Gefühlsarbeit im Polizeidienst: Wie Polizeibedienstete die emotionalen Anforderungen ihres Berufs bewältigen [1. Aufl.] 9783839419786

Gefühlsarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitsleistung von Polizeibediensteten. Sie ist erforderlich, um den

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Gefühlsarbeit im Polizeidienst: Wie Polizeibedienstete die emotionalen Anforderungen ihres Berufs bewältigen [1. Aufl.]
 9783839419786

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
I. EINLEITUNG: GEFÜHLE IM POLIZEIDIENST
1. Im Fokus: Die Polizei
2. Der Polizeibedienstete als Projektionsfläche latenter Widersprüchlichkeiten
3. Gefühle im Polizeidienst – Annäherung an einen vernachlässigten Aspekt polizeilicher Arbeit
4. Gefühlsarbeit als Element von Polizeiarbeit – zu den Zielen der Untersuchung
5. Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
II. THEORETISCHER RAHMEN: EIN MODELL DER BEDINGUNGEN POLIZEILICHER GEFÜHLSARBEIT IM SPANNUNGSFELD DIVERGIERENDER ARBEITSANFORDERUNGEN
1. Polizeiarbeit im Spannungsfeld divergierender Anforderungen
1.1 Die Polizei: Allgemeine Beschreibung ihrer internen Organisation, Aufgaben und Bereiche
1.2 Felder emotionaler Belastungen in der polizeilichen Arbeit
1.3 Bedingungen polizeilicher Arbeit
1.4 Gefühle und Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen
2. Das Konzept der Gefühlsarbeit
2.1 Definition von Emotion
2.2 Soziologie der Emotionen – der interaktionistische Ansatz
3. Konsequenzen aus den theoretischen Vorüberlegungen für den zu untersuchenden Gegenstand
3.1 Ein Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen
3.2 Ziele und Fragestellungen der Untersuchung
III. DIE EMOTIONALE DIMENSION POLIZEILICHER ARBEIT: STAND DER FORSCHUNG
1. Facetten des Einsatzes von Emotionen in der Polizeiarbeit
1.1 Gefühle als Arbeitsgegenstand
1.2 Gefühle als Arbeitsmittel
1.3 Gefühle als Bedingung
2. Emotionale Belastungen im Polizeidienst
2.1 Ursachen von Belastungen in der Polizeiarbeit
2.2 Die Bewältigung emotionaler Belastungen
2.3 Belastungsfolgen
2.4 Zusammenfassende Betrachtung und Schlussfolgerungen
IV. ANLAGE UND DURCHFÜHRUNG DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
1. Erhebung: Design und Durchführung
1.1 Beschreibung des Untersuchungsfeldes
1.2 Zugang zum Untersuchungsfeld und Auswahl des Samples
1.3 Struktur des Samples
1.4 Primäre Erhebungsmethode: Interviews als zentrale Datenart
1.5 Sekundäre Erhebungsmethoden
2. Auswertung: Methodologie und Verfahren
2.1 Methodologie
2.2 Schritte zur Rekonstruktion der Gefühlsarbeitspraktiken der Polizeibediensteten
2.3 Bildung der Typologie
V. EMPIRISCHE ERGEBNISSE: TYPEN DES UMGANGS MIT SITUATIVEN GEFÜHLSANFORDERUNGEN
1. Einleitend: Zur Darstellung der empirischen Ergebnisse
2. Typen des Umgangs mit situativen Gefühlsanforderungen und genutzte Gefühlsarbeitspraktiken
2.1 Verlagerer
2.2 Abwehrer
2.3 Oszillierer
2.4 Stoiker
2.5 Diffus Reagierende
3. Typologie situativer Gefühlsanforderungen
3.1 Das bürokratische Trilemma
3.2 Zwischen Macht und Ohnmacht: Das Erleben von extremen Belastungen
3.3 Polizeiarbeit als interaktive Arbeit
3.4 Zusammenfassung
4. Ursachen für Unterschiede im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen
4.1 Strukturelle Rahmenbedingungen
4.2 Familien- und genderbezogene Kontextbedingungen
4.3 Individuelle Dispositionen
4.4 Zusammenfassende Betrachtung der moderierenden Faktoren
VI. FOLGERUNGEN
1. Folgerungen für das Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen
2. Polizei- und verwaltungswissenschaftliche sowie emotionssoziologische Folgerungen
2.1 Folgerungen für die Polizeiforschung
2.2 Folgerungen für die allgemeine Verwaltungsforschung
2.3 Folgerungen für die Emotionssoziologie: Erkenntnisse zum Konzept der Gefühlsarbeit
3. Anschlussmöglichkeiten für weitere Untersuchungen
4. Praxisbezogene Folgerungen
VII. AUSBLICK: DIE ZUNEHMEND PREKÄRE SELBSTZUSTÄNDIGKEIT DES POLIZEIPERSONALS IM UMGANG MIT EMOTIONALEN ARBEITSANFORDERUNGEN
1. Die Wichtigkeit polizeilicher Gefühlsarbeit
2. Die zunehmende Schwierigkeit bei der individuellen Bewältigung polizeilicher Aufgaben
VIII. LITERATUR

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Peggy Szymenderski Gefühlsarbeit im Polizeidienst

Gesellschaft der Unterschiede | Band 5

In liebevoller Erinnerung an meine Großeltern Margaretha und Walter Arnold sowie Edith und Herbert Szymenderski

Peggy Szymenderski (Dr. phil.) arbeitete und promovierte an der Technischen Universität Chemnitz mit den Schwerpunkten alltägliche Lebensführung, Gefühlsarbeit und Polizei. Derzeit ist sie Projektleiterin im Frauenstadtarchiv Dresden.

Peggy Szymenderski

Gefühlsarbeit im Polizeidienst Wie Polizeibedienstete die emotionalen Anforderungen ihres Berufs bewältigen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Peggy Szymenderski Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1978-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 11

I.

E INLEITUNG: GEFÜHLE IM P OLIZEIDIENST

| 13

1. Im Fokus: Die Polizei | 13 2. Der Polizeibedienstete als Projektionsfläche latenter Widersprüchlichkeiten | 15 3. Gefühle im Polizeidienst – Annäherung an einen vernachlässigten Aspekt polizeilicher Arbeit | 18 4. Gefühlsarbeit als Element von Polizeiarbeit – zu den Zielen der Untersuchung | 20 5. Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit | 21

II.

T HEORETISCHER RAHMEN: E IN MODELL DER BEDINGUNGEN POLIZEILICHER G EFÜHLSARBEIT IM SPANNUNGSFELD DIVERGIERENDER ARBEITSANFORDERUNGEN | 23

1. Polizeiarbeit im Spannungsfeld divergierender Anforderungen | 24

1.1 Die Polizei: Allgemeine Beschreibung ihrer internen Organisation, Aufgaben und Bereiche | 25 1.2 Felder emotionaler Belastungen in der polizeilichen Arbeit | 35 1.3 Bedingungen polizeilicher Arbeit | 48 1.4 Gefühle und Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen | 55 2. Das Konzept der Gefühlsarbeit | 57 2.1 Definition von Emotion | 57 2.2 Soziologie der Emotionen – der interaktionistische Ansatz | 60 3. Konsequenzen aus den theoretischen Vorüberlegungen für den zu untersuchenden Gegenstand | 78

3.1 Ein Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen | 78 3.2 Ziele und Fragestellungen der Untersuchung | 81

III.

DIE EMOTIONALE DIMENSION POLIZEILICHER ARBEIT: STAND DER F ORSCHUNG | 85

1. Facetten des Einsatzes von Emotionen in der Polizeiarbeit | 86

1.1 Gefühle als Arbeitsgegenstand | 86 1.2 Gefühle als Arbeitsmittel | 91 1.3 Gefühle als Bedingung | 94 2. Emotionale Belastungen im Polizeidienst | 95

2.1 Ursachen von Belastungen in der Polizeiarbeit | 96 2.2 Die Bewältigung emotionaler Belastungen | 105 2.3 Belastungsfolgen | 127 2.4 Zusammenfassende Betrachtung und Schlussfolgerungen | 133

IV.

ANLAGE UND DURCHFÜHRUNG DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG | 137

1. Erhebung: Design und Durchführung | 138

1.1 Beschreibung des Untersuchungsfeldes | 138 1.2 Zugang zum Untersuchungsfeld und Auswahl des Samples | 149 1.3 Struktur des Samples | 152 1.4 Primäre Erhebungsmethode: Interviews als zentrale Datenart | 157 1.5 Sekundäre Erhebungsmethoden | 161 2. Auswertung: Methodologie und Verfahren | 163 2.1 Methodologie | 163 2.2 Schritte zur Rekonstruktion der Gefühlsarbeitspraktiken der Polizeibediensteten | 164 2.3 Bildung der Typologie | 168

V.

EMPIRISCHE E RGEBNISSE: TYPEN DES UMGANGS MIT SITUATIVEN G EFÜHLSANFORDERUNGEN | 171

1. Einleitend: Zur Darstellung der empirischen Ergebnisse | 171 2. Typen des Umgangs mit situativen Gefühlsanforderungen und genutzte Gefühlsarbeitspraktiken | 173

2.1 Verlagerer | 173 2.2 Abwehrer | 210 2.3 Oszillierer | 251 2.4 Stoiker | 285 2.5 Diffus Reagierende | 321

3. Typologie situativer Gefühlsanforderungen | 347

3.1 Das bürokratische Trilemma | 348 3.2 Zwischen Macht und Ohnmacht: Das Erleben von extremen Belastungen | 353 3.3 Polizeiarbeit als interaktive Arbeit | 354 3.4 Zusammenfassung | 356 4. Ursachen für Unterschiede im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen | 357

4.1 Strukturelle Rahmenbedingungen | 358 4.2 Familien- und genderbezogene Kontextbedingungen | 362 4.3 Individuelle Dispositionen | 366 4.4 Zusammenfassende Betrachtung der moderierenden Faktoren | 374

VI.

F OLGERUNGEN

| 377

1. Folgerungen für das Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen | 377 2. Polizei- und verwaltungswissenschaftliche sowie emotionssoziologische Folgerungen | 383

2.1 Folgerungen für die Polizeiforschung | 383 2.2 Folgerungen für die allgemeine Verwaltungsforschung | 387 2.3 Folgerungen für die Emotionssoziologie: Erkenntnisse zum Konzept der Gefühlsarbeit | 389 3. Anschlussmöglichkeiten für weitere Untersuchungen | 405 4. Praxisbezogene Folgerungen | 407

VII. AUSBLICK: DIE ZUNEHMEND PREKÄRE SELBSTZUSTÄNDIGKEIT DES P OLIZEIPERSONALS IM UMGANG MIT EMOTIONALEN ARBEITSANFORDERUNGEN | 417 1. Die Wichtigkeit polizeilicher Gefühlsarbeit | 418 2. Die zunehmende Schwierigkeit bei der individuellen Bewältigung polizeilicher Aufgaben | 420

VIII. LITERATUR

| 425

ÜBERSICHT ZU DEN ABBILDUNGEN Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:

Abbildung 7: Abbildung 8:

Abbildung 9:

Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung

10: 11: 12: 13: 14: 15: 16:

Abbildung 17:

Gliederungsübersicht der Polizei eines ostdeutschen Bundeslandes | 28 Polizeiarbeit als bürokratisches Trilemma | 41 Polizeiliche Belastungsfelder als situative Gefühlsanforderungen | 47 Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen | 79 Organigramm der untersuchten Polizeidirektion | 140 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen von 2006 bis 2010 im Polizeivollzugsdienst (PVD) und Verwaltungsdienst (VwD) in der untersuchten PD | 142 Altersstruktur der Beschäftigten der untersuchten PD insgesamt im Jahr 2010 | 144 Altersstruktur der Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst der untersuchten PD im Jahr 2010 | 144 Entwicklung des Krankenstandes der Beschäftigten im Polizeivollzugsdienst nach Geschlecht in der untersuchten PD von 2002 bis 2010 | 149 Befragte nach Laufbahngruppe | 153 Die Altersstruktur der Befragten | 154 Die Lebensform der Befragten | 155 Die Arbeitszeitform der Befragten | 157 Thematische Felder des Interviewleitfadens | 159 Konstruktionsmerkmale bei der Typenbildung | 169 Modell der Bedingungen und Praktiken polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen | 378 Zeitlichkeit von Gefühlsarbeit | 401

ÜBERSICHT ZU DEN T ABELLEN Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3:

Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

4: 5: 6: 7:

Beschäftigte nach Tätigkeitsbereichen in der untersuchten PD im Jahr 2010 | 141 Polizeibedienstete nach Tätigkeitsbereich sowie Frauenanteil in der untersuchten PD im Jahr 2010 | 145 Vollzeitbeschäftigte Beamtinnen und Beamte nach Laufbahngruppe, Funktion und Geschlecht in der untersuchten PD im Jahr 2010 | 146 Befragte nach Tätigkeitsbereichen | 152 Alter des jüngsten Kindes der Befragten mit Kindern | 156 Mechanismen und Formen von Gefühlsarbeit | 396 Timing der Gefühlsbearbeitung bei unterschiedlichen Mechanismen | 399

V ERWENDETE ABKÜRZUNGEN GdP PD PVD VwD KPI VPI IPZD PM/-in POM/-in PHM/-in PK/-in POK/-in PHK/-in EPHK POR KOR KK/-in KHK/-in

Gewerkschaft der Polizei Polizeidirektion Polizeivollzugsdienst Verwaltungsdienst Kriminalpolizeiinspektion Verkehrspolizeiinspektion Inspektion Prävention/Zentrale Dienste Polizeimeister, Polizeimeisterin Polizeiobermeister, Polizeiobermeisterin Polizeihauptmeister, Polizeihauptmeisterin Polizeikommissar, Polizeikommissarin Polizeioberkommissar, Polizeioberkommissarin Polizeihauptkommissar, Polizeihauptkommissarin Erster Polizeihauptkommissar Polizeioberrat Kriminaloberrat Kriminalkommissar, Kriminalkommissarin Kriminalhauptkommissar, Kriminalhauptkommissarin

Vorwort

Mein gesamtes Leben bin ich bereits in unterschiedlicher Weise mit der Arbeit von Polizistinnen und Polizisten in Berührung gekommen. Dabei spielt die enge Verbundenheit meiner Familie mit der Polizei eine besonders große Rolle. Auch meine Eltern arbeiten schon immer in diesem Beruf. Ich weiß aus eigener Erfahrung und aus vielen Gesprächen, was es für Polizistinnen und Polizisten und ihre Familien bedeutet, von innerpolizeilichen Umstrukturierungen betroffen zu sein, aber nicht zu wissen, in welcher Weise, polizeiinterne Konflikte beilegen zu müssen, vom sonntäglichen Mittagstisch weg zu einem Leichenfundort gerufen zu werden oder der Ehefrau eines Kollegen die Nachricht vom Tod ihres Ehemannes überbringen zu müssen. All das geht nicht spurlos an den Polizeibediensteten vorbei. Ihr Gefühlsleben ist dadurch stark beansprucht. Zur Untersuchung dieser Berufsgruppe hat mich jedoch erst mein Doktorvater Prof. Dr. G. Günter Voß animiert. Er sah die fruchtbare Verbindung zwischen der facettenreichen Arbeit der Polizei und meinem Vorhaben, der Bedeutung von Emotionen und Gefühlsarbeit im Alltag von Menschen genauer auf die Spur zu gehen. Ich danke Günter Voß sehr, dass er mich motiviert hat, meinen Forschungsfragen in diesem empirischen Feld nachzugehen. Die Arbeit von Polizistinnen und Polizisten ist überaus spannend und hat zahlreiche Erkenntnisse zur Bedeutung von Gefühlsarbeit in bürokratischen Organisationen erbracht. Dabei war ich selbst manchmal sehr betroffen von den dienstlichen Erlebnissen, die mir meine Gesprächspartnerinnen und -partner schilderten. Darüber hinaus danke ich Günter Voß, dass er mir als Diskurspartner immer hilfreich zur Seite stand. Er hat mir die nötigen Freiräume zur Konzeption meiner Untersuchung gegeben und mich mit seinen konstruktiven Anmerkungen und Kommentaren bis zum Abschluss meiner Forschungsarbeit begleitet. Prof. Dr. Kerstin Jürgens danke ich sehr, dass sie die Erstellung des Zweitgutachtens übernommen hat. Durch das Graduiertenstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung war es mir finanziell überhaupt erst möglich, die Erstellung meiner Dissertation konzentriert

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durchzuziehen. Das vielseitige Angebot der ideellen Förderung war eine große persönliche Bereicherung. Ich möchte ganz besonders meinen Kolleginnen und Kollegen der Professur Industrie- und Techniksoziologie der TU Chemnitz für die spannenden Diskussionen und hilfreichen Anmerkungen danken, allen voran Dr. Frank Kleemann und Christian Papsdorf, die mir stets als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Besonders wichtig waren für mich die Gespräche mit meiner Kollegin und Mitstipendiatin Nicole Klinkhammer. Mir ihr konnte ich mich über Probleme, Erfahrungen und Gefühle beim Dissertieren austauschen. Es war gut zu wissen, die mit einer Doktorarbeit verbundenen Krisen und Unsicherheiten nicht allein durchleben zu müssen. Ich bedanke mich ganz besonders bei meinen Interviewpartnerinnen und -partnern. Ohne ihre Gesprächsbereitschaft wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ich danke allen Polizistinnen und Polizisten, die mich bei der Suche nach Gesprächspartnern unterstützt haben, mir als Expertinnen und Experten für Gespräche zur Verfügung standen und mir die Möglichkeit boten, die für mich so wichtigen Einblicke in die polizeiliche Arbeit gewinnen zu können. Nicht zuletzt möchte ich meiner Familie und meinen Freunden danken, die mich in unterschiedlicher Weise in dieser Zeit begleitet und unterstützt haben. Daniel Glauche danke ich sehr, dass er immer für mich da war, so manche Träne getrocknet und mich immer wieder daran erinnert hat, dass es ein Leben neben der wissenschaftlichen Arbeit und dem Ehrenamt gibt. Unser Hund Ramses hat diese wohltuenden Auszeiten auch ohne Worte stets von mir eingefordert. Meine, ebenso wie unser Hund, leider zwischenzeitlich verstorbenen Großeltern haben immer ein großes Interesse an meiner wissenschaftlichen Arbeit gezeigt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Ergaben sich polizeispezifische Fragen, hatte mein Vater stets ein offenes Ohr. Ich danke meinen Eltern von ganzem Herzen für die finanzielle Unterstützung bei der Veröffentlichung meiner Dissertation.

Chemnitz, im November 2011 Peggy Szymenderski

I.

Einleitung: Gefühle im Polizeidienst

1. I M F OKUS : D IE P OLIZEI Konkrete Vorstellungen von der Polizei und ihrer Arbeit hat nahezu jeder.1 Diese resultieren aus persönlichen Kontakten, die meist einen sehr nachhaltigen Einfluss auf das eigene Bild über die Polizei haben. Das Verhalten eines Polizeibediensteten in einer konkreten Situation bestimmt wesentlich die Einstellung zur Polizei als Organisation. Routinekontakte, die vor allem von den Polizeibediensteten als solche wahrgenommen werden, weil für sie Einbrüche, Verkehrsunfälle oder Diebstähle zum beruflichen Alltag gehören, sind für die Außenwahrnehmung der Polizei von erheblicher Bedeutung. Je routinisierter und je weniger emotional Polizistinnen und Polizisten in den Einsatzsituationen reagieren, so die Argumentation von Hermanutz und Spöcker (2009), desto positiver läuft der Kontakt und ist das Bild, was sie damit in der öffentlichen Wahrnehmung herstellen.

1 Hinweis zur Verwendung des grammatischen Geschlechts: Die Autorin war bemüht, entweder Doppelformen zu nutzen oder durch Neutralisierungen jegliche Hinweise auf das Geschlecht zu entfernen. Die Autorin vertraut auf die Kompetenz und das Wohlwollen der Leserinnen und Leser, entsprechende Mängel zu übersehen bzw. selbst zu beheben. Es wird darauf verzichtet, generische Begriffe, wie die Bezeichnung der Typen des Umgangs mit situativen Gefühlsanforderungen, zu gendern, da sie durch Abstraktion gemeinsamer Merkmale und Eigenschaften von unterschiedlichen Erfahrungen und Handlungen durch Fokussierung auf deren Gemeinsamkeiten entstanden sind und für etwas Gegenständliches bzw. konkret sinnlich Erfahrbares stehen. Männliche und weibliche Formen kommen immer dann vor, wenn es explizit um Männer oder Frauen geht. Es wird auf die Verwendung einer Generalklausel, wonach meist aus Gründen der Lesbarkeit zu Beginn eines Textes darauf hingewiesen wird, dass nachfolgend nur die männliche (oder weibliche) Form der Bezeichnung gewählt wird, verzichtet, weil es nicht geschlechtergerecht ist, das jeweils andere Geschlecht immer „mitzumeinen“. Zudem wird damit die Lesekompetenzen der Rezipientinnen und Rezipienten unterschätzt.

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IM

P OLIZEIDIENST

Nach Linssen und Pfeiffer (2009) wird das Bild von der Polizei auch dadurch geprägt, dass man sie im Alltag einfach wahrnimmt, auch ohne in persönlichen Kontakt zu kommen. Man sieht Polizeibedienstete im Streifenwagen im McDrive FastFood-Tüten entgegennehmen (ebd.) oder beobachtet den Bürgerpolizisten bei der Begehung eines Wohnquartiers mit Anwohnerinnen und Anwohnern sowie Vertretern anderer Behörden. Dies formt ebenso den Eindruck von der Polizei in der Öffentlichkeit. Zudem bieten die Massenmedien eine Vielzahl von Berichten und fiktiven Beiträgen, in denen Bilder von der Polizei verbreitet werden. Das reicht vom Abdrucken der polizeilichen Pressemitteilung in der Tageszeitung bis hin zu regelmäßigen und abendfüllenden Fernsehformaten. Dabei werden teilweise bewusst, aber auch unbewusst, Bilder von der polizeilichen Arbeit produziert, die die Wahrnehmung von und die öffentliche Haltung gegenüber der Polizei nachhaltig beeinflussen (vgl. ebd.). Vor allem in Fernsehserien und Filmen ist die Arbeit der Polizei ein beliebtes Thema und wird durch ganz unterschiedliche Fernsehformate aufgegriffen und verbildlicht. Es gibt Krimiserien („Tatort“), Polizeiserien („Großstadtrevier“), Spionage- und Agentenserien („Ein Fall für Zwei“), Detektivserien („Mord ist ihr Hobby“), Gerichtsserien („L.A. Law“) und -shows („Richterin Barbara Salesch“) sowie Dokusoaps („Toto und Harry“). Innerhalb dieser Formate werden ganz unterschiedliche Bereiche polizeilicher Arbeit in den Mittelpunkt gerückt – Wasserschutzpolizei („Küstenwache“), Autobahnpolizei („Alarm für Cobra 11), Mordkommission („Der Alte“) oder die Arbeit in Polizeirevieren („Die Rosenheim Cops“). Die Darstellung der ermittelnden Polizeibediensteten und Kommissare ist dabei sehr facettenreich – von kühl und humorlos (z.B. die „Tatort“-Kommissarin Charlotte Lindholm) über übertrieben männlich und draufgängerisch („Schimanski“), neurotisch („Mr. Monk“) bis schusselig und naiv („Columbo“). Über Film- und Serienformate hinaus ist die Arbeit der Polizei oft auch Thema in Nachrichtensendungen sowie in Tages- und Wochenzeitungen. Bei großen Einsatzlagen, wie bspw. bei der Suche nach vermissten Kindern, Geißelnahmen oder Großdemonstrationen, verrichten die Polizeibediensteten ihre Arbeit ganz besonders unter dem stets wachsamen Auge der Öffentlichkeit und Medien. Oftmals geraten sie dabei unter Kritik. So musste sich die Polizei nach ihrem Einsatz beim G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm und bei ihrem Einsatz bei der Räumung des Schlossgartens für das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ 2010 den Vorwurf gefallen lassen, gegen Bürgerrechte verstoßen zu haben und mit überzogener Härte und entwürdigenden Methoden gegen die G8- bzw. „Stuttgart 21“-Gegner vorgegangen zu sein. Ebenso entzündete der Fall Jakob von Metzler eine angeheizte Debatte zu den

E INLEITUNG | 15

Verhörmethoden in der Polizei zur Rettung von Menschenleben.2 In der Hoffnung, den entführten Jungen noch lebend zu finden, hatte ein leitender Polizeibeamter dem mittlerweile verurteilten Mörder Magnus Gäfgen im Verhör mit Gewalt und Schmerzen drohen lassen, um den Aufenthaltsort des Jungen zu erfahren. Kritik wird hauptsächlich dann laut, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe wie das Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft zur Legitimation polizeilichen Handelns verwendet werden. Schließlich gestaltet die Polizei selbst gezielt ihr Bild für die öffentliche Wahrnehmung. Linssen (2009) hebt dabei bspw. die Uniform als einen entscheidenden Wirkungsfaktor hervor. Die neue blaue Uniform fällt durch die gedecktere Farbgebung weniger auf und soll Interaktionen mit den Bürgerinnen und Bürgern erleichtern. Aber auch die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei hat eine hohe Bedeutung. Durch sie wird die Bevölkerung über die Arbeit der Polizei informiert und die Polizei nutzt die lokale Presse gezielt als Instrument zur Außen- und Selbstdarstellung. Polizeiliche Arbeit wird dadurch transparent und verständlich. Durch polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit soll die Öffentlichkeit Akzeptanz und Vertrauen in die Arbeit der Polizei erhalten (vgl. Karpf 2002, Linssen 2009).

2. D ER P OLIZEIBEDIENSTETE ALS P ROJEKTIONSFLÄCHE LATENTER W IDERSPRÜCHLICHKEITEN In der individuellen Wahrnehmung, im persönlichen Kontakt, von und in den Medien werden ganz unterschiedliche Vorstellungen und Bilder von Polizeibediensteten und ihrer Arbeit erzeugt. In Film und Fernsehen geht es meist um einen möglichst hohen Unterhaltungsfaktor. Seeßlen (1999) beschreibt, dass der Polizeibedienstete als in sich widersprüchliche Figur dargestellt wird, in der sich Eigenschaften wie Anmaßung, Autorität und Hilflosigkeit miteinander vereinen. Er muss zwischen der Abstraktion des Staates und dem Lebenswillen des Einzelnen vermitteln und ist Empfänger widersprüchlicher Impulse. Die Polizei muss die Allgemeinheit gegen einen „Feind“ verteidigen, der von der Gesellschaft selbst hervorgebracht wird. Zu den Ursachen und Umständen von Kriminalität und abweichendem Verhalten darf sich ein Polizeibediensteter jedoch nicht äußern. Er muss die Impulse der Hilfe mit den Impulsen der potenziellen Gewaltanwendung im Gleichgewicht halten (vgl. ebd.).

2 Vgl. dazu Focus-Online vom 01.03.2003:http://www.focus.de/politik/deutschland/debatteueber-folter-nachdenken_aid_194696.html (letzter Zugriff: 21.01.2010)

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IM

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Im Rahmen der Inszenierung von Männlichkeit begegnen die Polizeibediensteten ihrer widersprüchlichen Existenz meist mit Coolness und Abgebrühtheit, was den Eindruck hinterlässt, dass den dargestellten Polizistinnen und Polizisten die Belastungen des Berufs wenig ausmachen. Die Schattenseiten dieser Arbeit werden nur selten thematisiert. Das resultiert aus der Tatsache, dass Produzenten von Kriminalfilmen und Polizeiserien nicht immer eine totale Realitätsnähe anstreben. Auch wenn den Konsumentinnen und Konsumenten dieser Fernsehformate klar ist, dass die fiktiven Geschichten wenig mit der polizeilichen Alltagspraxis zu tun haben, wirken diese dennoch wieder auf die Polizei zurück, weil die damit verbundenen Bilder in den realen Interaktionssituationen auf die Polizistinnen und Polizisten projiziert werden, so Kersten (2009). In Nachrichtensendungen und Tageszeitungen nimmt man die Polizei vor allem dann wahr, wenn ihr Vorgehen bspw. bei Großdemonstrationen als problemtisch bewertet wird. Der Polizei als staatliches Gewaltmonopol wird häufig vorgeworfen, manchmal zu nachlässig, meist aber zu hart vorgegangen zu sein. Die Berichterstattungen über die Polizei kreisen primär um dieses Spannungsfeld – dann, wenn die agierenden Polizeibediensteten nicht das entsprechende Maß zwischen beiden Polen der Durchsetzung von Interessen gefunden haben. Polizeibedienstete werden zum Teil auch persönlich für die gesellschaftlichen Missstände und Probleme verantwortlich gemacht (Hermanutz/Spöcker 2009). In diesem Zusammenhang wird von Seiten der Polizei fehlender Rückhalt in der Politik bemängelt. Die Polizeibediensteten müssen zunehmend mit ungelösten politischen Problemen umgehen, was beim in der konkreten Einsatzsituation handelnden Einsatzbeamten zu Überforderungsgefühlen führen kann. „Die Politik trifft Entscheidungen, ohne an die Folgen zu denken“, so der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Konrad Freiberg in einer im Oktober 2010 veröffentlichten Pressemitteilung.3 Damit stehen sich Polizei und Öffentlichkeit spannungsgeladen gegenüber, ohne dass in der Öffentlichkeit thematisiert wird, wie dieser Konfliktbereich von den handelnden Polizistinnen und Polizisten erlebt und bewältigt wird. Hermanutz und Spöcker (2009) bemerken, dass bei aller Notwendigkeit, polizeiliches Handeln zu kontrollieren und Polizeieinsätze kritisch zu beleuchten, durch die öffentlichen Berichterstattungen keine Solidarität bei den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber der Polizei erzeugt wird. Polizeibedienstete müssen im persönlichen Kontakt mit der Bevölkerung vor diesem Hintergrund mit vielen Antipathien und Vorurteilen fertig werden. Gleichzeitig müssen sie ihre Arbeit serviceorientiert verrichten. Um diesen Spagat hinzubekommen, ist vor allem die kommunikative Kompetenz der Polizistinnen und Polizisten entscheidend (vgl. ebd.). Sie ist wichtig 3 Siehe dazu: http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/p101002?open&Highlight=stuttgart%2021 (letzter Zugriff: 31.12.2010).

E INLEITUNG | 17

für den Eindruck, den ein Polizeibediensteter stellvertretend für die gesamte Behörde in der Interaktionssituation mit Bürgerinnen und Bürgern hinterlässt. Allerdings variiert je nach Situation die Wahrnehmung der Polizei – je nachdem, ob der Beamte eher kontrollierend (bspw. bei der Überwachung des fließenden Verkehrs) oder eher helfend bzw. sorgend (bspw. bei der Aufnahme einer Anzeige) wirksam wird. Diese Zwiespältigkeit in der Wahrnehmung der Polizei kann von den Polizeibediensteten als belastend empfunden werden (ebd.). Insgesamt wird sehr deutlich, dass Polizistinnen und Polizisten in der fiktiven wie auch in der realen polizeilichen Alltagspraxis sowie im Zusammenwirken beider zur Projektionsfläche ganz widersprüchlicher Anforderungen werden. Das prägt das Bild von der Polizei und wird durch persönliche Wahrnehmung, persönlichen Kontakt sowie von und in den Medien bewusst oder unbewusst geformt. Polizeibedienstete sind im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit bei der Durchsetzung spezifischer Interessen tätig und müssen in den Einsatzsituationen zwischen unterschiedlichsten Verhaltenserwartungen vermitteln. Sie sind bei ihrer Arbeit gefordert, Widersprüchlichkeiten miteinander zu vereinbaren. Wie das allerdings von ihnen emotional erlebt wird und wie sie mit diesen Konfliktbereichen umgehen, wird selten zum Thema gemacht. Betrachtet man sich die Dienstvorschriften der Polizei etwas genauer, die das Auftreten des Polizeipersonals in der Öffentlichkeit regeln, dann gewinnt man den Eindruck, diese strukturellen Handlungsprobleme ließen sich ganz einfach regulieren: „Der Polizeibeamte hat im Umgang mit der Bevölkerung ohne Ansehen der Person die gebotene Höflichkeit, Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft walten zu lassen. Sein dienstliches Handeln muss sich stets am polizeilichen Gesamtauftrag orientieren. Dabei sind örtliche Besonderheiten, zum Beispiel im Brauchtum, gebührend zu berücksichtigen“ (Hermanutz/Spöcker 2009: 15). Hermanutz und Spöcker argumentieren diesbezüglich, dass Polizeibedienstete keinen Dissens zwischen gefordertem und tatsächlichem Verhalten empfinden würden, wenn diese Vorschriften befolgt und im Alltag umgesetzt würden. Viele Aspekte polizeilicher Arbeit, die das Image der Polizei in der Öffentlichkeit prägen, müssten demnach ganz einfach durch die Polizistinnen und Polizisten zu kontrollieren und zu steuern sein. Tatsächlich verbergen sich dahinter jedoch erhebliche Konfliktfelder, die die Polizeibediensteten in der polizeilichen Alltagspraxis bewältigen müssen. Es ist keine einfache Aufgabe, dem polizeilichen Gesamtauftrag – der Wahrung öffentlicher Sicherheit – gerecht zu werden und dabei gleichzeitig die Interessen des einzelnen Bürgers wie auch die der gesamten Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Oftmals geraten dabei die tatsächlichen Gefühle der Polizeibediensteten mit den geforderten Gefühlen in Widerspruch. Diese Gegensätzlichkeit miteinander zu vereinbaren, ist eine Aufgabe, die von den Polizistinnen und Polizisten in jeder Einsatzsituation neu geleistet werden muss. Gleichzeitig erbringen sie ihre Arbeit unter einem

18 | G EFÜHLSARBEIT

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P OLIZEIDIENST

hohen Belastungsdruck, der mit zunehmender Gewalt gegen Polizeibeamte und in Konfrontation mit einem aggressiven und potenziell gewaltbereiten Polizeipublikum stetig steigt (Ellrich et al. 2010). Zudem müssen die Beamtinnen und Beamten mit vielen anderen zum Teil extremen Belastungssituationen umgehen (schwere Verkehrsunfälle, Suizide, Misshandlungen usw.). Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass Polizistinnen und Polizisten ihre Arbeit unter hohen emotionalen Belastungen verrichten. Sie müssen die Interessen der Polizeibehörde und die Interessen der Bevölkerung miteinander in Einklang bringen, ohne dabei ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen bei dieser oftmals emotionalen und auch bedrohlichen Arbeit. Diese divergierenden Arbeitsanforderungen sind im Dienst aktiv zu bewältigen. Das macht den Polizeiberuf zu einer hoch anspruchsvollen Aufgabe. Es ist für die Polizeibediensteten sehr anforderungsreich, zwischen den Interessen der Polizeibehörde und den Ansprüchen des Polizeipublikums zu vermitteln und beiden Seiten so gerecht zu werden, dass damit ein positives Bild der Polizei in der Öffentlichkeit erzeugt wird. Polizistinnen und Polizisten müssen Widersprüche der Gesellschaft am eigenen Leib und in der eigenen Seele ausfechten (Seeßlen 1999: 10). Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Polizistinnen und Polizisten körperlich und emotional sehr nah an ihrer Arbeit dran sind. Die zu bearbeitenden Sachverhalte sind oftmals sehr eng mit den beteiligten Personen verbunden und berühren die Grenzen menschlicher Existenzialität. Es ist daher anzunehmen, dass die polizeiliche Arbeit im Spannungsfeld widersprüchlicher Arbeitsanforderungen von emotionalen Konflikten begleitet ist, die von den Polizistinnen und Polizisten nur unter hohem persönlichen Einsatz bewältigt werden können.

3. G EFÜHLE

IM P OLIZEIDIENST – ANNÄHERUNG AN EINEN VERNACHLÄSSIGTEN A SPEKT POLIZEILICHER A RBEIT

Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass diese emotionalen Ambivalenzen weder in den populären noch in den wissenschaftlichen Darstellungen thematisiert werden. Zwar werden die beruflichen Belastungen dargestellt, die der Polizeiberuf mit sich bringt. Diese werden jedoch fast ausschließlich auf das Erleben von extremen Belastungssituationen zurückgeführt (vgl. bspw. Hahn 2008, Hallenberger/Müller 2000, Klemisch 2006, Kahmann 2007, Latscha 2005). Andererseits werden zwar strukturelle Handlungsprobleme in der Polizei aufgegriffen (Behr 2000, Girtler 1980, Mensching 2008). Jedoch geht es dabei nicht um die Darstellung des damit verbundenen emotionalen Erlebens auf Seiten der Polizeibediensteten. Es gibt demnach etwas in der Polizeiarbeit, von dem man noch nicht viel weiß:

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die emotionale Inanspruchnahme der Polizistinnen und Polizisten und ihr Umgang mit den emotionalen Arbeitsanforderungen. Populäre wie auch wissenschaftliche Abhandlungen verfehlen damit an bestimmten Stellen die Polizei in ihrer Darstellung, obwohl das Thema Emotionen in der Polizei vor dem Hintergrund der polizeilichen Aufgaben und Befugnisse auf der Hand liegt. Es ist anzunehmen, dass die polizeiliche Arbeit emotional hoch belastend ist, nicht nur weil das Polizeipersonal mit extremen Belastungssituationen konfrontiert ist, sondern weil es mit ganz unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichsten Einsatzsituationen interagieren muss und nur über wenig Handlungsund Entscheidungsspielräume verfügt. Polizistinnen und Polizisten als Angehörige einer Verwaltung sind in einem überaus engen Rahmen aus Gesetzen, bürokratischen Regeln und Verhaltenserwartungen tätig, die den Interessen der Bürgerinnen und Bürger sowie eigenen Ansprüchen auch entgegenstehen können. Aus dem Zusammenwirken dieser Arbeitsanforderungen resultieren Gefühlsprobleme für die Polizeibediensteten, weil sie im Rahmen ihrer Kontroll- und Sicherungsaufgaben, die ein strenges und affektiv neutrales Auftreten erfordern, auf die tatsächlichen Probleme der polizeilichen Alltagspraxis treffen, die sie lösen müssen und die zu zahlreichen emotionalen Konflikten führen. So ist zwar im Gesetz klar geregelt, dass Straftaten zur Anzeige gebracht und verfolgt werden müssen. Da hinter den Sachverhalten jedoch stets konkrete Personen mit ihren persönlichen Schicksalen und individuellen Lebenszusammenhängen stehen, müssen die gesetzlichen Vorgaben in der Einsatzsituation erst in konkretes polizeiliches Handeln übersetzt werden. So rational die Gesetze auch erscheinen, so emotional kann deren Anwendung sein, wenn das persönliche Erleben der Polizeibediensteten in Konfrontation mit extremen Situationen, vielfältigen Interaktionspartnern und deren Gefühlszuständen sowie gegensätzlichen Verhaltenserwartungen, bspw. von Polizeibehörde und dem polizeilichen Gegenüber, beeinflusst wird. Diese situativen Gefühlsanforderungen müssen die Polizistinnen und Polizisten im täglichen Dienst aktiv bewältigen. Das ist notwendig, damit die eigenen Gefühle nicht dauerhaft dem geforderten beruflichen Verhalten und der erwünschten Außendarstellung entgegenstehen. Aufgrund der Eingebundenheit des Polizeipersonals in bürokratische Strukturen und gesetzliche Regelungen, ihrer Verpflichtung gegenüber dem Prinzip der Legalität, aufgrund der geltenden normativen Verhaltenserwartungen und der damit verbundenen Gefühlskultur sowie der Anforderung, als Mitglied des staatlichen Gewaltmonopols Macht und Überlegenheit zu demonstrieren, sind die Polizeibediensteten gefordert, bei der Bewältigung der emotionalen Anforderungen auf nach innen gerichtete Strategien zurückzugreifen. Die Bedingungen polizeilicher Arbeit beeinflussen demnach das Bewältigungshandeln der Polizeibediensteten. Die Besonderheit der Polizei und ihrer Aufgaben führt zu einem individualisierten Umgang bei der Bewältigung emotionaler Belastungen.

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Sie findet daher vor allem über den reflexiven Bezug auf das eigene emotionale Erleben statt. Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Untersuchung angenommen, dass Gefühlsarbeit ein grundlegendes Element polizeilicher Arbeit ist. Die Vorstellung einer Arbeit an und mit den eigenen Gefühlen geht davon aus, dass Menschen in der Lage sind, Gefühle zu gestalten, zu unterdrücken oder hervorzurufen (vgl. Hochschild 1990). Das dient der Stabilisierung des Arbeitsprozesses und dem Umgang mit belastenden Emotionen. Diese Gefühlsarbeitsleistungen der Polizistinnen und Polizisten werden in der vorliegenden Arbeit untersucht.

4. G EFÜHLSARBEIT ALS E LEMENT VON P OLIZEIARBEIT – ZU DEN Z IELEN DER U NTERSUCHUNG Der Einsatz von Gefühlen in der Polizeiarbeit ist bisher ein erstaunlich unbeachtetes Thema wissenschaftlicher Untersuchungen. Daher werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die subjektiven Leistungen der Polizeibediensteten im Umgang mit den emotionalen Anforderungen polizeilicher Arbeit genauer bestimmt und in ihrer Gestalt charakterisiert. Ziel ist zu zeigen, dass Gefühlsarbeit Teil der informellen Prozesse und Strukturen in der Polizei ist. Grundlegende Annahme ist, dass Gefühlsarbeit bei der Bewältigung situativer Gefühlsanforderungen eine zentrale Rolle spielt. Es werden folgende Fragen beantwortet: • • •

Was sind die situativen Gefühlsanforderungen bei der polizeilichen Arbeit? Worin liegen die zu bewältigenden Konfliktfelder? Welche Formen des Umgangs mit den situativen Gefühlsanforderungen erarbeiten sich die Polizistinnen und Polizisten? Welche sozialen Randbedingungen spielen bei den emotional-gefühlsmäßigen Bewältigungsprozessen und damit als Ursachen für Unterschiede in den Gefühlsarbeitspraktiken eine Rolle?

Ausgehend von einem mit qualitativen Interviewmethoden erhobenen Sample wird der Umgang der Polizeibediensteten mit den emotionalen Arbeitsanforderungen (Extrembelastungen, interaktive Arbeit und bürokratisches Trilemma) untersucht. Aus dem Zusammenwirken dieser Anforderungen mit den Bedingungen polizeilicher Arbeit lässt sich die Bedeutung des emotionsbasierten Umgangs bei der Bewältigung der emotionalen Arbeitsanforderungen ableiten. Gefühlsarbeit – so die grundlegende Annahme – ist ein zentraler Mechanismus im Umgang mit emotionalen Stressmomenten. Polizeibedienstete sind durch die Bearbeitung des eigenen

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emotionalen Erlebens in der Lage, die strukturellen Handlungsprobleme auszuhalten und belastende Emotionen zu bewältigen. Die Umgangsweisen der befragten Polizistinnen und Polizisten werden typologisch differenziert nach unterschiedlichen Gefühlsarbeitspraktiken. Dadurch sollen die spezifischen Merkmale von Gefühlsarbeit im Polizeidienst herausgearbeitet werden. Die Analyse der Bedingungen des Bewältigungshandelns der Polizistinnen und Polizisten dient der Erklärung von Unterschieden im Einsatz von Gefühlsarbeit.

5. M ETHODISCHES V ORGEHEN

UND

AUFBAU

DER

ARBEIT

Empirische Grundlage der vorliegenden Arbeit bilden erzählgenerierende, leitfadengestützte Interviews mit 43 Polizeibediensteten aus einem ostdeutschen Bundesland (26 Männer und 17 Frauen). Die Befragten sind in ganz unterschiedlichen Bereichen tätig: Streifendienst, Ermittlungsdienst, Kriminalpolizei (Höchstpersönliche Rechtsgüter; Eigentum, Rauschgift, Jugend; Wirtschaft und Vermögen sowie Zentrale Aufgaben), Verkehrspolizei (Verkehrsunfalldienst, Autobahnpolizei) und Polizeivollzugsdienst (Einsatz, Organisation). 21 der Befragten arbeiten im mittleren, 19 im gehobenen und drei im höheren Dienst. Das Vorgehen bei der Auswahl der Fälle entspricht der Logik des „Theoretical Sampling“ (Strauss 1991, Strauss/Corbin 1996), nach der Fälle nach ihrer vermuteten theoretischen Relevanz für den zu untersuchenden Gegenstand ausgewählt werden. Die Gespräche mit einer Länge von anderthalb bis zweieinhalb Stunden wurden nach der Dokumentarischen Methode ausgewertet (Bohnsack 2003, Nohl 2006). Es wurde so offen und so unvoreingenommen wie möglich an das Interviewmaterial herangegangen. Durch fallübergreifende Vergleiche nach dem Prinzip der minimalen und maximalen Kontrastierung wurden Differenzen in der Wahrnehmung und Deutung situativer Gefühlsanforderungen sowie bei der Bewältigung dieser herausgearbeitet. Relevante Vergleichsdimensionen im Rahmen der Typenbildung waren einerseits die subjektive affektive Bedeutung der Einsatzsituation für den Polizeibediensteten und andererseits der Zeitpunkt der Bewältigung der Gefühlsanforderungen unter Abgleich der zur Verfügung stehenden Ressourcen und Bedingungen in der konkreten Einsatzsituation. Die Arbeit gliedert sich in sechs Teile. An die Einleitung zum Thema (Kapitel I) schließen sich theoretischer Rahmen, leitende Fragestellungen, Forschungsstand sowie Design der Untersuchung an, die in den theoretischen und methodologischen Kapiteln II, III und IV diskutiert werden. In Kapitel II wird der theoretische Rahmen entfaltet. Er dient der Erklärung der Notwendigkeit von Gefühlsarbeit im Polizeidienst vor dem Hintergrund der emotionalen Anforderungen in und der Rahmen-

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bedingungen von Polizeiarbeit (Kapitel II-1). Zudem wird sich in grundlegender Weise mit dem Konzept der Gefühlsarbeit befasst (Kapitel II-2), bevor die theoretischen Vorüberlegungen in einem Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen zusammengefasst und daraus Ziele und Fragestellung der Studie abgeleitet werden (Kapitel II-3). Kapitel III präsentiert den Stand der Forschung. Darin wird die Frage beantwortet, ob und wie sich die polizeiwissenschaftliche Forschung mit der Bedeutung von Emotionen in der polizeilichen Arbeit auseinandergesetzt hat. In Kapitel IV werden Design und Durchführung der empirischen Untersuchung sowie das Untersuchungsfeld und die Struktur des Samples vorgestellt. In Kapitel V erfolgt die Darstellung der zentralen empirischen Ergebnisse der Untersuchung. Im Kern geht es um die Vorstellung der fünf Typen des Umgangs mit situativen Gefühlsanforderungen und die dabei genutzten Gefühlsarbeitspraktiken (Kapitel V-2). Dabei wird allerdings keine sukzessive Herleitung von Ergebnissen auf der Grundlage des erhobenen Datenmaterials angestrebt. Vielmehr geht es um eine systematisierende Darstellung der zentralen Ergebnisse der qualitativen Auswertung in Form dichter Beschreibungen von Bewältigungstypen und des spezifischen Einsatzes von Gefühlsarbeit im Polizeidient, die durch die Darstellung von Fallbeispielen illustriert und durch Verwendung von wörtlichen Zitaten aus Interviewtexten plausibilisiert werden. In Anschluss daran werden die situativen Gefühlsanforderungen zusammenfassend dargestellt (Kapitel V-3). Diese lassen sich ebenso in einer Typologie systematisieren. In Kapitel V-4 werden die Bedingungen analysiert, die bei der Entwicklung der Gefühlsarbeitspraktiken eine Rolle spielen. Damit sollen die erfassten Unterschiede im Bewältigungshandeln erklärt werden. In Kapitel VI werden polizei- und verwaltungswissenschaftliche sowie emotionssoziologische Folgerungen aus der Untersuchung gezogen. Die bisher nicht beachtete emotionale Dimension polizeilicher Arbeit geht mit ganz spezifischen emotionalen Anforderungen, Regeln, Praktiken und Kompetenzen einher, die spezifiziert werden. Mit den herausgearbeiteten Gefühlsarbeitspraktiken und zugrunde liegenden Mechanismen kann das Konzept der Gefühlsarbeit eine Konkretisierung erfahren. Schließlich werden praxisrelevante Folgerungen aus den Untersuchungsergebnissen gezogen. Es eröffnen sich einige ganz konkrete Anknüpfungspunkte für die Gestaltung von Polizeiarbeit. Vor dem Hintergrund steigender Arbeitsanforderungen bei gleichzeitiger Reduktion des Polizeipersonals lässt sich eine Prekarität der Selbstzuständigkeit der Polizistinnen und Polizisten bei der Bewältigung polizeilicher Arbeitsanforderungen diagnostizieren. Daher werden in einem Ausblick in Kapitel VII Forderungen hinsichtlich entlastender Rahmenbedingungen in der Polizei formuliert.

II.

Theoretischer Rahmen: Ein Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen

Die Polizei ist in Deutschland ein verhältnismäßig junger Gegenstand empirischer Forschung. Die Untersuchungsfelder sind dabei sehr vielfältig, genauso, wie die sich damit beschäftigenden Wissenschaftsdisziplinen. Es gibt eine Vielzahl von quantitativen Studien (vornehmlich aus der Psychologie), die sich vorwiegend mit den Belastungen im Dienst, deren Folgen und Bewältigungsstrategien befassen (siehe bspw. Hallenberger/Müller 2000, Horn 2005, Latscha 2005, Münstermann/Putz 1980, Schneider/Latscha 2010, Steinbauer 2001). Daneben gehören seit den 1990er Jahren zunehmend auch qualitative Studien, auch aus der Soziologie, zum etablierten Repertoire der bundesdeutschen Polizeiforschung (Mensching 2008). Auch in diesen Arbeiten wird der Umgang der Polizeibediensteten mit den nicht selten extremen beruflichen Belastungen untersucht (Kahmann 2007, Wendtland 2008, Hahn 2008). Forschungsthemen sind darüber hinaus das männlichkeitsgeprägte Selbstverständnis der Polizeibediensteten und dessen Inszenierung (Behr 2000), der Status von Frauen innerhalb dieser männlichkeitsgeprägten Strukturen (Müller et al. 2000, 2000a, Wirrer 2002, Wilz 2005), die Habitusarbeit von StreetCorner-Polizisten (Hüttermann 2000), die Auswirkungen des gesellschaftlichen Umbruchs auf ostdeutsche Polizistinnen und Polizisten (Behr 1993) oder polizeiliche Alltagspraktiken und diesen zugrunde liegende Organisationskulturen (Mensching 2008). Andere Studien beschäftigen sich mit dem individuellen Verhältnis von Polizeibediensteten zu ihrer Tätigkeit (Krasmann 1993) sowie mit der Rekonstruktion kriminalistischer Ermittlungstätigkeit (Reichertz 1991), insbesondere anhand von Vernehmungssituationen (Schröer 2003). Eingang in die qualitative Polizeiforschung haben darüber hinaus die Auslegung von bürokratischen Normen (Girtler 1980) wie auch die Auslotung von Möglichkeiten und Grenzen der inneren und äußeren Kontrolle der Polizei (Herrnkind/Scheerer 2002) gefunden. Dies be-

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gründet sich im speziellen Auftrag und in den besonderen Befugnissen der Polizei. Polizeibedienstete können massiv in die Grundrechte von Menschen eingreifen (Mensching 2008). Es fehlt jedoch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Zusammenwirkens von beruflichen Anforderungen mit den rahmengebenden Bedingungen von Polizeiarbeit (z.B. das Prinzip der Legalität polizeilichen Handelns, der „Mythos der Überlegenheit“ der Polizei, die Polizei als von Männern dominierte Organisation) auf das Handeln von Polizeibediensteten. Leitende Grundannahme der folgenden Überlegungen ist, dass die Belastungsfelder und Bedingungen polizeilicher Arbeit eine komplexe Gemengelage bilden, die zu einer hohen emotionalen Inanspruchnahme der Polizeibediensteten führt und das darauf bezogene Bewältigungshandeln der Polizistinnen und Polizisten prägt. Die Rahmenbedingungen von Polizeiarbeit führen zu einer Individualisierung der Belastungsbewältigung und zur Notwendigkeit des Einsatzes von Gefühlen in Auseinandersetzung mit dem subjektiven Belastungserleben. Damit rückt ein wesentlicher, aber bisher eher unbeachteter Aspekt von Polizeiarbeit in den Vordergrund – die Gefühlsarbeitsleistungen von Polizeibediensteten.

