Geist und Unsterblichkeit: Grundprobleme der Religionsphilosophie und Eschatologie im Denken Søren Kierkegaards 9783110313185, 9783110306903

Although Kierkegaard’s conception of himself as being a “religious writer” is generally known, the dogmatic aspect of hi

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Geist und Unsterblichkeit: Grundprobleme der Religionsphilosophie und Eschatologie im Denken Søren Kierkegaards
 9783110313185, 9783110306903

Table of contents :
Vorwort
Einleitung
Teil I Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie
1 Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus
1.1 Negative versus natürliche Theologie
1.1.1 Die Apophase als Grundbestimmung der Dialektik der Brocken
1.1.2 Climacus’ Apophase im Kontext der zeitgenössischen Debatte über Rationalismus und Supranaturalismus
1.2 Die Aufhebung der natürlichen Theologie
1.2.1 Aufhebung als Negation
1.2.2 Aufhebung als Aufbewahren
2 Vernunft und Offenbarung. Transzendentale versus existenziale Interpretation der Offenbarung in Fichtes früher Religionsphilosophie und in den Climacus-Schriften
2.1 Fichtes Ansatz einer transzendentalphilosophischen Begründung der Offenbarung in seinem Versuch einer Kritik aller Offenbarung
2.2 Von der transzendentalen zur existierenden Subjektivität: Die Modifikation der Offenbarungsthematik in Kierkegaards Schriften
2.2.1 Furcht statt Ehrfurcht: Johannes de silentios Destruktion der moralischen Religionsauslegung
2.2.2 Die Dialektik der Offenbarung
2.3 Das Problem der Offenbarung in den Climacus-Schriften
2.3.1 Die Grenzen der bloßen Vernunft: Die Unmöglichkeit einer jeden theologia naturalis und das Geheimnis der Offenbarung
2.3.2 Die Geschichtlichkeit der Offenbarung
2.4 Subjektivität und Offenbarung: Fichtes frühe Offenbarungskonzeption im Spiegel von Kierkegaards Reflexionen
3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierke gaards Eine literarische Anzeige und in Schleier machers Monologen
3.1 Kierkegaards religiöse Anzeige über „die Gegenwart“
3.1.1 Der Wendepunkt des schriftstellerischen Schaffens
3.1.2 „Reflexion“ versus „Leidenschaft“
3.1.3 Das examen rigorosum der Nivellierung
3.2 Zivilisationskritik und Krisendiagnose in Schleiermachers Monologen
3.2.1 Bemerkungen zum Verhältnis Kierkegaard – Schleiermacher
3.2.2 Die Zeitdiagnose der Monologen
Teil II Kierkegaards Verständnis von Feuerbach, Vorläufer der deutschen Unsterblichkeitsdebatte
1 Kierkegaards Beziehung zu Feuerbach im Spiegel der Forschungsgeschichte
2 Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie Mitte des 19. Jahrhunderts
3 Die Beziehung Kierkegaards zu den dänischen Linkshegelianern
4 Kierkegaards Feuerbach-Bild
4.1 Analyse der „textuellen Präsenz“ Feuerbachs in den Schriften Kierkegaards
4.2 Kierkegaards Reflexionen über Das Wesen des Christentums
4.3 Ein „geärgerter Freidenker“ im Dienste des Christentums
5 Die Ambiguität von Kierkegaards Feuerbachbild
Teil III Umstrittene Unsterblichkeit: Kierkegaards Konzeption im Kontext der zeitgenössischen Debatten
1 Aufgehobene Unsterblichkeit: Der Streit um die idealistische Deutung der Unsterblichkeitsproblematik
1.1 Die Unsterblichkeitsproblematik in Kants Philosophie und im Deutschen Idealismus
1.2 Von der religiösen Vorstellung zum philosophischen Begriff: Die Frage nach der Unsterblichkeit in Hegels Philosophie
1.2.1 Die Unsterblichkeitsproblematik im Hegelschen System
1.2.2 Die Ewigkeit des Geistes: Die spekulative Deutung der Unsterblichkeit in den religionsphilosophischen Vorlesungen
1.3 Der status questionis in Hegels letzten Jahren in Berlin
1.4 Der Ausbruch der Debatte nach der Veröffentlichung von Hegels religionsphilosophischen Vorlesungen
1.4.1 Die Hegelsche Schule und die Anfänge der Kontroverse
1.4.2 Die kritische Rezeption von Hegels Philosophie in der „Katholischen Tübinger Schule“
1.5 Die Unsterblichkeitsfrage in Dänemark: Entwicklungen einer verzögerten Debatte
1.5.1 Die Vorgeschichte des Streites: Heibergs Versuch einer Verbreitung des Hegelschen Denkens
1.5.2 Møllers offene Kritik an Hegel und der Ausbruch des Streites
1.5.3 Aporien und Lösungsansätze
2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen: Reflexionen auf die Unsterblichkeitsproblematik in Søren Kierkegaards Schriften
2.1 Subjektivität und Unsterblichkeit
2.1.1 Die formale Struktur der Frage
2.1.2 Die Dialektik des Unsterblichwerdens
2.2 Das Paradox der Unsterblichkeit in der Dissertation und in den pseudonymen Schriften
2.3 Die Erörterung der Unsterblichkeitsproblematik in den Christlichen Reden und im Nachlass
2.3.1 Das Furchtbare daran, sich selbst unsterblich zu denken
2.3.2 Die Unsterblichkeitsproblematik im Nachlass
2.3.3 Rückblick: Die Aufhebung der psychologia rationalis und der Aufbruch der Existenzdialektik im Denken Kierkegaards
Teil IV Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards
1 Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’
1.1 Kierkegaard und das Problem der Irrationalität
1.2 Der Glaube außerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft
1.2.1 Ist der Glaube ein formaler Widerspruch?
1.2.2 „Glauben ist Sein“: Der Glaube als Existenzmöglichkeit
1.3 Vom paradoxen zum philosophischen Glauben
2 Zwischen Hegel und Kierkegaard: Der Weg der natürlichen Theologie im Denken Karl Rahners
2.1 „Gott ist nicht neidisch“: Die Frage nach der Möglichkeit der natürlichen Theologie in Hegels Philosophie
2.2 Rahners ontologische Fragestellung
2.3 Der freie Unbekannte: Existenziale Analytik und natürliche Theologie in Hörer des Wortes
2.4 Die Existenzdialektik der Philosophischen Brocken
2.5 „Ist Gott unbekannt? Ist er offenbar wie der Himmel?“
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln
Personenregister
Sachregister

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István Czakó Geist und Unsterblichkeit

Kierkegaard Studies

Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Šajda

Monograph Series 29 Edited by Heiko Schulz

István Czakó

Geist und Unsterblichkeit Grundprobleme der Religionsphilosophie und Eschatologie im Denken Søren Kierkegaards

DE GRUYTER

Kierkegaard Studies Edited on behalf of the Søren Kierkegaard Research Centre by Heiko Schulz, Jon Stewart and Karl Verstrynge in cooperation with Peter Šajda Monograph Series Volume 29 Edited by Heiko Schulz Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen und mit finanzieller Unterstützung des Forschungs­ stipendiums Bolyai János der Ungarischen Akademie der Wissenschaften verfasst.

ISBN 978-3-11-030690-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-031318-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038320-1 ISSN 1434-2952 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die vorliegende Arbeit bietet einen Überblick über die Ergebnisse einer Forschungsarbeit, die ich in den letzten anderthalb Jahrzehnten dem dänischen Denker und Schriftsteller Søren Kierkegaard (1813–55) sowie dem philosophischen Kontext seines Werkes gewidmet habe. In diesem Zeitraum habe ich zu verschiedenen Themenbereichen der Kierkegaard-Forschung gearbeitet, mein Interesse richtet sich dabei aber durchgängig auf die philosophisch-theologischen Grenzfragen im Denken Kierkegaards. Besonders die deutschen und dänischen Unsterblichkeitsdebatten, die den geschichtlichen Kontext der eigentümlichen Unsterblichkeitskonzeption Kierkegaards bilden, weckten im Detail mein verstärktes Interesse. Meine Forschungsergebnisse auf diesem Feld machen den Schwerpunkt des vorliegenden Werkes aus. Da dieser Problemkomplex bisher nur wenig diskutiert wird, möchte diese Arbeit dazu beitragen, die Aufmerksamkeit verstärkt auf jenen interdisziplinären Grenzbereich zu lenken. Darüber hinaus werden hiermit religionsphilosophische Erwägungen veröffentlicht, die die spezifische Religions- und Existenzkonzeption Kierkegaards zu erläutern versuchen. Sie zielen darauf, einige Aspekte des Kierkegaardschen Denkens herauszustellen, die mit der Unsterblichkeitsproblematik – wenn auch gelegentlich nur indirekt – in Zusammenhang stehen. Als Exkurs zeigt ein rezeptionsgeschichtliches Kapitel im Hinblick auf Karl Jaspers und Karl Rahner, wie Kierkegaards Religionskonzeption in der Philosophie und Theologie des 20. Jahrhunderts aufgenommen wurde. Meine Forschung wurde durch Stipendien ermöglicht: So erhielt ich im Jahre 1999 ein Stipendium der Ungarischen Stipendienkommission und des Dänischen Rektorenkollegiums, im Jahre 2001 folgte ein dreijähriges Forschungsstipendium des Ungarischen Bildungsministeriums. Für die großzügige Unterstützung danke ich den genannten Institutionen hiermit sehr herzlich. Vor allem fühle ich mich der Ungarischen Akademie der Wissenschaften zu großem Dank verpflichtet, die es mir durch die großzügige Bewilligung eines Forschungsstipendiums Bolyai János in den Jahren von 2011–2012 ermöglichte, meine Ergebnisse für die vorliegende Publikation vorzubereiten. Dank dieser wissenschaftlichen Förderung konnte ich im Wintersemester 1999/2000 drei Monate, ab 2001 regelmäßig mehrere Wochen am Søren Kierkegaard Forschungszentrum in Kopenhagen verbringen. Für die Förderung meiner Arbeit im Zentrum bedanke ich mich beim damaligen Direktor Niels Jørgen Cappelørn ganz herzlich. Insbesondere gilt mein Dank Prof. Jon Stewart, Forskningslektor am Zentrum, der durch seinen unermüdlichen Beistand und wertvolle Hinweise meine Forschung begleitet und bereichert und mich darüber hinaus in weitere Forschungsprojekte einbezogen

VI 

 Vorwort

hat. Mein Dank gilt ferner Prof. Poul Lübcke für seine freundlichen Ratschläge zur Gestaltung meines Projektes. Dieses Buch ist die stark umgearbeitete Version meiner philosophischen Habilitationsschrift, die im Jahre 2011 von der Universität zu Szeged angenommen wurde. Für die vielseitigen Unterstützungen möchte ich den Professoren Zoltán Gyenge und Dezső Csejtei sowie meinem Institut, der Fakultät für Philosophie und Sozialwissenschaften der Katholischen Péter-Pázmány-Universität, meinen Dank aussprechen. Für zahlreiche inspirierende Diskussionen in- und außerhalb des Kopenhagener Forschungszentrums bin ich vor allem Katalin Nun, Richard Purkarthofer, Peter Šajda, Karl Verstrynge, Anita Soós, Gerhard Schreiber, Markus Kleinert, Brian Söderquist, William McDonald, Darío González, Ettore Rocca, Sándor Őze und Harald Steffes überaus dankbar. Diese Arbeit hätte nicht abgeschlossen werden können ohne die freundliche Unterstützung und die wertvollen Anregungen von Prof. Heiko Schulz, Mitherausgeber der Kierkegaard Studies. Monograph Series, und Dr. Albrecht Döhnert, Editorial Director des Walter de Gruyter Verlages, denen ich hiermit meinen besonderen Dank ausspreche. Für die sorgfältigen sprachlichen Korrekturen bedanke ich mich bei Anne Rachut, Mirjam Raupp und Zoltán Hidas ganz herzlich. Einzelne Ergebnisse meiner Forschungen wurden zunächst auf internationalen Konferenzen vorgetragen und separat veröffentlicht; sie sind direkt oder indirekt in den vorliegenden Band eingegangen (vgl. den Nachweis der Erstveröffentlichungen am Ende dieses Bandes). Für die Bereitschaft zur Aufnahme dieser Texte in die vorliegende Monografie bin ich u.a. den Verlagen Walter de Gruyter und Mohr Siebeck zu Dank verpflichtet. Die Formatierungsarbeiten des Manuskriptes wurden von der Firma Innovative Solutions sowie von der Stiftung Közép-Európai Régiók Kutatásáért und von dem Forschungsprogramm „A keresztény filozófia új útjai“ (KAP-1.1-14/009) des Instituts für Christliche Philosophie der Katholischen Péter-Pázmány-Universität grosszügig unterstützt, auch hierfür mein herzlicher Dank. Ein besonderer Dank gilt meiner Familie, meinen Eltern und Brüdern sowie meiner Frau Dóra Döbrössy und meinen Kindern Ágnes, Benedek und Veronika. Ihre Liebe und ihr Verständnis haben mir während meiner Arbeit sehr geholfen. Ihnen sei dieses Buch in Dankbarkeit gewidmet. István Czakó, im März 2014

Inhalt Vorwort 

 V

Einleitung 

 1

Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 2

2.1

2.2

2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4

Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus   17 Negative versus natürliche Theologie   19 Die Apophase als Grundbestimmung der Dialektik der Brocken   19 Climacus’ Apophase im Kontext der zeitgenössischen Debatte über Rationalismus und Supranaturalismus   22 Die Aufhebung der natürlichen Theologie   27 Aufhebung als Negation   27 Aufhebung als Aufbewahren   29 Vernunft und Offenbarung. Transzendentale versus existenziale Interpretation der Offenbarung in Fichtes früher Religionsphilosophie und in den Climacus-Schriften   31 Fichtes Ansatz einer transzendentalphilosophischen Begründung der Offenbarung in seinem Versuch einer Kritik aller Offenbarung   33 Von der transzendentalen zur existierenden Subjektivität: Die Modifikation der Offenbarungsthematik in Kierkegaards Schriften   40 Furcht statt Ehrfurcht: Johannes de silentios Destruktion der moralischen Religionsauslegung   40 Die Dialektik der Offenbarung   43 Das Problem der Offenbarung in den Climacus-Schriften   46 Die Grenzen der bloßen Vernunft: Die Unmöglichkeit einer jeden theologia naturalis und das Geheimnis der Offenbarung   47 Die Geschichtlichkeit der Offenbarung   49 Subjektivität und Offenbarung: Fichtes frühe Offenbarungskonzeption im Spiegel von Kierkegaards Reflexionen   53

VIII 

 Inhalt

3

Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige und in Schleiermachers Monologen   56 Kierkegaards religiöse Anzeige über „die Gegenwart“   58 Der Wendepunkt des schriftstellerischen Schaffens   58 „Reflexion“ versus „Leidenschaft“   61 Das examen rigorosum der Nivellierung   64 Zivilisationskritik und Krisendiagnose in Schleiermachers Monologen   68 Bemerkungen zum Verhältnis Kierkegaard – Schleiermacher  Die Zeitdiagnose der Monologen   70

3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.2.1 3.2.2

 68

Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach, Vorläufer der deutschen Unsterblichkeitsdebatte 1

Kierkegaards Beziehung zu Feuerbach im Spiegel der Forschungsgeschichte   78

2

Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie Mitte des 19. Jahrhunderts   80

3

Die Beziehung Kierkegaards zu den dänischen Linkshegelianern 

4 4.1 4.2 4.3

 88 Kierkegaards Feuerbach-Bild  Analyse der „textuellen Präsenz“ Feuerbachs in den Schriften Kierkegaards   88 Kierkegaards Reflexionen über Das Wesen des Christentums   89 Ein „geärgerter Freidenker“ im Dienste des Christentums   91

5

Die Ambiguität von Kierkegaards Feuerbachbild 

 86

 94

Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit: Kierkegaards Konzeption im Kontext der zeitgenössischen Debatten 1 1.1

Aufgehobene Unsterblichkeit: Der Streit um die idealistische Deutung der Unsterblichkeitsproblematik   99 Die Unsterblichkeitsproblematik in Kants Philosophie und im Deutschen Idealismus   103

Inhalt 

1.2 1.2.1 1.2.2

1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.5 1.5.1 1.5.2 1.5.3 2

2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3

 IX

Von der religiösen Vorstellung zum philosophischen Begriff: Die Frage nach der Unsterblichkeit in Hegels Philosophie   105 Die Unsterblichkeitsproblematik im Hegelschen System   106 Die Ewigkeit des Geistes: Die spekulative Deutung der Unsterblichkeit in den religionsphilosophischen Vorlesungen   109 Der status questionis in Hegels letzten Jahren in Berlin   115 Der Ausbruch der Debatte nach der Veröffentlichung von Hegels religionsphilosophischen Vorlesungen   120 Die Hegelsche Schule und die Anfänge der Kontroverse   120 Die kritische Rezeption von Hegels Philosophie in der „Katholischen Tübinger Schule“   126 Die Unsterblichkeitsfrage in Dänemark: Entwicklungen einer verzögerten Debatte   128 Die Vorgeschichte des Streites: Heibergs Versuch einer Verbreitung des Hegelschen Denkens   130 Møllers offene Kritik an Hegel und der Ausbruch des Streites   134 Aporien und Lösungsansätze   138 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen: Reflexionen auf die Unsterblichkeitsproblematik in Søren Kierkegaards Schriften   142 Subjektivität und Unsterblichkeit   144 Die formale Struktur der Frage   144 Die Dialektik des Unsterblichwerdens   147 Das Paradox der Unsterblichkeit in der Dissertation und in den pseudonymen Schriften   149 Die Erörterung der Unsterblichkeitsproblematik in den Christlichen Reden und im Nachlass   155 Das Furchtbare daran, sich selbst unsterblich zu denken   155 Die Unsterblichkeitsproblematik im Nachlass   158 Rückblick: Die Aufhebung der psychologia rationalis und der Aufbruch der Existenzdialektik im Denken Kierkegaards   161

X 

 Inhalt

Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards 1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’   165 Kierkegaard und das Problem der Irrationalität   167 Der Glaube außerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft   174 Ist der Glaube ein formaler Widerspruch?   174 „Glauben ist Sein“: Der Glaube als Existenzmöglichkeit   180 Vom paradoxen zum philosophischen Glauben   182 Zwischen Hegel und Kierkegaard: Der Weg der natürlichen Theologie im Denken Karl Rahners   190 „Gott ist nicht neidisch“: Die Frage nach der Möglichkeit der natürlichen Theologie in Hegels Philosophie   193 Rahners ontologische Fragestellung   196 Der freie Unbekannte: Existenziale Analytik und natürliche Theologie in Hörer des Wortes   199 Die Existenzdialektik der Philosophischen Brocken   202 „Ist Gott unbekannt? Ist er offenbar wie der Himmel?“   205

Schlussbemerkungen  Literaturverzeichnis 

 208  215

Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln  Personenregister  Sachregister 

 236

 233

 231

Einleitung Der dänische Denker und Schriftsteller Søren Kierkegaard (1813–55) gehört zweifellos zu jenen enigmatischen Figuren des 19. Jahrhunderts, deren „unzeitgemäße Betrachtungen“ erst nach mehreren Jahrzehnten des Unverständnisses und Schweigens ihre eigentliche Wirkung entfalten konnten. Während dieses Schicksal auch prominenten Denkern wie Schopenhauer und Nietzsche widerfuhr, wurde die Rezeption des Kierkegaardschen Denkens ferner dadurch erschwert, dass er seine Schriften (einschließlich seiner Dissertation) einerseits konsequent in seiner Nationalsprache publizierte, andererseits gar nicht erst versuchte – anders als seine namhaften Zeitgenossen H. Steffens, J. L. Heiberg, P. Hjort, F. C. Sibbern u.a. –, in der deutschen philosophischen Szene aufzutreten. Obgleich seine Werke durch die mit der Zeit (besonders ab 1909) wachsenden Zahl von Übersetzungen sowohl für die akademische Philosophie und Theologie als auch für das breitere Publikum zugänglich gemacht wurden, lenkten die in den Übersetzungen notwendigerweise implizierten Interpretationen das allgemeine Verständnis ab ovo in bestimmte Richtungen. Nicht zuletzt deshalb konnten sehr verschiedene Kierkegaard-Bilder besonders in der frühen Phase der Rezeption entstehen, die von der Figur des skeptischen Dandys bis zu der des eminent Gläubigen reichen, von denen einige – mit Alastair McKinnon gesprochen – zu Recht als „Phantom-Kierkegaard“ gekennzeichnet werden können.1 Neuere Tendenzen gegenwärtiger Forschung, welchen auch diese Arbeit folgt, streben, jene Orientierungen der Philosophiegeschichtsschreibung zu revidieren und sie durch eine eingehende Rekonstruktion des historischen Kontextes des Denkens Kierkegaards zu entmythologisieren. Jene mannigfaltige Kierkegaard-Rezeption, die sich in Ungarn entwickelt hat, umfasst eine reiche und spannende Geschichte, die im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, d.h. beinahe gleichzeitig mit der deutschen philosophischen

1 McKinnon kritisiert besonders die irrationalistische Kierkegaard-Auslegung in der dialektischen Theologie des frühen Karl Barth. Siehe dazu: Alastair McKinnon, „Barths Verhältnis zu Kierkegaard“, Evangelische Theologie, Bd. 30, 1970, S. 57–69.

2 

 Einleitung

Rezeption2 ihren Anfang genommen hat.3 Obwohl die vorliegende Untersuchung bisweilen aus den Ergebnissen der herkömmlichen Auslegungen schöpft, weicht sie von ihnen in ihrer Methode, ihrer Fragestellung und ihrem Forschungsinteresse beträchtlich ab und wendet sich jener stark philologisch orientierten, philosophiegeschichtlichen Forschung zu, die ich während meiner Aufenthalte in Kopenhagen und aus der rezenten Fachliteratur, besonders durch die Werke von Jon Stewart, Bruce Kirmmse, George Pattison, Hermann Deuser, Merold Westphal, Alastair Hannay, Heiko Schulz, Poul Lübcke und Arne Grøn, kennengelernt habe. Diese Forschungsrichtung weist zwar umfassende philosophische Fragestellungen keinesfalls als irrelevant ab, ebenjene Auslegungen finden aber erst durch stets genaueste Kontextualisierungen und philologische Fundierungen ihren Ort. Nach meiner Erfahrung eröffnet dieser Habitus tatsächlich neue Horizonte für das Verständnis Kierkegaards und ermöglicht eine differenzierte Erfassung und Darstellung derjenigen Probleme, die in der Vergangenheit meist vereinfacht und dadurch nur schemenhaft erörtert, bisweilen sogar missdeutet wurden. Freilich führen die Rekonstruktion des Kontextes und die philologische Untersuchung an sich keineswegs unmittelbar zum Verständnis eines Denkers, jedoch bilden sie im Falle Kierkegaards häufig eine conditio sine qua non der Interpretation seiner Schriften. Der Ausblick auf das zeitgenössische dänische Geistesleben und das philologische Interesse bilden deshalb keine sekundären Begleitmomente der heutigen Kierkegaard-Forschung, sondern einen integralen Bestandteil derselben.

2 Obgleich Kierkegaards Name in Deutschland bereits 1842, in Andreas Frederik Becks Besprechungen von Der Begriff Ironie in Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst (Bd. 222, 1842, S. 885–888; Bd. 223, 1842, S. 889ff.) auftaucht und einige seiner bedeutenden Werke relativ früh ins Deutsche übersetzt wurden (Einübung in Christentum 1878; Die Krankheit zum Tode 1881; Furcht und Zittern 1882; Entweder-Oder 1885; Stadien auf dem Lebenswege 1886), kann die erste Phase der deutsche Kierkegaard-Rezeption (1840–1899) – mit Heiko Schulz – als eine „unproduktive Prärezeption“ bezeichnet werden. Die breite philosophische Rezeption hängt mit der Veröffentlichung der von Hermann Gottsched und Christoph Schrempf besorgten ersten Gesamtausgabe (Bde. 1–12, Jena: Diederichs, 1909–1922) eng zusammen. Siehe dazu die gründliche Studie von Schulz, “Germany and Austria: A Modest Head Start: The German Reception of Kierkegaard”, in Kierkegaard’s International Reception, Tome I, Northern and Western Europe, hg. von Jon Stewart, Farnham 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 8), S. 307–419. 3 Siehe dazu: Zoltán Gyenge, „Kierkegaard-Forschung in Ungarn. Vergangenheit und Gegenwart“, Kierkegaard Studies Yearbook, 2000, S. 341–357., András Nagy, “Hungary: The Hungarian Patient”, in Kierkegaard’s International Reception, Tome II, Southern, Central and Eastern Europe, hg. von Jon Stewart, Farnham 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 8), S. 155–188.

Einleitung 

 3

Die folgende Arbeit zeichnet sich durch das oben skizzierte Problem- und Methodenbewusstsein sowie durch die Absicht aus, Kierkegaards Schriften als genuine Anregungen im Grenzbereich von Philosophie und Theologie des 19. Jahrhunderts darzustellen. Dieses inter-esse zwischen den beiden Disziplinen ist, trotz Kierkegaards bekannter und scharfer Polemik gegen jede der beiden, zweifellos charakteristisch für sein Denken, was die herkömmlichen Klassifikationsversuche, die Kierkegaard ausschließlich zur einen oder zur anderen Disziplin zuzuordnen trachten, zumindest als fragwürdig erscheinen lässt. Heideggers bekanntes Diktum, Kierkegaard sei „kein Denker, sondern ein religiöser Schriftsteller“,4 ist in dieser Hinsicht nicht nur deshalb problematisch, weil Heideggers stark philosophische Kierkegaard-Rezeption trotz seiner Weigerung bereits prima facie auffällt,5 sondern auch weil Kierkegaard selbst die autoreferierende Kategorie des „religiösen Schriftstellers“ (religieus Forfætter)6

4 Es ist bekannt, dass während Heidegger Nietzsches Werk als Erfüllung des Nihilismus der westlichen Metaphysik interpretierte, er Kierkegaard die Bezeichnung „Denker“ versagte und ihn als einen „religiösen Schriftsteller“ definierte: „Die üblich gewordene, aber deshalb nicht weniger fragwürdige Zusammenstellung Nietzsches mit Kierkegaard verkennt, und zwar aus einer Verkennung des Wesens des Denkens, daß Nietzsche als metaphysischer Denker die Nähe zu Aristoteles wahrt. Diesem bleibt Kierkegaard, obwohl er ihn öfter nennt, wesenhaft fern. Denn Kierkegaard ist kein Denker, sondern ein religiöser Schriftsteller und zwar nicht einer unter anderen, sondern der einzige dem Geschick seines Zeitalters gemäße.“ Siehe Martin Heidegger, „Nietzsches Wort ‘Gott ist tot’ (1943)“, in ders., Holzwege, 7. Ausg., Frankfurt am Main 1994, S. 249. 5 Siehe vor allem Heideggers existentiale Interpretation des Phänomens der Angst: Sein und Zeit, 18. Auflage, Tübingen 2001, S. 184–191. (§40); „Was ist Metaphysik?“ in Wegmarken, Frankfurt am Main 1976, S. 103–122. Siehe dazu: Vincent McCarthy, “Martin Heidegger: Kierkegaard’s Influence Hidden and In Full View”, in Kierkegaard and Existentialism, hg. von Jon Stewart, Farnham 2011 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 9), S. 95–125.; Jörg Disse, „Philosophie der Angst. Kierkegaard und Heidegger im Vergleich“, Kierkegaardiana, Bd. 22, 2002, S. 64–88; Edith Düsing, „Der Begriff der Angst bei Kierkegaard und Heidegger“, in Transzendenz und Existenz. Idealistische Grundlagen und moderne Perspektiven des transzendentalen Gedankens. Wolfgang Janke zum 70. Geburtstag, hg. von Manfred Baum und Klaus Hammacher, Amsterdam und Atlanta 2001, S. 21–60; Poul Lübcke, „Angstbegrebet hos Kierkegaard og Heidegger“, Agrippa, Bd. 3. Nr. 1, 1980, S. 5–33, und Bd. 3. Nr. 2., 1980–81, S. 58–82.; Dan Magurshak, “The Concept of Anxiety: The Keystone of the Kierkegaard-Heidegger Relationship”, in The Concept of Anxiety, hg. von Robert L. Perkins, Macon, Georgia 1985, S. 167–195; Walter Schweidler, „Die Angst und die Kehre. Zur strukturellen Verbindung Heideggers mit Kierkegaard“, Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 42, 1988, S. 198–221. 6 Siehe SKS 21, 47, NB6:64 / SS, 158.

4 

 Einleitung

niemals dem „Denker“ entgegensetzte, identifizierte er ja sogar sich selbst an verschiedenen Stellen gerade als einen „Denker“ (Tænker).7 Auch wenn klar ist, dass Heidegger eine feste Konzeption über das Wesen des Denkens und der Philosophie besitzt, die die Grundlage dieses – eigentlich keineswegs bewertenden – Urteiles bildet, stimmt seine scharfe Unterscheidung zwischen den beiden Kategorien sowie sein berühmtes Verdikt mit Kierkegaards eigener Auffassung nicht überein. Mir scheint es letzten Endes inadäquat, Kierkegaards Denken sui generis auf einer negativ-abgrenzenden Weise ausschließlich als Philosophie oder als Theologie kategorisieren zu wollen. Wenn eine derartige Einstufung seiner denkerischen Leistung überhaupt möglich und nötig ist, so kann er vielleicht – mit seinem eigenen Wort – als ein „Dialektiker“ (Dialektiker)8 bezeichnet werden, dessen Werk im Bereich beider Disziplinen zweifellos relevant ist. Wenngleich die vorliegende Arbeit verschiedene Methoden verwendet, bleibt das leitende Bestreben, die philosophische Quellenforschung so weit wie möglich zu vertiefen, welche im letzten Teil durch eine rezeptionsgeschichtliche Untersuchung ergänzt wird. Die Quellenforschung selbst ist eine allgemein anerkannte und weit verbreitete Methode in den historischen und literarischen Wissenschaften, deren Ziel es ist, diejenigen Quellen und deren Wirkungen zu identifizieren und zu untersuchen, die die Erklärung eines historischen Phänomens oder eines literarischen Werkes ermöglichen. Für die philosophische Quellenforschung ist ein historisches und philologisches Interesse charakteristisch, welches – statt auf reine Begriffsanalyse und philosophiegeschichtliche Klischees – stark auf die konkreten textualen Zusammenhängen gerichtet ist, und darauf abzielt, das Verständnis eines Philosophen durch eine möglichst eingehende Untersuchung der Quellen und des Kontextes seines Denkens zu befördern. Daraus folgt, dass im Falle Kierkegaards die Analyse der philosophischen Entwicklungen des Geisteslebens im dänischen Golden Age in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Vordergrund des Interesses steht. Zur Erläuterung des Gesamtaufbaus sei darauf verwiesen, dass im Hintergrund der thematisch verschiedenen Teile dieses Buches ein vereinheitlichendes Moment steht, und zwar derjenige Problemkomplex, der zusammenfassend als „Kierkegaards Dogmatik“ bezeichnet werden kann. Diese Terminologie mag prima facie unüblich erscheinen und auch in der Fachliteratur wird sie nicht

7 Siehe z.B. SKS 12, 281 / ER50/51, 19. Hier charakterisiert sich Kierkegaard als einen „Dichter und Denker eigener Art (kun en egen Art Digter og Tænker)“. 8 Siehe dazu die folgenden Aufzeichnungen: SKS 20, 146, NB2:17; SKS 20, 98, NB:146; SKS 21, 54, NB6:72; SKS 22, 19, NB11:21; SKS 22, 35, NB11:51.

Einleitung 

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besonders häufig verwendet,9 da Kierkegaard bekanntlich als schärfster Kritiker der von seinem Zeitgenossen Hans Lassen Martensen repräsentierten Dogmatik gilt.10 Doch lassen sich in seinen Schriften bedeutende Teile identifizieren, die unzweifelhaft von einem Interesse und einer Relevanz in spezifisch dogmatischer Hinsicht zeugen. Die Themenkreise Offenbarung, Glaube, Inkarnation und Unsterblichkeit, die im Folgenden eingehend untersucht werden, gehören zweifellos zum theologischen Traktat der Dogmatik und finden sich in Kierkegaards Œuvre auf höchst originelle Weise behandelt. Obschon der dänische „religiöse Schriftsteller“ keine einheitliche Dogmatik verfasste, ja sogar den dialektischen Kontrapunkt eines spekulativ-dogmatischen Systems repräsentierte, ist der dogmatische Aspekt seines Denkens doch auffallend, und soll in diesem Zusammenhang nun im Kontext der zeitgenössischen Debatten und der darauf folgenden Rezeptionsgeschichte dargestellt werden. Die nachfolgend zu erörternden Forschungsergebnisse im Grenzbereich von Philosophie und Theologie lassen sich deshalb zugleich und ausnahmslos dem weiten Problemfeld „Untersuchungen zu Kierkegaards Dogmatik“ zuordnen. Auf eine umfassende Darstellung dieser im Ganzen überaus komplexen Problematik muss hier aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet werden. Die Gedanken des Autors tragen hoffentlich dennoch dazu bei, den dogmatischen Aspekt des Denkens Kierkegaards zu erhellen und die Rekonstruktion seiner Konzeption zu befördern. Der erste Teil des Buches, Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie, widmet sich spezifischen Themen der Religionsphilosophie und Eschatologie. Zunächst wird Kierkegaards ambivalentes Verhältnis zur natürlichen Theologie im Kontext der dänischen Debatte über die logische Kategorie der Vermittlung sowie über die Hegelsche Aufhebung der principium exclusi medii inter duo contradictoria erörtert, die gegen 1838 im Kopenhagener Geistesleben großes Aufsehen erregt hat. Kierkegaards Verhältnis zur theologia naturalis ist einerseits rein

9 Ausnahmen bilden u.a. die folgende Werke: Joachim Ringleben, Aneignung. Die spekulative Theologie Søren Kierkegaards, Berlin und New York 1983; David R. Law, Kierkegaard as Negative Theologian, Oxford 1993; Ders., Kierkegaard’s Kenotic Christology, Oxford 2013. 10 Siehe dazu: Jon Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge 2001, S. 238–281, S. 336–377. Zu Martensen siehe noch: Curtis L. Thompson, “Hans Lassen Martensen: A Speculative Theologian Determining the Agenda of the Day”, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Farnham 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 229–266; Curtis L. Thompson und David J. Kangas, Between Hegel and Kierkegaard: Hans L. Martensen’s Philosophy of Religion, Atlanta 1997, S. 1–71; Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2012.

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negativ, indem er nicht nur an der Unmöglichkeit jeder Form des Gottesbeweises festhält, sondern diese Position – aus hamartiologischen Gründen – noch weiter radikalisiert. Er teilt also die negativen Ergebnisse der ersten Kantschen Kritik, aber nicht (oder zumindest nicht primär) aus transzendentalphilosophischen Gründen, sondern aus theologischen (supranaturalistischen) Überlegungen. Die positive Seite der Kierkegaardschen Auffassung der theologia naturalis zeigt sich darin, dass an einigen enigmatischen Stellen11 – eine detaillierte Ausarbeitung dieser Konzeption sucht man im gesamten Œuvre vergebens – seiner Schriften schließlich doch auf eine natürliche, wenngleich unbewusste Kenntnis von Gott hingewiesen wird. Das zweite Kapitel schließt an das oben Dargestellte an, indem die philosophischen und theologischen Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Wissens von Gott unter besonderer Berücksichtigung der Offenbarungskritik Fichtes erörtert werden. Bekanntlich verwendete der junge Fichte konsequent die Kantschen Prinzipien in seiner Deduktion der Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung. Zwar gibt es kein philologisches Anzeichen dafür, dass Kierkegaard Fichtes Frühschrift Versuch einer Kritik aller Offenbarung je gelesen hat. Es gibt allerdings merkwürdige Parallelen – neben freilich zahlreichen Unterschieden – zwischen den beiden Positionen, die zeigen, dass Kierkegaards Standpunkt keine bloße Antithese des rationalistischen Denkens bildet, sondern vielmehr in einer komplexen, dialektischen Beziehung zu ihm steht. Im dritten Kapitel wird schließlich Kierkegaards Zeitdiagnose kontrastierend mit jener Schleiermachers konfrontiert. Weitaus weniger bekannt ist, dass Kierkegaard nicht nur an den Grundstrukturen der Existenz, sondern auch an den zeitgenössischen Entwicklungen der dänischen Gesellschaft interessiert war. Die 1840er Jahre waren ihm eine lebendige Apokalypse, nicht nur im biblischen, sondern auch im wörtlichen Sinne, d.h. eine Enthüllung dessen, was in der Tiefe der Umwandlung der Gesellschaft und der alten Werte liegt. Die Erörterung selbst zeigt Kierkegaards genuin philosophische Kritik an der sich zunehmend entfaltenden, d.h. entfremdenden Massengesellschaft, doch seine Analyse geht schließlich im 3. Kapitel in ein biblisches Szenario über. Im zweiten Teil, Kierkegaards Verständnis von Feuerbach, Vorläufer der deutschen Unsterblichkeitsdebatte, wird Kierkegaards Verhältnis zu Ludwig Feuerbach, dem Vorläufer in der deutschen Unsterblichkeitsdebatte, ausführlich dargestellt. Charakteristisch für Kierkegaard ist die bewusste Unterscheidung und getrennte Betrachtung von Existenz und Denken. Für ihn als Beobachter ist das Moment des faktischen Lebens für das Verständnis eines Denkers ebenso relevant, wie

11 Siehe vor allem: Pap. V B 40, 11, S. 93.

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die Analyse seines Denkens. Zwar fehlen die Zeichen einer positiven inhaltlichen Rezeption in Kierkegaards Verhältnis zu Feuerbach keineswegs, die Interpretation seiner Figur jedoch konzentriert sich augenscheinlich auf die von ihm realisierten authentischen Existenzmöglichkeiten. So wird Feuerbach vorwiegend als ein Repräsentant des „Ärgernisses“ (Forargelse) dargestellt – für Kierkegaard im Übrigen eine Form der unglücklichen Liebe –, was der Annahme keineswegs widerspricht, dass Aspekte seines Denkens eindeutig Kierkegaards Interesse erregten. Ebenjene Annahme hinsichtlich Feuerbach ist besonders beachtenswert und bildet ein bis heute relevantes Thema der Forschung.12 Mag auch der formale, theoretische Vergleich der Positionen von Feuerbach und Kierkegaard nicht zu den spezifischen Aufgaben der Quellenforschung gehören, so kann die Quellenforschung immerhin als eine wichtige Vorarbeit für einen solchen Vergleich dienen, indem sie nicht nur die textuale Basis der beiden Positionen klärt und analysiert, sondern indirekt auch die Grenzen aufschließt, innerhalb derer eine sachgemäße Diskussion über die beiden Auffassungen überhaupt geführt werden kann. So wird nicht philosophische Forschung, sondern bodenlose Spekulation ausgeschlossen, welche nicht selten zu unbegründeten Feststellungen und vereinfachenden Vorstellungen führt. In diesem Sinne also ist Quellenforschung präparatorisch und kritisch zugleich, da durch sie zahlreiche Überzeugungen destruiert oder zumindest mit einem deutlichen Fragezeichen versehen werden. Im zentralen, dritten Teil des Buches, Umstrittene Unsterblichkeit: Kierkegaards Konzeption im Kontext der zeitgenössischen Debatten, wird Kierkegaards Unsterblichkeitskonzeption rekonstruiert und zwar im geschichtlichen Kontext der Debatte, die im Zusammenhang mit der Hegelschen Deutung der Unsterblichkeit zunächst in den deutschen Staaten und dann auch in Dänemark ausbrach. Zum Verständnis der philosophischen und theologischen Relevanz des Problemzusammenhanges scheint es ratsam, vor allem den status questionis skizzenhaft zu reflektieren. Nach einem bekannten Diktum Feuerbachs ist das Grab des Menschen „die Geburtsstätte der Götter“.13 Es besagt, dass das von der Sterblichkeit untrennbare Endlichkeitsgefühl und der sich daraus ergebende

12 Siehe dazu: Jonathan Malesic, “Illusion and Offense in Philosophical Fragments: Kierkegaard’s Inversion of Feuerbach’s Critique of Christianity”, International Journal for Philosophy of Religion, Bd. 62, 2007, S. 43–55; Heiko Schulz, “True Consciousness Dreaming. Feuerbach’s Critique of Religion Reconsidered”, in Kierkegaard and the Nineteenth Century Religious Crisis in Europe, hg. von Abrahim H. Khan et al.,Toronto-Šal’a 2009, (Acta Kierkegaardiana, Bd. 4.), S. 84–104; Caspar Wenzel Tornøe, „Kampen om den vandsky slægt – om Gud og menneske hos Feuerbach og Kierkegaard“, Dansk Teologisk Tidskrift, Bd. 67, Nr. 4, 2004, S. 259–280. 13 Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion. Nebst Zusätzen und Anmerkungen, in Gesammelte Werke, hg. von Werner Schuffenhauer, Bd. 6., Berlin 1984, S. 41.

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theogone Wunsch der Unsterblichkeit für das religiöse Bewusstsein konstitutiv sind. Indes steht die Endlichkeits- bzw. die Todesproblematik ebenso im Fokus des philosophischen Denkens: nach Arthur Schopenhauer (1788–1860) ist der Tod „der eigentliche inspirierende Genius oder der Musaget der Philosophie […]. Schwerlich sogar würde, auch ohne den Tod, philosophiert werden.“14 Der angesichts des bevorstehenden Todes gelassen über die Unsterblichkeit diskutierende Sokrates wurde Repräsentant der reinen philosophischen Attitüde. So drang die ursprünglich religiöse Problematik des Todes und der Unsterblichkeit früh ein in das philosophische Denken und bildete einen integralen Bestandteil desselben. Wie aber die religiöse Vorstellung der Unsterblichkeit philosophisch auszulegen ist, bleibt eine an sich äußerst sensible Frage, die in der westlichen Geschichte wiederholt zu heftigen Debatten führte. Das umfangreichste philosophische System, welches je Anspruch darauf erhob, die Wahrheit der Religion gedanklich erfasst und sie adäquat gedeutet zu haben, war zweifelsohne jenes des reifen Hegels. Seine spekulative Deutung der religiösen Glaubensgehalte schien aber für das religiöse Bewusstsein oft eher bedrohlich oder irreführend als affirmativ und bestärkend. Ein eindrückliches Zeugnis dafür gibt Bernhard Rudolf Abeken (1780–1866), ein Hörer von Hegels frühen Jenaer Logikvorlesungen, der seine Erschütterung über die desaströsen Konsequenzen der Lehre Hegels für sein eigenes Glaubensverständnis wie folgt zum Ausdruck brachte: „Gott, Glaube, Erlösung, Unsterblichkeit, wie sie sich früher in mir festgesetzt, wollten sich mit der neuen Lehre nicht verbinden, ja schienen ihr zu widersprechen; und Hegel […] hatte bei Beginn seiner Vorträge uns die Worte Dantes zugerufen: Lasciate ogni speranza voi ch’entrate. Ich weinte die bittersten Tränen.“15 Diese Inkompatibilitätserfahrung führte bei anderen zeitgenössischen Autoren statt zu subjektiver Erschütterung zu beißender Kritik und offener Denunziation. Hegels – mit dem Unsterblichkeitsgedanken eng zusammenhängender – Gottesbegriff wurde für „papieren“ erklärt, bezeichnet als „Gemächte Hegels, ein goldenes Kalb und Schulgötze“16, bzw. als „Vernunftgötze“, „den sich der Philosoph aus seinen eigenen Eingeweiden erzeugt“17. Gewiss lässt sich aus wahllos herausgegriffenen Beispielen keine weitreichende Folgerung ableiten,

14 Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, in ders., Werke in zehn Bänden. Zürcher Ausgabe, Bd. 4., Zürich 1977, S. 542. 15 Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen, hg. von Günther Nicolin, Hamburg 1970, S. 41. 16 Carl Friedrich Bachmann, Ueber Hegel’s System und die Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der Philosophie, Leipzig 1833, S. 285. 17 Carl August Eschenmayer, Die Hegelsche Religions-Philosophie verglichen mit dem christlichen Princip, Tübingen 1834, S. 57.

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doch zeigen sie immerhin, dass die von Hegel betonte Inhaltsidentität und die volle Übereinstimmung seiner spekulativen Philosophie mit dem Christentum18 nicht für alle Zeitgenossen evident waren. Auch der Hegelschen Schule nahestehende Personen wie der spekulative Theist Christian Hermann Weisse (1801–1866) reklamierten die Unangemessenheit der „logischen Begriffsbestimmungen und Kategorien“ zum Begreifen „der Gegenstände des lebendigen Glaubens“19 und stellten den Hegelschen Anspruch einer substantiellen Identität zwischen Religion und Philosophie radikal in Frage. Es ist folglich keineswegs überraschend, dass über die Christlichkeit des Hegelschen Systems bereits in seiner Berliner Zeit eine offene Polemik ausbrach, welche sich nach seinem Tod – und insbesondere nach der von Philipp Marheineke redigierten und publizierten Fassung der Vorlesungen über die Philosophie der Religion (1832) – weiter verschärfte, ja Mitte der 1830er Jahre sogar zur endgültigen Spaltung der Schule führte. Obwohl nach Hegel das Verständnis der Unsterblichkeit mit dem Gottesbegriff eng zusammenhängt,20 ging mit der Einsicht in diesem Zusammenhang bei Hegel keine gleichermaßen intensive Erörterung der klassischen psychologia rationalis und theologia naturalis im Rahmen des Systems einher. Während nämlich Gott bei Hegel den Gegenstand – und zwar den einzigen Gegenstand – der Philosophie darstellt,21 womit das ganze System zu einer spekulativen Theologie wird, erwähnt er den Problemkomplex der Unsterblichkeit nur sporadisch und in äußerst komprimierter Weise. Diese auffallende Disproportionalität erweckte

18 „Der Inhalt der Philosophie, ihr Bedürfnis und Interesse, ist mit der Religion ganz gemeinschaftlich. Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit, Gott und nichts als Gott und die Explikation Gottes…So fallen Religion und Philosophie in eins zusammen. Die Philosophie ist in der Tat selbst Gottesdienst, wie die Religion.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion (im Folgenden: VPhR1), neu herausgegeben von Walter Jaeschke, Hamburg 1993 (Philosophische Bibliothek, Bd. 459), S. 63f. 19 Christian Hermann Weisse, Ueber den gegenwärtigen Standpunct der philosophischen Wissenschaft. In besonderer Beziehung auf das System Hegels, Leipzig 1829, S. 209. 20 „Die Vorstellungen von Gott und von der Unsterblichkeit haben eine notwendige Beziehung aufeinander: Wenn der Mensch wahrhaft von Gott weiß, so weiß er auch wahrhaft von sich: Beide Seiten entsprechen einander.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 2: Die bestimmte Religion (im Folgenden: VPhR2), in: Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 4a, hg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1985, S. 140. Beim Hegelianer Michelet werden die beiden Fragen der Unsterblichkeit und der Persönlichkeit Gottes miteinander gleichgesetzt: „Ich statuiere zwischen den beiden Fragen nicht nur eine substantielle Verwandtschaft; sondern ich halte sie beide sogar für absolut identisch, und für eine und dieselbe Frage.“ Karl Ludwig Michelet, Vorlesungen über die Persönlichkeit Gottes und Unsterblichkeit der Seele oder die ewige Persönlichkeit des Geistes, Berlin 1841, S. 8. 21 Hegel, VPhR1, S. 33.

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bereits zu seinen Lebzeiten den Verdacht, dass es sich hier eigentlich um nichts anderes als um einen methodischen Versuch handele, die grundlegende Inkompatibilität der spekulativen Philosophie mit der christlichen Eschatologie zu verhüllen bzw. stillschweigend zu übergehen.22 Obschon Hegel indignierte Republiken auf diesbezügliche Vorwürfe seiner Kritiker – wie Schubart und Carganico – nicht schuldig blieb, war sein scharfer Gegenangriff gegen ihr Unsterblichkeitsverständnis alles andere als ein sachlich überzeugendes Dementi.23 Dies hatte zur Folge, dass die Frage letztendlich ungeklärt blieb. Auch Hegels Schüler, wie Conradi24 und Michelet, die seine Position auch in diesem Bereich treu weiterzuführen versuchten, beschränkten sich auf eine Erläuterung der wenigen relevanten Passagen im Sinne des Systems. Bekanntlich sind nach Hegels Tod, bzw. nach der Veröffentlichung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion 1832, umfangreiche Debatten in und außerhalb seiner Schule ausgebrochen, die mit der Zeit zur Spaltung derselben führten. Eine der frühesten und intensivsten dieser Debatten wurde über

22 „Kein Wunder, daß Hr. Hegel solchen Widerspruch zu vermeiden sucht, indem er den Begriff der Unsterblichkeit in seinem Systeme ganz unerwähnt läßt. Wir haben denselben wenigstens nirgends gefunden. Allerdings liegt in dem Begriffe des absoluten Geistes, zu welchem sich die logische Idee hinaufarbeitet, die unvergängliche und ewige Dauer desselben involviert. Daß dies aber nicht die Unsterblichkeit des allgemeinen Bewußtseyns der besseren Menschheit, und noch weniger die jenseitige Fortdauer nach der christlichen Lehre ist, das bedarf wohl keines Beweises.“ K.E. Schubart und K.A. Carganico, Ueber Philosophie überhaupt und Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere. Ein Beitrag zur Beurtheilung der letztern, Berlin 1829, S. 147. 23 „Die widrigste Seite der Schrift ist leider endlich auch noch zu erwähnen: der traurige Kitzel des Verfassers, launig und spaßhaft zu tun. Es mag das eine Beispiel von dieser abgeschmackten Sucht erwähnt werden, wo sie ihn bei der Lehre von der Unsterblichkeit befällt. Diese Lehre ist außer den politischen Insinuationen diejenige, die am häufigsten gebraucht zu werden pflegte, um auf eine Philosophie Gehässigkeit zu werfen. Für den Verfasser – er findet die erwähnte Lehre nicht in der Philosophie, die er zu betrachten vorgibt – ist es nicht vorhanden, daß in dieser Philosophie der Geist über alle Kategorien, welche Vergehen, Untergang, Sterben usf. in sich schließen, erhoben wird, unabgesehen anderer, ebenso ausdrücklicher Bestimmungen; er mag die Lehren des Christentums etwa in der Form des Katechismus erkennen, aber das Philosophische und derselbe Inhalt, wenn er in philosophischer Form ist, existiert nicht für ihn.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Ueber Philosophie überhaupt und Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere. Ein Beitrag zur Beurtheilung der letztern, von Dr. K.E. Schubart und Dr. K.A. Carganico, Berlin, 1829, in der Enslin’schen Buchhandlung“, Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Bd. 2, 1829, S. 936–960; hier zitiert nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Berliner Schriften 1818–1831, in Werke in zwanzig Bänden mit Registerband, hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt 1979, Bd. 11, S. 464f. 24 Vgl. Kasimir Conradi, Unsterblichkeit und ewiges Leben. Versuch einer Entwicklung des Unsterblichkeitsbegriffs der menschlichen Seele, Mainz 1837.

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Hegels Auffassung von der eschatologischen Lehre der Unsterblichkeit geführt. Bezeichnenderweise gibt es bis heute kein umfassendes Werk, das die Debatte in allen ihrer Einzelheiten erforscht.25 Der dritte Teil dieses Buches wird sicher kein Versuch einer solchen Arbeit sein, dennoch werden die Zusammenhänge zwischen der dänischen und deutschen Debatte detailliert erläutert. Zunächst versuche ich, die idealistische Vorgeschichte des Problems und Hegels eigene Konzeption durch die Auslegung seiner Werke zu rekonstruieren. Bereits dieser erste Schritt ist mehr als problematisch, weil sich Hegel selbst – aus spekulativen Gründen – über die Unsterblichkeit nur sporadisch und häufig ziemlich enigmatisch äußert. Ferner machte der geschichtliche Umstand, dass dieser Grundsatz der christlichen Theologie damals nicht öffentlich in Frage gestellt werden durfte, die Situation noch komplizierter. Im dritten Teil werden die Entwicklungen der Debatte von Richter bis Michelet verfolgt, womit die ersten zwei Jahrzehnte der Diskussion umfasst werden. Es wird klar, dass die herkömmliche Strauss’sche Unterscheidung zwischen den beiden Flügeln der Hegelschen Schule allzu vereinfachend und im Kontext einer spezifischen (christologischen) Diskussion relevant ist, weshalb sie aber noch nicht hinreichend für die genaue Schilderung der Zusammenhänge der ganzen Debatte ist.26 Danach wird die Infiltration der Debatte in Dänemark sowie die Folgen der dänischen Diskussion erörtert, die mit der Rezeption der Hegelschen Philosophie in einem engen Zusammenhang stehen. Die Stellungnahmen von Sibbern, Heiberg und vor allem jene von Poul Martin Møller markieren die bedeutendsten Standpunkte und Bruchlinien in der Kontroverse. Kierkegaards existentiale Interpretation der Unsterblichkeit, die chronologisch etwas später ausgearbeitet wurde, zeigt ebenso klar seine positive Rezeption von Møllers Widerlegung der herkömmlichen Argumente wie die Originalität seiner Fragestellung und Konzeption. Es wird klar, dass für das Verständnis Kierkegaards die Untersuchung der zeitgenössischen Debatte sowie die Rekonstruktion der bedeutenden Positionen nicht nur nützlich, sondern geradezu unentbehrlich sind. Des Weiteren wird die Unsterblichkeitsproblematik im Kontext der dänischen Rezeptionsgeschichte der

25 Es scheint mir, dass Bernard Bolzano den gründlichsten Überblick über die Wendungen der deutschen Debatte zusammenstellt. Siehe seine anonym veröffentliche Schrift Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele, Sulzbach, 1827; 2. Auflage 1838 mit einer kritischen Übersicht der diesbezüglichen Literatur seit 1827. 26 Siehe dazu: Jon Stewart, “Hegel’s Philosophy of Religion and the Question of ‘Right’ and ‘Left’ Hegelianism”, in Politics, Religion, and Art. Hegelian Debates, hg. von Douglas Moggach, Evanston, Illinois 2011 (Topics in Historical Philosophy) , S. 66–95.

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Hegelschen Philosophie und die inhaltliche und formale Komplexität von Kierkegaards Verhältnis zu Hegel zu beleuchten sein. Der letzte Teil, Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards, enthält Beiträge zur Forschung der deutschen Rezeptionsgeschichte. Hier wird die Kierkegaard-Rezeption zweier Denker untersucht, und zwar die des Philosophen und Psychologen Karl Jaspers und des Theologen Karl Rahner untersucht. Da Jaspers zweifellos einen Meilenstein in der Geschichte der deutschen Kierkegaard-Rezeption bildet, ist sein Verhältnis zu Kierkegaard natürlich Gegenstand zahlreicher Werke. Die Abhandlung gibt zunächst einen Überblick und rezensiert die Ergebnisse dieser Arbeiten schließlich kritisch. Darauf folgt die geschichtliche Darstellung von Jaspers’ Entdeckung und Interpretation Kierkegaards, die letztlich zur Entwicklung einer neuen philosophischen Richtung führte, die seit den 1920er Jahren als Existenzphilosophie bekannt ist. Als Ergebnis der Untersuchung lässt sich feststellen, dass Jaspers ein höchst aufmerksamer und gründlicher Leser Kierkegaards war, der eine imponierende Vertrautheit nicht nur mit den veröffentlichten Schriften und Papieren sondern auch mit der zeitgenössischen Sekundärliteratur besaß. Seine Werke beförderten deshalb die Verbreitung und Kanonisierung Kierkegaards in der deutschen philosophischen Kultur in großem Maße. Andererseits sei zugleich hinzugefügt, dass die Legitimität seines selektiven methodologischen Prinzips, demgemäß jeder christliche Inhalt aus der Interpretation ab ovo auszuschließen ist,27 von namhaften Forschern als fragwürdig eingestuft wird.28 Die Darstellung seines Verhältnisses zu Kierkegaard kann deshalb nicht vermeiden, auch jene immanente Ambivalenz vielseitig zu klären, die konstitutiv zu Jaspers’ Interpretation des dänischen Denkers gehört. Während man in Jaspers’ Œuvre – trotz den Ambivalenzen – eine direkte und explizite Rezeption konstatieren kann, lässt sich Karl Rahners Verhältnis zu Kierkegaard als Beispiel einer indirekten, impliziten Rezeption bezeichnen.

27 „Dabei ist versucht, seine [d.h. Kierkegaards] Sätze aus den verschiedenen Werken zusammenzunehmen, zu konstruieren, zu ergänzen und vor allem wegzulassen, was irrelevant für den gegenwärtigen Zweck schien (z.B. alles „Christliche“). Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, 6. Aufl., Berlin-Heidelberg-New York 1971, S. 419. 28 Siehe z.B. Materialien zur Philosophie Søren Kierkegaards, hg. von Michael Theunissen und Wilfried Greve, Frankfurt a. M. 1979, S. 63; Wilhelm Anz, „Zur Wirkungsgeschichte Kierkegaards in der deutschen Theologie und Philosophie“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 79., Nr. 4, 1982, S. 475. Westphal meint, dass Jaspers Kierkegaards Auffassung von Christentum jeweils missversteht: “Jaspers is too deeply mired in traditional misreadings of Kierkegaard to grasp the truly radical nature of his understanding of Christianity.” Merold Westphal, “Jaspers’ Reception of Kierkegaard”, in Karl Jaspers. Philosophy of History and History of Philosophy, hg. von Joseph W. Koterski und Raymond J. Langley, Amherst 2003, S. 233.

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Obwohl in der katholischen Theologie traditionell eine starke Neigung zum objektivistischen Denken herrscht, haben sich bedeutende Theologen im 20. Jahrhundert Kants Transzendentalphilosophie und Heideggers Daseinsanalyse zugewendet. Auch wenn in Karl Rahners Werk der Name Kierkegaard nur sporadisch auftaucht und es keine Passage gibt, die als eine tiefgehende Erörterung seines Denkens aufgefasst werden könnte, ist Kierkegaards Einfluss auf den deutschen Theologen unbestritten. Die umsichtige Klärung des Problems, ob und inwiefern Rahner Kierkegaards Dialektik kennenlernte, ist Aufgabe einer künftigen eingehenden Forschung. Unzweifelhaft aber ist, dass er zwischen 1934–36 Philosophie in Freiburg studierte, wo er vor allem Martin Heideggers Lehrveranstaltungen frequentierte. Obwohl diese Periode in Heideggers Entwicklung bereits den Übergang zur sog. Kehre darstellt, lässt sich zu Recht annehmen, dass Rahners erste Kenntnisse über Kierkegaard durch Heidegger selbst vermittelt wurden. Im zweiten Kapitel wird der Versuch unternommen, Rahners existentialanalytisch konzipierte Auffassung über die Möglichkeit der natürlichen Theologie mit Hegels idealistischer und Kierkegaards supranaturalistischer Konzeption formal zu vergleichen, um zu zeigen, dass die beiden Positionen – trotz wesentlicher Unterschiede – bedeutende Parallelen in ihren Voraussetzungen haben. Dadurch wird gezeigt, dass das katholische Denken im 20. Jahrhundert das Erbe Kierkegaards indirekt intensiv rezipierte, wenngleich die explizite Reflexion auf ihn meistens ausblieb. Bekanntlich war Kierkegaard nicht nur ein sehr guter Kenner sondern auch Meister der Ironie. Seine Schriften, die Dissertation eingeschlossen, sind keine fachwissenschaftlichen Handbücher, sondern oft von Ironie tief geprägte Texte (einige von ihnen mithin Meisterstücke dänischer Belletristik), die aus verschiedenen schriftstellerischen Gesichtspunkten konzipiert wurden. Eben die Komplexität und Heterogenität des Kierkegaardschen Gesamtwerkes machen es unmöglich, ein allgemeines kohärentes religionsphilosophisches System und eine umfassende Unsterblichkeitskonzeption im Speziellen zu rekonstruieren. Eine mutmaßliche Fragmentarität der Interpretationen ist deshalb in diesem Kontext nicht per se als Negativität sondern als Widerspiegelung des sich aus der Sache selbst (i.e. aus den Quellen) ergebenden denkerischen Ansatzes zu lesen. (Es wäre im höchsten Maße ironisch, aus den Schriften eines der höchsten Kritiker des Systems ein religionsphilosophisches System rekonstruieren zu wollen.) Allerdings hoffe ich mit dieser Arbeit dem Leser, trotz und gerade aufgrund der strukturellen Unmöglichkeit der Systembildung, endlich das Verständnis eines zuverlässigen Gesamtbildes zu ermöglichen. Zuletzt sei bemerkt, dass die in der vorliegenden Arbeit verwendeten Übersetzungen aus den angeführten Standard-Quellen entnommen wurden. Wenn nicht anders vermerkt stammen alle sonstigen Übersetzungen vom Verfasser.

Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

Die Einleitung wies darauf hin, dass die vereinfachende Kategorisierung Kierkegaards als eines Philosophen in der Rezeptionsgeschichte – von Heidegger im Speziellen – scharf kritisiert wurde. Auch wenn es nicht schwer fällt zu zeigen, dass Heideggers diesbezüglicher Standpunkt problematisch ist, gilt die Frage selbst, ob sich Kierkegaard überhaupt als Religionsphilosoph bezeichnen lässt. Richtet man das Augenmerk auf die Heftigkeit seiner Absage an die Möglichkeit einer philosophischen Auslegung der Religion und besonders des Christentums, liegt im Grunde nichts ferner als die Folgerung, dass der dänische Denker in seinen Schriften eigentlich Religionsphilosophie treibe. Es lässt sich allerdings zeigen, dass Kierkegaards Argumente gegen die natürliche Theologie als echte philosophische Argumente auftreten und funktionieren, und damit in den für die Religionsphilosophie relevanten Bereich fallen. Trotz seiner scharfen Kritik an der idealistischen Religionsauslegung, bleibt Kierkegaard zweifellos ein Klassiker der Religionsphilosophie,1 der mit einer besonderen Klarheit und Radikalität auf die Grenzen des begrifflichen Denkens hinweist. Ohne Kenntnis ebendieser Konzeption kann die Unsterblichkeitsauffassung Kierkegaards nicht konsequent interpretiert werden. Im Folgenden soll die zusammenfassende Darstellung einiger wesentlicher Aspekte der Religionsphilosophie und Eschatologie des dänischen Denkers die Diskussion seiner Unsterblichkeitskonzeption vorbereiten.

1 Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus „Gottes Dasein beweisen zu wollen ist das Allerlächerlichste“ – heißt es in einer Journalaufzeichnung aus dem Jahre 1844, deren Entstehung eindeutig in diejenige Zeit fällt, in der die Philosophischen Brocken verfasst wurden.2 Es ist allgemein bekannt, wie scharf und leidenschaftlich Kierkegaard in seinem gesamten

1 Siehe dazu: Thomas J. Heywood, Philosophy of Religion in Kierkegaard’s Writings, Lewiston 1994; Klassiker der Religionsphilosophie: Von Platon bis Kierkegaard, hg. von Friedrich Niewöhner, München 1995. 2 „Det at ville bevise Guds Tilværelse er det Latterligste af Alt.“ SKS 18, 204, JJ:202 / DSKE 2, 211. Die formale Struktur des in dieser Notiz angeführten Argumentes entspricht offensichlich der Hauptthese des Climacus, nach welcher es entweder eine „Unmöglichkeit“ oder geradezu eine „Torheit“ (Daarskab) ist, Gottes Dasein beweisen zu wollen. Vgl. SKS 4, 245 / PB, 37.

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 Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

schriftstellerischen Werk die großen metaphysischen Versuche der klassischen natürlichen Theologie kritisiert hat, Gottes Dasein mit rein philosophischen Argumenten zu beweisen.3 Das – in rezeptionsgeschichtlicher Hinsicht äußerst wirkungsvolle4 – dritte Kapitel („Das absolute Paradox“) der Brocken spielt in diesem Kontext zweifellos eine zentrale Rolle, da sich Climacus, der das cartesianische dubium radikal ernst nimmt, hier reichlich „Zeit lässt“5, um eine ganze Reihe von Argumenten gegen die Gottesbeweise ins Feld zu führen. Ob seine negativen, destruktiven Behauptungen formal gesehen wirklich das Ende der Möglichkeit aller Formen der natürlichen Theologie bedeuten, darüber lässt sich diskutieren.6 Klar aber ist, dass diese kategorisch antimetaphysische Einstellung im Bereich der Gotteslehre zu einem nicht unbedeutenden Ausmaß auf theologischen Voraussetzungen beruht.7 Dieser Umstand lässt rein philosophisch orientierte Interpretationsversuche dieses Werkes zumindest fragwürdig erscheinen.8 Im Folgenden möchte ich versuchen, Climacus’ Aufhebung der natürlichen Theologie so zu erörtern, dass einerseits den theologischen Voraussetzungen in ihrem historischen Kontext Rechnung getragen, andererseits die paradoxe Möglichkeit untersucht wird, ob und inwiefern diese „Aufhebung“ auch im dialektischen Sinn aufgefasst werden kann.

3 Vgl. SKS 5, 241 / ER43/44, 153; SKS 5, 404 / DRG, 124; SKS 7, 495 / AUN2, 256; SKS 7, 502 / AUN2, 263; SKS 4, 440 / BA, 144; SKS 10, 110 / CR, 103; SKS 18, 22 EE:45 / DSKE 2, 18; Pap. V B 1,9; Pap. V B 5; Pap. V B 40,11; SKS 27, 276, Papir 283:1; SKS 19, 402, Notesbog 13:37–38; SKS 24, 301, NB 23:203; X,5 A 120. 4 Bekanntlich hat dieses Kapitel in der späteren existenzphilosophischen Rezeption (besonders in der Bestimmung der Dialektik von Vernunft und Existenz im Denken von Karl Jaspers) eine sehr wichtige Rolle gespielt. Vgl. W. Anz, „Zur Wirkungsgeschichte Kierkegaards in der deutschen Theologie und Philosophie“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 79, Nr. 4., 1982, S. 471f. 5 Vgl. SKS 4, 245 / PB, 38. 6 J. Heywood Thomas’ diesbezügliche Frage spiegelt eine spontane Reaktion sehr lebendig wieder: “However, why is it ‘folly’ to try to prove that something that exists does exist? One’s first reaction is that if this were so then no detective story could be written.” J. Heywood Thomas, “Revelation, Knowledge and Proof”, in International Kierkegaard Commentary, Bd. 7, Macon 1994, S. 162. Roberts urteilt schärfer: “I conclude that neither of Climacus’ broad sites against the enterprise of proving God’s existence works.” Robert Campbell Roberts, Faith, Reason and History: Rethinking Kierkegaard’s Philosophical Fragments, Macon 1986, S. 70. 7 Der Untertitel des ursprünglichen Titelblattes enthält einen ausdrücklichen Hinweis hat auf den theologischen und philosophischen Character des Werkes: „et dogmatisk-philosophisk Problem“, Pap. V B 39. 8 Daraus folgt, dass das Werk nicht ohne weiteres als Das Wesen des Christentums à la Climacus aufgefasst werden darf.

1 Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis 

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1.1 Negative versus natürliche Theologie 1.1.1 Die Apophase als Grundbestimmung der Dialektik der Brocken Ob man den Verfasser der Philosophischen Brocken für einen negativen Theologen halten kann, hängt natürlich vor allem davon ab, was man unter dieser Bezeichnung versteht. Evident ist, dass Climacus’ Denken nicht ohne weiteres mit jener apophatischen Tradition identifizierbar ist, die bekanntlich im spätantiken Neuplatonismus9 wurzelt und später auch einige Elemente der biblischen Überlieferung10 assimiliert hat. Es ist jedoch auch klar, dass Climacus’ Position ohne die negative Theologie nicht gänzlich verständlich wäre. Um nur die wichtigsten in diesem Kontext relevanten Parallelen zu erwähnen: die Betonung der göttlichen Transzendenz, die Unmöglichkeit eines begrifflichen Wissens von Gott und die daraus folgende Applikation des Namens „das Unbekannte“11 auf Gott.12 An diesen Punkten zeigt sich deutlich, dass die Negativität des Gedankenganges der Brocken mit der apophatischen Theologie verwandt ist. Wenn wir jene absolute, qualitative Differenz, die in Climacus’ Gedankenexperiment die Beziehung des Menschlichen zum Göttlichen bezeichnet, mit der diesbezüglichen Auffassung der Autoren der apophatischen Tradition vergleichen, dann können wir sogar feststellen, dass der Verfasser der Brocken nicht nur als negativer Theologe aufgefasst werden kann, sondern als einer, dessen Denkformen diejenigen der negativen Theologen im Sinne des Apophatischen übersteigt.13 Es ist deshalb kein Wunder, dass der Begriff „das Unbekannte“ (det Ubekjendte) im Gedankengang des Climacus eine solch zentrale Rolle spielt. Die Art der Verwendung dieses Wortes im Text ist eigentümlich und zugleich vielsagend. Eigentümlich, insofern diese ganz apersonal abstrakte Form (det Ubekjendte) des

9 Siehe dazu: Th. Rentsch, „Theologie, negative“, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter et al., Bd. 10. Darmstadt 1999, Sp. 1102–1105. 10 Hier ist vor allem die Areopagrede von Paulus zu erwähnen, in der dem Ausduck agnostos theos eine bedeutende Rolle zukommt (Apg. 17,23). 11 Es ist bemerkenswert, dass bei Climacus die Logik dieser Applikation in umgekehrter Form erscheint, da es bei ihm das Unbekannte ist, das den Namen „der Gott“ (Guden) bekommt, vgl. SKS 4, 245 / PB 37. 12 Bereits E. Hirsch hat die Aufmerksamkeit auf die Ähnlichkeit gelenkt, welche zwischen der Auffasung des absoluten Paradoxes bei Climacus und dem Begriff coincidentia oppositorum von Nikolaus von Cues besteht, vgl. E. Hirsch, Kierkegaard-Studien, Bd. 2., Gütersloh 1933, S. 792. 13 Zu dieser Folgerung kommt auch David R. Law: “Kierkegaard not only can be interpreted as a negative theologian but is in fact more apophatic than the negative theologians”, Law, Kierkegaard as Negative Theologian, S. 217.

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Ausdruckes im ganzen Œuvre fast ausschließlich hier vorkommt. Die einzige Ausnahme bildet eine Passage der 1845 publizierten Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten („Anlässlich einer Beichte“)14, eindeutig geht es dort um Formen der Suche nach Gott und um leidenschaftliche Ablehnung des Gottesbeweisens als ein falsches Gottesverhältnis („Abhandeln“ anstatt „Handeln“)15. Dieser formale Zusammenhang des Wortgebrauches scheint also seinen Grund in einer inhaltlichen Korrelation zwischen den beiden Schriften zu haben.16 Vielsagend ist ferner, wie Climacus diesen Ausdruck en détail benutzt. „Das Unbekannte“ ist für ihn ein problematischer Grenzbegriff, eine absolute Grenze17, an der sich die paradoxe Leidenschaft des Denkens notwendig auf den Untergang desselben richtet.18 An diesem Punkt zeigt sich der wesentliche Unterschied zwischen der Hegelschen Dialektik und der des Climacus sehr deutlich: Während nämlich in Hegels Logik die Grenze im „Hinausseyn über die Schranke“19 des Sollens aufgehoben wird und die Vernunft selbst „das Hinausgehen über die Schranke ist“20, fasst sie Climacus in seiner „Logik des Glaubens“ in absolutem Sinn, d.h. als eine unaufhebbare Grenze auf. Mir scheint jedoch, dass er hier keineswegs eine reine Ablehnung des Denkens im Sinn hat; es wäre irreführend, diese seine Position als eine irrationalistische Haltung zu interpretieren. Bekanntlich ist der Glaube für Climacus jene paradoxe Leidenschaft, in welcher der Verstand und das Paradox „glücklich aufeinander stoßen“21; der Verstand bildet für ihn (im strengen dialektischen Sinn) eine conditio sine qua non des Glaubens.22

14 SKS 5, 399ff. / DRG, 123ff. 15 „[F]or den Bevisende er Sagen bleven let, thi han er kommen til at staae udenfor, han handler ikke med Gud, men afhandler Noget om Gud.“ SKS 5, 404 / DRG, 130. 16 Allerdings ist bemerkenswert, dass der Verfasser der Brocken sehr konsequent diese impersonale, abstrakte Form benützt, während im Text von „Anlässlich einer Beichte“ auch die personale Form „der Unbekannte“ (den Ubekjendte) vorkommt, vgl. SKS 5, 400 / DRG, 124. 17 Climacus behauptet ausdrücklich, dass das Unbekannte als eine Grenze (Grændse) aufzufassen ist, vgl. SKS 4, 249 / PB, 42. 18 Dass sich Climacus mit der Paradoxie des „Wissens“ über das Unbekannte gänzlich im Reinen war, zeigt sich sehr klar in seiner Bemerkung: „Die paradoxe Leidenschaft des Verstandes stößt sich so denn beständig an diesem Unbekannten, das wohl da ist, aber auch unbekannt, und insofern nicht da ist.“ SKS 4, 249 / PB, 42. 19 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, in ders., Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 3, Hamburg 1999, S. 121. Berühmt ist die Polemik, die Hegel hier gegen jene Position richtet, die behauptet, „es könne über die Schranke [des Denkens, der Vernunft] nicht hinausgegangen werden.“ 20 Hegel, Wissenschaft der Logik, S. 122. 21 Vgl. SKS 4, 253 / PB, 46. 22 Freilich handelt es sich hier um eine fides quaerens absurdum und nicht um eine mit dem Verstand in friedlicher Versöhnung stehende fides quaerens intellectum.

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Climacus’ Position scheint in philosophischer Hinsicht vielmehr mit Kants Auffassung in den Prolegomena verwandt zu sein. Ohne Zweifel handelt es sich bei Climacus nicht um eine transzendentale Analyse des Erkenntnisvermögens und trotz evident methodischer Unterschiede besteht eine bestimmte (und sicherlich nicht unbegründete) Ähnlichkeit in der Begrifflichkeit der beiden Texte. Zur Grenzbestimmung der Vernunft gehört bei Kant nämlich (neben den anderen regulativen Ideen) der Begriff des höchsten Wesens als Noumenon; d.h. Gott (bzw. die Idee Gottes) bildet in seinem System ausdrücklich eine unaufhebbare Grenze des menschlichen Erkenntnisvermögens23 und kann keineswegs zum Gegenstand des Wissens werden. Deshalb ist Gott auch für Kant „das Unbekannte“24 (nicht jedoch das einzig Unbekannte), da er nicht zur Welt der Phänomene gehört. Diese gemeinsame Emphase der radikalen Begrenztheit des Denkens über Gott scheint so einen Berührungspunkt zwischen den beiden Denkern zu bilden, obwohl ihre negativen Positionen eindeutig auf verschiedenen Voraussetzungen gründen. Climacus‘ Standpunkt kann also im philosophiegeschichtlichen Kontext in der posthegelschen Ära als ein Rückgriff auf mehr oder weniger Kantsche Positionen aufgefasst werden.25 In der negativen Dialektik der Brocken nimmt der paradoxe Begriff des „Unbekannten“ eine ebenso paradoxe und abstrakte „Bestimmung“ an, jene der „schlechthinnigen Verschiedenheit“: Das Unbekannte ist für Climacus das schlechthin Verschiedene (det absolut Forskjellige).26 Diese Begriffe entsprechen einander ganz und gar: Beide sind sowohl für den Verstand als auch für die Phi-

23 „[W]ir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwürdige Ideen [Seele, Welt, Gott] lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen…“ Immanuel Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, in Kant. Werke in zehn Bänden, hg. von W. Weischedel, Bd. 5 (Schriften zur Metaphysik und Logik), Darmstadt 1983, S. 232. 24 „Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen, als ob sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr, als: wie sich verhält eine Uhr, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt […] zu dem Unbekannten […].“ Kant, Prolegomena, S. 233. 25 Der Einfluss Kants auf das Denken Climacus’ wird auch durch R.M. Green hervorgehoben: “If Kant is not singled out for mention in the Fragments it is partly because his presence is everywhere.” Ronald M. Green, “Kierkegaard’s Philosophical Fragments: A Kantian Commentary”, in International Kierkegaard Commentary, hg. von Robert L. Perkins, Bd. 7, Macon 1994, S. 169. Siehe auch: Ronald M. Green, “A Debt both Obscure and Enormous”, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 179–210. 26 SKS 4, 249 / PB, 42f.

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losophie27 absolut problematisch. Dieser Problematik ist sich Climacus restlos bewusst und hat folglich Konsequenzen daraus gezogen: Der Verstand kann „die schlechthinnige Verschiedenheit […] nicht einmal denken; denn schlechthin kann er sich selbst nicht verneinen, sondern er benützt sich selber dabei und denkt mithin die Verschiedenheit an sich selbst, die er mit sich selbst denkt […].“28 Er betont ausdrücklich, dass diese Verschiedenheit sich nicht greifen lässt.29 Mit diesen negativen Behauptungen werden selbstverständlich alle Formen der natürlichen Theologie (d.h. jener rein philosophischen Disziplin, die Gottes Existenz und Wesen zum Gegenstand hat) ausnahmslos negiert. Wenn wir annehmen, dass es „eben das unerschütterliche Bestehen auf dem Unbedingten und den schlechthinnigen Begriffsunterschieden [ist], das einen zu einem guten Dialektiker macht“30, so können wir feststellen, dass Climacus selbst ein Dialektiker par excellence ist. Keineswegs außer Acht zu lassen ist jedoch die konsequente Betonung der schlechthinnigen Verschiedenheit und der daraus folgenden Unbekanntheit bei Climacus, die ausdrücklich auf theologischen bzw. hamartiologischen Voraussetzungen gründet: Der absolute Unterschied ist vom Menschen selbst verschuldet, er ist die Sünde selbst.31 Mir scheint, dass letztendlich genau diese radikale Sündenauffassung den logischen Grund für die negative Dialektik des Climacus bildet, die jede Form der dialektischen Versöhnung bzw. Vermittlung von seinem Begriff her ausschließt und die dialektischen Gegensätze bis zum Äußersten verschärft.32

1.1.2 Climacus’ Apophase im Kontext der zeitgenössischen Debatte über Rationalismus und Supranaturalismus In „unsrer Zeit“, meint Climacus, hat man „das unerschütterliche Bestehen auf dem Unbedingten und den schlechthinnigen Begriffsunterschieden […] ganz und gar übersehen […] vermöge dessen und damit, dass man den Satz vom Wider-

27 Man denke nur an Hegels Position, derzufolge „der absolute Unterschied“ an sich eigentlich ein inhaltsloser Begriff ist, vgl. Hegel, Wissenschaft der Logik, S. #265-#278 („Der Unterschied“). 28 SKS 4, 249 / PB, 42. 29 SKS 4, 250 / PB, 43. 30 SKS 4, 304 / PB, 106. 31 SKS 4, 252 / PB, 45. 32 Diesbezüglich ist die radikale Position des jungen Theologiestudenten Kierkegaard bemerkenswert: „Philosophie und Christentum lassen sich doch niemals vereinen.“ SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31.

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spruch aufgehoben hat“33. Mit dieser Behauptung bezieht sich Climacus eindeutig auf jene heftige Diskussion in Tidskrift for Litteratur og Kritik, die gegen Ende der 1830er im dänischen Geistesleben viel Aufsehen erregte.34 Man muss aber sogleich hinzufügen, dass nicht nur diese einzelne Behauptung, sondern das Werk in seiner Gesamtheit als kategorische Stellungnahme zu dieser Debatte aufgefasst werden kann. Die apophatische Dialektik der Brocken (die besonders für die „metaphysische Grille“ des dritten Kapitels charakteristisch ist) bringt gemeinhin nicht nur eine wichtige Seite der Denkweise des Verfassers zum Ausdruck, sondern steht durch Begrifflichkeit und formale Bestimmungen zugleich in einer auffälligen Beziehung zur eben genannten Diskussion. Bekanntlich hat diese Debatte mit Bischof J.P. Mynsters Artikel „Rationalismus, Supranaturalismus“ begonnen. In dieser Schrift hat er J.A. Bornemanns Satz heftig bestritten, demzufolge „[i]n der Theologie sowohl Rationalismus als auch Supranaturalismus überholte Standpunkte sind, die einer verschwundenen Zeit angehören“.35 Mynster ist der Auffassung, dass die Religion immer unter einer der beiden Sichtweisen betrachtet werden müsse, und wenn eine von ihnen wirklich überholt wäre, dann müsste die andere umso mehr vorherrschen, es sei denn, auch das principium exclusi medii inter duo contradictoria wäre überholt.36 Am Ende seines Artikels kritisiert Mynster kurz37 Hegels Behandlung dieses logischen Gesetzes und stellt sein Aut/aut der hegelschen Vermittlung gegenüber. Auf diese kurze, wenn auch scharf formulierte Bemerkung haben einige Repräsentanten des dänischen Geisteslebens ziemlich schnell reagiert.38 Als

33 SKS 4, 304 / PB, 106. 34 Zu den Einzelheiten der Diskussion siehe Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 347–355; Mynster’s “Rationalism, Supernaturalism” and the Debate about Mediation, übers. und hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2009, (Texts from Golden Age Denmark, Bd. 5). Für einen kurzen Überblick siehe SKS K4, 301f. 35 „I Theologien ere baade Rationalisme og Supranaturalisme forældede Standpuncter, der tilhøre en forsvunden Tid.“ Jakob Peter Mynster, „Rationalisme, Supranaturalisme“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 249. Vgl. dazu Johan Alfred Bornemann, „Af Martensen: de autonomia conscientiae. Sui humanae“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 3. 36 „[D]a synes det, som om Religionen stedse maa betragtes efter een af disse Synsmaader, og at, dersom den ene af dem virkelig var forældet, da maatte den anden saa meget mere være herskende, medmindre ogsaa principium exclusi medii inter duo contradictoria skulde være forældet.“ Mynster, „Rationalisme, Supranaturalisme“, S. 266. 37 In der späteren Periode der Debatte hat sich Mynster in einem Artikel auch eingehender mit dieser Problematik beschäftigt. Siehe: J.P. Mynster, „Om de logiske Princippier“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1842, S. 325–352. 38 Man muss hierzu bemerken dass Mynster nicht der erste war, der eine kritische Haltung gegenüber der hegelschen Aufhebung des pricipium contradictionis in jener Zeit in Kopenhagen

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einer der Diskussionsteilnehmer hat J.L. Heiberg versucht, die hegelsche Position hinsichtlich der klassischen logischen Grundgesetze mit den Argumenten des Systems zu klären.39 Er hat das principium exclusi medii für eine Tautologie erklärt, und in diesem Zusammenhang Mynsters Position in der Frage der (Un)möglichkeit der Vermittlung zwischen Rationalismus und Supranaturalismus als einen Standpunkt der Endlichkeit aufgefasst.40 Als Antwort darauf hat der damalige Theologiestudent A.F. Schiødte in seinem anonymen Artikel Heibergs hegelsche Behandlung und Beurteilung der traditionellen formalen Logik mit bemerkenswerten Argumenten kritisiert und sich F.C. Sibberns und Mynsters Standpunkt angeschlossen.41 Den für das Verständnis der Brocken wichtigsten Diskussionsbeitrag bildet zweifellos H.L. Martensens theologische Stellungnahme.42 Seiner Auffassung nach ist es die Aufgabe der Theologie, in jedem Fall die Identität dessen zu erfassen, was für den Verstand widersprüchlich ist.43 Das logische Mittel dieses Begreifens ist eben die hegelsche Vermittlung. In Martensens spekulativer Theologie ist die Vermittlung selbst die zentrale Kategorie des Verständnisses des Christentums. Dessen Mittelpunkt, die Inkarnationslehre – in ihrer Konzeption – zeigt, dass die christliche Metaphysik nicht in einem bloßen Entweder-Oder verweilen

eingenommen hat. Sibbern hat nämlich schon im Jahr vorher in einer Rezension eine Kritik an der hegelschen Methode geübt; siehe dazu Frederik Christian Sibbern, „Om den Maade, hvorpaa Contradictionsprincipiet behandles i den hegelske Skole“, Maanedskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, S. 424–460. 39 Johan Ludvig Heiberg, „En logisk Bemærkning i Anledning af H. H. Hr. Biskop Dr. Mynsters Afhandling om Rationalisme og Supranaturalisme i forrige Hefte af dette Tidskrift“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 441–456. 40 „Den hele videnskabelige Betydning af de her omhandlede logiske Principier er følgelig den, at de udtrykke, hvorledes Mediationen […] er umulig, saalænge man bliver staaende paa Endelighedens Standpunkt. Men dette Standpunkt kan man vindicere i Alt; i Alt kan man sætte en Grændse, inden-eller udenfor hvilken man maa befinde sig. En saadan kan da ogsaa sættes imellem Rationalisme og Supranaturalisme, og isaafald kunne de ikke medieres, og principium exclusi medii kommer til at gjælde. Men dette er kun en Tautologie, nemlig: Har man reduceret en Modsætning til det Standpunkt, hvorpaa den ikke kan medieres, saa kan den ikke medieres. Men dette Standpunkt er den empiriske Endeligheds.“ Heiberg, „En logisk Bemærkning …“, S. 448. 41 [Andreas Ferdinand Schiødte], „Et Par Ord til nærmere Overveielse angaaende de tre saakaldte logiske Principier“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 2, 1839, S. 120–128. 42 Hans Lassen Martensen „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii i Anledning af H. H. Biskop Mynsters Afhandling herom i dette Tidskrifts forrige Hefte“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 456–473. 43 „Det er vanskeligt at indsee hvorledes dette Princip [d.v.s. principium exclusi medii] saaledes kan anvendes paa Theologien, hvor det netop er Opgaven paa ethvert Punct at fatte Identiteten af det for Forstanden Modsigende.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 457.

