión Investigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos de los Penales, 117. 269 CC.FF.AA, Informe 07-CCFFAA-PE-DI, 12. 270 CVR, Ejecuciones Extrajudiciales en los Penales, 755. 271 CC.FF.AA, Informe 07-CCFFAA-PE-DI, 12. 272 Ebd. 14. 273 ÜBERSETZUNG: »zwei Raketen über die Wand schießen« Ebd. 18.

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doch zu keinen Resultaten, außer dass ein Offizier von Schüssen verletzt wurde. Erst um 18:00 Uhr gelang es den Sicherheitskräften einen Zugang zum Pabellón Azul aufzusprengen. Die zweite Explosion führte jedoch zum Einsturz eines Traktes und dazu, dass die Aufständischen das Loch nutzten, um auf die Sicherheitskräfte zu schießen.274 Während in diesem Moment vor allem die Polizeikräfte tätig waren und das Gefecht zu keinem Ergebnis kam, übernahm die Marine in den Morgenstunden des 19. Juni 1986. Sie waren deutlich besser ausgerüstet und gingen mit schlagkräftigeren Waffen sowie Sprengstoff vor, wobei sie auch drastische Folgen riskierten. Die senderistas wehrten sich und erst gegen 14:00 Uhr am 19. Juni konnte der Aufstand beendet werden. Insgesamt kamen ca. 80 % der Insassen um, vier Polizeikräfte verloren ihr Leben und ca. 20 von ihnen wurden verletzt. Die Geiseln konnten jedoch befreit werden.275 Nach Aussagen von Zeug*innen konnte die Marine viele Aufständische festsetzen und die Situation kontrollieren. Ihnen zufolge fielen die Opfer nicht nur ausschließlich im Gefecht, sondern wurden im Nachhinein von den Soldaten der Marine hingerichtet. Die Gefangenen waren dabei in Gruppen aufgeteilt. Während aus der ersten Gruppe, die sie in den Hof führten, einige überlebten und nur Anführer erschossen wurden, brachten sie die meisten um, die sich im westlichen Teil des Traktes befanden. Eine weitere Gruppe von ca. 60-80 Personen teilten die Sicherheitskräfte in kleinere Gruppen ein, brachten sie aus den Zellen und erschossen sie »en una zona cercana al pabellón«276 . Unterbrochen wurde diese Aktion durch einen landenden Hubschrauber, in dem sich neben dem Fiscal auch Journalisten befanden. Die Marine veränderte aufgrund dieser Störung das Vorgehen und liquidierte noch einige Subversive direkt in den Zellen, bevor sie mit der Zerstörung des Gebäudes durch Sprengstoff begann, um so Beweise zu vernichten und die Geschichte, dass alle Opfer im Gefecht fielen, aufrechterhalten zu können.277 Der Bericht des Militärs gibt daher nur sieben tote Subversive sowie eine nicht rekonstruierbare Größe weiterer Opfer an.278 Im Vergleich zu den zahlreichen Opfern dieser beiden Missionen kam es im Frauengefängnis Santa Bárbara nur zu wenigen Toten und Verletzten. Dafür brachten die Sicherheitskräfte über 50 der inhaftierten Frauen in ein anderes Gefängnis.279 Die Sicherheitskräfte riegelten das Gefängnis und die Region ab, um so Störungen zu vermeiden.280 Die Intervention begann dann gegen kurz nach 22:00 Uhr, indem die Sicherheitskräfte über Dachluken eindrangen. Die Frauen griffen 274 275 276 277 278 279 280

Ebd. 18. CVR, Ejecuciones Extrajudiciales en los Penales, 760. Informe 07-CCFFAA-PE-DI, 21. ÜBERSETZUNG: »in einer Zone, nahe des Traktes.« Ebd. 762. Ebd. 763. CC.FF.AA, Informe 07-CCFFAA-PE-DI, 22. Ebd. 6. Ebd. 6. Comisión del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 187.

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die Soldaten aus Verstecken an, woraufhin die Einheiten Schüsse abgaben, was bereits zu einer Beendigung der Aktionen der Subversiven führte. Die Operation konnte daher bereits 2:30 Uhr am 19. Juni mit der Verlegung der festgesetzten Aufständischen enden. Die Mehrheit der senderistas haben im Gegensatz zu den anderen Operationen also überlebt.281 Um dieses Vorgehen mit den Gewalttaten im Hochland abgleichen bzw. kontrastieren zu können, ist zunächst eine Charakterisierung nötig. Es fällt auf, dass die Rahmenbedingungen sich bis zu einem gewissen Grad ähneln. Zum einen galt zur Zeit der Aufstände und der staatlichen Reaktion der Ausnahmezustand in Lima, der wie im Hochland dem Militär weitreichende Rechte einräumte. Zum anderen prägte der Leuchtende Pfad mit seinen Gewalttaten zunehmend das Geschehen in Lima. Hinzu kommt, dass durch die Anweisungen des Präsidenten ähnlich wie in Ayacucho die Verantwortung für das Vorgehen in die Hände des Militärs gelegt wurde, das seine Reaktion militärisch und als Kampfhandlung auslegte. Die staatlichen Sicherheitskräfte hatten ferner nahezu freie Hand in der Ausübung, da ihnen der Auftrag erteilt wurde, die Aufstände mit voller Kraft und möglichst schnell zu beenden.282 Die unterschiedlichen Einheiten des Militärs, ausgestattet mit Waffen, reagierend auf einen Aufstand, mit weitreichenden Befugnissen und klarem Ziel, begaben sich in die Gefängnisse, in denen die DDSS die Kontrolle übernommen hatten, Forderungen stellten, Geiseln festhielten und zudem teilweise die Truppen attackierten. Wenngleich dies keine Legitimation ist, Gefangene zu exekutieren – wie es das Militär tat – verdeutlicht es doch, dass die Situation aus Sicht des Militärs eine starke Reaktion erforderlich machte.283 Ähnlich wie in den Kasernen des Hochlandes fand diese staatliche Reaktion in einem abgeschlossenen Raum statt. Trotz öffentlichen Drucks mussten die staatlichen Sicherheitskräfte während der Missionen nicht befürchten, dass ihr Handeln beobachtet oder beurteilt wird. Sie konnten vielmehr davon ausgehen, dass durch die Provokation der senderistas das harte Eingreifen gerechtfertigt werden konnte. Zudem war es möglich, das Vorgehen zu vertuschen und das schon bekannte Narrativ des Gefechtes zu nutzen. Bedingt durch die Vorgeschichte konnten sie den Aufständischen einen aktiven Part zuschreiben und die Tötungen somit rechtfertigen und erklären. Die Militärs nutzten im Fall »El Frontón« weitere Möglichkeiten der Verdunklung, da sie Teile des Gebäudes in die Luft sprengten. Beweise für außergerichtliche Hinrichtungen verschwanden auf diese Weise. Interessant ist, dass 281 Comisión del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 187. 282 Acta de Consejo de Ministros, in: Comsisión Inverstigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 69. 283 Comisión Investigadora del Congreso, Entrevista al Vicealmirante Nicolini del Castillo, 03.09.1987, in: Ders. Informe al Congreso sobre los Sucesos de los Penales, 72.

5. Praktiken des Staatsterrors

vor allem ein Eingriff von außen – das Landen des Helikopters – zu einer Änderung des Vorgehens führte.284 Die Situation änderte sich in diesem Moment, da die Öffentlichkeit in Form von Journalisten und dem Fiscal den Raum öffnete und damit die Möglichkeiten des Handelns einschränkte. Trotz des Aufstandes und der Bewaffnung der Subversiven war der Raum von einer Überlegenheit der staatlichen Sicherheitskräfte geprägt. Insbesondere die Einheiten des Militärs waren besser bewaffnet und zahlenmäßig überlegen, sodass sie nach anfänglichen Schwierigkeiten im Stande waren, die Situation zu kontrollieren und repressiv gegen die Aufständischen vorzugehen. Im Falle von Lurigancho führte das zum Tod aller DDSS und in El Frontón zu über 80 % toter Insassen. Warum in Santa Bárbara keine ähnlich hohen Zahlen zu verzeichnen sind, kann nur vermutet werden. Es könnte sein, dass die Gegenwehr zu gering war, um ein solches Vorgehen plausibel zu erklären. Möglichweise lag es aber auch an der Zuständigkeit der Luftwaffe, die im Gegensatz zur Marine und dem Heer im Konfliktverlauf kaum für Exzesse bekannt war. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die Subversiven weiblich waren und die staatlichen Sicherheitskräfte daher keinen Skandal riskieren wollten. Mutmaßlich hätte ein ähnliches Vorgehen in einem Gefängnis für Frauen die Weltöffentlichkeit, die in dem Moment einen Blick auf Lima warf, noch mehr schockiert. Obwohl Ähnlichkeiten zu Situationen im Hochland feststellbar sind, da auch bei den Massakern in Accomarca und Cayara Aktionen des Leuchtenden Pfades vorausgingen und die Gewalt in einem abgeschlossenen Raum stattfand, sind dennoch Unterschiede erkennbar. Erstens ist es die Aktion des Leuchtenden Pfades, die bewusst eine Reaktion erzeugen wollte und gezielt zu einem besonders kritischen Zeitpunkt stattfand. Zweitens betraf die staatliche Reaktion nicht Teile der Bevölkerung Limas, sondern zu einem Großteil inhaftierte, sich bekennende Anhänger des Leuchtenden Pfades, die in einer Einrichtung staatlicher Autorität die Macht an sich rissen und versuchten, den Staat zu erpressen. Im Gegensatz zum Hochland treten hier ethnische Momente in den Hintergrund. Die Gewalt des Militärs richtete sich (ausgenommen in Santa Bárbara) gegen alle Aufständischen, die sie als staatsgefährdend und als das Gegenteil ihrer Wertevorstellungen einstuften.285

5.5.

Die Gewaltpraktiken und der Gewaltraum Ayacucho

Wie bereits an verschiedener Stelle betont, ist der Gewaltraum kein (rein) geografischer Raum.286 Die Bezeichnung »Gewaltraum Ayacucho« inkludiert hier weitere angrenzende Gebiete der sierra, die gemeinsame Merkmale teilten287 Der Gewalt284 285 286 287

CVR, Ejecuciones, 763. Siehe zur Feindbildkonstruktion Abschnitt 4.3.2. Sandl, Geschichtswissenschaft, 159. Schroer, Soziologie, 369. Siehe Kapitel 3, insbesondere 3.2.3.

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raum entstand zu Beginn der 1980er Jahre und war bis 1983 vordergründig durch die senderistas geprägt, da sie mit ihren Gewalttaten das Geschehen stark beeinflussten und die Bevölkerung sowie den Staat zu Reaktionen zwangen. Dies änderte sich mit Eintritt des Militärs in den Konflikt. Zwar nahmen die Anhänger des Leuchtenden Pfades auch im weiteren Verlauf eine aktive Rolle ein und waren eine bestimmende Größe im Gewaltraum, dennoch wirkten zunehmend die Reaktionen und Aktionen des Militärs auf die Charakteristika des Raumes ein. Wie in zahlreichen Zeug*innenaussagen sowie in den beschriebenen Fällen deutlich wurde, war ein Attentat oder Überfall des Leuchtenden Pfades häufig der Anlass für eine militärische Reaktion. Auch in Lima gingen den Massakern in den drei Gefängnissen jeweils ein Aufstand voraus. Das Motiv der Rache und Bestrafung, welches meist in ein Widerherstellen der Ordnung gekleidet war, fand sich ebenso in der Vorgeschichte zu den Massakern in Accomarca und Cayara.288 Bei beiden gab es zuvor eine Reihe aus Gewalt und Gegengewalt,289 die in Cayara den Höhepunkt im Hinterhalt der senderistas fand und eine noch härtere Reaktion des Staates heraufbeschwor. Wie üblich dieses »Spiel« aus Aktion und Reaktion war, welches sich durchaus als eine Gewaltspirale – einen dynamischen Prozess – begreifen lässt,290 offenbaren die Reaktionen der Bevölkerung. In Cayara rechneten viele mit einer Repression des Staates und suchten daher bereits vor Beginn der Operation der Streitkräfte Schutz.291 In einem Gewaltraum, in dem sich die Gewalt verstetigt, wird diese zur Gewohnheit und erwartbar. Auf diese »Normalisierung« weist das Massaker hin und zeigt somit die Entwicklung des Gewaltraumes im Verlaufe des Konfliktes auf.292 Auf das angesprochene Motiv der Rache verwiesen ebenfalls die Zeitzeug*innenaussagen, da diese schilderten, dass den Gefangennahmen und Folterungen Aktionen des Leuchtenden Pfades vorausgegangen waren.293 Möglicherweise ist diese Darstellung durch Täter wie Opfer ein Versuch, den Taten Sinn zu verleihen. Gleichwohl beschreibt sie die Haltung der Akteure näher, die sich nicht »voraussetzungslos«294 in eine Situation begaben. Insbesondere die größeren Operationen, die zahlreiche Menschen trafen, schienen nach dieser Logik zu funktionieren. Sie stellten dabei jedoch keinesfalls wohldurchdachte Angriffe auf den Leuchtenden Pfad dar. Vielmehr symbolisieren sie exzesshafte Gewaltausstöße, die sich vor 288 Während das Gefängnismassaker nicht im hier zentralen »Gewaltraum Ayacucho« stattfand, können die beiden anderen Taten in diesem verortet werden. 289 Siehe Abschnitt 5.4.1und 5.4.2. 290 Baberowski, Gewalt verstehen, 11ff. Nef, The Spiral of Violence, 65. 291 Comisión Investigadora de los Sucesos Cayara, Dictamen, 11ff. 292 Baberowski, Räume, 155. 293 Testimonios (Auswahl): 200012, 200387, 200591, 420122, 435099, 500218. 294 Baberowski, Räume, 42.

5. Praktiken des Staatsterrors

allem gegen die zivile Bevölkerung richteten.295 Die staatlichen Sicherheitskräfte versuchten so, Macht zu demonstrieren, Gehorsam zu erzwingen und Angst zu erzeugen. Sie wollten den Raum kontrollieren und setzten dabei auf Abschreckung und Grausamkeit. In Anbetracht der Tatsache, dass sie den Leuchtenden Pfad über Jahre nicht vernichten konnten, dienten diese Taten möglicherweise ferner zur Vergewisserung der eigenen Stärke.296 Schwächen konnten sie den Leuchtenden Pfad dadurch nur vereinzelt. Im Gegenteil, wie Andrea Portugal in ihrem Aufsatz »Voices from the War: Exploring the Motivation of Sendero Luminoso Militants« herausarbeitet, schlossen sich Jugendliche teilweise erst aus Rache für die Verbrechen des Militärs sowie mangelnder Alternativen den Subversiven an.297 Die Gewalt erzeugte so also neue »Anschlusszwänge«, die den Raum beeinflussten und somit auch auf die Akteure zurückwirkten.298 Gleichwohl gab es nicht nur diese extremen Situationen, die von einem Aufschaukeln und einer besonders harten Reaktion gekennzeichnet waren. Häufiger und alltäglicher waren die Patrouillen und Hausdurchsuchungen, die teilweise den Anfang für Gefangennahmen, Folter oder Verschwindenlassen bildeten. Diese Praktiken im Vorgehen illustrieren, dass sich in einer eigentlich außeralltäglichen Situation des Krieges neue Routinen entwickeln konnten. Diese offenbaren sich in den Hausdurchsuchungen in der Nacht, dem Transport mit Säcken über dem Kopf sowie in einzelnen Foltermethoden. Sie waren eine Form der »Herrschaftspraxis« im Gewaltraum, wobei den Routinen gleichwohl ein kreatives Vorgehen gegenüberstand.299 Je nach Situation wichen die Soldaten vom »Skript« ab. So führte nicht jede Durchsuchung zu Vergewaltigungen. Bestimmend für die Interpretation einer Situation waren dabei neben der Haltung des Soldaten bzw. der Einheit die räumlichen Bedingungen, die auf der Makroebene u. a. durch den Ausnahmezustand, den Krieg sowie die Befehle und mangelnde Strafverfolgung gekennzeichnet waren. Auf einer Mikroebene kam hinzu, ob die Täter ungestört sein konnten und auf welche Opfer sie trafen. Sicherlich spielten individuelle Wahrnehmungen, Vorlieben, situative Gruppendynamiken und Sichtweisen eine Rolle. Diese konnten jedoch mangels geeigneter Quellen hier nicht rekonstruiert werden. Die militärische Ausbildung, das Handeln im männlichen Kollektiv und die Erfahrung in einer fremden Welt teilte gleichwohl die Mehrheit der Soldaten.300 Die Bedeutung dieser Faktoren für das Verüben von Gewalt arbei295 Diese Operationen waren durchaus geplant und organisiert, sie trafen nur nicht den »eigentlichen« Feind, sondern die Bevölkerung. 296 Schnell, Semantische Verarmung, 45. 297 Portugal, Voices, 38f. 298 Schnell, Semantische Verarmung, 32. 299 Verschiedene Beispiele verdeutlichen dies. Hier sei an eine Situation erinnert, als eine Frau einfach auf der Straße vergewaltigt wurde. Siehe Testimonio: 311052. 300 Browning, Ganz normale Männer, 225ff. 242f. Fingscheit, Der Krieg, 1. Siehe außerdem 4.3.

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tete beispielsweise Christoph Browning für das Polizeibataillon 101 heraus und verwies darauf, dass weder Herkunft noch Dispositionen entscheidende Gründe dafür waren, warum die Männer Gewalt anwendeten. Vielmehr waren die Kriegssituation und die Gruppendynamik sowie eine »Verdinglichung« der Opfer relevant.301 Wenngleich im peruanischen Fall diese »Verdinglichung« mithilfe des Quellenkorpus nicht belegbar ist, konnte eine meist rassistische Geringschätzung herausgearbeitet werden, die die Gewaltanwendung für die Soldaten erleichtern konnte. Deutlich wurde diese nicht nur in den Aussagen der Zeug*innen oder von Militärangehörigen; auch die erwähnten Lieder illustrieren dies.302 Die beschriebene Herausbildung von Routinen ist bemerkenswert, da sie etwas über Eigenschaften des Staatsterrors verrät und hervorhebt, dass sich die »Maßstäbe für Normalität«303 – »dafür, was richtig oder falsch ist«304 – während des Konfliktes änderten. Der Staatsterror kristallisierte sich hier als organisiertes Vorgehen gegen Teile der Bevölkerung heraus, das weder davor zurückschreckte, Unschuldige zu bestrafen noch Gegner zu töten. Das Verschwindenlassen und Foltern in den Kasernen zeugt von klandestinen Zügen des Staatsterrors, der mit einem Informationsmangel spielte. Diesen erachtet Felix Schnell als eine wesentliche Eigenschaft eines Gewaltraumes,305 die letztlich auch das Hochland Perus von der Situation in Lima zu unterscheiden vermag. Wenngleich die Militärs dort versuchten, Orte zu erschaffen, die abgeschlossen waren und abseits der Öffentlichkeit Folter ermöglichen, war ein ähnliches Ausmaß wie im Hochland kaum denkbar. Die Massaker in den Gefängnissen in Lima sowie die folgende Reaktion können dies beispielhaft belegen, da sie auf die Unterschiede der Räume verweisen. Neben einer stärker ausgeprägten zivilen und öffentlichen Kontrolle hatte das Militär weniger Spielräume. Zwar erweiterte der Präsident für die Niederschlagung der Aufstände diese für einen kurzen Moment, konnte aber nur innerhalb der geschlossenen Räume eine andere Situation erzeugen als in der umgebenden Stadt. Lima ist ethnisch anders durchmischt, staatliche Institutionen funktionierten besser, die zivile Kontrolle war stärker ausgeprägt und die Bevölkerung war weniger stark in die Kriegshandlungen involviert, sodass auch daher das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte differierte. Bis heute nehmen viele limeños die 1980er und 1990er Jahre nicht als Krieg, sondern als Zeit des Terrorismus wahr. Im Hochland hingegen veränderte die Gewalt zunehmend den Gewaltraum. Sie drang in den Alltag ein und die Menschen begannen, mit gewaltsamem Handeln zu rechnen. Einige flohen daher, andere kollaborierten und manche entschlossen 301 302 303 304 305

Browning, Ganz normale Männer, 211f. 218f. 223. Siehe Abschnitt 4.3.2. Baberowski, Räume, 17. Neitzel/Welzer, Soldaten, 22. Schnell, Semantische Verarmung, 36.

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sich, selbst zur Waffe zu greifen. Für Letztere sind die Rondas Campesinas das bekannteste und wirkmächtigste Beispiel. Die genannten Routinen konnten für die Täter zu einer Erleichterung der Taten führen: »Ist die Gewalt einmal institutionalisiert, wird aus Gewohnheit Normalität. Sobald Gewalt zur Routine wird und sich in typischen Situationen wie von selbst einstellt, empfinden die Täter sie nicht mehr als außergewöhnlich. […] Institutionalisierung und die Routine der Gewalt entlasteten die Täter, nahmen ihnen das schlechte Gewissen und die Schuld […].«306 Gerade im Verlauf des Konfliktes ist diese Vereinfachung wichtig für die Täter, da sie so besser mit der Situation umgehen konnten und ihr Handeln nicht immer hinterfragen mussten. Sie konnten es als Arbeit begreifen und mit Sinn ausstatten.307 Diese Form der Routinisierung ist eine Möglichkeit der Distanzierung, ähnlich wie der Einsatz von Masken und Musik, die wie Browning herausstellte, das Gewalthandeln erleichtern kann.308 Obwohl im peruanischen Fall nicht die Arbeitsteilung die maßgebliche Form der Routinisierung und Distanzierung war, ist sie im Vorgehen der Militärs durchaus erkennbar und ein Merkmal des Staatsterrors. Der Staatsterror stellte zudem eine Form der Kommunikation und Interaktion mit der Bevölkerung sowie den senderistas, aber auch der eigenen Gruppe dar. Die Militärangehörigen demonstrierten durch ihre Taten Macht und teilten der Bevölkerung mit, dass eine Unterstützung des Leuchtenden Pfades zum Tod führen konnte oder ähnliche negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Sie gingen dabei nicht gezielt gegen den Feind vor. Vielmehr genügten Verdächtigungen und Denunziationen, um einen Anlass zur Festnahme auch unschuldiger Personen zu geben. Dies erzeugte im Gewaltraum eine permanente Bedrohungslage, die die Gewalt zwar erwartbar machte, jedoch dadurch nicht für Sicherheit sorgte, zumal sie nicht nur von den staatlichen Sicherheitskräften ausging, sondern auch der Leuchtende Pfad »Verräter« zu bestrafen pflegte. Häufig beteiligte sich nun auch die Bevölkerung an Verdächtigungen sowie Denunziationen und Konflikte zwischen Dörfern oder innerhalb der Gemeinschaften wurden gewaltsam ausgetragen.309 Eine »effektive Beschränkung partikularer Gewalt«310 existierte im Gewaltraum trotz oder auch wegen der Präsenz des Militärs nicht. Die Beispiele offenbaren vielmehr, dass Anzeigen aussichtlos waren und die Gewalttaten nicht 306 Schnell, Semantische Verarmung, 179. 307 Dies funktionierte sicherlich nicht bei allen, gilt in der Forschung jedoch als durchaus verbreitetes Vorgehen in Tätergruppen. Welzer, Täter, 202. 308 Browning, Ganz Normale Männer, 211f. 309 Testimonios: 200434, 201544, 205027. Serna, The Corner, 111f. Renzo Salvador Aroni Sulca, »Aprendimos a Convivir con los Senderistas y Militares«: Violencia Política y Respuesta Campesina en Huamanquiquia, 1980-1993, in: Investigaciones Sociales 10, 2006, 263. 310 Schnell, Semantische Verarmung, 33.