1. P OLIZEIARBEIT IM S PANNUNGSFELD ANFORDERUNGEN

DIVERGIERENDER

Ziel dieses Kapitels ist es, die Bedeutung des Einsatzes von Gefühlsarbeit für die polizeiliche Arbeit herauszuarbeiten. Es wird angenommen, dass durch das Zusammenspiel der emotionalen Anforderungen und Rahmenbedingungen von Polizeiarbeit die Bewältigung von Belastungen über die Bearbeitung der eigenen Gefühle stattfinden muss. Aus den Aufgaben der Polizei lassen sich zentrale, potenziell existenzielle Belastungsmomente für das Polizeipersonal ableiten, die sich im täglichen Einsatzgeschehen als immer wieder zu bewältigende Handlungsanforderungen stellen. Aus der Organisation der Polizei, ihrer Struktur und Befugnisse resultiert eine Selbstzuständigkeit der Polizeibediensteten bei der Bewältigung emotionaler Arbeitsanforderungen, um die Position der Polizei als staatliches Gewaltmonopol nicht zu schwächen, die amtlichen Pflichten bürokratisch genau zu erfüllen und damit den Bürgerinnen und Bürgern eine rechtliche Gleichbehandlung zu gewährleisten. Daraus ergibt sich die Bedeutung arbeitskraftbezogener Gefühlsarbeit als zentralen Mechanismus im Umgang mit den beruflichen Anforderungen. Auf die Arbeitskraft bezogene Gefühlsarbeit meint die Arbeit der Polizeibediensteten an den eigenen Gefühlen, um die Arbeitsleistung zu erbringen und mit den beruflichen Belastungen umzugehen. Der reflexive Bezug auf das eigene Erleben

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ist für sie eine wichtige Praktik im Umgang mit den emotionalen Arbeitsanforderungen. Diesbezügliche Variationen werden in dieser Untersuchung empirisch herausgearbeitet. In Kapitel II-1.1 erfolgt zunächst eine allgemeine Beschreibung der Polizei als Verwaltungsbehörde, ihrer internen Organisation, Aufgaben und Funktionsbereiche. Dies ist wichtig, um die beruflichen Anforderungen und Bedingungen polizeilichen Handelns genauer charakterisieren zu können. Es werden drei zentrale Belastungsfelder polizeilicher Arbeit vorgestellt, die das emotionale Erleben der Polizeibediensteten prägen und die im Arbeitsalltag zu bewältigen sind (Kapitel II-1.2). Es wird sich zeigen, dass nicht nur potenziell traumatisierende Einsatzsituationen zu belastenden Emotionen führen, sondern auch die interaktiven Bestandteile von Polizeiarbeit sowie das Spannungsfeld divergierender Interessen von Polizeibehörde, Bevölkerung sowie den Ansprüchen der Polizeibediensteten selbst. Daraus ergibt sich, wie gezeigt werden soll, eine hohe emotionale Inanspruchnahme der Polizistinnen und Polizisten. Der Umgang damit wird im starken Maße von den Bedingungen polizeilicher Arbeit beeinflusst. Auch diese lassen sich aus der allgemeinen Beschreibung der Polizei ableiten (Kapitel II-1.3). Sie führen dazu, dass das Polizeipersonal im Umgang mit den emotionalen Anforderungen auf nach innen gerichtete Praktiken zurückgreifen muss. Vor diesem Hintergrund kommt den Gefühlsarbeitsleistungen der Polizeibediensteten eine zentrale Kompensationsfunktion zu. Kapitel II-2 befasst sich in grundlegender Weise mit Emotionen und dem Konzept der Gefühlsarbeit. In Kapitel II-3 wird dann ein theoretisches Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen entfaltet (Kapitel II-3.1). Die in diesem Modell zusammengeführten Felder emotionaler Belastungen und Rahmenbedingungen polizeilicher Arbeit bilden den Ausgangspunkt für die durchgeführte empirische Untersuchung und sind Grundlage für das Verständnis der aus den erhobenen Daten herausgearbeiteten Bewältigungsformen emotionaler Anforderungen. Daran anschließend werden die Ziele und Fragestellungen dieser Untersuchung formuliert (Kapitel II-3.2). 1.1 Die Polizei: Allgemeine Beschreibung ihrer internen Organisation, Aufgaben und Bereiche Zunächst erfolgt eine allgemeine Beschreibung der Polizei, durch die ein Einblick in ihre interne Organisation, ihre Befugnisse sowie Aufgaben- und Funktionsbereiche gegeben werden soll. Dabei geht es zunächst darum, die Polizei als besondere Form legaler Herrschaft und ihrer Bestimmungsmerkmale zu kennzeichnen. Anschließend wird eine Einordnung der Polizei hinsichtlich ihrer Organisations- und Rechtsform, ihres Zwecks, ihrer Aufgabenbereiche sowie ihres Handlungsspielraums vorgenommen. Ziel ist, daraus spezifische Anforderungen und Rahmenbe-

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dingungen polizeilicher Arbeit abzuleiten, aus denen sich die Notwendigkeit von Gefühlsarbeit erklärt. Die Polizei als besondere Form legaler Herrschaft Die Polizei ist eine bürokratische Organisation im Weberʼschen Sinne und eine besondere Form legaler Herrschaft (Weber 1972: 125). Für Weber ist die legale Herrschaft mit Hilfe eines bürokratischen Verwaltungsstabes im Vergleich zur traditionalen und charismatischen Herrschaft die rationalste Organisationsform von Herrschaft. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass Recht als Herrschaftsgrundlage rationaler ist als Traditionsgeltung oder persönliche Willkür. Die Rationalität ergibt sich aus der besonderen Zweckmäßigkeit bürokratischer Verwaltung. Bürokratien als Idealtypus legaler Herrschaft sind für Weber gekennzeichnet durch Rationalität und Sachlichkeit, Unpersönlichkeit, Verlässlichkeit sowie Berechenbarkeit. Legale Herrschaft als besondere Herrschaftsform beruht auf der Vorstellung einer abstrakten unpersönlichen Ordnung, der Herrschende wie auch Beherrschte unterworfen sind. Dafür sind technische Regeln und gesetzliche Normen notwendig. Für eine bürokratische Verwaltung sind eine feste Amtshierarchie, feste Amtskompetenzen, Fachqualifikationen der Beamtinnen und Beamten sowie eine strenge einheitliche Amtsdisziplin von hoher Bedeutung. Einen derart geordneten Betrieb bezeichnet Weber als Behörde (ebd.: 125). Behörden gibt es im privaten wie auch im öffentlichen Bereich (vgl. auch Girtler 1980, Kieser 1993, Winter 1998). Verwaltungsbeschäftigte sollen ihren sachlichen Amtspflichten gehorchen. Von ihnen wird eine hohe Identifikation mit der Normenordnung – den technischen Regeln und den gesetzlichen Vorgaben – verlangt. Sie unterliegen einer strengen, einheitlichen Amtsdisziplin und Kontrolle (Weber 1972: 124ff). Charakteristisch ist auch, dass das Handeln des Verwaltungspublikums gleichfalls formal an der Normenordnung gemessen und darauf bezogen gehandelt wird (aus Sicht der Polizei bspw., ob sich die Bürgerinnen und Bürger an die Vorschriften der Rechtsordnung halten). Eine wertende Reflexion dieses Handelns steht den Beamten dabei nicht zu. Max Weber formuliert: „Der echte Beamte soll seinem eigentlichen Beruf nach nicht Politik treiben, sondern: „verwalten“, unparteiisch vor allem […] „ohne Zorn und Eingenommenheit“ soll er seines Amtes walten. […] Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche.“ (Weber 1994: 53, siehe dazu auch Luhmann 1964). Bürokratische Regeln und damit verbundene Verhaltenserwartungen sollen die individuellen Erlebens- und Verhaltensüberschüsse reduzieren. Um ein allzu häufiges Auseinanderklaffen von Norm und Verhalten zu verhindern, muss es einen sozialen Mechanismus geben, der für Übereinstimmung sorgt (Luhmann 1964: 57).

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Ein entscheidender sozialer Mechanismus, der dies leistet, ist nach gängiger soziologischer Auffassung der der Rolle (ebd., vgl. auch Hegner 1978: 101). Merton (1967) versteht unter Rolle das Verhalten, dass an Verhaltenserwartungen Anderer ausgerichtet ist. Er geht davon aus, dass mit jeder sozialen Position ein Rollenbündel – role set – verbunden ist, das durch unterschiedliche Rollenbeziehungen zustande kommt. Um die Elastizität eines Systems zu gewährleisten, werden die mit den Rollen verbundenen Verhaltenserwartungen auf Stellen bezogen. „Durch die Verwendung formaler Stellenrollen kombiniert ein soziales System ein Höchstmaß elastischer Veränderungsfähigkeit mit stabiler Kontinuität des Bestandes“ (Luhmann 1964: 144). Eng verbunden mit der spezifischen Rolle des Verwaltungsbediensteten ist die Norm der affektiven Neutralität.1 Sie bildet den Orientierungsrahmen, der auch den Polizeibediensteten vorgibt, dass positive oder negative Gefühle nicht in die Beziehung von Polizeibehörde, Behördenpublikum und Personal einfließen dürfen. Die eigenen Gefühle sind stets zu kontrollieren. „Der Persönlichkeitstyp des Bürokraten hat seinen Kern in dieser Norm der Unpersönlichkeit“ (Merton 1971: 271). Bürokraten wird stets eine gewisse Arroganz zugeschrieben, die sich daraus ergibt, dass die unpersönliche Behandlung von Angelegenheiten der persönlichen Bedeutung dieser für das Behördenpublikum entgegenstehen kann (ebd.). Hier deuten sich bereits unterschiedliche und auch gegensätzliche Verhaltenserwartungen an Verwaltungsbeschäftigte an, denen auch Polizeibedienstete ausgesetzt sind. Das Handeln der Beamtinnen und Beamten soll allein sachlichen Zwecken unterstellt sein (Weber 1972: 125). Die Programmstruktur der Behörde – das Gefüge der Verhaltenserwartungen, Regelungen und Kriterien – gewährleistet die Ausschaltung von Willkür, das Erreichen von Rechtsschutz und Rechtssicherheit sowie den Abbau von Verhaltensunsicherheit (Hegner 1978). Alles Individuelle wird dem Primat des Apparativen unterworfen. Insofern kennzeichnet die Verwaltung eine Entsubjektivierung staatlicher Herrschaft und die Dominanz gesichtsloser Herrschaftsapparate (Girtler 1980: 38). Die Bürokratie präsentiert ein Herrschaftssystem, das durch formalisierte Unpersönlichkeit gekennzeichnet ist, welches ein Entscheiden ohne Ansehen der Person und das Postulat einer disziplinierten Pflichterfüllung impliziert (ebd., siehe auch Kieser 1993). Beamtinnen und Beamte sind demnach umgeben von einem bürokratischen Gehäuse, in dem Objektivität und Sachlichkeit oberstes Handlungsprinzip sind (Girtler 1980, Behr 2000, Mayntz 1971). Die spezifische Eigenart der Bürokratie entwickelt sich nach Weber umso vollkommener, „je mehr sie sich entmenschlicht, je vollkommener […] ihr […] die Ausschaltung von Liebe, Hass und allein rein persönlichen, überhaupt allen irratio1 Die Affektivität steht der affektiven Neutralität gegenüber. Sie ist eine von fünf dichotomen Entscheidungsalternativen, an denen eine Person sein Verhalten orientieren kann. Diese „pattern variables“ wurden geprägt von Parsons (vgl. bspw. Parsons1991).

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nalen, dem Kalkül sich entziehenden, Empfindungselementen aus der Erledigung der Amtsgeschäfte gelingt“ (Weber 1972: 563). Die Organisationsform der Polizei Hinsichtlich der Organisationsform von Behörden allgemein muss man zwischen Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene unterscheiden. Die Polizei der Bundesrepublik Deutschland ist jedoch allein Ländersache.2 Hinsichtlich der organisationalen Struktur der Polizei ist einerseits der Aufbau auf der Landesebene zu betrachten und andererseits die Ausgestaltung auf der örtlich zuständigen Behördenebene. Nahezu jedes Bundesland verfolgt hier eine eigene Linie (Groß et al. 2008). Die im Folgenden vorgenommene Beschreibung der Organisation der Polizei nimmt die Polizei eines ostdeutschen Bundeslandes zur Grundlage, da das empirische Material in ostdeutschen Polizeidirektionen erhoben wurde. Abbildung 1 zeigt ein Beispiel der Gliederung einer Landespolizei. Abbildung 1: Gliederungsübersicht der Polizei eines ostdeutschen Bundeslandes Staatsministerium des Innern Landespolizeipräsidium

Landeskriminalamt

Landespolizeidirektion Zentrale Dienste

Polizeidirektion a

Polizeidirektion d

Polizeidirektion b

Polizeidirektion e

Polizeidirektion c

Polizeidirektion f

Präsidium der Bereitschaftspolizei

Hochschule der Polizei (FH)

1.Bereitschaftspolizeiabteilung Stadt A

2.Bereitschaftspolizeiabteilung Stadt B

Aus- und Fortbildungsinstitut

3.Bereitschaftspolizeiabteilung Stadt C

Quelle: Aus Gründen der Anonymität kann die Quelle nicht benannt werden .

2 Obwohl die Polizei Ländersache ist, gestattet das Grundgesetz die Einrichtung von Bundespolizeien für bestimmte Aufgaben, bspw. der Bundesgrenzschutz (jetzt Bundespolizei), das Bundeskriminalamt, die Hausinspektion des Bundestages oder die Bundesbahnpolizei (Semerak 1988).

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Wie die Abbildung 1 zeigt, ist die Polizei dem Innenministerium eines Landes unterstellt. Das jeweilige Staatsministerium des Innern ist zugleich das Landespolizeipräsidium bzw. die Landespolizeidirektion. Hier ist die politische Verantwortung für die Polizei im demokratischen Rechtsstaat angesiedelt und hier liegt die Schnittstelle zwischen Politik und Polizeiverwaltung innerhalb der Exekutive (Groß 2008, Groß et al. 2008). Das Landespolizeipräsidium ist oberste Polizeibehörde des Landes und damit Führungsstelle der Polizei. Es bestimmt und koordiniert die grundsätzlichen polizeilichen Angelegenheiten – von Einsätzen bis zu Haushaltsfragen. Dem Landespolizeipräsidium sind mehrere Polizeidirektionen3, das Landeskriminalamt, das Präsidium der Bereitschaftspolizei sowie die Landespolizeidirektion Zentrale Dienste und die jeweilige Landeshochschule der Polizei (FH) nachgeordnet (für einen Überblick über die Polizeien Deutschlands siehe Groß et al. 2008a). Die Polizei als unmittelbare Staatsverwaltung Öffentliche Verwaltungen sind zudem durch die Art und Weise ihrer Rechtsfähigkeit – mittelbare und unmittelbare Staatsverwaltung – bestimmt. Die Polizei kann als unmittelbare Staatsverwaltung die Verwaltungsaufgaben durch eine eigene Behörde erfüllen. Die Polizeibehörde selbst ist durch eine starke Arbeitsteilung, Spezialisierung und Differenzierung gekennzeichnet. Die vertikale Differenzierung der Polizei zeigt sich vor allem in ihrer ausgeprägten hierarchischen Strukturierung. In der Polizei gibt es drei Dienststufen: der mittlere (WachtmeisterLaufbahn), der gehobene (Kommissars-Laufbahn) sowie der höhere Dienst (RatsLaufbahn).4 Der gehobene Dienst bildet die mittlere Führungsebene, während die Beamtinnen und Beamten des höheren Dienstes die Führung von Polizeidienststellen und -einheiten sowie Aufgaben in Zentralbehörden übernehmen und bei der Aus- und Fortbildung der Polizeibediensteten mitwirken (Winter 1998: 82ff). Innerhalb der Polizei gibt es unterschiedliche funktionelle Bereiche. Die Aufgliederung der Polizei in Funktionsbereiche kann zwischen den Bundesländern unterschiedlich sein, bspw. ist in manchen Bundesländern die Verkehrspolizei oder die Wasserschutzpolizei5 keine eigene Polizeiinspektion (vgl. Internetauftritte der Landespolizeien, Semerak 1988, Winter 1998):

3 Die Anzahl variiert in den Bundesländern. 4 Im Zuge der Akademisierung der Polizei wurde in manchen Bundesländern (bspw. in NRW) die zweigeteilte Laufbahn eingeführt und das Ausbildungssystem verändert. Die Polizeiausbildung beginnt hier direkt als Fachhochschulstudium (Lange/Schenck 2004). 5 Die Wasserschutzpolizei ist ein Sonderzweig der Schutzpolizei. Sie versieht ihren Dienst auf den schiffbaren Wasserstraßen und sonstigen schiffbaren Gewässern. Die Wasserschutzpolizei ist zuständig für schifffahrtsbezogene Kriminalitätsvorbeugung, die Verfol-

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Die Schutzpolizei übernimmt vor allem allgemeine Aufgaben der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie die allgemeine Strafverfolgung (Kleinkriminalität). Die Bediensteten der Schutzpolizei sind meist die Ersten am Tat- oder Unfallort, weshalb sie die einleitenden Maßnahmen übernehmen. Dies kann bspw. die Verkehrslenkung und -regelung sein oder aber auch die Erstversorgung von Verletzten usw. Die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei verkörpern durch ihre Uniformierung in besonderer Weise staatliche Gewalt. Die Schutzpolizei tritt wie sonst kaum eine andere staatliche Stelle in Erscheinung und ist daher neben Lob und Anerkennung auch manchmal heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. Kapitel I). Die Kriminalpolizei ist auf die Prävention, Verfolgung und Aufklärung von mittleren bis schweren Straftaten spezialisiert. Sie verrichtet ihren Dienst in Zivil. Sie bearbeitet alle Fälle der Kriminalität und wird bei der Kleinkriminalität von der Schutzpolizei unterstützt (Ermittlungsdienst). Die Kriminalpolizei ist in unterschiedliche Bereiche aufgegliedert, bspw. Wirtschaftskriminalität, Umweltkriminalität, Sexualdelikte, Mordkommission, Rauschgift-, Jugend- und Bandenkriminalität u.v.a.m. Die Verkehrspolizei bildet in den Polizeidirektionen eines Bundeslandes nicht immer eine eigene Polizeiinspektion. In manchen Städten ist sie der Schutzpolizei zugeordnet. Die Verkehrspolizei gehört dem uniformierten Polizeidienst an. Sie ist mit den Belangen des Straßenverkehrs befasst. Die Verkehrspolizei ist verantwortlich für die Überwachung des fließenden Verkehrs, die Unfallaufnahme, groß angelegte Verkehrskontrollen (z. B. des Schwerlastverkehrs), Verkehrsregelung und Verkehrserziehung sowie Verkehrsunfallverhütung. Die Bereitschaftspolizei ist ein Großverband der Landespolizeien in Deutschland. Der typische Einsatz ist für diese Polizei der „geschlossene Einsatz“. Die Bereitschaftspolizei unterstützt den polizeilichen Einzeldienst bei seiner Aufgabenwahrnehmung im täglichen Dienst und insbesondere bei außergewöhnlichen Einsätzen, wie bspw. Großeinsätzen bei Naturkatastrophen, Fußballspielen, Konzerten, Demonstrationen usw. Gleichzeitig dient die Bereitschaftspolizei der Ausbildung des mittleren Polizeivollzugsdienstes.

Die Polizei als Hoheitsgewalt des Staates Öffentliche Verwaltungen kann man auch nach der Rechtsform ihres Verwaltungshandelns unterscheiden. So gibt es einerseits fiskalische Verwaltungen (Steuer-, Zoll- und Forstverwaltung), die in Form des Privatrechts handeln. Sie treten den Bürgerinnen und Bürgern im Gleichordnungsverhältnis gegenüber (Wittern/Baßlgung von Straf- und Ordnungswidrigkeiten, den Umweltschutz und die Verkehrssicherheit auf dem Wasser.

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sperger 2007). Andererseits gibt es hoheitlich wirksam werdende Verwaltungen, die in Form des öffentlichen Rechts tätig sind. Sie wenden öffentlich-rechtliche Rechtsnormen an. Sie üben im Über- und Unterordnungsverhältnis hoheitliche Gewalt aus. Die Polizei repräsentiert mit ihren Bediensteten die Hoheitsgewalt des Staates, die unter bestimmten Voraussetzungen sogar in die persönlichen Rechte des Einzelnen eingreift. Der Polizeibeamte kann die Rechte des Staates gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern durchsetzen oder gegenseitige private Gewaltsamkeit durch öffentliche Gewalt hemmen bzw. aufheben (Storbeck 1992). Die Polizei als gebundene Verwaltung Öffentliche Verwaltungen haben zudem verschieden große Handlungsspielräume. Der Handlungsspielraum ergibt sich aus der Abhängigkeit der Verwaltungen von der Rechtsordnung. Gebundene Verwaltungen sind aufgrund gesetzlicher Voraussetzungen verpflichtet, vorgeschriebene Maßnahmen zu treffen. Sie müssen tätig werden. Die Rechtsordnung schreibt zwingend vor, was ein Verwaltungsorgan in einem bestimmten Fall zu tun oder zu unterlassen hat. Ermessensverwaltungen haben demgegenüber, auch auf gesetzlichen Grundlagen basierend, einen Entscheidungsspielraum. Die in diesen Verwaltungen Tätigen haben einen Ermessensspielraum, durch den sie selbst entscheiden können, ob sie als Vertreter der Behörde tätig werden oder nicht und welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Polizeibedienstete als Angehörige einer gebundenen Verwaltung haben nicht die Befugnis, eine für sie verbindliche, jedoch aus ihrer Perspektive womöglich als unverhältnismäßig erachtete Norm zu verwerfen. Sie dürfen eine zwingende Norm nicht in eine Ermessensnorm umdeuten (Girtler 1980: 38ff). Das trifft vor allem auf den Bereich der Straftaten zu. Die Polizei ist verpflichtet, vorgeschriebene Maßnahmen einzuleiten. „Sie hat Straftaten zu verhindern und vorbeugend zu bekämpfen […]“ und „[…] sie hat Maßnahmen gegenüber demjenigen zu treffen, der die Bedrohung oder die Störung [der öffentlichen Sicherheit und Ordnung] verursacht hat.“ (Auszug aus dem Polizeigesetz eines Bundeslandes). Gleichwohl verfügen auch Polizeibedienstete in manchen Bereichen polizeilicher Arbeit über Ermessensspielräume, durch die sie die Möglichkeit haben, selbst zu entscheiden, ob und wie sie eine bestimmte Maßnahme ergreifen. So ist bspw. im eben zitierten Polizeigesetz auch festgelegt, dass eine Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Die Polizei als Eingriffsverwaltung Eine weitergehende Unterteilung öffentlicher Verwaltungen ist nach ihrem spezifischen Aufgabencharakter möglich. Am geläufigsten ist dabei die Unterscheidung zwischen Eingriffsverwaltung und Leistungsverwaltung (Lange/Schenck 2004). Die

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Eingriffsverwaltung (auch Ordnungsverwaltung genannt) ist diejenige Verwaltungstätigkeit, die der Gefahrenabwehr und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient (bspw. Polizei). Die Leistungsverwaltung dient dagegen der Sicherung und Verbesserung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung (bspw. Sozialamt). Die Polizei ist als Eingriffsverwaltung ein Sondertypus staatlicher Verwaltung. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie „mit Erlaubnissen eingreift“ (ebd.: 95). Das Eingriffsrecht ist Grundlage der Handlungen der Eingriffsverwaltung und unterstützt die Polizei in ihrer Aufgabenwahrnehmung, die auf folgenden vier Säulen beruht: Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Vollzugshilfe und vorbeugende Verbrechensbekämpfung (Winter 1998, siehe auch Lange/Schenck 2004). Die Aufgaben sind im Polizeigesetz des jeweiligen Bundeslandes verankert (bspw. BbgPolG, SächsPolG, ThürPAG) und variieren leicht nach den landesspezifischen Bestimmungen: •





Die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist originäre Aufgabe der Polizei. Dazu werden Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren sowie zur Reduzierung einer Gefährdung vorbereitet und durchgeführt, die durch Personen oder Sachen ausgehen können. Die Polizei hat insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung und die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten. Der zweite große Aufgabenbereich der Polizei liegt in der Strafverfolgung. Diese erfolgt primär durch Ermittlungsarbeit. Die Polizei ist aus rechtlicher Sicht helfende und unterstützende Stelle der Staatsanwaltschaft. Bei der Strafverfolgung unterliegt die Polizei dem Legalitätsprinzip6, das sie zur Aufklärung und Verfolgung von Straftaten verpflichtet. Dadurch wird der Druck von den Beamtinnen und Beamten genommen, selbst Entscheidungen in Bezug auf die Verfolgung von Straftaten zu treffen. Eine dritte Polizeiaufgabe ist die Vollzugshilfe. Die Polizei unterstützt andere Behörden auf Ersuchen beim Vollzug ihrer Verwaltungsakte, wenn diese selbst nicht in der Lage sind, Gewalt auszuüben oder nicht über genügend Dienstkräfte oder Arbeitsmittel verfügen. Bspw. kann die Justiz die Polizei um Verbringung eines Verhafteten vom Gericht in eine Justizvollzugsanstalt bitten, wenn ihr Transportmöglichkeiten fehlen.

6 Das Legalitätsprinzip bedeutet die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei), ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen, wenn sie Kenntnis von einer Straftat erlangt haben (z.B. durch die Erstattung einer Anzeige) und, sofern der Verdacht eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich macht, auch Anklage zu erheben (siehe dazu die § 160 und 163 der Strafprozessordnung) (http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/stpo/gesamt.pdf).

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Die vierte Aufgabe der Polizei ist schließlich, Verbrechen vorbeugend zu bekämpfen. Seit den 70er Jahren gibt es die Tendenz, der Polizei neue Kompetenzen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zu geben. Prävention dient vor allem der Vermittlung verhaltensorientierter Vorbeugungsmaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung (vgl. Winter 1998).

Die Befugnisse der Polizei sind durch Landespolizeigesetzgebungen bestimmt. Kennzeichnend ist, dass die Polizei als Eingriffsverwaltung in besonderer Weise in die Rechtssphäre der Bürgerinnen und Bürger eingreift. Deren Freiheit und Eigentum können dadurch beschränkt werden. Polizeibedienstete haben die Befugnis, den Bürgern Verpflichtungen und Belastungen aufzuerlegen. Die Polizei kann Personen befragen und vorladen. Sie haben gegenüber der Polizei eine Auskunftspflicht. Die Polizei kann erkennungsdienstliche Maßnahmen einleiten, Platzverweise aussprechen oder Personen in Gewahrsam nehmen. Sie kann Personen, Sachen und Wohnungen durchsuchen (siehe dazu die Polizeigesetze in den Bundesländern). Aufgrund der Tiefe der Eingriffe der Polizeibediensteten in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger ist das Handeln der Eingriffsverwaltung nur auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen möglich. Die Struktur des Polizeiapparates ist deshalb von der Überlegenheit gesetzlicher Regelungen und von kontinuierlichen Verfahren gekennzeichnet. Damit wird die formale Gleichbehandlung aller sichergestellt und Willkür eingeschränkt. Die polizeiliche Aufgabenerfüllung erfolgt nach festgelegten technischen Regeln. Die Anwendung der bürokratischen Regeln erfolgt durch Subsumtion unter gesetzliche Normen und durch Abwägung von Zielen und Mitteln. Die Vorgänge werden nach dem Prinzip der Aktenmäßigkeit bearbeitet (Girtler 1980: 37ff). Damit einher gehen Stetigkeit und Rationalität, die das Verwaltungshandeln in der Polizei prägen. Die Rechtsförmigkeit und Regelhaftigkeit staatlichen Handelns gehören zu den Grundpfeilern einer freiheitlichen Ordnung. Im Zweifel rangieren das Primat der Regelbefolgung und der politischen Verantwortlichkeit sowie Lösungen über dem, was aus polizeilicher Sicht sinnvoll oder notwendig wäre (Winter 1998). Die „Richtigkeit“ polizeilichen Handelns besteht in der direkten und unverfälschten Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften und bürokratischen Reglementierungen (für Verwaltungsarbeit allgemein vgl. Treutner et al. 1978: 143). Die rationale Handlungslogik bedingt, dass Handlungsprozesse des Polizeipersonals ihren individuellen Charakter verlieren („Herrschaft des Gesetzes“) (Müller 2007). Da die Polizei mit der öffentlichen Gefahrenabwehr betraut ist, ist sie zur Anwendung unmittelbaren Zwangs rechtlich legitimiert. Unmittelbarer Zwang umfasst dabei die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, Hilfsmittel und Waffen. Körperliche Gewalt wird als jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen verstanden (Girtler 1980). Zwang darf nur angewandt werden, wenn der polizeiliche Zweck auf eine andere Weise nicht mehr

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erreichbar erscheint. Die Polizei darf jedoch keinen unmittelbaren Zwang zur Herbeiführung einer Aussage anwenden. Hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach jegliches staatliches Handeln in Hinblick auf den verfolgten Zweck angemessen sein muss. Eine polizeiliche Maßnahme ist demnach unverhältnismäßig, wenn ein erkennbares Ungleichgewicht besteht zwischen dem angestrebten Erfolg und der durch sie herbeigeführten Nachteile, die durch sie abgewendet werden sollen (siehe bspw. Schenke 2005: 338ff und die Gesetzgebungen der Landespolizeien). Die Zwangsmaßnahmen werden durch die Eingriffsbefugnisse der Polizei legitimiert, die gleichzeitig den Spezialtypus der eingreifenden Verwaltung konstituieren (Lange/Schenk 2004). Gewalt ist demnach konstitutives Element polizeilichen Handelns (Behr 2000). Gewaltanwendung ist jedoch nicht der Kern polizeilicher Arbeit (Reichertz 2008). Sie dient der Absicherung staatlicher Herrschaft. Die Zwangsinstanz soll den polizeilichen Erfolg garantieren im Sinne von demonstrierbarer Effizienz ihrer Tätigkeit bspw. durch die Rate aufgeklärter Delikte, von dem Ansehen und Status der Polizei abhängen (Girtler 1980). Zwischenfazit Die Polizei ist eine bürokratische Organisation, die hierarchisch strukturiert ist, in der es eine starke Arbeitsteilung und verschiedenste Funktionsbereiche (bspw. Schutz-, Kriminal- und Verkehrspolizei) gibt. Zu den zentralen Aufgaben der Polizei gehören Gefahrenabwehr, Strafverfolgung, Vollzugshilfe und vorbeugende Verbrechensbekämpfung. Die Polizei ist als Hoheitsgewalt des Staates verpflichtet, auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen tätig zu werden. Nur in bestimmten Bereichen haben die Bediensteten einen Ermessensspielraum. Polizistinnen und Polizisten sind mit Eingriffsrechten ausgestattet. Wenn es erforderlich ist, können sie auch Zwang und Gewalt anwenden. Polizeiliches Handeln ist durch Normen und Regeln bestimmt, um Willkür zu unterbinden und eine Gleichbehandlung der Bevölkerung zu gewährleisten. Die Polizeibediensteten sind angehalten, die gesetzlichen Vorschriften bürokratisch genau umzusetzen und sich dabei nicht von ihren Gefühlen leiten zu lassen. Vor dem Hintergrund dieser allgemeinen Bestimmung der Polizei als Behörde einschließlich ihrer Aufgaben und Befugnisse sowie der dieser Arbeit zugrunde liegenden Forschungsperspektive wird sich im Folgenden mit zwei Themenfeldern eingehender beschäftigt: zum einen mit den aus den Aufgaben der Polizei ableitbaren beruflichen Anforderungen, die sich den Polizeibediensteten im Einsatzgeschehen stellen; zum anderen mit den sich aus der Struktur und den Befugnissen der deutschen Polizei ergebenden Rahmenbedingungen polizeilichen Handelns, die insbesondere für den Umgang der Beamtinnen und Beamten mit den Anforderungen ihrer Arbeit relevant werden. Grundlegende Annahme ist, dass die Komplexität

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der beruflichen Belastungen und die Bedingungen polizeilichen Handelns in ihrem Zusammenwirken die Relevanz von Gefühlsarbeit als zentralen Mechanismus im Umgang mit dem Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen begründen. 1.2 Felder emotionaler Belastungen in der polizeilichen Arbeit Aus den Aufgaben und Funktionen der Polizei lassen sich eine Vielzahl typischer beruflicher Anforderungen und potenzieller Belastungen für die Arbeit der Bediensteten ableiten. So haben Polizistinnen und Polizisten zwar die Aufgabe, öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten bzw. wieder herzustellen. Die ihrer Aufgabenwahrnehmung zugrunde liegenden, vermeintlich klaren Handlungsvorgaben sind in der polizeilichen Praxis jedoch nicht so einfach umzusetzen. Vielmehr birgt die Eingebundenheit der Polizeibediensteten in die formale Ordnung der Polizeibehörde grundlegende Widersprüche in sich, die sie aushalten und aktiv bewältigen müssen. So kann bspw. das Autoritätsprinzip polizeilichen Handelns der Vorgabe widersprechen, den Bürgerinnen und Bürgern mit einem gewissen Maß an Serviceorientierung zu begegnen. Aufgrund widersprüchlicher Handlungsanforderungen im Umgang mit den Erwartungen der Polizeibehörde und des Polizeipublikums erleben Polizeibedienstete Einsatzsituationen als sehr konflikthaft (Kapitel II1.2.1). Sich um die Belange im Straßenverkehr zu kümmern, schwere Verkehrsunfälle aufzunehmen, Großeinsätze wie Fußballspiele oder Demonstration abzusichern, gewaltsame Straftaten aufzuklären oder Opfer sexuellen Missbrauchs zu vernehmen, bedeutet für die Polizeibediensteten bei ihrer Arbeit an existenzielle Grenzen zu geraten, weil sie mit Leid, Tod, Schuld und Gewalt konfrontiert werden. Sie erleben Menschen nicht selten in Grenzsituationen, was einen massiven Einfluss auf das emotionale Erleben der Beamten haben kann. Einsatzsituationen können von den Polizeibediensteten daher als extreme Belastung erlebt werden (Kapitel II1.2.2). Darüber hinaus bedeutet das Regeln und Kontrollieren der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht zuletzt, in engen, persönlichen Kontakt mit unterschiedlichsten Menschen zu treten. Vor allem die Streifenpolizei ist oftmals in sozialen Brennpunkten unterwegs und dabei gefordert, Streitigkeiten zu schlichten. Der Einsatz bei Großveranstaltungen verlangt ein hohes Vermittlungsgeschick und Deeskalationsfähigkeit von den Beamtinnen und Beamten zwischen den „Fronten“. Auf aufgebrachte Autofahrer bei einem Verkehrsunfall müssen Polizeibedienstete ebenso eingehen wie auf Angehörige beim Überbringen einer Todesnachricht. Sie sind daher in vielfältigste Interaktionssituationen eingebunden und müssen mit unterschiedlichsten Emotionen anderer umgehen (Kapitel II-1.2.3).

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Es sind demnach drei zentrale Aspekte, die den Polizeiberuf emotional anforderungsreich machen: das Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen, Extrembelastungen und die interaktive Arbeit. Es wird angenommen, dass diese drei Aspekte polizeilicher Arbeit in ihrer Gesamtheit das Besondere des Polizeiberufs ausmachen und mit hohen emotionalen Belastungen für die Bediensteten einhergehen. Das ist ein wesentliches Charakteristikum von Polizeiarbeit. In Kapitel II-1.2.4 werden die Felder emotionaler Belastungen insgesamt zusammengefasst und die mit ihnen einhergehenden emotionalen Beanspruchungen charakterisiert. 1.2.1 Das Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen Dass das Bürokratiemodell von Weber nicht die Realität staatlicher Organisationen beschreibt, sondern vielmehr als idealtypische Rekonstruktion dieser Realität zu verstehen ist (Treutner et al. 1978), ist eine alte Diskussion. Treutner et al. (1978), Treutner und Voß (1986) sowie Hegner (1978) zeigen, dass administratives Handeln zwar theoretisch entlang von Verwaltungsstrukturen und Vorschriften geschieht, in der Praxis allerdings geprägt ist von Handlungsentscheidungen jenseits von Verordnungen und Regeln. Bürokratische Organisationen sind nicht für alle denkbaren konkreten Fälle des Alltags gerüstet. Auch werden mit Eintritt der Beschäftigten in die Programmstruktur der Verwaltung und der Übernahme der Rolle des Verwaltungsangehörigen keinesfalls alle individuellen Abwägungs-, Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse neutralisiert (Luhmann 1964: 41). Vielmehr arbeiten Polizistinnen und Polizisten im Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen und daraus resultierender unvereinbarer Arbeitsanforderungen (siehe auch Ellwein 1994, Voigt/Walkenhaus 2006: 18). Bei ihrer Arbeit stehen sie den divergierenden Interessen und Verhaltenserwartungen von Polizeibehörde und Bürgern gegenüber. Zudem bringen sie eigene Interessen und Ansprüche in die Arbeit ein. Aus der Perspektive des Polizeipersonals werden im Folgenden diese sich widersprechenden beruflichen Aspekte und die damit verbundenen Folgen für ihr praktisches Arbeitshandeln dargestellt. Abgesehen von einigen neueren Untersuchungen zu den Spannungsfeldern in der sozialen Arbeit (siehe bspw. Harrach et al. 2000 oder Urban 2004), gibt es seit den Arbeiten von Hegner (1978), Treutner et al. (1978) sowie Treutner und Voß (1986) kaum theoretische Weiterentwicklungen in diesem Feld. Es ist eine zentrale Leistung der vorliegenden Untersuchung, an diese Überlegungen anzuknüpfen und sie weiterzuentwickeln. Die Interessen der Verwaltung Zu einer Verkomplizierung der Verwaltungsvorschriften, zur Uneindeutigkeit von Regelungen und damit zu strukturellen Handlungsproblemen für die Polizeibediens-

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teten kommt es durch die Regelungsinteressen der Polizeibehörde selbst. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Polizeibehörde mit einer bestimmten Programmstruktur und damit verbundenen Regeln und Verhaltenserwartungen arbeitet (Hegner 1978, Treutner et al. 1978). Handlungsleitend sind Gesetze (bspw. das Polizeigesetz eines Bundeslandes) und Verordnungen (z.B. die Polizeiverordnungen der Kommunen und Gemeinden). Es gibt festgeschriebene Handlungsleitlinien. Die Beamtinnen und Beamten haben ihren sachlichen Amtspflichten, dem Prinzip der Gleichbehandlung und der Legalität zu folgen. Das wird erreicht, indem sich die Bediensteten an der Norm der affektiven Neutralität orientieren. Bei „erfolgreicher“ Sozialisation entspricht das Verhalten der Polizisten dem Muster der von Merton (1971) konstruierten bürokratischen Persönlichkeit (siehe dazu auch Girtler 1980: 42). Dieser Persönlichkeitstypus hat seinen Kern in der Norm der Unpersönlichkeit. Eine innere Disziplinierung zur Unterordnung unter bürokratisch zu erreichende Ziele und die Konzentration auf bürokratische Pflichten sind seine zentralen Handlungsmerkmale. Das sich daraus ergebende hohe Maß an Verlässlichkeit im Verhalten ist wichtig für die Funktionsfähigkeit der Polizeibehörde (zu formalen Organisationen allgemein vgl. Luhmann 1964). Gleichzeitig gibt es jedoch Forderungen, die eine erhöhte Bürgernähe und Serviceorientierung der Polizeibediensteten verlangen. Immer mehr rücken allgemeine Dienstleistungs- und Hilfefunktionen in den Vordergrund polizeilicher Arbeit (Mensching 2008: 72). Die zu erbringenden Sorgeleistungen erfordern Einfühlungsvermögen und Empathiefähigkeit und sind mit einer entsprechenden Selbstinszenierung der Polizeibediensteten verbunden. Sie stehen den wahrzunehmenden Kontrollaufgaben der Polizei entgegen.7 Die berufliche Rolle des Polizisten bzw. der Polizistin ist demnach widersprüchlich definiert.8 Durch diese Entwicklungen wird das Eingehen auf den Einzelfall zur Norm, was jedoch den Grundsätzen der affektiven Neutralität, Unparteilichkeit und Rechtmäßigkeit entgegensteht. Das führt dazu, dass innerhalb der Polizei gegen7 Vor dem Hintergrund dieser widersprüchlichen Handlungslogiken, die auch Dienstleistungsorganisationen produzieren, entwickelte Korczynki (2002: 58ff) das Konzept der „customer-oriented bureaucracy“, mit dem er die Widersprüche zwischen einer bürokratischen bzw. tayloristischen Effizienzorientierung und Kundenorientierung zu fassen versucht. 8 Mit dem „doppelten Mandat“ wird der Versuch unternommen, den Widerspruch zwischen Kontrolle und Sorge als ein zentrales Wesensmerkmal der sozialen Arbeit zu fassen. Es ist nach Böhnisch und Lösch (1973:27ff) ein „zentrales Strukturmerkmal“ der Dienstleistungsfunktion des Sozialarbeiters. In dieser ist er bzw. sie angehalten, „ein stets gefährdetes Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen, Bedürfnissen und Interessen des Klienten einerseits und den jeweils verfolgten sozialen Kontrollinteressen seitens öffentlicher Steuerungsagenturen andererseits aufrechtzuerhalten.“

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sätzliche Ziele miteinander konkurrieren: Rechtmäßigkeit, Effizienz und Gleichbehandlung sowie Bürgerfreundlichkeit. Die Polizeibediensteten sollen einerseits flexibel und bürgernäher sein, andererseits politisch kontrollierbar bleiben (vgl. zu Verwaltungen allgemein Harrach et al. 2000, Hegner 1978, Mayntz 1971, Treutner et al. 1978). Die Interessen der Bürgerinnen und Bürger Polizistinnen und Polizisten sind bei ihrer täglichen Arbeit oft mit existenziellen Fragen konfrontiert. Sie erleben Gewalt und Leid oder sie kommen mit Grenzsituationen wie bspw. Tod, Verletzung und Schuld in Berührung – bei anderen Menschen oder sogar am eigenen Leib. Sie haben mit Personen zu tun, die eigen- oder fremdverschuldet in unterschiedlichste Problem- und Konfliktsituationen geraten. All diese Menschen stammen aus unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen und mit ihnen sind unterschiedliche Schicksale verbunden. Die Polizeibeschäftigten erleben jeden Lebenssachverhalt ganzheitlich und haben dadurch oftmals einen direkten Einblick in die konkrete Problem- und Krisenlage der Betroffenen. Aufgrund des Aufgabenbereiches der Polizei werden die in ihr Tätigen häufig mit den negativen Seiten der Gesellschaft und mit den negativen Verhaltensorientierungen und Auswüchsen des polizeilichen Gegenübers konfrontiert (Winter 1998: 418f.). Viele dieser Einsatzsituationen sind bürokratisch nicht zu lösen, wie das Schlichten einer Familienstreitigkeit. Bestimmte Haltungen sind bürokratisch nicht einzufordern (bspw. einen Menschen wiederzubeleben). Zudem sind bestimmte Handlungen bürokratisch nicht durchführbar (Behr 2004). Das trifft z.B. auf die Vernehmung eines Opfers sexueller Gewalt oder auf das Überbringen von Todesnachrichten zu. Vielmehr müssen sich die Polizeibediensteten gefühlsmäßig in die Situation einlassen, denn solche Aufgaben erfordern zu ihrer erfolgreichen Bewältigung Einfühlungsvermögen und Mitgefühl. Die Polizei als Staatsorgan ist zwar in feste formal-bürokratische Strukturen mit Gesetzen, Vorgaben und Handlungsleitlinien eingebunden, aber ein nicht geringer Anteil täglicher polizeilicher Arbeit erfordert aufgrund der notwendigen Krisenbewältigung eine interaktive und kommunikative Lösung der Probleme in Beziehung mit Bürgern, Opfern oder Tatverdächtigen (Behr 2000). Die Berücksichtigung der spezifischen Besonderheiten eines Einzelfalles geht mit Forderungen nach Empathie, verstehendem Eingehen oder dem Spenden von Trost einher. Dies führt die Polizeibediensteten häufig in konflikthafte Situationen: Sie fühlen sich hilflos, obwohl sie die Situation kontrollieren müssen; sie sind geschockt, können der Situation jedoch nicht ausweichen; sie fühlen sich betroffen, dürfen jedoch nicht mitleiden (vgl. Behr 2004). Polizistinnen und Polizisten arbeiten damit im Spannungsfeld von Mitleid und Kontrolle; sie wollen den konkreten Menschen helfen, können dies jedoch oftmals nicht. Sie leiden am Gesetz (für soziale Arbeit vgl.

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Stumpfögger/Wiethoff 1989), denn das Recht und damit verbundene Normen und Gesetze sind zwar rational und vor allem neutral, jedoch kann die Anwendung von Recht auch sehr ambivalent und emotional sein. In Ergänzung zu den Überlegungen von Hegner (1978: 46ff) sowie Treutner und Voß (1986: 55f) sind neben den Interessen des einzelnen Bürgers bzw. der einzelnen Bürgerin auch die Interessen des „generalisierten Bürgers“ in Form der allgemeinen Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Es macht einen Unterschied für die Polizeibediensteten, ob ihr Handeln auf eine einzelne Person oder auf die Öffentlichkeit bezogen ist. In Interaktion mit dem einzelnen Bürger ist stets das übergeordnete Interesse der Gewährleistung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit eingewoben. Diese Leistung muss die Polizei und stellvertretend der einzelne Polizeibedienstete gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit erbringen. Das Verhältnis von Polizei und Öffentlichkeit ist zudem durch demokratische Kontrolle geprägt. Die Arbeit der Polizei steht unter permanenter öffentlicher Beobachtung. Das war früher anders. Durch das kritische Auge der Öffentlichkeit können das Polizeipersonal und die Polizeibehörde unter starken Druck geraten. Das sieht man an den jüngsten Beispielen. Die Polizeieinsätze bei der Loveparade in Dortmund oder bei den Protesten gegen „Stuttgart 21“ wurden heftig kritisiert. Die Interessen der allgemeinen Öffentlichkeit schlagen sich daher ebenso wie die Einzelinteressen des Bürgers als zu bewältigende Arbeitsanforderung im Handeln der Polizistinnen und Polizisten nieder und sind daher gleichermaßen zu berücksichtigen. Die Subjektinteressen der Polizistinnen und Polizisten Dass Polizeibedienstete Einsatzsituationen als konflikthaft wahrnehmen, zeigt, dass nicht nur die Persönlichkeitsmerkmale, das Empfinden und emotionale Erleben der Bürgerinnen und Bürger in die Interaktionssituationen einfließen. Kognitionen und Perzeptionen der Polizeibediensteten selbst beeinflussen, wie konkrete Situationen wahrgenommen und erlebt werden. Ihre Einstellungen und Werthaltungen führen zu unterschiedlichen Deutungen, bspw. hinsichtlich der Schuldhaftigkeit des Handelns von Menschen. Unfälle, Suizide, Morde, sexueller Missbrauch oder Familienstreitigkeiten werden von den Beamtinnen und Beamten unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Ihre Ansprüche sind mit unterschiedlichen eigenen Erwartungen an die emotionale Selbstdarstellung verknüpft (z.B. good-cop-bad-copInszenierungen oder Hilfe/Kontrolle- sowie Nähe/Distanz-Relationen). Die Bedürfnisse und Interessen der Beamtinnen und Beamten selbst wirken daher ebenso in ihre Arbeit hinein. Zu unterscheiden ist dabei zwischen den Arbeitskraftinteressen und den Subjektinteressen der Polizeibediensteten (vgl. das Konzept von Schumann et al. 1982: 26):

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Mit dem Arbeitskraftinteresse ist das objektive Interesse der Beschäftigten an günstigen Bedingungen für einen möglichst geringen Verschleiß der Arbeitskraft, an einer ausreichenden Entlohnung sowie an betrieblich nicht kontrollierbaren Handlungsspielräumen gemeint. Unter Subjektinteressen fassen Schumann et al. (ebd.) das Interesse der Beschäftigten an Spielräumen für eigene Interpretationen und Handlungschancen, die das Einbringen eigener beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten erlauben, sowie das Interesse an sozialer Anerkennung in der Erfüllung der Erwartungen von anderen. Mit dieser „Subjektperspektive“ werden Elemente der Arbeitssituation in den Blick genommen, mit denen sich die Beschäftigten auf ihre Arbeit als „subjektive und sinnhafte Tätigkeit beziehen und darin Selbstbestätigung und Selbstbewertung“ suchen (ebd.: 27). Die Gefühlsarbeit der Polizeibediensteten speist sich aus deren subjektiven Interessen.

Das Polizeipersonal vernachlässigt seine „privaten“ Interessen im alltagspraktischen Vollzug von Polizeiarbeit demnach nicht vollständig, sondern es versucht diese ebenso wie die Interessen der Polizeibehörde und des Polizeipublikums zu berücksichtigen. Die persönlichen Ansprüche der Polizeibediensteten können jedoch in Konflikt mit den Anforderungen der Behörde, den Interessen der Bürger und den zu bearbeitenden Einsatzsituationen geraten. Das Spannungsfeld dieser widersprüchlichen Interessen zwischen Polizeibehörde, Polizeipublikum und Polizeibediensteten und den daraus resultierenden Arbeitsanforderungen soll in Anlehnung an Treutner und Voß (1986: 59f) als bürokratisches Trilemma bezeichnet werden. Polizistinnen und Polizisten müssen zwischen den widersprüchlichen und konkurrierenden Interessen und Verhaltenserwartungen der Polizeibehörde, der Bürgerinnen und Bürger sowie eigenen Ansprüchen und Bedürfnissen vermitteln. Die Polizeibediensteten und ihr Gegenüber als Individuen haben Bedürfnisse, Motive, Erwartungen, Gefühle sowie Kenntnisse und Fertigkeiten, die zwar eine gemeinsame Kooperation ermöglichen, jedoch auch zu konfliktbeladenen sozialen Beziehungen führen können (vgl. Hegner 1978: 87ff), die die Polizeibediensteten aushalten müssen.

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Abbildung 2: Polizeiarbeit als bürokratisches Trilemma

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 2 verdeutlicht die sich in der Polizeiarbeit gegenüberstehenden, analytisch zu unterscheidenden Interessensphären: die Regelungsinteressen und Verhaltenserwartungen der Polizeibehörde, die Interessen und Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger sowie die Arbeitskraft- und Subjektinteressen des Polizeipersonals. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus – und dies ist eine Erweiterung des Modells von Treutner und Voß (1986: 60) – die Interessen der Öffentlichkeit als verallgemeinerter Bürger. Ihr gegenüber hat der Polizeibedienstete als Vertreter der Polizeibehörde die Leistung der Wahrung und Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu erbringen. Die Öffentlichkeit ist bedeutsam, weil die Arbeit des Polizeipersonals unter deren kritischen Auge erbracht wird. Die Medien spielen dabei eine besonders relevante Rolle, weil durch sie das öffentliche Bild der Polizei geformt und die Wahrnehmung der Polizei in der Gesellschaft beeinflusst wird (vgl. dazu bspw. Karpf 2002, Linssen/Pfeiffer 2009). Alle an der Polizeiarbeit Beteiligten versuchen selbige mit zu steuern. Die Polizistinnen und Polizisten müssen die dabei entstehenden Konfliktfelder aushalten und zwischen ihnen vermitteln. Aus den vermeintlich klaren rechtlichen und organisatorischen Handlungsvorgaben für die Polizeibediensteten kann man demnach nicht den Schluss ziehen, dass die Polizeibehörde leicht zu steuern ist und dass das administrative Handeln der Polizeibediensteten in der Alltagswirklichkeit widerspruchsfrei durchzuhalten ist. Die Strukturen und Vorgaben, nach denen die Standardprozesse des Einsatzgeschehens ablaufen, sind nur sehr bedingt auf den faktischen Polizeialltag übertragbar (Christe-Zeyse 2006: 72). Es ist eher die Ausnahme als die Regel, dass die idealisierte polizeiliche Alltagswirklichkeit der tatsächlichen Realität in der Polizeipraxis entspricht. Auch Behr (2000) findet in seinem empirischen Material zahlreiche Hinweise auf Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Recht

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und Gerechtigkeit oder zwischen formellen und informellen Regeln bei der Polizei, die die Polizeibediensteten bewältigen müssen. 1.2.2 Extrembelastungen In der Darstellung der Widersprüchlichkeiten, die die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten begleiten, zeichnet sich bereits ab, dass diese auch aus emotional anforderungsreichen Arbeitsinhalten resultieren. Manchmal erleben Polizeibedienstete Einsatzsituationen, die außerhalb der „normalen“ Erfahrungen liegen. Aufgrund ihrer besonderen Aufgaben und Befugnisse können Polizistinnen und Polizisten potenziell immer extreme Belastungen erfahren, sei es in Form selbst erlebter oder ausgeübter Gewalt, aufgrund schwerer Katastrophen oder anderer existenzgefährdender Momente. Das verstärkt die erlebten Ambivalenzen aus dem bürokratischen Trilemma. Von einer Extrembelastung spricht man, wenn eine Person mit einem Ereignis konfrontiert ist, das eine außergewöhnliche Bedrohung darstellt und/oder katastrophenartige Ausmaße hat. Dabei werden intensiv Furcht, Hilflosigkeit und Entsetzen erlebt (Elsholz o.A.d.J.: 7). Extreme Belastungen gehen mit einem Erleben extremer Emotionen einher. Polizeibedienstete kommen bei ihrer Arbeit oftmals mit ganz existenziellen Fragen in Berührung. Sie erleben Situationen, in den Menschen leiden, sterben, missbraucht, misshandelt oder getötet werden, um ihr Leben kämpfen oder (fahrlässig wie auch vorsätzlich) schuldhaft handeln. Extrembelastungen sind nach Hahn (2008: 18) die Folge des emotionalen Erlebens von Polizistinnen und Polizisten im Rahmen aufzunehmender und zu ermittelnder Gewalttaten oder schwerer Verkehrsunfälle. Aber auch das Erleben von Gewalt oder direkte Gewaltanwendung können sie belasten. Die extremen Belastungen können potenziell traumatisierend wirken. Sie können zu akuten Belastungsreaktionen, posttraumatischen Belastungsstörungen und Persönlichkeitsveränderungen führen. Die Auswirkungen einer Extrembelastung hängen von ihrer Art und von ihrer Einwirkungsdauer ab (Maercker 2009). Die Anzeichen von erlebten Extrembelastungen sind äußerlich meist nicht sichtbar, sondern werden innerlich erfahren. Die Polizeibediensteten leiden am Erlebten. Zentrale gefühlsmäßige Reaktionen sind innere Betroffenheit und ein Mitleiden mit Opfern und Angehörigen. Extreme Belastungen tangieren sehr stark das emotionale Erleben der Polizeibediensteten. Aus diesen emotionalen Reaktionen ergeben sich für die Polizeibediensteten zahlreiche emotionale Konflikte zwischen Nähe und Distanz, Hilfe und Kontrolle, Verstrickung und Abwehr oder Ohnmacht und Macht (Behr 2004).

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1.2.3 Polizeiarbeit als interaktive Arbeit Wie bereits festgestellt, erfordert die polizeiliche Arbeit aufgrund der sie begleitenden notwendigen Krisenbewältigung auch interaktive und kommunikative Lösungen von Problemen der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb sind Polizistinnen und Polizisten darüber hinaus in vielfältige Interaktionssituationen eingebunden und interagieren mit ganz unterschiedlichen Personen. Daraus ergeben sich spezifische Anforderungen, aber auch zahlreiche konflikthafte und emotional anforderungsreiche Situationen (zu den allgemeinen Anforderungen interaktiver Arbeit siehe bspw. Dunkel/Weihrich 2010). Das trifft auch auf die polizeiinterne Kommunikation zu (Strompen 2008). Polizeibedienstete und ihr Gegenüber müssen kooperieren, um eine Anzeige aufzunehmen, den Unfallhergang zu rekonstruieren oder einen Diebstahl aufzuklären. Dabei kommen sie nicht umhin, erst einmal zu definieren, worin das Problem überhaupt besteht (zur Dienstleistungsarbeit allgemein siehe Dunkel et al. 2004, Weihrich/Dunkel 2003). Das ist aufgrund der Außeralltäglichkeit der Situationen für die Bürgerinnen und Bürger oft nicht so einfach. Sie sind aufgeregt, haben Angst oder befinden sich sogar in einem schockartigen Zustand. Im Kontakt der Streifenpolizei mit den sozial benachteiligten Menschen einer Gesellschaft entstehen Probleme der gemeinsamen Kooperation, weil die Beteiligten meist nicht „auf Augenhöhe“ miteinander interagieren. Zudem versuchen Tatverdächtige alles Mögliche, um sich der Kooperation mit der Polizei zu entziehen, weil die Lösung „des Problems“ für sie negative Konsequenzen hätte. Aber auch Verkehrsteilnehmer, die bspw. auf ihr verkehrswidriges Verhalten im Straßenverkehr durch die Polizei aufmerksam gemacht werden, erklären sich nur widerwillig zu Kooperation bereit.9 Kompliziert wird die notwendige Kooperation bei der Bearbeitung des „Problems“ für den Polizeibediensteten dadurch, weil dieser in vielfältige Beziehungen eingespannt ist, die Auswirkungen auf die Interaktionssituation haben (für Dienstleistungen allgemein siehe Dunkel 2003). Dies wurde bereits in der Darstellung des bürokratischen Trilemmas deutlich. Da ist zunächst die Beziehung des Polizeibediensteten zur Polizeibehörde hervorzuheben. Diese tritt im Rahmen der Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern nicht direkt, aber vermittelt über die Polizeibediensteten in Erscheinung. Durch entsprechende Vorgaben, Regelungen und Leitlinien versucht die Polizeibehörde das Verhalten der Polizeibediensteten zu steuern. 9 Die Beziehung zwischen Polizeibediensteten und Bevölkerung ist durch ein bestimmtes Macht- und Herrschaftsverhältnis gekennzeichnet, weshalb die Beamten keine Beleidigungen und sonstige Angriffe auf die eigene Person hinnehmen müssen. Sie sind demnach nicht auf Anerkennung durch Bürgerinnen und Bürger angewiesen, wie das in weniger prestigereichen Dienstleistungstätigkeiten der Fall ist, bspw. im Einzelhandel oder bei der Pflege (siehe dazu Voswinkel 2005).