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darf, sondern dass sie die Wahrheit in eben jenem Dritten finden muss, das durch das aristotelische Gesetz des principium exclusi medii ausgeschlossen wird.44 Es ist selbstverständlich, dass in dieser identitätsorientierten Konzeption auch die Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz aufgelöst wird und die Betonung der göttlichen Transzendenz nur „zu einem gewissen Grad“ ihre Daseinsberechtigung bewahren kann. Folglich gibt es im Christentum keine wesentliche Unterschiede mehr: „[D]as Übernatürliche und das Nicht-Übernatürliche sind im Christentum selbst nicht nur teilweise sondern völlig vermittelt.“45 Martensen hält – wie auch Heiberg – den Supranaturalismus für einen isolierten Standpunkt der Endlichkeit, und die supranaturalistische Betonung der Begrenztheit der Vernunft für eine „ungültige Schranke“46. Seine Antwort auf die gegenteilige Behauptung Mynsters ist, dass der Gegensatz zwischen Supranaturalismus und Rationalismus in der Entwicklung der metaphysischen Notwendigkeit des Christentums aufgehoben wird.47 Die Aufgabe der Zeit ist es nun, genau jenes „unglückselige Entweder-Oder“ (ulyksalige aut aut)48 in der Vermittlung aufzuheben, die ihrerseits wieder den logischen Grund für den supranaturalistischen Standpunkt bildet. Wenn wir Climacus’ negative Dialektik im Kontext dieser Diskussion betrachten, dann können wir feststellen, dass seine Auffassung des Christentums einerseits als eine Verteidigung der supranaturalistischen Position zu interpretieren ist,49 andererseits als ein heftiges Bestreiten und Ablehnen des Gebrauches der logischen Methode der Vermittlung in der Theologie aufgefasst werden kann. Durch die historische Reflexion auf die Beziehung der Brocken zu dieser Debatte wird ein neuer hermeneutischer Horizont für die Interpretation des Werkes gewonnen.50 In diesem Kontext erscheinen die Grundkategorien von Climacus’ Dialektik (Unbekanntheit, absolute Verschiedenheit, Paradox etc.) nicht nur als ent-

44 „Christendommens Middelpunct, Incarnationslæren, Læren om Gudmennesket, viser jo netop, at den christelige Metaphysik ikke kan hvile i et Enten Eller, men at den kun finder Sandheden i det Tredie som hiint Princip udelukker.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 458. 45 „[D]et Overnaturlige og det Ikke-Overnaturlige er medieret i Christendommen selv, ikke halvt men heelt.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 461. 46 „[D]en supranaturalistiske Theologies blot formale Brug af Fornuften [er] bleven erkjendt som en ugyldig Skranke.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 471. 47 „Men denne Christendommens metaphysiske Nødvendighed, som herved er indrømmet, synes kun at behøve at udvikles, for at ogsaa Modsætningen mellem Supranaturalisme og Rationalisme, Fornunft og Aabenbaring, Tro og Viden vil være ophævet.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 461. 48 Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 467. 49 Vgl. Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 352. 50 Siehe dazu Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 336–377.

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fernte Verwandte der klassischen apophatischen Tradition, sondern vor allem als direkte Ablehnungen jenes theologischen Verfahrens, welches das Christentum in seiner Totalität mit der hegelschen Kategorie der Vermittlung zu interpretieren suchte. Diese Methode war bekanntlich für Martensens spekulative Theologie charakteristisch, hat er doch in seinem Artikel explizit dieses Verfahren Mynster gegenüber verteidigt. Climacus’ Argumentation gegen die natürliche Theologie, gegen die Aufhebung der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz, gegen die Versuche, den Glauben mit Verstandesargumenten zu begründen sowie seine konsequente negative Dialektik bringen folglich nicht nur den Standpunkt der apophatischen Theologie zum Ausdruck, sondern vor allem auch eine supranaturalistische Position gegen die theologische Applikation der hegelschen Logik. Es fällt auf, dass Martensen in seinem Artikel die supranaturalistische Theologie wegen ihres „bloß formalen Vernunftgebrauches“ kritisiert und sie deshalb mit dem kantischen Standpunkt parallelisiert.51 Daneben scheint es, dass dieser philosophische Vergleich als indirekte Bestätigung für diejenige Behauptung dienen kann, der zufolge Climacus’ (oben erörterte) kantische Position in theologischer Hinsicht mit dem damaligen Supranaturalismus zusammenhängt. Eine weitere bemerkenswerte Parallele zwischen den Positionen von Climacus und Kant liegt darin, dass bei beiden Autoren der direkte Gegenstand der Kritik am klassischen ontologischen Beweis in der cartesianischen Version des Argumentes zu finden ist: Weder Kant noch Climacus beschäftigen sich mit Anselms im Proslogion exponierten originalen Gedanken.52 Ferner gibt es bei Climacus auch keinen Hinweis auf die wohlbekannte Wiederaufnahme des Arguments in der hegelschen Religionsphilosophie, obwohl bei Martensen die neue theologische Anerkennung dieses Beweises explizit erwähnt wird.53 Ein Grund dafür, dass Climacus sich mit der Kritik an den rationalistischen Beweisen begnügt, anstatt zu einem Angriff auf die idealistische Neubegründung des ontologischen Argumentes überzugehen, mag darin liegen, dass er an diesem Punkt eigentlich Kants Position vor Augen hat, auch wenn er sich auf die kantische Konzeption niemals explizit beruft.54

51 „[D]en supranaturalistiske Theologies blot formale Fornuftbrug, der bevæger sig udenom det theologiske Object uden at assimilere det, er i Objectivitetens Sphære det Samme, hvad Kants regulative Fornuftbrug er i Subjectivitetens.“ Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme…“, S. 471. 52 Kierkegaard hat aber später (1851 u. 1853) in den Journalen auch eine direkte Kritik an Anselms Verfahren geübt. Siehe dazu SKS 24, 301f., NB23:203; SKS 25, 239, NB28:31. 53 Vgl. Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme …“, S. 471. 54 Aus dem Entwurf des Buches ergibt sich sogar, dass der Verfasser der Brocken mit Kants Position in der Kritik am ontologischen Beweis nicht völlig einverstanden war: „Jeg slutter bestandig

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1.2 Die Aufhebung der natürlichen Theologie 1.2.1 Aufhebung als Negation Der Text des III. Kapitels der Brocken lässt keinen Zweifel daran, dass der Verfasser die klassischen Gottesbeweise der natürlichen Theologie für falsch hält. Obwohl Climacus nur das sogenannte ontologische und teleologische Argument zum direkten Objekt seiner kritischen Bemerkungen macht, wird klar, dass für ihn schon die Bemühung selbst inakzeptabel ist, die sich in diesem Gebiet auf ein natürliches und objektives Wissen richtet. Zugleich ist aber evident, dass diese negative Einstellung nicht isoliert, als reine Ablehnung der natürlichen Theologie zu interpretieren ist, sondern vielmehr im Kontext des Kierkegaardschen Denkens erörtert werden muss. Bekanntlich hält Climacus den ontologischen Beweis des Spinoza (wonach Gottes „essentia involvit existentiam“) für eine leere Tautologie und er kritisiert Spinozas Argument wegen des Mangels der „Begriffsunterscheidung zwischen faktischem Sein und ideellem Sein“.55 Dieselbe Kritik trifft auch den berühmten Gedanken von Leibniz: „[W]enn Gott möglich ist, so ist er eben damit notwendig.“56 Das teleologische Argument wird deshalb kritisiert, weil „[u]nmittelbar die Taten überhaupt nicht existieren, aus denen [man Gottes] Dasein beweisen“57 könnte. Climacus versucht aber offensichtlich nicht, alle möglichen Formen der Gottesbeweise kritisch zu analysieren.58 Für ihn sind nämlich alle Beweise ab ovo irrtümlich, denn „das Dasein…kann niemals bewiesen werden“.59 Der Grund für diese streng philosophische Behauptung ist die Überzeugung, nach welcher das Sein,

ikke til Tilværelsen…men jeg slutter fra Tilværelse, og er nu saa føielig for at behage Msker, at kalde det en Beviisførelse. Det hænger derfor anderledes sammen end som Kant meente det, at Tilværelse er et Accessorium.“ Pap. V B 5,3. 55 SKS 4, 246 / PB, 39f. 56 SKS 4, 247 / PB, 40. 57 SKS 4, 246 / PB, 39. 58 Es fällt auf, dass es in den Philosophischen Brocken keine Spur einer kritischen Erörterung der hegelschen Religionsphilosophie gibt, obwohl Kierkegaard dieses Werk sicherlich in seiner Bibliothek hatte; vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, hg. von Philipp Konrad Marheineke, 2 Theile, 2. Auflage, Berlin 1840 [Ktl. 564–565]); Kierkegaard hat sogar in der Entstehungszeit der Brocken Franz Anton Staudenmaiers Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems gekauft (Mainz 1844, Ktl. 789), wo Hegels Religionsphilosophie eingehend und höchst kritisch erörtert wird (S. 672–836). 59 SKS 4, 245 / PB, 38.

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die Wirklichkeit, sich nicht begrifflich erfassen lässt,60 sondern für die Immanenz des Denkens schlechthin transzendent ist. Obwohl es „dem Verstande wohl kaum beikommt“61, Gottes Dasein zu beweisen, muss der Mensch die Möglichkeit einer diesbezüglichen Überzeugung keineswegs entbehren. Eine Bemerkung des Climacus in der Nachschrift verdeutlicht aber hinlänglich, dass der Überzeugung in diesem Sinn eine ganz andere Bedeutung als in der Wissenschaft zukommt: „Wenn ein Mann wie Kant, der auf der Höhe der Wissenschaft steht, gelegentlich der Beweise für das Dasein Gottes sagen würde: ja, ich weiß nichts weiter darüber, als dass mein Vater mir gesagt hat, dass es so sei: so […] sagt [das] wirklich mehr als ein ganzes Buch über die Beweise.“62 In einer Passage des Journals wird sogar behauptet, dass es in der Mathematik (d.h. in der Wissenschaft) eigentlich keine Überzeugung (Overbeviisning) sondern nur ein Beweisen (Beviisning) geben könne. Das Spezifische für existentielle Sätze ist eben, dass es in diesem Bereich für jeden einzelnen Beweis (Beviis) einen Gegenbeweis (Modbeviis) gibt; hier gibt es immer ein pro und contra. Die Überzeugung lässt sich folglich nicht aus den Beweisen deduzieren, sondern sie steht über ihnen.63 Das heißt, dass es sich hier um einen Abbruch der Kontinuität der Immanenz des Denkens, oder – mit Climacus’ Ausdruck – um einen Sprung handelt.64 Gottes Dasein ist folglich bei Climacus und im ganzen Œuvre Kierkegaards nicht nur deshalb unbeweisbar, weil das Dasein sich nicht beweisen lässt, sondern vor allem deshalb, weil es hier um einen existentiellen Satz sensu eminentiori geht.65 Daraus folgt, dass die Bemühung, für Gottes Dasein Beweise

60 „‚Wirklichkeit‘ lässt sich nicht begreifen. Das hat schon Joh. Climacus richtig gezeigt, und zwar ganz einfach.“ SKS 23, 72, NB15:103 / T 4, 106. 61 SKS 4, 245 / PB, 37. 62 SKS 7, 502 / AUN2, 263; vgl. SKS 20, 417, NB5:114 / T 3, 25f. 63 „Eine Überzeugung (Overbeviisning) wird deshalb eine Überzeugung (Overbeviisning) genannt, weil sie über den Beweis geht (fordi den er over Beviisningen). Für einen mathematischen Satz gibt es einen Beweis, aber dergestalt, daß kein Gegenbeweis denkbar ist. Eben deshalb kann man keine Überzeugung haben im Verhältnis zum Mathematischen. Aber im Verhältnis zu jedem existentiellen Satz hat jeder Beweis auch etwas, was ein Gegenbeweis ist, es gibt ein Für und ein Wider. Das ist dem Überzeugten nicht unbekannt; er weiß sehr wohl, was der Zweifel zu sagen hätte: das Wider; aber des ungeachtet, oder richtiger eben deshalb ist er überzeugt, weil er sich mit entschlossenem Wollen höher schwingt als die Dialektik der Beweise, und überzeugt ist.“ SKS 20, 79, NB:102 / T, 2, 72f. 64 SKS 4, 248 / PB, 41; vgl. SKS 27, 276, Papir 283:1. 65 Das gilt natürlich auch für die Beweise der Unsterblichkeit der Seele, und erklärt zugleich den wesentlichen Zusammenhang der Kritik an den Gottesbeweisen mit jener an den Beweisen für die Unsterblichkeit. Kierkegaards Stellungnahme in der mit Feuerbachs Gedanken über Tod

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zu finden, ipso facto ein klares Zeichen für den Mangel der Überzeugung, der inneren Gewissheit, letztendlich des Glaubens des Einzelnen ist. Climacus’ konsequent rein negative Stellungnahme bezüglich der klassischen Gottesbeweise darf deshalb nicht als eine besondere religionsphilosophische Position, sondern muss vielmehr als eine logische Folge des existentiellen Denkens des Verfassers betrachtet werden.

1.2.2 Aufhebung als Aufbewahren Wenn wir uns nach diesen Überlegungen dennoch der Frage stellen, ob der Kierkegaardschen Aufhebung der natürlichen Theologie auch einen positiven Sinn beizumessen sei, dann dient dies keineswegs einem dialektisches Spieltrieb, es ist vielmehr unabdingbar, die Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Segment seines Œuvres zu richten. Es ist allgemein bekannt, welch weitreichende Bedeutung die sogenannten „Erbaulichen Reden“ für das Verständnis der pseudonymen Schiften haben. So stehen etwa die Drei erbaulichen Reden vom 8. VI. 1844 zweifellos in einem inneren Zusammenhang mit den fünf Tage später veröffentlichten Philosophischen Brocken. Bereits die erste Rede („Gedenke an deinen Schöpfer in deiner Jugend“ Pred. I,12) leistet einen wichtigen Beitrag zu der in den Brocken eingehend erörterten Problematik der Gottesbeweise. Unter der Annahme, dass „Gedenken an den Schöpfer“ als Pendant des Glaubens aufgefasst werden kann, ist die Jugend als Repräsentant des „Zustandes“ zu interpretieren, in dem man diesen Akt „am natürlichsten“66 und „am besten“67 vollziehen kann. „Wenn man aber älter wird, ist der Weg zur Kirche oft recht lang“,68 und „zum Himmel [ist es] weit“.69 Während es für die Jugend ganz natürlich ist, an Gott als ihren Schöpfer zu denken, nähert sich der Mensch im späteren Alter einem eher kümmerlichen Zustand: „Gott im Himmel muß dasitzen, und auf die Entscheidung seines Schicksals warten, ob er da ist, und endlich tritt er ins Dasein vermittelst

und Unsterblichkeit (1830) ausgebrochenen Unsterblichkeitsdebatte steht also deshalb in einer auffallenden Parallele zu seiner Position in der Frage der Gottesbeweise, weil es für ihn hier im Wesentlichen um dieselbe Sache geht. „Med Hensyn til Guds Tilværelse, Udødeligheden o:s:v: kort med Hensyn til alle Immanentsens Problemer gjelder Erindringen, det er altsammen til i ethvert Menneske kun veed han ikke af det.“ Pap. V B 40,11. S. 93. 66 SKS 5, 241 / 3R44, 153. 67 SKS 5, 243 / 3R44, 155. 68 SKS 5, 241 / 3R44, 153f. 69 SKS 5, 242 / 3R44, 154.

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 Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

einiger Beweise; die Menschen müssen die Beweise finden, indem sie zuwarten, bis die Sache entschieden ist.“70 Aus dieser Gegenüberstellung geht nicht nur deutlich hervor, dass die Gottesbeweise in den Augen des Verfassers den Mangel des lebendigen Gottesverhältnisses ausdrücken, sondern indirekt auch, dass es einen (durch die Jugend repräsentierten) „Zustand“ des Lebens geben kann, in dem man auf diese Beweise überhaupt nicht angewiesen ist: Die Jugend braucht diese Beweise schlicht nicht.71 In der Jugend nämlich kann das Gedenken an den Schöpfer in alles sonstige Denken mithineingedacht werden.72 Das bedeutet, dass dieses Gedenken für die Jugend schlechthin natürlich ist. Wenn Climacus konstatiert, dass es dem Verstand nicht beikommt, Gottes Dasein zu beweisen, dann ist seine negative Position im Hinblick auf Kierkegaards Denken völlig konsequent. Daraus folgt, dass für ihn die Versuche der natürlichen Theologie ebenso unbegründet wie überflüssig sind. Wenn als Ziel dieser Versuche allerdings das Erreichen einer bestimmten Gewissheit angenommen wird, dann ist festzustellen, dass die eigentliche Gewissheit schon vor den Beweisen (d.h. unabhängig von ihnen) zu finden ist: Für die Jugend ist nämlich Gottes Dasein durch das Denken an den Schöpfer natürlich gewiss.73 Diese natürliche Gewissheit ist freilich keine natürliche Theologie im strengen Sinn des Wortes, sie ist aber auch kein Antipode derselben, denn in dieser Gewissheit ist eben jenes originale Ziel in der Innerlichkeit der Existenz erreicht, das eigentlich auch der natürlichen Theologie eigen ist, das sie aber im Bereich des objektiven Wissens auf keine Weise erreichen kann.

70 SKS 5, 241 / 3R44, 153. 71 „Es war einmal ein Denker, […] er hat gesagt, aus einem einzigen Strohhalm wolle er Gottes Dasein beweisen. Lass den Denker den Beweis behalten, gib der Jugend den Strohhalm, sie kann – nicht beweisen; wozu braucht man das aber auch, wenn man den Strohhalm hat und – Gott! Wenn man älter wird, kommt der Beweis an, und der Beweis ist ein vornehmer Reisender, auf den alles mit Bewunderung blickt.“ SKS 5, 242 / 3R44, 154f. 72 Vgl. SKS 5, 241 / 3R44, 153. 73 In einer Anmerkung in einem Entwurf zu den Brocken wird sogar behauptet, dass es eigentlich niemanden gibt, der an Gottes Dasein überhaupt nicht glaubt: „[S]aa lidet, som Nogen har beviist det [d.v.s. Guds Tilværelse], saa lidet har der nogensinde været en Atheist til, om vel end Mange der ikke have villet lade, hvad de vidste, at Guden var til faae Magt over deres Sind.“ Pap. V B 40,11. S. 92.

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2 Vernunft und Offenbarung. Transzendentale versus existenziale Interpretation der Offenbarung in Fichtes früher Religionsphilosophie und in den Climacus-Schriften Eine Rekonstruktion der Fichte-Rezeption Kierkegaards und hierbei insbesondere seines Verhältnisses zu Fichtes Offenbarungskonzeption erscheint in mehrfacher Hinsicht problematisch. Eine griffige Gesamtcharakteristik des Themas wird nicht nur durch den ambivalenten und sporadischen Charakter der Kierkegaardschen Referenzen erschwert, sondern auch durch die in der Forschung hervorgehobene Verschiedenheit der Hauptintentionen beider Denker:1 Die Fichtesche Selbstbzw. Wirklichkeitskonstitution der transzendentalen Subjektivität in der Selbstsetzung des Ichs und die Kierkegaardsche Selbst- bzw. Wirklichkeitskonstitution des existierenden Subjekts im Akt der (Selbst)wahl verbindet trotz unübersehbarer formaler Entsprechungen kein identisches Wirklichkeitsverständnis. Wenn Kierkegaards Verhältnis zu Fichte in der Komplexität seiner Bezüge beleuchtet werden soll, geschieht dies zudem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine sowohl systematisch wie historisch orientierte Untersuchung der zeitgenössischen dänischen Fichte-Rezeption ein Forschungsdesiderat bleibt. Vergleicht man Fichtes frühe Offenbarungskritik mit Kierkegaards Offenbarungsverständnis, steht eine Konfrontation mit weiteren Schwierigkeiten bevor. Einerseits erscheint methodologisch zumindest fragwürdig, ob Fichtes frühe, kritische, unter dem Einfluss Lessings und Kants konzipierte Position in seinem Versuch einer Kritik aller Offenbarung (1792, 21793) überhaupt eine legitime Basis für diesen Vergleich bildet. Fichte war mit seiner rasch abgefassten Erstlings-

1 Schmidinger konstatiert ein – trotz auffallender Parallelen – „radikal verschiedenes Wirklichkeitsverständnis“ bei Fichte und Kierkegaard. Heinrich Schmidinger, „Kierkegaard und Fichte“, Gregorianum, Bd. 62, 1981, S. 529. Ähnlich urteilt Kangas: “What finally separates Kierkegaard from Fichte – not to mention from Kant the early Schelling and Hegel – is therefore that Kierkegaard thinks the meaning of the self, starting from the inner diremption or contradiction that makes a self first possible as a self-reflexive relation. Interiority in Kierkegaard does not signify the subject’s presence to itself or identity with itself (Fichte’s I=I), but rather that doubling up or reduplication of being which allows, in general, the possibility of any and all self-consciousness.” David J. Kangas, “J. G. Fichte: From Transcendental Ego to Existence”, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 85.

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schrift bekanntlich nicht zufrieden und durchaus überrascht von Kants positiver Aufnahme des Manuskripts.2 Andererseits findet sich in Kierkegaards Œuvre keine einzige Stelle, die als direkte Auseinandersetzung mit Fichtes Frühwerk oder wenigstens als ein Zeugnis seiner Vertrautheit mit diesem Werk betrachtet werden könnte. Obwohl Kierkegaard die zweite Auflage (1793) des Textes in I. H. Fichtes Gesamtausgabe zweifellos in seiner Bibliothek besaß,3 gibt es unter den sich explizit auf Fichte beziehenden Textstellen keine, die sich eindeutig als eine Reflexion auf seine Offenbarungsschrift identifizieren ließe. Immerhin ist es für Kierkegaard – vor allem in seinen veröffentlichten Schriften – weitgehend charakteristisch, dass er die Autoren, auf die er anspielt, relativ selten explizit nennt. Obwohl Die Bestimmung des Menschen (1800) Fichtes einziges Werk ist, dessen Titel bei Kierkegaard namentlich vorkommt und das zugleich einen deutlichen Widerhall in den frühen Gilleleie-Aufzeichnungen gefunden hat,4 darf man keineswegs a priori ausschließen, dass auch andere Teile5 seines Gesamtwerkes eine bestimmte Wirkung auf Kierkegaards Denken ausgeübt haben. Obwohl Fichtes Versuch einer Kritik aller Offenbarung ein echt kantisches Buch ist, kann man bereits in diesem frühen Text mehrere Anhalts-

2 Medicus ist der Meinung, dass Kant Fichtes ganzes Manuskript aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gelesen hat. Siehe Fritz Medicus, „Fichtes Leben“, in Werke. Auswahl in 6 Bänden, Leipzig 1922, Bd. 1, S. 49. Bezüglich der Bedeutung des Werkes betont Hirsch, dass die Offenbarungskritik nur eine Episode im Fichteschen Denken ist, und dass die eigentliche Geschichte der Fichteschen Religionsphilosophie erst mit der Konzeption der Wissenschaftslehre beginnt. Siehe Emanuel Hirsch, Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes, Göttingen 1914, S. 15. 3 Johann Gottlieb Fichtes sämtliche Werke, hrsg. von I. H. Fichte, Bde. 1–11, Berlin-Bonn, 1834– 1846. (Ktl. 489–499) Da das Anliegen dieses Beitrages keineswegs eine philologische Erörterung von Kierkegaards Fichte-Rezeption ist, sondern eher einen formalen Vergleich ihrer Offenbarungsverständnisse zu skizzieren versucht, wird sich die Rekonstruktion von Fichtes diesbezüglicher Konzeption auf relevante Passagen aus beiden Ausgaben (1792, 1793) seines Werkes stützen. 4 Das Papir 252:5 (SKS 27, 185) beweist, dass Kierkegaard das Buch im März 1835 gelesen hat. Eine Passage in der Journalaufzeichnung AA:6 (SKS 17, 16) vom 29. Juli 1835 zeigt schon eine eindeutige Reflexion auf dieses populäre Werk und beweist, dass Fichte einen wesentlichen Anlass für Kierkegaards frühe Reflexionen bedeutet hat. Ansonsten gibt es keinen eindeutigen philologischen Beweis für Kierkegaards Kenntnis von anderen Werken Fichtes. Auch Kangas konstatiert diesen Umstand: “It remains unclear which texts of Fichte Kierkegaard actually read.” Kangas, “J. G. Fichte: From Transcendental Ego to Existence”, S. 67. 5 Wie Schmidinger bemerkt, waren es besonders Emanuel Hirsch, Niels Thulstrup und Hayo Gerdes, die in ihren Kommentaren bzw. Monographien dazu geneigt waren, einige KierkegaardPassagen als Reminiszenzen an Fichtes Anweisungen zum seligen Leben (1806) aufzufassen. Siehe Schmidinger, „Kierkegaard und Fichte“, in Gregorianum, Bd. 62, 1981, S. 506, 524f.

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punkte für seine spätere, genuine Konzeption erkennen. Was Kierkegaards Pseudonym Johannes Climacus angeht, so bildet in seinen Werken das Problem der Offenbarung bzw. die Problematik von „Glauben und Wissen“ zweifellos ein zentrales Thema, weshalb seine Intention – in pointierter Weise – als ein „Versuch einer Kritik aller Offenbarungskritiken“ formuliert werden kann. Obwohl es offensichtlich ist, dass das direkte Ziel von Climacus’ Angriff keineswegs die Kantisch-Fichtesche Konzeption der Moralreligion bildet, sondern vielmehr die zeitgenössische dänische Debatte über die Hegelsche Kategorie der Vermittlung,6 wird es aufschlussreich sein zu untersuchen, ob und inwiefern zwischen Climacus’ apophatischer Theologie und Fichtes Offenbarungskritik formale oder thematische Berührungspunkte liegen. Hierzu wird zunächst Fichtes Standpunkt rekonstruiert. Anschließend Climacus’ Offenbarungsverständnis im Kontext des Kierkegaardschen Œuvres dargelegt, bevor schließlich die Frage zu erörtern sein wird, ob und inwiefern diese beiden subjektivitätsphilosophischen Konzeptionen gemeinsame Voraussetzungen implizieren.

2.1 Fichtes Ansatz einer transzendentalphilosophischen Begründung der Offenbarung in seinem Versuch einer Kritik aller Offenbarung Die eigenartige Entstehungsgeschichte von Fichtes zuerst 1792 anonym veröffentlichter Frühschrift gehört zweifellos zu den bekanntesten Anekdoten seines bewegtes Lebens, weshalb wir uns hier mit einer nur kurzen Erwähnung begnügen. Bemerkenswert ist nicht nur der Rezensent G. Hufeland,7 der die Schrift für das damals erwartete religionsphilosophische Werk des alten Kants hielt, sondern auch Fichtes Jenaer Vorgänger Karl Leonhard Reinhold, der sich über das Buch in einem enthusiastischen Brief an den dänischen Dichterphilosophen Jens Baggesen folgendermaßen äußerte: „Seit den Evangelien hat die Religion keine solche Stütze, wie durch dieses Werk erhalten, und ohne dasselbe würde es auch mit den Evangelien in kurzem schlimm ausgesehen haben.“8

6 Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 336–355. 7 Hufeland stellt in seiner Rezension im Intelligenzblatt der Jenaer Allgemeinen Zeitung von 30. Juni 1792 (Nr. 82.) fest: „Jeder, der nur die kleinsten derjenigen Schriften gelesen, durch welche der Philosoph von Königsberg sich unsterbliche Verdienste um die Menschheit erworben hat, wird sogleich den erhabenen Verfasser jenes Werkes erkennen.“ Siehe Medicus, „Fichtes Leben“, S. 54. 8 J. G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen, hg. von Erich Fuchs et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, Bd. 1: 1762–1798, S. 35f. Baggesen selbst hat übrigens Fichte später auch per-

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Obwohl die zweite Ausgabe des Werkes von 1793, die Kierkegaard besaß, eine bedeutende Umarbeitung und Erweiterung der Urfassung (1791) sowie der ersten Auflage (1792) enthält, ist der Kantische Charakter trotz der merklichen Unterschiede in allen drei Textphasen insofern vorherrschend geblieben, als Fichte durchgängig die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen der Offenbarung zu klären und einen kritischen Offenbarungsbegriff zu bilden versucht. Seine Überzeugung spiegelt den Einfluss von Kants Religionsauslegung wider: Die Offenbarung lässt sich nur als möglich denken, wenn und insofern sie den Prinzipien der Vernunft entspricht, d.h. indem sie sich auf die „Grenzen der bloßen Vernunft“ beschränkt. Da Kant das Unvermögen der theoretischen Vernunft in den Fragen der Religion durch die kritische Klärung ihrer natürlichen Grenzen in seiner ersten Kritik überzeugend nachgewiesen hat, folgt, dass für diesen Ansatz der Begriff der Offenbarung, um überhaupt denkbar zu sein, aus den Postulaten der reinen praktischen Vernunft deduzierbar sein soll. Die wesentliche Aufgabe, die sich Fichte in diesem Werk stellt, ist folglich einerseits die Durchführung einer a priori transzendentalen Deduktion des Offenbarungsbegriffes als Begründung seiner Möglichkeit, ferner der deduktive Nachweis seiner bedingten Notwendigkeit (aus dem Faktum der moralischen Verfallenheit), darüber hinaus – mittels dieses Begriffes – eine kritische Bestimmung der Kriterien einer jeden historischen Erscheinung, die als Offenbarung wird auftreten können.9

sönlich getroffen. Siehe Jon Stewart, “Johan Ludwig Heiberg and the Beginnings of the Hegel Reception in Denmark”, in Hegel-Studien, Bd. 39/40, 2004/2005, S. 162. – Kurioserweise vermutete Schleiermachers Vater trotz der Berichtigung von Seiten Kants noch immer seine Verfasserschaft. Er schrieb am 3. Dezember 1792 an seinen Sohn: „Ich wünsche, dass Du mir Deine Gedanken über eine Piece Kritik aller Offenbarung schreiben und besonders, was am Ende desselben als Schluss aus dem Ganzen gezogen, mit Nachdruck dargelegt ist, wohl beherzigen mögest. Man hat Herrn Kant für ihren Verfasser gehalten; er hat sich aber davon losgesagt und, ich weiß nicht wen dafür angegeben; sie scheint mir aber doch aus seinem Feder geflossen zu sein, so ähnlich sieht sie allem, was er geschrieben hat. Solltest Du einmal nach Königsberg kommen, so besuche doch Herrn Kant und lass Dir Aufschluss über das Buch geben.“ Siehe Medicus, „Fichtes Leben“, S. 55 9 Zu einer Interpretation des Werkes siehe: Hansjürgen Verweyen, „Einleitung“, in Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung, [1792] Hamburg 1983, S. VII-LXX; Ders. „Fichtes Religionsphilosophie. Versuch eines Gesamtüberblicks“, in Fichte-Studien, Bd. 8, Religionsphilosophie, Amsterdam-Atlanta 1995, S. 193–224, bes. 196–201; Folkart Wittekind, „Theologie und Religion in J. G. Fichtes Offenbarungsschrift“, Neue Zeitschrift für Theologie, Bd. 39, S. 87–105; Peter Baumanns, J. G. Fichte: kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg-München 1990, S. 25–34; Joachim Widmann, Johann Gottlieb Fichte: Einführung in seine Philosophie, BerlinNew York 1982, S. 229–234.

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In der ersten Auflage des Werkes beginnt Fichte seine Deduktion der Religion mit einem Rückgriff auf Kants Postulatenlehre bzw. auf den moralischen Beweis für das Dasein Gottes.10 Kants bekannte Argumentation geht in seiner zweiten Kritik von der Idee des „höchsten Gutes“ aus, welche die völlige Übereinstimmung von vollendeter Sittlichkeit und vollkommener Glückseligkeit bedeutet. Die endliche moralische Vernunft ist unmittelbar verpflichtet, das Sittengesetz zu erfüllen und das höchste Gut nach besten Kräften hervorzubringen. Kant deduziert aus dem ersten Element, der Idee des höchsten Gutes, das Postulat der Unsterblichkeit als einen „ins Unendliche gehende[n] Progress“11 und aus dem zweiten Element das Postulat des Daseins Gottes. Die Deduktion dieses zweiten Postulats basiert darauf, dass das endliche Vernunftwesen verpflichtet ist, das höchste Gut zu realisieren, aber seine vollkommene Verwirklichung nicht von ihm abhängt, weil Glückseligkeit als der Endzweck der sinnlichen Natur der Kausalität der Natur untersteht, nicht aber der Kausalität freier endlicher Wesen. Wenn aber die Realisierung der völligen Übereinstimmung beider Kausalitäten unmöglich wäre, dann widerspräche sich das Sittengesetz selbst. Zur Vereinigung dieser Kausalitäten ist nur ein Wesen imstande, in dessen Macht es liegt, eine der vollendeten Sittlichkeit angemessene Glückseligkeit hervorzubringen. Da die Existenz dieses Wesens eine Möglichkeitsbedingung der Verwirklichung des höchsten Gutes ist, ist „es moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen“.12 Fichte geht von Kants obiger Postulatenlehre aus, weicht aber von ihm bereits in der ersten Auflage seines Werkes in wesentlichen Punkten ab.13 Er sieht

10 Siehe dazu Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in Kant. Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 6, Teil 1, (im Folgenden: KpV) S. 254–264. (A 223–238); Ders., Kritik der Urteilskraft in Kant. Werke in zehn Bänden, Bd. 8, § 87, S. 573–580 (A 414–424). 11 KpV, S. 252 (A 220). 12 KpV, S. 256 (A 226). 13 Hiermit stand Fichte unter seinen Zeitgenossenen zweifellos nicht allein. Bemerkenswert ist, dass bereits der junge Schleiermacher die Kantische Postulatenlehre in seiner frühen, unveröffentlichten Universitätsabhandlung „Über das höchste Gut“ (1789) kritisch erörtert und dabei sogar für unhaltbar erklärt hat: „Wir können uns also, wie gesagt, beide Postulate der praktischen Vernunft gefallen laßen, wenn wir nur die Nothwendigkeit oder wenigstens die Nützlichkeit des ganzen Verfahrens einsähen, wenn wir nur einsähen, daß so unsere Begriffe von Gott und Unsterblichkeit auf einem etwas festeren Grund ruhten als auf der natürlichen Illusion der spekulativen Vernunft. Aber das ist es woran wir noch zweifeln müssen.“ Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe, hg. von. H.-J. Birkner, Berlin-New York 1984, (im Folgenden: KGA) Bd. I/1, S. 99. Siehe dazu: Günter Meckenstock, Deterministische Ethik und kritische Theologie. Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789–1794, Berlin-New York 1988, S. 148–155.

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den Endzweck des Moralgesetzes schon mit der Existenz eines Wesens erreicht, „in welchem die höchste moralische Vollkommenheit mit der höchsten Seligkeit vereinigt ist“.14 Während also Kant auf die transzendentalen Möglichkeitsbedingungen des sittlichen Handelns reflektiert, lässt sich Fichte sofort auf eine Spekulation über das Wesen Gottes ein, die Kants Prinzipien durchaus fremd ist.15 Im dritten Paragraphen der zweiten Auflage („Deduction der Religion überhaupt“) hat Fichte über die nähere Bestimmung des Glückseligkeitstriebs eine Deduktion von Rechten versucht. Die gesetzlich zugestandenen Rechte werden oft nicht befriedigt. Dies führt zu einem „Widerspruch des Sittengesetzes mit sich selbst in Anwendung auf empirisch-bestimmbare Wesen“16, wenn nicht ein göttliches Wesen angenommen wird, das dem sinnlichen Trieb schließlich die Erfüllung seines rechtlichen Anspruchs garantiert. Über den Begriff des Rechts wird gesagt: „Betrachten wir diese Idee nur bloß als Begriff, ohne Rücksicht auf das durch dieselbe bestimmte Begehrungsvermögen, so kann sie uns nichts weiter seyn und werden, als ein durch die Vernunft unserer Urtheilskraft gegebenes Gesetz zur Reflexion, über gewisse Dinge in der Natur, sie auch noch in einer andern Absicht, als der ihres Seyns, nämlich der ihres Seynsollens, zu betrachten.“17 An diesem Punkt wird Fichtes idealistischer Schritt über Kant hinaus antizipiert, nämlich die Verbannung des „Dings an sich“ aus der Transzendentalphilosophie. Diese neue Betrachtung der Natur als eines in sich stehenden (und nicht bloß phänomenalen) Seins ist offensichtlich unvereinbar mit Kants kritischer Perspektive. Bekanntlich war eine der wesentlichen Absichten Kants in seiner zweiten Kritik, einen Religionsbegriff zu bilden, der aus den Postulaten der praktischen Vernunft ableitbar ist und deshalb als formale Definition einer reinen Vernunftreligion aufgefasst werden kann.18 Eine empirisch-historische Religion kann in

14 Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung, 1. Aufl. [1792], in J. G. Fichte. Gesamtausgabe, hg. von Reinhard Lauth et al., Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 (im Folgenden: FAk), Bd. I/1, S. 19. 15 Verweyen hebt Fichtes frühes Bemühen um einen originalen Gottesbegriff hervor: „Selbst innerhalb dieses streng nach den kritischen Prämissen Kants vorgehenden Versuchs bleibt Fichte bemüht, die Frage nach Gott über ein bloßes Postulat hinauszuführen, genauer: Gott nicht bloß funktional – als Möglichkeitsbedingung für die Verwirklichung des Endzwecks, als Belohner der Tugend oder als Autorität zur Stärkung des Willens im Kampf gegen die Neigungen – zu denken.“ Hansjürgen Verweyen, „Fichtes Religionsphilosophie. Versuch eines Gesamtüberblicks“, in Fichte-Studien, Bd. 8, Religionsphilosophie, S. 198f. 16 Johann Gottlieb Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung, 2. Aufl. 1793 in FW V, 39. 17 FW V, 44. 18 Im Kapitel über das Postulat vom Dasein Gottes exponiert Kant auch seine moralische Interpretation der Religion: „Auf solche Weise führt das moralische Gesetz durch den Begriff des

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dieser Konzeption ihre Legitimität vor dem Richterstuhl der Vernunft nur dann bewahren, wenn in ihr ein rein ethischer Inhalt als konstitutives Element aufgezeigt werden kann, d.h. insofern sie als ein notwendiges Mittel zur Beförderung des höchsten Guts erscheint.19 Alle anderen Inhalte einer bestimmten Religion werden von Kant als Irrtum, Afterdienst und Religionswahn kategorisch abgelehnt. Fichte teilt weitgehend diese kritische Beschränkung des wesentlichen Inhaltes der Religion überhaupt auf das a priori gültige Moralgesetz der reinen praktischen Vernunft und zieht daraus Konsequenzen für das Phänomen der Offenbarung. Bedarf die Vernunft überhaupt einer Offenbarung, um ihre eigene, autonome Bestimmung zu finden? G. E. Lessing, dessen Einfluss auf den frühen Fichte eindeutig ist, hebt einerseits die pädagogische Funktion der Offenbarung, andererseits den wesentlichen Vorrang der autonomen, universalen Vernunft vor der Offenbarung hervor: Sie kann nichts geben, was die Vernunft selbst nicht erreichen könnte.20 Ferner formuliert er – offensichtlich aufgrund der Leibnizschen Distinktion von „notwendigen Vernunftwahrheiten“ (vérités necessaires de raison) und „Tatsachenwahrheiten“ (vérités de fait) – das bekannte Prinzip, dass diese letzteren „der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden“21 können, welches auch für das Verständnis von Kierkegaards Climacus-Schriften von entscheidender Bedeutung ist. Kant lässt Offenbarung als eine zu bestimm-

höchsten Guts, als das Objekt und den Endzweck der reinen praktischen Vernunft, zur Religion, d. i. zur Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote.“ KpV, S. 261 (A 233). 19 Zur moralischen Notwendigkeit der Bildung eines „ethischen gemeinen Wesens“ als einer „unsichtbaren Kirche“ siehe das dritte Stück von Kants religionsphilosophischem Werk Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in Kant. Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 7, Teil 2, (im Folgenden: RGW) S. 751–815 (A 119–208). 20 „Erziehung gibt dem Menschen nichts, was er nicht auch aus sich selbst haben könnte: sie gibt ihm das, was er aus sich selber haben könnte, nur geschwindlicher und leichter. Also gibt auch die Offenbarung dem Menschengeschlechte nichts, worauf die menschliche Vernunft, sich selbst überlassen, nicht auch kommen würde: sondern sie gab und gibt ihm die wichtigsten dieser Dinge nur früher.“ Gotthold Ephraim Lessing, „Die Erziehung des Menschengeschlechts“ [1780] § 4., in Gotthold Ephraim Lessing. Werke in drei Bänden, hg. von Herbert G. Göpfert, München-Wien 1982, Bd. 3, S. 638. Siehe noch §§ 21, 77 (Ktl. 1747–62). 21 „Wenn keine historische Wahrheit demonstrieret werden kann: so kann auch nichts durch historische Wahrheiten demonstrieret werden. Das ist: zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden.“ Gotthold Ephraim Lessing, „Über den Beweis des Geistes und der Kraft“ [1777] in Gotthold Ephraim Lessing. Werke in drei Bänden, Bd. 3, S. 351f. In Verweyens erhellender Formulierung: „Ein Existenzvollzug mit Unbedingtheitscharakter, wie es der sittliche und der religiöse Akt sind, lässt sich nicht auf eine Evidenz gründen, die aus Wahrscheinlichkeitselementen zusammengestückelt ist.“ Verweyen, „Einleitung“, in Fichte, Versuch einer Kritik aller Offenbarung, S. XII.

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ten Zeiten notwendige „Introduktion“ einer höheren sittlichen Einsicht gelten. Die Offenbarung stellt für ihn eine bloße, später abzustoßende „Leiter“ zu der über sich selbst aufgeklärten Vernunft dar.22 In § 4 der ersten Ausgabe definiert Fichte den Begriff der Offenbarung folgendermaßen: „Der Begriff der Offenbarung ist also ein Begriff von einer durch übernatürliche Kausalität von Gott in der Sinnenwelt hervorgebrachten Wirkung, durch welche er sich als moralischen Gesetzgeber ankündigt.“23 Bei der Deduktion dieses Begriffes geht es vor allem um die Frage, ob dieser nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft als ein, wenn schon nicht absolut, so doch wenigstens bedingt notwendiger Begriff bewiesen werden kann. Absolut notwendig (rein a priori) kann dieser Begriff nicht sein, da nicht einmal die Vorstellung von Gott als einem moralischen Gesetzgeber absolut notwendig ist.24 Fichte versucht aber mindestens die Möglichkeit einer bedingten Notwendigkeit von Offenbarung nach Prinzipien der reinen praktischen Vernunft in § 5 (in der zweiten Auflage in § 7) seines Werkes zu begründen. Bei endlichen moralischen Wesen, die außer dem Moralgesetz noch unter Naturgesetzen stehen, ist zu vermuten, dass die Wirkungen der Kausalitäten nach diesen voneinander unabhängigen Gesetzen in Widerstreit geraten werden. Es lässt sich dabei ein Grad der Stärke dieses Widerstreits denken, demzufolge „das Sittengesetz seine Causalität in ihrer sinnlichen Natur entweder auf immer, oder nur in gewissen Fällen, gänzlich verliert“.25 Gott ist aber durch das Moralgesetz bestimmt, „die höchstmögliche Moralität in allen vernünftigen Wesen durch alle moralischen Mittel zu befördern, so lässt sich erwarten, dass er, wenn dergleichen Wesen wirklich vorhanden seyn sollten, sich dieses Mittels bedienen werde“.26 Sollen die Vernunftwesen in dem angenommenen Fall der Moralität nicht gänzlich unfähig werden, so müssten rein moralische Antriebe auf dem

22 Siehe Verweyen, „Fichtes Religionsphilosophie“, in Fichte Studien, Bd. 8, S. 199. Zur Kants Offenbarungsauffassung siehe RGV, S. 767f. (A 145f.). 23 FAk I/1, 41. Da Fichte in der zweiten, umgearbeiteten Auflage einen neuen Paragraphen unter dem Titel „Theorie des Willens, als Vorbereitung einer Deduction der Religion überhaupt“ (§ 2) in den Text eingefügt hat, befindet sich die entsprechende Stelle hier in § 5 mit dem Titel „Formale Erörterung des Offenbarungsbegriffes, als Vorbereitung einer materialen Erörterung desselben.“ FW V, S. 65f. 24 „Die Idee von Gott, als Gesetzgeber durchs Moralgesetz in uns, gründet sich also auf eine Entäußerung des unserigen, auf Uebertragung eines Subjectiven in ein Wesen außer uns, und diese Entäußerung ist das eigentliche Princip der Religion, insofern sie zur Willensbestimmung gebraucht werden soll.“ FW V, S. 55. Mit dieser Formel scheint Fichte den Kerngedanken von Feuerbachs Projektionslehre in seinem Das Wesen des Christentums [1841] zu antizipieren. 25 FW V, 79. 26 FW V, 81.

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Wege der Sinne an sie heran gebracht werden. Dies könnte nur so geschehen, dass Gott sich als „Gesetzgeber endlicher vernünftiger Wesen“ „in der Sinnenwelt“27 ankündigte. Fichte erörtert in § 8 der zweiten Auflage die Möglichkeit des im Begriff der Offenbarung vorausgesetzten empirischen Datums, d.h. jene Möglichkeit, nach der es „moralische Wesen geben [könne], in welchen das Moralgesetz seine Causalität für immer, oder nur in gewissen Fällen verliere“.28 Seine Absicht ist hier, diese Hypothese zu begründen, indem er annimmt, dass „es sich a priori wohl denken [lässt], daß die Menschheit entweder von ihrem Ursprunge an, oder durch mancherlei Schicksale in so eine Lage habe kommen können, daß sie […] genöthigt gewesen sey […] kein ander Gesetz hören zu können, als das der Noth. In so einer Lage ist es unmöglich, daß das moralische Gefühl erwache, und sittliche Begriffe sich entwickeln.“29 Bleibt auch die Menschheit nicht immer in einer solchen Situation, geben sich zweifellos verschiedene Formen der sittlichen Verfallenheit des Menschengeschlechtes zu erkennen. In der Offenbarung manifestiert sich Gott in seiner Autorität, die nichts anderes ist als seine Heiligkeit, i.e. seine moralische Vollkommenheit. Indem Menschen dazu gebracht werden, Gott wenigstens anzuhören, kann sich dadurch ihr moralisches Gefühl entwickeln. Diese Deduktion führt offensichtlich nicht nur zur Möglichkeit, sondern auch zur materialen Notwendigkeit der Offenbarung: Es ist nämlich möglich, aus der Erfahrung der faktischen sittlichen Verfallenheit auf die bedingte Notwendigkeit einer Selbstverkündigung Gottes zu schließen; sobald sie aber ihr Ziel, auf das Moralgesetz aufmerksam zu machen, erreicht, erübrigt sie sich als solche. Die Offenbarung ist deshalb für Fichte nur unter Voraussetzung einer bestimmten geschichtlichen Situation um der universalen Durchsetzung des Sittengesetzes willen notwendig. Auch wenn Fichtes früher Versuch in mehreren Hinsichten aporetisch bleibt, bedeutet das Werk zweifellos einen wesentlichen Beitrag zur Bildung eines rationalistischen Begriffs der Offenbarung. In dieser Konzeption wird der Wille Gottes explizit mit den Gesetzen der praktischen Vernunft identifiziert und der mögliche Inhalt seiner Selbstverkündigung auf die Bekanntgabe von Moralgesetzen reduziert. Die Wirklichkeit einer solchen Offenbarung kann nach Fichte jeweils nur in Form eines problematischen Urteils ausgedrückt werden: Eine historische Erscheinung, die den im Werk abgeleiteten praktischen Vernunftkriterien entspricht, gestattet allenfalls den Schluss, dass jene eine Offenbarung sein könnte,

27 FW V, 80. 28 FW V, 84. 29 FW V, 91.

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keineswegs aber die kategorische Festlegung, dass sie eine solche ist.30 Daraus folgt, dass es keine Offenbarung geben kann, die als objektiv notwendig und allgemeingültig auftreten könnte; sie kann höchstens und nur insofern sie inhaltlich dem Moralgesetz entspricht, eine subjektive Relevanz (als eine Motivation zur Verwirklichung dieses Gesetzes) besitzen.31

2.2 Von der transzendentalen zur existierenden Subjektivität: Die Modifikation der Offenbarungsthematik in Kierkegaards Schriften 2.2.1 Furcht statt Ehrfurcht: Johannes de silentios Destruktion der moralischen Religionsauslegung Die kritische Überwindung der objektivistischen Interpretation von Offenbarung als einer allgemeingültigen göttlichen Wahrheitsmitteilung kognitiver Art und die transzendentale Wendung zur Subjektivität32 sind zweifellos die wichtigsten Ergebnisse von Fichtes rationalistischer Offenbarungskonzeption, die auch für Kierkegaards Position eine wesentliche Bedeutung haben. Allerdings ist bekannt, dass die Kantisch-Fichtesche Moralreligion, deren höchstes Prinzip die praktische Vernunft ist, sich bereits für den jungen Schleiermacher als inakzeptabel erwiesen hat. Seiner romantischen Auffassung nach ist die Religion wesentlich „weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl“,33

30 „Aus der Prüfung nach den Kriterien ergiebt sich also das, was sich aus ihnen ergeben kann, nicht bloß als wahrscheinlich, sondern als gewiss, ob sie nemlich göttlichen Ursprungs seyn könne; ob sie es aber wirklich sey, – darüber ergiebt sich aus ihr gar nichts, den davon ist bei ihrer Uebernehmung gar nicht die Frage gewesen.“ FW V, 147. 31 Hinsichtlich der späteren Entwicklung von Fichtes Offenbarungsverständnis bemerkt Verweyen: „In seinem Erstling von 1792 kommt Fichte nicht über den Begriff einer bedingten Notwendigkeit von Offenbarung als äußerem Anstoß zu moralischem Handels hinaus. Dafür, daß Offenbarung für menschliche Autonomie überhaupt konstitutiv ist, zeigt Fichte bereits in 1796 die entscheidende Basis auf. Erst in seiner Spätphilosophie findet er allerdings zu einem wirklich weiterführenden Offenbarungsbegriff.“ Verweyen, „Fichtes Religionsphilosophie“, in Fichte Studien, Bd. 8, 1995, S. 201. 32 Fichtes spätere, idealistische Konzeption der Subjektivität als Tathandlung scheint einen der wichtigsten Berührungspunkte zwischen dem Deutschen Idealismus und Kierkegaard zu bilden. “Arguably, Fichte is as important as Hegel and more important than Kant in shaping the contours of Kierkegaard’s thought.” Kangas, “Fichte: From Transcendental Ego to Existence”, S. 68. 33 „Sie begehrt nicht das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären wie die Metaphysik, sie begehrt nicht aus Kraft der Freiheit und der göttlichen Willkühr des Menschen

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sie steht sogar in einem „schneidenden Gegensatz“34 zu Metaphysik und Moral. Obwohl Kierkegaard diese Wesensbestimmung der Religion als die höchste Form des unmittelbaren Selbstbewusstseins bereits in einer seiner frühesten Journalaufzeichnungen scharf kritisiert,35 und in Furcht und Zittern von Johannes de silentio (1843) die religiöse Existenz als eine „spätere“, vermittelte „Unmittelbarkeit“ (senere Umiddelbarhed)36 deutet, bildet für ihn diese Überwindung der Moral- bzw. Vernunftreligion einen kritischen Ausgangspunkt für die Ausarbeitung seiner Konzeption. Ein erhellendes Beispiel hierfür ist die gegensätzliche Deutung der biblischen Geschichte des Abraham-Opfers (Gen 22,1–19)37 in Kants Spätphilosophie und in de silentios „dialektischer Lyrik“.38 Kant setzt in seiner religionsphilosophischen Abhandlung voraus, dass die Moralität das oberste Kriterium für die Beurteilung der Göttlichkeit eines historischen Phänomens bildet: „wenn etwas als von Gott in einer unmittelbaren Erscheinung desselben geboten vorgestellt wird, das doch geradezu der Moralität widerstreitet, bei allem Anschein eines göttlichen Wunders, es doch nicht ein solches sein [kann] (z.B. wenn einem Vater befohlen würde, er solle seinen, so viel er weiß, ganz unschuldigen Sohn töten).“39 Ferner betont er (in klarer Übereinstimmung mit Lessing), dass eine solche Offenbarung

es fortzubilden und fertig zu machen wie die Moral. Ihr Wesen ist weder Denken noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl.“ Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern [1799], in KGA, Abt. I., Bd. 2., S. 211. 34 Ebda. 35 „Das was Schleiermacher ‚Religion‘ nennt, die Hegelsche Dogmatiker ‚Glauben‘, ist im Grunde nichts anderes als die erste unmittelbare Bedingung für alles – das lebendige Fluidum – die Luft, die wir im geistigen Sinne einatmen – und was sich deshalb nicht zu Recht mit diesen Wörtern bezeichnen lässt.“ SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50. (um 1836). Zu einer eingehenden Interpretation dieser Passage siehe: Gerhard Schreiber, „Die eigentlichen Adressaten von Kierkegaards Kritik, den Glauben als ‚das Unmittelbare‘ zu bezeichnen“, in Kierkegaard Studies Yearbook, 2012, S. 115–153; Ders., „Glaube und Unmittelbarkeit bei Kierkegaard“, in Kierkegaard Studies Yearbook, 2010, S. 391–425; Heiko Schulz, “Second Immediacy: A Kierkegaardian Account of Faith”, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, hg. von Paul Cruysberghs et al., Leuven 2003, S. 71–86; Arne Grøn, “Mediated Immediacy? The Problem of a Second Immediacy”, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, S. 87–95. 36 „Der Glaube ist nämlich nicht die erste Unmittelbarkeit, sondern eine spätere“ (SKS 4, 172 / FZ, 91f.). 37 Zum Überblick über die philosophische Rezeptionsgeschichte von Gen 22,1–19 siehe: Peter Tschuggnall, Das Abraham-Opfer als Glaubensparadoxon. Bibeltheologischer Befund – Literarische Rezeption – Kierkegaards Deutung, Frankfurt-Bern-New York-Paris 1990, S. 75–83; Xavier Tilliette „Bible et Philosophie: le sacrifice d’Abraham“, Gregorianum, Bd. 77, Nr. 1, 1996, S. 133–146. 38 SKS 4, 99 / FZ, 1. 39 RGV, S. 744 (A 112).

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eben wegen ihrer Geschichtlichkeit nicht als ein apodiktisch gültiger göttlicher Wille betrachtet werden kann.40 Kant drückt diese Position später in Der Streit der Fakultäten (1798) noch schärfer aus: „Zum Beispiel kann die Mythe von dem Opfer dienen, das Abraham auf göttlichen Befehl durch Abschlachtung und Verbrennung seines einzigen Sohnes (das arme Kind trug unwissend noch das Holz hinzu) – bringen wollte. Abraham hätte auf diese vermeinte göttliche Stimme antworten müssen: ‚Daß ich meinen guten Sohn nicht tödten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden‘, wenn sie auch vom (sichtbaren) Himmel herabschallte.“41 Gegenüber dieser rationalistischen Auffassung macht Johannes de silentio in seiner divinatorischen Interpretation der Abraham-Geschichte die radikale Unterscheidung zwischen Moral und Religion geltend, er erklärt es sogar als seine Absicht, „aus der Geschichte von Abraham das Dialektische, das darin liegt, in Gestalt von Problemata herauszuziehen, um zu sehen, was für ein ungeheuerliches Paradox der Glaube ist, ein Paradox, welches einen Mord zu einer heiligen, Gott wohlgefälligen Handlung zu machen vermag, ein Paradox, das Isaak Abraham wiedergibt, – etwas, dessen sich kein Denken bemächtigen kann, weil der Glaube eben da beginnt, wo das Denken aufhört.“42 Auch wenn es sich hier freilich keineswegs um eine theoretische Abhandlung über das Paradox des Glaubens und der göttlichen Offenbarung handelt, ist es deutlich, dass für de silentio die Situation des Gläubigen mehr als eine isolierte Existenz „jenseits von

40 „Daß einem Menschen, seines Religionsglaubens wegen, das Leben zu nehmen unrecht sei, ist gewiß: wenn nicht etwa (um das Äußerste einzuräumen) ein göttlicher, außerordentlich ihm bekannt gewordener Wille es anders verordnet hat. Daß aber Gott diesen fürchterlichen Willen jemals geäußert habe, beruht auf Geschichtsdokumenten, und ist nie apodiktisch gewiß. Die Offenbarung ist ihm doch nur durch Menschen zugekommen, und von diesen ausgelegt, und schiene sie ihm auch von Gott selbst gekommen zu sein (wie der an Abraham ergangene Befehl, seinen eigenen Sohn wie ein Schaf zu schlachten), so ist es wenigsten doch möglich, daß hier ein Irrtum vorwalte.“ RGV, S. 861 (A 273). 41 Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, in Kant. Werke in sechs Bände, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 9, Teil 1, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, S. 333. Kant stellt hier wieder die empirische Unkennbarkeit einer göttlichen Erscheinung und das Kriterium der Moralität fest: „Wenn Gott zum Menschen wirklich spräche, so kann dieser doch niemals wissen, daß es Gott sei, der zu ihm spricht. Es ist schlechterdings unmöglich, daß der Mensch durch seine Sinne den Unendlichen fassen, ihn von Sinnenwesen unterscheiden und ihn woran kennen solle. – Daß es aber nicht Gott sein könne, dessen Stimme er zu hören glaubt, davon kann er sich wohl in einigen Fällen überzeugen; denn wenn das, was ihm durch sie geboten wird, dem moralischen Gesetz zuwider ist, so mag die Erscheinung ihm noch so majestätisch und die ganze Natur überschreitend dünken: er muß sie doch für Täuschung halten.“ 42 SKS 4, 147 / FZ, 56.

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Gut und Böse“, als ein rationales Verhältnis des endlichen Moralwesens zu allgemeingültigen praktischen Vernunftgeboten aufzufassen ist. Wenn Kierkegaards Religions- bzw. Offenbarungsverständnis keineswegs auf eine romantische Position reduziert werden kann, scheint es, dass hier die Unterscheidung zwischen Religion und Moral nicht nur übernommen, sondern auch dialektisch radikalisiert wird. Daraus folgt, dass Kants und Fichtes Versuch, a priori moralische Kriterien als Wesensmerkmale für die Göttlichkeit einer Offenbarung aufzustellen, zumindest mit de silentios Intention unvereinbar ist. Während Fichte in der Urfassung seiner Offenbarungsschrift die „Ehrfurcht“ vor Gott als Achtung vor dem Sittengesetz deutet,43 stellt de silentio bezeichnenderweise in seiner Darstellung des Glaubensparadoxons das biblische und zugleich existenzerhellende Wort „Furcht“44 ins Zentrum. Für ihn ist (etwa im Sinne Pascals) der Gott Abrahams keineswegs mit dem philosophisch als Verkörperung des Moralgesetzes legitimierten Gott identisch.

2.2.2 Die Dialektik der Offenbarung Eine Sichtung des Kierkegaardschen Corpus hinsichtlich des Substantivs „Offenbarung“ (Aabenbaring) und seiner Verbalform „(sich) offenbaren“ (at aabenbare sig) gibt zu erkennen, dass (1) jene nicht zu den häufigsten Ausdrücken gehören (dabei werden sie nicht nur streng religiös-theologisch verwendet), und dass es (2) im ganzen Œuvre anscheinend nur ein einziges Werk gibt, welches die Offenbarungsproblematik als ein zentrales Thema behandelt, nämlich das – aus persönlichen Gründen unveröffentlichte45 – Buch über Adler.46 Dieser Umstand findet

43 „Wir sind bestimmt, das Moral-Gesez zu verehren; wir können also einem Wesen, das dasselbe in sich völlig darstellt, unsre höchste Ehrfurcht nicht versagen…“ FAk, II/2, S. 32. Siehe dazu: Folkart Wittekind, „Theologie und Offenbarung in J. G. Fichtes Offenbarungsschrift“, Neue Zeitschrift für Theologie, Bd. 39, 1997, S. 96f. 44 „Furcht und Zittern (cfr. Phil. 2,12) ist nicht primus motor im chr. Leben, denn das ist Liebe; es ist aber was die Unruh in der Uhr ist – es ist die Unruh des chr. Lebens.“ SKS 18, 14, EE:25 / DSKE 2, 10. 45 Siehe dazu SKS 20, 196f., NB2:138 / BÜA, XI. 46 Adolf Peter Adler (1812–1869), Kierkegaards ehemaliger Schulkamerad, berichtet im Vorwort zu Nogle Prædikener von 1843, dass eine göttliche Offenbarung an ihn ergangen sei, in welcher Christus ihm geboten habe, seine Hegelschen Manuskripte zu verbrennen und sich in Zukunft an die Bibel zu halten. Ferner behauptet er, dass Christus ihm eine neue Lehre über die Entstehung des Bösen unmittelbar in die Feder diktiert habe. Kierkegaard hat den Fall Adlers für ein aufschlussreiches Zeichen der damaligen religiösen Verwirrung gehalten. In seinen – in verschiedenen Versionen verfassten – Reflexionen auf diese vermeintlichen Privatoffenbarungen begegnet

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seinen Grund keineswegs darin, dass Offenbarung für Kierkegaard ein untergeordnetes Thema wäre, sondern vielmehr darin, dass ihr subjektives Korrelat, der Glaube, ipso facto als eine Existenzmöglichkeit aufgefasst werden wird und dadurch unmittelbar in die Existenzthematik eingeht. Von dem Versuch, einer vollständigen Rekonstruktion des Kierkegaardschen Offenbarungsverständnisses muss im Rahmen dieser Arbeit freilich abgesehen werden. Umso dringender sei angezeigt, einige charakteristische Aspekte seines Offenbarungsverständnisses hervorzuheben und damit die diesbezügliche Analyse der Climacus-Schriften schematisch vorzubereiten. Bereits in einer Aufzeichnung von 1839 wird die Transzendenz der Offenbarung plastisch dargestellt und mit der natürlichen Gotteserkenntnis konfrontiert: „Die Philosophen meinen, alle Erkenntnis, ja selbst das Dasein der Gottheit sei etwas, was die Menschheit selbst hervorbringt, und nur im uneigentlichen Sinne könne von einer Offenbarung die Rede sein, ungefähr im gleichen Sinne, wie man sagen kann, dass der Regen vom Himmel herabfällt, während doch dieser Regen nichts anderes ist als der von der Erde hervorgebrachte Nebel; aber sie vergessen, um im Bilde zu bleiben, dass Gott am Anfang die Wasser des Himmels und der Erde schied, und dass es etwas Höheres gibt als die Atmosphäre.“47 Unmittelbar fällt auf, dass die hier betonte Differenz der transzendenten, nicht ableitbaren Offenbarung und der Immanenz des Denkens auf einem genuin theologischen Axiom und zwar auf jenem der Geschöpflichkeit basiert. Dieser Unterschied wird in späteren Texten und besonders in den Climacus-Schriften nicht nur übernommen, sondern aus hamartiologischen Gründen dialektisch verabsolutiert. Kierkegaards Offenbarungsverständnis gründet zweifellos auf der theologischen Anthropologie Luthers, der den Menschen nicht nur als ein endliches Geschöpf mit Unendlichkeitsanspruch, sondern – und vor allem – als einen vor Gott stehenden Sünder auffasst, welcher deshalb von Gott und von der erlösenden Wahrheit absolut geschieden ist. Die christliche Offenbarung als eine Existenzmitteilung sensu eminentiori ist daher wesentlich untrennbar vom Sündenbewusstsein. In einem Journaleintrag aus der Zeit 1845–48, mit dem Titel „Etwas über die Vergebung der Sünden“, wird behauptet, dass „kein Mensch aus sich selbst darauf kommen [kann], ein wie grosser Sünder er sei. Folgerichtig lehrt die Augsburgische Konfession, dass dem Menschen offenbart werden müsse, ein wie grosser Sünder er sei. Denn ohne den göttlichen Maßstab ist kein Mensch der

Kierkegaard Adlers Autoritätsanspruch mit einem entschiedenen Protest gegen die Vermischung der Kategorien von Apostel und Genie, ferner reflektiert er auch auf die Merkmale einer möglichen Offenbarung. Siehe dazu: SKS 15, 89–295 / BÜA, 1–219. 47 SKS 18, 53, EE:151 / DSKE 2, 54.

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grosse Sünder (das ist er nur – vor Gott).“48 In einer anderen Aufzeichnung, die eindeutig in die Entstehungszeit der Philosophischen Brocken fällt, wird das Sündenbewusstsein geradezu als konstitutiv für das christliche Bewusstsein betrachtet: „Wie sich die Gottesvorstellung aus dem menschlichen Geist entwickelt durch dessen Verhältnis zu sich selbst und zur Welt, ebenso die Christusvorstellung durch das Sündenbewusstsein. Das war es, was dem Heidentum fehlte, und nicht so sehr die geschichtliche Offenbarung.“49 In der oben zitierten Journalpassage „Etwas über die Vergebung der Sünden“ wird noch ein weiterer Aspekt der Offenbarung betont und sein enges Verhältnis zum Sündenbewusstsein hervorgehoben, nämlich die Liebe Gottes, deren Offenbarung die Bedingung des Sündenbewusstseins bildet: „Wie der erste Ausdruck einer wahren und tiefen Verliebtheit das Gefühl der eigenen Unwürdigkeit ist, ebenso ist das Verlangen nach der Vergebung der Sünden das Kennenzeichen dafür, dass man Gott liebt. Aber aus sich selbst kann kein Mensch darauf kommen, dass Gott ihn liebt. Das muss dem Menschen verkündigt werden. Dies ist das Evangelium, die Offenbarung. Aber eben weil kein Mensch aus sich selbst darauf kommen kann, dass Gott ihn liebt, deshalb kann auch kein Mensch aus sich selbst darauf kommen, ein wie großer Sünder er sei.“50 Im Journal NB:8 (1848) wird die andere Seite des Zusammenhanges von Offenbarung und subjek-

48 SKS 27, 489, Papir 410 / T 2, S. 243. In einer Aufzeichnung von 1846/47 wird diese theologische Einsicht Luther zugeschrieben: „Es ist deshalb so folgerichtig von Luther, dass er lehrt, der Mensch müsse durch eine Offenbarung belehrt werden, wie tief er in Sünden lebt.“ SKS 20, 69, NB:79 / T 2, 71. Vgl. Luthers Huuspostil, übers. von J. Thisted, Kopenhagen 1828 (Ktl. 283). Ebenso wird Luther und seine Schmalkaldischen Artikel bereits in Der Begriff Angst (1844) zitiert: „Solche Erbsünde ist so gar ein tief böse Verderbung der Natur, dass sie kein Vernunft nicht kennt, sondern muss aus der Schrift Offenbarung gegläubet werden.“ SKS 4, 333 / BA, 23. Die Offenbarung wurde auch in den Jahren 1842/44 als eine Bedingung des Sündenbewusstseins aufgefasst: „Was die Betrachtung der Natur für das erste (humane) Gottesbewusstsein ist, ist die Betrachtung der Offenbarung für das zweite unmittelbare Gottesbewusstsein (Sündenbewusstsein).“ SKS 18, 205, JJ:203 / DSKE 2, 211. Letztlich wird in den „Reden beim Altargang am Freitag“ auch die Notwendigkeit der Offenbarung für das Sündenbewusstsein hervorgehoben: „Dergestalt muss es sich wohl verhalten, und darum wird es nötig sein, dass die Offenbarung lehrt, was der Mensch auch aus sich selber nicht wissen kann, nämlich, wie tief die Menschheit gesunken ist.“ SKS 10, 272 / CR, 277. 49 SKS 18, 201, JJ:191 / DSKE 208. 50 SKS 27, 489, Papir 410 / T 2, 243. In der Aufzeichnung wird ferner die innere Dialektik der Liebe Gottes und des Sündenbewusstseins nuanciert vorgelegt: „Beides entspricht einander: Wenn der Mensch nicht begreift, ein wie grosser Sünder er sei, dann kann er Gott nicht lieben; und wenn er nicht Gott liebt (dadurch dass ihm verkündigt wird, wie sehr Gott ihn liebt), so kann er nicht begreifen, ein wie grosser Sünder er ist. Die Innerlichkeit des Sündenbewusstseins ist eben die Leidenschaft der Liebe. Denn das Gesetz macht einen zwar zum Sünder – aber die Liebe

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tiver Liebe dargestellt. Kierkegaard weist hier auf das biblische Wort yadac (Gen 4,1) hin, welches die semantische Identität von Lieben und Erkennen ausdrückt. Aus diesem Zusammenhang folgt die Auslegung von Liebe als Offenbarung und zugleich Selbstoffenbarung. Das Christus-Logion, „wer mich liebet, dem werde ich mich offenbaren“ (Joh 14,21), fasst Kierkegaard als ein allgemeingültiges Prinzip auf und interpretiert die Liebe als eine Aktivität des Rezipienten in der Aufnahme der Offenbarung: „Was man liebt, das offenbart sich einem; wer die Wahrheit liebt, dem offenbart sie sich usw., denn man denkt sich gern den Empfänger als unwirksam, und dann das Offenbarende als ihm sich mitteilend, aber das Verhältnis ist dies: der Empfänger ist der Liebende, dann wird das Geliebte ihm offenbart, denn er wird selber umgebildet zur Gleichheit mit dem Geliebten, und selber zu werden, was man versteht, und man versteht nur im Verhältnis dazu, wie man es selber wird.“51 Kierkegaards Demispredigt, gehalten im Jahre 1844, erhellt einen weiteren bedeutenden Aspekt der Offenbarung, der nicht unerwähnt bleiben soll. Dort wird hervorgehoben, dass Gott, obwohl wesentlich Licht und Klarheit, für uns selbst in seiner Offenbarung zugleich dunkel ist, „gleich einem Geheimnis, das wir nicht aussagen können“.52 Daraus folgt einerseits, dass das Empfangen der Offenbarung primär kein kognitiver Akt ist, da das objektive Wissen in der Beziehung zur Offenbarung zu einem negativ-dialektischen Moment wird,53 andererseits dass die Offenbarung selbst keineswegs als ein objektives Ereignis, sondern als eine subjektiv-dialektische Wahrheits- bzw. Existenzmitteilung aufzufassen ist. Diese Dimension der Offenbarungsproblematik wird in den Climacus-Schriften mit einer imponierenden dialektischen Schärfe gründlich ausgearbeitet.

2.3 Das Problem der Offenbarung in den Climacus-Schriften Der Vergleich des Standpunktes von Kierkegaards Pseudonym Johannes Climacus mit jenen des frühen Fichte und Kant scheint nicht nur aus dem Grunde berechtigt, weil es klare thematische Berührungspunkte zwischen diesen Autoren gibt, sondern auch weil die Figur des Climacus für Kierkegaard ein äußeres, philoso-

macht einen zum weit grösseren Sünder; zwar kann einer, welcher Gott fürchtet und zittert, sich als Sünder fühlen; aber einer, der in Wahrheit liebt, fühlt sich als noch grösserer Sünder.“ Ebd. 51 SKS 21, 172, NB 8:63 / T 3, 115. 52 SKS 27, 297, Papir 306 / ER43/44, 77. 53 Climacus hebt hervor: „Selbst das Allergewisseste: die Offenbarung wird eo ipso dialektisch, wenn ich sie mir aneignen soll.“ SKS 7, 41 / AUN1, 31.

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phisch reflektiertes zugleich aber leidenschaftliches Verhältnis zum Problem der Wahrheit und Aneignung des Christentums repräsentiert. Er ist ein scharfer Dialektiker, „junger Zweifler“ (dubitans im Sinne Descartes’), der einerseits in den Philosophischen Brocken (1844) die echt philosophische Aufgabe übernimmt, die Offenbarung in Form eines Gedanken-Experiments rein formell als eine heuristische Fiktion einzuführen und die Frage nach ihren Bedingungen und Konsequenzen radikal zu durchdenken. Andererseits erörtert er in seinem opus magnum, in der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift (1846), die subjektive Dialektik in der Aneignung der Offenbarung mit gleichem dialektischen Ernst, so dass beide Werke durchaus als Einheit, nämlich als Erhellung des selben Problems unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden können.

2.3.1 Die Grenzen der bloßen Vernunft: Die Unmöglichkeit einer jeden theologia naturalis und das Geheimnis der Offenbarung Bekanntlich hat Kant die Unmöglichkeit allen theoretischen Wissens von Gott als Noumenon in der „Transzendentalen Dialektik“ seiner ersten Kritik überzeugend demonstriert. Die Dialektik der Philosophischen Brocken, die bereits in dem vorigen Kapitel erörtert wurde, bewahrt diese Negativität einerseits, treibt sie andererseits aber auch ins Extreme. Während Kant das praktische Wissen von Gott in seiner zweiten Kritik in einer hypothetischen Form, als eine Forderung der reinen praktischen Vernunft postulierte, läuft Climacus’ apophatische Theologie darauf hinaus, dass Gott für den Verstand „das Unbekannte“ (det Ubekjendte),54 das „schlechthin Verschiedene“ (det absolut Forskjellige)55 ist. Wie wir es gesehen haben,56 sind diese beiden Begriffe sowohl für den Verstand als auch für die Philosophie weitgehend problematisch. Laut Climacus’ kann der Verstand „die schlechthinnige Verschiedenheit […] nicht einmal denken; denn schlechthin kann er sich selbst nicht verneinen, sondern er benützt sich selber dabei und denkt mithin die Verschiedenheit an sich selbst, die er mit sich selbst denkt.“57 Er behauptet, dass diese Verschiedenheit sich nicht greifen lässt.58 Mit diesen negativen Behauptungen werden selbstverständlich alle Formen der theologia naturalis radikal negiert. Während in Kants Postulatenlehre die Möglichkeit einer im

54 SKS 4, 245 / PB, 37. 55 SKS 4, 249f. / PB, 42f. 56 Siehe Teil I, Kapitel 1, 1.1.1. 57 SKS 4, 249 / PB, 42. 58 SKS 4, 250 / PB, 43.

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praktischen Sinne konzipierten natürlichen Theologie bewahrt bleibt, indem die Idee von Gott als Gesetzgeber und als Möglichkeitsbedingung der Realisierung des höchsten Gutes mit dem Bewusstsein des Moralgesetzes unmittelbar verbunden ist (d.h. für ihn gibt es ein immanentes, obschon praktisches „Wissen“ von Gott), schließt Climacus die Möglichkeit einer jeden natürlichen Kenntnis von Gott in allen ihren Formen ab ovo aus. Climacus ist mit Kant und Fichte weitgehend einig darin, dass Gott sich nicht als ein Objekt der menschlichen Erkenntnis denken lässt, da er nicht zur phänomenalen Welt gehört und deshalb eine unaufhebbare „Grenze“(Grændse)59 für die Erkenntnis bildet. Für Climacus aber ist der wesentliche Grund für Gottes Unerkennbarkeit nicht die Endlichkeit und die konstitutive Verwiesenheit auf die Sinnlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens, sondern die theologische Kategorie der Sünde. Er betont ausdrücklich, dass dieser absolute Unterschied vom Menschen selbst verschuldet ist.60 Daraus folgt für Climacus, dass Gott sich nicht nur kategorial, sondern auch transzendental nicht denken lässt, und zwar seiner Transzendenz zufolge, die aus hamartiologischen Gründen als absolut und nicht ableitbar aufzufassen ist. Erst als Folge der Sünde kommt der unendliche, qualitative Unterschied zustande, ist der Mensch endgültig darauf angewiesen, aus der Offenbarung überhaupt erst zu erfahren, wie sündig er eigentlich ist. Jene negative Position, die Climacus in den Philosophischen Brocken erreicht, wird in der Nachschrift von der Seite der existierenden Subjektivität weitergeführt und zwar so, dass Gottes Unerkennbarkeit durch die Kategorie des Geheimnisses ausgedrückt wird. In der Nachschrift unterscheidet Climacus zwischen zwei Formen der Offenbarung: Während die Offenbarung sensu strictissimo allein dadurch kenntlich ist, dass sie das Geheimnis ist, bedeutet die Offenbarung sensu laxiori „das Zurücknehmen durch Wiedererinnern ins Ewige hinein, eine Offenbarung im unmittelbaren Sinne“,61 welche zweifellos mit der Sokratischen Position identisch ist. Da das Christentum laut Climacus gar nicht verstanden werden will, und das Höchstmaß eines Verständnisses darin liegt, zu verstehen, dass es gar nicht verstanden werden kann, ist die Offenbarung für den Existie-

59 SKS 4, 249 / PB, 42. Indessen ist es aber klar, dass, während im Kantischen System die Idee von Gott in einem erkenntnislogischen Sinn als Grenzbegriff interpretiert ist, die Verwendung der Kategorie „Grenze“ bei Climacus stark theologische Implikationen hat. Allerdings hebt Green hervor, dass Kierkegaard das Kantsche Erbe nicht nur tief verstanden sondern in wesentlichen Aspekten auch bewahrt hat: “Kierkegaard was one of Kant’s best nineteenth-century students.” Ronald M. Green, “Kant: A Debt both Obscure and Enormous”, S. 195. 60 SKS 4, 252 / PB, 45. 61 SKS 7, 195f. / AUN1, 205.

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renden ein unaufhebbares Geheimnis.62 Die existenziale Aufgabe des Einzelnen ist demzufolge nicht, zu einem objektiven Wissen von Offenbarung zu gelangen, sondern sie sich subjektiv anzueignen. Da die wesentliche Wahrheit direkt nicht mitteilbar ist, muss die Offenbarung wesentlich die Form dieser Negativität an sich tragen: „das Geheimnis ist der Ausdruck dafür, daß die Offenbarung Offenbarung im strengen Sinne ist; das Geheimnis ist gerade das einzige, woran man sie erkennt.“63 Während also Fichte a priori Vernunftkriterien für eine jede mögliche Offenbarung aufstellt und die empirisch-historische Erscheinung der Offenbarung der universalen Vernunft unterordnet, hebt Climacus – so wie de silentio – die Unableitbarkeit und Transzendenz der Offenbarung in beiden seiner Schriften hervor.

2.3.2 Die Geschichtlichkeit der Offenbarung Für Climacus ist – ebenso wie für den jungen Fichte – das Denken G. E. Lessings von wesentlicher Bedeutung; während aber in Fichtes Rezeption die Lessingsche Idee der notwendigen Vernunftmäßigkeit der Religion und der Offenbarung vorherrscht, sieht sich Climacus durch Lessing vor allem dazu veranlasst, die dialektische Schwierigkeit der Wahrheit des Christentums – die von der Geschichtlichkeit absolut untrennbar ist – in Form einer Hypothese voller Ernst und Leidenschaft zu durchdenken, und das Verhältnis des Einzelnen zu dieser wesentlichen Wahrheit als einen „Sprung“ (Spring)64 aufzufassen. Lessing erregte als zentrale Figur der Deutschen Aufklärung mit seiner Kritik am Absolutheitsanspruch der Religionen sowie durch sein Offenbarungsverständnis einen großen Widerhall. Er gehört zu den wenigen Denkern, über die Kierkegaard sich in seinen veröffentlichten Schriften stets mit einer unverhohlenen Anerkennung äußert. Sein Name und die Würdigung seiner ästhetischen Abhandlung Laokoön (1760) tauchen bereits in Entweder-Oder auf,65 aber auch Johannes de silentio ist ihm für seine Hamburgische Dramaturgie (1767–69) dankbar.66 Es ist kein Zufall, dass ihm am Anfang des zweiten Teiles der Abschließenden Unwissenschaftlichen Nachschrift, in welchem das subjektive Problem des Christwerdens ausgearbeitet wird,

62 Ebda. 63 SKS 7, 223 / AUN1, 238. Siehe noch dazu SKS 7, 239 / AUN1, 258; SKS 7, 393 / AUN2, 140. 64 SKS 7, 92 / AUN1, 86. 65 SKS 2, 167 / EO1, 181. 66 Siehe SKS 4, 178 / FZ, 99.

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ein ganzer Abschnitt in Form von Thesen gewidmet ist.67 Hier wird Lessings wichtigste These bezüglich der Offenbarung wie folgt zusammengefasst: „Lessing hat gesagt (S. W., 5. Bd., S. 80), daß zufällige geschichtliche Wahrheiten nie Beweis für ewige Vernunftwahrheiten werden können; sowie (S. 83), daß der Übergang, wodurch man auf eine geschichtliche Nachricht eine ewige Wahrheit gründen will, ein Sprung sei.“68 Die Relevanz dieser für Climacus fundamentalen These zeigt sich schon dadurch, dass sie bereits auf dem Titelblatt der Philosophischen Brocken in Form eines Problems auftaucht und am Ende des Buches in beantworteter Form gewissermaßen als Zusammenfassung dient.69 Die rein erkenntnislogische Darstellung der Geschichtlichkeit der Offenbarung und ihres subjektiven Korrelats, des Glaubens, ermöglicht es Climacus, auf das ungeheure Paradox des Christentums und folglich auf die unaufhebbare Disjunktion zwischen Glauben und Wissen, Spekulation und Christentum, hinweisen zu können. Während für Lessing die Offenbarung als eine nützliche, aber gar nicht vernunftnotwendige pädagogische Maßnahme gilt, deren Absolutheitsanspruch eben wegen ihrer wesentlichen Geschichtlichkeit zurückzuweisen ist, und während für Fichte die bedingte Notwendigkeit der Offenbarung bloß auf dem empirischen Datum der moralischen Verfallenheit basiert, wird die Offenbarung bei Climacus als ein aus der Vernunft nicht ableitbares Faktum erörtert, welches für diese ein unlösbares Paradox darstellt. Das rationalistische Primat der Vernunft, demgegenüber die Geschichte als empirisches und phänomenales Moment immer nur als zweitrangig galt, kehrt sich also bei Climacus um: Obwohl die Vernunft an sich nicht negiert wird, da sie eine conditio sine qua non des Glaubens bildet (indem sie verstehen muss, dass man den Glauben nicht verstehen kann),70 ist sie dem Paradox und der Geschichtlichkeit doch eindeutig untergeordnet.

67 SKS 7, 72–120 / AUN1, 55–117. 68 SKS 7, 92 / AUN1, 86. 69 „Wie bekannt ist nämlich das Christentum die einzige geschichtliche Erscheinung, welche dem Geschichtlichen zum Trotz, ja eben vermöge des Geschichtlichen, dem Einzelnen für sein ewiges Bewußtsein hat Ausgangspunkt sein wollen, ihn anders als bloß geschichtlich hat interessieren wollen, ihm seine Seligkeit hat gründen wollen auf sein Verhältnis zu etwas Geschichtlichem.“ SKS 4, 305 / PB, 106. 70 „Der gläubige Christ hat sowohl als auch gebraucht er seinen Verstand, respektiert das Allgemein-Menschliche, erklärt es nicht mit Mangel an Verstand, wenn jemand nicht Christ wird, aber im Verhältnis zum Christentum glaubt er gegen den Verstand und gebraucht auch hier den Verstand – um darauf aufzupassen, daß er gegen den Verstand glaubt.“ SKS 7, 516 / AUN2, 280. „[D]as Höchstmaß des Verständnisses, von dem die Rede sein kann, wäre zu verstehen, dass es nicht verstanden werden kann.“ SKS 7, 196 / AUN1, 205.

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In den Philosophischen Brocken hat Climacus die dialektische Bezogenheit des paradoxen Glaubens als subjektives Korrelat der Offenbarung und der Geschichte als ihres wesentlichen Ortes ausgeführt. Der Ausgangspunkt seines Gedankenganges ist eine Reflexion auf das sokratisch unmittelbare Verhältnis des Erkennenden zur Wahrheit (Anamnesis als Wiedererkennen), wohingegen der Glaube sich als ein „Verhältnis des Paradoxes zum Verstande“71 erweist. Für Climacus ist dieser Glaube nicht identisch mit dem rationalistischen Vernunftglauben, er bildet aber auch keine bloße Vorstufe des begrifflichen Denkens, sondern ist eine leidenschaftliche Haltung des Verstandes, eine Leidenschaft, die paradox72 und zugleich glücklich73 ist: Der Glaube stößt an das Paradox und versöhnt sich zugleich mit ihm. Aber was konstituiert dieses Paradoxon, ohne das der Glaube, die paradoxe Leidenschaft des Verstandes, schlechthin unzugänglich wäre? Im Grunde nichts anderes als die Geschichte selbst, die Aporie eines Wissens von der Geschichte (der mögliche Gegenstand des Wissens ist ja immer das Notwendige). Ferner jener absolute Widerspruch, dass Zeit und Ewigkeit in der Geschichte, im Augenblick, zusammengesetzt sind – deshalb konzentriert sich das Pathos des Projekts auf den Augenblick,74 den Vigilius Haufniensis wenig später „Atom der Ewigkeit“ (Evighedens Atom)75 nennt. In der zu Recht berühmt gewordenen Polemik des „Zwischenspiels“ gegen die Hegelsche Applikation der Modalkategorie der Notwendigkeit auf die Geschichte exponiert Climacus zugleich seine eigene Geschichtsauffassung, die wiederum für sein Verständnis von Glaube und Offenbarung richtungsweisend ist. In seiner Analyse erweist sich der Begriff „notwendiges Werden“ als contradictio in adjecto: Während nämlich die „Veränderung des Werdens“ (kinesis) als Übergang von Möglichkeit zur Wirklichkeit sich nicht auf das Wesen, sondern auf das Sein bezieht, ist die Notwendigkeit eine reine Wesensbestimmung, die jede Änderung begrifflich ausschließt. Daraus folgt, dass die Unveränderlichkeit des

71 SKS 4, 252 / PB, 46. Malantschuk meint, dass Kierkegaard Kants Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft im Wesentlichen teilt und den Begriff des Verstandes benutzt, um die Begrenztheit der Erkenntnis zu zu betonen. Beide gehören aber zur Immanenz des Denkens und stehen deshalb der Offenbarung gegenüber: „Da forstand og fornuft trods deres forskellighed væsentlig ligger inden for samme område, d. v. s. immanensen, bruger SK af og til begge disse udtryk som modsætning til troen, som peger mod det transcendente.“ Gregor Malantschuk, Nøglebegreber i Søren Kierkegaards tænkning, hrsg. von Grethe Kjær und Paul Müller, Kopenhagen 1993, S. 49f. 72 SKS 4, 244 / PB, 37. 73 SKS 4, 275 / PB, 51. 74 SKS 4, 229 / PB, 19. 75 SKS 4, 391 / BA, 90.