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eingehegt oder vereitelt werden konnten. Trotz der Routinen konnten die Situationen zudem eine eigene Dynamik entwickeln, die ebenfalls nicht immer absehbar war.311 Die Bedeutung der Raumkategorie manifestierte sich in den kleineren Gewaltorten – den Kasernen. Sie waren mit dem Gewaltraum Ayacucho verflochten und sind nur in einem Zusammenhang mit seinen Eigenschaften denkbar.312 Diese Orte boten jedoch weitere Möglichkeiten zur Gewaltausübung. Zu betonen ist dabei, dass diese bewusst durch das Militär geschaffen wurden, um so den eigenen Spielraum weiter auszubauen. Sie steigerten ihre Macht, versicherten Straffreiheit und stellten zusätzliche Mittel zur Gewaltausübung zur Verfügung. Die staatlichen Sicherheitskräfte erweiterten die Funktionen der Kasernen, die ohnehin ein besonderer militärischer Ort sind, und nutzten diese im Kampf gegen die Subversion. Es war ihnen also möglich, Räume zu konstruieren, die abseits ziviler Kontrolle und des Blickes der Öffentlichkeit für Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen genutzt wurden. Neben dem prominentesten Beispiel Los Cabitos setzte die Marine das Stadion in Huanta ein. Weitere Einheiten des Militärs griffen ebenfalls auf ihre Stützpunkte zurück, was durchaus offenbart, dass dies ein Charakteristikum des peruanischen Staatsterrors war.313 Diese Orte verdeutlichen einerseits eine Erweiterung des Handlungsspielraumes, geben andererseits ebenso Hinweise auf die Grenzen des militärischen Handelns. Anders als der argentinische Fall oder in europäischen Beispielen etablierten das peruanische Militär kein Lagersystem, um in diesem gezielt die Menschen zu konzentrieren und/oder zu vernichten. Dies entsprach nicht der Logik des Gewaltraumes, wie er sich in Peru herausbildete. Zwar fand das Handeln der staatlichen Sicherheitskräfte meist abseits einer Kontrolle statt und war durch den Ausnahmezustand nahezu fern einer Strafverfolgung. Nichtsdestotrotz existierte ein demokratisches System sowie eine breite und in Teilen durchaus kritische Medienlandschaft, die das Vorgehen des Militärs beobachtete. Sinnbildlich dafür steht das Massaker von Accomarca, das ein breites Echo fand und dem Militär die Grenzen seines Handelns suggerierte. Auch wenn es nicht dazu führte, dass die Strategie gänzlich geändert wurde oder sich die Haltung der staatlichen Sicherheitskräfte wandelte, offenbarte es dennoch, dass Teile der Gesellschaft nicht mit dem Vorgehen einverstanden waren. Die Militärs hatten also nahezu freie Hand, jedoch, 311 Siehe Abschnitt zu Accomarca (5.4.1) sowie Folter (5.2). 312 Während Schnell herausarbeitet, dass physische Räume – wie Lager – eine untergeordnete Rolle spielen, sind sie in diesem Fall von Bedeutung und mit dem umgebenden Gewaltraum verflochten. Die Logik des Handelns in diesem physischen Räumen ist also einerseits durch die zusätzlichen Möglichkeiten bedingt, die sie bieten, hängt andererseits eng mit dem Geschehen, den Hierarchien und Denkweisen im Gewaltraum Ayacucho zusammen. Schnell, Semantische Verarmung, 38. 313 Siehe Abschnitt 5.1, 5.2 und 5.3.

5. Praktiken des Staatsterrors

im Gegensatz zu anderen Beispielen der Geschichte, keinen eindeutigen Vernichtungsauftrag oder eine gleichgeschaltete und indoktrinierte Mehrheitsgesellschaft als Rahmen ihrer Taten. Obwohl also die Militärs fast autoritär in den Zonen des Ausnahmezustandes herrschten und viele Möglichkeiten zur Gewalt hatten sowie weitere erzeugten, gab es durch einen Rest an ziviler Kontrolle Grenzen für ihr Tun. Dies kann plausibel machen, warum die Kasernen in beschriebener Weise genutzt wurden und der Staatsterror in Peru kommunikative Züge sowie klandestine Eigenschaften aufwies. Der Gewaltraum Ayacucho formte sich also durch den Leuchtenden Pfad und seine radikale Einstellung sowie eigentümlichen Kriegsführung. Ebenso prägte jedoch das Militär – als ein Gewaltspezialist mit einem rassistisch konnotierten Feindbild und einer besonderen Gruppendynamik – in einer für sie fremden Welt das Geschehen. Komplexer wurde dieses Bild des Gewaltraumes noch durch weitere Akteure wie die Rondas Campesina. In diesem Raum gab es keine Eindeutigkeit, die Gewaltakteure erschufen letztlich, wer Freund und Feind war. Sie nutzten dabei höchst schwammige Kategorien, die mit verschiedenen Vorstellungen einhergingen und es ihnen ermöglichten, jedes Opfer als einen Feind zu etikettieren. Die Haltung von Telmo Hurtado, der auch Kinder als Bedrohung ansah,314 illustriert diesen Eindruck auf absurde Art und Weise. Die Bedeutung der Kategorie des Subversiven und ihre Auslegung durch das Militär wird deutlich, wenn der Charakter des Leuchtenden Pfades mit den bereits genannten Opferzahlen kontrastiert wird. Während die senderistas keine indigene Gruppe waren und sich zu einem großen Teil aus Lehrer*innen und Student*innen rekrutierten,315 besteht die Opfergruppe mehrheitlich aus Quechua-Sprechenden sowie zahlreichen Bauern.316 Gründe dafür liegen sicherlich in den fehlenden Informationen zu Beginn des Krieges und einer Fehleinschätzung des Gegners. Die Rolle rassistischer Haltungen im Militär erscheint in Anbetracht dieser Zahlen sowie der Schilderungen von Beleidigungen ebenso nicht unbedeutend. Diese Sichtweise des Militärs vereinfachte möglicherweise zusätzlich das Vorgehen gegen breite Teile der Bevölkerung.317 Vordergründig konnte jedoch die Gewöhnung und das Schaffen von Routinen für eine Erleichterung sorgen und eine eigentlich außeralltägliche Situation normalisieren. Einschränkend für diese Darstellung des Gewaltraumes sei erwähnt, dass sie zwar wesentliche Charakteristika aufführt, jedoch nicht genauer in kleinere Räume und verschiedene Akteursgruppen unterscheidet. Es war beispielsweise nicht 314 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca, Tomo VI (Interview Hurtado), 579ff. 315 Chávez, Leuchtender Pfad, 113f. 316 CVR, Discriminación Étnica, 130. 317 Testimonios: 200727, 200577, 200198, 301010, 301024, 300034, 301351, 301030, 302030, 500204, 738012. Baberowski, Räume, 29.

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möglich, einzelne Patrouillen genauer zu analysieren und ihre Sichtweisen und ihr Handeln zu interpretieren. Diese Mikroebene wäre ohne Zweifel wünschenswert, kann hier jedoch nicht geleistet werden. Der Hinweis darauf, dass das Vorgehen in Kasernen sowie kleineren Zonen differierte und zudem die Patrouillen nicht alle gleich funktionierten,318 soll an dieser Stelle verdeutlichen, was mit der Arbeit gezeigt werden kann und was weitere Forschungen nötig machen würde. Letztlich ist diese Feststellung ein weiteres Merkmal des Gewaltraumes, der keineswegs ein konformes Handeln vorgab oder aus einheitlichen Sichtweisen, Befehlen oder Vorgaben konstituiert war. Er lieferte vielmehr Spielräume und Möglichkeiten für die Gewaltausübung sowie Grenzen für die Organisation des Staatsterrors.

318 Diese Unterschiede sind nicht nur regional, sondern auch temporal. Sie traten durch wechselndes Personal, neue Gesetze, veränderte Strategien sowie weitere Akteure im Hochland auf. Diese lassen jedoch nicht die Deutung in Zweifel ziehen, könnten das Bild jedoch sicher erweitern und zusätzliche Momente des Staatsterrors und Charakteristika des Raumes aufzeigen.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

Ausgehend von den theoretischen Vorüberlegungen zum Umgang mit dem Forschungsgegenstand sowie der Festlegung auf genozidale Eigenschaften will dieser Abschnitt die Charakteristika des Staatsterrors hinsichtlich einer Makroebene ergründen. Dabei wird in den einzelnen Unterkapiteln diskutiert, inwiefern die herausgearbeiteten Eigenschaften genozidaler Gewalt erkennbar waren und welche Spezifika der peruanische Staatsterror aufwies. Die Grundlage dieser Analyse sind die vorangegangenen Kapitel zum historischen Hintergrundgefüge, zu den staatlichen Akteuren und den Gewaltpraktiken. Inwiefern nach dieser Analyse eine genozidale Logik im Staatsterror ausgemacht werden kann, klärt das Fazit, welches hier betrachtete Aspekte in einen Deutungszusammenhang stellt. Ein Exkurs, in dem Begriff »Genozid« sowie die Alternative »genozidale Gewalt« besprochen wird, rundet dieses Kapitel ab.

6.1.

»Capturar y/o destruir al enemigo«– ein Vernichtungsplan?

In der Forschung zu Genoziden in verschiedenen historischen Kontexten betonen Wissenschaftler*innen häufig die Bedeutung eines Planes bzw. die Vernichtungsabsicht.1 Oftmals – so ein Vorwurf von Kritikern des Genozidkonzeptes – fassen die Forscher*innen die Ausübung der Gewalt in einem Genozid nur als Verwirklichung dieses Planes auf.2 Dieser Abschnitt hinterfragt die Existenz sowie die Wirkungsmacht einer solchen Absicht bzw. des Vorhabens im peruanischen Fall, wobei neben den Handbüchern und Befehlen auch die Haltungen der Regierungen einbezogen werden. Insbesondere ist herauszuarbeiten, wie die staatlichen Sicherheitskräfte den Plan interpretierten und inwiefern er handlungsleitend für sie war. 1 Weiss-Wendt, The State and Genocide, 81-101. Chalk, History and Sociology, 41f. Boris Barth, Genozid und Genozidforschung, in: Docupedia-Zeitgeschichte, http://docupedia.de/zg/barth_ genozidforschung_v1_de_2011, [zuletzt eingesehen am 18.01.2018]. 2 Gerlach, Extrem, 15. Dabag, Ideologie und gestaltende Gewalt, 154.

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Genozidale Gewalt?

Wie vorangegangene Kapitel bereits darstellen konnten, findet sich in verschiedenen Handbüchern sowie Operationsplänen der Auftrag, dass die Subversiven »gefangen und/oder vernichtet«3 werden sollen. Wortwörtlich wurde also die Vernichtung des Feindes als Ziel formuliert. Obwohl die Militärs dies im Nachhinein einschränkten, räumten sie diesen Satz ein, betonten aber, dass dieser nur für Gefechte galt und »vernichten« einen anderen Sinn habe. Es gehe nicht um die physische Eliminierung, sondern um die Neutralisierung des Feindes, indem er bspw. entwaffnet oder zur Aufgabe gezwungen werde. Zudem beziehe sich dieser ohnehin nur auf bewaffnete Gegner und keinesfalls auf die zivile Bevölkerung.4 Obwohl diese Rechtfertigungen des Militärs nicht ausschlaggebend für die Bewertung dieser Forderung der Handbücher sein können, ist ihr Einfluss und ihre Auslegung doch zu relativieren bzw. zu hinterfragen. Trotz dieser Formulierung, die den Militärs einen großen Spielraum verschaffte und nahezu alle Taten zu legitimieren schien, gab es keine genauen Vorgaben zur Vernichtung der Gegner – keine bürokratische Planung oder Aufgabenverteilung. Die Handbücher beschreiben vielmehr Strategien zur Verfolgung, Entwaffnung und Festnahme. Ähnliches ist hinsichtlich der Operationspläne festzustellen, die bspw. für den Fall Accomarca vorliegen. Das Ziel bestand bei dieser Aktion zwar im »Fangen und/oder Vernichten«, jedoch wird das Vorgehen kaum näher spezifiziert. Zwar werden Routen abgeschlossen und der Transport der Truppen organisiert, eine zahlenmäßige Überlegenheit hergestellt sowie für eine ausreichende Bewaffnung gesorgt. Die Patrouillen bekamen überdies annähernd freie Hand in der Ausübung der Gewalt. Wie das Massaker in Accomarca und die Aussagen von Hurtado verdeutlichen, konnte dieses Vorgehen durchaus in einem Massenmord enden: Die Patrouillen brachten nahezu jeden um und schreckten ebenfalls nicht davor zurück, Frauen und Kinder zu töten. Jedoch erscheint weniger die Absicht und der Plan entscheidend für die Ausübung der Gewalt und diese vergleichsweise Eskalation. Während die Befehle und Handbücher einen Spielraum schufen, war für das Vorgehen die Haltung der Truppe sowie die spezifische Situation ausschlaggebend. Sie konstituierte aus einer relativen Abgeschlossenheit des Raumes, dem andauernden Konflikt und den Zusammenstößen in der unmittelbaren Vorgeschichte sowie aus der Flucht der Bevölkerung und der Überlegenheit der Tätergruppe.5 Die Ermordung zahlreicher Bewohner der Region konnte der Patrouille Lince durchaus als kohärent und damit sinnvoll erscheinen. In einem Raum, in 3 Siehe Abschnitt 4.3.2. Im Handbuch »Ejército Peruano, Guerra Revolucionaria. Contrasubversión (1980)« wird auf Seite 21 auch von »neutralisieren und vernichten« gesprochen. Siehe auch Operationsplan Accomarca: Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 7. 4 Comisión Permanente, En Honor, 50, 114, 274. Declaración Flavio Johnson Gallegas Vizcarra, Exp. No. 223-88 de Fuero Militar, in: Ministerio Público, Exp. No 46-2006, Dictamen 67-2012, 28. 5 Die Arbeit zieht hier explizit zwei Ebenen zur Situationsbeschreibung heran: die Wahrnehmung sowie die Spezifika des Raumes.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

dem ein Krieg herrscht, der Feind entmenschlicht wurde, das Personal zum Töten ausgebildet sowie mit dem Auftrag ausgestattet war, Subversive zu töten oder zu fangen, ist dieses Handeln nicht unplausibel. Obwohl die Vernichtung der Dorfbewohner nicht explizit gefordert wurde, erscheint sie dennoch nicht als Gegensatz zur Doktrin und den verschriftlichen Plänen. Anders als in anderen Kontexten von Genoziden – wie bspw. im Prototyp Holocaust6 – geschah insbesondere das Vorgehen in Accomarca nicht nur abseits des Wissens der Regierung, sondern es wurde zudem im Nachhinein im Auftrag des Präsidenten untersucht und bis zu einem gewissen Grad strafverfolgt.7 Dies gilt ebenso für die Zivilgesellschaft, die diese Gewalttaten nicht stillschweigend hinnahm. Die Presse berichtete über die Vorgänge und griff das Militär dafür an.8 Wenn also überhaupt von einem Vernichtungsplan oder einer -absicht gesprochen werden kann, dann ist dies in sehr engen Grenzen zu begreifen. Weder die Präsidenten gaben einen solchen Plan vor und organisierten dessen möglichst störungsfreien Vollzug noch war die Bevölkerung in einem besonderen Maße an der Durchführung beteiligt. Im Gegensatz kritisierten Teile der Gesellschaft das Vorgehen der Militärs im Hochland scharf und die staatlichen Sicherheitskräfte bemängelten ihrerseits die fehlende Unterstützung im Kampf gegen die Subversion.9 Wenn also geprüft werden soll, ob eine Absicht bzw. ein Plan zur Vernichtung existierte und welche Wirkungsmacht er hatte, dann ist dies für die staatlichen Sicherheitskräfte zu untersuchen. Dies gilt insbesondere für die 1980er Jahre, da in diesem Zeitraum von einer relativen Selbstständigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte auszugehen ist.10 Wie bereits anklang, änderte sich dies unter Fujimori, der ein autoritäres Regime einrichtete und die Planung des Kampfes gegen die Subversion stärker lenkte. Die Praxis der Zwangssterilisierung, die erst 1991/1995 unter ihm entstand,11 symbolisiert diese Veränderung des Staatsterrors. Sie ist Zeichen einer deutlicheren staatlichen Kontrolle und eines absichtsvollen Angriffs auf die sozial schwache und bildungsferne Bevölkerung im Hochland.12 Im Vergleich zu den Praktiken, die für die 1980er Jahre herausgearbeitet wurden, offenbart dieses Vorgehen einen anderen Charakter und kann am ehesten als planvolles Ausüben gelten, das vielleicht nicht auf eine gänzliche Vernichtung abzielte, jedoch eine 6 7 8 9

Straus, Contested, 359. Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Caso Accomarca. Marka, Accomarca: Así Fue el Massacre, 12.09.1985. Dies wird bspw. in einem Interview mit Luis Cisnero Vizquerra von 1986 deutlich: Caretas, Contrainsurgencia. ¿Se Hecho Algo? 19. Mai 1986, 37. Er fordert hier explizit eine stärkere Unterstützung der Gesellschaft und einen legalen Rahmen für den Kampf sowie mehr Rückhalt durch die Regierung. Dies wird auch in Militärzeitschriften deutlich: Actualidad Militar, Subversión. 8 Años Después, 1989, 12f. 10 Siehe Kapitel 4. 11 Siehe Abschnitt 5.1.2. 12 Ballón, Memorias. Serra, Esterilizaciones. Defensoría del Pueblo, Esterilización.

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klare Reduzierung der Gruppe und Veränderung der Gesellschaft intendierte und daher als »biopolitisch« charakterisiert werden kann.13 Hier ist also eine Differenz zu erkennen, die deutlich macht, dass der Staatsterror seinen Charakter – insbesondere nach Errichtung des autoritären Regimes – wandelte. Da in der Arbeit vor allem die 1980er Jahre im Vordergrund stehen, muss sich die Untersuchung des planvollen Vorgehens vor allem auf das Militär konzentrieren, das sowohl in genannten Passagen der Handbücher und in den Operationsplänen als auch in manchen Praktiken zeigte, dass ein Wille zur Vernichtung des Feindes existierte. Insbesondere das Verschwindenlassen sowie die Massaker deuten dies an. Die Militärs schufen Möglichkeiten, um Leichen besser beseitigen zu können. Unter Umständen war dies das Ergebnis pragmatischer Überlegungen, da zu viele Menschen bei den Folterungen oder Zusammenstößen umkamen und es immer schwerer möglich war, die hohe Zahl der Leichen in Schluchten zu werfen oder am Straßenrand abzulegen. Das forensische Gutachten aus dem Massengrab sowie der Verbrennungsofen in Los Cabitos verweisen jedoch darauf, dass die Opfer umgebracht und ihre Spuren gezielt verwischt wurden. Das Militär erwog also die Vernichtung der Leichen sicherlich nicht nur aus Platzgründen. Vielmehr erscheint der bereits herausgestellte Charakter des Verschwindenlassens – seine kommunikative Funktion – der Grund für ihr Handeln zu sein. Inwiefern die staatlichen Sicherheitskräfte flächendeckend diesen Aufwand betrieben, ist jedoch nicht rekonstruierbar. Die Vermutung liegt aber nahe, dass neben den Öfen in Los Cabitos und im Pentagonito weitere existierten.14 Ist aufgrund dessen von einer Vernichtungsabsicht bzw. einem Vernichtungsplan des Militärs auszugehen? Während Massaker zwar als Massengewalt darauf hindeuten, kam bei der Analyse heraus, dass bei diesen Exzessen eher situative Bedingungen entscheidend waren, denn der Plan. Die Massaker verdeutlichen zudem die Grenzen von Anordnungen. Wenngleich es eine zentrale Planung gab, führte das dezentrale Durchführen zu anderen Ergebnissen. Sowohl bei den Massakern als auch bei Hausdurchsuchungen oder auf Patrouillen konnten situative Aspekte sowie deren Interpretation die Gewaltausübung beeinflussen. Nicht selten führte dies zu Abweichungen von Befehlen. Während die Verbreitung der Folter zunächst gegen die Existenz eines Vernichtungsplanes spricht,15 verweist das Verschwindenlassen – wie bereits beschrieben – durchaus auf eine Vernichtungsabsicht und ein planerisches sowie organisiertes Vorgehen gegen die Bevölkerung und den Feind. 13 CLADEM, Nada Personal. Dabag interpretiert diese Absicht zur Veränderung als ein wesentliches Ziel eines Genozides und nicht so sehr die Vernichtung. Siehe Dabag, Ideologie und gestaltende Gewalt, 161. Siehe außerdem Abschnitt 5.1.2 sowie Sarasin, Foucault, 166f. 14 Uceda, Muerte, 136, 412. Testimonio 300034. 15 Auf einer anderen Ebene als der physischen kann Folter durchaus vernichtend wirken. Sie kann bspw. Identitäten zerstören.