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Da die Beamtinnen und Beamten in einem Dienstverhältnis zur Polizeibehörde stehen, können sie diese Vorgaben nicht ohne weiteres umgehen. Das in der Interaktionssituation zu bearbeitende „Problem“ weist selbst gewisse Anforderungen auf, die den Polizeibediensteten vor fachliche Probleme stellen können, bspw. bei der rechtlichen Bewertung eines bestimmten Sachverhaltes. Problematisch für sie ist darüber hinaus, dass das zu bearbeitende „Problem“ meist mit der Person des polizeilichen Gegenübers untrennbar verbunden ist (ebd.); das heißt, die Person selbst weist ein Problem auf – sie wurde bestohlen, missbraucht, angefahren etc. –, das es zu bearbeiten gilt. Schließlich ist für den Polizeibediensteten das Dienstleistungs- und demokratische Kontrollverhältnis zwischen Polizei und Öffentlichkeit von Bedeutung, woraus spezifische Anforderungen an sein Verhalten erwachsen. Wie weiter oben bereits deutlich wurde, müssen Polizeibedienstete als Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols als Autoritätsperson auftreten, die das polizeiliche Gegenüber zu kontrollieren und zu disziplinieren haben. Gleichzeitig sind sie gefordert, im interaktiven Kontakt mit den Menschen auf sie einzugehen, ihnen zuzuhören, ihnen Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen etc. Sie sollen kontrollieren und zugleich entgegenkommend sein. Die damit verbundenen unterschiedlichen Haltungen und Handlungsweisen lassen sich nur schwer innerhalb eines Interaktionsverlaufes miteinander verbinden.10 Mit den Beziehungen, bspw. dem Dienstverhältnis zur Polizeibehörde und dem Interaktionsverhältnis zum polizeilichen Gegenüber, gehen unterschiedliche Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung einher, die in der konkreten Einsatzsituation aufeinanderprallen (Schaible/Gecas 2010). Der Prozess des Vermittelns und der Umgang mit dem bürokratischen Trilemma sind demnach Bestandteil der interaktiven Arbeit mit den Bürgerinnen und Bürgern. Polizeibedienstete müssen effizient (in Bezug auf die Verwaltung), professionell (in Bezug auf das Problem) und bürgernah (in Bezug auf das polizeiliche Gegenüber und gegenüber der allgemeinen Öffentlichkeit) handeln (zur Dienstleistungsarbeit allgemein vgl. Dunkel 2003: 8f. sowie Dunkel/Weihrich 2010). Das stellt hohe Anforderungen an die Vermittlungsleistungen der Polizistinnen und Polizisten im Rahmen polizeilicher Interaktionssituationen. Die unterschiedlichen polizeilichen Einsatzsituationen, wie das Überbringen von Todesnachrichten, das Absichern von Demonstrationen, das Schlichten von Streitigkeiten, die Festnahme von Tatverdächtigen, die In-Gewahrsam-Nahme von Betrunkenen, die Durchführung von Vernehmungen oder Sicherheitskontrollen im Straßenverkehr verlangen den Polizeibediensteten darüber hinaus unterschiedlichste emotionale Leistungen ab. So müssen sie beim Überbringen von Todesnachrichten 10 Auch andere Dienstleistungsbeschäftigte arbeiten im Spannungsfeld von Kontrolle und Autorität sowie Kundenorientierung. Am Beispiel der Deutschen Bahn siehe Rieder et al. (2002).

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Mitgefühl und Trost zum Ausdruck bringen (Kahmann 2007). Im Rahmen von Streitigkeiten muss es den Beamtinnen und Beamten gelingen, die Situation zu beruhigen, um eine Eskalation des Streites zu verhindern. Kontrollen und Festnahmen erfordern ein eher strenges und ernstes Auftreten. Sie müssen gegenüber Verdächtigen polizeiliche Macht demonstrieren. In Vernehmungen sind die Polizeibediensteten bemüht, auf das polizeiliche Gegenüber einzugehen, um die für die Aufklärung der Straftat wichtige Aussagebereitschaft herzustellen (Schröer 2003). Dabei entstehen bei den Polizeibediensteten ganz unterschiedliche Emotionen, wie beispielsweise Wut, Mitleid, Ekel, Trauer oder Aggression. Über ihre wahren Gefühle müssen sie das polizeiliche Gegenüber jedoch täuschen. Zum Beispiel wird Angst weggesteckt, damit eine Festnahme erfolgreich durchgeführt werden kann (Hahn 2008: 115ff). Aber auch bei Opfern, Angehörigen, Tätern und Zeugen entstehen Emotionen, die in die Interaktionssituationen einfließen. Die Polizeibediensteten werden dadurch auf vielfältige Weise zur Projektionsfläche unterschiedlichster Emotionen (Horn 2005: 4). 1.2.4 Polizeiliche Belastungen als situative Gefühlsanforderungen Zusammenfassend kann man konstatieren, dass Polizeibedienstete mit drei zentralen Belastungsfeldern konfrontiert sind: bürokratisches Trilemma, Extrembelastungen und interaktive Arbeit. Diese sind eng miteinander verflochten. So sind es gerade die existenziellen Erfahrungen, die eng mit den beteiligten Personen verbunden sind und die Polizeibedienstete und Polizeipublikum in den Interaktionssituationen miteinander teilen. Zudem gehen die dargestellten Belastungen mit teilweise hohen emotionalen Beanspruchungen einher. Diese resultieren daraus, dass in Konfrontation mit den polizeilichen Belastungsfeldern Diskrepanzen zwischen bürokratischer und alltäglicher Wirklichkeit entstehen, bei der die institutionelle Logik polizeilichen Handelns der Erlebnisebene der Polizeibediensteten gegenübersteht (Behr 2004, für Verwaltung allgemein Treutner/Voß 1986). Der Widerspruch zwischen dem persönlichen Alltagserleben eines Polizeibediensteten und der Logik unpersönlichen Verwaltungshandelns entsteht bspw. durch eine von der gesetzlich-juristischen Bewertung einer Straftat abweichenden emotionalmoralischen Beurteilung eines Sachverhaltes auf der Grundlage individueller Werthaltungen und Orientierungen. Die von der Polizeibehörde geforderte bürokratisch genaue Erfüllung der Amtspflichten kann demnach den Gefühlen, Erfahrungen und Wertevorstellungen der Polizeibediensteten widersprechen. Girtler (1980) spricht in diesem Zusammenhang vom Interrollenkonflikt. Dieser entsteht, wenn der Polizeibedienstete der Meinung ist, dass er auch anderen Erwartungen gerecht werden müsse (ebd.: 61). Es sind vor allem die in die Polizeiarbeit eingebrachten individuellen Erlebens- und Verhaltenspotenziale der beteiligten Personen, die ein rein administratives Handeln in den

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Einsatzsituationen unmöglich machen und die erlebten emotionalen Belastungen forcieren. So kann die Arbeit im Spannungsfeld divergierender Interessen zum Erleben emotionaler Ambivalenzen führen. Die Extrembelastungen prägen aufgrund ihrer außergewöhnlichen Bedrohung und der potenziell katastrophenartigen Auswirkung naturgemäß in besonderer Weise die Emotionen der Polizistinnen und Polizisten. Die interaktiven Bestandteile polizeilicher Arbeit führen dazu, dass mitunter sehr gegensätzliche Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung in den Interaktionssituationen aufeinanderprallen. Um handlungsfähig zu bleiben und fallspezifische Entscheidungen herzustellen, muss das Polizeipersonal zwischen den rechtlichen Regelungen und den tatsächlichen Problemen des polizeilichen Gegenübers vermitteln. Polizistinnen und Polizisten sind gefordert, die rechtlichen und bürokratischen Handlungsvorgaben situativ auf die konkrete Einsatzsituation anzuwenden (Treutner et al. 1978: 145). Das meint, dass die staatlichen, rechtlichen und organisatorischen Vorgaben nicht automatisch in das Handeln der Polizeibediensteten überfließen, sondern erst in die jeweilige konkrete „Situation“ der polizeilichen Alltagspraxis „übersetzt“ werden müssen. Polizistinnen und Polizisten müssen in der faktischen Einsatzsituation entscheiden, was Angemessenheit polizeilichen Handelns bedeutet, und sie müssen die unbestimmten Rechtsbegriffe erst für sich anwendbar machen. Sie sind gezwungen, in und mittels ihrer Arbeit aus den divergierenden Einflüssen und Interessen eine ausreichend stabile Arbeitssituation „herzustellen“ und die verschiedenen Vorgaben „auszutarieren“ (Treutner/Voß 1986: 61). Dieses situative Handeln ist kontinuierlich erforderlich. Das Polizeipersonal muss verstärkt situativ reagieren, wenn das Spannungsverhältnis zwischen abstraktem Recht und konkreter Problemsituation steigt und der Widerspruch von allgemeinem Gesetz und je besonderer Maßnahme an Gewicht gewinnt (zum Verwaltungshandeln allgemein vgl. Treutner et al. 1978). Diese strukturellen Handlungsprobleme werden von den Polizistinnen und Polizisten bewältigt, indem sie die an sie gestellten konkurrierenden Anforderungen und ihre eigenen Interessen praktisch ausgleichen. Die organisatorischen Vorstrukturierungen sind mit den Bedingungen der aktuellen Problemlage zu synthetisieren (ebd.). Die Umsetzung der abstrakten normativen Regeln in konkretes polizeiliches Handeln ist eine anspruchsvolle subjektive Leistung des Polizeipersonals, um mit den strukturellen Handlungsproblemen zurechtzukommen. Da die Polizistinnen und Polizisten die konflikthaften Einsatzsituationen aufgrund der dargestellten emotionalen Anforderungen immer auch emotional erleben, kann die Diskrepanz zwischen bürokratischer und alltäglicher Wirklichkeit mit dem Erleben von emotionalen Spannungen verbunden sein. In Konfrontation mit den beschriebenen Belastungen polizeilicher Arbeit können die tatsächlich erlebten Gefühle der Polizeibediensteten in Widerspruch zu den geforderten Gefühlen geraten. Hochschild (1990: 100) spricht in diesem Zusammenhang von emotionalen

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Dissonanzen, die aus einem langfristig erlebten Widerspruch entstehen zwischen dem, was eine Person fühlen soll, mit dem, was sie tatsächlich fühlt. Die Beamten müssen daher nicht nur zwischen der Organisationsebene und der Handlungsebene vermitteln, sondern auch die dabei entstehenden emotionalen Konflikte ausgleichen. Da an dieser Stelle jedoch nicht ausschließlich die negativen Konsequenzen dieses Erlebens betrachtet werden, sondern thematisiert werden soll, was die Polizeibediensteten diesen emotionalen Konflikten entgegensetzen, werden die drei dargestellten Felder von Belastungen als situative Gefühlsanforderungen bezeichnet. Sie stehen für die Gefühlsprobleme, die mit den strukturellen Handlungsproblemen verbunden sind und aus dem Zusammenwirken von bürokratischem Trilemma, Extrembelastungen und interaktiver Arbeit resultieren. Abbildung 3: Polizeiliche Belastungsfelder als situative Gefühlsanforderungen

Quelle: eigene Darstellung

Schaubild 3 verdeutlicht die enge Verflechtung der extremen Belastungen und der interaktiven Bestandteile polizeilicher Arbeit mit dem bürokratischen Trilemma. Sie werden von den Polizeibediensteten als emotionale Konflikte erlebt und müssen ebenso wie die strukturellen Handlungsprobleme ausgeglichen werden. Diese situativen Gefühlsanforderungen sind für das Handeln der Polizistinnen und Polizisten konstitutiv und stellen ein immer wieder zu bewältigendes Handlungsproblem im polizeilichen Alltag dar. Aufgrund der erlebten Gefühlsprobleme werden die Gefühle der Polizeibediensteten zur Bedingung im Arbeitshandeln und zum auslösenden Moment für die Bearbeitung des eigenen Erlebens. Daraus ergibt sich die Bedeutung des emotionsbasierten Bewältigungshandelns von Polizistinnen und Polizisten, denn das Erleben emotionaler Ambivalenzen ist auf Dauer nicht aushaltbar (Hochschild 1990).

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1.3 Bedingungen polizeilicher Arbeit Aus der allgemeinen Beschreibung der Polizei lassen sich nicht nur zentrale Handlungsanforderungen und potenzielle Belastungsmomente ableiten. Die Organisation polizeilicher Arbeit, ihre Programmstruktur und die festgelegten Befugnisse der Polizeibediensteten führen zu ganz spezifischen Bedingungen von Polizeiarbeit, die für den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen wesentlich sind. Sie steuern als Vorgaben nicht nur die polizeiliche Arbeit, sondern prägen auch das Bewältigungshandeln der Beamtinnen und Beamten. Im Folgenden wird dargestellt, wie diese Rahmenbedingungen den Umgang mit den emotionalen Anforderungen von Polizeiarbeit beeinflussen. Die Bedingungen polizeilicher Arbeit lassen sich in drei Kategorien bündeln. Das sind zunächst die institutionell-bürokratischen Vorgaben (Kapitel II-1.3.1). In Abschnitt II-1.1 wurde dargestellt, dass das Arbeitshandeln der Polizistinnen und Polizisten durch ihre Eingebundenheit in bürokratische Strukturen und Regelungen sowie gesetzliche Vorgaben bestimmt ist. Das Polizeipersonal ist dem Prinzip der Legalität verpflichtet, kann jedoch gewisse Ermessensspielräume bei seinen Entscheidungen nutzen. Polizistinnen und Polizisten sind als Vertreter staatlicher Hoheitsgewalt mit entsprechenden Eingriffsrechten ausgestattet. Sie müssen bestimmten Handlungsleitlinien (bspw. Sachlichkeit und Rationalität) folgen. Damit verbunden sind auch spezifische Erwartungen an das Verhalten der Beamtinnen und Beamten (z.B. affektive Neutralität). Darüber hinaus beeinflussen öffentliche wie auch polizeiinterne Anforderungen den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen (Kapitel II-1.3.2 und II-1.3.3). Hier sind es insbesondere die Vorgaben an die emotionale Selbstdarstellung der Polizeibediensteten – nach innen wie nach außen –, die einen Einfluss auf das Bewältigungshandeln haben. 1.3.1 Institutionell-bürokratische Vorgaben Für den Umgang mit den beschriebenen situativen Gefühlsanforderungen ist relevant, dass die Polizeibediensteten an bürokratische Vorgaben und gesetzliche Regelungen gebunden sind. So sind, wie gezeigt wurde (Kapitel II-1.2.1), die bürokratischen Vorgaben zwar einerseits integrales Moment des beschriebenen Strukturkonflikts, mit dem sich das Polizeipersonal auseinandersetzen muss. Andererseits stellen die bürokratischen Regelungen aber auch einen Schutzraum dar, in den sich die Beamtinnen und Beamten in Konfrontation mit belastenden Arbeitsanforderungen zurückziehen können, weil sie damit bspw. die Existenz divergierender Interessenslagen negieren können (siehe für die Arbeit in Sozialverwaltungen Harrach et al. 2000). Dies erreichen Polizisten, indem sie z.B. bei Kontrollen im fließenden Ver-

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kehr nicht auf die „Entschuldigungen“ der ertappten Personen für ihr zu schnelles Fahren eingehen. Allerdings ist ein Rückzug auf bürokratische Regeln und Vorschriften nicht immer effektiv und effizient. Bestimmte Haltungen sind weder bürokratisch einzufordern noch sind bestimmte Handlungen bürokratisch durchzuführen (Behr 2004). Vielmehr sind problemadäquate Entscheidungen erforderlich. Um dies angemessen leisten zu können, benötigen Polizeibedienstete zwar Fachwissen und Tatsachenkenntnis. Sie müssen jedoch auch die Fähigkeit des verstehenden Eingehens und Empathiefähigkeit besitzen, um die Situation stellvertretend deuten zu können (vgl. Kapitel II-1.2.1). Polizistinnen und Polizisten müssen bei der Bewältigung ihrer Alltagspraxis permanent zwischen der bürokratischen Wirklichkeit in Form rechtlicher Regelungen und der faktischen Alltagswirklichkeit aufgrund der tatsächlichen sozialen Probleme vermitteln. Es besteht die Notwendigkeit, diese Diskrepanz auf ein vertretbares Maß hin einzuschränken. In der Verwaltungsforschung wird davon ausgegangen, dass Verwaltungsbeschäftigte diese Widersprüchlichkeiten lösen, indem sie situativ und innovativ handeln (Treutner/Voß 1986). Innovativ zu sein, meint, sich in der konkreten Situation etwas Neues einfallen zu lassen. Verwaltungsangestellte verfügen über spezifische, wenn auch nur schwer erkennbare und sich oft nur begrenzt auswirkende Autonomien, die sie für ihre Arbeit nutzen (für Schalterangestellte siehe Voß 1988). Durch Innovationen11 versuchen sie ihre Arbeit und deren Organisation zu verändern. Das kann die Entwicklung neuer Routinen, das lockere Auslegen von Vorschriften, das Ausnutzen zugestandener Ermessensspielräume, ein besser angepasster Arbeitsstil, die Änderung von Prinzipien oder sogar Forderungen an Vorgesetzte umfassen, neue Regelungen einzuführen (ebd.). Um Verwaltungsprozesse zu stabilisieren, ist in formalen Organisationen ein gewisses Maß an Abweichungen unvermeidlich, so Luhmann (1964: 305). Er spricht in diesem Zusammenhang von „brauchbarer Illegalität“ (ebd.: 304). Eine Behörde würde sich zur kompletten Lähmung verurteilen, wenn sie strikt ihrer eigenen Logik folgen würde (Bourdieu 1997: 219). Ebenso argumentieren Behr (2000) und Girtler (1980) für die Polizei, dass zur Herstellung von polizeilichem Erfolg die Polizeibediensteten oftmals gezwungen sind, Normen großzügig auszulegen bzw. zu verletzen. Es ist schädlich für die Polizei, wenn bestimmte Normverletzungen nicht geduldet werden. Girtler (1980: 90ff) konstatiert, dass der polizeiliche Betrieb sich nicht aufrechterhalten lässt, wenn sich jeder Polizeibedienstete immer an den Buchstaben von Gesetz und Vorschriften hält. Behr (2000, 2000a) 11 In der Betriebswirtschaftslehre beziehen sich Innovationen zumeist auf Neuerungen (bspw. in der Erschließung von Märkten, in Verfahren oder Vertriebswegen), die auch von außen so wahrgenommen werden. Sie sind demnach mehr als Ideen und Erfindungen zur Bewältigung von Alltagswidrigkeiten.

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macht daran seine Unterscheidung von Polizeikultur und Polizistenkultur fest. Die von ihm herausgearbeiteten polizeilichen Handlungsmuster entwickeln sich auf der Grundlage einer spezifischen Kultur der handarbeitenden Polizeibediensteten (Polizistenkultur), die als Gegenentwurf zur Theorie der Polizeiarbeit (Polizeikultur) betrachtet werden können. Da jedoch Rechtskonformität im Handeln der Polizeibediensteten gewahrt bleiben muss und die Bevölkerung im Rechtsstaat Deutschland zumindest formal eine unparteiische und durch Gesetze gedeckte Behandlung durch die Polizei erwarten kann (Mensching 2008), sind den Polizeibediensteten im Umgang mit widersprüchlichen Arbeitsanforderungen und bei der Erarbeitung von Chancen innovativer Problembearbeitung auch Grenzen gesetzt. Zudem sind Polizistinnen und Polizisten als Angehörige einer gebundenen Verwaltung, bspw. bei Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit, verpflichtet, vorgeschriebene Maßnahmen einzuleiten. Insbesondere bei der Verfolgung von Straftaten ist es ihnen nicht gestattet, eine zwingende Norm in eine Ermessensnorm umzudeuten (vgl. Kapitel II-1.1). Lediglich bei Ordnungswidrigkeiten ist es den Beamten erlaubt, ein Auge zuzudrücken und im eigenen Ermessen zu handeln. Bei Straftaten gibt es diesen Handlungsspielraum nicht. Harrach et al. (2000: 71) argumentieren auf der Grundlage ihrer Untersuchungen zur Arbeit in Sozialverwaltungen, dass es den Beschäftigten aufgrund ihrer Gebundenheit an die formale Bürokratie einer auf das Prinzip der Legalität verpflichteten staatlichen Exekutive nicht erlaubt ist, bürokratische Regeln zu durchbrechen und gemeinsame Arbeitsbündnisse mit dem Gegenüber in Sanktionsfreiheit einzugehen. Das trifft auch auf Polizeibedienstete zu. Polizeiliches Handeln wird vor allem dann problematisch, wenn bspw. unbestimmte Rechtsbegriffe wie das Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft entgegen dem Grundsatz der rechtlichen Gleichbehandlung missbraucht bzw. zur Legitimation des polizeilichen Handelns verwendet werden (Mensching 2008). Die Effektivität kann der Legitimität polizeilichen Handelns widersprechen (Winter 1998: 12). Polizistinnen und Polizisten müssen ihre Arbeit in diesem Spannungsfeld verrichten. Die Diskrepanz zwischen idealisierter Außendarstellung in Form rechtlicher Regelungen und dem realen Polizeialltag aufgrund der tatsächlichen sozialen Probleme stellt sich den Beamtinnen und Beamten als ein permanentes Problem der Bewältigung dar. „Je offenkundiger die widersprüchlichen Anforderungen an die Beschäftigten werden, desto mehr aktive Gestaltungsleistungen müssen diese bei der Aufgabenbewältigung erbringen“ (Treutner et al. 1978: 10). Aufgrund ihrer Gebundenheit an die institutionell-bürokratischen Vorgaben und unter dem stets kritischen Auge der Öffentlichkeit sowie der Medien müssen Polizeibedienstete deshalb nach Lösungen suchen, die sie individuell vertreten, ertragen und legitimieren können und die es ihnen ermöglichen, die strukturellen Handlungsprobleme auszuhalten. Wenn Vorschriften in der Alltagswirklichkeit versagen, wird von den Polizeibeamten erwartet, dass sie selbst die Probleme überbrücken und sich ir-

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gendwie durchwurschteln („muddling through“ – Lindblom 1959, Hansbauer 1996). Angesichts der Beschränktheit der Handlungsoptionen erlangt dabei die Bearbeitung der eigenen Gefühle eine hohe Bedeutung. Die Polizeibediensteten müssen die emotionalen Konflikte aufgrund widersprüchlicher beruflicher Anforderungen durch einen reflexiven Bezug auf das eigene emotionale Erleben bearbeiten und reduzieren. Weil die Möglichkeiten zur handelnden problemorientierten Bewältigung begrenzt sind, muss das Polizeipersonal auf emotionsfokussiertes Coping12 zurückgreifen (vgl. dazu Lazarus/Folkman 1984) 1.3.2 Öffentliche Anforderungen und Verhaltenserwartungen Die Verfolgung und Verhinderung strafbarer Handlungen ist nicht nur Bestandteil der alltäglichen Arbeit der Polizei, sondern vor allem auch Ausdruck eines symbolischen Auftrags: „Entgegen der öffentlichen Meinung und entgegen des politisch ausnutzbaren Stereotyps ist die Polizei nicht dazu da, die Gesellschaft von Kriminalität zu befreien, sondern sie ist dazu da, der Öffentlichkeit das Vertrauen zu geben, dass sie dazu in der Lage und willens ist.“ (Behr 2003: 225). Die Polizei ist oftmals primär eine symbolische Instanz bspw. im Sinne einer Unterstützung bei informeller Konfliktregelung (Mensching 2008: 72). Polizistinnen und Polizisten als Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols müssen daher auf den Bühnen verschiedenster Öffentlichkeiten die dominante Stellung der Polizei in den täglichen Einsatzsituationen im Rahmen polizeilicher Habitusarbeit inszenieren (Hüttermann 2000: 157). Die Habitusarbeit dient der binnen- und insbesondere der außenwirksamen alltäglichen Inszenierung und symbolischen Reproduktion polizeilicher Machtüberlegenheit zum Zwecke der instrumentellen Handhabung des polizeilichen Gegenübers. Polizeibedienstete versuchen dadurch, den „Mythos der Überlegenheit“ öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen (ebd.: 167, siehe auch Mensching 2008). Die Uniform, eine aufrechte Haltung, ein fester Blick und eine feste Stimme sowie raumgreifende Schritte wehren jegliche Konnotation des Wankens ab. Auf die in Interaktionen verwiesenen rechtlichen Verfahren sowie sparsam platzierte, schnell gesprochene und kurze Sätze vermitteln den Eindruck, dass der Beamte Wichtigeres zu tun hat als die Bearbeitung der aktuellen Einsatzsituation. Mit diesen Praktiken werden polizeiliche Symbole positioniert, die den Anwesenden auf den ersten Blick demonstrieren, dass hier die Polizei als eine Herrschaft ausübende Instanz auftritt, so Hüttermann (2000, siehe auch Jacobsen 2001). Am äußeren Erscheinungsbild des Polizeibediensteten soll jegliche lebensweltnahe Interaktion zerbrechen. Damit reduzieren sich zugleich die Überschüsse individueller Erlebensund Verhaltenspotenziale, die der bürokratischen Durchsetzung von Verwaltungs12 Der Begriff Coping steht ebenso für Bewältigung.

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interessen entgegenstehen. Auch Gewalt ist als Vorschein des Möglichen fester Bestandteil des polizeilichen Habitus. Möchte die Polizei ihr wichtigstes Kapital – den Mythos der Überlegenheit – öffentlichkeitswirksam zur Schau stellen, dann darf sie auf den Bühnen der lokalen Öffentlichkeit niemals unterliegen (Hüttermann 2000). Die dominanten Handlungsmuster der Polizeibediensteten, die sie in Reaktion auf die nicht-bürokratieförmige Durchsetzbarkeit ihres Handelns entwickeln, bspw. bei Straßenkrawallen Angst in Aktivität umzuwandeln, vermitteln nach außen die Zusammengehörigkeit und den Mut von Polizeibediensteten, so Behr (2002). Sie inszenieren sich als Gefahrengemeinschaft und werden auch im Selbstverständnis ihrer Mitglieder so wahrgenommen. Für die Beamtinnen und Beamten ist es zentral, Überlegenheit zu demonstrieren und damit die eigene Überlegenheit zu sichern (Behr 2002, 2004). Das impliziert, dass die Polizistinnen und Polizisten bereit und in der Lage sind, „Schwächen“ individuell zu ertragen und damit umzugehen. Daraus ergibt sich die „Stärke“ der Polizei (Behr 2004). Für das Polizeipersonal hat die Zugehörigkeit zur Polizeibehörde als staatliches Gewaltmonopol zur Folge, „dass für die Kehrseite der Macht (Insuffizienzgefühle, Ohnmacht, Versagensangst, Schwäche) keine Ausdrucksform zur Verfügung steht“ (ebd.: 46). Von ihnen werden nachprüfbare Ergebnisse gefordert sowie Sachlichkeit und Objektivität. Sie müssen souverän bleiben und die Fassung bewahren (Pogrebin/Poole 1991). Das verlangt eine emotionale Abgrenzung zum „Fall“ und eine Vermeidung jeglicher damit verbundener Emotionen (Behr 2004). Um die Polizei als staatliches Gewaltmonopol nicht zu schwächen und ein professionelles Image zu bewahren, müssen die Polizeibediensteten nach Möglichkeiten suchen, um die situativen Gefühlsanforderungen individuell zu verarbeiten. Sie müssen den Umgang mit den konflikthaften Situationen durch einen Rückzug auf nach innen gerichtete Praktiken sicher stellen. Es gibt demnach eine institutionelle Arbeitsteilung zwischen Konflikterzeugung und Konfliktverarbeitung innerhalb der Polizei (ebd.: 47). 1.3.3 Polizeiinterne Anforderungen und Verhaltenserwartungen Ein zentraler Kern des polizeilichen Handlungsrepertoires ist die Ausübung legaler (Staats-)Gewalt. Ihre konkrete Umsetzung ist eng gekoppelt mit einer in der Polizei dominierenden Vorstellung von „aggressiver Maskulinität“ (Behr 2008: 117). Männer scheinen aufgrund ihrer körperlichen Überlegenheit prinzipiell besser für diesen Beruf geeignet zu sein. Weil sie Konflikte körperlich besser austragen, wird ihnen eine höhere Einsatzfähigkeit zugeschrieben. Andersherum werden mit der geringeren Körperkraft von Frauen in Konfrontation mit einem potenziell gewalttätigen polizeilichen Gegenüber mindestens Benachteiligungen, wenn nicht sogar Gefährdungen verbunden, so Müller et al. (2002: 36). Deshalb werden sie als ungeeigneter

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für den Beruf betrachtet. Zudem wird eine fehlende Akzeptanz von weiblichen Beamten in manchen Bevölkerungsgruppen gesehen (ebd.). Trotz einer Öffnung der Polizei für Frauen ist sie eine nach wie vor von Männern dominierte Organisation (Wirrer 2002). Zwar erhalten in der offiziellen Polizeikultur die vermeintlich „weiblichen“ Fähigkeiten, kommunikativ, sorgend und emphatisch zu sein, einen hohen Stellenwert (Behr 2008). So wurden Frauen vor allem deshalb eingestellt, weil sie das ergänzen sollten, was der männlich geprägten Organisationskultur fehlt (Wirrer 2002). Doch werden in der Polizistenkultur, die von den Polizeibediensteten gelebt wird, die männlichkeitsgeprägten Prinzipien über informelle Kommunikation weitergegeben. Obwohl aggressive Maskulinität von den meisten Polizeiangehörigen nicht praktiziert wird, ist sie in ihren Alltagshandlungen und Haltungen stets präsent (Behr 2008). Die Handlungsmuster in der Polizistenkultur und die Männlichkeitsvorstellungen beeinflussen sich gegenseitig, so Behr (2006). Die berufliche Identität entsteht über Bilder von Männlichkeit, über Routinen, Tugenden und zahlreiche Geschichten. Darin geht es meist um die mehr oder weniger erfolgreiche Bewältigung des Berufs und um dessen normative Grundlagen. Während die Kultur der Polizei mehr oder minder androgyn zu sein scheint, ist die Kultur der Polizisten nach wie vor eine maskulin dominierte Kultur, in der Frauen nur unter bestimmten Bedingungen Zugang finden bzw. geduldet werden (vgl. dazu Behr 2000a, 2002, 2004, 2006, 2008). Es scheint zwar durch Frauen zu Veränderungen in der Akzeptanz von „weichen“ Werten wie Einfühlungsvermögen, deeskalierenden und kommunikativen Kompetenzen zu kommen. Jedoch sehen sie sich – wollen sie mit ihrer Arbeit „ihren Mann“ stehen und anerkannt werden – sehr häufig unter Druck, sich männlichen Normen, männlicher Sprache und männlichen Verhaltensweisen anzupassen (Müller et al. 2002: 34, Wilz 2005). Mit der Zunahme an auf Fürsorge ausgerichteten Tätigkeiten (bspw. im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt) nehmen die Sichtbarkeit und die Notwendigkeit von aggressiver Maskulinität zwar ab. Sie wirkt aber unterschwellig weiter und dominiert die Kultur der handarbeitenden Polizisten (Behr 2000: 18, Behr 2008: 117). Polizeiliche Arbeit wird nach wie vor mit eher männlich besetzten Attributen wie Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Härte oder Rationalität belegt. An die Polizei als hegemonial männlich geprägte Kultur, in der Normen und Riten männlich konnotiert und von Männern dominiert sind (Behr 2000), sind bestimmte Gefühlsregeln gekoppelt, die eine entsprechende emotionale Selbstinszenierung von den Polizeibediensteten verlangen. Polizistinnen, die ihre Weiblichkeit betonen, riskieren bspw., von den Kollegen als schwach und ungeeignet für den Polizeiberuf angesehen zu werden. Aber nicht nur weibliche, sondern auch männliche Polizeibedienstete müssen intern ihre Überlegenheit über die beruflichen Belastungen inszenieren.

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So zeigt Hüttermann (2000), dass scherzhafte Kraftausdrücke und Machogehabe ein zentrales Mittel innerhalb der Polizei sind, um Neuankömmlinge in das Gefüge und Gebaren einer Dienstgruppe „einzustilen“ und für die Ausübung der Tätigkeit zu präparieren. Damit wird Männlichkeit innerhalb der Polizei kultiviert (Behr 2002a). Die innerpolizeiliche Kommunikation ist der öffentlichen Kommunikation mit dem Polizeipublikum sehr ähnlich. Wie Behr (2004: 46) konstatiert, „wird [auch hier] eher direktiv angeordnet als vorsichtig angefragt oder verhandelt. Verhandlung, Kompromisse eingehen, Abweichen von der ursprünglichen Absicht, sind in der Logik des Verwaltungshandelns nicht vorgesehen, diese Strategien müssen individuell vertreten, ertragen, legitimiert werden. Von den Beamtinnen und Beamten werden nachprüfbare Ergebnisse gefordert sowie Sachlichkeit und Objektivität. Abgrenzung zum Fall und die Kontrolle bzw. Vermeidung der damit verbundenen Gefühle wird frühzeitig eingeübt.“ Für den Umgang mit Stresssituationen und extremen Belastungen hat das zur Folge, dass die Polizeibediensteten individuelle Praktiken etablieren müssen, die mit den impliziten Erwartungen an die emotionale Selbstdarstellung kompatibel sind. Das Gewaltmonopol fordert und fördert Maskulinitätspräsentationen (Behr 2008). Der binnenwirksame Habitus (Hüttermann 2000) führt zu einer Gefühlskultur, in der das Sprechen über Gefühle als Schwäche ausgelegt und damit tabuisiert wird. Der fehlende offene Umgang mit Emotionen führt zu einer Individualsierung der Bewältigung belastender Emotionen (Pogrebin/Poole 1991). Zusammenfassung Die Rahmenbedingungen polizeilicher Arbeit beeinflussen das Handeln der Polizeibediensteten, indem sie ermöglichend, aber eben auch beschränkend wirken. Ebenso prägen sie den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen. Die Eingebundenheit des Polizeipersonals in bürokratische Strukturen und das für sie hoch handlungswirksame Prinzip der Legalität führen zu strukturellen Handlungsproblemen. Diese sind meist nicht durch einen Rückzug auf bürokratische Normen oder ihre Umdeutung zu lösen. Vielmehr muss das Polizeipersonal im Umgang mit den bestehenden Widersprüchlichkeiten Wege finden, um diese auszuhalten. Durch nach innen gerichtete Praktiken versuchen sie, die erlebten emotionalen Konflikte zu reduzieren. Die Anforderung an die Polizeibediensteten, in ihrem Handeln die Überlegenheit des staatlichen Gewaltmonopols zu inszenieren und damit die dominante Stellung der Polizei zu bewahren, bedingt, dass die Polizistinnen und Polizisten Gefühle, wie bspw. Unsicherheit und Angst, und erlebte Belastungen nicht ausdrücken können. Vielmehr müssen sie nach individuellen Lösungen der Bewältigung derartiger Belastungen suchen. Zudem tragen die männlich geprägte polizeiinterne Kultur und damit verbundene Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung dazu

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bei, dass das Zeigen von Gefühlen als Schwäche ausgelegt wird. Auch das führt zu einem Rückzug der Polizistinnen und Polizisten und zu einem privatisierten Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen. Sie sind bei der Bewältigung der emotionalen Arbeitsanforderungen auf sich allein gestellt. Es ist anzunehmen, dass weitere Randbedingungen polizeilicher Arbeit den individualisierten Umgang mit dem subjektiven Belastungserleben unterstützen. So ist davon auszugehen, dass auch die Position der Beamten im hierarchischen Gefüge einen Einfluss auf die Möglichkeiten der Externalisierung von Gefühlen hat. Zudem wird der konkrete Tätigkeitsbereich einen Einfluss auf den Umgang mit den beruflichen Belastungen haben. Wie der Stand der Forschung (Kapitel III) zeigen wird, liegen hierzu jedoch noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Dies wird Aufgabe der empirischen Auswertung sein. 1.4 Gefühle und Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen Die in Kapitel II-1.2 und II-1.3 entfalteten Überlegungen haben die Bedeutung von Gefühlsarbeit verdeutlicht, die aus dem Spannungsfeld beruflicher Anforderungen und aus den Bedingungen von Polizeiarbeit resultiert. Weil sich im polizeilichen Handeln oftmals die Momente des problemadäquaten Eingehens auf den konkreten Einzelfall einerseits und die der Verwaltungsrationalität gerecht werdenden Distanz andererseits in einem unauflöslichen Spannungsverhältnis gegenüber stehen, erleben die Polizeibediensteten emotionale Konflikte. Die Überschüsse an individuellem Erleben und Verhalten des Polizeipublikums und der Polizeibediensteten, die den Interessen der Polizeibehörde gegenüber stehen, führen zu sozialen Unwägbarkeiten, die bürokratisch nicht zu lösen sind. Extreme Belastungssituationen gehören zum Alltag von Polizistinnen und Polizisten. Sie müssen stets mit dem Erleben von Extrembelastungen rechnen. Diese resultieren dabei nicht nur aus dem Erleben von Gewalt, Tod oder Schuld bei anderen Menschen. Polizeibedienstete sind auch selbst stets potenziellen existenziellen Gefährdungen ausgesetzt. Das kann zum Erleben extrem belastender Emotionen führen. Polizistinnen und Polizisten sind darüber hinaus in vielfältigste Beziehungen eingebunden, die mit unterschiedlichen Anforderungen an deren emotionale Selbstinszenierung einhergehen. Diese gegensätzlichen Verhaltenserwartungen miteinander zu vereinbaren, macht die Interaktionssituationen emotional sehr anforderungsreich. Die gefühlten emotionalen Konflikte, die aus der Gemengelage extremer Belastungen, interaktiver Arbeit und aus dem bürokratischen Trilemma resultieren, werden als situative Gefühlsanforderungen bezeichnet. Die Beamtinnen und Beamten

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müssen in ihrem Handeln nicht nur zwischen der bürokratischen und der alltäglichen polizeilichen Wirklichkeit vermitteln, sondern auch die dabei entstehenden emotionalen Konflikte ausgleichen. Die situativen Gefühlsanforderungen sind für das Handeln der Polizeibediensteten konstitutiv und führen zu einer starken emotionalen Beanspruchung. Die Gefühle der Polizistinnen und Polizisten werden dadurch zur Bedingung im Arbeitshandeln. Durch deren Bearbeitung versuchen die Beamten ihr tatsächliches Empfinden mit den geltenden Gefühlsregeln in Einklang zu bringen. Es kann daher angenommen werden, dass Gefühlsarbeit ein wichtiges situatives Element in der Polizeiarbeit ist. Obwohl die Handlungsprobleme zum Teil strukturelle Ursachen haben, müssen die damit einhergehenden emotionalen Konfliktfelder auf der Ebene der Polizistinnen und Polizisten gelöst werden. Die beruflichen Aufgaben und Befugnisse des Polizeipersonals bergen situative Gefühlsanforderungen, die sie aufgrund der Besonderheiten der Polizei als staatliches Gewaltmonopol im Rahmen des täglichen Einsatzgeschehens ganz individuell kompensieren müssen. Die Rahmenbedingungen von Polizeiarbeit beeinflussen den Umgang der Polizistinnen und Polizisten mit ihren Gefühlsproblemen – sie führen zur einer Individualisierung der Belastungsbewältigung. Sie bedingen nicht nur, dass die strukturellen Handlungsprobleme mit dem Erleben von emotionalen Dissonanzen einhergehen, sondern auch, dass die emotionalen Anforderungen individuell ertragen und bearbeitet werden müssen. Sie stellen damit zugleich moderierende Faktoren emotionaler Arbeit dar. Vor diesem Hintergrund wird die These formuliert, dass Gefühle und Gefühlsarbeit wesentliche Komponenten im alltäglichen polizeilichen Handeln sind. Gerade in der Polizei spielt das Gefühlsarbeitsvermögen der Beamten eine wesentliche Rolle.13 Diese Annahme basiert auf der Feststellung, dass Polizeibedienstete die widersprüchlichen Handlungsstrukturen polizeilicher Arbeit nicht auflösen können und deshalb auf Praktiken zurückgreifen müssen, die das Leiden an den ungelösten Strukturproblemen reduzieren und die damit einhergehenden Ambivalenzen aushaltbar machen. Das komplexe Zusammenspiel der beruflichen Belastungen mit den Rahmenbedingungen polizeilicher Arbeit bedingt ein Bewältigungshandeln, das über arbeitskraftbezogene Gefühlsarbeit vermittelt ist. Die Notwendigkeit der gefühlsmäßigen Bearbeitung des eigenen Erlebens und Empfindens im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen macht diese zu einer zentralen Kompensationsleistung im polizeilichen Handeln. Das verdeutlicht, dass ein strikt an administrativen Vorgaben ausgerichtetes Handeln nicht immer angebracht und effizient ist in der Erfüllung der polizeilichen 13 Ähnlich argumentieren Schaible und Gecas (2010), die die widersprüchlichen Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung der Polizeibediensteten sowie die von ihnen internalisierten Verhaltenserwartungen als Auslöser für Gefühlsarbeit und Effekte auf das psychische Wohlbefinden von Polizisten sehen.

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Aufgaben. Vielmehr müssen sich die Polizistinnen und Polizisten Kompetenzen und Handlungsressourcen erarbeiten, die den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen ermöglichen. Sie etablieren Praktiken, die dem Umgang mit den alltäglichen emotionalen Anforderungen dienen. Zentrales Bewältigungsmedium ist dabei Gefühlsarbeit, so die zentrale Annahme dieser Untersuchung. Vor diesem Hintergrund erfolgt nun eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Konzept der Gefühlsarbeit (Hochschild 1990).

2. D AS K ONZEPT

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Um der Frage nachzugehen, inwiefern Gefühlsarbeit Teil der informellen Prozesse und Strukturen in der Polizei ist, ist eine begriffliche Annäherung an die Welt der Gefühle und eine Auseinandersetzung mit den dahinter stehenden konzeptionellen Annahmen eine wichtige Voraussetzung. Dadurch wird verstehbar, wie das Gefühlsleben von Polizeibediensteten beeinflusst wird, wie sie sich bei ihrer Arbeit gefühlsmäßig einbringen und wie sie ihre Gefühle bearbeiten. Dazu werden in einem ersten Schritt die für diese Untersuchung zentralen Aspekte der Bestimmung von Emotionen herausgearbeitet (II-2.1). Danach wird sich den unterschiedlichen Theorieansätzen zugewandt, die sich mit den Formen, Entstehungsbedingungen und Folgen von Emotionen beschäftigen (II-2.2). Im Mittelpunkt steht dabei das Konzept von Gefühlsarbeit (II-2.2.2). 2.1 Definition von Emotion In der Soziologie wie auch in der Emotionsforschung allgemein gibt es eine Vielzahl an Definitionsversuchen zu Emotionen.14 15 Gerhards (1988) sieht Emotionen bspw. als Modus der Weltaneignung, der zwischen Instinkt und Kognition liegt. Vor dieser Folie definiert er Emotionen als „positive oder negative Erlebnisart des Subjekts, […] die als angenehm oder unangenehm empfunden wird. Emotionen entstehen als Antwort auf die Bewertung von Stimuli und Situationen; sie können mit einer physiologischen Erregung einhergehen und in Form von Emotionsexpressionen zum Ausdruck gebracht werden. Sie wirken selbst wieder strukturierend auf

14 Für einen umfassenden Überblick siehe Schnabel (2006). 15 Trotz der unterschiedlichen Komplexität der kognitiv ablaufenden Prozesse werden die Begriffe Emotion und Gefühl hier synonym verwendet. Manche Autoren verstehen den emotionalen Zustand physiologisch und das erlebte Gefühl psychisch (Döveling 2005, Fink-Eitel/Lohmann 1993, Otto et al. 2000).

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den sozialen Zusammenhang zurück“ (Gerhards 1988: 16). De Sousa (1997) interpretiert emotionales Handeln als eine eigenständige Kategorie zwischen reflexhaftem Verhalten und rationalem Entscheiden. Flam (2000: 18f) geht davon aus, dass Emotionen Konsistenz und Vorhersagbarkeit ausschließen. Nur durch Gefühlskalküle und „emotion management“ kann soziale Ordnung aufrechterhalten werden. Für Kemper (1991) stellen Emotionen eine Ergänzung zur Kognition dar. Eine Situation wird zunächst kognitiv erfasst, bevor sie emotional bewertet wird. Darüber hinaus sind für ihn Emotionen vorhersagbar, wenn die Macht- und Statusbeziehungen zwischen Akteuren bekannt sind. Hochschild (1979) definiert Emotionen als das Ergebnis von Interpretationen und Bewertungen handelnder Personen. Damasio (2004: 353) sieht die Entstehungsbedingungen für Emotionen in bestimmten geistigen Inhalten liegen (vgl. zusammenfassend Schnabel 2006). Andere Definitionsversuche zielen darauf ab, stärker zwischen Klassen von Emotionen zu differenzieren, um die Unterschiedlichkeit des phänomenalen Erlebens, des funktionalen Kontextes und der kognitiven sowie kulturellen Beeinflussbarkeit dessen abbilden zu können (Schützeichel 2008: 87). So klassifizieren Zinck und Newen (2008) menschliche Emotionen nach ansteigender Komplexität in vier Entwicklungsstufen: in Prä-Emotionen, Basisemotionen sowie primäre und sekundäre kognitive Emotionen. Auf diesem Wege entsteht zum Beispiel aus einem vagen Wohlbefinden erst Freude, dann Zufriedenheit und schließlich Stolz. In diesem Ansatz werden die strukturelle Kontextbezogenheit und kulturelle Überformung von Emotionen berücksichtigt, die neben dem steigenden Grad an Kognition die Komplexität von Emotionen begründen. Insgesamt konstatiert Schnabel (2006), dass, trotz der Uneinigkeit in Bezug auf eine exakte Definition von Emotion, sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin einig sind, dass eine Emotion ein komplexer Prozess ist, der auf verschiedenen psychischen Funktionsebenen abläuft. Emotionen sind vor allem für höhere kognitive Prozesse von Bedeutung. Sie ermöglichen den Subjekten, sich in der Welt zurechtzufinden. Sie sind immer bezogen auf das Selbst, auf andere oder Objekte (ebd.). Sie sind wichtig beim Treffen von Entscheidungen und grundlegend für soziale Beziehungen (Aschmann 2005). In ihnen sind kulturelle Bedeutungen verankert und sie sind das, was einer Handlung eine spezifische Stimmung oder Färbung gibt (Illouz 2006). Für die vorliegende Untersuchung sollen vor allem drei Aspekte der Bestimmung von Emotionen hervorgehoben werden: •

Emotion und Kognition sind nicht als zwei voneinander unabhängige Kategorien zu begreifen, sondern sie ergänzen sich gegenseitig (vgl. Damasio 2004: 185, Kemper 1991, Daston 2001). Dabei kann die Bewertung der Situation der Emotion folgen, wie Daston (2001) das für die Entwicklung moderner Wissenschaften nachweist. Die Bewertung der Situation kann jedoch auch der Emotion

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vorausgehen. Das zeigte Kemper (1991) für Macht-Status-Relationen zwischen Personen. Dieser Aspekt ist gerade für die polizeiliche Arbeit von Bedeutung, da die Beziehung zwischen Polizeibediensteten und Bürgern immer durch ein bestimmtes Macht- und Herrschaftsverhältnis gekennzeichnet ist. Aufgrund der Interpretationsleistungen der Akteure geht das mit bestimmten Emotionen einher. Dies zeigt sich bspw. bei Kontrollsituationen im Straßenverkehr, die bei den Bürgerinnen und Bürgern Gefühle der Unsicherheit und Scham hervorrufen können, weil sie sich beim Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung „ertappt“ fühlen. Dass Emotionen Ergebnis interaktiver Prozesse sind, ist für diese Untersuchung ebenso leitend wie die Annahme, dass Emotionen aus kognitiven Bewertungsprozessen resultieren (vgl. dazu bspw. Hochschild 1979, Thoits 1989). Für die Entstehung von Emotionen ist demnach die Beschaffenheit der konkreten Interaktionssituation relevant. In Abhängigkeit davon, wie eine Situation bewertet wird und welche Emotionen entstehen, wird dann in einer bestimmten Art und Weise gehandelt. Wesentlich ist zudem, dass Emotionen kulturell überformt sein können – der Prozess der Emotionsentstehung kann demnach durch vorherrschende Gefühlsregeln geprägt sein. Es ist anzunehmen, dass dieser Aspekt gerade für die von Männern dominierte Polizei von Bedeutung ist, da sich innerhalb der polizeiinternen Gefühlskultur bestimmte Regeln verfestigt haben, die angeben, welche Gefühle als angemessen gelten und welche nicht (vgl. bspw. Behr 2000, 2004, 2006). Dies ist auch eng verbunden mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen. In den Geschlechterverhältnissen sind emotionale Zuschreibungen eingewoben. Männern wird dabei häufig kühle Rationalität und Berechenbarkeit zugerechnet, die (zumindest für den Erwerbsbereich) als verlässlicher, objektiver und professioneller eingeschätzt werden als bspw. Mitgefühl (Illouz 2006). Emotionalität ist mit Weiblichkeit gekoppelt (Hausen 1978). Im privaten wie auch im beruflichen Bereich wird Gefühlsarbeit daher überwiegend an Frauen delegiert und deren emotionale Kompetenz zur Anhäufung verschiedener Kapitalien genutzt – so bspw. in der Zuständigkeit für das Wohlbefinden in der Familie und die Pflege sozialer Kontakte oder in der professionellen Funktion personalisierter Freundlichkeit, Fürsorge und Herzlichkeit. Allerdings erfahren emotionale Leistungen ebenso wie Fürsorgearbeit im Allgemeinen eine geringe soziale Wertschätzung und Anerkennung (vgl. Erickson 1993, Krell 2002). Dies produziert emotionale Hierarchien, die auf soziale Arrangements zurückwirken (vgl. dazu Illouz 2006). Das ist von Bedeutung für den generellen Umgang mit Emotionalität in der Polizei. Emotionen entstehen unter Berücksichtigung kultureller Gegebenheiten wie Deutungsmustern, Gefühlsvokabular und Normen und wirken auch auf diese zurück (Flam, 2000, Hochschild 1979, Shott 1979). Darüber hinaus wird sich in dieser Untersuchung an Konzeptionen angelehnt, die von der Möglichkeit der willentlichen Beeinflussung von Emotionen ausge-

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hen. Dies steht Ansätzen entgegen, die Unmittelbarkeit, Unwählbarkeit und Spontaneität als wesentliche Merkmale zur Bestimmung von Emotionen begreifen. So bemerkt Flam (2000: 17), dass Emotionen Vorhersagbarkeit und Konsistenz ausschließen, weil sie spontan und überwältigend sind.16 Demnach wären Emotionen ein permanentes Störrisiko (Schimank 2000). Anknüpfend an die Annahme der kulturellen Überformung von Emotionen ist jedoch dem Ausleben von Emotionalität durch soziale Normen Grenzen gesetzt. Emotionalität und Normbefolgung schließen daher einander nicht aus (ebd.).17 Aber auch rationale Nutzenerwägungen setzen dem Ausleben von Emotionen Schranken. So kann ein Polizeibediensteter bei der Vernehmung eines Tatverdächtigen, bspw. im Fall von Kindeswohlvernachlässigung, seinen Gefühlen (Wut, Verärgerung, Mitgefühl etc.) keinen freien Lauf lassen, sondern er muss seine Gefühle unter Kontrolle haben, ggf. sogar Verständnis für die Situation des Beschuldigten aufbringen, um eine Aussagebereitschaft herzustellen und damit seine Arbeit zum Erfolg zu führen. Die Akteure sind demnach in der Lage, willentlich ihre Gefühle zu bearbeiten. Die Möglichkeit der Gefühlsbearbeitung wird vor allem von den Vertretern des konstruktivistischen Ansatzes (bspw. Hochschild 1979, 1990) formuliert. Vor dem Hintergrund vorgenannter Aspekte wird dieser Untersuchung eine Definition von Emotionen zugrunde gelegt, die vor allem den Zusammenhang von Kognitionen und Emotionen sowie die Bedeutung der Interpretationsleistungen der Akteure in Interaktionszusammenhängen betont, die Bedeutung von Kultur und der in ihr eingewobenen Gefühlsregeln für menschliche Empfindungen berücksichtigt sowie von der Möglichkeit der willentlichen Beeinflussung und Bearbeitung von Gefühlen ausgeht. 2.2 Soziologie der Emotionen – der interaktionistische Ansatz So unterschiedlich wie die Definitionsversuche von Emotion, so verschieden sind auch die Theorienansätze, die sich mit den Formen, Entstehungsbedingungen und

16 Der von Flam (1990) konstruierte „pure emotional man“ steht für das ausschließlich emotionsgetriebene Handeln. Darauf aufbauend modelliert sie den „constrained emotional man“, dessen Emotionalität erheblich durch normative und rationale Handlungsantriebe bestimmt ist (vgl. auch Schimank 2000). 17 So bezieht sich auch eine Dimension der Typologie sozialer Rollen von Parsons (1951) auf deren emotionalen Gehalt. Zu unterscheiden sind Rollen, die durch affektive Neutralität geprägt sind (bspw. bei Verwaltungsbeamten) und Rollen, die Affektivität zulassen bzw. auch explizit fordern (bspw. die Mutter- bzw. Vaterrolle).

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Auswirkungen von Emotionen beschäftigten. Die Soziologie untersucht Gefühle in all ihren Facetten sowie deren Ursachen und Wirkungen. All diese Ansätze lassen sich in einer Soziologie der Emotionen bündeln. Die Soziologie der Emotionen ist mittlerweile ein wichtiges soziologisches Forschungsfeld. Sie bietet viele Ansätze, Untersuchungsinstrumente und Ergebnisse an (für einen Überblick vgl. Gerhards 1988, Flam 2002). Obwohl sich die Klassiker der Soziologie in ihren Arbeiten nicht explizit dem Thema Emotionen zugewandt haben, zeigt sich jedoch in Teilen ihrer Konzepte die grundlegende Bedeutung von Emotionen. Fast alle soziologischen Klassiker erwähnen zumindest die emotionale Dimension sozialen Handelns (vgl. dazu Aschmann 2005, Gerhards 1988, Flam 2002, Neckel 2005, 2006, Vester 1991). So kann nach Weber soziales Handeln auch affektuell bestimmt sein. „Affektuell handelt, wer sein Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuss, aktueller Hingabe, aktueller kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte befriedigt“ (Weber 1972: 12). Das Handeln von Menschen kann demnach durch aktuelle Gefühlslagen geprägt sein. Im Vergleich zum zweckrationalen Handeln erscheint es jedoch eher irrational (Vester 1991). Simmel (1985: 255) sieht die Bedeutung von Emotionen in ihrer Funktion als Bindemittel in der Gesellschaft. Er bezeichnet diese Emotionen als soziale Gefühle und betrachtet die emotionalen Wechselwirkungen zwischen Individuen. In der sich ausbreitenden Geldwirtschaft beobachtet Simmel eine Abflachung des Gefühlslebens (Simmel 1989: 595, vgl. Neckel 2005). Dies sieht er als grundlegendes Merkmal des modernen Lebensstils an. Ebenso schenkt Durkheim (1981) in seinen Untersuchungen zur Religion Emotionen viel Aufmerksamkeit. Hier sind insbesondere der rituelle Gehalt von Emotionen sowie die emotionale Bedeutsamkeit von Ritualen von Bedeutung. Sie bilden die emotionale Basis von Solidarität und Konflikt (siehe auch Pettenkofer 2012, i.E.). Die ersten systematischen Versuche der Entwicklung einer Emotionssoziologie gibt es seit Anfang der 70er Jahre. Die Schwierigkeiten bei der Etablierung einer Soziologie der Emotionen, die aus der anfänglich sehr negativen Betrachtungsweise von Emotionen und Gefühlen resultiert, macht Döveling (2005: 120f) an folgenden Punkten fest: •

• •

Emotionen wurden anfänglich als eigensinnig und spontan angesehen, die über die Individuen kommen, ohne dass sie beherrschbar wären (vgl. auch Flam 2000). Gefühle wurden häufig als Gegensatz zu Rationalität und Vernunft angesehen, als Störfaktoren vernunftorientierten Handelns. Emotionales Handeln wurde ausschließlich als innerliches, intrinsisch motiviertes Handeln begriffen. Handlungen galten als emotional, wenn sie von Impulsivität und Spontaneität gekennzeichnet waren.