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Vergangenen an sich keine Notwendigkeit bedeutet und sich mit der Unveränderlichkeit des Notwendigen nicht identifizieren lässt. Der Grund für den Übergang des Werdens kann also keine Notwendigkeit sein, sondern die Wirklichkeit der Freiheit. Wie das Sein das Wesen des Notwendigen ist, so ist das Werden das Wesen der Geschichte: „alles was geworden ist, ist eben damit geschichtlich.“76 Diese genuine Geschichtskonzeption ist nicht nur wegen ihres philosophischen Gewichtes bedeutend, sondern auch deshalb, weil sie zugleich die wichtigste Grundlage für Climacus‘ Glaubensauffassung bildet. Dass die Geschichte aufgrund der Kontingenz des Werdens weder zum Gegenstand der sinnlichen Erfahrung noch zum Objekt eines begrifflichen Wissens werden kann, zwingt zu der Suche nach einem solchen „Organ“, das als „Sinn für das Werden“ dem Geschichtlichen gemäß gebildet und zur Auffassung der Geschichte fähig ist. Dieses „Organ“ ist für Climacus nichts anderes als der Glaube – aufgrund der Konnaturalität jener Ungewissheit, die dem Werden und dem Glauben gleicherweise zukommt. So ist die Geschichtlichkeit für Climacus ein Gegenstand des Glaubens, dieser nicht so sehr ein Erkenntnisprinzip, sondern vielmehr ein „Entschluss“ (Beslutning)77. In diesem Kontext ist also der Glaube als Glaube „an das So-Sein des Gewordenen“78 gar keine religiöse Haltung, sondern ein allgemeinmenschlicher Akt, untrennbar verwoben in die Situation des Existierenden, der als solcher genötigt ist, das zu glauben, was er nicht sehen kann. Der Gegenstand des sensu eminentiori paradoxen Glaubens ist dagegen nicht das geschichtliche Werden in seiner allgemeinen Bedeutung, sondern ein geschichtliches Werden (welches den Inhalt der christlichen Offenbarung bildet), und zwar jenes, von Climacus „absolutes Paradoxon“ genannte Faktum, dass das Absolute, das Ewige (zeitlich) geworden ist, sein „Wesen in die dialektischen Bestimmungen des Werdens hineinkonjugiert“79 wurde und durch dieses Werden ein Gegenwärtiges geworden ist. Deshalb ist der Gegenstand dieses Glaubens nicht mehr die Lehre, sondern der Lehrer80 bzw. seine Wirklichkeit. Diese Gegenwart des Ewigen in der Zeit eröffnet dem Existierenden jene paradoxe Möglichkeit, sich in der Zeit – unabhängig von der geschichtlich-empirischen Distanz – in der Autopsie81 des Glaubens stets unmittelbar zum Ewigen verhalten zu können. Das absolute Faktum ist folglich Gegenstand des Glaubens in zweifacher Hinsicht:

76 SKS 4, 275 / PB, 72. 77 SKS 4, 283 / PB, 80. 78 SKS 4, 282 / PB, 80. 79 SKS 4, 286 / PB, 84. 80 SKS 4, 264 / PB, 59. 81 SKS 4, 299 / PB, 99.

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Erstens, als ein geschichtliches Faktum, zweitens als jenes Paradoxon, dass das Ewige trotz seines Wesens geschichtlich geworden ist und dadurch eine neue Existenzform, die Gleichzeitigkeit (Samtidighed)82 des Glaubens, eröffnet hat.

2.4 Subjektivität und Offenbarung: Fichtes frühe Offenbarungskonzeption im Spiegel von Kierkegaards Reflexionen Fichtes berühmtes Diktum, „was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist“83, scheint sowohl für ihn selbst als auch für Kierkegaard schlechterdings zutreffend zu sein. Fichtes Standpunkt in seiner frühen Offenbarungskritik ist jener eines aufgeklärten, vernunftgläubigen Denkers, für den die Autonomie der Vernunft eine absolute Voraussetzung bildet. Daraus folgt der Versuch einer konsequenten Eliminierung jeder Form der Heteronomie und sogar die kritische Reinigung des religiösen Begriffes der Offenbarung. Sie lässt sich für Fichte nur denken, wenn ihr Inhalt mit dem allgemeingültigen praktischen Vernunftgesetz identisch ist. In der Folge führt dies zu einer genuin rationalistischen Konzeption, die das religiöse Phänomen der Offenbarung in die Immanenz des Denkens einbezieht und alle ihre Inhalte, die aus der Vernunft nicht deduzierbar sind, von dem Begriff der Offenbarung kritisch abgrenzt. Obwohl auf diese Weise die notwendige Vernunftmäßigkeit der Offenbarung philosophisch erwiesen wird, scheint zumindest für das Fichtesche kritische Bewusstsein selbst die kritische Reduktion der möglichen Inhalte des religiösen Bewusstseins fragwürdig zu sein, wodurch dieser Erweis erst zustande kommt. Kierkegaards früher, oft zitierter Journaleintrag, wonach „Philosophie und Christentum sich doch niemals vereinen lassen“84 scheint auch in diesem Kontext bedeutsam zu sein, da durch ihn eine klare Grenzbestimmung (die auch und vor allem für die Beziehung der Immanenz der Vernunft zur Transzendenz der Offenbarung gilt) deutlich ausgedrückt wird. Augenfällig ist aber auch, dass diese Grenzbestimmung letztlich auf theologischen Voraussetzungen basiert.85

82 SKS 4, 270 / PB, 67. 83 Johann Gottlieb Fichte, „Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre“, Philosophisches Journal, Bd. 5, 1797, S. 23 / FW V, S. 434. 84 SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31. 85 „Überhaupt, hier liegt der alles verschlingende Abgrund: Das Christentum statuiert die Erkenntnis des Menschen aufgrund der Sünde als mangelhaft, was im Christentum richtig gestellt wird; der Philosoph hingegen versucht sich qua Mensch Rechenschaft zu geben über das Verhältnis von Gott und der Welt…“ SKS 17, 31, AA:13 / DSKE 1, 32.

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An diesem Punkt wird deutlich, dass, obwohl Kierkegaard mit der Kantschen Vernunftkritik im Wesentlichen einig war – er teilte sogar die Kantsche Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft –, die transzendentale Selbstkritik der Vernunft für ihn immer noch innerhalb des Kreises der Immanenz bleibt. Wenn Climacus die Frage nach der Wahrheit des Christentums erörtert, geht er einen religiös-kritischen Schritt weiter, indem er behauptet, dass Gott und die Offenbarung keineswegs zur Immanenz des Denkens gehören; sie lassen sich – gerade wegen der absoluten Transzendenz des „Unbekannten“ – transzendental gar nicht denken. Climacus formuliert eine entschieden theologische Kritik und Grenzbestimmung der Kompetenz der Philosophie im Bereich des Christlichen, die allerdings für die idealistische Philosophie mindestens problematisch ist, insofern doch – mit Hegels bekanntem Wort – die Grenze im „Hinausseyn über die Schranke“86 des Sollens aufgehoben und die Vernunft selbst „das Hinausgehen über die Schranke ist“.87 Demgegenüber lässt sich die von Climacus aus theologischen Gründen vorausgesetzte Grenze keineswegs vermitteln oder aufheben. Zu beachten bleibt der historische Kontext dieses negativen Standpunktes, der sowohl die zeitgenössische dänische Debatte über die Positionen von Rationalismus und Supranaturalismus als auch jene über die Hegelsche Kategorie der Vermittlung umfasst.88 Dabei scheint mir Climacus’ Kritik indirekt auch Fichtes frühe Konzeption zu treffen, insofern sein Versuch gerade die Vernunftautonomie gegenüber dem religiösen Phänomen der Offenbarung zur Geltung bringt. Eine weitere Differenz zwischen Fichtes frühem Standpunkt und Climacus’ Konzeption betrifft die Interpretation der Geschichtlichkeit der Offenbarung. Der frühe Fichte leitet die Offenbarung aus der reinen Vernunft ab, Geschichte bleibt folglich der bloße Ort ihrer phänomenalen Erscheinung.89 Climacus dagegen begreift die Offenbarung sensu eminentiori hypothetisch gerade in ihrer unaufhebbaren geschichtlichen Faktizität. Daraus folgt, dass die Offenbarung für den Verstand stets als ein absolutes Paradox erscheinen soll. Dieser Unterschied hängt sicher auch mit Fichtes und Climacus’ verschiedenen anthropologischen Auffassungen zusammen: Die von Kant übernommene Konzeption des Menschen als ein endliches Vernunftwesen, das zugleich ein sinnliches Wesen sei,

86 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 3, Hamburg 1999, S. 121. Berühmt ist die Polemik, die Hegel hier gegen jene Position richtet, die behauptet, „es könne über die Schranke nicht hinausgegangen werden.“ 87 Hegel, Wissenschaft der Logik, S. 122. 88 Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 336–355. 89 Zur späteren Entwicklung von Fichtes Konzeption über das Verhältnis von Offenbarung und Geschichte siehe: Verweyen, „Fichtes Religionsphilosophie“, S. 219–224.

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ist für Climacus reine Abstraktion, die von der Wirklichkeit der Existenz absieht. Der Unterschied zwischen dem Vernunftwesen und der Existenz liegt gerade in der Faktizität, in der Geschichtlichkeit der Existenz, die für die Offenbarung im christlichen Sinne eine Möglichkeitsbedingung bildet. Der Vergleich von Fichtes frühem Standpunkt mit Climacus’ Konzeption soll sich aber keineswegs in einer bloßen Konstatierung der Wesensdifferenzen erschöpfen. Denn obwohl für Fichte die Offenbarung eine „übernatürliche Wirkung in der Sinnenwelt“90 ist, wird seine kritische Behauptung der subjektiven Gültigkeit der Offenbarung in Climacus’ existenzdialektischer Erörterung der Subjektivität nicht nur formal bewahrt, sondern auch inhaltlich weitergeführt. Obgleich Climacus die Möglichkeit eines natürlichen Wissens von Gott aus hamartiologischen Gründen konsequent ausschließt, wird in einer enigmatischen Aufzeichnung aus der Entstehungszeit der Philosophischen Brocken auf eine – in jedem anwesende, obschon nicht bewusste – Erinnerung (Erindring) hingewiesen, die sich auch auf Gottes Dasein bezieht.91 Wenn diese Terminologie auf die platonische Anamnesis im Menon (81 d 4f.) Bezug nimmt, dann kann man daraus auf ein allgemeines, obgleich unbewusstes, Wissen von Gott bei Kierkegaard schließen. Obwohl diese Kenntnis zweifellos nicht mit den a priori praktischen Vernunftgesetzen zu identifizieren ist, bildet sie auch keinen Antipoden hierzu.

90 FW V, S. 106. 91 „Med Hensyn til Guds Tilværelse, Udødeligheden o:s:v: kort med Hensyn til alle Immanentsens Problemer gjelder Erindringen, det er altsammen til i ethvert Menneske kun veed han ikke af det.“ Pap. V B 40,11, S. 93.

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3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige und in Schleiermachers Monologen Nachdem in den vorigen Kapiteln der apophatische Aspekt von „Kierkegaards Dogmatik“ in Hinblick auf die Problematik der Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis und auf jene der Offenbarung freigelegt wurde, wird in diesem Kapitel innerhalb des „dogmatischen“ Problemzusammenhanges der Fokus auf eine tiefgreifend zeitkritische Rezension von Kierkegaard gelegt, in welcher – obschon auf eine knappe und enigmatische Weise – auch die eschatologische Problematik aufbricht. Da die beißende Zeitkritik auch dem jungen Schleiermacher eigen ist, dessen Einfluss auf das Denken Kierkegaards unbestreitbar ist,1 wird die folgende Untersuchung erneut komparativen Charakter haben, der sich schwerpunktmäßig auf Schleiermachers Frühschrift Monologen bezieht. „Das was ist zu begreifen, ist die Aufgabe der Philosophie […] Was das Individuum betrifft, so ist ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie, ihre Zeit in Gedanken erfaßt.“2 Obwohl sowohl Kierkegaard als auch Schleiermacher meist kritische Distanz zur hegelschen Philosophie gehalten haben, scheint dieses berühmte Diktum aus der Rechtsphilosophie ein wesentliches Moment der beiden Denker zu treffen. Kierkegaard hat in seinen Schriften nicht nur sporadisch auf seine eigene Zeit reflektiert, sondern er hat in der Periode des Wendepunktes seines schriftstellerischen Schaffens diesem Thema auch eine selbständige und eindringliche Analyse gewidmet.3 Als Ergebnis dieser Untersuchung stellt die unverhältnismäßig lange Rezension mit dem Titel Eine literarische Anzeige

1 Zu einer eingehenden Erörtetung dieses komplexen Verhältnisses siehe: Richard E. Crouter, “Schleiermacher: Revisiting Kierkegaard’s Relationship to Him”, in Kierkegaard and His German Comtemporaries, Tome II, Theology, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 197–231; Schleiermacher und Kierkegaard. Subjectivität und Wahrheit / Subjectivity and Truth. Akten des Schleiemacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen, Oktober 2003 / Proceedings from the Schleiermacher-Kierkegaard Congress in Copenhagen, October 2003, hg. von Niels Jørgen Cappelørn et al., Berlin und New York 2006 (Kierkegaard Studies Monograph Series, Bd. 11; Schleiermacher-Archiv, Bd. 21). 2 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 5, Hamburg 1999, S. 16. 3 Weiterhin zeigt sich Kierkegaards tiefes theoretische Interesse für seine Zeit auch in den Journalen: „Alles paßt ganz und gar in meine Theorie, und man wird schon zu sehen bekommen, wie gut gerade ich die Zeit verstanden habe…“ SKS 20, 137, NB2:3 / T 2, 131. In Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller weist Kierkegaard auch auf sein eigenes Zeitverständnis hin und definiert die Epoche als „Zeit der Auflösung.“ SKS 16, 99 / SS, 114.

3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige 

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(En literair Anmeldelse) eine genuine Analyse seiner Zeit dar und zeigt, dass der Autor die Krankheit des Zeitalters nicht nur präzis diagnostizieren kann, sondern auch die erlösende Therapie für die Grundprobleme seiner Epoche kennt.4 Während Kierkegaard sich in einer Journalaufzeichnung vom Jahre 1845 mit einem „prophetischen Vogel“, dem „Regenspäher“ (Regnspaaer) vergleicht, der (durch sein Auftauchen) die Zukunft voraussagt,5 nennt sich der junge Schleiermacher in seinen Monologen von 1800 einen „prophetische[n] Bürger einer spätern Welt“,6 der „ein Fremdling“7 in seiner Zeit ist, und der „der Zukunft angehört“.8 Im Zusammenhang mit den zukunftsorientierten Behauptungen enthält das dritte Kapitel der Monologen zahlreiche zeitkritische Bemerkungen. In diesem Sinne hat Schleiermacher also – so wie später Kierkegaard – seine eigene Zeit „in Gedanken erfasst“9 und diagnostiziert. Die folgende Rekonstruktion der Zeitdiagnose aus der Anzeige kontrastiert sogleich die scharfe Zivilisationskritik Schleiermachers in den Monologen. Dieser Vergleich zielt hier weniger auf die Darstellung eines Rezeptionsverhältnisses wie dies z.B. einige religionsphilosophischen bzw. theologischen Fragen erfordern und also auf den Nachweis direkter Zusammenhänge angewiesen sind. Dieser Vergleich dagegen wird sich darauf beschränken, formale Ähnlichkeiten zwischen den beiden Positionen aufzuzeigen.

4 Die medizinische Konnotation des Ausdruckes „Diagnose“ taucht bei Kierkegaard auch in seiner Zeitdiagnose auf. Dass er sich zu seiner Zeit manchmal bewusst in der Rolle eines Arztes verhalten hat, geht z.B. aus der folgenden Journalaufzeichnung aus dem Jahr 1847 hervor: „Ich bin wie ein Arzt, der ein vollständiges Präparat hat, welches aber auch nicht so groß ist, daß es nicht zu überblicken wäre.“, SKS 20, 169, NB2:67 / T 2, 145. Er hat auch in der Anzeige medizinische Ausdrücke benutzt; er charakterisiert z.B. den Zustand des Individuums in der Gegenwart wie folgt: „das Individuum [leidet] in der dyspeptischen abnormen Verständigkeit.“ SKS 8, 73 / LA, 80. „Und gleich wie Skorbut durch Grüngemüse geheilt wird, so hat ein durch Reflexion Erschöpfter nicht so sehr Stärke nötig als ein bißchen Illusion.“ SKS 8, 65 / LA, 70. 5 „Es gibt einen Vogel, der Regenvogel genannt wird, und so bin ich, wenn in der Generation sich ein Unwetter zusammenzuziehen beginnt, dann erscheinen die Arten von Individualitäten, wie ich es bin.“ SKS 18, 271, JJ:391 / DSKE 2, 281. 6 F.D.E. Schleiermacher, Monologen. Eine Neujahrsgabe, Berlin 1800. In F.D.E. Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe (im Folgenden: KGA), hg. von H.-J. Birkner et al., Berlin und New York 1988, Abt. I, Bd. 3, S. 35. (KGA I/3 35,25). 7 KGA I/3 35,24. 8 KGA I/3 36,9. 9 Die Form der „Erfassung der Zeit”ist aber bei Kierkegaard (und ebenso bei Schleiermacher) offensichtlich anders als bei Hegel: “[W]hereas Hegel meant to penetrate the world-historical significance of the French Revolution, Kierkegaard…does not primarily direct [his] attention to such events as the revolutions of 1848”, Merold Westphal, Kierkegaard’s Critique of Reason and Society, Macon 1987, S. 43.

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 Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

3.1 Kierkegaards religiöse Anzeige über „die Gegenwart“ 3.1.1 Der Wendepunkt des schriftstellerischen Schaffens Unmittelbarer Gegenstand der Anzeige ist eine im Jahr 1845 pseudonym erschienene Novelle von Thomasine Gyllemburg mit dem Titel Zwei Zeitalter10. Die Autorin vergleicht darin die sozialen Verhältnisse der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts und der Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts als Bild und Gegenbild der beiden Teile ihres Werkes. Der Zeit der Französischen Revolution haftet demnach etwas Großartiges an (weil sie wesentlich leidenschaftlich, authentisch, wenn auch manchmal amoralisch war), wohingegen die Vierzigerjahre (i.e. ihre eigene Epoche) nur mit negativen Eigenschaften charakterisiert werden können.11 Kierkegaards Interesse für Gyllembourg hat eine lange Vorgeschichte: Schon in seiner kritischen Erstlingsarbeit Aus eines noch Lebenden Papiren (1838) hat er der Besprechung ihrer Novellen Raum gegeben.12 Es ist aber auch klar, dass es sich im Falle der Anzeige um mehr als eine rein literarisch-ästhetische Besprechung der Zwei Zeitalter handelt.13 Die Novelle bietet Kierkegaard vielmehr den Anlass für eine tiefe Besinnung auf die Geisteszustände und Entwicklungstendenzen seiner Zeit.14

10 [Thomasine Gyllembourg], To Tidsaldre. Novelle af Forf. til „En Hverdags-Historie“, hg. von J. L. Heiberg, Kopenhagen 1845 (Ktl. 1563). Zu Kierkegaards Verhältnis zu Thomasine Gyllembourg sowie zu seiner Rezension siehe: Katalin Nun, Women of the Danish Golden Age. Literature, Theater and the Emancipation of Women, Kopenhagen 2013 (Danish Golden Age Studies, Bd. 8), S. 7–41. 11 So bemerkt etwa eine Rezension: „[Forfatteren] har været noget ubillig imod vor Tid, deels i enkelte af de Personligheder, ved hvilke han lader den repræsentere, og der i aandelig Henseende ikke staae paa lige Trin med dem, som repræsentere Revolutionstiden, deels ved at give Nutiden mindre poetisk Interesse.“ Berlingske Tidende, Nr. 260, 31. Oktober 1845. 12 SKS 1, 20–24 / LP, 49–52. Darauf weist er in der Einleitung der Anzeige ausdrücklich hin, siehe: SKS 8, 26 / LA, 23. 13 Fenves lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass bei diesem Buch der Ausdruck „Anzeige“ (Anmeldelse) nicht bloß in der Bedeutung „Rezension“ zu nehmen ist: “Hidden and yet altogether apparent in En literair Anmeldelse is anmeldelse: not ‘rewiew’ but ‘announcement’, or better still, ‘notification.’” Peter Fenves, “Chatter”: Language and History in Kierkegaard, Stanford 1993, S. 213. 14 Dass Gyllembourg selbst sich über diesen Umstand im Klaren war, geht aus einem Brief an Kierkegaard, in dem sie sich für die Rezension bedankt, eindeutig hervor: „En dobbelt Følelse har gjennemtrængt mig ved denne Anledning: Jeg føler mig hævet ved den Ære, De har beviist mig, og undseelig over, at den er større, end mine Fortjenester af Litteraturen kunde haabe. Paa den ene Side er det en stor Anbefaling for mit lille Arbeide, at det har formaaet at fremkalde an Bog som Deres; men naar jeg derimod ved Siden af denne, med saa dybsindige, træffende,

3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige 

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Die Entstehungsgeschichte der Anzeige ist eng verknüpft mit einigen nicht uninteressanten biographischen Momenten. Das Werk wurde um die Jahreswende 1845/46 verfasst, und ist einen Monat nach der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift erschienen. Kierkegaard sah ursprünglich vor, mit diesem Werk nicht nur die Climacus-Schriften, sondern seine ganze literarische Tätigkeit zu beenden.15 In der retrospektiven Schrift Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller behauptet er ausdrücklich, dass die Nachschrift „den Wendepunkt in der gesamten Wirksamkeit als Schriftsteller [bildet]“.16 Einen Wendepunkt stellt diese Periode für Kierkegaard auch insofern dar, als der bekannte Konflikt zwischen ihm und der satirischen Zeitschrift Corsaren in diese Zeit fällt. Die lange literarische Debatte zwischen Kierkegaard und dem Corsaren hat eine entscheidende Wirkung sowohl auf Kierkegaards Verhältnis zur Gesellschaft als auch auf sein Verständnis derselben ausgeübt: Die Auffassung, die Kierkegaard von Presse und Publikum in der Anzeige17 vertreten hat, sollte unbedingt auch im Lichte dieses Konfliktes gesehen werden. Aus einer Journalaufzeichnung vom Februar 1846 erfahren wir, dass Kierkegaard in der Zeit nach der Abfassung der „abschließenden“ Nachschrift die Möglichkeit gesehen hat, seine Gedanken in Rezensionen darzulegen: „Bisher habe ich mich dienend verhalten, indem ich den Pseudonymen half, Schriftsteller zu werden; wie, wenn ich mich jetzt in Zukunft entschlösse, das bißchen Produktivität, das ich durchgehen lassen kann, in Form von Kritik von mir zu geben, so daß ich alles, was ich zu sagen hätte, niederlegte in Kritiken, die aus der einen oder anderen Schrift heraus meine Gedanken entwickelten, derart daß sie doch auch in der Schrift liegen können. Dann vermeide ich es doch, Schriftsteller zu bleiben.“18 Aus dieser Aufzeichnung geht hervor, wie die rezensierten Schriften

vittige Bemærkninger saa rigt udstyrede Bog betragter min Novelle, saa forekommer denne mig som en simpel Romance, hvoraf en Digter har taget Motivet til et udarbeide et Drama.“ Breve og Aktstykker vedrødende Søren Kierkegaard, 2 Bde., hg. von Niels Thulstrup, Kopenhagen 1953, Bd. 1, S.154f. 15 Siehe dazu: „Eine erste und letzte Erklärung“ in SKS 7, 569–573 / AUN2, 339–344. Aus einer Journalaufzeichnung erfahren wir, dass er überlegt hat, nach der Erscheinung der Nachschrift ein Pfarrer auf dem Lande zu werden. Vgl. SKS 18, 278, JJ:415 / DSKE 2, 289. In dieser Zeit hat er aber bekanntlich auch ernstlich damit gerechnet, dass er bald (d.h. bevor er 34 Jahre alt wird) sterben muss: In diesem Sinne wäre die Nachschrift dann auch in anderer Hinsicht „abschließend“ gewesen. 16 SKS 16, 36 / SS 49. 17 SKS 8, 86ff. / LA, 96ff. 18 SKS 18, 279, JJ:419 / DSKE 2, 290.

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 Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

ihm die Gelegenheit geboten haben, seine eigene Position, nämlich „in Form von Kritik“, darzulegen, was im Falle der Anzeige auch unverkennbar ist. Die klare und für Kierkegaard in dieser Zeit bedeutungsvolle Distinktion zwischen „Schriftsteller“ (Forfatter) und „Kritiker“ (Critiker) zeigt sich auch in Über meine Wirksamkeit als Schriftsteller, wo es heißt: „die kleine ‚literarische Anzeige‘ der Novelle ‚Zwei Zeitalter‘ […] ist ja eine Arbeit von mir in Eigenschaft als Kritiker, nicht in Eigenschaft als Verfasser“.19 Im Gesichtspunkt wird ebenso behauptet, dass „die ‚literarische Anzeige‘ der zwei Zeitalter nicht ästhetisch sondern kritisch [ist]“.20 Weiter bemerkt er hier, dass die Anzeige „einen durchaus religiösen Hintergrund in ihrer Auffassung von der ‚Gegenwart‘ [hat]“.21 Die folgende Analyse versucht sich, ausgehend von dieser letzten Bemerkung, gerade auf das religiöse Element (d.h. auf „die Forderung der Ewigkeit“)22 in Kierkegaards kritischer Zeitdiagnose zu konzentrieren23 und zu zeigen, wie der „religiöse Schriftsteller“,24 der übrigens auf die bekannten Apokalypsen seiner Zeit pointiert ironisch hinweist,25 in seiner eigenen Apokalypse die Grundprobleme der Epoche einzigartig aufdeckt und betrachtet.26

19 SKS 13, 16 / SS, 9. 20 SKS 16, 18 / SS, 28. 21 Ebda. 22 SKS 8, 15 / LA, 10. 23 Hier kann auf die anderen, ebenso wichtigen Bedeutungsmomente der Diagnose (Politikund Gesellschaftskritik) nur kurz hingewiesen werden: “A Literary Review must be seen as an attack on the liberals of SK’s Copenhagen, who, not because of the ideas they embraced but because of the way they embraced them, were held to be sorely lacking in the passion and individual integration that politics, like all ethical action, requires.” Bruce H. Kirmmse, Kierkegaard in Golden Age Denmark, Bloomington und Indianapolis 1990, S. 271. Weiterhin kann die Anzeige (besonders ihr religiöser Bildungsbegriff) auch als eine Polemik gegen den kulturellen Elitismus der Zeit interpretiert werden. Vgl. ebda. S. 275. 24 SKS 16, 20 / SS, 30. 25 SKS 8, 100 / LA, 112. Vgl. noch die abschließende Bemerkung der Diagnose: „so wird alles Prophezeien von der Zukunft der Welt erträglich und zulässig sein allerhöchstens als ein Mittel der Erfrischung, als ein Scherz“, SKS 8, 104 / LA, 117. Was den Vergleich von Kierkegaards und Marx’ Apokalypse betrifft siehe Bruce H. Kirmmse, “Apocalypse Then: Kierkegaard’s A Literary Review” in Kierkegaard Studies Yearbook, 1999, S. 182–203. Für Kierkegaard ist es eigentlich die Zeit selbst, die „offenbar macht“ (apocalypsis), siehe SKS 8, 11 / LA, 5. 26 Dass das Ziel in Anmeldelse keineswegs darin liegt, die Zeit „zu richten (dømme) oder zu beurteilen (bedømme)“, sondern lediglich sie darzustellen, betont Kierkegaard am Ende des Werkes ausdrücklich. Vgl. SKS 8, 104 / LA, 118.

3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige 

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3.1.2 „Reflexion“ versus „Leidenschaft“ Jene Antithetik der Revolutionszeit und der Gegenwart, die Gyllembourgs Betrachtungsweise innerlich bestimmt, ist in Kierkegaards Analyse zum formalen Grundprinzip geworden. Das lange dritte Kapitel der Anzeige („Ausbeute an Beobachtungen über die zwei Zeitalter“) zerfällt dementsprechend in zwei Teile („Die Revolutionszeit“ und „Die Gegenwart“), deren Asymmetrie zunächst auffallend ist: Die Epoche der Revolution hat in der Diagnose tendenziell die Funktion eines kritischen Bezugspunktes. Während in der Erzählung der Zwei Zeitalter die gesellschaftlichen Verhältnisse der Neunzigerjahre des 18. Jahrhunderts literarisch so beschrieben werden, dass sie durch die wahren Leidenschaften beherrscht sind, bekommt der Begriff „Leidenschaft“ in der Literarischen Anzeige eine klar heuristische Funktion, indem der Begriff selbst erst ermöglicht, den grundlegenden Unterschied zwischen den beiden Zeitaltern aufzuzeigen. „Die Revolutionszeit ist wesentlich leidenschaftlich“27 – wiederholt sich die Grundthese, genau siebenmal, im ersten Teil des dritten Kapitels, wohingegen die Gegenwart im zweiten Teil als „wesentlich verständig, reflektierend, leidenschaftslos, flüchtig in Begeisterung aufflammend und gewitzt in Indolenz ausruhend“ 28 charakterisiert wird. An diesem Punkt der Diagnose zeigt sich also die deutliche Antithetik zwischen „Leidenschaft“ und „Reflexion“29, mitunter scheint es, als

27 SKS 8, 59 / LA, 64. 28 SKS 8, 66 / LA, 72. 29 Die Antithetik von „Reflexion“ (Reflexion) und „Leidenschaft“ (Lidenskab) bestimmt Kierkegaards Schriften von Anfang an und spielt eine bedeutende Rolle in seinem Denken. In Entweder/Oder schreibt ‚A‘: „Laß andre darüber klagen, daß die Zeit böse sei; ich klage darüber, daß sie jämmerlich ist; denn sie ist ohne Leidenschaft.“ SKS 2, 36 / EO2, 29. Johannes de silentio bemerkt in Furcht und Zittern über sich selbst und über seine Zeit: „Verfasser vorliegender Schrift ist keineswegs ein Philosoph, er hat das System nicht verstanden, ob es da ist…Er sieht leicht sein Schicksal voraus in einer Zeit, da man einen Strich durch die Leidenschaft gezogen hat, um der Wissenschaft zu dienen.“ SKS 4, 103 / FZ, 5–6. Er fügt hinzu, dass „das, was in der Zeit fehlt, nicht Reflexion, sondern Leidenschaft [ist].“ SKS 4, 137 / FZ, 43. Am Ende der Nachschrift bemerkt Johannes Climacus: „Psychologisch ist es im allgemeinen ein sicheres Zeichen dafür, daß man anfängt, die Leidenschaft aufzugeben, deren Gegenstand man objektiv behandeln will. Es ist im allgemeinen so, daß sich Leidenschaft und Reflexion ausschließend zueinander verhalten. Auf die Weise objektiv zu werden bedeutet immer einen Rückschritt; denn in der Leidenschaft liegt das Verlorengehen eines Menschen, aber auch seine Erhebung.“ SKS 7, 555 / AUN2, 325. – Obwohl in diesen Zitaten (und ebenso in der Anzeige) vor allem die Leidenschaft (im Gegensatz zur Reflexion) bemängelt wird, sind bei Kierkegaard „Reflexion“ und „Leidenschaft“ wesentlich dialektische Begriffe, die einander nicht bloß ausschliessen, sondern ebenso bedingen und miteinander in einer streng dialektischen Relation stehen. Zu diesem Thema siehe: Immediacy and Reflecion in Kierkegaard’s Thought, hg. von Paul Cruysberghs et al., Leuven 2003.

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würde sich das Verhältnis der beiden Begriffe (oder existentiellen Haltungen) und jenes der beiden Epochen ganz und gar entsprechen. Dies ist aber sicher nicht der Fall, denn „Leidenschaft“ und „Reflexion“ sind bei Kierkegaard dialektische Begriffe, die sich zueinander nicht in der Form einer reinen Opposition (wie die beiden Epochen) verhalten, sondern in einer dialektischen Relation stehen. Bekanntlich ist die Kritik an der einseitigen Reflexionskultur ein zentraler Topos in der Geisteswelt der Romantik, es wäre aber irreführend anzunehmen, dass Kierkegaards Position in der Anzeige eine romantische Kritik an der Reflexion als solcher sei.30 Denn auch wenn nach Kierkegaards Diagnose die „dozierende Zeit“31 daran krankt, in der Reflexion befangen zu sein, schlägt er als Therapie selbstverständlich nie vor, die Reflexionstätigkeit einzuschränken. Für ihn bedeuten die Kategorien „Leidenschaft“ und „Reflexion“ wesentlich verschiedene Verhältnisse des Individuums zur Wirklichkeit. Die Unmittelbarkeit der Leidenschaft führt zur Handlung, deshalb ist die Epoche der Revolution die Zeit „der großen und guten Handlungen“32 (auch wenn sie „gewaltsam, zügellos, wild, rücksichtslos gegen alles andre außer ihrer Idee“33 ist), während in der Unfruchtbarkeit der Reflexion der Gegenwart die Kraft vergeudet wird.34 Der „durch Reflexion ausgemergelten“ Zeit ist also eine Handlungsunfähigkeit eigen, einerseits weil „das einzelne Individuum […] in sich selbst nicht genug Leidenschaft beschlossen [trägt], um sich aus dem Garn der Reflexion [loszureißen]“,35 andererseits weil die Mitwelt keine vereinte Leidenschaft besitzt. Was der Zeit wesentlich fehlt, ist das unmittelbare Verhältnis zur Wirklichkeit: Freilich, auch diese Epoche ist „revolutionär“; sie ist aber zugleich „leidenschaftslos und reflektierend“,36 sie lässt alles bestehen, aber entwindet allem die innerliche Bedeutung und verwandelt das ganze Dasein in eine Zweideutigkeit.37

30 “Kierkegaard’s complaint is not against reflection as such, but against reflection cut off from passion. This reflection lacks not only the commitment that passion involves, but serves as a defense against both commitment and passion.” Westphal, Kierkegaard’s Critique of Reason and Society, S. 46. 31 SKS 8, 54 / LA, 58. 32 SKS 8, 68 / LA, 75. 33 SKS 8, 60 / LA, 65. 34 Obwohl einige Geschehnisse der Revolutionsepoche zweifellos ethisch kritisiert werden können, ist die Gegenwart wesentlich problematischer: „Muß man von der Revolutionszeit sagen, daß sie in die Irre fahre (farer vild), so muß man von der Gegenwart sagen, dass sie übel (farer ilde) fährt“, SKS 8, 67 / LA, 72. 35 SKS 8, 67 / LA, 73. 36 SKS 8, 74 / LA, 82. 37 Ebda.

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Diese gegenwärtige Zeit hat kein positiv einigendes, gemeinsames Verhältnis zur Idee, vielmehr herrscht nur der Neid als negativ einigendes Prinzip.38 Die Kategorie des Neides (Misundelse) spielt eine wichtige Rolle in Kierkegaards dialektischer Analyse, da durch sie Reflexion und Nivellierung verknüpft werden.39 Kierkegaard betont ausdrücklich, dass der Neid nicht ohne weiteres im ethischen Sinne aufgefasst werden darf, er ist vielmehr „die Idee der Reflexion“.40 Für die Handlungsunfähigkeit der Zeit ist vor allem dieser Neid verantwortlich und zwar im doppelten Sinne: Er hindert nicht nur die pathoserfüllte Entscheidung des Individuums und hält so Wille und Kraft gleichsam gefangen, sondern bildet darüber hinaus als Neid der Umgebung auch in einem weiteren Sinne ein Gefängnis, „in welchem die Reflexion das Individuum und die Zeit festhält“.41 Der Neid ist das „Prinzip der Charakterlosigkeit“, welcher das Ausgezeichnete verkleinert haben will und sich wider das Ausgezeichnete richtet.42 Doch ist die Reflexion in Kierkegaards konsequent „dialektischer Visierung der Gegenwart“43 keineswegs etwas an sich Verderbliches. Ganz im Gegenteil: „ihre Durcharbeitung [ist] die Bedingung dafür, intensiver zu handeln“.44 Die dialektische Zweideutigkeit der Reflexion zeigt sich am klarsten in ihrem Verhältnis zum religiösen Moment der Kierkegaardschen Diagnose: „Die Reflexion ist eine Schlinge, in der man gefangen wird, aber durch der Religiosität begeisterten Sprung wird das Verhältnis ein anderes, durch ihn wird sie die Schlinge, die einen in des Ewigen Arme wirft.“45 Hier erweist sich also die Reflexion wieder als eine Bedingung, die ebenso Gefängnis für das Individuum, wie auch Ausgangspunkt für dessen religiöse Existenz sein kann. Die Reflexion an sich ist deshalb nicht das Übel und indem sie in der dialektischen Bewegung der Existenz in Richtung des Religiösen aufgehoben wird, gehört sie sogar zu dieser Dialektik, „aber der innere Zustand in der Reflexion ist“ zweifellos „das Mißliche.“46

38 „[W]ie in einer leidenschaftlichen Zeit Begeisterung das einigende Prinzip ist, so wird in einer leidenschaftslosen und stark reflektierten Zeit Neid das negativ-einigende Prinzip.“ SKS 8, 78 / LA, 86. Kierkegaard betont an derselben Stelle, dass in diesem Kontext das Wort „Neid“ nicht im ethischen Sinne verwendet wird, sondern dass der Neid „die Idee der Reflexion“ ist. 39 „Der sich fest einrichtende Neid ist die Nivellierung […].“ SKS 8, 80 / LA, 89. 40 SKS 8, 78 / LA, 86. 41 SKS 8, 78 / LA, 87. 42 SKS 8, 80 / LA, 89. Diese Feststellung kann außer ihrer diagnostischen Funktion auch als ein Hinweis auf Kierkegaards konkrete Erfahrungen mit dem Corsaren interpretiert werden. 43 SKS 8, 91 / LA, 102. 44 SKS 8, 105 / LA, 118. 45 SKS 8, 85 / LA, 95. 46 SKS 8, 92 / LA, 103.

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3.1.3 Das examen rigorosum der Nivellierung Neben „Reflexion“ ist die zweite – mit jener eng verknüpfte – Grundkategorie der Zeitdiagnose Kierkegaards die „Nivellierung“ (Nivellering). Hier zeigt sich ebenso wie oben, dass es in der Anzeige keineswegs um eine reine Zeitkritik geht,47 sondern wirklich um eine Diagnose, in der die Begriffe streng dialektisch wirken. Das bedeutet, dass die Nivellierung – ebenso wie die Reflexion – sowohl in Richtung des Religiösen als auch in Richtung des Verlorengehens dialektisch bestimmt sein kann. Die reflektierte leidenschaftslose Zeit „würgt und hemmt, sie nivelliert“.48 Aus der Logik der Nivellierung folgt, dass kein einzelner Mensch auf der Spitze des Nivellierungswerkes stehen kann: Sie ist eine schlechthin abstrakte Macht, sie ist „der Sieg der Abstraktion über die Individuen“.49 In der „Totenstille der Nivellierung“50 kommt eine ebenso negative Einheit in der Gesellschaft zuwege, wie in der leidenschaftslosen Reflexion. In diesem abstrakten Verhältnis sinkt das Individuum in eine mathematische Gleichmäßigkeit und die Kategorie der Generation verschafft sich eine unterdrückende Übermacht über jene der Individualität. Die Nivellierung ist also keine einzelne Handlung, sondern „ein Reflexionsspiel in der Hand einer abstrakten Macht“.51 Deshalb kann dieser „Selbstentzündung des Menschengeschlechtes“52 niemand restlos widerstehen: Das Individuum, der gesellschaftliche Zusammenhalt und auch die Nationen sind gleichermaßen der Nivellierung ausgeliefert. „Damit die Nivellierung eigentlich zustande kommen kann, muß erst einmal ein Phantom zuwege gebracht werden, ihr Geist, eine ungeheuerliche Abstraktion, ein allumfassendes Etwas, welches Nichts ist, eine Luftspiegelung – dies Phantom heißt Publikum. Allein in einer leidenschaftslosen, aber reflektierten

47 “[O]f his own, the ‘present’, age he [i.e. Kierkegaard] says that it is ‘dialectical in the direction of equality’…He does not intend this as a criticism of his age. He does, indeed, criticize people who have this ideal for misunderstanding it.” Alastair Hannay, Kierkegaard, London und New York 1991, S. 282. 48 SKS 8, 80 / LA, 89. 49 SKS 8, 81 / LA, 90. Es ist vor allem dieser Punkt, d.h. Kierkegaards eingehende „Phänomenologie der Nivellierung“, an dem sich die formalen Ähnlichkeiten zwischen Heideggers berühmter Analyse der „Diktatur des Man“ in der Verfallenheit des Daseins und Kierkegaards Position am klarsten zeigen. Siehe dazu: Alastair Hannay, “Kierkegaard’s Levellings and the Review”, Kierkegaard Studies Yearbook, 1999, S. 71–95. 50 SKS 8, 81 / LA, 89. 51 SKS 8, 82 / LA, 92. 52 SKS 8, 83 / LA, 93.

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Zeit kann dies Phantom sich entwickeln mittels der Presse, wenn diese selbst eine Abstraktion wird.“53 Die abstrakte Macht der Nivellierung beruht also auf weiteren Abstraktionen: Auf dem Publikum54 und dessen „abonniertem Hund“,55 d.h. der Presse. Unter dieser mehrfachen Vollmacht der Abstraktion verliert das Individuum in der Gesellschaft seine Konkretheit und wird zum unwirklichen Einzelnen im Heer des Publikums.56 In der Epoche der Nivellierung gehört der Einzelne dem Wesen nach weder Gott noch sich selbst, sondern ausschließlich jener allumfassenden Abstraktion.57 In Kierkegaards Apokalypse ist der Einzelne (den Enkelte) jedoch der archimedische Punkt, der alles wenden kann: Die Rettung dieser Zeit liegt nur im einzelnen Individuum und zwar durch die Wesentlichkeit der Religiosität.58 Die einzig mögliche Antwort auf die wesentliche Entfremdung der Epoche der Reflexion ist, wenn „das Individuum in individueller Besonderung die Unerschrockenheit der Religiosität erringt“.59 Gerade weil das herrschende Prinzip der Zeit die gesellschaftliche Verbindung ist, muss sich die Existenz des Einzelnen in die entgegengesetzte Richtung, d.h. in Richtung der religiös motivierten Isolation bewegen.60 Die Zeit an sich ist für Kierkegaard weitgehend dialektisch und apokalyptisch in dem Sinne, dass die Nivellierung, die einerseits alles beherrscht und der Existenz die Wirklichkeit raubt, für den Einzelnen zugleich, „falls er in Aufrichtigkeit vor Gott es so will, der Ausgangspunkt für das höchste Leben“61 werden kann. In der Epoche der Nivellierung kann das Individuum im streng religiösen Sinne gerade durch die Nivellierung gerettet werden, jene kann für ihn religiös bildend sein.62 Die Nivellierung der Zeit ist also in Kierkegaards Diagnose

53 SKS 8, 86 / LA, 96. 54 Zu Kierkegaards Kritik am Publikum siehe George Pattison, “The Present Age: the Age of the City”, Kierkegaard Studies Yearbook, 1999, S. 13–16. 55 SKS 8, 90 / LA, 101. 56 SKS 8, 87 / LA, 97. 57 SKS 8, 82 / LA, 91. 58 SKS 8, 84 / LA, 94. 59 SKS 8, 83 / LA, 92. 60 SKS 8 82 / LA, 91. 61 SKS 8, 84 / LA, 93. 62 Die Dialektik der Nivellierung ist dem Publikum auch eigen: „durch diese Abstraktion [des Publikums] und diese abstrakte Zucht wird das Individuum […] dazu gebildet, dass es im höchsten Sinne der Religiosität sich genügen läßt an sich selbst und seinem Gottesverhältnis.“ SKS 8, 88 / LA, 98. Publikum ist „die grausame Abstraktion, mit der die Individuen religiös erzogen werden sollen – oder untergehen.“ SKS 8, 89 / LA, 100.

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keineswegs rein negativ konnotiert, sondern dialektisch doppelsinnig:63 Sie ist das allgemeinverbindliche examen rigorosum der Epoche, in welchem sich die wesentliche Tendenz der Zeit und der einzelnen Existenz eindeutig mitteilt.64 Die Nivellierung als Werk der Abstraktion erfüllt also eine klar apokalyptische Funktion, indem sie alle Endlichkeit offenbar macht. Auf die ungeheure Abstraktion der Gegenwart sieht Kierkegaard nur eine mögliche Antwort und zwar die unendliche religiöse Bewegung der Existenz, den Sprung65 und die verborgene Innerlichkeit des religiösen Individuums. Seiner Auffassung nach gibt es also keine politische Lösung für die Probleme und Aufgaben der gegebenen gesellschaftlichen Wirklichkeit. Obwohl die Epoche der Abstraktion äußerlich, in seinen Losungen, für „freie Wahlen“ eintritt, versucht sie gerade die Wahl im existentiellen Sinne aufzuheben.66 Trotzdem liegt der apokalyptischen Zeit eine wesentliche Disjunktion zugrunde, die sie keineswegs eliminieren kann, nämlich das Entweder-oder der religiösen Rettung und des Verlorengehens. In der Zeit der Nivellierung stehen die Individuen vor einer endgültigen Wahl: „entweder verloren sein in der abstrakten Unendlichkeit Schwindel oder unendlich erlöst werden in der Wesentlichkeit der Religiosität“.67 Das Ideal der Nivellierung, das die Gleichheit ist, kann nach Kierkegaard gerade auf der immanenten, politischen Ebene gar nicht verwirklicht werden. Es ist nur das Transzendente, das Religiöse, „die Gleichheit vor Gott“,68 was die Menschen wirklich gleich macht und – wie er später bemerkt – es ist eben die

63 „Dies Verhältnis ist der Tiefpunkt der Nivellierung, denn diese steht jederzeit in Entsprechung zu dem, was der Divisor ist, für den alle gleichgemacht werden, dergestalt ist auch das ewige Leben eine Art Nivellierung, und doch ist es nicht an dem, weil da der Divisor ist: ein in religiösem Sinne wesentlicher Mensch sein.“ LA 102 / SKS 8, 91 / LA, 102. Zugleich nennt aber Kierkegaard im abschließenden apokalyptischen Szenario der Anzeige die Nivellierung auch ein „diabolisches Prinzip“ (vgl. SKS 8, 101 / LA, 114) und sagt, dass die „Diener der Nivellierung die Diener der bösen Macht“ sind, SKS 8, 103 / LA, 116. 64 SKS 8, 84 / LA, 93. 65 „Siehe, es ist alles bereit…, – siehe der Gott wartet! So spring denn zu in der Gottheit Arme“, SKS 8, 103 / LA, 116. Hier ist der Text auch insofern apokalyptisch, als er ganz eindeutig auf die Apokalypse des Johannes anspielt. 66 Dies wird im Text so ausgedrückt, dass die Gegenwart „den Satz vom Widerspruch aufgehoben“ hat. SKS 8, 92 / LA, 103. Zum geschichtlichen Kontext der dänischen Debatte über die Hegelsche Kategorie der Vermittlung siehe: Jon Stewart, A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome II, The Martensen Period: 1837–1842, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3), S. 289–373. 67 SKS 8, 102 / LA, 115. Dieses apokalyptische Entweder-oder der Zeit zeigt sich auch in anderen Behauptungen, z.B.: dass „jedes Individuum entweder verloren geht, oder unter der Zucht der Abstraktion religiös sich selbst gewinnt“, SKS 8, 100 / LA, 113. 68 SKS 8, 85 / LA, 95.

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gegenwärtige Zeit die erste in der Geschichte, da Gleichheit der Menschen (Menneske-Lighed) und die Menschlichkeit (Menneskelighed) wirklich erreicht werden können.69 Die letzten Seiten der Anzeige bilden eine schlechthin theologisch-apokalyptische Vision.70 In dieser Szene tritt eine apokalyptische Figur auf: Der Unkenntliche (den Ukjendelige),71 der geheime Ausgezeichnete der Nivellierungszeit. Er kennt die Diener der bösen Macht der Nivellierung, er wird sogar durch eine leidende Handlung „dem Werkzeug zum Gericht“ und er wird die Nivellierung selbst überwinden.72 Kierkegaards Reaktion in der Anzeige auf die sich zwischen absoluter Monarchie und Demokratie bewegende Gegenwart wird, entgegen seiner Behauptung, wahrscheinlich niemand als bloßen „Narrenstreich“73 (Narrestreg) interpretieren. Die Anzeige ist vielmehr deshalb bemerkenswert, weil durch ihre dialektische Diagnose nicht nur der geistige Hintergrund der zeitgenössischen gesellschaftlichen und politischen Szene, sondern auch die möglichen existenziellen Haltungen des einzelnen Individuums in der Zeit aufgedeckt werden. Als systematische Reflexion auf die Gegenwart bildet die Anzeige zweifellos einen bedeutenden Meilenstein in Kierkegaards Gesamtwerk.

69 „Nur das Religiöse kann vermöge der Hilfe des Ewigen bis ins Letzte Menschgleichheit (Menneske-Lighed), Menschlichkeit durchführen, die gottgemäße, die wesentliche, die nicht-weltliche, die wahre, die einzig mögliche Menschgleichheit, Menschlichkeit; und darum ist auch […] das Religiöse die wahre Menschlichkeit (Menneskelighed).“ SKS 16, 84 / SS 97. 70 SKS 8,101ff. / LA, 114–117. 71 SKS 8, 103 / LA, 117. Hinsichtlich der Wortverwendung ist es bemerkenswert, dass bis zu dieser Passage (d.h. bis zur Erörterung der leidenden Handlung) von diese Figur immer im Plural die Rede ist (de Ukjendelige). Der zentrale Ausdruck zu Beginn der Szene ist zweifellos „unkenntlich“ (ukjendelig) in SKS 8, 101.23. Dieses Adjektiv wird dann in 101.24–103.21 konsequent in einer substantivierten Form (de Ukjendelige) benutzt. Das Subjekt der leidenden Handlung steht aber immer im Singular, in klarer Parallele zum Leidenden der johanneischen Apokalypse. 72 SKS 8, 103 / LA, 117. 73 SKS 8, 104 / LA, 117.

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3.2 Zivilisationskritik und Krisendiagnose in Schleiermachers Monologen 3.2.1 Bemerkungen zum Verhältnis Kierkegaard – Schleiermacher Es wäre vor allem vermessen, das Verhältnis zwischen Kierkegaard und Schleiermacher in seiner Komplexität74 im Rahmen eines einzigen Kapitels darstellen zu wollen, daher möchte ich mich im Folgenden darauf beschränken, diejenigen Elemente kurz hervorzuheben, die zumindest indirekt der beiden Autoren Verständnis des Themas „Zeitdiagnose“ erhellen. Kierkegaards direkte Hinweise auf Schleiermacher in seinen Schriften kommen nur sporadisch vor und meist sind diese Referenzen ambivalent: Sie reichen von höchster Anerkennung bis zu schärfster Kritik. Die meisten Bemerkungen finden sich in den Papirer, während es in den publizierten Schriften nur wenige Passagen gibt, die direkt auf Schleiermacher Bezug nehmen. Freilich, auch wenn im Œuvre Kierkegaards keine umfangreiche Erörterung der Philosophie und Theologie Schleiermachers zu finden ist und trotz der wesentlichen

74 Während in Schleiermachers romantischer Religionsauffassung der homo religiosus und sein „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ in den Mittelpunkt gestellt wurden, hat Kierkegaard eine scharfe Kritik an der Immanenzreligion geübt und das göttliche Andersseins und das Paradox des Glaubens betont. Das komplizierte und ziemlich ambivalente Verhältnis der beiden Denker hat in der späteren Forschung nicht nur verschiedene sondern gerade gegensätzliche Positionen hervorgerufen. Hirsch z.B. meint, dass „Kierkegaard mit seinem Satz, dass die Subjektivität die Wahrheit sei, den Grundgedanken Schleiermachers über das Verhältnis von der Religion zum Wissen […] aufnimmt und weiterbildet. Kierkegaard ist insofern in seiner Generation der einzige echte Schüler Schleiermachers.“ Emanuel Hirsch, Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. 5, Gütersloh 1954, S. 453f. Anz teilt diese Position im Wesentlichen: „Sobald wir nämlich das Verhältnis beider Denker zum spekulativen Idealismus, zur christlichen Dogmatik und auch zur klassischen antiken Philosophie überprüfen, zeigt sich, dass beide in wesentlichen Tendenzen übereinstimmen.“ Wilhelm Anz, „Schleiermacher und Kierkegaard. Übereinstimmung und Differenz“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 82, Nr. 4, 1985, S. 411. Dagegen hat Salvatore Spera – und früher auch Cornelio Fabro – behauptet, dass es in den kierkegaardschen Schriften bedeutend weniger direkte Zeichen für ein Interesse an Schleiermacher, aber mehr wesentliche Differenzen gibt. Deshalb stellen sie beide die Position von Hirsch und Anz ausdrücklich in Frage. Siehe dazu Salvatore Spera, „Le Carte schleiermacheriane di Kierkegaard“, Aquinas, Bd. 27, 1984, S. 288. Dieser letztere Standpunkt scheint formal gesehen Barths Auffassung nahezustehen, welcher die beide Denker bekanntlich einander diametral gegenübergestellt hat. Vgl. Karl Barth, „Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie“, in Das Wort Gottes und die Theologie, München 1925, S. 156–178. Anz berichtet ausführlich über die diesbezüglichen Positionen in der evangelischen Theologie. Vgl. W. Anz, „Schleiermacher und Kierkegaard“, S. 410f.

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Unterschiede in ihren Auffassungen des Christentums, spielt Schleiermacher und mit ihm das Erbe der Romantik eine bedeutende Rolle in Kierkegaards geistiger Entwicklung.75 Dazu ist in methodischer Hinsicht auf Kierkegaards ausgeprägte Eigentümlichkeit hinzuweisen, nach der er bekanntermaßen auf Autoren anspielt und alludiert, ohne ihren Namen überhaupt zu erwähnen. Dies gilt auch für sein Verhältnis zu Schleiermacher und der erwähnte Umstand sollte die einschlägige Forschung dazu veranlassen, über die Untersuchung der direkten und evidenten Bezugnahmen hinaus, Beziehungen verschiedener Positionen auch in weniger eindeutigen Zusammenhängen zu erörtern. Die Frage nach Kierkegaards Kenntnis bzw. seiner möglichen Rezeption der Monologen, führt zunächst zu den folgenden Feststellungen. Obwohl Kierkegaard zahlreiche Werke von Schleiermacher besaß, taucht weder eine Ausgabe der Monologen selbst noch dessen späte dänische Übersetzung76 im Auktionsprotokoll auf. Daraus folgt keineswegs, dass er die Monologen nicht kannte. Es lässt sich nicht einmal gänzlich ausschließen, dass das Werk früher zu seiner Bibliothek gehörte und später daraus entfernt wurde, auch wenn nichts darauf hindeutet, dass er es je gekauft hat. Als eine mögliche Quelle seiner Kenntnis der Monologen kommt die Universitätsbibliothek in Betracht, die Kierkegaard bekanntlich oft besucht hat, und in der Schleiermachers Schriften höchstwahrscheinlich zur Verfügung standen. In philologischer Hinsicht ist auffällig, dass der Titel des Buches in Kierkegaards Schriften nicht auftaucht. In seinem Nachlaß gibt es allerdings zwei beachtenswerte Stellen. Beide sind in Kierkegaards Studienzeit entstanden, in der Periode also, als die meisten Reflexionen Schleiermacher betreffend entstanden sind: Drei Jahre nach dem berühmten Besuch des alten Schleiermacher in Kopenhagen, und zwei Jahre nachdem Kierkegaard begonnen hat, unter H.L. Martensens Betreuung die Dogmatik Schleiermachers zu studieren. In der ersten Aufzeichnung vom Februar 1836 heißt es: „Schleiermacher: der geistige Puls meiner Seele wird bis zu meinem letzten Atemzug mit denselben frischen Schlägen schlagen etc.“77 Dieser Satz scheint eine Paraphrase des letzten Satzes

75 In dieser Hinsicht können wir Crouters These völlig beipflichten: “despite their different ‘social locations’ and the ambiguous reception of Schleiermacher as set forth in Kierkegaard’s explicit utterrances a set of formal as well as substantive concerns unites far more than it divides the two thinkers.” Richard Crouter, “Kierkegaard’s Not so Hidden Debt to Schleiermacher”, Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte, Bd. 1, Nr. 2, 1994, S. 210. 76 Monologer. En Nytaarsgave af Dr. Fr. Schleiermacher, Efter femte Udgave oversat af Christian Winther, Kopenhagen 1839. 77 „Schleiermacher: min Sjæls aandelige Puls skal slaae med de samme friske Slag indtil mit sidste Aandredrag etc.“ SKS 27, 127, Papir 119. Der Satz klingt in Winthers Übersetzung wie folgt:

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der Monologen zu sein, wo es heißt: „Nichts was geschehen kann mag mir das Herz beklemmen; frisch bleibt der Puls des innern Lebens bis an den Tod.“78 Die zweite Aufzeichnung ist keine Paraphrase, sondern scheint auf Schleiermachers individualethische Position in den Monologen anzuspielen: „Schleiermacher als der im Christentum wiedergeborene Stoizismus.“79 Als eindeutige Beweise für Kierkegaards direkte Kenntnis der Monologen können diese Zitate nicht gelten, sie zeigen aber, dass Kierkegaard nicht nur mit der ethischen Auffassung des jungen Schleiermachers, sondern auch mit seinen Monologen zumindest vertraut war.

3.2.2 Die Zeitdiagnose der Monologen Bekanntlich wurden die literarischen Selbstgespräche der Monologen wenige Monate nach der Veröffentlichung der Reden verfasst80 und Anfang Januar 1800 anonym publiziert. In dieser konfessorischen Selbstdarstellung, die in literarischer Hinsicht an die Tradition der Bekenntnisliteratur und Diarienkultur anknüpft, erörtert der junge Schleiermacher unter der Leitidee der Individualität die grundlegende Verknüpfung von Reflexion und Lebensvollzug, von Selbstanschauung und Handeln. Sein Ziel ist, in der Selbstanschauung jene Einheit von Reflexion und Leben aufzuzeigen,81 die in der zeitgenössischen Philosophie – besonders in der Wissenschaftslehre von Fichte – fehlt oder geradezu negiert wird.82 Die Monologen üben ferner eine bedeutende Kritik an Kants anthropolo-

„Intet af det, som kan skee, skal gjøre mit Hjerte beklemt: frisk bliver det indre Livs Puls indtil Døden.“ Schleiermacher, Monologer, S. 115. 78 KGA I/3 61,17f. 79 „Schleiermacher som Stoicismen gjenfødt i Christendommen.“ SKS, 27, 163, Papir 223:2. 80 Neben den auffallenden strukturellen Ähnlichkeiten der beiden Schriften kann man auch eine konzeptuelle Kontinuität feststellen, die sich in einer Aufzeichnung des dritten Gedankenheftes (Nr. 34) eindeutig zu erkennen gibt: „Selbstanschauung und Anschauung des Universums sind Wechselbegriffe; darum ist jede Reflexion unendlich“, KGA I/2 127,6f. 81 Er behauptet in einem Brief von 1804: „Ich habe in den Monologen meine Ideen dargestellt, freilich nicht todte Gedanken, […] sondern Ideen, die wirklich in mir leben und in denen ich auch lebe.“ Aus Schleiermacher’s Leben. In Briefen, Bde 1–2, 2. Aufl., Berlin 1860; Bd. 1, S. 401f. Dieser Position des jungen Schleiermacher bezüglich des engen Zusammenhanges von Idee und wirklichem Leben und Lebensvollzug scheint der Standpunkt Kierkegaards in einer frühen Journalaufzeichnung nahe zu stehen: „Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, dass ich tun soll, es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will.“ SKS 17, 24, AA:12 / DSKE 1, 24. 82 Die Monologen erschienen gleichzeitig mit Fichtes populärer Schrift Die Bestimmung des Menschen, und sie stehen zu diesem Werk auch in markanter Konkurrenz.

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gischer Konzeption und seiner individualitätsnivellierenden Version des Sittengesetzes in der praktischen Philosophie. Im Wesentlichen gilt der individualethische Ansatz der Monologen als Kritik an allen philosophischen Positionen, die den Aspekt der Allgemeinheit zum obersten Kriterium erheben, im Besonderen als Kritik an der abstrakt-formalen Pflichtethik. Dieses „Manifest der Individualität“, in dem wiederholt auf die eigene ethische Individualität des Autors angespielt wird, enthält eine bemerkenswerte Diagnose seiner gegenwärtigen Zeit. Der dritte Monolog beschreibt, weithin in polemischen Abgrenzungen, das Verhältnis des Individuums zur Welt. Hier spielt die Zeitkritik eine zentrale Rolle: „Wer mit Gegenwart zufrieden lebt und Anderes nicht begehrt, der ist ein Zeitgenoße jener frühen Halbbarbaren, welche zu dieser Welt den ersten Grund gelegt.“83 Ebenso scharf ist die Zivilisationskritik des Werkes: „Es seufzet was zur beßern Welt gehört in düsterer Sklaverei!“84 Schleiermacher nennt seine Epoche eine „schlechte und finsterne Zeit“85, und dennoch taucht neben der scharfen Kritik die Hoffnung auf eine geistige Palingenese auf. Ohne nun Schleiermachers Zeitdiagnose in Gänze zu rekonstruieren, werden diejenigen Elemente der Diagnose hervorgehoben, die in formaler Hinsicht mit Kierkegaards Feststellungen in seiner Anzeige parallelisiert werden können. In strukturaler Hinsicht ist bemerkenswert, dass beiden Diagnosen eine klare Antithetik eigen ist. Bei Schleiermacher steht der scharfen Kritik am Utilitarismus und Pragmatismus der Aufklärung in seiner Beschreibung der kulturellen Krise der Gegenwart im dritten Monolog86 eine Vision gegenüber, in der eine innige Hoffnung auf eine bessere Welt und auf eine Palingenese zum Ausdruck kommt.87 Der Gegenstand dieser Hoffnung ist das erhabene Reich der Bildung und der Sittlichkeit.88 Die Antithetik bildet in Kierkegaards Zeitdiagnose in der Anzeige ein ebenso festes Strukturelement und zwar im doppelten Sinne. Wie oben gezeigt

83 KGA I/3 35,19f. 84 KGA I/3 32,8. 85 KGA I/3 30,31f. 86 Zu den größten Übeln der Zeit gehört die Veräußerlichung: „Darauf ist Alles andere auch gerichtet: vermehrten äußern Besiz des Habens und des Wißens, Schuz und Hülfe gegen Schiksal und Unglük, vermehrte Kraft im Bündniß zur Beschränkung der Andern, das nur suchet und findet der Mensch von Heute in Freundschaft, Ehe und Vaterland; nicht Hülfe und Ergänzung der Kraft zur eignen Bildung, nicht Gewinn an neuem innerm Leben“, KGA I/3 34,9–15. 87 „Dies ist der große Kampf um die geheiligten Paniere der Menschheit, welche wir der beßern Zukunft den folgenden Geschlechtern erhalten müßen; der Kampf der alles entscheidet, aber auch das sichere Spiel, das über Zufall und Glük erhaben nur durch Kraft des Geistes und wahre Kunst gewonnen wird“, KGA I/3 37,24–28. 88 „Ja Bildung wird sich aus der Barbarei entwikeln, und Leben aus dem Todtenschlaf! da sind die Elemente des beßern Lebens“, KGA I/3 34,29f.

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 Teil I  Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie

wurde, steht die gegenwärtige Zeit bei Kierkegaard in mehreren Aspekten in einer klaren Antithese zur Zeit der Revolution. An diese immanente antithetische Relation knüpft sich aber eine weitere transzendente Antithese und zwar die apokalyptische Vision vom „leidenden Unkenntlichen“. Diese zweite Dimension der Zeitdiagnose des „religiösen Schriftstellers“ macht die Analyse der Anzeige auch oder erst im religiösen Sinne zu einer Apokalypse, in der nicht nur das Wesen der Epoche, sondern auch die Existenzmöglichkeiten des Individuums in der Zeit enthüllt werden. Ein inhaltlicher Vergleich der beiden Diagnosen macht deutlich, dass das Problem der Individualität durchweg eine zentrale Rolle spielt. Allerdings lässt sich das Individuum der Monologen nicht ohne weiteres mit dem Einzelnen der Anzeige identifizieren, da die beiden Autoren verschiedener Auffassung bezüglich der Relation zwischen dem (menschlichen) Individuum und dem Allgemeinen sind. Während Schleiermacher sich auf die Freiheit des individuellen Ichs konzentriert (in polemischer Abgrenzung von Fichte) und es als „Werk der Gottheit“ auffasst, das auf eigentümliche Art die Unendlichkeit der Menschheit darstellt,89 ist der Einzelne in Kierkegaards existenzdialektischer Konzeption höher als die Menschheit90 und steht in einem absoluten Verhältnis zu Gott. Immerhin scheint die Betonung der Individualität gegenüber den ethischen oder gesellschaftlichen Tendenzen der Gegenwart einen inneren Berührungspunkt zwischen den beiden Positionen zu bilden. Obwohl dem Begriff der „Nivellierung“ keine bedeutende Funktion in Schleiermachers Diagnose zukommt, fällt seine kategorische Stellungnahme gegen die nivellierenden Zeittendenzen in den Monologen auf, worin sie zweifellos eine Parallele zu Kierkegaards Position bildet. Schleiermachers Rechtfertigung der Besonderheit des Individuums findet ferner eine Entsprechung bei Kierkegaard: Während Schleiermacher allerdings dieses Problem in einem wesentlich ethischen Kontext exponiert, erörtert Kierkegaard die Besonderheit des Individuums

89 „So ist mir aufgegangen, was jezt meine höchste Anschauung ist, es ist mir klar geworden, daß jeder Mensch auf eigne Art die Menschheit darstellen soll, in einer eignen Mischung ihrer Elemente, damit auf jede Weise sie sich offenbare, und wirklich werde in der Fülle der Unendlichkeit Alles was aus ihrem Schooße hervorgehen kann“, KGA I/3 18,17–21. 90 „Ich habe auszudrücken gestrebt, dass die Kategorie ‚das Geschlecht‘ auf das Mensch Sein anwenden, besonders wenn es Ausdruck für das Höchste sein soll, Mißverständnis und Heidentum ist, weil das Geschlecht des Menschen nicht bloß durch die Vorzüge des Geschlechts von einem Tier-Geschlecht sich unterscheidet, sondern durch dies Menschliche, daß im Geschlecht jeder Einzelne […] mehr als das Geschlecht ist, was im Gottesverhältnis seinen Grund hat […], da sich zu Gott verhalten weit höher ist als sich zum Geschlecht oder zu Gott durch das Geschlecht verhalten.“ SKS 16, 67 / SS 84f.

3 Zeitdiagnose und Eschatologie in Kierkegaards Eine literarische Anzeige 

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mit ständiger Rücksicht auf das Religiöse, d.h. auf das Gottesverhältnis des Einzelnen. Ist es überhaupt möglich, die Zeit in Gedanken zu erfassen und dadurch Philosophie zu treiben? Die Monologen und die Anzeige sind gute Beispiele dafür, dass die wahren Denker intellektuell sensibel für die Probleme ihrer eigenen Epoche waren. Ob diese Reflexion die Form einer harten Zivilisationskritik oder einer tiefsinnigen Diagnose mittels dialektischer Begriffe annimmt, hängt wesentlich von den Denkern selbst ab. Klar sollte geworden sein, dass Schleiermacher und Kierkegaard weitgehend einig darin waren, dass die Gegenwart wesentlich eine Krisenzeit ist und sie daher angeregt haben, durch die Prinzipien Ihres Denkens einen Ausweg sowohl für die Zeit als auch für das Individuum zu weisen.

Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach, Vorläufer der deutschen Unsterblichkeitsdebatte

Unter den philosophischen Strömungen, die Kierkegaards Denken am meisten geprägt haben, sind zweifellos die Philosophie des späten Schellings und jene Hegels die bedeutendsten. 1 Es ist deshalb auch kein Zufall, dass die gegenwärtige philosophische Quellenforschung diesen Denkern große Aufmerksamkeit beimisst. Obwohl die Philosophen der hegelschen Schule in der Auflösungszeit offensichtlich eine geringere Wirkung als die Klassiker des deutschen Idealismus auf den dänischen Denker ausgeübt haben, ist es in geschichtlicher Hinsicht doch nicht uninteressant zu untersuchen, wie und inwiefern Kierkegaard die Philosophien der posthegelschen Ära assimilierte. Im Folgenden wird ein Segment dieses Themenbereiches, und zwar die Umstände von Kierkegaards FeuerbachRezeption, untersucht und das Bild, das jener sich von diesem macht, im Lichte seiner Schriften rekonstruiert2 Ein solcher rezeptionsgeschichtlicher Ausblick ist nicht nur an sich für das Verständnis Kierkegaards relevant, er ist darüber hinaus für uns, d.h. für die Interpretation der deutschen Unsterblichkeitsdebatte dadurch von besonderer Relevanz, dass Feuerbachs Frühwerk Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830) indirekt überhaupt erst zur Auslösung dieser Debatte beitrug.3 So ist die folgende Erörterung des Denkens Feuerbachs sowie die Analyse von Kierkegaards Verhältnis zu ihm im Gesamtkontext der vorliegenden Arbeit auch von spezifisch präparatorischem Charakter.

1 Siehe dazu: Kierkegaard und Schelling. Freiheit, Angst und Wirklichkeit, hg. von Jochem Henningfeld und Jon Stewart, Berlin und New York 2003 (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 8); Jon Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge 2003. 2 Zu diesem Thema siehe István Czakó, “Feuerbach: A Malicious Demon in the Service of Christianity”, in Kierkegaard and his German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 25–47; Heiko Schulz, “True Consciousness Dreaming. Feuerbach’s Critique of Religion Reconsidered”, in Kierkegaard and the Nineteenth Century Religious Crisis in Europe, hg. von Abrahim H. Khan et al., Toronto und Šal’a 2009 (Acta Kierkegaardiana Bd. 4), S. 84–104; Jonathan Malesic, “Illusion and offense in Philosophical Fragments: Kierkegaard’s inversion of Feuerbach’s critique of Christianity”, International Journal for Philosophy of Religion, Bd. 62, 2007, S. 43–55; Caspar Wenzel Tornøe, „Kampen om den vandsky slægt – om Gud og menneske hos Feuerbach og Kierkegaard“, Dansk Teologisk Tidskrift, Bd. 67, Nr. 4, 2004, 259–281. 3 Siehe dazu: Hans-Jürg Braun, Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs. Kritik und Annahme des Religiösen, Stuttgart und Bad Cannstatt 1972, S. 44–55.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

1 Kierkegaards Beziehung zu Feuerbach im Spiegel der Forschungsgeschichte Es ist bemerkenswert, dass die erste Kierkegaard und Feuerbach vergleichende Schrift4 bereits im Jahre 1845, also noch zur Zeit der sehr intensiven schriftstellerischen Tätigkeit Kierkegaards veröffentlicht wurde. Die grundsätzliche Absicht ihres Verfassers, des Theologen Christian Fenger Christens’ (1819–1855), war vor allem der Nachweis, dass die Feuerbach-Kritik der kurz zuvor veröffentlichten Magisterdissertation5 P. M. Stillings völlig unbegründet und unhaltbar sei.6 Er vergleicht darin aber auch die Philosophie Kierkegaards mit jener Feuerbachs.7 Christens ist der Meinung, dass die Übereinstimmungen zwischen den beiden Denkern „sich nur auf die Beziehung zu Hegels Philosophie gründen, während ihre übrigen Interessen ziemlich verschieden sind“.8 A. Listov nimmt im Jahre 1888 eine entgegengesetzte Haltung ein, indem er – aufgrund der scharfen Kritik am Christentum in den damals schon veröffentlichen Tagebuchaufzeichnungen (in Af Søren Kierkegaards Efterladte Papirer 1869ff.) – einen besonderen Akzent auf die Ähnlichkeiten der Philosophie der beiden Denker legt, ohne auf die Verschiedenheiten zwischen ihnen hinzuweisen.9

4 Christian Fenger Christens, „En Parallel mellem to af den nyere Tids Philosopher“, For Literatur og Kritik, Bd. 3, 1845, S. 1–17. Diese Schrift ist wahrscheinlich die erste, die einen systematischen Vergleich zwischen Kierkegaard und anderen Philosophien anstellt. Es ist interessant, dass im Text statt Kierkegaards Name immer ein X steht. Es scheint mir plausibel, dass dieser Umstand auch eine Folge von Kierkegaards später zu erwähnendem scharfen Protest gegen A. F. Becks Behauptungen in seinem Buch Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form (Kopenhagen 1842) ist. Vgl. SKS 14, 41–46 / KA, 3–13. 5 Peter Michael Stilling, Den moderne Atheisme eller saakaldte Neohegelianismens Consequenser af den hegelske Philosophie, Kopenhagen 1844 (Ktl. 801). 6 Stilling beschäftigt sich in seinem Buch sehr eingehend mit Feuerbachs Weltanschauung, und zwar in Form einer unverhohlenen Kritik an den Linkshegelianern. Wenn man aber die von Stilling angewandte Methode der Kritik an Feuerbach näher betrachtet (besonders im Kapitel „Den feuerbachske Hydrologie“, S. 85–93), dann wird man sich bestimmt über das vernichtende Urteil des jungen dänischen Hegelianers Christens nicht wundern. 7 Aufgrund der eben damals einsetzenden dänischen Rezeption der liberalen Junghegelianer bot sich ein derartiger Vergleich an. 8 „Overenstemmelse[n er] egentlig kun grundet I begges Forhold til Hegel, medens deres øvrige Interesser ere temmelig forskjellige.“ Christens, „En Parallel mellem to af nyere Tids Philosopher,“ S. 9. 9 Andreas Listov, „S. Kierkegaards Forhold til Feuerbach“, Theologisk Tidskrift, Bd. 5, 1888, S. 194–206.

1 Kierkegaards Beziehung zu Feuerbach 

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Die Kierkegaard-Forschung des 20. Jahrhunderts hat der Problematik der Feuerbach-Rezeption des dänischen Denkers keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, trotzdem sind einige relevante Arbeiten zu diesem Thema entstanden.10 Merkwürdigerweise konzentrieren sich fast alle Erörterungen der Beziehung Kierkegaards zu Feuerbach auf die Ähnlichkeiten und Parallelen, wohingegen die negativen Konturen des Kierkegaardschen Feuerbach-Bildes zum größten Teil unterbelichtet bleiben. J. W. Elrod spricht sogar über „verblüffende Ähnlichkeiten“ zwischen den beiden Denkern11 und hält sie beide für Linkshegelianer.12 G. E. Arbaugh macht auf die auffallenden Parallelen im Denken und in den Begrifflichkeit aufmerksam.13 A. Hannay nennt Kierkegaard hinsichtlich der Akzentuierung der Individualität “Feuerbachian”,14 und es ist bezeichnend, dass jener Unterabschnitt der Monographie von H.-B. Vergote, der dieses Thema behandelt, den Titel „Die Feuerbachsche Inspiration“ (L’inspiration feuerbachienne) trägt. Im Folgenden sollen die Umstände der Feuerbach-Rezeption Mitte des 19. Jahrhunderts in Dänemark und Kierkegaards Beziehung zu den dänischen Junghegelianern, ausgehend von den Ergebnissen der heutigen philosophischen Quellenforschung, rekonstruiert werden. Dabei werden diejenigen Textstellen des Kierkegaardschen Œuvres analysiert, in denen sich der Einfluss des Feuerbachschen Denkens manifestiert.

10 Siehe: George E. Arbaugh, „Kierkegaard and Feuerbach“, Kierkegaardiana, Bd. 11, 1980, S. 7–10; Jean Brun, „Feuerbach et Kierkegaard“, Cahiers de Sud, Bd. 50, Nr. 371, 1963, S. 34–43; Mario Cristaldi, „Struttura del paradosso kierkegaardiano“, Teoresi, Bd. 12, 1957, S. 115–133; John William Elrod, “Feuerbach and Kierkegaard on the Self”, The Journal of Religion, Bd. 56, 1976, S. 348–365; Alastair Hannay, Kierkegaard, London-New York 1991, S. 302–328; Gregor Malantschuk, „Begrebet Fordoblelse hos Søren Kierkegaard“, Kierkegaardiana, Bd. 2, 1957, pp. 43–53; Luigi Pareyson, Esistenza e persona, Torino 1950, S. 11–46; Adolf Sannwald, Der Begriff der „Dialektik“ und die Anthropologie. Eine Untersuchung über das Ich-Verständnis in der Philosophie des deutschen Idealismus und seiner Antipoden, München 1931, S. 215–270; Henry-Bernard Vergote, Sens et Répétition. Essai sur l’ironie kierkegaardienne, Bde. 1–2, Orante 1982, Bd. 2, S. 245–285. 11 “The affinities between the two are astonishing. Both are left-wing Hegelians.” Elrod, “Feuerbach and Kierkegaard on the Self”, S. 349. 12 Es ist bemerkenswert, dass auch der namhafte Forscher Karl Löwith die beiden – offensichtlich aufgrund ihrer kritischen Haltung zur Hegelschen Philosophie – zu den Junghegelianern rechnet. Vgl. Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neuenzehnten Jahrhunderts, Hamburg 1995, 10. Ausg., S. 78–136. 13 “…there also exist striking parallels in their thought and existential concerns.” Arbaugh, “Kierkegaard and Feuerbach”, S. 7. 14 “[I]n this respect [i.e., in the emphasizing individuality] Kierkegaard is clearly Feuerbachian.” Hannay, Kierkegaard, S. 174. Man muss aber unbedingt hinzufügen, dass der Autor daneben auch auf die bedeutenden Differenzen zwischen den beiden Denkern aufmerksam macht.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

2 Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie Mitte des 19. Jahrhunderts Kurz nach Hegels Tod (1831) erfolgte unter seinen Anhängern aus religionsphilosophischen und – nach dem Jahre 1840 – aus politischen Gründen eine Spaltung.1 Obwohl unter den neu entstehenden philosophischen Schulen weder die konservativen Althegelianer noch die liberalen Junghegelianer eine homogene Bewegung darstellten, waren sich die beide Schulen jeweils hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Hegels philosophischem Erbe einig. Die Repräsentanten der radikalen hegelschen Linken versuchten, die epigonenhafte Hegel-Auslegung zu überwinden; sie haben dabei die Philosophie eindeutig der Religion übergeordnet, den preußischen Staat vom Standpunkt der Aufklärung aus kritisiert und die kritische, dialektische Methode für die eigentliche Essenz der hegelschen Philosophie gehalten. Feuerbach hat sich während seiner Studienjahre in Berlin anfänglich den Althegelianern, später – nach einer kurzen Periode der Unentschlossenheit – den von Arnold Ruge geführten Junghegelianern angeschlossen. Mit seinem Artikel „Zur Kritik der Hegelschen Philosophie“ von 1839 wurde er zur bedeutendsten philosophischen Autorität der deutschen Opposition. Es fällt auf, dass die Feuerbach-Rezeption in Dänemark in einer sehr engen Beziehung zur Diskussion über Hegels Philosophie steht. Die Wirkung des Hegelschen Denkens in Dänemark setzt in der 1820er Jahren vor allem durch die Tätigkeit des bekannten Philosophen, Dichters, Kritikers und Dramatikers Johan Ludvig Heiberg ein.2 Wie im obigen Kapitel „Das Unbekannte“ bereits

1 Siehe dazu: Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch. Leben-Werke-Schule, Stuttgart und Weimar 2003, S. 510–515; Jon Stewart, “Hegel’s Philosophy of Religion and the Question of ‘Right’ and ‘Left’ Hegelianism”, in Politics, Religion, and Art. Hegelian Debates, hg. von Douglas Moggach, Evanston, Illinois 2011 (Topics in Historical Philosophy), S. 66–95; John Edward Toews, Hegelianism. The path toward dialectical humanism, 1805–1841, Cambridge, London u.a. 1985, S. 203–355. 2 Er hat die erste offensichtlich unter Hegels Einfluss stehende Abhandlung in Dänemark veröffentlicht. Vgl. sein Om den menneskelige Frihed. I Anledning af de nyeste Stridigheder over denne Gjenstand, Kiel 1824. Das Jahr darauf hat Heiberg ein anderes, ebenfalls das Hegelsche Denken wiederspiegelndes Werk publiziert: Der Zufall, aus dem Gesichtspunkte der Logik betrachtet. Als Einleitung zu einer Theorie des Zufalls, Kopenhagen 1825. Sein für die Verbreitung des Hegelianismus in Dänemark wichtigstes Buch aber ist Om Philosophiens Betydning for den nuvœrende Tid, Kopenhagen 1833 (Ktl. 568). Zu Heibergs Beitrag zur Verbreitung des Hegelianismus in Dänemark siehe: Jon Stewart, A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome I, The Heiberg-Period: 1824–1836, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3); Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, Littérateur, Dramaturge, and Political Thinker, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2008 (Danish Golden Age Studies, Bd. 5), S. 5–160.

2 Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie 

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dargestellt,3 bedeutete ein Artikel von Bischof J. P. Mynster die erste wichtige Stufe der Debatte über die Methode der Philosophie Hegels. Mynster beanstandet darin die Hegelsche Kategorie der „Vermittlung“ und Hegels Kritik am principium exclusi tertii.4 Diese Abhandlung und die Reaktion von Heiberg5 haben einige Aufmerksamkeit erregt, wichtige Repräsentanten des dänischen Geisteslebens haben in der Folge zu dieser Diskussion Stellung bezogen. Die Änderung von H. L. Martensens Stellungnahme in der Debatte über Hegels Philosophie ist in geschichtlicher Hinsicht deshalb relevant, weil er ursprünglich ein bedeutender Exeget der Hegelschen Philosophie war;6 als aber die radikale Kritik am Christentum durch die Junghegelianer auch in Dänemark aufkam,7 hat er seine eigene Position revidiert, um eine Identifikation seines Denkens mit dem der religionsfeindlichen Junghegelianer zu vermeiden. Was die dänische Rezeption der Feuerbachschen Religionsphilosophie betrifft, ist vor allem festzuhalten, dass sie trotz der Radikalität von Feuerbachs Religionskritik keine so intensive Diskussion wie die Verbreitung der hegelschen Philosophie in Dänemark ausgelöst hat.8 Unter den dänischen Junghegelianern ist, chronologisch gesehen, Andreas Frederik Beck (1816–1861) als erster Feuerbach-Rezipient zu erwähnen. Beck hat sich als Theologe der Tübinger Schule angeschlossen und war ab 1840 Privatdozent für Philosophie in Kopenhagen. Ein gutes Beispiel für die Radikalität seines Denkens ist sein Werk Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form,9 das ein Jahr nach der ersten Auflage von Feuerbachs Das Wesen des Christentums veröffentlicht wurde. Beck erörtert in seinem

3 Siehe Teil I, Kapitel 1, 1.1.2. 4 Jakob Peter Mynster, „Rationalisme, Supranaturalisme“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 249–268. 5 301 Johan Ludvig Heiberg, „En logisk Bemærkning I Anledning af h. h. hr. Biskop Dr. Mynsters Afhandling om Rationalisme og Supranaturalisme I forrige Hefte af dette Tidskrift“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 441–456. 6 Zu Martensens Hegelianismus siehe: Jon Stewart, A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome II, The Martensen-Period: 1837–1842, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3); Hans Lassen Martensen. Theologian, Philosopher and Social Critic, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2012, S. 17–270. 7 Siehe dazu: S. V. Rasmussen, Den unge Brøchner, Kopenhagen 1966, S. 15–26. In dieser Zeit erschien die dänische Übersetzung von D. F. Strauss’ Buch Die christliche Glaubenslehre unter dem Titel Fremstilling af den christelige Troeslœre i dens historiske Udvikling og i dens Kamp med den moderne Videnskab, Kopenhagen 1842–43. Die Übersetzung wurde von Hans Brøchner vorgenommen. 8 Zu einem gründlichen Überblick über Feuerbachs Religionskonzeption siehe: Van A. Harvey, Feuerbach and the Interpretation of Religion, Cambridge 1995. 9 Andreas Frederick Beck, Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form, Kopenhagen 1842.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

Buch unter anderem die religionsphilosophischen Prinzipien von Ludwig Feuerbach10 und beruft sich nebenbei auch auf die Mythenauffassung in Kierkegaards Dissertation Om Begrebet Ironi.11 Der Umstand, dass Kierkegaard Becks Schrift sicherlich gekannt hat12 – hat er ja sogar gegen einige von Becks Behauptungen bereits im Jahre 1842 einen scharfen Einspruch erhoben13 – stellt wahrscheinlich G. Malantschuks Behauptung in Frage, dass „Kierkegaard die erste ausführlichere Auskunft über Das Wesen des Christentums von Feuerbach möglicherweise durch die Rezension von Ruge“14 –  also erst im Jahre 1844 – erhalten habe. Kierkegaards schnelle und kategorische Replik auf Beck ist für uns nicht nur deshalb wichtig, weil sie einen eindeutigen Beweis dafür bildet, dass Kierkegaard das Buch gekannt hat, sondern auch weil er sich mit dieser Polemik von dem liberalen Hegelianismus im Allgemeinen distanzierte und gleichzeitig auf explizite Weise auch von Feuerbach. Nun ist diese kritische Distanzierung von der junghegelianischen Religionskritik für Kierkegaards ganze literarische Tätigkeit – die Papirer einbegriffen – charakteristisch. Auch wenn er einmal bemerkt, dass die Christentumsauffassung der Freidenker „wahrer“ sei, als der Standpunkt der Kirche,15 ist zwischen Kierkegaards Denken und Feuerbachs Religionsphilosophie keine inhaltliche Übereinstimmung festzustellen. Diese Behauptung steht nicht im Widerspruch

10 „Ludwig Feuerbach fatter Religionens Princip i dets Immanents i den menneskelige Selvbevidsthed, hvorved det hele abstrakte, transcendente Væsen eller Uvæsen absorberes i Aanden, fattes som dennes indre Proces og Bestemmelse. Theologien bliver saaledes Anthropologie.“ Beck, Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form, S. 6. 11 Beck, Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form, S. 31, 53, 77. 12 Vgl. Ktl. 424. 13 „In dem Buch, welches Herr Dr. [Beck] dieser Tage herausgegeben hat, finde ich mich nämlich auf eine höchst unverständliche Weise zwischen die Straussianer gesteckt.“ SKS 14, 45 / KA, 11. 14 Siehe das Kapitel „Har Kierkegaard læst Marx?“ in Gregor Malantschuk, Den kontroversielle Kierkegaard, Vinten 1976, S. 65. 15 „Doch sicher ist: […] die Auffassung des Freidenkers [ist] wahrer als die der sogenannten Kirche, besonders des Protestantismus, besonders in Dänemark.“ SKS 26, 157, NB32:55 / T 5, 273.