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Sylvia Karl bezeichnet diese Gewaltform daher auch als Dehumanisierung.16 Die Frage ist jedoch, ob wirklich die Vernichtungsabsicht vordergründig war oder nicht andere Erwägungen bei der Ausübung dieser Gewalttat leitend waren. Eine Absicht eindeutig herauszuarbeiten, ist schwierig, da dafür Quellenmaterial fehlt und es generell nicht leicht ist, das handlungsleitende Motiv zu erkennen – zumal dieses in der akuten Situation in den Hintergrund rücken kann. Neben der Vernichtung hatte das Verschwindenlassen jedenfalls noch weitere Vorzüge. Wie bereits angesprochen, konnte es nahezu für Straffreiheit sorgen, was in Anbetracht der Haltung der Regierungen, Medien und Teilen der Zivilbevölkerung durchaus wichtig für die Militärs war. Sie hatten so kaum mit Anklagen oder einem medialen Echo zu rechnen. Zudem hatte die Gewaltform eine große kommunikative sowie strategische Wirkung. Sie konnten nicht nur den Feind und einen evtl. Rekrutierungspool schwächen, sondern zusätzlich Angst schaffen und ein Trauma für die Angehörigen auslösen und soziale Beziehungen zerstören.17 Die Risiken waren im Vergleich dazu relativ gering. Der Grund für diese Praxis muss also nicht ausschließlich in der (physischen) Vernichtungsabsicht liegen, wenngleich sie mit Ordnungsvorstellungen, die mit einer Reduktion der Subversiven und möglichen Sympathisanten – in diesem Fall meist quechuahablantes – einherging.18 Die Quellenlage macht es derzeit nicht möglich, Befehle zum Verschwindenlassen zu identifizieren und einen Plan für dieses Vorgehen aufzudecken. In Anbetracht der Handbücher und Sichtweisen des Militärs bleibt dieser Aspekt – der Vernichtungsplan – also bis zu einem gewissen Grad unklar. Zwar gibt es die Forderungen der Handbücher sowie Operationspläne für die Fälle Accomarca und Cayara und die Praxis des Verschwindenlassens als zwei Aspekte, die eine Vernichtungsabsicht plausibel machen. Außerdem zerstörten die verschiedenen Gewaltpraktiken Identitäten und soziale Rollen. Dennoch können keine eindeutigen Anweisungen zur Vernichtung ausgemacht werden. Ebenfalls ist keine durchgeplante und zentral gelenkte Organisation nachweisbar und letztlich ist auch das Verschwindenlassen keine flächendeckende Praxis. Darüber hinaus ist das Wort »fangen« in die Betrachtung einzubeziehen. Es macht deutlich, dass es ebenfalls gewollt war, Subversive festzunehmen, sodass eine gänzliche Ausrottung dieser Gruppe eher nicht das Hauptziel gewesen zu sein scheint. Das heißt zusammenfassend, dass dieses Element einer genozidalen Logik existiert, jedoch in anderer Weise auftaucht, als es in anderen Kontexten der Fall ist. Der Plan erscheint hier eher als Spielraum, 16 Karl, Kampf um Rehumanisierung, 197. 17 Siehe Kapitel 5.3 sowie Karl, Kampf um Rehumanisierung, 197. Schindel, Verschwindenlassen, 172ff. 18 Es ist nicht belegbar, dass die Militärangehörigen gezielt Indigene umbringen wollten. Die Geringschätzung und ein Generalverdacht sowie die Straffreiheit konnten jedoch die Hemmung zur Gewaltausübung senken, die mehrheitlich die indigene Bevölkerung traf.

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denn als eindeutige Aufforderung zur Vernichtung.19 Inwiefern dies daran lag, dass die Vernichtung nicht als vordergründiges Ziel erschien, die Gruppe für eine Eliminierung zu groß war, der Rückhalt fehlte oder die Tätergruppe zu schwach war, ist noch offen. Letzterem Aspekt nähert sich folgendes Unterkapitel.

6.2.

Wie mächtig waren die Täter?

Wie Kapitel 4 dieser Arbeit bereits andeutet und Kapitel 5 durch die Analyse der Praktiken konkretisiert, ist das Militär der Hauptakteur im Krieg gegen den Leuchtenden Pfad. Da die Genozidforschung häufig davon ausgeht, dass ein Staat der Initiator eines Genozides ist,20 wird in diesem Abschnitt untersucht und diskutiert, inwiefern das Militär als Vertreter des Staates tätig war, welche Befugnisse und wie viel Macht es innehatte.21 Bereits im vorherigen Abschnitt klang an, dass hierbei eine Unterscheidung zwischen den Regierungsjahren bis 1990/1992 und den Jahren danach vorgenommen werden muss. Wie bisher üblich, stehen die 1980er Jahre jedoch im Zentrum. Formal unterstand das Militär dem Oberbefehl des Präsidenten und gilt somit als ein ausführendes Organ der Staatsmacht. Wie die Arbeit bisher herausarbeiten konnte, agierte das Militär jedoch häufig eigenständig und teilweise abseits staatlicher Kontrolle, was die Haltung Gerlachs, dass der Staat kein monolithischer Akteur sei, unterstreicht.22 Insbesondere der vielfach betonte Ausnahmezustand räumte den Poltisch-Militärischen Kommandos eine Fülle an Rechten ein und sorgte dafür, dass sich einzelne Regionen zu Gebieten entwickelten, in denen demokratische Rechte außer Kraft gesetzt waren und die anderen staatlichen Institutionen kaum funktionierten.23 In diesen Räumen regelten die staatlichen Sicherheitskräfte nicht nur die militärischen, sondern ebenfalls die politischen Angelegenheiten. Der Fiscal konnte zwar Anzeigen von Opfern oder Angehörigen entgegennehmen und an das Militär weiterleiten. Meist wies das Militär die Schreiben jedoch ab oder bestritt die Vorwürfe, die erhoben wurden, sodass die Opfer faktisch keine Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung hatten. Staatliche Kontrollmechanismen versagten also häufig. Ausnahmen wie der Fall Accomarca sowie wenige Kommissionsberichte deuten jedoch an, dass das demokratische System nicht völlig 19 Hier steht vor allem die physische Vernichtung im Vordergrund. Die Zerstörung sozialer Beziehungen war nicht direkt gefordert, war aber häufig die Folge. 20 Barth, Genozid und Genozidforschung. 21 Auf die Bedeutung staatlicher Organisationen in Genoziden verweist Stefan Kühl. Siehe: Ders. Die Rolle staatlicher Organisationen im Holocaust, 146ff. 22 Gerlach, Extrem, 15. 23 Siehe Kapitel 3.2.

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erodierte. In den Zonen des Ausnahmezustandes hatte es jedoch nur eine geringe Wirkungskraft. Ähnliches ist über die Regierungen von Belaúnde und García zu sagen. Sie hatten kaum Einfluss auf die Strategie und Ausführung der staatlichen Gewalt. Sie sind nichtsdestotrotz nicht unbeteiligt am Konflikt. Zum einen schufen sie den Spielraum, den die Militärs nutzten, veränderten den legalen Rahmen und sahen häufig über Vergehen hinweg.24 Zum anderen griff García in Lima bewusst auf die Militärs zurück und setzte sie zur Aufstandsbekämpfung in den Gefängnissen ein. Wenn es zur Sicherung der Macht oder auch der Bekämpfung des Terrors nützlich erschien, stützte der Präsident also aktiv das Vorgehen der Militärs. Die Berichte der staatlichen Sicherheitskräfte beschrieben ihr Handeln im Hochland als nahezu unausweichlich, was die Präsidenten meist akzeptierten und somit die Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte tolerierten und legitimierten. Die Annahme, dass die Regierungschefs nichts von den Folterungen und Massengräbern wussten, ist unwahrscheinlich. Ebenso die Überlegung, dass sie ein solches Vorgehen explizit einforderten. Vielmehr erscheint der Staat als »Ermöglicher« und Wegbereiter dieses Handelns. Er veränderte den Raum durch den Ausnahmezustand, die Entsendung des Militärs und mangelnde Kontrolle. Einige Aussagen deuten darüber hinaus an, dass der Staat das Handeln absegnete.25 Ein Befehl zur Vernichtung oder gar eine Organisation dessen durch den Staat ist jedoch nicht nachweisbar. Da hier aber nicht nur mit einer herkömmlichen Genoziddefinition gearbeitet wird, die oft durch eine Fixierung auf den Staat gekennzeichnet ist,26 jedoch davon auszugehen ist, dass die Täter einen gewissen Organisationsgrad sowie Macht besessen haben müssen, wird fortfolgend diskutiert, ob das Militär mächtig genug war, um genozidale Gewalt zu organisieren. Neben der Truppenstärke und Ausrüstung ist ebenfalls die Deutungsmacht von Interesse, da eine Vernichtung einer Gruppe nicht entgegen der Mehrheitsgesellschaft organisiert werden kann.27 Wie Kapitel 4, welches die staatlichen Sicherheitskräfte charakterisierte, herausstellte, war insbesondere das Militär eine gut strukturierte, indoktrinierte und dem Feind überlegene Kraft im Bürgerkrieg. Ausgestattet mit Waffen, Helikoptern und Fahrzeugen war es in der Lage, große Aktionen gegen den Leuchtenden Pfad durchzuführen. Diese Präsenz machte auch auf die Bevölkerung Eindruck, die in verschiedenen Aussagen von der Ausrüstung der Soldaten berichtete.28 Mithilfe der Militärbasen und Stützpunkte, die sie errichteten, konnte das Militär diese Wirkung noch verstärken. Ausgehend von Punkten konnte es durch zahlreiche Patrouillen die Gebiete überwachen und die Bevölkerung kontrollieren. Wenngleich 24 25 26 27 28

Auch hier stellte Accomarca eine Ausnahme dar. Siehe exemplarisch: CVR, Entrevista a Carbajal D’Ángelo, Lima 2003. Gerlach, Extrem,15. Gerlach, Extrem, 15ff. Siehe exemplarisch: 201620, 300032, 300039.

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dieses Vorhaben in Anbetracht der großen, wenig besiedelten Flächen im Hochland sicherlich die größte Herausforderung war, hatten die Patrouillen dennoch einen großen Einfluss.29 Sie waren dafür verantwortlich, die Verdächtigen zu fangen, sie beaufsichtigten die Einhaltung der Ausgangssperre, sie überprüften Pässe sowie den Personenverkehr und sie begingen zahlreiche Verbrechen. Sie versinnbildlichen die Macht, die das Militär ausübte und dessen Wirkungsweise im Gewaltraum, der sich durch diese Stützpunkte, die Kontrollen sowie die Gewalt veränderte, zumal das Militär einen nahezu abgeschlossenen Raum erzeugte, indem es die Presse und andere Organisationen aus den Zonen des Ausnahmezustandes verbannte. Das Militär versuchte somit nicht nur das Geschehen im Hochland zu bestimmen, sondern auch das, was über den Krieg berichtet wird. Sie wollten dadurch eine Deutungshoheit erzeugen und den Diskurs prägen. Darüber hinaus hatte das Militär eine Strategie, entwarf Pläne, stellte Truppen zusammen, erarbeitete Kontrollmechanismen von eigenen Soldaten und schuf ein klares Feindbild. Es hinterfragte die Strategie und änderte sie im Laufe des Konfliktes, sammelte Informationen über den Feind, baute die Geheimdienstarbeit aus und entwickelte sie weiter. Es kann also durchaus ein Bild von einer starken Institution gezeichnet werden.30 Weitere organisatorische Leistungen untermauern dies. Das Militär musste einen Geist des Zusammenhaltes und der Loyalität errichten, den es im Kampf gegen den Terror als nötig erachtete.31 Dafür bildete das Militär die Soldaten nicht nur in Kampftechniken aus, sondern indoktrinierte sie und setzte sie nicht selten unter Druck. Selbst mit Gewalt gingen Militärangehörige gegen einige Kameraden vor, um sie zu bestrafen oder zu erziehen.32 Sie wollten so dem Feind eingeschworene Truppen gegenüberstellen, die von ihrer Aufgabe überzeugt sind, zusammenhalten und gemäß der Doktrin handeln.33 Mit diesen und weiteren Mitteln erschufen die staatlichen Sicherheitskräfte außerdem ein System des Schweigens. Bis heute halten sie die Nutzung von Öfen zum Verbrennen der Leichen im Dunkeln und negieren die Verantwortung für die vielen Verschwundenen.34 Die Macht der staatlichen Sicherheitskräfte manifestiert sich also in ihrer Überlegenheit, der materiellen sowie ideellen Organisation und der Deutungsmacht. In Teilen dieser aufgezählten und an anderer Stelle bereits näher beschriebenen Punkte klingen bereits die Grenzen der Macht an. Zwar war das Militär dem 29 Die zahlreichen angeführten Aussagen offenbarten diese Bedeutung bereits. 30 Siehe Kapitel 4.3. 31 Die Bedeutung von Loyalität, Kampfgeist und Zusammenhalt zeigen verschiedene Quellen, insbesondere die fojas de servicio. 32 Siehe exemplarisch Testimonio: 100205. 33 Ministerio de Defensa. Ejército Peruano, Guerra no Convencional. Lima 1989, 82f. 34 Sinnbildlich dafür steht die Aussage, dass der Ofen zum Backen von Brot gewesen sei. Siehe Kapitel 5.3. Entrevista a Carvajal.

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Feind hinsichtlich der Ausrüstung überlegen, nach eigenen Aussagen war diese dennoch unzureichend. Zudem war sie nur bedingt hilfreich im Kampf gegen einen »unsichtbaren Feind«. Die Patrouillen und Stützpunkte verweisen ebenso auf eine »Schwäche« der staatlichen Sicherheitskräfte. Zum einen konnten sie die großen Gebiete nicht in Gänze kontrollieren und der Raum ermöglichte immer wieder die Flucht der senderistas. Zum anderen agierten die Patrouillen häufig nahezu autonom. Zwar gab es Pläne und Strategien, häufig entschied jedoch die Situation und die Patrouille über das Geschehen.35 Im Vorgehen bildeten sich dabei genannte Praktiken heraus. Die Soldaten und hochrangige Militärs wichen aber immer wieder vom Skript ab. Die Institution war also nicht fähig oder willens, die Pläne und ihre Durchführung bis ins Detail vorzugeben, zu organisieren und zu überwachen. Ähnliches ist hinsichtlich der Kontrolle der Informationen und der Deutungshoheit zu konstatieren. Die staatlichen Sicherheitskräfte spielten mit einem Informationsmangel, wie es in einem Gewaltraum durchaus typisch ist. Sie nahmen bewusst Einfluss auf die Presse und deren Darstellungen. Ihnen gelang es jedoch nicht, eine Berichterstattung, die kritisch mit ihren Taten umgeht, zu verhindern. Sie hatten nicht die Macht, die Medien gänzlich zu kontrollieren oder gar gleichzuschalten. Vielmehr gab es immer wieder Auseinandersetzungen sowie Anfeindungen zwischen Medien und Militär. Während die einen die unangemessene Berichterstattung beklagten und Teile der Presse als verlängerten Arm des Leuchtenden Pfades begriffen, schrieben die Zeitungen häufig über die Vergehen des Militärs, welche sie mitunter als »genocidio« deklarierten.36 Das System des Schweigens funktioniert bis heute. Zwar gibt es wenige Soldaten sowie Generäle, die einzelne Vergehen einräumen. Im Großen und Ganzen herrschen jedoch noch immer ein Leugnen und Verschweigen der Taten vor. Insbesondere das Handeln in den Kasernen ist dadurch weiterhin nicht in Gänze aufzuklären und nur durch andere Quellen annäherungsweise darstellbar. Während dies einerseits als organisatorische und ideelle Leistung der Institution »Militär« erscheint, kann es andererseits als ein Hinweis auf eine weitere Grenze ihrer Macht gedeutet werden. Es war im peruanischen Fall scheinbar trotz des von vielen verachteten Gegners und der »Ferne« des Hochlandes nicht möglich, Taten wie das Verschwindenlassen von Menschen und dem damit einhergehenden Verbrennen von Leichen als legitimes Vorgehen zu etablieren. Die Mehrheit der Gesellschaft, vor allem in Lima, nahm vieles hin und akzeptierte durchaus eine harte Gangart im Kampf gegen die Subversion. Es scheint jedoch so, als hatten die Militärs und 35 Wie bereits dargestellt, sind die staatlichen Sicherheitskräfte ebenfalls kein monolithischer Akteur. Dies verdeutlicht nicht nur das eigenständige Handeln der Patrouillen, sondern auch das unterschiedliche Vorgehen von Polizei und Militär sowie die nahezu autonome Praxis der Marine. 36 Siehe exemplarisch: La República, Genocidio den Llocllapampa, 22.11.1985, 5. El Diario, Cronología del Terrorismo de Estado en Ayacucho, 14.09. 1985.

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die Regierungen Sorge, dass es Grenzen dieser Toleranz gäbe. Dies machte ein Verdunkeln nötig, das weder die Regierung noch das Militär in Erklärungsnot gebracht hätte. Auch hier spielt die Presse eine Rolle, die keineswegs stillschweigend zusah, sondern die Verbrechen des Militärs darstellte und kritisierte. Auch daher sahen sich die staatlichen Sicherheitskräfte immer wieder zu Legitimationen und Vertuschungen gezwungen. In Lima erachtete das Militär sogar weitere Vorsichtmaßnahmen für nötig, wodurch nicht sie, sondern paramilitärische Gruppen Gewalttaten, wie das Massaker in Barrios Altos, begingen.37 Die Nutzung der Kasernen als Orte der Folter und Vernichtung offenbaren die Macht und zugleich ihre Grenzen. Zwar war das Militär fähig, einen Ort zur Ermordung und Vertuschung zu schaffen. Sie konnten jedoch kein Lagersystem etablieren, sondern griffen auf die bereits vorhandenen Kasernen zurück. Zum einen konnten sie so den prüfenden Blick der Zivilgesellschaft umgehen und zum anderen mussten sie keine weiteren Räumlichkeiten schaffen. Dies führte jedoch dazu, dass auch die Ermordung und Beseitigung determiniert war und auch daher die Zahl der Opfer nicht mit anderen Vernichtungslagern zu vergleichen ist. Das gesellschaftlich-politische Hintergrundgefüge bot also einen Rahmen für die Ausübung der Gewalt. Dieses und weitere Faktoren eröffneten zahlreiche Spielräume für einen durchaus mächtigen Akteur.38 Es beschränkte jedoch auch die Gewaltausübung des Militärs. Eine durchorganisierte Vernichtung des Feindes war daher kaum möglich, das Verschwindenlassen von Tausenden hingegen schon. Dass Letzteres nicht weniger entsetzlich ist, muss nicht betont werden. Es verweist aber auf die Macht des peruanischen Militärs sowie ihre Grenzen.

6.3.

Wer war der Feind?

In der Auslegung des Genozidbegriffes entzünden sich zahlreiche Diskussionen an der Frage nach der Definition der Opfergruppe. Die Meinungen gehen in der Forschung dabei weit auseinander. Die Kategorisierung »Subversive« in Verbindung mit Markern wie indigen, wie sie im peruanischen Fallbeispiel auftauchen, verdeutlichen dieses Spannungsverhältnis und definitorische Problem. Dieser Abschnitt widmet sich daher nochmals dem Feindbild und der Frage, inwiefern diese Zuschreibung genozidale Züge hatte. In der Arbeit wurde zur Genüge betont, dass die Feindbildkonstruktion eine wesentliche Rolle spielt.39 Sie kann Gegner entmenschlichen, aus der Gesellschaft 37 Siehe Abschnitt 4.3.4. 38 Neben diesen strukturellen Aspekten entschieden die Wahrnehmung sowie Denkmuster über das Handeln. Das Militär nahm die eigene Stärke ebenfalls als eingeschränkt wahr. 39 Siehe Kapitel 4.3.

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exkludieren und somit das Töten erleichtern sowie mit Sinn ausstatten. Der peruanische Fall bestätigt diese Annahmen der Forschung. Für die terrucos galt nicht, was für andere Menschen selbstverständlich war. Es war nicht nur legitim, sie gefangen zu nehmen, zu foltern oder zu töten. Es war ebenso problemlos möglich, Terrorverdächtige ohne faires Verfahren zu verurteilen. Sogar das Verschwindenlassen von Leichen erschien in diesem Fall gerechtfertigt. Auch die Subversiven waren nicht mehr Teil der üblichen Rechtsprechung, sie waren »das Andere« Wie es ein Militärangehöriger sagte: »eine Krankheit, gegen die man mit passenden Mitteln vorgehen müsse«40 . Die bereits dargestellte diskursive Exklusion, die sich ausdrücklich im Begriff terruco manifestiert und ebenso für die Kategorisierung »Subversive« gilt, verdeutlicht nicht nur welches Bild die staatlichen Sicherheitskräfte vom Feind hatten oder wie sie eine Dichotomisierung vornahmen. Sie hatte darüber hinaus reale Folgen. Bevor das nächste Unterkapitel diese realen Folgen untersucht, analysiere ich im Fortgang, inwiefern die dargestellte Gruppenzuschreibung als genozidal eingeschätzt werden kann. Wie zahlreiche Genoziddefinitionen betonen, geht es nicht vordergründig darum, ob eine Gruppe politisch, ethnisch oder religiös definiert wird, sondern um die Konstruktion durch die Tätergruppe.41 Diese charakterisiert die Opfergruppe, indem sie diese mit weiteren Kennwörtern belegt, die sie entmenschlicht und exkludiert. Im Holocaust, dem Musterbeispiel eines Genozides, war diese Kategorie eine recht starre Größe, da sie an das Judentum gekoppelt war.42 Die Täter exkludierten die Juden zunächst diskursiv und nach und nach auch praktisch aus der Gesellschaft bis hin zur Vernichtung eines Großteils.43 Die Kategorisierung »Subversive« ebenso wie »terruco« weist ähnliche diskursive Exklusionsmechanismen auf. Jedoch unterscheidet sich diese Zuschreibung auf einer anderen Ebene. Während des gesamten Verlaufes des Krieges verband das Militär zwar Marker mit dem Begriff, nutzte ihn aber sehr flexibel. In den Handbüchern sind Beschreibungen zu finden, die den Subversiven als jung und studierend oder auch als Bauern charakterisieren.44 Zugleich finden sich Aussagen, dass Menschenrechtsorganisationen und linke Parteien ebenso Subversive seien.45 Jo-Marie 40 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Entrevista a Jarama, 339f. 41 Die UN-Definition bezieht sich nur auf nationale, religiöse, ethnische oder rassische Gruppen. Wie bereits erwähnt, lehnen andere diese Eingrenzung ab. Siehe Kapitel 2.3. 42 Darüber hinaus gab es noch weitere Feindbilder, wie Homosexuelle oder Behinderte. Das Feindbild »Jude« umfasste jedoch nicht diese Gruppen, womit es sich von der Feindbildkonstruktion im peruanischen Fall unterscheidet. 43 Wolfgang Benz, Antisemitismus und Antisemitismusforschung, in: Docupedia-Zeitgeschichte, in: http://docupedia.de/zg/Benz_antisemitismus_v1_de_2010?oldid=128761, [zuletzt eingesehen am 10.07.2018]. 44 Ejército Peruano, Guerra no Convencional, 109. 45 Aguirre, Terruco, 115f. Burt, Jugando, 47.