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• •

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Emotionales Verhalten wurde mit starken physiologischen Reaktionen in Verbindung gebracht. Bestimmte Verhaltensmomente, wie bspw. Leidenschaft, wurden Kategorien von anhaltenden Charaktereigenschaften zugeordnet.

Möchte die Soziologie das Handeln von Menschen in sozialen Kontexten verstehen, so muss sie jedoch die Emotionalität der Menschen in die Theoriebildung einschließen (Döveling 2005). Schimank konstatiert, dass Normkonformität und rationale Nutzenverfolgung nicht die einzigen beiden Arten von Handlungsantrieben sind, die soziologisch relevant sind. „Will man einen kompletten soziologischen Werkzeugkasten zur Erklärung von Handlungswahlen, muss man sich fragen, wie Emotionen in das Handeln von Menschen hineinwirken und welche Faktoren der Handlungssituation Emotionen als Handlungsantriebe auslösen“ (Schimank 2000: 107). Illouz (2006) fragt berechtigterweise, ob bei einer solchen Fokussierung auf so hochgradig subjektive, unsichtbare und persönliche Erfahrungen wie Emotionen die Soziologie nicht das untergräbt, was ihr eigentliches „Geschäft“ ist – die Beschäftigung mit objektiven Regelmäßigkeiten, strukturierten Handlungen und großflächigen Institutionen. Sie (ebd.: 9ff) macht diesbezüglich einige sehr wichtige Gründe geltend, die trotz dieser Vorbehalte dafür sprechen, sich mit Gefühlen soziologisch auseinanderzusetzen: •



Gefühle sind an sich keine Handlungen, wohl aber die innere Energie, die die Subjekte zum Handeln antreibt. Sie sind das, was einer Handlung eine spezifische Stimmung oder Färbung gibt. Emotionen können folglich als die energiegeladene Seite des Handelns bestimmt werden. In ihnen sind kulturelle Bedeutungen und soziale Beziehungen auf untrennbare Weise miteinander verflochten, und gerade diese Verflechtung ist es, die ihnen das Vermögen verleiht, Handeln mit Energie aufzuladen. Viele soziale Arrangements sind zugleich emotionale Arrangements. Bspw. beruht die Unterscheidung zwischen Männern und Frauen auf kulturell bestimmten emotionalen Gegebenheiten. Die durch die Geschlechterverhältnisse produzierten sozialen Hierarchien enthalten implizite emotionale Spaltungen, ohne die Männer und Frauen ihre Rollen und Identitäten nicht reproduzieren würden. Diese Spaltungen wiederum produzieren emotionale Hierarchien, in denen Sachlichkeit und Rationalität als verlässlicher und professioneller eingeschätzt werden als bspw. Mitgefühl (vor allem im Erwerbsbereich). Diese emotionalen Hierarchien organisieren wiederum auf implizite Weise die moralischen und sozialen Arrangements.

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Insbesondere die in den USA entwickelten Ansätze zeigen, dass die Soziologie einen Beitrag zum Verständnis von Formen, Folgen und Entstehungsbedingungen von Emotionen leisten kann (siehe bspw. Collins 1990, Denzin 1983, 1984, 1990, Hochschild 1979, 1990, Kemper 1990, 1990a). Allerdings verfügt die Soziologie der Emotionen über keine ausgereifte Theorie von der Struktur und Dynamik von Emotionen im kulturellen Kontext, so Vester (1991). Vielmehr finden sich ganz unterschiedliche Theorieschulen18, die entweder den Körper, die Sozialisation, die Kultur oder die Sozialstruktur zum Ausgangspunkt ihrer Versuche machen, Entstehungsbedingungen und Konsequenzen von Emotionen und deren Rolle bei der Motivation von Handlungen zu erklären (siehe zusf. Flam 2002, Neckel 2006). So wird in der positivistischen Theorie Kempers die Annahme vertreten, dass Emotionen aus den Status- und Machtbeziehungen zwischen Akteuren entstehen (Kemper 1981). Nach der sozialstrukturellen Theorie spielen Emotionen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung sozialer Strukturen (Collins 1990, Neckel 1991, Scheff 1990). Sie sind Produkte sozialer Verhältnisse, die wiederum auf die Sozialstruktur zurückwirken. Der konstruktivistische bzw. interaktionistische Ansatz postuliert ein Selbst, das sich reflexiv auf das eigene emotionale Erleben beziehen kann. Emotionen werden in sozialen Interaktionen konstruiert (Averill 1980, Hochschild 1979, Shott 1979). Gerhards (1988) konstatiert, dass die verschiedenen Ansätze einer Soziologie der Emotionen in keinem ausschließenden Verhältnis zueinander stehen, sondern sich in einem Komplementärverhältnis zueinander befinden. Die verschiedenen Ansätze sollen an dieser Stelle allerdings nicht umfassend vorgestellt werden. Vor dem Hintergrund der dieser Untersuchung zugrunde liegenden Definition von Emotionen, insbesondere der Annahme, Emotionen seien das Ergebnis interaktiver Prozesse, willentlich beeinflussbar und kulturell überformt, sollen lediglich die grundlegenden Annahmen der symbolisch-interaktionistischen Emotionstheorie vorgestellt werden. Sie tragen wesentlich zum Verständnis des Konzepts von Gefühlsarbeit bei. 2.2.1 Die Symbolisch-interaktionistisch orientierte Soziologie der Emotionen Die symbolisch-interaktionistische Emotionstheorie baut auf dem symbolischen Interaktionismus von Georg Herbert Mead (1968) und Herbert Blumer (1969) auf. Der symbolische Interaktionismus bietet nach Denzin (2007: 149) eine genuine Theorie der Handlung, der Bedeutung, der Motive, der Gefühle, des Gender, der Person und der Sozialstruktur, auf deren Grundlage symbolische Interaktionisten 18 Ausführliche Überblicke finden sich bspw. in Flam (2002), Gerhards (1988), Turner/Stets (2006), Vester (1991).

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die Schnittflächen von Interaktion, Biographie und Sozialstruktur in bestimmten historischen Konstellationen untersuchen. Dieser mikrosoziologische Ansatz beschäftigt sich mit der Interaktion zwischen Menschen. Grundlegende Annahme der Theorie des symbolischen Interaktionismus ist, dass die Beschaffenheit eines sozialen Objektes, einer Situation oder Beziehung erst entsteht, indem das Subjekt dem Objekt, der Situation oder der Beziehung eine Bedeutung zuweist. Diese erlangt ihre Gültigkeit im symbolisch vermittelten Prozess der Interaktion und Kommunikation sowie durch von der Person durchgeführte Interpretationen (Mead 1968). Im Verlauf des Interpretationsprozesses werden Bedingungen als Mittel für die Steuerung und den Aufbau von Handlungen gebraucht und abgeändert (Blumer 1973: 84). Relevant sind dabei Deutungsmuster und Normen, die sich jedoch ebenso erst in Aushandlung der Bedeutungen in den Interaktionen der Akteure konstituieren (Denzin 2007). Nicht Regeln schaffen und erhalten menschliches Zusammenleben, sondern im sozialen Prozess des Zusammenlebens werden diese geschaffen bzw. bestätigt (Abels 2007: 54). Der Pragmatismus ist von grundlegender Bedeutung für den symbolischen Interaktionismus. Ihm zufolge sind es praktische Konsequenzen und Wirkungen einer lebensweltlichen Handlung, welche die Bedeutung oder Wahrheit von Begriffen, Aussagen und Meinungen bestimmen (Denzin 2007: 142). Interaktionen bestehen in einem sich wechselseitigen Zueinander-Verhalten von handelnden Akteuren (Mead 1968). Deshalb wird im Prozess der Interaktion auch menschliches Verhalten geformt. Wenn Personen miteinander agieren, dann müssen sie auf die Verhaltensweisen und Handlungsabsichten des anderen achten (Abels 2007: 49, Blumer 1969: 87). Das erfolgt durch wechselseitige Rollenübernahme sowie durch Anzeige und Interpretation des Verhaltens und geschieht auf der symbolischen Ebene (Mead 1968: 197). Handelnde produzieren im Rahmen von Interaktionen gemeinsame Symbole, an denen sie sich orientieren, die sie durch ihr Handeln bestätigen, revidieren und wieder neu definieren (Abels 2007: 44). In den Interaktionen ist von Bedeutung, dass sich die Person selbst zum Gegenstand ihrer Handlungen machen kann – also zur Selbstreflexion in der Lage ist –, indem sie sich in die Position anderer hineinversetzt und von dieser Position aus in Bezug auf sich selbst handelt (Blumer 1969: 92). Mead (1968: 300) spricht in diesem Zusammenhang von der „Übernahme der Rolle anderer“. Die Aktivität von Menschen besteht nach Blumer (1969) darin, dass sie sich ständig in Situationen befinden, in denen sie handeln müssen. Ihr Handeln ist auf der Grundlage dessen aufgebaut, was sie wahrnehmen, wie sie das Wahrgenommene einschätzen und interpretieren und welche Handlungslinien sie schließlich entwerfen. Nach Blumer (ebd.) beeinflusst eine soziale Struktur oder ein organisiertes Handlungssystem das Handeln der darin involvierten Akteure nicht einfach so. Sie sind weder Opfer ihrer Impulse noch bewusstlos äußeren Reizen ausgeliefert. Strukturelle Merkmale wie Rolle, Schichtzugehörigkeit oder Kultur determinieren das Handeln von Personen nicht, sondern stellen lediglich Bedingungen dafür be-

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reit. Akteure handeln, indem sie die Strukturbedingungen mit Bedeutungen versehen und sie damit selbst herstellen, so Abels (2007: 46). Es liegt in der Verantwortung der Person selbst, welche Handlungsoptionen sich ergeben. Menschen planen und steuern ihr Tun dadurch, indem sie „die sie umgebende und sich ständig wandelnde Welt mit Sinn versehen und interpretieren“ (Helle 2001: 93). Je nachdem, wie sie die Bedingungen interpretieren, bestehen selbst in stark reglementierten Handlungssystemen Möglichkeiten zu alternativen Situationsdeutungen (Blumer 1973). Ausgehend von diesen Annahmen nimmt die symbolisch-interaktionistisch orientierte Soziologie der Emotionen vor allem die in Interaktionen beteiligten Personen in den Blick und untersucht deren Interpretationsleistungen, die dann zu Emotionen führen. Emotionen entstehen demnach erst durch die Interpretationsleistungen der Akteure. Die Vertreter der symbolisch-interaktionistisch orientierten Emotionssoziologie – wie Hochschild (1979, 1990), Thoits (1989), Averill (1980) oder Shott (1979) – vertreten die Annahme, dass entgegen den Auffassungen der Vertreter des positivistischen und sozialkonstruktivistischen Ansatzes nicht Statusund Machtbeziehungen zur Entstehung von Emotionen beitragen, sondern die Interpretationsleistungen der in den Status- und Machtbeziehungen handelnden Akteure. Sie bestimmen, ob ihre Empfindungen Angst, Sorge, Trauer oder Freude sind (vgl. Flam 2002). Der interaktionistische Ansatz hebt zudem die Dimension der normativkulturellen Kodierung von Emotionen hervor. Die Emotionsentstehung wird durch kulturelle Gegebenheiten beeinflusst. Es wird davon ausgegangen, dass sich Emotionen nicht reflexartig aus sozialstrukturellen Bedingungen oder kulturellen Normierungen ergeben, sondern immer nur aus der Interpretation dieser Bedingungen durch die Akteure. Emotionen sind auf der Grundlage dieses Verständnisses Befindlichkeiten, die eine Person erst dadurch empfindet, indem sie eine entsprechende Bedeutung in Interaktion mit Anderen konstituiert (Gerhards 1988: 171). Die Interpretationen basieren auf normativ stabilisierten Deutungsmustern. Die Deutungsmuster enthalten Gefühlsregeln (Hochschild 1979), die im Laufe der Sozialisation erworben werden (Flam 2002). Das Gefühl der Scham einer zu schnell gefahrenen oder nicht angeschnallten Person entsteht daher nicht nur, weil sie in der Interaktion mit dem sie kontrollierenden Polizeibediensteten eine geringere Status- und Machtposition inne hat, sondern weil sie das Anhalten im Straßenverkehr dahingehend interpretiert, die geltenden Verhaltensregeln im Straßenverkehr missachtet zu haben. Das Ertappt-Werden löst ein Gefühl der Scham aus, vor allem weil Raser und rücksichtslos Fahrende durch die „Gesellschaft“ insgesamt moralisch sanktioniert werden. Die Vertreter der symbolisch-interaktionistisch orientierten Emotionstheorie kritisieren, dass die kulturelle Kodierung von Emotionen innerhalb der soziologischen Auseinandersetzung mit Emotionen stets vernachlässigt wurde. Sie argumen-

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tieren, dass die für die Entstehung von Emotionen zentralen Interpretationen von Situationen auch über Sozialisationserfahrungen in einem kulturspezifischen Rahmen vermittelt werden und daher nicht immer eine individuelle Leistung des Subjekts sind (Gerhards 1988, Flam 2002). Für Polizeibedienstete ist bspw. von Bedeutung, dass sie in eine von Männern dominierte, bürokratische Organisation integriert und hinein sozialisiert werden. Für sie hat die Zugehörigkeit zu einer starken und mächtigen Gruppe zur Folge, dass für Gefühle wie Ohnmacht, Versagensangst oder Schwäche keine Ausdrucksformen zur Verfügung stehen. Deutlich wird eine Gefühlskultur, in der das Zeigen von Gefühlen als Schwäche deklariert wird (Behr 2004). In der Polizei gelten demnach ganz spezifische Gefühlsregeln, die von den Polizistinnen und Polizisten im Laufe von Sozialisationsprozessen erlernt werden (Flam 2002: 127). Shott (1979) spricht in diesem Zusammenhang von affektiver Sozialisation. Vor allem Hochschild (1979, 1990) und Schott (1979) betonen die Bedeutung von Normen, die angeben, was, wie, wo und wann gefühlt werden soll. Sie heben den Einfluss der normativen kulturellen Kodierung von sozialen Gegebenheiten und den daraus resultierenden Emotionen hervor. Sie nehmen an, dass Individuen in der Lage sind, zu reflektieren, wann ihre Gefühle normkonform und wann sie managementbedürftig sind. Menschen können sich demnach selbst zum Ausgangspunkt ihrer Handlungen machen. Die Gefühlsbearbeitung geschieht nach bestimmten Regeln – den Gefühlsregeln. Hochschild (1990) zeigt in ihren empirischen Studien, dass Beschäftigte im Dienstleistungsbereich (bspw. Flugbegleitpersonal) gefordert sind, nicht nur Dienstleistungen zu verkaufen, sondern auch Gefühlsarbeit zu leisten. Gefühlsarbeit unterscheidet sich vom bloßen Versuch, Gefühle zu kontrollieren oder zu unterdrücken, da es sich dabei auch um die Herstellung und Neugestaltung der Gefühle handelt. Dabei müssen sie Gefühlsregeln befolgen, die durch die Unternehmen vorgegeben sind. Gefühlsregeln kodieren die Richtung, die Dauer und die Intensität von Gefühlen und Expressionen (Flam 2002: 130). Unklar bleibt jedoch, welche Ursachen für unterschiedliche Gefühlsregeln in unterschiedlichen Situationen zu veranschlagen sind (Gerhards 1988). Empathiefähigkeit und die Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu bearbeiten, sind zugleich wichtige Voraussetzungen der sozialen Kontrolle. Zentral ist dabei vor allem die Selbstkontrolle, die ohne die Fähigkeit, sich in andere Personen einzufühlen, unmöglich wäre (Shott 1979: 1323ff). Scham, Schuld- und Peinlichkeitsgefühl bringen Personen dazu, sich normkonform zu verhalten. Shott (ebd.) spricht in diesem Zusammenhang von role-taking-Emotionen und unterscheidet dabei zwischen selbstreflexiven Emotionen wie Scham, Schuld, Stolz oder Eitelkeit, die sich am eigenen Selbst orientieren, und einfühlenden Emotionen, die entstehen, wenn man sich in andere hineinversetzt und dessen Gefühle nachempfindet. Beide Emotionsformen sind für die polizeiliche Arbeit von Bedeutung. Sie motivieren moralische Handlungen, was dazu führt, dass Polizeibedienstete auch mal von den büro-

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kratischen Handlungsvorgaben abweichen, und sie erleichtern soziale Kontrolle, weil den Abweichungen durch gesetzliche Normen wiederum Grenzen gesetzt sind (vgl. Flam 2002, Shott 1979). Zusammenfassend sind folgende drei Annahmen der symbolisch-interaktionistisch orientierten Theorie von Emotionen für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung: • •



Emotionen sind nicht das Ergebnis physiologischer Reaktionen, sondern Resultat von Interpretations- und Deutungsprozessen der Akteure. Durch die wechselseitige Aufeinanderbezogenheit der Akteure entstehen gleiche Bedeutungen (Deutungsmuster), die auch die Bedeutung von Emotionen festlegen und das Erleben der Akteure beeinflussen. Der Mensch ist fähig, Gefühle zu erleben, zu reflektieren und zu managen in Abhängigkeit von geltenden Gefühlsregeln. Er ist zudem in der Lage, sich in die Emotionen von anderen hineinzuversetzen.

Gefühlsmäßige Reflexionen sind in interaktive Situationen eingebettet und von der jeweiligen Kultur, die bestimmte Deutungsmuster, Gefühlsvokabular und Normen anbietet, abhängig (Flam 2002: 127). Die Vertreter des symbolisch-interaktionistisch orientierten Ansatzes übernehmen demnach Goffmans Idee, dass sich Individuen in Interaktionen normkonform verhalten und als Eindrucksmanager zu verstehen sind (Goffman 1998). Ausdruckskontrolle ist notwendig, damit Situationen nicht falsch interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund verstehen die Vertreter der symbolisch-interaktionistisch orientierten Theorie von Emotionen selbige als sozial definierte Erlebens- und Verhaltensmuster, deren Gestaltung innerhalb einer Gruppe oder Gesellschaft ausgehandelt wird und mehr oder weniger verbindlich gilt (vgl. Flam 2002). Um die Gefühlswelt von Menschen zu verstehen, ist es daher wichtig, den Kontext, die Situationsbedingungen sowie die Kultur als Rahmenbedingungen menschlichen Handelns und Fühlens näher zu beleuchten. Darüber hinaus beeinflussen die Situationswahrnehmung, ihre Deutung sowie Beurteilung die Entstehung von Emotionen. Der Zugang zu den Ursachen emotionalen Erlebens gelingt daher nur über Kenntnis der individuellen Situationsdeutungen und -interpretationen. Dies ist für die hier eingenommene Forschungsperspektive von grundlegender Bedeutung, denn daraus leiten sich wichtige Dimensionen für die empirische Rekonstruktion der Gefühlsarbeitspraktiken der Polizeibediensteten ab.

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2.2.2 Das Konzept der Gefühlsarbeit: Arlie Russel Hochschild und „The Managed Heart“ Wie im Rahmen der Ausführungen zur symbolisch-interaktionistisch orientierten Soziologie von Emotionen deutlich wurde, ist eine zentrale Annahme dieses Ansatzes, dass Subjekte in Interaktion mit anderen dazu fähig sind, ihre eigenen Gefühle in Abhängigkeit von geltenden Gefühlsregeln zu reflektieren und ggf. zu verändern. Sie sind also in der Lage ihre Gefühle zu bearbeiten. Diesem Aspekt widmete sich vor allem Arlie Russel Hochschild (1990), die mit ihrem Buch „Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung von Gefühlen“ (Originaltitel: „The Managed Heart“) einen bahnbrechenden Beitrag zur Organisationssoziologie und zum Verständnis von Gefühlen in Organisationen geleistet hat (Flam 2002). Hochschild zeigt darin, dass der Verkauf von Dienstleistungen von den Angestellten vor allem auch die Kompetenz zur Regulierung bestimmter Emotionen verlangt (Hochschild 1990, Flam 2002).19 Hochschild versteht unter Gefühlsarbeit das Managen der eigenen Gefühle, welches „das Zeigen oder Unterdrücken von Gefühlen verlangt, damit die äußere Haltung gewahrt bleibt, die bei anderen die gewünschte Wirkung hat“ (Hochschild 1990: 30). Empfindungen werden gesteuert, um den spezifischen Situationen, in denen Menschen sich befinden, eine angemessene Form zu geben. Dies geschieht in Übereinstimmung mit Regeln für situationsspezifisch angemessene Emotionen. Welchen Gefühlsregeln die Angestellten zu folgen haben, hängt von den Unternehmenszielen ab. Hochschild untersucht berufsförmige Gefühlsarbeit an zwei Berufsgruppen im Dienstleistungsbereich: Flugbegleitpersonal und Inkasso-Angestellte. Sie zeigt, dass Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter gefordert sind, nur positive Emotionen wie Mitgefühl, Herzlichkeit, Wärme und Freude gegenüber den Fluggästen zu zeigen. Die Fluggesellschaft leitet das Flugbegleitpersonal an, den Fluggästen stets zu schmeicheln, ihnen Recht zu geben und sie liebevoll zu betreuen, um ihren sozialen Status zu heben. Damit dies besser gelingt, sollen sie sich vorstellen, die Fluggäste wären Gäste in ihrem eigenen Wohnzimmer (Hochschild 1990). Im Gegensatz dazu müssen die Geldeintreiber die Schuldner mit Aggression und Verachtung konfrontieren. Sie müssen sie kleinkriegen und ihren sozialen Status minimieren. Um das zu erreichen, müssen sich die Dienstleistenden am 19 Weihrich und Dunkel (2003) machen deutlich, dass Dienstleistungsarbeit zumeist ein Spannungsverhältnis zwischen marktwirtschaftlicher Tauschbeziehung und dem Einbringen der Persönlichkeit der Akteure beinhaltet. Es wird neben der Abwicklung von marktwirtschaftlichen Aspekten gefordert, sich auf einer von Gefühlen bestimmten Ebene einzubringen. Damit wird Gefühlsarbeit zum zentralen Bestandteil der interaktiven Arbeit am Menschen.

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Arbeitsplatz nicht nur gemäß betrieblichen Emotionsnormen verhalten, sondern auch die zum geforderten Verhalten passenden Gefühle erleben. Somit werden Gefühle zur Ware mit dem Ziel der Profitmaximierung und zur Ressource zum Geldverdienen (Hochschild 1990: 72, Flam 2002).20 Die Anpassung an vorgegebene Emotionsregeln geschieht nach Hochschild (1990: 53ff) durch Oberflächenhandeln (surface acting) und Tiefenhandeln (deep acting). Oberflächenhandeln – das Agieren an der Oberfläche – beruht auf dem Vorspielen von Gefühlen. Lediglich der Gefühlsausdruck wird den Normen angepasst. „Dabei ist der Körper das entscheidende Werkzeug, nicht die Seele“ (ebd.: 55). Oberflächenhandeln kann daher als gespielt erscheinen, wenn der Dienstleistende seine „wahren“ Gefühle nicht verbergen kann. Tiefenhandeln setzt ein tatsächliches Bestehen bestimmter Gefühle voraus. Das empfundene Gefühl wird der Gefühlsnorm angepasst. Um das gewünschte Gefühl ausdrücken zu können, müssen die Gefühlsarbeitenden unerwünschte Gefühle unterdrücken, modifizieren oder verstecken. Der Handelnde versucht nicht nur glücklich oder traurig zu erscheinen; es geht ihm vielmehr darum, ein selbstinduziertes, wirkliches Gefühl spontan zu zeigen (ebd.). Hauptsächlich werden kognitive Strategien eingesetzt, um die Situation so zu gestalten, dass die eigenen Gefühle den vorgegebenen Regeln entsprechen. Es wird versucht, die tatsächlich empfundenen Gefühle zu beeinflussen. Rastetter (2008) zählt als Techniken des Tiefenhandelns körperliche Entspannung, Konzentration und die Nutzung von Gefühlserinnerungen auf. Bei letztgenannter Technik spielt das Gefühlsgedächtnis eine wichtige Rolle (Hochschild 1990: 58). Nur durch dieses Management der Gefühle sind die Beschäftigten in der Lage, die geforderte Arbeitsleistung zu erbringen. Die Darstellung der Gegensätzlichkeit von Gefühlsarbeit am Beispiel des Flugbegleitpersonals und der Inkasso-Angestellten vermittelt einen Einblick in die Breite des Spektrums an emotionalen Anforderungen am Arbeitsplatz. Gefühlsarbeit gehört als Tätigkeitsanforderung vor allem dann zu einem Beruf, wenn dieser sich durch direkten Kundenkontakt (face to face oder voice to voice) auszeichnet, wenn die Angestellten einen bestimmten Gefühlszustand beim Klienten hervorrufen müssen (bspw. Dankbarkeit oder Angst) und wenn die Organisation ein gewisses Maß an Kontrolle über das Gefühlsverhalten der Beschäftigten hat (bspw. durch Ausbildung oder Überwachung) (ebd.). 20 Emotionsarbeit im Sinne von „emotional labour“ ist von der Emotionsarbeit im Privaten, „emotion work“, abzugrenzen. Hochschild (1990) geht davon aus, dass Menschen im privaten Bereich unter Orientierung an sozialen Emotionsnormen Gefühlsarbeit leisten mit dem Ziel, Interaktionen und private Beziehungen zu regulieren. Verschieden sind demnach vor allem die Ursachen von geleisteter privater und betrieblicher Gefühlsarbeit (Rastetter 2008).

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Ein Schwerpunkt von Hochschilds Ansatz bilden die psychischen und gesundheitlichen Kosten, die mit Emotionsarbeit verbunden sind. Der Widerspruch zwischen dem, was gefühlt werden soll, und dem, was tatsächlich gefühlt wird, führt auf der Erlebensebene des Subjekts langfristig zu emotionalen Dissonanzen. Hochschild nimmt an, dass es Menschen nicht möglich ist, über längere Zeit andere Gefühle auszudrücken, als sie empfinden. Deshalb sind sie bestrebt, eine Übereinstimmung zwischen Gefühlausdruck und tatsächlichem Empfinden herzustellen. Die emotionalen Dissonanzen werden bewältigt, indem die Gefühle dahingehend verändert werden, dass sie zu den Normen passen (Tiefenhandeln), oder es wird das Verhalten so verändert, dass es zu den Gefühlen passt (Oberflächenhandeln). Die Herstellung eines der Situation angemessenen und geforderten Gefühls bedeutet in diesem Verständnis Arbeit und Anstrengung (Hochschild 1990). Hochschild (ebd.) nimmt an, dass inneres Handeln bei arbeitsförmiger Emotionsarbeit stärker zur Entfremdung von den eigenen Gefühlen führt als die bloße Darstellung von Gefühlen. Eine permanente Anpassung der eigenen Gefühle an äußere Regeln führt zu einer Entfremdung von Gefühlen. Die Gefühlsarbeiterinnen und Gefühlsarbeiter wissen dann nicht mehr, welche die wirklichen und welche die manipulierten Gefühle sind. Die Arbeitskräfte verlieren die Fähigkeit, authentische Gefühle zu empfinden (vgl. Flam 2002). Am Beispiel des Flugbegleitpersonals zeigt Hochschild, dass sie im Privatleben den gleichen, aber dort unpassenden Gefühlsregeln folgen wie an Bord des Flugzeugs. Die Unfähigkeit der Gefühlsarbeitenden, in ihrer Freizeit zu ihren „wahren“ Gefühlen zurückzufinden, diagnostiziert Hochschild als neue Krankheit in der Dienstleistungsbranche (vgl. ebd.). Die vom Unternehmen verordnete Arbeit an den Gefühlen zur Regulierung marktförmiger Beziehungen analysiert Hochschild deshalb kritisch. Sie deutet den Eingriff in das Gefühlsleben der Arbeitskräfte als die Vollendung der Unterordnung menschlicher Arbeitskraft unter das Kapital (Flam 2002, Hochschild 1990, Rastetter 2008). 2.2.3 Kritik und Weiterentwicklungen zum Konzept der Gefühlsarbeit Hochschilds Arbeiten wurden teilweise stark kritisiert, was dazu führte, dass die konzeptionellen Überlegungen zu Gefühlsarbeit im Bereich der Dienstleistungsarbeit weiter vorangetrieben wurden. Unstrittig war die genderspezifische Prägung der Gefühlsarbeit. Im Vordergrund der Kritik stand besonders, dass Hochschild die Folgen beruflich geforderter Gefühlsarbeit ausschließlich negativ bewertet hat und das Interesse, das die Dienstleistenden selbst an Gefühlsarbeit haben, vernachlässigte (Dunkel/Weihrich 2010, Flam 2002, Rastetter 2008). Die auf dieser Kritik aufruhenden Weiterentwicklungen werden im Folgenden vorgestellt. Sie liefern wichtige konzeptionelle Anschlussmöglichkeiten für die vorliegende Untersuchung.

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Die Vielfalt des Gebrauchs von Emotionen Kritisch anzumerken an Hochschilds Konzept der Gefühlsarbeit ist, dass sie nicht erkannt hat, wie facettenreich der Gebrauch von und der Umgang mit Gefühlen am Arbeitsplatz tatsächlich ist. Anhand der von Dunkel (1988) vorgenommenen Systematisierung von berufsförmiger Gefühlsarbeit lassen sich der beruflich-fachliche Umgang mit Gefühlen und die emotionalen Dimensionen personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten analytisch noch präziser erfassen. Er versucht, den äußerst diffus erscheinenden „menschlichen Faktor“ (ebd.: 66), der die personenbezogene Dienstleistungsarbeit mitbestimmt, mit Hilfe des Konzepts der Gefühlsarbeit genauer zu bestimmen. Die Ausführungen von Dunkel machen deutlich, dass Emotionen als Arbeitsgegenstand, als Arbeitsmittel und als Bedingung im Arbeitshandeln eine Rolle spielen. •



Gefühle als Arbeitsgegenstand: Gefühle werden zum Arbeitsgegenstand, wenn die Arbeitskraft auf den emotionalen Zustand des Gegenübers einwirkt, um ein bestimmtes erwünschtes Ziel zu erreichen. Bspw. erfordert die Vernehmung von Opfern, speziell auch von Kindern, Einfühlungsvermögen und Vertrauen, um alle für die Ermittlungen notwendigen Informationen zum Tathergang zu erhalten. Aus den Besonderheiten der nicht objektiven Messbarkeit und der Flüchtigkeit von Gefühlen – ihrer „spezifischen Stofflichkeit“ (ebd.: 68) – erwachsen besondere Anforderungen an die Arbeitskraft. Möchte der Gefühlsarbeitende die emotionale Befindlichkeit des Gegenübers situations- und personenadäquat beeinflussen, muss er in der Lage sein, die emotionalen Befindlichkeiten des Gegenübers wahrzunehmen wie auch die emotional relevante Selbstdarstellung aufgabengerecht zu regulieren. Die Arbeitskraft muss sich zum Zwecke der Beeinflussung des emotionalen Zustands des Gegenübers selbst darstellen und inszenieren (vgl. auch Goffman 1998). Damit wird menschliche Expressivität zur lebendigen Arbeit (Dunkel 1988: 67). Durch diese Form der Gefühlsarbeit versucht die Arbeitskraft die Gefühle des Gegenübers zu manipulieren. Gefühle als Arbeitsmittel: Gefühlsarbeit heißt nicht nur, dass an den Gefühlen, sondern auch mit Gefühl gearbeitet wird – Gefühle können demnach auch Arbeitsmittel sein, so Dunkel (ebd.). Darunter versteht man zum einen den Einsatz der eigenen Gefühle zur Beeinflussung des Gegenübers. Dabei werden auch körperliche Ausdruckmöglichkeiten sowie Kleidung (bspw. die Uniform der Polizisten) oder die Gestaltung des Raumes (bspw. spezielle Vernehmungsräume) genutzt. Zum anderen fasst man darunter die Nutzung emotional gesteuerter Orientierungsmodi als Erfahrungsgrundlage. Erwerbsarbeit zeichnet sich nicht nur durch ein technisch-instrumentelles Vorgehen aus. Den Bezug zum Arbeitsgegenstand kann man in Ergänzung dazu auch als ganzheitlich-

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emotional bezeichnen.21 Dabei haben empathische Fähigkeiten, Gestaltwahrnehmung, improvisierendes Vorgehen und Erfahrungswissen ein besonderes Gewicht. Intuition, Gespür und Bauchgefühl spielen vor allem bei Ermittlungen eine wichtige Rolle. Ein ganzheitlich-emotionales Vorgehen ist zudem für die Erfassung der emotionalen Befindlichkeiten des Gegenübers von Bedeutung. Das Verstehen mit Hilfe von Gefühl wird als Empathie bezeichnet. Empathisches Verstehen beruht auf Ähnlichkeit. Daher muss der Gefühlsarbeitende sich aktiv bemühen, den Gefühlscode des Gegenübers zu entschlüsseln. Er muss also Arbeit leisten – Gefühlsarbeit (ebd.). Gefühle als Bedingung: Da die emotionale Befindlichkeit des Gefühlsarbeitenden direkten Einfluss auf den Arbeitsprozess haben kann, können Gefühle auch Bedingung im Arbeitshandeln sein. Daraus folgt für Dunkel (ebd.), dass im besonderen Maße emotionale Selbstkontrolle notwendig wird, wenn die erlebten Gefühle nicht mit den geforderten Gefühlen zusammenpassen. Um dennoch eine angemessene Selbstdarstellung zu inszenieren, muss an den eigenen Emotionen gearbeitet werden – ein dritter Aspekt des Umgangs mit Gefühlen im Arbeitsprozess. Die Vorstellung einer Arbeit an und mit den eigenen Gefühlen geht davon aus, dass Menschen in der Lage sind, Gefühle zu gestalten, zu unterdrücken oder hervorzurufen (vgl. auch Rastetter 1999). Geleitet werden sie dabei von in der Sozialisation erlernten Gefühlsregeln. Der reflexive Bezug auf die eigene emotionale Befindlichkeit ermöglicht dem Gefühlsarbeitenden die Einhaltung der Gefühlsregeln wie auch die Verarbeitung von emotionalen Belastungen, bspw. durch die Distanzierung des Polizeibediensteten vom polizeilichen Gegenüber. Emotionsarbeit ist demnach auf zwei Ebenen von Bedeutung: zum einen auf der Ebene des Arbeitsgegenstandes, wo die Reduktion bzw. Auflösung der emotionalen Dissonanzen der am Arbeitsplatz geforderten Leistung dient, zum anderen auf der Ebene der Person, um sich selbst vor emotionalen Belastungen zu schützen. Emotionsarbeit im Modus der Bearbeitung von emotionalen Anforderungen kann demnach als professionelles Handeln begriffen

21 Analog zur Gegenüberstellung von technisch-instrumentellem und ganzheitlich-emotionalem Arbeitshandeln, unterscheiden Böhle und Milkau (1988) zwischen objektivierenden und subjektivierenden Arbeitshandeln. Subjektivierend meint die sinnlich konkrete Erfahrung und damit Aneignung des Arbeitsgegenstandes (bspw. einer Werkzeugmaschine) mit seinen „Eigenarten“. Die Maschine wird zum Subjekt, weil sie Eigenschaften hat, die andere Maschinen gleichen Typs nicht haben („sie hat ihre Macken“). Die Arbeitskraft steht damit zu einer ganz besonderen, persönlichen Beziehung zu „ihrer“ Maschine. Böhle und Milkau zeigen damit, dass Gefühle im Arbeitsprozess als „Instrumente“ des Wahrnehmens, Erfassens, Verstehens und Entscheidens eingesetzt werden können. Sie heben die Bedeutung von Empathie, Intuition, Erfahrungswissen und Gespür hervor (vgl. auch Böhle 1999, 2004).

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werden und ist Teil berufsspezifischer Kompetenzen (am Beispiel von Beamtinnen und Beamten in einem Landeskriminalamt siehe Hahn 2008). Die Bedeutung der Arbeit an den eigenen Gefühlen Dass die Gefühle der Gefühlsarbeitenden selbst einen Einfluss auf die Arbeitssituation haben, arbeitet Hochschild nur unzureichend heraus (Rastetter 2008). Sie thematisiert nicht, dass bei der Bearbeitung der Gefühle der Arbeitskraft die Bewältigung erlebter Belastungen eine wichtige Rolle spielt. In Hinblick auf die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten ist zu vermuten, dass der Umgang mit dem eigenen Erleben und Empfinden von hoher Bedeutung ist, weil sie im Rahmen ihrer Tätigkeit oftmals mit sehr belastenden Ereignissen konfrontiert sind (schwere Verkehrsunfälle, Missbrauch, Mord etc.). Um ihre Arbeit dennoch durchführen zu können, müssen sie ihre eigenen Gefühle bearbeiten. Strauss et al. (1980) erforschten Gefühlsarbeit anhand von Untersuchungen der Arbeit im Krankenhaus. Sie definieren Gefühlsarbeit „als Arbeit, die speziell unter Berücksichtigung der Antworten der bearbeiteten Person oder Personen geleistet wird und die im Dienst des Hauptarbeitsverlaufs erfolgt“ (ebd.: 629). Gefühlsarbeit wird als „Nebenarbeit“ im Dienste einer größeren Arbeitslinie gesehen. Die sachliche und die emotionale Ebene einer Arbeitssequenz sind miteinander verschränkt. Emotionen werden dabei nicht als Störfaktoren betrachtet, sondern sie unterstützen die sachliche Dimension der Arbeitsverrichtung. Strauss et al. konstatieren, dass ein Teil dieser Arbeit auch vom Arbeitenden an sich selbst oder an anderen Arbeitenden geleistet werden kann, was aber auch immer der Aufrechterhaltung des Arbeitsprozesses dient. Giesenbauer und Glaser (2006) machen daran ihre Unterscheidung von Gefühls- und Emotionsarbeit fest. Gefühlsarbeit hat ihren Ausgangspunkt in der grundlegenden Tatsache, dass jegliche Arbeit, die mit oder an Menschen verrichtet wird, deren gefühlsmäßige Reaktionen (z.B. Angst, Scham) auf die instrumentelle Arbeit (z.B. Leibesvisitation) berücksichtigen sollte. Emotionsarbeit steht demgegenüber ganz allein für den Umgang mit den Gefühlen des Gefühlsarbeiters. Emotionsarbeit wird geleistet, wenn Arbeitende einen Widerspruch empfinden zwischen dem, was sie fühlen sollen (Wachsamkeit, Interesse), und dem, was sie bspw. im Umgang mit anderen Personen tatsächlich fühlen (Ekel, Abscheu). Die Bemühungen, diesen Widerspruch zu vermindern, bezeichnen Giesenbauer und Glaser als Emotionsarbeit.22 Auch andere Autoren (z.B. Brucks 1999) begreifen Emotionsarbeit als emotionale Stressbewältigung bzw. emotionales Coping. Dabei wird die Argumentation 22 In dieser Untersuchung wird keine Unterscheidung zwischen Gefühlsarbeit und Emotionsarbeit getroffen, sondern beide Begriffe werden synonym verwendet.

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von Hochschild umgedreht: Nicht Emotionsarbeit führt zu Stress, sondern die Tätigkeit der Gefühlsarbeitenden erzeugt Dissonanzen, die durch Gefühlsarbeit verringert werden. Dissonanzen gelten als der Arbeitsrolle inhärente Stressoren (Fischbach 2003), die durch Gefühlsarbeit aufgelöst werden können (Rastetter 2008). Lazarus und Folkman (1984) argumentieren, dass insbesondere in jenen Fällen emotionale Stressbewältigung notwendig ist, in denen eine handelnde problemorientierte Bewältigung der Situation nicht möglich ist oder als unmöglich wahrgenommen wird. „Wer strenge Vorschriften einzuhalten hat und stark kontrolliert wird, wer sich weder die Kunden noch den Zeitpunkt des Kontakts mit ihnen aussuchen kann, hat kaum Möglichkeiten zum Vermeidungsverhalten. Er muss auf emotionales Coping zurückgreifen“ (Rastetter 2008: 37). Durch emotionsfokussiertes Coping wird versucht, einen als negativ empfundenen emotionalen Ist-Zustand durch intrapsychische Vorgänge korrigierend zu beeinflussen, um die belastenden Emotionen erträglicher zu machen (Folkman/Lazarus 1980, Kahmann 2007: 109). Gefühlsarbeit dient damit der Entlastung der Gefühlsarbeitenden. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Arbeitskraft selbst ein Interesse an Gefühlsarbeit hat, weil sie mit ihren ursprünglich vorliegenden Gefühlen in der aktuellen Situation nicht zurechtkäme (vgl. dazu Rastetter 2008: 25). Dies ist ein Aspekt, den Hochschild vernachlässigt hat. Mechanismen der Gefühlsarbeit Zudem muss man an der Hochschildʼschen Konzeption von Gefühlsarbeit kritisieren, dass ihre Einteilung der Techniken von Emotionsarbeit in oberflächliches und inneres Handeln zu stark und zu vereinfachend ist, so Flam (2002). Wie Studien zeigen, haben Dienstleistungsangestellte nicht nur die Wahl zwischen echtem Gefühlsmanagement und Oberflächenhandeln, sondern sie entwerfen innovativ, zynisch oder distanziert viele Mischformen (Taylor 1998: 99, Flam 2002: 203). Bolton und Boyd (2003) zeigen bspw., dass Subjekte in der Lage sind, ein ganzes Repertoire an Gefühlsregeln abhängig von der Situation und ihrer individuellen Motivation flexibel anzuwenden (siehe dazu auch Bolton 2005). Gefühlsregeln sind nicht nur kommerzieller, sondern auch professioneller und sozialer Natur. Hochschild übersieht, dass Gefühle am Arbeitsplatz bspw. auch aus altruistischen Motiven heraus motiviert sein können. Die Kompetenzen der Dienstleistenden sind sehr fein abgestimmt, so dass es ihnen möglich ist, verschiedene Formen von Gefühlsmanagement in Abhängigkeit zu den Gefühlsregeln zu mixen und damit umzugehen. Bolton und Boyd (2003: 305) verstehen sie daher als „multi-skilled emotion manager“. Es bleibt bei Hochschild weitestgehend offen, durch welche Praktiken Gefühlsarbeit tatsächlich geleistet wird. So zeigt die Untersuchung von Hahn (2008) zum Umgang von Beamtinnen und Beamten eines Landeskriminalamtes mit Extrembe-

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lastungen, dass das Täuschen – im Sinne von Hochschilds Oberflächenhandeln – nur als eine individuelle Bewältigungsform im Rahmen der Routinen des Wegtuns zu begreifen ist, die Polizeibedienstete nutzen, um sachliches Arbeitshandeln zu gewährleisten (ebd.: 107). Täuschen meint das Verbergen von Gefühlen (z.B. Wut, Ekel) sowie das Vorspielen von anderen Gefühlslagen als aktuell empfunden, um den Arbeitsauftrag zu erfüllen. Im Umgang mit Selbstsorge bezeichnet Hahn die Handlungen des Wegtuns als Wegstecken (ebd.: 123). Zapf et al. (2009) machen deutlich, dass sich die Strategien des Tiefenhandelns differenzieren lassen in antizipative Strategien, als Prozesse der vorbereitenden Emotionsregulation, und situative Strategien, die erst in der Interaktion selbst eingesetzt werden. Dunkel (1988) unterscheidet anhand seiner Ausführungen zur Gefühlsarbeit von Altenpflegekräften zwischen Praktiken, die nach außen und die nach innen gerichtet sind. Nach außen gerichtete Strategien bestehen bspw. in der temporären Vermeidung von Stresssituationen oder auch in einem generellen Rückzug von der Pflegearbeit. Zur Reduktion von Stress trägt aber auch Gefühlsarbeitsteilung bei. So haben Pflegekräfte ihre „Lieblinge“, deren „Bearbeitung“ zur emotionalen Entlastung beiträgt. Besonders anstrengende Bewohner werden abwechselnd betreut. Spezialaufgaben, wie bspw. Sterbebegleitung, werden von denjenigen übernommen, die sich dafür kompetent und belastbar fühlen. Nach innen gerichtete Strategien werden dann genutzt, wenn es den Gefühlsarbeitenden nicht möglich ist, erlebten Stress durch eine Änderung der äußeren Umwelt zu reduzieren. In unausweichlichen Situationen müssen die Arbeitskräfte versuchen intrapsychisch Stress zu minimieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei soziale Unterstützung, indem sich die Pflegekräfte bspw. gegenseitig Trost spenden. Eine langfristige intrapsychische Strategie besteht in der Balance zwischen großem emotionalen Engagement und geringem emotionalen Einsatz. Diese Balance ist sehr prekär. Die Gefühlsarbeitenden sind gefordert, ein vertretbares Maß zwischen emotionaler Anteilnahme und professioneller Distanz zu finden (ebd.). Gerhards (1988) unterscheidet die Techniken des Tiefenhandelns entlang von kognitiven und handelnden Formen von Gefühlsarbeit. Unter kognitiver Emotionsarbeit fasst er die rein bewusstseinsmäßigen Neudeutungen von Situationen, Selbstkonzepten und körperlichen Parametern. Handelnde Emotionsarbeit bezieht sich dagegen auf ein aktives Eingreifen in die Umwelt, um auf diese Weise die Bedingungen der Emotionsentstehung und damit die Emotionen selbst zu modulieren, bspw. durch die Einnahme von Alkohol und Medikamenten oder durch die Vermeidung von Belastungssituationen. Gerhards unterscheidet die verschiedenen Formen

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von Emotionsarbeit auch entlang der Ebenen Organismus, Persönlichkeitssystem, Sozialstruktur und Kultur.23 Die an die Überlegungen von Hochschild anschließenden Weiterentwicklungen zu Gefühlsarbeit weisen darauf hin, dass bei der Arbeit an und mit Gefühlen unterschiedlichste Mechanismen wirken, die über das Oberflächen- und Tiefenhandeln hinausgehen. Bspw. kann ein Vortäuschen von Gefühlen dadurch erreicht werden, indem die eigenen Gefühle verleugnet bzw. abgewehrt werden oder die Situation rationalisiert wird. Man kann darüber hinaus fragen, ob Tiefenhandeln nicht noch mehr ist, als ein tatsächlich empfundenes Gefühl in Anpassung an die vorherrschenden Gefühlsregeln spontan zu erzeugen. Was passiert, wenn die vorgegebenen Regeln den situativen Anforderungen widersprechen, bspw. wenn ein Jugendlicher, der Medikamente stiehlt, dies aus seiner schweren Drogenabhängigkeit heraus tut, in die er aufgrund eines Schicksalsschlages hineingeraten ist. Es ist anzunehmen, dass sich das Tiefenhandeln dann in einem gefühlsmäßigen Oszillieren zwischen den unterschiedlichen Anforderungen manifestiert, um beiden Seiten gleichermaßen gerecht zu werden; ähnlich, wie das Dunkel (1988) anhand der Arbeit von Altenpflegekräften beschrieben hat. Eine ähnliche Frage stellt sich, wenn die offiziellen Vorgaben der Organisation den Ansprüchen des Gefühlsarbeitenden entgegenstehen – bspw., wenn der Polizeibedienstete hohe Ansprüche an die sozialtherapeutische Wirksamkeit seines Handelns hat und dem Jugendlichen helfen möchte, aus der Drogenabhängigkeit herauszukommen. Folgen von Gefühlsarbeit In Anlehnung an Rastetter (2008: 30) ist darüber hinaus an Hochschild zu kritisieren, dass sie ausschließlich die negativen Folgen von Gefühlsarbeit betont. Hochschild vertritt die These, dass emotionale Regulierung am Arbeitsplatz für die Organisation gut, für die Beschäftigten aber schlecht sei (ebd.). Bolton und Boyd (2003) bezweifeln, dass Gefühlsarbeit in Organisationen nur fordernd, langweilig, erschöpfend, stressig und ermüdend ist. Emotionale Anforderungen und Gefühlsarbeit können auch funktional sein und Selbstwirksamkeit erhöhend wirken, wie verschiedene Studien belegen (siehe zusammenfassend Rastetter 2008: 30). Neuere Untersuchungen zeigen ein differenziertes Bild in Bezug auf die Folgen von Gefühlsarbeit (Nerdinger 2008). So ermöglicht der Einsatz von Emotionen den Beschäftigten aktiv die Gestaltung der Interaktionssituation zu beeinflussen. Bspw. können Polizistinnen und Polizisten, indem sie bei der Vernehmung von Zeugen auf diese eingehen und ihnen das Gefühl geben, mit ihrer Aussage zur Aufklärung der Straftat beizutragen, alle 23 Die Kategorisierung von Gerhards macht deutlich, dass im Umgang mit Gefühlen unterschiedliche Randbedingungen eine Rolle spielen.

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wichtigen Informationen zur Rekonstruktion des Sachverhaltes zusammenzutragen. Erst wenn es nicht gelingt, die erlebten und geforderten Gefühle miteinander in Einklang zu bringen, entsteht ein Dissonanzgefühl, das mit negativen Gefühlen verbunden ist. Insgesamt sprechen die Befunde dafür, dass emotionale Dissonanzen nicht an sich belastend sind, sondern dass deren Erleben und deren individuelle Verarbeitung ausschlaggebend sind. Rastetter (2008) konstatiert, dass sich Hochschild nicht wirklich damit auseinandersetzt, wie emotionale Dissonanzen wirken. Die Befunde von Büssing und Glaser (2003) sowie Nerdinger und Röper (1999) zeigen z.B., dass die Unterscheidung von faking in bad faith und faking in good faith für die Verarbeitung emotionaler Dissonanzen zentraler ist als surface und deep acting. Beim faking in bad faith findet eine Gefühlsvortäuschung entgegen der eigenen Überzeugung statt, was zu Rollenkonflikten führen kann. Das ist der Fall, wenn ein Polizist aufgrund zu erreichender Kennzahlen einen Mängelschein ausstellen muss, obwohl er einen Hinweis auf das defekte Bremslicht als ausreichend empfunden hätte, oder wenn er entgegen seiner persönlichen Werte und Überzeugungen Gewalt anwenden muss. Faking in good faith meint, dass die Gefühlsarbeitenden ihre Gefühle aus einer inneren Überzeugung heraus vortäuschen. Dabei gehen die Gefühlsarbeitenden davon aus, dass es sich um eine notwendige Anforderung der Tätigkeit handelt, die sie aufgrund ihrer Identifikation mit dem Beruf akzeptieren (Nerdinger 2001), so bspw. beim vorgetäuschten Verständnis für die Motive eines Täters im Rahmen polizeilicher Aufklärungsarbeit. Damit ist gezeigt, dass emotionale Dissonanzen durchaus in das Selbstkonzept der Gefühlsarbeitenden integrierbar sind, wenn sie als zur Rolle dazu gehörig akzeptiert und damit als nicht identitätsbedrohlich erlebt werden24 (siehe dazu auch Rafaeli/Sutton 1987, Rastetter 2008: 35). Unklar bleibt für Rastetter (2008), welche Strategie (Oberflächen- oder Tiefenhandeln) bereits ein Bewältigungsmechanismus für die Folgen emotionaler Anforderungen ist und welche direkt das Arbeitshandeln betrifft. Ist Tiefenhandeln als eine Form von Gefühlsarbeit gleichzeitig eine Strategie, um die emotionalen Dissonanzen aufgrund von Oberflächenhandeln aufzulösen? Sie (ebd.: 33) zieht aufgrund verschiedener Untersuchungen den Schluss, dass Tiefenhandeln weniger belastend zu sein scheint, als von Hochschild angenommen; insbesondere dann, wenn es eine bewusste und gezielt eingesetzte Strategie ist, um die Folgen von Oberflächenhandeln auszugleichen. Das Vortäuschen von Gefühlen scheint dagegen aufwendiger und belastender zu sein, als Hochschild dachte. Flam (2002) konstatiert schließlich, dass Emotionen Dienstleistungsorganisationen mehr durchdringen, als es Hochschild bewusst ist. Emotionen werden zum Inszenierungsobjekt, um den Bürger, Klienten bzw. Kunden zu manipulieren. Sie 24 Das zeigen auch die empirischen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung (vgl. insbesondere die Oszillierer, Kapitel V-2.3).

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werden von den Gefühlsarbeitenden eingesetzt, um die eigenen Arbeitsaufgaben zu erleichtern. Sie tauchen letztlich auch bei der Arbeit an den eigenen Gefühlen auf, insbesondere, um die beruflichen Anforderungen sowie auftretende Belastungen zu bewältigen (ebd.: 203, Dunkel 1988: 66).

3. K ONSEQUENZEN AUS DEN THEORETISCHEN V ORÜBERLEGUNGEN FÜR DEN ZU UNTERSUCHENDEN G EGENSTAND Aus dem Zusammenwirken der Anforderungen mit den Bedingungen polizeilicher Arbeit lässt sich die Bedeutung des emotionsbasierten Umgangs bei der Bewältigung der emotionalen Arbeitsanforderungen ableiten. Gefühlsarbeit – so die grundlegende Annahme – ist ein zentraler Mechanismus im Umgang mit emotionalen Stressmomenten. Polizeibedienstete sind durch die Bearbeitung des eigenen emotionalen Erlebens in der Lage, die strukturellen Handlungsprobleme auszuhalten und mit belastenden Emotionen umzugehen. Gefühle sind daher eine wichtige, aber bisher eher unbeachtet gebliebene Dimension von Polizeiarbeit. Da die Arbeit mit Gefühlen höchst individuell ist und innerlich stattfindet, sind die Gefühlsarbeitsleistungen der Polizeibediensteten nur schwer zu erkennen. Zentrales Anliegen der vorliegenden Studie ist es, die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Arbeitshandeln von Polizistinnen und Polizisten genauer zu beleuchten. Im Vordergrund steht dabei primär die Arbeit an den eigenen Gefühlen, die dem emotionalen Coping dient. 3.1 Ein Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen Abschließend soll nun das konzeptionelle Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen entfaltet werden. Es verdeutlicht, in welchem Konfliktbereich polizeiliche Arbeit stattfindet und welche Rolle Gefühlsarbeit dabei spielt.