2 Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie 

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zum Standpunkt von Malantschuk16 und H.-B. Vergote17, demzufolge der Begriff „Verdoppelung“ (Fordoblelse) bei Kierkegaard von Feuerbach herrührt; denn während der Ausdruck in der genetisch-kritischen Methode von Feuerbach einen eindeutig negativen Inhalt besitzt, ermöglicht er in Kierkegaards Denken – ganz im Gegenteil – die positive Bestimmung des Christlichen.18 Im Falle des Begriffes „Verdoppelung“ geht es also um eine rein formale Übernahme eines Ausdruckes, dessen inhaltliche Elemente im Kierkegaardschen Denken übrigens schon vor seiner Kenntnis Feuerbachs vorhanden und konstitutiv waren. P. M. Stilling (1812–1869) verhält sich Feuerbach gegenüber in seiner Magisterabhandlung vollkommen ablehnend. Als Student wird Stilling unter H. L. Martensens Führung in das Studium der Hegelschen Philosophie eingeführt, und war eine Weile sogar ein Bewunderer Martensens. Später hat er sich aber vom Hegelianismus und auch von Martensen – nicht zuletzt unter dem Eindruck einiger Schriften Kierkegaards – abgewendet.19 Stilling stellt bereits in der Einleitung seiner Magisterabhandlung fest, dass innerhalb des Hegelianismus Ludwig Feuerbach „mit größter Energie und Begabung die nihilistische Richtung durchgeführt hat,

16 Malantschuk hält in seinem Artikel „Begrebet Fordoblelse hos Søren Kierkegaard“ (Kierkegaardiana, Bd. 2, 1957, S. 46.) für wahrscheinlich, dass Kierkegaard auf den Begriff „Verdoppelung“ zum ersten Mal in Arnold Ruges umfangreicher Rezension von Feuerbachs Das Wesen des Christentums gestoßen ist. Vgl. Arnold Ruge „Die neue Wendung der deutschen Philosophie“, in Anecdota zur neuesten deutschen Philosophie und Publicistik, hg. A. Ruge, Zürich 1843, Bd. 2, S. 3–61. (Ktl. 753). In Ruges Text kommt tatsächlich der Ausdruck „Verdoppelung (des Wesens)“ vor (AN, Bd. 2., S. 27), aber Feuerbach benützt in der ersten Auflage seines Werkes statt dieses Ausdruckes die Formeln „Duplicität“ und „gedoppeltes“ Wesen (vgl. L. Feuerbach Das Wesen des Christentums, Leipzig: Otto Wigand 1841, S. 308 und 312; im Folgenden: DW1), und in der zweiten, umgearbeiteten und erweiterten Ausgabe, die auch Kierkegaard selbst besaß, befindet sich die Verbalform „verdoppelt sich“ (vgl. L. Feuerbach Das Wesen des Christentums, Leipzig: Otto Wigand 1843, S. 124; Ktl. 488, im Folgenden: DW2). 17 Vergote, Sens et répétition, Bd. 2, S. 247. 18 „Alles Christliche nämlich ist eine Verdoppelung…“ SKS 16, 155 / US, 127. „Alt Christeligt er Dobbelttydigt, Fordoblelse.“ SKS 26, 237, NB32:143. Dieser bedeutungsvolle Ausdruck kommt im Übrigen ziemlich häufig in den Kierkegaardschen Schriften vor, und seine Verwendung beschränkt sich nicht auf die Bestimmung des Christlichen. – Für die Problematik von Kierkegaards Feuerbach-Rezeption ist jene Textstelle des posthum veröffentlichten Bogen om Adler unbedingt zu erwähnen, in der er Adlers Berufung auf eine göttliche Privatoffenbarung auf ähnliche Weise wie Feuerbach ablehnt (vgl. SKS 15, 219). Daraus folgt aber nicht, dass Kierkegaard mit der Feuerbachschen Verdoppelungsthese einverstanden gewesen wäre, sondern allenfalls, dass er sich mit dieser These Feuerbachs wirklich eingehend vertraut gemacht hat, und dass er diese Verdoppelungskonzeption in der Argumentation gegen Adlers Behauptung für anwendbar gehalten hat. 19 Vgl. Rasmussen, Den unge Brøchner, S. 184–186.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

weswegen er auch die größte Aufmerksamkeit verdient“.20 Dementsprechend findet man in seiner Abhandlung zahlreiche Stellen, die sich nachdrücklich um die Darstellung und Kritik der Feuerbachschen Religionsphilosophie bemühen. Jenes Feuerbach-Bild aber, das von Stilling zustande gebracht wird, ist so einseitig, dass Christens dieses Bild mit vollem Recht in seinem Artikel „eine karikierte Verdrehung“ (en karrikeret Fordreining) nennt. Er meinte sogar feststellen zu müssen, dass sowohl die Schrift als auch seine mündliche Verteidigung eine „vollkommene Unwissenheit über die Bedeutung Feuerbachs“21 bezeugten. Der überzeugte Humanist Rudolph Varberg (1828–1869) war ein erklärter Gegner jeder Form theologischer Lebensanschauung.22 Er hat in seinem kleinen, pseudonymen Werk Striden mellem Ørsted og Mynster eller Videnskaben og den officielle Theologi (Der Streit zwischen Ørsted und Mynster oder zwischen der Wissenschaft und der offiziellen Theologie)23 eindeutig seiner Zustimmung zu Feuerbachs Auffassung des Christentums Ausdruck verliehen. Obwohl Varberg in dieser Schrift die Feuerbachsche Religionskritik nicht im Detail erörtert, stellt er kategorisch fest, dass das Denken Feuerbachs eine „revolutionäre Richtung“ darstellt, die „Die Ideen an den Tag bringt“.24 Der Autor ist davon überzeugt, dass Feuerbach in Das Wesen des Christentums mit eindringlicher Klarheit gezeigt hat, dass die religiösen Vorstellungen nichts anderes als lediglich Entwicklungsstufen des menschlichen Bewusstseins sind.25 Obwohl dieses Buch nicht im Verzeichnis über Kierkegaards Bibliothek auftaucht, geht aus einer Aufzeichnung26 hervor, dass er die Schrift gekannt hat.

20 „Ludvig Feuerbach har med størst Energie og Talent gjennemført den nihilistiske Retning, og derfør maa han ogsaa have Krav paa den største Opmærksomhed.“ Stilling, Den moderne Atheisme eller eller den saakaldte Neohegelianismens Conseqvenser af den hegelske Philosophie, S. 3–4. 21 „Ved den mundtlige Disputation og de Skriverier […] røbede […] Respondens den fuldkomneste Uvidenhed om Feuerbachs Betydning.“ Stilling, Den moderne Atheisme eller eller den saakaldte Neohegelianismens Conseqvenser af den hegelske Philosophie, S. 1. 22 Rasmussen, Den unge Brøchner, S. 187. 23 Rudolph Varberg, Striden mellem Ørsted og Mynster eller Videnskaben og den officielle Theologi, Kopenhagen 1851. 24 Varberg, Striden mellem Ørsted og Mynster eller Videnskaben og den officielle Theologi, S. 14. 25 „I ‚Das Wesen des Christentums‘ har L. Feuerbach med indtrængende Klarhed vist, hvorledes disse Forestillinger ere et Udviklingsled for den menneskelige Bevidsthed, hvorledes Gudsbevidstheden kun ere et potenseret Reflex af Individets Selvbevidsthed, som ad Fantasiens Vei gives en Skinvirkelighed.“ Ebda., S. 53. 26 „Man haaner (som nu i den lille Piece: Striden mellem Ørsted og Mynster af H-t) det at bede.“ SKS 24, 339, NB24:38.

2 Die Wirkung Feuerbachs auf die dänische Philosophie 

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Die Abhandlung Om Ydmyghed (Von der Demut)27 des Theologen und Pfarrers Frederik Ludvig Zeuthen bietet ein gutes Beispiel dafür, wie man im Allgemeinen in der orthodoxen Literatur auf Feuerbachs Religionskritik reagiert hat. Es handelt sich bei Zeuthens Abhandlung um damals sehr aktuelle Erwägungen, da Das Wesen der Religion erst im vorangegangenen Jahr veröffentlicht worden war. Da aber das Hauptthema nicht die Darlegung von Feuerbachs Religionskritik ist, beschäftigt sich der Autor mit dessen Lehre nur an einigen wenigen Stellen.28 Aus Zitaten und Hinweisen geht hervor, dass Zeuthen Das Wesen der Religion sehr wohl studiert hat. Außer Feuerbach, den er für den „berühmtesten Atheisten unserer Zeit“29 hält, erörtert der Verfasser auch einige Bücher Kierkegaards,30 stellt aber noch keinen Vergleich zwischen den beiden an. In einer Abhandlung von Hans Brøchner (1820–1875), die erst nach Kierkegaards Tod veröffentlicht wurde, gibt es einige bemerkenswerte retrospektive Bewertungen. Nach Brøchner verraten all jene Anmerkungen, die in Dänemark zum Thema Feuerbach geäußert wurden, zum überwiegenden Teil nicht nur eine sehr unvollständige Kenntnis seiner Schriften, sondern auch ein ebenso unzulängliches Verständnis der Eigentümlichkeiten seines Denkens.31 Er nennt den oben erörterten Artikel von C.F. Christens eine Ausnahme. Brøchner stellt Feuerbachs Religionsphilosophie detailliert und systematisch, aber nicht kritiklos dar.32 Er begeistert sich für die Klarheit der Feuerbachschen Kritik an der Theologie und an jenen philosophischen „Mischformen“ (Blandingsformer), die die Philosophie und das Christentum zu einer Einheit zu verschmelzen suchten.33

27 Frederik Ludvig Bang Zeuthen, Om Ydmyghed, Kopenhagen 1852. (Ktl. 916). 28 Zeuthen, Om Ydmyghed, S. 4, 28, 54–59. 29 Zeuthen, Om Ydmyghed, S. 4. 30 Es geht um zwei Bücher, nämlich Einübung des Christentums und Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen. Letzteres erschien im selben Jahr wie das Werk von Feuerbach; Einübung wurde im Jahre 1850 veröffentlicht. Zeuthen erörtert diese beiden Schriften Kierkegaards ziemlich eingehend (siehe S. 24, 138, 140, 143f., 148, 152f., 159f., 180), aber nicht kritiklos. 31 „ […] Udtalelser, der hertillands ere fremkomne om Feuerbach […] røbe ikke blot et høist ufuldstændigt Kjendskab til hans Skrifter, men en ringe Indsigt i det for hans Theorie Charakteristiske.“ Hans Brøchner, Om det religiøse i dets Enhed med det Humane. Et positivt Supplement til „Problemet om Tro og Viden“, Kopenhagen 1869, S. 97. 32 Brøchner, Om det religiøse i dets Enhed med det Humane, S. 97–126. 33 Hier zeigt sich eine bemerkenswerte Parallele zwischen Brøchners Position und den Climacus-Schriften bezüglich der unaufhebbaren Disjunktion von Glauben und Wissen, Christentum und Philosophie. Diese Ähnlichkeit ist selbstverständlich kein Zufall. Brøchner war nämlich ein begeisterter Leser von Kierkegaards Schriften, der besonders die Hegel-Kritik der Philosophischen Brocken sehr geschätzt hat. Vgl. dazu Rasmussen, Den unge Brøchner, S. 65.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

3 Die Beziehung Kierkegaards zu den dänischen Linkshegelianern Die dänischen Linkshegelianer haben Kierkegaard zweifellos ein gewisses Maß an Anerkennung und Sympathie entgegengebracht – das zeigt sich besonders bei Bøchner und Christens –,1 es lässt sich sogar ein bestimmter Einfluss seiner Philosophie auf sie feststellen. Dies gilt vor allem für die Kritik an Hegel und an der bestehenden Christenheit sowie für die Zurückweisung der Vermittlungsversuche einiger offizieller Theologen zwischen Theologie und Philosophie. Es scheint, dass auch die Intention von A.F. Beck, Kierkegaards Mythenauffassung im Kontext eines liberalen Hegelianismus darzustellen,2 als Annäherungsversuch aufzufassen ist. In philosophiegeschichtlicher Hinsicht ist an dieser Stelle festzuhalten, dass Kierkegaards abweisende, ja polemische Reaktion auf diesen Versuch ein klarer Ausdruck dafür ist, dass die Parallelen seines Denkens zur Philosophie der radikalen Linkshegelianer keineswegs dazu berechtigen, die unter ihnen ab ovo bestehenden, grundlegenden Differenzen unberücksichtigt zu lassen. Allerdings bleibt auffallend, dass auch wenn sich Kierkegaard nie mit den jungen Linkshegelianern identifizierte, er sich dennoch an zahlreichen Stellen seiner Aufzeichnungen in einer durchaus positiven Weise über diese christenfeindlichen, liberalen „Freidenker“ (Fritænker) äußert. Er schreibt z.B. im Jahre 1854, dass die Feinde des Christentums „seit langem die einzigen sind, bei denen man etwas Zuverlässiges darüber erfahren kann, ‚was‘ Christentum ist“.3 Er meint sogar, es fehle nicht viel, „dass man vom Freidenker unserer Zeit sagen kann, dass er staatlicher Verfolgung ausgesetzt ist – weil er das Christentum verkündet“.4 Für Kierkegaard bedeutet nämlich das leidenschaftliche Ärgernis der zeitgenössischen Freidenker am Christlichen als Existenzbewegung eine authentische, wahrhaftige – wenn auch unglückliche5 – Beziehung zum Paradox des Glaubens,

1 Dazu ist zu bemerken, dass Kierkegaard zu einigen jungen dänischen Hegelianern – wie z.B. zu Brøchner und Christens – eine freundliche persönliche Beziehung pflegte, auch wenn er sich vom liberalen Hegelianismus kategorisch distanziert hat. 2 Beck, Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form, S. 31, 53, 77. 3 „Det er da forsaavidt godt, at Christendommen dog endnu har Fjender, thi disse ere da længst de Eneste, hos hvilke man kan faae nogen tilforladelig Efterretning om ‘hvad’ Christendom er.“ SKS 25, 374, NB29:111 / Vgl. SKS 26, 157, NB32:55. 4 „Det er ikke langt fra, at Fritænkeren i vore Tider kan siges at lide Forfølgelse af Regjeringen – fordi han forkynder Christendommen.“ SKS 26, 285, NB33:44. 5 Vgl. die Kierkegaardsche bzw. Climacussche Interpretation der Kategorie des Ärgernisses in der Beilage „Das Ärgernis am Paradox (Eine Gehörtäuschung)“ der Philosophischen Brocken.

3 Die Beziehung Kierkegaards zu den dänischen Linkshegelianern 

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während die religionsphilosophischen Vermittlungsversuche zwischen Christentum und Philosophie und die kleinbürgerliche Mittelmäßigkeit der bestehenden, staatlich anerkannten Christenheit für ihn geradezu Verfälschungen des Christentums sind.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

4 Kierkegaards Feuerbach-Bild Ohne eine eingehende Untersuchung der zeitgenössischen dänischen Feuerbach-Rezeption kann Kierkegaards Feuerbach-Bild nur auf eine partielle, ihres geschichtlichen Kontexts beraubte Weise rekonstruiert werden. Zugleich ist die Reflexion auf die philosophiegeschichtlichen Hintergründe wiederum ein Präludium auf die eigentliche Erörterung der Feuerbach-Rezeption Kierkegaards, dessen Basis nur eine systematische Analyse der Kierkegaardschen Schriften bilden kann.

4.1 Analyse der „textuellen Präsenz“ Feuerbachs in den Schriften Kierkegaards In meiner Untersuchung habe ich jene Textstellen der veröffentlichten Schriften und der Aufzeichnungen aus dem Nachlass (Papirer) untersucht, in denen Feuerbachs Name oder der Ausdruck „Freidenker“ vorkommt. Obwohl es sich bei letzterem um einen ziemlich weiten Begriff handelt,1 dessen Gebrauch sich auch bei Kierkegaard nicht auf die Apostrophierung Feuerbachs beschränkt,2 ist er hier relevant, da Feuerbach für Kierkegaard quasi die paradigmatische Gestalt des geärgerten Freidenkers3 darstellt. Mit dieser Methode sind aber gleichzeitig die Grenzen dieser Untersuchung angegeben, denn es könnte viele gewichtige Textstellen geben, in denen weder Feuerbachs Name noch der Ausdruck „Freidenker“ vorkommt. Ein treffendes Beispiel dafür ist die Problematik der Rezeption des Begriffes „Verdoppelung“ (Fordoblelse), auf die oben schon hingewiesen wurde. Derartige Schwierigkeiten lassen sich aus so gearteten Untersuchungen nicht eliminieren. Meiner Ansicht nach ist die sich ihrer Grenzen bewusste, systematische Analyse durchaus dazu geeignet, Kierkegaards Feuerbach-Rezeption hinsichtlich ihrer geschichtlichen sowie inhaltlichen Aspekte den Grundlinien nach darzulegen.4

1 Zur Begriffsgeschichte vgl. G. Gawlick, „Freidenker“, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter et al., Basel-Stuttgart 1972, Bd. II. s. v., Sp. 1062–1063. 2 Es gibt viele Textstellen, an denen in diesem Kontext auch Strauss’ und Bauers Namen auftauchen. SKS 14, 45 / KA, 11; Pap. VIII-2 B 19 S.72; Pap. VIII-2 B 27 S. 77. 3 SKS 22, 335, NB13:92 / T 4, 28f. 4 In Kierkegaards Bibliothek fanden sich außer Das Wesen des Christentums noch folgende Bücher von Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie, Ansbach 1837 (Ktl. 487), und Abälard und Heloisse oder der Schriftsteller und der Mensch, Ansbach 1834 (Ktl. 1637). In den Schriften gibt es aber keine expliziten Hinweise auf diese Werke. Was die diesbezügliche zeitgenössische

4 Kierkegaards Feuerbach-Bild 

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Die Forschungsergebnisse können in quasi-statistischer Hinsicht wie folgt zusammengefasst werden: Feuerbachs Name kommt im Œuvre 13 Mal vor. Das erste Mal im Jahre 1842, in Kierkegaards Bemerkung zu Becks Buch;5 dann siebenmal 1844,6 also in jenem Jahr, in dem Kierkegaard das Feuerbachs Hauptwerk gekauft hat; viermal im Jahre 18477 (davon dreimal in Reflexionen über Adler); schließlich einmal im Jahre 1849, in der Tagebuchaufzeichnung „Die Position des Christentums in diesem Augenblick.“8 Nach diesem Jahr taucht der Ausdruck „Freidenker“ verhältnismäßig oft, insgesamt siebenmal auf,9 Feuerbachs Name kommt in Kierkegaards Schriften danach nicht mehr vor.

4.2 Kierkegaards Reflexionen über Das Wesen des Christentums Die Aufzeichnungen vom Jahre 1844 belegen eindeutig, dass Kierkegaard Das Wesen des Christentums in diesem Jahr nicht nur gekauft, sondern auch studiert hat: Das geht sowohl aus einem Hinweis auf die Feuerbachsche Lehre der „Geschlechtsdifferenz“10 als auch aus einer expliziten Berufung auf Feuerbachs Werk11 deutlich hervor. Einige Spuren der Feuerbach-Lektüre Kierkegaards lassen sich auch noch im Jahre 1846, im großen Werk Abschließende unwissenschaftli-

Sekundärliteratur betrifft, hatte Kierkegaard – außer Ruges Anecdota und P. M. Stillings Magisterabhandlung – eine Monographie von Julius Schaller: Darstellung und Kritik der Philosophie Ludwig Feuerbachs, Leipzig 1847 (Ktl. 760). 5 SKS 14, 45 / KA, 11. 6 SKS 6, 417 / SLW2, 481; SKS 6, 424 / SLW2, 490; SKS 18, 206, JJ:208 / DSKE 2, 213; Pap. V B 1, 10; Pap. V B 9; Pap. V B 74, 5; Pap. V B 148, 37. 7 SKS 15, 167; SKS 20, 260, NB3:32; Pap. VIII-2 B 19 S. 72; Pap. VIII-2 B 27 S. 77. 8 SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28f. 9 SKS 13, 159 / A, 122; SKS 14, 159 / A, 37; SKS 25, 311, NB:21; SKS 26, 12, NB31:5; SKS 26, 157, NB32:55; SKS 26, 285, NB33:44; SKS 26, 427, NB36:28. Bis zum Jahr 1849 kommt der Ausdruck „Freidenker“ u.a. an den folgenden Stellen vor: SKS 3, 252 / EO2,2, 282; SKS 4, 442 / BA, 148; SKS 7, 528 / AUN2, 293; SKS 22, 333, NB13:92. 10 „Bereits Plato (und wie bezeichnend ist das nicht für Leute wie Feuerbach, die es so eilig damit haben, den Geschlechtsunterschied geltend zu machen, in welcher Hinsicht sie sich doch wohl am ehesten auf das Heidentum berufen sollten) nimmt eigtl. an, dass der vollkommene Zustand des Msch die Geschlechtsdifferenz ist.“ SKS 18 206, JJ:208 / DSKE 2, 213. Vgl.: DW2, 135f. 11 Pap. V B 148, 37.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

che Nachschrift feststellen.12 Danach allerdings kommen in den Schriften Kierkegaards keine direkten Hinweise13 auf Das Wesen des Christentums mehr vor. Was Kierkegaards Feuerbach-Rezeption in textueller Hinsicht betrifft, lässt sich also feststellen, dass sein Interesse am deutschen Religionsphilosophen sich auf eine ziemlich begrenzte Zeit beschränkt. Wenn man diejenigen Textstellen untersucht, die um eine nicht näher spezifizierte Reflexion auf Das Wesen des Christentums kreisen, zeigt sich deutlich, dass Kierkegaard mit der philosophischen Position Feuerbachs weder zur Gänze einverstanden ist noch ihre Gültigkeit gänzlich bestreitet: Er betrachtet die Ergebnisse des deutschen Religionskritikers mit dem Interesse und der Neutralität eines Beobachters (was übrigens Kierkegaards Charakter keineswegs fremd war). Dass die Feuerbachsche Religionsphilosophie auf Kierkegaard in der Periode seiner Feuerbach-Lektüre keine bedeutendere Wirkung ausüben konnte, mag daran liegen, dass er zu dieser Zeit bereits seine eigene gefestigte Konzeption des Christentums hatte. Es wäre sicherlich überstürzt, aus Anzahl und Art der Erwähnungen von Das Wesen des Christentums allzu weitreichende Schlussfolgerungen über Kierkegaards Einschätzung der Feuerbachschen Positionen zu ziehen. Es lässt sich jedenfalls feststellen, dass diese Reflexionen bei Kierkegaard relativ selten vorkommen14 und ihre Art offen lässt, ob er Feuerbachs Hauptwerk systematisch umfassend untersucht hat. In dieser Hinsicht ist eine Behauptung in einer Aufzeichnung über Das Buch über Adler (Bogen om Adler) noch einmal bemerkenswert, denn ihr zufolge schafft Feuerbach „die ganze Religion willkürlich

12 Im Text kommt eine Reminiszenz der berühmten Feuerbachschen These „das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie“ vor („al Theologie Anthropologie”) SKS 7, 526 / AUN2, 292; vgl. DW2, 455. Übrigens hätte Kierkegaard auf diese These schon in der Rezension von A. Ruge (vgl. AN, Bd. II., S. 39.) und sogar im Buch von A. F. Beck (vgl. Begrebet Mythus eller den religiøse Aands Form, S. 6.) stoßen können. 13 Das schließt aber offensichtlich nicht aus, dass in den Schriften nach 1846 solche Hinweise vorkommen, die sich auf Feuerbach beziehen. Wenn man z.B. bedenkt, welche Bedeutung die Kategorie des (menschlichen) Geschlechtes für die Feuerbachsche Religionsauslegung hat, kann man im folgenden Zitat eine kritische Anspielung darauf finden: „Ich habe auszudrücken gestrebt, dass die Kategorie ‚das Geschlecht‘ auf das Mensch Sein anwenden, besonders wenn es Ausdruck für das Höchste sein soll, Missverständnis und Heidentum ist, weil das Geschlecht des Menschen nicht bloß durch die Vorzüge des Geschlechts von einem Tier-Geschlecht sich unterscheidet, sondern durch dies Menschliche, dass im Geschlecht jeder Einzelne…mehr als das Geschlecht ist, was im Gottesverhältnis seinen Grund hat.“ SKS 16, 67 / SS, 84 (Fußnote). 14 G. E. Arbaugh kommt zu einem ähnlichen Schluss: “Kierkegaard has remarkably little to say about the central themes of Das Wesen des Christentums.” Arbaugh, “Kierkegaard and Feuerbach”, S. 9.

4 Kierkegaards Feuerbach-Bild 

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ab“15. Feuerbach lag dagegen – seiner eigenen Auffassung nach – der Wille zum Abschaffen der Religion durchaus fern: Diese Haltung geht schon aus der Einleitung des Hauptwerkes deutlich hervor.16 Daraus kann man nun entweder schließen, dass sein Anthropotheismus für Kierkegaard eine Form des Atheismus bedeutet, oder auch annehmen, dass der dänische religiöse Schriftsteller die Feuerbachsche Religionsphilosophie nicht umfassend studiert hat, oder aber vermuten, dass der dänische religiöse Schriftsteller diesem Kerngedanken Feuerbachs – entweder aus konzeptionellen Gründen oder aufgrund lediglich fragmentarischer Textkenntnis – nicht das Gewicht beimisst, das dieser Gedanke im originalen Kontext zweifellos besaß.

4.3 Ein „geärgerter Freidenker“ im Dienste des Christentums Abgesehen von jenen vier Textstellen, die nachweislich einen direkten Hinweis auf Das Wesen des Christentums beinhalten17 – wie oben ausgeführt lassen sich diese Stellen sogar bei Feuerbach identifizieren – scheint es mir, dass das eigentliche Zentrum, der Schwerpunkt des Kierkegaardschen Interesses an Feuerbach nicht so sehr das Denken als vielmehr die Existenz des deutschen Religionskritikers betrifft. In Feuerbachs Gestalt erscheint für Kierkegaard die Existenzmöglichkeit des „Ärgernisses“ (Forargelse) in einer quasi paradigmatischen Reinheit. Eine prägnante textuelle Manifestation dessen findet sich in einer Tagebuchaufzeichnung von 1844, in der Kierkegaard von Feuerbachs ‚geärgerter Individualität‘ als seinem indirekten Verdienst um das Christentum spricht.18 Oder auch in den Stadien auf des Lebens Weg, wenn der Verfasser den, der sich ärgert, mit dem unglücklichen, eifersüchtigen Liebhaber vergleicht, der dennoch das Erotische

15 „… at ville være en Feuerbach og selvraadigt afskaffe al Religion …“ Pap. VIII-2 B 27 p. 78. 16 „Allerdings ist meine Schrift negativ, verneidend, aber, wohlgemerkt! nur gegen das unmenschliche, nicht gegen das menschliche Wesen der Religion. Sie zerfällt daher in zwei Theile, wovon der Hauptsache nach der erste der bejahende, der zweite […] der verneinende ist; aber in beiden wird dasselbe bewiesen, nur auf verschiedene oder vielmehr entgegengesetzte Weise.“ DW2, S. 12. 17 SKS 6, 424 / SLW2, 490; SKS 7 526 / AUN2, 292; SKS 18, 206, JJ:208; Pap. V B 148, 37. 18 „Feuerbachs indirecte Fortjeneste af Chrstd. som forarget Individualitet…“ Pap. V B 9. Im selben Jahr erschienen die Philosophischen Brocken, wo die Kategorie des Ärgernisses von Climacus sehr eingehend untersucht wurde. Es ist auch bemerkenswert, dass in der einzigen Tagebuchaufzeichnung, in der der Titel von Feuerbachs Hauptwerk vorkommt, Kierkegaard ebenfalls über das Ärgernis des deutschen Philosophen spricht: „Feuerbach i Wesen des Christentum forarges over Pascals Levnet, at det er en Lidelseshistorie.“ Pap. V B 148, 37. Vgl. SKS 6, 424 / SLW2, 490; DW2, S. 425.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

erfassen kann.19 Um Feuerbach als geärgerten Freidenker geht es auch in einigen Gedanken im Buch über Adler.20 Feuerbach repräsentiert für Kierkegaard einen Existierenden, der sich über das Christliche zweifellos im Klaren ist21 und zwar deshalb, weil er in der Existenzbewegung des Ärgernisses in eine wahre, authentische Beziehung zum Christentum eingetreten ist, auch wenn diese an sich eine „unglückliche Beziehung“ zwischen Verstand und Paradox bedeutet. Genau darin liegt der Unterschied zwischen Feuerbach und jenen zeitgenössischen orthodoxen Philosophen und Theologen, die als offizielle Verteidiger des Christentums durch ihre Vermittlungsversuche zwischen Glauben und Wissen und durch die Aufhebung des durch das Paradox entstehenden konstitutiven Entweder/Oder des Glaubens, letztlich das aufheben, was sie ursprünglich verteidigen wollten. Die Freidenker erscheinen22 deshalb bei Kierkegaard als wahre Kenner und sogar Verteidiger des Christentums; „gegen die zeitgenössischen Christen“23 immer in Opposition zur Kirche und zu ihren orthodoxen Verteidigern. Feuerbach ist – ohne wirklich ein Christ zu sein – für Kierkegaard als christenfeindlicher Freidenker wegen seines Ärgernisses am Glaubensparadoxon doch ein besserer Verteidiger des Christlichen als die Philosophen und Theologen, die die spießbürgerliche Mittelmäßigkeit der Christen zu rechtfertigen suchen. Ein bezeichnendes Beispiel für die Entwicklung der Tendenz zur positiven Bewertung Feuerbachs soll hier noch erwähnt werden. Während der Verfasser der Unwissenschaftlichen Nachschrift auf Feuerbach noch als auf einen das Christentum (Christendom) angreifenden Spötter hinweist,24 bezeichnet ihn eine Tagebuchaufzeichnung aus dem Jahre 1849 nur noch als einen Angreifer der bestehenden, unwahren Christenheit (den bestaaende Christenhed) und der zeit-

19 SKS 6, 418 / SLW2, 482. 20 SKS 15, 167 / BÜA, 58. 21 Dieses „richtige Wissen um das Christliche“ haben der Religionskritiker Feuerbach und der religiöse Schriftsteller Kierkegaard gemein. Letzterer schreibt über sich selbst: „ich weiß, was Christentum ist; meine Unvollkommenheit als Christ erkenne ich selbt – aber ich weiß, was Christentum ist.“ SKS 13, 23 / SS, 11. 22 Besonders in den Aufzeichnungen nach 1849 und während der Zeit der offenen Polemik (1854–1855). 23 „Die letzte Abteilung der Freidenker (Feuerbach und was dazu gehört) hat die Sache weit geschickter angegriffen oder sogar ergriffen als vorher; denn schaust du näher zu, so wirst du sehen, sie haben im Grunde die Aufgabe übernommen, das Christentum gegen die jetzt lebenden Christen zu verteidigen.“ SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28. Vgl. auch SKS 26, 426, NB36:28. 24 „[E]in Spötter greift das Christentum an und trägt es zu gleicher Zeit in so vertretbarer Weise vor, dass es eine Lust ist, ihn zu lesen […]“ SKS 7, 558 / AUN2, 328.

4 Kierkegaards Feuerbach-Bild 

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genössischen Christen.25 Diese Auffassung der Freidenker spiegelt sich in allen Aufzeichnungen nach dem Jahre 1849 wider und hängt offensichtlich damit zusammen, dass Kierkegaard ab diesem Zeitpunkt das dänische Staatschristentum mit einer immer größer werdenden Abneigung betrachtet. War er zwar mit dem Inhalt der Religionsphilosophie der Freidenker und Feuerbachs nicht einverstanden, so stimmte er ihnen in ihrer scharfen Kritik an der bestehenden Christenheit doch weitgehend zu. Laut Kierkegaard haben sich die Freidenker folglich sogar ein „indirektes Verdienst“ (Fortjenste)26 um die Sache des Christentums gemacht – ohne es überhaupt gewollt zu haben. Eine Tagebuchaufzeichnung aus Kierkegaards letztem Lebensjahr ist ebenfalls von dieser Anschauung geprägt: „Es lässt sich nicht leugnen, dass der Freidenker in einem bestimmten Sinne der Christenheit zum Nutzen gereicht. Er hält nämlich die Seite des Christlichen aufrecht, die zum Ärgernis führt.“27

25 „Es ist nämlich eine Unwahrheit, wenn die bestehende Christenheit sagt, Feuerbach greife das Christentum an; das ist nicht wahr, er greift die Christen an, indem er zeigt, dass ihr Leben der Lehre des Christentums nicht entspricht.“ SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28. 26 Pap. V B 6,9 S. 67. 27 SKS 26, 426, NB36:28.

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 Teil II  Kierkegaards Verständnis von Feuerbach

5 Die Ambiguität von Kierkegaards Feuerbachbild Jene Textstellen, in denen es um Reflexionen auf Feuerbachs Person oder Religionsphilosophie geht, ermöglichen eine bestimmte Rekonstruktion des Kierkegaardschen Feuerbach-Bildes. Es geht gewiss schon aus dem oben Gesagten hervor, dass dieses Bild nicht einheitlich ist, enthält es doch ebenso positive wie negative Konturen. Der positive Pol des „bipolaren“ Feuerbach-Bildes ist einerseits dadurch gekennzeichnet, dass es nach Kierkegaard im Falle von Feuerbach um die Verwirklichung einer echten Existenzmöglichkeit geht, während die zeitgenössischen Christen nur „Christentum spielen“.1 Feuerbach stellt für Kierkegaard einen Denker dar, der das Paradox bzw. den absurden Charakter des Christentums wahrhaft begriffen hat und der als ein von diesem Paradox zurückgestoßener, leidenschaftlicher, wenn auch unglücklicher „Liebhaber“ existiert. Diese Existenzform unterhält nach Kierkegaard eine wahre Beziehung zum Christlichen, wohingegen die demoralisierte Christenheit nur eine Verfälschung des Christentums repräsentiert. Daraus folgt, dass Feuerbach für Kierkegaard „in taktischer Hinsicht eine brauchbare Figur“2 bedeutet: er ist nämlich ein solcher „Verräter“ (Forræder),3 den das wahre Christentum „benötigt“,4 weil er die Unechtheit der bestehenden Christenheit eindeutig aufzeigt. Von Feuerbach handeln allerdings auch weniger schmeichelhafte Passagen, in denen Kierkegaard den deutschen Philosophen einen „boshaften Dämon“ (malitieus Dæmon)5 nennt, der „irreligiös besessen und fanatisiert“ ist, der das

1 SKS 25, 311, NB29:21. Kierkegaard bezeichnet in dieser Aufzeichnung den Unterschied zwischen den Freidenkern und der orthodoxen Kirche damit, dass obwohl das Christentum von beiden für Mythos und Dichtung gehalten wird, es aber nur die Freidenker sind, die dies auch bekennen. 2 SKS 22, 336; NB13:92 / T 4, 28. 3 Der Text der Tagebuchaufzeichnung bezeugt den schlechthin dialektischen Gebrauch des Begriffes „Verräter“ bei Kierkegaard: In einer Situation nämlich, wo es um einen Verrat des Christentums (Christendom) durch die Christenheit (Christenhed) geht, nimmt nicht nur der Teufel, sondern auch Gott Verräter (gudelige Forrædere) in seinen eigenen Dienst. Diesbezüglich ist bemerkenswert, dass Kierkegaard sich selbst im Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller als einen „Spion in höherem, in der Idee, Dienst“ definiert hat. SKS 16, 66 / SS 83. 4 SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28. 5 SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28. Vergote untersucht sehr eingehend die Kierkegaardsche Applikation der Kategorie des Dämonischen auf Feuerbach in seiner Monographie Sens et répétiton, Bd. II, S. 273–285.

5 Die Ambiguität von Kierkegaards Feuerbachbild 

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Christentum,6 ja sogar die ganze Religion7 abschaffen will. Ob und inwiefern Kierkegaard in diesen Behauptungen die eigentliche, religionsphilosophische Intention Feuerbachs missversteht, könnte selbstverständlich den Ausgangspunkt für weitere Diskussion bilden. Unzweifelhaft aber ist, dass diese Textstellen von einem negativen Standpunkt gegenüber Feuerbachs Religionskonzeption zeugen. Es scheint mir, dass diese Ambiguität des Kierkegaardschen Feuerbach-Bildes kein Zufall ist. Auch wenn der Verfasser der Unwissenschaftlichen Nachschrift das christenfeindliche Gespött Feuerbachs mit einer unverhohlenen Lust gelesen hat8 und wenn die Figur des gegen Hegel polemisierenden, außerhalb akademischer Kreise stehenden Feuerbachs für den Outsider Kierkegaard in mehrfacher Hinsicht sympathisch wirken konnte, war es für ihn doch nicht möglich, mit Feuerbach über das Wesen der Religionsphilosophie und ebenso über die Unsterblichkeitsproblematik einig zu werden.9 Diese Tatsache bestimmt den Charakter von Kierkegaards Feuerbach-Rezeption, die – wie sich aus den oben analysierten Texten zeigt – wenig umfangreich ist und in inhaltlicher Hinsicht kein Zeichen einer faktischen Assimilation des Feuerbachschen Denkens aufweist. Die philosophische Quellenforschung zum Kierkegaardschen Oeuvre sollte gerade deshalb das Denken Feuerbachs nicht unterschätzen: Die nähere Analyse der Kierkegaardschen Texte wird sicher zahlreiche weitere Einzelheiten ans Licht bringen, die ein noch differenzierteres Bild dieser Beziehung ergeben werden. Es gibt nämlich kaum einen „geistigen Gegner“ Kierkegaards, von dem er sich nicht zugleich auch inspirieren ließe, denn – in seinen eigenen Worten – „ab hoste consilium.“10

6 „ […] der vil afskaffe Christendommen […].“ Pap. VIII 2 B 27, S. 77. 7 Pap. VIII 2 B 27 S. 78. 8 Vgl. SKS 7, 558 / AUN2, 328. 9 Eine beinahe ironische Wendung der Geschichte kann man darin sehen, dass die erste dänische Übersetzung von Das Wesen des Christentums von Kierkegaards Neffen Poul Kierkegaard angefertigt wurde. Vgl. Ib Ostenfeld, Poul Kierkegaard. En skæbne og andre studier over religion og atheisme, Kopenhagen 1957, S. 45. Ich danke Joakim Garff, dass er meine Aufmerksamkeit auf diesen Umstand gelenkt hat. 10 SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28 [am Rand].

Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit: Kierkegaards Konzeption im Kontext der zeitgenössischen Debatten

1 Aufgehobene Unsterblichkeit 

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1 Aufgehobene Unsterblichkeit: Der Streit um die idealistische Deutung der Unsterblichkeitsproblematik Bekanntlich ist Philosophieren – nach einer der ältesten Definitionen – μελέτη θανάτου, was in Schleiermachers klassischer Übersetzung „auf den Tod bedacht zu sein“ (Phaid 81a)1 bedeutet. Gemäß dieser Bestimmung gehört also die denkerische Beschäftigung mit der Todes- bzw. Endlichkeitsproblematik des menschlichen Daseins nicht bloß akzidentiell, sondern wesentlich zur Philosophenexistenz dazu. Im selben sokratischen Dialog, der diese ursprüngliche Formulierung beinhaltet, knüpft sich die philosophische Betrachtung des Todes organisch an tiefsinnige Überlegungen über die Beschaffenheit und Unsterblichkeit (ἀθανασία) der Seele. Von letzterem Ausdruck ausgehend, der sprachlich privativ und in formaler Hinsicht rein negativ gebildet ist, wodurch die späteren Klärungsversuche des Begriffsinhaltes häufig zu durchaus antithetischen Neuinterpretationen des selben Begriffes führten, kann man geschichtlich ein ständiges Interesse für diesen – ideologisch zweifellos sensiblen – Problemkreis konstatieren,2 das von den verschiedenen Denkmodellen der Antike3 über die phychologia rationalis der speziellen Metaphysik bis hin zu den zeitgenössischen, besonders im anglophonen philosophischen Diskurs entworfenen, bedeutsamen Versuchen reicht.4

1 Platon, Phaidon, in Platon. Werke in acht Bänden; griechisch und deutsch, hg. von Gunther Eigler, Bd. 3., Darmstadt 1990, S. 80f. Eine alternative und offenbar genauere Übersetzung des Ausdrucks wäre „Einübung in den Tod”. Siehe M. Erler, „Phaidon“, in Grosses Werklexikon der Philosophie, hg. von Franco Volpi, Bd. 2, Stuttgart 1999, S. 1184. 2 Zu einem historischen und systematischen Überblick des Problemkomplexes siehe: Quirin Huonder, Das Unsterblichkeitsproblem in der abendländischen Philosophie, Suttgart, Berlin, Köln und Main 1970.; Jan Assmann et al., „Unsterblichkeit“, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter et al., Bd. 11, Basel 2001, Sp. 275–295; Ulrich Berner et al., „Unsterblichkeit“, in Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Müller, Bd. 34, Berlin-New York 2002, S. 381–397. Assmann gruppiert die mit der Unsterblichkeit verwandten Phänomene folgenderweise: „‚Unzerstörbarkeit‘, ‚Unvergänglichkeit‘, ‚Unverweslichkeit‘ etwa sind Begriffe, in denen die Negation der Sterblichkeit zum Ausdruck gebracht wird, während Vorstellungen wie Auferstehung und Auferweckung (im Sinne einer totalen Neuschöpfung), ferner ‚Reinkarnation‘, ‚Seelenwanderung‘ und ‚Palingenesie‘ den Tod weniger verneinen als vielmehr relativieren.“ Siehe Assmann, „Unsterblichkeit“, S. 275. 3 Siehe Georg Scherer, Das Problem des Todes in der Philosophie, Darmstadt 1988 (Grundzüge, Bd. 35), S. 81–124. 4 Siehe z.B.: Immortality, hg. von Paul Edwards, New York 1992; Death and Afterlife, hg. von Stephen T. Davies, London 1989; Richard Swinburne, The Evolution of the Soul, Oxford 1986; Peter

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Bemerkenswert ist indes, dass die Erörterung dieses Themas nicht nur durch ihre philosophische Komplexität, sondern (seit dem Auftauchen des christlichen Denkens, das seine eigene eschatologische Konzeption schrittweise, auf den Glaubensinhalt reflektierend, dogmatisch ausbildete) auch durch ihre inhärente Verbundenheit mit grundlegenden theologischen Interessen erschwert ist.5 Ein bekanntes geschichtliches Beispiel dafür ist die heftige philosophischtheologische Kontroverse im italienischen Diskurs des 16. Jahrhunderts über die – zumindest teilweise – neuaristotelisch orientierte Unsterblichkeitsauffassung des Renaissancephilosophen Pietro Pomponazzi (1462–1525), in dessen Buch De immortalitate animae (1516) die klassischen Argumente für die Unsterblichkeit (wegen der Stoffbezogenheit der Seele) minuziös destruiert und ihre Beweisbarkeit theoretisch in Frage gestellt werden,6 weshalb diese Konzeption nicht nur offiziell verurteilt,7 sondern das Buch in Venedig auch öffentlich verbrannt wurde.

van Inwagen, “The Possibility of Resurrection”, International Journal for Philosophy of Religion, Bd. 9, 1978, S. 114–121. 5 Allerdings wurde in einem berühmten Artikel des evangelischen Exegeten und Theologen Oscar Cullmann (1902–1999) die Aufmerksamkeit mit Recht auf die Tatsache gelenkt, daß sich der urchristliche, wesentlich heilsgeschichtlich orientierte Glaube an die Auferstehung (ανάστασις) der Toten mit dem griechischen, metaphysisch konzipierten Begriff der Unsterblichkeit der Seele nicht identifizieren läßt und die theologische Hellenisierung des christlichen Glaubensinhaltes in dieser Hinsicht ziemlich problematisch ist. Siehe Oscar Cullmann, „Unsterblichkeit der Seele und Auferstehung der Toten. Das Zeugnis des Neuen Testaments“, Theologische Zeitschrift, Bd. 12, Nr. 2, 1956, S. 126–156. Daran wird auch von dem katholischen Theologen Coenen erinnert: „Vielmehr wird an der allgemeinen Auferstehung, die aus der Auferstehung Jesu folgert, festgehalten, ja sie wird gerade nach Joh 6,39f.54 von Jesus selbst verkündet, und zwar immer im Sinne der leiblichen Auferstehung, niemals bloß einer Fortexistenz oder eines Wiedererwachens der Seele.“ Lothar Coenen, „Auferstehung / ανάστασις“, in Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, hg. von Ders. et al., Wuppertal 1993, 9. Auflage, S. 46. 6 Von Pomponazzi wurde vor allem der reine Formcharakter der Seele angegriffen, der innerhalb des thomistischen Systems dem Unsterblichkeitsgedanken zugrundliegt. Er vertritt aus naturphilosophischer Perspektive die Ansicht, die Seele sei schlechthin (simpliciter) sterblich und nur in gewisser Weise (secundum quid) unsterblich. Siehe dazu das IX. Kapitel seines Tractatus de immortalitate animae / Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele, übers. und hg. von Burckhard Mojsisch, Hamburg 1990, S. 78. Seine Konklusion war, dass die Unsterblichkeit der Seele als eine geoffenbarte Glaubenswahrheit angenommen werden muß. Siehe ebda., S. 228–239. Wie Pluta betont, erregte übrigens Pomponazzis Buch nicht nur großes Aufsehen und einen Skandal, sondern auch Jubel von Seiten derjenigen, die vor dem (im Rahmen der christlichen Eschatologie gelehrten) Gericht am Ende des Lebens Angst hatten. Olaf Pluta, Kritiker der Unsterblichkeitsdoktrin im Mittelalter und Renaissance, Amsterdam 1986 (Bochumer Studien zur Philosophie, Bd. 7.), S. 6. 7 Cf.: Leo X., V. Laterankonzil (1512–1517), Sessio VIII, 19. Dez. 1513: Bulla „Apostolici regiminis“ (De anima humana doctrina contra Neo-Aristotelicos). In Enchiridion Symbolorum definitionum

1 Aufgehobene Unsterblichkeit 

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Obwohl die Diskussionen über die Unsterblichkeit im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts weniger dramatisch als die genannte Kontroverse verliefen,8 die offene Kritik am christlichen Unsterblichkeitsglauben konnte immerhin den Verlust der akademischen Karriere sowie das sofortige Verbot des inkriminierten Werkes kosten,9 war es infolgedessen nur eine Frage der Zeit, bis die entschieden kritischen Autoren allesamt ohne Ausnahme zu Outsidern10 wurden und meistens als Propheten einer neuen Weltansicht auftraten.11 Es ging aber bei

et declarationum de rebus fidei et morum, hg. von Henricus Denzinger und Adolfus Schönmetzer, 36. Ausg., Barcelona, Freiburg und Roma 1976, S. 353. (DS 1440). Siehe noch dazu die folgenden lehramtlichen Äußerungen: DS 222, 2766, 3771, 3998. 8 Bemerkenswert ist allerdings, daß es in Dänemark – gemäß § 5 des Pressegesetzes von 1799 – staatlich verboten und hart bestraft war, Schriften zu veröffentlichen, die die Unsterblichkeit der Seele leugneten: Die Strafe dafür war das Exil von 3 bis zu 10 Jahren. Siehe dazu: Harald Jørgensen, Trykkefrihedspørgsmålet i Danmark 1799–1848: et Bidrag til en Karakteristik af den danske Enevælde i Frederik VI’s og Christian VIII’s Tid, Kopenhagen 1944, S. 32. – Eine ironische Bemerkung Poul Martin Møllers besagt: Falls Hegels Schriften in Dänemark publiziert wären, wäre für das Oberste Gericht ziemlich schwierig zu entscheiden, ob diese Werke das genannte Gesetz verletzen oder nicht: „Efter Forordningen af 27 September 1799 § 5 er det her i Landet forbudt at udgive Skrifter, som have til Formaal, at ‚nedbryde Læren om den menneskelige Sjæls Udødelighed‘. – Dersom Hegels Skrifter vare udkomne hertillands, vilde det have faldet endog Højesteret meget vanskeligt at afgjøre, om deri fandtes en Overtrædelse af hiint Forbud eller ikke.“ Poul Martin Møller, „Tanker over Mueligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, med Hensyn til de nyere derhen hørende Literatur“, in Ders., Efterladte Skrifter, Bd. II, Kopenhagen 1842, S. 161. Der Text wurde zuerst publiziert in Maanedskrift for Litteratur, Bd. 17, 1837, S. 1–72, 422–453. 9 Dies war genau der Fall mit dem jungen Feuerbach: Nachdem sich seine Verfasserschaft der anonym veröffentlichten und sofort verbotenen Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830) enthüllte, wurde er in Erlangen „verfemt, auch die Studenten sollten ihn meiden, es wurde Druck auf sie ausgeübt, um sie vom Besuch seiner Vorlesungen abzuhalten.“ Josef Winiger, Ludwig Feuerbach: Denker der Menschlichkeit. Biographie, Berlin 2004, S. 76. 10 “What they did have in common was their situation as ‘outsiders’, in relationship both to the academic school and to the existing German political and cultural communities.” John Edward Toews, Hegelianism. The path toward dialectical humanism, 1805–1841, Cambridge 1985, S. 236. 11 Richters Autobiographie dokumentiert den starken Missionsdrang des Autors eindrücklich: „Erfahrungen dieser Art ließen mich von Neuem zur Feder greifen und mich mein Glück wieder als Schriftsteller versuchen. Einen bestimmten Lebensplan hatte ich noch nicht. Indeß war ich um meine Zukunft nicht bange, weil mein Vertrauen auf Gott und Menschen unbegrenzt war, unerschütterlich fest stand. ‚Gott hat einen Plan mit dir!‘ so war es duch die wachen Nächte meiner Apotheker-Lehrjahre erschollen; ‚mache dich auf und kehre zurück!‘ Ich war zurückgekehrt und hatte gefunden, weshalb man mich gesucht: die hegelsche Schule und ihren Esoterismus, das neue Testament und dessen Mißverständnis, die Oede der Kirchen, die Parteiungen des Politischen, die Eitelkeiten des geselligen Lebens.“ Friedrich Richter, Die Lehre von den letzten Dingen. Eine wissenschaftliche Kritik, aus dem Standpunkt der Religion unternommen, Zweiter Band: Die letzte Dinge in objectiver Rücksicht oder die Lehre vom jüngsten Tage, Berlin 1844, S. 205.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

weitem nicht nur um eine rein theoretische Diskussion der Hegelschen Interpretation der Unsterblichkeit innerhalb seiner Schule (wie dies so oft schematisch dargestellt wird),12 sondern vielmehr um einen sehr breiten Diskurs, an dem sich zahlreiche Intellektuelle beteiligten: In Bernard Bolzanos (1781–1848) gründlichem Überblick über die Entwicklungen der frühen Periode der Debatte zwischen den Jahren 1827 und 1838 wurden neben den mehr als 30 deutschen und ausländischen Philosophen13 auch populäre Schriften, Zeitschriften, sogar Werke von Goethe und Jean Paul besprochen.14 Aus dem Jahre 1837 stammt eine ebenso sorgfältige dänische Besprechung der Ergebnisse der deutschen Debatte durch den Universitätsprofessor Poul Martin Møller (1794–1838), dessen „Gedanken über die Möglichkeit des Beweises der menschlichen Unsterblichkeit“15 genau den Anfang der dänischen Diskussion über das Verhältnis des Hegelschen Systems zur christlichen Eschatologie markiert, sodass zwischen den beiden Debatten geschichtlich eine bestimmte Phasenverschiebung konstatiert werden kann. Auf eine vollständige Rekonstruktion dieser heftigen Debatten muss in diesem Zusammenhang freilich verzichtet werden. Allerdings scheint es durchführbar und vielversprechend, den Anfang der Debatte mit einem kritischen Überblick zu würdigen, um dadurch zeigen zu können, wie verschieden die Hegelsche Religionsauslegung, ja sein System selbst, innerhalb der Hegelschen Schule verstanden wurde, ferner wie Kritiker des Systems sein Verhältnis zum Christentum interpretierten. Zunächst soll daher kurz der status questionis im deutschen Idealismus und besonders in Hegels System besprochen werden.

12 Bemerkenswert ist, daß auf die Debatte in Karl Löwiths grundlegendem Buch Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts nur kurz hingewiesen (Hamburg 1995, S. 153) und in Walter Jaeschkes gründlichem Hegel-Handbuch. Leben-Werke-Schule auch nur die der Schule immanente Diskussion erörert wird – ohne auf die breitere Kontroverse hingewiesen zu haben (Stuttgart und Weimar 2003, S. 510–515). 13 Bolzano berichtet übrigens auch über das psychoidealistisch konzipierte Buch Die Welt aus Seelen (Pesth 1833) des ungarischen Philosophen und Arztes Michael Petőcz, den er einen „sehr originellen Denker und echt philosophischen Kopf“ nennt. [Bernard Bolzano], Anhang zur zweiten Auflage der Athanasia enthaltend eine kritische Übersicht der Literatur über Unsterblichkeit seit 1827, da die erste Auflage erschienen war, Schulzbach 1838, S. 65. 14 Siehe [Bolzano], Anhang zur zweiten Auflage der Athanasia, S. 92–95. 15 Poul Martin Møller, „Tanker over Mueligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, med Hensyn til de nyere derhen hørende Literatur“, in Ders., Efterladte Skrifter, Bd. II, Kopenhagen 1842, S. 158–272. (Zuerst publiziert in Maanedskrift for Litteratur, Bd. 17, 1837, S. 1–72, 422–453.)

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1.1 Die Unsterblichkeitsproblematik in Kants Philosophie und im Deutschen Idealismus Eine grobe Skizzierung der idealistischen Perioden innerhalb der Problemgeschichte der Unsterblichkeitsidee ergibt mitunter folgende Feststellungen: Bekanntlich begrenzt Kant in seiner theoretischen Philosophie die rationale Psychologie erkenntniskritisch auf die regulative Idee einer Seele als Einheit aller inneren Erfahrung.16 Die Unsterblichkeit dieser als formales Prinzip des Erkenntnisvermögens aufgefassten Seele wird bei ihm im Bereich der praktischen Philosophie als ein unabweisbares Postulat der reinen praktischen Vernunft bzw. als eine transzendentale Möglichkeitsbedingung der Realisierung des höchsten Gutes ausgearbeitet und inhaltlich als „ins Unendliche fortdauernde Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens“17 definiert. Es ist erstaunlich, dass gegen die Kantsche Deduktion des Unsterblichkeitspostulates bereits der junge Schleiermacher in seiner erst in der kritischen Gesamtausgabe veröffentlichten frühen Universitätsabhandlung Über das höchste Gut (1789) eine scharfe Kritik erhob.18 Diese kritische Haltung gegen die als unendliche Fortdauer der persönlichen Seele konzipierte Unsterblichkeitsidee ist auch in seinen Reden (1799)19 stark präsent. Nach der romantischen Konzeption desselben bilde der

16 Bekannt sind Kants Argumente bezüglich der unvermeidlichen Paralogismen der dogmatischen Seelenmetaphysik sowie seine tiefgreifende Kritik an der Mendelssohnschen Lehre über die Beständigkeit der Seele in der „Transzendentalen Dialektik“ seiner ersten Kritik. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, in Kant. Werke, Bd. IV, Kritik der reinen Vernunft, hg. von Wilhelm Weischedel, Teil 2, Darmstadt 1983, S. 341–399 (KrV A 341–404). 17 Für Kant ist also die Unsterblichkeit eine theoretisch unbeweisbare, rein moralische Forderung und Gewissheit, die als solche den Gegenstand eines reinen praktischen Vernunftglaubens bildet. Bei ihm basiert das religiöse Bewusstsein auf dieser moralisch bestimmten Unsterblichkeitskonzeption. Vgl. Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, in Kant. Werke, Bd. VI/I: Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, S. 252 (KpV A 220). 18 „Wir können uns also, wie gesagt, beide Postulate der praktischen Vernunft gefallen laßen, wenn wir nur die Nothwendigkeit oder wenigstens die Nützlichkeit des ganzen Verfahrens einsähen; wenn wir nur einsähen, daß so unsere Begriffe von Gott und Unsterblichkeit auf einem etwas festeren Grund ruhten als auf der natürlichen Illusion der spekulativen Vernunft. Aber das ist es woran wir noch zweifeln müssen.“ Schleiermacher. Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner et al., Berlin-New York 1984 (im Folgenden: KGA) I/1, 99,21–26. Siehe dazu: Günter Meckenstock, Deterministische Ethik und kritische Theologie. Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789–1794, Berlin-New York 1988, S. 148–155. 19 Schleiermacher, Friedrich, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799; in KGA I/2, 196–326.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Unsterblichkeitsglaube nicht „Angel und Hauptstück der Religion“20 und die Sehnsucht nach einer unendlichen Fortdauer der endlichen Persönlichkeit sei ja „ganz irreligiös, dem Geist der Religion ganz zuwider.“21 Die späteren idealistischen Erneuerungen des Seelenbegriffs begründen zwar auch den Begriff der Unsterblichkeit neu, verunsichern jedoch zugleich deren Individualität. So impliziert in J. G. Fichtes Wissenschaftslehre (1804) die Seele als absolute Selbsttätigkeit die Unabhängigkeit und Ewigkeit des Ichs, d.h. die Unsterblichkeit der Tathandlung, jedoch keine Unsterblichkeit der individuellen Seele.22 Ich bin, sobald ich gehandelt habe, des Todes enthoben und damit unauslöschlich in den Prozess der Vollendung des Menschengeschlechts eingegangen. Fichte erachtet diese Handlung für so gewichtig, dass in ihrer Realisierung ewige Lebendigkeit absolut gegeben ist. In der als populäre Darstellung seines Systems geltenden Die Bestimmung des Menschen (1800) wird akzentuiert, dass bezüglich dieser Aufgabe es „keinen Menschen, sondern nur eine Menschheit, kein einzelnes Denken und Lieben und Hassen, sondern nur ein Denken und Lieben und Hassen in und durcheinander“23 gibt, und diese Ganzheit ist als reines ewiges Leben das Abbild des absoluten Ich, d.h. das Abbild Gottes.24 In Schellings früher Identitätsphilosophie wird die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele durch die Idee des Strebens nach Identität als Bestimmung des Sinnes des menschlichen Lebens in einer neuen Art dargestellt. Die Forderung, mit sich selbst identisch zu sein, die Schelling als ein Streben der Persönlichkeit zur Unendlichkeit begreift, verweist auf die Unsterblichkeit: „Der letzte Endzweck des endlichen Ichs sowohl als des Nicht-Ichs, d.h. der Endzweck der Welt

20 KGA I/2, 243,4. 21 KGA I/2, 246,11. Schleiermacher fasst seine diesbezügliche Position im Schlußsatz der zweiten Rede wie folgt zusammen: „Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion.“ KGA I/2, 247,9–11. 22 Für Fichte (gegen Kant) ist weder eine Aussicht auf Unsterblichkeit nocht ein künftiges Leben notwendig, um zur sittlichen Vollendung zu kommen, denn das absolute Ich ist reines Leben, und diesem Ich können Tod, Sterben und Unsterblichkeit als reine Erscheinungen nichts anhaben. „Über die Unsterblichkeit der Seele kann die Wissenschaftslehre nichts statuieren: denn es ist nach ihr keine Seele, und kein Sterben, oder Sterblichkeit, mithin auch keine Unsterblichkeit, sondern es ist nur Leben, und dieses ist ewig in sich selber.“ Johann Gottlieb Fichte, Die Wissenschaftslehre. Vorgetragen im Jahre 1804, in Johann Gottlieb Fichtes nachgelassene Werke, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Bonn 1834/35, Bd. II, S. 158. 23 Johann Gottlieb Fichte, Die Bestimmung des Menschen, in Johann Gottlieb Fichtes sämtliche Werke, hg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845/46, Bd. II, S. 316. 24 Zu Fichtes Unsterblichkeitskonzeption siehe Gerald Frankenhäuser, Die Auffassungen von Tod und Unsterblichkeit in der klassischen deutschen Philosophie von Immanuel Kant zu Ludwig Feuerbach, Frankfurt a. M. 1991, S. 208–212.

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ist ihre Zernichtung, als einer Welt, d.h. als eines Inbegriffs von Endlichkeit (des endlichen Ichs und des Nicht-Ichs). Zu diesem Endzweck findet nur unendliche Annäherung statt – daher unendliche Fortdauer des Ichs, Unsterblichkeit.“25 Schellings spätere Darstellungen der Unsterblichkeitsproblematik können letztlich auf diese um 1795 vorgenommene Bestimmung zurückgeführt werden.26 In seiner Freiheitsschrift (1809) eignet der Seele, verstanden nicht als Ding, sondern als Unmittelbarkeit des Lebens, die Unsterblichkeit, insofern sie aufgehoben wird in die Ewigkeit der Bewegung des göttlichen Grundes.27

1.2 Von der religiösen Vorstellung zum philosophischen Begriff: Die Frage nach der Unsterblichkeit in Hegels Philosophie Wie bereits erwähnt, stand die Unsterblichkeitsproblematik bis zur postumen Veröffentlichung der Vorlesungen über die Philosophie der Religion im Jahr 1832 nicht im Zentrum des Streites um die Christlichkeit der Hegelschen Philosophie. Grund dafür war vor allem, dass die vorhandenen Textquellen vor diesem Zeitpunkt keine fundierte Kritik zuließen.28 Bereits im Jahr 1833 wurde die Debatte jedoch von dem Magdeburger Theologen Friedrich Richter (1807–1856) ausgelöst und zwar dadurch, dass dieser den persönlichen Unsterblichkeitsglauben zu einer aufgehobenen Idee erklärte, die mit der spekulativen Philosophie und Wissenschaft unvereinbar sei.29 An der sofort entflammten, heftigen Debatte

25 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, in Friedrich Wilhelm Joseph Schelling. Historisch-kritische Ausgabe, Reihe I: Werke, hg. von H. M. Baumgarten et al., Stuttgart 1980, Bd. 2, S. 128. 26 Siehe dazu: Frankenhäuser, Die Auffassungen von Tod und Unsterblichkeit in der klassischen deutschen Philosophie von Immanuel Kant bis Ludwig Feuerbach, S. 215–219. 27 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängende Gegenstände, in F. W. J. Schelling. Sämtliche Werke, hg. von K. F. A. Schelling, Stuttgart-Augsburg 1856/61, Abt. I, Bd. 7, S. 362ff. 28 Vgl. Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, S. 378. 29 Vgl. Friedrich Richter, Die Lehre von den letzten Dingen. Eine wissenschaftliche Kritik aus dem Standpunct der Religion unternommen. Erster Band, welcher die Kritik der Lehre vom Tode, von der Unsterblichkeit und von den Mittelzuständen enthält, Breslau 1833; ders., Die Lehre von den letzten Dingen. Eine wissenschaftliche Kritik aus dem Standpunct der Religion unternommen. Zweiter Band. Die letzten Dinge in objectiver Rücksicht oder die Lehre vom jüngsten Tage, Berlin 1844; ders., Die neue Unsterblichkeitslehre. Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplement zu Wielands Euthanasia, Breslau 1833. Allerdings ist anzumerken, dass es nicht Friedrich Richter war, der als erster die Idee einer individuellen, persönlichen Unsterblichkeit mit dem wahren religiö-

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

zeigt sich, dass das Verhältnis des Hegelschen Denkens bezüglich der Unsterblichkeitsproblematik nicht nur für die Außenstehenden unklar blieb; denn auch innerhalb der Schule kam es zu keiner einheitlichen Interpretation. Mir scheint der Kern des Problems allerdings nicht in der vermeintlichen Esoterik des Hegelschen Denkens, sondern vielmehr in der Sache selbst zu liegen, weswegen es zweifellos angebracht ist, die diesbezüglichen Grundlinien der Position Hegels eingehender zu betrachten.

1.2.1 Die Unsterblichkeitsproblematik im Hegelschen System Die Unsterblichkeitsproblematik wird von Hegel nicht systematisch erörtert. Zwar enthalten seine religionsphilosophischen Vorlesungen die meisten relevanten Passagen zu diesem Thema, jedoch scheint es methodisch ratsam, einen einführenden Blick auf einige Stellen der Enzyklopädie zu werfen. In der „Kleinen Logik“ werden die einseitige dogmatische Verstandesmetaphysik sowie die psychologia rationalis mit der Begründung kritisiert, dass sie die Seele als Ding, d.h. als ein unmittelbar Seiendes betrachten. Die Unsterblichkeit wird „in der Sphäre aufgesucht, wo Zusammensetzung, Zeit, qualitative Veränderung, quantitatives Zu- oder Abnehmen ihre Stelle haben“30, woraus sich auch die inadäquate Auffassung ergibt. Die klassischen Argumentationsstrategien, die auf der metaphysischen Einfachheit der Seele basieren, setzen eben diese Dinglichkeit der Seele stillschweigend voraus. Die einseitigen Unsterblichkeitskonzeptionen der Verstandesmetaphysik, die den Tod als ein zufälliges, äußerliches Moment auf-

sen Standpunkt für unvereinbar erklärte. Dieser Wunsch wurde bereits vom jungen Schleiermacher als ein Zeichen der Irreligiosität aufgefasst: „Was aber die Unsterblichkeit betrifft, so kann ich nicht bergen, die Art, wie die meisten Menschen sie nehmen und ihre Sehnsucht darnach ist ganz irreligiös, dem Geist der Religion ganz zuwider, ihr Wunsch hat keinen anderen Grund, als die Abneigung gegen das, was das Ziel der Religion ist. Erinnert Euch wie in ihr alles darauf hinstrebt, daß die scharf abgeschnittnen Umrisse unsrer Persönlichkeit sich erweitern und sich allmählich verlieren sollen ins Unendliche, daß wir durch das Anschauen des Universums so viel als möglich eins werden sollen mit ihm; sie aber sträuben sich gegen das Unendliche, sie wollen nicht hinaus, sie wollen nichts sein als sie selbst, und sind ängstlich besorgt um ihre Individualität.“ Friedrich D.E. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Berlin 1799, in Kritische Gesamtausgabe, Abt. I, Bd. 2: Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hg. von Hans-Joachim Birkner et. al., Berlin und New York 1984, S. 246. 30 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Theil: Die Logik, hg. von Leopold Henning, Berlin 1840 (im Folgenden: EL), in Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, hg. von Philipp Marheineke et al., Bd. VI, Berlin 1840, S. 70 (§ 34).

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fassen, lassen sich durch die spekulative Einsicht überwinden, mit der die endlichen Bestimmungen sich selbst aufheben und notwendigerweise in ihre Gegensätze übergehen. Der Grund der Sterblichkeit, die das dialektische Pendant zur Unsterblichkeit darstellt, ist nach Hegel keine Äußerlichkeit, sondern der immanente, wesensnotwendige Selbstwiderspruch eines jeden endlichen Seienden:31 „Das Lebendige stirbt, und zwar einfach um deswillen, weil es als solches den Keim des Todes in sich selbst trägt.“32 Daraus folgt, dass die als reine Negation der Sterblichkeit und als bloße Fortexistenz der Seele aufgefasste Unsterblichkeit ein einseitiger Verstandesbegriff ist, der im Bereich des abstrakten und endlichen Denkens verharrt und die Dialektik der Endlichkeit missdeutet. Die Einseitigkeit dieser Konzeption, welche die Sterblichkeit begrifflich ausschließt, zeigt sich auch darin, dass sie die Unsterblichkeit inhaltlich ebenfalls als inadäquat und zwar als eine bloß zeitlose, unendliche Dauer oder als einen Progress von endlichen Bestimmungen begreift. Diese weit verbreitete Einseitigkeit des Verstandesdenkens wird von Hegel mit dem Begriff der „schlechten oder negativen Unendlichkeit“ ausgelegt und spekulativ überwunden.33 Folglich muss man nach Hegel, um ein adäquates Verständnis von der Unsterblichkeit zu gewinnen, sowohl den

31 „Das dialektische Moment ist das eigene Sich-Aufheben solcher endlichen Bestimmungen und ihr Uebergehen in ihre entgegengesetzte […] Das Nähere aber ist, daß das Endliche nicht bloß von außen her beschränkt wird, sondern durch seine eigene Natur sich aufhebt und durch sich selbst in sein Gegentheil übergeht. So sagt man z.B., der Mensch ist sterblich, und betrachtet dann das Sterben als etwas, das nur in äußeren Umständen seinen Grund hat, nach welcher Betrachtungsweise es zwei besondere Eigenschaften des Menschen sind, lebendig und auch sterblich zu sein. Die wahrhafte Auffassung aber ist diese, daß das Leben als solches den Keim des Todes in sich trägt, und daß überhaupt das Endliche sich in sich selbst widerspricht und dadurch sich aufhebt.“ Hegel, EL, S. 152f. (§ 81). 32 Hegel, EL, S. 183 (§ 92). In der Naturphilosophie wird von Hegel die logische Notwendigkeit des Todes und die Ewigkeit bzw. Unsterblichkeit des Geistes wie folgt exponiert: „Die Individualität kann ihr Selbst nicht so verteilen, weil es nicht ein allgemeines ist. In dieser allgemeinen Unangemessenheit liegt die Trennbarkeit der Seele und des Leibes, während der Geist ewig, unsterblich ist; denn weil er, als die Wahrheit, selbst sein Gegenstand ist, so ist er von seiner Realität untrennbar, – das Allgemeine, das sich selbst als Allgemeines darstellt.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zweiter Theil: Naturphilosophie, hg. von Karl Ludwig Michelet, Berlin 1842, in Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, hg. von Philipp Marheineke et al., Bd. VII, Abt. 1, Berlin 1842, S. 692 (§ 375). 33 Vgl. Hegel, EL, S. 184–186 (§§ 93–94.). In diesem Kontext wird auch das ethisch deduzierte Unsterblichkeitspostulat erörtert: „Die kantsche und die fichtesche Philosophie sind rücksichtlich des Ethischen auf diesem Standpunkt des Sollens stehengeblieben. Die perennierende Annäherung an das Vernunftgesetz ist das Aeußerste, wozu man auf diesem Wege gelangt. Man hat dann auf dieses Postulat auch die Unsterblichkeit der Seele begründet.“ Hegel, EL, S. 186 (§ 94).

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Standpunkt des abstrakten und endlichen Verstandesdenkens, als auch jenen des dialektischen oder negativ-vernünftigen Denkens überwinden und stattdessen zum spekulativen oder positiv-vernünftigen Denken – das auch als „mystisch“34 bezeichnet wird – übergehen. Dieser Übergang kommt in Hegels Sprachgebrauch dadurch zum Ausdruck, dass er den negativen Verstandesbegriff der Unsterblichkeit meist beiseite lässt und ihren Inhalt in den Begriff der Ewigkeit aufhebt. Der Geist ist ewig, und das ist eine der höchsten Ausdrucksformen seines Wesens. Die Frage ist demnach nicht, ob es bei Hegel die Unsterblichkeit an sich gibt, denn diese ist zweifellos unter den Begriff der Ewigkeit subsumiert, sondern vielmehr, wie sich das Individuum, der endlich-subjektive Geist zum absoluten, ewigen Geist verhält. Anders gefragt: Was ist der ontologische Status des Individuums? In der Philosophie des Geistes behauptet Hegel, die Seele sei endlich, „in sofern sie unmittelbar oder von Natur bestimmt ist“35; der Geist „dagegen ist – seinem Begriffe oder seiner Wahrheit nach –, unendlich oder ewig, in diesem concreten und realen Sinne, daß er in seinem Unterschiede absolut mit sich identisch bleibt. Darum muß der Geist für das Ebenbild Gottes, für die Göttlichkeit des Menschen erklärt werden.“36 Wie ist nun aber die Endlichkeit des subjektiven Geistes im spekulativen Sinn zu verstehen? Nach Hegel darf diese Endlichkeit „nicht für etwas absolut Festes gehalten [werden], sondern muß als eine Weise der Erscheinung des nichts destoweniger seinem Wesen nach unendlichen Geistes erkannt werden. Darin liegt, daß der endliche Geist unmittelbar ein Widerspruch, ein Unwahres – und zugleich der Prozeß ist, diese Unwahrheit aufzuheben. Dies Ringen mit dem Endlichen, das Ueberwinden der Schranke, macht das Gepräge des Göttlichen im menschlichen Geiste aus und bildet eine nothwendige Stufe des ewigen Geistes […]. Es ist der unendliche Geist selber, der sich als Seele, wie als Bewußtsein sich selbst voraussetzt und dadurch verendlicht, aber ebenso diese selbstgemachte Voraussetzung, – diese Endlichkeit – […] als aufgehoben setzt.“37 Die dialektische Verwendung der Kategorie Aufhebung scheint in Hegels Psychologie ebenso den Schlüssel zur Lösung wie den Kern des Problems zu bilden. Wenn nämlich der endlich-subjektive Geist nur unsterblich bzw. ewig gedacht werden kann, indem er im dialektischen Prozess des unendlich-abso-

34 Hegel, EL, S. 159f. (§ 82). 35 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Dritter Theil: Die Philosophie des Geistes, hg. von Ludwig Boumann, Berlin 1845 (im Folgenden: EPhG). In Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, hg. von Philipp Marheineke et al., Bd. VII, Abt. 2, Berlin 1845, S. 290f. (§ 441). 36 Hegel, EPhG, S. 292 (§ 441). 37 Ebda., S. 293 (§ 441).

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luten Geistes aufgehoben ist und sich als Wissen realisiert, dann stellt sich notwendigerweise die Frage, wie die Individualität des subjektiven Geistes in diesem System als positiv aufbewahrt gedacht werden kann, oder – mit anderen Worten – was die affirmative Seite der Aufhebung in dieser Hinsicht ausmacht. Bilden die Individualität und die Endlichkeit der Seele bloß aufzuhebende, negative Momente im Prozess der Selbstsetzung des absoluten Geistes? Wie lassen sich die Irreduzibilität und Unbedingtheit der menschlichen Persönlichkeit im Rahmen dieses Systems überhaupt denken? Fest steht jedenfalls, dass das Allgemeine im gesamten System die Wahrheit und Erfüllung des Individuellen darstellt, dagegen scheint die Frage offen zu bleiben, ob und inwiefern sich die geistige Individualität als solche in der dialektischen Erhebung zur Einheit mit dem Absoluten selbst bewahren kann oder nicht.38 Die Interpretationsmöglichkeiten, die sich durch diese dialektische Schwebe und durch die Ambivalenz der Hegelschen Position in dieser Frage eröffnen, wurden in der Zeit der Spaltung der Schule in ihrer ganzen Breite ausgenutzt und spielten auch in der Unsterblichkeitsdebatte jener Zeit eine bedeutende Rolle.

1.2.2 Die Ewigkeit des Geistes: Die spekulative Deutung der Unsterblichkeit in den religionsphilosophischen Vorlesungen Obwohl Hegel in der Einleitung seiner Vorlesungen über die Philosophie der Religion konsequent von einer inhaltlichen Identität von Religion und Philosophie ausgeht, betont er zugleich auch ihre formale Verschiedenheit: Ihr Unterschied liege in der „Eigentümlichkeit der Beschäftigung mit Gott.“39 Diese Formdifferenz, die sich auf alle religiösen Inhalte, so auch auf die Unsterblichkeit bezieht, lässt sich formal als das Verhältnis der religiösen Vorstellung zum philosophischen Begriff ausdrücken. Wenn „die Natur des Inhalts ist, nur im Denken in seiner wahrhaften Weise zu sein“40, dann kann das adäquate Verständnis der religiösen Inhalte innerhalb der Sphäre des religiösen Denkens selbst keineswegs erreicht werden, vor allem da für dieses Denken die unmittelbaren, sinnli-

38 Auch wenn Hegels diesbezügliche Position nicht frei von Unklarheiten ist, scheint es mir gewissermaßen bezweifelbar, seine Auffassung einfach als Leugnung der individuellen Unsterblichkeit zu interpretieren, wie in Tamara Monet Marks gründlicher und aufschlussreicher Studie behauptet wird: “His [d.h. Hegels] concept of immortality denies individual post-mortem existence.” Tamara Monet Marks, “Kierkegaard’s ‘New Argument’ for Immortality”, Journal of Religious Ethics, 2010, S. 147. 39 Hegel, VPhR1, S. 64 (29.44). 40 Hegel, VPhR1, S. 290 (105.Q).

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

chen Formen der Erkenntnis – Gefühl und Vorstellung – konstitutiv sind. Diese (subjektiven und objektiven) Formen des unmittelbaren Bewusstseins sind gleichermaßen ungeeignet, den absoluten Inhalt der Religion zu begreifen. Der immanente Widerspruch des religiösen Bewusstseins liegt – will man es in aller Kürze zusammenfassen – darin, dass die Form des religiösen Denkens seinem absoluten Inhalt unangemessen ist. Nach Hegel ist die spekulative Philosophie im Grunde genommen nichts anderes als die Aufhebung dieses Widerspruchs und zwar damit, dass in ihr derselbe absolute Inhalt in der entsprechenden Form des spekulativen Begriffes erfasst wird.41 Die Philosophie ist in diesem Sinne die Wahrheit der Religion.42 Diese Konzeption gilt als das Grundprinzip der spekulativen Deutung der geschichtlichen Formen der Religion und ihrer Unsterblichkeitsauffassungen. Obwohl es einige Differenzen zwischen den Religionstypologien in den verschiedenen Fassungen von Hegels religionsphilosophischen Vorlesungen gibt, zeigt sich deutlich, dass der Unsterblichkeitsglaube in engem Zusammenhang mit der Auffassung von Subjektivität und Gott steht. Solange nämlich das Absolute nur als Substanz und nicht zugleich als Subjekt gedacht wird, kann die Idee einer persönlichen Unsterblichkeit nicht auftreten. Es ist deshalb kein Zufall, dass die nach Hegel echte Auffassung der Unsterblichkeit erst im westlichen Denken erscheint, weil das Denken dort in die Subjektivität niedergeht.43 Im Kapitel „Die bestimmte Religion“ der Vorlesung aus dem Jahr 1824, das die Entwicklungsstufen der Religion nachzeichnet taucht deshalb auf der ersten Stufe der Naturreligionen, in der Religion der „Zauberei der Eskimos“ ein im Hegelschen Sinne echtes Verständnis von Unsterblichkeit gar nicht auf: „Von Unsterblichkeit der Seele, von Ewigkeit des Geistes, von dem Anundfürsichsein des einzelnen Geistes hatten sie […] keine Vorstellung.“44 Bereits auf der Stufe der

41 „Die Philosophie tut nichts anderes, sie verwandelt nur unsere Vorstellung in Begriffe; der Inhalt bleibt immer derselbe.“ Hegel, VPhR1, S. 292 (110.Q). 42 Bezüglich dieses Standpunktes wurden methodisch naive, triviale Vorwürfe formuliert, die behaupteten, Hegel stelle seine Lehre über das Christentum und sich selbst über die Apostel, ja über Christus. Vgl. in diesem Sinne z.B. Hülsemann, Ueber die Hegelsche Lehre oder: absolutes Wissen und moderner Pantheismus, Leipzig 1829, S. 187, S. 210. 43 „Wie im Westen die Sonne niedergeht, so geht dort auch der Mensch nieder in sich, in seine Subjektivität.“ Hegel, VPhR2, S. 469. 44 Hegel, VPhR2, S. 178. Hegel hebt in seiner Vorlesung aus dem Jahr 1831 hervor, dass es auch im Judentum keinen Unsterblichkeitsglauben gebe, was mit dem Fehlen des subjektiven Freiheitsbewusstseins zusammenhänge: „Eben weil der subjektive Geist darin zu keiner Freiheit kommt, so findet sich auch keine Unsterblichkeit, sondern das Individuum geht auf in dem Zwecke des Jahwedienstes, der Erhaltung der Familie und des langen Lebens im Lande.“ Hegel, VPhR2, S. 628.

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Staatsreligion des chinesischen Reiches erscheint aber der Gedanke, dass sich die Seele auch im Tod in einer bestimmten Form erhält: „die Seelen der Verstorbenen existieren zwar auch, überleben die Abscheidung vom Körper, aber sie gehören auch zur Welt, und der Kaiser regiert auch über sie, setzt sie in ihre Ämter ein und ab.“45 Noch innerhalb der chinesischen Religion, in der Lehre des Dao gibt es dann eine höhere Form des Unsterblichkeitsbewusstseins, die die Rückkehr des Bewusstseins in sich selbst repräsentiert. Im Dao haben die Menschen, die in Gedanken in das Innere zurückgehen zugleich die Absicht, unsterblich und reine Weise zu sein.46 Diese Stufe bildet den Übergang zur zweiten Form der Naturreligion, zu der Religion des Insichseins. Auf dieser zweiten Stufe der Naturreligion in der Lehre des Fo tritt das Dogma von der Seelenwanderung auf. Das ist ein höherer Standpunkt als jener des Dao, dessen Anhänger sich unsterblich machen wollten. Im Fo wird gewusst, dass der Seele eine Wesenhaftigkeit zukommt, „es wird gewusst, dass sie unsterblich ist, dies in sich hat, rein zu existieren, rein in sich zu sein“.47 Der Standpunkt des Fo ist deshalb einseitig, weil hier die Weise der Existenz der Seele noch nicht als reine Geistigkeit sondern als sinnliche Unmittelbarkeit gedacht wird. Dieser Gedankengang durchzieht die Vorlesungen von 1827, so dass schließlich die Negativität aller bisherigen Standpunkte behauptet wird: „In China, in Indien finden wir jenes Fortleben, jenes Metamorphosieren, aber es ist […] die indische Unsterblichkeit selbst nur etwas Untergeordnetes, Unwesentliches. Die Höchste ist dort nicht eine Affirmation, Fortdauer, sondern Nirvana, ein Zustand der Vernichtung des Affirmativen, ein affirmativ Scheinendes, ähnlich mit Brahm zu sein.“48 Die auf der Stufe der Religionen des Übergangs stehende ägyptische Religion bildet einen bedeutenden Fortschritt in der Entwicklung des Unsterblichkeitsbewusstseins. Der Unsterblichkeitsglaube tritt nämlich erst hier, auf der Stufe der geistigen Individualität und Subjektivität hervor: Osiris ist ein Herrscher der Toten, die aber nicht im Sinnlichen, Natürlichen gesetzt sind, sondern darüber für sich dauern. Das einzelne Subjekt ist in der ägyptischen Religion als ein dauerndes erfasst, dem Vergänglichen entnommen, vom Sinnlichen unterschieden: „Es ist darum ein höchst wichtiges Wort, das Herodot von der Unsterblichkeit sagt, dass die Ägypter zuerst ausgesprochen hätten, die Seele des Menschen sei unsterblich […]. Das Höchste des Bewußtseins ist die Subjektivität als solche; diese ist Totalität und vermag selbständig in sich zu sein […]. Diese Bestim-

45 Hegel, VPhR2, S. 447. 46 Hegel, VPhR2, S. 454. 47 Hegel, VPhR2, S. 466. 48 Hegel, VPhR2, S. 520.

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mung der Subjektivität, die objektiv ist und dem Objektiven, dem Gott zukommt, ist auch die Bestimmung des subjektiven Selbstbewusstseins in der Weise der Unsterblichkeit Dieses weiß sich als Subjekt, als Totalität und wahrhafte Selbständigkeit und damit unsterblich.“49 In der Erörterung der höheren Stufen der Religion, der Schönheit, Erhabenheit und Zweckmäßigkeit taucht die Unsterblichkeitsproblematik nur ziemlich sporadisch auf. Im Kontext der griechischen Religion wird behauptet, dass wer das „Bewußtsein der Unabhängigkeit hat, ist, wenn er stirbt, äußerlich wohl unterlegen, aber nicht besiegt, nicht überwunden.“50 In der jüdischen Religion zeigt sich dann, wie eng das Verständnis der Unsterblichkeit mit der Vorstellung Gottes als des Einen Herrn und mit seinem festen Dienst zusammenhängt. Im Dienste des Einen Herrn ist nämlich der Geist vollkommen festgehalten und deshalb ist hier keine Freiheit vorhanden. Hegels These unterstellt, die Juden haben genau wegen des Mangels an Freiheit eigentlich keinen Unsterblichkeitsglauben gehabt. Es ist hier „kein höher Zweck als der Dienst des Jehova, und für sich hat der Mensch den Zweck, sich und seiner Familie das Leben so lange als möglich zu erhalten.“51 Schließlich, in der Betrachtung der römischen Religion, die spekulativ die Einheit der beiden vorigen Religionen bildet, taucht die Unsterblichkeitsproblematik gar nicht auf. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass die römischen Götter keine freie Individualität, keinen rechten Sinn haben. „Es ist nicht dies Bewußtsein, dies Gefühl der Humanität, Subjektivität in ihnen, was in den Göttern wie im Menschen und im Menschen wie in den Göttern das Substantielle ist.“52 Hegel behauptet in seinem Manuskript über die „Vollendete Religion“, d.h. über das Christentum, in dem die Subjektivität einen unendlichen Wert besitzt, dass in ihm die Unsterblichkeit der Seele zu einer bestimmten Lehre wird: Die „Seele, die einzelne Subjektivität, hat eine unendliche, ewige Bestimmung – Bürger im Reiche Gottes zu sein; dies ist eine Bestimmung und Leben, das der Zeit und Vergänglichkeit entrückt ist, für sich, und indem es ihr zugleich entgegen, so bestimmt sich diese ewige Bestimmung als eine Zukunft der Unsterblichkeit.“53 So ist die Geschichte der Religion ebenso wie die Geschichte selbst ein Fortgang im Bewusstsein der Unsterblichkeit.

49 Hegel, VPhR2, S. 520. 50 Hegel, VPhR2, S. 556. 51 Hegel, VPhR2, S. 577, Fussnote. 52 Hegel, VPhR2, S. 585. „Jupiter ist nur das Herrschen, die besonderen Götter sind tot, leb-, geistlos, oder mehr entlehnt.“ Ebda., Fussnote. 53 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 3: Die vollendete Religion (im Folgenden: VPhR3), in Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Bd. 5, hg. von Walter Jaeschke, Hamburg 1984, S. 74.