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Burt formuliert es so: »Quien habla es terrorista.«46 Letztlich war es keine feste Einteilung. Jeder, der verdächtig erschien, konnte als Subversiver eigenstuft werden. Das Wort »terruco« offenbart engere Grenzen, da es meist für die Hochlandbewohner genutzt wurde und eher einer festen Gruppenzuschreibung entspricht. Während hier Exklusionsmechanismen nachweisbar sind, können jedoch keine Pläne angegeben werden, die das Vernichten der terrucos forderten. Wie funktionierte also die Kategorisierung »Subversive«? Diese Zuschreibung erscheint als eine offene Form der Feindbildkonstruktion, die den staatlichen Sicherheitskräften nur bedingt Anleitung gab, wen genau sie suchen, fangen und/oder vernichten sollten. Trotz einiger Marker, die insbesondere junge indigene Studierende ins Visier gerieten ließ und Bauern/Bäuerinnen als grundsätzlich verdächtig einordneten, war eine genaue Erfassung eines Subversiven kaum möglich. Es war daher eine Gruppe an Menschen, die sich situativ ändern konnte, deren Größe kaum bestimmbar war und deren Eigenschaften differierten. Eines gemeinsam hatten jedoch alle Mitglieder. Sie standen nicht auf der Seite der Militärs und waren somit Feinde des Staates. Der Begriff gab ihnen damit einen gewissen Spielraum in der Ausübung der Gewalt und überdies zahlreiche Möglichkeiten zur Rechtfertigung ihrer Taten. Er barg natürlich ebenso Risiken und Schwierigkeiten, da die Militärs im Hochland häufig nicht wussten, gegen wen sie eigentlich vorgingen. Obwohl also die Darstellung eines Feindes »sin rostro« vordergründig eine Rechtfertigung war, trägt sie darüber hinaus eine tatsächliche Schwierigkeit in sich. Den staatlichen Sicherheitskräften fiel es schwer, den Gegner zu markieren und ausfindig zu machen. Alle Verdächtigen – indigene Studierende oder Lehrer*innen und Bauern/Bäuerinnen – zu fangen und/oder zu vernichten, wäre darüber hinaus nicht möglich gewesen. Neben einer Zivilgesellschaft und Staatsführung, die dies (in Teilen) nicht gebilligt hätten, wäre die Anzahl zu groß gewesen, da die Mehrheit der Hochlandbewohner in eine dieser Kategorien gepasst hätte. Während eine Entmenschlichung, die Verbindung mit rassistischen Vorurteilen sowie die Dichotomisierung, die die Militärs vornahmen, durchaus dafürsprechen, dass die Zuschreibung »subversiv« ein Element einer genozidalen Logik ist, deutet der eben skizzierte offene Gebrauch jedoch an, dass sie andere Funktionsweisen annahm. Zwar gab es eine klare Einteilung in Gut und Böse, welches die Sichtweise der Täter und deren Interpretation der Situation beeinflusste. Es gab jedoch keine klaren Marker der Zugehörigkeit. So konnte der Bauer zunächst verdächtig sein und als Feind betrachtet werden, jedoch durch die Teilhabe in den Rondas Campesinas die Seiten wechseln. Wer zur gegnerischen Gruppe gehörte, definierten die Militärs also ebenfalls auf Grundlage des Handelns der Menschen. Während Flucht verdächtig machte, konnte Kooperation vor dem Tod schützen. 46 ÜBERSETZUNG: »Wer spricht, ist Terrorist.« Jo-Marie Burt, Quien Habla, 32-62.

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Dies ist ein signifikanter Unterschied in der Gruppenkonstruktion, wenngleich auch eine Kooperation nicht immer Schutz gewährleistete. Die Kategorisierung hat im peruanischen Fall somit keine klaren Grenzen und erscheint als Aushandlung in der Praxis. Dies ist in doppelter Weise zu verstehen. Es war nicht nur abhängig vom Tun des Verdächtigen, sondern auch das Handeln der Täter bestimmte darüber, ob jemand als Subversiver galt. Das in den Gewaltgeschichten beschriebene Handeln konnte andeuten, dass die Gefangennahmen oder die Folter einen Menschen markierte und zeichnete: Durch dieses Handeln hinterließen die Militärs nicht nur Spuren auf dem Körper sowie der Seele des Opfers. Sie gaben eine Botschaft an Dritte und exkludierten die Person, die fortan als Subversiver oder mindestens als verdächtig eingestuft wurde. Das Verschwindenlassen versinnbildlicht dieses Vorgehen und diese Grenzziehung noch deutlicher. Das Opfer – egal ob Student*in oder Bauer/Bäuerin – wurde durch das Verschwinden eingeordnet. Für das Militär war jedes Opfer ein Subversiver, sodass diese Verknüpfung ein Merkmal der Konstruktion ist.47 Letztlich muss auch bei dieser Form der Zuschreibung spezifiziert werden, für wen die Subversiven als exkludiert und »tötbar« galten. Während sich in den Aussagen und Handbüchern dieses Feindbild – so offen wie eben beschrieben – finden lässt, wirkte es nicht prägend für die gesamte Gesellschaft. Zwar fürchteten die meisten Menschen den Leuchtenden Pfad und sehnten ein Ende des Konfliktes herbei, jedoch sind in der Presse keine Forderungen erkennbar, die eine Vernichtung aller zugehörigen Personen beinhaltete. Wirkungslos war die Deutung der Militärs dennoch nicht. Neben dem Begriff terruco, der Eingang in den Sprachgebrauch fand, verdeutlichen die Darstellungen des Leuchtenden Pfades ihren Einfluss. Neben Beschreibungen der Brutalität, die nicht aus der Luft gegriffen waren, lassen sich auch Berichte über die Macht der Partei finden. Auch die Möglichkeit, die Subversion öffentlich mit einer Krankheit zu vergleichen oder die Forderung zur Not Unschuldige zu töten, wenn es dazu diene, nur wenige Terroristen zu treffen, deuten an, was während des Krieges sagbar war.48 Das Militär prägte also mit seinen Zuschreibungen durchaus ein Bild der Subversion, welches vielleicht keine Vernichtung legitimierte, jedoch ein hartes Vorgehen für die Bevölkerung verständlich machte, der der Subversive ebenfalls als Feind und Bedrohung galt. Zusammenfassend erscheint die Kategorisierung – so wie das peruanische Militär sie vornahm – partiell einer genozidalen Logik folgend. Der Subversive galt als Feind, wurde entmenschlicht und seine Tötung erschien als legitim. Jedoch ist 47 Hier verschwimmt Rechtfertigung und Konstruktion des Feindbildes. Es konnte dennoch gezeigt werden, dass die Hochlandbewohner, die nicht kooperierten oder sich in irgendeiner Form auffällig verhielten, in den Verdacht der Subversion gerieten. Ihr Tod bestätigte im Denken des Militärs ihren Verdacht. 48 Siehe Abschnitt 4.3.2.

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durch die offene Auslegung, das Aushandeln der Zuschreibung in der Praxis sowie die Grenzen der Deutungsmacht eine Einschränkung auszumachen. Diese bezieht sich nicht generell auf das Label »Subversive«, sondern auf seine Reichweite sowie das Verschwimmen und Aushandeln im peruanischen Fall. Zumal eine Zuschreibung als »tötbar« nicht gleichzusetzen ist mit einem Eliminierungswunsch.

6.4.

Die Gewaltformen des Staatsterrors als genozidale Praktiken?

Wie bereits angedeutet, genügt es nicht geozidale Gewalt zu planen oder eine Gruppe diskursiv zu exkludieren. Mindestens eine ansatzweise Umsetzung ist nötig, damit der Begriff »genozidale Logik« überhaupt sinnvoll verwendet werden kann. Da jedoch auch ein einzelnes Massaker noch keine solche Logik des Staatsterrors belegen kann, wird in diesem Abschnitt bewusst die Mikroperspektive verlassen. Die herausgearbeiteten Praktiken werden benutzt und überprüft, inwiefern diese als vernichtend – einer genozidalen Logik folgend – einzuschätzen sind. Die Untersuchung verdeutlichte organisatorische Leistungen, handlungsleitende Sichtweisen und ein teilweise systematisches Vorgehen. Das Abholen, Foltern, Töten und Verschwindenlassen in Massengräbern oder Öfen deuteten eine genozidale Logik im Handeln an, da gezielt wehrlose Menschen, die die Militärs als Subversive kategorisierten, vernichtet worden sind. Die Abweichungen von Plänen, die Folterungen und die Entlassungen der Opfer sowie reguläre Gefangennahmen stehen dem entgegen. So konnte die Arbeit keine bürokratisch geregelte und systematische Vernichtung einer Gruppe aufdecken. Weder gab es flächendeckend Vernichtungsanlagen noch ein überwachtes und vorgegebenes Vorgehen gegen den Feind. Diese unklare Gemengelage wird hier diskutiert, indem die einzelnen Gewaltpraktiken hinsichtlich einer genozidalen Logik beleuchtet werden. Bei sexueller Gewalt, die hinsichtlich zweier unterschiedlicher Fälle betrachtet wurde, offenbart sich wieder eine Unterscheidung zwischen den 1980er Jahren und dem Fujimori-Regime. Zwar können die Vorgehensweisen in beiden Zeiten als Angriffe auf die indigene Bevölkerung im peruanischen Hochland verstanden werden, die weitreichende Folgen für das weitere Zusammenleben der Gemeinschaft hatte. Dennoch unterscheidet sich der Charakter von Vergewaltigungen und Zwangssterilisierungen. Während die Vergewaltigungen nicht als organisierte und geplante Taten gegen die Bevölkerung nachweisbar sind, waren die Sterilisierungen Teil einer staatlichen Kampagne.49 Obwohl beide Gewaltformen das Dasein einer Gruppe verändern und daher als Angriff auf die Existenz gewertet werden können, waren 49 Ruth Seifert stellt zur Debatte, dass Vergewaltigungen evtl. auch Teil der militärischen Strategie und somit geplant und organisiert waren. Für den peruanischen Fall – wie für andere auch – konnte das nicht nachgewiesen werden. Entgegen der Strategie waren sie jedoch höchstwahr-

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beide keine intendierte Ausrottung. Dennoch ordnet die Arbeit den Charakter der Zwangssterilisierungen sowie das gesamte Programm zur Familienplanung noch stärker als biopolitische Maßnahme ein, die auf eine Veränderung und zwar Reduzierung der indigenen Bevölkerung abzielte.50 Eine solche Maßnahme führt bspw. die bereits benannte UN-Konvention als eine genozidale Handlung an.51 Die Vergewaltigungen hatten zwar teilweise eine ähnliche Wirkung, die Absicht und Funktion differierten jedoch. Der kommunikative sowie situative Charakter waren hierbei vordergründig. Die staatlichen Sicherheitskräfte nutzten ihre Überlegenheit, die Straffreiheit und den Ausnahmezustand aus, um etwas zu tun, das ihnen ohnehin nur wenig verwerflich vorkam, da insbesondere die indigene Frau herabgewürdigt und die Tat somit als legitim angesehen wurde. Die sexuelle Gewalt in den 1980er Jahren hatte daher nur insofern genozidale Züge, als dass sie Vorurteile verfestigte sowie umsetzte. Als Durchführung einer Vernichtungsabsicht kann sie jedoch kaum interpretiert werden, obwohl auch diese Gewaltform, einen »körperlichen oder seelischen Schaden an Mitgliedern der Gruppe«52 beabsichtigte, was die UN bereits als genozidales Handeln einstuft. Ähnliches ist hinsichtlich der Folterpraxis feststellbar. Sie stellte einen Angriff auf die Gemeinschaft dar, der verängstigen und Gehorsam erzwingen sollte. Zudem ging das Militär hier meist routiniert und planvoll vor. Eine Form der physischen Vernichtung war sie hingegen nicht. Offensichtlich erschien die Folterung als legitimes Mittel im Kampf gegen die Subversion und ging zudem mit zahlreichen Herabwürdigungen einher, die die rassistischen Vorurteile der Sicherheitskräfte in der Praxis verlebendigten. Sie nahmen ihre Opfer nicht als gleichwertig wahr, beschimpften, malträtierten und behandelten sie teilweise wie Tiere.53 Dennoch töteten sie nicht alle Folteropfer, sondern erhofften sich durch ihr Handeln, dass die Opfer nun nicht mehr mit dem Leuchtenden Pfad kooperieren würden und auf der Seite des Militärs stünden. Wenngleich die Folter also als eine Form der Zeichensetzung und Machtdemonstration interpretierbar ist, kann sie nicht als eine Vernichtungspraxis gedeutet werden. Sie ist eher als ein Versuch zu werten, eine Loyalität und (Zuge-)Hörigkeit zu erzeugen. Die Folter ist also eher Teil des Aushandelns und Eingrenzens, denn die Verwirklichung eines Vernichtungsplanes. Ähnlich wie sexuelle Gewalt, demonstriert diese Gewaltform die Haltung der Militärs. Auch unschuldige Hochlandbewohner konnten gefangen genommen

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scheinlich nicht, da sie akzeptiert und nicht geahndet wurden. Siehe Seifert, Der weibliche Körper, 25f. Siehe Abschnitt 5.1.2 sowie Sarasin, Foucault, 166f. Siehe Kapitel 2.3. Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, in: Bundesgesetzblatt, 1954, 730. Der Tiervergleich findet sich in verschiedenen Aussagen. Siehe exemplarisch: 301024.

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und gefoltert werden, wenn es denn nötig erschien. Sie waren per se verdächtig und somit zunächst ein möglicher Feind.54 Die staatlichen Sicherheitskräfte suggerierten der Bevölkerung, dass niemand sicher war und eine Kooperation mit dem Leuchtenden Pfad eine Bestrafung nach sich ziehen würde. Damit kommunizierten sie ihre Macht, ihre Haltung im Kampf und die Einteilung in ein »Wir« und ein »Die«. Wenn die Folter also in irgendeiner Weise mit der Vernichtung in Verbindung zu bringen ist, dann nicht vordergründig auf einer physischen Ebene. Die staatlichen Sicherheitskräfte erhofften sich durch die Folter, die Person zu brechen und ihre möglichen subversiven Gedanken auszutreiben. Überdies war es der Versuch, Gemeinschaften zu beeinflussen und zu warnen. Die Folter ist also durchaus ein Sinnbild für die Dichotomisierung, die ein wesentlicher Baustein einer genozidalen Logik ist. In der Praxis ist sie jedoch keine physische Zerstörung einer Gruppe. Sie ist höchstens als Angriff auf einer ideellen Ebene zu deuten. Bei einer politischen Gruppe ist dies insofern ein interessanter Punkt, da diese sich vornehmlich über ideelle oder ideologische Aspekte formiert. Im Gegensatz zur Folter wirkt das Töten einer großen Anzahl von Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, wie es in den verschiedenen Massakern der Fall war, bereits auf den ersten Blick einer genozidalen Logik folgend. Wenn beispielsweise Telmo Hurtado aussagt, dass auch zweijährige Kinder potenzielle Subversive und daher zu liquidieren seien,55 offenbart dies, dass diese Kategorisierung durchaus nicht rein politisch interpretiert wurde. Bei den über hundert Massakern im Hochland folterten die Patrouillen nicht ausschließlich oder vergewaltigten. Vielmehr begleiteten diese Gewaltpraktiken das Vernichten und Verwüsten eines Dorfes, welches sie unter Generalverdacht stellten. Eine ähnliche Handschrift trägt ansatzweise die Niederschlagung des Aufstandes in den Gefängnissen in Lima, da hier nicht versucht wurde, die Insassen zu befrieden oder erneut unter Kontrolle zu bringen. Die staatlichen Sicherheitskräfte töteten die Subversiven, egal ob diese bewaffnet waren oder nicht. Sowohl das Vorgehen in Cayara als auch das Vorgehen in Santa Bárbara bringen jedoch auch die Interpretation der Massaker als Teil einer genozidalen Logik ins Wanken. In beiden verschonte das Militär Frauen, die verdächtig erschienen oder gar wegen Terrorverdachtes im Gefängnis saßen. Es ist also ebenfalls bei dieser Gewaltform kein klares Bild erkennbar. Dies wird noch verstärkt, wenn die Anlässe der Massaker betrachtet werden. So gab es zwar bei allen Massakern einen Plan, der die Wiederherstellung der Ordnung vorsah und auch das Fangen/Vernichten der Subversiven beinhaltete. Jedoch reagierte das Militär vor allem auf Provokationen oder Attentate des Leuchtenden Pfades, suchte 54 Siehe Kapitel 4.3.2. 55 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Tomo VII, Entrevista a Hurtado, 579ff.

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also die Dörfer bzw. das Gefängnis nicht ohne Anlass auf. Während beim Massaker in den Gefängnissen davon auszugehen ist, dass der Tod der Insassen beabsichtigt war, wirkt das Vorgehen bei den Massakern im Hochland noch stärker von einer situativen Dynamik geprägt. Zwar erzeugten die staatlichen Sicherheitskräfte bewusst einen abgeschlossenen Raum, sorgten für ihre Überlegenheit und ermöglichten so das Vorgehen. Dennoch erscheint die Situation, die sich neben der Flucht auch aus der Haltung der Patrouille und der Aktion in der Gruppe ergab, als ein entscheidender Faktor. Telmo Hurtado gab im Nachhinein an, dass er gemäß den Vorgaben handelte. Dem kann kaum widersprochen werden, wenngleich die Operationspläne keine Tötung von Frauen und Kindern forderten. Sie räumten jedoch den Spielraum ein und hatten somit Einfluss auf die Haltung der Patrouille.56 Bei den Massakern in den Gefängnissen in Lima gab es ebenfalls keinen expliziten Vernichtungsauftrag. Dennoch wirkt die Forderung, in einem Gefängnis um jeden Preis für Ruhe zu sorgen, als ein Auftrag zur Tötung der Insassen.57 Dies ist jedoch eine Auslegung des Quellenmaterials, welches auch in diesem Fall keine klaren Anweisungen beinhaltet. Während die Massaker also auf den ersten Blick als Formen einer genozidalen Praxis wirken, interpretiert sie die Arbeit bei näherer Betrachtung nur bedingt als Verwirklichung einer Vernichtungsabsicht. Da jedoch eine genozidale Logik nicht nur als Verwirklichung eines Planes begriffen wird, können in den Massakern durchaus andere Eigenschaften einer genozidalen Logik ausgemacht werden.58 Offenkundig töteten die staatlichen Sicherheitskräfte einen Teil der von ihnen definierten Opfergruppe, sodass dieses Handeln durchaus genozidale Züge in sich trägt. Zwar bezieht die UN-Konvention dies nur auf besagte nationale, religiöse, ethnische und rassische Gruppen, stellt aber das Töten von Teilen der Gruppe als eine Handlung eines Völkermordes dar. Für die staatlichen Sicherheitskräfte war das Vorgehen in den Massakern ein Töten von Subversiven. Wenngleich dies eine politische Zuschreibung ist, konnte bereits mehrfach gezeigt werden, dass diese ebenfalls eine ethnische Dimension aufwies. Selbst die starre Definition der UN legt also nahe, dass die Massaker einen genozidalen Charakter innehatten. Wenngleich also die Massaker nur bedingt eine Verwirklichung von Absichten aufweisen, können durch das massenhafte Töten einer durch die Täter bestimmten Gruppe genozidale Eigenschaften ausgemacht werden. Einschränkend sei jedoch erwähnt, dass Massaker in der Größenordnung von Accomarca und Cayara keine Routinen darstellten, sondern eher als Exzesse des Staatsterrors zu verstehen sind. In diesen Exzessen offenbart sich ein genozidaler 56 Comisión Investigadora de Violación de Derechos Humanos, Accomarca, Tomo VII, Entrevista a Hurtado, 580. 57 Acta de Consejo de Ministros, in: Comsisión Inverstigadora del Congreso, Informe al Congreso sobre los Sucesos en los Penales, 69. 58 Gerlach, Extrem, 15. Dabag, Ideologie und gestaltende Gewalt, 154.

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Charakter, der jedoch nicht für alle Gewaltpraktiken oder das gesamte Vorgehen der Militärs in dieser Weise gilt. Im Gegensatz zu den Massakern kann das Verschwindenlassen durchaus als Praxis bezeichnet werden, die vielleicht nicht flächendeckend eingesetzt wurde, jedoch in einem beträchtlichen Ausmaß und insbesondere im Andendepartment Ayacucho vorkam.59 Wie die Arbeit bereits herausarbeitete, ging das Militär dabei durchaus planvoll vor. Nicht nur die Gefangennahme, sondern auch das Beseitigen der Leichen sowie das Verschweigen des Aufenthaltsortes organisierte das Militär. Dabei lernte es im Verlauf des Krieges und verbesserte durch das Nutzen von Öfen die Vernichtung der menschlichen Überreste. Obwohl hinsichtlich dieser Gewaltform keine Pläne existieren, kann nur bedingt von situativen Momenten gesprochen werden, die das Verschwindenlassen begleiteten. Sicherlich kam es vor, dass ein Folteropfer starb, ohne das die Sicherheitskräfte dies zum Ziel hatten und aus der Situation heraus das Beseitigen der Leiche nötig wurde. Größtenteils erscheint das Vorgehen jedoch als planvoll und organisiert. Neben den genannten Routinen, von denen die Zeug*innen berichteten, verweisen die Leichenfunde auf ein eingespieltes Vorgehen. Die Mehrheit wurde mit Säcken über dem Kopf und Schusswunden am Schädel in eigens für sie geschaffenen Massengräbern gefunden. Im Verschwindenlassen treffen sich also verschiedene Eigenschaften einer genozidalen Logik: Ein planvolles Vorgehen einer organisierten Tätergruppe wird offenkundig. Die Existenz einer konstruierten Gruppe, die zwar einerseits eine politische Kategorisierung war, andererseits jedoch stark mit ethnischen Markern versehen wurde, was sich an der Zahl der quechuasprachigen Opfer (75 %) zeigt, konnte ebenfalls herausgestellt werden. Letztlich war das Handeln ein auf verschiedenen Ebenen vernichtendes Agieren. Die Militärangehörigen töteten nicht nur das Opfer, sondern löschten die Person aus. Wenngleich diese Vernichtung nicht die gesamte vage Kategorisierung treffen konnte, da dies schon aufgrund der Zahl an Menschen nicht möglich und sicherlich zudem nicht durchsetzbar gewesen wäre, stellt das Verschwindenlassen doch eine genozidale Praxis dar, die mindestens auf eine partielle Auslöschung der Gruppe abzielte. Inwiefern dies dazu führt, den Staatsterror als genozidal einzustufen bzw. wie dieser letztlich zu charakterisieren ist, fasst das Fazit zusammen.