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Abbildung 4: Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen

Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 4 zeigt die drei zentralen Belastungsfelder polizeilicher Arbeit. Die Ausführungen haben verdeutlicht, dass die emotionalen Anforderungen polizeilicher Arbeit nicht nur aus den besonders hohen und sehr extremen Belastungen resultieren (bspw. Kindesmissbrauch, Eigengefährdungen, Schusswaffeneinsätze, Gewaltanwendung, schwere Verkehrsunfälle, aber auch Bilder, Gerüche usw.), mit denen Polizeibedienstete konfrontiert sein können. Vielmehr erwachsen sie auch aus der Eingebundenheit des Polizeipersonals in die Struktur einer formalen Bürokratie. Da die Polizeibediensteten im Spannungsfeld divergierender Interessen von Verwaltung, Bürgern und eigenen Ansprüchen arbeiten, entstehen für sie strukturelle Handlungsprobleme (bürokratisches Trilemma), die mit dem Erleben emotionaler Ambivalenzen verbunden sein können. Die hohen emotionalen Anforderungen des Polizeiberufs resultieren darüber hinaus aus den vielfältigen Beziehungen und Interaktionssituationen, in die die Polizeibediensteten eingebunden sind. Mit diesen Beziehungen (bspw. dem Dienstverhältnis zur Polizeibehörde und dem Interaktionsverhältnis zum polizeilichen Gegenüber) gehen unterschiedliche Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung der Polizeibediensteten einher, die in der konkreten Einsatzsituation miteinander in Einklang gebracht werden müssen. In Konfrontation mit diesen Spannungsfeldern polizeilicher Arbeit kann das persönliche Erleben der Polizeibediensteten in Widerspruch zur rationalen Logik polizeilichen Handelns geraten. Die bürokratische Wirklichkeit kollidiert mit den tatsächlich zu bearbeitenden Problemen im praktischen Arbeitsalltag. Dabei geraten die tatsächlichen Gefühle der Polizistinnen und Polizisten in Widerstreit zu den geforderten Gefühlen. Die von ihnen erfahrenen und aktiv zu bewältigenden Gefühlsprobleme werden als situative Gefühlsanforderungen bezeichnet. Diese beanspruchen zwar sehr intensiv das Gefühlsleben der Polizeibediensteten, führen je-

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doch nicht grundsätzlich zu Belastungen. Allerdings werden dadurch die Gefühle des Polizeipersonals zur Bedingung im Arbeitshandeln, woraus sich die Notwendigkeit des emotionsbasierten Bewältigungshandelns ergibt. Die Beamtinnen und Beamten müssen nicht nur ständig zwischen den bürokratischen Vorgaben und den situativen Anforderungen der polizeilichen Alltagspraxis vermitteln und Eindeutigkeit für ihr Handeln herstellen. Sie sind gleichzeitig gefordert, die damit einhergehenden emotionalen Spannungen auszugleichen. Um Aussagen über das subjektive Belastungserleben von Polizistinnen und Polizisten machen zu können, muss man demnach betrachten, wie die Polizeibediensteten situative Gefühlsanforderungen wahrnehmen, erleben und verarbeiten. In Abbildung 4 werden zudem die vorgestellten Rahmenbedingungen aufgeführt, die das Handeln der Polizistinnen und Polizisten steuern. Sie sind als Vorgaben zu verstehen, die Handlungsoptionen vorgeben und damit das Bewältigungshandeln der Beamtinnen und Beamten beeinflussen. Sie stellen damit zugleich Rahmenbedingungen emotionaler Arbeit dar. Sie prägen den Umgang der Polizistinnen und Polizisten mit den emotionalen Anforderungen und führen zu einem individualisierten Bewältigungshandeln. In dieser Selbstzuständigkeit liegt die Bedeutung des Einsatzes von Gefühlsarbeit begründet. •





Institutionell-bürokratische Vorgaben: So ist die Eingebundenheit der Polizeibediensteten in bürokratische Strukturen, gesetzliche Regelungen und normative Verhaltenserwartungen wesentlich für den Umgang mit den emotionalen Anforderungen des Berufs. Der hohe Formalisierungsgrad der Polizei, die Massivität ihrer Eingriffe und ihre Verpflichtung auf das Prinzip der Legalität erlauben es Polizeibediensteten nicht, vorgegebene Rechtsnormen situativ auf die konkreten Entscheidungssituationen durch ein Abweichen vom Gehalt organisatorischer und rechtlicher Regeln für die eigene Handlungspraxis anwendbar zu machen und damit strukturelle Handlungsprobleme aufzulösen. Trotzdem stellt sich den Beamtinnen und Beamten die Differenz von idealisierter Polizeiarbeit in Form rechtlicher Regelungen und faktischer Alltagswirklichkeit als ein permanent zu bewältigendes Problem dar und erfordert Vereinheitlichungsversuche. Öffentliche Anforderungen und Verhaltenserwartungen: Um das staatliche Gewaltmonopol und seine dominante Stellung nach außen nicht zu schwächen, müssen die Polizeibediensteten in der Lage sein, die beruflichen Anforderungen individuell zu bewältigen. Polizeiinterne Anforderungen und Verhaltenserwartungen: Aufgrund der behördenintern geltenden Gefühlsregeln kommen die Polizistinnen und Polizisten zudem nicht umhin, auch intern ihre Überlegenheit über die beruflichen Belastungen zu inszenieren. Aufgrund der Durchdringung der Polizei von der Kultur der

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Rationalität haben die Polizeibediensteten Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu artikulieren (vgl. Flam 2002: 185 zu Managern in öffentlichen Verwaltungen). Im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen sind den Polizistinnen und Polizisten Grenzen gesetzt. Sie stellen sich jedoch in ihren Handlungsmustern auf die Restriktionen des Handlungssystems ein. Sie sind gezwungen, nach individuellen Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Die Bediensteten verlagern den Umgang mit den emotionalen Anforderungen daher auf die „innere mentale Hinterbühne“ (Voswinkel 2005: 236). Durch den Gebrauch nach innen gerichteter Praktiken können sie die situativen Gefühlsanforderungen zwar nicht auflösen, aber sie können die damit einhergehenden emotionalen Diskrepanzen auf ein vertretbares Maß hin einschränken. Die Bearbeitung des eigenen emotionalen Erlebens ist demnach zentraler Entlastungsmechanismus und wichtiges Element situativen Handelns von Polizeibediensteten. Das verweist darauf, dass die Beamten selbst ein Interesse an der Bearbeitung der eigenen Gefühle haben. Der reflexive Bezug auf das eigene Erleben dient der Bewältigung der mit dem bürokratischen Trilemma, den Extrembelastungen und der interaktiven Arbeit einhergehenden Gefühlsprobleme. Daraus ergibt sich die Bedeutung und Notwendigkeit der individuellen Gefühlsarbeitsleistungen von Polizistinnen und Polizisten, die ein hohes Maß an Gefühlsarbeitsvermögen erfordern. Der hohe Formalisierungsgrad, die Massivität der Eingriffe, die rationale und auf Legalität verpflichtete Handlungslogik sowie die polizeiinterne Gefühlskultur legen die Verantwortung des Zurecht-Kommens mit den beruflichen Anforderungen in die Verantwortung der Polizeibediensteten selbst. Zentrale, dieser Untersuchung zugrunde liegende Annahme ist daher, dass die Bearbeitung der eigenen Gefühle ein bedeutender Bewältigungsmechanismus für die Polizeibediensteten ist, um die geltenden Gefühlsregeln einzuhalten, die Arbeitsleistung trotz widriger Umstände zu erbringen und die beruflichen Belastungen zu bewältigen. 3.2 Ziele und Fragestellungen der Untersuchung Die unterschiedlichen für diese Untersuchung relevanten Aspekte von Polizeiarbeit können zu einem Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen zusammengeführt werden. Darin werden die unterschiedlichen emotionalen Anforderungen – bürokratisches Trilemma, Extrembelastungen und interaktive Arbeit – in einen Gesamtzusammenhang mit den Bedingungen polizeilicher Arbeit gestellt: die Eingebundenheit der Polizeibediensteten in bürokratische, von Männern dominierte Strukturen, die nicht nur als konflikthaft erlebt werden können, sondern auch den Umgang mit den Gefühlsanforderungen beeinflussen.

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Die Betrachtung des Zusammenwirkens der beruflichen Anforderungen mit den Rahmenbedingungen von Polizeiarbeit bietet eine Erklärung dafür, warum es wichtig ist, sich mit den Gefühlsarbeitsleistungen der Polizistinnen und Polizisten im Umgang mit dem täglichen Dienstgeschehen genauer zu befassen. Die Bedingungen polizeilicher Arbeit machen eigene gefühlsmäßige Regulierungsleistungen der Beamtinnen und Beamten im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen erforderlich. Gefühlsarbeit wird damit zu einem grundlegenden Element polizeilicher Arbeit. Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass das Konzept der Gefühlsarbeit einen Beitrag dazu leisten kann, die subjektiven Gestaltungsleistungen von Polizeibediensteten im Umgang mit den Anforderungen ihres Berufs genauer zu erfassen. Wie bereits beschrieben, ist grundlegende Annahme des Konzepts, dass Subjekte in der Lage sind, eigene und fremde Gefühle in Abhängigkeit von geltenden Gefühlsregeln zu bearbeiten, um den Arbeitsprozess aufrechtzuerhalten (Hochschild 1990, Strauss et al. 1980). Passen die Gefühle der Polizeibediensteten nicht mit den geforderten Gefühlen zusammen, müssen diese reguliert werden, um den Einfluss der emotionalen Befindlichkeiten des Polizeipersonals auf den Arbeitsverlauf möglichst gering zu halten. Gefühlsarbeit dient dabei jedoch nicht nur der Einhaltung von Gefühlsregeln, sondern auch der Verarbeitung von emotionalen Belastungen (Dunkel 1988). Vor diesem Hintergrund wird für die vorliegende Untersuchung folgende, leitende Vorannahme formuliert: Gefühlsarbeit ist zentrales Medium im Umgang mit den strukturellen Handlungsproblemen und den damit einhergehenden Gefühlsproblemen in der Polizeiarbeit. In Abhängigkeit davon, wie die Polizeibediensteten die situativen Gefühlsanforderungen und die Bedingungen polizeilicher Arbeit wahrnehmen und deuten, erarbeiten sie sich unterschiedliche Gefühlsarbeitspraktiken. Gefühlsarbeit wird damit zu einem wesentlichen Element des stark administrativ geprägten Handelns innerhalb der Polizei. Der idealtypische Beamte soll zwar affektive Neutralität zur Schau stellen (Merton 1971), die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung werden am Beispiel der Polizeiarbeit jedoch zeigen, wie omnipräsent Emotionen in den „angeblichen Hochburgen der Rationalität“ (Flam 2002: 182) sind. Polizistinnen und Polizisten gleichen unter Rückgriff auf ihr Gefühlsarbeitsvermögen (Dunkel 1988) Kontingenzen, Entscheidungsunsicherheiten und Belastungen aus. Die vielfältigen Belastungen polizeilicher Arbeit sind zwar bereits breit erforscht, jedoch stehen primär traumatische Erlebnisse wie bspw. Schusswaffengebrauch oder Eigenverletzungen der Beamtinnen und Beamten bei der Bestimmung der beruflichen Belastungen im Vordergrund (siehe bspw. Lüdtke/Clemens 2003, Okon/Meermann 2003). Zugleich ist man in diesen Studien zwar immer wieder überrascht von der Häufigkeit und Intensität der offensichtlich alltäglich auftretenden Belastungen, wie bspw. innerdienstliche Aspekte, Arbeitsbedingungen, struktu-

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relle Vorgaben usw. Jedoch wurde sich bisher nicht systematisch damit auseinandergesetzt, worin genau diese beruflichen Konfliktfelder liegen, wie sie erlebt werden und wie die Polizeibediensteten mit diesen umgehen. Nicht untersucht worden ist vor allem, welche Bedeutung die Arbeit der Polizeibediensteten an den eigenen Gefühlen für die Bewältigung beruflicher Belastungen hat. Die Vernachlässigung des emotionalen Handelns von Polizistinnen und Polizisten in der Forschung (wie auch in der Praxis) könnte daraus resultieren, dass die Explikation von Gefühlen in der Polizei bisher keinen hohen Stellenwert hat (Behr 2004). Auch Latscha (2005) argumentiert, dass das Zeigen von emotionalen Reaktionen auf Ereignisse nicht rollenkonform ist und die Meinung vorherrschend ist, dass dies als Schwäche interpretiert werden könnte. Zudem sind die Gefühlsarbeitsleistungen höchst individuell und bleiben aufgrund der nach innen gerichteten Bearbeitung meist unsichtbar (Erickson 1993). Ebenso ist dem Subjekt und seinen Gestaltungspotenzialen in der Verwaltungsforschung seit den Arbeiten aus dem Sonderforschungsbereich 101 der Universität München (Lau et al. 1986) kaum Aufmerksamkeit zuteil geworden. Vor dem Hintergrund breiter Debatten um Modernisierung der Verwaltung, neue Steuerungsmodelle, Organisationsreform oder Privatisierung in der innovativen Verwaltungsforschung blieb die Bedeutung der emotionalen Dimension der subjektiven Gestaltungsleistungen bisher erstaunlich unterbelichtet. Für Behr (2004) besteht kein Zweifel, dass die beruflichen Belastungen von Polizeibediensteten nicht allein mit seelsorgerischen, psychologischen sowie finanziellen, materiellen, rechtlichen und administrativen Mitteln kompensierbar sind. Allerdings fehlt es bisher an umfassenden und schlüssigen Wissen darüber, wie die Alltagsbelastungen außerhalb der seelsorgerisch-psychologischen Betreuung reflexiv bearbeitet werden. Ein Beitrag hierzu soll in der vorliegenden Untersuchung geleistet werden. Es werden die subjektiven Leistungen der Polizeibediensteten im Umgang mit den emotionalen Anforderungen polizeilicher Arbeit genauer bestimmt und in ihrer Gestalt charakterisiert. Ziel ist zu zeigen, dass Gefühlsarbeit ein Kernbereich polizeilicher Praxis ist. Es wird angenommen, dass Gefühlsarbeit als Bewältigungsmechanismus im Umgang mit situativen Gefühlsanforderungen eine zentrale Rolle spielt. Es werden folgende Fragen beantwortet: • • •

Was sind die situativen Gefühlsanforderungen bei der polizeilichen Arbeit? Worin liegen die zu bewältigenden Konfliktfelder? Welche Formen des Umgangs mit den situativen Gefühlsanforderungen (Gefühlsarbeitspraktiken) erarbeiten sich die Polizistinnen und Polizisten? Welche sozialen Randbedingungen spielen bei den emotional-gefühlsmäßigen Bewältigungsprozessen und damit als Ursachen für Unterschiede in den Gefühlsarbeitspraktiken eine Rolle?

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Diese Fragen werden in der vorliegenden qualitativen Studie empirisch untersucht. Es wird eine arbeitssoziologische und subjektorientierte Perspektive eingenommen. Das Verwaltungshandeln der Polizeibediensteten wird als individuelles Arbeitshandeln thematisiert. Es wird herausgearbeitet, wie die Beamtinnen und Beamten in ihren Arbeitshandlungen mit den verwaltungsmäßigen Vorgaben im Spannungsfeld von Verwaltungserfordernissen, Bürgerinteressen und eigenen Bedürfnissen sowie den hohen emotionalen Belastungen umgehen. Von Interesse ist, wie sie sich mit ihrer Arbeitssituation auseinandersetzen und welche aktiven Strukturierungsleistungen sie erbringen. Es wird die Rolle der Polizeibediensteten als Gefühlsarbeiter und Gefühlsarbeiterinnen im Umgang mit den situativen Gefühlsandforderungen herausgearbeitet. Ziel ist es darzustellen, wie sie ihr eigenes Gefühlsleben regulieren. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Beamtinnen und Beamten dies in sehr unterschiedlicher Weise tun. Deshalb wird zudem beleuchtet, welche Randbedingungen über die bereits dargestellten Aspekte hinaus die emotional-gefühlsmäßigen Bewältigungsprozesse beeinflussen. In der Auseinandersetzung von Gerhards (1988: 205) mit der Entstehung von und den Umgang mit Emotionen wird deutlich, dass dabei der Organismus, die Persönlichkeit, Sozialstruktur und Kultur eine Rolle spielen. So ist bspw. bedeutsam, wie eine Situation von dem Polizeibediensteten wahrgenommen wird, wie seine körperliche Verfassung ist, wie er im Alltag mit Emotionen umgeht, in welchen Macht- und Statuspositionen sich die Polizisten und/oder das polizeiliche Gegenüber befinden und welche Gefühlsregeln vorherrschend sind. Zudem ist anzunehmen, dass Grundsätze der Polizeikultur bei der Erarbeitung der Gefühlsarbeitspraktiken leitend sind. Dies wurde im entworfenen Modell bereits angedeutet und soll durch empirisch fundierte Erkenntnisse unterfüttert werden.

III. Die emotionale Dimension polizeilicher Arbeit: Stand der Forschung

Im vorangegangenen Kapitel wurde die Bedeutung des Einsatzes von Gefühlsarbeit für die Arbeit des Polizeipersonals hergeleitet. Es wird angenommen, dass im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen und den Bedingungen von Polizeiarbeit Gefühlsarbeit ein wichtiges Element situativen Handelns ist. Die Bearbeitung des eigenen emotionalen Erlebens ist wesentlich bei der Bewältigung der Arbeitsanforderungen und dient gleichfalls der emotionalen Entlastung der Polizistinnen und Polizisten. In der vorliegenden Untersuchung wird gezeigt, dass Gefühlsarbeit Teil der informellen Prozesse und Strukturen in der Polizei ist. Vor dem Hintergrund der formulierten Ziel- und Fragestellungen ist es nun notwendig, sich dem Stand der Forschung zuzuwenden und zu fragen, ob und wie sich die polizeiwissenschaftliche Forschung mit der Bedeutung von Emotionen in der polizeilichen Arbeit auseinandergesetzt hat. Ein Blick in unterschiedlichste empirische Studien zur Polizeiarbeit macht einen sehr facettenreichen Einsatz von Gefühlsarbeit im Rahmen polizeilicher Arbeit deutlich. Allerdings fehlt bisher eine grundlegende Analyse und Ordnung der Bedeutung von Gefühlen in der Polizei. In Anlehnung an die Systematisierung berufsförmiger Gefühlsarbeit von Dunkel (1988) soll im Folgenden ein zusammenfassender Überblick über den Einsatz von Gefühlsarbeit in der Polizeiarbeit gegeben werden (Kapitel III-1). Es lässt sich aufzeigen, inwiefern Gefühle als Arbeitsgegenstand (III-1.1), Arbeitsmittel (III-1.2) und als Bedingung (III-1.3) eine Rolle spielen. Die Gefühle der Polizeibediensteten haben eine hohe Bedeutung für den Arbeitsprozess. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die emotionale Befindlichkeit des Beamten bzw. der Beamtin aufgrund extremer Belastungen oder widersprüchlicher Handlungsanforderungen nicht mit den in der Einsatzsituation geforderten Gefühlen zusammenpassen. Dann ist eine Bearbeitung der eigenen Gefühle notwendig, um eine angemessene emotionale Selbstdarstellung zu erreichen und auftretende emotionale Belastungen zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund wird sich auch damit

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befasst, inwieweit emotionale Belastungen in der Polizeiforschung erforscht sind (III-2.1) und ob die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Umgang mit den emotionalen Belastungen bisher als Bewältigungsmechanismus berücksichtigt wurde (III-2.2). Schließlich wird sich mit den Belastungsfolgen als Konsequenz einer nicht gelingenden Bearbeitung des subjektiven Belastungserlebens auseinandergesetzt – nicht zuletzt deshalb, weil die beruflichen Belastungen Auswirkungen auf den privaten Lebensbereich haben können (III-2.3).

1. F ACETTEN DES E INSATZES IN DER P OLIZEIARBEIT

VON

E MOTIONEN

Die Gefühlsarbeitsleistungen von Polizeibediensteten haben bisher sehr wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfahren (Schaible/Gecas 2010). Die oftmals eher beiläufig stattfindende Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Gefühlen in der Polizeiarbeit, vornehmlich in der empirischen Polizeiforschung, ist zudem sehr unsystematisch. So wird zwar in manchen Untersuchungen auf die Bedeutung von Emotionen verwiesen, allerdings wird der Einsatz von und der Umgang mit Gefühlen nicht als grundlegender Bestandteil polizeilichen Handelns thematisiert. Um die unterschiedlichen emotionalen Dimensionen polizeilicher Arbeit etwas zu ordnen, wird sich im Folgenden der Systematisierung berufsförmiger Gefühlsarbeit von Dunkel (1988) bedient. Er entwickelte in Anschluss an die Arbeiten von Strauss et al. (1980) und Hochschild (1983) zur Relevanz der emotionalen Dimension in der Dienstleistungsarbeit eine Ordnung des berufsförmigen Einsatzes von Emotionen. Das von ihm formulierte Konzept der Gefühlsarbeit dient dazu, die emotionale Dimension personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten analytisch fassbar und ihre Implikationen für die Arbeitskraft und den Betrieb verstehbar zu machen. Er unterscheidet drei Dimensionen von Gefühlsarbeit: Gefühle als Arbeitsgegenstand, Gefühle als Arbeitsmittel und Gefühle als Bedingung. Unter Gefühlsarbeit versteht Dunkel (ebd.: 67) Arbeitsanteile personenbezogener Dienstleistungstätigkeiten, die von der Arbeitskraft gemäß ihrer beruflich-fachlichen Aufgabenstellung geleistet werden müssen. Im Folgenden werden die Untersuchungen zur Polizeiarbeit auf diese Dimensionen von Gefühlsarbeit hin beleuchtet. 1.1 Gefühle als Arbeitsgegenstand Gefühle werden zum Arbeitsgegenstand, wenn die Arbeitskraft auf den emotionalen Zustands des Gegenübers einwirkt, um ein bestimmtes erwünschtes Ziel zu erreichen. Durch diese Form der Gefühlsarbeit versucht die Arbeitskraft die Gefühle des

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anderen zu manipulieren. Zentrale Anforderung an die Gefühlsarbeitenden ist dabei auch eine emotional relevante Selbstdarstellung (Dunkel 1988). Die Arbeit an den Gefühlen anderer Personen ist für Polizeibedienstete vor allem in direkter Interaktion mit dem polizeilichen Gegenüber von Bedeutung. Dies trifft auf nahezu alle Bereiche polizeilicher Arbeit zu – bei der Vernehmung von Beschuldigten, Opfern und Zeugen, bei der Aufnahme von Anzeigen, beim Überbringen von Todesnachrichten, beim Schlichten von Familienstreitigkeiten oder beim Vermitteln zwischen Unfallbeteiligten. Aber auch bei der Entgegennahme von Notrufen geht es weniger um die technische Bearbeitung von Problemen. Vielmehr beginnt bereits beim Absetzen des Notrufes das Problemmanagement, was nicht nur die interaktive Bestimmung des zu lösenden Problems beinhaltet, sondern es müssen auch Gefühle in die Interaktion eingebracht werden, weil die Anrufenden sich in einer außeralltäglichen, manchmal auch schockartigen Situation befinden (vgl. Dreher/Feltes 1996). Im Folgenden soll auf zwei spezielle Teilbereiche polizeilicher Arbeit ausführlicher eingegangen werden, weil hierzu Studien vorliegen, in denen die Bedeutung der Arbeit mit fremden Gefühlen zumindest angedeutet wird. Es zeigt sich dabei, dass die Bearbeitung der Gefühle des polizeilichen Gegenübers die Erbringung der geforderten Arbeitsleistung unterstützt. Polizeiliche Vernehmungen Ein zentraler Bereich polizeilicher Arbeit, bei der die emotionale Beeinflussung des Gegenübers zentral ist, sind Vernehmungen. Vernehmungen sind im Rahmen polizeilicher Arbeit von erheblicher Bedeutung, insbesondere für die Vorbereitung von Gerichtsverfahren. Dort werden nicht nur vorangegangene, verdachtsgesteuerte Selektionen konkretisiert und verstärkt, sondern sie sind auch die entscheidenden Schaltstellen im Strafverfolgungsprozess, so Werner (2008). Das Ziel einer Vernehmung besteht in der strafrechtlichen Rekonstruktion eines Falles, der Erfolg in einem Geständnis (vgl. Schröer 2003, Sticher 2006). Hierbei wenden Polizeibeamtinnen und -beamte ihre Definitionsmacht an, indem sie die Beschuldigten typisieren und Zuschreibungen vornehmen (bspw. als Dieb oder Prostituierte). In Vernehmungen kann es auch zu Normverletzungen kommen, um ein höherrangiges Ziel (bspw. ein Geständnis) zu erreichen. Damit wird die Verletzung der Normenordnung nachträglich legitimiert (Girtler 1980). Vernehmungen sind jedoch nicht nur für Gerichtsverfahren von Bedeutung, sondern es kann den Vernommenen (v.a. Jugendlichen) auch Hilfe und Unterstützung zugehen. Darüber hinaus wird durch Vernehmungen der Öffentlichkeit ein bestimmtes Bild der Polizei vermittelt (Sticher 2006). Schröer (2003) versucht anhand von Beobachtungs- und Tonbandprotokollen das polizeiliche Vernehmen aus seinen handlungsspezifischen Rahmenbedingungen

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heraus verstehbar zu machen und es entsprechend zu beschreiben. Dabei besteht für ihn die Kunst des polizeilichen Vernehmens vor allem darin, die angelegte Kooperationsneigung der Beschuldigten durch die Einnahme entsprechender personaler Haltungen zu stabilisieren. Oftmals wird ein freundliches, je nach Kontext manchmal auch fast kumpelhaftes Gespräch inszeniert. Die Beschuldigten werden dadurch auf die Übernahme bestimmter Rollen (z.B. Zögling, Kumpel etc.) verpflichtet (vgl. dazu auch Donk 1996). Mit den von den Vernehmungsbeamten angetragenen Rollen sind spezifische, kulturell verankerte, sozial vermittelte Interaktionspflichten verknüpft. So gelingt es den Polizeibediensteten, die Tatverdächtigen zu einer für die Vernehmung zentralen kooperativen Haltung zu bewegen. Sie überformen den Vernehmungsdiskurs mit dem Ziel, die Beschuldigten in eine Kooperation hineinzuziehen (Schröer 2003). Dabei wird die Strategie des Einsatzes persönlicher Gefühle und Haltungen im Vernehmungsprozess zur Manipulation des polizeilichen Gegenübers deutlich. Das Handeln, was Hahn (2008) als Täuschen und Hochschild (1990) als Gefühlsmanagement bezeichnet, begreift Schröer (2003) als Beziehungsarbeit, durch die versucht wird, ein den Beschuldigten zur Mitarbeit bewegendes Vernehmungsklima herzustellen. Ziel ist der Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses, um eine methodisch kontrollierte, zwangskommunikative Ermittlung herzustellen (ebd.). Die Polizeibediensteten nehmen mit dem Wissen um eine strukturelle Aushandlungsdominanz des Beschuldigten – die die Tatverdächtigen durch die Möglichkeit der Aussageverweigerung haben – informelle personale Haltungen ein, mit denen sie sich um eine kooperative Bindung zum Beschuldigten bemühen. Schröer (ebd.) benennt diesbezüglich unterschiedliche Formen: Szenekumpel, Vater bzw. Mutter, brutaler „Bulle“, Sozialpädagoge. Erst durch die Etablierung eines tragfähigen kooperativen Kontakts kann eine Aussagebereitschaft hergestellt und die entsprechende Beweiserhebung durchgesetzt werden (ebd.). Die Erfüllung des Arbeitsauftrags wird demnach unter Einsatz der ganzen Person zu erreichen versucht. Das schließt das Überspielen „echter“ Gefühle und den Einsatz vorgetäuschter Gefühle und Handlungen ein (vgl. auch Hahn 2008, zur Dienstleistungsarbeit allgemein bspw. Hochschild 1990). Rafeali und Sutton (1991) konstatieren, dass Polizeibedienstete im Rahmen von Vernehmungen positive und negative Gefühle auch miteinander kombinieren. So werden negative Gefühle – Bedrohung oder Angst – in positive Gefühle eingebettet – freundlich sein und um Kooperation bittend. Diese zwei Rollen teilen sich meistens zwei Polizeibedienstete („good-cop-bad-cop“-Technik). Auch Hahn (2008) beschäftigt sich im Rahmen ihrer Untersuchung zu den beruflichen Belastungen von Beamtinnen und Beamten eines Landeskriminalamtes mit Vernehmungssituationen und der damit verbundenen Anforderung, Gefühle vorzutäuschen oder echte Gefühle wegzuschieben. Diese berufsspezifische Kompetenz begreift sie als wesentliches Merkmal kriminalistischen Handelns, weil da-

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durch verhindert wird, dass die polizeilichen Ermittlungen gefährdet werden (ebd.: 115). Das Vortäuschen von Gefühlen hat dabei zum Ziel, in Vernehmungssituationen eine Aussagebereitschaft des polizeilichen Gegenübers herzustellen. So wird im Kontakt mit Beschuldigten Verständnis oder Mitleid vorgespielt, um ein Geständnis hervorzulocken. Gefühle wie Wut und Zorn, die Polizeibedienstete in manchen Vernehmungssituationen mit Tatverdächtigen empfinden, werden beiseitegeschoben. Gefühle wie Moral, Abscheu, Ekel und Entsetzen würden das Klima der Vernehmungssituation negativ beeinflussen. Durch eine sachliche Verhaltensweise „maskiert“ sich der vernehmende Polizeibedienstete (ebd.). Sein Handeln ist vergleichbar mit dem von Hochschild (1990) beschriebenen Oberflächenhandeln, bei dem lediglich der Gefühlsausdruck der Situation angepasst wird, nicht die tatsächlich empfundenen Gefühle. Das Vortäuschen von Gefühlen wird jedoch zum Problem, wenn das Wissen in Konkurrenz zum Mitgefühl gerät (Hahn 2008: 118). Das ist bspw. bei Kindstötungen der Fall, wenn den betroffenen Eltern aus ermittlungstaktischen Gründen wichtige Informationen vorenthalten werden müssen. Dann ist es vor allem das Täuschen-Müssen über das Mitgefühl gegenüber denen, mit denen man Mitleid empfindet, was die Ermittler belastet. Hahn (2008: 119) beschreibt, dass das „Theater der Ermittlung“1 um den Verbleib des Kindes gegenüber noch hoffender Eltern, obwohl es lediglich um das Erlangen letztendlicher Gewissheit und die Identität des Kindes geht, schwer zu ertragen ist (Hahn 2008: 119). In diesem Fall wird die emotionale Selbstdarstellung der Polizistinnen und Polizisten zur Belastung.2 Ein wesentlicher gefühlsbesetzter Bereich ist auch bei anderen mit angesehene und von anderen Personen berichtete Gewalt (Franzke/Wiese 1997). Vor diesem Hintergrund ist es für Franzke und Wiese (ebd.) erstaunlich, dass es hauptsächlich Untersuchungen gibt, die sich mit der Handlungslogik bei der Vernehmung von Beschuldigten befassen und weniger mit den damit einhergehenden emotionalen Belastungen. Im Umgang mit Opfern von Raubüberfällen, Verkehrsunfällen oder von sexuellem Missbrauch ist es für den Ermittlungsprozess wichtig, eine Beziehung und kooperative Bindung zum Geschädigten herzustellen. Dabei ist anzunehmen, dass Gefühle wie Mitleid und Betroffenheit die Vernehmung zu einer anspruchsvollen Aufgabe machen. Mit Blick auf die geforderte emotionale Neutralität ist es für das Polizeipersonal schwierig, beratend und therapierend auf das polizeiliche Gegenüber einzugehen. Dieses emotionale Spannungsfeld macht diese Aufgabe zu einem schwierigen Balanceakt, so die Autorinnen: Polizeibedienstete dürfen 1 Der Polizeibedienstete ist demnach als Schauspieler gefordert (Goffman 1998). 2 Vor allem Hochschild (1990) beschäftigt sich mit den psychischen und gesundheitlichen Kosten, die mit dem Vortäuschen von „unechten“ Gefühlen verbunden sind. Der Widerspruch zwischen dem, was gefühlt werden soll, mit dem, was tatsächlich gefühlt wird, führt langfristig zu emotionalen Dissonanzen.

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nicht zu sehr mit dem Opfer mitfühlen, aber auch nicht mit distanzierter Ablehnung reagieren. Beides kann die Aufdeckung der Wahrheit behindern (Sticher 2006). Es gilt, eine Balance zu finden zwischen emotionaler Anteilnahme und Distanz zum Opfer. Dies ist eine Anforderung, der sich vor allem weibliche Polizeibedienstete gegenüberstehen sehen (Franzke/Wiese 1997). Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass das Vernehmen von Opfern, Beschuldigten, Zeugen usw. unterschiedliche Gefühlsarbeitsleistungen von den Polizistinnen und Polizisten verlangt. Zentrale Anforderung ist dabei die Beeinflussung bzw. die Manipulation der Gefühle des polizeilichen Gegenübers, die eine entsprechende emotionale Selbstdarstellung der Beamten und Beamtinnen verlangt, bspw. durch Vortäuschen von Gefühlen. Ziel ist dabei die Herstellung von Kooperation, um das polizeiliche Gegenüber zu einer Aussage zu bewegen. Das Überbringen von Todesnachrichten Auch beim Überbringen von Todesnachrichten sind das Eingehen auf die Gefühlswelt des polizeilichen Gegenübers und eine an die Situation angepasste emotionale Selbstdarstellung wesentliche Voraussetzungen für das erfolgreiche Bewältigen dieser Arbeitsaufgabe. Das Überbringen von Todesnachrichten ist eine der unangenehmsten Tätigkeiten, die Polizeibedienstete leisten müssen. Sie haben die Aufgabe, den Angehörigen den Verlust einer nahe stehenden Person mitzuteilen (vgl. Horn 2005, Kahmann 2007). Horn (2005) und Kahmann (2007) argumentieren, dass es beim Überbringen von Todesnachrichten wesentlich ist, sich im Vorfeld umfassend zu informieren, um für die Fragen der betroffenen Angehörigen gewappnet zu sein. Zentralen Stellenwert bei der Bewältigung dieser Situationen hat darüber hinaus die Fähigkeit der Beamtinnen und Beamten, auf die Betroffenen einzugehen und zu deren – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – emotionaler Stabilisierung beizutragen. Ein Polizeibediensteter, der nicht einfühlsam auf die Betroffenen eingeht, kann den psychischen Zustand der Angehörigen nachhaltig negativ beeinträchtigen. Durch emotionales Geschick verhindern sie, dass es bei den Betroffenen zu einer zusätzlichen Traumatisierung kommt. Beim Überbringen von Todesnachrichten kommt es auf Einfühlungsvermögen und eine entsprechende Wortwahl an. Um die überbrachte Nachricht zu verarbeiten, ist es für die Angehörigen wichtig, dass die Beamtinnen und Beamten Offenheit, Geduld, Anteilnahme und Verständnis für die Situation ausstrahlen, so die Wissenschaftler. Es besteht die Anforderung, den Angehörigen die ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen und, falls erforderlich, regulierend einzugreifen, damit die bedrohlichen Folgen der plötzlich hereingebrochenen neuen Lebenssituation gedämpft werden können. Das emotionale Eingehen auf die Betroffenen bedeutet ebenso, zuzusichern, dass alles Mögliche für die Aufklärung des Falles getan wird (ebd.).

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In der Situation des Überbringens der Todesnachricht ist der Polizist bzw. die Polizistin zumeist der alleinige Beziehungspartner und wird damit zur Projektionsfläche für alle möglichen Gefühle des Hinterbliebenen, so Horn (2005). Deshalb ist es eine Herausforderung für die Polizeibediensteten, die eigenen Emotionen zurückzuhalten und sich gemäß den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger zu verhalten; als jemand, der stets einen kühlen Kopf bewahrt. Das Überbringen von Todesnachrichten wird dadurch zu einer Gratwanderung zwischen Betroffenheit und professioneller Distanz (vgl. Kahmann 2007). Derartige Rollenunsicherheiten belasten die Polizeibediensteten. Erschwerend kommt hinzu, dass man nicht einschätzen kann, wie die Betroffenen reagieren werden. Polizistinnen und Polizisten müssen mit diesen Unwägbarkeiten umgehen, um handlungsfähig zu bleiben. Die Situation muss von ihnen stets aktuell eingeschätzt werden. Derartige Situationen stellen extreme Belastungen dar (Horn 2005, Kahmann 2007). Beim Überbringen von Todesnachrichten ist demnach nicht nur relevant, auf den Gefühlszustand des Hinterbliebenen einzugehen und sich um seinen Gefühlszustand zu kümmern. Aufgrund der emotionalen Anforderungen kann diese Aufgabe als Belastung wahrgenommen werden und die damit einhergehenden Emotionen können den Prozess des Überbringens beeinflussen. Daher ist auch die Bearbeitung des eigenen emotionalen Erlebens für die Bewältigung dieser Arbeitsaufgabe erforderlich (siehe dazu Abschnitt III-1.3). 1.2 Gefühle als Arbeitsmittel Gefühlsarbeit bedeutet nicht nur, an Gefühlen, sondern auch mit Gefühlen zu arbeiten. Unter Gefühlen als Arbeitsmittel versteht man zum Ersten den Einsatz der eigenen Gefühle zur Beeinflussung des polizeilichen Gegenübers (Dunkel 1988). Auf die Bedeutung einer adäquaten Gefühlsdarstellung als Mittel zur Beeinflussung der Gefühle von anderen Personen soll jedoch an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Dieser Aspekt wurde im vorherigen Abschnitt bereits beleuchtet.3 Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass dabei auch körperliche Ausdruckmöglichkeiten sowie die Kleidung (die Uniform) oder die Gestaltung des Raumes (bspw. spezielle Vernehmungsräume, grelles Licht) genutzt werden. So zeigt bspw. Jacobsen (2001) in ihrer Untersuchung zu den Strukturen und Methoden des polizeilichen Arbeitsprozesses, dass die Polizei an Unfallorten, Tatorten, Gefahrenbereichen, Präsenzorten, Befragungs- und Begutachtungsorten ständig darum bemüht ist, sich „in Szene zu setzen“. Nicht nur die Uniformen werden zur Schau getragen, sondern auch Streifenwagen geparkt, Blaulicht und Martinshorn angeschaltet, Kellen geschwungen, Absperrband gespannt sowie Türen

3 In der polizeilichen Praxis können sich die Formen von Gefühlsarbeit vermischen.

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versiegelt. Mit diesen Praktiken werden polizeiliche Symbole positioniert, die den Anwesenden auf den ersten Blick demonstrieren, dass hier die Polizei als eine Herrschaft ausübende Instanz auftritt (vgl. dazu auch Hüttermann 2000). Jacobsen argumentiert, dass die Verwendung dieser Symbole die Darstellung von Kontrollen, Absperrungen oder Festnahmen als polizeiliche Handlungen sowie das Agieren als Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols ermöglicht. Zum Zweiten werden emotional gesteuerte Orientierungsmodi als Erfahrungsgrundlage genutzt (vgl. Kapitel II-2.2.3). Im Bereich kriminalistischer Ermittlungsarbeit liegt die Bedeutung von Gefühlen als Arbeitsmittel vor allem darin, mit Empathie, Intuition, Erfahrungswissen, Gespür und Bauchgefühl die Aufklärung eines Falles voranzutreiben. Aber auch die sinnliche Komponente menschlicher Erfahrung ist hier von Bedeutung. Bei der Arbeit im polizeilichen Vollzugsdienst werden Gefühle insbesondere als „Instrumente“ des Wahrnehmens, Erfassens, Verstehens und Entscheidens eingesetzt. Böhle und Milkau (1988) haben sich im industriesoziologischen Zusammenhang mit der Arbeit mit Gefühl beschäftigt. Bei ihnen werden Gefühle im Rahmen von Industriearbeit in ihrer Funktion als handlungssteuernde, praktisch-sinnliche Erfahrung relevant. Unter dem Begriff „subjektivierendes Arbeitshandeln“ arbeiten sie den systematischen Stellenwert der sinnlich-erfahrungsbezogenen, nicht kognitiv-rationalen Dimension des Arbeitshandelns heraus. Es richtet sich auf Arbeitsweisen, die insbesondere zur Bewältigung von nicht vollständig berechen- und beherrschbaren sowie nicht-standardisierbaren Arbeitsanforderungen unverzichtbar wie auch effizient sind (siehe auch Böhle/Rose 1992, Böhle 2004, 2005, Pfeiffer 2004). Es sind dabei vor allem die alltäglichen Unwägbarkeiten und kritischen Situationen im alltäglichen Polizeidienst, durch die ein planmäßig-rationales Handeln und die Nutzung wissenschaftlich fundierten Fachwissens an Grenzen geraten. Polizeiliche Einsatzlagen ergeben sich meist spontan und die Polizeibediensteten treffen mehr oder weniger unvorbereitet am Einsatzort ein. Zum Umgang mit Unsicherheiten und Unplanbarkeiten von Polizistinnen und Polizisten liegen jedoch kaum Erkenntnisse aus der polizeiwissenschaftlichen Forschung vor. Für das Handeln des Polizeipersonals ist Erfahrungswissen, das sich im Verlauf der praktischen Tätigkeit und im Umgang mit Tätern und Opfern entwickelt, grundlegend. Es ist Basis für die Interpretation der sinnlichen Wahrnehmungen der Polizeibediensteten und für Entscheidungen, die daraus für das polizeiliche Handeln getroffen werden. Ein solches Wissen besteht aus einer Vielzahl eigener Erfahrungen, auf die sie bei der Einschätzung einer konkreten Situation zurückgreifen, aber auch aus sehr spezifischen und individuellen Kenntnissen über die Tatverdächtigen, deren Milieus oder typische Verhaltensweisen, die im Verlauf des Umgangs mit ihnen erworben werden.

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Polizeiliche Ermittlungsarbeit Sehr deutlich wird die Bedeutung des Erfahrungswissen von Polizeibediensteten in den Arbeiten von Reichertz (bspw. 1991, 1992) zur polizeilichen Aufklärungsarbeit. Da präzise beschreibbare Informationen im Ermittlungsprozess nicht oder nur begrenzt verfügbar sind, ist es umso wichtiger für das Polizeipersonal andere Informationsquellen zu erschließen und zu nutzen. Die Bildung von Verdachtsmomenten beruht nicht auf Willkür, sondern auf Strategien und Erfahrungswissen (siehe auch Girtler 1980). Reichertz betrachtet die Typisierungsleistungen der Polizeibediensteten und zeigt die Bedeutung des Erfahrungswissens bei Kriminalbeamtinnen und -beamten auf. Erfahrungswissen meint dabei nicht nur den Erwerb von Arbeitsroutinen, sondern wird als eigenständige Form des Wissens über konkrete Gegebenheiten verstanden. Die von Reichertz Befragten schildern, dass sie die einzelnen Täter mit der Zeit kennen. Dabei spielt die eigene Erfahrung eine wichtige Rolle, die sie im Verlauf der Jahre gesammelt haben und auf die zurückgegriffen wird. Auf dieser Erfahrungsgrundlage urteilen die Ermittler dann gefühlsmäßig. Das ermöglicht ihnen „ihre Schweine am Gang zu erkennen“, auch wenn sie die Personen nicht persönlich kennen (Reichertz 1992: 183). Das Erfahrungswissen der Ermittlerinnen und Ermittler bezieht sich demnach auf zurückliegende Ereignisse und Erfahrungen, die Grundlage für die Bewältigung aktueller Anforderungen sind. Zentrale Urteilsbasis ist vor allem das Selbsterlebte, so Reichertz. Mit Hilfe der eigenen Lebens- und Berufserfahrung konstruieren sich die Polizeibediensteten Normalitätsfolien menschlichen Handelns in bestimmten Situationen. Fehlen eigene Erfahrungen, fühlen sich die Ermittler hilflos. Sie warten dann ab, bis sie „neue“ Erfahrungen gesammelt haben. Auf Reichertz Frage, was einen guten Ermittler bzw. eine gute Ermittlerin ausmacht, weisen die Befragten auf Menschenkenntnis, Gespür und Feingefühl hin. Polizistinnen und Polizisten benötigen neben gutem Fachwissen auch ein gewisses Maß an Empathie, um sich in die Menschen hineinversetzen zu können, sowie implizites Wissen, das sich aus der individuellen Lebens- und Berufserfahrung speist (Reichertz 1991, 1992a). Auch Hahn (2008) widmet sich der emotionalen Dimension von Ermittlungsarbeit. Sie stellt insbesondere die mit der kriminalistischen Arbeit verbundene Leidenschaft heraus. Kategorien, mit denen sie diese Verbundenheit charakterisiert, sind Jagdfieber, Jagdkompetenzen und Jagdfrust, denen unterschiedliche Emotionen und Handlungen zugrunde liegen. Jagdfieber ist für Hahn der geeignete Begriff, mit dem man die den Ermittlungen zugrunde liegende Leidenschaft beschreiben kann. Zum Jagdfieber gehören Leidenschaft unterstützende Eigenschaften wie Erregung, Betroffenheit und Anerkennung. Leidenschaft wird von den befragten Beamtinnen und Beamten als Kompetenz angesehen, die der Ermittlungsarbeit dienlich ist, obwohl sie im krassen

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Widerspruch zur Norm der Rationalität polizeilichen Handelns steht. Diese Leidenschaft kann sich auch aus dem Leiden mit dem Leiden der Opfer speisen (ebd.: 139). Polizeibedienstete befinden sich daher im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit auf einer Gratwanderung zwischen professioneller Aufklärungsarbeit und emotionaler Einlassung auf Opfer und Angehörige (ebd.: 169). Mitgefühl wird dabei zur Restriktion, wenn sich Polizistinnen und Polizisten von ihrem Mitgefühl leiten lassen und deshalb Fehler machen. Dies geschieht, weil sie die notwendige Distanz verlieren und sich stattdessen persönlich verstricken. Das kann neben anderen Aspekten (bspw. Ergebnislosigkeit, Verzögerungen, Mängel in der Ausstattung, schlechte Organisation) zu Jagdfrust führen. Die von Hahn herausgearbeiteten Jagdkompetenzen stellen Fähigkeiten dar, die dazu dienen, den Erfolg der Ermittlungsarbeit zu sichern und situationsangemessen zu handeln. Dazu zählen die Kompetenzen des Zusammenhaltens, Sich-Spezialisierens, Annäherns, Dranbleibens und Zugreifens. Aber auch das Unterdrücken von eigenen Emotionen gehört zu diesen Kompetenzen. Es handelt sich dabei um Fertigkeiten zur Bearbeitung der eigenen Gefühle, die, ähnlich wie Jagdfrust, als Bedingung die Ermittlungsarbeit beeinflussen können. 1.3 Gefühle als Bedingung Untersuchungen zur Gefühlsarbeit im Dienstleistungsbereich zeigen, dass die emotionale Befindlichkeit des Gefühlsarbeitenden direkten Einfluss auf den Arbeitsprozess haben kann. Das weist darauf hin, dass Gefühle auch Bedingung im Arbeitshandeln sein können (vgl. Dunkel 1988 sowie Kapitel II-2.2.3), vor allem dann, wenn die erlebten Gefühle nicht mit den geforderten Gefühlen zusammenpassen. Der Gefühlsarbeitende ist in der Folge gefordert, entweder das Verhalten so zu verändern, dass es zu den geforderten Gefühlen passt (Oberflächenhandeln), oder die eigenen Gefühle müssen bearbeitet werden. Dies geschieht, indem die Gefühle dahingehend verändert werden, dass sie zu den Gefühlsnormen passen (Tiefenhandeln) (Hochschild 1990). Die Gefühle der Gefühlsarbeitenden selbst werden somit zum Ausgangspunkt für Gefühlsarbeit (Dunkel/Weihrich 2010). Die Gefühle der Polizistinnen und Polizisten werden zur Bedingung im Arbeitshandeln und beeinflussen den Arbeitsprozess, wenn diese nicht mit der in der kon kreten Einsatzsituation geforderten emotionalen Selbstdarstellung übereinstimmen. Das passiert, wenn die Polizeibediensteten aufgrund von bestimmten Ereignissen, wie Eigengefährdungen, Schusswaffengebrauch oder das Erleben von Leid, mit hohen emotionalen Belastungen konfrontiert sind, die zum Erleben belastender Emotionen führen. In der empirischen Polizeiforschung gibt es mittlerweile eine Reihe verschiedenster Untersuchungen, die sich mit den Ursachen des Belastungserlebens von Polizeibediensteten beschäftigen. Daher wird sich im Folgenden in

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einem eigenen Kapitel diesem Thema zugewandt. Wichtige Leistung dieser Studien ist, zentrale Belastungsbereiche polizeilicher Arbeit zu identifizieren. In Hinblick auf die zu beantwortende Fragestellung, worin zentrale emotionale Konfliktfelder in der polizeilichen Arbeit liegen, geht es im folgenden Kapitel zunächst darum, die Ergebnisse von Untersuchungen zu Belastungsursachen im polizeilichen Dienst vorzustellen (III-2.1). Weil die emotionalen Befindlichkeiten der Polizistinnen und Polizisten einen Einfluss auf ihr Arbeitshandeln haben, ist Gefühlsarbeit in Form emotionaler Selbstkontrolle notwendig. Um die geforderte Arbeitsleistung zu erbringen, müssen sich die Polizeibediensteten um eine angemessene und den Gefühlsregeln entsprechende emotionale Selbstdarstellung bemühen. Gefühlsarbeit ist allerdings nicht nur berufliche Kompetenz, die hilft, Ermittlungen und Vernehmungen erfolgreich durchzuführen. Gefühlsarbeit dient auch der Bewältigung der mit der polizeilichen Arbeit einhergehenden Belastungen. Hochschild (1990) zeigt anhand ihrer Untersuchungen, dass Menschen auf Dauer nicht in der Lage sind, andere Gefühle auszudrücken, als sie tatsächlich empfinden. Das ist auch für Polizeibedienstete ein zentraler Stress auslösender Aspekt ihrer Arbeit. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden ebenso betrachtet, inwieweit Gefühlsarbeit als Mechanismus im Umgang mit Belastungen bereits empirisch untersucht wurde (III-2.2). Da der Umgang mit belastenden Emotionen nicht immer gelingt, wird sich schließlich auch mit möglichen Belastungsfolgen auseinandergesetzt (III-2.3).

2. E MOTIONALE B ELASTUNGEN

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Die Gefühle der Polizistinnen und Polizisten erlangen für den Arbeitsprozess Bedeutung, wenn die Beamten emotionale Belastungen erleben. Da der Polizeiberuf sehr belastungsintensiv ist (vgl. bspw. Latscha 2005, Ludwig 2001), ist es wesentlich, sich mit Belastungsursachen, dem Bewältigungshandeln des Polizeipersonals und mit potenziellen Belastungsfolgen zu beschäftigen. Die hohe Belastungsintensität liegt vor allem in der Aufgabenvielfalt und in den Bedingungen polizeilicher Arbeit begründet. Polizistinnen und Polizisten haben ein umfangreiches Aufgabenfeld zu bearbeiten (Gefahrenabwehr, Verbrechensbekämpfung, Unterstützung anderer Behörden sowie Prävention). Das Anforderungsprofil verlangt von ihnen, sich immer wieder neu auf unterschiedlichste Situationen und Menschen einstellen und damit umgehen zu können (Kahmann 2007). Ihre Arbeit geht mit hohen Risiken für die körperliche und seelische Integrität der Polizeibediensteten einher. Zudem birgt ihre Eingebundenheit in die Strukturen der Polizeibehörde eine Reihe an potenziel-

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len Belastungsfaktoren. Daraus ergibt sich eine hohe Vielfalt an möglichen Belastungsursachen. Der Begriff Belastung bezieht sich im arbeitssoziologischen Verständnis zunächst ganz allgemein auf Arbeitsanforderungen und -bedingungen, durch die die Arbeitenden beeinträchtigt werden (Böhle 2010: 451). Belastungen werden auch als Restriktionen, Gefährdungen und Risiken bezeichnet. Die arbeits- und industriesoziologische Auseinandersetzung hat ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Typisierung unterschiedlicher Formen von Arbeit gerichtet, denen explizit und implizit bestimmte Belastungen zugeordnet werden können. Bei der Bestimmung von Belastungen wird dabei zu einem Großteil auf Erkenntnisse der Arbeitsmedizin, der Arbeitswissenschaft und Arbeitspsychologie zurückgegriffen (ebd.). Dem arbeitspsychologischen Verständnis nach sind Belastungen objektive, von außen auf den Menschen einwirkende Größen (quantitativ) und Faktoren (qualitativ). Es ist zweckmäßig, zwischen psychischen und körperlichen Belastungen zu unterscheiden: Erstere sind die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die auf den Menschen psychisch einwirken. Quantitativ kann das z.B. die Zahl der zu bearbeitenden Anzeigen und der zu ermittelnden Sachverhalte sein; qualitativ das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Zu ihnen zählen auch emotionale Belastungen. Als körperliche Belastungen gelten z.B. Gewichte (bspw. das Gewicht der schusssicheren Weste) oder Temperatur (bspw. Verkehrskontrollen bei Nässe und im Winter). Diese wirken körperlich auf den Menschen ein (Frieling/Sonntag 1999: 194ff, Nerdinger et al. 2008: 514ff, Richter/Hacker 1998, Rohmert/Rutenfranz 1975). In der Arbeitspsychologie wird stärker die subjektive Wahrnehmung, Beurteilung und Bewältigung von Belastungen berücksichtigt (vgl. bspw. Lazarus/Launier 1981). Dies liefert Antworten auf die Frage, warum Menschen gleiche Bedingungen als unterschiedlich belastend empfinden. Aber auch in der arbeitssoziologischen Forschung wird die subjektive Auseinandersetzung mit Belastungen berücksichtigt (bspw. Schumann et al. 1982, für einen Überblick vgl. Böhle 2010). Für das Verständnis des subjektiven Belastungserlebens von Arbeitenden ist es wesentlich, wie diese ihre Tätigkeit wahrnehmen. Die Situationswahrnehmung und -beurteilung ist ebenso grundlegend für die Entstehung von Emotionen. Der Zugang zu den Ursachen des subjektiven emotionalen Belastungserlebens der Polizeibediensteten gelingt daher nur über Kenntnis der individuellen Situationsdeutungen und -interpretationen (vgl. dazu auch Kapitel II, 2.2.1). 2.1 Ursachen von Belastungen in der Polizeiarbeit Die Mehrheit der vorliegenden Untersuchungen zu den Belastungsursachen im Polizeidienst haben jedoch zum Ziel, mit quantitativen Methoden objektive Belastungsbedingungen zu erfassen. Dennoch liefern sie einen umfangreichen Überblick

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über bedeutsame Belastungsbereiche polizeilicher Tätigkeit, indem sie unterschiedliche Ranglisten besonders emotional anforderungsreicher Einsatzsituationen generieren. Einige wenige qualitative Untersuchungen beschäftigen sich mit der Beschreibung der mit den Belastungssituationen einhergehenden Emotionen. Sie verweisen auf die Ausprägung und Intensität der erlebten emotionalen Belastungen. Für ein vollständiges Bild der Ursachen emotionaler Belastungen in der Polizeiarbeit lohnt sich ein Blick über die empirische Polizeiforschung hinaus. Rangfolgen zentraler Belastungsursachen Belastungsursachen lassen sich in operative und administrative Stressoren trennen (vgl. Klemisch et al. 2005 oder auch Steinbauer 2001). Was dabei als stärker belastend erlebt wird, ist jedoch kontrovers. Während sich in zahlreichen Studien administrative Stressoren als belastender erweisen (bspw. Violanti/Aron 1993, Kop et al. 1999), wird in anderen wiederum das Belastungspotenzial der operativen Faktoren als dominant betont (bspw. Brown et al. 1999, Violanti/Aron 1995, siehe zusammenfassend Klemisch 2006). Operative Stressoren beziehen sich auf die inhaltlichen Aspekte der polizeilichen Aufgaben. Belastungen resultieren dabei vor allem aus potenziellen Eigengefährdungen bei Gewalthandlungen, Demonstrationen und Festnahmen, aus der Aufnahme von Verkehrsunfällen mit Verletzten und/oder Toten, aus der Schichtund Wochenendarbeit, aus dem Gebrauch der Schusswaffe und aus dem Überbringen einer Todesnachricht. Administrative Stressoren hängen mit der Organisationsstruktur zusammen. Vor allem Mobbing, Konflikte zwischen Kolleginnen und Kollegen, allgemeine Bürotätigkeiten oder die ständigen Strukturveränderungen in der Polizei spielen als innerorganisatorische Aspekte für das Belastungserleben des Polizeipersonals eine Rolle (Hallenberger/Müller 2000, Horn 2005, Klemisch 2006). Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass administrative Stressoren chronisch auftreten und es daher zu einer Verzerrung durch die Häufigkeit des Auftretens von administrativen Belastungsfaktoren kommen kann. Eigengefährdungen, Schusswaffengebrauch oder Verkehrsunfälle treten seltener auf. Klemisch (2006: 20) verweist deshalb zurecht darauf, dass stets beide Arten von Belastungsfaktoren zu berücksichtigen sind. Scheler (1982) hat eine Rangreihe der Stressbelastungen von Polizeibeamtinnen und -beamten aufgestellt, bei der an oberster Stelle der Schusswaffengebrauch rangiert, neben der Überbringung einer Todesnachricht oder der Durchsuchung nach gefährlichen Gewalttätern. Als weniger belastende Situationen wurden Vernehmungen oder auch allgemeine Bürotätigkeiten angegeben. Wagner (1986) betrachtet insbesondere die Stärke der durch die Polizeibediensteten eingeschätzten Belastungen und die mittlere Häufigkeit des Vorkommens dieser Ereignisse und bildet daraufhin einen Belastungsindex. An oberer Stelle rangieren der Umgang mit

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aggressiven Personen, Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten, allgemeine Bürotätigkeiten, aber auch Organisationsmängel. Der Schusswaffengebrauch befand sich bei dieser Untersuchung in der Rangreihe weit hinten, denn dies ist ein Ereignis, was im polizeilichen Alltag relativ selten auftritt. Die umfangreiche Literaturanalyse von Klemisch et al. (2005) hebt ganz ähnlich Eigengefährdungen, das Überbringen von Todesnachrichten, den Umgang mit Suizid und mit verletzten Kindern sowie die Konfrontation mit gewalttätigen Menschenmengen wie auch Personalmangel, Zeitdruck, Arbeitsüberlastung und schlechte Ausstattung als zentrale Belastungen auslösende Faktoren hervor. Ebenso konstatiert Kahmann (2007: 40ff), dass sich im Kern der inzwischen zahlreichen Studien zur polizeibezogenen Stressforschung der Schusswaffengebrauch, die Konfrontation mit Gewalt und Tod, Eigengefährdungen und körperliche Schädigungen, Unvorhersehbarkeiten und das Überbringen von Todesnachrichten als besonders anforderungsreiche und belastende Aufgaben herausschälen. Zudem wird der Umgang mit Kinderleichen als außerordentlich belastend wahrgenommen. Dies ist auch der Fall, wenn besondere Begleitumstände, wie bspw. eine besondere Tragik, zu einem bestimmten Ereignis führen. Hallenberger und Müller (2000) unterscheiden Belastungsursachen in real erlebten Stress und vorstellbaren Stress. Unter real erlebten Stress fassen sie Situationen, welche die Polizeibediensteten innerhalb ihres Tätigkeitsbereiches erlebt haben. Vorstellbarer Stress dagegen sind Belastungen, welche auf Polizistinnen und Polizisten im Laufe des Dienstes zukommen könnten, aber noch nicht erlebt wurden. Dies verdeutlicht, vor welchen möglichen Belastungssituationen sie Angst haben. Die Ergebnisse zeigen, dass, vergleichbar mit anderen Untersuchungen, insbesondere Eigengefährdungen bei Gewalt, Demonstrationen und Festnahmen als besonders belastend wahrgenommen werden. Im Vergleich von Kommissarsanwärtern und Aufstiegsbeamten zeigt sich, dass an zweiter Stelle bei den jungen Polizeibediensteten mit wenig praktischer Erfahrung das Aufnehmen eines Verkehrsunfalls mit Verletzten und/oder Toten rangiert. Bei den dienstälteren Kollegen löst ein Verkehrsunfall zwar auch Stress aus, jedoch werden Arbeitsbedingungen wie Schicht- und Wochenenddienste4, die Arbeitsorganisation im Allgemeinen sowie Prüfungen als noch belastender empfunden. Bei den vorstellbaren Belastungen nimmt der Gebrauch der Schusswaffe in beiden Vergleichsgruppen den vordersten Rang ein (ebd.). Polizistinnen und Polizisten müssen bei ihrer Arbeit oftmals in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen, die sowohl rechtlich einwandfrei als auch unter Abwägung sozialer Aspekte hergestellt sind. Dahinter verbergen sich zwei weitere relevante Stressfaktoren. Das sind zum einen Belastungen, die aus der Unvorhersehbar4 Zu den Belastungen aus Wechselschichtdienst und Nachschicht siehe ausführlich Münstermann und Putz (1980).