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Nun stellt sich die Frage, was den wahren, spekulativen Inhalt der religiösen Vorstellung der Unsterblichkeit ausmacht. Um dies zu klären, weist Hegel in seiner Vorlesung über die vollendete Religion aus dem Jahr 1824 vor allem auf den formalen Charakter dieses Begriffes hin: Obwohl die Unsterblichkeit ein formal negativer Begriff sei, dürfe sie trotz allem nicht als eine bloß äußere Möglichkeit aufgefasst werden; vielmehr sei sie im Grunde eine positive Seinsbestimmung, d.h. eine affirmativ bestimmte, gegenwärtige Qualität. In der religiösen Vorstellung von der Unsterblichkeit wird das Wissen um die Unendlichkeit und Ewigkeit des Geistes in einer begrifflich inadäquaten Form ausgedrückt. Der spekulative Inhalt der Unsterblichkeit sei keineswegs eine bloße unendliche Dauer endlicher Bestimmungen, noch weniger die Fortexistenz einer dinglich verstandenen Seele, sondern im Wesentlichen Wissen.54 Dieser Aspekt des Hegelschen Unsterblichkeitsverständnisses wird im Kontext der spekulativen Deutung des Sündenfalls in seiner Vorlesung aus dem Jahr 1827 noch pointierter ausgeführt: „Die Sache ist nun überhaupt diese, daß der Mensch unsterblich ist nur durch das Erkennen; denn nur als denkend ist er keine sterbliche, tierische, sondern eine reine, freie Seele. Das Erkennen, Denken ist die Wurzel seines Lebens, seiner Unsterblichkeit als Totalität in sich selbst.“55 Anders gesagt: Die spekulative Wahrheit und Aufhebung der religiö-

54 „Sterblich heißt etwas, was sterben kann; unsterblich ist das, was in den Zustand kommen kann, daß das Sterben nicht eintritt. Verbrennlich und unverbrennlich – da ist das Brennen nur eine Möglichkeit, die äußerlich an den Gegenstand kommt. Die Bestimmung von Sein ist nicht so eine Möglichkeit, sondern affirmativ bestimmte Qualität, die es jetzt schon an ihm hat. So muß bei der Unsterblichkeit der Seele nicht vorgestellt werden, daß sie erst späterhin in Wirklichkeit träte; es ist gegenwärtige Qualität; der Geist ist ewig, also deshalb schon gegenwärtig; der Geist in seiner Freiheit ist nicht im Kreise der Beschränktheit; für ihn als denkend, rein wissend ist das Allgemeine Gegenstand; dies ist die Ewigkeit. Ewigkeit ist nicht bloße Dauer, sondern Ewigkeit ist Wissen, und Wissen dessen, was ewig ist.“ Hegel, VPhR3, S. 140. Dies wird auch von dem führenden Hegelianer Michelet bestätigt: „Schärfer setzt Hegel in meinem Hefte über Religionsphilosophie, das ich im Sommer 1824 nachschrieb, hinzu: ‚Ewigkeit ist nicht bloße Dauer, wie die Berge dauern; sondern sie ist Wissen. Diese Ewigkeit ist nun das, was der Geist an sich ist.‘ Ewig ist also allein das Denken, nicht der Leib und was mit dessen Individualität zusammenhängt.“ Carl Ludwig Michelet, Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel, Bd. 1–2, Berlin 1837–1838, Bd. 2, S. 639. 55 Hegel, VPhR3, S. 227. In Hegels Deutung der platonischen Unsterblichkeitslehre wird auch diese Seite akzentuiert, zugleich wird aber ihre Verschiedenheit von der christlichen Auffassung hervorgehoben: „Bei Plato hingegen ist die Bestimmung der Unsterblichkeit der Seele von großer Wichtigkeit, insofern das Denken nicht Eigenschaft der Seele ist, sondern ihre Substanz, so daß die Seele dies selbst ist […]. Das Denken nun ist die Tätigkeit des Allgemeinen; das Allgemeine aber ist nicht als Abstraktum, ist das Sichinsichselbstreflektieren, das Sichsichgleichsetzen […]. Die Unsterblichkeit hat so bei Plato nicht das Interesse, was sie bei uns in religiöser Rücksicht

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sen Vorstellung von der Unsterblichkeit ist das an und für sich seiende Selbstbewusstsein des Geistes. Die Tätigkeit des endlichen Geistes, sich denkend zum Allgemeinen und zum Absoluten zu erheben, ist identisch mit der als Ewigkeit des Geistes verstandenen Unsterblichkeit. Die Freiheit und Abgeschiedenheit des Geistes, welche in gnoseologischer Hinsicht im Akt der Abstraktion zum Ausdruck kommen, führen ebenfalls zur Vorstellung der Unsterblichkeit. „Es ist dies das wesentliche Moment der Abgeschiedenheit des Geistes, daß ich von allem Unmittelbaren, allem Äußerlichen abstrahieren kann. Diese Abgeschiedenheit ist der Zeitlichkeit, der Veränderung und dem Wechsel des Weltwesens, dem Übel und der Entzweiung entnommen, und als die Absolutheit des Selbstbewußtseins ist sie in dem Gedanken von der Unsterblichkeit der Seele vorgestellt.“56 Aus diesem knappen Überblick geht hervor, dass Hegel die Unsterblichkeit der Seele in seinem Denken keineswegs ignoriert hat, wenngleich ihre explizite Erörterung keinen integralen Teil des Systems bildete. Die Grundlage dafür wurde von Hegel durch die spekulative Behauptung der Aufhebungsbedürftigkeit dieser Vorstellung hinreichend bestätigt. Allerdings war die Notwendigkeit dieses Hegelschen Standpunktes nicht nur für das allgemeine Bewusstsein, sondern auch für die Schüler Hegels nicht vollkommen evident. Einer einschlägigen Anekdote zufolge habe Hegel, als er von seiner Frau gefragt wurde, was er von der Unsterblichkeit halte und ob er an sie glaube, schweigend auf die Bibel gedeutet.57 Wie seine Frau dieses Schweigen verstand, wissen wir nicht. Hegels Lakonismus trug aber zweifellos dazu bei, dass das Verhältnis seines Denkens zum Christentum sowohl außerhalb als auch innerhalb der Schule heftig umstritten war.58 Welche Folgen diese Diskussion im deutschen und dänischen Geistesleben zeitigte, wird im Folgenden untersucht.

hat. Sie hängt bei Plato mit der Natur des Denkens, mit der inneren Freiheit des Denkens zusammen.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Bd. II, hg. von Karl Ludwig Michelet, Berlin 1833, in Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Verewigten, Bd. 14, Berlin 1833, S. 208. 56 Hegel, VPhR1, S. 105. 57 Jacques Choron, Der Tod im abendländischen Denken, Stuttgart 1967, S. 161. 58 Laut Feuerbachs charakteristischem Standpunkt ist Hegel eher ein neuplatonischer als ein christlicher Denker: „Was in den Neuplatonikern Vorstellung, Phantasie ist, das hat Hegel nur in Begriffe verwandelt, rationalisiert. Hegel ist nicht der ‚deutsche oder christliche Aristoteles‘ – er ist der deutsche Proclus.“ Ludwig Feuerbach, „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“, in Philosophische Kritiken und Grundsätze, Leipzig 1846, in Sämmtliche Werke, Bd. II, Leipzig 1846, S. 316. Hinsichtlich der Unsterblichkeitsproblematik stellt der Jenaer Philosophieprofessor und Hegel-Kritiker Bachmann kategorisch fest: „Nach den Prinzipien und der Methode des Systems, in welchem die logische Idee das allein Ewige, der Anfang wie das Ende von allem ist, konnte freilich die Unsterblichkeit der Seele, d.i. die Fortdauer unseres individuellen Wesens nach dem

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1.3 Der status questionis in Hegels letzten Jahren in Berlin Nennenswert aus dieser Periode59 ist vor allem die theologische Rezeption des Hegelschen Systems und seiner Methode durch Philipp Konrad Marheineke (1780–1846), der in der Eschatologie der zweiten Auflage seiner Christlichen Dogmatik (1827) eindeutig die Hegelsche Methodologie fruchtbar macht.60 Marheineke unterscheidet zwischen drei Stufen des Unsterblichkeitsbewusstseins, die offensichtlich den Hegelschen Kategorien der Unmittelbarkeit, Vermittlung (Reflexion) und vermittelten Unmittelbarkeit (die Aufhebung und spekulative Einheit der beiden Momente) entsprechen. Im sinnlichen Bewusstsein wird die Lehre von der Unsterblichkeit der Subjektivität „der Unendlichkeit von menschlicher Meinungen und Vorstellungen preisgegeben.“ Auf dieser Stufe wird nicht der Geist für das Prinzip der Unsterblichkeit gehalten, sondern die Seele – „obgleich die Einheit oder das Band des Geistes und Leibes, welches sie selber ist, im Tode sich löset“.61 Das abstrakte Bewusstsein bildet die zweite Stufe des Verständnisses der Unsterblichkeit. Zwar ist hier die Idee der Unsterblichkeit „aus der sinnlichen Vorstellung heraus, in das reine Element des Denkens gelangt; aber sie ist nur eine sogenannte Idee, von der nichts Näheres zu wissen und somit auch als Idee nur die vorgestellte, nicht die begriffene, nicht die Idee der gewußten Wahrheit und somit auch keine wahre Idee.“62 Diese Stufe ist das als eine rein moralische Forderung aufgefasste Kantsche Postulat der Unsterblichkeit, bei dem es nur um ein rein formales Prinzip der praktischen Vernunft und nicht um das Sein geht, weshalb auch dieser Standpunkt zu überwinden ist. In der christlichen Religion (die die dialektische Einheit der beiden aufgehobenen Momente bildet) „ist ebenso sehr über das sinnliche, wie über das abstracte Denken hinausgegangen“.63 Das

Tode, mit persönlichem Bewußtseyn, nicht wohl eine passende Stelle finden, allein man hätte doch erwarten können, daß Hegel den Muth würde gehabt haben, über dieses Problem sich offen auszusprechen, und zu gestehen, daß er die Unsterblichkeit leugne.“ Carl Friedrich Bachmann, Ueber Hegel’s System und die Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der Philosophie, Leipzig 1833, S. 309. 59 Jaeschke bestimmt die erste Phase des Streites um die Christlichkeit der Philosophie Hegels für die Jahre 1828–1831. Die religionsphilosophischen Vorlesungen waren in dieser Zeit noch nicht erschienen, und Hegel selbst war darum bemüht, daß nachgeschriebene Kolleghefte nicht in falsche Hände gelangten. Siehe Walter Jaeschke, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart und Bad Cannstatt 1986, S. 372. 60 Philipp Konrad Marheineke, Die Grundlehren der christlichen Dogmatik als Wissenschaft, Zweite, völlig neu ausgearbeitete Auflage (im Folgenden: GD), Berlin 1827, S. 384–387 (§ 597–601). 61 GD, 385 (§ 598). 62 GD, 385 (§ 599). 63 GD, 386 (§ 600).

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Ansichsein der Unsterblichkeit des menschlichen Geistes ist seine Unsterblichkeit „in seinem innern und notwendigen Verhältnis zum Göttlichen.“ Ihr Für sich Sein ist das Unsterblichkeitsbewusstsein selbst, welches einerseits „durch die Wahrheit und Wirklichkeit des subjektiven Geistes, andererseits des objectiven Geistes oder durch Jesum Christum“64 vermittelt ist. Deshalb impliziert die christliche Religion in Marheinekes theologischem System die einzige wahrhaftige und wirkliche Überzeugung von der Unsterblichkeit des Geistes.65 Gegenüber dieser positiven und schöpferischen theologischen Rezeption von Hegels Methode erhob sich bereits zwei Jahre später eine harte, theologisch interessierte Kritik am Hegelschen System und seiner Unsterblichkeitskonzeption. Obwohl die offene Debatte über das Verhältnis des Hegelschen Systems zur christlichen Eschatologie erst nach Hegels Tod (1831) ausgebrochen war,66 hat sich die Frage nach dem Status der persönlichen Unsterblichkeit in seiner Philosophie bereits im Jahre 1829 aufgedrängt. K. E. Schubart und K. A. Carganico haben in ihrem Buch Ueber Philosophie überhaupt und Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere gegen Hegel explizit den Vorwurf erhoben, dass er in seinen Lehrzusammenhängen die persönliche Unsterblichkeit leugne. Ihnen zufolge ist es wohl kein Zufall, dass das Problem der Unsterblichkeit in Hegels System unerwähnt bleibt: Die Unvergänglichkeit und ewige Dauer des absoluten Geistes habe nämlich mit der christlichen Unsterblichkeit der Seele gar nichts zu tun.67 Auf diese scharfe Kritik hat Hegel sofort im selben

64 GD, 386 (§ 600). 65 Zu Schleiermachers und Marheinekes theologischer Unsterblichkeitskonzeption siehe Ferdinand Christian Baur, Vorlesungen über die christliche Dogmengeschichte, Bd. III, Leipzig 1867, S. 628–634. Nach Schleiermacher haben die sogenannten Vernunftbeweise für die Unsterblichkeit keine Beweiskraft, weil sie auf unerweislichen Voraussetzungen beruhen. Es läßt sich auch nicht behaupten, daß mit unserem Gottesbewußsein zugleich auch der Glaube an unsere Unsterblichkeit schon gegeben ist. In Schleiermachers Theologie schließt der Glaube an den Erlöser auch den Glauben an die persönliche Fortdauer aller einzelnen menschlichen Seelen in sich: Weil und insofern der Erlöser unsterblich ist, sind es auch alle anderen. Siehe Baur, Vorlesungen über die christliche Dogmengeschichte, Bd. III., S. 628–631. 66 Es ist in diesem Kontext daran zu erinnern, daß sich die Thematisierung der Unsterblichkeitsproblematik in dieser Periode keineswegs auf die Hegelsche Schule beschränkt hat; viele bedeutende Werke entstanden nämlich zu diesem Thema auch von Verfassern, die ihre Konzeptionen unabhängig von Hegels System ausgearbeitet haben. Vgl. z.B. Franz Baader, Über den christlichen Begriff der Unsterblichkeit, Würzburg 1835; Bernhard Bolzano, Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele, Sulzbach 1827 (2. Aufl. 1838, mit einer kritischen Übersicht der diesbezüglichen Literatur seit 1827). 67 „Kein Wunder, daß Hr. Hegel solchen Widerspruch zu vermeiden sucht, indem er den Begriff der Unsterblichkeit in seinem Systeme ganz unerwähnt läßt. Wir haben denselben wenigstens nirgends gefunden. Allerdings liegt in dem Begriffe des absoluten Geistes, zu welchem sich die

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Jahre in einer noch schärferen Rezension in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik reagiert. In seiner Entgegnung, schneidend und indigniert, nutzt er dennoch nicht die Gelegenheit, die Übereinstimmung seiner Konzeption mit der christlichen Unsterblichkeitslehre nachzuweisen und damit den Grund der an ihn gerichteten Kritik direkt und definitiv auszuräumen.68 So bleibt die heikle Frage offen, die später zum Ausbruch der Unsterblichkeitsdebatte innerhalb der Schule führte.69 Im darauffolgenden Jahr veröffentlicht der junge, ehemalige Hegel-Student Ludwig Feuerbach (1804–1872) anonym seine Erstlingsschrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit70, in der er die christliche Lehre der individuellen Unsterb-

logische Idee hinaufarbeitet, die unvergängliche und ewige Dauer desselben involviert. Daß Dies aber nicht die Unsterblichkeit des allgemeinen Bewußtseyns der besseren Menschheit, und noch weniger die jenseitige Fortdauer nach der christlichen Lehre ist, das bedarf wohl keines Beweises.“ K. E. Schubart und K. A. Carganico, Ueber Philosophie überhaupt und Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere. Ein Beitrag zur Beurtheilung der letztern, Berlin 1829, S. 147. 68 „Die widrigste Seite der Schrift ist leider endlich auch noch zu erwähnen: der traurige Kitzel des Verfassers, launig und spaßhaft zu tun. Es mag das eine Beispiel von dieser abgeschmackten Sucht erwähnt werden, wo sie ihn bei der Lehre von der Unsterblichkeit befällt. Diese Lehre ist außer den politischen Insinuationen diejenige, die am häufigsten gebraucht zu werden pflegte, um auf eine Philosophie Gehässigkeit zu werfen. Für den Verfasser – er findet die erwähnte Lehre nicht in der Philosophie, die er zu betrachten vorgibt – ist es nicht vorhanden, daß in dieser Philosophie der Geist über alle Kategorien, welche Vergehen, Untergang, Sterben usf. in sich schließen, erhoben wird, unabgesehen anderer, ebenso ausdrücklicher Bestimmungen; es mag die Lehren des Christentums etwa in der Form des Katechismus erkennen, aber das Philosophische und derselbe Inhalt, wenn er in philosophischer Form ist, existiert nicht für ihn.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Ueber Philosophie überhaupt und Hegels Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften insbesondere. Ein Beitrag zur Beurtheilung der letztern, von Dr. K. E. Schubart und Dr. K. A. Carganico, Berlin, 1829, in der Enslin’schen Buchhandlung,“ in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1829, Bd. II., Dezember, Nr. 117–120, 936–960. Zitiert aus Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke, Bd. 11., Frankfurt 1979, S. 464f. 69 Hegels persönliche Einstellung zur Unsterblichkeitsproblematik läßt sich ganz plastisch durch eine Anekdote erhellen. Laut Choron hat Hegel, als er von seiner Frau gefragt wurde, was er von der Unsterblichkeit halte und ob er daran glaube, schweigend auf die Bibel gedeutet. Jacques Choron, Der Tod im abendländischen Denken, Stuttgart 1967, S. 161. 70 [Feuerbach, Ludwig], Gedanken über Tod und Unsterblichkeit us den Papieren eines Denkers, nebst einem Anhang theologisch-satyrischer Xenien, herausgegeben von einem seiner Freunde, Nürnberg 1830, in Ludwig Feuerbach. Gesammelte Werke (im Folgenden: LFGW), Bd. I., hg. von Werner Schuffenhauer, Berlin 1980, S. 177–515. Bemerkenswerterweise taucht Feurbachs Name in Møllers Darlegung der Unsterblichkeitsdebatte gar nicht auf. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass es eigentlich nicht seine Konzeption sondern jene von Friedrich Richter war, welche direkt zur Debatte geführt hat. Bei Kierkegaard findet sich auch kein Hinweis auf Feuerbachs

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lichkeit offen bestreitet.71 Er hatte bereits in seiner – auch an Hegel versandten – Inauguraldissertation De ratione una, universali et infinita (Erlangen, 1828) die Unsterblichkeit in Abgrenzung zur christlichen Religion begriffen, indem er die Unsterblichkeit als jene Möglichkeit der Vernunft auffasst, durch welche der Mensch sich als denkendes Wesen zur Gattung zusammenschließe. Im Denken ist das Individuum keine selbstständige und besondere, sondern eine allgemeine Person. Darin gründet eine Gleichheit, die im Tod eines jeden Individuums ihren höchsten Ausdruck findet, darin sich die Gattung offenbart und das Allgemeine bestehen bleibt, während das Einzelwesen aufgehoben wird.72 Auch in den Gedanken verliert das Endliche und Bestimmte seinen festen Bestand. Gott ist das Unendliche, als solches Negation des Endlichen und Grund der Zeitlichkeit und Vergänglichkeit der Individuen.73 In der geschichtlichen Analyse des Werkes wird darauf hingewiesen, dass die übertriebene Forderung, sich als Einzelner zur Unsterblichkeit zu bringen, eigentlich zur Modernität – besonders zum Protestantismus und Pietismus – gehört.74 Laut der prophetischen Deklaration des jungen Feuerbach kann „demjenigen, der die Sprache versteht, in welcher der Geist der Weltgeschichte redet, […] die Erkenntnis nicht entgehen, daß unsre Gegenwart der Schlußstein einer großen Periode in der Geschichte der Menschheit ist und der Anfangspunkt eines neuen geistigen Lebens.“75 In diesem neuen, geistigen Leben ist der Tod für den Menschen kein Scheintod mehr, sondern das wahrhafte und wirkliche Lebensende des Individuums.76 Zugleich ist dieser Tod ein mystisches Eins Werden mit Gott: „Der natürliche Tod, wie deine denkende Ergebung und bewußte Versenkung in Gott, hat eine Wurzel gemeinschaftlich,

Gedanken, obwohl er mit Feuerbachs Auffassung von der Identität der menschlichen Gattung mit Gott vertaut war, er hat sie sogar scharf kritisiert. Vgl. SKS 10, 221 / CR, 229; SKS 16, 67 / SS, 84. 71 Wie bereits erwähnt wurde, bedeutete diese Schrift für ihn nicht nur einen wichtigen Schritt in Richtung einer liberalen, religionskritischen Hegel-Interpretation, sondern (nachdem seine Verfasserschaft enthüllt wurde) auch den endgültigen Abbruch seiner akademischen Laufbahn. Vgl. Van A. Harvey, Feuerbach and the Interpretation of Religion, Cambridge 1997, S. 113. 72 Für den jungen Feuerbach ist das Denken „das absolute Wesen des Menschen. Das Wesen der Individuen existiert aber von ihnen gesondert und getrennt, sofern sie Individuen sind, die einen von den anderen geschieden.“ Ludwig Feuerbach, Über die eine, allgemeine, unendliche Vernunft, in LFGW, Bd. I, S. 91. 73 Zur Interpretation des Werkes siehe: Hans-Jürg Braun, Die Religionsphilosophie Ludwig Feuerbachs. Kritik und Annahme des Religiösen, Stuttgart und Bad Cannstatt 1972, S. 44–55. 74 „Das Charakteristische des modernen Zeitalters überhaupt ist, daß in ihm der Mensch als Mensch, die Person als Person, und damit das einzelne menschliche Individuum für sich selber in seiner Individualität, für göttlich und unendlich erkannt wurde.“ LFGW, Bd. I, 189. 75 LFGW, Bd. I, 196f. 76 LFGW, Bd. I, 199.

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hat die ursprüngliche, die wesentliche, die vor- und überbewußtliche Versenkung und Auflösung in Gott zur Quelle. Nach dem Tode kannst du also nichts mehr erwarten; denn er erfolgt eben aus dem, was du irrig nach ihm erwartest.“77 In dem Kapitel „Der christliche Himmel oder die persönliche Unsterblichkeit“ seines späteren Hauptwerkes Das Wesen des Christentums78 betont Feuerbach, dass „der Christ den Unterschied zwischen Seele und Person, Gattung und Individuum aufhob, unmittelbar in sich selbst daher setzte, was nur der Totalität der Gattung angehört. Aber die unmittelbare Einheit der Gattung und Individualität ist eben das höchste Prinzip, der Gott des Christentums – das Individuum hat in ihm die Bedeutung des absoluten Wesens – und die nothwendige, immanente Folge dieses Princips eben die persönliche Unsterblichkeit.“79 Feuerbachs philosophische Entwicklung hat von seiner frühen Hegelianischen Position bis zur späten naturalistisch-materialistischen Religionsauslegung einen markanten Weg durchlaufen, allerdings ist das Primat des Allgemeinen, der Gattung vor dem Individuum, worin er den Grundgedanken der Hegelschen Philosophie gesehen hat, ständiges Element seiner Konzeptionen geblieben. Bemerkenswert ist ferner, dass Feuerbachs Hegelianische Erstlingsschrift in ihrer Zeit auf keine besondere Aufmerksamkeit gestoßen ist.80 Mögliche Erklärungen dieses Umstandes weisen vor allem darauf hin, dass der junge Feuerbach Formdifferenz und Konflikt der religiösen Vorstellung der Unsterblichkeit und ihres spekulativen, philosophischen Begriffes noch nicht explizit hervorhob, andererseits darauf, dass zur Zeit der Erscheinung seiner Erstlingsschrift Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion noch nicht publiziert wurden (die genau die zentralen Unsterblichkeits-Textstellen enthalten) und so die damals vorhandenen Quellen noch keine fundierte Kritik und Diskussion ermöglichten.81

77 LFGW, Bd. I, 206. 78 LFGW, Bd., V, 293–315. Am Anfang des Kapitels taucht der Ausdruck „Geschlechtsdifferenz“ auf, welcher auch in einem Hinweis auf Feuerbach im Kierkegaardschen Nachlass vorkommt. Siehe SKS 18, 206, JJ:208 / DSKE 2, 213. Vgl. LFGW, Bd. V, 293. 79 LFGW, Bd. V, 296. 80 Richter hat allerdings seine Zustimmung mit Feuerbach geäußert – und beide wurden von Bolzano mit der selben beißenden Kritik bedacht: „Das 1830 zu Nürnberg erschienene Buch Gedanken über Tod und Unsterblichkeit aus den Papieren eines Denkers können wir um so füglicher übergehen, da Hr. Richter demselben das Zeugnis ertheilt, darin ‚einen mit ihm durchaus einstimmigen Denker‘ getroffen zu haben. Ohnehin ist der wissenschaftliche Gehalt dieser ‚Gedanken‘, wo möglich noch geringer.“ [Bolzano], Anhang zur zweiten Auflage der Athanasia, S. 42. 81 Aus dem Jahre 1831 sind zwei relevante Werke zu nennen; keine von ihnen erörtert aber ausdrücklich Hegels System und seine Unsterblickeitskonzeption: K. H. E. Paulus, Ueber die Unsterblichkeit des Menschen und den Zustand des Lebens nach dem Tode, auf den Grund der

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1.4 Der Ausbruch der Debatte nach der Veröffentlichung von Hegels religionsphilosophischen Vorlesungen 1.4.1 Die Hegelsche Schule und die Anfänge der Kontroverse Bernard Bolzano beginnt die Erörterung der Folgen der Unsterblichkeitsdebatte innerhalb der Hegelschen Schule mit einer durchaus ironischen und wohl nicht unbegründeten Bemerkung, die die Situation der Schule nach Hegels Tod plastisch beschreibt: „Das Schlimme ist aber, daß wie alles Übrige, was dieser Weltweise [i.e. Hegel – I. Cz.] gelehrt, so auch seine Lehre von der Unsterblichkeit in ein so undurchdringliches Dunkel gehüllt ist, daß seine eigenen Schüler, diejenigen, die ihn viel hundertmal über diesen Gegenstand sprechen gehört, nicht einmal wissen, ob er die Fortdauer unserer Persönlichkeit behauptet oder bestritten habe.“82 Diese immanente Ambivalenz der Hegelschen Philosophie führte unvermeidlich zur Unsterblichkeitsdebatte, die in den darauffolgenden Jahren (zusammen mit dem Streit über die Persönlichkeit Gottes83 und über die spekulative Christologie) bald zu der expliziten Spaltung der Schule führte.84 Die erste Debatte wurde unmittelbar durch den Magdeburger Theologen Friedrich Richter (1807–1856)85 im Jahre 1833 ausgelöst.86 Richter trat als ein Prophet

Vernunft und göttlicher Offenbarung, Reutlingen 1831.; B.H. Blasche, Philosophische Unsterblichkeitslehre. Oder: Wie offenbart sich das ewige Leben?, Erfurt und Gotha 1831. 82 [Bolzano], Anhang zur zweiten Auflage der Athanasia, S. 24. 83 Michelet betont die wesentliche Zusammengehörigkeit der beiden Probleme: „Ich statuiere zwischen den beiden Fragen nicht nur eine substantielle Verwandtschaft; sondern ich halte sie beide sogar für absolut identisch, und für eine und dieselbe Frage.“ Karl Ludwig Michelet, Vorlesungen über die Persönlichkeit Gottes und Unsterblichkeit der Seele oder die ewige Persönlichkeit des Geistes, Berlin 1841, S. 8. 84 Zur Konzeption dieses Kapitels schöpfe ich wesentliche Einsichten sowohl aus Jon Stewarts persönlichen Anregungen als auch aus seinem wertvollen Artikel “Hegel’s Philosophy of Religion and the Question of ‘Right’ and ‘Left’ Hegelianism,” in Politics, Religion, and Art. Hegelian Debates, hg. von Douglas Moggach, Evanston, Illinois 2011 (Topics in Historical Philosophy), S. 66–95. 85 Richter war ein Student und Freund des Hegelianers Karl Rosenkranz, der sich kritisch zu Richters Auffassung verhielt: “He dismissed Richter’s prophetic activism as a product of psychological instability and insisted that the problem of the relationship between the religious representation and the philosophical concept was extremely complex and required more scientific study. In fact, Rosenkranz stated that the whole issue should be left in the realm of academic discussion and not related to the larger problem of general cultural charge at all.” Toews, Hegelianism, S. 163. 86 Zur Debatte siehe Johann Eduard Erdmann, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. I-II, Berlin 1866, Bd. II, S. 650–654.; Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, S. 361–436.; Carl Lud-

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und Reformator auf87 und behauptete in seinen populären Werken88, dass der Gedanke der persönlichen Unsterblichkeit im Rahmen der Hegelschen Philosophie keinen Platz finden könne und dass Hegel selbst die christliche Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele abgewiesen habe. Für Richter ist der persönliche Unsterblichkeitsglaube eine aufgehobene Idee, aufrechterhalten durch den religiösen Egoisten, der einer wahren religiösen Resignation unfähig sei: Diese Idee sei mit Wissenschaft und Philosophie nicht mehr vereinbar.89 Durch seine Ansichten forderte er den gemeinsamen Widerspruch der spekulativen Theisten Christian Hermann Weisse (1801–1866)90 und Immanual Hermann Fichte (1797– 1879)91 sowie des orthodoxen Hegelianers Karl Friedrich Göschel (1784–1861)92

wig Michelet, Geschichte der letzten Systeme der Philosophie in Deutschland von Kant bis Hegel, Bd. I-II, Berlin 1837–38, Bd. II, S. 638–645.; Wilhelm Stähler, Zur Unsterblichkeitsproblematik in Hegels Nachfolge, Münster 1928 (Universitas. Archiv für wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen, Heft 4.), S. 22–52. 87 „Denn allerdings habe ich den Einfall, dieses Buch zu schreiben, nicht erst von heute und gestern; sondern die neue Welt, die jetzt friedlich entstehen soll, steht in den großen und allgemeinen Zügen seit einigen Jahren fertig in mir; und wie ich mich in allen meinen bisherigen Schriften als Prophet und Reformator gebärdet habe: so denke ich auch in dieser Schrift, Gott geb’s! mir consequent zu bleiben.“ Friedrich Richter, Die Lehre von den letzten Dingen Bd. I, Eine wissenschaftliche Kritik aus dem Standpunct der Religion unternommen, Breslau 1833, S. 11. 88 Neben Die Lehre von den letzten Dingen veröffentlichte Richter: Die neue Unsterblichkeitslehre. Gespräch einer Abendgesellschaft, als Supplement zu Wielands Euthanasia, Breslau 1833. (im Folgenden: NU) Zu Kierkegaards Bemerkungen über Richters Auffassung siehe: SKS 19, 28, Not1:6; Pap. II C 28 (Bd. XIII, S. 111). 89 Wie Møller betont, ist für Richter der christliche Unsterblichkeitsglaube ein Vorurteil und ein Aberglaube, welcher verschwinden wird: „[D]en christelige Tro paa den personlige Udødelighed er en Fordom, der nu har varet sin længste Tid. Han [Richter] mener nemlig, at denne Sandhed forlængst har været en afgjort Sag blandt Mænd, der staae paa et videnskabeligt Standpunct, og at Tiden nu er kommen, da hiin Overtro ogsaa hos Mængden bør forsvinde for den consequent fremskridende Protestantismes Lys.“ TM, 159; siehe noch S. 194, 213, 237. Møller behauptet auch, dass Richters Abhandlung eine tiefe persönliche Überzeugung bezeigt. Vgl. TM, 159. 90 Weisse antwortet auf Richters Behauptungen mit einer Rezension in den Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik vom September 1833 und mit einer Monigraphie: Die philosophische Geheimlehre von der Unsterblichkeit des menschlichen Individuums Dresden 1834 (im Folgenden: PhG). Zu Kierkegaards Bemerkungen über Weisses Konzeption siehe: SKS 19, 274, Not9:1; SKS 27, 285, Papir 302. 91 Er bedient sich zur direkten Entgegnung der Blätter für literarische Unterhaltung Leipzig, Dezember 1833. Das wichtigste Organ der Verbreitung seines spekulativen Theismus war die von ihm herausgegebene Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie, mit der auch Kierkegaard vertraut war (Ktl. 877–911). 92 Seine Rezension zu Richters Die neue Unsterblichkeitslehre erschien in drei Artikeln in Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Januar 1834, Nr. 1–3, S. 1–4, 1–16, 1–21. Nach Göschels Urteil ist Richters Standpunkt einseitig und pantheistisch: „Die vorliegende Unsterblichkeitslehre wird

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

heraus. Richter betont, dass bei der Annahme des individuellen Fortdauerns die Individualität sich trennend zwischen Gott und Mensch stelle.93 Der metaphysische Beweis für die Unsterblichkeit beruht ihm zufolge auf der grundsätzlich unhaltbaren Verwechselung von Individualität und Seele. Laut Richter ruhe unsere Ewigkeit allein in unseren Nachkommen und unseren Werken.94 Als Widerpart greift der bald von den Rechten als führende Figur anerkannte Göschel,95 den das Vertrauen Hegels vor den Augen der Schule auszeichnete,96 gegen Richters Auslegung der Hegelschen Spekulation in die Diskussion ein und sucht die Rechtfertigung der Hegelschen Philosophie von ihren Ergebnissen her zu erreichen.97 Als Interpret des Hegelschen Systems unternimmt er den Versuch, den völligen Einklang der spekulativen Philosophie mit der christlichen Lehre nachzuweisen und einen apriorischen Beweis98 für die persönliche Unsterblichkeit aus den Prinzipien der Hegelschen Philosophie zu führen. Göschel vertritt den vollendeten Zusammenhang von Unsterblichkeit und Gotteserkenntnis; die Unsterblichkeitslehre ist ihm die Wissenschaft vom endlichen Geiste. Dieser findet in der Gemeinschaft mit dem absoluten Geiste seine Wahrheit, hiermit seine Bewährung, d.h. seine Unsterblichkeit. Die individuelle Fortdauer der Seele, für die Göschel eintritt, beruht auf dem persönlichen Verhältnis des endlichen Geistes zum Absoluten. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung kommt der Begriff

neu genannt, weil sie die persönliche Fortdauer läugnet, und in der Sterblichkeit des Selbst die wahre Unsterblichkeit findet, daher sie auch von dieser Heldenthat der Resignation viel Rühmens und Redens macht: es ist aber darin nach der gegenwärtigen Form nichts neues enthalten, sondern der gewöhnlichste und alltäglichste Pantheismus, welcher von jeher einer besondern ethischen Selbstverläugnung sich bewusst gewesen ist.“ In Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, 1, Januar 1834, S. 1. 93 „Der Mensch ist der Ewigkeit fähig, weil er sich vom einzelnen und bestimmten Zeitraume loszumachen, und in verflossene und zukünftige Zeiten zu versetzen vermag. Dagegen kann es nichts Ungereimteres geben, als die Meinung, der Mensch müsse durch persönliche Fortdauer nach dem Tode der Ewigkeit theilhaftig werden. Gerade je länger das Individuum als solches fortdauert, desto mehr wird es von dem Ziel, die Ewigkeit zu erlangen, entfernt.“ Richter, Die Lehre von den letzten Dingen, S. 237. 94 NU, 54f. 95 “Although Gabler, as Hegel’s ‘successor’, and Henning, as a full professor and editor of the Jahrbücher, held the most important academic positions in this group, it was Göschel, the philosophising, pietistic judge, who emerged as its most prominent and influential spokesman during the 1830s.” John Edward Toews, Hegelianism. The path toward dialectical humanism, 1805–1841, Cambridge 1985, S. 224. 96 Vgl. UHN, 28. 97 Møller hat in seiner Schrift über die Unsterblichkeitsbeweise Göschels Werk eingehend erörtert. Vgl. TM, 257–269. 98 Zu Møllers Kritik des apriorischen Beweises der Unsterblichkeit siehe TM, 183ff.

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der Individualität und jener der Persönlichkeit zu stehen, deren Bestimmung er in der Sphäre der immanenten Begriffsentwicklung zu erreichen meint.99 Die drei Beweise, die Göschel zum Nachweis der Unsterblichkeit der menschlichen Seele erbringt und auf die Kierkegaard immer voll Ironie anspielt,100 hat er im direkten Anschluss an Hegels Beweise für das Dasein Gottes aufgestellt und entwickelt. Sie stützen sich auf 1. die Einfachheit, 2. den Selbstzweck und 3. das Denken der Seele und entsprechen als Gegenstücke jeweils dem kosmologischen, teleologischen und ontologischen Beweis für die Existenz Gottes. In Göschels immanenter Begriffsdialektik muss von vornherein der ontologische Beweis als das Kernstück angesehen werden. Als Resultat seiner Schrift ergibt sich, dass in der Hegelschen Philosophie der Begriff der persönlichen Fortdauer aus dem Begriff der Persönlichkeit und aus dem Verhältnis des einzelnen Geistes zu Gott als der absoluten Persönlichkeit abgeleitet werden muss. Für Göschel ist die persönliche Unsterblichkeit letztendlich als „selbstbewußtes Gottesbewußtseyn in dem endlichen Geiste“101 zu verstehen. C. H. Weisse der bis zu Hegels Tod der Schule nahestand, lehnt Göschels apriorischen, dialektisch geführten Beweis für die persönliche Unsterblichkeit ab, weil jener den Begriff vom „Geiste“ mit dem Hegelschen „Begriff“ identifiziert und seinen „Geist“ an der Ewigkeit des logischen Begriffs teilnehmen lässt.102 Form und Gesetz eines Seienden können zwar nach Weisse a priori erkannt werden, niemals aber etwas Reales selbst. Hegels Begriff des Logischen, der logischen Notwendigkeit, wird mit dieser Feststellung auf einen engeren Zuständigkeitsbereich deutlich eingeschränkt.103 Das Faktische, Lebendige, wie etwa die in den Zeitverlauf eingegliederte geistige Persönlichkeit liegt außerhalb der begrifflichen Sphäre der Apriorität, zu ihr führt – vor der später anzusetzenden spekulativen Betrachtung – nur der Weg der Erfahrung. Den Erkenntniszugang zur Unsterblichkeit ermöglicht und sichert nur die lebendige, religiös-sittliche

99 „Zur Unsterblichkeit gehört ebensowohl dieses, daß das Individuum selbst, in seinem Fürsichsein, fortdauere, und kein fremdes, als auch das Weitere, daß es zu diesem Zwecke der Selbsterhaltung persönlich sey, d.h. in einem durchdrungenen und durchdringendem Verhältnisse der Gemeinschaft zur absoluten Persönlichkeit stehe.“ BU, 250. 100 Vgl. AUN1, S. 162, 192f. / SKS 7, 158, 184. An dieser letzten Stelle wird Göschel als ein „moderner Denker von drei Beweisen“ apostrophiert. Siehe noch die folgende Aufzeichnung aus dem Jahre 1848: SKS 20, 317, NB4:67 und den Journaleintrag NB4:5, SKS 20, 289. Es fällt auf, daß Göschels Name in Kierkegaards veröffentlichten Schriften und in dem Nachlaß gar nicht auftaucht. 101 BU, 48. Møller stellt Weisse als denjenigen vor, der als erster gegen Richters Unsterblichkeitsauffassung aufgetreten ist. Zur gesamten Darstellung siehe TM, 237–247. 102 Vgl. PhG, 81–92. 103 PhG, 88.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Erfahrung, keineswegs eine Kategorialanalyse wie sie Göschel vorschwebt. Diese höhere Erfahrung stellt sich aber letzthin nur bei dem ein, der zu dem Kreise jener Auserwählten zählt, die an der christlichen „Wiedergeburt im Geiste“ Anteil haben. Auf dem Zusammenwirken der freien Tat des Menschen und der Gnade des menschgewordenen Gottes ruhen die Gewissheit und der objektive Grund der individuellen Fortdauer. Weil aber nur die in Gott wiedergeborenen Individuen die von Gott als unerlässlich gesetzten Voraussetzungen erfüllen, so sind sie allein unsterblich, denn es gibt keine natürliche, sondern nur eine fakultative Unsterblichkeit. Nur das geistig wiedergeborene Individuum, das sich dem absoluten Geist hingibt, findet seine Unsterblichkeit.104 Der junge Fichte unterscheidet mit Weisse die Sphäre des konkreten Daseins von der metaphysischen Welt des Begriffs: Dialektische Methode und reales Erkennen, Formal- und Realphilosophie werden bei ihm stets deutlich gegeneinander abgegrenzt.105 Fichte kritisiert Hegel in Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer für die Aufhebung der individuellen Unsterblichkeit sowie für seine Auffassung von der a priori immanenten Entwicklung der absoluten Idee.106 Zugleich konstatiert Fichte in dieser Schrift das Fehlen einer tieferen Ausarbeitung des Gedankens von der „physischen“ Möglichkeit der von Weisse postulierten Unsterblichkeit.107 Fichtes Begriff der Unsterblichkeit beinhaltet neben der „natürlichen metaphysischen Dauer“ aller monadischen Realwesen als „nothwendige Nebenbedingung“ auch „die Erhaltung der Persönlichkeit und die Identität des Selbstbewußseins in sich, kurz die Gewißheit eines bewußten Zusammenhanges zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben, in welches wir den Gesamtertrag unseres bisherigen Daseins unverkürzt mithinüberzunehmen erwarten dürfen.“108 Der Tod ist ein organischer Vorgang, der die Selbständigkeit der Seele in keiner Weise aufheben kann. Er kann – als Etappe

104 „Nur wer in sich, in der Tiefe seines inneres Lebens, seines sittlichen Selbst eine Macht erschaut, die er für ebenbürtig dem, was ihm von außen als gottbeseelte Erscheinung entgegentritt, als mächtiger erkennt, dem wird zugleich mit der Geburt zum ewigen Leben auch die Gewissheit“ persönlicher Fortdauer zuteil. PhG, 59. 105 Zu Møllers Erörterung des Fichteschen spekulativen Theismus siehe TM, 247–256. 106 Vgl. Immanuel Hermann Fichte, Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer, Elberfeld 1834 (im Folgenden: IP), S. 62–65 (Ktl. 505). 107 „Es kommt nämlich darauf an […], sie in ihrer Begreiflichkeit nachzuweisen, was mit der Frage über die Erhaltung oder Wiedergewinnung der Korporisation nach dem Tode zusammenfällt. Hiernach muß jene Ansicht indes nach allen ihren Prämissen es nur bei allgemeinen Nachweisungen oder Postulaten bewenden lassen.“ IP, 139f. 108 Immanuel Hermann Fichte, Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen, eine anthropologische Untersuchung und ein Beitrag zur Religionsphilosophie, wie zu einer Philosophie der Geschichte, Leipzig 1867.

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des Lebensprozesses aufgefasst – das Wesen des „inneren Leibes“ nicht beeinträchtigen, ermöglicht ihm aber durch die Befreiung von der materiellen Leiblichkeit den Weg zu klarer Bewusstheit. Der Korporationsgedanke, unter dem Zeugung und Tod inbegriffen sind, offenbart den Geist des Menschen als das die Unsterblichkeit sichernde Prinzip; seine Fortdauer, die über den natürlichen Erhalt des Realen hinausgeht, ist seinem Charakter gemäß eine individuelle und eigenartige.109 Eine bemerkenswerte Wendung in der frühen Periode dieser Debatte markiert die Kontroverse zwischen dem Jenaer Philosophieprofessor Carl Friedrich Bachmann (1785–1855) und dem Hegelianer Karl Rosenkranz (1805–1879). Bachmann hat in seiner im Jahre 1833 veröffentlichten kritischen Darstellung des Hegelschen Systems ausdrücklich behauptet, aus den immanenten Prinzipien des Hegelschen Systems folge notwendig die Leugnung der christlichen Unsterblichkeitslehre: „Nach den Prinzipien und der Methode des Systems, in welchem die logische Idee das allein Ewige, der Anfang wie das Ende von allem ist, konnte freilich die Unsterblichkeit der Seele, d.i. die Fortdauer unseres individuellen Wesens nach dem Tode, mit persönlichem Bewußtseyn, nicht wohl eine passende Stelle finden, allein man hätte doch erwarten können, daß Hegel den Muth würde gehabt haben, über dieses Problem sich offen auszusprechen, und zu gestehen, daß er die Unsterblichkeit läugne.“110 Rosenkranz hat darauf in Form eines Sendschreibens im folgenden Jahre reagiert. In seiner Schrift hat er einerseits Friedrich Richters Werke, die zur Debatte führten, eingehend kritisiert, darüber hinaus hat er Bachmanns Aufmerksamkeit auf Göschels Schriften gelenkt, nach denen sich die Unsterblichkeitslehre im Kontext der Subjektivitätstheorie der Hegelschen Philosophie bewahrheitet.111 Bachmanns kritische Antwort darauf führt zu keinerlei Synthese, vielmehr lässt sie auf einen supranaturalistischen, nicht dialektischen Habitus schließen. „Endlich über die Unsterblichkeit wissen sie nicht das Geringste zur Vertheidigung Hegel’s sagen. In dem ganzen Systeme findet sich davon keine Spur, Hegel hat sich nie darüber erklärt, bloß in den Vorlesungen über Religion wird die ganze hochwichtige Frage mit den Worten abgefertiget: ‚Das abstracte Denken ist die wirkliche, gegenwärtige Unendlichkeit.‘ Sie selbst läugnen die Unsterblichkeit unumwunden, indem Sie versichern, die andere Welt sei in der unsrigen schon da. In dieser schwindet aber

109 Vgl. IP, 161. 110 Carl Friedrich Bachmann, Ueber Hegel’s System und die Nothwendigkeit einer nochmaligen Umgestaltung der Philosophie, Leipzig 1833, S. 309. 111 Karl Rosenkranz, Hegel. Sendschreiben an den Hofrath und Professor der Philosophie Herrn Dr. Carl Friedrich Bachmann in Jena, Königsberg 1834, S. 128–130.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

die Persönlichkeit im Tode, ich weiß also nicht, wie hieraus der geringste Grund für den Glauben an die persönliche Fortdauer mit Bewußtsein nach dem Tode gewonnen werden soll.“112 Bachmann hat Rosenkranz‘ Berufung auf Göschels Autorität und Argumente für die Unsterblichkeit entschieden abgewiesen und sich in dieser Hinsicht der Kritik des jüngeren Fichte an Göschel angeschlossen. Nach Bachmann hat Göschel dadurch, dass er die völlige Übereinstimmung des Hegelschen Systems mit der christlichen Eschatologie nachzuweisen versuchte, das System selbst mehr verfälscht als bestätigt.

1.4.2 Die kritische Rezeption von Hegels Philosophie in der „Katholischen Tübinger Schule“ Nach dem Niedergang der scholastischen Tradition in der Aufklärung erlebte die katholische Theologie in der Zeit der Romantik einen neuen Aufschwung und suchte den Anschluss an die zeitgenössische Philosophie. Diese Entwicklung ist nicht denkbar ohne die 1817 gegründete katholisch-theologische Fakultät in Tübingen, die eine Reihe bedeutender Theologen hervorbrachte, die der katholischen Theologie neue Impulse verliehen.113 Zur zweiten Generation dieser Schule gehörte Franz Anton Staudenmaier (1800–1856), der mit seiner umfangreichen Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems von katholischer Seite zweifellos den bedeutendsten zeitgenössischen Beitrag zur kritischen Bearbeitung der Hegelschen Philosophie stellte. Die Erörterung der Unsterblichkeitsproblematik spielt in diesem Werk zwar keine zentrale Rolle, Staudenmaiers diesbezügliche Stellungnahme sei aber dennoch diskutiert. Staudenmaier fasst Hegels Position wie folgt zusammen: „Die Unsterblichkeit aber ist die Form, wie der denkende Geist in Gott dem absoluten Geiste ewig ist; diese innere Ewigkeit macht eben die Unsterblichkeit aus; sie ist somit das Aufgenommensein in den allgemeinen Geist, in welchem Aufgenommensein wir aber nur den Tod zu erkennen vermögen.“114 Zweifellos ist also der Gedanke der

112 Carl Friedrich Bachmann, Anti-Hegel. Antwort an Herrn Professor Rosenkranz in Königsberg auf dessen Sendschreiben, nebst Bemerkungen zu der Rezension meiner Schrift über Hegel’s System in den Berliner Jahrbüchern von Herrn Professor Hinrichs in Halle. Ein Unentbehrliches Actenstück zu dem Process gegen die Hegel’sche Schule, Jena 1835, S. 166. 113 Siehe dazu Hans Günther Türk, „Rezeption und Kritik der Philosophie Hegels in der ‚Katholischen Tübinger Schule‘“, in: Friedrich Wilhelm Graf und Falk Wagner, Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels Religionsphilosophie, Stuttgart 1982, S. 247–273. 114 Franz Anton Staudenmaier, Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems. Aus dem Standpunkte der christlichen Philosophie, Mainz 1844, S. 143f.

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Unsterblichkeit in Hegels System präsent; die Frage ist nur, wie sich der endliche, denkende Geist zum allgemeinen Geist verhält. Um dieses Verhältnis zu schildern, zitiert Staudenmaier die Vorlesungen über die Persönlichkeit Gottes und Unsterblichkeit der Seele des führenden Hegelianer C. L. Michelet, der den unendlichen Geist mit der, „aus der ganzen Schöpfung hervorgehende[n], in ihr athmende[n], ungeachtet der Mannigfaltigkeit ihrer Gestalten stehts sich selbst gleich bleibende[n]“ Persönlichkeit identifiziert.115 Sie ist aber „nicht eine besondere, sondern die allgemeine Persönlichkeit, die nicht außer den besonderen Personen ist, sondern in einer jeden Individualität eben die Blume ihrer höhern Persönlichkeit entfaltet. Was jedes Individuum für die Ewigkeit vollbringt, thut es nur kraft des Inwohnens dieser göttlichen Persönlichkeit in ihm.“116 Allgemeinheit und Einzelheit sind untrennbare Momente der göttlichen Persönlichkeit. Das Göttliche ist also das sich in einzelnen Personen darstellende Allgemeine, oder das, was in der besonderen Individualität diesem Allgemeinen entspricht. Die Konsequenzen hinsichtlich der Unsterblichkeitsfrage sind für Staudenmaier so eindeutig, dass er die ganze diesbezügliche Debatte geradewegs für überflüssig erklärt.117 Umso erstaunlicher, dass er in diesem Kontext nicht die entsprechenden Passagen aus den religionsphilosophischen Vorlesungen, sondern nur einige Stellen aus der Phänomenologie erörtert, die Hegels Interpretation des Todes exponieren. Staudenmaier sieht das Wesentliche darin, dass das Persönliche stets ein Individuelles und Besonderes, d.h. Endliches ist, dessen Bestimmung – im Hegelschen System – es ist, sich im Allgemeinen aufzuheben. Im Tode tritt das Individuum als temporär erscheinende Einzelheit ins reine Sein zurück und was von ihm fortlebt, lebt in der Erinnerung des Geschlechtes, dem es sein Dasein als ein geschichtliches übergibt. „Der Bleibende ist nur der Weltgeist als der allgemeine Geist, der zu seinem Wege die Erinnerung der Geister hat; ihre Aufbewahrung […] ist die Geschichte, die begriffene Geschichte aber die Schädelstätte des absoluten Geistes.“118

115 Carl Ludwig Michelet, Vorlesungen über die Persönlichkeit Gottes und Unsterblichkeit der Seele oder die ewige Persönlichkeit des Geistes, Berlin 1841, S. 157. Zitiert von Staudenmaier in Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems, S. 465. 116 Ebda. Zum biblischen Begriff des Inwohnens (inhabitatio) des göttlichen Geistes in den Gläubigen siehe Joh 10.38,14.10,14.24. Karsten Lehmkühler, Inhabitatio. Die Einwohnung Gottes im Menschen, Göttingen 2004. 117 „So viel auch vor nicht langer Zeit über diesen Punkt herumgestritten worden ist, so ist doch die Sache an und für sich selbst so klar, daß ein Streit hierüber zu dem wenigstens sehr Ueberflüssigen zu rechnen ist.“ Staudenmaier, Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems, S. 833. 118 Staudenmaier, Darstellung und Kritik des Hegelschen Systems, S. 835.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Aus Hegels Todesanalyse folgt für Staudenmaier, dass das Hegelsche System – trotz Hegels bekannten Behauptungen über die Inhaltsidentität zwischen seiner Philosophie und dem Christentum – eigentlich antichristlich ist, da in ihm der Tod nicht nur die Auflösung des Leibes, sondern auch jene der Seele und des individuellen Geistes ist. Der affirmativen Seite der Hegelschen Dialektik trägt er in diesem Kontext offensichtlich nicht genügend Rechnung, wodurch seine Kritik zu diesem einseitigen Standpunkt kommt. Allerdings sei bemerkt, dass auch wenn Staudenmaiers Hegel-Kritik in einigen Hinsichten anfechtbar ist, sein imponierender Beitrag zur katholischen Hegel-Rezeption dennoch bis heute zu den bedeutendsten zählt.

1.5 Die Unsterblichkeitsfrage in Dänemark: Entwicklungen einer verzögerten Debatte Während in den deutschen Staaten ab 1833 eine äußerst heftige und umfassende Debatte über die Christlichkeit der Hegelschen Philosophie entfachte, brach die offene Kontroverse über die Unsterblichkeit im dänischen Geistesleben erst vier Jahren später nach der Veröffentlichung einer umfangreichen Studie aus, die de facto als die bedeutendste philosophische Publikation des von Kierkegaard sehr geschätzten Lehrers, Poul Martin Møller (1794–1838), zu bezeichnen ist und die unter dem Titel „Gedanken über die Möglichkeit der Beweise der menschlichen Unsterblichkeit“ in der Zeitschrift Maanedsskrift for Litteratur erschien.119 Obschon die bekannte Behauptung von Hans Lassen Martensen (1808–1884) unbestreitbar ist, nach der die dänischen Systeme zumindest als disjecta membra der früheren deutschen Systemen gelten,120 stellt der Beitrag Møllers nicht nur einen offenen Bruch mit dem Hegelschen System dar, sondern gilt auch als überzeugendes Beispiel denkerischer Selbstständigkeit und Originalität. Wenngleich die Debatte unmittelbar durch Møllers Schrift ausgelöst wurde, so war die Unsterblichkeitsproblematik bereits in den 1820er Jahren Gegenstand der philo-

119 Zu den Folgen der dänischen Debatte siehe: Carl Henrik Koch, Den danske idealisme 1800– 1880, Kopenhagen 2004, S. 258–264.; Lasse Horne Kjældgaard, Sjælen efter Døden. Guldaldernes moderne gennembrud, Kopenhagen 2007. 120 „Hvo kan nægte, at den tydske Philosophie ogsaa har havt stor Indlydelse paa vor Videnskabelighed, og at man i Størstedelen af det, som her tillands har gaaet og gjældt for System, kan eftervise i det mindste disjecta membra af den tydske Philosophies ældre, nu forældede, Systemer?“ Hans Lassen Martensen, „Indledningsforedrag til det i November 1834 begyndte logiske Cursus paa den kongelige militaire Højskole,“ Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 16, 1836, S. 515f.

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sophischen Reflexion im Land.121 Zudem hielt sich Martensen ab 1834, d.h. genau zur Zeit der heftigsten Debatte, im Rahmen einer Studienreise in Berlin auf: Seine Unzufriedenheit mit dem Versuch des konservativen Carl Friedrich Göschel, das Hegelsche System wortwörtlich zu rechtfertigen, drückt er in einem Brief an Frederik Christian Sibbern (1785–1872) offen aus.122 Folglich war die deutsche Debatte in Dänemark vor 1837 keineswegs unbekannt, auch wenn die Unsterblichkeitsproblematik bis zu diesem Zeitpunkt kein Gegenstand öffentlicher Kontroversen war. Der mutmaßliche Grund dafür, dass diese Kontroverse erst relativ spät ausbrach und ihre Intensität weit hinter jener der deutschen Debatte zurückblieb, lässt sich auf das strenge dänische Pressegesetz zurückführen. Laut § 5 des Gesetzes vom 27. September 1799 war die Publikation von Schriften, die das Dasein Gottes oder die Unsterblichkeit der Seele leugnen mit einer Verbannung von drei bis zehn Jahren zu bestrafen.123 Den offenen Diskurs über die sensible Unsterblichkeitsfrage erschwerte also nicht nur die Komplexität des Themas, sondern auch der harte gesetzliche Rahmen. Møller bemerkte treffend, dass es für das Oberste Gericht recht schwer zu entscheiden gewesen wäre, ob die Werke Hegels das dänische Gesetz verletzt hätten, hätte man sie in Dänemark publizieren wollen.124

121 Frederik Christian Sibbern, „De praeexistentia, genesi et immortalitate animæ“, Anniversaria, 1823, S. 1–33; Ders. „Om den menneskelige Sjæls Subsistents i Liv og Død“, Philosophiskt Archiv og Repertorium, 1829, S. 35–57, 134–148. Møller berichtet darüber, dass sich Göschel über Sibberns lateinisch geschriebene Abhandlung durchaus positiv äußerte. Siehe Møller, „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed“, S. 269. 122 „Brief von Martensen an Sibbern“, vom 26. Januar 1836, in Skat Arildsen, Biskop Hans Lassen Martensen. Hans Liv, Udvikling og Arbeide, Kopenhagen 1932, S. 508. 123 Siehe dazu: Jørgensen, Harald, Trykkefrihedspørgsmålet i Danmark 1799–1848: et Bidrag til en Karakteristik af den danske Enevælde i Frederik VI’s og Christian VIII’s Tid, Kopenhagen 1944, S. 32. 124 „Efter Forordningen af 27 September 1799 § 5 er det her i Landet forbudt at udgive Skrifter, som have til Formaal, at ‚nedbryde Læren om den menneskelige Sjæls Udødelighed‘. – Dersom Hegels Skrifter vare udkomne hertillands, vilde det have faldet endog Højesteret meget vanskeligt at afgjøre, om deri fandtes en Overtrædelse af hiint Forbud eller ikke.“ Møller, „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed“, S. 161.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

1.5.1 Die Vorgeschichte des Streites: Heibergs Versuch einer Verbreitung des Hegelschen Denkens Auch wenn Hegels Schriften in den 1820er und 1830er Jahren in Dänemark nicht veröffentlicht wurden, setzte sich der Kritiker und Ästhet Johan Ludvig Heiberg (1791–1860), ein eifriger Apostel der Philosophie Hegels, bereits ab 1826 dafür ein, das spekulative Denken im Geistesleben seines Heimatlandes zu popularisieren. Einige seiner frühen Schriften verfolgen das Ziel, den wahren, spekulativen Sinn des Unsterblichkeitsgedankens zu klären.125 Dies hatte in chronologischer Hinsicht die merkwürdige Situation zur Folge, dass die Hegelsche spekulative Unsterblichkeitsauffassung in Dänemark früher Gegenstand eines solchen Interpretationsversuches war als in Deutschland selbst. Vor dem Übergang zur direkten Erörterung dieses Themas seien noch folgende Vorbemerkungen angebracht. Auffallend ist, dass die dänische Debatte eng mit der Verbreitung des Hegelianismus in Dänemark zusammenhing.126 Eine Eigenart der dänischen Kontroverse war es jedoch, dass hier keiner der Beteiligten den Versuch unternahm, die echte Christlichkeit des Hegelschen Denkens durch einen Zitatenschatz Göschelscher Art127 unter Beweis zu stellen. Martensen selbst war der Meinung, die Frage nach der persönlichen Unsterblichkeit bleibe in Hegels System unbeantwortet. 128 Daraus folgt in methodischer Hinsicht, dass wir auf die Verwendung der alten Kategorien von Rechts- bzw. Linkshegelianismus in diesem Kontext verzichten müssen. Dieses Verfahren wäre nämlich – zumindest bezüglich Heibergs früher Konzeption – nicht nur anachronistisch, sondern auch inhaltlich irreführend. Diese Kategorien wurden ursprünglich in einem spezifischen, christologischen Kontext von Friedrich Strauss konzipiert und sind untauglich, die konkreten Zusammenhänge der Unsterblichkeitsde-

125 Zu Heibergs Unsterblichkeitsauffassung siehe: Lasse Horne Kjældgaard, Sjælen efter Døden. Guldalderens moderne gennembrud, Kopenhagen 2007, bes. S. 43–211; István Czakó, “Heiberg and the Immortality Debate: A Historical Overview”, in Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, Littérateur, Dramaturge, and Political Thinker, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2008 (Danish Golden Age Studies, Bd. 5), S. 95–138. 126 Zur Geschichte der frühen dänischen Rezeption siehe: Jon Stewart, “Johan Ludwig Heiberg and the Beginnings of the Hegel Reception in Denmark”, Hegel-Studien, Bd. 39/40, 2004/2005, S. 141–181. 127 Siehe dazu: Stewart, “Hegel’s Philosophy of Religion and the Question of ‘Right’ and ‘Left’ Hegelianism”, S. 67. 128 „Der er 3 store Grundpunkter, der staae uklare, ubesvarede hos Hegel: 1) den personlige Gud 2) den personlige Xstus 3) den individuelle Udødelighed. Det sidste Spørgsmaal kan ikke afgjøres paa det blot log. Standpunkt, men paa Personlighedens.“ Pap. II C 25, in Pap. XII, 328; vgl. 331.

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batte begrifflich adäquat zu bestimmen.129 Hinsichtlich Heibergs Position muss im Vorfeld angemerkt werden, dass er konsequent behauptet, die Unsterblichkeit sei in Hegels Philosophie nicht nur bewiesen, sondern gewinne eben in Hegels System ihre wahre, spekulative Deutung. Allerdings kam er erst später dazu, die Übereinstimmung von Hegels Position mit der christlichen Eschatologie wirklich eingehend darzulegen. Obwohl seine späte apokalyptische Komödie Eine Seele nach dem Tode wohl mehr als beißende und geistreiche Zeitkritik denn als theoretische Reflexion auf die Unsterblichkeitsproblematik zu sehen ist, trägt das Werk – trotz semantischer Ambivalenzen – sichtlich Züge einer Versöhnung mit der christlichen Unsterblichkeitslehre.130 Wenn wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die geschichtliche Entfaltung von Heibergs Unsterblichkeitskonzeption richten, sei zunächst eines seiner frühen Gedichte erwähnt, das im Jahr 1826 unter dem Titel „Leben und Tod“131 im Andenken an Frantz Howitz (1789–1826) im Nyt Aftenblad publiziert wurde. Es gilt als gutes Beispiel für eine produktive Synthese der Hegelschen Spekulation mit der erhabenen Poesie im Œuvre Heibergs. Der dritte Teil dieser langen und strukturell der Hegelschen Methodologie entsprechenden, d.h. triadisch konzipierten, Dichtung interpretiert den Verstandesgegensatz zwischen Leben und Tod keinesfalls als absoluten, sondern als durch die Kraft des Geistes vermittelten und damit aufgehobenen: „Und der Tod wird nicht mehr als Macht der Zeit gesehen, Nein, der ist der des Geistes Sieg über die Zeit, Weil die Zeit schwach, der Kraft untergeworfen ist.“132

Auch in seinen frühen, prosaischen Schriften setzt sich Heiberg mit der Unsterblichkeitsproblematik auseinander, zudem veröffentlicht er in seiner Zeitschrift Kjøbenhavns flyvende Post zwei Artikel zu diesem Thema. Die erste, anonym publizierte Schrift „Ein paar Worte über das Unendliche“ beleuchtete die Frage der Einseitigkeit der undialektischen Auffassungen vom ewigen Leben mittels der

129 Siehe das Kapitel „Worte G. W. F. Hegels über Persönlichkeit und Unsterblichkeit der Seele“ in Karl Friedrich Göschels Werk Von den Beweisen für die Unsterblichkeit der menschlichen Seele im Lichte der spekulativen Philosophie. Eine Ostergabe, Berlin 1835, S. 263–272. 130 Johan Ludvig Heiberg, En Sjæl efter Døden, in Nye Digte, Kopenhagen 1841, S. 29–158. (Ktl. 1562) 131 Johan Ludvig Heiberg, „Livet og Døden. Helliget Mindet af Frantz Gotthard Howitz,“ Nyt Aftenblad, Nr. 15, 15. April 1826, S. 127–128. 132 „Og Døden sees ei meer som Tidens Magt, / Nei, den er Aandens Seier over Tiden, / Thi svag er Tiden, Kraften underlagt.“ Heiberg, „Livet og Døden,“ ebd., S. 128.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

spekulativen Kategorie der „schlechten Unendlichkeit“. Bereits hier findet Heibergs Hegelscher Grundgedanke der immanenten Gegenwärtigkeit des ewigen Lebens in der zeitlichen Existenz Betonung.133 Der zweite Artikel „Bretschneiders Verteidigung des Rationalismus“ erörtert zunächst die Inhaltsidentität und Formdifferenz der Philosophie und Religion nach den Hegelschen Prinzipien und erklärt daraus die adäquate Auffassung vom ewigen Leben und der Unsterblichkeit. Der Einklang zwischen Religion und Philosophie zeige sich darin, dass „die Unsterblichkeit in den beiden in reinem spekulativen Sinn genommen wird, unabhängig von den Beschränkungen von Raum und Zeit“.134 Heibergs 1832 auf dänisch veröffentlichter Grundzug der Philosophie der Philosophie oder spekulative Logik ist nicht nur sein orthodoxestes Hegelianisches Werk, sondern de facto der erste vollständige Kommentar zu Hegels Logik und dies sowohl im dänischen als auch im deutschen Raum. Im Kapitel „Die subjektive Idee“ wirft er die zeitkritische These auf, dass der spekulativen Philosophie, nachdem die Religion ihren Einfluss auf die Menschen verloren hätte, die Aufgabe zukäme, in dieser Zeit der Krise die Unsterblichkeit der Seele unter Beweis zu stellen. Heiberg unterscheidet zwischen drei Formen von Unsterblichkeitsauffassungen: die erste ist die unmittelbare, in der die empirischen, endlichen Bestimmungen (Raum, Zeit) quantitativ unendlich gedacht werden. Die zweite, höhere Stufe ist ihr dialektischer Gegensatz, der kein empirisches Wissen, sondern nur die innere Gewissheit von der zukünftigen Existenz fordert und schließlich, als Drittes, folgt der spekulative Standpunkt, nach dem sich die Seele als „der Begriff des Leibes“ als sterblich, jedoch als „erkennendes Subjekt“ als unsterblich erweist. Das ewige Leben ist für Heiberg die „erneuerte Unmittelbarkeit des Lebens im Denken“.135

133 „Jo mere man vænner sig til den rigtige Synsmaade, desmere vil man begribe, hvorom egentlig Talen er i alle de Menneskeheden beskjæftigende, men for det meste misforstaaende Quæstioner, f. Ex. det evige Liv, hvilket man ikke bør betragte (hvad dog sædvanlig er Tilfældet) som et Liv efter Døden, være sig i Himlen i Almindelighed, eller paa en bestemt Kolde, men som et Liv, der allerede her paa Jorden existerer, og hvori vi allerede leve.“ [Johan Ludvig Heiberg], „Et Par Ord om det Uendelige“, Kjøbenhavns flyvende Post, 15. Dezember 1828, Nr. 100, [414]. 134 „I begge [d.h. Religion und Philosophie] tages Udødeligheden i den reent speculative Betydning, uafhængig af Tidens og Rummets Indskrænkninger; og hvad begge lære derom, er derfor sagt med faa Ord: Religionen lærer, at de Troende skulle blive salige; Philosophien, at Aanden og dens Værker skulle bestaae.“ [Heiberg], „Bretschneiders Forsvar for Rationalismen“, Kjøbenhavns flyvende Post, 8. September 1830, VII, Nr. 108, [438ff]. 135 Johan Ludvig Heiberg, Grundtræk til Philosophiens Philosophie eller den speculative Logic. Som Ledetraad ved Forelæsninger paa den kongelige militaire Høiskole, Kopenhagen 1832, S. 115 (§ 177).

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Im folgenden Jahr verteidigt Heiberg seine kritische Zeitdiagnose in der provokativen Einladungsschrift Über die Bedeutung der Philosophie für die gegenwärtige Zeit noch schärfer.136 Obwohl die geplanten Privatvorlesungen aufgrund der unzureichenden Zahl an registrierten Teilnehmern schließlich nicht gehalten wurden, las und kritisierte man seine Abhandlung in breiten Kreisen. Auf die konservativen Leser wirkte Heibergs Darlegung der kritischen Lage der Religion infolge des Mangels an religiösem Glauben und als Resultat des zeitgenössischen Nihilismus besonders irritierend. Heiberg betrachtete es als die erhabene Berufung der spekulativen Philosophie in der kulturellen Krise der Gegenwart, der Konfusion ein Ende zu machen. In diesem Kontext bezeichnete Heiberg die Aversion gegen die Philosophie als eine heuchlerische Einstellung: „Man bedenke nun ob es einen einzigen unter den ehrlichen Gläubigern unserer Zeit – d.h. unter denjenigen, die nur sich selbst und nicht die anderen anlügen – gibt, welcher wenn für ihn das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele so klar wie eine mathematische Proposition bewiesen werden könnte, nicht begierig, ja dankbar den Beweis aufgreifen würde, und nicht unendlich glücklicher als vormals wäre?“137 Diese Behauptung war auch in methodologischer Hinsicht provokativ und problematisch, da sie den Unterschied zwischen den mathematischen und philosophischen Beweisen einfach aufhob. Poul Martin Møllers Schrift über die menschliche Unsterblichkeit erschien als eine Antwort auf Heibergs spekulatives Manifest daher nicht ohne Grund.138 Zwar bildet für Heiberg der Unsterblichkeitsgedanke einen integralen Teil des Systems, jedoch handelt es sich dabei um die Ewigkeit des absoluten Geistes und nicht um die Fortexistenz der endlichen Seele: Folglich scheint der in dieser Programmschrift vertretene Standpunkt mit dem christlich eschatologischen Dogma schwerlich kompatibel zu sein.

136 Johan Ludvig Heiberg, Om Philosophiens Betydning for den nuvœrende Tid, Kopenhagen 1833 (Ktl. 568). 137 „Man betænke, om der mellem vor Tids ærlige Troende – det vil sige: dem, som kun lyve for sig selv, men ikke for Andre – findes en Eneste, der ikke, ifald man kunde bevise ham Guds Tilværelse og Sjælens Udødelighed saa klart, som man beviser en mathematisk Sætning, vilde med Begjærlighed, ja med Taknemmelighed gribe Beviset, og føle sig uendelig lykkeligere end tilforn?“ Heiberg, Om Philosophiens Betydning for den nuvœrende Tid, S. 18. 138 „Overstaaende Fortælling fremstiller blandt andet den Erfaring, at Alle, der uden at kjende noget til Videnskabens Natur, udbede sig en Demonstration af Udødelighedslærens Realitet, ikke ret vide, hvad de begjærde; først, fordi Sætninger om oversandselige Ting ikke kunne demonstreres efter den i Mathematiken brugelige Methode, da denne Videnskabs Læresetninger kun have Gyldighed under bestemte Forudsætning.“ Møller, „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed“, S. 180f.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

1.5.2 Møllers offene Kritik an Hegel und der Ausbruch des Streites Die heftige Debatte, die im deutschen Raum seit Richters Auftreten im Gange war, rief in den Jahren 1837/38 auch in Dänemark einen gewissen Widerhall hervor.139 Wie bereits erwähnt, bildet Poul Martin Møllers umfangreiche Studie „Gedanken über die Möglichkeit der Beweise der menschlichen Unsterblichkeit“ den Anfang der Diskussion. Sie erschien erstmals im Jahr 1837 in der Maanedsskrift for Litteratur und zog nicht nur das Interesse des jungen Kierkegaard140, sondern auch des Kopenhagener Geisteslebens auf sich. Møller berichtet zunächst ausführlich über die wichtigsten Entwicklungen der deutschen Debatte von Richter bis Michelet, um dann selbst sowohl formal als auch inhaltlich Stellung zur Unsterblichkeitsdiskussion zu beziehen. Den Kerngedanken seiner formalen Analyse bildet die Idee, dass sich die Wirklichkeit der Unsterblichkeit nicht auf eine a priori deduktive Weise wie die mathematischen Propositionen belegen lässt.141 Dies könnte bereits den Eindruck eines indirekten Angriffs auf Heibergs Methodologie erwecken. Inhaltlich ging Møller aber noch weiter, indem er behauptete, die Hegelsche Spekulation sei mit der christlichen Unsterblichkeitslehre inkompatibel. Seiner Ansicht nach gibt es in Hegels Werken keine einzige Stelle, in der ein Unsterblichkeitsbegriff vorkommt, der der Lehre des Christentums entspricht.142 Er vertritt sogar die Meinung, die Hegelsche Philosophie stimme mit dem Christentum in keiner Weise überein. In dieser Hinsicht steht Møllers Hegel-Interpretation in einem diametralen Gegensatz zu jener Göschels und der konservativen Hegelianer. Møller betont, dass Hegel die Unsterblichkeit nur als eine Vorstellung

139 Die Debatte hat eine bemerkenswerte Auswirkung auf zahlreiche europäische Länder gehabt, siehe z.B.: Petrus Wilhelm Afzelius, Num possit ex philosophia hegeliana in usum religionis christianæ animi immortalitas probari, Upsala 1843; Michael Petőcz, Die Welt aus Seelen, Buda 1833. 140 Eine Aufzeichnung vom 4. Februar 1837 im Nachlass beweist eindeutig, dass Kierkegaard die Artikel sofort gelesen hat (SKS 17, 134, BB:41 / DSKE 1, 145). Ferner reflektierte Kierkegaard auch in der Nachschrift wiederholt über Møllers Erörterung der Unsterblichkeitsfrage. Nach Kierkegaard ist Møllers größtes philosophisches Verdienst, auf die Eigenart und Schwierigkeit der Frage aufmerksam gemacht zu haben, sowie sein Widerwille gegen die moderne Spekulation. Vgl. SKS 7, 159 / AUN1, 162. 141 Siehe Møller, „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed“, S. 180–182. 142 „[I] Hegels Værker ikke findes et eneste Sted, hvor et saadant Begreb om Udødelighed forsvares, som Christendommen lærer.“ Møller, Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, S. 184. Auch Climacus betont in der Nachschrift, dass er die Unsterblichkeit „im System nicht gefunden [hat], wie es auch ungereimt ist, sie dort zu suchen.“ SKS 7, 158 / AUN1, 162.

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ohne Realität auffasse.143 Im Allgemeinen verneint er die These, man könne die Unsterblichkeit mit der Methode der spekulativen Philosophie beweisen: Das System bestehe nämlich nur aus abstrakten Begriffen, die mit der Wirklichkeit der Einzelnen nichts zu tun hätten.144 Aus Møllers Schrift geht hervor, dass er mit Hegels Denken gebrochen und den Standpunkt des spekulativen Theismus des jüngeren Fichte übernommen hatte.145 Heiberg, der zu jener Zeit als der führende dänische Hegelianer galt, fasste Møllers Stellungnahme als einen offenen Verrat an der Hegelschen Philosophie auf und nannte ihn im ersten Heft seines Perseus anonym einen „Deserteur“.146 In seinem Artikel „Geist und Unsterblichkeit“ versucht Heiberg, eine Position einzunehmen, die im Einklang mit der christlichen Unsterblichkeitskonzeption steht und möchte zeigen, dass alle menschlichen Individuen unsterblich sind.147 Heiberg geht hier davon aus, dass der Begriff einer „unglücklichen Unsterblichkeit“ (usalig Udødelighed) logisch widersprüchlich ist und kommt zu der Schlussfolgerung, die Unsterblichkeit müsse notwendigerweise als Glückseligkeit (Salighed) aufgefasst werden.148 Da Møller in der Zwischenzeit verstorben war, reagierte der Philosophieprofessor Frederik Christian Sibbern, der sich meist kritisch von der Hegelschen Philosophie distanzierte, auf Heibergs Kritik an Møller in der Maanedsskrift for

143 „[D]enne Philosoph antager Begrebet om den personlige Udødelighed for en Forestilling uden al Realitet.“ Møller, Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed, S. 185. 144 Es scheint, dass Møllers Auffassung u.a. an diesem wichtigen, kritischen Punkt eine bestimmte Auswirkung auf Kierkegaards Denken hatte. Siehe dazu Kierkegaards Überlegungen zu dem Unterschied zwischen den mathematischen Beweisen (Beviisning) und den – auf existentialen Sätzen basierenden – Überzeugungen (Overbeviisning). Siehe SKS 20, 97f., NB:102 / T 2, 72f. 145 „Snarere end at være et opgør med Hegel er Poul Møllers Udødelighedsafhandling derfor udtryk for, at han havde fundet sit endelige filosofiske ståsted hos I. H. Fichte.“ Koch, Den danske idealisme 1800–1880, S. 261. Zu Møllers Erörterung von Immanuel Hermann Fichtes Werk (Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer, Elberfeld 1834) siehe: „Tanker over Muligheden af Beviser for Menneskets Udødelighed“, S. 247–256. 146 Johan Ludvig Heiberg, „Philosophie og System“, in „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Bd. 1, 1837, S. 33 (Ktl. 569). 147 „Heraf følger da, at selv det ufuldkomneste eller ringeste menneskelige Individ, et saadant, hos hvem kun den endelige og tilfælgelige Side af Individualiteten, det Particulære, har faaet Virkelighed, maa være udødeligt, og at intet menneskeligt Væsen formmaer at tilintetgjøre sin Udødelighed.“ Heiberg, „Philosophie og System“, S. 67. 148 „Men at en usalig Udødelighed er en Modsigelse, da en saadan netop vilde være et Liv i den potenserende Dødeligheds, i selve Endelighedens og Forkrænkelighedens Regioner, – denne Dialektik ligger tydelig i Begrebet. Derfor maa Udødelighed nødvendig opfattes i Bestemmelsen af Salighed.“ Johan Ludvig Heiberg, „Aand og Udødelighed“, in „Recension over Hr. Dr. Rothes Treenigheds- og Forsoningslære“, Perseus, Journal for den speculative Idee, Bd. 1, 1837, S. 69.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Litteratur in Form einer Rezension. Seiner Meinung nach war es für einen so originellen Denker wie Møller im Grunde genommen unmöglich, ein Leben lang Hegelianer zu bleiben.149 In der Rezension unterscheidet Sibbern zunächst zwischen der eigentlichen Philosophie Hegels und der dilettantischen Heibergs, des Weiteren drückt er seine Hoffnung aus, dass niemand Heibergs Hegelianische Äußerungen zur Grundlage seines Urteils über die echte Hegelsche Philosophie machen werde.150 Ferner weist Sibbern darauf hin, dass Heiberg den Unsterblichkeitsbeweis von Mendelssohn in jener Form übernimmt, in der er bei Møller dargestellt wird – den widerum Heiberg heftig kritisiert.151 Schließlich reagiert Sibbern auf die Heibergsche Gleichsetzung von Unsterblichkeit und Seligkeit ziemlich lapidar: „Die Lehre von der menschlichen Seligkeit und was damit zusammenhängt ist eine Sache, die Lehre von der Unsterblichkeit ist eine ganz andere Sache.“152 Sibbern äußert sich über Møllers Schrift und Absicht bis zum Schluss voll Anerkennung, während er Heibergs Konzeption konsequent als philosophisch unhaltbar und wenig originell ablehnt.153 Obwohl Martensen in seinen Vorlesungen über die Geschichte der modernen Philosophie von Kant bis Hegel (1838/39) offen den Standpunkt vertrat, dass die Frage nach der persönlichen Unsterblichkeit in Hegels System unbeantwortet bleibt,154 schaltet er sich nicht direkt in die Debatte ein. In seiner Autobiographie berichtet er jedoch knapp über die Folgen der deutschen Unsterblichkeitsdebatte, von der er unmittelbar durch seine Studienreise Kenntnis gewonnen hatte. Er übernimmt hier ohne weiteres Strauss’ Einteilung der Schule und betont, Hegel habe nie versucht, die dogmatische Lehre der Unsterblichkeit,

149 „Hegelianismen kunde han da ikke Andet, end gjennemleve. Men for at blive bestandigen i den, kunde en Tænker, som Poul Møller, ikke give sig hen i den. Det kan ei høre ham til at lade sig hverve for Livstid af en Philosophie, som Hegels, eller lade sig gjøre til en Hegelianismo adscriptus.“ Frederik Christian Sibbern „Perseus, Journal for den speculative Idee. Udgiven af Johan Ludvig Heiberg, Nr. 1, Juni 1837“, Maanedsskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, S. 336. Acht Jahre später erinnerte auch Kierkegaard selbst Poul Martin Møller mit voller Anerkennung an die Selbstständigkeit des Denkens: „P. M., während alles hegelianisch war, ganz anders urteilte…“ SKS 7, 41 / AUN1, 30. 150 Vgl. Sibbern, „Perseus“, Maanadskrift for Litteratur, Bd. 19, 1838, S. 335. Zu Sibberns mutmaßlichem persönlichen Treffen mit Hegel in Nürnberg siehe: Stewart, “Johan Ludwig Heiberg and the Beginnings of the Hegel Reception in Denmark”, S. 173. 151 Vgl. Sibbern, „Perseus“, Maanadskrift for Litteratur, Bd. 20, 1838, S. 238f., S. 242. 152 „Læren om den menneskelige Salighed, og hvad dermed staaer i Forbindelse, er Eet, Læren om Udødeligheden er et ganske Andet.“ Sibbern, „Perseus“, Maanadskrift for Litteratur, Bd. 20, 1838, S. 240. 153 Sibbern, „Perseus“, Maanadskrift for Litteratur, Bd. 20, 1838, S. 242–244. 154 Siehe: Pap. II C 25, in: Pap. XII, 328.

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die er als ein präsentes Leben aufgefasst hatte, in sein System einzufügen.155 Im Jahr 1841, veröffentlicht Heiberg seine erfolgreiche poetisch-spekulative Komödie Eine Seele nach dem Tode, in der er sich mit der christlichen Eschatologie spekulativ zu versöhnen scheint, Martensen würdigt das Werk in einer äußerst sophistischen Rezension und zieht Parallelen zu Dantes Divina Commedia.156 Heibergs apokalyptische Komödie oszilliert gedanklich zwischen einer scharfen und subtilen Gesellschaftskritik und einer apokalyptischen Geschichte, der Theologe Eggert Christopher Tryde (1781–1860) würdigt sie dennoch eindeutig als eine „wahre Apokalypse“157 und Heiberg selbst als „Repräsentant der Religiosität unserer Zeit“158. Trotz dieser erhabenen theologischen Würdigungen scheint eine Erinnerung von Heibergs Ehefrau, Johanne Luise Heiberg, hinsichtlich der praktischen Schwierigkeiten beim Verständnis der Unsterblichkeitsproblematik mindestens beachtenswert: „Martensen besuchte uns abends oft, und das Gespräch zwischen ihm und Heiberg, dem wir zwei Damen [i.e. Heibergs Mutter und seine Ehefrau] nur schwer zu folgen vermochten, drehte sich lebhaft und mit Wärme um die Hegelsche Philosophie. Immerhin fasste das eine oder andere Fuß in unserem Gemüt und versetzte uns in Unruhe. Als Martensen uns verließ, bestürmten wir Heiberg mit Fragen. Insbesondere seine Mutter geriet in Leidenschaft über das, was sie aus dieser Lehre aufgeschnappt hatte, sodass sie immer wieder aus ihrem Schlafzimmer zurückkehrte, um ihre Einwände darzulegen. Ein Abend ist für mich unvergesslich. Beide Herren hatten Hegels Ansicht erörtert, dass die Unsterblichkeit der Individuen darin bestehe, sich Gesamt des großen Weltalls aufzugehen. Heibergs Mutter geriet darüber völlig außer sich. Wieder und wieder kehrte sie zurück, mit beständig tieferem Negligé, während sie die Lehre angriff. Auf diese Angriffe antwortete Heiberg nichts anderes als: ‚Gehe zu Bett, es ist schon spät.‘ ‚Verschmelzen‘, rief sie aus, ‚glaubst du, dass ich mit all den ekelhaften Tropfen verschmelzen werde?‘ ‚Geh ins Bett!‘“159 Gewiss kann

155 Hans Lassen Martensen, Af mit Levnet, Bd. 1, Kopenhagen 1882, S. 96. 156 Hans Lassen Martensen, „Nye Digte af J. L. Heiberg“, Fædrelandet, Nr. 398, 10. Januar 1841, col. 3208. 157 Eggert Christopher Tryde, „Nye Digte af J. L. Heiberg. Kbhvn., Reitzels Forlag 1841“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, 1841, S. 174. 158 Tryde, „Nye Digte af J. L. Heiberg“, S. 161. 159 „Martensen besøgte os ofte om aftenen, og samtalen mellem ham og Heiberg drejede sig varmt og livligt om den hegelske filosofi, som vi to damer jo havde ondt for at følge. Et og andet slog dog ned i vort sind og gjorde os urolige. Når Martensen da forlod os, stormede vi ind på Heiberg med spørgsmål. Især kom hans moder i lidenskab over, hvad hun opfangede af denne lære, så at hun ideligt vendte tilbage fra sit sovekammer for at fremføre sine indsigelser. En aften er mig uforglemmelig. Begge herrerne havde omtalt Hegels anskuelse om, at individernes udø-

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

man Frau Thomasine Gyllembourg keineswegs verübeln, dass sie den Begriff der Unsterblichkeit nicht spekulativ aufzufassen in der Lage war. Ihre Entrüstung ist aber hinsichtlich der unauflösbaren Spannung zwischen dem vulgären und dem philosophischen Verständnis der Unsterblichkeitsproblematik, die in jener Zeit auch in akademischen Kreisen zu leidenschaftlichen Debatten führte, zweifellos symptomatisch.