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Zweiseitiger Genozid?

Zunächst geht die Untersuchung jedoch auf eine weitere These ein, die vor allem den Staatsterror in das Geschehen eines Bürgerkrieges einordnet und einen zusätzlichen Gedanken in die Bewertung einbringt. Herbert Morote ist ein Verfech59 CVR, Anexo Estadístico, 21f.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

ter der Genozidthese. Er plädiert vehement dafür, das Vorgehen gegen die indigene Bevölkerung als Genozid zu bezeichnen, und zwar gemäß der UN-Konvention.60 Er sieht die indigene Bevölkerung im Hochland als eine ethnische Gruppe, deren Vernichtung intendiert und partiell durchgeführt wurde. Das Besondere an seiner Interpretation ist, dass er nicht nur eine Tätergruppe ausmacht, sondern zwei. Sowohl der Staat als auch der Leuchtende Pfad haben seiner Meinung nach absichtsvoll arme, indigene Quechuasprachige exterminiert, sodass der Straftatbestand eines Völkermordes erfüllt sei. Die Sinnhaftigkeit dieser These und mögliche Konsequenzen für die Charakterisierung des peruanischen Staatsterrors bespricht dieses Unterkapitel. Wie bereits angedeutet, ist die Macht der Tätergruppe sowie die Einseitigkeit ein Merkmal, das sich durch die verschiedenen Genoziddefinitionen zieht und daher hier als eine genozidale Eigenschaft erfasst wurde. Viele Begriffsauslegungen bringen diesen Aspekt mit Staatlichkeit in Verbindung, sodass Massenmorde durch bewaffnete Gruppen per se keinen Völkermord darstellen können.61 Dies erzeugt in der Forschung jedoch Widerspruch, sodass hier nicht zwangsläufig davon ausgegangen wird, dass ein Staat der Täter eines Genozides sein muss. Notwendig ist jedoch ein gewisser Grad an Organisation sowie Deutungshoheit. Für das Militär konnte bereits gezeigt werden, dass es ein mächtiger Akteur war, seinem Einfluss jedoch auch Grenzen gesetzt waren. Um diese These von Morote hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit zu prüfen, muss die Charakterisierung des Leuchtenden Pfades aus Kapitel 3 in Erinnerung gerufen und geprüft werden, ob diese maoistische Partei fähig war, eine Gruppe zu bestimmen und partiell zu vernichten. In Anbetracht der Tatsache, dass die senderistas für über 50 % der Opfer verantwortlich waren, sie zahlreiche Tote für den Erfolg ihres Projektes einforderten und sie vornehmlich gegen Indigene vorgingen, muss genauer untersucht werden, inwiefern genozidale Züge in der Gewalt des Leuchtenden Pfades auszumachen waren. Es war dem Leuchtenden Pfad möglich, Kämpfer für den Krieg zu mobilisieren und zahlreiche brutale Verbrechen zu begehen. Die Führung um Abimael Guzmán baute zudem eine gut organisierte Partei auf, ideologisierte die Mitglieder und schaffte es, den Staat für über ein Jahrzehnt in einen Krieg zu verwickeln.62 Insbesondere das Vorgehen in den Gefängnissen illustriert die Macht des Leuchtenden Pfades, die jedoch auch Grenzen hatte. Er war keine Massenpartei und konnte nicht die Mehrheit der Gesellschaft an sich binden und für seine Ideen gewinnen.63 Die Deutungshoheit bewegte sich also in noch engeren Grenzen als die des Militärs. Er 60 Morote, Todas, 63f. 61 Barth, Genozid und Genozidforschung. 62 Siehe Kapitel 3.3.1. 63 Dies schien auch nicht ihr vordergründiges Ziel zu sein.

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war darüber hinaus relativ schlecht ausgerüstet, musste sich im Geheimen bewegen und zerfiel nach der Gefangennahme seines Anführers.64 Die Wahrheitskommission kommt dennoch zu dem Schluss, dass die senderistas einen Genozid proklamierten und teilweise durchführten, um so den Staat herauszufordern.65 Während ihre Machtposition für einen Genozid nur bedingt ausreichte, ist der Wahrheitskommission insofern zu folgen, als dass eine Vernichtungsidee in den Aussagen des Leuchtenden Pfades auffindbar war. Diese richtete sich weniger gegen eine ethnische Gruppe (mit Ausnahme der Asháninca), sondern vielmehr gegen Zeichen des »alten Staates«.66 Ähnlich wie bei der Feindbildkonstruktion des Staates war dies eine offene Vorstellung der Dichotomisierung, die vor allem bedeutete, dass jeder, der nicht kooperierte oder in irgendeiner Form mit dem Staat in Verbindung stand, zu liquidieren sei. Obwohl die These existiert, dass der Leuchtende Pfad eine indigene Partei war, ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein Großteil der Opfer quechuasprachige Hochlandbewohner waren.67 Zum einen liegt dies darin begründet, dass Ayacucho das Epizentrum der Gewalt war. Zum anderen versuchte der Leuchtende Pfad nicht, Indigene zu schützen. Sie waren andersherum jedoch auch nicht ihr Feindbild. Diese Form der Zuschreibung schien bedeutungslos zu sein. Ins Visier gerieten eher Autoritäten oder skeptische Bauern, die sich nicht für die Visionen der Partei interessierten. Wenngleich eine klare Aufteilung der Welt in Gut und Böse erkennbar war, kann keine ethnische Gruppenkonstruktion festgesellt werden. Die Vernichtungsidee bezog sich vielmehr auf den »alten Staat« und seine Repräsentanten. Die Opfer waren dennoch vor allem im Verlauf des Krieges nicht vorwiegend Autoritäten. Die Situation des Krieges änderte das Vorgehen und führte zu Massakern an ganzen Dörfern wie 1983 in Lucanamarca.68 Hinsichtlich der Gewalt des Leuchtenden Pfades können also vereinzelte genozidale Eigenschaften ausgemacht werden, andere sind wiederum nicht besonders ausgeprägt. Die These von Morote geht jedoch über diese Charakterisierung in doppelter Weise hinaus. Erstens spricht er von Genozid gemäß der Definition der UN. Zweitens stellt er eine Verbindung zwischen der Gewalt des Leuchtenden Pfades und den Taten der staatlichen Sicherheitskräfte her. Ausgangspunkt seiner Deutung ist die Auffälligkeit, dass beide Hauptakteure mehrheitlich arme Quechuasprachige töteten. Er sieht darin nicht nur eine ethnische Gruppendefinition und eine teilweise Extermination, sondern geht auch von einem absichtsvollen Vorgehen aus. Obwohl die Opferzahlen eine eindeutige Sprache sprechen und 64 65 66 67 68

Siehe Kapitel 3.3.1. CVR, Conclusiones, 318f. Ebd. 318. CVR, Anexo Estadístico, 121. Wenngleich keine ethnische Feindbildkonstruktion existierte, ist eine Geringschätzung der indigenen Kultur auffindbar, zu der sie ein neues Identifikationsangebot schufen.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

bei beiden Tätergruppen von einer Geringschätzung der indigenen Kultur ausgegangen werden kann, widersprechen zahlreiche Aspekte der These eines zweiseitigen Genozides. Die Feindbildkonstruktion differierte. Es gab keine gemeinsamen Pläne. Auch eine Absicht der Vernichtung einer ethnischen Gruppe kann beiden nicht nachgewiesen werden. Interessant ist dieser Gedanke dennoch, da er auf den Rahmen der Gewalt hindeutet und wesentliche Aspekte dessen nochmals heraushebt. Der Staatsterror fand in einem Rahmen des Bürgerkrieges statt, der im Raum Ayacucho ein Ambiente erzeugte, in dem das Töten der indigenen Bevölkerung für die Täter als legitim, teilweise als ein strategisches Mittel erschien. Wenngleich also ein zweiseitiger Genozid nicht als passende Beschreibung erachtet wird, verweist diese These darauf, dass beide Konfliktparteien an einer Dehumanisierung mitwirkten und eine Dynamik erzeugten, die immer neue Anlässe zur Gewalt schuf – abseits eines vorgefassten Planes. Dies führt zur Frage, ob ein Genozid auch ohne Absicht der Vernichtung als solcher bezeichnet werden kann, ist doch die partielle Tötung einer ethnischen Gruppe das Ergebnis des Krieges. Dieser Frage sowie der Zusammenfassung weiterer Eigenschaften des Staatsterrors geht das Fazit nach. Exkurs: Der Genozidbegriff auf dem Prüfstand. Nutzen und Alternativen In diesem Exkurs wird die Tragfähigkeit des Genozidbegriffes auf drei Ebenen geprüft. Zunächst wird der Nutzen der Verwendung dieses Begriffes in einem juristischen Kontext skizziert, bevor beurteilt wird, inwiefern und in welcher Weise der Terminus in der Öffentlichkeit sowie Wissenschaft einsetzbar ist. Die drei Bereiche werden ausgehend von den Erkenntnissen der vorangegangen Analyse beleuchtet – also in Bezugnahme auf das peruanische Fallbeispiel. Der Exkurs widmet sich also einer diskursiven sowie geschichtspolitischen Dimension des Themas, wodurch der Bogen zum Impuls der Untersuchung geschlagen wird, der aus einer Irritation darüber bestand, warum das Genozidkonzept zwar für Argentinien aber nicht für Peru diskutiert wird. Die juristische Ebene Aufgrund des Ursprungs des Begriffes »Genozid« ist diese Ebene von besonderer Bedeutung. Der Terminus ist unweigerlich mit der Definition der UN verbunden, die eine juristische Festsetzung ist und die Strafverfolgung dieses Verbrechens ermöglicht.69 Eine solche rechtliche Festlegung beansprucht andere Eigenschaften als ein wissenschaftlicher Umgang, sind doch die Ziele durchaus verschieden. Während in der Rechtsprechung eine universelle Definition, die möglichst viele Fälle umfasst, als nützlich erscheint, sucht die Wissenschaft meist die Spezifika 69 Robel, Verhandlungssache, 40.

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und Differenzen.70 Die juristische Festsetzung dient zudem vordergründig dazu, Verbrechen dieser Art bestrafbar zu machen und Staaten/Personen dafür zur Verantwortung zu ziehen. Diese Bedeutung manifestierte sich dadurch, dass die Adhoc-Gerichtshöfe hinsichtlich der Fälle Jugoslawiens sowie Ruandas wegen Völkermordes verurteilten und somit den Begriff in der völkerrechtlichen Praxis etablierten.71 Ferner illustriert die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtsgerichtshofes (IStGH) durch das Statut von Rom (1998), dass eine Strafverfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch auf internationaler Ebene an Bedeutung gewinnt. Trotz zahlreicher Probleme, die sich in der Ablehnung der Vereinbarung mächtiger Staaten wie Russland oder China sowie in einem fehlenden Gewaltmonopol äußern und somit die Reichweite einschränken, ist diese Entwicklung dennoch ein Zeichen für den Willen der Unterzeichnerstaaten, Völkermorde als Verbrechen zu ahnden oder gar davor abzuschrecken.72 Im Gegensatz zu dieser Praxis geht es der Geschichtswissenschaft nicht in erster Linie darum, ob die Taten als Verbrechen bestrafbar sind. Vielmehr will sie vergangenes Handeln verstehen – nicht be- oder verurteilen.73 Durch die Überführung des Begriffes in die juristische Praxis und dessen Relevanz für die internationale Rechtsprechung geht man zunächst unweigerlich davon aus, dass die juristische Auslegung eine klare Terminologie darstellt, der sich nationale Gerichte anschließen und so bspw. Fälle, wie den peruanischen Staatsterror, dahingehend prüfen könnten. Die Literatur zeichnet jedoch ein anderes Bild und zeigt, dass im juristischen Sinne ebenfalls ein Spielraum existiert und die Auslegung und Verwendung des Begriffes erst in der Praxis ausgehandelt werden: »Das Sprechen über Genozide und anders bezeichnete Formen von Massengewalt wird fortwährend vor Gericht neu justiert.«74 Unter den Forscher*innen gilt das Massaker von Srebrenica als Sinnbild dafür. Es wurde als genozidale Handlung erachtet und stellte somit eine Erweiterung des Genozidbegriffes dar. Auf nationaler Ebene ist ähnliches im argentinischen Fall zu beobachten, da hier die Gerichte selbst gegen die Verbrechen während der Militärdiktatur vorgingen und ebenfalls den Begriff »Genozid« nutzten und dies, obwohl die Opfergruppe als politisch einzuschätzen ist,75 also nicht den von der UN aufgeführten Gruppen (religiös, ethnisch, rassisch oder national) entspricht. Dies offenbart, dass ebenfalls in der Rechtsprechung eine Auslegung möglich ist, welche jedoch eng mit der politischen Situation 70 Daniel Feierstein, Genocide as Social Practice. Reorganizing Society under the Nazis and Argentina’s Military Juntas. New Brunswick 2014, 13ff. 71 Ebd.50f. Gerd Hankel, Der Giftbecher des Robert H. Jackson, in: Bielefeld, Gesellschaft, 188. 72 Ebd. 190. 73 Achim Landwehr, Die Kunst sich nicht allzu sicher zu sein: Möglichkeiten kritischer Geschichtsschreibung, in: WerkstattGeschichte 61, 2012, 8. 74 Robel, Verhandlungssache, 51. 75 Feierstein, Genocide, 18, 25.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

sowie den prägenden Diskursen in Verbindung steht. Dies legt nahe, dass die Einstufung eher als »eine geschichtspolitische Verortung«76 zu begreifen ist, denn als klare Bezeichnung eines Straftatbestandes. Da die nationalen Gerichte in Peru Anklage in einigen Fällen erhoben sowie einzelne Täter verklagten und die Schwere der Taten mindestens unklar ist, konnte eine Zuständigkeit des IStGH nicht erwartet werden.77 Interessant ist daher eher, in welchen Fällen und welche Urteile die peruanischen Gerichte aussprachen und wie diese in Anbetracht der eben skizzierten Aushandlung einzuschätzen sind. Wie die Arbeit in der Darstellung des historischen Rahmens bereits aufzeigte, existieren hinsichtlich besonders emblematischer Fälle Gerichtsurteile gegen einzelne Militärangehörige. Zudem wurde Alberto Fujimori bestraft, der bis zu seiner Begnadigung an Weihnachten 2017 im Gefängnis einsaß.78 Hervorzuheben sind für diese Untersuchung die Fälle Accomarca sowie Los Cabitos, in denen Generäle zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Angeklagt und bestraft hatte sie das Gericht wegen Verbrechen gegen das Leben, den Körper und die Gesundheit – also nicht wegen Genozid.79 Für dieses Vorgehen sprechen bereits diskutierte Einwände gegen die Verwendung dieses Terminus im peruanischen Fall. Es konkretisiert darüber hinaus, wie die staatliche Gewalt in Peru verhandelt wird. Auch dem Gericht geht es um einzelne Fälle und einzelne Täter, die sich zwar Verbrechen schuldig gemacht haben, jedoch kein systematisches Vorgehen gegen Teile der Bevölkerung zu verantworten haben. Hätte das Gericht den Terminus »Genozid« bspw. für das Massaker in Accomarca oder auch die Phase von 1983-1985 genutzt, in der im Hochland eine Vielzahl an Menschen von den staatlichen Sicherheitskräften getötet wurden, hätte dies ein ganz anderes Echo nach sich gezogen – nicht nur juristisch, sondern auch medial sowie politisch. Inhaltlich hätte in Anbetracht der möglichen Spielräume durchaus die Option bestanden, die Taten als Völkermord zu betrachten; im Angesicht der politischen Situation und vorherrschenden Diskurse kann bereits die Verurteilung wegen Verbrechen gegen das Leben, den Körper und die Gesundheit als bemerkenswert erachtet werden. Im diskursiven Feld ergänzen die Urteile das gängige Narrativ des Militärs. Sie stellen es nicht gänzlich infrage, bringen jedoch die Erzählung, dass das Militär vordergründig der Beschützer der Nation gewesen sei, ins Wanken. Fraglich bleibt jedoch, inwiefern die Strahlkraft dieser 76 Feierstein, Genocide, 62. 77 Möglicherweise liegen die Gründe auch in einer fehlenden internationalen Aufmerksamkeit. 78 La República, Fujimori en Libertad, in: http://larepublica.pe/politica/1161969-alberto-fujimorilibre-ppk-le-otorgo-el-indulto-al-exdictador (24.12.2017), [zuletzt eingesehen am 04.04.2018]. Siehe zum Gerichtsfall Fujimori: Jo-Marie Burt, Guilty as Charged. The Trial of Former Peruvian President Alberto Fujimori for Human Rights Violations, in: International Journal of Transitional Justice 3, 2009, 384-405. 79 Sala Penal Nacional, Exp. 36-05, Sentencia, in: https://de.scribd.com/document/323014685/ Sentencia-Caso-Accomarca#from_embed, [zuletzt eingesehen am 23.03.2018].

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Urteile einen Einfluss auf die Deutung der staatlichen Gewalt und den Umgang mit der Vergangenheit hat. Aktuelle Entwicklungen legen eher nahe, dass sich diese in engen Grenzen bewegt. Unabhängig von der Verwendung des Begriffes »Genozid« verdeutlicht die Strafverfolgung in Peru außerdem eine eingangs erwähnte These. Den Präsidenten Fujimori verurteilte das Gericht zu 25 Jahren Haft, wenn auch nur für das Massaker in Barrios Altos sowie den Fall La Cantuta und weitere Entführungen, aber nicht wegen der in Kapitel 5.1 besprochenen Zwangs-sterilisierungen im Laufe seiner Amtszeit. Gegen die Präsidenten Alan García und Belaúnde gab es hingegen bisher keine Verfahren und das obwohl in ihrer Amtszeit die meisten Opfer ums Leben kamen.80 Die Annahme, dass es eine stärkere Auseinandersetzung mit den autoritären Jahren gab, belegt also ebenfalls die Rechtsprechung. Somit veranschaulicht der peruanische Fall das Problem, welches der juristischen Nutzung des Begriffes und der Strafverfolgung innewohnt. Sie sind abhängig von der strafverfolgenden Instanz und ihrer politischen Unabhängigkeit sowie der aktuellen gesellschaftspolitischen Gemengelage. Dies gilt nicht nur für die nationalen, sondern ebenfalls für die internationalen Gerichte. Wenngleich die Festsetzung eines Verbrechens als Genozid ein wichtiges Anliegen ist, was ermöglicht, gegen diese Art von Taten vorzugehen und die Täter zu bestrafen, mangelt es an der Durchsetzungskraft unabhängiger Gerichte sowie an einem Gebrauch und einer damit verbundenen Schärfung in der juristischen Praxis. Die Verwendung ist damit jedoch nicht nur ein terminologisches Problem. Vielmehr liegt die Komplexität des Gebrauches in der schwierigen Frage nach Möglichkeiten der Strafverfolgung – nationalem und internationalem Recht sowie politischer Interessen. Für Peru kann die Begnadigung Fujimoris diese Einschätzung unterstreichen. Öffentliche Ebene Die Auseinandersetzung mit der juristischen Ebene führt nochmals vor Augen, dass der Begriff »Genozid« in verschiedener Hinsicht mit Bedeutung aufgeladen sowie auslegbar ist. Er erzeugt Aufmerksamkeit und gilt als das Verbrechen schlechthin. Während dies in der Wissenschaft und Rechtsprechung eher als Mangel angesehen werden kann, eröffnet es die Frage, ob es im öffentlichen Raum sinnvoll ist, dieses Label bewusst einzusetzen. Einwände moralischer Natur, die eine solche instrumentelle Verwendung in Zweifel ziehen, werden nicht berücksichtigt. Es wird im Folgenden hingegen ausgehend vom geschilderten Fall diskutiert, ob und inwiefern eine Nutzung des Begriffes in diesem Bereich als nützlich eingeschätzt werden kann. Im Fokus stehen dabei: die Presse, Menschenrechtsorganisationen und Erinnerungsorte. 80 Burt, Guilty as Charged, 402ff.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

Für den peruanischen Fall wird in der Literatur sowie in der Presse mit der Verwendung des Begriffes »Genozid« gespart. Hier wird er meist synonym zu »Massaker« gebraucht.81 So bezeichnete bspw. die Ausgabe der Tageszeitung »La República« vom 22.11.1985 das Massaker in Accomarca als »Genozid«.82 Im Nachhinein ist kaum rekonstruierbar, warum sich die Autoren für diesen Begriff entschieden. Eine Skandalisierung ist jedoch nicht abwegig, zumal die Medien nach Einschätzung der Wahrheitskommission durchaus einen Anteil an der Zuspitzung der Stimmung hatten, da sie zunächst die Terrorakte als Sensationen herausstellten.83 Den Nutzen kann also der bereits erwähnte Slogan »genocide sells« aufzeigen.84 Das Label »Genozid« zieht Aufmerksamkeit auf sich und weckt das Interesse der Öffentlichkeit. Wie Yvonne Robel es beschreibt, genügt sogar das Affix »zid«, das auf den Begriff verweist, um ein größeres Echo zu erzeugen. Dieses resultiert daraus, dass eine besondere moralische Aufladung existiert und die Verwerflichkeit einer Tat so deutlich hervorgehoben werden kann. Robel führt die Beispiele »Ökozid« und »Fötozid« an, um dies zu illustrieren.85 Was für die Wissenschaft also eine Schwäche ist, kann für die Presse ein Vorteil sein. Auch für Menschenrechtsorganisationen, die um öffentliche Aufmerksamkeit buhlen und ihre eigene Stellung legitimieren wollen, sowie für die Opfer birgt eine Verwendung Potenzial. Auch peruanische Militärangehörige machen sich dies zunutze und unterstreichen durch die Verwendung des Begriffes die Grausamkeit des Leuchtenden Pfades. Wie bereits angedeutet, nutzt selbst die Wahrheitskommission das Adjektiv »genozidal«, um die Gewalt der senderistas zu charakterisieren und so die besondere Brutalität zu betonen.86 Im peruanischen Fall finden sich ebenso vereinzelte Stimmen, die den Begriff mit Blick auf die staatliche Gewalt nutzen.87 Es ist jedoch nicht bekannt, dass er bewusst öffentlich inszeniert wird. In Anbetracht der Opferzahlen und einer nachzuweisenden rassistischen Konnotation der staatlichen Gewalt ist dies durchaus verwunderlich. Die Gründe dafür liegen ebenfalls in der politischen Situation und dem diskursiven Rahmen, der bereits nachgezeichnet wurde. In der aktuellen Gemengelage, die der Abschnitt 3.3.3 skizzierte, führt bereits der Bau eines Erinnerungsortes sowie die Frage nach der Ausgestaltung der Ausstellung zu Widerstand 81 Siehe Zeitungen während des Konfliktes bspw. La República, Asesinaron a Tiros 47 campesinos, 01.09.1984 oder La República, Testimonio de Gustavo Mohme, 25.08.1984, 17f. 82 La República, Genocidio de Llocllapampa, 22.11.1985, 5. 83 CVR, Medios de Comunicacíon, 489. 84 Weiss-Wendt, Problems, 45. 85 Robel, Verhandlungssache, 65. 86 Generales de División, Vicealmirantes y Tenientes Generales, Ex-Comandantes Generales del Ejército, Marina de Guerra y Fuerza Aérea del Perú, Pronunciamiento, Lima 23.09.2003, zit.n. ADDCOT, Omisiones, 137ff. CVR, Conclusiones, 318f. 87 In Zeitzeug*innenbefragungen und Literatur taucht er, wie bereits einleitend erwähnt, auf. Siehe Kapitel 1.1.