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keit resultieren. Zu Beginn des Arbeitstages bzw. der Schicht wissen die Polizeibediensteten meist nicht, was sie erwartet. Goldfarb und Aumiller (2001) nennen diese Stressform auch „burst stress“. „Burst stress means there is not always a steady stressor, but at times, there is an immediate ‚burst‘ from low stress to a high stress state. In other words, officers go from complete calm, to high activity and pressure in one ‚burst‘. […] It is difficult to defend against burst stress.“ (ebd. 2001: 85). „Burst Stress“ steht für eine besondere Form von Belastung, bei der die Anspannung der Polizeibediensteten explosionsartig ansteigt. Dieser Stress unterscheidet sich erheblich von Stress, der sich kontinuierlich aufbaut. Darauf kann ganz anders reagiert werden. Beim plötzlichen Auftreten von Belastungssituationen können Bewältigungsstrategien schwieriger entfaltet werden, was sogar zu Kontrollverlust führen kann. Eng mit der Anforderung des schnellen Treffens von Entscheidungen ist zum zweiten der Entscheidungsdruck verbunden. So stellt Ludwig (2001) fest, dass die Angst vor falschen Entscheidungen oder Fehlverhalten in Dauerstress münden kann, da die Polizeibediensteten – meist unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit und vor allem der Medien stehend – ständig einem enormen Druck ausgesetzt sind, alles richtig machen zu müssen. In Situationen mit großer Ungewissheit und mit hohem Handlungsdruck arbeiten hauptsächlich Polizeibedienstete im Streifendienst, was deren Belastungserleben besonders ungünstig beeinflusst (Jain/Stephan 2000). Zwischenfazit 1 Insgesamt zeigen sich keine großen Unterschiede in den Ergebnissen der fast immer quantitativen Studien zu den zentralen Belastungsursachen polizeilicher Arbeit. Je nach Forschungsinteresse und Befragtengruppen variieren diese Ranglisten zwar (vgl. Kahmann 2007). Aber in allen Studien beeinflussen insbesondere Eigengefährdungen, das Überbringen von Todesnachrichten und Einsatzsituationen mit schwer verletzten oder sogar getöteten Menschen, insbesondere mit Kindern, das subjektive Belastungserleben der Polizeibediensteten. Neben Untersuchungen, die auch auf administrative Belastungsfaktoren verweisen, gehören insbesondere extreme und potenziell traumatisierende Einsatzsituationen zu den zentralen Belastungen polizeilicher Arbeit. Allerdings wird nicht herausgearbeitet, von welchen Emotionen diese Erfahrungen begleitet sind. Die Autorinnen und Autoren machen kaum Aussagen darüber, wie die Polizeibediensteten ihre Arbeit emotional erleben. Dazu muss auf Untersuchungen zurückgegriffen werden, die nicht nur die Höhe und Häufigkeit einzelner Belastungsfaktoren beschreiben, sondern sich auch mit der Ausprägung und Intensität des subjektiven Belastungserlebens der Polizeibediensteten beschäftigen (bspw. Hahn 2008, Kahmann 2007 oder Horn 2005).

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Gefühle und Gefühlsarbeit als Ursache für Belastungen Erst ein Blick in die qualitativen Studien polizeibezogener Untersuchungen demonstriert stärker die Bedeutsamkeit von Gefühlen und Gefühlsarbeit beim Erleben von Belastungen. Dadurch kann die emotionale Inanspruchnahme der Polizeibediensteten aufgrund von Belastungen genauer spezifiziert werden. So zeigt Hahn (2008) in ihrer qualitativen Untersuchung zum Umgang von Beamtinnen und Beamten eines Landeskriminalamtes mit beruflichen Extrembelastungen, dass sich diese vor allem im Mitleid mit den Opfern manifestieren und sich mit den Belastungen durch die Arbeitsorganisation verbinden. Das betrifft Mängel an Räumen wie Teeküche oder Aufenthaltsraum, an Personal, an technischen Arbeitsmitteln vom Computer bis zum Auto, an Zeit, an Anerkennung oder an familienfreundlichen Arbeitszeitstrukturen (ebd.). Sie konstatiert darüber hinaus, dass es den Polizeibediensteten besonders schwerfällt, das eigene „Wissen“ um die Verbrechen zu ertragen. Als enorm belastend wird zudem ausbleibender (Ermittlungs)Erfolg geschildert. Dies betrifft ganz besonders den Bereich der Delikte gegen Kinder. Es scheint demnach so etwas wie eine „Delikthierarchie“ zu geben (ebd.: 153). In ihrer Studie kann man erkennen, was sich tatsächlich hinter den von den Polizistinnen und Polizisten genannten operativen Stressoren, die aus den Arbeitsinhalten resultieren, verbirgt. Es ist vor allem die Tatsache, dass mit den von ihnen zu bearbeitenden Sachverhalten auch immer Menschen und subjektives Erleben verbunden sind (ebd.). Da sich die Polizeibediensteten ständig im Kommunikationsprozess mit der Bevölkerung, Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen befinden, sind sie stets mit menschlichem Verhalten konfrontiert, was auf der kognitiven und besonders auf der emotionalen Ebene hohe Anforderungen stellt (Ludwig 2001). Die Arbeit mit den Menschen ist daher auch für Polizistinnen und Polizisten eine zentrale Belastungsursache. Eine weitere damit einhergehende Belastungsquelle ist in diesem Zusammenhang die Gefühlsarbeit, die, wie bereits dargestellt, ein wichtiger Bestandteil interaktiver Arbeit ist (vgl. dazu Dunkel/Weihrich 2010). Auch für Polizeibedienstete gehört in vielen Situationen ein spezifischer Gefühlsausdruck zur Berufsrolle. Oftmals sind die Arbeitssituationen dadurch gekennzeichnet, dass die Beamtinnen und Beamten soziale Konflikte lösen und schlichten müssen (z.B. Familienstreitigkeiten). Zum Großteil sind dies Situationen, die durch soziale Probleme sowie durch eine Konfrontation mit dem „schlechteren“ Teil der Gesellschaft geprägt sind, so Ludwig (2001: 220). Dennoch wird von ihnen emotionale Neutralität erwartet, woraus die Anforderung resultiert, dass sie unabhängig von ihrem tatsächlichen Empfinden nach außen hin keine (unangemessenen und die Arbeitssituation beeinträchtigenden) Gefühle zeigen sollten (Klemisch 2006).

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Allerdings können die Polizistinnen und Polizisten ihre „Gefühlswelt nicht einfach abstreifen“ (Kahmann 2007: 38). Da sie aber nicht nach ihrer jeweiligen momentanen Gefühlslage handeln dürfen, müssen sie den Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen und den tatsächlich erlebten Gefühlen im Umgang mit Leid, Schuld, Tod, Verletzung oder auch Unsicherheit aushalten. Diese Diskrepanz zwischen gezeigtem und erlebtem Gefühl ist mit unangenehmen Gefühlen verbunden und kann erheblichen Stress auslösen – Hochschild (1990) spricht in diesem Zusammenhang von emotionalen Dissonanzen. Aber auch der Umgang mit Tod, Trauer und Mitgefühl kann Ursache für Belastungen sein. So ist es beim Überbringen von Todesnachrichten wichtig, den Trauernden Beistand zu geben und Trost zu spenden bis verwandtschaftliche oder andere, emotionale Unterstützung gebende Personen (bspw. auch Pfarrer oder Seelsorger) eingetroffen sind. Somit werden die Polizeibediensteten unwillkürlich zur „Projektionsfläche für alle Gefühle des sich in einer schockartigen Traumatisierung befindenden Trauernden“ (Horn 2005: 4). In dem umfangreichen empirischen Material von Hahn (2008) wird deutlich, dass es zudem nicht unbedingt das Wissen um den Tod eines Kindes (oder Erwachsenen) ist, was die Polizeibediensteten belastet, sondern insbesondere das Darüberhinweg-Täuschen über das Mitgefühl, was sie gegenüber denen haben, mit denen sie Mitleid empfinden. Kahmann (2007) sieht vor allem die Konfrontation mit Gewalt in engen persönlichen Beziehungen als eine Ursache für eine Reihe von belastenden Konflikten. Polizeibedienstete dürfen nicht zu sehr mit dem Opfer mitfühlen, sich aber auch nicht abschotten gegenüber den emotionalen Befindlichkeiten des polizeilichen Gegenübers. „Für den einzelnen Polizeibeamten bedeutet dies ein Austarieren zweier gegenüberliegender Pole, also zwischen Gleichgültigkeit und schockierender Betroffenheit“ (Kahmann 2007: 38, vgl. auch Franzke/Wiese 1997). Insgesamt kann man konstatieren, dass der Umgang mit Angehörigen, Opfern, Beschuldigten usw. mit hohen emotionalen Belastungen für Polizistinnen und Polizisten verbunden ist. Bei den mit den Belastungen polizeilicher Arbeit einhergehenden Empfindungen kristallisieren sich Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Polizisten heraus. Franzke und Wiese (1997) beschäftigten sich mit dem Belastungserleben von weiblichen Beamten. Sie führen aus, dass für sie Belastungen zum Ersten aus innerdienstlichen Gegebenheiten und „Machenschaften“ (ebd.: 508) erwachsen, die eine geschlechtsspezifische Komponente aufweisen, bspw. wenn Frauen auf Akzeptanzschwierigkeiten stoßen. Zum Zweiten empfinden die weiblichen Bediensteten insbesondere den Umgang mit Sterben, Tod und extremer Gewalt als belastend (ebd.: 508). Die meisten Polizistinnen fühlen sich hilflos gegenüber Gewalt und machtlos gegenüber deren Ursachen. Sie fühlen sich bei ihren Einsätzen nicht nur betroffen, sondern sind oftmals auch wütend und verärgert angesichts

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ihrer beschränkten Handlungsmöglichkeiten, denn aufgrund der polizeilichen Rahmenbedingungen unterliegt das polizeiliche Handeln engen zeitlichen, örtlichen und kompetenzbezogenen Grenzen, so Franzke und Wiese (ebd.). Zentraler emotionaler Belastungsmoment ist ebenso das Problem der selbst erlebten, bei anderen beobachteten oder von anderen berichteten Gewalt (ebd.). Auch Steinbauer (2001) zeigt, dass weibliche Polizeibeamte im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sehr viel häufiger angeben, auf die Konfrontation mit Leid und Tod sehr sensibel zu reagieren. Der zum Berufsalltag gehörende Umgang mit Leid, Schmerz, Rücksichtslosigkeit, Gewalt, Tod und Trauer scheint insbesondere für sie belastend zu sein (Kahmann 2007). Als Erklärung für diese geschlechtsspezifischen Unterschiede wird ins Feld geführt, dass in Anlehnung an die Untersuchungen von Behr (2000) Männer dazu neigen, ihre „wahren“ Gefühle nicht zu offenbaren (vgl. auch Pieper/Maercker 1999). Zwischenfazit 2 Die qualitativen Studien zum Belastungserleben des Polizeipersonals machen deutlich, dass vor allem die Konfrontation mit Extrembelastungen und die interaktive Arbeit mit dem polizeilichen Gegenüber (in Vernehmungen mit Opfern, beim Überbringen von Todesnachrichten usw.) zu belastenden Emotionen führen. Dabei sind es primär die emotionale Betroffenheit und das Mitleiden der Polizistinnen und Polizisten mit den Betroffenen, die ihr Arbeitshandeln beeinflussen können. Vor dem Hintergrund, dass in der polizeilichen Arbeit zunehmend Service- und Kundenorientierung in den Vordergrund rücken, ist es erstaunlich, dass sich mit den damit einhergehenden emotionalen Anforderungen kaum auseinandergesetzt wird (Fischbach 2003, Strompen 2008). In Kapitel III-2.1 hat sich gezeigt, dass nicht nur die inhaltlichen Aspekte polizeilicher Arbeit zu bedeutenden Belastungsursachen zählen. Auch administrative Faktoren wie ständige strukturelle Veränderungen in der Polizei oder Konflikte am Arbeitsplatz beeinflussen das subjektive Belastungserleben der Polizeibediensteten. Ein ganz entscheidender Aspekt ist in den Untersuchungen zur Polizeiarbeit aber bisher weitestgehend vernachlässigt worden – die Arbeit im Spannungsfeld sich widersprechender Interessen und Verhaltenserwartungen. Im folgenden Abschnitt soll daher der Blick darauf gerichtet werden, inwieweit Untersuchungen anderer Forschungsfelder Hinweise auf Belastungsursachen und auf das Belastungserleben der Polizeibediensteten in Konfrontation mit diesen strukturellen Handlungsproblemen liefern.

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In der Polizeiforschung vernachlässigte Belastungsursachen Zunächst muss konstatiert werden, dass das beständige Tätig-Sein im Spannungsfeld von formalen Vorgaben und dem Einbringen der Persönlichkeit der beteiligten Akteure kaum als zentrale Belastungsursache genannt wird, obwohl indirekt immer wieder auf die Anforderungen der interaktiven Momente polizeilicher Arbeit hingewiesen wird. Beides hängt eng miteinander zusammen, wie das Modell der Bedingungen polizeilicher Gefühlsarbeit im Spannungsfeld divergierender Arbeitsanforderungen in Kapitel II gezeigt hat. Hahn (2008) betrachtet zwar die bürokratischen Rahmenbedingungen aus der Perspektive der Beamtinnen und Beamten hinsichtlich nicht erfüllter Erwartungen in Bezug auf zeitliche, personelle und technische Ressourcen. Sie geht allerdings nicht darauf ein, inwieweit die institutionell-bürokratischen Handlungsvorgaben in Widerspruch zu den tatsächlich zu bearbeitenden Problemen und damit zur Belastung für die Polizeibediensteten werden können. Lediglich Franzke und Wiese (1997) heben darauf ab, wie vor allem weibliche Polizisten ihre beschränkten Handlungsmöglichkeiten erleben, insbesondere in Bezug darauf, neben polizeilicher Kontrolle und Strafverfolgung den Betroffenen bei der Wiederherstellung ihrer persönlichen Integrität helfen zu wollen. Die meisten von den Autorinnen befragten Polizistinnen fühlen sich hilf- und machtlos gegenüber Gewalt und deren Ursachen. Sie empfinden nicht nur Betroffenheit, sondern auch Ärger und Wut aufgrund der engen Grenzen polizeilichen Handelns. Ein Blick in die allgemeine Verwaltungsforschung, die die Arbeit in Arbeitsagenturen, Sozialverwaltungen, Jugendamt usw. untersucht, zeigt weitere Belastungen auf, die aus dem bürokratischen Trilemma resultieren. „Das Handlungsprogramm weiß schon immer, was der ‚Kunde‘ will, der Vermittler muss jedem ‚Kunden‘ nur noch klar machen, dass er es auch will“ (Behrend 2007: 115). Diese Aussage verdeutlicht die beruflichen Anforderungen von Beschäftigten in Verwaltungen. Sie müssen zwischen individuellem Fallverstehen und Subsumtion des Falls unter standardisierende Verwaltungsvorgaben und gesetzliche Regelungen vermitteln. Sie sind damit konfrontiert, diese Widersprüchlichkeiten praktisch zu bewältigen. Ähnlich wie Polizistinnen und Polizisten sind sie häufig mit den besonders schlimmen und belastenden Schicksalen ihrer Klienten konfrontiert. Harrach et al. (2000) widmen sich daher dem Strukturdilemma, in dem die Sozialverwalter stecken – „zugleich Agentur sozialer Kontrolle im Dienste der Rechtspflege sein zu müssen und den Klienten in seiner konkreten sozio-psychischen Hilfsbedürftigkeit quasi-therapeutisch in der Wiederherstellung seiner beschädigten Autonomie unterstützen zu wollen“ (Harrach et al. 2000: 72). Stumpfögger und Wiethoff (1989) arbeiten für die Arbeit in kommunalen Sozialämtern heraus, dass in diesem Zusammenhang das Spannungsfeld aus Kontrolle und Mitleid grundlegend ist. Die Beschäftigten fühlen sich in einer Klemme zwischen Staat und Hilfesuchenden.

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Das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle ist eine zentrale Ursache der Belastungen von Beschäftigten im Bereich der sozialen Arbeit (siehe bspw. Harrach et al. 2000). Im stets gefährdeten Gleichgewicht zwischen den Rechtsansprüchen und Interessen der Klienten sowie sozialen Kontrollinteressen gleichzeitig kontrollierend und sorgend tätig zu sein, führt auf individueller Ebene zu innerer Zerrissenheit (Böhnisch/Lösch 1973). In Erfüllung ihres „doppelten Mandats“ (ebd.) muss das Verwaltungspersonal emotionale Ambivalenzen aushalten. Das Spannungsfeld aus institutionell-bürokratischem Handlungsrahmen und Bezogenheit auf lebensweltliche Interessen des Gegenübers ist, wie in Kapitel II gezeigt wurde, auch für die Arbeit von Polizistinnen und Polizisten bedeutsam. Das ist wesentlich für das Verständnis ihres subjektiven emotionalen Belastungserlebens. Zwischenfazit 3 Die Befunde zum bürokratischen Trilemma, das auch für die Arbeit des Polizeipersonals bedeutsam ist, verdeutlichen, dass die unterschiedlichen Belastungsmomente polizeilicher Arbeit nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. Viele unterschiedliche belastungsrelevante Faktoren spielen in die Arbeitssituation hinein. Das komplexe Zusammenwirken der verschiedenen Belastungsaspekte führt zu einer hohen emotionalen Inanspruchnahme der Polizeibediensteten. Eher selten wird jedoch betrachtet, inwieweit bspw. Extrembelastungen ihre Wirkung im Verbund mit Aspekten der Arbeitsorganisation entfalten (vgl. Hahn 2008). In der vorliegenden Untersuchung wird angenommen, dass belastende Ereignisse, wie der Missbrauch eines Kindes oder ein tragischer Unfall, vor allem durch die begrenzten Handlungsspielräume innerhalb der Verwaltungsstrukturen als extreme Belastung empfunden werden. Da die Arbeit der Polizeibediensteten im Spannungsfeld von Verwaltungsvorschriften, Bürgerinteressen und eigenen Ansprüchen geleistet werden muss, führen aber auch Tätigkeiten, die in den Befragungen als weniger belastend eingestuft werden (bspw. Verkehrskontrollen oder Vernehmungen) zu Gefühlsproblemen, die die Polizeibediensteten als konfliktreich erleben. Die mitunter sehr extremen Einsatzsituationen und die mit der polizeilichen Arbeit einhergehenden unterschiedlichsten Interaktionssituationen konfrontieren die Polizistinnen und Polizisten nicht nur mit dem Leid anderer Menschen, sondern auch mit ihrem eigenem emotionalen Erleben, das in der Konsequenz dazu führt, dass die rationale polizeiliche Handlungslogik dem persönlichen Erleben der Polizeibediensteten gegenübersteht. Aus diesem Widerspruch entstehen Belastungen, wenn die Beamtinnen und Beamten dem nichts entgegensetzen können. Emotionale Dissonanzen (Hochschild 1990) sind auf Dauer nicht aushaltbar, weshalb das Polizeipersonal gefordert ist, seine Gefühle zu bearbeiten. Vor diesem Hintergrund soll im folgenden Abschnitt herausgearbeitet werden, inwiefern sich die polizeiliche Forschung mit Gefühlsar-

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beit als eine Möglichkeit des Umgangs mit den beruflichen Belastungen auseinandergesetzt hat, denn die Arbeit mit Gefühlen dient nicht nur der Erbringung der Arbeitsleistung, sondern vor allem auch der Bewältigung belastender Emotionen. 2.2 Die Bewältigung emotionaler Belastungen Aufgrund der hohen Arbeitsanforderungen sind die Polizeibediensteten massiven emotionalen Belastungen ausgesetzt. Um die geforderten Arbeitsleistungen dennoch zu erbringen und die eigene Arbeitskraft zu erhalten, ist es für sie ein gelingender Umgang mit den zum Teil extremen Belastungen wichtig. Im Folgenden werden daher wissenschaftliche Erkenntnisse zur Belastungsbewältigung bei Polizistinnen und Polizisten vorgestellt. Der Argumentation in Kapitel II folgend, wird angenommen, dass in der Auseinandersetzung mit den beruflichen Belastungen insbesondere die Arbeit an den eigenen Gefühlen zentral ist. Daher wird vordergründig betrachtet, inwieweit im Rahmen der unterschiedlichen in den verschiedenen Studien herausgearbeiteten Bewältigungspraktiken Gefühlsarbeit eine Rolle spielt. Der Fokus liegt demnach auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zum emotionsorientierten Umgang mit den Belastungen bei der Polizei. In der Beschäftigung mit dem Bewältigungshandeln von Polizistinnen und Polizisten ist es zunächst erforderlich, den Begriff der Bewältigung genauer zu bestimmen. In Anlehnung an Lazarus und Folkman (1984) kann Bewältigung als sich ständig verändernde kognitive, emotionale und aktionale Bemühungen einer Person verstanden werden, sich mit den spezifischen Belastungen und Anforderungen auseinanderzusetzen, sie aufzufangen, auszugleichen oder zu meistern. Die verhaltensorientierten und intrapsychischen Anstrengungen dienen dazu, mit den umweltbedingten und internen Anforderungen sowie den zwischen ihnen bestehenden Konflikten, die die Fähigkeit einer Person beanspruchen oder übersteigen, umzugehen (indem sie diese meistern, reduzieren, tolerieren etc.) (Lazarus/Launier 1981: 244). Es wird zwischen problem- und emotionsorientiertem Coping unterschieden. Problemorientiertes Coping umfasst als aktionszentrierte Bewältigungsform eher das aktive Tun. Es setzt direkt am Stress auslösenden Problem an. Problemorientierte Bewältigung ist der Versuch, direkt auf die Situation einzuwirken oder auch eigene Merkmale (z.B. Werte, Einstellungen) zu verändern. Beim emotionsorientierten Coping handelt es sich eher um Gedanken. Es laufen intrapsychische Neustrukturierungsprozesse ab mit dem Ziel, unangenehme Gefühle wie Angst, Ärger oder Traurigkeit sowie den damit einhergehenden Spannungszustand zu verändern. Dies kann durch Aushalten, Verleugnen oder auch durch zukünftiges Meiden entsprechender Gegebenheiten erreicht werden. Dabei wird versucht, die emotionalen

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Reaktionen des Stress auslösenden Problems zu regulieren (Evans et al. 1993, Lazarus/Launier 1981, Kahmann 2007). Zudem ermitteln Folkman und Lazarus (1988) empirisch acht Erscheinungsformen von Bewältigungsverhalten, die das problem- und emotionsorientierte Coping unterstützen (siehe dazu auch Evans et al. 1993, Kahmann 2007):5 • • • • •

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Konfrontative Bewältigung i.S.v. aggressiven oder instrumentellen Bewältigungsbemühungen, um eine Situationsveränderung zu erreichen. Kognitive Distanzierung, die dazu dient, einen inneren Abstand zum Belastungsgeschehen herzustellen. Selbstkontrolle, die eine Regulierung oder Steuerung der eigenen Gefühle oder Handlungen zum Ziel hat. Suche nach sozialer Unterstützung, um durch Informationen, Einfühlungsvermögen oder Trost anderer Hilfe zu erlangen. Übernahme von Verantwortung als Bewältigungsbemühung, in der die eigenen Anteile am Geschehen identifiziert und vor dieser Folie eine Veränderung des Verhaltens vorgenommen wird. Flucht, Rückzug, Vermeidung, die dazu dienen, bestimmte Stresssituationen zu meiden. Problembezogene Lösungsversuche i.S. eines geplanten Vorgehens im Umgang mit der Belastung. Positive Neueinschätzung, bei der dem belastenden Ereignis positive Konnotationen zugeschrieben werden.

Untersuchungen zur differenziellen Effektivität der einzelnen Bewältigungsformen zeigen, dass es keine allgemein effektive Umgangspraktik gibt, sondern dass es für den Bewältigungsprozess von Vorteil ist, über ein Repertoire aus unterschiedlichen problem- und emotionsorientierten Bewältigungsformen zu verfügen. Darüber hinaus scheint sich Flexibilität im Bewältigungshandeln in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation, der aktuellen eigenen Verfassung sowie den benötigten und vorhandenen Ressourcen als günstig für eine erfolgreiche Bewältigung zu erweisen (vgl. Kaluza 2003, Klemisch 2006). Insgesamt, so fassen Evans et al. (1993) zusammen, werden emotionsorientierte Bewältigungsformen eher genutzt, wenn man die Umgebungsbedingungen nicht verändern kann. Problemorientiertes Coping greift, wenn die Personen glauben, die Stressoren kontrollieren und Veränderungen in den äußeren Bedingungen herstellen zu können.6 Das stützt die in Kapitel II 5 Eine Zuweisung der acht Faktoren zur problem- bzw. emotionsorientierten Bewältigung machen Folkman und Lazarus (1988) nicht (vgl. Kahmann 2007). 6 Siehe dazu auch die Unterscheidung von Dunkel (1988) in nach außen gerichtete und nach innen gerichtete Strategien im Umgang mit belastenden Emotionen.

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formulierte Annahme, dass die Arbeit mit Gefühlen in der Polizei aufgrund ihrer spezifischen Bedingungen eine wichtige Rolle spielt. Die Sichtung der vorhandenen (englisch- wie deutschsprachigen) Literatur zum emotional-gefühlsmäßigen Umgang von Polizistinnen und Polizisten offenbart, dass sich Erkenntnisse hierzu insbesondere auf den Umgang mit extremen und potenziell traumatisierenden Einsatzsituationen beziehen (III-2.2.1). Es finden sich kaum polizeiwissenschaftliche Studien, die sich mit der emotionsorientierten Bewältigung von belastenden Emotionen in Interaktionssituationen auseinandersetzen (III-2.2.2). Zudem gibt es zwar Untersuchungen zum Umgang der Polizeibediensteten mit den strukturellen Bedingungen polizeilichen Handelns, dabei wird jedoch kaum auf die Arbeit mit Gefühlen eingegangen (III-2.2.3). Deshalb werden in den Abschnitten III-2.2.2 und III-2.2.3 Erkenntnisse aus Forschungen zur personenbezogenen Dienstleistungsarbeit und zur Arbeit in Verwaltungen herangezogen, um zu betrachten, inwieweit Gefühlsarbeit das Bewältigungshandeln unterstützt. 2.2.1 Die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Umgang mit Extrembelastungen Die innerpolizeiliche Gefühlskultur als Hemmschuh für emotionsbasierte Bewältigungsformen Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an quantitativen Untersuchungen, die sich mit der Bedeutung von emotionsorientierten Formen bei der Bewältigung polizeilicher Belastungen befassen. Dabei ist zu konstatieren, dass die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Analyse der Bewältigungsstrategien von Polizeibediensteten zu ähnlichen Ergebnissen kommen (Evans et al. 1993): Die innerpolizeiliche Gefühlskultur ist ein zentraler Hemmschuh für einen emotionsbasierten Umgang der Polizeibediensteten mit den beruflichen Belastungen (vgl. auch Pogrebin/Poole 1991: 402). Über die Zeit der beruflichen Erfahrungen entwickeln die Beamtinnen und Beamten Züge von Misstrauen, Distanziertheit, Zynismus und Autoritarismus. Dies sind für sie primäre Formen, um mit den beruflichen Belastungen und den traumatischen Aspekten ihrer Arbeit umzugehen (Evans et al. 1993). Evans et al. (ebd.) untersuchen die Copingstrategien von Polizeibediensteten der australischen Polizei und erstellen eine Rangfolge entlang der Häufigkeit ihres Gebrauchs. Dazu haben sie 271 Polizistinnen und Polizisten befragt. Die empirisch erstellte Rangliste zeigt, dass die Befragten vor allem problemorientierte Bewältigungsformen nutzen. Die meist genutzten problemfokussierten Strategien sind dabei: Handlungspläne entwerfen und diesen folgen (69%), die Arbeit in einem Schritt durchziehen (56%) sowie den Mann/die Frau stehen und durchkämpfen (55%). Die Autoren vermuten, dass die Polizeibediensteten aufgrund ihrer Ausbil-

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dung und ihrer berufsbedingten Sozialisation eher auf einen problemorientierten Umgang bauen, um mit den mitunter unkontrollierbaren und unvorhersehbaren Ereignissen ihrer Arbeit umzugehen. Die innerpolizeiliche Kultur lässt offensive Gefühlsdarstellungen nicht zu. Die Polizeibediensteten halten sich an das Bild des toughen, harten Polizisten, der sich um sich selbst kümmert. Deshalb gehen sie nicht effektiv mit emotionsbasierten Copingstrategien um. Dies bestätigen die Ergebnisse von Steinbauer (2001), die in ihrer Untersuchung aufzeigt, dass 40% der von ihr Befragten (44,1% Polizisten, 41,7% Polizistinnen) ihre erlebten dienstlichen Ereignisse aufgrund der Tabuisierung des Sprechens über Gefühle nicht oder nur teilweise verarbeiten. Evans et al. (1993) konstatieren, dass Polizistinnen und Polizisten keine emotionsfokussierten Bewältigungsstrategien nutzen, obwohl sie das Bedürfnis haben, ihre emotionalen Erfahrungen mit ihren Kolleginnen und Kollegen und anderen Personen zu teilen. Ein Mangel an Gesprächskultur innerhalb der Behörde führt dazu, dass zwar im vertrauten Zweiergespräch eine Thematisierung der Belastungen fast jederzeit möglich ist. Es fehlt jedoch die Offenheit im Gruppengespräch mit diesem Thema umzugehen (vgl. Wendtland 2008). Gefragt nach den bedeutendsten Stressoren im beruflichen Alltag antworten die Polizeibediensteten u.a., in einer Situation zu sein, in der sie nicht das ausdrücken können, was sie tatsächlich fühlen. In einer Liste von 56 möglichen Belastungen auslösenden Ereignissen rangiert dieser Stressor auf Platz sieben – 54,5% der von Evans et al. (1993) Befragten benannten diesen Stressor. Dies ist eine relativ gemeinsame Erfahrung unter den Polizeibediensteten (Evans et al. 1993, siehe dazu auch Coman/Evans 1991). Viele von ihnen erleben es als eine zusätzliche Belastung, nicht über ihre Gedanken und Gefühle zu sprechen, weil sie Angst haben, als schwach abgestempelt zu werden (siehe dazu auch Gercke 1995). Evans et al. (1992) demonstrieren ergänzend, dass Polizeibedienstete Umgangspraktiken entwickeln, die sie gar nicht erst in die Lage versetzen, emotionsfokussierte Bewältigungsformen einzusetzen. Konsequenz ist, dass sie im Laufe der Berufsjahre zynischer, distanzierter, autoritär und misstrauisch werden. Von manchen Autoren (bspw. Hillgren/Bond 1975) wird dieser Prozess als zunehmende Depersonalisierung bezeichnet, in dem sich Polizeibeamte von ihrem eigenen Empfinden ablösen und die Auseinandersetzung mit Emotionen ablehnen. Dies mag kurzfristig im Umgang mit den beruflichen Belastungen hilfreich sein, aber auf lange Sicht verstärken sich dadurch die beruflichen Belastungen, so die Autoren (siehe dazu auch Evans et al. 1992, Lazarus/Folkman 1984). Langfristig leiden die Polizeibediensteten unter Substanzverlust, Eheprobleme, Suizidgedanken oder andere psychologische oder Verhaltensprobleme (Evans et al. 1993). Demgegenüber argumentiert jedoch Klemisch (2006), die in ihrer Untersuchung Aufschluss über Stressoren, Bewältigungshandeln und die Lebensqualität von Polizeibediensteten gibt, dass sie psychosomatisch vergleichsweise wenig belastet sind.

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Sie zieht daraus den Schluss, dass die von ihr Befragten über weitgehend effektive Bewältigungsstrategien zu verfügen scheinen. Dabei stellt sie insbesondere folgende Bewältigungspraktiken heraus: Situationskontrolle, positive Selbstinstruktion, soziale Unterstützung, Herunterspielen durch Vergleiche sowie gedankliche Weiterbeschäftigung. Auch Latscha (2005) zieht aus seiner Untersuchung den Schluss, dass die Bewältigungsmechanismen nach potenziell traumatisierenden Ereignissen bei den von ihn befragten Beamten gut zu funktionieren scheinen, da sich über die Jahre hinweg nach einem Ereignis bei über 50% der Befragten eine Besserung der Symptomatik einstellte. Dies wird auf protektive Faktoren zurückgeführt, wie die Überzeugung, kritische Anforderungssituationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können (Klemisch 2006, Schneider/Latscha 2010). Individuelle, arbeitskraftbezogene Gefühlsarbeit als Schutz- und Bewältigungsmechanismus wird jedoch nicht thematisiert. Facetten emotionsbasierter Bewältigungsformen Trotz der in den quantitativen Untersuchungen konstatierten Zurückhaltung der Polizeibediensteten im offenen Umgang mit belastenden Emotionen bildet sich in den qualitativen Studien eine größere Bedeutung emotionsbezogener Bewältigungsversuche ab bzw. können durch die tiefergehende Analyse des Bewältigungshandelns die Facetten des Gebrauchs von und des Umgangs mit Emotionen stärker herausgearbeitet werden. So analysiert Kahmann (2007) die kognitiven und emotionalen Bewertungsund Stressbewältigungsprozesse bei Polizeibeamtinnen und -beamten vor, während und nach der Überbringung einer Todesnachricht. Er generiert sechs Typen von Stressbewältigung beim Überbringen von Todesnachrichten: der empathische Herausgeforderte, der distanzierte Herausgeforderte, der idealisierte Herausgeforderte, der Mischtypus, der hilfesuchende Bedrohte, der hilfesuchende Überforderte. Kahmann macht deutlich, dass die Stressbewältigung von Polizistinnen und Polizisten unter individuell verschiedenen Bedingungskonstellationen stattfindet, die sich aus dem Gesamtkontext in Verbindung von Person und Situation ergeben. Das hat zur Folge, dass die herausgearbeiteten Typen nicht primär Personentypen sind, sondern immer unter den Bedingungen einer stressenden, hochdynamischen PersonUmwelt-Beziehung zu sehen sind. Wichtig ist dabei, ob der Polizeibedienstete – unter Abgleich mit den zur Verfügung stehenden individuellen Ressourcen – die Leistungsanforderungen beim Überbringen von Todesnachrichten als herausfordernd interpretiert oder als Bedrohung oder sogar Überforderung wahrnimmt (Kahmann 2007). Dies ist wichtig für die von den Polizeibediensteten erlebten Emotionen. Pogrebin und Poole (1991) untersuchen, wie Polizeibedienstete in Konfrontation mit Extrembelastungen mit ihren Gefühlen umgehen. Sie konstatieren, dass die

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innerpolizeiliche Gefühlskultur, in der das Sprechen über Gefühle, Schmerz, Schuld oder Angst tabuisiert wird – sie sprechen von einer „toughness“ ethic (ebd.: 398) –, zu einer Selbstzuständigkeit des Polizeipersonals im Umgang mit tragischen Ereignissen führt. Ihre Untersuchung ergab, dass eine hohe Identifikation der Befragten mit der professionellen Rolle als Polizeibediensteter, die emotionale Selbstkontrolle erleichtert. Ebenso unterstützt die Fähigkeit zur Rollenübernahme den Umgang mit Extrembelastungen. Um die Fassung nach außen zu bewahren, spielt ebenso „impression management“ (ebd.: 401) eine wichtige Rolle für Polizeibedienstete. Schließlich arbeiten sie die Bedeutung von Humor im Umgang mit emotional anforderungsreichen Einsatzsituationen heraus. Wichtige Erkenntnisse liefert auch die Untersuchung von Hahn (2008), die den Versuch unternimmt, eine Theorie der Bewältigung von Extrembelastungen von Polizeibediensteten in einem Landeskriminalamt zu entwickeln. Sie untersucht den Umgang mit Belastungen unter einer lebensweltlichen Perspektive und stellt fest, dass die Befragten unterschiedlich mit Extrembelastungen umgehen, auch wenn es Routinen des Umgangs mit alltäglichen Belastungen gibt. Hahn benennt vier Hauptkategorien, wie polizeiliches Alltagshandeln im Feld eines Landeskriminalamtes zwischen Arbeitshandeln und Belastungsbewältigung aussieht – Dazugehören, Routinen des Wegtuns, die Leiden(-schaft) des Arbeitens und Selbstmächtigkeit des Vermischens. Grenzjonglage stellt die Kernkategorie bei Hahn dar und bezeichnet die Fähigkeit, zwischen Arbeitshandeln und Bewältigungshandeln ausbalancieren zu können, um die Arbeit ordnungsgemäß zu erfüllen. Die Belastungsfaktoren, die im Gleichgewicht gehalten werden müssen, sind die Extrembelastungen (v.a. Mitleid), die Arbeitsanforderungen sowie weitere Belastungen durch die Arbeitsorganisation. Das bedeutet, dass die Polizistinnen und Polizisten parallel die geforderten Arbeitsleistungen erbringen, mit ihren eigenen Empfindungen umgehen und zusätzliche Belastungen, wie eine mangelhafte technische Ausstattung oder Zeitdruck, kompensieren müssen. Die Bewältigung muss damit arbeitsverträglich sein, weil diese am Ort und der Zeit der Arbeit stattfindet. Grenzjonglage stellt für Hahn die Antwort auf die Bewältigung der Belastungen im polizeilichen Arbeitsalltag dar. Hahn gibt mit ihrer Untersuchung insgesamt einen spannenden Einblick in den Umgang von Beamtinnen und Beamten eines LKAs mit extremen Belastungen. Nur randständig thematisiert sie jedoch die Arbeit der Polizeibediensteten mit ihren eigenen Gefühlen. So beschreibt sie zwar ihr Leiden an den Extrembelastungen und arbeitet unterschiedliche Formen und Mechanismen des Umgangs mit der eigenen Betroffenheit heraus, jedoch erkennt sie nicht, dass damit unterschiedliche Gefühlsarbeitspraktiken verbunden sind, die die Polizeibediensteten im Umgang mit den Extrembelastungen nutzen. Sie beschreibt mit den Routinen des Wegtuns unterschiedliche Distanzierungsformen vom Erlebten und den damit verbundenen Emo-

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tionen. Die Polizeibediensteten versuchen demnach ihre Emotionen eher aus der Arbeit herauszuhalten. Bei der Praktik des mit Leidenschaft Arbeitens bringen sie dagegen ihre Emotionen in die Arbeit ein, was zu emotionalen Verstrickungen führen kann. Auch beim selbstmächtigen Vermischen beschreibt Hahn zwar auftretende emotionale Diskrepanzen als Auslöser dieser Praktik, jedoch geht sie nicht darauf ein, ob und inwiefern die Arbeit mit den eigenen Gefühlen Bestandteil des persönlichen Repertoires ist, das die Befragten im Umgang mit den beruflichen Belastungen nutzen. Hahn zeigt, dass ihre emotionale Betroffenheit, der sie sich insbesondere zuwendet, zur Ressource und zur Restriktion werden kann. Ihre Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Polizistinnen und Polizisten entweder das eine oder das andere machen. Sie thematisiert nicht, inwiefern sie zwischen der beschriebenen Nähe und Distanz jonglieren, was auch ein Mechanismus sein könnte, gleichzeitig dem Arbeitsgegenstand und dem eigenen Wohlbefinden gerecht zu werden. Das Ausbalancieren-Können zwischen Nähe und Distanz ist auch deshalb zentral, weil die Polizeibediensteten mit oftmals gegensätzlichen Erwartungen an ihre emotionale Selbstdarstellung konfrontiert sind. Das verlangt ihnen eine flexible Gefühlsdarstellung ab. Das polizeiliche Gegenüber hat den Anspruch, dass der eigene Fall in seiner Besonderheit wahrgenommen wird, was von den Polizeibediensteten verlangt, sich in dessen Situation hinein zu fühlen, Verständnis oder Trost aufzubringen. Ihre Rechtsgebundenheit verlangt jedoch emotionale Neutralität. Aber auch die Polizeibeamten selbst erleben und deuten ihre Arbeit aufgrund unterschiedlicher Einstellungen und Werthaltungen sehr unterschiedlich, so dass aufgrund dieser unterschiedlichen Bewertungsprozesse in der konkreten Arbeitssituation sehr unterschiedliche Emotionen in Bezug auf den Arbeitsgegenstand entstehen (vgl. die Ergebnisse von Kahmann 2007). Vor diesem Hintergrund ist es für Polizeibedienstete nicht nur zutreffend, dass sie jonglieren müssen im Sinne einer Gleichzeitigkeit des Umgangs mit Extrembelastungen und der Kompensation zusätzlicher Belastungen mit dem Erbringen der Arbeitsleistung (vgl. die Ergebnisse von Hahn 2008). Sie müssen zudem zwischen Nähe und Distanz zum Fall oszillieren in Abhängigkeit von der konkreten Arbeitssituation, dem eigenen Belastungserleben und der geforderten Selbstinszenierung, so die Annahme. Sie müssen gleichzeitig gefühlsarbeiterisch an Brücken und Barrieren basteln (vgl. Egger de Campo/Laube 2008: 38 zur Arbeit im Call Center und in der Altenpflege). In der polizeilichen Praxis wird dafür der Begriff der professionellen Distanz genutzt. Professionelle Distanz ist damit nicht als Gegensatz zu einfühlender Nähe zu verstehen (wie Dunkel das am Beispiel von Altenpflegekräften benennt). Vielmehr meint professionelle Distanz den schwierigen Balanceakt zwischen den Polen Gleichgültigkeit und schockierender Betroffenheit (vgl. dazu die Ergebnisse von Franzke/Wiese 1997). Polizeibedienstete dürfen sich in ihrer Arbeit nicht zu sehr mit dem Opfer identifizieren, aber auch nicht mit distanzierter

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Ablehnung reagieren. Franzke und Wiese zeigen, dass das vor allem weibliche Bedienstete betrifft, weil sie bspw. auf Gewalt gegen Frauen und Kinder mit Betroffenheit und Empathie reagieren. Deshalb müssen sie eine Balance finden „zwischen Nähe und Distanz zu dem Opfer, zwischen Engagement und Desinteresse, zwischen Hilflosigkeit und Machtdemonstration, zwischen Misstrauen und Verstehenwollen“ (ebd.: 509). Festgemacht am Beispiel der Gewalt gegen Frauen und Kindern zeigen Franzke und Wiese darüber hinaus, dass die männlichen Polizeibediensteten von diesen Gewalttaten weniger betroffen sind als ihre Kolleginnen. Aufgrund der eigenen Betroffenheit sind insbesondere die Beamtinnen gefordert, sich nicht allzu stark mit dem Leiden der Opfer zu identifizieren.7 Gercke (1995) arbeitet heraus, dass die meisten Polizistinnen und Polizisten die professionelle Distanz auf ihre eigenen Emotionen beziehen. Darunter fallen Praktiken, wie die eigenen Gefühle zu unterdrücken bzw. nicht aufkommen zu lassen, emotionslos zu handeln, den Sachverhalt und damit verbundene Empfindungen nicht mit in die private Lebenswelt zu nehmen, den Sachverhalt nach Beendigung der Ermittlungen zu vergessen oder die Distanz zu den Angehörigen zu wahren. Sie begreift die professionelle Distanz ähnlich wie Dunkel (1988) und in Abgrenzung zu Franzke und Wiese (1997) damit eher als Abgrenzungsprozess. Die Überlegungen zur professionellen Distanz bei der Polizei geben Hinweise auf die Bedeutung von emotionsorientierten Umgangsweisen bei der Bewältigung beruflicher Anforderungen. Eine zentrale Ressource ist in diesem Zusammenhang emotionale Intelligenz8 (Hertel et al. 2006, Fischbach 2009). Hertel et al. (2006) fassen zusammen, dass die emotionalen Fähigkeiten der Polizistinnen und Polizisten als entscheidender Faktor für eine effektive Arbeitsleistung gelten. Diese Annahme basiert auf Untersuchungen, die zeigen, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen emotionaler Intelligenz und den Bewältigungsmechanismen von Belastungen gibt (Salovey et al. 2002). Je geringer die emotionale Intelligenz, desto häufiger kommt es zu Alkohol- und anderen Suchtproblemen (Riley/Schutte 2003). Die emotionale Intelligenz der Beamtinnen und Beamten scheint demnach einen Einfluss darauf zu haben, wie konstruktiv bzw. destruktiv die gewählten Umgangsweisen mit den beruflichen Belastungen sind. Die Ergebnisse geben jedoch keinen Aufschluss darüber, in welcher Weise die eigenen Emotionen bei der Belastungsbewältigung bearbeitet werden.

7 Franzke und Wiese (1997) argumentieren, dass das Geschlecht das polizeiliche Handeln und das Erleben von Polizeiarbeit stärker beeinflusst als die Arbeitsinhalte. Sie vertreten sogar die These, dass das Geschlecht die Schlüsselkategorie zur Analyse von Polizeiarbeit schlechthin ist. 8 Goleman (1996) behauptet, dass der emotionale Intelligenzquotient wichtiger ist als der Intelligenzquotient zur Bewertung des allgemeinen intellektuellen Leistungsvermögens.

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Soziale Unterstützung als besondere Form der emotionsbasierten Bewältigung Die quantitativen wie auch die qualitativen Studien polizeibezogener Belastungsforschung zeigen übereinstimmend, dass die soziale Unterstützung bei der Bewältigung der beruflichen Belastungen eine zentrale Rolle spielt. Sie steht auf der von Evans et al. (1993) erstellten Rangliste sehr weit oben. Die befragten Polizeibediensteten greifen am zweithäufigsten auf diese Form des Copings zurück. Auch in anderen Studien wird die Inanspruchnahme sozialer Unterstützung z.B. in Form von Gesprächen mit nahe stehenden Personen als eine häufig genutzte Copingstrategie genannt (bspw. Kirkcaldy/Furnham 1995, Gercke 1995, Steinbauer 2001). Evans et al. (1993) konstatieren, dass auch die soziale Unterstützung – wie die Belastungsbewältigung von Polizeibediensteten insgesamt – im Bereich der emotionsfokussierten Umgangsweisen jedoch eine eher untergeordnete Rolle spielt. Nur 23% der Befragten sprechen mit anderen Personen über ihre Gefühle und Empfindungen, suchen Verständnis (16%) oder nehmen professionelle Hilfe in Anspruch (12%). Dennoch sollen im Folgenden Erkenntnisse zur sprachliche Bearbeitung von traumatischen und extrem belastenden Einsätzen dargestellt werden, denn sie tragen zu einer Minderung der erfahrenen Belastung bei. Pennebacker und Susman (1988) schreiben der Artikulation von traumatischen Erfahrungen dabei folgende Funktionen zu: Ordnung und Integration von Gedanken und Gefühlen zum Ereignis, Akzeptanz des Ereignisses durch Rekonstruktion und neue Rahmung, Entschlüsselung der Bedeutung des Ereignisses sowie die Entwicklung von Problemlösungsstrategien. Dem kommunikativ-expressiven Umgang mit den beruflichen Belastungen widmet sich auch Wendtland (2008). Er untersucht anhand von 31 narrativen Interviews mit Polizistinnen und Polizisten, welche Interaktionspräferenzen sie nach besonders belastenden Ereignissen haben. Wendtland entwickelt eine Typologie entlang der Interaktionsfelder, die die Befragten beim Versuch der Bewältigung beruflich belastender Situationen präferieren. Es tritt insgesamt deutlich hervor, dass im Umgang mit den beruflichen Belastungen durch Gespräche persönliche Nähe professionellen Betreuungsangeboten vorgezogen wird. Die meisten Polizeibediensteten orientieren sich nach erlebten Belastungen demnach zunächst am persönlichen Umfeld (Wendtland 2008, vgl. auch Hallenberger/Müller 2000, Hallenberger et al. 2003).9 9 Auch die Freizeit spielt als Strategie bzw. Ressource im Umgang mit beruflichem Stress eine Rolle. Allerdings wurde das bisher nicht hinreichend untersucht, so Iwasaki et al. (2005 ) in ihrer Untersuchung zum Einfluss der Form der Freizeitgestaltung auf die Effektivität der Belastungsbewältigung am Beispiel von Polizeibediensteten und Rettungskräften. Sie zeigen, dass die Freizeitgestaltung einen Einfluss auf Copingprozesse und damit

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Auch bei Hahn (2008) zeigt sich, dass der Aspekt der Kommunikation nach belastendem Erleben eine Rolle spielt. Sie hebt vor allem das Zusammensitzen und routinemäßige Gespräche über belastende Ermittlungen als Interaktionspräferenzen der von ihr befragten Beamten hervor. Im geschlechtsspezifischen Umgang mit Belastungen im Polizeidienst stellt sich heraus, dass männliche Polizeibeamte eher das „Vier-Augen“-Gespräch bevorzugen. Polizistinnen nennen an erster Stelle spezielle Aufarbeitungsseminare, insbesondere Stress- und Konfliktbewältigungsseminare (siehe dazu Hallenberger et al. 2003). In vielen Fällen fehlt die soziale Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzte, obwohl gerade deren Reaktionen auf die Probleme der betroffenen Beamten entscheidend für die Bewältigung von Belastungen sind (Steinbauer 2001). Die Inanspruchnahme (professioneller oder nicht professioneller) fremder Hilfe wird durch die Angst erschwert, dies könne Einfluss auf eine spätere Bewertung durch den Vorgesetzten haben (Hallenberger 2001). „Professionelle Hilfe wird deshalb oft erst dann in Anspruch genommen, wenn bereits eine massive Problematik vorliegt: z.B. Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, unkonzentriertes, unkorrektes Verhalten am Arbeitsplatz etc.“ (Klemisch 2006: 36, siehe auch Pieper/Maercker 1999). Diesbezüglich konstatiert Blackmore (1978: 50): „No policeman in his right mind would jeopardise his job by going to a mental health clinic“. Klemisch (2006) zeigt, dass männliche Polizeibeamte im Umgang mit beruflichen Belastungen dazu neigen, diese herunterzuspielen, während Frauen eher das Bedürfnis nach sozialer Unterstützung haben und über das Erlebte nachdenken. Sie verdeutlicht, dass zwischen gedanklicher Weiterbeschäftigung und psychosomatischen Beschwerden ein deutlicher Zusammenhang besteht. Es ist daher anzunehmen, dass Polizistinnen verstärkt unter gesundheitlichen Folgen ihrer Arbeit leiden. Auch Martin (1999) zeigt in Ergänzung dazu, dass männliche Polizisten ihre polizeilichen Aufgaben als Verstärker ihrer männlichen Identität interpretieren und ihre Emotionen verbergen. Weibliche Polizisten sind bei ihrer Arbeit, speziell bezogen auf Gefühlsarbeit und damit verbundene Normen, mit einem geschlechtsspezifiauf körperliche und mentale Selbstsorge hat. Die Häufigkeit der Freizeitaktivitäten hängt vor allem mit der mentalen Gesundheit zusammen. „Relaxing Leisure“ hat einen stärkeren positiven Effekt auf den Umgang mit Stress als eine aktive und herausfordernde Freizeitgestaltung. Iwasaki et al. argumentieren, dass körperliche Freizeitaktivitäten möglicherweise einen positiven Langzeiteffekt auf das körperliche und mentale Wohlbefinden haben, was jedoch in dieser Studie nicht untersucht werden konnte. Hingegen könnten die weniger aktiven Freizeitaktivitäten vor allem kurzfristige Effekte auf die Gesundheit haben. Ebenso beeinflussen Aktivitäten in sozialen Settings und soziale Kontakte sowie eine durch kulturelle Aktivitäten gestaltete Freizeit positiv die Möglichkeiten vor allem der mentalen Stressbewältigung. Anhand der Ergebnisse können die Autoren zeigen, dass auch die Qualität der Freizeitaktivitäten für den Copingprozess entscheidend ist.