1.5.3 Aporien und Lösungsansätze Die obige schematische Übersicht über die Entwicklungen und inneren Zusammenhänge der deutschen und dänischen Unsterblichkeitsdebatte soll zeigen, dass die Debatte selbst nicht gänzlich unerwartet, nec opinate ausbrach, sondern ihre Gründe und Voraussetzungen zum Teil bereits die immanenten Ambivalenzen des Hegelschen Systems implizieren. Dies ist auch ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Ausbruch der offenen Kontroverse historisch eindeutig im Zusammenhang mit der postumen Veröffentlichung von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion steht, welche gerade die diesbezüglich zentralen Texte enthalten. Hegels religionsphilosophische Grundthesen über die inhaltliche Identität von Philosophie und Religion sowie jene über die spekulative Rechtfertigung der Religion durch das System erwiesen sich nicht nur für diejenigen problematisch, die sich zum System ab ovo kritisch und mit Vorbehalt verhielten, sondern auch für jene, die sich mit Hegels spekulativem Standpunkt identifizierten und das Problem zu lösen versuchten, wie die religiöse Vorstellung der Unsterblichkeit in dem spekulativen Begriff der Ewigkeit so aufgehoben werden kann, dass in ihr die Geltung des Individualitätsprinzips bewahrt und zum Ausdruck gebracht werden kann. Mögliche Lösungsansätze wurden dadurch spekulativ belastet (oder beinahe unmöglich gemacht), dass die unendliche Expansion von endlichen Bestimmungen notwendig zur „schlechten Unendlichkeit“ führt, die das genaue Gegenteil der spekulativen Unendlichkeit und Ewigkeit des absoluten Geistes bildet. Wenn die Religion als ein mystisches Einswerden mit dem Absoluten verstanden wird, dann erscheint im Hinblick auf die Unsterblichkeit

delighed bestod i at gå op i det hele store verdensalt. Dette bragte Heibergs moder aldeles ud af sig selv. Atter og atter kom hun ind, i dybere og dybere negligé, idet hun angreb læren. På disse angreb svarede Heiberg ikke andet end: ‚Gå i din seng, klokken er mange.‘ – ‚Smelte sammen!‘ udråbte hun, ‚tror du, jeg vil smelte sammen med alle de mange ækle dråber?‘ – ‚Gå i din seng!‘“ Johanne Luise Heiberg, Et liv genoplevet i erindringen, Bde. 1–4, Kopenhagen 1973, 5. Ausg., Bd. 1, S. 324.

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das Beharren auf endlich-individuellen Bestimmungen des subjektiven Geistes unvermeidlich als ein Zeichen des religiösen Egoismus und der Unmündigkeit. Diese Folgerung haben nicht nur Feuerbach und Richter, sondern bereits der junge Schleiermacher gezogen. Wenn aber die Individualität als ein wesentliches Moment des Geistes akzentuiert wird, dann wird die innere Logik des Systems zu Folgerungen führen, die sich mit den religiösen Vorstellungen und Glaubensgehalten nicht leicht vereinbaren lassen. Bachmann und Staudenmaier haben, wie oben gezeigt, radikale Konsequenzen daraus gezogen, letzterer hat die Philosophie Hegels sogar als atheistisch zu disqualifizieren versucht. Wäre es zwar voreilig, aus diesem Dilemma auf ein unauflösbares Entweder-Oder zwischen Allgemeinheit und Individualität hinsichtlich der Unsterblichkeitsproblematik zu folgern, bleibt doch auffallend, dass es gerade dieses Problem war, das die Schule in der Unsterblichkeitsdebatte wesentlich zur Spaltung trieb. Der Tod wurde von niemandem als gänzliche Vernichtung aufgefasst (auch der von Feuerbach beinahe mystisch akzentuierte Ganztod hatte den Hegelschen Sinn, den Tod als Triumph der Gattung über das Individuum zu begreifen); vielmehr war die Frage, wie und inwiefern die philosophische Interpretation der Unsterblichkeit das in der religiösen Vorstellung zweifellos präsente Individualitätsprinzip bewahren kann, ohne die eigene Konsistenz zu verlieren. Die historische Erforschung dieser Frage darf nicht außer Acht lassen, wie dieser Problemkomplex in den Debatten des 19. Jahrhunderts über die theologische Relevanz hinaus starke politische und moralische Aspekte hervorbrachte, wodurch der Diskussionsort des Themas mitunter auf die politische Ebene verschoben wurde. Die Bezeichnung für und die Unterscheidung zwischen dem „rechten“ und dem „linken Flügel“ der Hegelschen Schule wurde von David Strauss erst im Jahre 1837 in der christologischen Debatte eingeführt, als die Kontroverse über die Unsterblichkeit seit langem in vollem Gange war. Wenn man die verschiedenen Positionen innerhalb der beiden Flügel näher betrachtet, wird man bemerken, dass sie keineswegs einheitliche Richtungen repräsentieren:160 Während nämlich Richter davon überzeugt war, dass sich die Hegelsche Philosophie kritisch zur christlichen Eschatologie verhält, war Feuerbach in den Gedanken überhaupt nicht darum bemüht, die spekulative Widerlegung der christlichen Unsterblichkeitsauffassung und den Konflikt zwischen Hegels Philosophie und dem Christentum auszuarbeiten. Ferner zielte Feuerbach keineswegs auf eine reine Destruktion des Unsterblichkeitsglaubens ab, wie dies bei Richter vorherrschend war, sondern auf eine Korrektur derselben. Im anderen Flügel der Schule macht sich die gleiche

160 Jon Stewart, “Hegel’s Philosophy of Religion and the Question of ‘Right’ and ‘Left’ Hegelianism”, S. 84–88.

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Heterogenität bemerkbar. Während Marheineke und Michelet versuchten, die christliche Unsterblichkeitsauffassung spekulativ zu erweisen, ohne aber diesen Standpunkt ausdrücklich Hegel zuzuschreiben, haben sich Weisse, Rosenkranz und Göschel – ebenso Rechtshegelianer – darum bemüht zu zeigen, dass Hegel eine festgefügte Unsterblichkeitsdoktrin (oder zumindest einen theoretischen Grund dafür) hatte, die mit der christlichen Auffassung konsistent ist. Wenn man die verschiedenen Positionen innerhalb der sogenannten „Hegel-Kritiker“ untersucht, zeigt sich, dass Kritiker wie Schubart, I. H. Fichte, Bachmann und Møller de facto die linkshegelianische Auffassung im Hinblick darauf teilten, dass in Hegels System keine Doktrin der Unsterblichkeit zu finden ist. Sie unterschieden sich allerdings darin, dass die Linkshegelianer diesen Umstand positiv bewerteten, die Hegel-Kritiker dagegen genau wegen der fehlenden Beweisstellen das System angriffen. Aufgrund dieser Umstände sollte die Forschung zur Schlussfolgerung kommen, dass die von Strauss übernommenen Kategorien zur historischen Analyse der Hegelschen Schule nicht, oder wenn überhaupt nur in einem bestimmten Sinne, hilfreich sind, da durch ihre Verwendung das historische Bild dieser Periode nur verhüllt und nicht erhellt wird. Die dänische Rezeption der Hegelschen Religionsphilosophie ist nicht nur deshalb relevant, weil die immanente Spannung und Spaltung der Schule sich zum Teil auch im dänischen Geistesleben geltend gemacht und zu bedeutenden Denkleistungen geführt hat (auch wenn hier nicht von einer bestimmte „Schule“ die Rede sein kann), sondern weil in der späteren Periode der dänischen Debatte eine originelle Konzeption auftauchte, durch welche die ganze objektivistische, metaphysisch orientierte Diskussion destruiert und das Problem selbst existentiell neu gefasst wurde. Søren Kierkegaard hat die subjektive Jemeinigkeitsstruktur des Problems herausgearbeitet und die Unsterblichkeit als eine Existenzmöglichkeit aufgefasst und damit eine neue Richtung für das Verständnis der Unsterblichkeit vorgegeben. Seine diesbezügliche Leistung, wie wir in Kürze sehen werden, erschöpft sich nicht bloß in einer berechtigten Kritik, sowohl an den orthodoxen Verteidigern des christlichen Dogmas wie auch an seinen Verächtern, sondern eröffnet einen existenzialen Horizont für das Verständnis des menschlichen Seins innerhalb dessen die Unsterblichkeitsproblematik neu formuliert werden kann. Kierkegaard lässt in einer der christlichen Reden Folgendes vorbringen: „Nichts ist gewisser als die Unsterblichkeit; du sollst dich nicht darum sorgen, nicht Zeit damit vergeuden, nicht eine Ausflucht darin finden wollen, daß du sie beweisen willst oder daß du sie beweisen wünschst – fürchte sie, sie ist nur allzu gewiß, zweifle nicht, ob du unsterblich seiest, erbebe, denn du bist unsterblich.“161 Statt

161 SKS 10, 212 / ChR, 218f.

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eine theoretische Beziehung zur Unsterblichkeit zu pflegen soll der Einzelne sich also authentisch mit vollem subjektiv-existenzialen Pathos zu ihr verhalten. Ob es hier um eine tatsächliche Überwindung der klassischen Kontroverse geht, oder ob das Problem nach wie vor ungelöst bleibt, sollen die folgenden Überlegungen zeigen.

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2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen: Reflexionen auf die Unsterblichkeitsproblematik in Søren Kierkegaards Schriften Kierkegaards Unsterblichkeitskonzeption speist sich zwar aus zahlreichen Stellen seiner Schriften, wird darin allerdings nicht in einer konsistenten Unsterblichkeitslehre ausgeführt.1 Das Fehlen einer solchen Lehre muss nicht notwendig als negatives weil unvollständiges Moment im Kierkegaardschen Denken bezeichnet werden, im Gegenteil, scheint es mir als eine direkte Folge aus dem Ansatz und Inhalt seines Denkens zu resultieren. Da sich die Periode der eigentlichen Diskussion über die Unsterblichkeit in Dänemark mit Kierkegaards Studienjahren überschneidet, wäre es anachronistisch, Kierkegaards Beiträge als direkte Stellungnahmen zur Diskussion zu interpretieren. Trotzdem waren Kierkegaard die verschiedenen Positionen sehr wohl bekannt und viele von ihnen dienten ihm als Zielscheibe seiner ironischen Bemerkungen. Er war mit Poul Martin Møller weitgehend darin einig, dass die Unsterblichkeitsproblematik auf der Ebene der – in Dänemark besonders von Heiberg repräsentierten – Hegelschen Spekulation unlösbar sei. Ebenso wie Møller betont auch Climacus in der Nachschrift, dass die Unsterblichkeit im System nicht bewiesen wird und zwar schlicht deshalb nicht, weil sie sich objektiv und spekulativ nicht denken lässt. Hegels Versuch, den Verstandesbegriff der

1 Malantschuk hebt ausdrücklich hervor: „Kierkegaard har ikke givet en modsigelsesfri Løsning af ‚et af de allervanskeligste‘ Problemer [d.v.s. af Udødeligheden – I. Cz.].“ Gregor Malantschuk, „Problemer omkring Selvet og Udødeligheden i Søren Kierkegaards Forfatterskab“ in ders. Frihed og eksistens. Studier i Søren Kierkegaards Tænkning, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Paul Müller, Kopenhagen, Reitzel 1980, S. 127. Ebenso stellt Dupré kategorisch fest: “The idea of immortality, constantly assumed, is never adequately treated in his (i.e. Kierkegaard’s) work.” Louis Dupré, “Of Time and Eternity,” in The Concept of Anxiety, hg. von R. L. Perkins, Macon 1985 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 8.), S. 129. Zu diesem Thema siehe Kjældgaard, Sjælen efter Døden. Guldaldernes moderne gennembrud, bes. S. 212–280; ders., “What It Means to Be Immortal. Afterlife and Aesthetic Communication in Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript”, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2005, S. 90–112. Für meine Forschungen habe ich diesen bemerkenswerten Arbeiten Kjældgaards viele Anregungen entnommen. Siehe ferner: Tamara Monet Marks, “Kierkegaards ‘New Argument’ for Immortality”, Journal of Religious Ethics, 2010, S. 143–186; István Czakó, „Unsterblichkeitsfurcht. Ein christlicher Beitrag zu einer zeitgenössischen Debatte in Søren Kierkegaards ‚Gedanken, die hinterrücks verwunden – zur Erbauung‘“, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2007, S. 227–254; Ders., “Becoming Immortal. The Historical Context of Kierkegaard’s Concept of Immortality”, Acta Kierkegaardiana, Bd. 3, 2008, S. 59–71.

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Unsterblichkeit in den spekulativen Begriff der Ewigkeit aufzuheben, wird von Climacus als grundsätzliches Missverständnis scharf kritisiert und abgewiesen: „Ich weiß, daß ich sie [d.h. die Unsterblichkeit] im System nicht gefunden habe, wie es auch ungereimt ist, sie dort zu suchen; denn in phantastischem Sinne geschieht alles systematische Denken sub specie aeterni, und insofern ist dort auch die Unsterblichkeit als Ewigkeit, aber diese Unsterblichkeit ist gar nicht die, nach der gefragt wird, da nach der Unsterblichkeit des Sterblichen gefragt wird, was nicht dadurch beantwortet wird, daß man zeigt, daß das Ewige unsterblich ist; denn das Ewige ist ja nicht das Sterbliche, und die Unsterblichkeit des Ewigen ist eine Tautologie, und ein Mißbrauch der Worte.“2 Der Haupteinwand des pseudonymen Climacus ist also, dass das Problem der Unsterblichkeit eines wirklichen, existierenden Individuums in Hegels Immanenzdenken verfehlt wird, da der spekulative Denker eben von der Wirklichkeit der Existenz und der Subjektivität abstrahiert. Die Unsterblichkeit des Sterblichen hängt in christlicher Hinsicht wesentlich mit der Sterblichkeit des Unsterblichen (d.h. mit dem Paradox des Todes Christi) zusammen.3 Diese Unsterblichkeit des Existierenden folgt nicht aus der spekulativen, dialektisch vermittelten Einheit des endlichen Geistes mit dem absoluten Geist, sondern ist allein im und aus dem Kontext des – thematisch in Climacus’ Philosophischen Brocken ausgearbeiteten – absoluten Paradoxes (als das Werden des Ewigen) und der leidenschaftlichen Subjektivität (in Gestalt von Pathos und Interesse) zu begreifen.4 Im Folgenden werden Kierkegaards pseudonyme und autonyme Schriften im Hinblick auf die Unsterblichkeitsproblematik im Detail erörtert. Der dänische Denker entwickelt zwar keine „neue Unsterblichkeitslehre“ à la Friedrich Richter, seine Konzeption ist aber dennoch einzigartig, weil sie die spezifisch existentiale Erörterung einer – in seiner Zeit – äußerst sensiblen philosophischen und theologischen Grenzfrage ermöglicht. Um den Kern dieser genuinen Konzeption aufzeigen zu können, wird zunächst auf die – durch Kierkegaard aufgedeckten – formalen Strukturen der Frage reflektiert, danach die relevanten Passagen des

2 SKS 7 158f. / AUN1, 162. 3 “Climacus’ notions of incarnation and anthropology mirror each other: the immortality of the mortal being stands opposite the mortality of immortal, which is the paradox of the death of Christ.” Kjældgaard, “What It Means to Be Immortal”, S. 105. 4 SKS 4, 242–252 / PB, 34–46. Obwohl Climacus’ Ausgangsproblem in den Philosophischen Brocken die Frage ist, ob man eine ewige Seligkeit auf ein geschichtliches/historisches Wissen gründen kann, wird die philosophische Problematik der Unsterblichkeit in diesem Werk nicht direkt erörtert. Die Unsterblichkeitsfrage taucht nur im Kontext des griechischen Pathos und der Sokratischen Lehre der Anamnese auf und wird mit der Präexistenz der Seele thematisch verknüpft. Siehe SKS 4 218f. / PB, 8.

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Œuvres Schritt für Schritt bearbeitet, bevor letztlich eine von Kierkegaards rhetorisch stärksten Reden untersucht werden soll. Dabei sei nicht außer Acht gelassen, dass die Annäherungsweisen der pseudonymen Schriften und der christlichen Reden stark voneinander abweichen, dennoch scheint es mir möglich, die verschiedenen Positionen – unter Absehen von einer umgreifenden philosophischen Systembildung – integrieren zu können.

2.1 Subjektivität und Unsterblichkeit 2.1.1 Die formale Struktur der Frage Zahlreiche Textstellen der Kierkegaardschen Schriften gelten als Reflexionen auf die während seiner Studienjahre noch in der Entwicklung befindliche Diskussionsthematik5 und es darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Debatte in den deutschen Staaten und Preußen in den 1840ern noch im vollen Gange war. Obwohl es also offensichtlich anachronistisch wäre, Kierkegaards diesbezügliche Feststellungen als direkte Stellungnahme zur dänischen Diskussion zu erörtern, wäre ebenso fragwürdig, seine Auffassung ohne Rückblick auf den oben geschilderten geschichtlichen Kontext rekonstruieren zu wollen. „Was eigentlich die Hauptaufgabe ausmachen wird in Hinsicht auf die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, wird gewiss eher die Beschaffenheit der Unsterblichkeit sein als die Unsterblichkeit selbst“6 – bemerkt Kierkegaard in einer seiner frühesten diesbezüglichen Reflexionen. Diese Formulierung antizipiert bereits eine seiner wichtigsten Einsichten, die in der Nachschrift über mehrere Seiten hin kritisch ausgeführt wird und der zufolge in der Spekulation die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele ausgiebig besprochen wird, ohne dabei die eigenartige Konstitution der Frage selbst untersucht zu haben.7 Worin besteht diese spezifische Eigenart der Unsterblichkeitsfrage? In ihrer existenzialen Struktur, kurz in dem Umstand, dass die Frage selbst eigentlich nicht gestellt werden kann ohne eine ständige Reflexion auf den Fragenden als existierendes Individuum. Das Individuum bzw. dessen Existenzialität ist jeweils in der Frage

5 Siehe besonders: SKS 7 158–166 / AUN1, 161–167. 6 SKS 18, 18, EE:39 / DSKE 2, 15. 7 Als Ausnahme wird Poul Martin Møller erwähnt, der „auf die unendliche Schwierigkeit der Unsterblichkeitsfrage aufmerksam wurde.“ SKS 7, 159 / AUN1, 162. Møller macht auf die Problematik der a priori spekulativen Beweise der Unsterblichkeit sowie auf den Unterschied zwischen den matematischen Beweisen und den Unsterblichkeitsbeweisen ausdrücklich aufmerksam. Vgl. TM, 180–183.

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strukturell involviert und daher kann diese nie objektiv, abstrakt und interessenlos gestellt und beantwortet werden.8 Man kann diese Gegebenheit mit der Terminologie der Daseinsanalytik nach Heidegger als die subjektive Jemeinigkeitstruktur9 der Unsterblichkeitsfrage bezeichnen. Da es sich im Falle der Unsterblichkeit um eine Existenzfrage sensu eminentiori handelt, sind die Bestrebungen der abstrakten Spekulation bereits in methodischer Hinsicht gänzlich ungeeignet, das Problem überhaupt nur zu erörtern. „Systematisch lässt sich die Unsterblichkeit nicht beweisen. Der Fehler liegt nicht an den Beweisen, sondern daran, dass man nicht versteht, dass systematisch betrachtet die ganze Sache Nonsens ist. […] Die Unsterblichkeit ist das leidenschaftlichste Interesse der Subjektivität, und im Interesse liegt gerade der Beweis.“10 Kierkegaards Auffassung der Unsterblichkeit lässt sich in die Reihe der verschiedenen zeitgenössischen Konzeptionen keineswegs einordnen, da es sich hier nicht um einen neuen Beweisversuch, sondern vielmehr um eine grundsätzliche Destruktion und existentielle Überwindung dieses ganzen philosophischen Programms handelt. Wenn von einem Beweis für die Unsterblichkeit bei Kierkegaard überhaupt die Rede sein soll, klänge er wohl wie folgt: „das ist ganz sicher, denn mein Vater hat es mir gesagt.“11 Auf die Besonderheit des Verhältnisses der Beweise zu Gewissheit und Überzeugung im Bereich der Unsterblichkeitsproblematik lenkt Vigilius Haufniensis die Aufmerksamkeit folgendermaßen: „Welche außerordentlichen logischen und metaphysischen Anstrengungen sind nicht in unserer Zeit gemacht worden, um einen neuen, einen erschöpfenden, einen schlechthin richtig aus allen früheren

8 „Die Misslichkeit der Abstraktion zeigt sich eben in bezug auf alle Existenzfragen, wo die Abstraktion die Schwierigkeit dadurch entfernt, dass sie sie auslässt, und dann sich damit brüstet, alles zu erklären. Sie erklärt die Unsterblichkeit überhaupt, und siehe da, das geht vortrefflich, indem die Unsterblichkeit mit der Ewigkeit identisch wird, mit der Ewigkeit, welche wesentlich das Medium des Gedankens ist. Aber darum, ob ein einzelner existierender Mensch unsterblich ist, worin gerade die Schwierigkeit liegt, kümmert sich die Abstraktion nicht.“ SKS 7, 275 / AUN2, 2. 9 „Das Seiende, dessen Analyse zur Aufgabe steht, sind wir je selbst. Das Sein dieses Seienden ist je meines.“ SZ 41 (§ 9). „Das Sterben muss jedes Dasein jeweilig selbst auf sich nehmen. Der Tod ist, sofern er ‚ist‘, wesensmässig je der meine. Und zwar bedeutet er eine eigentümliche Seinsmöglichkeit, darin es um das Sein des je eigenen Daseins schlechthin geht. Am Sterben zeigt sich, dass der Tod ontologisch durch Jemeinigkeit und Existenz konstituiert wird.“ SZ, 240 (§ 47). 10 SKS 7, 161 / AUN1, 164. 11 „Der beste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele […] ist eigentlich der Eindruck, den man davon in seiner Kindheit empfängt, also der Beweis, der zum Unterschied von jenen vielen gelehrten und hochtrabenden folgendermaßen bezeichnet werden könnte: das ist ganz sicher, denn mein Vater hat es mir gesagt.“ SKS 20, 417 (NB5:114) / T 3, 25f.; vgl. SKS 7, 502 / AUN2, 263.

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Beweisen zusammengefügten Beweis für die Unsterblichkeit der Seele zu führen, und merkwürdig genug, während dies geschieht, nimmt die Gewissheit ab.“12 Die existentielle Gewissheit der Unsterblichkeit kann also nie Folge theoretischer Deduktionen sein. Obwohl sich die Unsterblichkeit der Seele mit den Methoden der objektiven Wissenschaften und der Spekulation nicht beweisen lässt, soll das existierende Individuum der Überzeugung in diesem Bereich doch nicht entbehren. In einer Passage des Journals aus dem Jahre 1847 erläutert Kierkegaard, dass es in der Mathematik (d.h. in der Wissenschaft) eigentlich keine Überzeugung (Overbeviisning) sondern nur ein Beweisen (Beviisning) geben könne.13 Das Spezifische an existentiellen Sätze sei eben, dass es in diesem Bereich für jeden einzelnen Beweis (Beviis) einen Gegenbeweis (Modbeviis) gibt; hier gibt es immer ein pro und contra. Die Überzeugung lässt sich folglich nicht aus den Beweisen deduzieren, sondern sie steht über ihnen.14 Das heißt, dass es hier um einen Abbruch der Kontinuität der Immanenz des Denkens, oder – mit Climacus’ Ausdruck – um einen Sprung handelt.15 Die Gewissheit der Unsterblichkeit liegt für Climacus nicht in den Beweisen, sondern in der Subjektivität,16 d.h. in der leidenschaftlichen Innerlichkeit des existierenden Individuums.17

12 SKS 4, 439 / BA, 144. 13 Siehe dazu P. M. Møllers Bemerkung zur Verschiedenheit des Beweises in der Mathematik und in der Unsterblichkeitsfrage: TM, 180f. 14 „Eine Überzeugung wird deshalb eine Überzeugung genannt, weil sie über den Beweis geht.“ SKS 20, 79f., NB: 102 / T 2, 72f. Bemerkenswerterweise hat bereits Kant die Aufmerksamkeit auf die Nutzlosigkeit der metaphysischen Beweise der Unsterblichkeit gelenkt: „Ich frage den unbiegsamen Dogmatiker, ob der Beweis von der Fortdauer unserer Seele nach dem Tode aus der Einfachheit der Substanz […] jemals bis zum Publikum gelangen […] und auf dessen Überzeugung den mindesten Einfluss haben [kann]?“ Immanuel Kant Kritik der reinen Vernunft, in Kant. Werke, Bd. III/I, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, S. 34 (KrV B XXXIII). 15 SKS 4, 248 / PB, 41; vgl. SKS 27, 275, Papír 283:1. 16 „Wenn einer objektiv der Unsterblichkeit nachforscht und ein anderer die Leidenschaft der Unendlichkeit in die Ungewissheit setzt: wo ist dann am meisten Wahrheit, und wer hat die meiste Gewissheit? Der eine ist ein für allemal auf ein Approximieren eingegangen, das niemals endet, denn die Gewissheit der Unsterblichkeit liegt ja gerade in der Subjektivität.“ SKS 7, 184 / AUN1, 192. 17 Johannes de silentio hebt auch hervor, dass im leidenschaftlichen Unsterblichkeitsglauben der Zweifel aufgehoben ist: „Man kann sich also mit dem Gedanken die Zeit vertreiben, wie wunderlich es doch ist, das gerade in einer Zeit, wo doch jedermann das Höchste zu tun vermag, der Zweifel an der Unsterblichkeit der Seele so verbreitet sein kann: denn wer nur wirklich die Bewegung der Unendlichkeit gemacht hat, der zweifelt schwerlich. Die Schlussfolgerungen der Leidenschaft sind die einzig verlässlichen, d.h. die einzig überzeugenden.“ SKS 4, 189 / FZ, 113.

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2.1.2 Die Dialektik des Unsterblichwerdens Kierkegaard selbst rechnet die Fragestellungen der Unsterblichkeitskonzeption zu den allerschwierigsten, weil sie in seinem Denken mit der Frage des Selbstwerdens und mit jener des Einzelnen (Enkelte) eng zusammenhängen.18 Was den Kern des Problems angeht, können wir die Schwierigkeit mit Malantschuk19 kurz wie folgt schildern: Im Begriff Angst und in der Nachschrift gehen Kierkegaards Pseudonyme von der Voraussetzung aus, dass jeder Mensch die Möglichkeit des Ewigen in sich trägt, aber nur als Möglichkeit. Solange diese Möglichkeit nicht durch den Sprung in die Wirklichkeit übergeht, kann von einer wirklichen Unsterblichkeit und von einem Selbstwerden des Einzelnen eigentlich nicht die Rede sein. Der Übergang, durch den die Existenz von der Möglichkeit in die Wirklichkeit gelangt, gibt dem Einzelnen und seinem Leben eine neue Qualität. Vor der Verwirklichung des Überganges ist das Individuum nur potenziell unsterblich, zugleich ist es noch der Allgemeinheit des Menschengeschlechtes untergeordnet.20 Die Unsterblichkeit kann nur in einem abstrakten Sinne als Wesensbestimmung des Menschen gelten, sie ist in dieser Form nicht, sondern nur als eine Existenzbestimmung der wirklichen Subjektivität, die erst durch das Selbstwerden bzw. durch das Aufkommen des Geistes als positiv synthetisierendes Moment in der Leib-Seele Synthese zuwege kommt.21

18 Malantschuk kommt sogar zur Feststellung, dass diese Begriffe in Kierkegaards Denken in einer Parallelbeziehung stehen: „Individet bliver først efter, at det er kommet i et eksistentielt Forhold til det evige og har gjort Springet fra det eviges Mulighed til dets Virkelighed, kvalificeret som et Selv eller den Enkelte. Vi kan derfor betragte Begreberne Udødeligheden, Selvet eller og den Enkelte som parallelle Begreber.“ Gregor Malantschuk „Problemer omkring Selvet og Udødeligheden i Søren Kierkegaards Forfatterskab“ in Ders. Frihed og eksistens. Studier i Søren Kierkegaards Tænkning, hg. von Niels Jørgen Cappelørn, Paul Müller, Kopenhagen, Reitzel 1980 (im Folgenden: PS), S. 114. Diese Zusammengehörigkeit wird auch von Haufniensis akzentuiert: „Jedes Menschenleben ist religiös angelegt. Dies leugnen wollen, heißt alles sich verwirren lassen, und den Begriff Individuum, Geschlecht, Unsterblichkeit aufheben. Es wäre zu wünschen dass man seinen Scharfsinn auf diesen Punkt wendete, denn hier liegen überaus schwierige Probleme.“ SKS 4, 407 / BA, 107. 19 Siehe: PS, 114–116. 20 Dies wird problematisch wie folgt formuliert: „[S]oll das Welthistorische etwas sein, dann muss es die Geschichte des Menschengeschlechtes sein. Hier liegt nun ein Problem, das nach meiner Auffassung eins der allerschwierigsten ist: Wie und wieweit das Geschlecht aus Individuen resultiert, und wie das Verhältnis der Individuen zum Geschlecht ist.“ SKS 7, 144 / AUN1, 144. 21 Zur Dialektik des Selbstwerdens von der unmittelbaren Unwissenheit darüber, ein ewiges Selbst zu haben, bis zum theologischen Selbst, d.h. zum Selbst vor Gott, siehe: SKS 11, 193–196 / KT, 77–81.

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Kierkegaard versucht also jenen, Malantschuk nennt ihn, „dogmatischen“22 Standpunkt zu bewahren, nach dem jeder Mensch qua Mensch unsterblich ist (gleichwohl hält er diese Auffassung nur für eine abstrakte Definition der Unsterblichkeit), zugleich interpretiert er diese Konzeption existenziell, indem er die Unsterblichkeit als eine Existenzmöglichkeit auffasst, die vom Einzelnen zu realisieren ist. Die Unsterblichkeit ist folglich für ihn nicht einfach eine statische metaphysische Qualität der menschlichen Seele etwa im Sinne einer platonischen Seelenmetaphysik, die aus dem Begriff der Seele a priori deduziert werden könnte, sondern eine Möglichkeitsform für das existierende Individuum, die erst in der Dialektik des Selbstwerdens bzw. Subjektivwerdens des Einzelnen verwirklicht wird. Wenn der Mensch in das Allgemeine hineinsinkt und sich der Gattung als oberstem Prinzip unterordnet, kann seine Unsterblichkeit nicht als eine verwirklichte Möglichkeit gelten. Wenn die – im Menschen angelegte – Ewigkeit eigentlich ein Attribut des Geistes ist, wodurch der Mensch letztendlich unsterblich werden kann und wenn der Geist als beständiges Zusichselbstkommen immer Vermittlung ist, dann kann die Unsterblichkeit nicht anders als eine Werdensbestimmung gedacht werden. Diese Dialektik, welche die Phänomenologie des Selbstwerdens in der Krankheit zum Tode bezeichnet, ist folglich identisch mit jener des Unsterblichwerdens, und die höchste Form des Unsterblichkeitsbewusstseins ist nichts anderes als das Bewusstsein des Seins „vor Gott“ (for Gud).23 Das vor Gott Selbst gewordene Individuum ist höher als das Allgemeine: Es erreicht seine Unsterblichkeit nicht durch sein Verhältnis zum Geschlecht in Form einer Fortpflanzung,24 sondern als Einzelner, der sich absolut zum Absoluten verhält.

22 Vgl. PS, 116. 23 SKS 11, 193 / KT, 77. 24 Wie Kierkegaard bemerkt, kann die Fortpflanzung nur als ein Ersatz und keineswegs als eine Form (wie z.B. bei Feuerbach) der Unsterblichkeit gelten: „Daß diese Sache mit dem Sexuellen der Mittelpunkt menschlicher Selbstsucht ist, weiß Gott natürlich nur allzu gut und deshalb ist eben das aufs Korn genommen worden. Und die allergeringste Beobachtung kann einen auch leicht dessen vergewissern, daß hier die menschliche Selbstsucht ganz und gar zuhause ist. / So forderte denn Gott – dieser Selbstsucht zu entsagen – und dann brachte er die Unsterblichkeit an den Tag. Denn, was ich oft in diesen Tagebüchern besprochen habe, die Fortpflanzung des Geschlechts (was ja beide, Plato und Aristoteles ausdrücklich aussprechen) war ja für das Heidentum, war auch für das Judentum Ersatz für Unsterblichkeit.“ SKS 26, 324, NB34:13 / T 5, 334f. Zu Kierkegaards Konzeption über die Beziehung der Sexualität und Sinnlichkeit zum Selbst- bzw. Unsterblichwerden siehe: PS, 124–126.

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2.2 Das Paradox der Unsterblichkeit in der Dissertation und in den pseudonymen Schriften Sicher hat Kierkegaard Poul Martin Møllers wirkungsvollen Artikel über die Unsterblichkeitsproblematik noch nicht im Jahre 1837, d h. unmittelbar nach seinem Erscheinen, eingehend studiert.25 Møllers Verdienst war nicht nur, auf die unendliche Schwierigkeit dieses Problems aufmerksam gemacht zu haben, sondern auch den von Heiberg repräsentierten Hegelschen Standpunkt offen und ausdrücklich zu kritisieren. Da der Hegelianismus in der Zeit eine bedeutende Rolle im dänischen Geistesleben spielte, erregte Møllers offene Kritik große Aufmerksamkeit. Für Kierkegaard war Møllers Schrift ein Zeichen derjenigen denkerischen Selbstständigkeit, die einen neuen Horizont für die Diskussion eröffnete. Møller, der von Kierkegaard hochgeschätzt Professor, im Jahre 1838 verstorben, inspirierte seinen Schüler erneut in der Themenwahl der 1840/41 verfassten Dissertation. Nicht zufällig wird Møller später in der Widmung zu Der Begriff Angst als „glücklicher Liebhaber des Griechentums, Bewunderer Homers, Mitwisser des Sokrates“26 charakterisiert. In der im Jahre 1841 veröffentlichten Doktorarbeit wird die Unsterblichkeitsproblematik im umfangreichen Kapitel über Platons Sokratesdeutung eingehend erörtert. Kierkegaard rekapituliert gründlich die bekannten Argumente aus dem Phädon und schildert Sokrates’ Todesauffassung in der Apologia. Die minuziöse Rekonstruktion der Argumente folgt zunächst augenscheinlich den herkömmlichen Interpretationen, doch Kierkegaards Auffassung weicht von den führenden Sokratesdeutungen beträchtlich ab. Ihm scheinen alle sokratischen Argumente für die Unsterblichkeit der Seele in der Schwebe und Unsicherheit der Ironie zu verbleiben. Der Grund dafür liegt keineswegs in äußerlichen, zufälligen Umständen sondern vielmehr im Wesen des Sokratischen Denkens. Kierkegaards Deutung sieht die Sokratische Ironie keineswegs als bloß rhetorische Technik, sondern in ihr kommt die Sokratische Anschauung selbst zum Ausdruck, die also nur in einer negativen Weise, als unendliche, absolute, alles vernichtende Negativität aufgefasst werden kann. Sie ist deshalb der Schlüssel zur Interpretation des Phädons: „Was nun die Ironie in Phädon anlangt, so muss sie natürlich aufgefasst werden in dem Moment, da die Ironie als Anschauung die Veste, welche die Wasser des Himmels und der Erde scheidet, niederbricht und sich mit der totalen Ironie vereinigt, die das Individuum zunichte macht.“27 Das ist

25 SKS 17, 134, BB:41 / DSKE 1, 145. 26 SKS 4, 311 / BA, 3. 27 SKS 1, 136 / BI, 80f.

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gerade das punctum saliens der Phädondeutung Kierkegaards: Er zeigt, dass Sokrates’ Argumente für die Unsterblichkeit der Seele allem Anschein zum Trotz dem Wesen nach ironisch konzipiert sind. Sokrates’ Verdienst liege nicht in objektiven Lehrsätzen über die Beschaffenheit der Seele und der Unsterblichkeit,28 sondern darin, das Problem der Unsterblichkeit in seiner objektiven Unsicherheit für die Subjektivität ironisch aufrecht zu erhalten. Für Kierkegaard kristallisiert sich die Ironie als das sokratische Element in allen platonischen Dialogen heraus. Eine ironische Situation schildert auch der Ästhet aus Entweder/Oder, die aber von jenen des Sokrates bedeutend abweicht: Gemeinsam bleibt nur noch die Unmöglichkeit des objektiven Beweises. Der Narrator der Aphorismen der Diapsalmata, während er in der Gelehrtenschule und für die Zulassungsprüfung ausgezeichnete Aufsätze über die Unsterblichkeit der Seele verfassen konnte, kam in seinem 25. Lebensjahr dazu, gar keinen Beweis für die Unsterblichkeit führen zu können: „Insbesondere erinnere ich mich aus meiner Schulzeit, dass ein Aufsatz von mir über die Unsterblichkeit der Seele außerordentlich gerühmt und vom Lehrer vorgelesen wurde […]. Ach, ach, ach! Diesen Aufsatz habe ich lange schon fortgeworfen. Welch ein Unglück!“29 Demgegenüber weiß der Ethiker des zweiten Teiles ganz genau worin die Unsterblichkeit eigentlich besteht: Sie liegt in der ethischen Subjektivität. „Die Energie, mit der ich mir meiner ethisch bewusst werde, ist es also, darauf es ankommt, oder richtiger, ich kann mir meiner nicht ethisch bewusst werden ohne Energie. Ich kann mir darum nie meiner ethisch

28 In einigen späteren Journalaufzeichnungen aus dem Jahre 1850 steht Kierkegaard kategorisch fest: „Socrates søgte ikke først at sanke nogle Beviser for Sjelens Udødelighed, for saa at leve, troende i Kraft af Beviserne. Lige omvendt, han sagte: dette med Udødeligheden, om den muligt skulde være, beskæftiger míg i den Grad, at jeg ubetinget som var den det Visseste af Alt, vover at sætte hele mit Liv ubetinget ind herpaa. Saaledes levede han – og hans Liv er et Beviis for Sjelens Udødelighed. Han troende ikke først i Kraft af Beviser og levede saa: nei, han[s] Liv er Beviset, og først i hans Martyr-Død er Beviset færdigt.“ SKS 23, 51, NB 15:75. „Socrates kunde ikke bevise Sjelens Udødelighed. Han sagte blot: denne Sag beskæftiger mig saa meget, at jeg vil indrette mit Liv, som var der en Udødelighed […].“ SKS 23, 425, NB20:58. Demgegenüber stellt Anti-Climacus in einer Passage aus der Krankheit zum Tode eine Analogie zwischen Socrates’ Unsterblichkeitsbeweis und dem Beweis des Daseins des Ewigen im Menschen auf, wo er die Konklusivität des Argumentes stillschweigend doch vorauszusetzen scheint: „Socrates hat die Unsterblichkeit des Seele daraus bewiesen, dass die Krankheit der Seele (die Sünde) sie nicht verzehrt, so wie die Krankheit des Leibes den Leib verzehrt. Ebenso kann man auch das Ewige im Menschen daraus beweisen, dass die Verzweiflung sein Selbst nicht zu verzehren vermag, dass eben dies die Qual des Widerspruchs ist in der Verzweiflung.“ SKS 11, 136 / KT, 17. Dieser anscheinende Widerspruch kann aber nur bestehen, insofern man von Anti-Climacus’ eminent christlichem Standpunkt und vom Kontext der Passage einfach absieht. 29 SKS 2, 43f. / EO1, 1, 37.

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bewusst werden, ohne mir meines ewigen Wesens bewusst zu werden, und dies ist der wahre Beweis für die Unsterblichkeit der Seele.“30 Jene Unbedingtheit also, die sich im ethischen Bewusstsein kundgibt, ist zugleich ein Zeichen der Ewigkeit des ethischen Selbst, d.h. eine direkte subjektive Manifestation seiner Unsterblichkeit. Freilich handelt es sich hier um keinen deduktiven Beweis, worum es dem Ethiker auch gar nicht geht: Die unmittelbare Gewissheit seines ewigen Selbst übersteigt die bestreitbare Evidenz aller objektiven Beweise. Kierkegaards Pseudonym William Afham hebt in In vino veritas Ernst und Gewicht des Gedankens der Unsterblichkeit hervor, die durch die objektiven Beweise verlorengehen: „Dass das Leben uno tenore sei, ist die Bedingung für die menschliche Unsterblichkeit. Sonderbar genug: soviel ich sehe, ist Jacobi der einzige, bei dem man Äußerungen findet über das Furchtbare darin, sich selbst unsterblich zu denken. Zuweilen war es ihm, als müsse ihm der Gedanke der Unsterblichkeit, falls er ihn im einzelnen Augenblick etwas länger festhalte, den Verstand verwirren. Liegt das darin, dass Jacobi nervenschwach gewesen ist? Ein starker Mann, der an der Hand eine Hornhaut bekommen hat allein dadurch, dass er jedesmal, wenn er die Unsterblichkeit bewies, einen Hieb auf Katheder oder Kanzel tat, spürt von solch einem Schrecken nichts, gleichwohl versteht er sich ja auf die Unsterblichkeit, denn eine Hornhaut haben bedeutet ja auf Lateinisch sich auf etwas sachdienlich verstehen.“31 Die Unsterblichkeit zu beweisen bedeutet also nicht, den Gedanken der Unsterblichkeit wahrhaft zu denken. Anstatt zum Verständnis der Unsterblichkeit zu führen erregen die objektiven Beweise eine Verwirrung hinsichtlich des Problems. Diese Diskrepanz zwischen dem objektiven Beweis und der subjektiven Gewissheit wird auch von Nicolaus Notabene in Vorworte voller Ironie klargestellt: „Man findet, um einen Beispiel zu geben, auf die Art nicht heraus, dass alle die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele, welche bisher so innerhalb wie außerhalb des Christentums geführt worden sind, unzureichend seien, da der wahre Beweis erst in der Vermittlung von ihnen allen liege; sondern man sucht einen Beweis, der einen selbst überzeugt, auf dass es nicht damit ende, dass der Beweis für die Unsterblichkeit der Seele das einzig unsterbliche wird, das man aufsteigen läßt wie die Kinder ihren Drachen, wobei man noch nicht einmal so viel wie die Kinder hat – eine hal-

30 SKS 3, 257 / EO2, 2, 288. Siehe dazu auch die Feststellung des Johannes Climacus: „ethisch kulminiert alles in der Unsterblichkeit, ohne diese ist das Ethische nur Sitte und Brauch.“ AUN1, 166 / SKS 7, 162. 31 SKS 6, 18 / SLW1, 10f.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

tende Schnur.“32 Beachtenswert ist hier ferner, dass die logische Kategorie der „Vermittlung“, die bekanntlich die Basis der Hegelschen Methodologie bildet, im Text explizit genannt wird: Daraus lässt sich folgern, dass die Bemühungen der orthodoxen Hegelianer den eigentlichen Gegenstand der Kritik und Ironie des Kierkegaardschen Pseudonym Nicolaus Notabene bilden. Die längste Passage im pseudonymen Korpus, die die Unsterblichkeitsproblematik eingehend thematisiert, ist ein Unterabschnitt der monumentalen Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift, betitelt mit „Z.B. das Unsterblichsein“ („F.Ex. det at være udødelig“).33 Louis Dupré behält sicherlich Recht darin, dass Kierkegaard keine einheitliche und umfangreiche Unsterblichkeitskonzeption ausgearbeitet hat,34 doch zeugt nun genau jene Passage hier hinsichtlich einer existentialen Auffassung der Unsterblichkeit von einer konzeptionellen Grundlegung. Hier zeigt sich, warum Kierkegaard diese Frage zu den allerschwierigsten rechnete. Es handelt sich nämlich nicht nur darum, dass sich die Unsterblichkeit in einer objektiven und wissenschaftlichen Weise gar nicht denken lässt, wie es in der – in Dänemark besonders von Heiberg propagierten – Hegelschen bzw. Posthegelschen Spekulation geschieht, sondern auch darum, dass dieses philosophische Paradoxon mit dem theologischen Paradoxon des geschichtlichen Werdens des Ewigen eng verbunden ist. In christlicher Hinsicht ist die Unsterblichkeit des Sterblichen von der Sterblichkeit bzw. vom Tod des Unsterblichen schlechterdings untrennbar. Den Gesamtkontext der Erörterung bildet Climacus’ eingehende Untersuchung des Problems des Subjektivwerdens im zweiten Abschnitt der Nachschrift. Die genaue Passage knüpft thematisch unmittelbar an den Untertitel „Beispiele eines Denkens, das sich in der Richtung auf das Subjektivwerden bewegt“ an.35 Kierkegaards Pseudonym Johannes Climacus konstatiert, dass die Unsterblichkeit gar nicht allgemein angenommen wird. Anstatt jedoch neue Argumente für die Unsterblichkeit zu finden, deutet er sowohl auf die besondere dialektische Schwierigkeit des Problems als auch auf die Frage hin, ob die Unsterblichkeit überhaupt einen objektiven Lehrgegenstand bildet. Im ersten Teil der Passage wird auf einige Folgen der Unsterblichkeitsdebatte ironisch hingewiesen. Climacus ironisiert explizit Heibergs im Jahre 1841 erschienene, apokalyptische Komödie

32 SKS 4, 502 / V, 211. Zu dieser Diskrepanz siehe auch: SKS 4, 439 / BA, 144.; SKS 7, 163 / AUN1, 167. 33 SKS 7, 158–163 / AUN1, 161–167. 34 Siehe: Louis Dupré, “Of Time and Eternity,” in The Concept of Anxiety, hg. von R. L. Perkins, Macon 1985, S. 129. 35 SKS 7, 121 / AUN1, 118.

2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen 

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Eine Seele nach dem Tode (Sjælen efetr Døden),36 die von Propst E. C. Tryde besonders anerkennend rezensiert wurde.37 Seine Kritik scheint aber auch auf Hegels eigene Konzeption zuzutreffen, in der ja der Verstandesbegriff der Unsterblichkeit in den spekulativen Begriff der Ewigkeit aufgehoben werden soll: „das Ewige ist ja nicht das Sterbliche, und die Unsterblichkeit des Ewigen ist eine Tautologie und ein Missbrauch der Worte.“38 Der spekulative Begriff der Ewigkeit ist für Climacus das Medium des systematischen Denkens, das seinen Gegenstand jeweils sub specie aeternitatis begreift, dagegen ist aber das eigentliche Problem, d.h. die Unsterblichkeit des Sterblichen, ein unbegreifliches Paradoxon, das für dieses Denken schlechthin unzugänglich ist. Unschwer lassen sich in der Passage kritische Hinweise auf einige Repräsentanten der Debatte identifizieren: Sowohl Feuerbachs Konzeption vom Menschengeschlecht als Subjekt der Unsterblichkeit39 als auch Hubert Beckers’ unkritische Argumentensammlung40 lösen Climacus’ beißende Ironie aus. Namentlich wird nur Kierkegaards verstorbener Professor Poul Martin Møller erwähnt als jener, der „auf die unendliche Schwierigkeit der Unsterblichkeit aufmerksam wurde“.41 Kierkegaard ist mit Møller weitgehend einig darin, dass die Unsterblichkeit keine objektive, „gelehrte Frage“ ist, die auf deduktive Weise mit apodiktischer Evidenz lösbar wäre. Heibergs Ideal einer mathematischen Gewissheit in diesem Bereich wird sowohl von Møller als auch von Kierkegaard scharf abgewiesen. Gerade die Erkenntnis der eigentümlichen Struktur dieser Frage bildet die methodische Grundlage der Kierkegaardschen Destruktion der gesamten Debatte. Climacus’ wichtigste Entdeckung in diesem Kontext ist diese, dass die Unsterblichkeit keine objektiv diskutierbare, „wissenschaftliche Frage“ ist, sondern eine der Innerlichkeit, „die das Subjekt, indem es subjektiv wird, sich selbst stellen muss.“42 Die Unsterblichkeit ist „Potenzierung und höchste Entwicklung der ent-

36 Johan Ludvig Heiberg, En Sjæl efter Døden, in Nye Digte, Kopenhagen 1841, S. 29–158 (Ktl. 1562). 37 Eggert Christopher Tryde „Nye Digte af J. L. Heiberg. Kbhvn., Reitzels Forlag 1841“, Tidsskrift for Litteratur og Kritik, 1841, S. 174–195. 38 SKS 7, 159 / AUN1, 162. 39 [Ludwig Feuerbach], Gedanken über Tod und Unsterblichkeit aus den Papieren eines Denkers, nebst einem Anhang theologisch-satyrischer Xenien, herausgegeben von einem seiner Freunde, Nürnberg 1830. 40 Hubert Beckers, Mittheilungen aus den merkwürdigsten Schriften der verflossenen Jahrhunderte über den Zustand der Seele nach dem Tode, Hefte 1–2, Augsburg 1835–1836. 41 SKS 7, 159 / AUN1, 162. 42 SKS 7, 160 / AUN1, 164.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

wickelten Subjektivität“.43 Auf diese Weise wird die Erörterung des ganzen Problemkomplexes in eine neue Richtung gelenkt, in jene des subjektiven Interesses und der Reflexion. Daraus folgt, dass das Problem systematisch unlösbar ist, weil sich die Frage selbst objektiv gar nicht denken lässt. Diese Frage gehört wesensnotwendig zum existierenden Individuum, das jeweils nach seiner eigenen Unsterblichkeit fragt. Deshalb kommt in der Unsterblichkeitsfrage das subjektive Pathos und Interesse in seiner höchsten Form zum Ausdruck. Wenn die Existenz jeweils im Werden ist, richtet sich die Frage des existierenden Subjekts auf die Unsterblichkeit als eine sensu eminentiori Seinsmöglichkeit und keineswegs auf sie als eine objektive Bestimmung der platonisch aufgefassten Seele. Gerade aus dieser Struktur ergibt sich die objektive Unbestimmtheit der Unsterblichkeit für ein existierendes Individuum: „nur ein Ewiger [kann] die Bestimmtheit der Unsterblichkeit in Bestimmtheit, aber ein Existierender [kann] ihre Bestimmtheit nur in der Unbestimmtheit besitzen.“44 Das existierende Subjekt verhält sich zu seiner je eigenen Unsterblichkeit immer in Form einer Handlung und nie in der Weise einer interesselosen Spekulation. Es ist nicht ganz unerwartet, dass Sokrates für Climacus das Paradigma eines echt subjektiv-existentialen Verhältnisses zur Unsterblichkeit ist: „Wenn einer objektiv der Unsterblichkeit nachforscht und ein anderer die Leidenschaft der Unendlichkeit in die Ungewissheit setzt: wo ist dann am meisten Wahrheit, und wer hat die meiste Gewissheit? Der eine ist ein für allemal auf ein Approximieren eingegangen, das niemals endet, denn die Gewissheit der Unsterblichkeit liegt ja gerade in der Subjektivität. Der andere ist unsterblich und kämpft gerade darum, indem er mit der Ungewissheit streitet. Betrachten wir Sokrates! Heutzutage pfuscht ja jeder an einigen Beweisen herum, der eine hat mehr, der andere weniger. Aber Sokrates! Er stellt das Problem objektiv problematisch hin: wenn es eine Unsterblichkeit gibt. Dann war es also, verglichen mit einem der modernen Denker von drei Beweisen, ein Zweifler? Keineswegs! Denn für dieses ‚Wenn‘ setzt er sein ganzes Leben dran, er wagt zu sterben, und er hat sein ganzes Leben mit der Leidenschaft der Unsterblichkeit so eingerichtet, dass es als annehmbar befunden werden musste – wenn es eine Unsterblichkeit gibt. Gibt es einen besseren Beweis für die Unsterblichkeit der Seele? […] Die Sokratische Unwissenheit war so der mit der ganzen Leidenschaft der Innerlichkeit festgehaltene Ausdruck dafür, dass die ewige Wahrheit sich zu einem Existierenden verhält, und dass diese ihm daher ein Paradox bleiben muss, solange er existiert.“45

43 Ebda. 44 SKS 7, 163 / AUN1, 167. 45 SKS 7, 184f. / AUN1, 192f.

2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen 

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2.3 Die Erörterung der Unsterblichkeitsproblematik in den Christlichen Reden und im Nachlass 2.3.1 Das Furchtbare daran, sich selbst unsterblich zu denken „[D]as Maximum dessen, was der eine Mensch demgegenüber, wo der einzelne Mensch allein mit sich selbst zu tun hat, für den anderen zu tun vermag, darin besteht, ihn unruhig zu machen.“46 Dieser Behauptung aus der Nachschrift scheint Kierkegaard in der Rede über den paulinischen Satz „Der Toten Auferstehung steht bevor, die der Gerechten – und der Ungerechten“ (Apg 24,15) in der dritten Abteilung der Christlichen Reden deutlich Ausdruck verleihen zu wollen. Die dritte Abteilung der Reden, „Gedanken die hinterrücks verwunden – zur Erbauung“, wurde erst im Februar bzw. Anfang März 1848 fertig gestellt,47 in jener Periode also, da sich Kierkegaard immer tiefer in die polemische Stimmung wider die mit dem Christlichen Missbrauch treibende Christenheit versenkt. Man kann diese Stimmung in der vierten Rede der dritten Abteilung tatsächlich spüren, wenn die orthodox-spekulative Verteidigung des Unsterblichkeitsglaubens als Verfälschung und Missverständnis kategorisch abgelehnt wird. Jene orthodoxen Verteidiger suchten den christlichen Unsterblichkeitsglauben mit den Beweismitteln der Spekulation zu unterstützen, schlussendlich haben sie „die Unsterblichkeit vom Thron gestürzt, abgesetzt, [zu einem] ohnmächtigen Tropf [gemacht], mit dem man sein Spiel treiben kann“.48 Bereits das Motto der dritten Abteilung hebt diesen kritischen Gedanken stark hervor: „Das Christliche bedarf keiner Verteidigung, ihm ist nicht gedient mit einer Verteidigung – es ist angreiferisch; es verteidigen ist von allen Verfälschungen die am wenigsten zu verteidigende, die allerverkehrteste und die gefährlichste – sie ist die unbewusst heimtückische Verräterei.“49 In dieser Formulierung taucht bereits Kierkegaards

46 SKS 7, 352 / AUN2, 92. 47 Siehe „Tekstredegørelse“, in SKS K10, 59. Wie Hirsch bemerkt, gehörte die dritte Abteilung nicht zum ursprünglichen Plan der Reden und wurde erst im letzten Augenblick vor der Ablieferung an die Druckerei in sie hineingeordnet. Die Stimmung dieser Abteilung weicht von jener der anderen drei Stücke grundsätzlich ab. Emmanuel Hirsch, „Geschichtiche Einleitung zur zwanzigsten Abteilung“, in CR, VIII. 48 SKS 10, 221 / CR, 229. Am Anfang der Rede wird auch betont, dass in der interesselosenobjektiven Reflexion „eine Art von Spiel daraus [wird], die Unsterblichkeit zu beweisen“, SKS 10, 212 / CR, 218. Zu Kierkegaards kritischen Bemerkung, dass die Christen und die orthodoxe Verteidigern des Christentums eigentlich nur „Christentum spielen“ siehe: SKS 25, 311, NB29:21. 49 SKS 10, 172 / CR, 172. Das ist der Grund dafür, dass Kierkegaard härtere Kritik an den Verteidigern als an den Spöttern des Christentums geübt hat.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

späte Überzeugung über die Lage des Christentums implizit auf, nach der die gegenwärtige Zeit an einer Sinnestäuschung leidet, denn nunmehr sind es die Christen, gegen die das Christentum zu verteidigen ist in einer Zeit des Verrat des Christentums (Christendom) durch die Christenheit (Christenhed).50 Obwohl in der Rede bzw. in ihren frühen Entwürfen indirekte Hinweise und Anspielungen sowohl auf Møller51, Heiberg52 und Martensen53 als auch auf Göschel54 und Feuerbach55 erscheinen, kann man diese Rede selbst nur im negativ-ironischen Sinne einen Beitrag zur Debatte nennen, eben weil in ihr das Missverständnis und die Irreführung der objektiven Betrachtung des Problems und der Beweisversuche proklamiert und dadurch letztlich die Destruktion der Diskussion vorbereitet wird. Wenn die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele also letzten Endes nur als eine existenzielle Frage gestellt werden kann, d.h. als meine Frage des Existierenden,56 können die objektiven Antwortversuche, unabhängig davon, ob sie das Problem inhaltlich im positiven oder im negativen Sinne zu lösen versuchen, aufgrund ihrer strukturellen Ungeeignetheit nicht überzeugen. Diese Einsicht darf man wohl auch als Anhaltspunkt verwenden, um zu erklären, warum sich Kierkegaard mit der formalen Analyse der einzelnen Argumente in seinen Schriften nicht allzu ausgiebig beschäftigt. Die Geschichte der Unsterblichkeitsfrage ist natürlich weit älter als jene des Christentums und Kierkegaard selbst hat sich ja mit der sokratischen Auffassung dieses Problems sowohl in seiner Dissertation als auch in der Nachschrift eingehend beschäftigt. Trotzdem liegt der ausdrückliche Schwerpunkt seiner Erörterungen der Unsterblichkeit auf dem christlichen Kontext und an bestimmten Stellen57 scheint Unsterblichkeit sogar mit dem theologischen Begriff der Aufer-

50 In einer Aufzeichnung wird betont, dass es jetzt eigentlich die Freidenker sind, die das Christentum verteidigen – gegen die heutigen Christen. Vgl. SKS 22, 336, NB13:92 / T 4, 28. Siehe noch: SKS 26, 426, NB36:28. 51 Vgl. SKS 10, 211 / CR, 217. 52 Vgl. SKS 10, 221 / CR, 229. 53 Vgl. SKS 10, 213 / CR, 219. 54 Vgl. SKS 20, 289,10, NB4:5. 55 Vgl. SKS 10, 221 / CR, 230. 56 „Die Unsterblichkeit ist das Gericht; und das geht mich an; in ‚meinen‘ Gedanken geht das ‚mich‘ von allen am meisten an, ebenso wie es in ‚deinen‘ Gedanken ‚dich‘ von allen am meisten angeht.“ SKS 10, 218 / CR, 225. Zur theologischen Interpretation der Kierkegaardschen Unsterblichkeitsauffassung siehe: Jens Glebe-Møller „‚Udødeligheden er Dommen‘ – om sjælens udødelighed“, Dansk Teologisk Tidskrift, Bd. 68, 2005, S. 65–73. 57 Vgl. z.B.: „Der Toten Auferstehung steht bevor, die der Gerechten – und der Ungerechten, oder über jenen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele, welcher folgendermassen lautet: sie ist nur allzu gewiss, fürchte sie!“ SKS 10, 214 / CR, 220. Siehe dazu: PS, 122.

2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen 

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stehung (Opstandelse) identisch zu sein. Daher sei an dieser Stelle noch auf eine weitere Grundlage für Kierkegaards Polemik gegen die philosophischen Unsterblichkeitsbeweise verwiesen, die zu der früh formulierten Einsicht gehört, dass „Philosophie und Christentum sich doch niemals vereinen lassen.“58 Wenn die Unsterblichkeit ebenso wie das Christentum keinen objektiven Lehrgegenstand bildet und wenn die Philosophie nur in einem bestimmten Sinne für Christliches zuständig ist, dann ist die Aufgabe des Redners nicht, neue Beweise anzuführen, oder die theoretische Möglichkeit der Unsterblichkeit zu erwägen, sondern dem Einzelnen das Sicherheitsgefühl zu rauben59 und ihn mit der Wirklichkeit der Unsterblichkeit radikal zu konfrontieren. Das ist der Grund dafür, dass die Rede nichts beweist, sondern angreift und dass sie statt der beruhigenden Beweise eine Furcht vermittelt:60 „Nichts ist gewisser als die Unsterblichkeit; du sollst dich nicht darum sorgen, nicht Zeit damit vergeuden, nicht eine Ausflucht darin finden wollen, dass du sie beweisen willst oder dass du sie beweisen wünscht – fürchte sie, sie ist nur allzu gewiss; zweifle nicht, ob du unsterblich seiest, erbebe, denn du bist unsterblich.“61 Das Individuum soll sich zur Unsterblichkeit, die immer schon seine eigene Unsterblichkeit ist, nicht durch vergegenständlichende Reflexion und Denken, sondern durch eine leidenschaftliche Handlung verhalten.62 Die Gewissheit der Unsterblichkeit wird bzw. kann nicht durch das Denken, sondern ausschließlich durch den Glauben verliehen und bewahrt werden. Erst im Glauben wird die Unsterblichkeit das Allergewisseste63, denn hier handelt es sich nicht um eine bestimmte Wahrscheinlichkeit und eine Approximation wie im Fall der Beweise (Beviisning) sondern um eine Überzeugung (Overbeviisning). Anstatt über die Beweise zu spekulieren, soll deshalb der Einzelne den vollen existentiellen Ernst der Unsterblichkeit auf sich selbst nehmen.

58 „Philosophie und Christentum lassen sich doch niemals vereinen.“ SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31. 59 Vgl. SKS 10, 211 / CR, 218. Die Sicherheit wird im zweiten Teil der Rede sogar „verderblich“ (fordærvelig) genannt, siehe: SKS 10, 219 / CR, 227. 60 SKS 10, 212 / CR, 219. Wie Kierkegaard in den Stadien auf des Lebens Weg bemerkt, war Jacobi der einzige, der auf das Furchtbare im Unsterblichkeitsgedanke aufmerksam wurde, siehe: SKS 6, 18 / SLW1, 10. Jacobi drückt sich diesbezüglich wie folgt aus: „[E]ben so wenig konnte ich die Aussicht einer ewigdauernden Fortdauer ertragen.“ Siehe: F. H. Jacobi, „Beylagen zu den Briefen über die Lehre des Spinoza“, in Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, 6 Bde. Leipzig, 1812–25, Bd. IV,2, 1819, S. 68 (Ktl. 1722–28). 61 SKS 10, 212 / CR, 218f. 62 Vgl. SKS 10, 214 / CR, 220. 63 SKS 10, 212 / CR, 218.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Der Ausdruck dieses existentiellen Pathos ist die Furcht der Unsterblichkeit, die mit dem Gericht und mit der ewigen Verantwortung des Einzelnen eng zusammenhängt.64 In der Unsterblichkeit vollzieht sich eine ewige Scheidung, die unsere Ent-scheidungen enthüllt und endgültig richtet.65 Die Unsterblichkeitsfurcht ist keineswegs als ein bloßes Gefühl oder ein psychisches Phänomen zu interpretieren: Sie ist vielmehr – wie bei Johannes de silentio der Glaube selbst – eine „neue Unmittelbarkeit“66 der Existenz, die (in direkter Weise) nie vermittelt oder dialektisch aufgehoben werden kann. In ihr kommt die Grundstruktur des christlich gefassten menschlichen Daseins authentisch zum Ausdruck, indem durch die Unsterblichkeitsfurcht die zeitliche Endlichkeit und Kontingenz der Existenz und ihre Unendlichkeit und Ewigkeit gleichzeitig enthüllt werden.

2.3.2 Die Unsterblichkeitsproblematik im Nachlass Die Unsterblichkeitsfrage wird auch an einigen Stellen der Papirer aufgeworfen. Zwar lässt sich auch hier keine einheitliche Konzeption rekonstruieren, doch die Untersuchung gibt Aufschluss über wichtige Aspekte der geschichtlichen Gestaltung der Auffassung Kierkegaards. Die früheste diesbezügliche Stelle ist die bereits zitierte Journalaufzeichnung BB:41 aus dem Jahre 1837. Aus der Passage geht hervor, dass Kierkegaard Poul Martin Møllers Artikel „Gedanken über die Möglichkeit von Beweisen für die Unsterblichkeit des Menschen, unter Berücksichtigung der neuesten einschlägigen Literatur“ eingehend studiert hat. Besonderen Eindruck hinterließ dabei jene ironische Erzählung Møllers, in der er die Widersprüchlichkeit einer rein objektiven, wissenschaftlichen Erörterung der Unsterblichkeit aufzeigt: „Es ist etwas recht Interessantes an der Episode, die Poul Møller in seiner Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele in der letzten Maanedsskrift eingefügt hat. Vielleicht wird ein derartiges Ablösen des strengeren wissenschaftlichen Tones durch leichtere Partien, in denen aber zugleich das Leben weit üppiger hervortritt, übl. werden, und auf dem Gebiet der Wissenschaft etwas sein, das dem Chor, den komischen Partien in den romantischen Dramen entspricht.“67 Zwei Jahre später,

64 Diese Furcht als biblisches Wort (φόβος, timor) weist sowohl auf die Beziehung des Einzelnen zu seiner ewigen Seligkeit als auch auf sein Verhältnis zu Gott selbst. Vgl. Phil 2,12. 65 „[E]s ist der Gedanke der Ewigkeit, dass in diesem irdischen Leben die Menschen sich scheiden, in der Ewigkeit die Scheidung ist.“ SKS 10, 216 / CR, 224. 66 Vgl. SKS 4, 172 / FZ, 91. 67 SKS 17, 134, BB:41 / DSKE 1, 145.

2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen 

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in der Aufzeichnung EE:39 hebt er die Eigentümlichkeit der Unsterblichkeitsproblematik wie folgt hervor: „Das, was eigtl. das Hauptproblem im Hinbl. auf die Frage der Unsterblichkeit der Seele ausmachen wird, wird wohl eher die Beschaffenheit der Unsterblichkeit sein als die Unsterblichkeit, ob nämlich die Seele als sich beim Tod fest um den Inhalt ihres Tuns schließend gedacht werden muß od. als im All des Göttl. aufgelöst.“68 Der Kern des Problems ist bereits dem jungen Kierkegaard offenbar: Wie ist die Unsterblichkeit bzw. Ewigkeit des jeweils individuellen, subjektiven Geistes als Seele zu denken? Während Unsterblichkeit in der klassischen protestantischen Dogmatik recht eindeutig als „selbstbewußtes, ewiges Fortleben des Individuums“69 interpretiert wird, nimmt die neuere Philosophie nicht die individuelle Unsterblichkeit im Kierkegaardschen Sinne an, sondern begreift jene nur als die Ewigkeit des „Begriffes“.70 Wie wir gesehen haben, wurde aber in Kierkegaards späterem Denken nicht nur die platonische Seelenmetaphysik, sondern auch die zeitgenössische spekulative Deutung der Ewigkeit des Geistes durch eine neue, existentielle Interpretation des ganzen Problemkomplexes überwunden. In seinen späteren Aufzeichnungen formuliert Kierkegaard eine radikale christologische Interpretation der Unsterblichkeit. Der Religionsphilosophie Hegels zustimmend betont auch Kierkegaard, dass es in der jüdischen Religion eigentlich keinen Unsterblichkeitsglauben gäbe.71 Die Nachkommen, die Fortpflanzung des Geschlechtes, die in der alttestamentlichen Religion eine bedeutende Rolle in der religiösen Erfassung der Fortdauer des Menschenlebens spielten, repräsentieren für Kierkegaard Surrogate der Unsterblichkeit72 – und nicht diese selbst.73 Die wahre Unsterblichkeit käme dagegen erst im Christentum zum Vorschein. Dies wird besonders durch die Aufzeichnung NB 25:17 „Unsterblichkeit“ aus dem Jahre 1851 bekräftigt: „Die Unsterblichkeit ist eigentlich mit dem Christentum zuerst angekommen, und warum? Weil das fordert, dass man abster-

68 SKS 18, 18, EE:39 / DSKE 2, 15. 69 Karl von Hase, Hutterus redivivus oder Dogmatik der evangelische-lutherische Kirche, 4. Aufl., Leipzig 1839, S. 330 (Ktl. 581). 70 „Eben die Art, wie die neuere Philosophie von Existenz spricht, zeigt, daß sie nicht an die Unsterblichkeit des Einzelnen glaubt; sie glaubt überhaupt nicht, sie begreift nur die Ewigkeit der ‚Begriffe‘.“ SKS 22, 435, NB 14:150 / T 4, 74. 71 Siehe SKS 19, 25, Not 1:6; SKS 26, 173, NB 32:79. 72 Siehe SKS 25, 363, NB 29:101; SKS 26, 345, NB 34:35. 73 Zu Kierkegaards Auffassung der Sexualität als die höchste Form des Egoismus siehe SKS 26, 324, NB 34:13 / T 5, 334f.

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 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

ben muss.“74 Dem späten Kierkegaard entsprechen die beiden Begriffe „Unsterblichkeit“ und „Absterben“ ganz und gar. Der anscheinende Widerspruch darin lässt sich dadurch auflösen, dass der Begriff „absterben“ (afdøde) im Kontext der Spätschriften Kierkegaards eine eindeutige Referenz hat. Er bezieht sich nämlich auf die Immanenz der Welt und drückt die stark akosmische Tendenz im Denken des späten Kierkegaard aus. Er hebt in dieser Periode immer stärker die unauflösbare Antinomie von Christentum und Welt hervor: Der Kirchenkampf ist eigentlich nichts anderes als sein endgültiger Protest gegen die Verfälschung dieser grundsätzlichen Antinomie durch die bestehenden Kirchen. Ferner stimmt seine Begrifflichkeit aber auch mit jener der Paulinischen Theologie überein: „Durch Christum ist mir die Welt gekreuzigt, und ich der Welt.“75 Kierkegaard konfrontiert den Leser also nicht mit willkürlich dialektischen Übertreibungen, sondern in bibeltheologischer Hinsicht mit einer radikalen Interpretation der neutestamentlichen Christologie. Dieser zutiefst christologische Aspekt der Unsterblichkeitsauffassung Kierkegaards kommt außerdem in der Journalaufzeichnung „Christentum – Judentum – Christenheit“ aus dem Jahre 1854 unmissverständlich zum Ausdruck. In der Passage heißt es: „Das heißt Gnade, weil es mit Christus jenes Gut angebracht und verheißen ist, das heißt: Unsterblichkeit. Beliebe dies zu beachten. Das Judentum hat die Unsterblichkeit nicht gekannt. Die Unsterblichkeit ist in Christus verkündet, aber wohlgemerkt, wenn du ein Christ wirst […].“76 Hier findet sich die explizite Identifizierung der Begriffe Unsterblichkeit und Auferstehung, charakteristisch für den späten Kierkegaard. Das Unsterblichwerden ist mit dem Christwerden gleichbedeutend, dadurch wiederum wird implizit, weil inhaltlich, der theologische Begriff der Auferstehung eingespielt. Aus diesen semantischen Beobachtungen wird gemeinhin eine „christologische Wende“ in der Spätphilosophie Kierkegaards gefolgert, mir scheint diese Tendenz jedoch bereits weit früher in seinem Denken präsent zu sein. In jener Spätphase wird lediglich inhaltlich expliziert, was bereits in den Climacus-Schriften als ein zentrales Problem aufgeworfen wurde, die gegenseitige, schon an sich paradoxe Aufeinanderbezogenheit des Paradoxons der Unsterb-

74 „Overhovedet er Udødeligheden først kommet med Xstd., og hvorfor? fordi den fordrer at man skal afdøe. For at skulle kunne og ville afdøe – maa det Evige og Udødeligheden staae fast. Udødelighed og det at afdøe svare til hinanden. Med den Lidelse at afdøe fødes Udødelighedens Haab. Men man vil i Xstheden snyde sig til Alt, saaledes ogsaa til Udødeligheden.“ SKS 24, 448, NB 25:17. 75 Gal 6,14. 76 „Den kaldes Naade, fordi ved Xstus anbringes, forjættes det Gode som hedder: Udødelighed. Behag at lægge Mærke hertid. Jødedommen kjendte ikke Udødeligheden. I Xsto forkyndes Udødeligheden, vel at mærke hvis Du vil blive Christen.“ SKS 26, 173, NB 32:79.

2 Das Paradox der Unsterblichkeit des Sterblichen 

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lichkeit des Sterblichen und der Sterblichkeit des Unsterblichen. So zeigt sich, dass die Unsterblichkeitsproblematik kein äußerliches und zufälliges Thema der Schriften Kierkegaards ist, sondern zum integralen Kern seines Denkens gehört – als eine der allerschwierigsten Fragen.

2.3.3 Rückblick: Die Aufhebung der psychologia rationalis und der Aufbruch der Existenzdialektik im Denken Kierkegaards Ein Fazit aus dem bisher oben Gesagten zeigt, dass das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts zweifellos eine tiefe Krise für das Christentum bedeutet, in der grundsätzliche Glaubensinhalte erschüttert schienen. Wie deutlich wurde, war es die Grundintention des späten Hegels, die Wahrheit dieser religiösen Inhalte spekulativ zu begreifen und innerhalb seines Systems philosophisch zu deuten. Durch seine in vielerlei Hinsicht enigmatische Interpretation der Unsterblichkeit wurde diese Krise aber zusehends vertieft und nicht – aufgehoben. Hegel eine Unsterblichkeitslehre abzusprechen entbehrt schon aufgrund seiner religionsphilosophischen Vorlesungen jeden Grundes, lässt sich aus ihnen doch eine konsistente Konzeption rekonstruieren. Die Frage, ob diese auf dem spekulativen Begriff der Ewigkeit basierte Konzeption mit jener des Christentums kompatibel ist, wäre nach Hegels Auffassung wohl nur für denjenigen offen oder negativ zu beantworten, der auf dem einseitigen Standpunkt des Verstandesdenkens verharrt und den absoluten Standpunkt des Spekulativen, der dem Verstand das Mystische ist, nicht erreicht. Kierkegaard und sein Pseudonym Climacus waren ganz entschieden der Meinung, dass Hegels Unsterblichkeitskonzeption, wenn sie es überhaupt gibt, alles andere als christlich ist. Trotzdem handelt es sich in Kierkegaards Schriften keineswegs um ein Beispiel des einseitigen Verstandesdenkens, vielmehr um eine originelle Thematisierung einer von Hegel wesentlich abweichenden philosophischen Erfahrung, jener der Existenz. Darum fällt umso stärker die formale Parallele auf, dass sowohl für Hegel als auch für Kierkegaard die Unsterblichkeitsproblematik mit der Konstitution der Subjektivität eng zusammenhängt. Hinter dieser formalen Kongruenz steckt nun aber zugleich die Wesensdifferenz der beiden Positionen: Während Hegel die Subjektivität und mithin die Unsterblichkeit wesentlich als Bewusstsein erfasst, fragt Climacus nach dem Subjektivwerden, das mit dem Denken nicht nur nicht identisch ist, sondern gedanklich gar nicht erfasst werden kann. Eben deshalb stellt Climacus die Frage, „wie die Subjektivität sein muss, damit das Problem für sie sichtbar werden kann“.77

77 SKS 7, 121 / AUN1, 118.

162 

 Teil III  Umstrittene Unsterblichkeit

Kierkegaards spätere Ausführungen zur Unsterblichkeit und ewigen Seligkeit wären ohne eine Untersuchung der Folgen der Debatte, die nach Hegels Tod ausbrach und sich auch in Dänemark ausbreitete, kaum verständlich. Seine subjektive und existenziale Interpretation der Unsterblichkeit lässt sich aber auch innerhalb dieses Kontextes nicht unter die zeitgenössischen Konzeptionen einordnen. Statt einer positiven Unsterblichkeitslehre formuliert er eine scharfe und für ihn durchaus charakteristische Akzentuierung der konstitutiven Unbegreiflichkeit, deren Quintessenz Climacus folgendermaßen umreißt: „Das für alles Denken Unzugängliche ist: dass man ewig werden kann, desungeachtet, dass man es nicht war.“78 Durch diese Destruktion der klassischen psychologia rationalis eröffnet sich zugleich ein neuer Weg für das Denken – jener der Subjektivität und Existenzialität.

78 SKS 7, 521 / AUN2, 285.

Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

1 Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’ 

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1 Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’ Es bleibt kein Zweifel daran bestehen, dass der Psychologe und Philosoph Karl Jaspers (1883–1969) zu den bedeutendsten Gestalten der frühen deutschen Kierkegaard-Rezeption gehört. Er hielt den dänischen Schriftsteller Søren Kierkegaard (1813–1855) – zusammen mit Friedrich Nietzsche – ausdrücklich für den wichtigsten Denker unserer post-Kantischen Zeit.1 Sein eigenes denkerisches Werk steht jenem Kierkegaards so nahe, dass man es – mit Michael Theunissen – „als einen einzigen Kommentar zu Kierkegaard lesen“ kann.2 Jaspers war von Kierkegaards Existenzauffassung zutiefst beeindruckt, er hat seine ganze Existenzkonzeption praktisch von ihm übernommen.3 Und doch besteht zwischen den Glaubenskonzeptionen der beiden Denker eine auffallende Spannung, die einen glauben macht, dass Jaspers an diesem Punkte der Kantschen Idee des reinen Vernunftglaubens näher steht als Johannes Climacus’ Grundkategorie des Glaubensparadoxons. Jaspers ist sich dieses grundsätzlichen Unterschieds uneingeschränkt bewusst und formuliert ihn in seiner Philosophischen Autobiographie wie folgt: „Wenn Kierkegaard auf die Frage, warum er glaube, antwortete: weil mein Vater es mir gesagt hat, so hat mein Vater mir etwas anderes gesagt.“4 Wir können sicher sein, dass es sich von Seiten Jaspers’ nicht um ein spielerisches argumentum ad hominem, sondern um etwas tatsächlich ernsthaft und bedeutungsvoll Erlebtes handelt. Während also für Climacus das Paradoxe und Absurde konstitutiv für den Glauben ist, ordnet Jaspers das Tertullianische Prinzip, credo quia absurdum est,5 das wiederum die logische Grundlage der Climacus‘ Konzeption zu bilden scheint, in seinem Buch über den philo-

1 „Während alle Philosophen nach Hegel ihnen [d.h. Kierkegaard und Nietzsche] gegenüber immer mehr zurücktreten, stehen sie als die eigentlich großen Denker ihres Zeitalters heute im Grunde schon unbezweifelt da: ihre Wirkung wie die Gegnerschaft gegen sie beweisen es.“ Karl Jaspers, Vernunft und Existenz, Groningen-Batavia 1935, S. 5. 2 Materialien zur Philosophie Søren Kierkegaards, hg. von Michael Theunissen und Wilfried Greve, Frankfurt a. M. 1979, S. 62. 3 „Kierkegaard verdanke ich den Begriff der ‚Existenz‘, der mir seit 1916 maßgebend wurde, um das zu fassen, worum ich mich bis dahin in Unruhe bemüht hatte.“ Karl Jaspers, Philosophische Autobiographie, Erweiterte Neuausgabe, München 1977, S. 125. 4 Jaspers, Philosophische Autobiographie, S. 115. Vgl. SKS 7, 502 / AUN2, 263, sowie Karl Jaspers, Der philosophische Glaube, München 1948, S. 22. 5 Bekanntlich kommt diese Formel bei Tertullian wortwörtlich nicht vor. Die ihr inhaltlich entsprechende Textstelle ist: Q.S.F. Tertullianus, De carne Christi, V, 4.

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sophischen Glauben gerade den Formen der Unphilosophie zu.6 Auf diese Weise scheint sich aber das bereits zitierte Diktum des jungen Kierkegaard, der zufolge „Philosophie und Christentum sich doch niemals vereinen lassen“7 indirekt auch in Jaspers’ Denken zu bestätigen, obgleich dieses offensichtlich nicht in einem kritiklosen Aneignungsverhältnis zu Kierkegaards Konzeptionen stand. Der auffälligste Divergenzpunkt ist gerade die jeweilige Wahrnehmung des Christentums: Während nämlich diese Frage für Kierkegaard eine zentrale Bedeutung besitzt,8 blendet Jaspers in seiner Kierkegaardrezeption von Anfang an alle christlichen Inhalte aus .9 Der Grund für diese eklektische Lektüre Kierkegaards10 liegt nicht nur in theoretischen Erwägungen, sondern auch (und vielleicht noch mehr) in Jaspers’ ambivalenter Einstellung zum geschichtlich-dogmatischen Christentum11 und zu Kierkegaard selbst,12 in dessen Konzeption er letztlich „das Ende des

6 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 112f. 7 SKS 17, 30, AA:13 / DSKE 1, 31. 8 „Der Inhalt dieser kleinen Schrift ist denn also: was ich als Schriftsteller in der Wahrheit bin, daß ich bin und gewesen bin religiöser Schriftsteller, daß meine gesamte Wirksamkeit als Schriftsteller in einem Verhältnis zum Christentum steht, zu dem Fragmal: ein Christ werden…“ SKS 16, 11 / SS, 21. 9 „Dabei ist versucht, seine [d.h. Kierkegaards] Sätze aus den verschiedenen Werken zusammenzunehmen, zu konstruieren, zu ergänzen und vor allem wegzulassen, was irrelevant für den gegenwärtigen Zweck schien (z.B. alles ‚Christliche‘).“ Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1919, S. 370. 10 “Although the first part of The Sickness unto Death was of substantive importance to Jaspers’ thinking, he never referred to the second part. Similarly, he placed the greatest value on Kierkegaard’s philosophical pseudonyms, especially Climacus, and on his Journals, but never on the Edifying and Christian Discourses. Of the Christian writings Jaspers valued only the Attack upon Christendom.” Leonard Ehrlich, “Editorial Note”, in Karl Jaspers on Philosophy of History and History of Philosophy, hg. von Joseph W. Koterski und Raymond J. Langley, Amherst, New York 2003, S. 245. 11 Jaspers’ Verhältnis zum Christentum lässt sich keineswegs als eine bloße Rejektion bezeichnen. Kierkegaards negativ-dialektische Christentumsauffassung ist aber von ihm völlig abgewiesen: „Wir sind alle Christen, auch die Juden, sofern wir in diesem abendländischen Geist erwachsen sind und eine Beziehung zur Bibel haben. […] Daß Kierkegaards Auffassung des Christentums die wahre sei und das eigentliche Christentum treffe, kann keineswegs anerkannt werden.“ Karl Jaspers, Die großen Philosophen. Nachlaß 2. Fragmente, Anmerkungen, Inventar, hg. von Hans Saner, München-Zürich 1981, S. 846f. 12 Westphal ist der Meinung, daß Jaspers Kierkegaards Auffassung von Christentum eigentlich mißversteht: “Jaspers is too deeply mired in traditional misreadings of Kierkegaard to grasp the truly radical nature of his understanding of Christianity.” Merold Westphal, “Jaspers’ Reception of Kierkegaard”, in: Karl Jaspers. Philosophy of History and History of Philosophy, S. 233.

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Christentums in der Welt“ angelegt sah.13 Dies bedeutet aber nicht, dass Jaspers zudem auf den Begriff des Glaubens verzichtet hätte. Sein Grundbegriff des – tief humanistisch konzipierten – philosophischen Glaubens bewahrt Kierkegaards Auffassung in wesentlichen Hinsichten. Während aber bei Kierkegaard der alte Streit zwischen Athen und Jerusalem unverkennbar widerhallt, betont Jaspers, dass der Glaube „nicht ein im Grunde Negatives, das Irrationale, nicht dies Hineinstürzen in das Dunkel des Verstandeswidrigen und Gesetzlosen“14 sein könne. Die Frage ist nun, ob die obige Formel der Glaubensauffassung Kierkegaards entspricht oder nicht und ob ferner die Bezeichnung „irrational“ für seine Konzeption überhaupt adäquat ist. Deshalb wird im Folgenden der Versuch unternommen, Jaspers’ ambivalentes Verhältnis zu Kierkegaard mit ständiger Rücksicht auf ihre divergenten Glaubenskonzeptionen im Horizont der Irrationalitätsproblematik so darzustellen, dass dadurch zugleich auch die innere Ambiguität des Irrationalitätsbegriffes zu Tage tritt.

1.1 Kierkegaard und das Problem der Irrationalität Bekanntermaßen hat der frühe Apologet und Kirchenvater Q. S. F. Tertullian (ungefähr 160–230) die Kompetenz der Vernunft in Glaubensfragen heftig bestritten und zwischen philosophischem und theologischem Denken eine scharfe Trennlinie gesetzt: „Was hat Athen mit Jerusalem zu schaffen? Was die Akademie mit der Kirche?“15 Obwohl Kierkegaard nicht nur die „Akademie“, sondern auch die bestehende „Kirche“ bis aufs Äußerste kritisierte, hat seine Glaubenskonzeption in der frühen Phase der Rezeption doch den Eindruck erweckt, als trete er in später Nachfolge Tertullians auf, dessen Lehre sowohl bei den philosophiefeindlichen Antidialektikern der Frühscholastik als auch in Luthers Diktum über die „Hure Vernunft“ bereits einen bestimmten Widerhall gefunden hatte. Es verwundert also nicht, dass Kierkegaard in einem Zeitungsartikel in der frühen Rezep-

13 Karl Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 1962, S. 517f. Ebenso formuliert er in einem Artikel von 1951: „Wenn Kierkegaards Christentumsdeutung die wahre wäre, so hätte dieses Christentum keine Zukunft.“ Karl Jaspers, „Kierkegaard“, in ders., Aneignung und Polemik. Gesammelte Reden und Aufsätze zur Geschichte der Philosophie, hg. von Hans Saner, München 1968, S. 306. 14 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 13. 15 Q. S. F. Tertullian, De praescriptione haereticorum, VII, 9 (CCL 1, 193).

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tionsphase (zusammen mit seinem Kommentator Theodor Haecker) als „neuer Tertullian“ apostrophiert wurde.16 Zweifellos gibt es formale Parallelen zwischen den beiden Denkern und Pierre Bühler betont zu Recht, dass zwar die Formel credo quia absurdum nicht häufig in Kierkegaards Schriften auftaucht, sie aber doch einen zentralen Aspekt seiner Auffassung des Christentums markiert.17 Bühler selbst hebt aber darüber hinaus hervor, dass das Verhältnis der Vernunft zum Glauben und zum Absurden bei Kierkegaard sehr viel dynamischer konzipiert sei, als bei Tertullian.18 Die Vernunft als eine Möglichkeitsbedingung der Erfassung der Negativität des Paradoxes ist für Kierkegaard gerade kein reiner Antipode, sondern ebenso eine conditio sine qua non des Glaubens. Zwar soll der Gläubige nach dem pseudonymen Johannes Climacus gegen seinen Verstand (mod Forstanden) glauben.19 Ohne seinen Verstand könnte er jedoch gewiss nicht glauben. Das Ausblenden dieser immanenten Dynamik und negativen Dialektik unterstützt Interpretationen, die die Kierkegaardsche Konzeption des Glaubens und der Freiheit ablehnend als „irrationalistisch“ brandmarkten.20 Diese und ähnliche Einstellungen sind auch in der main stream Kierkegaard-Forschung nicht völlig unbekannt, Stephen C. Evans charakterisiert sie polemisch als den „Mythos von Kierkegaard als einem Irrationalisten“.21 Nach Evans’ erklärter Ansicht ist das Kierkegaardsche Paradox ein nur scheinbarer Widerspruch.22 Kierkegaards Vernunftkritik sei in Wirklichkeit nicht irrational und „das gewöhn-

16 Johannes Mumbauer, „Die neuen Tertulliane. Søren Kierkegaard und Theodor Haecker“, Literarischer Handweiser, Bd. 58, Nr. 12, 1922, S. 545–550. Die Kontinuität zwischen Tertullian und Kierkegaard wird auch von Jaspers behauptet: „Diese Widersprüche und Unvereinbarkeiten [des Offenbarungsglaubens] aber werden selber zum Element des Glaubens, werden gesteigert und bewußt gemacht (von credo qiua absurdum Tertullians bis zu Kierkegaards Paradox und dem Glauben Kraft des Absurden).“ Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 106. 17 “Even if Tertullian’s formula does not appear everywhere in Kierkegaard’s writings, it refers to a central aspect of his understanding of Christianity.” Pierre Bühler, “Tertullian: The Teacher of the credo quia absurdum”, in Kierkegaard and the Patristic and Medieval Traditions, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2008 (Kierkegaard Reseach: Sources, Reception and Resources, Bd. 4.), S. 138. 18 Ebda. 19 Vgl. SKS 7, 516 / AUN2, 280. 20 Die summarische Behauptung Kutscheras ist zweifellos charakteristisch: „Das klassische Beispiel für einen irrationalen Glauben ist S. Kierkegaard.“ Franz von Kutschera, Vernunft und Glaube, Berlin-New York 1991, 125. 21 Vgl. Stephen C. Evans, “Is Kierkegaard an Irrationalist? Reason, Paradox, and Faith”, Religious Studies, Bd. 25, Nr. 3, 1989, S. 347. 22 “A paradox is an apparent contradiction.” Evans, “Is Kierkegaard an Irrationalist?”, S. 353.