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und Diskussionen. Das Projekt konnte nur als Kompromiss entstehen, der dem Militär einräumt, selbst ihre Rolle im Krieg zu beschreiben. Eine Forderung, die staatliche Gewalt als »Genozid« oder als »genozidal« darzustellen, hätte abseits wissenschaftlicher Einwände zu einem Scheitern führen können. Wenngleich die Brisanz einerseits aufrütteln kann, ist sie in einem solchen Kontext anderseits eine Gefahr, da sie scharfe Kritik und Widerstand heraufbeschwört. Im peruanischen Fall ist der Begriff darüber hinaus durch die Nutzung des Leuchtenden Pfades zusätzlich belastet. Die Gruppierung erachtete die staatliche Gewalt als einen Genozid bzw. wollten diese derartig darstellen, um so den Staat weiter zu diskreditieren. Die Aufstände in den Gefängnissen, die in Kapitel 5.4 beschrieben und gedeutet wurden, stehen sinnbildlich für diese Strategie. Die senderistas versuchten, den Staat so zu provozieren, dass er um ein hartes Vorgehen nicht herumkommt, um ihn später genau dafür kritisieren zu können.88 Obwohl der Staat zahlreiche Insassen ermordete, kam es nicht dazu, dass das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte als Genozid gebrandmarkt wurde.89 In einem noch immer stark polarisierten Diskurs, der zudem von der Deutung der staatlichen Sicherheitskräfte geprägt wird, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Nutzung des Begriffes »Genozid« – unabhängig von seiner Passfähigkeit – weiterhin die Vermutung nahelegt, ein Sympathisant des Leuchtenden Pfades zu sein. Diesem Verdacht und der Beschuldigung, linksgerichtet zu sein, waren und sind sowohl Menschenrechts-organisationen als auch die Wahrheitskommission ohnehin ausgesetzt.90 Eine Verschärfung wäre durchaus zu erwarten. Eine Verwendung des Begriffes durch Erinnerungsakteure oder die Presse erscheint in einer solchen Situation also eher als kontraproduktiv. Die Frage stellt sich daher, welche anderen Möglichkeiten existieren, die staatliche Gewalt zu beschreiben und die Öffentlichkeit für die Verbrechen zu sensibilisieren. Die Optionen sind beschränkt, da die Deutung des Konfliktes durch das Militär und staatliche Kräfte insbesondere in Lima eine große Wirkungsmacht hat. Sie haben die Deutungshoheit im Aufarbeitungsdiskurs und nutzen ihre politische Stellung, um ihre Geschichte des Konfliktes zu erzählen. Trotz der Kritik, die am Lugar de la Memoria zu üben ist, sind es diese Orte, die über die bekannten Fälle der staatlichen Verbrechen berichten und es dem Besucher ermöglichen, sich ein eigenes Bild von den verschiedenen Stimmen im Erinnerungsdiskus zu machen. Zudem bot und bietet der Erinnerungsort immer wieder Möglichkeiten, Filme über die staatliche Gewalt oder Ausstellungen von Erinnerungsstücken zu präsentieren 88 Nähere Erläuterung siehe Kapitel 5.4.4. CVR, Ejecuciones Los Penales, 742. 89 Die senderistas verfehlten ihr Ziel jedoch nicht gänzlich, da Aufmerksamkeit erzeugt wurde. 90 Asociación de Egresados del Centro de Altos Estudios Militares (ADECAEM), Pronunciamiento, San Borja 03.10.2003, zit.n. ADDCOT, Omisiones, 143f. Burt, Guilty as Charged, 405.

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und so die Erinnerung sowie Diskussion lebendig zu halten. Im Moment wirkt es so, als sei das die vordergründige Aufgabe im öffentlichen Erinnerungsdiskurs. Die Erinnerungsorte bewegen sich dabei jedoch auf unsicherem Terrain. Der Erinnerungsort in Huamanga, der die Verbrechen vom Leuchtenden Pfad und den staatlichen Sicherheitskräften nachzeichnet und dem Besucher die Logik und Grausamkeit des Krieges vor Augen führt, ist weiterhin Gegenstand von Kritik und Angriffen. Im Jahr 2017 beschuldigte ein Kongressabgeordneter aus dem Lager der fujimoristas das Museum, die Terroristen zu verteidigen und das Ansehen des Militärs zu beschmutzen.91 Das macht deutlich, dass abseits einer Nutzung von Begriffen wie »Genozid« jede kritische Auseinandersetzung mit der Gewalt des Militärs zu Protest und Anschuldigungen führen kann. Der Vorschlag, einen eigenen Themenpark zu bauen, der vom Präsidenten des Parlamentes Galarreta vertreten wird (Juni 2018), unterstreicht dies nochmals. Mit der Forderung, die wahre Geschichte zu erzählen, greift er den Lugar de la Memoria indirekt an. Er wirft ihm außerdem vor, sich auf die Version der Wahrheitskommission zu stützen, die nicht umfassend sei. Ein Ort für die Gefallenen des Terrorismus fehle seiner Auffassung nach, sodass er den Bau eines weiteren Erinnerungsortes forciert.92 Es darf vermutet werden, dass er eine andere Geschichte des Krieges erzählt und das Narrativ des Militärs reproduziert. In dieser Situation erscheint die Verwendung des Begriffes »genozidal« als wenig hilfreich. Organisationen wie die APRODEH, die die Gerichtsverfahren vorantreiben, die zu genannten Verurteilungen führten und auch in der Presse nachklangen sowie die Orte wie der LUM, die sich stetig mit der Vergangenheit beschäftigen und die Aufarbeitung der staatlichen Gewalt einfordern, sehen sich immer wieder Angriffen ausgesetzt. Für ihre Gegner, die hohe politische Ämter innehaben, würde die Bezeichnung »genozidal« eine weitere Provokation darstellen. Auch auf der öffentlichen Ebene ist der Gebrauch des Begriffes also sehr stark von der politischen Gemengelage abhängig. Er erscheint zwar zunächst verlockend, birgt jedoch ein gewisses Risiko. Im Sommer 2018 spricht die Lage in Peru gegen eine Verwendung, was verdeutlicht, wie kontrovers die Rolle der staatlichen Sicherheitskräfte bis heute diskutiert wird. 91 La República, Censura Amenaza el Museo de la Memoria de las Madres de ANFASEP, in: https://larepublica.pe/politica/1137025-censura-amenaza-el-museo-de-la-memoria-de-lasmadres-de-anfasep(27.10.2017), [zuletzt eingesehen am 27.04.2018]. 92 La República, Fujimorismo Anuncia Parque Temático Para Contar »La Verdadera Historia del Terrorismo«, in: https://larepublica.pe/politica/1267166-fujimorismo-anuncia-parque-tematico-contar-verdadera-historia-terrorismo (25.06.2018), [zuletzt eingesehen am 12.07.2018]. El Comercio, Galarreta Anuncia »Parque de la Memoria de los Caídos por el Terrorismo«, in: https://elcomercio.pe/politica/luis-galarreta-anuncia-parque-memoria-caidos-terrorismonoticia-530538(12.07.2018), [zuletzt eingesehen am 12.07.2018].

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Wissenschaft Wie bereits einleitend beschrieben, lehnen Teile der Wissenschaft die Nutzung des Begriffes »Genozid« generell ab. Insbesondere die UN-Definition kritisieren die verschiedenen Forscher*innen auf unterschiedlichen Ebenen.93 Diese Arbeit folgte den dargelegten Einwänden, ohne dabei ganz auf den Begriff »Genozid« zu verzichten. Das Adjektiv »genozidal« in Verbindung mit den Begriffen Eigenschaft, Praxis und Logik sowie Charakter sollte abseits einer festen Terminologie Charakteristika des Handelns der staatlichen Sicherheitskräfte in Peru in den Fokus rücken. Eine Verwendung der Definition der UN bot sich aus verschiedenen Gründen dafür nicht an. Hauptsächlich wendete sich die Arbeit von dieser Begriffsbestimmung ab, da sie es nicht zulässt, die Grautöne der Gewalt zu erfassen und sichtbar zu machen. Am Ende einer solchen Untersuchung hätte nur stehen können, dass der peruanische Fall eben ein Genozid sei – einem Modell entspricht oder eben nicht.94 Dies wäre jedoch der Komplexität des Falles nicht gerecht geworden und hätte weniger Erkenntnisse offengelegt als eine Analyse genozidaler Eigenschaften. Sie ermöglichte einen flexibleren Umgang und rückte verschiedene Aspekte, wie die Absicht, die Feindbildkonstruktion und die Praktiken in den Fokus. Dadurch konnte sich die Arbeit von der UN-Definition distanzieren, ohne sich gänzlich vom Konzept trennen zu müssen. Eine Abkehr stelle ohnehin keine Option dar, da der Ausgangspunkt der Untersuchung eben die Existenz des Begriffes im Diskurs sowie besagte Irritation war.95 Für die Analyse wurde also aus verschiedenen Definitionen einen Katalog an Eigenschaften zusammengestellt, die einen genozidalen Charakter ausmachen. Dieser war die Grundlage für eine makroperspektivische Analyse, die zu einer Diskussion einzelner Aspekte des peruanischen Staatsterrors führte und so zu einer dessen Charakterisierung beigetragen hat. Folgende Vorzüge hatte diese Ausrichtung: Zunächst konnten Einwände gegen die UN-Definition berücksichtigt und in die Untersuchung integriert werden. Besonders deutlich wird dies im Umgang mit der Gruppenkonstruktion. Im Fokus steht somit nicht mehr, ob eine Gruppe ethnisch, religiös oder politisch konstruiert wird, sondern die Konstruktion einer Gruppe an sich, die mit einem Vernichtungswillen und -praktiken verbunden wird. Dies berücksichtigt, dass diese Gruppen keine Entitäten sind. Sie entstehen oft erst durch die Zuschreibung von außen.96 Im peruanischen Fall ist dies offenkundig. Die Kategorie »subversiv« gebrauchten die staatlichen Sicherheitskräfte, um ihren Gegner zu erfassen und die eigenen Taten zu legitimieren. Auf den ersten Blick ist es eine politische Einteilung. Sie ging 93 Siehe Abschnitt 2.3. 94 Auf das Problem der Erforschung eines Modells verweist auch Gerlach, Extrem, 347. 95 Die Irritation liegt darin, dass in Argentinien der Begriff genutzt wird, in Peru jedoch nicht, obwohl der Staatsterror hier sogar mit rassistischen Vorurteilen einherging und vorrangig Indigene traf. Siehe Abschnitt 1.1. 96 Gerlach, Extrem, 348.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

de facto jedoch mit rassistischen Vorurteilen einher und wurde zudem auf andere Gegner ausgeweitet. Die Streitkräfte etablierten außerdem einen weiteren Begriff, um den Feind zu erfassen. Sie nannten die verdächtigen Hochlandbewohner*innen »terruco«. In offiziellen Dokumenten findet sich der Terminus nicht, er fand aber Eingang in den Sprachgebrauch und symbolisiert die rassistischen Vorurteile, die viele Sicherheitskräfte hatten.97 Eine Öffnung des Blickes auf die Art der Konstruktion kann Spezifika der verschiedenen Fälle genozidaler Gewalt offenbaren, zugleich verdeutlicht sie strukturelle Gemeinsamkeiten. Spezifisch kann die Bezeichnung der Gruppe sein, wie bspw. Juden, Subversive oder Armenier, gemeinsam haben sie jedoch, dass die Gruppe als Gefahr stilisiert wird und als tötbar gilt. Die Form der Entmenschlichung und die Wirkung dieser Deutung differiert in den verschiedenen historischen Fällen, wie ein Blick auf den Holocaust oder die argentinische Militärdiktatur oder auch den Völkermord in Ruanda offenbart. Die Existenz einer solchen Möglichkeit die Tötungshemmung zu senken und das eigene Tun mit Sinn auszustatten, findet sich hingegen in verschiedenen Gewaltereignissen.98 Die Frage nach genozidalen Eigenschaften kann darüber hinaus die Konzentration auf den Staat vermindern und so den Blick auf den Organisationsgrad der Tätergruppe sowie die Gesellschaft lenken, sodass deutlich wurde, dass nicht unbedingt das politische System entscheidend sein muss. Vielmehr erscheinen genozidale Gewaltauswüchse auch innerhalb eines demokratischen Systems als denkbar. Die Errichtung der Zonen des Ausnahmezustandes während des peruanischen Bürgerkrieges offenbaren eine Möglichkeit, ein solches zu unterwandern und den Rahmen für die Gewalt zu verändern – also eigenständige, autoritär geführte Regionen zu errichten. Diese Erweiterung der Perspektive berücksichtigt zudem, dass ein Staat kein einheitlicher Akteur ist, sondern aus verschiedenen Organisationen besteht, deren Wirken sowie Macht näher zu beschreiben sind, um zu verstehen, ob und wie Gewalt organisiert und durchgeführt wird. Es erscheint nicht zwingend notwendig, dass eine Vernichtung eines Teils einer Bevölkerungsgruppe durch die Regierung gefordert und organisiert wird. Durch die Frage nach der Macht der Tätergruppe rückt hingegen ins Blickfeld, wer Aufträge gab, wer Spielräume schuf und welche Grenzen das Tun möglicherweise hatte. So findet auch die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz Berücksichtigung, die insbesondere Gerlach in seinem Ansatz der »extrem gewalttätige Gesellschaften« betont.99 Für den peruanischen Fall konnte in dieser Hinsicht gezeigt werden, dass die Öffentlichkeit Exzesse anprangerte und so die staatlichen Sicherheitskräfte kritisierte, 97 Sowohl Kapitel 5 als auch Abschnitt 4.3.2 zeigen dies. 98 Kürşat-Ahlers, Über das Töten, 185. Feierstein, Genocide as Social Practice, 14. Gerlach, Extrem, 364. 99 Gerlach, Extrem, 7ff., 355.

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ihr Vorgehen also nicht sillschweigend akzeptierte. Nimmt man an, dass nur ein Staat – als monolithischer Akteur – der Täter sein kann, ist es möglich, dass diese Dimensionen weniger klar zutage treten. Letztlich ist die Vorstellung von »Staat« sehr unterschiedlich und hinsichtlich Lateinamerikas umstritten. Eine Verschiebung des Fokus hin zu einer Analyse des Organisationsgrades und der Macht der Tätergruppe kann dieser Schwierigkeit entgegenwirken. Die Frage nach der Absicht und dem Plan steht ebenfalls häufig in der Kritik. Hier wird sich dennoch nicht von diesem Aspekt gelöst, sondern er wird als Teil der genozidalen Logik erfasst. Problematisch bleibt, dass eine Absicht schwer nachweisbar und bei einzelnen Gewalttaten zudem nicht unbedingt entscheidend ist. Wird dieser Aspekt jedoch nicht in die Betrachtung einbezogen, fällt es zunehmend schwer, genozidale Gewalt von anderen Kategorisierungen abzugrenzen und ihre Spezifika herauszuarbeiten. Zudem wurde nicht angenommen, dass die Durchführung von Gewalt nur eine Umsetzung eines Planes und einer Absicht ist. Sie kann sich von diesen lösen, über sie hinausgehen oder sie nicht erfüllen. Wenn es jedoch gar keine Absicht oder einen Plan gibt, eine Gruppe ganz oder in Teilen vernichten zu wollen und andere Ziele vordergründig sind, dann gilt es abzuwägen, ob der Begriff »genozidale Logik« passend erscheint. Dabei ist zu bedenken, dass verschiedene Formen miteinander einhergehen können. Staatsterror kann genozidale Züge annehmen und Bürgerkriege können in einem Genozid enden.100 Es ist daher interessant zu untersuchen, wann und wie sich Pläne entwickeln oder ändern. Ob sie in die Tat umgesetzt werden können, wie sie ausgelegt werden und ihre Durchführung organisiert wird. Durch eine Auseinandersetzung mit diesem Element – ohne es zu starr zu begreifen – können Eigenschaften der Gewalt aufgedeckt und Spezifika der jeweiligen Fälle erkannt werden. Auch wenn Pläne und Absichten allein also nicht unbedingt hilfreich sind, um einzelne Gewaltereignisse zu verstehen, zeigen sie dennoch, unter welchen Voraussetzungen sich die Täter in die Situationen begaben und in welchen Kontext sie die Taten einordneten. Ein Plan hat also einerseits Einfluss auf die Wahrnehmung der Täter und anderseits bietet er eine Möglichkeit das Tun zu legitimieren. Insbesondere bei der Untersuchung von Institutionen wie dem Militär ist dies ein nicht unwichtiger Aspekt. Sinnbildlich dafür steht die bereits erwähnte Aussage von Telmo Hurtado, der seine Taten unter Bezug auf Befehle und Pläne rechtfertigte und mit Sinn ausstattete.101 Als wesentlichen Baustein begreift die Untersuchung jedoch die Praktiken selbst. Sie wurden hinsichtlich genozidaler Eigenschaften überprüft und somit nach ihrem vernichtenden Charakter gefragt. Von einer genozidalen Praxis spricht 100 Anja Brandau, Vergewaltigung als Trope? Texte über den Genozid in Ruanda, in: Isabella von Treskow (Hg.), Bürgerkrieg – Erfahrung und Repräsentation. Berlin 2005, 228. 101 Comisión Investigadora, Accomarca, Tomo VII, Entrevista a Hurtado, 580.

6. Genozidale Gewalt? Eigenschaften des peruanischen Staatsterrors

ebenfalls Daniel Feierstein, der sich insbesondere dem argentinischen Fall zuwendet.102 Auch er lehnt eine starre Genoziddefinition ab und teilt die genannten Einwände. Jedoch setzt er andere Schwerpunkte, wie die Prozesshaftigkeit eines Genozides und das Ziel der Transformation der Gesellschaft.103 Unabhängig der Ausrichtung leistet die Konzentration auf die Praktiken zweierlei: Erstens können Routinen sichtbar gemacht werden, die Rückschlüsse auf Sichtweisen, die Organisation der Gewalt sowie den Raum zulassen. Das routinemäßige Verschwindenlassen von Personen bspw. zeigt, was den Streitkräften möglich war und welche Grenzen ihr Tun hatte. Zugleich verrät es etwas über diskursive sowie organisatorische Leistungen der Institution.104 Zweitens rückt dadurch das Handeln der Akteure in den Vordergrund. Wenngleich also die anderen Aspekte einer genozidalen Logik (Plan, Macht, Opfergruppe) wichtig sind, ist die Umsetzung das entscheidende Merkmal. Zusätzlich bietet die Verwendung des Begriffes »genozidale Gewalt« als Konglomerat verschiedener Eigenschaften folgende Vorteile: Neben dem Forschungsdesiderat spricht für dieses Vorgehen, dass für die Gewalttaten auf dem lateinamerikanischen Kontinent in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum passende Charakterisierungen existieren, die einen Vergleich nahelegen würden. Vielmehr werden die Differenzen betont und die Fallbeispiele nahezu als singuläre Ereignisse dargestellt. Sowohl der Begriff »Staatsterror« als auch »genozidale Gewalt«, die letztlich die staatliche Gewalt näher beschreiben können, bieten die Möglichkeit, verschiedene Fälle, wie den argentinischen, chilenischen, guatemaltekischen und peruanischen Fall, in einer Vergleichsperspektive zu analysieren. Die Frage könnte lauten, inwiefern diese Fälle staatlicher Gewalt einen genozidalen Charakter innehatten. Trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen könnte dies eine Perspektive sein, die sowohl gemeinsame Strukturen aufdeckt und Transfers offenbart als auch Differenzen in der Ausübung offenlegt. Eine solche Sichtweise könnte dazu genutzt werden, eine Epoche staatlicher Gewalt auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu erfassen und gemeinsame Eigenschaften zu verdeutlichen.