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schen Dilemma konfrontiert. Auf der Straße, also im Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, dürfen sie nicht emotional erscheinen. Sie müssen gemäß dem männlichen Leitbild agieren. Auf der informellen Hinterbühne in Interaktion mit Kollegen werden sie in die Rolle der Mutter bzw. Vertrauten gedrängt. Es wird erwartet, dass sie ihre männlichen Kollegen emotional unterstützen, werden dann aber wieder beim Ausdruck ähnlicher Emotionen dafür kritisiert.10 Frauen haben dadurch weniger Möglichkeiten, an den kollektiven Coping-Strategien zu partizipieren. Sie werden kritisiert, wenn sie wie ihre männlichen Kollegen agieren. Polizistinnen können demnach nicht richtig handeln (ebd.). Zwischenfazit 4 Die quantitativen Studien belegen eher eine Zurückhaltung der Polizeibediensteten im offenen Umgang mit dem eigenen emotionalen Belastungserleben. In den qualitativen Studien bilden sich dagegen einige Facetten eines emotionsbasierten Umgangs mit den beruflichen Belastungen ab. Hierbei erweisen sich Distanzierungsstrategien11 und soziale Unterstützung als relevante Umgangsweisen. Neben kollektiven Bewältigungsformen wird auch die Bedeutung individueller Praktiken herausgearbeitet, die aufgrund der innerpolizeilichen Gefühlskultur für die Polizeibediensteten besonders wichtig sind. Insgesamt ergibt sich jedoch ein sehr lückenhaftes Gesamtbild der Bedeutung von Gefühlsarbeit im Rahmen des Bewältigungshandelns von Polizistinnen und Polizisten. Das ist zum einen der begrenzten Reichweite der quantitativen Studien geschuldet. Sie eignen sich eher zur Erfassung von Ausprägungen und Rangfolgen in der Nutzung unterschiedlicher Bewältigungsformen. Die Autorinnen und Autoren dieser Studien vernachlässigen die individuellen emotionsbasierten Umgangsformen, auf die die Polizeibediensteten zurückgreifen, wenn der offene Umgang mit Emotionen nicht möglich ist bzw. tabuisiert wird. In den qualitativen Studien fehlt eine Systematisierung der individuellen Gefühlsarbeitsleistungen im Umgang mit 10 Ergänzend zeigen Untersuchungen zur Gefühlsarbeit, dass emotionale Leistungen ebenso wie Fürsorgearbeit im Allgemeinen eine geringe soziale Wertschätzung und Anerkennung erfahren (vgl. Erickson 1993, Krell 2002). 11 Die Uniform ist bspw. ein Hilfsmittel bei der Distanzierung von belastenden Einsatzsituationen. Sie stellt eine entlastende Distanz her zwischen der Polizei und dem „Rest“ der Bevölkerung. Dabei hilft die Uniform den Polizeibediensteten, sich auf ihre Rolle als Vertreter der Polizei zurückzuziehen und persönliche Angriffe abzuwehren. Dies zeigt Crawley (2004) in einer Untersuchung von Vollzugsbeamten in Gefängnissen. Die Uniform dient als Schutz vor emotionalen Belastungen, indem sie hilft, die Angriffe der Insassen nicht auf sich als Person gerichtet zu sehen, sondern allgemein als Angriff auf die Gruppe der Gefängniswärter und -wärterinnen.

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Belastungen. Es wurde aufgezeigt, dass Polizeibedienstete aufgrund der Besonderheit polizeilicher Arbeit dazu gezwungen sind, den Umgang mit den konflikthaften Situationen durch einen Rückzug auf die „innere mentale Hinterbühne“ (Voswinkel 2005: 236) sicherzustellen. Wie dies geschieht, dazu gibt es bisher nur wenige Befunde in der polizeibezogenen Forschung. Die das emotionale Bewältigungshandeln beeinflussenden Rahmenbedingungen sind teilweise herausgearbeitet. So gibt es bereits einige Erkenntnisse zur Bedeutung von Geschlecht, von individuellen Wahrnehmungs- und Bewertungsprozessen sowie emotionaler Intelligenz. Es wird auch die Relevanz der Familie als Unterstützungsinstanz deutlich. Zudem ist der Einfluss der innerpolizeilichen Gefühlskultur auf die Bewältigungsmöglichkeiten der Polizeibediensteten bereits relativ umfangreich dokumentiert. Was jedoch bisher völlig unterbelichtet bleibt, ist die Bedeutung des Tätigkeitsbereichs der Polizistinnen und Polizisten. Darüber hinaus wird zwar mit dem Begriff der professionellen Distanz die Relevanz der emotionalen Distanzierungsleistungen deutlich, jedoch beschreibt dieser Begriff lediglich eine Idealvorstellung, die mit dem realen polizeilichen Alltag nicht in Einklang zu bringen ist (Kahmann 2007). Auch Franzke und Wiese (1997) charakterisieren diesen Begriff als ein bisher weitgehend undefiniertes und undifferenziertes Füllwort. Schließlich ist eine gewisse Uneinigkeit darüber festzustellen, inwiefern neben den Abgrenzungsleistungen auch die Herstellung von empathischer Nähe im Umgang mit den Arbeitsanforderungen erforderlich ist. Es ist daher genauer zu betrachten, was die Polizeibediensteten einerseits unter professioneller Distanz verstehen und wie sie sich diese andererseits erarbeiten. 2.2.2 Die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Umgang mit interaktiver Arbeit Die Forschungslage zum emotionsbasierten Umgang von Polizeibediensteten mit den interaktiven Bestandteilen polizeilicher Arbeit gibt noch weit weniger her als hinsichtlich der Bewältigung von Extrembelastungen. Lediglich Fischbach (2009) untersuchte 68 Polizeibedienstete in Führungspositionen nach der generellen Häufigkeit emotionsbezogener Interaktionen mit ihren Mitarbeitern. Zusätzlich wurden 20 Führungspersonen nach situativen emotionsbezogenen Anforderungen in konkreten Interaktionen befragt. In den Ergebnissen wird deutlich, dass die befragten Polizistinnen und Polizisten im Durchschnitt häufiger Deep-Acting-Strategien und seltener Surface-Acting-Strategien zur Emotionsregulation in Führungsinteraktionen anwenden. Die eigenen Gefühle werden dabei bearbeitet, um die Ziele in den Interaktionen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erreichen. Die Aufmerksamkeit für eigene Emotionen und die Regulation eigener negativer Emotionen in Anpassung an die Interaktionssituation sind als Facetten der emotionalen

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Intelligenz im Führungskontext bei der Polizei besonders relevant, so Fischbach. Betrachtet wurde jedoch nicht, welche Emotionsregulationsstrategien im Umgang mit belastenden Interaktionssituationen von den Bediensteten in Führungspositionen entwickelt und eingesetzt werden. Aufgrund der fehlenden Erkenntnisse der Polizeiforschung zu diesem Thema bietet es sich an, auf Ergebnisse von Studien zur personenbezogenen Dienstleistungsarbeit zurückzugreifen. Der Umgang von Dienstleistungsbeschäftigten mit den emotionalen Anforderungen ihrer Arbeit, die aus der Zusammenarbeit von und in Interaktion mit Menschen resultieren, ist bereits umfangreich dokumentiert (siehe bspw. Dunkel 1988, Giesenbauer/Glaser 2006, Hochschild 1990, Poppitz/Brückner 2004, Strauss et al. 1980). Die Erkenntnisse dieser Untersuchungen liefern einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der zu leistenden, auch gefühlsmäßigen Abstimmung zwischen Polizeipersonal und Polizeipublikum sowie zur Gefühlsarbeit der Polizeibediensteten, die sowohl für die Erbringung der Arbeitsleistung als auch im Umgang mit beruflichen Belastungen notwendig ist. Wichtige zu ziehende Schlussfolgerung aus den verschiedenen Studien ist, dass Gefühlsarbeit nicht nur mit gesundheitlichen Kosten verbunden ist, sondern auch positive Folgen haben kann (Nerdinger 1994, Zapf 2002). Gefühlsarbeit muss als Chance und Möglichkeit betrachtet werden, mit den beruflichen Anforderungen umzugehen, den eigenen Arbeitsalltag angenehm zu gestalten und so zum eigenen Wohlbefinden beizutragen (zur Arbeit des Zugbegleitpersonals vgl. Poppitz/Brückner 2004). Ziel der Arbeit mit den eigenen Gefühlen ist es, sich vor den aggressiven, beleidigenden und unkooperativen Verhaltensweisen des Gegenübers zu schützen. Dies tun die Beschäftigten auf unterschiedliche Weise. So zeigt Leidner (1993) in seiner Untersuchung zur Arbeit des Verkaufspersonals bei McDonaldʼs und von Versicherungsvertretern, dass sie bspw. die Gültigkeit bürokratischer Regeln hervorheben, um damit den teilweise überzogenen Anforderungen der Kunden entgegenzutreten. Voswinkel (2005) arbeitet in seiner Untersuchung heraus, dass die Beschäftigten versuchen, zwischen ihrer Person und der Rolle als Dienstleistungserbringer zu trennen, um sich von den emotionalen Rollenanforderungen abgrenzen zu können. Damit stellen sie eine schützende Distanz her. Mag in Verkaufssituationen oder bei der Fahrscheinkontrolle die Distanzierung recht einfach gelingen, so ist dies jedoch bei Dienstleistungen, die für ihre erfolgreiche Erbringung auch ein gewisses Maß an Nähe zum Gegenüber erfordern, eher schwierig. Das zeigen vor allem Untersuchungen zur Arbeit im Krankenhaus oder in der Altenpflege. So konstatiert Dunkel (1988: 78), dass Altenpflegekräfte im Rahmen ihrer Arbeit gefordert sind, „ein ‚vertretbares Maß‘ (zu) finden zwischen ‚warmer‘ emotionaler Anteilnahme und ‚kühler‘, professioneller Distanz. Einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es nicht.“ Solche nach innen gerichteten Praktiken sind vor allem dann erforderlich, wenn es den Gefühlsarbeitenden nicht gelingt,

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durch eine Änderung der äußeren Bedingungen die emotionale Belastung zu reduzieren (vgl. auch Giesenbauer/Glaser 2006, Nerdinger 2003, Nerdinger/Röper 1999, Rieder 1999). Erkenntnisse zu diesem schwierigen Balanceakt zwischen empathischer Nähe und distanzierender Abgrenzung liefern Egger de Campo und Laube (2008) im Rahmen ihrer Untersuchung. Sie gehen der Frage nach, wie Angestellte in der Altenpflege und im Call Center mit Hilfe von Gefühlsarbeit den vorherrschenden Gefühlsregeln in beiden Bereichen zu entsprechen versuchen. Sie zeigen, dass Altenpflegekräfte mentale Barrieren zur Abschottung von zu viel Nähe zu den zu Pflegenden aufbauen. Pflegekräfte lernen, ein Zuviel an Nähe und Intimität professionell umzudefinieren in eine Arbeitshandlung. Im Umgang mit Ekel stellen sie kognitiv eine Situation her, die es ihnen erlaubt, die unangenehme Nähe aufrechtzuerhalten. Die Disziplinierung der eigenen Gefühle ermöglicht es den Beschäftigten sogar, das Gefühl der Abstoßung zumindest zeitweise zu verschieben. Die kognitiv-emotionalen Praktiken wie bspw. ausschnitthafte Wahrnehmung des Patientenkörpers oder der Einsatz von Objekten zur Veränderung der olfaktorischen und taktilen Wahrnehmung (bspw. Latexhandschuhe, Mundmaske oder Pflegeschaum) dienen der Distanzierung (ebd.). Die untersuchten Call-Center-Angestellten (ebd.) müssen im Gegensatz zu den Altenpflegekräften – um Verständnis für die Kunden aufzubringen, die nicht in der Lage sind, sich an das Handlungsskript zu halten – „Brücken“ bauen. Der Klang der Stimme und das am Bildschirm angezeigte Geburtsdatum werden genutzt, um Mitgefühl dafür zu entwickeln, dass Kunden bspw. die verlangte Artikelnummer gar nicht oder nur fehlerhaft aus dem Versandkatalog entnommen haben. Egger de Campo und Laube zeigen, dass sich die jeweiligen beruflichen Gefühlsregeln genau gegenläufig zum räumlichen Arrangement der Dienstleistungssituation und den Gefühlen verhalten. Sie arbeiten die Unterschiedlichkeit der Varianten von Gefühlsarbeit heraus, die in den untersuchten Berufen als Rüstzeug verlangt werden – kognitive Distanzierung in der Altenpflege und empathisches Herstellen von Nähe im Call Center. Die Beschäftigten müssen also je nach geltenden Gefühlsregeln Brücken bzw. Barrieren bauen. Auch Krey (2004) zeigt in ihrer Untersuchung von Auszubildenden im Pflegebereich, wie sie sich räumlich und gedanklich distanzieren und Gefühle, hier am Beispiel des Ekels, bearbeiten. Dies tun sie, um ihre Handlungsfähigkeit in den gefühlsbeladenen Situationen aufrechtzuerhalten. Krey listet verschiedene Arten des Umgangs mit Ekel auf, ohne diese jedoch weiter zu systematisieren. Deutlich tritt allerdings hervor, dass zwischen Vermeidungs- und Distanzierungspraktiken (starre Mimik, Aufgabe möglichst schnell erledigen usw.) sowie Praktiken der Gefühlsbearbeitung (bspw. sich zusammenreißen, Mitgefühl entwickeln) unterschieden werden muss.

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Zwischenfazit 5 Die Untersuchungen zur personenbezogenen Dienstleistungsarbeit machen die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Umgang mit den Anforderungen, die aus der interaktiven Arbeit resultieren, deutlich. Interaktive Arbeit verursacht Probleme und erzeugt Belastungen, die durch Gefühlsarbeit gelöst werden können – bei personenbezogener Dienstleistungsarbeit wie auch bei der Polizeiarbeit. Beiden ist gemein, dass sie eine Form der Abstimmung zwischen Beschäftigten und ihrem Gegenüber verlangen. In der polizeibezogenen Forschung gibt es jedoch kaum Untersuchungen zu den Gefühlsarbeitsleistungen von Polizeibediensteten im Umgang mit den Anforderungen interaktiver Arbeit. Nur einige wissenschaftliche Studien verweisen auf die Wichtigkeit des Einsatzes von Gefühlen bei bestimmten polizeilichen Tätigkeiten, bspw. Vernehmungen (vgl. dazu Donk 1996, Schröer 2003), die zu ihrer erfolgreichen Bewältigung einen mehr oder weniger engen Kontakt zwischen Polizeibediensteten und polizeilichem Gegenüber verlangen. Vor dem Hintergrund der Forschungen zur personenbezogenen Dienstleistungsarbeit ist allerdings anzunehmen, dass für Polizeibedienstete zwar einerseits Formen der Distanzierung wichtig sind, die sie durch die Bearbeitung des eigenen Erlebens erreichen. Das dient dem Schutz vor unkooperativen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch vor der übermäßigen Identifikation mit dem Leid von Opfern. Andererseits ist das Polizeipersonal jedoch auch gefordert, Nähe zu erzeugen, die beim Überbringen von Todesnachrichten oder beim Herstellen einer Aussagebereitschaft wichtig ist. Polizeibedienstete müssen demnach in der Lage sein, auf der einen Seite empathische Nähe zu entwickeln und auf der anderen Seite sich auch wieder emotional zu distanzieren. Je nach den in den Einsatzsituationen vorzufindenden Arbeitsanforderungen und Gefühlsregeln werden von den Polizeibediensteten eine entsprechende emotionale Selbstdarstellung verlangt und unterschiedliche Gefühlsarbeitsleistungen erforderlich, so die Annahme. Wie sie diese Balance zwischen Nähe und Distanz herstellen, ist jedoch ebenso unterbelichtet wie die Frage, ob es sich dabei um eine Praktik des Umgangs mit emotionalen Arbeitsanforderungen in der Polizei handeln könnte. 2.2.3 Die Bedeutung von Gefühlsarbeit im Umgang mit dem bürokratischen Trilemma Erkenntnisse aus der empirischen Polizeiforschung Da es in dieser Untersuchung nicht nur um den Umgang der Polizistinnen und Polizisten mit Extrembelastungen geht, wird der Blick auch auf die Bewältigung struktureller Handlungsprobleme gerichtet und der diesbezügliche Stand der Forschung aufgearbeitet. Dieser Aspekt findet in der Polizeiforschung bisher wenig

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Berücksichtigung. So ist lediglich die Untersuchung von Schaible und Gecas (2010) hervorzuheben, die sich mit der emotionalen Selbstdarstellung von Polizeibediensteten im Spannungsfeld selbstbezogener, gesellschaftlicher und institutioneller Erwartungen an das Handeln des Polizeipersonals und der Wirkung auf die Entstehung von Burnout beschäftigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die BurnoutErfahrungen des Polizeipersonals durch spezifische emotionale Komponenten polizeilicher Arbeit beeinflusst sind. Polizeibedienstete neigen verstärkt zu emotionaler Abstumpfung gegenüber anderen, wenn sie durch Oberflächenhandeln versuchen, die Divergenz zwischen eigenen Ansprüchen und Verhaltenserwartungen anderer zu minimieren. In Abhängigkeit der erlebten Dissonanzen führt Tiefenhandeln zu größerer emotionaler Erschöpfung. Strukturelle Handlungsprobleme, die aus divergierenden Arbeitsanforderungen resultieren, erweisen sich, so die Autoren zusammenfassend, in hervorragender Weise zur Erklärung von emotionaler Erschöpfung und Depersonalisierungstendenzen unter Polizeibediensteten. Wichtige Anknüpfungspunkte liefern auch die Arbeiten von Girtler (1980), Behr (2000) und Mensching (2008), die sich damit beschäftigten, welche Anforderungen die Polizeibediensteten aufgrund von Widersprüchen zwischen idealisierter und faktischer polizeilicher Alltagswirklichkeit zu bewältigen haben. Insbesondere Behr und Mensching gehen darauf ein, welche konkreten Handlungspraktiken Polizistinnen und Polizisten in Reaktion auf den Widerspruch zwischen formellen Vorgaben und den tatsächlichen Handlungsanforderungen entwickeln. Die Bedeutung von Gefühlen wird jedoch nicht herausgearbeitet. Girtler (1980) zeigt auf, dass Polizistinnen und Polizisten in manchen sozialen Situationen entgegen der Normenordnung und vorgegebenen Regeln handeln. Um polizeilichen Erfolg zu sichern, ist das Polizeipersonal gezwungen, die Vorgaben der Polizeibehörde großzügig auszulegen. Im Rahmen von Vernehmungen ist bspw. das Ausüben von psychologischem Druck durch die Polizeibediensteten in einem gewissen Rahmen zulässig und wird als Strategie zur Erreichung ihrer Ziele angewandt. Bei Hausdurchsuchungen und Verhaftungen werden Räumlichkeiten bzw. Wohnungen oft ohne Legitimation durch die Normenordnung durchsucht. Das wird meist mit der Dringlichkeit einer Maßnahme oder ihrer Unaufschiebbarkeit begründet und bei Personen angewandt, bei denen die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Maßnahme nicht vermutet wird. Das Handeln entgegen der Normenordnung ist Ursache für die von Girtler konstatierten Rollenkonflikte, die die Beamtinnen und Beamten erleben können. Das für die polizeiliche Bürokratie typische Rollenhandeln kann ihren Erfahrungen und Wertevorstellungen widersprechen. Es kann ein Interrollenkonflikt entstehen, wenn ein Polizeibediensteter der Meinung ist, dass er auch anderen Erwartungen nachkommen müsse (ebd.: 61, siehe auch Schaible/Gecas 2010). Girtler beschreibt das als das klassische Dilemma polizeilicher Arbeit. Die bürokratische Ordnung funktioniert nur, wenn die Regeln entlang der Normenordnung großzügig ausgelegt

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werden, manche sogar bewusst umgangen werden. Normverletzung ist somit ein zentrales Element bürokratischer Ordnung. Er konstatiert, dass die strikte Einhaltung des Rechtsweges den Polizeiapparat lähmen würde. Eine starre Orientierung an der Normenordnung ist für die Effizienz der polizeilichen Arbeit hinderlich. Das kann jedoch den Einstellungen von Polizeibediensteten widersprechen und zu Konflikten führen. Behr (2000) zeigt anhand seiner Ergebnisse, dass es keine einheitliche Polizeikultur gibt. Er beschäftigt sich mit den Handlungsmustern „der handarbeitenden Polizisten“ (ebd.: 18). Diese konkurrieren als „gelebte Kultur“ (ebd.: 18) der von ihn Befragten im Sinne von Cop Culture – also der Polizistenkultur von unten – mit der offiziellen, als Idee entworfenen Kultur – also den Leitbildern der bürokratischen Organisation Polizei von oben – der Police Culture. Die Polizistenkultur ist die alltagspraktische Entgegensetzung der offiziellen Polizeikultur. In seinen Analysen arbeitet Behr spezifische Männlichkeitsmuster heraus, die der Binnenkohäsion innerhalb der Polizei und den Polizeibediensteten bei der erfolgreichen Bewältigung ihres Berufs dienen: Die Krieger-Männlichkeit12, die er als das kulturelle Leitbild innerhalb der Cop Culture sieht, die Schutzmännlichkeit und die unauffällige Aufsteiger-Männlichkeit. Über die Analyse der Männlichkeitsmuster gelangt Behr (2000) zu den habituellen Grundlagen von Polizeiarbeit. Er kann damit aufzeigen, wie sich die Polizeibediensteten das unhinterfragte, rationale Handeln im Alltag aneignen. „Bürokratie und Recht rahmen das Handeln der Polizei durchaus ein, doch greifen Polizisten genauso selbstverständlich auf nicht-bürokratieförmige Handlungsmuster zurück, um prekäre Situationen im Berufsalltag zu bewältigen“ (Behr 2002: 10). Daran zeigt sich die konkrete normative Ausgestaltung des Berufs durch die einzelnen Polizeibediensteten. „Die Rettung eines Ertrinkenden kann nicht durch Verwaltungsvorschrift angeordnet werden, sondern muss durch Ehre, professionelle Identität, Pflichtbewusstsein oder der Suche nach ‚Action‘ motiviert sein“, so Behr (2002: 11). Sie können in bestimmten Situationen nicht bürokratisch handeln und sind dadurch gezwungen, alternative Handlungsmuster zu entwickeln. In Anknüpfung an Behr geht Mensching (2008) der Frage nach, wie sich die Polizei- und die Polizistenkultur innerhalb der Polizeibehörde integrieren lassen. Es geht ihr dabei um die Zusammenhänge zwischen den formellen Hierarchieerwartungen und den praktizierten Hierarchiebeziehungen. Dafür greift Mensching auf die Leitdifferenz zwischen der Akten- und der Aktionspraxis zurück als zwei differierende Orientierungsmuster der Polizeibediensteten im schutzpolizeilichen Bereich. Die Aktenpraxis beruht auf Schriftlichkeit und Dokumentation. Auf der Ebene der Aktionspraxis wird sich vor allem an der Frage der potenziellen Umsetzbarkeit bzw. am wahrgenommenen Nutzen dieser Weisungen orientiert. 12 Diesen Typus konstituieren vor allem junge Polizeibeamte.

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Mensching zeigt anhand ihres empirischen Materials, dass die formelle Organisationsstruktur und die damit verbundenen hierarchischen Beziehungen keineswegs mit den praktizierten Über- und Unterordnungsverhältnissen der Polizeibediensteten gleichzusetzen sind. Es sind die gelebten Hierarchiebeziehungen wesentlich. Mensching rekonstruiert fünf Spielpraktiken zwischen der Aktions- und Aktenpraxis und erarbeitet verschiedene Typen organisationskultureller Über- und Unterordnung sowie deren Integration über diese Spieltypen: Informations- und Partizipationsspiele, Statistikspiele, Beurteilungs- und Gehaltsspiele, „Papierlagen“-Spiele und Ausstiegs- bzw. Verweigerungsspiele. Die von ihr herausgearbeiteten Spielpraktiken drehen sich im Kern um eine doppelseitige Interpretationsnotwendigkeit. So sind einerseits die Weisungen und Anfragen der Aktenpraktiker für die Aktionspraktiken interpretationsbedürftig. Andererseits müssen die Aktionspraktiker ihr von den formulierten formellen Erwartungen der Aktenpraktiker abweichendes Alltagshandeln nach oben invisibilisieren. Die schriftliche Rückmeldepraxis wird dazu genutzt, die Umsetzungen der formellen Erwartungen zu dokumentieren, auch wenn sie den tatsächlichen Alltagspraktiken widersprechen (ebd.: 319). Zwischenfazit 6 Zusammenfassend geben die dargestellten Untersuchungen erste Hinweise auf den Umgang der Polizeibediensteten mit den Widersprüchlichkeiten zwischen Verwaltungsvorgaben und situativen Anforderungen sowie deren Folgen. Die Autorinnen und Autoren beschreiben die Leistungen, die Polizeibedienstete erbringen, um die Funktionsfähigkeit des Polizeiapparates aufrechtzuerhalten. Es wird jedoch kaum thematisiert, wie die Beamtinnen und Beamten dieses emotionale Spannungsfeld erleben. Ebenso wenig wird sich damit beschäftigt, wie die mit den Widersprüchlichkeiten einhergehenden emotionalen Spannungen und Rollenkonflikte bewältigt werden. Lediglich deren Auswirkungen in Form von Burnout werden untersucht (Schaible/Gecas 2010). Behr (2000) weist zwar darauf hin, dass bestimmte polizeiliche Einsatzsituationen bürokratisch nicht zu lösen sind, jedoch wird die Aufmerksamkeit in diesen Studien einseitig auf die großzügige Auslegung bzw. Umgehung dieser Vorgaben gelegt. Es wird nicht darauf eingegangen, dass Polizeibedienstete aufgrund ihrer Rechtsgebundenheit und Verpflichtung zur Legalität nur in begrenzten Ausmaß Normen durchbrechen können. Die Grenzen dieser „brauchbaren Illegalitäten“ (Luhmann: 1964: 304) werden nicht betrachtet. Vor diesem Hintergrund muss sich jedoch damit auseinandergesetzt werden, wie es den Polizeibediensteten gelingt, die strukturellen Handlungsprobleme einerseits und die damit einhergehenden emotionalen Widersprüchlichkeiten andererseits auszuhalten. So konstatieren auch Schaible und Gecas (2010: 334) in ihrer Untersuchung, dass „future studies should more strongly consider the role of value dissonance between management, customers, clients, wards of the state, and employees.“

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Um mehr Erkenntnisse dazu zu erhalten, wird sich Untersuchungen zur Arbeit in Sozial-, Arbeits- und Stadtverwaltungen zugewandt. Zwar unterscheidet sich die polizeiliche Arbeit im Vergleich zu anderen Verwaltungsorganisationen, bspw. hinsichtlich der Massivität der Eingriffe, der Zeitlichkeit der Kontakte (vor allem in der sozialen Arbeit), der Schicksale und Lebenslagen des Verwaltungspublikums oder der Rigidität der formalen Regeln, doch arbeiten alle Beschäftigten im Spannungsfeld des Einerseits und Andererseits. Erkenntnisse aus der empirischen Verwaltungsforschung Harrach et al. (2000) betrachten, wie die Beschäftigten in Sozialverwaltungen zwischen Fallbezogenheit einerseits und Verwaltungsrationalität andererseits vermitteln. Sie arbeiten vier typische Formen heraus, wie Sozialverwalterinnen und -verwalter ihre Handlungsprobleme bewältigen. Das sind erstens professionalisierte Bearbeitungsformen, die sich dadurch auszeichnen, dass die Beschäftigten versuchen, beide Seiten des Handlungsproblems miteinander zu verbinden. Sie öffnen sich einerseits den Problemen der Klienten und wenden andererseits routinenhaft Regeln an. Für die anderen Bewältigungsformen ist charakteristisch, dass diese Balance nicht gelingt. Vielmehr wird versucht, die Existenz des Handlungsproblems zu kaschieren. Die Beschäftigten orientieren sich dabei zweitens an klassischen Kontroll- und Erziehungsmustern oder drittens an bürokratischen Regeln und Regeln der Organisation, die viertens sogar bis zu einer Abwehr und Abwertung der Klientinnen und Klienten reichen können. Harrach et al. fassen zusammen, dass sich die unterschiedlichen Bewältigungsformen dahingehend unterscheiden, ob die Beschäftigten in Sozialverwaltungen die im Handlungsproblem angelegte Widersprüchlichkeit zugunsten einer Vermeidungsstrategie stillstellen oder als praktisch immer wieder zu bearbeitendes Konstitutivum für ihre Tätigkeit anerkennen und in jeder einzelnen Entscheidungssituation eine je spezifische praktische Bewältigung des Dilemmas anstreben (ebd.). Auch Stumpfögger und Wiethoff (1989) analysieren die Arbeit von Sozialverwalterinnen und Sozialverwaltern im Umgang mit konflikthaften Arbeitsanforderungen. Sie zeigen, dass die Beschäftigten ihren Ermessensspielraum zugunsten der Hilfesuchenden ausnutzen und umfassend auf die Möglichkeiten von Anträgen auf einmalige Hilfe aufmerksam machen. Die Möglichkeiten der Hilfe sind jedoch beschränkt und ihnen steht ein wirksames Instrumentarium von Kontrollen und Machtmitteln gegenüber. Für das innere Gleichgewicht der Beschäftigten spielt die Figur des „schwarzen Schafes“ eine wichtige Rolle. Mit deren Existenz lassen sich die extensiven Kontrollmöglichkeiten rechtfertigen. Das trägt zudem zur psychischen Entlastung der Sachbearbeiter bei. Eine weitere Form der kognitiven Dissonanz liegt in der Spannung zwischen Helfen-Wollen und Nicht-Helfen-Können. Die Beschäftigten in Sozialverwaltungen nehmen wahr, dass die Klienten bspw. an

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Initiative verlieren, haben jedoch keine Eingriffsmöglichkeiten. Sie versuchen sich zu entlasten, indem sie zu erzieherischen Maßnahmen greifen und die Kontrollen erhöhen. So entsteht das Gefühl, nicht tatenlos zuzusehen. Bourdieu (1997) nimmt an, dass gerade die Widersprüchlichkeit bürokratischer Regelungen den Spielraum für persönliche Auslegung und Initiativen schafft. Er betont die Findigkeit und Initiative von Verwaltungsbeschäftigten im Umgang mit strukturellen Handlungsproblemen. Findig und initiativ sind vor allem diejenigen, die weniger stark mit ihrer Funktion verhaftet sind. Sie brechen mit den bürokratischen Regeln und Routinen, um „die Bürokratie gegen sich selbst zu verteidigen“ (ebd.: 219). Allerdings führt die Unterwerfung unter betriebswirtschaftliche Prinzipien zu einem Verlust der Aufopferungsbereitschaft der Verwaltungsbeschäftigten. Voß (1988) argumentiert am Beispiel von Schalterangestellten, dass es für die Herstellung einer funktionierenden Schalterarbeit zum Teil nicht ausreicht, zugestandene Spielräume zu nutzen, flexibel zu reagieren, Vorschriften locker auszulegen, räumliche Arrangements zu treffen, den Schalter geschickt auszustatten und seinen eigenen Stil zu finden. Wenn Anweisungen in der Praxis immer wieder zu Problemen führen und im Umgang mit bestimmten Klientengruppen immer wieder Sonderregelungen zu treffen sind, dann kann der bzw. die Beschäftigte entweder auf die bisherige Arbeitsweise beharren, die Probleme in Kauf nehmen oder er bzw. sie „muss sich etwas Neues einfallen lassen“ (ebd.: 85). Das kann die Entwicklung neuer Routinen, einen besser angepassten Arbeitsstil, die Änderung von Prinzipien oder sogar Forderungen an Vorgesetzte umfassen, neue Regelungen einzuführen. Aufgrund der geringen Befugnisse und des geringen Handlungsspielraums sowie des hohen Publikumsaufkommens sind die Schalterbeschäftigten gezwungen, entweder „besondere“ Fälle mit einem Achselzucken abzuweisen, oder sie versuchen trotz der rigiden Vorgaben Lösungen zu finden, die auch mal mit den Vorschriften kollidieren können. Behrend (2007: 110) spricht in diesem Zusammenhang auf der Grundlage seiner Untersuchung in der Arbeitsverwaltung von der „List“ der Verwaltungsangestellten. Watzlawczik (1986) arbeitet heraus, dass das bürokratische Trilemma, in dem die Verwaltungsbeschäftigten stecken, nicht auflösbar ist, jedoch müssen sie Wege finden, um die Widersprüchlichkeit auszuhalten und ihre Folgen zu glätten. Sie dürfen weder bloße Regelbefolger noch Bürgeranwälte sein. Einen Mittelweg finden sie, indem sie die von der Leitung zugestandenen Freiräume ausnutzen und ihr Arbeitshandeln den Problemlagen anpassen. Dazu benötigen sie persönliches Engagement und eine gewisse Bürgerorientierung. Sie müssen „mit Leidenschaft an die Aufgaben heran gehen“ (ebd.: 145) und sie benötigen ein „Gefühl für Recht“ (ebd.: 154), um einerseits für die prinzipielle Gesetzestreue der Stadtverwaltung einzustehen und andererseits für die Bürgerinnen und Bürger da zu sein. Daraus lassen sich konkrete Hinweise auf die Bedeutung des Einbringens subjektiver Gefühlsarbeitsleistungen im Umgang mit strukturellen Handlungsproblemen ableiten.

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Vorheyer (2006) zeigt in ihrer Untersuchung der Verwaltung der Prostitution ergänzend, dass individuelle Wahrnehmungs- und Handlungsmuster des Verwaltungspersonals für die Gestaltung des „lebenden Rechts“ (Vorheyer 2006: 277) von zentraler Bedeutung sind. Die Verwaltungspraktiken beruhen auf differenten Deutungen und Interpretationen des Verwaltungsgegenstandes durch die sozialen Akteure13. Mit der Fokussierung auf unterschiedliche Problemlagen sind jeweils spezifische Interventions- und Problemlösestrategien verbunden. Neben institutionellen Vorgaben sind auch die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster des Personals bei der sozialen Konstruktion von Recht bedeutsam (ebd.). Die Interessen und Ansprüche der Beschäftigten sind daher nicht nur integraler Moment des Strukturkonflikts, sondern sie können auch das Handlungsproblem kaschieren. Dazu demonstriert Hansbauer (1996: 69), welche „Mikrorationalitäten“ bei der Durchführung von Maßnahmen zur Vermittlung von Sozialhilfeempfängern auftreten können. Er arbeitet heraus, dass die unterschiedlichen Entscheidungsstile der Beschäftigten dazu führen, dass situative und persönliche Entscheidungsaspekte die formalen Vorschriften ständig unterlaufen und konterkarieren. Dies erklärt Hansbauer mit unterschiedlichen Anpassungsleistungen der Bediensteten an situativ gegebene Ungewissheitszonen. Vor dieser Folie funktioniert das bürokratische System nicht wie ein Automat gleichförmig und interessenneutral. Vielmehr können formale politische Programme teilweise am individuellen Entscheidungsverhalten der Bediensteten scheitern. Am Beispiel von Lehrerinnen und Lehrern gehen Hoppe und Treutner (1986) den kreativen, autonomen und innovativen Leistungen nach, die sie erbringen, um ihren Unterricht im Spannungsfeld von „pädagogischer Freiheit“ und der Ausrichtung des Unterrichtes an Lehrplänen, Curricula, Richtlinien, Erlassen sowie dem allgemeinen Schulrecht erfolgreich zu gestalten. Die Autoren zeigen, dass Lehrkräfte im Umgang damit ihren Unterricht therapeutisch oder sozialarbeiterisch innovativ anreichern, indem sie bspw. Klassenarbeiten gründlich vorbereiten, damit die leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler durch intensives Üben bessere Leistungen erzielen können. Andere Lehrkräfte erlauben den Schülern, sich gegenseitig zu helfen oder bei der Notenfindung mitzuwirken. Die emotionalen Leistungen, die den Lehrkräften bei ihrer spannungsreichen Arbeit abgefordert werden, thematisiert vor allem Sieland (2008). Sie können durch einen entsprechenden Einsatz von Gefühlen den Schülern eine leistungsunabhängige Wertschätzung vermitteln, um Selbstvertrauen und Lernfreude zu fördern. Sieland (ebd.) beschreibt, dass Lehrkräfte oft unter Stress entscheiden müssen, wie viel Nachsicht und Konfrontationen im schulischen Alltag angebracht sind. Sie müssen 13 Die sozialen Akteure sind von Vorheyer befragte Personen, die in ihrer alltagspraktischen und konzeptionellen Arbeit mit der Verwaltung der Prostitution befasst sind (bspw. in Polizei, Ordnungs-, Gesundheits-, Finanz- und Gewerbeämtern).

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gleichzeitig erwünschtes Verhalten freundlich verstärken und unerwünschtes Verhalten entschieden wie taktvoll kommentieren. Die Erwartungen an die emotionale Selbstdarstellung der Lehrkräfte sind sehr ambivalent. Ihr Handeln muss immer eine Mischung sein aus überzeugender Wertschätzung und Konfrontation. Eine weitere Ambivalenz besteht darin, „dass die Lehrperson sich einerseits in die Gefühle der Interaktionspartner einfühlen muss und dabei z. B. Ablehnung spürt, aber gleichwohl freundliche Zuwendung und Verständnis zum Ausdruck bringen soll“ (ebd.: 116). In diesem Zusammenhang erweist sich die Arbeit an den eigenen Gefühlen als besonders relevant, um diese Widersprüchlichkeiten auszuhalten. Zwischenfazit 7 Der Stand der Forschung zeigt, dass die Beschäftigten in Verwaltungen einer Kommune oder im Sozialverwaltungsbereich ähnlich wie Polizistinnen und Polizisten den strukturellen Hindernissen ihrer Arbeit etwas entgegensetzen. Verwaltungsbeschäftigte entwickeln individuelle Handlungsmuster und eigene Praktiken im Umgang mit den konflikthaften Arbeitssituationen. Zu den subjektiven Leistungen, die sie in ihre Arbeit einbringen, zählen bspw. die Ausnutzung von Handlungs- und Ermessensspielräumen, die Modifikation von Handlungsstrukturen in Form von Innovationen, eine gewisse List, die Erhöhung der Selbstwirksamkeit sowie Kreativität und Ideenreichtum. Ihre Subjektivität ist demnach nicht nur Bestandteil des bürokratischen Trilemmas, sondern auch wichtig für den Umgang damit. Stärker als in der polizeibezogenen Forschung zeichnet sich in diesen Untersuchungen jedoch die Relevanz des Einsatzes von Gefühlen ab. So zeigt sich, wie individuelle Deutungs- und Wahrnehmungsprozesse die Etablierung innovativer Praktiken beeinflussen können. Ebenso erleichtert das Einbringen von Leidenschaft in die Arbeit, die dort angelegten Spannungsfelder auszuhalten. Schließlich wurde die Bedeutung des Herstellens von Nähe und Distanz im Umgang mit den individuellen Verhaltensüberschüssen in Verwaltungen deutlich. Ein „Gefühl für Recht“ sorgt dafür, dass sich das notwendige unbürokratische Handeln der Verwaltungsangestellten im bürokratischen Rahmen bewegt (Watzlawczik 1986). Diese Formen des Umgangs mit dem bürokratischen Trilemma erfordern unterschiedliche Gefühlsarbeitsleistungen der Akteure. Am Beispiel von Lehrerinnen und Lehrern ist besonders deutlich die Notwendigkeit emotionaler Gestaltungsleistungen aufgrund der von ihnen erlebten emotionalen Ambivalenzen erkennbar gewesen. Es ist anzunehmen, dass sich Polizeibedienstete bei ihrer Arbeit in ähnlichen Spannungsfeldern bewegen, die sie irgendwie aushalten müssen. Das AushaltenMüssen resultiert daraus, dass sie ihre Arbeit nicht beliebig verändern können und dass sich durch innovative Praktiken, bspw. in Form von Normverletzungen, die emotionale Zerrissenheit sogar noch verstärken kann. Was das für die Bediensteten

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bedeutet, wurde bisher nicht beleuchtet. Annahme ist, dass diese emotionalen Belastungen durch Gefühlsarbeit in ihren Auswirkungen abgeschwächt werden können. 2.3 Belastungsfolgen Der Umgang des Polizeipersonals mit den emotionalen Belastungen seines Berufs ist durch unterschiedliche Rahmenbedingungen beeinflusst. Schichtdienst, geringe Handlungsspielräume, die Konfrontation mit extremen Belastungssituationen oder auch der Mythos vom unbesiegbaren Polizisten sind nur einige Aspekte, die dazu führen, dass Belastungen oftmals nicht oder nur unzureichend von den Polizeibediensteten bearbeitet werden (vgl. Evans et al. 1993, Stein 2004, Steinbauer 2001). Da die in der Polizei angebotenen Hilfsangebote oft auf fehlende Anerkennung und Akzeptanz stoßen und das Zeigen von Schwäche als unvereinbar mit dem Berufsbild gilt (vgl. Behr 2004), wird beruflicher Stress oftmals einfach weggesteckt, um nicht als Weichling stigmatisiert zu werden (Stein 2004). Das Zeigen von Emotionen gilt oftmals als nicht rollenkonform (Latscha 2005). Zudem ist die psychosoziale Unterstützung in der Polizeistruktur mangelhaft ausgebaut. Es fehlen eine Thematisierung dieser Probleme in Weiterbildungen sowie die Schulung von Vorgesetzten im Umgang mit belasteten Polizeibediensteten (Kahmann 2007). Das gefühlsfeindliche Arbeitsumfeld in der Polizei bildet für Stein (2004) die Basis für die Ausbildung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Krankheiten. Steinbauer (2001) kommt zu dem Ergebnis, dass 40% der von ihr befragten Polizeibediensteten belastende Ereignisse nicht oder nur teilweise verarbeiten. Die Ursache für die fehlenden Bearbeitungsmöglichkeiten sieht auch sie hauptsächlich innerhalb der Polizeibehörde. Vor diesem Hintergrund dürfen die körperlichen und psychischen Beanspruchungen der Polizeibeamtinnen und -beamten in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden (Gasch 2007).14 Nicht erfolgreich bewältigte Arbeitsanforderungen und Belastungen haben dabei nicht nur einen Einfluss auf die Gesundheit der Polizeibediensteten, sondern auch auf das private Lebensumfeld. Im Folgenden werden daher neben den Folgen emotionaler Belastungen auch deren

14 Kocyba und Voswinkel (2007) prognostizieren, dass Gesundheitsrisiken provoziert werden, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer sich daran gewöhnen, aufgrund zunehmenden beruflichen Drucks ihre Krankheiten zu verdrängen. Die Forscher untersuchten betriebsspezifische Formen von Krankheitsverleugnung. Charakteristische Symptome zeigen sich bspw. darin, dass berufliche Belange Priorität haben. Dadurch wird Krankheit zum illegitimen Störfaktor, der unterdrückt, ignoriert oder ausgeblendet wird. Charakteristisch ist dabei auch der Zusammenhang von Beschäftigtenverhalten und betrieblichen Verhältnissen.

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Auswirkungen auf den privaten Lebenszusammenhang von Polizistinnen und Polizisten thematisiert. Werden bedrohliche Situationen von den Polizeibediensteten nicht bewältigt, sind Überforderungen im Dienst die Folge, die in Burnout, Anpassungsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder Post-Shooting-Traumata münden können (Schaible/Gecas 2010, Stein 2004). Burnout als Syndrom zunehmender geistiger, körperlicher und emotionaler Erschöpfung wird meist in engem Zusammenhang mit engagierter Gefühlsarbeit gebracht (Burisch 1994). Bezogen auf die Polizei wird vor allem der geforderte spezifische, zur Berufsrolle dazugehörende Gefühlsausdruck als Stress auslösende Bedingung genannt, der in Widerspruch zum tatsächlichen Empfinden der Polizeibediensteten stehen kann. Burnout kann von Zuständen emotionaler Erschöpfung, Abstumpfung gegenüber anderen und Verringerung der Leistungsfähigkeit begleitet sein (Klemisch 2006, Schaible/Gecas 2010). Eine Studie zu den Organisationsprofilen, der Gesundheit und dem Engagement in Einsatzorganisationen (Beerlage et al. 2009) zeigt, dass der Anteil an ausgebrannten Polizistinnen und Polizisten zwischen 2007 und 2008 von 15% auf 25,4% gestiegen ist. Eine wichtige Erkenntnis ist zudem, dass die Anzahl ausgebrannter Beschäftigter in der Polizei viel höher ist als in anderen Berufen (Schaible/Gecas 2010: 316). Vor allem in der Bundespolizei ist der Anteil ausgebrannter Bediensteter vergleichsweise hoch (Beerlage et al. 2009). Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) gelten als extreme Belastungsfolgen, die aus einer akuten Überforderung der Polizeibediensteten heraus resultieren (Steinbauer 2001). Bei der PTBS handelt es sich um eine seelische Erkrankung, die in der Regel mehrere Wochen nach dem traumatischen Ereignis eintritt. Typische Merkmale sind Flashbacks (Wiedererleben früherer Gefühlszustände), ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, Selbstzweifel, Konzentrationsschwächen, emotionale Taubheit oder anhaltende wiederkehrende Erinnerungen (Lüdtke/Clemens 2003, Okon/Meermann 2003). Traumatisierende Ereignisse sind bspw. Geiselnahmen, Kindesmissbrauch oder der Tod von Kolleginnen und Kollegen (Stein 2004). Der Gebrauch der Schusswaffe und Eigengefährdungen können darüber hinaus mit psychischen Traumatisierungen verbunden sein (Kahmann 2007). Traumatisierte Polizeibeamte sind stärker belastet als andere. Sie berichten laut Steinbauer (2001) weit häufiger über Beunruhigungen in Antizipation künftiger gefährlicher Situationen, Beeinträchtigungen der bewussten Wahrnehmung, Wut und Zorn sowie über Probleme mit Autoritäten und Vorschriften. Latscha (2005) stellt in seiner Forschungsarbeit heraus, dass lediglich zwischen 5,5% und 8,7% der berufserfahrenen (bayrischen) Polizeibediensteten (mit durchschnittlich 16-21 Dienstjahren) eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln (Latscha 2005: 112). Ein schlimmes Ereignis führt demnach nicht zwangsläufig zu einer PTBS. Es gibt Faktoren, die das Risiko einer PTBS erhöhen, bspw. berufliche Unzufriedenheit, emotionale Probleme oder selbst erlebte Todesangst (Okon/

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Meermann 2003). Vor allem Persönlichkeitsmerkmale, wie die Überzeugung, kritische Anforderungssituationen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können, verringern die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer posttraumatischen Belastungsstörung (Klemisch 2006, Schneider/Latscha 2010). Es wurde kein Zusammenhang zwischen der Entwicklung posttraumatischer Symptomatik und demographischen Faktoren wie Alter, Familienstand, Berufserfahrung oder Geschlecht entdeckt (Latscha 2005). Die Untersuchung von Steinbauer (2001) verdeutlicht Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen in Reaktion auf berufliche Belastungen. So überwiegen bei den jüngeren Polizeibediensteten die psychischen gegenüber den sozialen Folgen von Polizeiarbeit. Dienstältere Polizeibedienstete erleben vor allem den Schichtdienst als belastend, was Auswirkungen auf die Schlaf- und Essgewohnheiten, das Familienleben und das psychische Wohlbefinden haben kann. Ein interessanter Befund ist, dass junge Polizeibedienstete mit wenig Diensterfahrung noch viel Positives aus ihren Einsätzen mitnehmen (Steinbauer 2001: 53). Wachsender Erfahrungsschatz und Selbstbewusstsein, Akzeptanz durch die Kolleginnen und Kollegen sowie eine bewusstere Lebensführung sind Aspekte, welche unter jüngeren Beamtinnen und Beamten geschätzt werden (Hallenberger/Müller 2000: 63). Neben Unterschieden zwischen älteren und jüngeren Polizeibediensteten existieren auch Unterschiede zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der Folgen von emotionalen Belastungen im Dienst. So ziehen polizeiliche Belastungssituationen bei Frauen eher psychische Probleme nach sich, während bei Männern vielmehr körperliche Auswirkungen festzustellen sind. Selbstzweifel, Mutlosigkeit, Blockaden, Depressionen und Gefühlskälte (Hallenberger/Müller 2000: 63) sind nur einige Beispiele psychischer Auswirkungen aufgrund stressiger Arbeitssituationen. Weibliche Beamte berichten signifikant häufiger über Ängste, Gedanken an Berufswechsel und über Ermüdungserscheinungen als ihre männlichen Kollegen. Eine Ursache wird darin vermutet, dass Polizistinnen zusätzlich zur Verrichtung einer anspruchsvollen und gefährlichen Arbeit um Anerkennung unter den männlichen Kollegen kämpfen müssen. Bei den Männern treten dagegen häufig Schlafstörungen, hoher Blutdruck, Magen- und Herzprobleme, Alkohol- und Nikotinmissbrauch, Nervosität und Ermüdung als Belastungsauswirkungen auf (ebd.: 63). Zu ganz ähnlichen Befunden gelangt Steinbauer (2001). Sie zeigt, dass aufgrund zunehmender Gereiztheit männliche Polizeibeamte stärker vom Verlust sozialer Kontakte und von Streitigkeiten in Familie und Partnerschaft betroffen sind. Auswirkungen auf den privaten Lebensbereich Die Wechselwirkungen zwischen dem beruflichen und privaten Bereich im Alltag von Polizeibediensteten erschöpfen sich nicht nur darin, dass die Beamtinnen und Beamten im Umgang mit den beruflichen Belastungen auf Ressourcen im privaten

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Bereich zurückgreifen. Die vorgestellten Belastungssituationen haben vor allem dann weitreichende Auswirkungen auf das private Leben, wenn es den Polizeibediensteten nicht gelingt, einem Umgang mit den Belastungen zu finden. Solche Übertragungseffekte zwischen den verschiedenen Bereichen des Lebens (insbesondere der Familie und der Erwerbsarbeit) stehen im Fokus der quantitativ orientierten Spilloverforschung. Spillover bezieht sich dabei auf die Zusammenhänge zwischen den Lebensbereichen, die Ähnlichkeiten (bspw. Unzufriedenheit) zwischen den Sphären generieren (Dillitzer 2006, Kupsch 2006). Es wird angenommen, dass die Ähnlichkeiten durch eine Übertragung von Stimmungen, Emotionen, Werten, Fähigkeiten oder Verhalten von einer sozialen Rolle auf eine andere entstehen. Zu gegenseitigen Beeinflussungen kommt es jedoch auch, wenn die Erfordernisse in einem Bereich nicht kompatibel mit den Aufgaben und Verpflichtungen im anderen Lebensbereich sind. Dabei handelt es sich um Unvereinbarkeiten zwischen beruflichen und familialen Ansprüchen. Die Belastungen in einem Lebensbereich können demnach die Rollenausübung im anderen Bereich einschränken (Friedmann/Greenhaus 2000). In Anlehnung an Small und Riley (1990) gibt es diese Inkompatibilitäten auf der zeitlichen, körperlichen und psychischen Dimension. Zeitliche Unvereinbarkeiten resultieren aus dem Empfinden, den Anforderungen in den Lebensbereichen vor allem zeitlich nicht gerecht zu werden. Die Energie- und Aufmerksamkeitskonkurrenzen erwachsen vor allem aus körperlicher Erschöpfung und fehlenden mentalen Kapazitäten in Bezug auf die Aufgaben und Verpflichtungen im privaten Bereich. Insgesamt kristallisiert sich aus den bisher vorliegenden Untersuchungen zum Spillover heraus, dass die Erwerbsarbeit einen wesentlich negativeren Einfluss auf die Rollenausübung in der Familie hat als umgekehrt: Bildlich gesprochen hat der lange Arm der Arbeit einen dickeren Bizeps als derjenige der Familie – vor allem hinsichtlich der negativen Auswirkungen (siehe bspw. Galinsky 1999, Kupsch 2006, Moen 2003).15 Von den Spillover-Prozessen zu unterscheiden sind Crossover-Prozesse als Phänomene der emotionalen Ansteckung in der Familie. Diese wurden bei der Erforschung der möglichen Zusammenhänge zwischen Erwerbsarbeit und Familie bisher weitgehend vernachlässigt (Dillitzer 2006). Aufgrund der besonderen „Qualität“ von Familie ist es jedoch naheliegend anzunehmen, dass die Erfahrungen des einen Partners die Erfahrungen und das Wohlbefinden des jeweils anderen Partners beeinflussen. Larson und Richards (1994) haben diese emotionalen Übertragungsprozesse zwischen Familienmitgliedern genauer in den Blick genommen. Sie finden 15 Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass die Arbeitsbedingungen rigider und dominanter sind als Familienbedingungen. Zudem haben die Beschäftigten in der Regel weniger Kontrolle über Entscheidungen in ihrer Arbeit als in ihrem Familienleben. Das würde in besonderer Weise auf Polizeibedienstete zutreffen.

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heraus, dass gerade in „gestressten“ Familien die Emotionen des Vaters (bspw. Frustration, Ärger) regelmäßig auf Ehefrau und Kinder übertragen werden. Sie konstatieren, dass die Alltagsmuster von „funktionierenden“ Familien dadurch gekennzeichnet sind, dass es ihnen besser gelingt, durch explizite Prozesse der Abschottung und Kontrolle (bspw. indem sich die gestresste Person eine Auszeit nimmt, einen Waldlauf macht etc.) einen dauernden negativen Gefühlstransfer aus der Arbeitswelt abzublocken und damit eine Balance der jeweiligen Lebenssphären herzustellen. Bezogen auf den Alltag von Polizistinnen und Polizisten zeigt sich, dass Zeitkonkurrenzen zwischen Familie und Polizeiarbeit zumeist aus den Schicht-, Bereitschafts- und Wochenenddiensten resultieren (vgl. bspw. Hallenberger/Müller 2000, Münstermann/Putz 1980). Fast ausschließlich in der englischsprachigen Literatur finden sich Untersuchungen, die sich mit dem Einfluss von körperlichen und seelischen Stress im Dienst auf das familiale Leben von Polizeibediensteten beschäftigen. So argumentieren Roberts und Levenson (2001), dass aufgrund der hohen Belastungen der Polizistinnen und Polizisten die Scheidungswahrscheinlichkeit sehr hoch ist und eine hohe Gefährdung der Familien durch Alkoholmissbrauch, häusliche Gewalt, Suizid und emotionale Störungen besteht (Beehr et al. 1995). Die Studien machen deutlich, dass die Ehepartner einen großen Teil des beruflichen Stresses und der emotionalen Erregung aufnehmen und abfedern (Burke 1993). Die emotionale Erschöpfung von Polizistinnen und Polizisten korreliert mit den von ihren Partnern geäußerten innerfamilialen Spannungen und Konflikten. Dies resultiert u.a. daraus, dass sie darin trainiert und ausgebildet sind, ihre Emotionen nicht auszudrücken und Empfindungen nicht zu kommunizieren. Das führt zu einem hohen Frustrationsgrad in den Familien (Brown/Grover 1998, Nordlicht 1979). Jackson und Maslach (1982) zeigen ergänzend, dass emotional erschöpfte Polizisten16 regelmäßig ihre erlebten Emotionen in die Familie tragen. Der Grad des erlebten Burnouts beeinflusst die Interaktionen mit Kindern und Ehefrauen. Nach Dienstende sind sie häufig aufgebracht, nervös, angespannt und unruhig. Daraus ergeben sich Spannungsfelder beim Übergang vom Dienst in das Familienleben. Polizisten mit einem hohen Niveau an psychologischem Burnout empfinden insgesamt verstärkt Ärger und bleiben von der Familie eher fern. Sie sind dadurch insgesamt weniger in das Familienleben eingebunden und empfinden ihre Ehe als unbefriedigend. Die Autorinnen ziehen vor diesem Hintergrund den Schluss, dass Polizisten einer doppelten Gefährdung ausgesetzt sind. Sie tragen Spannungen aus dem Dienst mit in die Familie hinein, was zu Störungen im familialen Alltag führen kann. Aufgrund dieser negativen Übertragungsprozesse ist zu vermuten, dass die anderen Familienmitglieder eine negative Einstellung zum Polizeiberuf entwickeln. Durch diese negative Einstellung reduzieren sich die Ressourcen zur emotionalen 16 Hier wurden ausschließlich männliche Polizeibeamte und ihre Partnerinnen befragt.