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liche Verständnis seines Fideismus als eine Ablehnung der logischen Konsistenz völlig misslungen“.23 Der Vorwurf der Irrationalität nahm in der Rezeptionsgeschichte recht verschiedenartige Gestalten an. Erinnert sei zunächst an Georg Lukács’ bekanntes Spätwerk Die Zerstörung der Vernunft, in dem Kierkegaards postmetaphysisches Denken, nicht ohne Anerkennung, aber doch als Form des Irrationalismus dargestellt wird.24 Ferner sei die zeitgenössische tugendethische Konzeption Alasdair MacIntyres erwähnt, worin er den Grundbegriff der „absoluten Wahl“ (absolut Valg)25 aus Entweder/Oder II. als eine „Idee“ interpretiert, „wodurch die ganze Tradition einer rationalen moralischen Kultur zerschlagen wird“.26 Zwar nennt er diese Wahl nicht explizit „irrational“, seine Bezeichnung aber mag dem semantischen Inhalt des Begriffes durchaus entsprechen. Die heftigste Debatte entfachte sich sicher an der mutmaßlichen Irrationalität des Kierkegaardschen Glaubensbegriffes.27 In groben Zügen skizziert bildeten sich in diesem theologisch-gnoseologischen Kontext zwei antithetische (und an sich nicht homogene) Traditionen heraus. Die eine Richtung (David Swenson,28 Alastair MacKinnon,29 Stephen C. Evans,30 Merold Westphal31 u.a.) behauptet, das Paradox sei kein formallogischer, sondern ein existenzialer Widerspruch in Kierkegaards Denken. Einige unter ihnen heben hervor, dass der christliche Glaube nicht gegen den Verstand (contra rationem), sondern über ihm (supra rati-

23 “Kierkegaard’s critique of reason is not in the deepest sense irrational, and (…) the usual understanding of his fideism as a rejection of logical contingency is profoundly mistaken.” Evans, Is Kierkegaard an Irrationalist?, S. 347. 24 Georg Lukács, Die Zerstörung der Vernunft, Berlin 1955, S. 198–243. 25 SKS 3, 173ff. / EOII/2, 189ff. 26 “This idea destroys the whole tradition of rational moral culture – if it itself cannot be rationally defeated.” Alasdair MacIntyre, After Virtue. A Study in Moral Theory, second ed., London 1996 [1981], S. 41. Zur Kritik seiner Konzeption siehe: Bruce Kirmmse, Kierkegaard after MacIntyre. Essays on Freedom, Narrative, and Virtue, Chicago and La Salle, Illinois 2001, S. 7. Merkwürdigerweise scheint Jaspers’ frühe Auffassung derjenigen MacIntyres nahe zu sein: „Diese Entweder-Oder führen zu Entschlüssen nicht als logischen Akten, sondern als lebendigen Wahlakten, die dem Leben Telos geben. Diese letzte Wahl ist immer – wenn auch im Medium der Ratio – doch irrational.“ Karl Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1919, S. 297. Zur Irrationalität des Entschlusses siehe das Kapitel „Der Geist als Prozess hat irrationale Wendepunkte der Entwicklung und wird getragen von der Kraft des Glaubens.“ Siehe ebda., S. 293–303. 27 Siehe dazu: Evans, “Is Kierkegaard an Irrationalist?”, S. 348f. 28 David Swenson, Something About Kierkegaard, Minneapolis 1945. 29 Alastair MacKinnon, “Kierkegaard’s Irrationalism Revisited”, International Philosophical Quarterly, Bd. 9, 1969, S. 165–176. 30 Stephen C. Evans, Faith Beyond Reason, Edinburgh 1998, S. 78–92. 31 Merold Westphal, Kierkegaard’s Critique of Reason and Society, University Park, Pennsylvania 1991, S. 106.

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onem) stehe. Dementsprechend bringen sie Kierkegaards scharfe Vernunftkritik formal mit Leibniz’ harmonisierender Konzeption zusammen, um ihn so gegen den Vorwurf des Irrationalismus zu rechtfertigen (freilich ohne die Absicht, Kierkegaard zuletzt zu einem gläubigen Rationalisten zu stilisieren). Dagegen betonte die andere Richtung (zu deren extremen Repräsentanten u.a. Brand Blanshard32 und Herbert Garelick33 zählen) dass das Paradox einen offenen Widerspruch mit den formalen, logischen Prinzipien bilde und dass der Gläubige nach Kierkegaards Interpretation logisch widersprüchliche und unmögliche Inhalte akzeptieren müsse.34 Folglich lässt sich wohl nicht vermeiden, Kierkegaard als einen vernunftfeindlichen Irrationalisten zu bezeichnen, dessen Denken wesentlich das Tertullianische Erbe weiterführe. Diese verschiedenen Positionen scheinen trotz ihrer Divergenzen darin übereinzukommen, die inhaltliche Eindeutigkeit und Univozität des Irrationalitätsbegriffes stillschweigend vorauszusetzen. Ein flüchtiger Rückblick auf die (relativ kurze) Begriffsgeschichte35 kann uns aber schnell davon überzeugen, dass es sich hier um einen ziemlich problematischen Begriff handelt: Nicht nur deshalb, weil er in seiner privativen Form logisch vom jeweiligen Verständnis der Rationalität abhängig ist, sondern auch weil hinter seiner Verwendung oftmals eine polemische Motivation steckt, die offensichtlich nicht immer im Dienste der Begriffsklarheit steht. Um von dieser Problematik selbst ein differenziertes Bild allererst entwickeln zu können, werden wir im Folgenden einige relevante Positionen in gebotener Kürze in Erinnerung rufen. Obwohl das Phänomen der Irrationalität in Hegels Zeit noch nicht im Vordergrund des philosophischen Problembewusstseins stand, scheint seine spekulative Logik gerade in die Sphäre einzudringen, die man heute als das Irrationale bezeichnen könnte. Hegel, dessen Denken sowohl für Kierkegaard als auch für Jaspers bestimmend war, nennt es das Mystische und behauptet, dass man unter dem Spekulativen genau „dasselbe zu verstehen hat, was früher…als

32 Siehe: Brand Blanshard, “Kierkegaard on Faith”, in Essays on Kierkegaard, hg. von Jerry Gill, Minneapolis 1969, S. 113–125. 33 Herbert Garelick, The Anti-Christianity of Kierkegaard. A Study of Concluding Unscientific Postscript, The Hague 1965. 34 “This Paradox is the ultimate challenge to the intellect, for all attempts to understand it must conform to the laws of judgement and discourse: identity, contradiction, and excluded middle. Yet the Paradox violates this laws […] Rationally, the statement ‘God-man’ is a nonsensical statement.” Garelick, The Anti-Christianity of Kierkegaard, S. 28. 35 Siehe z.B.: Silvie Rücker, „Irrational, das Irrationale, Irrationalismus“, in Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von Joachim Ritter et al., Bd. 4., Basel-Stuttgart 1976, Sp. 583–588.

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das Mystische bezeichnet zu werden pflegte“.36 Natürlich bedeutet dies für ihn nicht, dass hier auf das Denken verzichten werden sollte. Im Gegenteil handelt es sich darum, dass das Mystische für den abstrakten Verstand geheimnisvoll und unbegreiflich ist, weil es „die konkrete Einheit derjenigen Bestimmungen ist, welche dem Verstand nur in ihrer Trennung und Entgegensetzung für wahr gelten“.37 Demgegenüber ist das Vernünftige, das über den Verstand hinausgeht und die entgegengesetzten als ideelle Momente in sich enthält, selbst als mystisch zu bezeichnen. Hegel bemerkt hinsichtlich der Geometrie in der „Lehre des Begriffes“, dass sie in ihrem Gange auf Inkommensurabilitäten und Irrationalitäten stoße, wo sie über das verständige Prinzip hinausgetrieben werde. An diesem Punkt taucht eine vielsagende terminologische Verkehrung auf, wodurch auch die Ambivalenz des Irrationalitätsbegriffes zur Geltung kommt: „was rational genannt wird, [ist] das Verständige, was aber irrational, [ist] vielmehr ein Beginn und Spur der Vernünftigkeit.“38 Wenn man noch dazu die immanente Natur des Hegelschen Denkens in Betracht zieht, drängt sich folgender Aspekt der Irrationalitätsproblematik auf: Inwiefern lässt sich Hegels System als rationalistisch bezeichnen? Es besteht kein Zweifel, dass das Denken in ihm seine absolute Form erreicht, die in der Allmächtigkeit des Begriffes zum Ausdruck kommt. Der Begriff ist für Hegel allerdings kein bloß subjektiver Inhalt, sondern realisiert sich darin, sich Grenzen zu setzen, und die gesetzten Grenzen als die von ihm an ihn gesetzten wieder aufzuheben. Hegels Denken schließt folglich die Negativität nicht aus, sondern ein und bildet damit das logische Grundprinzip der Selbstvermittlung des Begriffes. Nicht gegenstandslos betont deshalb Richard Kroner, dass „Hegels Denken ebenso sehr rational als irrational, überrational oder antirational [ist], es ist ebenso sehr Denken als Nichtdenken.“39 Eine andere Seite dieser Ambivalenz drückt Jaspers in seiner Interpretation der Hegelschen Vernunft als Einheitsprinzip des Rationalen und Irrationalen folgendermaßen aus: „Diese Vernunft ist ‚Mystik für den Verstand‘; sie nimmt zwar den Verstand, ohne den sie keinen

36 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Erster Theil: Die Logik, hg. von Leopold von Henning, in: ders.: Werke, hg. von Philip Marheineke et al., Bd. 6, Berlin 1840, 159 (§ 82, Zusatz). 37 Ebda., 160 (§ 82, Zusatz). 38 Ebda., S. 404 (§ 231). 39 Richard Kroner, Von Kant bis Hegel, 2. Aufl., zwei Bände in einem Band, Bd. 2., Tübingen 1961, S. 271. Er drückt sich später noch schärfer aus: „Die Wahrheit ist, daß es vor Hegel noch nie einen Irrationalisten gegeben hat, der es auf so philosophische, auf so denkende, auf so wissenschaftliche Weise war wie er; keinen, der das Motiv alles Irrationalismus so sehr zum herrschenden und gebietenden zu machen für nötig hielt. Hegel ist ohne Zweifel der größte Irrationalist, den die Geschichte der Philosophie kennt.“ Ebda.

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Schritt tun kann, in ihre Bewegung auf, aber ihr Philosophieren will das absolute Wissen einer gegenwärtig werdenden Vernünftigkeit alles Seins als Einheit des Rationalen und Irrationalen sein.“40 Die Badener Schule des Neukantianismus hat um die Jahrhundertwende verschiedene Bedeutungsaspekte der Irrationalität in erkenntnistheoretischer Hinsicht ausgearbeitet. Während der Begriff Irrationalität bei vielen Autoren eine rein negative Bedeutung besaß, hatte ein und derselbe Begriff im Neukantianismus zahlreiche positive Aspekte.41 Im Denken Heinrich Rickerts – der der maßgebende Philosoph in Heidelberg war, als der junge Jaspers seinen philosophischen Lehrstuhl dort antrat – erschien die Irrationalität in der Spannung zwischen dem reinen Begriff und der empirischen Wirklichkeit, die vom menschlichen Verstand nie lückenlos erkannt werden kann, obwohl der Verstand sich stets darauf richtet, diese Spannung in einem fortschreitenden und nie zu vollendenden Erkenntnisprozess zu überwinden.42 Die Irrationalität als Unableitbarkeit und Unvernünftigkeit ist daher ein gemeinsames Merkmal alles wahrgenommenen realen Seins. Darüber hinaus ist irrational aber auch das den allgemeinen Begriffen gegenüberstehende Individuelle (par excellence die Persönlichkeit). Martin Heidegger, mit dem Jaspers ursprünglich nicht nur durch das gemeinsame Interesse an Kierkegaard, sondern auch durch eine philosophische „Kampfgemeinschaft“43 verbunden war, wurde bekanntlich von Seiten der Neupositivisten und besonders von Rudolf Carnap wegen der vermeintlichen logischen Sinnlosigkeit des Sprachgebrauches seiner Metaphysik scharf kritisiert.44

40 Karl Jaspers, Vernunft und Existenz, Groningen-Batavia 1935, S. 114. 41 Der positive Aspekt des Begriffes des Irrationalen wird auch vom Religionsphänomenologen Rudolf Otto, der vom Kantischen Denken tief beeinflusst war, in der Wesensbestimmung der Religion hervorgehoben: „Wir meinen mit ‚Irrational‘ nicht das Dumpfe, Dumme, das noch nicht der ratio Unterworfene, das im eigenen Triebleben oder im Getriebe des Weltlaufes gegen die Rationalisierung Störrische. Wir knüpfen an den Sprachgebrauch an, der z.B. vorliegt, wenn man zu einem seltsamen, dem verständigen Deuten sich durch seine Tiefe entziehenden Ereignisse sagt: ‚Es liegt ein irrationales darin‘…Wir behaupten sodann, daß um diesen Bereich begrifflicher Klarheit her eine geheimnisvoll-dunkle Sfäre liege, die nicht unserem Gefühl, wohl aber unserem begrifflichen Denken sich entziehe und die wir insofern ‚das Irrationale‘ nennen.“ Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 2004 [1917], S. 75f. 42 Heinrich Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis. Einführung in die Transzendentalphilosophie, 6., verbesserte Auflage, Tübingen 1928, S. 427f. 43 Martin Heidegger – Karl Jaspers, Briefwechsel (1920–1963), hg. von Walter Biemel und Hans Saner, Frankfurt a. M.-München-Zürich 1990, S. 29, 33. 44 Siehe dazu: Rudolf Carnap, „Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache“, Erkenntnis, Bd. 2, 1931/32, S. 219–241. Der Gegenstand der Kritik war die Begrifflichkeit

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In seiner Reaktion weist Heidegger auf das Missverständnis hin, dass seine Kritik an der herrschenden „Logik“ unmittelbar als Verteidigung des Alogischen und Irrationalen interpretiert wurde. „Gegen ‚die Logik‘ denken“ – schreibt er – „das bedeutet nicht, für das Unlogische eine Lanze brechen, sondern heißt nur: dem λόγος und seinem in der Frühzeit des Denkens erschienenen Wesen nachdenken, heißt: sich erst einmal um die Vorbereitung eines solchen Nachdenkens bemühen.“45 Für Heidegger bleibt die Rede über den Irrationalismus solange bodenlos, wie die ratio und die Rationalität in ihrer Eigentümlichkeit für das Denken fragwürdig bleiben.46 In diesem Kontext weist er auf jenes Denken hin, welches außerhalb der Unterscheidung von rational und irrational steht und dessen Aufgabe „die Preisgabe des bisherigen Denkens an die Bestimmung der Sache des Denkens“ ist.47 Ludwig Klages, bei dem Jaspers in München studierte, hebt die folgenschwere Ambivalenz des Irrationalitätsbegriffes hervor, welche sich daraus ergibt, dass sowohl der Begriff des Rationalismus als auch jener des Irrationalismus inhaltlich gleichermaßen unklar und relativ sind: „Versteht man unter Rationalismus Verstandeskult oder Vernunftkult, so lehnt unser Werk den Rationalismus ab und würde also, wenn es beliebt, einen Irrationalismus vertreten; versteht man aber darunter die grundsätzliche Entmächtigung der Sachlichkeit (= der Logik) zugunsten etwa eines subjektivistischen oder relativistischen Denkens […], so stände unser Werk auf der Seite des Rationalismus bei schärfster Verwerfung des Irrationalismus […].“48 Lassen sich die obigen Auffassungen auf einen gemeinsamen Nenner bringen? Lässt es sich eine einheitliche Grundbedeutung des Irrationalitätsbegriffes überhaupt identifizieren? Im Rahmen dieser Erörterung können solche Fragen wohl kaum gelöst werden. Trotzdem sind diese Konzeptionen für unsere Analyse relevant, ja unentbehrlich, da durch sie die Komplexität der Irrationalitätsproblematik klar erhellt wird. Wenn wir nun die Aufmerksamkeit folglich auf Kierkegaards und Jaspers’ Glaubenskonzeptionen richten, um ihren Zusammenhang und ihre Divergenzen zu klären, dann geschieht dies vor dem Hintergrund der bislang angestellten Beobachtungen.

von Heideggers Vortrag „Was ist Metaphysik?“. Siehe: Martin Heidegger, Wegmarken, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2004, S. 103–122. 45 Martin Heidegger, „Brief über den ‚Humanismus‘“, in ders., Wegmarken, S. 348. 46 Martin Heidegger, „Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens“, in: ders., Zur Sache des Denkens, 4. Aufl., Tübingen 2000, S. 79. 47 Heidegger, Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, S. 80. 48 Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, Fünftes Buch, in ders., Sämtliche Werke, hg. von Ernst Frauchiger et al., Bd. 2., Bonn 1966, S. 1419.

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1.2 Der Glaube außerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft 1.2.1 Ist der Glaube ein formaler Widerspruch? Kants Denken, besonders seine kritische Lehre von den Grenzen49 der Erkenntnis, die jene auf die phänomenale Sphäre beschränkt sowie seine damit zusammenhängende Kritik an der rationalistischen Schulmetaphysik übten auf Kierkegaard eine faszinierende Wirkung aus;50 er kritisierte die natürliche Theologie aus hamartiologischen Gründen51 vielleicht noch schärfer als Kant selbst.52 Kants auf der praktischen Vernunft basierende Religionsphilosophie und die Idee eines rein moralischen Vernunftglaubens stehen nun aber in einem beinahe diametralen Widerspruch zu Kierkegaards Auffassungen. Der dänische Denker war aber nicht der erste, der den Konflikt zwischen Religion und Moralität aufdeckte. Bereits mehr als vierzig Jahre vor dem Erscheinen von Furcht und Zittern hob der junge Schleiermacher den „schneidenden Gegensatz“53 zwischen Moral und Religion mit Nachdruck hervor. Seine Konzeption markiert den Bruch mit der rationalistischen Religionsauslegung der Aufklärung und den Beginn der romantischen Religionsphilosophie. An diesem Punkt ist Kierkegaard zweifellos mehr ein Nachfolger Schleiermachers als Kants. Bezüglich des Glaubensbegriffs wiederum ist er ein ebenso scharfer Kritiker Schleiermachers wie es der frühe Hegel war. Der Unterschied zwischen den beiden Kritiken liegt darin, dass Hegels Haupteinwand sich gegen Schleiermachers Subjektivismus richtet und Kierke-

49 Kants Grundthese über die Grenzen der Vernunft wird von Kierkegaard nicht transzendentalphilosophisch, sondern eher theologisch bzw. existenzphilosophisch angeeignet: „Die menschliche Vernunft hat Grenzen; da liegen die negativen Begriffe. Der Grenzstreit ist negativ, zurückdrängend […] Die reine Vernunft ist etwas Phantastisches, und dorthin gehört auch das phantastisch Grenzenlose, wo es keine negativen Begriffe gibt, sondern wo man alles begreift wie die Hexe, die damit endete, daß sie ihren eigenen Magen aß.“ SKS 23, 24, NB 15:25 / T 4, 83. 50 Siehe dazu: Ronald M. Green, “Kant: A Debt both Obscure and Enormous”, in Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I: Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, vol. 6.), S. 179–210. 51 Es wird von Westphal wohlbegründet behauptet: “My claim is that Kierkegaard’s use of sin as an epistemological category echoes Luther’s view of the noetic effects of the fall.” Merold Westphal, Kierkegaard’s Critique of Reason and Society, University Park, Pennsylvania 1991, S. 106. 52 Siehe dazu den folgenden Journaleintrag aus der Zeit der Verfassung der Philosopischen Brocken: „Gottes Dasein beweisen zu wollen ist das Allerlächerlichste.“ SKS 18, 204, JJ:202 / DSKE 2, 211. 53 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, in ders., Schriften aus der Berliner Zeit 1796–1799, hg. von Günter Meckenstock, Berlin-New York 1984 [1799], S. 211. (KGA I/2.)

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gaard ihn wegen der Identifikation des religiösen Bewusstseins mit dem unmittelbaren „Gefühl“ und der „Anschauung des Universums“54 tadelt. Kierkegaard rechnet letztere als Bewusstseinsformen zur „ersten Unmittelbarkeit“ (første Umiddelbarhed) und weist sie im Kontext der Wesensbestimmung des Glaubens scharf ab. Nachvollziehbar wird der Grund dieser Abweisung im Themenbereich von Glaube und Vernunft. „Der Glaube ist nämlich nicht die erste Unmittelbarkeit, sondern eine spätere. Die erste Unmittelbarkeit ist das Ästhetische, und hier mag die Hegelsche Philosophie wohl Recht haben. Aber der Glaube ist nicht das Ästhetische, oder denn: der Glaube ist niemals dagewesen, weil er immer dagewesen ist.“55 In dieser paradox formulierten Behauptung scheint der pseudonyme Verfasser Johannes de silentio, Hegel teilweise Recht zu geben und sie spielt eine zentrale Rolle nicht nur im Gedankengang von Furcht und Zittern, sondern in Kierkegaards ganzem Denken. Tatsächlich handelt es sich hier um einen offenen Bruch mit dem romantischen Standpunkt Schleiermachers, der die Religion als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“,56 d.h. als ein unmittelbares, präreflexives Selbstbewusstsein interpretierte,57 wohingegen Climacus den Glauben als „Sinn für das Werden“58 auffasste. Doch diese Passage ist zugleich ein Protest gegen den Hegelschen Begriff des Glaubens als einer „unmittelbare[n] Gewißheit“.59 Für Hegel ist der religiöse Glaube ein sich inhaltlich auf das Absolute richtendes und deshalb mit der Philosophie identisches,60 trotzdem formal inadäquates Wissen vom Absoluten, das im begrifflichen Denken spekulativ aufgehoben werden soll. Obwohl der spekulative Gehalt der Religion wesentlich wahr ist, kann sie auf ihre

54 Schleiermacher, Über die Religion, S. 211, 213. 55 SKS 4, 172 / FZ, 91f. Siehe noch: SKS 4, 161 / FZ, 75; SKS 6, 370 / SLW2, 424; SKS 20, 363, NB4:159 / T 2, 230. Siehe dazu: Heiko Schulz, “Second Immediacy: A Kierkegaardian Account of Faith”, in Immediacy and Reflection in Kierkegaard’s Thought, hg. von Paul Cruysberghs et al., Leuven 2003, S. 71–86. 56 Schleiermacher, Über die Religion, S. 212. 57 Siehe dazu: SKS 27, 112, Papir 92 / T 1, 50. Diese Bemerkung wird auch von Jaspers übernommen und zitiert in seinem Werk Der philosophische Glaube, S. 15. 58 SKS 4, 283 / PB, 81. 59 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Nebst einer Schrift über die Beweise von Dasein Gottes, hg. von Philipp Marheineke, Erster Teil, Zweite, verbesserte Auflage, in ders., Werke, hg. von Philipp Marheineke et al., Bd. 1, Berlin 1840, S. 114. 60 „Vielmehr sehen wir nur näher zu, so zeigt es sich, daß in der That der Inhalt, das Bedürfniß und das Interesse der Philosophie mit dem der Religion ein gemeinschaftliches ist. / Der Gegenstand der Religion wie der Philosophie ist die ewige Wahrheit in ihrer Objektivität selbst, Gott und Nichts als Gott und die Explication Gottes.“ Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, S. 21.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

Wahrheit nur durch sinnliche Bestimmungen, mythische Erzählungen und Verstandeskategorien reflektieren. Um die Wahrheit der Religion gänzlich erfassen und explizieren zu können, sind die religiösen Vorstellungen spekulativ zu vermitteln und in den philosophischen Begriff aufzuheben. So ist die spekulative Philosophie selbst die Wahrheit der Religion. Die Verschiedenheit zwischen den Positionen von Kierkegaard und Hegel ist eine grundsätzliche.61 Die theologische Methodologie seines Hegelianischen Opponenten, Hans Lassen Martensen, muss für Kierkegaard besonders irritierend gewesen sein, da jene auf der spekulativlogischen Kategorie der Vermittlung basierend das konstitutive „Entweder/Oder“ der supranaturalistischen Theologie als einseitige Disjunktionen des Verstandes durch die spekulative Vermittlung aufzuheben und zu überholen suchte.62 Kierkegaards in diesem Kontext verfassten, scharfe Formulierungen über das „ungeheuerliche Paradoxon“63 des Glaubens und über das Absurde könnten leicht den Eindruck erwecken, als sei zwischen Glaube und Vernunft nichts anders als ein rein antinomisches Verhältnis und ein formaler Widerspruch gesetzt, weshalb diese Konzeption mit gutem Grund als irrationalistisch bezeichnet werden könnte. Es lässt sich kaum leugnen, dass sich im Œuvre, vor allem in den Climacus-Schriften zahllose Passagen finden lassen, die, besonders sobald sie dem Kontext entrissen sind, diesen Eindruck bestätigen. Darüber hinaus scheint auch die Grundkonzeption dieser Schriften auf der Antithetik von Glauben und Verstand zu basieren. Gemäß der wohlbekannten Behauptung Climacus’ glaubt der gläubige Christ „im Verhältnis zum Christentum […] gegen den Verstand“64 und das Höchstmaß des Verständnisses des Christentums besteht gerade darin,

61 “When Hegel talks about faith, he is concerned with giving a philosophical account of it as a mode of cognition. It thus becomes continuous with other modes of cognition. By contrast, when Kierkegaard talks of faith, he is concerned with the faith of the individual and not with any general form of cognition. From this it is clear, that when Hegel and Kierkegaard talks about ‘faith’, they are talking about two different things.” Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 639. 62 Siehe dazu: Hans Lassen Martensen, „Rationalisme, Supranaturalisme og principium exclusi medii (I Anledning af H. H. Biskop Mynsters Afhandling herom i dette Tidskrifts forrige Hefte)“, Tidskrift for Litteratur og Kritik, Bd. 1, 1839, S. 456–473. Zur Frage nach den von Kierkegaard in der Nachschrift kritisierten dänischen Hegelianern siehe: Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 453–466. 63 SKS 4, 147 / FZ, S. 56. 64 SKS 7, 516 / AUN2, 280. In einem Journaleintrag drückt er sich noch schärfer aus: „Was der Spott, wie man weltlich und irdisch sehen kann, lächerlich machen kann, das soll man glauben. Das ist ein noch stärkerer Druck als jenes ‚credo quia absurdum.‘ Für die Einfalt heißt es bloß: du sollst eben nur glauben. Für den zusammenfassenden Verstand heißt es: es ist geradewegs wider den Verstand, aber du sollst glauben.“ SKS 21, 313, NB10:109 / T 3, 200.

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zu verstehen, dass es nicht verstanden werden kann.65 Bereits der Verfasser von Furcht und Zittern betont aber, dass „der Glaube eben da beginnt, wo das Denken aufhört“.66 Die Bewegung des Glaubens – d.h. Abrahams Bruch mit der ästhetischen Unmittelbarkeit sowie mit dem ethisch Allgemeinen und sein paradoxes Existieren in einem absoluten Verhältnis zum Absoluten67 – ist erst „kraft des Absurden“68 möglich. Für Climacus ist die Dialektik des Glaubens dem Verstand nicht nur unzugänglich,69 sondern der Glaube ist gerade ein Martyrium,70 nämlich die Aufopferung des Verstandes. Die klassische Formel sacrificium intellectus zieht ihre Bedeutung hier aus den beiden grammatischen Funktionen von genitivus objectivus und subjectivus. Da das Glaubensparadoxon für den Verstand unbegreiflich ist, wird der Verstand im Glaubensakt „aufgeopfert“. Wenn die Aktivität des Verstandes hinsichtlich des Glaubensaktes angesprochen ist, bildet der Verstand in einem doppelten Sinne die conditio sine qua non des Glaubens. Um christlich glauben zu können, ist die Einsicht des Verstandes nötig, dass es sich um einen paradoxen und absurden Inhalt (d.h. um die Unmöglichkeit des Verständnisses) handelt – sonst wäre der Glaube selbst bodenlos. Ferner ist der Verstand darin tätig, dass er in seinem glücklichen Zusammenstoß mit dem Glaubensparadoxon sich selbst aufhebt,71 ja er will in der Leidenschaft des Glaubens seinen eigenen Untergang.72 Dieses Verhältnis beschreibt Climacus schließlich radikal als „Kreuzigung des Verstandes“ (Forstandens Forsfæstelse).73 Eine Formulierung, die implizit jene populäre Lesart der pseudonymen Schriften zu unterstützen scheint, die sich gedanklich auf die Kategorien der formalen Antinomie und der Irrationalität gründet. Ob dies die einzig mögliche Interpretation der Kierkegaardschen Konzeption ist, das soll im Folgenden untersucht werden. Die obigen Feststellungen können leicht den Eindruck einer einseitigen und eben irrationalistischen Konzeption erregen, doch eine breitere Durchsicht des

65 SKS 7, 196 / AUN1, 205. Siehe noch die spätere Bemerkung: „Kein Blick ist ja so scharfsichtig wie der des Glaubens, und doch ist der Glaube, menschlich gesprochen, blind; denn Vernunft, Verstand sind, menschlich gesprochen, das Sehende, der Glaube aber ist wider Verstand.“ SKS 11, 268 / HZS, 152. 66 SKS 4, 147 / FZ, 56. 67 SKS 4, 150 / FZ, 59. 68 SKS 4, 131 / FZ, 34. Siehe auch: SKS 7, 517 / AUN2, 281. 69 „Mit dem Verstand glauben, läßt sich gar nicht ausführen.“ SKS 7, 212 / AUN1, 224. 70 SKS 7, 508 / AUN2, 270. 71 Vgl. SKS 4, 244 / PB, 36. 72 Vgl. SKS 4, 252 / PB, 45. 73 SKS 7, 545 / AUN2, 314.

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Œuvres wird diese Perspektive beträchtlich modifizieren.74 Es gibt sowohl in den publizierten Schriften als auch im Nachlass gewichtige Stellen, die den Verdacht erwecken, dass Kierkegaards Auffassung nicht fern von jener Leibniz‘ steht und dass der Grund der radikalen Formulierungen der pseudonymen Schriften in ihrer Verfasserperspektive eines Außenstehenden liegt. Im Notizbuch 13 („Philosophica“), das während der Vorarbeiten zu den Philosophischen Brocken verfasst wurde, bemerkt Kierkegaard in einer Erörterung der Leibnizschen Konzeption über die Übereinstimmung zwischen Glauben und Vernunft:75 „Was ich auf die Weise auszudrücken pflege, daß das Christentum im Paradox liege, die Philosophie in der Vermittlung, das drückt Leibniz dadurch aus, daß er einen Unterschied macht zwischen dem, was über die Vernunft und was wider die Vernunft ist. Der Glaube ist über die Vernunft. Unter Vernunft versteht er […] ein Zusammenknüpfen von Wahrheiten (enchainement), ein Schließen aus Ursachen. Der Glaube kann deshalb nicht bewiesen, begründet, begriffen werden, denn es fehlt das Glied, welches ein Zusammenknüpfen möglich macht; und was will das anderes heißen, als daß er paradox sei; denn eben dies ist das Sprunghafte im Paradox, dem der Zusammenhang fehlt, oder das auf jeden Fall nur rückwendigen Zusammenhang hat, das will heißen, sich nicht ursprünglich als ein Zusammenhang zeigt. Es soll, nach meiner Meinung, mit der Paradoxie und Ungereimtheit des Christentums nichts anderes gesagt sein, als daß es die erste Form sei, sowohl in der Weltgeschichte als auch im Bewußtsein.“76 Es handelt sich hierbei um eine textnahe Besprechung von Leibniz’ Teodicee, eine von Leibniz im Wesentlichen nur terminologisch abweichende Position: Durch die Kategorie des Paradoxons wird inhaltlich gerade jenes Grundverhältnis ausgedrückt, dass der Glaube „über die Vernunft“ (supra rationem) ist.77 In einem späteren Journaleintrag sieht Kierkegaard außerdem seine in der Nachschrift entwickelte Glaubensauffassung mit jener des frühscholastischen Denkers Hugo

74 Siehe dazu: Stephen C. Evans, Faith Beyond Reason, Edinburgh 1998, S. 78–92. 75 Siehe: Gottfried Wilhelm Leibniz, Theodicee, das ist Versuch von der Güte Gottes, Freyheit des Menschen, und vom Ursprunge des Bösen, übers. von J. C. Gottsched, 5. Aufl.., Hannover und Leipzig 1763 (Ktl. 619). 76 SKS 19, 390f., Notizbuch 13: 23 / T 1, 350. 77 ‘Kierkegaard’s deviating practice on logical language can, if not properly observed, cause confusion and even misinterpretation, as would be the case if one were to identify Kierkegaard’s term ‘paradox’ with Leibniz’s notion of being against reason.” Hårvard Løkke-Arild Waaler, “Gottfried Wilhelm Leibniz: Traces of Kierkegaard’s Reading of the Theodicy”, in Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 5), S. 56.

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von Sankt Viktor (um 1097–1141) übereinstimmen, nach dem der Glaube „über die Vernunft geht (gaae over Fornuften)“.78 Bezüglich der provokativen Formulierungen vom Glauben, der gegen die Vernunft ist, sei an eine Passage aus der Nachschrift erinnert, in der Climacus zwischen zwei Formen dieses Verhältnisses scharf unterscheidet: „Nonsens kann er [der Christ] daher nicht gegen den Verstand glauben, was vielleicht einer befürchten mag; denn der Verstand wird es gerade durchschauen, daß es Unsinn ist, und ihn daran hindern, es zu glauben; aber er gebraucht den Verstand so viel, daß er durch ihn auf das Unverständliche aufmerksam wird, und nun verhält er sich zu diesem gläubig gegen den Verstand.“79 Hier zeigt sich die immanente Ambivalenz der Kategorie „gegen den Verstand“ (mod Forstanden) in Kierkegaards Denken, ihr Doppelsinn der Unsinnigkeit und der Unverständlichkeit. Der gegen Kierkegaard vorgebrachte Verdacht der Sinnlosigkeit bzw. Irrationalität scheitert daran, dass er einen kritischen Reflexionsakt innerhalb des Glaubensaktes setzt, wodurch unsinnige Gehalte aus dem Glauben ab ovo eliminiert werden.80 Aus dem selben Grund argumentiert Kierkegaard an anderer Stelle, dass das Absurde „nicht ohne Unterschied das Absurde oder Absurditäten“81 ist: Die negative Kategorien des Paradoxes und des Absurden haben bei ihm nicht den vulgären Sinn, sondern eine dialektische Abgrenzungsfunktion, welche eben durch einen Verstandesakt erfüllt wird. Das bedeutet nicht, dass der Glaube selbst auf eine Form der Reflexion reduziert werden könnte, trotzdem ist ein von der Reflexion isolierter Glaube für Kierkegaard schlicht nicht möglich. In diesem Kontext sei schließlich ein später polemischer Entwurf Kierkegaards gegen Magnús Eiríksson erwähnt.82 Der pseudonyme Verfasser Anti-Climacus analysiert das Verhältnis des Glaubens zum Paradoxen und Absurden und stellt kategorisch fest: „Das Absurde ist Begriffsform, ist das negative Kennzeichen des Göttlichen oder des Gottesverhältnisses. Indem der Glaubende glaubt, ist das Absurde nicht das Absurde – der Glaube verwandelt es; aber in jedem

78 Siehe SKS 23, 23, NB 15:25 / T 4, 82. 79 SKS 7, 516 / AUN2, 280. 80 Westphal argumentiert überzeugend dafür, dass das Paradox keinen logischen Widerspruch in der Nachschrift bedeutet: “It would be a dramatic semantic shift if Climacus were suddenly to start using ‘contradiction’ as formal logicians use the term.” Merold Westphal, Becoming a Self. A Reading of Kierkegaard’s Concluding Unscientific Postscript, West Lafayette, Indiana 1995, S. 181. 81 Pap. X 6 B 79 / T 5, 385. 82 Zur Interpretation des Entwurfes siehe: Gerhard Schreiber, “Magnús Eiríkson: An Opponent of Martensen and an Unwelcome Ally of Kierkegaard”, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II: Theology, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 81–86.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

schwachen Augenblick ist es ihm wieder mehr oder weniger das Absurde. Die Leidenschaft des Glaubens ist die einzige, die des Absurden Herr wird – wenn nicht, so ist der Glaube nicht im strengsten Sinne Glaube, sondern eine Art Wissen. Das Absurde schließt die Sphäre des Glaubens negativ ab, sie ist eine Sphäre für sich.“83 Diese Stelle ist von zentraler Bedeutung hinsichtlich der Auslegung der pseudonymen Schriften, weil sie eine perspektivische Interpretation ermöglicht. Obwohl das Absurde „eine Sphäre für sich“ ist, ist der Glaube nicht an sich paradox oder absurd, sondern nur für denjenigen, der die Leidenschaft des Glaubens von außen betrachtet: Für den Gläubigen ist sein Glaube ja keine Absurdität. Der Glaube an sich kann deshalb nicht paradox oder absurd sein, weil er keine Art „Wissen“ ist. Was das Paradox und das Absurde betrifft, sind sie in gnoseologischer Hinsicht als negative Begriffe und unaufhebbare Marksteine konstitutiv für den Glauben, die damit die Transzendenz des Glaubens von der Immanenz des Denkens scharf abgrenzen.84

1.2.2 „Glauben ist Sein“: Der Glaube als Existenzmöglichkeit In einem Journaleintrag aus dem Jahre 1850 drückt Kierkegaard den Unterschied zwischen dem griechischen und christlichen Sinn des Glaubensbegriffes aus: „Πίστις ist im klassischen Griechisch die Überzeugung (mehr als δόξα, Meinung), die sich auf das Wahrscheinliche bezieht. Aber das Christentum, welches bei den Begriffen des natürlichen Menschen immer das unterste zu oberst kehrt und das Gegenteil herausbekommt, läßt πίστις sich auf das Unwahrscheinliche beziehen.“85 Das „Unwahrscheinliche“ (Usandsynlige) ist in diesem Kontext gleichbedeutend mit den Kategorien des „Paradoxes“ und des „Absurden“, die in Kierkegaards Denken einen „qualitativ existentialen Widerspruch“86 ausdrücken. Es handelt sich aber hier nicht nur um eine dialektische Umkehrung der Begriffe, woraus sich in kognitiver Hinsicht die Unbegreiflichkeit des Glaubens ergibt. Zwischen der griechischen und christlichen Glaubensauffassung liegt die wesentliche Differenz darin, dass der Glaube für letztere keine Erkenntnis-, sondern eine Existenzform ist. Zwar stellen sich die Fragen der Epistemologie und theologischen Gnoseologie in Verbindung mit dem Glauben unvermeidlich, mit denen

83 Pap. X 6 B 79, S. 86 / T 5, 385. 84 „Das Absurde ist das negative Merkmal für das, was höher ist als menschlicher Verstand und menschliches Wissen.“ Pap. X 6 B 80 / T 5, 388. 85 SKS 23, 23f., NB15:25 / T 4, 82. 86 Gregor Malantschuk, Nøglebegreber i Søren Kierkegaards Tænkning, Kopenhagen 1993, S. 111.

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auch die (Ir)rationalitätsproblematik eng verbunden ist, der eigentliche Kern des Problemkomplexes des Glaubens liegt aber doch in der genuinen Existenzauffassung Kierkegaards. Der ontologische Grund der Unbegreiflichkeit des Glaubens ist jener, dass der Glaube als eine Form der Existenz zur Transzendenz der Wirklichkeit gehört, welche von der Immanenz des Denkens ontologisch abgetrennt ist. Diese durch die ontologische Konzeption des späten Schelling von der a priori Unvordenklichkeit des Seins stark beeinflusste Auffassung kommt an zentralen Stellen des Œuvres klar zum Ausdruck. Johannes de silentios Behauptung, der Glaube beginne dort, wo das Denken aufhöre,87 lässt Kierkegaard nicht nur isoliert für das Glaubensphänomen gelten, sondern für die ganze Sphäre der Existenz und der Wirklichkeit. Aus dem selben Grund betont auch Johannes Climacus, dass der Gegenstand des als ein „Organ für das Historische“88 aufgefassten Glaubens nicht die Lehre sondern der Lehrer ist,89 besonders seine Wirklichkeit und ferner, dass das Christentum keine Lehre, sondern eine Existenzmitteilung ist, die an sich einen Existenzwiderspruch ausdrückt.90 Die Wesensdifferenz von neuzeitlicher Philosophie und Christentum ist vielleicht am schärfsten von Anti-Climacus durch seine Formel „Glauben ist sein“ (at troe er at være)91 ausgedrückt. Während das erste Prinzip der cartesianischen Methode die Gewissheit des Seins in actu cogitationis des ego cogitans (d.h. die Gewissheit des Selbstbewusstseins) ist, stellt Anti-Climacus den Glauben dem Denken gegenüber, nicht als einen beliebigen Akt des Gläubigen, sondern als Konstitutiv seines Seins. Die Interpretation dieses nicht kognitiv sondern existential aufgefassten Glaubens beschränkt sich bei Kierkegaard nicht auf die gnoseologischen Aspekte, sondern sie vollzieht sich in einem existenzphilosophischen bzw. handlungshermeneutischen Horizont. Die existenzialen Grundkategorien dieser Hermeneutik sind jene der Entscheidung (Afgjørelse),92 des Sprungs (Spring)93 und besonders der Leidenschaft (Lidenskab).94 Gemeinsam ist diesen

87 SKS 4, 147 / FZ, 56. 88 SKS 4, 280 / PB, 78. 89 SKS 4, 264 / PB, 59. 90 SKS 7, 345f. / AUN2, 84. 91 SKS 11, 206 / KT, 93. 92 „Des Glaubens Schluß ist nicht Schluß, sondern Entschluß, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen.“ SKS 4, 283 / PB, 80. 93 Für de Silentio gilt für den Glauben dasselbe, was für die Leidenschaft gilt, nämlich dass er ein „ewiger Sprung in das Sein“ ist. SKS 4, 137 / FZ, 42. 94 „Der Glaube ist ein Wunder, und doch ist kein Mensch ausgeschlossen davon; denn das eingehende Band allen menschlichen Lebens ist Leidenschaft, und der Glaube ist eine Leidenschaft.“ SKS 4, 159 / FZ 73.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

Kategorien, dass sie keine abstrakten Formen (essentia, Wesen) sind, sondern die Existenzmöglichkeiten des existierenden Einzelnen bezeichnen. Im Hintergrund dieser originellen Auffassung stehen offenbar der Bruch mit der klassischen Wesensmetaphysik und der Aufbruch eines neuen Denkens, das in der Folge als Existenzphilosophie kanonisiert wurde. Im Zusammenhang dieses Denkens hat auch der Glaube keine Essenz und keine abstrakten Bestimmungen. Die bisherigen Analysen können den Irrationalitätsvorwurf gegen die Glaubenskonzeption Kierkegaards im Sinne einer reinen Vernunftwidrigkeit zurückweisen. Hat sich aber damit zugleich die Rationalität derselben bewahrheitet? Es gäbe wohl kaum jemanden, der Abrahams Opfer für das Paradigma einer rationalen Handlung halten würde. Hätte aber Abraham auf den göttlichen Befehl eher antworten sollen, was Kant ihm empfiehlt? „Daß ich meinen guten Sohn nicht tödten solle, ist ganz gewiß; daß aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiß und kann es auch nicht werden, auch wenn du vom sichtbaren Himmel herabschallst.“ 95 Abraham hätte sich mit dieser rationalen Antwort zweifellos die ganze Reise nach Moriah ersparen können er wäre dann jedoch wohl eher der Vater der Riposte als jener des Glaubens geworden. Die einseitige Isolierung und Gegenüberstellung der Kategorien „Rationalität“ und „Irrationalität“ sind im Zusammenhang der Auslegung der Glaubensproblematik zumindest problematisch, auch wenn und gerade weil eben jene Kategorien zugleich unentbehrlich sind. Die folgende Erörterung der Konzeption des philosophischen Glaubens Karl Jaspers’ soll als Anlass dazu dienen, die Gestaltung dieses Problemkomplexes mit Blick auf einen von Kierkegaard stark beeinflussten und dennoch selbständigen Denker schematisch darzustellen.

1.3 Vom paradoxen zum philosophischen Glauben Kierkegaards Schriften erregten bereits zu seinen Lebzeiten einiges an Resonanz in der deutschen Literatur,96 trotzdem ist Wilhelm Anz zuzustimmen, dass „die im strengeren Sinne philosophische Rezeption Kierkegaards in Deutschland“ erst

95 Immanuel Kant, Der Streit der Fakultäten, in Kant. Werke in sechs Bände, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1983, Bd. 9, Teil 1, Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, S. 333. 96 Über die „unproduktive Prärezeptionsphase“ siehe: Heiko Schulz, “Germany and Austria: A Modest Head Start: The German Reception of Kierkegaard”, in Kierkegaard’s International Reception, Tome I, Northern and Western Europe, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 8), S. 307–321.

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mit Karl Jaspers beginnt.97 Jaspers’ frühe und begeisterte Kierkegaard-Lektüre98 hinterließ Spuren nicht nur in seinen Vorlesungen, sondern auch in seinem Frühwerk, Psychologie der Weltanschauungen, zweifellos ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Kierkegaard-Rezeption. Daher ist es durchaus überraschend, dass er Kierkegaard – abgesehen von zahlreichen Hinweisen, Zitaten und einigen Buchkapiteln – keine selbstständige Monographie widmete, wohingegen er ein umfangreiches Werk über Nietzsche publizierte, den er mit Kierkegaard theoretisch konsequent verband.99 Er selbst erklärt uns diesen Umstand damit, dass „man nicht über Kierkegaard schreiben kann, ohne sich zum Narren zu machen“;100 belastbarer ist sicherlich seine luzide Ansicht, nach der Kierkegaards Denken keine objektive Lehre hervorbringt, weil es „keine Position [ist], sondern eine Denkungsart“,101 die sich systematisch nicht erörtern lässt. Jaspers sieht in Kierkegaard keinen Lehrer, sondern einen „großen Erwecker“,102 einen „Sturmvogel“,103 einen „Prophet“,104 dessen Botschaft kein positiver Wissensgehalt sondern ein essenzieller „Wille zur Redlichkeit“105 ist. So zeigt sich in Jaspers’ Verhältnis zum Denken Kierkegaards eine bestimmte Ambivalenz: Er erklärt dieses Denken auf dem Wege zur philosophischen Redlichkeit für unausweichlich, trotzdem hebt er seine dialektische Negativität entschieden hervor, um auf das Fehlen eines festen theoretischen Bodens und die so eben unerreichbare positive Lehre aufmerksam zu machen. 106

97 Wilhelm Anz: „Zur Wirkungsgeschichte Kierkegaards in der deutschen Theologie und Philosophie“, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 79, Nr. 4, 1982, S. 466. 98 Nach Hans Saner ist Jaspers „früh (ab 1913) in seiner philosophischen Orientiererung von Kierkegaard nachhaltig betroffen und beeinflußt worden.“ Siehe die entsprechende Bemerkung in: Karl Jaspers, Die großen Philosophen: Nachlaß, Bde. 1–2, hg. von Hans Saner, München-Zürich 1981, Bd. 2 (Fragmente, Anmerkungen, Inventar), S. 764. 99 Zu seinem späten, unveröffentlichten Manuskript sowie zu seinen Fragmente über Kierkegaard siehe: Karl Jaspers, Die großen Philosophen. Nachlaß, 2 Bde.; Bd. 1, S. 416–93; Bd. 2., S. 763–909; S. 1058–1074. 100 “One cannot write on Kierkegaard without making a fool of oneself.” zitiert in: Leonard H. Ehrlich, “Editor’s Note”, in Karl Jaspers, The Great Philosophers. The Disturbers, hg. von. Michael Ermath et al., New York-San Diego-London 1981, S. 190f. 101 Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 519. 102 Karl Jaspers, Die grossen Philosophen. Nachlaß, Bd. 1, hg. von Hans Saner, München 1981, S. 416. 103 Karl Jaspers, „Kierkegaard“, in ders., Aneignung und Polemik, hg. von Hans Saner, München 1968, S. 309. Siehe auch: SKS 18, 271, JJ: 391 / DSKE 2, 281. 104 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 127. 105 Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 519. 106 Jaspers, „Kierkegaard. Zu seinem 100. Todestag“, in ders., Aneignung und Polemik, S. 320.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

Diese Ambivalenz schlägt im Hinblick auf Kierkegaards Auffassung des Christentums in eine offene Kritik um. Jaspers betont ausdrücklich: „Die Größe Kierkegaards liegt kaum in seiner Interpretation des christlichen Glaubens, der von ihm vielmehr in eine Form gebracht wird, die als Selbstvernichtung dieses Glaubens anmutet. Es ist eine raffinierte Dialektik der unaufgelösten Widersprüche, die in diesen selber die Wahrheit der Wirklichkeit Gottes entdeckt.“107 Kierkegaards im Martyrium kulminierende religiöse Weltverneinung ist für Jaspers eine inakzeptable poetische „Fiktion“,108 eine dialektisch „dichtende Konstruktion des Christentums“,109 die, wäre sie wahr, zum Ende des Christentums führte. Bezeichnenderweise lässt sich das Kierkegaardsche Paradox genau durch diese akosmische Tendenz kennzeichnen: Es ist inhaltlich nichts anderes, als eine „weltlose Transzendenz der isolierten Seele mit Gott“.110 An diesem Punkt zeigt sich deutlich, Jaspers fasst das Paradox nicht in erster Linie als gnoseologisches Problem auf und noch weniger interpretiert er es als einen Einbruch der Irrationalität ins Denken Kierkegaards. Aus der Tiefe der Existenz wird die Vernunft in den Kierkegaardschen Schriften radikal in Frage gestellt und diese Infragestellung ist für Jaspers keine Vernunftfeindschaft von einem irrationalen Standpunkt aus, sondern ein tatsächlich leidenschaftlicher Versuch, die eigentliche Wahrheit anzueignen.111 Das Absurde bei Kierkegaard interpretiert Jaspers nicht als Versuch, die Reflexion zu vernichten, sondern sie zu überwinden, nicht aber gnoseologisch, durch die Vermittlung eines höheren Wissens, sondern existentiell, durch den Sprung zur Transzendenz.112 Das Absurde drückt keine bloße Irrationalität aus, sondern eine wesentliche Unverstehbarkeit und einen existentialen Widerspruch. Die beiden Denker stimmen darin überein, den Glauben nicht gnoseologisch, sondern existentiell aufzufassen. In Jaspers’ Worten: „Der Glaube ist nicht eine Vorstufe zum Wissen, sondern ein Akt, der überhaupt erst auch die Bewegung zum Wissen hin möglich und sinnvoll macht. Er ist nicht das Umfassende, nicht ein Einzelnes, nicht eine bloß vereinzelte Kraft und nicht ein einzelner Inhalt,

107 Jaspers, Die großen Philosophen: Nachlaß, Bd. 2, S. 845. 108 Jaspers, Die großen Philosophen: Nachlaß, Bd. 2, S. 825. 109 Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 513. 110 Jaspers, Die großen Philosophen: Nachlaß, Bd. 2, S. 817. 111 Vgl. Jaspers, Vernunft und Existenz, S. 6. 112 Vgl. Jaspers, Vernunft und Existenz, S. 11, 15. Ebenso behauptet Jaspers anderswo: „Die Absurdität ist […] kein Einwand. Das Absurde ist eine Form der Erscheinung der Transzendenz für das Denken – auch in jedem tiefer dringenden Philosophieren.“ Karl Jaspers, Philosophische Logik, Bd. 1, Von der Wahrheit, München 1958, S. 853.

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nicht etwas spezifisch Religiöses, sondern letzte Kraft des Geistes.“113 Diesen nicht spezifisch religiösen Aspekt des Glaubens arbeitet Kierkegaard mit seinem Pseudonym Johannes Climacus ausführlich aus und Jaspers stimmt hier vorbehaltlos zu. Den Kontext der Auslegung dieses Aspektes bildet die Geschichtsphilosophie.114 Da alles was geschichtlich ist, geworden ist und da der Grund für den Übergang des Werdens keine Notwendigkeit sein kann, sondern die Wirklichkeit der Freiheit, kann das Geschichtliche keinen Gegenstand des die Notwendigkeit begreifenden Wissens bilden. Wenn die Geschichte durch die Kontingenz des Werdens weder zum Gegenstand der sinnlichen Erfahrung noch zum Objekt eines begrifflichen Wissens werden kann, muss es ein „Organ“ geben, das als „Sinn für das Werden“115 dem Geschichtlichen gemäß gebildet ist. Dieses „Organ“ ist für Climacus nichts anderes als der Glaube – aufgrund der Konnaturalität jener Ungewissheit, die dem Werden und dem Glauben gleichermaßen zukommt. Dieser Glaube „an das So-Sein des Gewordenen“116 richtet sich auf das Geschichtliche und ist dabei selbst geschichtlich.117 Jaspers hat spät aber sodann überzeugt behauptet, er sei kein Anhänger Kierkegaards geworden118 und hinsichtlich seiner scharfen Kritik an der absurden „Religiosität B“ lässt sich das durchaus nachvollziehen. Während Jaspers’ humanistische Konzeption mit dem Standpunkt der sokratischen „Religiosität A“ völlig in Einklang steht, bleibt das Verhältnis zum Glaubensparadoxon höchst problematisch. Er folgt dabei keineswegs der Idee eines rationalistisch konzipierten Vernunftglaubens, mit dem die Äußerungen Climacus’ einfach als irrationalistisch abgewiesen werden könnten. Das Paradoxe und das Absurde sieht er nicht als Ausdrücke einer reinen Vernunftfeindschaft, sondern als Erscheinungen der Transzendenz für das Denken, einer Transzendenz, die jenseits der Grenzen des begrifflichen Denkens liegt und sich nur in Chiffren zeigt. Auch

113 Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, S. 298. 114 Siehe dazu: István Czakó, „Das Problem des Glaubens und der Geschichte in der Philosophie Kierkegaards und Karl Jaspers’“, Kierkegaard Studies. Yearbook, Berlin-New York 2000, S. 373–382. 115 SKS 4, 283 / PB, 81. 116 SKS 4, 282 / PB, 80. 117 Jaspers fasst diese Glaubenskonzeption so zusammen: „Kierkegaard sieht als Wesenszug des Glaubens, daß er auf eine geschichtliche Einmaligkeit geht und selbst geschichtlich ist. Er ist nicht Erlebnis, nicht ein Unmittelbares, das man als gegeben beschreiben kann. Er ist vielmehr das Seinsinnewerden aus dem Ursprung durch Vermittlung der Geschichte und des Denkens.“ Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 15. 118 Vgl. Karl Jaspers, „Nachwort zu meiner Philosophie 1955“, in: ders., Philosophie, Bd. I.: Philosophische Weltorientierung, Berlin-Heidelberg-New York, 1973, S. XX.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

wenn Jaspers jede Form des unwahrhaftigen sacrificium intellectus entschieden ablehnt,119 besteht sein Haupteinwand gegen Kierkegaard nicht in der Destruktion der Rationalität, sondern in der akosmistischen Tendenz, der „totale[n] Weltverneinung“120 der Climacus-Schriften, die als reine Negativität dem Glaubenden alle weltimmanenten Beziehungen entzieht und ihn als isoliertes weltloses Subjekt setzt. Diese inakzeptable dialektische Konstruktion des Climacus gilt für Jaspers gerade als ein „‚Verrat’ am Menschen, am Geliebten, an der Welt“.121 Die akosmische Liebe der Transzendenz ist letztendlich selbstwidersprüchlich: „Weltlose Liebe ist Liebe zu nichts als grundlose Seligkeit. Liebe zur Transzendenz ist nur als liebende Weltverklärung wirklich.“122 Jaspers gehört an diesem Punkt zu den heftigsten Kritikern Kierkegaards. Wie er dennoch seine Konzeption des philosophischen Glaubens auf Kierkegaards Denken stützen kann und wie sich dieser Glaube zur menschlichen Rationalität und Vernunft verhält, soll im Folgenden diskutiert werden. Jener Umstand, dass Jaspers den paradoxen Glauben des Climacus scharf kritisiert und leidenschaftlich ablehnt, kann indirekt die Erwartung hervorrufen, dass die von der Glaubensproblematik anscheinend untrennbare Irrationalitätsfrage in seiner Konzeption des philosophischen Glaubens durch eine konsequente Eliminierung der irrationalen Momente und durch eine unbedingte Geltendmachung der allgemeinen Rationalität aufgelöst werden wird. Eine solche Erwartung ließe aber außer Acht, dass Jaspers’ Idee des philosophischen Glaubens keine bloße Neuinszenierung des alten rationalistischen Ideals des Vernunftglaubens ist. Einerseits ist klar, dass Jaspers den philosophischen Glauben von der Irrationalität im Sinne einer reinen Verstandeswidrigkeit ausdrücklich absondert: „Der Glaube ist nun keineswegs als das Irrationale zu fassen. Diese Polarität von rational und irrational wurde vielmehr zur Verwirrung der Existenz […] Es war das Ende des Geistes, daß er sich bewußt auf das Irrationale gründete […] Nicht ein im Grunde Negatives, das Irrationale, nicht dies Hineinstürzen in das Dunkel des Verstandeswidrigen und Gesetzlosen kann unser Glaube sein. / Der philosophische Glaube, der Glaube des denkenden Menschen, hat jederzeit das Merkmal, daß er nur im Bunde mit dem Wissen ist. Er will wissen, was wissbar ist, und sich selbst durchschauen.“123 Der philosophische Glaube fordert

119 Siehe dazu: Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, S. 300; ders.: Der philosophische Glaube, S. 113; ders.: Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 253. 120 Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 516. 121 Jaspers, Die grossen Philosophen. Nachlaß 2, S. 825. 122 Karl Jaspers, Philosophie, Bd. III, Metaphysik, 4. unveränderte Auflage, Berlin-HeidelbergNew York 1973, S. 167. 123 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 13.

1 Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’ 

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und erlaubt also gar kein sacrificium intellectus, weil die Vernunft jenem nicht Widerpart ist, sondern ihm als ein „grenzenloser Kommunikationswille“124 konstitutiv angehört. Andererseits macht Jaspers deutlich, dass er sowohl den einseitigen Rationalismus als auch die Verstandeswidrigkeit für unauthentisch hält, weil dieser Geistestypus ein „Gehäuse“ für die Existenz bildet, das den Existierenden von Grenzsituationen und dem die irrationalen Momente notwendigerweise involvierenden faktischen Leben absondert.125 An dieser Stelle ist zu beachten, dass in Jaspers’ Konzeption des philosophischen Glaubens in der Tat verschiedene und parallele Bedeutungsdimensionen des Irrationalitätsbegriffes aufgehen, jedoch reflektiert Jaspers hierüber methodologisch nicht, zumindest nicht in diesem Kontext. Mit der reinen Rationalität ist nicht nur die von Jaspers explizit abgelehnte Verstandeswidrigkeit unvereinbar, sondern auch die für den philosophischen Glauben konstitutive Geschichtlichkeit126 und Individualität.127 Obwohl die Erörterung dieser Kategorien in Jaspers’ Vorlesungen über den philosophischen Glauben nicht ausbleibt, werden sie nicht in den Kontext der Irrationalitätsproblematik überführt. Dies mag den Anschein erwecken, als könne der philosophische Glaube, abgesondert von der Verstandeswidrigkeit, zugleich dem Bereich der Irrationalität restlos entzogen werden. Dies ist aber sicher nicht der Fall. Jaspers hat, sich dieses Zusammenhanges völlig bewusst, bereits in seinem umfangreichen Werk Philosophie die beiden Momente Geschichtlichkeit und Individualität mit der Irrationalität verknüpft und dabei terminologisch getrennt, indem er die Geschichtlichkeit als „überrational“ und nicht als „irrational“ bezeichnete. Dieser besondere Status der Geschichtlichkeit gründet darin, dass sie „als nicht allgemein gültige Gestalt ihren stets hell werdenden, nie hellen Grund“ hat, ferner hat sie „das Rationale und das Gestalt gewordene Irrationale als ihr Medium“.128 Wenn sich der philosophische Glaube also stets auf die geschichtliche Einmaligkeit richtet, wenn er sogar selbst „schlechthin geschichtlich“ ist, dann ist er von der Rationalität,

124 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 133. 125 Siehe dazu: Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, S. 269–282. 126 Die Substanz des philosophischen Glaubens „ist schlechthin geschichtlich und nicht in dem Allgemeinen… zu fixieren.“ Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 16. 127 Der philosophische Glaube ist „nur im Selbstdenken des jeweils Einzelnen“ da. Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 22. 128 Jaspers, Philosophie, Bd. II, Existenzerhellung, S. 131. Hier definiert Jaspers das Irrationale wie folgt: „Das Irrationale ist etwas nur Negatives, die Materie im Verhältnis zur allgemeinen Form, das Willkürliche im Verhältnis zur gesetzlichen Handlung, das Zufällige im Verhältnis zur Notwendigkeit. Das Irrationale ist als das Negative jeweils der, sei es undurchschaute, sei es zu verwerfende Rest.“ Ebda.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

auch wenn er von je her mit dem Wissen im Bunde steht, durch seine Über- bzw. Irrationalität ipso facto konstitutiv abgetrennt. Wenn wir überdies in Betracht ziehen, dass auch das Absurde und das Paradox, nicht als Ausdruck einer reinen Verstandeswidrigkeit, sondern als Hinweise auf die Beschränkungen der Rationalität verstanden, Chiffren der Transzendenz sein können, dann stellt sich die Frage, ob Kierkegaards Standpunkt durch Jaspers’ Konzeption des philosophischen Glaubens im Bereich der (Ir)rrationalitätsproblematik gedanklich wirklich überwunden wurde. Diese Frage ist, allem Anschein zum trotz, nicht ganz fiktiv. Jaspers fasst den philosophischen Glauben als einen „Akt der Existenz“ auf, in dem „Transzendenz in ihrer Wirklichkeit bewußt wird“ und interpretiert „das Leben aus dem Umgreifenden“129, das das Leben führt und erfüllt. Eine Interpretation, die sich nicht leicht von Kierkegaard trennen lässt. Wenn man aber danach fragt, wie Jaspers gegen den christlichen Inhalt des Kierkegaardschen Denkens argumentiert, prägt sich bereits ein charakteristisches Bild. Der philosophische Glaube als eine sich auf die radikale Offenheit der Vernunft stützende Haltung verhält sich nämlich zum Offenbarungsglauben dialektisch, da er mit ihm stets in Kommunikation stehen möchte, sich aber von ihm distanziert und die das Geheimnis der Transzendenz vergegenständlichende und verendlichende, wider die Vernunft stehende Tendenz des Offenbarungsglaubens radikal zurückweist. Für den philosophischen Glauben, der schwebend in der Welt der Chiffren bleiben muss, bedeuten die Fixierungen und Konkretionen des Offenbarungsglaubens ein unwahrhaftiges sacrificium intellectus. Es sind die radikale Offenheit und das konstitutive Schweben des philosophischen Glaubens, sowie sein Verhältnis zu den Chiffren der Transzendenz,130 welche ihn vom Absolutheits- und Ausschließlichkeitsanspruch des Offenbarungsglaubens scharf unterscheiden. Besonders charakteristisch für Jaspers ist, dass er den Inkarnationsglauben, der die Grundlage des Christentums und das punctum saliens der Dialektik des Climacus ist, nicht nur als eine illegitime historische Fixierung des Umgreifenden, sondern explizit als eine Gotteslästerung bewertet.131 Gegen den Inkarnationsglauben formuliert er den Einwand, die Transzendenz könne immer nur geschichtlich begriffen werden, folglich vermag ihre objektive Erscheinung nicht Geltung und Wahrheit für alle Menschen zu werden. Demgegenüber wird die Transzendenz für

129 Jaspers, Der philosophische Glaube, S. 20. 130 Es ist bemerkenswert, dass für Jaspers die Chiffre ein „schaubares“ Symbol ist, wobei das „Schauen“ „nur eine Umschreibung für jenen nicht-rationalen, intuitiven Akt ist, den Jaspers immer wieder metaphorisch ausdrückt“ Vgl. Kurt Salamun, Karl Jaspers, München 1985, S. 144. 131 Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, S. 483.

1 Die Irrationalitätsproblematik in der Kierkegaard-Rezeption Karl Jaspers’ 

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den Offenbarungsglauben „in der historischen Einmaligkeit beschlossen, die als diese eine, objektiv für alle, ausschließend gültig und Bedingung der Seligkeit für jedes Wesen ist.“132 An diesem Punkte scheint zwischen den Positionen Jaspers’ und Kierkegaards ein unaufhebbarer Gegensatz zu bestehen. Während nämlich Kierkegaards christlicher Glaube an die historische Einmaligkeit des Ewigen in der Zeit mit dem philosophischen Glauben nie völlig in Einklang gebracht werden kann, ist Jaspers’ Versuch, den Glauben rein philosophisch zu gestalten, mit Kierkegaards Auffassung durchaus unvereinbar. Immerhin sind die beiden Denker weitgehend darin einig, dass die Rationalität als solche, auch wenn sie nicht irrelevant für den Glauben ist, kein oberstes Kriterium für den Glauben bilden kann. Wie gezeigt wurde, konnte dieser Umstand bei manchen Kritikern verschiedene Formen des Irrationalitätsvorwurfes provozieren. Die Frage stellt sich jedoch: Ist nicht eben der verabsolutierte Rationalitätsanspruch eigentlich selbst irrational?

132 Karl Jaspers, Existenzphilosophie, Berlin 1956, S. 76.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

2 Zwischen Hegel und Kierkegaard: Der Weg der natürlichen Theologie im Denken Karl Rahners Seitdem die geschichtliche Gestaltung und der gedankliche Inhalt des ambivalenten Verhältnisses von Kierkegaard zu Hegel in der neueren Quellenforschung in ihrer Komplexität, im Kontext der Verbreitung des Hegelianismus in Dänemark aufgeschlossen wurden,1 haben sich die gewöhnlichen ahistorischen Gegenüberstellungen der beiden Denker, die dieses Verhältnis formal auf eine unaufhebbare Antinomie reduzierten, zumindest als fragwürdige Vereinfachungen erwiesen. Zwar mag der Titel dieses Kapitels auf den ersten Blick den Anschein erregen, als verhelfe es dieser überholten Betrachtungsweise zu erneuter Legitimität, doch liegt meiner Absicht nichts ferner, als alte Klischees zu wiederholen. Vielmehr soll die Originalität einer bestimmten metaphysischen Konzeption, in einem kritischen Vergleich mit zwei charakteristischen und anscheinend antithetischen Positionen zur Möglichkeit der natürlichen Theologie dargestellt werden, wobei als Vergleichspositionen diejenigen von Hegel und Kierkegaards Pseudonym Climacus dienen. Die genannte Konzeption wiederum stammt von dem deutschen Theologen und Philosophen Karl Rahner (1904–84), der führenden Figur innerhalb der Strömung des transzendentalen Neuthomismus des 20. Jahrhunderts. Die systematische Klärung der Frage, ob und inwiefern er die Philosophien Hegels2 und Kierkegaards3 rezipierte, ist bis heute ein Desiderat der Forschung.

1 Siehe dazu Jon Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, Cambridge 2003; ders., A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, 2 Bde., Kopenhagen 2007. 2 Zu Rahners Verhältnis zu Hegel siehe: Winfried Corduan, “Hegel in Rahner. A Study in Philosophical Hermeneutics”, Harvard Theological Review, Bd. 71, 1978, S. 285–298; Denis Bradley, “Rahner’s ‘Spirit in the World’. Aquinas or Hegel. Rahner’s Interpretation of St. Thomas”, Thomist, Bd. 41, 1977, S. 167–199; ders., “Religious Faith and the Mediation of Being. The Hegelian Dilemma in Rahner’s ‘Hearers of the Word’”, Modern Schoolman, Bd. 55, 1977/78, S. 126–146; Günter Kruck, „Christlicher Glaube und Moderne. Eine Analyse des Verhältnisses von Anthropologie und Theologie in der Theologie Karl Rahners im Rekurs auf die Philosophie G. W. F. Hegels“, Theologie und Philosophie, Bd. 73, 1988, S. 225–246; Thomas Pearl, “Dialectical Panentheism. On the Hegelian Character of Karl Rahner’s Key Christological Writings”, Irish Theological Quarterly, Bd. 42, 1975, S. 119–137; Josef Schmidt, „Gott als Geheimnis – Rahner und Hegel“, in Die philosophischen Quellen der Theologie Karl Rahners, hg. von Harald Schöndorf, Freiburg-Basel-Wien 2005 (Quaestiones disputatae, 213), S. 179–196. 3 Die Fachliteratur zu Rahners Rezeption von Kierkegaard ist ziemlich knapp und beschränkt sich auf eine bloße Konstatierung der Wesensdifferenzen und gelegentlichen Parallelen zwischen den beiden Denkern. Siehe Karl Theodor Kehrbach, Der Begriff „Wahl“ bei Sören Kierkegaard und Karl Rahner, Frankfurt a. M.-Bern-New York-Paris 1992; Joseph Pappin, “Kierkegaard, Rahner and Existential Infinity”, Philosophy Today, Bd. 26, 1982, S. 226–233; Klaus Woff, Das

2 Zwischen Hegel und Kierkegaard 

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Auffällig ist zunächst, dass die von Rahner betonte unendliche Transzendenz des Geistes sowie sein Verständnis des Seins als dem Wesen nach bewusstes bei-sich-Sein,4 formal gesehen mit der spekulativen Philosophie Hegels parallel läuft, wohingegen die kategorische Betonung von Gottes Unbekanntheit5 und die ständige Reflexion auf die existentiale Problematik, sein Denken in der Nähe der Dialektik Climacus’ verorten. Seine Ambivalenz den beiden Denkern gegenüber ist nicht ohne weiteres aufzulösen. Rahner lehnt Kierkegaards negative Position nicht nur ab, nach der „Gottes Dasein beweisen zu wollen das Allerlächerlichste [ist]“6, er übertrifft sie noch darin zu behaupten, dass Gottes Dasein in allen Akten des menschlichen Geistes implizit affirmiert ist. Gleichzeitig hält er auch von Hegels logischer Grundthese entschieden Abstand, der zufolge das spekulative oder positiv-vernünftige Denken als Aufhebung des verständigen und des negativ-vernünftigen Denkens zugleich ein absolutes Wissen oder ein Selbstbewusstsein des Absoluten wäre.7 Mit anderen Worten: Obwohl die Endlichkeit des menschlichen Geistes und die wesenhafte Verborgenheit des Absoluten die Möglichkeit der denkenden Erhebung zu einem spekulativen Wissen von Gott im Hegelschen Sinne nach Rahner a priori ausschließen, ist die Möglichkeit der natürlichen Theologie durch die konstitutive Transzendenz des endlichen Geistes auf das Sein – gegen Kierkegaards bzw. Climacus’ rein negativen Standpunkt – eindeutig bewahrt und affirmiert. Die Untersuchung von Rahners religionsphilosophischem Hauptwerk Hörer des Wortes macht auf wesentliche Züge seiner indirekten Hegel- und Kierkegaard-Rezeption aufmerksam. Dabei zeigt sich im Kontext der neuthomistischen Gotteslehre, unter ständiger Berücksichtigung der logischen und religionsphilosophischen Schriften Hegels sowie Kierkegaards Philosophischen Brocken, das Weiterleben der klassischen Probleme der theologia naturalis, die in der Krisenperiode der Religion im 19. Jahrhundert von besonderem Gewicht waren. Die

Problem der Gleichzeitigkeit des Menschen mit Jesus Christus bei Sören Kierkegaard im Blick auf die Theologie Karl Rahners, Würzburg 1991. 4 Siehe das Kapitel „Die Gelichtetheit des Seins“ in Karl Rahner, Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie [1941, 1963], in ders., Sämtliche Werke, Bd. 1, hg. von der KarlRahner-Stiftung unter der Leitung von Karl Lehmann, Düsseldorf–Freiburg im Br. 1995; Bd. 4: Hörer des Wortes: Schriften zur Religionsphilosophie und zur Grundlegung der Theologie, bearb. von Albert Raffelt, 1997, S. 50–70. Der Text wird nach der zweiten, von J. B. Metz neu bearbeiteten Auflage [1963] zitiert. 5 Siehe dazu das Kapitel „Der freie Unbekannte“ in Rahners Hörer des Wortes, S. 124–140. 6 SKS 18, 204, JJ:202 / DSKE 2, 211. 7 Siehe dazu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), Hamburg 1999 (Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. 6), S. 118–120 (§§ 79–82).

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

historische Untersuchung des Kontextes der Brocken sowie ein Überblick über Rahners philosophische Methode zeigen, dass Climacus’ negativer, antimetaphysischer Standpunkt letztendlich auf theologischen Voraussetzungen beruht und im Kontext seiner zeitgenössischen Debatte über die Hegelsche Kategorie der „Vermittlung“ relevant ist,8 und dass Rahners metaphysische Gotteslehre das Moment der Negativität nicht aus-, sondern einschließt, so dass in seiner Konzeption (ähnlich wie bei Climacus) Gott letztendlich als der „Unbekannte“9 erscheint. Wichtiger als diese begriffliche Entsprechung ist aber, dass Rahners Metaphysik im Wesentlichen eine – gewissermaßen unter Martin Heideggers Einfluss ausgearbeitete – transzendentale Anthropologie bzw. existenziale Analytik ist, die die Seinsfrage jeweils im Horizont der Existenzialität und Faktizität des Daseins erörtert, so dass die Gottesfrage nie objektivistisch und abstrakt, sondern stets im Zusammenhang mit der existierenden Subjektivität gestellt wird. Rahners Aneignung der existenzialen Problematik knüpft ihn somit zweifellos an Kierkegaard, auch wenn direkte Bezugnahmen in seinem ganzen Œuvre selten auftauchen.10 Andererseits sind Rahners Verwendung der Dreifachbedeutung von „Aufhebung“11 sowie sein Gebrauch der typisch Hegelschen Wendung „Anstrengung des Begriffs“12 bereits prima facie Zeichen dafür, dass auch Hegels Philosophie eine nicht zu unterschätzende Wirkung auf sein Denken ausübte.13 Der folgende Problementwurf widmet sich dem obigen Fragenkomplex, indem zunächst Hegels Konzeption der Möglichkeit der natürlichen Theologie, sodann Rahners metaphysische und schließlich Climacus’ apophatische Theologie rekonstruiert und in einem kritisch Vergleich gegenübergestellt werden; dies unter der Annahme, dass sich der Weg der theologia naturalis nicht als bloße Sequenz von rein antithetischen Positionen, sondern als fortschreitende Entfaltung verschiedener Einsichten in Kernprobleme der Philosophie erweisen wird.

8 Zur Debatte siehe Mynster’s “Rationalism, Supernaturalism” and the Debate about Mediation, hg. von Jon Stewart, Kopenhagen 2009 (Texts form Golden Age Denmark, Bd. 5). 9 Rahner, Hörer des Wortes, S. 124ff. 10 In Hörer des Wortes kommt kein direkter Hinweis auf Kierkegaard vor. In seiner Schrift „Theologische und philosophische Zeitfragen im katholischen deutschen Raum“ erwähnt ihn Rahner als Repräsentanten eines „religiösen, aber einer metaphysischen Wesensforschung feindlichen Existentialismus”. Rahner, Hörer des Wortes, S. 543; siehe auch S. 541. Ausserdem taucht Kierkegaards Name in verschiedenen Vorlesungen und Skizzen sporadisch auf, aber jeweils ohne sachliche Erörterung. Siehe z.B. Sämtliche Werke, Bd. 2, S. 321, 439, 445, 449, 459. 11 Siehe Rahner, Hörer des Wortes, S. 40, 42–43, 293. 12 Siehe Rahner, Hörer des Wortes, S. 48f. 13 Im Hörer des Wortes wird Hegel als Repräsentant der grossen philosophischen Tradition dargestellt. Siehe Rahner, Hörer des Wortes, S. 94. Zu Rahners sporadisch kritischen Bemerkungen in Bezug auf Hegel siehe Joseph Schmidt, „Gott als Geheimnis – Rahner und Hegel“, S. 193f.

2 Zwischen Hegel und Kierkegaard 

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2.1 „Gott ist nicht neidisch“: Die Frage nach der Möglichkeit der natürlichen Theologie in Hegels Philosophie Die berühmte, von Platon und Aristoteles vertretene, These, Gott sei nicht neidisch (φθονερός),14 d.h. er wirke nicht als eine gleichmachende Macht in der Welt (Νέμεσις), übernimmt Hegel in der Enzyklopädie, indem er sie zugleich umdeutet: In der Philosophie des absoluten Geistes taucht dieses Prinzip als eine scharfe Widerlegung jenes negativen Standpunktes auf, demzufolge „der Mensch Gott nicht erkennen könne“.15 Diese Widerlegung ist für Hegel charakteristisch und bereits zu Beginn seiner Jenaer Jahre (1801–8) geht er eine heftige Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Skeptizismus und der Reflexionsphilosophie ein. Bekanntlich waren diese Richtungen darin einig, dass sie beide die Möglichkeit eines theoretischen Wissens von Gott aus verschiedenen Gründen konsequent ausgeschlossen haben. Hegel sieht im Gegensatz zu diesen Auffassungen die ureigene Aufgabe der Philosophie in der Differenzschrift (1801) gerade darin, dass „das Absolute fürs Bewusstsein konstruiert werden [soll]“.16 Dies ist aber nur möglich, wenn es ein Denken gibt, das dem Denken überlegen ist. Die Wesenskonstitution des menschlichen Erkenntnisvermögens wird hier so gezeigt, dass darin zugleich auch die später ausgearbeitete Dialektik von Verstand und Vernunft antizipiert ist: „Die isolierte Reflexion, als Setzen Entgegengesetzter, wäre ein Aufheben des Absoluten; sie ist das Vermögen des Seins und der Beschränkung. Aber die Reflexion hat als Vernunft Beziehung auf das Absolute, und sie ist nur Vernunft durch diese Beziehung; die Reflexion vernichtet insofern sich selbst und alles Sein und Beschränkte, indem sie es aufs Absolute bezieht. Zugleich aber eben durch seine Beziehung auf das Absolute hat das Beschränkte ein Bestehen.“17 Hegels philosophische Hauptintention ist gerade das abstraktreflektierende, einseitige Verstandesdenken dialektisch aufzuheben und den spekulativ-vernünftigen Inhalt seiner Philosophie als absolutes Wissen so darzulegen, dass dies zugleich als Wissen des Absoluten gedacht werden kann. Freilich ist diese prometheische Intention mit Kants kritischen Beschränkungen der möglichen Gegenstände des theoretischen Wissens auf die Phänomene sowie mit seiner These von der konstitutiven Endlichkeit des menschlichen

14 Siehe Platon, Phaidros, 247 a; Timaios, 29 d-e; Aristoteles, Metaphysik, A 2 Bd. 2. 335 Γ. 15 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), S. 549 (§ 564). 16 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801), in ders., Werke, Bde. 1–20, hg. von Eva Moldenhauer und Klaus Markus Michel, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1979, S. 25. 17 Hegel, Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, S. 26.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

Erkenntnisvermögens kaum vereinbar. Trotzdem wäre es irreführend, hieraus auf eine rein antithetische Beziehung zwischen den beiden Ansätzen zu folgern. Auch wenn Hegel in seiner frühen Studie „Glauben und Wissen“ (1802) Kants Philosophie deshalb kritisiert, weil sie die „endliche Erkenntnis für die einzig mögliche erklärt“18 und die Identität des Gegensatzes zur reinen Grenze macht,19 wäre sein ganzes System ohne die kritische Philosophie und die transzendentale Methode gar nicht denkbar. Mit Kant sieht Hegel die Verstandesreflexion aufgrund ihrer Wesenskonstitution in der Endlichkeit verharren. Hegel kritisiert die natürliche Theologie und die auf Verstandesschlüssen fundierten Gottesbeweise der rationalistischen Philosophie sogar noch schärfer als Kant.20 Bekanntlich kommt der Idee Gottes in Kants erster Kritik nur eine regulative, heuristische und keine konstitutive Funktion zu.21 Hinsichtlich seines Verfahrens mit dem ontologischen Beweis bemerkt Hegel, dass er die „höchste Idee, auf welche [er] in [seinem] kritischen Geschäfte stieß, […] als eine leere Grübelei und einen unnatürlichen bloßen Schulwitz, aus Begriffen eine Realität herauszuklauben, behandelte.“22 Auch wenn die Kantsche Beschränkung des Wissens kein Selbstzweck war, da ihr immanentes Telos in der Ermöglichung eines moralischen Vernunftglaubens lag, erschien Hegel Kants Standpunkt und die postulatorische Neubegründung der

18 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jakobische und Fichtesche Philosophie“, in ders., Werke, Bd. 2., S. 302. 19 „Wenn die Kantische Philosophie schlechthin in dem Gegensatze verweilt und die Identität desselben zum absoluten Ende der Philosophie, d.h. zur reinen Grenze, die nur eine Negation derselben ist, macht, so muss dagegen als Aufgabe der wahren Philosophie nicht angesehen werden, die Gegensätze […] in ihrem Ende zu lösen, sondern ihre einzige Idee […] ist das absolute Aufgehobensein des Gegensatzes, und diese absolute Identität ist […] ihr einziges Wissen.“ Hegel, „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jakobische und Fichtesche Philosophie“, S. 302. 20 Hegels „Apologie für die Wahrheit des ontologischen Beweises ist zugleich eine Kritik an den bisherigen Formen der Ontotheologie – so sehr, dass man meinen könnte, sie übertreffe in ihrer Schärfe selbst noch die von Kant.“ Dieter Heinrich, Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960, S. 192. 21 „Ich behaupte demnach: die transzendentalen Ideen sind niemals von konstitutivem Gebrauche, so, dass dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden, und in dem Falle, dass man sie so versteht, sind es bloß vernünftelnde (dialektische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortrefflichen und unentbehrlich notwendigen regulativen Gebrauch, nämlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Zweiter Teil, in ders., Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 4., Darmstadt 1983, S. 565 (A 644, B, 672). 22 Hegel, „Glauben und Wissen oder die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jakobische und Fichtesche Philosophie“, S. 302.

2 Zwischen Hegel und Kierkegaard 

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theologia naturalis im Bereich der praktischen Philosophie23 zumindest widersprüchlich.24 Nach Hegel ist Gott nicht als problematischer Grenzbegriff oder als moralisches Postulat zu denken, der sich theoretisch gar nicht erkennen lässt. Im Gegenteil: Die spekulative Philosophie ist ihrem Telos nach eine denkende Erhebung zu Gott, und als solche ist sie inhaltlich mit der Religion identisch. In der Einleitung zu den religionsphilosophischen Vorlesungen von 1824 wird diese Auffassung folgenderweise festgestellt: „Die Philosophie hat überhaupt Gott zum Gegenstand, und eigentlich zum einzigen Gegenstand.“25 Nach alledem ist nicht überraschend, dass den Beweisen des Daseins Gottes und besonders dem ontologischen Gottesbeweis ein besonderer Status nicht nur in Hegels Religionsphilosophie, sondern auch in seiner Logik zukommt. Sie sind die höchsten Formen der dialektischen Vermittlung, diese zugleich die logische Bewegung des zu sich selbst kommenden Geistes. Hegels Beitrag zur natürlichen Theologie besteht also nicht in einer Wiederholung der klassischen Argumente in ihren vorkritischen Formen, vielmehr wird die theologia naturalis durch seine spekulative Restitution unter eine neue Perspektive gestellt. Die spekulative Philosophie eliminiert die Einseitigkeit der Kantschen Kritik am ontologischen Beweis durch den Erweis dessen, dass der Begriff an und für sich, d.h. die Idee ist und der absolute Begriff die Tätigkeit, die Einseitigkeit der Subjektivität aufzuheben und das Sein identisch mit sich zu setzen.26 „Gott ist nur Gott insofern er sich selber weiß; sein Sich-wissen ist ferner sein Selbstbewusstseyn im Menschen, und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht zum Sich-wissen des Menschen in Gott.“27 Diese erhabene Betonung der

23 Siehe dazu Immanuel Kant, Kritik der praktischen Vernunft, in ders., Werke in zehn Bänden, Bd. 6., S. 254–264 (A 223–238). 24 Offensichtlich noch schärfer als von Hegel wurde die Kantsche Postulatenlehre vom jungen Schleiermacher kritisiert. Siehe dazu seine erst in der kritischen Gesamtausgabe veröffentliche Studie „Ueber das höchste Gut“ in Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Kritische Gesamtausgabe, hg. von Hans-Joachim Birkner et al., Berlin-New York 1989, Bd. I/1, S. 83–125. Siehe auch Günter Meckenstock, Deterministische Ethik und und kritische Theologie. Die Auseinandersetzung des frühen Schleiermacher mit Kant und Spinoza 1789–1794, Berlin-New York 1988, S. 131–180. 25 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Einleitung in die Philosophie der Religion, in ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion, hg. von Walter Jaeschke, Teil 1., Hamburg 1993, S. 33. 26 Siehe Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, hg. von G. Lasson, Hamburg 1930, 175f. Zu Hegels Auffassung der Gottesbeweise siehe: Walter Jaeschke, Die Religionsphilosophie Hegels, Darmstadt 1983, S. 120–133; Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, 3. Aufl., Darmstadt 1994, S. 363–377. 27 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), S. 550 (§ 564).

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dialektischen Einheit des endlichen und des absoluten Geistes mag den Anschein erregen, als ob Hegels Philosophie letztendlich eine bestimmte spekulative Mystik sei. Seiner Auffassung nach ist aber „das Mystische nur für den Verstand“ da, weil es „die konkrete Einheit derjengen Bestimmungen ist, welche dem Verstand nur in ihrer Trennung und Entgegensetzung für wahr gelten“.28 Für die Vernunft, die selbst dem endlichen Verstand eine geheimnisvolle ist, gibt es keinen mystischen Gehalt; ihr ist Gott eine reine, absolute Manifestation. Mit diesem Höhepunkt des Hegelschen Denkens geht dieser Problementwurf zu einem Denker über, der mit Hegel in der Betonung der Grundtendenz des endlichen Geistes auf das Absolute zweifellos einig ist, trotzdem weicht er von ihm im Festhalten des Geheimnisses beträchtlich ab.