102 Feierstein, Genocide as Social Practice. 103 Ebd. 205-214. 104 Siehe Abschnitte 6.3. sowie 6.4.

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7. Fazit und Schlussbemerkungen

Im Fazit liegt der Fokus weniger stark auf einer nochmaligen Rückschau auf einzelne Kapitel. Vielmehr stehen drei Anliegen im Vordergrund: Das Fazit eint zunächst die durchgeführte Analyse und stellt somit eine Charakterisierung des peruanischen Staatsterrors zur Diskussion. Im zweiten Abschnitt widmen sich die Schlussbemerkungen einer methodisch-theoretischen Reflexion, bevor sie mit einer kritischen Würdigung des Forschungsverlaufes und einem Ausblick enden. Genozidale Gewalt in den Anden: Staatsterror zwischen Kommunikation und Vernichtung Im 6. Kapitel der Untersuchung stand die Überprüfung und Diskussion der herausgearbeiteten Eigenschaften genozidaler Gewalt im Vordergrund. Für dieses Kapitel war es wichtig, die Facetten der einzelnen Eigenschaften aufzuzeigen – die Grautöne der Gewalt herauszustellen. Die spezifischen Charakteristika, Entwicklungen und Nuancen des peruanischen Staatsterrors standen im Zentrum der Abschnitte. Ausgehend davon wird nun ein Deutungszusammenhang hergestellt und der Charakter der staatlichen Gewalt in Peru darlegt. Im Gegensatz zur Analyse rücken nun also nicht unbedingt die verschiedenen Spezifika in den Vordergrund, sondern das Einende und Kennzeichnende der Gewaltausübung der staatlichen Sicherheitskräfte wird aufgezeigt.1 Wie im Verlauf der Arbeit bereits angedeutet wurde, ist es sinnvoll, den Staatsterror im Gewaltraum Ayacucho zu charakterisieren und ihn damit territorial einzugrenzen.2 Der gemeinsame Rahmen und die Unterschiede zu anderen Regionen des Landes legen dies nahe. Die andine Welt in den Gebieten in und um Ayacucho bildete mit ihrer kulturellen Differenz, den geografischen Gegebenheiten, der spezifischen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Situation sowie der Entwick1 Wie bei jeder Zusammenfassung und Charakterisierung können also nicht alle Eigenschaften und Details Einzug finden. Vielmehr wird das Wesen nachgezeichnet. Damit ist diese Beschreibung ungenauer als die Diskussion der einzelnen Aspekte, stellt dafür aber den Kern der staatlichen Gewalt heraus und gleichzeitig zur Diskussion. 2 Durch die Nutzung des Begriffes »Ayacucho« nenne ich die Einteilung territorial. Sie ist jedoch gleichwohl sozial, politisch und kulturell und hat keine festgelegten geografischen Grenzen.

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Genozidale Gewalt?

lung des Leuchtenden Pfades den Ausgangspunkt für das Vorgehen des Militärs.3 Die Streitkräfte mussten das Gebiet unter Kontrolle bringen und richteten dafür Stützpunkte, Patrouillen und Politisch-Militärische Kommandos ein. Aufgrund der nur wenig akzeptierten und funktionierenden Institutionen sowie des gewährten Spielraumes durch die Regierungen konnten sie dadurch Zonen erschaffen, in denen sie eigenständige, autoritäre Gebilde konstituierten und zunehmend das Geschehen im Hochland bestimmten. In diesem Raum waren sie neben dem Leuchtenden Pfad die prägende Kraft. Sie nahmen Einfluss auf das alltägliche Leben, indem sie Sperrstunden einführten, Ausweise kontrollierten, Bewohner befragten und beschriebene Gewaltpraktiken etablierten. Obwohl der Rahmen der staatlichen Gewalt als Bürgerkrieg gekennzeichnet werden kann und eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt erkennbar ist, wird sie (weiterhin) als Staatsterror begriffen, dem ein sowohl kommunikativer als auch vernichtender Charakter innewohnte. Die kommunikative Funktion der Gewalttaten konnte bereits hinlänglich herausgearbeitet werden, wodurch nochmals hervorgehoben wird, warum der Begriff »Staatsterror« auch innerhalb eines internen Konfliktes so passend erscheint. Praktiken wie das Verschwindenlassen, Leichenschändungen sowie Vergewaltigungen können exemplarisch verdeutlichen, dass die staatlichen Sicherheitskräfte Botschaften an die Bevölkerung sendeten. Sie wollten sie verängstigen, erniedrigen und Gehorsam erzwingen sowie die Kontrolle gewinnen. Wäre es ausschließlich um die Vernichtung und Zerschlagung der Subversion gegangen, wären andere Gewaltformen und -auswüchse eher wahrscheinlich gewesen. Doch die Vernichtung war nicht das einzige Ziel des Militärs. Wie Gewaltpraktiken, wie z.B. Folter, illustrieren, sind auch erzieherische Aspekte anzunehmen, die konformes Handeln erzwingen und die Herrschaft sichern sollten. Ferner demonstrierte die Institution dadurch ihre Überlegenheit und manifestierte die Geringschätzung gegenüber den indigenen Opfern. Die Folter oder auch sexuelle Gewalt kommunizierten nicht nur Macht und erzeugten Angst, sie dienten darüber hinaus dazu, den Willen der Personen zu brechen und ihnen vor Augen zu führen, welche Gefahren und Folgen subversives Denken sowie Handeln oder aber kleinste Verdachtsmomente bargen. Die staatlichen Sicherheitskräfte wollten dadurch Einfluss auf die Menschen im Hochland nehmen. Sie sollten sich ihnen anschließen oder mindestens kollaborieren oder fliehen. Jedwede andere Form der Reaktion konnte als verdächtig gelten und wiederum eine Bestrafungsaktion heraufbeschwören. Insbesondere Gruppen, die ohnehin im Verdacht standen, also junge indigene Studierende, konnten sich nicht anders schützen, als die Flucht zu ergreifen oder 3 Im zweiten Abschnitt des dritten Kapitels und insbesondere unter Punkt 3.2.3 zeichnet die Arbeit diesen Raum detaillierter nach und macht verständlich, warum er einen spezifischen Rahmen für die Gewalt bildet und hier im Zentrum steht.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

offensichtlich die staatlichen Sicherheitskräfte zu unterstützen.4 Während das Militär seinerseits betonte, dass es nicht wissen konnte, wer ein senderista war und es für sich Verdächtige definierte, wirkt es bei genauerem Hinsehen eher so, dass die Einwohner*innen Ayacuchos als mutmaßliche Subversive begriffen wurden und es an der Bevölkerung lag, das Gegenteil unter Beweis zu stellen. So schufen die staatlichen Sicherheitskräfte eine Situation des Misstrauens, der Verdächtigung und der Angst. Bereits das Umherlaufen in der Nacht war eine Handlung, die nahelegen konnte, dass die Person subversiv sei; die es damit »zu fangen und/oder zu vernichten«5 galt.6 Dies und bereits genannte Gewalterzählungen veranschaulichen, dass sich eine Atmosphäre der kollektiven Unsicherheit in der Bevölkerung verbreitete. Zwar bewirkte der Verlauf des Krieges eine Veralltäglichung dieser Ausnahmesituation und die Gewalt wurde erwartbar, dennoch war es für die lokale Bevölkerung kaum möglich, sich vor den Reaktionen des Staates sowie des Leuchtenden Pfades zu schützen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich Teile der Bevölkerung entschlossen, besagte Rondas Campesinas zu gründen. Ebenso wenig überraschend ist, dass sich eine große Zahl (Ayacucho: 156.000) zur Flucht entschlossen hat.7 In diesem Raum, wie er sich im Hochland entwickelte, war wenig sicher, außer, dass es wieder zu Gewalttaten der einen oder anderen Seite kommen würde. Die staatlichen Sicherheitskräfte sowie der Leuchtende Pfad nutzten ihr Taten zur Kommunikation mit der Bevölkerung und griffen auf die symbolische Wirkung verschiedener Gewaltformen zurück. Ist die Gewalt erstmal zur Interaktionsform geworden und ein Terrain von ihr geprägt, dann fällt es schwer, sie zu beenden.8 Erst, als sich ein autoritäres Regime herauszubilden begann, das Militär die Strategie modifizierte und der Leuchtende Pfad zerfiel, änderte sich das Geschehen im Hochland maßgeblich. Es kam zwar nicht zu einem Ende der staatlichen Gewalt, doch sie wandelte ihr Gesicht. Sinnbildlich dafür können skizzierte Zwangssterilisierungen erachtet werden, die insbesondere ab 1996 durchgeführt wurden. Die Untersuchung kann daher kein einheitliches Bild des Staatsterrors zeichnen, sondern verweist darauf, dass seine Logik sich im Verlauf änderte, wobei vor allem ab 1992 eine neue Phase eingeleitet wurde. Sie ist von einer stärkeren staatlichen Lenkung gekennzeichnet. Sowohl in den 1980er Jahren als auch unter Fujimori nahm der Staatsterror Einfluss auf das Zusammenleben im Hochland. Die Patrouillen, Stützpunkte und 4 Zahlreiche Jugendliche aus dem Hochland waren jedoch auch Kämpfer des Leuchtenden Pfades. 5 Oficio 088-CCFFAA/SG-85, 7. Ejército Peruano, Guerra no Convencional (1989), 106-108. (Hier die übersetzte Variante, siehe Kapitel 5.4.1.). 6 In Kapitel 4.3.3 zeichnet die Arbeit die Wahrnehmung des Feindes nach. 7 Die Wahrheitskommission schätzt die Zahl der Geflohenen oder gewaltsam vertriebenen insgesamt auf ca. eine halbe Million. Siehe CVR, La Violación de los Derechos Colectivos. 8 Auch Felix Schnell beschreibt, dass ein Gewaltraum vor allem in Bürgerkriegen für eine Dauerhaftigkeit der Gewalt sorgen kann. Siehe: Schnell, Semantische Verarmung, 33f.

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Kontrollen prägten jedoch insbesondere zwischen 1983 und 1992 den Alltag sowie das Bild der Städte und Dörfer. Durch ihre Präsenz, die Praktiken und die Ausgestaltung des Ausnahmezustandes verschoben die Militärangehörigen die Möglichkeitsstrukturen des Raumes. Sie schränkten die Bewegungsfreiheit ein, novellierten Hierarchien sowie Zuständigkeiten und griffen in das Leben in den Gemeinden und Städten ein. Sie taten dies, indem sie Orte nun für ihre Zwecke nutzten,9 durch Patrouillen das alltägliche Leben überwachten und sich als einzige funktionierende staatliche Instanz inszenierten. Andersherum wirkten jedoch auch Veränderungen des Raumes auf die Gewalt zurück. Nicht nur die Etablierung eines autoritären Regimes illustriert dies. Auch die Wahl von Alan García und die Reaktion auf das Massaker in Accomarca führten zunächst dazu, dass die Gewalt zurückging. Die Strafverfolgung legte nahe, dass doch nicht alles möglich war und das Handeln kontrolliert wurde. Der Spielraum des Militärs war dadurch für eine kurze Zeit eingeschränkt. Diese Phase, in der die Möglichkeiten begrenzt, die zivile Kontrolle gestärkt wirkte und das Militär zudem in einem Konflikt mit der Regierung stand, ist von weniger Gewalt geprägt.10 Sie endete nicht, sondern flammte wieder auf. Neben den Massakern in den Gefängnissen in Lima (1986) und einer folgenden Stärkung der Allianz von Regierung und Militär, das nun wieder freie Hand hatte, spielte auch die Ausweitung des Konfliktes in andere Regionen sowie eine weitere Offensive des Leuchtenden Pfades eine Rolle, will man die erneute Eskalation Ende der 1980er Jahre verstehen. In Ayacucho, welches zu Beginn des Konfliktes das Zentrum der Gewalt war, stieg die Gewalt zwar ebenfalls an, konnte jedoch nicht annähernd das gleiche Ausmaß wie in den Jahren 1983-1985 erreichen. Dies liegt daran, dass der Leuchtende Pfad in andere Regionen auswich, und dass der Staat seine Kontrolle über Teile dieser Region zurückgewann, selektiver vorging und Maßnahmen für die Bevölkerung etablierte.11 Dennoch kam es zu Gewalteruptionen, wie in Cayara. Trotz eines Rückganges konnten also bestimmte Situationen weiterhin zu einer starken Reaktion der staatlichen Sicherheitskräfte führen, was als ein Sinnbild für die weiterhin angespannte Situation im Hochland in und um Ayacucho angesehen werden kann. Das Militär war also noch immer bereit, seine Macht nachdrücklich zu demonstrieren, wenn es nötig erschien. »Wo Worte nicht viel zählen und ausrichten, muss 9 Insbesondere die Nutzung des Stadions in Huanta als Folterzentrum kann sinnbildlich für diese Entwicklung stehen. 10 Jo-Marie Burt spricht von einem Boykott des Militärs, welches dem neuen Präsidenten nach Accomarca die Unterstützung versagte und so dem Leuchtenden Pfad zu einer erneuten Stärkung verhalf. Siehe Burt, Political Violence, 63. 11 Obwohl insgesamt also die Gewalttaten deutlich anstiegen und von einer erneuten Eskalation gesprochen wird, hat diese einen anderen Charakter und andere territoriale Brennpunkte. Siehe Burt, Political Violence, 66ff. CVR, Anexo Estadístico, 155.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

physische Präsenz und Aktion die eigenen Machtansprüche kommunizieren, sie zugleich repräsentieren und realisieren.«12 Neben diesem kommunikativen Charakter der Gewalt, der in der Bezeichnung »Staatsterror« bereits anklingt, wird in dieser Arbeit ebenfalls ein vernichtender Charakter und somit Züge genozidaler Gewalt herausgearbeitet. Obwohl die Vernichtung sogar als Ziel in den Handbüchern festgehalten wurde, ist es nicht so sehr diese Zielsetzung, die den Schluss zulässt. Die Praktiken des Verschwindenlassens, die Massaker sowie Vergewaltigung und Folter tragen in unterschiedlicher Weise einen vernichtenden Charakter in sich. Eindeutig tritt er beim Verschwindenlassen hervor, das nicht nur die Person auslöscht, sondern auch einen Angriff auf die Erinnerung an deren Existenz darstellt. Nicht einmal als Toter kehrt der Mensch in die Gemeinschaft zurück und Bestattungsrituale bleiben somit versagt; ein Ort zum Trauern fehlt. Durch das Verleugnen der Taten sowie des Aufenthaltsortes negieren die staatlichen Sicherheitskräfte das Dasein des Verschwundenen. Sie zerstören damit soziale sowie familiäre Bindungen. Die Angehörigen – Ehefrauen oder Kinder – wissen nicht, ob der Mann oder Vater zurückkehrt. Sie sind weder Ehefrauen noch Witwen.13 Somit kann das Verschwindenlassen als Angriff auf die Gemeinschaft und ihre sozialen Beziehungen interpretiert werden. Wie im fünften Kapitel bereits beschrieben werden konnte, wirkt dies bis heute nach. Angehörige suchen noch immer nach den Verschwundenen und möchten einen Ort der Trauer sowie Erinnerung schaffen, um mit der traumatischen Erfahrung besser umgehen zu können und die Verschwunden symbolisch zurück in die Gemeinschaft zu holen. Neben diesem auf verschiedenen Ebenen vernichtenden Charakter des Verschwindenlassens tritt dieser ebenfalls bei der Gewaltform des Massakers zutage. Ihre spezifische Eigenschaft ist die Tötung von zahlreichen wehrlosen Menschen und sie geht zudem meist mit der Verwüstung der Ortschaften einher. Sie ist also eine Form der physischen Vernichtung, die für den peruanischen Staatsterror verschiedentlich nachgewiesen werden konnte.14 Obwohl der Einwand aufkommen könnte, dass diese Tötungen innerhalb eines Krieges stattfanden und der Feind somit nicht wehrlos war, stellte die Untersuchung heraus, dass die Gewalt vordergründig die indigene (meist unbewaffnete) Bevölkerung traf und nicht den Leuchtenden Pfad. Der Krieg ist zwar ein wichtiger Rahmen, um die Gewaltauswüchse, die Aktionen und Reaktionen verstehen zu können. Er schließt jedoch nicht aus, dass Gewalt einen genozidalen Charakter annehmen kann – erscheint sogar eher 12 Schnell, Sematische Verarmung, 39. 13 Diese entstehende Unsicherheit und fehlende neue soziale Rollen beschreibt Sylvia Karl eindrücklich für den mexikanischen Fall. Siehe Karl, Kampf um Rehumanisierung, 188ff. 14 Neben den besonders emblematischen Fällen von Accomarca und Cayara existierten noch weitere kleinere Massaker. Die Wahrheitskommission zählt insgesamt 122 solcher Gewalttaten. Sie CVR, Ejecuciones Arbitrarias, 140ff.

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als Nährboden.15 Die Gewalt der peruanischen Sicherheitskräfte richtete sich in diesen Massakern gegen ganze Gemeinschaften und traf neben Frauen auch Kinder. Mindestens die letztgenannte Gruppe muss als wehrlos angenommen werden, sodass deutlich wird, dass sich der Staatsterror insbesondere in der Region Ayacucho in den Jahren 1983-1985 gegen breite Teile der Bevölkerung richtete und Menschen sowie Gemeinschaften nachhaltig beschädigte oder vernichtete. Auch die Gewaltform des Massakers zerstörte soziale Beziehungen und stellte Identitäten infrage. Weniger eindeutig erscheint der vernichtende Charakter der Folter und der Vergewaltigung. Die sexuelle Gewalt kann in zwei verschiedenen Hinsichten als ein Angriff auf die Existenz erachtet werden. Zum einen kann sie die Stellung der Frau in der Gemeinschaft zerstören und das weitere Leben in dieser erschweren oder gar unmöglich machen. Zum anderen wird die Frau als Repräsentation des »Volkskörpers« interpretiert, sodass die sexuelle Gewalt und die damit verbundenen Folgen der Traumatisierung oder auch der sogenannten »Geschenke der Soldaten« einen vernichtenden Einfluss auf die Gruppe haben können. Sie trifft zwar vordergründig die Frau und ihre Identität, in zweiter Linie jedoch die Angehörigen sowie die Gemeinschaft.16 Auf dieser Ebene wirkte ebenso die Folter vernichtend. Sie tötete zwar nicht den Menschen, wollte aber durch die Gewalt die subversiven Gedanken vernichten und die Person brechen. Auch die Folter kann also als ein Angriff auf die Identität des Opfers gedeutet werden. Der Gefolterte sollte sich durch die Pein bewusstwerden – quasi dahingehend erzogen werden, wohin er gehört, auf welcher Seite er zu kämpfen hat und wie er sich verhalten muss, um nicht erneut ähnliche Qualen erleiden zu müssen. Während die staatlichen Sicherheitskräfte forderten, die Subversiven zu vernichten, ging ihre Gewalt physisch häufig mit der Vernichtung der indigenen Bevölkerung einher und war zudem ein Angriff auf die Art und Weise des Denkens und Lebens. Sie zerstörten soziale Beziehungen sowie Rollen, indem sie Verdächtigungen einholten, zum Verrat ermunterten und Nachbarn, Familienangehörige oder Freunde folterten und verschwinden ließen. Die staatlichen Sicherheitskräfte gingen dabei durchaus planvoll vor und ihre Haltung war von einer Geringschätzung der indigenen Bevölkerung geprägt, die sie nicht immer vom eigentlichen Feind – dem Leuchtenden Pfad – unterschied. Vielmehr griff das Militär in Ayacucho Identitäten an, da bereits das Dasein als Student*in oder Bauer als sub15 Diese Einschätzung findet sich auch bei Brandau, Vergewaltigung, 228. Sie beschreibt einen Genozid als mögliche Eskalation von Konflikten. 16 Theidon, Intimate, 135. Zudem findet sich eine genauere Auseinandersetzung in Kapitel 5.1.1.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

versiv eingeschätzt wurde. In dieser Hinsicht sieht die Arbeit genozidale Züge in der Gewaltausübung der staatlichen Sicherheitskräfte.17 Die Arbeit stellte also neben einem kommunikativen ebenso einen vernichtenden Charakter der staatlichen Gewalt heraus. Sie ist nicht als Genozid gemäß der UN-Definition zu begreifen, genozidale Züge konnten jedoch räumlich sowie zeitlich begrenzt herausgearbeitet werden. Im Gewaltraum Ayacucho in den Jahren 1983-1985 traten diese am deutlichsten hervor. Sie wohnten zwar nicht jeder einzelnen Gewalttat inne, dennoch zielte der Staatsterror auf verschiedenen Ebenen auf eine Vernichtung des Feindes ab, der nicht nur die Kämpfer des Leuchtenden Pfades umfasste, sondern vor allem die indigene Bevölkerung traf. Die physische Ebene ist dabei nur eine Dimension, das Denken, das Zusammenleben und das soziale Gefüge sind weitere. Durch die Gewaltpraktiken wurden Menschen also nicht nur verletzt oder ums Leben gebracht. Vielmehr ging ihre Wirkung darüber hinaus und griff das Dasein der indigenen Gemeinschaften an. Damit kann hinsichtlich des Ausgangspunktes der Untersuchung gesagt werden, dass eine Charakterisierung des Staatsterrors in Peru als genozidal nur in engen Grenzen tragfähig ist. Räumlich sowie zeitlich begrenzt zeigt der Staatsterror genozidale Auswüchse, vordergründig ist jedoch über den gesamten Zeitraum seine kommunikative Funktion und sein Dasein als Herrschaftsmittel. Dies erinnert an Jacques Sémelin, der verschiedene Typen genozidärer Prozesse herausstellt.18 Er beschreibt einen Typ als das Vernichten, um zu unterwerfen. Die Arbeit suchte nicht nach einer Typisierung oder einer Schablone. Diese wäre aber die passfähigste. Letztlich ordnet die Arbeit den peruanischen Staatsterror in eine Periode staatlicher Gewalt auf dem lateinamerikanischen Kontinent ein, die unter Einfluss des Denkens des Kalten Krieges stand. Ausgehend davon wäre die Frage interessant, inwiefern auch andere Beispiele von Staatsterror in Lateinamerika, die ebenfalls in diesen Kontext gehören und ideologische Sichtweisen teilten, genozidale Züge in der Gewaltausübung aufwiesen. Methodisch- theoretische Reflexion Mit dem Ziel, einen Beitrag zur Erforschung des Staatsterrors zu leisten und das Konzept genozidaler Gewalt zu prüfen, begann die Untersuchung der staatlichen Gewalt in Peru. Als Mittel für die Analyse lagen der Arbeit eine Mischung verschiedener Methoden zugrunde und auch auf theoretischer Ebene spielten unterschiedliche Perspektiven eine Rolle. In dieser Reflexion möchte ich mich auf zwei Aspekte 17 Diese Form der Vernichtung von Menschen sowie Relationen und Identitäten im Verbund mit der Herausbildung neuer Identitäten macht Daniel Feierstein sogar als Hauptmerkmal genozidaler Praktiken aus. Siehe Feierstein, Genocide, 36f. 18 Sémelin, Säubern, 337f.