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Unterstützung aus der Familie, die für die Polizisten im Umgang mit den beruflichen Belastungen jedoch wichtig wären. Dies führt die Polizisten in ein persönliches Dilemma, was körperliche Störungen wie Herzkreislauf-Erkrankungen oder Magengeschwüre zur Folge haben kann (ebd.).17 Johnson et al. (2005) widmen sich in ihrer Untersuchung dem Zusammenhang zwischen Gewalterfahrungen im Dienst und der Gewaltanwendung in der Familie. Die Ergebnisse demonstrieren, dass vor allem nicht direkt erlebte Gewalt im Erwachsenenalter die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von häuslicher Gewalt erhöht. Ebenso hat Burnout einen signifikanten Effekt auf die Übertragung der Gewalterfahrungen im Beruf auf die Familie. Der Genuss von Alkohol beeinflusst das Auftreten von häuslicher Gewalt nicht überaus signifikant (siehe dazu auch Neidig et al. 1992). Roberts und Levenson (2001) untersuchen, inwiefern körperliche Erschöpfung und psychischer Stress bei Polizeibediensteten das emotionale Leben der Ehe beeinflussen. Ehelicher Stress entsteht vor allem dann – so die Ergebnisse dieser Studie –, wenn beide Partner nicht mehr in der Lage sind, ihre (negativen) Emotionen während der Interaktionen zu regulieren. Die Autoren argumentieren, dass es den Polizeibediensteten aufgrund ihrer körperlichen Erschöpfung und der fehlenden mentalen Ressourcen schwer fällt, angemessene emotionale Reaktionen in den innerfamilialen Interaktionen zu zeigen. Das beeinflusst die Zufriedenheit in der Ehe, denn ohne einen Austausch an positiven Empfindungen ist es schwierig, eine freudige und befriedigende Interaktion aufrechtzuerhalten. Zwischenfazit 8 Emotionale Übertragungsprozesse zwischen dem beruflichen Bereich und der Familie des Polizeibediensteten sind eine zentrale Folge der beruflichen Beanspruchungen. Es lässt sich konstatieren, dass die Studien zu den Wechselwirkungen zwischen polizeilicher Arbeit und Familienleben vor allem die Art und Höhe der beruflichen Einflüsse auf Familie betrachten. Es lassen sich nur sehr begrenzt Aussagen über die besondere Qualität dieser emotionalen Wechselwirkungen machen. Zudem wird sehr einseitig auf die negativen Einflüsse der Arbeit auf den privaten Lebenszusammenhang fokussiert. Das liegt in den Forschungsperspektiven der referierten Studien begründet, die zum Ziel hatten, den nicht gelingenden Umgang mit den beruflichen Belastungen in ihrer Wirkung auf das Familienleben zu erfas17 Auch Jurczyk et al. (2009: 218f) verweisen auf den komplexen Zusammenhang von Selbstsorge und der Herstellung von Familie. Die Familie ist eine wichtige Ressource zur Selbstsorge und im Umgang mit beruflichen Belastungen. Die Selbstsorge gelingt dagegen nicht, wenn in der Familie, bspw. durch eine Übertragung von beruflichem Stress, zusätzliche Belastungen auftreten.

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sen. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Übertragung von Erfahrungen von einem in den anderen Lebensbereich auch bewusst hergestellt wird und entlastend wirken kann. Welche Bedeutung die Familie bei der Bewältigung emotionaler Belastungen hat, wird in der vorliegenden Untersuchung ebenso zu zeigen sein. 2.4 Zusammenfassende Betrachtung und Schlussfolgerungen Insgesamt kann man konstatieren, dass in den vorliegenden Studien ganz unterschiedliche Facetten des Gebrauchs von und des Umgangs mit Emotionen beschrieben werden, ohne jedoch explizit die Bedeutung von Gefühlsarbeit für das Handeln von Polizeibediensteten und für polizeiliche Arbeit herauszuarbeiten. Es wurde gezeigt, inwiefern Gefühle Arbeitsgegenstand sein können, bspw. im Rahmen von polizeilichen Vernehmungen. Darüber hinaus wurde die Bedeutung von Gefühlen als Arbeitsmittel herausgearbeitet, z.B. bei der Ermittlungsarbeit von Polizistinnen und Polizisten. Schließlich wurde deutlich, dass die Gefühle der Polizeibediensteten selbst Bedingung für die polizeiliche Arbeit sein können und ihr emotionales Erleben damit zum Ausgangspunkt von Gefühlsarbeit wird. Die Bearbeitung der eigenen Gefühle wird erforderlich, wenn das persönliche Erleben der Polizistinnen und Polizisten in Widerspruch zur rationalen Logik polizeilichen Handelns gerät. Dies tritt vor allem als Folge erlebter Belastungen ein. Deshalb wurde sich ausführlich mit den Belastungsursachen von Polizeiarbeit, der Bedeutung von Gefühlsarbeit im Bewältigungshandeln von Polizeibediensteten und mit möglichen Belastungsfolgen beschäftigt. Bei der Betrachtung der zentralen Belastungsursachen polizeilicher Arbeit hat sich gezeigt, dass die vorliegenden quantitativen Studien zwar Aufschluss über die Häufigkeit des Auftretens von Belastungen und ihrer Ausprägung geben, jedoch keine Aussagen über damit einhergehende Emotionen möglich sind. Zudem werden zwar administrative Stressoren als Belastungsursachen benannt. Im Zentrum der Betrachtungen stehen jedoch meist operative Stressoren und Extrembelastungen. In den polizeibezogenen qualitativen Studien zum Belastungserleben von Polizistinnen und Polizisten wird deutlich, dass nicht nur Extrembelastungen Polizeiarbeit begleiten, sondern auch interaktive Arbeit eine zentrale Belastungsursache darstellt. Es wurde herausgearbeitet, dass sie durch Emotionen wie emotionale Betroffenheit und Mitleid begleitet sind, die Hinweise auf die emotionale Inanspruchnahme der Polizeibediensteten geben. Administrative Belastungsaspekte werden dabei weitestgehend vernachlässigt. Deshalb lohnt sich ein Blick in die allgemeine Verwaltungsforschung, die sich mit der Arbeit von Verwaltungsbeschäftigten im Spannungsfeld divergierender Anforderungen – was in der Verwaltungsforschung als bürokratisches Trilemma bezeichnet wird – beschäftigen. Es deutet sich dabei ein komplexes Zusammenwir-

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ken unterschiedlicher Belastungsfaktoren an (vgl. dazu das herausgearbeitete theoretische Modell in Kapitel II). Extreme Belastungen, interaktive Arbeit und strukturelle Handlungsprobleme beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Man kann vor diesem Hintergrund konstatieren, dass die mikroanalytische Ebene – also das subjektive Belastungserleben der Polizeibediensteten – bisher nicht umfassend genug erforscht wurde. Die Gemengelage unterschiedlicher Belastungen kann auf der Ebene der Person als emotionales Spannungsfeld erlebt werden und mit emotionalen Dissonanzen verbunden sein. Damit werden die Gefühle der Polizeibediensteten zur Bedingung im Arbeitshandeln und erfordern eine Bearbeitung. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, sich mit der Bewältigung von (Extrem-)Belastungen auseinanderzusetzen und danach zu fragen, inwieweit emotionsbasierte Formen dabei bisher Berücksichtigung fanden. In den quantitativen Studien wird eine wenig ausgeprägte Nutzung emotionsorientierter Umgangsweisen von Polizistinnen und Polizisten konstatiert. In den qualitativen Studien zeigt sich teilweise der Gebrauch von Gefühlsarbeitspraktiken (bspw. Distanzierungspraktiken, soziale Unterstützung, Aushalten, Wegstecken), die jedoch nicht explizit so benannt und nicht systematisch herausgearbeitet wurden. Gefühlsarbeit wird bisher noch nicht als Bezugsrahmen für die Betrachtung des Bewältigungshandelns von Polizeibediensteten genutzt. Lediglich Pogrebin und Poole (1991) benennen explizit, dass dem Ausdruck von Gefühlen aufgrund der Polizeikultur strenge Grenzen gesetzt sind, weshalb sie gefordert sind, nach innen gerichtete Gefühlsarbeitspraktiken im Umgang mit den beruflichen Belastungen zu nutzen. An der in dieser Untersuchung angedeuteten Relevanz der Gefühlsarbeitsleistungen von Polizeibeamten knüpft die vorliegende Untersuchung an (vgl. auch Kapitel II). Die in bereits vorliegenden Studien herausgearbeitete Bedeutung von unterschiedlichen Rahmenbedingungen (bspw. Geschlecht, Persönlichkeitseigenschaften, hierarchische Eingebundenheit, Gefühlsnormen) sind zwar noch nicht umfassend dokumentiert, bieten jedoch erste Erklärungsansätze für die Selbstzuständigkeit der Polizeibediensteten im Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen. Der Stand der Forschung zur personenbezogenen Dienstleistungsarbeit demonstriert die Bedeutung der Arbeit der Gefühlsarbeitsleistenden an den eigenen Gefühlen. Es wird deutlich, dass Gefühlsarbeit nicht nur für die Erbringung der Arbeitsleistung relevant ist, bspw. durch die Beeinflussung der Gefühle des Gegenübers, wie das auch im Rahmen polizeibezogener Forschung zur polizeilichen Vernehmungsarbeit zumindest angedeutet wird (bspw. Schröer 2003). Vielmehr ist Gefühlsarbeit auch wichtig für den Umgang mit den aus der interaktiven Arbeit resultierenden Problemen sowie Belastungen für die Beschäftigten. Auch im Umgang der Polizistinnen und Polizisten mit dem bürokratischen Trilemma werden ihre subjektiven Leistungen deutlich, die jedoch die Gefühlsarbeitsleistungen nicht einschließen. Zudem wird nicht klar, durch welche emotionalen

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Spannungen die strukturellen Handlungsprobleme begleitet sind und wie diese gelöst werden. Der diesbezügliche Stand der Forschung für den Bereich der allgemeinen Verwaltungsarbeit zeigt, dass sich die Akteure aktiv mit den beruflichen Anforderungen auseinandersetzen. Es deutet sich dabei auch die Relevanz des Einsatzes von Emotionen an, wenn argumentiert wird, dass die Verwaltungsangestellten in Kompensation der Strukturprobleme ein Gefühl für Recht entwickeln, leidenschaftsfähig sein sowie zwischen unterschiedlichen Anforderungen an Nähe und Distanz zum Gegenüber ausbalancieren können müssen. Allerdings bleibt der Einsatz arbeitskraftbezogener Gefühlsarbeit als Bewältigungsmechanismus in der allgemeinen Verwaltungsforschung weitgehend unsystematisiert. Da die beruflichen Belastungen von Polizeibediensteten sehr hoch sind, sollten nicht zuletzt die möglichen Belastungsfolgen Berücksichtigung finden. Zentral sind dabei neben individuellen Beanspruchungen wie Burnout, postraumtischen Belastungsstörungen usw. auch Wechselwirkungen zwischen dem beruflichen Bereich und den Familien der Polizeibeamtinnen und -beamten. Diese können von emotionalen Prozessen begleitet sein, z.B. emotionalen Ansteckungen zwischen den Familienmitgliedern. Eher vernachlässigt wurden die positiven Aspekte dieser Wechselwirkungen, die daraus resultieren, dass die Familie das Bewältigungshandeln der Polizistinnen und Polizisten unterstützen kann. Es muss schließlich konstatiert werden, dass die Gefühlsarbeitsleistungen der Polizistinnen und Polizisten bisher ein blinder Fleck in den empirischen Untersuchungen zur Polizeiarbeit sind, obwohl die Bedeutung von Gefühlsarbeit auf der Hand liegt. Zum einen sind die Gefühlsarbeitsanteile polizeilicher Arbeit aufgrund von Extrembelastungen und interaktiver Arbeit sehr hoch (Überbringen von Todesnachrichten, Vernehmungen, Familienstreitigkeiten, In-Gewahrsam-Nahmen etc.). Zum zweiten sind die Polizeibediensteten aufgrund der Arbeit im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen auch mit divergierenden Erwartungen in Bezug auf ihre emotionale Selbstdarstellung konfrontiert. Zum dritten haben sie oftmals keine andere Möglichkeit, als die situativen Gefühlsanforderungen durch nach innen gerichtete Strategien, also auf der emotionalen Hinterbühne, zu bewältigen, da sie aufgrund ihres beruflichen Mandats zur Einhaltung der Handlungsvorgaben gesetzlich verpflichtet sind. Viertens schließlich zwingt die innerpolizeiliche Gefühlskultur aufgrund der Tabuisierung emotionaler Belastungen die Polizeibeamten zu einer individualisierten Bewältigung. Dies alles spricht für eine stärkere Berücksichtigung der Gefühlsarbeitsleistungen von Polizistinnen und Polizisten.

IV. Anlage und Durchführung der empirischen Untersuchung

In diesem Kapitel wird die Konzeptionalisierung von Datenerhebung und Datenauswertung vorgestellt. Sie erfolgt auf Basis der theoretischen Vorannahmen, die in Kapitel II diskutiert wurden. Das dort entfaltete theoretische Modell verdeutlicht, in welchem Spannungsfeld polizeiliche Arbeit stattfindet und welche Rolle dabei Gefühlsarbeit spielt. Es hebt zum einen auf die zentralen, miteinander verknüpften Felder emotionaler Belastungen in der Polizeiarbeit ab, die als situativ zu bewältigende Anforderungen zu einer hohen emotionalen Inanspruchnahme der Polizeibediensteten führen. Es verweist zum zweiten auf die rahmengebenden Bedingungen polizeilicher Arbeit, die einen wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen haben. Aus dem Zusammenwirken der beruflichen Anforderungen mit den Bedingungen polizeilicher Arbeit lässt sich die Bedeutung eines emotionsbasierten Umgangs mit den Arbeitsanforderungen in der Polizei ableiten. Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Vorüberlegungen werden im Rahmen der vorliegenden Untersuchung die individuellen Gefühlsarbeitspraktiken von Polizeibediensteten untersucht. Ziel ist zu zeigen, dass Gefühlsarbeit ein wesentliches Element von Polizeiarbeit ist. Es werden folgende Forschungsfragen beantwortet: • • •

Was sind die situativen Gefühlsanforderungen bei der polizeilichen Arbeit? Worin liegen die zu bewältigenden Konfliktfelder? Welche Formen des Umgangs mit den situativen Gefühlsanforderungen (Gefühlsarbeitspraktiken) erarbeiten sich die Polizistinnen und Polizisten? Welche sozialen Randbedingungen spielen bei den emotional-gefühlsmäßigen Bewältigungsprozessen und damit als Ursachen für Unterschiede in den Gefühlsarbeitspraktiken eine Rolle?

Zentrales Kriterium in der qualitativen Sozialforschung und Leitlinie für die Wahl einer Methode ist die „Gegenstandsangemessenheit“ (Kelle 1994, Kelle/Kluge

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1999, Kleemann 2005). Diese bezieht sich auf Datenerhebung und -auswertung und benennt als zentrales Qualitätsmerkmal des Forschungsprozesses eine adäquate Passung von Gegenstandsstruktur und Forschungsmethodik – wobei die Gegenstandsstruktur stärkeres Gewicht erhält. Ziel des folgenden Kapitels ist es, das Vorgehen bei der empirischen Untersuchung offenzulegen. Es werden die gewählten Erhebungs- und Auswertungsverfahren beschrieben und in ihrer Gegenstandsangemessenheit begründet. Die Untersuchung basiert auf elaborierten Verfahren qualitativer Sozialforschung, weshalb darauf verzichtet wird, die Methoden und methodologischen Grundlagen umfassend zu referieren (siehe dazu bspw. Bohnsack 2003, Bohnsack et al. 2001, Flick et al. 1995, Nohl 2006).

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Um erfassen zu können, wie Polizistinnen und Polizisten ihre Arbeit wahrnehmen, wie sie die emotionalen Arbeitsanforderungen bewerten und welche Umgangsweisen sie in der Folge entwickeln, wurde ein relativ offener Forschungsweg favorisiert. Mit der gewählten Erhebungsmethode sollte eine detaillierte Erfassung des subjektiven Belastungserlebens von Polizeibediensteten und ihrer Bewältigungsformen möglich sein. Deshalb wurde sich zur Durchführung leitfadengestützter, erzählgenerierender Interviews entschieden. Die offene Herangehensweise erlaubt es, die Bedeutungszuschreibungen und Sinngebungsprozesse der Beamtinnen und Beamten in Auseinandersetzung mit den strukturellen Handlungsbedingungen sowie deren Handlungspraktiken zu begreifen. Bevor sich jedoch den Erhebungsmethoden ausführlich zugewandt wird, erfolgt eine Beschreibung des Untersuchungsfeldes sowie der Befragtengruppe anhand der erhobenen sozialstatistischen Merkmale. 1.1 Beschreibung des Untersuchungsfeldes Die Mehrheit der befragten Polizistinnen und Polizisten stammt aus einer Polizeidirektion eines ostdeutschen Bundeslandes. Vier Polizeibedienstete gehören anderen Polizeidirektionen des Landes an. Da sich diese in Aufbau und Struktur ähneln, wird im Folgenden die Direktion näher beschrieben, in der die Mehrheit der Befragten tätig ist. Das gibt einen Überblick über die polizeilichen Strukturen, in denen die Befragten tagtäglich ihren Dienst verrichten. Zudem werden die Aufgaben- und Funktionsbereiche in der Polizeidirektion deutlich. Neben der Erläuterung des formalen Aufbaus der Polizeidirektion bietet dieser Abschnitt vor allem einen

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Überblick über Beschäftigtenzahlen und deren Entwicklung, Altersstruktur, Verteilung der Polizistinnen und Polizisten auf Tätigkeits- und Funktionsbereiche sowie Laufbahnen, Arbeitszeitformen und zum Krankenstand in der untersuchten Polizeidirektion. Die diesem Kapitel zugrunde liegenden Informationen stammen aus polizeiinternen Dokumenten sowie aus der statistischen Datenerfassung der untersuchten Polizeidirektion, die unter anderem auch für das Landeskriminalamt und das Innenministerium des Landes dokumentiert werden. Struktur und Aufbau der untersuchten Polizeidirektion Die Abbildung 5 zeigt, dass an der Spitze der Polizeidirektion der Leiter bzw. die Leiterin steht. Ihm bzw. ihr sind der Polizeivollzugsdienst, die Verwaltung, die Kriminalpolizeiinspektion, die Verkehrspolizeiinspektion, die Inspektion Prävention/Zentrale Dienste sowie Polizeireviere und Polizeiposten unterstellt. Die einzelnen Referate, Dezernate, Kriminalaußenstellen, Fachdienste sind gleichberechtigt den einzelnen Abteilungen und Inspektionen unterstellt. Die Polizeireviere sind der Polizeidirektion zugeordnet, die Polizeiposten den jeweiligen Revieren im Einzugsbereich. Die Leiterin bzw. der Leiter der Abteilung Polizeivollzugsdienst ist zugleich Vertreter des Leiters der Polizeidirektion. In den Referaten des Polizeivollzugsdienstes werden bspw. von Bürgerinnen und Bürgern eingegangene Informationen und Notrufe verarbeitet und Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Menschen und Sachwerte eingeleitet. Auch Informationsbeziehungen innerhalb der Polizeidirektion werden hier gesteuert und münden ggf. in polizeilichen Maßnahmen. Der Kriminalpolizeiinspektion und den zugeordneten Kriminalaußenstellen obliegt die Bekämpfung der schweren Kriminalität. Darüber hinaus ist die Kriminalpolizei für Fälle zuständig, deren Aufklärung umfangreiche Ermittlungen oder spezielle Kenntnisse, Methoden, Mittel und Erfahrungen erfordert. Die Verkehrspolizeiinspektion der Polizeidirektion nimmt alle Aufgaben im Zusammenhang mit der Sicherheit und Flüssigkeit des Straßenverkehrs auf Bundesautobahnen, Bundesstraßen, Staatsstraßen sowie Kreis- und kommunalen Straßen wahr. Die Inspektion Prävention/Zentrale Dienste ist eine Dienststelle mit einem sehr vielfältigen Aufgabenbereich. Zu den zentralen Aufgabenbereichen zählen bspw. die Drogen-, Verkehrssowie Kinder- und Jugendprävention. Der Einsatzzug wird zur Unterstützung der anderen Dienststellen innerhalb der Polizeidirektion wie auch anderer Polizeidienststellen des Landes eingesetzt. Die Beamtinnen und Beamten wirken präventiv und deeskalierend an polizeilichen Einsatzschwerpunkten, bspw. bei Fußballspielen oder Großdemonstrationen. Schließlich leisten die Polizeireviere in den Stadtteilen und Landkreisen einen Großteil der Arbeit in der Polizeidirektion. Der Revierführer bzw. die Revierführe-

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rin leitet das Polizeirevier. Ihm bzw. ihr zu- und unmittelbar nachgeordnet sind der stellvertretende Revierführer, der Sachbearbeiter Einsatz sowie der Präventionssachbearbeiter. Die Beamtinnen und Beamten des Streifendienstes und des Ermittlungsdienstes in den Polizeirevieren nehmen in ihren Zuständigkeitsbereichen die polizeilichen Aufgaben zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahr. Im Streifendienst werden diese Aufgaben von unterschiedlichen Dienstgruppen übernommen, die von einer Dienstgruppenleiterin bzw. einem Dienstgruppenleiter geführt werden. Zum Polizeirevier zählen zudem der Sachbereich Innendienst sowie die Bürgerpolizistinnen und -polizisten. Abbildung 5: Organigramm der untersuchten Polizeidirektion

Quelle: internes Dokument der Polizeidirektion

Beschäftigtenzahlen Im Jahr 2010 waren insgesamt 2.123 Beschäftigte in der untersuchten Polizeidirektion tätig. Die Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst (1.799) stellten die Mehrheit des Personals. 36 Beschäftigte waren Beamte im Verwaltungsdienst. Der Rest der in der Polizeidirektion Angestellten waren nicht verbeamtet – zwei im Polizeivollzugsdienst und 286 Beschäftigte außerhalb des Polizei- und Verwaltungsdienstes. Die Aufschlüsselung des Personals nach Tätigkeitsbereichen in der untersuchten Polizeidirektion zeigt, dass die Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in

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den Polizeirevieren tätig ist – für das Jahr 2010 waren das 1.232 Beschäftigte insgesamt und 1.117 Beamtinnen und Beamte im Polizeivollzugsdienst (PVD). Ca. 13% des Personals arbeitete im gleichen Zeitraum im Bereich der Kriminalpolizei (KPI) (283 Beschäftigte insgesamt, 232 Beamte des PVD). Der nächstgrößere Tätigkeitsbereich war die Verkehrspolizei (VPI) mit 214 Beschäftigten insgesamt und 192 Beamten im Polizeivollzugsdienst, gefolgt von der Inspektion Prävention/Zentrale Dienste (IPZD) (162 insgesamt und 148 Polizeibedienstete) sowie dem Stabsbereich, der die Leitung der Direktion, das Direktionsbüro, die Abteilung Polizeivollzugsdienst sowie Verwaltung umfasst (232 insgesamt und 110 Polizeibedienstete). Tabelle 1: Beschäftigte nach Tätigkeitsbereichen in der untersuchten PD im Jahr 2010 Bereich Stabsbereich IPZD KPI VPI Polizeireviere

Gesamt 232 162 283 214 1232

Beamtinnen und Beamte PVD 110 148 232 192 1117

Quelle: Aus der internen Dokumentation der PD

Entwicklung der Beschäftigtenzahlen Die Struktur der Polizei des ostdeutschen Bundeslandes befindet sich seit den 1990er Jahren im ständigen Wandel. Maßgeblich bestimmend für die Dynamik der Veränderungsprozesse waren und sind finanzielle Einsparungen, die durch Vorgaben zum Landeshaushalt des entsprechenden Landesparlamentes beschlossen und durch das Innenministerium umgesetzt werden müssen. Diese Einsparungen schlagen sich vor allem beim Personal nieder. So hat die verantwortliche Staatsregierung im Jahr 2006 den Abbau von 2.441 der damals 15.000 Stellen bis 2010 verordnet. Im Frühjahr 2010 wurde der Abbau weiterer Stellen bis zum Jahr 2020 festgelegt. Hiervon entfallen 800 auf den Bereich Polizei. Grundlegende Veränderungen gab es im Jahr 2005. Im Zuge der Strukturreform fielen Polizeipräsidien weg und die Polizeidirektionen wurden zu neuen Führungsdienststellen zusammengeführt. Das hatte weitreichende Auswirkungen für die einzelnen Polizeidirektionen, deren Einzugsgebiet sich vergrößert bei gleichbleibendem bzw. reduziertem Personal vor allem im Polizeivollzugsdienst. Diese Umstrukturierungen mit dem Ziel des Personalabbaus spiegeln auch die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen der hier im Fokus stehenden Polizeidirektion wider. Aufgrund der zurückliegenden behördeninternen Veränderungen ist ein Ver-

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gleich der jährlichen Beschäftigtenzahlen in der untersuchten Polizeidirektion jedoch nur nach 2005 möglich, da die Zahlen vorher anders – nach den damals noch existierenden Polizeipräsidien – erfasst wurden. Hier zeigt sich für den Zeitraum von 1992 bis 1999 ein relativ langsamer Rückgang: Waren 1992 3.438 Beschäftigte1 im Polizeivollzugsdienst tätig, so ging diese Zahl bis zum Jahr 1999 um 38 Beschäftigte auf 3.400 zurück. Ein ähnliches Bild zeigt sich in diesem Zeittraum für den Verwaltungsdienst. Die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen nach 2005 belegt weiterhin einen langsamen, aber kontinuierlichen Rückgang der Beschäftigten im Verwaltungs- und Polizeidienst. So ging die Zahl der Beschäftigten im Verwaltungsdienst von 350 im Jahr 2006 auf 322 Beschäftigte im Jahr 2010 zurück. Das ist ein Rückgang von 8%. Im Polizeivollzugsdienst verringerte sich die Personalstärke im gleichen Zeitraum um 128 Beschäftigte von 1929 auf 1801. Das ist ein Rückgang von 6,6%. Abbildung 6: Entwicklung der Beschäftigtenzahlen von 2006 bis 2010 im Polizeivollzugsdienst (PVD) und Verwaltungsdienst (VwD) in der untersuchten PD ϮϱϬϬ ϮϬϬϬ ϭϱϬϬ Ws ϭϬϬϬ

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Quelle: eigene Darstellung

Die zweite Stufe der Polizeireform des ostdeutschen Bundeslandes, die im Jahr 2009 einsetzte, zielte auf die Reduktion von Leitungs- und Verwaltungsstellen in den Revieren. Die damals 1.100 Beamtinnen und Beamte mit Leitungs- und Verwaltungsaufgaben sollten auf 700 reduziert werden. Auch bei den Polizeiposten wurden Veränderungen vorgenommen. Die Polizeibediensteten in den Außenstellen sind nur noch zu bestimmten Zeiten vor Ort. Insgesamt hatte diese zweite Stufe der

1 Die Beschäftigtenzahlen schließen hier immer Beamte und Beschäftigte ein.

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Polizeireform zum Ziel, mehr Polizeibedienstete für den Dienst auf der Straße zur Verfügung zu haben. In den nächsten Jahren stehen weitere Strukturveränderungen an. So arbeitet derzeit eine Kommission, zusammengesetzt aus Vertreterinnen und Vertretern des Innenministeriums des Bundeslandes und der Polizeidirektionen, an einem Entwurf für die zukünftige Strukturierung der Landespolizei. Die Polizeistärke soll dabei der schrumpfenden Bevölkerung angepasst werden. Die Gewerkschaft der Polizei des Landes befürchtet Einsparungen in Höhe von über 2.400 Stellen im Polizeidienst. Die Altersstruktur Ein besonderes Kennzeichnen der Polizei des Landes insgesamt sowie der untersuchten Polizeidirektion ist die starke Überalterung des Personals.2 Der über Jahre praktizierte Einstellungsstopp hat zu dieser kräftigen Überalterung geführt. Von 2000 bis 2010 erhöhte sich das Durchschnittsalter der Polizeibediensteten des Bundeslandes von 38,9 auf 43,2 Jahre. In der untersuchten Polizeidirektion lag der Altersdurchschnitt im Jahr 2010 sogar bei über 45 Jahren.3 Die folgenden Abbildungen verdeutlichen das durchschnittliche Alter der Beschäftigten der untersuchten Polizeidirektion insgesamt und der Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst.

2 Neben dem hohen Altersdurchschnitt der Bediensteten ist der hohe Krankenstand in der Polizei ein Problem, der mit dem hohen Dienstalter des Personals einhergeht. Von den 12.000 Polizistinnen und Polizisten des Landes waren im Jahr 2008 durchschnittlich 1.800 nicht oder nur bedingt diensttauglich. 3 Die Zahlen beruhen auf internen Erhebungen in der Polizei des Landes bzw. der Polizeidirektion.

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Abbildung 7: Altersstruktur der Beschäftigten der untersuchten PD insgesamt im Jahr 2010 ϱϬϬ ϰϱϬ ϰϬϬ ϯϱϬ ϯϬϬ ϮϱϬ ϮϬϬ ϭϱϬ ϭϬϬ ϱϬ Ϭ ϬͲϮϰ

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Quelle: eigene Darstellung

Abbildung 8: Altersstruktur der Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst der untersuchten PD im Jahr 2010 ϰϬϬ ϯϱϬ ϯϬϬ ϮϱϬ ϮϬϬ ϭϱϬ ϭϬϬ ϱϬ Ϭ ϬͲϮϰ

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Quelle: eigene Darstellung

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Frauen in der Polizei Kapitel II-1.3 hat gezeigt, dass Frauen innerhalb der Polizei nach wie vor einen besonderen Status innehaben. Die Vorbehalte gegenüber Frauen im polizeilichen Dienst schlagen sich in den Beschäftigtenzahlen nieder. So gab es im Jahr 2010 in der untersuchten Polizeidirektion zwar insgesamt 2.123 Beschäftigte. Der Anteil der Frauen lag allerdings bei nur 27,1%, wobei der Frauenanteil unter den Beschäftigten, die nicht in der Verwaltung und im Polizeivollzugsdienst tätig sind, am höchsten war (73,1%). Unter den Beamten im Polizeivollzugsdienst waren 352 Frauen. Das entsprach einem Anteil von 19,5%. Der Frauenanteil in den Polizeien der meisten Bundesländer hat mittlerweile die 10%-Grenze überschritten (Groß et al. 2008: 19). Schicht (2007: 27) zeigt, dass der Frauenanteil unter den Polizeibeamten bundesweit bei rund 12% pendelt. In der untersuchten Polizeidirektion sind Frauen im Polizeivollzugsdienst demnach überdurchschnittlich vertreten. Die höchsten Frauenanteile aller Länderpolizeien weisen in den Jahren 2006 und 2007 mit rund 20% Brandenburg, Sachsen, Hamburg und Thüringen auf, während im Saarland nur 10% und in Bayern 13% der Polizeibeamten Frauen sind (Groß 2008: 25). Aufgeschlüsselt nach Tätigkeitsbereichen zeigt sich, dass im Jahr 2010 Frauen im Polizeivollzugsdienst mit ca. 22% am stärksten in den Polizeirevieren vertreten und damit vor allem im Streifen- und Ermittlungsdienst tätig waren, gefolgt von der Kriminalpolizei (KPI) mit ca. 19%, der Verkehrspolizei (VPI) mit ca. 16% und der Abteilung Inspektion Prävention/Zentrale Dienste (IPZD) mit 13%. Im Stabsbereich (Leitung, Direktionsbüro, Abteilung Polizeivollzugsdienst, Abteilung Verwaltung) lag der Anteil der Frauen im gleichen Zeitraum bei nur ca. 9%. Tabelle 2: Polizeibedienstete nach Tätigkeitsbereich sowie Frauenanteil in der untersuchten PD im Jahr 2010 Bereich Stabsbereich IPZD KPI VPI Polizeireviere

Beamte PVD 110 148 232 192 1117

Davon Frauen 10 20 44 30 247

Anteil Frauen 9,09% 13,51% 18,97% 15,63% 22,11%

Quelle: Aus der internen Dokumentation der PD

Betrachtet man die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen, zeigt sich, dass auch in der Polizei der Anteil der Frauen mit steigender Position im hierarchischen Gefüge abnimmt.

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Tabelle 3: Vollzeitbeschäftigte Beamtinnen und Beamte nach Laufbahngruppe, Funktion und Geschlecht in der untersuchten PD im Jahr 2010 Laufbahngruppe 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Mittlerer Dienst Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich Insgesamt Weiblich

2 0 1 0 16 1 846 143 230 68 1 1

Gehobener Dienst

11 0 124 11 36 4 74 7 138 14 233 38

Höherer Dienst 1 0 1 0 5 0 6 0

Quelle: Aus der internen Dokumentation der PD Legende: 1= Leiter/Leiterin Polizeidienststelle 2= Stellvertretende/r Leiter/Leiterin Polizeidienststelle 3= Abteilungsleiter/-leiterin 4= Referatsleiter/-leiterin 5= Fachbereichsleiter/-leiterin 6= Fach- und Sachgebietsleiter/-leiterin 7= Einsatzbeamte 8= Sachbearbeiter/Sachbearbeiterinnen 9= Weitere Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen (soweit nicht in den Funktionen 1 bis 8 erfasst)

Tabelle 3 zeigt, dass es im Jahr 2010 im höheren Dienst in der untersuchten Polizeidirektion keine Frauen gab und dass Frauen folglich keine Spitzenpositionen begleiteten. Im gehobenen Dienst sind Frauen vertreten, allerdings erst ab der Ebene der Referatsleiter. Der Anteil der Referatsleiterinnen betrug 8,9%. Da diese Gruppe allerdings Funktionen von der Dezernatsleitung, was die Leitung von mehreren Kommissariaten und einer Vielzahl von Beschäftigten beinhaltet, bis hin zur

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Leitung eines Polizeiposten mit eher wenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umfasst, sind hier Vorgesetztenfunktionen zusammengefasst, die von den Anforderungen bei dieser Leitungstätigkeit nur schwer zu vergleichen sind. Unter den Dezernatsleitern war keine Frau. Der Frauenanteil an den Fachbereichsleitern in der Laufbahngruppe des gehobenen Diensts betrug 11,1%. 9,5% der Fach- und Sachgebietsleiter waren Frauen. Unter den Einsatzbeamten waren 10,1% der dort Beschäftigten Frauen. Den höchsten Frauenanteil im gehobenen Dienst wies mit 16,3% der Bereich der Sachbearbeiter auf. Im mittleren Dienst gab es eine Fach- und Sachgebietsleiterin. Der Frauenanteil steigt sprunghaft auf der Ebene der Einsatzbeamten: Hier betrug der Anteil der Frauen im Jahr 2010 16,9%. Es zeigt sich für den gleichen Zeitraum, dass in der Laufbahngruppe mittlerer Dienst auf der Ebene der Sachbearbeiter der Anteil an Frauen mit 29,6% am höchsten war. Beschäftigungs- und Arbeitszeitformen Hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitszeitformen wird deutlich, dass im Jahr 2008 2.040 der Beschäftigten in der untersuchten Polizeidirektion in Vollzeit arbeiteten. Darunter waren 446 Frauen – das entspricht einem Anteil von 21,86%. Unter den Beamtinnen und Beamten im Polizeivollzugsdienst waren 1.769 Polizeibedienstete vollzeitbeschäftigt, darunter 268 Frauen (15,15%). Wie auch in anderen Branchen ist die Mehrheit der Frauen in der Polizei in Teilzeit tätig. Sogar im Polizeivollzugsdienst waren 2008 mehr als die Hälfte aller Frauen in Teilzeit beschäftigt (56,19%). Bei den Beschäftigten insgesamt betrug der Anteil von Frauen in Teilzeit sogar 66,88%. Darüber hinaus gibt es Polizeibedienstete ohne Dienstverpflichtung. Darunter fallen bspw. Elternzeit, Mutterschutz, Urlaub ohne Bezüge, Dienstenthebung oder Verbot der Führung von Dienstgeschäften. Auch diese Gruppe wurde mehrheitlich von Frauen gebildet: 69,05% von 42 Beschäftigten insgesamt sowie 66,67% von 39 Beamten im Polizeivollzugsdienst. In der Polizei gibt es sehr unterschiedliche Arbeitszeitformen. Eine Vielzahl des Personals arbeitet in Schichten. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit, rund um die Uhr verfügbar und einsatzbereit sein. Der Dienstzeitennachweis der untersuchten Polizeidirektion zeigt, dass im Jahr 2010 31,6% der Beschäftigten im Polizeivollzugsdienst Wechselschichtdienst verrichteten. Dabei sind zwei unterschiedliche Formen von Wechselschichtdienst zu unterscheiden: Ein Teil der Polizeibediensteten (19,2%, diese Zahlen liegen nur bis 2008 vor) arbeitete ausschließlich im 12Stunden-Wechselschichtdienst. Der Tagdienst beginnt um sechs bzw. sieben Uhr und dauert bis 18 bzw. 19 Uhr. In der Nachtschicht arbeitet das Personal von 18 bzw. 19 Uhr bis sechs bzw. sieben Uhr in der Frühe. Diese Form des Wechselschichtdienstes ist bspw. für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Führungsund Lagezentrums üblich – hier werden die Notrufe der Bevölkerung entgegengenommen.

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Eine andere Form der Wechselschichtarbeit ist für die Beamtinnen und Beamten im Streifendienst typisch. Kennzeichnend sind hier sehr kurze Wechsel zwischen den Schichten. So wird in der Mittelschicht, mit der ein Schichtumlauf beginnt, von 12 bis 20 Uhr gearbeitet. Danach folgt die Frühschicht von sechs bis 12 Uhr Mittag. Noch am gleichen Tag müssen die Bediensteten die Nachtschicht antreten – diese beginnt um 20 Uhr und endet früh um sechs. An die Nachtschicht schließt sich der Ausschlaftag an. Danach haben die Polizeibediensteten zwei Tage frei, bevor ein neuer Schichtumlauf beginnt.4 15,4% des Personals der untersuchten Polizeidirektion verrichteten ihren Dienst nach diesem Wechselschichtmodell (das gilt auch für das Jahr 2008). Weitere 14,4% der Polizeibediensteten arbeiteten im Jahr 2010 nach einem Dienstplan mit feststehenden Arbeitszeiten, die ebenso Früh- und Nachschichten umfassen. Der größte Teil des Personals verrichtete Dienst im Gleitzeitprofil – das waren für das Jahr 2010 38,5% Beschäftigte im Polizeivollzugsdienst. Die Kernarbeitszeit liegt zwischen sieben und 15:30 Uhr. Zwischen sechs Uhr morgens und acht Uhr abends können die Polizeibediensteten gleiten. Fast die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist im Tagdienst tätig, wobei Verfügungs- und Bereitschaftsdienste sowie Rufbereitschaften auch an Wochenenden, vor allem zu besonderen polizeilichen Lagen, zu verrichten sind. Krankheitsbedingte Ausfälle von Beschäftigten Ein letzter Aspekt, der hier beleuchtet werden soll, sind die krankheitsbedingten Ausfälle von Polizistinnen und Polizisten. Da für die vorliegende Forschungsarbeit von Bedeutung ist, welche Anforderungen und Belastungen das Polizeipersonal bewältigen muss, sind statistische Aussagen zu den Fehlzeiten von Polizeibediensteten aufgrund von Krankheit nicht uninteressant – auch wenn keine Aussagen zu den Ursachen dieser krankheitsbedingten Ausfälle gemacht werden können.

4 Durch angeordnete Schießtrainings, Weiterbildungen oder Verfügungsdienste haben die Polizeibediensteten oftmals auch nur einen Tag zwischen den Schichtumläufen frei.

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Abbildung 9: Entwicklung des Krankenstandes der Beschäftigten im Polizeivollzugsdienst nach Geschlecht in der untersuchten PD von 2002 bis 2010 ϭϬ ϵ ϴ ϳ ϲ ϱ

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Abbildung 9 zeigt, dass der prozentuale Krankenstand zwischen 2002 und 2007 stetig angestiegen ist, mit Sprüngen in den Jahren 2005 und 2007. Lag der Krankenstand im Jahr 2002 noch bei 5,22% bei den Männern und bei 6,21% bei den Frauen, so ist dieser im Jahr 2007 bei den Polizisten auf 7,57% und bei den Polizistinnen sogar auf 9,22% angestiegen. Was zu den sprunghaften Anstiegen in den Jahren 2005 und 2007 führte, ist unklar. Seit 2007 sinkt der Krankenstand kontinuierlich mit einem leichten Zwischenanstieg bei den Männern im Jahr 2009. Im Jahr 2010 lag der prozentuale Krankenstand bei den Männern bei 6,72% und bei den Frauen bei 7,75%. Der Krankenstand der Frauen war stets höher als der der Männer. Auch hier lässt sich über die Ursachen dafür nur spekulieren. Dass der Krankenstand bei der Polizei sehr hoch ist, zeigt der Vergleich mit anderen Branchen. Der DAK Gesundheitsreport (2010) zeigt, dass der Krankenstand in der öffentlichen Verwaltung im Jahr 2009 insgesamt bei 3,9% lag. Der Krankenstand im Gesundheitswesen betrug ebenfalls 3,9%, im Handel lag er bei 3,2% und im Banken- und Versicherungsbereich bei 2,8% – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das verweist auf einen hohen Belastungsgrad durch polizeiliche Arbeit. 1.2 Zugang zum Untersuchungsfeld und Auswahl des Samples Ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen von Reichertz (2002) gestaltete sich der Zugang zum Feld relativ leicht. Dieser Unterschied liegt zum Ersten darin begründet, dass die Anfänge der Polizeiforschung zumeist sehr ideologiekritisch waren

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und zu einer Stigmatisierung der Polizei gegenüber der Öffentlichkeit führten. Darin sieht Reichertz den Grund für das große Misstrauen, das die Polizei zum Teil auch heute noch gegenüber der sozialwissenschaftlichen Forschung hat. Zudem befürchtete die Polizei ihrerseits, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler könnten zu viel Wissen über die Ermittlungspraxis an mitlesende Gesetzesübertreter weitergeben und damit die Arbeit der Polizeibediensteten erschweren (ebd.). Mit einem Wandel der Polizeiforschung zu einer perspektivneutralen Beschreibung der Formen und Folgen polizeilicher Arbeit hat sich die Skepsis der Polizeiangehörigen gegenüber den Forscherinnen und Forschern etwas abgeschwächt, so Reichertz, wovon auch diese Arbeit profitiert. Zum Zweiten verfügt die Forscherin über sehr gute Kontakte zur Personalabteilung und zu den gewerkschaftlichen Vertretern der Polizei, was den Zugang zum Feld enorm erleichterte. Aufgrund des großen Interesses der Polizeibediensteten am Forschungsthema wurde die Rekrutierung von Polizistinnen und Polizisten zum Dritten durch einzelne Vorgesetzte unterstützt. Schließlich meldeten sich einige der Befragten eigeninitiativ. Dem war eine Kurzbeschreibung der Untersuchung mit Aufruf zur Teilnahme in unterschiedlichen Polizei- und Gewerkschaftszeitschriften vorausgegangen. Die vorliegende Studie zeichnet sich durch ihren explorativen Charakter aus, weil kein gesichertes substanzielles Vorwissen über den Untersuchungsgegenstand existiert. Es war Aufgabe des Forschungsprozesses, theoretisch relevante Dimensionen und Merkmalszusammenhänge überhaupt erst zu bestimmen. Dies begründet auch das gezielte qualitative Sampling, das für diese Untersuchung vorgenommen wurde. Es stellt ein offenes Auswahlverfahren dar, bei dem erst im Verlauf der Untersuchung entschieden wird, welche Personen einbezogen werden sollen (Merkens 2000, Flick 2000). Um dem Anspruch eines sukzessiven Erhebungsverfahrens gerecht zu werden, erfolgte die Erhebung in drei Phasen. Die ersten Gespräche wurden im Jahr 2005 durchgeführt. Diese Interviews dienten als Ausgangspunkt für die weitere Erhebung nach den Prinzipien des „Theoretical Sampling“ (Strauss 1991, Strauss/Corbin 1996). In den Erhebungsphasen 2006 und 2008 wurden die Untersuchungsfälle sukzessive erweitert. Sinn dieser Erhebungsmethode war es, nach den theoretisch möglicherweise relevanten Dimensionen, die in Bezug auf die zentrale Fragestellung ausgewertet wurden, weitere Fälle nach den Kriterien der „minimalen“ und „maximalen Kontrastierung“ zu erheben. Dieses Verfahren wurde bis zum Zeitpunkt der „empirischen Sättigung“ (Glaser/Strauss 1967) wiederholt. Diese tritt ein, wenn die Erhebung weiterer Fälle keinen theoretischen Mehrwert mehr verspricht. Aufgrund der unterschiedlichen Funktions- bzw. Tätigkeitsbereiche innerhalb der Polizei und aufgrund fehlenden Vorwissens in Bezug auf mögliche Zusammenhänge zum Untersuchungsgegenstand wurde sich dazu entschieden, Polizistinnen und Polizisten aus möglichst unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen (Schutzpolizei, Kriminalpolizei, Verkehrspolizei usw.) zu befragen. Anzumerken ist, dass aufgrund

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der für bürokratische Organisationen typischen Laufbahnordnung und festgelegten Karriereregeln die Polizeibediensteten zum Befragungszeitpunkt zwar aktuellen Funktionsbereichen und damit Tätigkeiten zuzuordnen waren. Viele der Befragten haben allerdings mit Aufstieg verbundene Tätigkeitswechsel durchlebt, weshalb die Schilderungen der Polizeibediensteten auf ganz unterschiedlichen Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen polizeilicher Tätigkeit beruhen. Innerhalb der Tätigkeitsbereiche wurde auf eine möglichst breite Streuung der Polizeibediensteten entlang der Hierarchieebenen (mittlerer, gehobener, höherer Dienst) geachtet, um unterschiedliche Ausgangsbedingungen im Sinne von Ressourcen und Rahmenbedingungen für das Arbeitshandeln und deren Bedeutung für den Umgang mit den situativen Gefühlsanforderungen zu haben. Außerdem wurde auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis geachtet. Aufgrund von geschlechtsspezifischen Zuweisungen war ein geschlechtersensibler Blick auf das Erleben subjektiver emotionaler Belastungen und den Umgang damit wichtig, um mögliche geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Bewältigung der emotionalen Arbeitsanforderungen sichtbar zu machen. Es wird angenommen, dass das Geschlecht eine für die Bearbeitung von Gefühlen relevante Dimension ist und eine zentrale Analysekategorie hinsichtlich der Untersuchung der Gefühlsarbeitsleistungen von Polizistinnen und Polizisten darstellt (vgl. auch Franzke/Wiese 1997). Im privaten wie auch im beruflichen Bereich wird Gefühlsarbeit nach wie vor ganz überwiegend an Frauen delegiert und deren emotionale Kompetenz zur Anhäufung verschiedener Kapitalien genutzt – so bspw. in der Zuständigkeit für das Wohlbefinden in der Familie und die Pflege sozialer Kontakte (Erickson 1993, Schneider/Waite 2005) oder in der professionellen Funktion personalisierter Freundlichkeit, Fürsorge und Herzlichkeit (Hochschild 1990). Die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede im Umgang mit Emotionen im Dienst war auch deshalb relevant, weil in dieser Untersuchung eine Berufsgruppe betrachtet wurde, die nach wie vor als Männerdomäne gilt, in der Frauen unterrepräsentiert sind und woraus sich eine entsprechende Kultur im Umgang mit den beruflichen Belastungen und Emotionen ergibt (Behr 2000). Die Lebensform der befragten Polizeibediensteten wurde nicht als Auswahlkriterium berücksichtigt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Mehrheit der Befragten in einer stabilen Partnerschaft bzw. Ehe lebt. Eine Vielzahl von ihnen hat zudem Kinder. Daraus werden sich wichtige Hinweise erhofft bezüglich emotionaler Wechselwirkungsprozesse zwischen den Lebensbereichen, aber auch emotionaler Ansteckungsprozesse zwischen Familienmitgliedern.

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1.3 Struktur des Samples Es wurden insgesamt 43 Interviews mit Polizistinnen und Polizisten durchgeführt – 26 Männer und 17 Frauen. Der Anteil der Frauen (40,5%) im untersuchten Sample liegt demnach höher als auf der Ebene der Sachbearbeiter in der Laufbahngruppe des mittleren Dienstes in der untersuchten Polizeidirektion, wo der Anteil der Frauen mit ca. 30% am höchsten ist.5 Im Folgenden werden die Befragten entlang ausgewählter sozialstatistisch relevanter Merkmale vorgestellt. Tätigkeitsbereiche der Befragten Bei der Zuordnung der befragten Polizistinnen und Polizisten zu ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich ergibt sich folgendes Bild: Tabelle 4: Befragte nach Tätigkeitsbereichen Tätigkeitsbereich Polizeirevier: Streifendienst Ermittlungsdienst Revierführung Kriminalpolizei Verkehrspolizei PVD Direktionsbüro VwD IPZD

Anzahl der Befragten 17 2 5 6 6 4 1 1 1

Quelle: eigene Erhebung

Tabelle 4 zeigt, dass die Mehrzahl der befragten Polizeibediensteten in den Polizeirevieren arbeitet. Darunter sind wiederum die meisten der Befragten im Streifendienst tätig (17), zwei Befragte stammen aus dem Ermittlungsdienst und fünf der Gesprächspartner arbeiten im Bereich der Revierführung: drei Revierführer und zwei Sachbearbeiter Einsatz6. Im Tätigkeitsbereich Kriminalpolizei stammen die Befragten (6) aus den Dezernaten Wirtschaft und Vermögen, zentrale Aufgaben sowie höchstpersönliche Rechtsgüter. Ein Polizeibediensteter im Bereich Kriminal-

5 Hinweise auf Vergleichszahlen erfolgen vor dem Hintergrund von Statistiken aus der Polizeidirektion, in der die meisten Befragten dieser Untersuchung tätig sind. 6 Der Sachbearbeiter Einsatz ist für die Planung der Dienst- und Urlaubszeiten, Schießtrainings, Aus- und Fortbildungen der Bediensteten im Revier zuständig.

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polizei war zum Befragungszeitpunkt in einer Kriminalaußenstelle tätig. Fünf Befragte gehören dem Bereich der Verkehrspolizei an. Die vier Polizisten aus dem Bereich Polizeivollzugsdienst sind in den Bereichen PVD 1 (Organisation, allgemeine polizeiliche Aufgaben sowie Aus- und Fortbildung) und PVD 2 (Einsatz, Führungs- und Lagezentrum) beschäftigt. Ein Befragter ist Beamter im Bereich des ehemaligen PVD 5; jetzt als Referat Technik dem Bereich der Verwaltung zugeordnet. Schließlich arbeitet ein befragter Polizeibediensteter in der Abteilung Direktionsbüro. Laufbahngruppe der Befragten Unterschieden nach Laufbahngruppen wurden im mittleren Dienst 21 und im gehobenen Dienst 19 Polizistinnen und Polizisten befragt. Drei der befragten Polizeibeamten arbeiten in der Laufbahngruppe des höheren Diensts. Darunter ist keine Frau. Unter den Polizeibediensteten im mittleren Dienst sind acht Frauen vertreten, im gehobenen Dienst sind es neun Frauen. Abbildung 10: Befragte nach Laufbahngruppe Ϯϱ ϮϬ ϭϱ ŐĞƐĂŵƚ ϭϬ

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ϱ Ϭ ŵŝƚƚůĞƌĞƌŝĞŶƐƚ ŐĞŚŽďĞŶĞƌŝĞŶƐƚ ŚƂŚĞƌĞƌŝĞŶƐƚ Quelle: eigene Darstellung

Das Alter der Befragten Die Mehrheit der Befragten ist zwischen 30 und 34 Jahren alt (12), gefolgt von den 40 bis 44-jährigen Polizeibediensteten (10) und den 35- bis 39-jährigen (8). Fünf der Befragten sind zwischen 50 und 54 Jahren alt. Vier der Polizisten sind zwischen 25 und 29 und drei zwischen 45 und 49 Jahren alt. Ein Befragter und damit der

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älteste Polizeibedienstete ist zum Befragungszeitpunkt 58 Jahre alt. Der jüngste befragte Polizist ist 26 Jahre alt. Abbildung 11: Die Altersstruktur der Befragten ϭϰ ϭϮ ϭϬ ϴ ϲ ϰ Ϯ Ϭ ũƺŶŐĞƌ ϮϱͲϮϵ ĂůƐϮϱ

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Quelle: eigene Darstellung

Die Altersstruktur der befragten Polizistinnen und Polizisten zeigt, dass diese nicht der Altersstruktur des Bereichs des Polizeivollzugsdiensts der untersuchten Polizeidirektion entspricht. Sind im Sample die meisten der Befragten zwischen 30 und 44 Jahren alt, so ist der größte Teil der Polizeibediensteten in der Polizeidirektion zwischen 45 und 59 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt liegt hier, wie bereits dargestellt, bei ca. 45 Jahren. Der Altersdurchschnitt im Sample liegt deutlich darunter (bei ca. 38 Jahren). Die Lebensform der Befragten Wie Abbildung 12 demonstriert, lebt die Mehrheit der befragten Polizistinnen und Polizisten (27) verheiratet mit Kindern in einem Haushalt zusammen. Zwei Befragte sind verheiratet, aber kinderlos. Insgesamt sieben Befragte sind ledig, leben jedoch in einer festen Partnerschaft. In zwei dieser nichtehelichen Lebensgemeinschaften leben Kinder. Vier Polizisten sind ledig und leben ohne Partnerin. Drei befragte Polizeibedienstete sind geschieden, zwei von ihnen leben in einer neuen Partnerschaft. Aus zwei dieser geschiedenen Ehen resultieren Kinder.

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Abbildung 12: Die Lebensform der Befragten

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