2.2 Rahners ontologische Fragestellung Karl Rahners 1937 verfasste, aber erst 1941 veröffentlichte, religionsphilosophische Schrift Hörer des Wortes, ist eigentlich eine Auswertung der in seiner Dissertation Geist in Welt29 erarbeiteten Thomistischen Erkenntnismetaphysik für die Fundamentaltheologie. Nach der Blütezeit und Dekadenz der orthodox-konservativen Neuscholastik leitet der mit Pierre Rousselot (1879–1915)30 und Joseph Maréchal (1878–1944)31 beginnende transzendentale Neuthomismus eine neue Strömung im katholischen Denken ein, die sich Kants transzendentale Methode positiv aneignete und sie in ontologischer Richtung weiterentwickelte.32 Das Ergebnis war eine metaphysische Synthese Thomistischer und Kantischer Prinzipien, die nicht auf Kants kritischer Beschränkung der möglichen Gegenstände des Wissens auf die phänomenale Sphäre, sondern auf einer ontologischen Weiterführung seiner Transzendentalphilosophie basierte. Rahner gewährt und bewahrt der Metaphysik ihren Status als Wissenschaft, für ihn gehört die Seinsfrage mit einer existenzialen Notwendigkeit zum menschlichen Sein, aber die

28 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, in ders., Werke, Bd. 8., S. 178 (§ 83). 29 Karl Rahner, Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin (abgekürzt GW), Innsbruck-Leipzig 1939. 30 Pierre Rousselot, L’intellectualisme de Saint Thomas, Paris 1908. 31 Joseph Maréchal, Le point de départ de la métaphysique, cahier V: le Thomisme devant la philosophie critique, Louvain 1926. 32 Zu Rahners philosophischer Methode siehe Otto Muck, „Thomas–Kant–Maréchal: Karl Rahners transzendentale Methode“, in Die philosophische Quellen der Theologie Karl Rahners, hg. von Harald Schöndorf, Freiburg-Basel-Wien 2005, S. 31–56.

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ontologische Fragestellung nimmt bei ihm eine neue, streng transzendental-existenziale Wendung gegenüber dem naiven Objektivismus der alten scholastischen Schulmetaphysik.33 Da Rahners Religionsphilosophie gänzlich auf dem Grund einer – im Dialog mit Kant und Heidegger konzipierten – neuthomistischen Seinsmetaphysik aufgebaut ist, ist sie mit der protestantischen Religionsauslegung unausweichlich in Konflikt geraten. Im zweiten Kapitel seines Werkes bearbeitet er kurz die grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Positionen und grenzt seine Konzeption von den Hauptformen der modernen protestantischen Religionsphilosophie scharf ab. Obwohl Rahner hier offensichtlich vermeidet, die Repräsentanten der kritisierten Auffassungen beim Namen zu nennen, zeigt sich aus dem Inhalt seiner Kritik deutlich, dass er einerseits Friedrich Schleiermachers Gefühlstheologie, andererseits Karl Barths frühe dialektische Theologie im Blick hatte.34 Hinsichtlich letzterer Konzeption bemerkt Rahner, dass „Gott als Offenbarer eigentlich zum dialektisch notwendigen Korrelat des radikal Ungöttlichen des Menschen wird und im Grunde nichts ‚geoffenbart‘ werden kann, als die Krisis Gottes über alles Endliche. Gott ist so […] der schlechthinnige Widerspruch zum Menschen und seiner Welt.“35 Rahners Anspruch in Hörer des Wortes war es, zu zeigen, „wie

33 Rahners Hauptthese in Geist in Welt ist diese, dass die transzendentale Wendung zur Subjektivität und ihrer Welt sich implizit bereits bei Thomas von Aquin vollzieht: „Die Arbeit ist betitelt: Geist in Welt. Geist ist gemeint als Titel eines Vermögens, das über die Welt hinausgreifend das Meta-physische erkennt. Welt ist der Name der Wirklichkeit, die der unmittelbaren Erfahrung des Menschen zugänglich ist. Wie das menschliche Erkennen nach Thomas Geist in Welt sein könne, das ist die Frage, um die es in dieser Arbeit geht. Der Satz, dass das menschliche Erkennen zunächst einmal in der Welt der Erfahrung sei, und alles Meta-physische nur in und an der Welt erkannt werde, ist bei Thomas ausgesprochen in seiner Lehre von der Hinwendung und der dauernden Hingewandtheit des Intellekts an die Erscheinung von der conversio intellectus ad phantasmata.“ GW, S. XIV. Vgl. Thomas, STh, I, q. 84 a 7. Es ist historisch bemerkenswert, dass Rahners philosophische Dissertation in Freiburg von dem neuscholastischen Professor Martin Honecker abgelehnt wurde, so dass Rahner erst später in Innsbruck in Theologie promovierte. Siehe dazu Karl Rahner, „Einfache Klarstellung zum eigenen Werk“, in ders.: Schriften zur Theologie, Bde. I-XVI, Einsiedeln-Zürich-Köln 1954–84, Bd. XII, 1975, S. 599. 34 Vgl. HW, 45. In der ersten Auflage werden neben Schleiermacher Ritschl, und neben Barth Brunner benannt. Siehe HW, 44. 35 Ebda. Barth selbst drückt diesen Standpunkt in seinem berühmten Kommentar zum Römerbrief ganz prägnant aus: „Wenn ich ein ‚System‘ habe, so besteht es darin, dass ich das, was Kierkegaard den ‚unendlichen qualitativen Unterschied‘ von Zeit und Ewigkeit genannt hat, in seiner negativen und positiven Bedeutung möglichst beharrlich im Auge behalte. ‚Gott ist im Himmel und du auf Erden.‘ Die Beziehung dieses Gottes zu diesem Menschen, die Beziehung dieses Menschen zu diesem Gott ist für mich das Thema der Bibel und die Summe der Philosophie in einem. Die Philosophen nennen diese Krisis des menschlichen Erkennens den Ursprung.

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

zur Wesenskonstitution des Menschen die positive Offenheit für eine möglicherweise ergehende Offenbarung Gottes“36 gehört, d.h. wie die biblische Bestimmung „Hörer des Wortes“ auch in einem streng existenzial-ontologischen Sinne a priori das menschliche Sein bezeichnet. Anzunehmen ist, dass er daher Barths negativ-dialektische Einstellung nur mit kritischer Distanzierung aufnehmen konnte. Auf den ersten Blick mag es scheinen, als träfe Rahners Kritik an Barth indirekt auch Climacus’ Auffassung, infolgedessen der Versuch einer Komparation von Rahners und Kierkegaards Position unvermeidlich auf eine bloße Konstatierung der Wesensdifferenzen hinausläuft und schließlich scheitert, ohne zu einer positiven Synthese kommen zu können. An diesem Punkt sei stattdessen auf einige bemerkenswerte Schriften des italienischen Forschers und Übersetzers Cornelio Fabro verwiesen, in denen er versucht, in Kierkegaards Denken mit dem Thomismus kompatible Momente aufzudecken.37 Vor allem muss auf die radikale Einseitigkeit der Barthschen Kierkegaard-Rezeption hingewiesen werden, infolgedessen ein höchst einseitiges Kierkegaard-Bild oder – mit Alastair McKinnons Ausdruck – ein „Phantom-Kierkegaard“38 in der dialektischen Theologie entstanden ist, der sodann mit vollem Recht zum Gegenstand Rahners scharfer Kritik wurde. Eliminiert man aber die Barthschen Einseitigkeiten aus der Interpretation der Climacus-Schriften und berücksichtigt den historischen Kontext ihrer Entstehung, dann eröffnet sich ein neuer Horizont für die Auslegung, der weitere Überlegungen über Rahners Verhältnis zu Kierkegaard ermöglicht.

Die Bibel sieht an diesem Kreuzweg Jesus Christus.“ Karl Barth, Der Römerbrief, Zweite Fassung (1922), 16. Aufl., Zürich 1999, S. XX. 36 HW, 47. 37 Cornelio Fabro, „Spunti cattolici nel pensiero di Søren Kierkegaard“, Doctor Communis, Nr. 26, 1973, S. 253–280. Ders.: „Influssi cattolici sulla spiritualità kierkegaardiana“, Humanitas, Nr. 17, 1962, S. 501–507. Zur Kritik dieses Versuches siehe: Salvatore Spera, Introduzione a Kierkegaard, Bari 1986, S. 57, 166–169. 38 Alastair McKinnon, „Barths Verhältnis zu Kierkegaard“, Evangelische Theologie, Nr. 30, 1970, S. 58.

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2.3 Der freie Unbekannte: Existenziale Analytik und natürliche Theologie in Hörer des Wortes Bekanntlich erregte die erste, vom Verlag Diederichs ab 1909 veröffentlichte Gesamtausgabe der Kierkegaardschen Schriften39 eine lebhafte Resonanz auf vielen Gebieten des Deutschen Geisteslebens, besonders während der Krisenzeiten zwischen den beiden Weltkriegen. Auch die existenziale Thematik der frühen Philosophie Martin Heideggers knüpft in wesentlichen Punkten offensichtlich an Kierkegaards Schriften an, obwohl er sich von Kierkegaard kritisch distanzierte,40 ihn später nicht mehr als einen „Denker“, sondern abwertend als einen „religiösen Schriftsteller“41 einstufte. Rahner selbst hat Heidegger von 1934 bis 1936 in Freiburg als Student der Philosophie gehört.42 Diese Zeit bedeutete auf Heideggers denkerischem Weg bereits den Übergang zur ‚Wende‘, in welcher die existenziale Analytik nach und nach in den Hintergrund gedrängt wurde, doch die in Sein und Zeit ausgearbeitete Daseinsanalyse übte einen wesentliche Einfluss auf die philosophisch-theologische Entwicklung Rahners aus, die sich vor allem in Konzeption und Methode seines Werkes Hörer des Wortes widerspiegelt. Heideggers frühes Hauptwerk sowie wie die allgemeine geistige Atmosphäre jener Zeit vermittelten Rahner, der Kierkegaards Philosophie nie systematisch studierte, die Kierkegaardschen, bzw. existenzphilosophischen Gedanken.

39 Søren Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. I-XII, hg. von H. Gottsched und Chr. Schrempf, Jena 1909–22. 40 „Im 19. Jahrhundert hat S. Kierkegaard das Existenzproblem als existenzielles ausdrücklich ergriffen und eindringlich durchdacht. Die existenziale Problematik ist ihm aber so fremd, dass er in ontologischer Hinsicht ganz unter der Botmäßigkeit Hegels und der durch diesen gesehenen antiken Philosophie steht. Daher ist von seinen ‚erbaulichen‘ Schriften philosophisch mehr zu lernen als von den theoretischen – die Abhandlung über den Begriff Angst ausgenommen.“ Martin Heidegger, Sein und Zeit, 18. Aufl., Tübingen 2001, S. 235. 41 „Kierkegaard ist kein Denker sondern ein religiöser Schriftsteller und zwar nicht einer unter anderen, sondern der einzige dem Geschick seines Zeitalters gemäße.“ Martin Heidegger, „Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘“, in ders., Holzwege, 7. Aufl., Frankfurt 1994, S. 249. In dieser Bezeichnung wird eigentlich Kierkegaards späte und bekannte Selbstbestimmung wiederholt: „ich bin und gewesen bin religiöser Schriftsteller“ (religieus Forfatter). Siehe SKS 16, 11 / SS, 21; vgl. SKS 21, 47, NB6:64 / SS, 158. Hinzuzufügen aber ist, dass in Kierkegaards Œuvre die Kategorie „religiöser Schriftsteller“ nie dem „Denker“ entgegengesetzt wird, er hat sich sogar in einigen Textstellen ausdrücklich einen Denker (Tænker) genannt. Siehe z.B. SKS 12, 281 / ER50/51, 19. Hier charakterisiert sich Kierkegaard als einen „Dichter und Denker eigener Art (kun en egen Art Digter og Tænker).“ 42 Zur Liste der von Rahner bei Heidegger absolvierten Kurse, die thematisch Kant, Hölderlin, Schelling und Hegel umfassten, siehe Thomas Sheehan, Karl Rahner. The Philosophical Foundations, Athens 1987, S. 5.

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„Der freie Unbekannte“, so lautet der Titel des siebten Kapitels in Hörer des Wortes, das die Offenbarung als freie Selbsterschließung Gottes interpretiert, während die ontologische Offenheit des Menschen für eine mögliche göttliche Offenbarung stets im Zusammenhang mit der moralisch-religiösen Freiheitsproblematik erscheint. In Rahners Analyse gehört die potentia oboedientialis für Gottes Offenbarung mit ontologischer Notwendigkeit zur existenzialen Konstitution des Menschen und doch wird Gottes wesentliche Unbekanntheit in seiner Konzeption bewahrt. Nach der erkenntnismetaphysischen These ist Gott uns (quoad nos) „wegen der Endlichkeit unserer Erkenntnis in der absoluten, unendlichen Weite unserer Transzendenz […], soweit die faktische Erkenntnis des menschlichen Geistes in Betracht kommt, immer der Unbekannte“.43 In der ontologischen Analyse des Hörers des Wortes erscheint die Existenz immer als ein Stehen vor dem unbekannten Gott.44 Dies stellt noch keine Verneinung der Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis und somit die Destruktion aller theologia naturalis dar. Die Betonung der wesentlichen Verborgenheit des unendlichen Seins hängt mit dem erkenntnismetaphysischen Beweis der Möglichkeit der Offenbarung (als Selbsterschließung des Absoluten für einen endlichen Geist) zusammen. Rahners Schlüsselbegriff, „Vorgriff“, spielt in diesem Kontext eine zentrale Rolle: Jener besteht in einem apriorisch transzendentalen Vermögen des endlichen Geistes (und somit einer Möglichkeitsbedingung der Erkenntnis), das als Transzendenz auf das unendliche Sein jenen Horizont eröffnet, in dem die endlichen, individuellen Gegenstände als solche für uns überhaupt gegeben und gewusst werden können.45 Dieser Vorgriff als Grundtendenz des zu sich selbst kommenden Geistes ist bei Rahner zugleich auch als Transzendenz auf Gott des endlichen Geistes interpretiert (beinahe im Sinne des bekannten Augustinischen Prinzips in Confessiones: „fecisti nos ad te“). Er behauptet: „Mit der Notwendigkeit, mit der dieser Vorgriff gesetzt wird, ist auch Gott als das Seinde absoluter ‚Seinshabe‘ mitbejaht. Zwar

43 HW, 125. 44 „Der Mensch steht vor Gott als dem wenigstens vorläufig Unbekannten. Denn er ist der Unendliche, der in seiner Unendlichkeit vom Menschen nur erkannt wird in dem verneinenden Verweis auf das Jenseits aller Endlichkeit, welcher Verweis die Bedingung der gegenständlichen Erfassung eines endlichen Seienden ist.“ HW, 123. „[D]ie Transzendenz auf das absolute Sein Gottes [ist] das Stehen vor dem mysterium inperscrutabile.“ HW, 139. 45 Der Vorgriff „ist ein a priori mit dem menschlichen Wesen gegebenes ‚Vermögen‘ der dynamischen Selbstbewegung des Geistes auf die absolute Weite aller möglichen Gegenstände, eine Bewegung, in der die Einzelgegenstände gleichsam als Einzelmomente dieser Zielbewegung ergriffen und so im Vorblick auf diese absolute Weite des Erkennbaren wissend erfaßt werden.“ HW, 93.

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stellt der Vorgriff nicht unmittelbar Gott als Gegenstand dem Geist vor, weil der Vorgriff als Bedingung der Möglichkeit der gegenständlichen Erkenntnis von sich her überhaupt keinen Gegenstand in seinem Selbst vorstellt.“46 Das heißt, dass Gott – in Rahners Erkenntnismetaphysik – als das absolute Sein vom Menschen als endlichem, in der Sinnenwelt zu sich selbst kommenden Geist immer schon notwendigerweise bekannt und bejaht ist, aber nicht als Gegenstand seines kategorialen, phänomenalen Wissens, sondern ausschließlich als Möglichkeitsbedingung und Endzweck seiner geistigen Transzendenz. Karl Rahner setzt sein ontologisches Programm, das er in seiner Dissertation Geist in Welt begonnen hat, auf dem Gebiet der Religionsphilosophie fort. Er geht von der Erkenntnismetaphysik des Thomas von Aquin aus, dabei verwendet er Kants transzendentale Methode und eignet sich (nicht ohne kritischen Vorbehalt)47 auch Heideggers existenziale Analytik an, so dass er das faktische, geschichtliche Sein des Menschen letztendlich als eine sich auf das Unendliche richtende Endlichkeit erfasst. Rahner sieht die Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit der natürlichen Gotteserkenntnis gleichermaßen im unendlichen Dynamismus des Vorgriffes gegründet. Da es sich hier nicht um eine bloße Form der endlichen Erkenntnis, sondern um die letzte Möglichkeitsbedingung derselben handelt, konstituieren sich im Vorgriff nicht individuelle Kenntnisse, sondern eine implizite Seins- bzw. Gotteserfahrung, die in den klassischen Gottesbeweisen der natürlichen Theologie doch immer nur nachträglich und partiell expliziert werden können. Aber auch Gottes Unbekanntheit bleibt in Rahners Denken eine fundamentale These, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil es aufgrund der ontologischen Endlichkeit des menschlichen Geistes für uns schlechterdings unmöglich ist, je adäquate Kenntnisse über Gott zu gewinnen, zweitens, weil letztendlich auch die natürliche Gotteserkenntnis auf Gottes unendlicher Freiheit gegründet ist, sowie auf der – als Vermögen der moralischen Selbstbestimmung aufgefassten – menschlichen Freiheit.48 Daraus folgt, dass die Erkenntnis Gottes nie eine bloße Einsicht, eine intellektuelle Leistung, sondern und vor allem eine Entscheidung aus vollem existenzialem Ernst ist.49

46 HW, 99. 47 Gegen Heideggers Konzeption vom Nichts bemerkt er z.B.: „Nicht also das Nichts nichtet, sondern die Un-endlichkeit des Seins, auf das der Vorgriff geht, enthüllt die Endlichkeit alles unmittelbar Gegebenen.“ HW, 97. 48 „Die Erkenntnis Gottes ist innerlich, wenn wir nach ihr als einem wirklichen Vorkommnis im wirklichen Menschen Fragen, ein sittliches oder besser (da es sich um eine Entscheidung Gott gegenüber handelt) ein religiöses Problem.“ HW, 163. 49 „Dass man einem Bösewicht eine mathematische Wahrheit, nicht aber einen Gottesbeweis einleuchtend machen kann, ist kein Zeichen für die Stärke des einen und ein Zeichen der Schwä-

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 Teil IV  Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards

2.4 Die Existenzdialektik der Philosophischen Brocken Wie unübersehbar die Verschiedenheit zwischen den religionsphilosophischen Konzeptionen Rahners und Climacus’ auch sein mag, die existenziale Interpretation der Kategorie der Entscheidung stellt eine feste gemeinsame Grundlage dar. Der Glaube ist nämlich für Climacus nicht als Folgerung (Slutning), sondern als Entscheidung (Beslutning) zu fassen.50 Es ist jene Wahl bzw. Entscheidung, durch welche die existenziale Selbstkonstitution des christlich-religiösen Daseins vollzogen wird, die in Climacus’ Existenzdialektik mit dem Glauben selbst identisch ist. Die weitreichenden Wirkungen dieser genuinen Konzeption sind sowohl im Bereich der theistischen Existenzphilosophie als auch in Karl Rahners’ existenzialer Theologie eindeutig zu spüren. Climacus’ Intention in den Philosophischen Brocken ist es mitnichten, die Glaubensproblematik spekulativ-theoretisch zu erörtern (die Spekulation ist ihm gerade das Gegenteil des existenzialen Denkens), er führt dagegen ein Gedanken-Experiment vor, das die christliche Wahrheitsmitteilung bzw. die subjektiv-existenziale Dialektik des Christwerdens ansieht. Dieses Experiment, das wir im Kapitel „Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus“ eingehend erörterten,51 basiert ganz offensichtlich auf dem entschiedenen Bestreiten der Möglichkeit aller Formen der natürlichen Theologie. Climacus’ negativer Standpunkt mag in transzendentalpragmatischer Hinsicht als problematisch erscheinen, da seine faktische Behauptung (wie alle Formen der radikalen Skepsis) unvermeidlich zu einem performativen Selbstwiderspruch führt. Hier geht es aber keineswegs um die rein religionsphilosophische Verwendung einer negativen erkenntnismetaphysischen These (deren Kern ist, das Dasein kann niemals bewiesen werden).52 Wenn Gott für Climacus per definitionem „das Unbekannte“ (det Ubekjendte) ist,53 dann ist diese negativ-dialektische Auffassung nicht verständlich ohne die theologischen und anthropologischen Voraussetzungen derselben offenzulegen. Gott ist demnach nicht nur deshalb unbekannt, weil das

che des andern, sondern ein Zeichen für den Grad, in dem ein ‚Beweis‘ den Einsatz des Menschen selbst verlangt.“ HW, 163. 50 „Des Glaubens Schluss ist nicht Schluss sondern Entschluss, und daher ist der Zweifel ausgeschlossen.“ SKS 4, 283 / PB, 80. 51 Siehe Teil I, 1. Kapitel, 1.1.1. 52 Vgl. SKS 4, 245 / PB, 38. 53 Mit der scharfsinnigen Betonung der Unbekanntheit Gottes schließt sich Climacus zweifellos der Strömung der negativen Theologie an. Bemerkenswert ist allerdings, dass bei ihm nicht das Prädikat „unbekannt“ auf Gott appliziert wird, sondern umgekehrt: das Unbekannte (det Ubekjendte) ist es, das den Namen „der Gott“ (Guden) bekommt. Vgl.: SKS 4, 245 / PB, 37.

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menschliche Erkenntnisvermögen endlich und an die sinnliche Anschauung gebunden ist und als solches zu keiner Spekulation über transzendente, intelligible Gegenstände fähig ist, sondern und vor allem, weil der Mensch immer schon in der Unwahrheit als Sünder existiert. Den Grund der philosophischen Behauptung, Gott ist für den Verstand sensu eminentiori das Unbekannte, findet Climacus nicht in philosophischen Überlegungen, sondern in dem theologischen Interesse, dass Gott selbst aus dem Kreise der möglichen Gegenstände des Wissens (wegen der sich aus der Sünde ergebende corruptio des menschlichen Erkenntnisvermögens) notwendigerweise herausgezogen werden soll. Dieses hamartiologische Interesse wird in den Philosophischen Brocken durch die negativ-dialektische Kategorie der schlechthinnigen Verschiedenheit profiliert und zur Geltung gebracht. Das Unbekannte ist – und kann dem Verstand nichts anderes sein als – „das schlechthin Verschiedene“ (det absolut Forskjellige).54 Diese Begriffe entsprechen einander: Beide sind für den Verstand und auch für die Philosophie55 sehr problematisch. Der Problematik ist sich Climacus durchaus bewusst und bearbeitet sie folgendermaßen: Der Verstand kann „die schlechthinnige Verschiedenheit […] nicht einmal denken; denn schlechthin kann er sich selbst nicht verneinen, sondern er benützt sich selber dabei und denkt mithin die Verschiedenheit an sich selbst, die er mit sich selbst denkt.“56 Die Betonung liegt darauf, dass diese Verschiedenheit sich nicht greifen lässt,57 seine negativen Behauptungen negieren also ipso facto radikal alle Formen der natürlichen, metaphysischen Theologie. Gott ist für den endlichen und sündigen Verstand die unüberschreitbare Grenze (Grændse),58 das unbegreifbar Verschiedene und das unzugänglich Unbekannte.59 Festzuhalten ist die Markierung des wesentlichen Unterschieds im Gebrauch der Dialektik zwischen Hegel und Climacus: Während in Hegels Logik die Grenze im „Hinausseyn über die Schranke“60 des Sollens aufgehoben wird und die

54 SKS 4, 249 / PB, 42f. 55 Man denke nur an Hegels Position, derzufolge „der absolute Unterschied“ an sich eigentlich ein inhaltsloser Begriff ist. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Wissenschaft der Logik, in ders., Hauptwerke in sechs Bänden, Bd. III, Hamburg 1999, S. 265–278 („Der Unterschied”). 56 SKS 4, 249 / PB, 42. 57 SKS 4, 250 / PB, 43. 58 SKS 4, 249 / PB, 42. 59 Die radikale Negativität dieser Auffassung wird auch von Law eindeutig hervorgehoben: “Kierkegaard not only can be interpreted as a negative theologian but is in fact more apophatic than the negative theologians.” David R. Law, Kierkegaard as a Negative Theologian, Oxford 1993, S. 217. 60 Hegel, Wissenschaft der Logik, S. 121.

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Vernunft selbst „das Hinausgehen über die Schranke ist“,61 fasst sie Climacus in seiner „Logik des Glaubens“ in absolutem Sinn auf, d.h. als eine unaufhebbare Grenze. Jedenfalls wäre es völlig irreführend, diese Position als irrationalistisch zu interpretieren, es sollte nämlich klar geworden sein, dass Climacus nicht die Ablehnung des Denkens anvisiert. Bekanntlich ist ja der Glaube für Climacus jene paradoxe Leidenschaft, in welcher der Verstand und das Paradox „glücklich aufeinander stoßen“;62 der Verstand bildet für ihn (in einem negativdialektischen Sinn) eine conditio sine qua non des Glaubens. Kierkegaard unterscheidet in seinen Schriften terminologisch konsequent,63 – so auch Kant und Hegel – zwischen „Verstand“ (Forstand) und „Vernunft“ (Fornuft), die beide gleichermaßen zur Sphäre der Immanenz des Denkens gehören und deshalb von der Transzendenz der Wirklichkeit der Existenz sowie von jener des Glaubens scharf abgesondert bleiben. Der durch Climacus repräsentierte Standpunkt kann im philosophiegeschichtlichen Kontext der posthegelschen Ära als Rückgriff auf eine gewissermaßen Kantische Position aufgefasst werden.64 Während der Vorgriff nach Rahner als innere Dynamik und Intentionalität des endlichen Geistes auf das Absolute durch die Vermittlung des endlichen Seins an Hegels Dialektik erinnert, verbindet sich Climacus’ Destruktion der natürlichen Theologie in wesentlichen Punkten mit Kants Vernunftkritik.65

61 Hegel, Wissenschaft der Logik, S. 122. 62 Vgl. SKS 4, 253 / PB, 46. 63 „Da forstand og fornuft trods deres forskellighed væsentlig ligger inden for samme område, d. v. s. immanensen, bruger SK af og til begge disse udtryk som modsætning til troen, som peger mod det transcendente.“ Gregor Malantschuk, Nøglebegreber i Søren Kierkegaards tænkning, hg. von Grethe Kjær und Paul Müller, Kopenhagen 1993, S. 49f. 64 Der Einfluss von Kant auf das Denken von Climacus wird auch von Green betont: “If Kant is not singled out for mention in the Fragments it is partly because his presence is everywhere.” Ronald M. Green, “Kierkegaard’s Philosophical Fragments: A Kantian Commentary”, in Philosophical Fragments and Johannes Climacus, hg. von Robert L. Perkins, Macon, Georgia 1994 (International Kierkegaard Commentary, Bd. 7), S. 169. 65 “Readers of Kierkegaard should have no problem identifying his debt here to Kant. Arguments about the difference between concept existence and real existence abound throughout Kierkegaard’s writings.” Ronald M. Green, “Kant: A Debt both Obscure and Enormous”, in Kierkegaard and His German Contemporaries, hg. von Jon Stewart, Tome I, Philosophy, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resorces, Bd. 6), S. 193.

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2.5 „Ist Gott unbekannt? Ist er offenbar wie der Himmel?“ Die bisherige Analyse weist darauf hin, dass die Kategorie „der“ bzw. „das Unbekannte“ in Rahners Denken ebenso wie in Climacus’ Existenzdialektik eine zentrale Rolle spielt. Die Frage nach der exakten Verwendung dieser negativen Kategorie bei Rahner und Climacus soll vor allem dabei helfen, die Zusammenhänge aufzudecken, die zwischen den beiden Positionen zweifellos bestehen. Das philosophisch-theologische Programm Karl Rahners stellt eine typische Manifestation der sogenannten „Theologie von unten“ im katholischen Denken des 20. Jahrhunderts dar.66 Seine Konzeption ist eindeutig auf der transzendentalen, anthropologischen Voraussetzung aufgebaut, dass der Mensch von seiner existentialen Konstitution her a priori auf das absolute Sein gerichtet ist (das dann ontotheologisch mit Gott selbst identifiziert wird). Obwohl für Rahner (ebenso wie für Paulus in seiner Areopagrede) Gott wesentlich agnostos theos ist,67 d.h. ein unzugängliches Geheimnis für das Denken,68 folgt dessen Unbekanntheit nicht aus einer „schlechthinnigen Verschiedenheit“ (Rahner bleibt dem thomistischen ontologischen Grundprinzip der analogia entis treu), sondern einerseits aus der Begrenztheit des kategorialen, phänomenalen Wissens und andererseits aus der unableitbaren Freiheit der göttlichen Selbsterschließung. Zweifellos ist erneut Kierkegaards Einfluss auf Rahners Denken erkennbar, wenn dieser jenem darin folgt, alle Formen des authentischen Individualverhältnisses zu Gott (Glaube, Liebe, Reue, aber auch die Erkenntnis Gottes) als je subjektivexistenziale Akte sensu eminentiori zu interpretieren. Einige interpretative Bemerkungen zu Climacus’ radikaler Position sollen hinzugefügt werden, hinsichtlich des geschichtlichen Kontextes der Brocken ist vor allem auf die im Vorigen bereits eingehend erörterte69 heftige Debatte zwischen Bornemann, Mynster, Martensen, Heiberg und Schiødte in Tidskrift for Litteratur og Kritik (1839) hin- bzw. zurückzuweisen, die über die Hegelsche Aufhebung der aristotelischen Logik und über die Möglichkeit der Verwendung der

66 Rahners bedeutendster theologischer Gegner im katholischen Bereich war zweifellos der berühmte Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar (1905–1988): Sein genuines und umfangreiches Werk repräsentiert das Programm einer a priori unableitbaren, auf dem Faktum der Offenbarung konstruierten „Theologie von oben“. Zu seinem ambivalenten Verhältnis zu Kierkegaard siehe: Stefan Endriß, Hans Urs von Balthasar versus Sören Kierkegaard. Ein Beitrag zur Diskussion über das Verhältnis von Theologie und Ästhetik, Hamburg 2006. 67 Act. 17,23. 68 Siehe dazu Karl Rahner, „Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie“, in Schriften zur Theologie, Bd. IV, S. 51–99. 69 Siehe Teil I, 1. Kapitel, 1.1.2.

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Hegelschen Kategorie der Vermittlung in der Theologie ausgetragen wurde.70 Climacus’ einige Jahre später exponierte Argumentation gegen die natürliche Theologie, gegen die spekulative Aufhebung der Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz, gegen die Versuche, den Glauben mit Verstandesargumenten zu begründen sowie seine konsequent negative Dialektik bringen nicht nur den Standpunkt der apophatischen Theologie zum Ausdruck, sondern auch eine entschieden supranaturalistische Position gegen die theologische Applikation der Hegelschen Logik. Während also seine Methode formal gesehen eine antimetaphysisch konzipierte, rein negative Dialektik ist, impliziert Climacus’ Konzeption inhaltlich den Standpunkt des theologischen Supranaturalismus.71 Gottes Dasein ist bei Climacus unbeweisbar, weil es sich hierbei um einen existenziellen Satz im eminenten Sinn handelt. Rahner ist mit Climacus’ scharfer Kritik an der rationalistischen Gotteslehre weitgehend einig, da Gott nie ein Objekt des kategorialen Wissens werden kann. Während aber Rahner die natürliche Theologie in der transzendentalen Konstruktion in Hörer des Wortes wieder legitimiert, destruiert sie Climacus in den Brocken kategorisch aus existenzialen und theologischen Gründen. Obgleich Climacus die Möglichkeit eines jeden natürlichen Wissens von Gott aus hamartiologischen Gründen konsequent ausschließt, wird in einer enigmatischen Aufzeichnung aus der Zeit der Abfassung der Brocken auf eine – in jedem gegenwärtige, obschon nicht bewusste – Erinnerung (Erindring) hingewiesen, die sich auf Gottes Dasein bezieht, es heißt dort: „Im Hinblick auf das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit usw., kurz im Hinblick auf alle Probleme der Immanenz gilt die Erinnerung, welche in jedem Menschen da ist, auch wenn sie es nicht wissen.“72 Wenn diese Terminologie auf die platonische Anamnesis im Menon (81 d 4f.) referiert, könnte man daraus auf ein allgemeines, unbewusstes Wissen von Gott bei Kierkegaard schließen, das aber wohl als spekulative Versöhnung zwischen Hegel, Rahner und Kierkegaard kaum in Rechnung gezogen werden kann; einen bemerkenswerten Konvergenzpunkt zwischen den dargestellten Auffassungen mag es aber bilden. Hegels und Kierkegaards indirekter und tiefgehender Einfluss auf die katholische Theologie ist in Karl Rahners Konzeption – trotz wesentlicher Divergenzen – nachweisbar. Ob Gott sich letztendlich erkennen lässt, oder das Denken für immer in seiner

70 Siehe dazu Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 336–377. 71 Auf den theologischen Inhalt des Werkes wurde im Untertitel des ursprünglichen Titelblattes eindeutig hingewiesen: „et dogmatisk-philosophisk Problem”. Pap. V B 39. 72 „Med Hensyn til Guds Tilværelse, Udødeligheden o:s:v kort med Hensyn til alle Immanentsens Problemer gjelder Erindringen, det er altsammen til i ethvert Menneske kun veed han ikke af det.“ Pap. V B 40,11, S. 93.

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negativen Immanenz verharrt, das lässt sich vielleicht mit Hölderlins poetischen Worten beantworten: „Ist Gott unbekannt? Ist er offenbar wie der Himmel? Dieses glaub’ ich eher.“73

73 S. W. Waiblinger, Phaëton, Zwei Theile, Stuttgart 1823, S. 154.

Schlussbemerkungen Der Rückblick auf den gedanklichen Weg des vorliegenden Werkes sei hier in einigen schematisierenden Erwägungen schlussendlich hinzugefügt. Sie zielen nicht darauf ab, die Ergebnisse der einzelnen Kapitel in einem kondensierten Fazit zu wiederholen, sondern wollen einzelne, mit dieser Arbeit zusammenhängende Aspekte der gegenwärtigen Kierkegaard-Forschung ansprechen, um damit die kritische Weiterführung der hier teilweise nur kurz behandelten Themen anzuregen. Zwar hat die frühere Forschung von Albert Bärthold1 bis Niels Thulstrup (1924–1988) den konkreten geschichtlichen Kontext des Kierkegaardschen Denkens nicht ignoriert, doch wurde dieser Aspekt entweder nur sekundär behandelt oder missverständlich gedeutet.2 Die Figur Kierkegaards wurde in der Rezeptionsgeschichte nach dem ersten Weltkrieg – nicht ohne kritische Vorbehalte – Schritt für Schritt als Philosoph kanonisiert und im Pantheon der großen Denker untergebracht und doch war die Rezeption seines Werkes nicht frei von Verzerrungen. Man denke nur an den bedeutenden Beitrag Karl Jaspers‘ zur deutschen Kierkegaard-Rezeption ab 1919. Während er zu Beginn seiner Laufbahn völlig überrascht war, dass Kierkegaard nicht Lehrstoff der Universitätsphilosophie seiner Zeit war3, hat er im Laufe der Zeit in großem Maße dazu beigetragen, den dänischen Denker im mainstream der akademischen Philosophie einzuführen, so dass sich diese Situation mit der Zeit grundsätzlich verändert hat. Auch wenn er keine Monographie über Kierkegaard publizierte, war sein ganzes Philosophieren von dem dänischen Denker so sehr durchdrungen, dass seine Existenzphilosophie als eine organische Weiterführung des Kierkegaardschen Erbes erscheint. Charakteristisch ist aber für ihn, ebenso wie für den späteren Theo-

1 Bärtholds Lebensdaten sind leider unbekannt. Er war ein Student des Tübinger Theologen Johann Tobias Beck (1804–1878) und hat ab 1872 nicht nur wichtige Schriften Kierkegaards ins Deutsche übersetzt, sondern auch zahlreiche Monographien über ihn publiziert. 2 Thulstrups in seiner Zeit massgebende Beiträge zu dieser Forschung sind sein restrospektives, recht polemisches Werk Kierkegaards Verhältnis zu Hegel. Forschungsgeschichte, StuttgartBerlin-Köln-Main 1969, und seine historisch-analytische Untersuchung Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835–1846, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1972. Zu ihrer kritischen Erörterung siehe Stewart, Kierkegaards Relations to Hegel Reconsidered, S. 15–27. 3 „In meinen Vorlesungen war er [i.e., Kierkegaard] eine der großen Gestalten der Vergangenheit (ich war erstaunt, daß er im Bereich der Universitätsphilosophie nicht existiere, und daß in den Lehrbüchern der Philosophiegeschichte nicht einmal sein Name vorkam.)“ Karl Jaspers, „Nachwort (1955) zu meiner Philosophie,“ in ders., Philosophie, Bde. 1–3, 4. Aufl., Berlin-HeidelbergNew York 1973 [1932], Bd. 1., S. XX.

Schlussbemerkungen 

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logen Thulstrup, dass er dem dänischen Denker Hegel ab ovo diametral gegenüberstellt, und ihn zum ewigen Antipoden Hegels stilisiert. Bereits in seinem Frühwerk hebt er hervor: „Der wahre, verstehende und treffende Gegenschlag gegen Hegel war Kierkegaard: In der Betonung der Verantwortlichkeit, der zeitlosen Bedeutung des zeitlichen Entschlusses, des subjektiven Denkens (statt unpersönlicher Kontemplation), in der Neuauffrischung des Entweder-Oder, in dem Erfassen der Paradoxien, der nicht durch Denken lösbaren Antinomien, in dem Verzicht auf jedes System als endgültige Lebenslehre, in dem Appell an das persönliche, verantwortungsvolle Leben in der Welt und der Religion ist Kierkegaard der ewige Gegenpol zu Hegel: das Entweder-Oder gegen das Sowohl-als auch; die Verzweiflung gegen das harmonisierende Versöhnungsdenken; die Religiosität gegen die philosophische Spekulation.“4 Anders als Jaspers formuliert der namhafte dänische Forscher Niels Thulstrup bereits am Anfang seines Buches in seiner Hauptthese, dass „Hegel und Kierkegaard als Denker prinzipiell nichts gemein [haben], weder hinsichtlich des Gegenstandes, des Zieles oder der Methode noch hinsichtlich der für sie indiskutablen Voraussetzungen“.5 Trotz der formalen Verschiedenheit sind sich Jaspers und Thulstrup inhaltlich gerade in ihrer einseitigen Stellungnahme einig. Doch auch wenn Jaspers in einem bestimmten Sinne zweifellos Recht darin behält, dass es zwischen Hegels logischer und Kierkegaards existentialer Dialektik keine Vermittlung gibt und auch wenn Thulstrup den wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Denkprojekten mit Recht betont, gibt es im Œuvre Kierkegaards zahlreiche und eindeutige Zeichen dafür, dass Kierkegaards Verhältnis zu Hegel gar nicht rein negativ, polemisch-abgrenzend war. Die geschichtliche Gestaltung dieses Verhältnisses verläuft den verschiedenen Perioden entsprechend in unterschiedlichen Formen, von der kritischen Zurückweisung bis zur inhaltlichen Aneignung.6 Da die philosophische Rezeption von Jaspers ebenso wie die geschichtliche Forschung von Thulstrup aus verschiedenen Gründen zu dem selben einseitigen

4 Jaspers, Psychologie der Weltanschauungen, Berlin 1919, S. 329. 5 Niels Thulstrup, Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und zum spekulativen Idealismus 1835–1846. Historisch-analytische Untersuchung, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1972, S. 11. 6 Siehe dazu Stewart, Kierkegaard’s Relations to Hegel Reconsidered, S. 596–618. Kierkegaards ehemaliger Professor, Frederik Christian Sibbern weist in einer Bemerkung auf eine frühe „hegelsche Periode“ von Kierkegaard hin. Siehe Encounters with Kierkegaard. A Life as Seen by His Contemporaries, übers. und hg. von Bruce H. Kirmmse, Princeton, New Jersey 1996, S. 217. Vgl. SKS 24, 32, NB21:35 / T 4, 233. In einer Aufzeichnung von 1845 spricht Kierkegaard gerade über seinen „enigmatischen Respekt“ für Hegel, siehe: Pap. VI B 54,12. Zu den Strukturgleichheiten zwischen Kierkegaards Entweder-Oder und Hegels Phänomenologie des Geistes siehe Mark C. Taylor, Journeys to Selfhood. Hegel and Kierkegaard, Berkeley 1980, S. 228–262.

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 Schlussbemerkungen

Ergebnis gekommen sind, wird – um ein adäquates Verständnis von Kierkegaard gewinnen zu können – die systematischen, Untersuchung der Verbreitung des dänischen Hegelianismus und jene der philosophischen und theologischen Entwicklungen des „goldenen Zeitalters,“ sowie die differenzierte Erörterung der Gestaltung des Kierkegaardschen Denkens schlechterdings unentbehrlich bleiben. Die Schriften des dänischen Schriftstellers, isoliert und ahistorisch interpretiert, können leicht zum Bild eines unversöhnlichen „Anti-Hegels“ beitragen. Die philosophische Quellenforschung kann zur Überwindung dieser üblich gewordenen Unsachlichkeit beitragen und neue Horizonte für die Interpretation eröffnen. Diese Arbeit stellt einige jener neuen Auslegungsmöglichkeiten dar, die sich durch die systematische Erforschung der vielschichtigen Rezeptionsgeschichte des deutschen Idealismus im Dänemark des Golden Age ergeben.7 Der vorliegende Ansatz verortet Kierkegaards Gesamtwerk im Spannungsfeld von Philosophie und Religion, bzw. Theologie unter besonderer Berücksichtigung der Unsterblichkeitsproblematik, damit sei jedoch kein methodischer Ausschließlichkeitsanspruch, auch nicht indirekt, deklariert. Zwar bildet der gedankliche Raum zwischen diesen Disziplinen – trotz Kierkegaards bekannter Polemik gegen beide – eines der wichtigsten Felder seines Denkens, doch gibt es zweifellos andere Lesarten seiner sui generis Schriften (z.B. im Bereich der Ästhetik, Literaturwissenschaft, Belletristik und Psychologie), derer Legitimität und Wirksamkeit nicht bestritten werden kann. Infolge der semantischen Komplexität seiner Gedankenwelt und seines enorm reichen Textuniversums gibt es für sein Œuvre keine allgemeingültige Interpretationsmethode, seine Schriften sollten vielmehr verstärkt Gegenstand der interdisziplinären Forschung werden. Kierkegaard repräsentiert in der posthegelschen Ära eine besondere Position, indem der Problemzusammenhang von Philosophie und Theologie in seinem Denken – gegen Schopenhauer und Nietzsche, deren Kritik an der Kathederphilosophie der Zeit er aber immerhin teilt8 – relevant und sogar zentral bleibt. Die entschlossene Betonung, dass Gott sich nicht erkennen lässt, bleibt trotz ihrer Negativität im Bereich der metaphysischen Theologie. In der scharfen Unterscheidung zwischen philosophischer Vermittlung und paradoxem Glauben ist auch die Gültigkeit von Vernunftmetaphysik und rationaler Theologie von vornherein vorausgesetzt. An diesem Punkt weicht Kierkegaard von Schopenhauers pessimistischer und Nietzsches affirmativer Willensmetaphysik vielleicht am stärksten ab und bleibt – zumindest formal gesehen – noch innerhalb des typi-

7 Zu diesem Thema siehe Bruce H. Kirmmses grundlegendes Werk Kierkegaard in Goldgen Age Denmark, Bloomington-Indianapolis 1990. 8 Siehe SKS 3, 208 / EOII/2, 231.

Schlussbemerkungen 

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schen Problementwurfes des deutschen Idealismus und der Hegelschen Schule, auch wenn in seinem Denken inhaltlich bereits eine ganz andere philosophische Grunderfahrung thematisiert wird. Dem Leser Kierkegaards wird auffallen, dass diese gemeinsame Problematik in seinen Schriften oft auf einem einzigartigen literarischen Niveau erörtert wird, das in seiner prosaischen Form (obwohl auch in Schillers, Novalis’ und Hölderlins spekulativer Dichtung das idealistische Denken dominierte) keinen Vorläufer unter den deutschen Idealisten hat: Bemerkenswerterweise gehört Kierkegaard ebenso zum Kanon der dänischen Schönen Literatur des 19. Jahrhunderts, wie Nietzsche zu jenem der deutschen.9 Diese Arbeit untersucht Themen aus dem Grenzbereich von Philosophie und Theologie (natürliche Theologie, Offenbarung, Eschatologie und besonders die Unsterblichkeitsproblematik), die sowohl im Kierkegaardschen Denken als auch im deutschen Idealismus eine wichtige Rolle spielten. Es ist charakteristisch für ihn, dass er die genannten Themen in einem ständigen Schweben zwischen den beiden Polen Theologie und Philosophie erörtert. Sein bewusstes inter-esse zwischen diesen Disziplinen und sein originelles Denken lassen auch nach dieser Studie eine Kategorisierung ausschliesslich als Philosoph oder Theologe nicht zu. Die Versuche, diesen oder jenen Pol als irrelevant aus der Interpretation zu eliminieren – man denke an Jaspers’ Methodologie – erweisen sich durchweg als problematisch. Im Falle Kierkegaards könnte man aus dieser „Not“ eine Tugend machen und statt einseitiger Einschränkung auf Philosophie oder Theologie, gerade das subtile Auflockern der disziplinären Grenzen zwischen den beiden gleichrangigen Wissenschaften fruchtbar machen. Auch wenn sich der Verfasser der Briefe in Entweder-Oder II. sowohl von der Philosophie10 als auch von der Theologie11 abgrenzt, ist sein Freiheitskampf eine philosophisch argumen-

9 Zur Bedeutung der literarischen Form in Kierkegaards Polemik gegen den Deutschen Idealismus siehe: Jon Stewart, “Kierkegaard’s Use of Genre in the Struggle with German Philosophy”, in ders., The Unity of Content and Form in Philosophical Writing. The Perils of Conformity, LondonNew Delhi-New York-Sidney 2013, S. 81–95. 10 „Du weißt, ich habe mich nie für einen Philosophen ausgegeben, am wenigsten, wenn ich mich mit Dir unterhalte […] Wiewohl ich nun nicht Philosoph bin, bin ich hier doch genötigt, mich an eine kleine philosophische Überlegung zu wagen, und ich bitte Dich, diese nicht so sehr zu kritisieren als vielmehr ad notam zu nehmen. Das polemische Ergebnis nämlich, welches in allen Deinen Siegeshymnen über das Dasein widerhallt, hat eine wunderliche Ähnlichkeit mit der Lieblingstheorie der neueren Philosophie, dass der Satz vom Widerspruch aufgehoben sei.“ SKS 3, 166 / EOII/2, 180f. 11 „An dieser Stelle wird nun ein Theolog den Ausgangspunkt für eine Mannigfaltigkeit von Betrachtungen finden; ich möchte auf diese nicht weiter eingehen, sintemal ich nur ein Laie bin.“ SKS 3, 209 / EOII/2, 232.

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 Schlussbemerkungen

tierende Debatte gegen jene Form der Philosophie, welche das Entweder-Oder der Existenz panlogisch in einer absoluten Vermittlung auflöst und dadurch ipso facto die existential aufgefasste Freiheit aufhebt. Zwar kann Wilhelms Argumentation bisweilen den Eindruck erwecken, als kämpfe er für die theoretische Gültigkeit der aristotelischen Logik gegen ihre spekulative Aufhebung (etwa im Sinne Trendelenburgs),12 doch liegt der Schwerpunkt seiner Argumentation nicht im Bereich der Logik sondern in der Existenzproblematik, deren Auslegung sowohl philosophische Grundeinsichten als auch theologische Überzeugungen zum Vorschein bringt. Berühmt sind ebenfalls die ironische Distanzierung und die kritisch scharfen Bemerkungen gegen Philosophie13 und Theologie14 in Furcht und Zittern. Aber auch hier sind beide Disziplinen nicht in ihrer abstrakten Allgemeinheit Gegenstand der Kritik; diese richtet sich vielmehr gegen jenen besonders durch Hans Lassen Martensen (1808–1884) repräsentierten Versuch, der Hegels philosophische Methodologie in der zeitgenössischen Theologie zu verwenden strebte, um dadurch die Antinomie von Rationalismus und Supranaturalismus spekulativ zu überwinden.15 Kierkegaards konsequenter Supranaturalismus und seine negative Theologie können im geschichtlichen Kontext der mit Johan Ludwig Heibergs (1791–1860) enthusiastischer Popularisierung ab 1824 begin-

12 Siehe dazu Darío González, “Trendelenburg: An Ally against Speculation”, in Jon Stewart (Hg.), Kierkegaard and His German Contemporaries, Tome I, Philosophy, hg. von Jon Stewart, Aldershot 2007 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 6), S. 309–334; Richard Purkarthofer, „Trendelenburg und Kierkegaard: ‚Eine wunderliche Beziehung‘“, in Kierkegaard and Great Philosophers, hg. von Ján Liguš und Lucia Rákayová, Mexico City-BarcelonaŠal’a 2007(Acta Kierkegaardiana, Bd. 2), S. 23–35. 13 „Verfasser vorliegender Schrift ist keineswegs ein Philosoph, er hat das System nicht verstanden, ob es da ist, ob es fertig ist, er hat bei seinem schwachen Kopf schon genug an dem Gedanken, was für einem ungeheuerlichen Kopf heutzutage jeder haben muss, da jeder solch einen ungeheuerlichen Gedanken hat.“ SKS 4, 103 / FZ, 5. 14 „Die Liebe hat doch an den Dichtern ihre Verkündiger, und bisweilen hört man eine Stimme, die ihr die Gerechtsame zu wahren weß; aber über den Glauben hört man kein einziges Wort: wer redet wohl dieser Leidenschaft zu Ehren? Die Philosophie geht weiter. Die Theologie sitzt geschminkt am Fenster und wirbt um ihre Gunst, hält ihre Lieblichkeit feil für die Philosophie.“ SKS 4, 128 / FZ, 30. 15 Zu seinem theologischen Denken siehe Curtis L. Thompson, “Hans Lassen Martensen: A Speculative Theologian Determining the Agenda of the Day”, in Kierkegaard and His Danish Contemporaries, Tome II, Theology, Aldershot 2009 (Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources, Bd. 7), S. 229–266. Zum philosophiegeschichtlichen Kontext siehe Jon Stewart, A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome II, The Martensen Period: 1837–1842, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3).

Schlussbemerkungen 

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nenden dänischen Rezeption der Hegelschen Philosophie16 verortet werden, die anfänglich ästhetische, logische und metaphysische, dann später, durch Martensens wissenschaftliche Tätigkeit, auch theologische Themen einschloss. Diese Rezeption dauerte zu Beginn der schriftstellerischen Wirksamkeit Kierkegaards bereits seit zwei Jahrzehnten an und die heftigen Auseinandersetzungen über die Hegelsche Methodologie fand im Kopenhagener Geistesleben schon im Jahre 1839 statt und doch kann Kierkegaards Denken ohne einen systematischen Rückblick auf die Entwicklungen des dänischen Hegelianismus nicht adäquat verstanden werden. Geschichtlich gehört Kierkegaard in jene Zeit, in der die Hegelsche Philosophie und auch die liberalen und religionskritischen Ideen der radikalen Junghegelianer Dänemark infiltrierten. Diese Wendung hatte unterschiedliche Folgen, sie hat z.B. den Theologen Martensen dazu veranlasst, sich vom Hegelianismus zu distanzieren. Auch Kierkegaards besondere Aufmerksamkeit und Sensibilität für die zeitgenössische Krise des Christentums haben ihre Gründe nicht nur in seiner existenzdialektischen Religionsauslegung, sondern zumindest teilweise auch in den sich aus der Spaltung der Hegelschen Schule ergebenden Konsequenzen. Die vorliegende Arbeit hat dieses Problem- und Methodenbewusstsein der gegenwärtigen Kierkegaard-Forschung nicht nur dargelegt, sondern in verschiedenen Themenbereichen auch angewendet. Friedrich Schleiermacher betont in seiner berühmten Hermeneutik mit Recht, dass das Verständnis eines Textes keine bloß technische Aufgabe ist, sondern auch eine psychologische und divinatorische Tätigkeit der Subjektivität selbst erfordert. Die psychologische Interpretation fasst den Text, gegen die grammatische, als Lebensmoment der Redenden auf. Der Interpret soll also nicht nur den Text, sondern auch die Bedingungen kennen, unter denen der Autor schrieb. Diese genuin hermeneutische Konzeption scheint mir für die Interpretation des Kierkegaardschen Textuniversums und damit auch für dieses Projekt von besonderer Gültigkeit zu sein. Die detaillierte Rekonstruktion des philosophie- bzw. theologiegeschichtlichen Kontextes sowie jene der historischen Gestaltung des Denkens Kierkegaards, die zweifellos im Zentrum des Interesses dieser Arbeit stehen, bilden keinen Selbstzweck, sondern stehen ab ovo im Dienste des hermeneutischen Grundprinzips, demgemäß der Interpret, um die Sinnmöglichkeiten des Textes enthüllen zu können, „die Rede zuerst ebensogut und dann besser zu verstehen [hat] als ihr Urheber“.17 Meine Absicht ist es freilich nicht, Kierkegaard

16 Zu dieser Periode siehe: Jon Stewart, A History of Hegelianism in Golden Age Denmark, Tome I, The Heiberg Period: 1824–1836, Kopenhagen 2007 (Danish Golden Age Studies, Bd. 3). 17 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers, hg. von Manfred Frank, Frankfurt 1977, S. 94. Merkwür-

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 Schlussbemerkungen

divinatorisch zu interpretieren und noch weniger seine Texte besser als er selbst zu verstehen. Wenn diese Arbeit allerdings, durch die vielgestaltigen Kontextualisierungen und Analysen der Schriften Kierkegaards dazu beiträgt, das philosophische und theologische Verstehen zu ermöglichen, dann läßt sich ihr Ziel als erfüllt ansehen. Im Zusammenhang der Interpretationsproblematik wird es aber zum Schluß bestimmt nicht unnütz sein, ein von Bernhard von Clairvaux formuliertes hermeneutische Prinzip in Erinnerung zu rufen, das mutatis mutandis auch für das Verständnis Kierkegaards zu gelten scheint: „Nunquam Paulum intelligis, nisi spiritum Pauli invenias.“18

digerweise formulierte bereits Kant einen ähnlichen Gedanken, allerdings nicht im Sinne eines hermeneutischen Prinzips: „Ich merke nur an, dass es gar nichts Ungewöhnliches sei, sowohl im gemeinen Gespräche, als in Schriften, durch die Vergleichung der Gedanken, welche ein Verfasser über seinen Gegenstand äussert, ihn so gar besser zu verstehen, als er sich selbst verstand, indem er seinen Begriff nicht genugsam bestimmte, und dadurch bisweilen seiner eigenen Absicht entgegen redete, oder auch dachte.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, in Werke, Bd. 1–12, hg. von Wilhelm Weischedel, Bd. 4, Darmstadt 1983, S. 322 (A 314, B 371). 18 Der Satz wird von Bonaventura zitiert in seinen Collationes de septem donis Spiritus Sancti, Collatio VII.: De dono consilii, 12.

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Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln Teil I: Kierkegaards Religionsphilosophie und Eschatologie 1. Kapitel: „Das Unbekannte. Die Aufhebung der klassischen theologia naturalis in der negativen Theologie des Johannes Climacus“, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2004, S. 235–249.

2. Kapitel: „Vernunft und Offenbarung. Transzendentale versus existenziale Interpretation der Offenbarung in J. G. Fichtes früher Religionsphilosophie und in den Climacus-Schriften“, in Kierkegaard und Fichte. Praktische und religiöse Subjektivität, hg. von Jürgen Stolzenberg und Smail Rapic, Berlin-New York 2010 (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 22), S. 235–262.

3. Kapitel: „Das Zeitalter der Reflexion und Nivellierung. Kierkegaards Eine literarische Anzeige als kritische Diagnose“, in Schleiermacher und Kierkegaard: Subjektivität und Wahrheit: Akten des Schleiermacher-Kierkegaard-Kongresses in Kopenhagen, Oktober 2003 / Subjectivity and Truth: Proceedings from the Schleiermacher-Kierkegaard Congress in Copenhagen, October 2003, hg. von Niels Jørgen Cappelørn et al., Berlin-New York 2006 (Kierkegaard Studies. Monograph Series, Bd. 11; Schleiermacher-Archiv, Bd. 21), S. 635–653.

Teil II: Kierkegaards Verständnis von Feuerbach, Vorläufer der deutschen Unsterblichkeitsdebatte „Kierkegaard’s Feuerbach-Bild im Lichte seiner Schriften“, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2001, S. 396–413.

Teil III: Umstrittene Unsterblichkeit: Kierkegaards Konzeption im Kontext der zeitgenössischen Debatten „Die kritische Rezeption der Philosophie Hegels in der dänischen Debatte über die Unsterblichkeit“, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2012, S. 235–266. „Unsterblichkeitsfurcht. Ein christlicher Beitrag zu einer zeitgenössischen Debatte in Søren Kierkegaards ‘Gedanken die hinterrücks verwunden – zur Erbauung“, Kierkegaard Studies. Yearbook, 2007, S. 227–254.

232 

 Nachweise der Erstveröffentlichungen nach den Originaltiteln

Teil IV: Beiträge zur Rezeptionsgeschichte der Religionsphilosophie Kierkegaards 1. Kapitel: „Kann der Glaube philosophisch sein? Aspekte der Irrationalitätsproblematik im Glaubensverständnis Kierkegaards und Karl Jaspers’“, in Religion und Irrationalität. Historisch-systematische Perspektiven, hg. von Jochen Schmidt und Heiko Schulz, Tübingen 2013 (Religion in Philosophy and Theology, Bd. 71), S. 159–185.

2. Kapitel: „Zwischen Hegel und Kierkegaard. Der Weg der natürlichen Theologie im Denken Karl Rahners“, in Kierkegaard: East and West, hg. von Abrahim H. Khan et al., Toronto und Šal’a 2011 (Acta Kierkegaardiana, Bd. 5), S. 168–187.

Personenregister Abeken, Bernhard Rudolf 8 Abraham (biblische Figur) 41, 42, 43, 177, 182, 229, 230 Adler, Adolph Peter 43, 44, 83, 89, 90, 92, 215 Afzelius, Petrus Wilhelm 134, 218 Anz, Wilhelm 12, 68, 182, 183, 221 Arbaugh, George E. 79, 90, 221 Aristoteles 3, 114, 148, 193 Assmann, Jan 99, 221 Baader, Franz von 116, 218 Bachmann, Carl Friedrich 8, 114, 115, 125, 126, 139, 140, 218, 221 Baggesen, Jens 33 Barth, Karl 1, 68, 197, 198, 222, 227 Bärthold, Albert 208 Baumanns, Peter 34, 222 Baur, Ferdinand Christian 116, 218 Beck, Andreas Frederik 2, 78, 81, 82, 86, 89, 90, 218 Beck, Johann Tobias 208 Beckers, Hubert 153 Berner, Ulrich 99, 222 Blanshard, Brand 170 Blasche, Bernhard Heinrich 120, 218 Bolzano, Bernard 11, 102, 116, 119, 120, 218 Bornemann, Johan Alfred 23, 205, 218 Bradley, Denis 190, 222 Brøchner, Hans 81, 83, 84, 85, 86, 218, 225, 228 Brun, Jean 79, 222 Bühler, Pierre 168 Carganico, K. A. 10, 116, 117, 219, 221 Carnap, Rudolf 172 Choron, Jacques 114, 117, 222 Christens, Christian Fenger 78, 84, 85, 86, 218 Coenen, Lothar 100, 222 Conradi, Kasimir 10, 218 Corduan, Winfried 190 Cristaldi, Mario 79, 222 Crouter, Richard 56, 69, 222 Cues, Nikolaus von 19 Cullmann, Oscar 100, 222

Deuser, Hermann 2, 215, 223 Disse, Jörg 3, 223 Düsing, Edith 3, 223 Dupré, Louis 142, 152, 223 Ehrlich, Leonard 166, 183, 223 Eiríksson, Magnus 197, 228 Elrod, John William 79, 223 Endriß, Stefan 205, 223 Erdmann, Johann Eduard 120, 223 Erler, Michael 99 Eschenmayer, Carl August 8, 218 Evans, Stephen C. 168, 169, 178, 223 Fabro, Cornelio 68, 198, 223 Fenves, Peter 58 Feuerbach, Ludwig VIII, 6, 7, 28, 38, 75–95, 117, 118, 119, 139, 148, 153, 156, 216, 217, 218, 221–231 Fichte, Immanuel Hermann 32, 121, 126, 135, 140, 217, 218, 220 Fichte, Johann Gottlieb VII, 6, 31, 55, 70, 72, 104, 124, 217, 219, 220, 222, 223, 224, 225, 228, 230, 231 Frankenhäuser, Gerald 104, 105, 224 Garelick, Herbert 170 Gawlick, Günter 88, 224 Gerdes, Hayo 32, 215, 216 Glebe-Møller, Jens 156, 224 Goethe, Johann Wolfgang von 102 González, Darío VI, 212, 224 Göschel, Karl Friedrich 121–126, 129–131, 134, 140, 156, 219 Gottsched, Hermann 2, 199 Green, Ronald M. 21, 48, 174, 204, 224 Grøn, Arne 2, 41, 224 Gyenge, Zoltán VI, 2, 224 Gyllembourg-Ehrensvärd, Thomasine 58, 61, 138, 219, 227 Haecker, Theodor 168 Hannay, Alastair 2, 64, 79, 224 Harvey, Van A. 81, 118, 224 Hase, Karl von 159, 219 Heesch, Matthias 222 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich IX, X, 5, 8, 9–13, 20, 22, 23, 25, 27, 31, 33, 34, 40,

234 

 Personenregister

54, 56, 57, 66, 77–81, 85, 86, 95, 101, 102, 105–141, 142, 143, 149, 153, 159, 161, 162, 165, 170, 171, 174, 175, 176, 190, 191, 192, 193–196, 199, 203, 204, 206, 208, 209, 210, 212, 216, 216–221, 223–226, 229, 230, 231, 232 Heiberg, Johan Ludvig IX, 1, 11, 24, 25, 34, 58, 80, 81, 130–137, 138, 142, 149, 154, 153, 156, 205, 212, 213, 219, 220, 221, 222, 229 Heiberg, Johanne Luise 58, 61, 137, 138, 219, 227 Heidegger, Martin 3, 4, 13, 17, 64, 145, 172, 173, 192, 197, 199, 201, 217, 223, 224, 225, 226, 227, 229 Heinrich, Dieter 194 Heywood, Thomas J. 17, 224, 229 Hirsch, Emanuel 19, 32, 68, 155, 215, 216, 224 Hjort, Peder 1 Hölderlin, Friedrich 199, 217, 211 Howitz, Frantz 131 Hülsemann 110, 220 Hufeland, Gottlieb 33 Hugo von Sankt Viktor 178f. Huonder, Quirin 99, 225 Inwagen, Peter van 100 Jacobi, Friedrich Heinrich 151, 157 Jaeschke, Wolfgang 9, 80, 102, 105, 112, 115, 120, 195, 217, 218, 225 Jaspers, Karl V, X, 12, 18, 165–189, 208, 209, 211, 222–226, 228, 230, 232 Jean Paul 102 Jørgensen, Harald 101, 129, 225 Kangas, David 5, 31, 32, 40, 225, 229 Kant, Immanuel  Kehrbach, Karl Theodor 190, 226 Kirmmse, Bruce 2, 60, 169, 209, 210, 226 Kjældgaard, Lasse Horne 128, 130, 142, 143, 226 Klages, Ludwig 173 Koch, Karl Heinrich 128, 135, 226 Kroner, Richard 171, 226 Kruck, Günter 190 Kutschera, Franz von 168 Law, David R.  5, 19, 203, 226 Lehmkühler, Karsten 127, 226

Leibniz, Gottfried Wilhelm von 27, 170, 178, 220 Lessing, Gotthold Ephraim 31, 37, 41, 49, 50, 219, 220 Listov, Andreas 78 Løkke, Håvard 178 Löwith, Karl 79, 102, 226 Lübcke, Poul VI, 2, 3, 226 Lukács, Georg  169 Luther, Martin  44, 45, 167, 174 MacIntyre, Alasdair 169, 229 MacKinnon, Alastair 169 Magurshak, Dan 3, 226 Malantschuk, Gregor 51, 79, 82, 83, 142, 147, 148, 180, 204, 217, 226 Malesic, Jonathan 7, 77, 227 Maréchal, Joseph 196, 227 Marheineke, Philipp 9, 27, 106, 107, 108, 115, 116, 140, 171, 175, 216, 217, 219, 220 Marks, Tamara Monet 109, 142, 227 Martensen, Hans Lassen 5, 23–26, 66, 69, 81, 83, 128–130, 136, 137, 156, 176, 179, 205, 212, 213, 218, 220, 221, 224, 225, 227, 228, 229 McKinnon, Alastair 1, 198, 216, 227 Meckenstock, Günter 35, 103, 174, 195, 227 Medicus, Fritz 32, 33, 34, 217 Michelet, Karl Ludwig 9, 10, 11, 107, 113, 114, 120, 121, 127, 134, 140, 219, 220 Mojsisch, Burkhard 100, 221, 227 Møller, Poul Martin IX, 11, 101, 102, 117, 121–124, 128, 129, 133, 134–138, 140, 142, 144, 146, 149, 153, 156, 158, 217, 220 Muck, Otto 196, 227 Mynster, Jakob Peter 23–26, 81, 84, 176, 192, 205, 219, 220, 221 Nagy, András 2, 227 Nietzsche, Friedrich 1, 3, 79, 102, 165, 183, 199, 210, 211, 224, 225, 226 Nun, Katalin VI, 58, 227 Ostenfeld, Ib 95, 227 Otto, Rudolf 172, 227 Pappin, Joseph 190 Pareyson, Luigi 79, 227 Pascal, Blaise 43, 91, 234 Pattison, George 2, 65, 227

Personenregister  Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 119, 220 Pearl, Thomas 190 Petőcz, Michael 102, 134, 220 Platon 17, 99, 149, 193, 226 Pluta, Olaf 100, 227 Pomponazzi, Pietro 100, 227 Purkarthofer, Richard VI, 212, 227 Rahner, Karl V, X, 12, 13, 190–207, 217, 222, 223, 226–228, 230, 232 Rasmussen, S. V. 81, 83–85, 228 Reinhold, Karl Leonhard 33 Rentsch, Thomas 19, 228 Richter, Friedrich 11, 101, 105, 117, 119–123, 125, 134, 139, 143, 217, 220 Ricken, Friedo 221 Rickert, Heinrich 172, 228 Roberts, Robert Campbell 18, 228 Rosenkranz, Karl 120, 125, 126, 140, 218, 221 Rousselot, Pierre 196, 228 Rücker, Silvie 170 Ruge, Arnold 80, 82, 83, 89, 90, 216, 221 Šajda, Peter VI Salamun, Kurt 188, 228 Saner, Hans 166, 167, 172, 183, 224, 225, 228, 234 Sannwald Adolf 79, 228 Schaller, Julius 89, 221 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 31, 77, 104, 105, 181, 199, 224, 226 Scherer, Georg 99, 222, 228 Schiødte, Andreas Ferdinand 24, 205, 221 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst VIII, 6, 34, 35, 40, 41, 56–73, 99, 103, 104, 106, 116, 139, 174, 175, 197, 213, 217, 220, 221, 222, 227, 228, 231 Schmidinger, Heinrich 31, 32, 228 Schmidt, Josef  190, 192 Schopenhauer, Arthur 1, 8, 210, 229 Schreiber, Gerhard VI, 41, 179, 228 Schrempf, Christoph 2, 199 Schubart, K. E. 10, 116, 117, 140, 219, 221 Schulz, Heiko VI, 2, 7, 41, 77, 175, 182, 215, 228, 232 Schweidler, Walter 3, 228 Sheehan, Thomas 199

 235

Sibbern, Frederik Christian 1, 11, 24, 129, 135, 136, 209, 221, 226 Spera, Salvatore 68, 198, 229 Spinoza, Baruch 27, 35, 103, 157, 195, 227 Staudenmaier, Franz Anton 27, 126–128, 139, 221 Stewart, Jon V, 2, 3, 5, 11, 21, 23, 25, 31, 33, 34, 54, 56, 66, 77, 80f., 120, 130, 136, 139, 168, 174, 176, 178f., 182, 190, 192, 204, 206, 208, 211–213, 222, 224, 226–229 Stilling, Peter Michael 78, 83, 84, 89, 221 Strauss, David Friedrich 81, 88, 130, 136, 139, 140 Swenson, David 169 Swinburne, Richard 99 Taylor, Mark C. 209, 229 Tertullian, Quintus Septimus Florens 165, 167, 168 Theunissen, Michael 12, 165, 227 Thompson, Curtis L. 5, 212, 229 Thulstrup, Niels 32, 59, 208, 209, 215, 216, 225, 229 Tilliette, Xavier 41, 229 Toews, John Edward 80, 101, 120, 122, 230 Trendelenburg, Friedrich Adolf 212, 224, 228 Tryde, Eggert Christopher 137, 153, 221 Tschuggnall, Peter 41, 230 Türk, Hans Günther 126, 230 Varberg, Rudolph 84, 221 Vergote, Henri-Bernard 79, 83, 94, 230 Verweyen, Hansjürgen 34, 36, 37, 38, 40, 54, 219, 230 Waaler, Arild 178 Weischedel, Wilhelm 21, 35, 37, 42, 103, 146, 182, 194, 195, 2014, 217, 225 Weisse, Christian Hermann 9, 121, 123, 124, 140, 217, 221 Westphal, Merold 2, 12, 57, 62, 166, 169, 174, 179, 230 Widmann, Joachim 34, 230 Winiger, Josef 101, 230 Wittekind, Folkart 34, 43, 230 Wolff, Klaus 230 Zeuthen, Frederik Ludvig Bang 85, 221

Sachregister Abgeschiedenheit 114 Absolutes, absolut 9, 10, 18–22, 25, 38, 44, 47–49, 51–54, 67, 72, 104, 108–110, 114, 116, 118–120, 122–124, 126, 127, 131, 133, 138, 143, 148, 149, 161, 169, 171, 172, 175, 177, 191, 193–196, 200, 201, 203–205, 212, 220 Absurdität, das Absurde 165, 168, 176, 177, 179, 180, 184, 185, 188 Absterben 160 Allgemeine 72, 82, 85, 107, 109, 113, 114, 118, 119, 127, 135, 148, 177, 187 Anamnesis 51, 55, 206 Angst 3, 45, 77, 100, 147, 149, 199, 215, 216, 223, 224, 226, 229 Anschauung 40, 41, 70, 72, 78, 93, 149, 175, 203 Apokalypse 6, 60, 65, 66, 67, 72, 137 Auferstehung 99, 100, 155, 156, 160, 222 Aufhebung VII, IX, 5, 17, 18, 23, 26, 27, 29, 92, 108–110, 113, 115, 124, 161, 191, 192, 202, 205, 206, 212, 223, 231 Augenblick 51, 89, 104, 151, 155, 180, 215 Ausnahme 5, 20, 85, 101, 144 Autonomie 40, 53 Ärgernis 7, 86, 91–93 Begriff IX, 2, 3, 9, 10, 19, 21, 22, 34–36, 38–40, 45, 47, 51, 53, 61, 62, 64, 72, 73, 79, 83, 88, 94, 99, 100, 103, 105, 107–110, 113, 114, 116, 119, 122–124, 126, 127, 132, 135, 138, 143, 147–149, 153, 156, 159–161, 165, 167, 169–176, 180, 190, 192, 194, 195, 199, 203, 205, 214–218, 223, 226, 228, 230 Beweis  10, 26–28, 30, 32, 35, 37, 50, 70, 82, 102, 117, 122, 123, 128, 130, 131–135, 144–146, 150, 151, 154, 156–158, 175, 194, 195, 200, 202, 219, 220 Bewusstsein 8, 45, 48, 53, 84, 103, 110–112114, 115, 148, 151, 161, 175, 193 Christentum, christlich VIII, IX, 2, 8–12, 17, 18, 22, 24–26, 38, 44–45, 47–50, 52–55, 68, 69, 70, 78, 81–95, 100–102, 105, 110, 112–119, 121, 122, 124–126,

128, 130, 131, 134, 135, 137, 139, 140, 142–144, 150–152, 155–161, 166–169, 176–178, 180, 181, 184, 188–190, 202, 213, 215, 216–218, 220, 221, 223, 231 Christenheit 86, 87, 92–94, 155, 156, 160 Denken V, IX, X, 1–8, 13, 17–21, 27–29, 32, 40,–44, 49, 51, 54, 56, 61, 68, 73, 77, 79–86, 91, 95, 100, 102, 104, 106–110, 113–115, 117, 118, 123, 125, 130, 132, 135, 136, 142, 143, 146, 147, 149, 152, 153, 157, 159, 160, 162, 166, 167, 169–175, 179–188, 190–198, 201–213, 222, 223, 225, 226, 228, 232 Dialektik, dialektisch VII, IX, X, 1, 5, 6, 13, 18, 19–29, 41–47, 49, 51, 52, 61–67, 73, 79, 80, 94, 103, 107–109, 115, 123–125, 128, 132, 135, 143, 147, 148, 152, 158, 160, 161, 166, 168, 177, 179, 180, 183, 184, 186, 188, 191, 193–198, 202–206, 209, 228 Dogma  111, 133, 140 Dogmatik 4, 5, 56, 68, 69, 115, 159, 217, 219, 220 Egoismus 139, 159 Einzelne 29, 49, 50, 65, 72, 73, 90, 118, 135, 141, 147, 148, 157–159, 182, 184, 187 Endlichkeit 24, 25, 48, 66, 104, 105–109, 158, 191, 193, 194, 200, 201 Entscheidung 29, 63, 181, 201, 202 Erkenntnis 37, 44, 48, 51, 53, 110, 118, 153, 172, 174, 194, 196, 200, 201, 205, 217, 228 Eschatologie VII, VIII, 5, 10, 15, 17, 56, 100, 102, 115, 116, 126, 131, 137, 139, 211, 231 Ewiges, Ewigkeit IX, 51, 60, 104, 105–110, 113, 114, 122, 123, 126, 127, 133, 138, 143, 145, 148, 151, 153, 158, 159, 161, 197 Existenz 3, 6, 18, 22, 30, 35, 36, 41, 42, 55, 63, 65, 66, 91, 103, 111, 123, 132, 143, 145, 147, 154, 158, 159, 161, 165, 172, 181, 184, 186–188, 200, 204, 212, 223, 225 Existenzmöglichkeit X, 7, 44, 72, 91, 94, 140, 148, 180, 182

Sachregister  Fortexistenz, Fortleben, Fortdauer 10, 100, 103, 104, 105, 107, 111, 113, 114, 116, 117, 120, 122–126, 133, 159, 217, 218 Freidenker VIII, 82, 86, 88, 89, 91–94, 156, 224 Freiheit 40, 52, 72, 77, 105, 110, 112–114, 168, 185, 201, 205, 212, 226 Furcht VII, 2, 40, 41, 43, 61, 157, 158, 174, 175, 177, 212, 215 Gattung 118, 119, 139, 148 Gefühl 39, 40, 41, 45, 110, 112, 158, 172, 175 Geheimnis VII, 46–49, 90, 188, 190, 192, 196, 205 Geist IX, 9, 10, 37, 45, 64, 71, 104, 106–108, 148, 149, 159, 166, 169, 173, 185, 186, 191, 193, 195–197, 199, 200, 201, 204, 209, 216, 217, 219, 220, 228 Geschichte, Geschichtlichkeit VII, 1, 8, 12, 32, 41, 42, 49–55, 58, 67, 68, 88, 95, 112–114, 118, 120, 121, 124, 127, 130, 136, 137, 147, 156, 167, 171, 183, 185, 187, 194, 218, 220, 221, 223, 225 Gewissheit 29, 30, 103, 124, 132, 145, 146, 151, 153, 154, 157, 181 Glaube X, 5, 8, 9, 20, 26, 29, 33, 41–44, 50–53, 68, 85, 86, 92, 116, 126, 133, 157–159, 161, 165–190, 194, 202, 204–206, 210, 212, 223, 225, 228, 232 Gott X, 3, 6, 8, 9, 17, 18–22, 27, 28, 30, 35, 36–48, 53–56, 65–68, 72, 94, 101, 103, 104, 108–112, 118–129, 133, 147, 148, 158, 174, 175, 178, 182, 184, 190–207, 210, 219, 220, 222, 224, 226 Gottesbeweis 6, 18, 20, 27–30, 194, 195, 201 Individualität 57, 64, 70–72, 104, 106, 107, 109, 111–113, 118, 119, 122, 123, 127, 135, 139, 187 Inkarnation, Menschwerdung 5, 24, 188 Innerlichkeit 30, 45, 66, 146, 153, 154 Ironie 2, 13, 79, 123, 149, 150–153, 215, 230 Irrationalität X, 167, 169–189, 232 Leben 6, 10, 30, 32–34, 42, 43, 65, 66, 70, 71, 80, 91, 93, 100, 101, 102, 104, 105, 107, 110, 112, 113, 118, 119, 120, 124, 131, 132, 136, 137, 147, 151, 154, 157, 158, 169, 181, 187, 188, 209, 216, 218, 220, 225

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Leidenschaft VIII, 20, 45, 49, 51, 61–64, 137, 146, 154, 177, 180, 181, 204, 212 Metaphysik 3, 21, 24, 25, 50, 41, 99, 172, 186, 192, 193, 196, 217, 228 Mitteilung, indirekte 44, 46, 181, 202 Moral, Moralität 38, 41–43, 169, 174 Möglichkeit X, 6, 13, 17, 18, 28, 34, 38, 39, 47, 48, 51, 52, 55, 56, 59, 102, 113, 118, 124, 128, 134, 147, 148, 157, 158, 190, 191–193, 200, 201, 202, 205, 206 Möglichkeitsbedingung 6, 34–36, 48, 55, 103, 168, 200, 201 Negation VII, 27, 99, 107, 118, 194 Negativität 13, 19, 47, 49, 111, 149, 168, 171, 183, 186, 192, 203, 210, 224 Neuthomismus 190, 196 Nivellierung VIII, 63–67, 72, 222, 231 Notwendigkeit 25, 34, 37–40, 45, 50–52, 107, 114, 123, 185, 187, 196, 200, 201 Offenbarung VII, 5, 6, 31–56, 120, 167, 168, 183, 184, 186, 188, 198, 200, 205, 211, 219, 220, 223, 225, 230, 231 Pantheismus 110, 122, 220 Paradox, das Paradoxe IX, X, 18–21, 25, 42, 50–54, 68, 86, 92, 94, 142, 143, 149, 152–154, 160, 165, 168–170, 175–180, 184–186, 188, 204, 210, 223 Persönlichkeit 9, 103, 104, 106, 109, 120, 123, 124, 126, 127, 121, 135, 172, 217, 218, 220 Philosophie V, VI, VIII–X, 1, 3–5, 8–13, 18, 19, 22, 27, 34, 41, 47, 53, 54, 56, 68, 70, 71, 73, 77, 78, 80–89, 99, 100, 103–139, 157, 159, 165, 170, 173, 175, 176, 178, 181, 183, 185–187, 190, 191–213, 216–231 Postulat 34–36, 103, 107, 115, 124, 195 Psychologie, rationale 12, 103, 108, 166, 169, 183, 185–187, 209, 210, 225, 228 Rationalismus VII, 22–25, 54, 132, 173, 187, 212 Realität 107, 133, 135, 194 Redlichkeit 183 Reflexion VII–IX, 13, 25, 32, 36, 43, 51, 53, 57, 61–73, 88–90, 94, 115, 129, 131, 142, 144, 154, 155, 157, 184, 191, 193, 222, 231 Religion, religiöse VIII, IX, 3, 5, 7–11, 17, 23, 27, 33–38, 40–43, 49, 52–54, 60,

238 

 Sachregister

63–68, 72, 73, 77–81, 84, 85, 90–92, 95, 100, 101, 103, 104–121, 125, 130, 132–134, 138, 139, 147, 159, 161, 166, 172, 174–176, 184, 185, 190–192, 195, 199, 201, 209, 210, 217–220, 222–225, 227, 229, 230, 232 Religionsphilosophie VII, X, 5, 12, 15, 17, 26, 27, 32, 34, 36, 38, 40, 54, 77,81, 82, 84, 85, 90, 91, 93–95, 103, 113, 115, 118, 124, 126, 140, 159, 163, 174, 191, 195, 197, 201, 217, 218, 222–226, 228, 230–232 Scheintod 118 Schwebe 109, 149, 188, 211 Seele 9–11, 21, 28, 69, 99–134, 137, 143, 144, 146–159, 173, 184, 218–220, 222, 227 Seelenwanderung 99, 111 Selbst 107, 122, 127, 147, 148, 150, 151, 201 Selbstbewusstsein 41, 112, 114, 175, 181, 191 Sprung 28, 49, 50, 63, 66, 146, 147, 181, 184 Schweigen 1, 114 Subjekt, Subjektivität VII, IX, 31, 40, 48, 53, 55, 67, 68, 110–112, 115, 132, 143–147, 150, 153, 154, 161, 162, 186, 192, 194, 195, 197, 213, 222–224, 231 Supranaturalismus VII, 22–26, 54, 206, 212 Sünde 22, 44, 45, 48, 53, 150, 203 System  IX, 5, 8–10, 13, 21, 24, 27, 48, 61, 100, 102, 104, 106, 109, 113–116, 119, 121, 122, 125–145, 161, 171, 193, 194, 197, 209, 212, 218, 219, 221 Theologie V, VII, X, 1–5, 9, 11–13, 17–19, 22–30, 33–35, 43, 47, 48, 68, 82, 84–86, 90, 103, 116, 121, 126, 160, 174, 176, 183, 190–206, 210–212, 217, 221–223, 225, 227, 228, 230–232 Tod 2, 8–10, 28, 70, 77, 80, 85, 99, 101, 104–107, 111, 114–120, 122–131, 138, 139, 143, 145, 146, 148–150, 152, 153, 159, 162, 182, 215, 222, 224, 228 Transzendenz 3, 19, 25, 26, 44, 48, 49, 53, 54, 180, 181, 184–186, 188, 191, 200, 201, 204, 206, 223 Transzendentalphilosophie 13, 136, 172, 196 Unbekannte X, 19–21, 47, 54, 80, 191, 199–203, 205, 223, 231

Unendlichkeit, Unendliches 35, 42, 48, 66, 68, 70, 72, 104, 106, 107, 113, 115, 118, 125, 131, 132, 138, 146, 154, 158, 175, 200, 201 Unmittelbarkeit 41, 62, 105, 111, 115, 132, 158, 175, 177, 228 Unsterblichkeit VIII, IX, 7–11, 28, 29, 35, 77, 97, 99–162, 206, 217–224, 227, 231 Unsterblichkeitsbewusstsein 111, 115, 116, 148 Unsterblichkeitsdebatte V, VIII, 6, 29, 75, 77, 109, 117, 120, 136, 138, 139, 152, 231 Überzeugung 7, 27–29, 34, 116, 121, 135, 145, 146, 156, 157, 180, 212 Vermittlung 5, 22–26, 33, 54, 66, 81, 115, 148, 151, 152, 176, 178, 184, 185, 192, 195, 204, 206, 209, 210, 212 Verschiedenheit, das Verschiedene 21, 22, 25, 31, 47, 78, 109, 113, 146, 176, 197, 202, 203, 205, 209 Vernunft VII, X, 18, 20, 21, 25, 31, 34–40, 45, 47, 49–51, 53, 54, 103, 105, 115, 118, 120, 146, 165, 167–169, 171, 172, 174–179, 184, 186–188, 193–196, 204, 214, 217, 220, 223, 225, 231 Versöhnung 20, 22, 131, 206, 218 Verstand 20–22, 28, 30, 47, 50, 51, 54, 92, 151, 161, 168, 169, 171, 172, 176, 177, 179, 180, 193, 194, 196, 203, 204 Verzweiflung 152, 209 Vorstellung IX, 7–9, 38, 84, 99, 105, 109–115, 119, 134, 138, 139, 176, 229 Wahl 66, 169, 190, 202, 226 Wahrheit 8, 9, 25, 37, 44, 46, 47, 49–51, 54, 56, 68, 70, 107–110, 113, 115, 116, 122, 146, 154, 161, 166, 171, 175, 176, 178, 184, 188, 194, 201, 222, 225, 231 Werden 51, 52, 118, 143, 152, 154, 175, 185 Wesen VIII, 3, 4, 7, 18, 21, 22, 35–39, 41, 43, 51–54, 65, 72, 81, 83–85, 88–91, 95, 103, 105, 108, 113, 114, 118, 119, 125, 149–151, 173, 182, 189, 191, 200, 216, 218, 224 Widerspruch X, 10, 36, 51, 66, 82, 107, 110, 116, 121, 150, 160, 168–170, 174, 176, 179, 180, 184, 197, 211

Sachregister  Wiederholung 195, 216 Wirklichkeit 28, 39, 51, 52, 55, 62, 65, 66, 77, 113, 116, 134, 135, 143, 147, 157, 168, 172, 181, 184, 185, 188, 197, 201, 204, 226 Wissen  6, 19–21, 27, 30, 33, 46–52, 55, 68, 85, 92, 105, 109,110, 113, 132, 143, 172,

 239

175, 180, 184–186, 188, 191, 193–196, 201, 203, 205, 206, 220, 223 Zeitdiagnose VIII, 6, 56, 57, 60, 64, 68, 70–72, 133 Zeitlichkeit 114, 118 Zweifel 21, 27, 28, 146, 165, 171, 181, 202