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Genozidale Gewalt?

konzentrieren, da sie die zentralen Bausteine waren und andere kleinere Schritte umfassten. Zunächst steht das Gewaltraumkonzept im Vordergrund, bevor ich über die praxeologische Perspektive reflektiere. Die Nutzung des Begriffes »genozidale Gewalt« wurde bereits eingehend diskutiert und kritisch gewürdigt, sodass dies hier nicht nochmals besprochen, sondern auf den Exkurs (in Kapitel 6) verwiesen wird. Wie bereits angedeutet, ist das Gewaltraumkonzept umstritten und mitunter in seiner Verwendung unklar. Daher soll kurz daran erinnert werden, wie es in dieser Arbeit verstanden und gebraucht wurde, bevor der Einsatz hinterfragt wird. Das Gewaltraumkonzept wurde als Analysekategorie genutzt, die dazu dienen sollte, das Geschehen im Hochland besser verstehen zu können. Es stellt das Handeln der Akteure und die Bedingungen des Raumes, den es als u. a. territorial, sozial und kulturell konstituiert begreift, in einen Deutungszusammenhang. Es lenkte daher meinen Blick eben auf die Rahmenbedingungen, die Akteure und insbesondere das Tun der Akteure.19 Dadurch rückten Aspekte, wie der Ausnahmezustand und dessen Durchsetzung, die Patrouillen, Stützpunkte, aber auch Machtstrukturen sowie das Ambiente in das Blickfeld. Ich arbeitete heraus, wie das Militär auf den Raum einwirkte und sich so Möglichkeiten zur Gewalt schuf. Zwar waren die Gewalttaten oft eine Reaktion auf Provokationen und Aktionen des Leuchtenden Pfades. Sie waren jedoch auch Ergebnis der Sichtweisen des Militärs und der erschaffenen Spielräume. Es war dem Militär erlaubt, Häuser zu durchsuchen und Pässe zu kontrollieren oder eine Sperrstunde einzuführen. Die staatlichen Sicherheitskräfte patrouillierten in den Straßen und auf den Wegen. Sie nutzten Kasernen, Stadien und Polizeistationen für Folter und Verschwindenlassen – und sie bauten Öfen, um die Leichen zu beseitigen. Die staatlichen Sicherheitskräfte veränderten also den Raum. Ihr Tun erzeugte neue Anschlusszwänge – für den Leuchtenden Pfad und die Bevölkerung. Dieses Spiel aus Gewalt und Gegengewalt rief ein Ambiente der Angst, der Verdächtigungen und der Unsicherheit hervor. Die Bevölkerung wusste nicht, auf wen sie sich verlassen konnte. Von beiden Seiten wurde sie unter Druck gesetzt, sodass Teile sich einer der Seiten anschlossen oder genannte Rondas Campesinas organisierten. Sie sind ein Zeichen dafür, dass Gewalt zur Interaktionsform wurde und anfängliche Motive im Verlauf des Krieges in den Hintergrund rückten. Die Gewalttaten der ronderos sowie die zahlreichen Vergewaltigungen oder außergerichtlichen Hinrichtungen anderer Konfliksparteien zeigen jedoch auch, dass die Gewalt nicht immer einen Anlass benötigte. In einem Raum, in dem Gewalt in den Alltag einzieht, was für Ayacucho in den 1980er Jahren behauptet werden kann, muss es nicht immer einen nachvollziehbaren Grund für eine Gewalttat geben. Oft 19 Gemeinsam mit der praxeologischen Perspektive, die ähnliche Punkte ins Zentrum rückt, bestimmt dies auch den Aufbau der Arbeit.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

entscheidet die Situation darüber, wie sich Gewalt entwickelt. Beispielhaft können das die Erzählungen über Vergewaltigungen außerhalb der Kasernen belegen. Das Militär nahm seinerseits bewusst Einfluss auf situative Komponenten, indem es für eine Übermacht und Abgeschlossenheit sowie Straffreiheit sorgte und so Massaker nicht forderte, aber ermöglichte. Das Konzept des Gewaltraumes, welches nicht von einem statischen oder festen Terrain ausgeht, welches konstant strukturelle und soziale Merkmale teilt, sondern Dynamiken bedenkt und Veränderungen in den Blick nimmt, konnte die Untersuchung lenken: Zunächst wurden Situationen beschrieben, analysiert und interpretiert, bevor sich einer Charakterisierung des Staatsterrors in Gänze gewidmet werden konnte. Als Analyseinstrument für die Untersuchung von Gewaltphänomenen kann das Konzept des Gewaltraumes durchaus nützlich sein. Fragt man jedoch, wie es zur Gewalt kam, wie man sie beenden oder sie generell verhindern kann, ist das Konzept kaum hilfreich. Der große Nutzen liegt vielmehr darin, dass es Aspekte zusammendenkt, die oft isoliert betrachtet werden. Damit war es ein zentraler und wichtiger Baustein der Analyse, den ich mit einer praxeologischen Perspektive verband, um so noch stärker das Tun und die Routinen in das Zentrum zu rücken. Inwiefern dies passfähig ist, legte ich schon eingangs dar. Daher soll nun reflektiert werden, inwiefern die praxeologische Perspektive bei der Bearbeitung hilfreich war. Wie bereits erwähnt, lenkte sie den Blick und bestimmte das Forschungsdesign mit. Sie war darüber hinaus die Klammer zwischen genozidaler Gewalt und dem Gewaltraumkonzept, die beides zusammenfügte. Sie stattete die Frage nach genozidalen Mustern mit Sinn aus und lieferte zugleich eine methodische Idee. Das Beschreiben und Deuten des Handelns der staatlichen Sicherheitskräfte musste in den Fokus gerückt werden, um so einer praxeologischen Perspektive Genüge zu tun. Kapitel 5 stellt eine innovative Form der Umsetzung dieser Perspektive dar, da kaum klare methodische Vorgaben existieren. Während sich herauskristallisierte, dass sich die Beschreibung einzelner Taten und ein Abgleich mit weiteren Tathergängen zur Analyse der Muster und Routinen anbietet, trat die Quellenproblematik immer wieder zutage. Insbesondere bei der Beschreibung von sexueller Gewalt wird fast ausschließlich auf Opferberichte zurückgriffen und somit nur eine Sichtweise des Tathergangs geboten werden. Es waren dennoch Routinen erkennbar und gängige Praktiken konnten herausgestellt werden. Noch stärker als die anderen Deutungen muss dies jedoch als Annäherung begriffen werden, die eine Täterperspektive nur vereinzelt einfließen lassen konnte. Darüber hinaus ist eine praxeologische Perspektive eine herausfordernde Herangehensweise, die nur in Grenzen erfüllt werden konnte. Insbesondere die Einbettung in den diskursiven Rahmen, der Denkweisen historisiert und zeigt, was sagbar gewesen ist, konnte hier nur in Ansätzen geleistet werden. Etwaige Lücken konnten durch Sekundärliteratur geschlossen werden. Zudem konnte andeutungs-

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Genozidale Gewalt?

weise durch die Interviews der Militärangehörigen in verschiedenen Zeitschriften sowie Berichterstattungen von Soldaten und Journalisten ein Diskursstrang skizziert werden. Damit wurde das Bild des militärischen Denkens, welchem sich durch die Handbücher, Berichte und Evaluationsbögen genähert werden konnte, ergänzt. Die Wichtigkeit einer Annäherung an den Denkstil der staatlichen Sicherheitskräfte offenbarte sich bei der Analyse und Deutung der Gewalt. Dadurch war es möglich, das Vorgehen der staatlichen Sicherheitskräfte einzuordnen und zu historisieren. Es war dafür nicht nur notwendig, den Raum in seinen sichtbaren Bedingungen zu untersuchen, sondern eben auch diese »unsichtbaren Räume« erfassbar zu machen. Die praxeologische Perspektive half also auch dabei, das Gewaltraumkonzept als Analyseinstrument umzusetzen und gab im Gegensatz zu diesem nicht nur Ideen, was untersucht werden sollte, sondern zeigte auch, wie diese Aspekte analysierbar sind. Abschließend lässt sich festhalten, dass diese Perspektivierung Impulse gab und nützlich war, um methodische Bausteine zusammendenken zu können. Der Wert der praxeologischen Perspektive als Gelenkstück zwischen Gewaltraumkonzept und genozidaler Gewalt sowie als methodischer Ideenpool ist hoch und ihr Einfluss in Verbindung mit beiden anderen Konzepten prägend. Insgesamt versteht sich diese Untersuchung daher als Möglichkeit der Gewaltforschung, die nicht vordergründig nach Ursachen sucht, sondern das Handeln – vor allem Routinen – in den Fokus rückt. Eine kritische Würdigung und ein Ausblick Die Wissenschaft soll meist besonders objektiv sein. Dass sie es nicht ist, ist keine neue Erkenntnis.20 »Der Historiker, der sich an der Deutung der Quellen versucht, ist aber selbst eine gewordene, geschichtliche Existenz, die immer schon auf das Verstehen einer Welt hin angelegt ist, einer Welt die sprachlich erfaßt, begriffen und im Sprechen zugleich konstituiert wird.«21 Dennoch fehlt in vielen Arbeiten (mit Ausnahme der Ethnografie/Anthropologie) häufig die Verortung der Forscher*innen in der eigenen Untersuchung.22 Ohne nun »im Sinn einer seelischen Selbstoffenbarung«23 meine eigene Position in der Forschung zu beschreiben, möchte ich eine Reflexion über meine Haltung und den Verlauf des Forschens an das Ende dieser Untersuchung stellen, um so rückwirkend 20 Landwehr, Die Kunst, 12. 21 Jörg Baberowski, Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault. München 2005, 26. 22 Michael Riekenberg, Über die Gewalttheorie von Georges Bataille und ihren Nutzen für die Gewaltsoziologie, in: Comparativ 21, 2011, 116. 23 Landwehr, Die Kunst, 12.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

Ideen, Aussagen sowie Betonungen verständlicher zu machen und zu zeigen, wie die Untersuchung zu dem geworden ist, was sie ist. Seit nun mehr als fast zehn Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema »Gewalt«. Die Frage nach einer angemessenen Untersuchungsmethode, aber auch das Ziel einem Verstehen von Gewaltereignissen näherzukommen, stehen im Zentrum meines Forschungsinteresses. Dies ist der persönliche Anlass der Arbeit und der breiten Methodendiskussion, die am Anfang der Untersuchung ihren Platz fand. Bereits in meiner Bachelorarbeit als auch in der Masterarbeit stand dabei der peruanische Bürgerkrieg im Fokus. Zunächst fragte ich mich, warum die Gewalt eskalierte, widmete mich dann dem Leuchtenden Pfad und einer Charakterisierung seiner Gewalt. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass in der Dissertation die staatliche Gewalt in den Mittelpunkt meines Interesses rückte. Schon während der Auswahl und Konzeption zeigte sich, dass dies ein in vielerlei Hinsicht herausfordernd zu bearbeitendes Thema sein würde, was sich im Forschungsverlauf durch verschiedene Erfahrungen und Episoden teilweise bestätigte.24 Zunächst stellte mich die Suche nach den Quellen vor Schwierigkeiten. Während die Wahrheitskommission bereitwillig im centro de información ihre Unterlagen teilte, lernte ich das peruanische Militär als eine verschlossene Institution kennen; mindestens in Bezug auf die Ereignisse in den 1980er und 1990er Jahren. Wie bereits erwähnt, öffneten sie ihre Archive nicht oder Militärangehörige behaupteten, dass alle Unterlagen verbrannt seien oder ohnehin nicht viel aufgeschrieben wurde. Auch der Kongress, von dem es hieß, dass dort die Kommissionsberichte einsehbar seien, zeigte sich verschlossen. Meine Person wurde überprüft und der Zugang eingeschränkt. Einen Bericht bekam ich daher erst durch einen der Autoren zugespielt.25 Die Tätersicht, die ich gern rekonstruieren wollte, war mir also nur bedingt zugänglich. Dies verstärkte sich noch, als ich mich mit der Literatur über das Militär auseinandersetzte und feststellte, dass mir diese Institution ziemlich fremd ist. Für eine Außenstehende machten es die wenigen Forschungsbeiträge sehr schwer, einen Zugang zu Werten und Normen zu erlangen, die prägend für die Praktiken und den Alltag der Institution waren. Auch ein Interview mit einem General offenbarte das Vorurteil, dass ich als Frau kaum verstehen könne, wie das Militär funktioniere und was in einem Krieg geschehe. Obwohl also die Analyse das Militär ins Zentrum stellte und Denk- und Sichtweisen ermitteln wollte, können diese nur aus einer distanzierten Position beschrieben werden. Das schmälert nicht den Wert der Untersuchung, verortet sie aber. Es ist die Forschung einer Frau, die zum 24 Ich will nun nicht die verschiedenen Geschichten des sehr spannenden Forschungsverlaufs und der Aufenthalte in Peru nacherzählen, jedoch gern einer Episode Platz geben, da sie besonders in Erinnerung geblieben ist und meine Haltung beeinflusste. 25 Der Bericht über das Geschehen in den Gefängnissen durfte nicht eingesehen werden, obwohl dieser eigentlich zugänglich sein müsste und sogar publiziert wurde.

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Genozidale Gewalt?

einen von außen auf die Institution blickt und darüber hinaus von außerhalb Perus auf die Geschichte dieses Landes schaut. Auch Letzteres begreife ich nicht als Nachteil, aber als Aspekt, der meine Forschung beeinflusste. Als Außenstehende und bewusst Ausgeschlossene ist es mir möglich, Prozesse, Ist-Zustände und Normen zu hinterfragen, die Insidern als allzu normal und etabliert vorkommen. Die freie Diskussion des umstrittenen Begriffes »genozidaler Gewalt« war mir dadurch möglich. Innerhalb der peruanischen Gesellschaft wäre dies weniger einfach gewesen, da der Aufarbeitungsdiskurs – wie verschiedentlich gezeigt – komplex und emotional aufgeladen ist. Zudem ließ dieser Blick von außen eine gewisse Distanz zum Gegenstand zu, da er mich nicht so stark betraf wie die Menschen in der peruanischen Gesellschaft, die mitunter noch stark unter dem Geschehenen leiden. Während es mir im Forschungsprozess schwerfiel, einen Zugang zum Hauptakteur meiner Arbeit zu finden und mich in ihn hineinzuversetzen, beeindruckte mich der Aufenthalt im Hochland in Huamanga umso mehr. Insbesondere das Treffen mit Vertreterinnen der ANFASEP hinterließ Spuren. Sie zeigten mir nicht nur ihr Museum, das Massengrab und den Verbrennungsofen, sondern erzählten ihre Version des Bürgerkrieges. Dies machte mir nochmals bewusst, dass die Quellen, die ich las, eben nicht nur Schriftstücke sind, sondern Geschichten von Menschen. Das steigerte zum einen die Betroffenheit, verdeutlichte mir zum anderen aber, dass der Umgang mit den Schilderungen der Opfer ein wichtiger Teil der Arbeit sein sollte. Wie verschiedentlich erwähnt, sind die testimonios eine Quellenart, die mit Vorsicht zu behandeln ist, da sie durch ihre Emotionalität sowie ihren Entstehungshintergrund verzerren und die etablierte Dichotomisierung von Freund und Feind reproduzieren. Gleiches gilt jedoch auch für die Dokumente des Militärs. Auch in ihnen finden sich normative Vorstellungen von richtig oder falsch, Freund und Feind. Sich nur auf diese zu stützen und sich unreflektiert mit ihnen auseinander zu setzen, birgt die Gefahr, eine vergangene Realität fortzusetzen.26 Als Ergänzung, teilweise Kontrast und mitunter als Bestätigung zu militärischen Quellen waren die testimonios für die Arbeit also von großem Wert. Sie zeichneten das Geschehen nach, sodass im Abgleich Muster des militärischen Handelns herausgearbeitet werden konnten. Sie sind außerdem eine wichtige Stimme im Aufarbeitungsdiskurs, die trotz unterschiedlicher Bemühungen nur wenig Deutungshoheit hat. Dass sie ihren Platz in der Untersuchung fanden ist also vordergründig wissenschaftlichen, jedoch auch politischen sowie emotionalen Erwägungen geschuldet. Für ein tieferes Eindringen in das militärische Denken und eine Nachzeichnung einer Tätersicht »von unten«, wie ich sie ursprünglich plante, wäre weitere Forschungsarbeit nötig. Eine Befragung von Soldaten könnte das Bild, das hier 26 Katharina Lenski, Der zerbrochene Spiegel. Methodische Überlegungen zum Umgang mit StasiAkten, in: Joachim von Puttkammer (Hg.), Die Securitate in Siebenbürgen. Köln 2014, 116.

7. Fazit und Schlussbemerkungen

gezeichnet wurde, ergänzen. In der Arbeit wurde herausgestellt, dass die Truppen dezentral agierten. Die Untersuchung verschiedener Einheiten stelle ich mir daher als besonders lohnenswert vor. Dadurch könnten Aspekte, die hier häufig auf einer Meso- oder Makroebene beschrieben wurden, durch eine Mikroebene bereichert werden. Darüber hinaus müsste eine weiterführende Forschung mit den Quellen aus dem Militärarchiv arbeiten. Dort vermute ich zahlreiche Situations- und Operationsberichte sowie weitere Personalbögen. Möglicherweise können auch Befehle gefunden werden. Eine Arbeit mit diesen Quellen würde es möglich machen, hier herausgearbeitete Ergebnisse zu überprüfen, zu ergänzen oder zu überdenken. Im Moment erscheint eine Öffnung dieser Archive jedoch als wenig realistisch. Diese Arbeit versteht sich daher als einen nicht unwesentlichen Schritt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie charakterisierte nicht nur den Staatsterror ausgehend von einer Analyse genozidaler Muster, sondern rückte das Beispiel stärker in einen internationalen Kontext, sodass weitere Vergleichsstudien naheliegen. Sie könnten sich mit der Geschichte der staatlichen Gewalt in der zweiten Hälfte den 20. Jahrhunderts auf dem lateinamerikanischen Kontinent beschäftigen und die nahezu isoliert betrachteten Ereignisse aus Chile, Argentinien, Guatemala und Peru in einen Deutungszusammenhang stellen.

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8. Quellen- und Literaturverzeichnis

8.1.

Quellen

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Genozidale Gewalt?

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8. Quellen- und Literaturverzeichnis

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Testimonios 100004, 100044, 100045, 100046, 100049, 100063, 100075, 100088, 100167, 100169, 100205, 100936, 102099, 200012, 200198, 200330, 200355, 200366, 200376, 200434, 200448 200568, 200577, 200591, 200727, 200920, 201211, 201242, 201353, 201361, 201353, 201538, 201610, 201612, 201614, 201616, 201617, 201618, 201620, 201621, 201625, 201628, 201630, 201631 201632, 201633, 201636, 201723, 201792, 202064, 202077 202288, 202539, 202588, 202539, 202564, 202565, 202697, 202743, 202751, 203021, 203431, 204063, 204573, 204787, 204788, 204813, 204841, 204899, 204930, 204935, 204992, 204994, 205029, 205228, 300034, 300556, 300578, 301010, 301012, 301024, 301030 301351, 301684, 301742, 302030, 302389, 302692, 305043, 305943, 311052, 314035, 407606, 411311, 417512, 420122, 425023, 425065, 430089, 435017, 435099, 440019 500204, 500218, 500973, 510185, 520257, 700029, 700164, 700165, 700276, 700326, 700348, 700828, 733012 738012, 750087 Zeitungsartikel Actualidad Militar, Soldado de la Disciplina y Orden, März 1988, 20f. Actualidad Militar, El Por Qué de Nuestra Lucha, (Jan./Feb.) 1989, 5 Actualidad Militar, Subversión. 8 Años Después, 1989, 12f. Jean-Pierre Boris/Jan Thielen, Testimonio de un Senderista, in: debate 1985 Caretas, Habla Juliá, 22.10.1984, 20ff. Caretas, Nosotros no Ocultamos Nada, 16.09.1985 Caretas, ¿Que paso en el EP? 13.01.1986, 12f. Caretas, La Versión de Monzón, 10.02.1986, 24ff. Caretas, Contrainsurgencia. ¿Se hecho algo? 19.05.1986 Caretas, Lo Peor Es no Hacer Nada, 03.04.1989, 16-19 Kausachum, Nos Obligan a Matar, 16.07.1983, 12f. Kausachum, La Orden Era Matar a Todo Sujeto Después de las 10 de la Noche, 16.07.1983, 14 La República, Genocidio den Llocllapampa, 22.11.1985, 5 Marka, Accomarca: Asi Fue el Massacre, 12.09.1985 Quehacer, Ayacucho: La Espera del Gaucho, 01/1983 Quehacer, Los Derechos Humanos en el Perú. Comisión Pérez Esquivel: Un Dramático Llamado. Lima 1986, 35 Quehacer, La Pensamiento de las Fuerzas Armadas en la Presente Coyuntura. Julián Juliá. Lima 1985, 10ff. Juan Velasco Alvarado, Message to the Nation on the Agrarian Reform, From the President of the Republic of Peru, in: International Journal of Politics 1, 1969, 200-211    

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Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Gertrude Cepl-Kaufmann

1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6

Eva von Contzen, Tobias Huff, Peter Itzen (Hg.)

Risikogesellschaften Literatur- und geschichtswissenschaftliche Perspektiven 2018, 272 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4323-7 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4323-1

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Geschichtswissenschaft Gertrude Cepl-Kaufmann, Jasmin Grande, Ulrich Rosar, Jürgen Wiener (Hg.)

Die Bonner Republik 1945–1963 – Die Gründungsphase und die Adenauer-Ära Geschichte – Forschung – Diskurs 2018, 408 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 39,99 € (DE), 978-3-8376-4218-6 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4218-0

Julia A. Schmidt-Funke, Matthias Schnettger (Hg.)

Neue Stadtgeschichte(n) Die Reichsstadt Frankfurt im Vergleich 2018, 486 S., kart., Abb. 49,99 € (DE), 978-3-8376-3482-2 E-Book: 49,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3482-6

Nele Maya Fahnenbruck, Johanna Meyer-Lenz (Hg.)

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